Der Verteidiger des Friedens / Defensor pacis 3150079640, 9783150079645

Marsilius von Padua hat mit seinem Defensor Pacis die wichtigste Schrift der spätmittelalterlichen Staatstheorie geschaf

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German Pages 1339 [1340] Year 2017

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorbemerkung
Einleitung
Lebensumstände des Autors
Der Text des „Defensor pacis“ und seine Überlieferung
Die politische Theorie: Titel und Aufbau des Werkes
Die Diccio I
Die Diccio II
Die Diccio III
Sprachliche Vorbemerkungen von Horst Kusch
Abkürzungen
Auswahlbibliographie
Marsilius von Padua, Defensor pacis, Text und Übersetzung
I, I – II, XIII
II, XIV – III, III
Anhang
Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen von R. Scholz
Namenregister
Bibelzitate
Autorenzitate
Wort- und Sachregister
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Der Verteidiger des Friedens / Defensor pacis
 3150079640, 9783150079645

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AUS G E WÄ H LT E QUE L L E N Z U R G E S C H I C H T E D E S M I T T E L A LT E R S FREIHERR-VOM-STEIN-GEDÄCHTNISAUSGABE

Begründet von Rudolf Buchner und fort geführt von Franz-Josef Schmale und Hans-Werner Goetz

Band 50

Marsilii de Padua

Defensor pacis Texturn edidit Richard Scholz, versionern vulgarern notis cornrnentisque instruxit Horst Kusch,

praefationern novarn addidit Jürgen Miethke

Marsilius

von

Padua

Der Verteidiger des Friedens Aufgrund der Edition von Richard Scholz übersetzt, bearbeitet und kommentiert von Horst Kusch

neu eingeleitet und herausgegeben von ]ürgen Miethke

WBG� Wissen verbindet

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ /dnb.d-nb.de abrufbar

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2017

by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: Neil Mc Beath, Stuttgart

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978 -3 -534 -7428 1 -3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF):

978-3-534-74282-0

I N H A LT Vorbemerkung

XI

Einleitung

Lebensumstände des Autors . . . . . . . . . . . . . . . XV Der Text des " Defensor pacis " und seine Überlieferung XLIII XLVIII Die politische Theorie: Titel und Aufbau des Werkes . LII Die Diccio I . . LXI Die Diccio I! . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXXXVI Die Diccio III . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche Vorbemerkungen von Horst Kusch . XCIV . CXXXIX Abkürzungen . . . . . Auswahlbibliographie . . . . . . . . CXLI Marsilius von Padua, Defensor pacis, Text und Übersetzung I, I- II, XIII . . II, XIV- III, III . . . . .

545

Anhang

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen von R. Scholz . . Namenregister . Bibelzitate . . . Autorenzitate . Wort- und Sachregister

1 1 09 1 1 29 1134 1137 1 142

Ein Widmungsbild zum Defensor pacis Visualisierung der publizistischen Debatte des Spätmittelalters: Ms. Paris, lat. 14620, fol. 3' (in Abbildung gegenüber) Pergament (XV. saec.), ca. 33 0 x 255 mm Unter den mehr als 30 erhaltenen Hss. des "Defensor pacis" bietet dieses Pariser Ms. (1 5 . saec.) ein spätes Beispiel, als " eine Art Prachthandschrift, viel­ leicht für den französischen Hof geschrieben" (Scholz). Aus der Bibliothek von St. Victor stammend, heute in der Bibliotheque de Ia France in Paris behei­ matet, enthält die Handschrift eine von einem einzigen Schreiber durchgängig kopierte, zum Teil mit sorgfältigen Korrekturen versehene Version des Defen­ sor pacis, dem die Schrift De potestate ecclesiastica des Johannes Gerson (von 141 7) sowie ein Text des französischen Dominikaners Hervaeus Natalis De iurisdictione ecclesiastica (aus dem Umfeld des Konzils von Vienne, 1 3 1 0 -1 311) beigefügt ist. Vor Beginn des Textes (fol. 3') findet sich ein grogformatiges Wid­ mungsbild, das auf die Erörterungen im Codex (und - wie es scheint - beson­ ders auf Marsilius von Padua) Bezug nimmt: Links erscheint, in einem Bilder­ rahmen von dem übrigen Geschehen abgegrenzt, der Kaiser, bärtig, auf dem Thron sitzend mit Krone, Schwert und Reichsapfel, flankiert von zwei welt­ lichen Ratgebern, im Hintergrund Ritter, die seine militärische Amtskompe­ tenz darstellen. Den Raum, in den hinein sich dies ,Bild' öffnet, füllt eine leb­ hafte Szene: der gleichfalls thronende Papst sitzt rechts auf gleicher Höhe mit dem Kaiser - jedoch nicht in einem eigenen Rahmen, sondern unmittelbar im Bildraum gegenwärtig. Neben ihm zwei Kardinäle (sitzend) und zwei stehende Gestalten, durch Buch, Kelch und Hostie als Priester gekennzeichnet. Zu Fü­ gen des Papstes zwei Erzbischöfe mit Kreuzstab sowie zwei Bischöfe mit Krümme, miteinander diskutierend, wohl die amtskirchliche Hierarchie ab­ bildend. Unten erkennt man nach links in zwei eng gestaffelten Reihen je drei sitzende Gelehrte in (Universitäts-)Talaren mit Birett, in einen Disput mit ei­ ner Gruppe von 4 Klerikern verwickelt, an deren Spitze einer einen prächtigen rot gebundenen Codex zur Prüfung (oder ihn dem Papste widmend?) über­ reicht, offenbar den auf derselben Seite noch beginnenden Defensor pacis. Die Miniatur veranschaulicht auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen die mehr­ schichtigen zeitgenössischen Erörterungen "De potestate papae", insbesondere zu dessen Amtskompetenz in weltlichen Angelegenheiten und über Laienfürs­ ten sowie Diskussionen an der (Pariser) Universität in einer farbenfrohen Bild­ formel, wenn es auch erstaunt, dass hier (ein Jahrhundert nach dem Autor) der Papst - und nicht der Kaiser - geradezu als der hauptsächliche Widmungsemp­ fänger des Papstkritikers Marsilius erscheint: sein Buch jedoch überreicht die­ ser nicht an den Papst, sondern an die Universität Paris. J. Miethke

Literatur (zur Hs. und Bild) Marsilius de Padua, D efensor pacis, ed. C. W. Previte- Orton, Cambridge 1928, S. XXXII f.; ed. R. Scholz, S. XVI f.

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VO R B E M E R KU N G D e r "Defensor pacis" d e s Marsilius von Padua hat im 20. Jahrhun­ dert international große Aufmerksamkeit erweckt. Die Wissenschaft hat sich dieses Werks Stück für Stück durch Aus gaben, Übersetzun­ gen in moderne Sprachen und eine große Anzahl von monographi­ schen und analytischen B emühungen angenommen. Dafür musste allererst der Text in seiner best erreichbaren Form durch eine mo­ derne Edition aufgrund der Überlieferung in den Manuskripten und Frühdrucken fixiert und dann ediert werden. Mit der 1928 in Cam­ bridge (U. K.) erschienenen durch Charles William Previte- Orton erarbeiteten und kurz darauf der durch Richard S cholz 1932-1 933 in Leipzig für die "Monumenta Germaniae historica" herausgebrachten kritischen Ausgabe ist in einer j eweils beachtlichen Weise auf breiter handschriftlicher Grundlage ein solider Grund gelegt worden. Solche Verdoppelung philologisch-wissenschaftlicher Bemühung ist bei derart umfangreichen Texten, wie es die S chrift des Marsilius ist, durchaus ungewöhnlich. Die verdoppelte Arbeitslast ist wohl aus den Verstörungen des Ersten Weltkriegs zu erklären, die eine inter­ nationale Kooperation zwischen dem britischen und dem deutschen Historiker damals ausschlossen. Eine spürbare Erweiterung der B e ­ mühungen um d e n Text und sein Verständnis hat dann wiederum der Zweite Weltkrieg verzögert, nicht aber auf Dauer verhindern können In den 5 0 er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die ersten vollständigen Übersetzungen in eine der modernen westlichen Welt­ sprachen heraus: 1956 erschien als erste derartige Verständnishilfe in den USA eine Übersetzung ins Englische durch Alan Gewirth, 1960 eine Übersetzung ins Italienische durch Cesare Vasoli, auf die dann 1968 die französische Version von Jeannine Quillet folgte. Für Deutschland hatte diese Aufgabe bereits der damals in Leipzig lehrende mittellateinische Philologe Horst Kusch geschultert. Unter seiner Aufsicht und Endredaktion ist eine von Walter Kunzmann unter Mitwirkung von Alexander Teuchert in einem offenbar langen Anlauf und in nicht weniger als drei vollständigen Probeversionen hintereinander hergestellte Übersetzung ins Deutsche erarbeitet worden, die dann kurz nach dem vorzeitigen Tod von Horst Kusch

XII

Vorbemerkung

(t3. März 1958) seitenparallel mit einem zeilenkorrekten Nachdruck der kritischen Edition von Richard Scholz im damals (Ost-) B erliner Verlag Rütten & L oening (1 958) erschienen ist. Den Vertrieb in der Bundesrepublik und im westlichen Ausland übernahm bereits die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (die anscheinend auch für eine Buchgestaltung sorgte, die sich eng an das damalige Aussehen ihrer eigenen doppelsprachigen Quellenreihe "Freiherr vom Stein- Gedächtnisaus gabe" anlehnte). Für Spanien ist dann eine weitere eigene Übersetzung (1 989) herausgebracht worden, der sich in B rasilien eine portugiesische Übersetzung anschloss. Die hier genannten Erstaus gaben von modernen Übersetzungen sind mittlerweile allesamt vergriffen. Für den englischen transatlan­ tischen Buchmarkt wurden mehrfache Nachdrucke (zuletzt in den USA bibliographisch aktualisiert mit neuem Nachwort und Biblio­ graphie 2 0 0 1), für italienische Interessenten wurde durch einen Nachdruck 1975 gesorgt). Für Italien (20 0 1) und die angelsächsische Welt (20 0 5) ist dann sogar j eweils eine neue Übersetzung angefertigt worden, die dann broschiert bzw. als Taschenbuch (also zu einem relativ mäßigen Preis) erscheinen konnte. In Deutschland dagegen war der D oppelband von Horst Kusch auf den Antiquariatsmarkt verwiesen, wo er heute allerdings nur noch selten zu finden ist (und dementsprechend hochgreifend ausgepreist). Es lag nahe, j etzt, na­ hezu sechs Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen diese tüchtige Arbeit erneut vorzulegen, um dem großen Buch des Marsilius in Deutschland eine weitere Chance zu geben, auch von denen zur Kenntnis genommen werden zu können, die sich in der lateinischen Sprache nicht sicher genug fühlen, um derart ausführliche Erörte­ rungen ohne eine diskrete Hilfestellung bewältigen zu können, und die darum bisweilen lieber von vorneherein auf j ede ernsthaftere Beschäftigung mit dem Text verzichten. Die Wissenschaftliche Buch­ gesellschaft Darmstadt war dankenswert dazu bereit, nunmehr (als Jubiläumsband " 5 0 " in ihrer renommierten "Freiherr vom Stein­ Gedächtnisaus gabe") den D oppelband in einem aktualisierten Neu­ druck vorzulegen. Es ist technisch schwer möglich, die alte Arbeit j etzt an j enen Stel­ len zu ergänzen oder zu korrigieren, die sich von vorneherein oder im Laufe der Jahre als problematisch erwiesen haben. Das hätte einen vollständigen Neusatz der nahezu 1 2 0 0 S eiten der beiden B ände er­ forderlich gemacht, um von dem Aufwand an Mühen und Zeit ganz zu schweigen, der von jedem Bearbeiter dann doch gleich besser in

Vorbemerkung

XIII

eine völlig neue eigene Übersetzung zu investieren wäre. Da die da­ malige Übersetzung nach meiner Überzeugung insgesamt als gelun­ gen zu werten ist (von wenigen Ausnahmen ab gesehen, die zum Teil in der Einleitung angezeigt sind), lag es nahe, den Hauptteil des da­ maligen Unternehmens, den lateinischen Text mit der seitenparallel gesetzten deutschen Übersetzung graphisch zu reproduzieren, um damit letztendlich auch einen vertretbaren Preis zu erreichen. Das Beiwerk freilich, das seinerzeit in die Präsentation einführte und sie begleitete, war nach nunmehr fast 60 Jahren behutsam auf einen neu­ eren Stand zu bringen. Dabei sind die sprachlichen Vorbemerkungen Kuschs als eine ge­ diegene, von gegenwärtigen grammatischen Theorien noch weitge­ hend unberührte, j edoch insbesondere für Anfänger und Studenten, die eine erste Einführung in das scholastische Latein suchen, nach meinen eigenen studentischen Erfahrungen höchst nützliche Ein­ führung in die Sprache des Marsilius und der spätmittelalterlichen S cholastik im B and belassen worden, ebenso wie das ausführliche Register, das allerdings im Wesentlichen das Register von Richard S cholz neu ausgesetzt hat, dem es nur wenige Ergänzungen hinzu­ fügte, während es in der Regel leider das Register Previte-Ortons entgegen der eigenen Aussage kaum berücksichtigt hat. Die Einlei­ tung von Horst Kusch (einschließlich eines kurzen, 3 S eiten um­ fassenden Exkurses von Walter Kunzmann zum "Problem der ver­ dienstlichen Armut" bei Marsilius) war nach so langer Zeit durch eine neue Einführung in den Text zu ersetzen. Desgleichen waren auch die Literaturhinweise, die den Benutzer - freilich verdeckt - auf wichtige Diskussionen und Thesen der Forschung aufmerksam ma­ chen sollten, zu aktualisieren. E s kann bei einer Neubearbeitung solcher Lektürehinweise nur um eine Auswahlbibliographie gehen. Eine Vollständigkeit anstrebende Bibliographie wäre nur mit großen Mühen herzustellen, ihre B enutzung müsste zudem zu großen Schwierigkeiten führen, da allzu viele zu berücksichtigende Aspekte sie höchst unübersichtlich machen müssten und die ältere Literatur bisweilen nur ein eher "historisches" Interesse behält. Gleichwohl wurde hier eine umfangreichere Auswahl von weiterführenden Titeln zusammengestellt, die zur Erleichterung des Gebrauchs nicht in einer bloß alphabetischen Reihung aufgeführt, sondern locker in Sachgruppen gruppiert wurden (die sich freilich nicht schottendicht voneinander unterscheiden), innerhalb derer dann eine chronolo­ gische Reihung nach den Erscheinungsj ahren (nicht alphabetisch

XIV

Vorbemerkung

nach den Verfassern) gewählt wurde, so dass ein gesuchter Titel einerseits zugleich mit der Andeutung seines zeitlichen Standes in der Auslegungsgeschichte kenntlich wird, und andererseits doch, wenn der Verfassernamen bekannt ist, bei einigem Suchen aufzufin­ den ist. Die innerhalb der Gruppierungen aufgeführten Titel wollen einer bei der Lektüre erwachten Neugier erste Nahrung anbieten. E s wurde darauf geachtet, dass bibliographische Angaben, die in den Anmerkungen der Einleitung knapp gehalten sind, in den Literatur­ hinweisen genauer vorgestellt werden. Dabei sollte bewusst die inter­ nationale Diskussion in den (west)europäischen Sprachen vorgestellt werden, die sich jedes Jahr erneut lebhaft fortsetzt. E s bleibt der Wunsch des Bearbeiters und des Verlages, dass der D oppelband in seinem neuen Gewand das Interesse an Marsilius von Padua, diesem zentralen Autor des 14. Jahrhunderts verstärken oder neu erwecken möge. Das Buch könnte dazu helfen, allgemein das B e ­ wusstsein von den mittelalterlichen Voraussetzungen d e r Moderne zu präzisieren und zugleich die geistesgeschichtliche Situation des Spätmittelalters zu verdeutlichen. Da keine Übersetzung ohne Inter­ pretation möglich ist, da überhaupt jede Interpretation und j egliches Verstehen eines fremden Textes aus den eigenen Erfahrungen des Lesers mitbestimmt wird , bleibt j edoch ein kritischer Gebrauch des hier erneut vorgelegten "klassischen" Textes politischer Theorie auf beiden Seiten seines hier wiederum vorgestellten sprachlichen Ge­ wandes - und gegenüber allen Interpretationsange boten, auch gegen­ über der hier gebotenen ,Einleitung' dringend notwendig. Heidelberg, im Juni 2 0 1 7

]ürgen Miethke

MARSILIUS VON PADUA: " DEFENSOR PACIS"

EINLEITUNG von Jürgen Miethke

Lebensumstände des Marsilius

Die Lebensumstände des wohl wichtigsten Autors einer mittel­ alterlichen aristotelischen Politiktheorie sind - wie es im Mittelalter auch sonst häufig vorkommt - nur sehr ungenau bekannt. Außer eher zufälligen Selbstaussagen in seinen S chriften geben nur wenige Quellen konkrete Einzelheiten über das Leben des Verfassers j enes Buches preis, das nach seinem vom Autor gewählten Titel ein "Ver­ teidiger des Friedens" sein will.1 S chon das Geburtsj ahr lässt sich nur sehr ungefähr abschätzen. Je nach den notwendigen zusätzlichen Annahmen über die allgemeinen Bedingungen und persönlichen Voraussetzungen kommt man auf eine relativ weite Zeitspanne zwi­ schen 1 2 75 / 1 2 8 5 und 1 29 0 . Mit einiger Plausibilität lässt sich sein Geburtsjahr auf etwa [!] 1 2 9 0 ansetzen, und damit später als auf die sonst für ihn häufig genannten Jahre 1 2 75 / 1 2 8 0 . Marsilius stammt aus Padua aus einer Familie des Namens Mainardini. Sein Vater B onmatteo, ein Onkel Corrado, der jüngere B ruder Giovanni und weitere Verwandte dienten der Kommune als Notare. 2 Damit ge­ hörte Marsilius zu dem S ozialmilieu der rechts- und schriftkundigen Elite der Stadt, was ihm anscheinend eine gewisse finanzielle Unab 1 Nahezu alle Nachrichten werden diskutiert und genutzt von C . Pincin, Marsilio, Turin 1967. Das wird hier nicht mehr in jedem Einzelfall nach­ gewiesen. Wichtigste Ausnahme unten Anm. 6 8 . 2 Ausführlich z u r Familie C . Pincin, Marsilio, Turin 1967, 21-54, 241 -

244.

XVI

Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

hängigkeit verschaffte, ihn j edoch nicht zu einem wohlhabenden oder gar ,reichen' Bürger gemacht hat, der auf weitere Einkünfte nicht mehr angewiesen war. E ntgegen den Erwartungen, die man aus dieser Herkunft ableiten könnte, wandte sich der junge Mann nicht dem Studium der Rechte zu, mit dem sich sein Vater und sein Onkel auf ihr B erufsleben vor­ bereitet hatten. Marsilius begann vielmehr - zunächst wohl an der Universität seiner Heimatstadt Padua - mit dem Studium der "Artes"3, d. h. der Philosophie. Hier lehrte (spätestens seit 1307) der berühmte aus Padua stammende Mediziner und Philosoph Pietro d 'Abano (t vor Februar 1316), der offenbar Marsilius in das Studium der Philosophie und der Naturkunde einführte. Pietro d 'Abano hatte zuvor (etwa von 1290 bis 1305) in Paris die Artes unterrichtet und war somit in der Lage, den jugendlichen Studenten gezielt auf diese damals für ganz Europa hochbedeutsame Universität hinzuweisen und ihn zu einem Wechsel dorthin zu animieren. Weiterhin sind aus späteren Verbindungen des jungen Mannes frühe Kontakte zu dem Kreis von Paduaner Frühhumanisten bekannt,4 obwohl diese dem Anschein nach nicht den persönlichen lateinischen Stil unseres Au­ tors geprägt haben: Das Latein, das Marsilius sein Leben lang schrieb, war nicht humanistisch geprägt, es entspricht ganz dem damals in­ ternational üblichen ,scholastischen' Sprachgebrauch. 5 Irgendwann muss Marsilius aus seiner Vaterstadt nach Paris gezo­ gen sein, wo er zunächst wohl sein Studium der "Artes" fortsetzte. 3 Über sein Schwanken berichtet der Paduaner Frühhumanist Albertino Mussato in einem an Marsilius gerichteten Gedicht; Edition und Kommen­ tar zuletzt dazu J. Miethke, " Die Briefgedichte des Albertino Mussato an Marsilius von Padua", in: Pensiero politico medievale 6 (20 0 8) 49 - 6 5 . 4 Ausführlich z u m Paduaner Frühhumanismus Guido Billanovich, "11 preumanesimo padovano", in: Storia della cultura veneta, vol. 2, Vicenza 1976 , 1 9 -1 1 0, exemplarisch dazu Anastasios Ch. Megas, Ho prohoumanisti­

kos kyklos tes padouas (Lovato Lovati - Albertino Mussato) kai hoi tragoo­ dies tou L. A. Seneca, Thessaloniki 1967; vgl. auch Paolo Marangon, " Marsilio

tra preumanesimo e cultura delle arti, Ricerca sulle fonti padovane del primo discorso del 'Defensor pacis", in: Medioeva 3 (1977) 89-119 [auch in: Maran­ gon, 'Ad cognitionem scientiae festinare ', Gli studi nell ' Universita e nei Conventi di Padova, ed. Tiziana Pesenti, Triest 1997, 3 8 0 - 4 1 0] ; R. G. Witt,

'In the Footsteps of the Ancients ', The Origins ofHumanism from L ovato to Bruni, Leiden, Boston, Köln 2 0 0 0 . 5 Dazu insbes. hier die " Sprachlichen Vorbemerkungen" von H . Kusch.

Einleitung

XVII

Wann und wo er seine förmliche Graduierung zum magister artium erreichte, ist nicht unmittelbar bezeugt und wird daher unterschied­ lich beantwortet. E r muss aber, so lässt es sich plausibel aus den all­ gemeinen B edingungen einer Magister-Existenz in Paris ermitteln, spätestens gegen 1308 nach Paris gelangt sein und dort (ca. 1310) sei­ nen "Magister Artium" erhalten haben, da er sonst nicht im Jahre 1312 als Magister an der Universität hätte tätig sein können.6 Als Freund hat er in der Stadt an der Seine offensichtlich sehr bald Johan­ nes von Jandun7 gewonnen, einen früheren Studenten seines Padua­ ner Lehrers Pietro d 'Abano vom Niederrhein, mit dem er dann bis an dessen Lebensende (1329) eng verbunden blieb. Für die lands ­ mannschaftlich w i e auch durch persönliche B eziehungen vermittelte Vernetzung der mittelalterlichen europäischen Universitätsbesucher erscheint das typisch. Es macht zudem die Bedeutung von in der Stu­ dienzeit gewonnenen Verbindungen für die späteren Karrieren der Studenten sichtbar. Der wohl noch recht junge - das ist eine plausible, aber nicht sichere Annahme ! - Magister ist dann im Jahre 1312 von seinen Kol­ legen in den landsmannschaftliehen naciones der Artesfakultät von Paris für die drei Monate von Dezember 1312 bis zum März 1313 zum rector der gesamten Pariser universitas und damit zum ,Haupt' der genossenschaftlich verfassten Pariser Studenten-Universität ge­ wählt worden. 8 Das ist überhaupt die erste bekannte amtliche Notiz, die seinen Namen festhält. Will man das angemessen würdigen, ist 6 W. Courtenay, " Marsilius of Padua at Paris", in: A Campanion to Mar­ silius of Padua, eds. G. Moreno-Riaiio, C . Nederman, Leiden-Boston 2 0 1 2 , 57-70, hier besonders 58 - 61 . 7 Einen Lebensabriss gab vor allem L . Schmugge, johannes von fandun (1285/89 -1328), Stuttgart 1966, eine neuere Zusammenfassung bietet 0. Wei­ jers, Le travail intellectuel a la Faculte des Arts de Paris, Textes et Maztres, Turnhont 2003, 87-104. Zu dem Kreis, der sich zu Protektion und Förderung durch den späteren Kardinal Annibaldo de Ceccano bildete, gehörten auch Jandun und Marsilius, dazu W. Courtenay, " Marsilius of Padua at Paris" (wie Anm. 6), bes. 66 f.; zusammenfassend W. 0. Duba, " Masters and Bachelors at Paris in 1 3 1 9 ", in: Schüler und Meister, hrsg. A. Speer, Th. Jeschke, Berlin 2016, 3 1 5 -365 [zu Annibaldo bes. 319 ff., zu Jandun 348-358] . 8 Chartularium universitatis Parisiensis, edd. H . Denifle, E. Chatelain, II, nr. 699 (S . 1 5 8 f. [1 2 . März 1 3 1 3]): . . . nos omnes et singuli magistri quatuor

facultatum Parisiensis Universitatis ad congregationem generalem vocati per magistrum Mersilium de Padua tune nostre universitatis rectorem . . .

XVIII

Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

zu beachten, dass der Rektor der Artistenuniversität Paris damals von einem ,Rektor' einer modernen Universität weit entfernt war, nicht allein wegen der Kürze der vorgesehenen Amtszeit von einem Viertelj ahr. Marsilius wurde mit dieser Wahl zum Leiter der Genos­ senschaft der Artistenmagister und der Studenten der artistischen Landsmannschaften (naciones) bestellt, um bei deren Versammlun­ gen die Moderation zu übernehmen. Auch war er zur Verteidigung ihrer Rechte gegen jeglichen Angriff oder Abbruch verpflichtet. Diese Führungsposition konnte erfolgreich allein auf der B asis eini­ ger wirtschaftlichen Selbständigkeit ausgeübt werden, da möglichen späteren Regressforderungen Rechnung zu tragen war, auch moch­ ten private Zuschüsse zu den nötigen Amtsausgaben erwünscht er­ scheinen. Allerdings findet man auch in Paris im Spätmittelalter als Rektoren nur höchst selten Studenten aus höheren Gesellschafts­ schichten vor. Junge Männer aus dem Hochadel, hochrangige kirch­ liche Würdenträger oder deren Verwandte sind in diesem Amt jeden­ falls bis zum 14. Jahrhundert kaum zu finden. An anderen europäischen Universitäten wurde später sogar in den Statuten fest­ gelegt, dass sich ohne triftigen Grund niemand einer Wahl zum Rek­ tor entziehen dürfe. Ein Amt also, das man generell für besonders erstrebenswert hielt, scheint das Rektorat einer mittelalterlichen Universität nicht unbedingt gewesen zu sein. Durch dieses Amt sind dem jungen Marsilius zweifellos wichtige und weit in die Zukunft wirkende Erfahrungen ermöglicht worden. Sein Rektorat gewährte ihm Einblick in Geschäfte der gesamten Universität Paris9 und darüber hinaus hatte er damit Zugang zu Überlegungen und Verhandlungen in der Stadt Paris und am Hof des französischen Königs, zu dessen conseil ein Rektor der Universität Paris Zugang hatte. In der Folge gab es für ihn die Gelegenheit, im Auftrag der Universität an die Kurie des Papstes, damals nach Avig­ non, zu reisen, um dort für die Versorgung der Universitätsangehöri9 Auf Erfahrungen in Gesprächen mit Abgesandten der Universität Or­ leans, die Pariser statutarische Bestimmungen für sich übernehmen wollten, beruft sich Marsilius ausdrücklich in 11 . 1 8 . 6 (Scholz 379, 27-380, 5 ). Zu den Umständen ihres Auftrags vgl. die Hinweise unten S. 1 1 1 8 zu S. 692 100 4 [Ich zitiere lateinische Textbelege künftig nach Seiten- und Zeilenangabe der Ausgabe von Scholz, weil diese Version (allerdings ohne den Variantenappa­ rat) hier in diesem Band zeilengenau abgedruckt ist. Längere deutsche Text­ stücke werden mit Verweis auf die Seitenzahl der unten gedruckten Über­ setzung (ohne Zeilenzählung) wiedergegebenJ.

Einleitung

XIX

gen mit päpstlich verliehenen Pfründexspektanzen zu werben.10 Je­ denfalls spricht Marsilius selbst, wie es scheint, später in seinem Buch als Augenzeuge von Papst und Kurie1 1 , was sich auch in einigen von ihm erwirkten eigenen Anwartschaften auf Pfründen spiegelt, die in den päpstlichen Registern verzeichnet sind. Allerdings hat er die so gewonnenen Anwartschaften wohl niemals realisieren können.12 Mit solchem Misserfolg unterschied er sich in nichts von zahlreichen Pfründenj ägern, die an der päpstlichen Kurie ihr Glück zu machen versuchten, was nur höchst selten gelingen wollte. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehörten die beiden Freunde Mar­ silius und Jandun zunächst zu dem lockeren Kreis von jungen Uni­ versitätsleuten, die sich in Paris um den später zum Kardinal er­ hobenen Annibaldo de Ceccano geschart hatten, damals Prior des College de Sorbonne.U Das vermittelte Aussichten auf karriereträch­ tige Chancen, da dieser italienische Kirchenmann wegen seiner Ver­ wandtschaft mit Jacopo Stefaneschi (dem bekannten Kardinal des Papstes B onifaz' VIII.) enge B eziehungen zur Kurie unterhielt. Im Jahre 1315 war Marsilius dann wieder nachweislich persönlich in Padua anwesend.14 E s ist nicht bekannt, wie lange er sich damals in Padua aufgehalten hat. E s ist nicht klar, was Marsilius in dieser Zeit beschäftigt hat, auch kennen wir die näheren Umstände seines dama­ ligen Lebens nicht. E r könnte versucht haben, sich bei einer aktiven Politikberatung einzumischen, denn im Auftrag der Partei der so10 Insbesondere W. J. Courtenay (ed.), Rotuli Parisienses, Supplications to the Pope from the University ofParis, Bd. I, Leiden-Boston (u. a.) 2002, bes. 1-27. 11 Als 'Gesicht' (nach Daniel 2:31 -33) gestaltet in: Defensor pacis, II.24 . 1 6 f. (Scholz 464-466; vgl. bes. 464, 15 ): Qui vero vidi et affui . . . 1 2 Auch die in seiner Heimatstadt Padua nicht, die er sich hatte zusichern lassen. Dazu weiterführend W. Courtenay, "University Masters and Politi­ cal Power: The Parisian Years of Marsilius of Padua", in: M. Kaufhold (Hrsg.), Theoretische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters, Leiden­ Boston 20 04, 2 0 9 -223. 1 3 Dazu jetzt (gestützt auf W. Courtenay, wie Anm. 6 u. 1 2) W. 0 . Duba, Masters and Bachelors at Paris in 1 3 1 9 ", in: Schüler und Meister, hrsg. von " A. Speer, Th. Jeschke, Berlin-New York 2 0 1 6 , 3 1 5 -365 [insbes. 348 -358] . 1 4 E r war als Zeuge bei der Errichtung des Testaments seines früheren Lehrers Pietro d 'Abano zugegen. Vgl. Tiziana Pesenti, " Per la tradizione del testamento di Pietro d 'Abano", in: Medioeva 6 (19 8 0) 533 - 542 [Text des Testaments: 53 8 -542] .

XX

Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

genannten "Ghibellinen" Oberitaliens wurde er mehrfach auf Ge­ sandtschaften tätig, in Sonderheit ist er anscheinend in Verhand­ lungen mit französischen Hochadligen und italienischen Fürsten eingetreten, die er für Positionen an der Spitze dieser Partei zu ge­ winnen suchte. Doch sind keinerlei Ergebnisse solcher B emühungen zu erkennen. Erst gegen 1319 ist Marsilius wieder in Paris anzutreffen, in einer damals nicht ungewöhnlichen Doppelfunktion. Er unterrichtete als Magister an der Artes-Fakultät (und verdiente sich damit offenbar sei­ nen Lebensunterhalt). Gleichzeitig ging er an einer höheren Fakultät weiteren eigenen Studien nach. Später wird er als Arzt in Paris und in München beim Herrscher persönlich praktizieren, so hat er wohl die medizinische Fakultät besucht.15 Wenig später jedoch (1324) wird er "in Paris, im Stadtbezirk der Sorbonne, im Haus der Studenten der heiligen Theologie" 16 sein wichtigstes Buch vollenden, gehörte damals also wohl als Student der theologischen Fakultät an. Den Aufgaben der Lehre eines Magisters der "Artes" ist Marsilius, wie sein wohl et­ was älterer Freund Johannes Jandun, nach Ausweis einiger ihm zuge­ schriebenen "artistischer" Quaestionen und Sophismata nachgekom­ men. Dabei war er erfolgreich, wie es scheint, denn einige seiner Texte

15 Die Medizin hatte auf ihn bereits früher Attraktion geübt, vgl. das Ge­ dicht des Albertino Mussato, hrsg. und kommentiert durch: J. Miethke, " Die Briefgedichte des Albertino Mussato", in: Pensiero politico medievale 6 (20 0 8) 49 - 6 5 . In Prokuratorien Ludwigs des Bayern für Verhandlungen mit Papst Clemens VI. in Antwort auf päpstliche Vorwürfe, er habe die Ketzer Marsilius und J andun in seinen Hofstaat aufgenommen, hei{h es immer wie­ der (z. B. am 1 8 . September 1 343): in Nova Alamanniae, Bd. 2/Il, hrsg. E. E. Stengel, K. Schäfer, Hannover 1978, 884 [nr. 1 534 § 39] : item quia dictus Marsilius quondam medicus extitit, ut dixit [ersichtlich nach dem Tod des Marsilius so aufgeschrieben] ; bzw in einer deutschen Fassung: "wan der selb Marsili ein gut arzat was, als er sprach " [s. ebendort 907 (nr. 1 559 § 39)] . 16 So das Colophon einer (späten) Handschrift der deutschen Redaktion aus der zweiten Hälfte des 1 5 . Jh. (Ms. Ulm Stadtbibliothek 670 6 - 6708: 3.IX D.4), das sicherlich eine ältere (verlorene) Vorlage wiederholt (wie un­ ten Anm. 19). [Ich zitiere lateinische Textbelege künftig nach Seiten- und Zeilenangabe der Ausgabe von Scholz, weil diese Version (allerdings ohne den Variantenapparat) unten zeilengenau abgedruckt ist. Längere deutsche Textstücke werden mit Verweis auf die Seitenzahl der unten gedruckten Übersetzung (ohne Zeilenzählung) angegeben] .

Einleitung

XXI

wurden zwar nicht gerade häufig, aber doch z.T. mehrmals abgeschrie­ ben und haben sich auch weitab von Paris erhaltenY Doch haben diese Materialien seines akademischen Unterrichts die Arbeitskraft des Marsilius zweifellos nicht Jahre lang ausgefüllt. Wie mehrere Manuskripte der späteren, der sogenannten "deutschen" Re­ daktionsstufe des großen Textes18 in einem Colophon überliefern, ist am Johannistag (dem 24 . Juni) 1 324 der "Defensor pacis" im " Studen­ tenhaus der Sorbonne" in Paris "vollendet" worden.19 An diesem Buch, das in seinen beiden modernen Ausgaben jeweils mehr als 500 bzw. 600 dicht bedruckte Seiten eines normalen Oktavformats benö­ tigt, hat Marsilius gewiss nicht nur wenige Wochen gearbeitet. Es müssen Monate, ja Jahre gewesen sein, während deren ihn diese Schrift beschäftigt hat. Sein Ms. ist gewiss am Schreibpult des Autors entstan­ den, ohne etwa im Hörsaal den Studenten in die Feder diktiert zu wer1 7 Wann er diese Texte niedergeschrieben hat, ist unbekannt, sie könnten auch aus seiner ersten Pariser Zeit stammen. Vgl. im einzelnen R. Lamber­ tini, A. Tabarroni, " Le 'Quaestiones super Metaphysicam' attribuite a Gio­ vanni di Jandun, Osservazioni e problemi", in: Medioeva 10 (1984) 41-1 04 [Textedition 70 -93] ; R. Lambertini, "The ' Sophismata' Attributed to Mar­ silius of Padua", in: Sophisms in Medieval Logic and Grammar, ed. Stephen Reid, Dordrecht 1993, 8 6 -1 02; J. Hamesse, " Marsile de Padoue peut-il etre considere comme 1' ,auteur' des , Parvi flores'?" In: Medioeva 6 (1 9 8 0) 491499; dieselbe, "Johannes de Fonte, compilateur des Parvi Flores? Le temoig­ nage de plusieurs manuscrits conserves a la Bibliotheque Vaticane", in: Ar­ chivum Franciscanum Historicum 85 (1995) 5 1 5 - 5 3 1 ; angekündigt ist: Les

" A uctoritates Aristoteles", leur utilisation et leur influence chez les auteurs medievaux, Etat des la question 40 ans apres la publication, hrsg. v. J. Ha­

messe u. J. Meirinhos (Textes et Etudes du Moyen Age, 83), Turnhout 2 0 1 7. 1 8 Darunter auch der zentrale heute in Tortosa liegende Codex ,T', der später in der Bibliothek des avignonesischen Papstes Benedikt XIII. zu finden sein wird: zu ihm unten Anm. 8 1 . 19 Im 1 324 . Jahr ist dieser ,Verteidiger' a m Fest Johannes des Täufers voll­ " endet worden. Dir, Christus, sei Lob und Preis ! " [Anno trecenteno milleno

quarto vigeno I Defensor est iste perfectus festo baptiste I Tibi laus et gloria Christe!] in einer weiteren ,deutschen' heute in Ulm liegenden Handschrift (wie Anm. 1 6) wird zwar nicht dieser Tag, dafür aber präzisierend der Ort genannt: "Verfasst und vollendet wurde dieses Buch im Jahre des Herrn 1324 in Paris im Ortsteil Sorbonne im Haus der Theologiestudenten dortselbst"

[Compositus et completus est liber iste anno da mini MCCCXXIIII Parisiis in vico Sorbona in domo studentium in sacra theologia ibidem] : Scholz 613, Apparat (nicht unten S . 1 1 04 / 1 1 05).

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

den. Das bleibt gegenüber einer B emerkung im Text selbst unbedingt festzuhalten: Marsilius stellt am Ende des Buchs (III.3) in einer for­ melhaften ,Protestation' orthodoxer Korrektheit ausdrücklich fest: Wenn in seinem Text "vielleicht etwas unkatholisch öffentlich verkün­ det ':·oder geschrieben':-" sei, so habe der Verfasser das ohne alle Hart­ näckigkeit (und also nicht als Ketzer) gesagt. 20 Er unterstelle (seinen Ausführungen in der Diccio I! folgend) den gesamten Inhalt des Werkes der Entscheidung eines Allgemeinen Konzils. Man darf das jedoch keinesfalls als eine Beschreibung wirklicher Hörsaalszenen im damaligen Paris nehmen. Marsilius benutzt mit der Erwähnung "öffentlicher Verkündigung" seiner Thesen (pronunciatum) eine Rechtfertigungsformel, wie sie offensichtlich damals in Paris als Schutzvorkehrung gegen Ketzereiverdacht üblich war. Dass dabei von einem "Gruppendiktat" (pronunciatum) die Rede ist, bedeutet ganz sicher nicht, dass der Autor sein Werk Studenten zum Mitschreiben diktiert hat. Marsilius selbst hat das Wort pronunciatum in einer Überarbeitung seines Textes (wie sie im Ms. ,T', heute aus Tortosa noch sichtbar ist) durch den Zusatz "oder geschrieben" präzisiert. 21 20 DP III.3 (Scholz 6 1 3 , 8 _ ): si quid in ipsis reperiri contingat determina­ 11

tum, diffinitum aut aliter quomodolibet pronunciatum ':· vel scriptum'' minus catholice, id non pertinaciter dieturn esse . . . - Zur pronunciatio, einem Gruppendiktat an den Universitäten zum Mitschreiben von Texten vgl. etwa J. Miethke, " Die mittelalterlichen Universitäten und das gesprochene Wort", in: Miethke, Studieren an mittelalterlichen Universitäten, Chancen und Risiken, Gesammelte A ufsätze, Leiden-Boston 20 04, 453 - 49 1 , beson­ ders 469 -471 . Eine Textverbreitung durch pronunciatio war bezeichnender­ weise besonders üblich an den mit Literatur nicht reichlich gesegneten spä­ teren Universitätsgründungen Mitteleuropas. Dass sie auch im bücherreichen Paris verbreitet war, kann man nicht zuletzt an unserem Zitat erkennen. Diese Methode billiger Textmultiplikation wirkte im Spätmittelalter bei­ spielbildend für öffentliche Propaganda-Methoden, wie sie dann etwa an der Wende zum 1 5 . Jahrhundert in Prag von den Reformanhängern um Jan Hus bei Gruppendiktaten in der Bethlehemkapelle zu verfolgen sind, dazu zuletzt Frantisek S mahel, " lnstead of Conclusion: Jan Hus as Writer and Author", in: A Campanion to ]an Hus, hrsg. F. Smahel in coop. with Ota Pavlicek, Leiden-Boston 2014, insbes. 384 f. Auch auf dem Konstanzer und dem Basler Konzil wurde, z. B. von Pariser [!] Gelehrten wie Jean Gerson, Pierre d 'Ailly oder Johannes de Maurosiis, dieser Weg zur Verbreitung eige­ ner Memoranden unter den Konzilsvätern benutzt. 21 Im obigen Zitat (bei Anm. 20) in Asterisci [':·] eingeschlossen. Vgl. auch unten bei Anm. 85 zu Ms. ,T'.

Einleitung

XXIII

Mit der Vollendung seines umfänglichen Buches hat sich in den Fol­ gemonaten, ja wohl auch den Folgej ahren an seinem Leben zunächst nichts auffällig geändert. Er hat das Buch keineswe gs anonym der uni­ versitären Öffentlichkeit übergeben, wie oft behauptet wurde, denn mit der Selbstbezeichnung als "Sohn Antenors" (Anthenorides22) hat er sich als Bürger der Stadt Padua recht eindeutig kenntlich gemacht und von der Masse der Studenten anderer Herkunft klar unterschie­ den. Dass das Ms. des Buches nun fertig war, hat seinen Verfasser be­ stimmt nicht mit einem Schlag bekannt gemacht oder auch nur aus seinen Routinen gezogen. Auch wenn sich heute kaum eine Hand­ schrift aus dieser Frühzeit erhalten hat, 23 ist doch mit Sicherheit an­ zunehmen, dass der "Defensor pacis" nicht in der Wohnung seines Autors verschlossen blieb. Wir müssen davon ausgehen, dass der Text dadurch "veröffentlicht" wurde, dass der Autor ihn in der an spätmit­ telalterlichen Universitäten üblichen Form unter Freunden zur Ein­ sicht oder auch zum Kopieren weitergab. Allein dass die Mehrzahl der heute noch erhaltenen Handschriften (mit 20 Exemplaren) der älteren, der sogenannten "französischen" Textfamilie angehört gegenüber der jüngeren "deutschen" Gruppe (mit 13 Exemplaren?4 ist dafür ein ge­ wichtiges Argument. Geraume Zeit, etwa ein halbes Jahrhundert (!) später hat die bischöfliche Inquisition der Pariser Diözese versucht, die an der Universität verdeckt umlaufenden Exemplare des inzwi­ schen vom Papst verurteilten Werkes aufzuspüren. Man veranstaltete eine großangelegte aufwendige Befragung unter den Pariser Magistern der Theologischen und der Artesfakultät. 25 Ist es verwunderlich, dass keiner der unter Eid befragten Universitätslehrer aussagte, irgendet­ was von dem Buch oder seinem Verbleib zu wissen?26 Der "Defensor 22 1 . 1 . 6 (Scholz 7, ). 17 2 3 Vgl. allenfalls die Bemerkungen zur Handschrift ,T' (unten bei Anm. 85). 24 Zu den Handschriften vgl. gerrauer unten S . XLIII sqq. 25 Bei C. Pincin, Il ,Difenditore della pace' nella traduzione in valgare fiorentino del 1363, Turin 1966, ist 571-577 das Protokoll einer Untersu­ chung (des Jahres 1 375, also mehr als 50 Jahre nach dem ersten Abschluss des " Defensor") durch bischöfliche Inquisitoren in der Pariser Theologi­ schen und Artistischen Fakultät abgedruckt, durch die festgestellt werden sollte, wer von den einzeln befragten Magistern den Text (nach so langer Zeit) gekannt hatte. 26 U.a. ist auch Nicole Oresme (der zweifellos den Defensor Pacis" ge­ " kannt hat) damals gefragt worden; vgl. Pincin, Difenditore, 572, 4 1·, 573 f., 66 _s1 ;

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

Pacis" war nach den in diesem Protokoll der Inquisitoren festgehalte­ nen Aussagen der Magister damals in Paris angeblich völlig unbe­ kannt. Dabei hat sich doch sogar bis heute eine Übersetzung in das florentiner Valgare aus dem Jahr 1 3 63 erhalten, d. h. enstanden - oder doch niedergeschrieben - mehr als 20 Jahre nach dem Tod des Au­ tors, die sich selbst ausdrücklich nicht auf das lateinische Original, sondern auf eine (heute verlorene) Übersetzung ins Französische be­ ruft, welche, wenn sie denn wirklich die Grundlage der Übersetzung gewesen war, doch erst einmal hergestellt und bis nach Italien verbrei­ tet werden musste.27 Den Zeitgenossen und insbesondere der päpstlichen Kurie später galten fast ausnahmslos Marsilius selbst und mit ihm zusammen sein Freund Johannes von Jandun als gemeinsame Verfasser des Textes.28 Beide werden im Umkreis der päpstlichen Kurie wieder und wieder als Autoren des "Defensor pacis" benannt. Doch ist diese doppelte Ver­ fasserschaft von der modernen Forschung nicht bestätigt worden, welche allgemein allein Marsilius als Autor anerkennt.29 Er selbst (und er ausschließlich) hat später ständig in der Ichform auf das Buch als auf sein wichtigstes Werk verwiesen. Nur er hat positiv und ausdrücklich den Anspruch erhoben, der Verfasser der Schrift zu sein. Im Text klagt er mehrfach beweglich über die schlimmen Zustände in Oberitalien, die er päpstlicher Politik ankreidet. Von Jandun haben sich zudem keine unmittelbaren Spuren in Form von wörtlichen oder auch nur sinngemäßen Partien in dem weitläufigen Text auffinden lassen. So 9r101• Er hat jedoch wie alle seine Magisterkollegen beeidet, nichts von dem Text zu wissen oder gewusst zu haben. 27 Das ist die von C. Pincin (wie Anm. 25) edierte Version, auf die mit Nachdruck hingewiesen sei. 28 Es kommt sogar vor, dass Johannes Jandun allein als Verfasser genannt wird, so von dem in Montpellier promovierten gelehrten Offizial der Trie­ rer Kirche Rudolf Losse, vgl. Nova A lamanniae, hrsg. E. E. Stenge! (u. a.), Bd. 2/Il, Hannover 1976 , 952 f. (nr. 1 659). 2 9 Das hat - entgegen der Meinung von C. W. Previte- Orton (in seiner Edition p. IX) - bereits R. Scholz ebenfalls in seiner Edition (p. V) mit Nach­ druck festgestellt: " Aus der handschriftlichen Überlieferung ergibt sich m. E. mit Sicherheit die alleinige Autorschaft des Marsilius und die Einheit des Buches". Die bis heute maggehliehe Untersuchung lieferte A. Gewirth, "John of Jandun and the ,Defensor pacis"', in: Speculum 23 (1948) 267-272 . Doch bleibt die vorsichtige Kritik von L . Schmugge, johannes von fandun (1285/89 -1328), Stuttgart 1966, 9 5 - 1 1 9, zu beachten.

Einleitung

XXV

wird man Marsilius als den alleinigen Autor des Buches ansehen dür­ fen, ohne allerdings damit ein kommunikatives Klima zwischen bei­ den Freunden ganz vergessen zu wollen, das bei der Konzeption des Werkes womöglich eine Rolle hat spielen können. Nach der Fertigstellung des "Defensor pacis" bewegten sich beide, Marsilius und Jandun zunächst in Frankreichs Hauptstadt und an der Universität, ohne sich erkennbar bedroht zu fühlen und ohne j egliche Panik. Marsilius hat, wie sein studentischer Famulus später zu Protokoll gab30, eine Lehrveranstaltung an der theologischen Fakultät der Universität angekündigt. Johannes Jandun hat noch im Sommer 1 324 in Paris auf Lebenszeit einen Eventual-Mietvertrag für den Fall des Ablebens eines anderen Mieters abgeschlossen für ein Haus, das dem College der S orbonne gehörte. 31 Doch kam es kurz darauf, wohl am Ende der Vorlesungszeit im Sommer 1 326, zu einer dramatischen, weiterhin rätselhaften Entscheidung. B eide Freunde verließen gewissermaßen Hals über Kopf die Stadt Paris und Frank­ reich. Im Falle des Marsilius geschah das, wie wir eher zufällig wis­ sen, unter Hinterlassung einiger S chulden bei befreundeten italieni­ schen Landsleuten aus der Medizinischen FakultätY Diese ,Flucht' wird seit langem mit einem Verfahren der kirchlichen Inquisition gegen beide in Zusammenhang gesehen. Doch pflegten mittelalter­ liche Inquisitoren sonst (auch in Paris!) ihre Opfer nicht vorweg zu warnen. Auch die Vorladung zu einem Verhör mit einer Vorlaufzeit, die für eine Flucht ausreichend gewesen wäre, war nicht üblich. Viel­ leicht aber hatten Marsilius und Jandun einen entsprechenden Wink von befreundeten Klerikern in der bischöflichen Kurie oder von uni3 0 Aussage des Francesco della Giovanna in einem Verhör kurz nach dem Weggang des Marsilius aus Paris, gedruckt zuletzt bei C. Pincin, Difendi­ tore (wie Anm. 25), 571 , 8 4 1.· Dazu etwa J. Haller, " Zur Lebensgeschichte des Marsilius von Padua", in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 48 (1929) 1 6 6 1 9 9 , heute i n : Haller, A bhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Stutt­ gart 1 944, 335-368, hier 352; auch Pincin, Marsilio (wie Anm. 1), 54 mit Anm. 78. 3 1 Dies Haus war gelegen in jenem Stadtquartier, in welchem auch das College stand. Die Urkunde liegt nach Schmugge (wie Anm. 7), S . 2 mit Anm. 1 6 , bzw. S. 25 f. mit Anm. 1 5 1 heute in: Paris Arch. Nat., S 6219, Dos­ sier 2 nr. 13. Ediert ist das Dokument bei P. Glorieux (ed.), A ux origines de la Sorbonne, Bd. II: Le cartulaire, Paris 1965, 544- 547 (nr. 423). 3 2 Aussage des Francisco della Giovanna, ed. Pincin, Difenditore (wie Anm. 25), 571 , s2 -! 00 .

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

versitären Sympathisanten erhalten, vielleicht ahnten sie selbst, dass der B o den in Paris heiß werden könnte, vielleicht hatten sie andere Motive dafür, Paris zu verlassen. Quellenzeugnisse, die die immer wieder geäußerte Vermutung einer ,Flucht' stützen könnten, sind nicht erhalten. Neuerdings ist behauptet worden, der Weggang beider Freunde habe gar nichts mit dem Vorwurf der Ketzerei gegen den "Defensor pacis" zu tun. Vielmehr erkläre er sich aus dem Endziel, das Marsi­ lius und Jandun angestrebt und schließlich auch erreicht haben, dem Hof des deutschen Herrschers. B eide Pariser Gelehrte fanden näm­ lich Aufnahme bei Ludwig dem B ayern,33 der seit seiner nicht einhel­ ligen, , gespaltenen' Wahl zum "König der Römer" im Jahr 1 3 1 3 in einen sich auf die Dauer immer heftiger verschärfenden Konflikt mit dem Papst in Avignon verwickelt war. E s sei politischer Ehrgeiz ge­ wesen, ein gewisses Glücksrittertum, wie es bereits auf dem Italien­ zug Heinrichs VII . , des Vorgängers Ludwigs im deutschen Herr­ schaftsgebiet zu beobachten war, als einige Juristen aus Oberitalien in der offensichtlichen Hoffnung auf eine Hofkarriere dem Herr­ scher auf seinem Krönungszug zugeströmt waren.34 Wenn gewiss auch Ehrgeiz und Karrierewünsche als Motiv, Paris zu verlassen, nicht auszuschließen sind, für sich allein können sie weder die eilige Abreise der beiden Freunde selbst, noch auch den Zeitpunkt ihrer Entscheidung zureichend erklären. 35 Damals war von einem kurialen Ketzerprozess gegen die beiden Pariser Magister jedenfalls, soweit wir wissen, noch nicht die Rede. Wir hören auch nichts von Schwie­ rigkeiten der beiden Artistenmagister mit der päpstlichen oder der bischöflichen Inquisition in Paris. Der Konfl ikt der Kurie mit dem deutschen Herrscher hatte mit Marsilius und/ oder Jandun zunächst nichts zu tun. S eit der , gespal­ tenen' Königswahl nach dem Tod Heinrichs VII. hatte sich der Streit des deutschen Herrschers mit der Kurie über ein Jahrzehnt hin zuge ­ spitzt. Die beiden ,erwählten Könige' in Deutschland, der von der 33 Dazu etwa J. Miethke, "Wirkungen politischer Theorie auf die Praxis der Politik im Römischen Reich des 14. Jahrhunderts", in: Political Thought and the Realities ofPower in the Middle Ag es, hrsg. J. Canning, 0. G. Oexle, Göttingen 1998, 1 73 -2 1 0 . 3 4 Zuletzt noch F . Godthardt, Marsilius v o n Padua u n d der Romzug Ludwigs des Bayern, Göttingen 201 1 , bes. 53 f. 35 Der Zeitpunkt selbst ist nicht eindeutig belegt. Es dürfte der Sommer 1 326 gewesen sein !

Einleitung

XXVII

Habsburger S eite ins Amt gesetzte Friedrich der Schöne von Öster­ reich und der von der Luxemburger Partei unterstützte Ludwig der B ayer hatten zunächst kaum kuriale Aufmerksamkeit gefunden, da der päpstliche Stuhl nach dem Tod Clemens' V. (t 2 0 . April 1 3 14) vakant war. Erst zwei Jahre später stand mit der Wahl Johan­ nes' XXII. (am 7. August 1 3 1 6) wieder ein Papst zur Verfügung. Die­ ser beachtete den deutschen Thronstreit nur insofern, als er durch eine eigene Dekretale exklusiv während einer kaiserlichen Thronva­ kanz ein päpstliches Ernennungsrecht für sogenannte "Reichsvi­ kare" (d. h. städtische Herrschaftsträger) in Oberitalien feststellte36, ohne die beiden deutschen Prätendenten für die "römische" Königs­ würde dabei auch nur zu erwähnen. Eine Wahl zum " König der Rö ­ mer" hob nach der seit Papst B onifaz VIII. entwickelten Theorie der Kurie die Vakanz des Kaiserthrons nicht auf. Jede Königswahl durch die deutschen Kurfürsten musste durch eine päpstliche ,Approba­ tion' erst ,in Kraft gesetzt' werden, bevor sie wirksam wurde. 37 I n den deutschen Bürgerkrieg zwischen beiden Fürsten, die j e ­ weils d e n Titel eines R ex Rarnanorum u n d damit d e s Herrschers über das Deutsche Reich beanspruchten, griff J ohannes XXII. nicht weiter ein. Erst als e s den Truppen Ludwigs nicht nur gelang, das Heer des Ge gners in einer S chlacht bei Mühldorf am Inn im Jahr 1 32238, d . h. nicht weniger als acht Jahre nach der gespaltenen Wahl, zu be siegen, sondern den Habsburger dabei auch gefangen zu 36 Ed. J. Schwalm in: Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica, Bd. V (Hannover-Leipzig 1 9 0 9 - 1 9 1 3 , 340 f. (nr. 401). Klas­ sisch die Untersuchung von F. Baethgen, " Der Anspruch des Papstes auf das Reichsvikariat", in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 41, kan. Abt. 10 (1920) 168 -268; zusammenfassend dazu etwa J. Miethke, Ock­ hams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, 4 0 0 - 404. 3 7 Zur ,kurialen Approbationstheorie' zusammenfassend J. Miethke, Kaiser und Papst im 14. Jahrhundert, Die Debatte um die kuriale Appro­ " bationstheorie", in: Politische Schriften des Lupold von Bebenburg, hrsg. J. Miethke, Chr. Flüeler, Hannover 20 04, 61-97; vgl. auch J. Miethke, Der Kampf Ludwigs des Bayern mit Papst und avignonesischer Kurie in seiner Bedeutung für die deutsche Geschichte, in: Kaiser Ludwig der Bayer. Kon­ flikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, hrsg. von H. Nehlsen, H . - G . Hermann, Paderborn-München-Wien-Zürich 2 0 02, 39 -74, insbes. 4 0 - 61 (in diesem Sammelband auch allgemein die Beiträge zu Problemen der Herrschaft Ludwigs des Bayern). 38 Eine farbige Schilderung (allerdings ohne Einzelnachweise) bei H. Tho­ mas, Ludwig der Bayer, Kaiser und Ketzer, Regensburg-Graz 1993, 69 -1 07.

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

nehmen, kam das Verhältnis von Kurie und deutschem Hof gewis­ sermaßen neu auf die Tagesord nung, da der Papst in extremer Aus ­ legung ausführlicher kanonistischer Diskussionen nunmehr end­ gültig durchsetzen wollte, dass erst die päpstliche " Approb ation", d . h . die Billigung und B estätigung der Kurfürstenwahl durch den Papst und nicht die Wahl der Kurfürsten selbst dem Herrscher alle seine Herrschaftsrechte im Römischen Reich einbringe . Johannes verlangte von Ludwig in fortschreitender Steigerung zuerst, er solle alle Regierungstätigkeit einstellen und auf die p äpstliche Approba­ tion warten. Als das erfolglos blieb, exkommunizierte er ihn und setzte ihn s chließlich ab.39 Aus dieser Kirchenstrafe hat sich Ludwig bis zu seinem Tod (1 3 47) nicht lösen können. Ludwig seinerseits erklärte ebenfalls schon 1 324 in der (nach dem Ort der Aktion so benannten) " Sachsenhausener App ellation" gegen die päpstlichen , Prozesse', er könne den Papst nicht mehr anerkennen.40 E r hatte diese seine dritte "App ellation" vom päpstlichen Gericht an "ein künftiges Konzil, einen künftigen wahren und rechtmäßigen Papst, die Kirche, den Apostolischen Stuhl und überhaupt an j eden, der zuständig ist", gerichtet4 1 • I n dieser Häufung alternativer Adres­ saten, die hier in typischer Advokatenmanier kumuliert werden, offenbart sich überdeutlich die tiefe Ratlosigkeit der B e rater bei Hof, was das richtige , Höhere Gericht' (über dem Papst) für ihre Appellation vom Papst sein könnte .42 3 9 Das Schlussurteil in dem sog. "Vierten Prozess" ist hrsg. von J. Schwalm in: MGH, Constitutiones [künftig: " MGH Const. "] V (1909-1 9 1 3) 779-788 (nr. 944). Die Reaktionen Ludwigs durch förmliche " Appellationen" gegen die päpstlichen Prozesse bewirkten nichts. Hier ist der lange und intensive Konflikt nicht darzustellen. Eine knappe Darstellung bei H . Thomas, Lud­ wig der Bayer (wie Anm. 3 8), 1 1 0 -225. 4 0 Ed. J. Schwalm, in: MGH Const. V, 722-754 (nr. 9 0 8 / 9 1 0). 4 1 MGH Const. V, 753, 3 2 - 3 s (nr. 9 1 0 § 31) 744, 1 - 23 (nr. 909 § 32): ad pre­ 9 =

dictum generale concilium, quod instanter et cum instancia repetita in loco tuto nobis et nostris convocari petimus, et ad verum legitimum futurum summum pontificem, et ad sanctam ecclesiam matrem, et apostolicam sedem, vel ad alias, ad quem vel ad quos fuerit appellandum, provocamus et appel­ lamus.

42 Zur Appellation vom Papst an ein höheres Gericht in der Kanonistik grundlegend H.-J. Becker, Die Appellation vom Papst an ein Allgemeines Konzil, Köln, Wien 1988; (sehr knapp) P. Weimar in: Lexikon des Mittel­ alters I (1980) Sp. 804. Eine neuere allgemeine Übersicht gab Jürgen Weitzel, 2 " Appellation" in: HR G , Bd. I (20 0 8) Sp. 268 -271 .

Einleitung

XXIX

Auf den Verfasser des "Defensor pacis" und seinen Freund Johan­ nes von Jandun musste der erbitterte, sich immer weiter steigernde Konflikt zwischen der Kurie und dem deutschen Herrscherhof zu­ nehmend anziehend wirken, hatte doch Marsilius sein großes Buch schon in der ersten Redaktion, also spätestens im Juni 1 324 aus ­ drücklich Ludwig d e m B ayern gewidmet.43 Nach all seinen Aussagen zur Unterscheidung der weltlichen und geistlichen Amtskompetenz mussten die Nachrichten über den Approbationsstreit, die damals Paris erreichten, die Erwartungen des Marsilius befeuern. Er mochte glauben, mit seinem "Defensor pacis" dem deutschen Herrscher eine wirkliche Stütze und Hilfe bieten zu können. Vielleicht spielten aber auch ältere persönliche B eziehungen zu einzelnen Mitgliedern des deutschen Hofes für diese Auswahl seiner Zuflucht eine Rolle, denn der (einzig erhaltene unabhängige) B ericht, der sich in einer Fortset­ zung zur "Chronica" des Guillaume von Nangis (aus dem französi­ schen Königskloster St. Denis) findet, vermerkt über die Aufnahme an Ludwigs Hof, Mitglieder von Ludwigs Rat hätten die beiden be­ rühmten Pariser Universitätslehrer noch gekannt und ihnen dank ihres Einflusses herrscherliehe Huld erworben. Jedoch, so fährt diese Notiz fort, seien die Meinungen geteilt gewesen, da die Überzeugun­ gen der beiden sich in einer eigenen Ratssitzung als ketzereiverdäch­ tige Sondermeinung (prophana et pestifera persuasio) dargestellt hät­ ten, denen sich der Herrscher keineswegs anschließen dürfe: Er beraube sich damit selbst seines Herrschaftsrechts und mache dem Papst den Weg frei, in seinen Absetzungsprozessen gegen ihn fortzu­ fahren. Lieber solle Ludwig die beiden Ankömmlinge (als Ketzer) strafen. Ludwig j edoch habe erklärt, so schließt der dramatisierende B ericht, es sei unmenschlich, Männer zu strafen oder gar zu töten, die sich in sein Feldlager geflüchtet hätten, und die seinetwegen ihr eigenes Vaterland, ihr Hab und Gut und ihre Einkünfte verlassen hätten. Er habe befohlen, sie dauerhaft als seine S chützlinge zu be4 3 Defensor pacis 1 . 1 . 6 (Scholz 8 , 2 _ 1 6). Diese gesamte geradezu hymnische Widmung steht nach Ausweis des Variantenapparats ohne wesentliche Dif­ ferenzen (auger in den Graphien) in der französischen Hss.- Gruppe. Auch in dem Ms. von Tortosa (,T' - vgl. unten bei Anm. 75) findet sich weder eine Streichung, noch ein Zusatz oder eine Marginalie. Eine ursprüngliche Ab­ sicht, den Text jemand anderem durch eine Widmung ans Herz zu legen und damit dem Autor Förderung zu verschaffen, hat - entgegen manchen Versu­ chen einer solchen Konstruktion - keinerlei Anhalt in der uns vorliegenden Überlieferung, muss also reine Spekulation bleiben.

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

handeln, und habe sie entsprechend ihrem Stand und seiner eigenen Großzügigkeit mit Geschenken und Ehren groß herausgestellt.44 Dieser "novellistische"45 B ericht ist so ausführlich wiedergegeben, weil hier ein Zeitgenosse die Konflikte und Probleme herausstellt, die der Entschluss zur Aufnahme der Flüchtlinge für Ludwig den B ayern bringen konnte. Das Hilfsersuchen verpflichtete den Herr­ scher in gewissem Umfang, j edenfalls nach seiner eigenen, offen­ sichtlich am römischen Recht ausgebildeten Auffassung. Anderer­ seits stand ein Häresieverdacht46 hinderlich im Weg, der Ludwigs Position gegenüber der Kurie schwer belasten konnte. Erkennbar von einer papstfreundlichen Haltung durchdrungen, hält der franzö­ sische Chronist missbilligend fest, die Hilfsbedürftigen seien am Ende in ein dauerhaftes (semper) S chutzverhältnis aufgenommen und durch "angemessene" Geschenke und E hren am deutschen Hof auch demonstrativ bestätigt worden. In der Tat ist die Rezeption der Flüchtlinge in die familia des Herrschers die Form, in der ein König damals S chutzsuchende auf Dauer an sich band. Bis an sein Lebens­ ende sollte Marsilius am Hof des deutschen Herrschers bleiben. Des­ sen Schutz blieb gewiss stets in gewissem Umfang prekär, da die Kurie immer wieder versuchte, des "Ketzers" habhaft zu werden. Ludwig hat j edoch allen diesen B emühungen und allen B efürchtun44 Eine anonyme Fortsetzung aus St. Denis zu Wilhelm von Nangis,

Chronica: Continuationis chronici Guillelmi de Nangiaco pars altera, ed. H . Geraud, Bd. li, Paris 1 843 [Repr. New York 1965] , 74 -76 . Vgl. auch die von diesem Bericht abhängigen Chroniques de St. Denis, in: Recueil des His­ toriens des Gaules et de la France, XX, Paris 1840, 72 1 D -722B; sowie die Continuatio Girardi de Fracheto, in Recueil XXI (Paris 1 855), 68A-D. Be­ zeichnend genug ist im Falle des Marsilius keine Rede von einem eigenen herrscherliehen feierlichen Schutzprivileg, wie es Ludwig als Kaiser wenig später (am 26. September 1 328) den Franziskanerrebellen um Michael von Cesena ausstellen sollte - es hat sich in einem italienischen Archiv als Trans­ sumpt erhalten: Romualdo Sassi, " La partecipazione di Fabriano alle guerre della Marca nel decennio 1 320 -1 33 0 ", in: A tti e memorie della R. deputa­ zione di storia patria per le Marche, IV 17 (193 0), 56 -129, hier 1 14 - 1 1 7, nr. xv. 45 Pincin, Marsilio (wie Anm. 1) 149 Anm. 3. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die Nachrichten ausschließlich der Phantasie des Berichter­ statters entspringen. Der Text stützt sich jedenfalls, wo er die Vorstellungen des " Defensor Pacis" kurz zusammenfasst, nicht ausschlief�lich auf die päpstliche Verurteilungsbulle "Licet iuxta doctrinam" ! Vgl. unten Anm. 54. 46 Damit ist diese Niederschrift der Notiz zeitlich gewiss erst nach der päpstlichen Verurteilung anzusetzen.

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gen zum Trotz all seinen S chutzbefohlenen niemals seinen Schirm entzogen. Damit war für einzelne B erater weder eine dauerhafte Stellung, noch ein kontinuierlicher Einfluss gesichert. Jeder einzelne Ratgeber bei Hofe hatte stets mit der Konkurrenz anderer B erater zu rechnen, ja zu kämpfen, mit den " geborenen" Räten aus dem Adel des Landes, mit anderen gelehrten B eratern, denen der Herrscher sein Ohr lieh,47 sowie mit weiteren Räten, die sporadisch herangezogen werden mochten. Jede Entscheidung des Herrschers musste, sofern sie über­ haupt diskutiert wurde, durchgesprochen, mit Argumenten gestützt und erkämpft, in der Durchsetzung verfolgt werden. Marsilius musste das Ohr des Herrschers zuerst einmal erreichen und sich dann im B eratungsprozess gegen real vorgestellte, nicht allein theo­ retisch erdachte Alternativen durchsetzen. Die künftige Tätigkeit des Marsilius spiegelt genau diese Situation. Allein seine künftigen allesamt ,kleineren' S chriften (Opera minora), sind entweder als ,konkurrierende' Memoranden zu Spezialfragen zu erkennen, zu denen bisweilen auch alternative Vorschläge anderer Ratgeber bekannt sind, oder als B ekräftigungen und Akzentuierun­ gen seiner im "Defensor pacis" eingenommenen Positionen.48 Insge­ samt blieb die schriftstellerische Aktivität des Marsilius am Hof Ludwigs des B ayern deutlich eingeschränkt. Er hat sich niemals mehr so umfänglich engagiert, wie er seine Reflexion bei der "Vertei­ digung des Friedens" hatte ausgreifen lassen. Hinsichtlich seiner praktischen Wirksamkeit sind Zeiten eines größeren "Einflusses" auf die Politik des Herrschers von Zeiten einer weniger sichtbaren Wir­ kung auf die Politik des Hofes durchaus zu unterscheiden. Niemals j edoch sollte Marsilius allein die Richtung der Politik Ludwigs des B ayern bestimmen, auch nicht auf dem Zenith seiner Wirkung wäh­ rend des Romzugs Ludwigs des B ayern. Die Aufnahme von Marsilius und Jandun bei Hof in Deutschland hat ohne Zweifel die Kurie zu besonderer Aktivität angestachelt. In 47 In diesem Falle also (nach 1 328) etwa mit den aus Avignon flüchtigen Franziskanerrebellen, unter ihnen Wilhelm von Ockham und Bonagratia von Bergamo, dazu etwa J. Miethke, Wilhelm von Ockham, Die Amtsvoll­ macht von Papst und Klerus (III. l Dialogus) lateinisch und deutsch, Frei­ burg i.B. 2 0 1 5 , 1 5 -23. 4 8 Allein der von Marsilius selbst gewählte Titel " Defensor minor" weist unzweideutig darauf hin!

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

Avignon wurden die neuen Höflinge des deutschen Herrschers nach ihrem Verschwinden aus Paris mit einem offiziellen Ketzerverfahren überzogen. Zuerst ist darüber etwas in einer auf den 3. April 1 327 datierten Vorladung Ludwigs des B ayern nach Avignon zu erfahren, nach deren Wortlaut sich der Herrscher wegen zahlreicher Vergehen persönlich vor dem Papst verantworten sollte, u. a. auch dafür, dass er Marsilius und J andun bei sich aufgenommen habe, die in Paris das Gift ihrer Ketzerlehren nicht hätten verbreiten können, da dort an der theologischen und kanonistischen Fakultät der Universität viele gut katholische Fachleute lebten, die die Ketzereien der beiden sofort durchschaut hätten. B eide hätten sich, so heißt es da, deswegen an den deutschen Hof gewandt, wohin sie "ein gewisses Buch mitbrach­ ten, das nach der Versicherung zahlreicher glaubwürdiger und ka­ tholischer Leute voll von verschiedenen Irrtümern und Ketzereien war." Die in diesem Buch entwickelten Thesen hätten sie auch, wie dem Papst durch fama publica (d. h. durch öffentlich verbreitetes ,Gerücht') bekannt geworden sei, in Ludwigs Gegenwart mehrmals, zuletzt noch auf einer Reichsversammlung in Trient (1 327) öffentlich vorgestellt, verteidigt und als rechtgläubige christliche Lehre verkün­ det. Ludwig habe beide Männer in seinen Hofstaat aufgenommen, ihnen solche öffentliche Auftritte gestattet und sich damit selbst als ,Begünstiger von Ketzerei ' erwiesen, ja als Anhänger ihres Irrglau­ bens und damit selbst als Ketzer.49 49 " Quia iuxta doctrinam" (3 . 4. 1 327), ed. J. Schwalm in: MGH Const. VI/1, 1 8 5 f. (nr. 274), hier § 3: [Ludovicus de Bavaria] duos viros nequam per­ ditionis filios et maledictionis alumpnos, quarum unus Marsilium de Padua et alter Iohannem de Ianduno se faciunt nominari, qui in Parisiensi studio annis pluribus a veritate suum avertentes auditum ad fabulas sua duxerant studia [. . .] convertenda quique dum in eodem studio cum in eo catholici principis auctoritas vigeat et studium ipsum orthodoxorum theologorum et canonistarum copia sit munitum, vesanie sue virus effu ndere non auderent, L predictum [. . .] gressus suos properaverunt dirigere si­ bique librum quendam quem composuerant erroribus profecto non vacuum, set plenum heresibus variis, sicut fidedignorum multorum catholicorum ha­ bet assertio, qui librum ipsum examinaverunt in multis articulis, presen­ tarunt affe rentes se paratos contenta in eodem defendere ac docere, quod et facere publice dicto L presente ausu temerario pluries presumpse­ runt, sicut habet fama publica et premissorum insinuatio hoc fore notorium in illis partibus manifestat, et licet nonnulli [. . .] eidem L exposu­ erint doctrinam illam hereticam ipsosque velut hereticos puniendos pericu­ losumque sibi fore dixerint, tales ad familiaritatem suam admittere aut in

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Etwa ein Jahr später wurde dieser Vorwurf erneut von einem ku­ rialen Memorandum mit einer sorgfältigen Liste aller rechtförmigen Verfahren des Papstes gegen den deutschen Herrscher bestätigt.50 Noch ein weiteres Jahrzehnt später war das an der Kurie nicht ver­ gessen. 51 Am deutschen Königshof, auf der Reichsversammlung in Trient und während des Romzugs in Italien war eine bis dahin im noch universitätsfremden Deutschland ungewöhnliche, j a unerhörte ,propagandistische' Veranstaltung inszeniert worden, die an der Kurie scharfe Mißbilligung fand. Marsilius und Jandun hatten öf­ fentliche Akte des Hofes zur Präsentation von (theoretischen) Argu­ menten über politische Streitpunkte veranstaltet, die deutlich öffent­ lichen Quaestionen der Universität (wie den feierlichen ,Quodlibets' der Artisten und Theologen) und ein wenig auch einem "öffentlichen Konsistorium" der päpstlichen Kurie nachempfunden sein mochten, um Positionen und Interessen Ludwigs des B ayern gegen die unauf­ hörlich durch Dekrete, Briefe und Urteile verbreiteten Auffassungen des Papstes und seiner Kurie zurückzuweisen. 52 E s wäre interessant terris sue dictioni subditis sustinere, ipse tarnen velut credens illorum hereseos ipsos in familiares suos retinuit Dazu bereits N. Valois, "Jean de Jandun et Marsile de Padoue, auteurs du ,Defensor pacis' ", in: Histoire Litteraire de la France, Bd. 33 (1 9 0 6) 528 - 623, hier 59 1 ; jetzt auch Godthardt, Marsilius und der Romzug (wie Anm. 34). 5 0 "Compendium maius octo processuum papalium ( . . . ) contra Lodovicum Bavarum fideliter compilatum" (d. i. ein anonymes Memorandum an der Kurie), ed. R. Scholz, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern, Bd. II, Rom 1 9 14, 169-187, hier 184. . . .

5 1 Als an der Wende zum Jahr 1 339 ein Kleriker von der Kurie nach Deutschland zu Verhandlungen geschickt wurde, gab man ihm eine lange Liste aller Schandtaten Ludwigs des Bayern zur diplomatischen Verwen­ dung in Deutschland mit. Unter 17 penibel aufgezählten Punkten steht an sechster Stelle, Ludwig habe Marsilius und Jandun mit ihrem Ketzerbuch bei Hofe " zugelassen und ihnen auch erlaubt, ihre Irrtümer öffentlich zu vertreten (!), ihnen Vorschub geleistet sowie sie aufgenommen und ausgehal­ ten", ed. E. E. Stengel, Nova A lamanniae, Bd. 2/1, Berlin 1930, 408 (nr. 597 § 6) [Item quod Marsilium et Iohannem de Ianduno hereticos damnatos affe­

rentes ei quendam libellum hereticalem ad suam familiaritatem admisit et ipsos errores publicari permisit et eis providit, recepit et sustinuit eosdem].

Die offensichtliche Formulierungsroutine schränkt jedenfalls für die Zeit des Italienzuges die Glaubwürdigkeit der Nachricht nicht ein. 5 2 Exemplarisch stellte Nachrichten über die teilweise dramatische Be­ kanntmachung der kurialen " Prozesse" gegen Luwig den Bayern zusammen

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zu erfahren, was da im E inzelnen gesagt und wie dort argumentiert wurde, auch wüsste man gerne, wie die j eweilig wahrscheinlich zu­ nächst verblüffte Öffentlichkeit diese durchaus ungewöhnliche Vor­ führung intellektueller B eweisführung wahrgenommen hat. D och außer den genannten, eher versteckten Nachrichten aus kurialem Hörensagen gibt es keine weiteren Quellen, die diesen Versuch einer neuartigen Kommunikation p olitischer Argumente näher beleuchten könnten. S ehr eindringlich kann die Wirkung dieser theatralischen Propa­ ganda auf Dauer nicht gewesen sein. Nach der Überzeugung Papst Johannes' XXII., eines früheren Professors des Kanonischen Rechts, war sehr bald ein (kirchlicher) Strafprozess gegen den durch fama publica "notorisch" gewordenen, d. h. allgemein als schlimmer Frev­ ler angesehenen und vom Papst auch abgesetzten deutschen Königs angesagt. Die damit wohl auch wirklich am päpstlichen Hof begon­ nene gerichtliche Untersuchung gegen die beiden Pariser Gelehrten wurde ebenfalls fortgesetzt und hatte nach einer angemessenen Frist bürokratischer Prozeduren53 auch das erwartete Ergebnis. Fast ge­ nau ein halbes Jahr nach der erneuten offiziellen Ladung Ludwigs nach Avignon (am 23. Oktober 1 327) datiert ist das UrteiP\ das der Papst in Avignon gegen Marsilius und Jandun feierlich erließ . Nach dem seit B onifaz VIII. üblich gewordenen Verfahren wurde dieses Verdikt durch Anschlag an die Tore der Kathedrale Avignons rechtsMartirr Kaufhold, " Ö ffentlichkeit im politischen Konflikt, Die Publikation der kurialen Prozesse gegen Ludwig den Bayern in Salzburg", in: Zeitschrift für historische Forschung 22 (1995) 435 -454. 5 3 Über die Entwicklung der Verfahren gegen gelehrte Häresie im Mit­ telalter zusammenfassend J. Miethke, " Mittelalterliche Theologenprozesse (9. bis 1 5 . Jahrhundert)", in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte, Kanonistische A bt. 100 (2014) 262-3 1 1 (wo allerdings das Verfahren gegen Marsilius nicht eingehend beachtet wird). Was gegen Marsilius und Jandun in Avignon im Einzelnen geschah, ist unbekannt. 54 Das definitive päpstlichen Urteil ("Licet iuxta doctrinam") hat bisher keine kritische Edition gefunden. Gedruckt z. B. in: Edmond Martene, Ur­ sin Durand (edd.), Thesaurus novus anecdotorum, Bd. 2, Paris 1 7 1 7, 706 716; oder in: Odorico Rinaldi: A nnales ecclesiastici, ed. A. Theiner, Bar-le­ Duc 1 8 72, Bd. XXIV, 322 b -329a (nrr. 28 -35); oder (wie hier benutzt) in: Collectio judiciorum de novis erroribus, ed. Charles Duplessis d 'Agentre, Bd. l/2, [Paris 1 728] Neudruck Brüssel 1963, 3 04a-31 1 b : . . . sicut fidedigno­

rum multorum catholicorum habet assertio, qui librum ipsum examina­ verunt in multis articulis.

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gültig publiziert und damit fiktiv aller Welt bekannt gegeben. Einer Zustellung an die Beschuldigten bedurfte es zu seiner Rechtswir­ kung nicht mehr. Das sonst sehr ausführliche Dekret teilt leider nur sehr summarisch mit, wie diese Entscheidung im Einzelnen vorbereitet worden war. Der B ericht erweist sich eher an juristischer Präzision zur Begrün­ dung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens interessiert als an einer ge­ naueren Rekapitulation der einzelnen Schritte in dem Prozess. Es wird jedoch deutlich, dass die Kurie in Avignon schon "vor längerer Zeit" (dudum) durch mündliche und schriftliche Berichte glaubwürdiger und hochgestellter Personen sowie zusätzlich durch Gerücht (fama) von dem Buch voller Irrtümer, falscher Behauptungen und schlimmer Ketzereien gehört hatte. Kirchliche Prälaten und rechtgläubige Katho­ liken aus Bayern (wie ausdrücklich angemerkt ist) hätten die beiden Magister aufgefordert, von ihren Irrtümern und Ketzereien abzulas­ sen und sie nicht weiter öffentlich zu verkünden. Da das jedoch keinen Erfolg gezeitigt habe, hätten diese Fachleute an den Papst eine Liste mit Exzerpten aus dem Buch der beiden eingesandt und ihn inständig gebeten, "für die Heilige Kirche Gottes in diesem Fall Sorge zu tra­ gen", gemeint ist offensichtlich: ein Zensurverfahren zu führen. B emerkenswert an diesem Bericht ist die chronologische Unklar­ heit. Es wird zwar ziemlich deutlich von der (prozesstechnisch wichti­ gen) Denunziation aus München berichtet, nicht so deutlich wird jedoch gesagt, ob die ersten (dudum) Informationen an die Kurie mit dieser Irrtumsliste identisch waren oder ob schon aus Paris die ersten alarmierenden Nachrichten nach Avignon gedrungen waren.55 Der Papst jedenfalls erklärt in seinem Urteilsdekret, zu einem unbestimmt 55 Damals auf keinen Fall involviert war jedoch der spätere Papst Cle­ mens VI. (1 342-1 352), der am 1 0 . April 1 343 (im ersten Jahr seines Ponti­ fikats) in einer Ansprache vermerkt hat, er selber habe niemals ein Buch ge­ lesen, das eine höhere Zahl von Ketzereien enthalten habe. Auf Anordnung seines Vorgängers Papst Benedikts XII. (1334 -1342) habe er (also noch als Kardinal) mehr als 240 ketzerische Sätze aus ihm herausgefiltert: Et aude­

mus dicere quod vix nunquam legimus peiorem hereticum illo Marsilio, unde de mandato Benedicti predecessoris nostri de quodam eius libello plus quam ducentos et quadraginta articulos hereticales extraximus. (ed. H. S. Offler, " A Political 'Collatio ' of Pope Clement VI, 0. S . B .", in: Revue Benedictine LXV (1955) [abgedruckt in Offler, Church and Crown, Aldershot 2 0 0 0 ,

nr. xi] 126 -144 (Text 1 3 0 -144), hier 1 3 6 , 1 77_ 1 8 0 . Das damalige Gutachten des Kardinals ist verloren.

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

gelassenen Zeitpunkt habe er gegen die beiden Magister, die Ludwig dem Bayern in seinen schlimmen Taten Folge geleistet und ihn darin bestärkt hätten, ein Verfahren eröffnet. Auf die aus München einge­ reichte Irrtumsliste hin habe er nach Beratung im Konsistorium mit den Kardinälen und mit Erzbischöfen, Bischöfen und kirchlichen Prä­ laten sowie auch mit Theologieprofessoren und Rechtsgelehrten sein Urteil über diese in seinen Augen offenkundigen und sonnenklaren Ketzereien gesprochen. Um auch weniger gelehrten (minus peritis) Gläubigen Gele genheit zu geben, diese Irrtümer als Ketzereien zu identifizieren und zu meiden, wird eine Liste von fünf "Häresien" mit einigen summarischen Gegenbeweisen in das Dekret eingerückt. Unklar bleibt, ob sich der Papst im Konsistorium einmal oder mehrmals beraten hat, auch in welcher Weise die Stellungnahme der Prälaten und Experten eingeholt worden war, ob in einem öffent­ lichen Konsistorium, durch eine eigene Kommission oder im S chriftumlauf. Der weitere Prozess wird wieder gerrauer vorgestellt. Der Papst habe beide Beschuldigten vor sein Gericht geladen,56 sie seien j edoch nicht erschienen. Wegen dieser Gerichtsverweigerung (contumacia) verdammt der Papst, in Nachfolge der "Heiligen Väter, seiner Vorgänger", die Arius und Mani, Nestorius und Dioscorus mit ihren Spießgesellen verurteilt hätten, j etzt Marsilius und Johan­ nes Jandun als "Ketzer, j a als manifeste und allgemein bekannte Oberketzer" (haereticos, immo haeresiarchas manifestos et notorios). Er verbietet noch einmal die wiederholten fünf Irrtümer, das Buch selbst und jede andere S chrift, die die genannten Irrtümer enthalten sollte. Wer immer sich erfrechen sollte, diese Lehren zu verteidigen oder auch nur zu billigen, sei als Ketzer erwiesen, gleichgültig, wel­ cher Würde, Weihegrades, Standes , Berufs oder Rechtsposition er auch sei. Allen Christgläubigen wird verboten, die beiden oder einen von ihnen aufzunehmen, sie zu verteidigen, zu fördern oder ihnen öffentlich oder privat, unmittelbar oder mittelbar beizupflichten, vielmehr seien sie zu meiden, mit vollem Glaubenseifer zu verfolgen und gefangen zu nehmen, wo immer man sie antreffen sollte: sie soll­ ten dann "der Kirche" zur gebührenden Strafe überstellt werden. 57 5 6 Dekret Quia iuxta doctrinam (vom 3 . 4. 1 327), wie Anm. 54. Dioscorus wird in D.21 c.9 genannt als vom Konzil von Chalcedon (451) deswegen ver­ urteilt, weil er den Papst als Ketzer verurteilt habe. 57 Es ist diese in solchen Fällen geradezu routinemäßige Aufforderung, die es bewirkte, dass Marsilius und Jandun den herrscherliehen Schutz drin-

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Der kuriale Ketzerprozess war damit abgeschlossen. Offenbar hatte aber bereits, während er andauerte, an der Kurie (und darüber hinaus) eine Diskussion außerhalb der Prozesskommission stattge­ funden, denn wir besitzen noch eine ganze Reihe von kleineren Streitschriften und Teiltraktaten aus dem Umkreis der Kurie, die sich mehr oder minder ausführlich gegen "Irrtümer" des "Defensor pa­ cis" wenden. Naturgemäß sind sie selten genauer zu datieren, sodass sich in aller Regel nicht zweifelsfrei klären lässt, ob sie vor der Pub ­ likation der päpstlichen Verurteilung oder nach ihr, in Kenntnis des ergangenen Endurteils niedergeschrieben wurden. D och darf die ganze hier greifbare Diskussion nicht missverstanden werden. E s handelt sich nicht um eine spontane Erörterung über bestimmte Lehren des "Defensor pacis", die uns gewissermaßen ein unmittel­ bares E cho auf das Buch des Marsilius zu erkennen gibt. 58 Die Ver­ fasser wollten allesamt nicht eine kritische Öffentlichkeit auf die Thesen des Marsilius aufmerksam machen, vielmehr schrieben sie ihre Traktate im Umkreis der päpstlichen Kurie, benutzten dazu auch die das päpstliche Verfahren grundierende Irrtumsliste, wie sie in Avignon anscheinend schon vor dem Tag des Urteils umlief. Das Buch des Marsilius selbst hatten sie offenbar gar nicht in der Hand gehabt oder gar gelesen, j edenfalls ist in keinem einzigen dieser Texte ein direkter B ezug auf den Wortlaut des "Defensor pacis" zu erken­ nen. Allein die (sechs) Irrtümer, die in der päpstlichen Bulle nicht wörtlich, nur sinngemäß aus der zweiten Diccio des Buches genom­ men sind, bilden das Ziel einer eifrigen Kritik, die sich auf eine breite kurialistische Tradition stützt, ohne auf die argumentativen Vor­ gaben des Marsilius näher einzugehen. Die plausibelste Erklärung dafür bleibt, dass die Verfasser die Aufmerksamkeit der Kurie auf gend benötigten, den sie beide bis an ihr Lebensende auch erhalten haben, doch ohne ein eigenes Schutzprivileg: Die Franziskanerrebellen um Michael von Cesena und Ockham zeigen das gleiche Schutzbedürfnis; als Häretiker verurteilte Papstgegner erhielten sie noch auf ihrer Flucht von Ludwig eine feierliche Pergamenturkunde: ed. nach einem Vidimus im Kirchenarchiv von Fabriano durch Romualdo Sassi, " La partecipazione di Fabriano alle guerre della Marca nel decennio 1 32 0 -1 33 0 , con documenti inediti", in: Atti e memorie della R. deputazione di storia patria per le Marche, IV 17 (1930) 56 -129 (Text 1 14 -1 1 7). 5 8 G. Garnett, Marsilius of Padua and 'The Truth of History', Oxford 2 0 0 6 , 14 -20 sucht - zu Unrecht, wie ich meine - in diesen Traktaten unmit­ telbar die zeitgenössische Rezeption des " Defensor Pacis" zu erfassen.

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

sich lenken und sich durch ihre Texte als versierte Gelehrte erweisen wollten, die auf einen päpstlichen Wink hin geeignete Argumente präsentieren konnten, Überlegungen, welche klar die Abscheulich­ keit der Auffassungen des Marsilius aufzeigen sollten. All diese S chriften, sofern sie nicht späte Wiederaufnahmen eines früher von ihrem Autor schon einmal traktierten Problems sind, die dann die Kurie an diesen erinnern sollen 59, bezeugen vor allem das Meinungs­ klima an der Kurie Johannes' XXII., nicht eine präzise Reaktion auf die Thesen des Buches. Die älteren dieser Texte wenden sich gegen sechs (also nicht gegen die fünf dann im offiziellen D okument vom Papst verurteilten) Punkte. D och sind die Nummern 5 und 6 der älteren Sechserliste im Verurteilungsdekret zu einem einzigen Punkt zusammengezogen. 60 Daraus lässt sich schließen, dass an der Kurie schon vor dem päpstlichen Urteil eine Liste von sechs Irrtümern ver­ fügbar war, die j eweils von den Autoren aufgegriffen wurde, um ge­ wissermaßen in einer Talentprobe die Aufmerksamkeit der Kurie und vielleicht auch des Papstes auf die Verfasser zu lenken und j eden­ falls deren ,Gesinnungstüchtigkeit' zu bezeugen. 6 1 Noch nach dem Urteil wird seine Irrtumsliste eine Zeit lang Pole59 Solche Schriften, die nur ein spätes Echo des kurialen Prozesses bilden, fehlen nicht vollständig: vgl. Hermann von Schildesche (plausibel auf 1330 datiert) oder die Behandlung von vier der fünf vom Papst verurteilten Irrtü­ mer durch Alvarus Pelagius, Collyrium adversus haereses, vgl. unten Anm. 63 . 6 0 " 5 . Irrtum" der päpstlichen Liste (D'Argentre, Collectio errorum, I/2, 309 b): Quinta adhuc isti blasphemi dicunt quod in tota ecclesia simul iuncta

nullum hominem punire potest punitione coactiva, nisi concedat hoc impera­ tor, quod ubique doctrine evangelice noscitur obviare. 6 1 Eine Liste der Texte findet sich bei J. Miethke, ,De potestate papae', Tübingen 2 0 0 0 (bzw. unter dem Titel Politiktheorie im Mittelalter, Tübin­

gen 2 0 0 8), 233 f. (mit Anm. 716 -722) . Im Einzelnen dazu vor allem D. del Prete, " La confutazione del Defensor pacis di Marsilio da Padova, di Siberto da Beek, Guglielmo Amidani e Pietro di Lutra a Giovanni XXII", in: Uni­ versita di Lecce, Annali di Dipartimento di scienze storiche e sociali 1 (1982) 5 -7 1 ; T. Turley, "The Impact of Marsilius: Papalist Responses to the 'Defen­ sor pacis"', in: G. Moreno-Riaiio (ed.), The World of Marsilius of Padua, Turnhont 2 0 0 6 , 47- 64; St. Simonetta, " Realra e propaganda: La condanna di Marsilio del 1 327", in: Pensiero politico medievale 5 (2007) 1 19 - 1 3 0 . Das Fragment der Stellungnahme des Guido Terreni liegt jetzt gedruckt vor: Guiu Terrena: Confutatio errorum quorundam magistrorum, Latin text with Catalan and English translations, edd. A. Fidora, A. Blasco, C. L6pez Alcalde, Santa Coloma de Queralt (Barcelona) 2014.

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miken gegen Marsilius und Jandun beflügeln, da sie Gelegenheit bot, an der Kurie eine günstige Stimmung für ihren j eweiligen Autor zu erwirken. Das gilt auch für den deutschen (damaligen) Würzburger Kleriker Hermann von S childesche,62 der gegen 1 33 0 eine S chrift ge­ gen die Irrtumsliste zusammenstellte, und ebenso für den Portugie­ sen Alvarus Pelagius, der wohl noch später an der Kurie selbst einen umfänglichen Traktat aufsetzte, in dem er wenigstens einen Teil der Sechserliste abarbeitete.63 Ein uns unbekannt bleibender Anonymus hat gewissermaßen versuchsweise nach der Wahl des kaiserlichen (Gegen-) Papstes (d . h. nach 1 328) in lateinischen Versen ein kurzes Pamphlet gegen Marsilius und Jandun vorgelegt, das sich allerdings abseits der päpstlichen Irrtumsliste bewegt,64 doch deutlich den Wunsch verkündet, an der Kurie Förderung zu finden. Auch hier ist also am päpstlichen Hof eine Diskussion von gewissermaßen "öf­ fentlichem" Charakter anzutreffen, die unter den Augen des Papstes j edoch sehr viel näher an der S chriftlichkeit angesiedelt blieb als die zeremoniellen Verhandlungen am deutschen Herrscherhof, die zuvor zu beobachten waren. Im Umkreis der päpstlichen Kurie kam es of­ fenbar vor allem darauf an, schriftlich präsent zu sein, wenn man den entscheidenden Personen auffallen wollte. 65 6 2 Ed. A. Zumkeller, "Hermanni de Seildis , Tractatus contra negantes im­ munitatem et iurisdictionem sanctae ecclesiae'", Würzburg 1970, 3 -1 0 8 .

6 3 Alvarus war damals damit beschäftigt, i n der Pönitentiarie portugiesi­ schen Bittstellern im päpstlichen Auftrag die Absolution zu erteilen. Sein Text ist gedruckt: M . Pinto de Meneses (ed.), Alvarus Pelagius: Collyrium fidei adversus haereses, Colirio de Je contra as heresias, Estabelecemento do texto e tradw;ao do, B d . 1-2, Lissabon 1954-1956. Alvarus behandelt nur 3 der sonst bis zu 6 " Irrtümer" umfassenden kurialen Liste. Zuletzt dazu J. Meirinhos, " Alvarus Pelagius and Guiu Terrena agairrst Marsilius of Padua on the Temporalia ecclesiae", in: Guido Terreni, 0. Carm. (f 1342), Sudies and Texts, hrsg. A. Fidora, Barcelona-Madrid 2 0 1 5 , 1 53 -1 8 6 . 6 4 Ed. 0 . Cartellieri, " De Bavari apostasia, E i n zeitgenössisches Gedicht über Kaiser Ludwig den Bayern", in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 25 (1 899/ 1 9 0 0) 7 1 0 -71 5 . Wenn dort (in Strophe 7, 2 , S. 712) behauptet wird, der Verfasser habe bei beiden, Marsilius und Jandun, in Paris studiert, so ist das sicherlich nicht zum Nennwert zu nehmen. Das Gedicht ist wohl in die Zeit von 1 328 bis 1 33 0 zu datieren, da der Tod Janduns (t 1 329) anscheinend noch nicht bekannt ist. 65 Vgl. auch die Umstände der Entstehung der " Summa de ecclesiastica potestate" des Augustinus ( "Triumphus") von Ancona, wie sie von J. Miethke, ,De potestate papae ' (wie Anm. 61), 1 70 -1 75 beschrieben sind.

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

An seinen Lebensumständen änderte sich für Marsilius in Zukunft durch die definitive päpstliche Verurteilung nichts mehr. Er blieb in der Begleitung des Herrscherhofes auf dem abenteuerlichen Zug nach Italien und Rom,66 wo sich der Wirtelsbacher eine Kaiserkrone beson­ derer Prägung erwarb, nicht ohne dabei auf die beratende und auch administrativ unterstützende Hilfe des Marsilius und Janduns zählen zu können. Wenn beide auch keineswegs einen "Masterplan" für das Gesamtunternehmen hatten liefern können, haben sie sich doch nach Kräften an den Überlegungen des Hofes beteiligt. Sie sind auch vom Herrscher selbst mit eigenen amtlichen Aufträgen eingesetzt worden. Johannes Jandun wurde schließlich ungewöhnlich genug durch ein kaiserliches Privile g (vom 1. Mai 1 328) zum Bischof von Ferrara erho­ benY Marsilius war schon zuvor (1 327) in Ludwigs Auftrag zuerst in Mailand zum "Richter über den dortigen Klerus" eingesetzt worden: Als iudex clericorum et amministrator archiepiscopatus Mediolani in temporalibus pro regia maiestate hat er dort amtiert, was ihn sogar noch, als Ludwig mit seinem Heer nach Rom weitergezogen war, in der Metropole der Lombardei festhielt. 68 Bald hat er sich jedoch wie­ der in Rom eingefunden, wo er nach Angaben eines päpstlichen Schreibens (vom 1 5 . April 1 328) nicht allein zusammen mit Johannes Jandun in Predigten seine vom Papst bereits verurteilten Ketzereien (aus dem "Defensor pacis") öffentlich verbreitete, sondern sich auch nicht scheute, im Auftrag Ludwigs wiederum gerichtlich "unter dem Vorwand einer kaiserlichen Vollmacht" (pretextu vicariatus, quem ibidem sibi per dieturn L[udovicum} commissum asserit) gegen jene Kleriker und ihre Verwandten und Freunde vorzugehen, die das wegen der Anwesenheit Ludwigs in der Stadt päpstlich verhängte Interdikt beachten wollten.69 66 Eine eindrücklich gerraue Zusammenstellung des herrscherliehen Iti­ nerars lieferte Martin Berg, " Der Italienzug Ludwigs des Bayern, Das Itine­ rar der Jahre 1 327-1 33 0 ", in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 67 (1 987) 142-197 [=Teildruck einer phil. Diss. München 1983] . 6 7 E d . J . Schwalm in: MGH Const VI/1 (1914 -1927), 366 -368 (nr. 444), dazu etwa Schmugge, ]ohannes von fandun (wie Anm. 7). 68 A. Cadili, " Marsilio da Padova ammistratore della Chiesa Ambro­ siana", in: Pensiero Politico Medievale 3 /4 (2005/2006) 193 -225; dazu auch G. Briguglia, Marsilio da Padova (Pensatori, 31), Rom 2 0 1 3 , 34 Anm. 3 0 . 6 9 Ed. J. Schwalm i n : Monumenta Germaniae Historica, Const. VI/ 1 , 363,9 - 22 (nr. 439): Marcilius de Padua e t Iohannes de Ianduno [. . . ] a d Urbem

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Offenbar hat Marsilius in kaiserlichem Auftrag in Rom während der Anwesenheit der deutschen Truppen mit physischem Zwang und gerichtlich durchgesetzter Sippenhaft dafür gesorgt, dass das vom Papst im fernen Avignon verhängte Interdikt über die Stadt Rom beim dortigen Klerus keine allzu bereitwillige B e achtung fand und dass die Priester in der Stadt dem Interdikt zum Trotz für die B evöl­ kerung Messen lasen und die Sakramente verwalteten, sodass die päpstliche Maßnahme einer spirituellen ,Austrocknung' der Heiligen Stadt weitgehend ins Leere lieF0 Marsilius wollte und musste im Auftrag des Kaisers gerichtlich und administrativ das päpstliche In­ terdikt unterlaufen und bekämpfte es mit Mitteln, die keinem Leser der Diccio I! seines Buches absonderlich vorkommen können.71 Über die Rolle der beiden bei den Überlegungen des Hofes, wie der Rom­ zug des Herrschers schließlich doch noch zu einem Erfolg werden könne, wissen wir unmittelbar nichts. ipsam se personaliter conferentes hereses publice predicare presumunt dic­ tusque Marcilius pretextu vicariatus quem ibidem sibi per dictum L[udo­ vicum} commissum asserit, tam contra clericos, quia nolunt interdictum, cui propter dicti L[udovici} presentiam subiacere processuum nostrorum aucto­ ritate Urbs predicta noscitur, violare, quam eorum cognatos et affi n es in no­ stram offe nsam procedere inmaniter non veretur. [. . . beide hätten sich nach Rom begeben und dort nicht allein ihre " Ketzereien" öffentlich gepredigt, Marsilius scheue sich nicht, "unter dem Vorwand eines Vikariats, das, wie

er behauptet, ihm dort von Ludwig anvertraut worden ist, gegen Kleriker, wenn sie das Interdikt, welchem die Stadt (Rom) wegen der Anwesenheit Ludwigs dortselbst kraft unseres rechtlichen Vorgehens bekanntlich unter­ liegt, nicht verletzen wollen, sowie gegen deren Verwandte und Freunde uns zum Tort in wildem Grimm vorzugehen"].

70 Das Interdikt über Deutschland a l s Waffe in d e r politischen Auseinan­ dersetzung zwischen avignonesischen Päpsten und Ludwig dem Bayern hat luzide untersucht M. Kaufhold, , Gladius spiritualis', Das päpstliche Inter­ dikt über Deutschland in der Regierungszeit Ludwigs des Bayern (Heidel­ berger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, NF 6), Hei­ delberg 1994. 7 1 Dazu oben Anm. 68. Die breite Erörterung durch F. Godthardt, "The Philosopher as a Political Actor - Marsilius of Padua at the Court of Ludwig the Bavarian: The Sources Revisited ", in: G. Moreno-Riaiio (ed.), The World of Marsilius of Padua, Turnhaut 2 0 0 6 , 29-46, bes. 39 -43, der davon aus­ geht, dass Marsilius als kaiserlicher vicarius in spiritualibus gewirkt habe, ist insofern spekulativ, als dieser spezielle Amtstitel nicht bezeugt ist (vgl. Anm. 69) und auch der eigenen Terminologie des Marsilius widerspricht.

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

In München, nach der Rückkehr vom italienischen Abenteuer hat Marsilius keine ,amtlichen' Aufträge des kaiserlichen Hofes mehr er­ halten. Sein Freund Jandun war schon im Jahre 1 329 (in Montalto ?) gestorben, als er, wie auch Marsilius, zusammen mit dem deutschen Interventionsheer Mittelitalien in Richtung auf Deutschland verlas­ sen wollte. Marsilius lebte danach am Hofe Ludwigs des B ayern, wo die Rückkehrer Anfang des Jahres 1330 angelangt sein müssen. Gele­ gentlich versuchte er noch einen p olitischen Ratschlag zu placieren, insbesondere in der Heiratsaffäre der Gräfin von Tirol Margarete "Maultasch", die ihren angetrauten Gemahl aus dem Hause der Lu­ xemburger verlassen wollte, um einen S ohn Ludwigs des B ayern zu heiraten.72 D och kann von einem Erfolg insofern nicht die Rede sein, als die dann vom Kaiser getroffene Maßnahme zwar die auch von Marsilius vorgeschlagene Richtung nahm, nicht j edoch seine Rat­ schläge exakt befolgte, vor allem die von Marsilius vorbereiteten ur­ kundlichen Verfügungen nicht benutzte.73 Diese Erfahrung dürfte die am Ende seines Lebens typische Situation des Marsilius im kai­ serlichen Rat in München kennzeichnen. Offenbar ist er allmählich aus dem Blickfeld seiner Zeitgenossen verschwunden. Marsilius kann nicht vor dem Höhepunkt der Maultaschkrise gestorben sein, über die im Jahr 1 3 41 entschieden werden musste. Sein Tod ist zeitnah j e ­ doch ausschließlich von Papst Clemens VI. in Avignon wahrgenom­ men worden, der am 1 0 . April 1 3 43 in einer Ansprache anlässlich der 72 Das Gutachten des Marsilius ist von Marsilius dann später offenbar in seinen ,Defensor Minor' aufgenommen worden und mit diesem zusammen (in: Marsile de Padoue, CEuvres mineures) auch zuletzt herausgegeben wor­ den. Dazu vgl. etwa J. Miethke, " Die Eheaffäre der Margarete ,Maultasch', Gräfin von Tirol (1 341 /42), in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie, Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hrsg. A. Meyer, C. Rendtel, M . Witt­ mer-Butsch, Tübingen 20 04, 353-39 1 . 7 3 Die von ihm aufgesetzte kaiserliche Urkunde zur Scheidungserklä­ rung der Ehe der Margarete Maultasch (gedruckt bei C. Pincin, Marsilio, wie Anm. 1 , 262-264) ist jedenfalls niemals ausgefertigt und in Kraft gesetzt worden, vgl. die vorsichtige Formulierung in: Urkundenregesten zur Tätig­ keit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, hrsg. B . Diestelkamp, Bd. V: Die Zeit Ludwigs des Bayern und Friedrichs des Schönen, 1 314-1 347, bearb. von F. Battenberg, Köln-Wien 1987, 262-264 (nr. 437), wo das Regest aufgrund einer " Kopie einer Kopie" (des 1 8 . Jh.) im Münchener Archiv for­ muliert ist, der Bearbeiter jedoch von der Abkunft des Textes von Marsilius (nach Goldasts Druck) weiß und eine Ausfertigung " bezweifelt", womit er zweifellos Recht hat.

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Erneuerung der ,Prozesse' seiner Vorgänger gegen Ludwig den B ay­ ern (die er also offenbar für nötig hielt) von Marsilius als einem Ver­ storbenen spricht.74

Der Text des , Defensor pacis' und seine Überlieferung

Der Tod des Autors hat seinen "Defensor pacis" in Europa gewiss nicht zum Verschwinden gebracht. Die meisten der heute noch exis­ tierenden Handschriften sind in den beiden modernen kritischen Aus gaben (durch C. W. Previte- Orton 1 92 8 , und - um fünf Manu­ skripte vermehrt - durch R. Scholz 1932 / 1 933) benannt und j eweils auch knapp beschrieben worden. Vier weitere Mss. und 2 Fragmente sind seither neu bekannt gemacht worden. Mit insgesamt 3 6 Hand­ schriften (darunter vier Exzerpten) und zusätzlich der heute verlore ­ nen handschriftlichen Vorlage der Editio princeps (Basel 1 522) ist die Überlieferung für einen Text eines derart großen Umfangs recht an­ sehnlich. Allein dieser seiner durch reale Überreste nachweislichen mittelalterlichen Verbreitung nach gehört der "Defensor pacis" zu den , gut bezeugten' Traktaten p olitischer Theorie aus dem späteren Mittelalter, auch wenn nur wenige Handschriften erhalten sind, die zeitnah zur Entstehung des Textes niedergeschrieben wurden. Eine Erweiterung der Reihe durch die AufEindung bisher noch nicht entdeckter Manuskripte ist prinzipiell denkbar, wird aber nach aller möglichen Voraussicht die bisherigen Erkenntnisse, die aus der reichen Überlieferung zu ziehen sind, nicht radikal umstürzen, so interes­ sant die dann zusätzlich möglichen Facetten in einem neuen Gesamt­ bild auch sein mögen. Nach der Analyse der beiden Herausgeber lassen sich grob zwei Klassen von handschriftlichen Versionen des Testes unterscheiden, die sich in ihrer Verschiedenheit aus dem Lebenslauf des Autors er­ klären: Die Handschriften der größeren ,französischen' Gruppe ge­ hen auf die Fassung des Buches zurück, die Marsilius in Paris im Juni 74 Clemens VI., Collatio facta per dominum Clementem papam VI in die

Jovis sancta in publicacione processuum contra Bavarum pontificatus sui anno prima, ed. H. S. Offler, " A Political 'Collatio' " (wie Anm. 55), hier 1 3 6 , 1 7 5 _ 1 77 : Ipse [sei!. Ludovicus Bavarus] enim Marsilium de Padua et ]ohan­ nem de Janduno heresiarchas et de heresi condemnatos sustinuit et secum tenuit usque ad mortem eorum . . .

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

1 324 abgeschlossen hat.75 Die ,deutsche' Gruppe von Manuskripten leitet sich von dem vom Autor bei seinem Weggang aus Paris nach Deutschland mitgebrachten Exemplar her. 76 Diese beiden Großgrup ­ p e n unterscheiden sich durch charakteristische, wenngleich insge­ samt gesehen nicht allzu zahlreiche Formulierungsunterschiede, vor allem durch Hinzufügung bzw. Fortlassen weniger Worte und in der Ausführlichkeit von angeführten Zitaten. Diese Unterschiede sind offenbar dadurch zu erklären, dass der Autor an seinem Werk auch nach dem ersten formellen Abschluss korrigierend und präzisierend weiter gearbeitet hat. Die "jüngeren" Textstufen (heute z . T. in mate­ riell " älteren" Handschriften vorliegend) sind j edoch keinesfalls eine eigene durchgreifend neue Redaktionsstufe, sondern bilden sozusa­ gen E ntwicklungsphasen ein und desselben Textes ab. E s ist nicht verwunderlich, dass die ,Textqualität' der einzelnen Handschriften mit einem größeren Abstand vom Archetyp in aller Regel schwächer wird, sodass die ganze Serie von Handschriften, deren Entstehung mit den Reformkonzilien des l S . Jahrhunderts verbunden sind, zu einer kritischen philologischen Rekonstruktion des Archetypus 75 Diese " französische" Gruppe, ,A' (die heute ihre Bibliotheksheimat nicht mehr ausschliemich in Frankreich hat), besteht aus (den von Scholz so benannten) heute in Paris liegenden Handschriften A, B , C, D, E und F, zusätzlich sind zu nennen G (Auxerre), K (Wien), L (Vatikan), M (Florenz), 0 (London), Q (Oxford), R (Cambridge), U (Brügge), W (Ulm), Y (London), N (Turin, eine Handschrift, die auger dem vollen Text auch zusätzliche Exzerpte aus Diccio I . l - 8 enthält), sowie die Scholz noch unbekannt geblie­ benen Mss. Vatican, Ottob.lat. 2078; Reims, 885; Brügge 226 [insgesamt 20 Hss.] . 76 Sie besteht aus den (wiederum von Scholz s o benannten) Mss. H , I, J (alle drei heute in Wien liegend); P (Oxford); S (Bremen, nur Exzerpte); V (Freiburg i. Ü.); X (Ulm); Z (Weimar); zn (Nürnberg); hinzu kommt Ms. Florenz, Bibl. Naz., Conv. soppr. E . 3 . 379 [XV. s . in] (auf dieses Ms. aufmerk­ sam gemacht hat M. Bihl in: Archiv um Franciscanum Historicum 27, 1934, 284 f.). Angerdem als Textzeugen der deutschen Gruppe zu nennen ist die (verlorene) handschriftliche Vorlage der Editio princeps von 1 522 (und zu­ sätzlich noch eine Hs. des 1 7. Jhs., die aus diesem frühen Druck abgeschrie­ ben wurde) sowie noch zwei einer einzigen Tradition entstammende kurze Fragmente: Ms. Kassel, Murhardsche u. Landesbibliothek, theol. fol. 168 [entst. ca. 1 3 3 0 / 1 350] und Luzern, Zentralbibl., 1 8 [XV. s . in] fol. 14v-1 5v (nachgewiesen bei E. E. Stengel u. a. (Hrsg.), Nova Alamanniae, Bd. 2/11, Hannover 1976, S . LIII-LVIII (Kassel) und S . LXXI-LXXIV (Luzern), vgl. auch oben Anm. 28).

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nicht immer E rhebliches beitragen können, so deutlich sie auch das auf den großen Konzilien neu erwachsende Interesse an Marsilius spiegeln.77 Die Textgeschichte des "Defensor pacis" lässt sich in außergewöhn­ licher Klarheit an dem schon von Previte-Orton und Scholz in seiner zentralen Stellung in der Überlieferungsgeschichte des Textes identi­ fizierten Ms. ,T'78 verdeutlichen. Schon die beiden Herausgeber des Textes haben vor nahezu einem Jahrhundert mit unterschiedlichen Akzentuierungen festgehalten, dass diese Handschrift durchgängig als älteste Textschicht einen (alten) Text der Version ,A' enthält, also der "französischen" Gruppe angehört, aber durch zahlreiche Korrek­ turen, Streichungen und Zusätze (auch Hinzufügungen einiger Worte und Sätze am Rand des alten Satzspiegels) sowie durch Streichungen von Satzteilen und Worten fast bis zum Ende des gesamten Traktats Veränderungen unterworfen wurde, die dann zum allergrößten Teil von den Handschriften der ,deutschen' Gruppe ,B' "übernommen" worden sind. Das Ms. bildet also eine materielle Brücke zwischen bei­ den Versionen. Charles Previte -Orton stellt das Ms. darum an das Ende einer Gruppe der ,französischen' Klasse und an die Spitze der "deutschen" Gruppe79, während Richard S cholz es als Sonderfall der "französi­ schen" Gruppe behandelt. Weil S cholz gewissermaßen eine "Aus­ gabe letzter Hand" des Marsilius-Textes herstellen wollte, hat er in seiner Edition (die den lateinischen Text in der vorliegenden Ausgabe bildet) alle Korrekturen und Veränderungen von T durch einen Aste­ riscus [ein Sternchen: ':·] am Anfang und Ende des j eweiligen Ein­ schubs kenntlich gemacht80, sodass (trotz des Wegfalls des Varian­ tenapparats) in der hier präsentierten lateinischen Textfassung überall 77 Dazu allgemein etwa J. Miethke, " Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham und der Konziliarismus", in: Rechts- und Verfassungsgeschichte im deutsch-italienischen Diskurs, hrsg. S. Lepsius, R. Schulze, B. Kannowski, Berlin 2014, 1 69 -192. 78 Ms. Tortosa, Arxiu capitular de la Catedral, 141; Beschreibungen bei Previte- O rton, S . XXXI sq., XXXV-XXXVII (mit Abbildung von fol. 48') sowie bei Scholz S. XXVI-XXXII; vgl. unten Anm. 8 1 . 7 9 Previte- Orton: " . . . remarkable for a number o f mainly contemporary corrections, ( . . . ) which both perfect the text as a 'French ' Ms. and result in converting the Ms. from a 'French ' to a 'German' form.". 8 0 Einmal stuft Scholz die Änderungen in ,T' noch einmal zeitlich ab durch die Unterscheidung von Sternchen und Doppelsternchen, vgl. 1 . 1 9 . 1 2

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

erkennbar bleibt, wie ,T' das Gesicht des Traktats (neu) geprägt hat (wobei die abweichenden Lesarten einzelner Handschriften dann aber im j eweiligen Variantenapparat nachgelesen werden müssen, den unsere Ausgabe nicht mehr enthält). Dass die Änderungen in ,T' von Marsilius selber oder sogar eigenhändig bis weit in den S chluss des Textes hinein vorgenommen wurden (bzw. aus seinem Handex­ emplar übernommen worden sind), ist von den beiden Herausgebern nur j eweils als ,kühne' Vermutung geäußert worden. Unabhängig von einer sicheren Antwort auf diese Spekulation ist j edoch mit ihnen festzuhalten, dass in ,T' eine " autornahe" Handschrift vor­ liegt, die als Protokoll langwieriger Autorkorrekturen den "Defen­ sor pacis" als lebendigen ,Text im Werden' erkennen lässt. Etwas genauer ist das Ms. ,T' nunmehr bekannt gemacht worden, seit eine Forschergruppe der Universität B arcelona genauere Unter­ suchungen der Handschrift in Tortosa selbst angestellt hat. 8 1 Auf Marsilius als Urheber der Umarbeitungen weist überzeugend die B e ­ obachtung, d a s s d i e Zusätze in ,T' d i e im "Defensor pacis" zunächst nur abgekürzt gebrachten Bibelzitate in aller Regel exakt so vervoll­ ständigen, wie diese Zitate dann auch später etwa im "Defensor Mi­ nor" des Marsilius erscheinen. Das bleibt ein wichtiger B eleg für eine autornahe Entstehung von ,T'. Auch für die spätere B esitzgeschichte der Handschrift haben diese Untersuchungen weitere Aufklärung gebracht. Danach hat das Ms. ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Marsilius auf eine bisher nicht rekonstruierbare Weise den Weg in die Bibliothek B enedikts XIII. , des Papstes der avignonesischen Obödienz82 gefunden und ist dann aus dessen Nachlass in das Ar(Scholz, 1 35, 25 - 1 3 6 , 11 ), was in der Übersetzung nicht verdeutlicht werden kann. 8 1 Jetzt A. Fidora, M. Tischler, Zwischen Avignon, München und Tor­ " tosa. Die Defensor-Pacis-Handschrift des Marsilius von Padua in der Biblio­ thek Benedikts XIII.", in: Scriptorium 69 (20 1 5 [erschienen 2016]), 179-189. 82 Es fällt auf, dass auch für Ockhams fragmentarisch abgebroche­ nen III.2 Dialogus eine der beiden Handschriften mit der " längsten" Ver­ sion dieses Textstücks des ,Dialogus' aus der Bibliothek Papst Bene­ dikts XIII. stammt. Diese Handschrift befindet sich heute in der Vatikanischen Bibliothek (Ms. Vat. lat. 41 1 5 [XV. s.]). Nach der Vermutung von Richard Scholz, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern, 1327-1354, Analysen und Texte, B d . I, Rom 1 9 1 1 , 148, könnte auch dieses Ms. eine an der Kurie hergestellte Kopie aus einem Hand­ exemplar Ockhams sein. Dieser Teil der Hs. wurde 141 0 / 141 1 geschrieben

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chiv der Kathedrale der katalanischen Bischofsstadt gelangt. Es bleibt ungeklärt, wie das M s . aus München (dem Lebensmittelpunkt des Autors in seinem letzten Jahrzehnt) nach Avignon, weiter in die Büchersammlung des ,Papa Luna' und aus dessen Nachlass nach Tor­ tosa kam.83 Nachweislich sind weitere Handschriften der deutschen Gruppe in unterschiedlicher Enge von ,T' abhängig (das offensichtlich eine längere Zeit hindurch immer wieder durch Zusätze und Streichungen bearbeitet wurde). 84 D och brauchen wir hier nicht tiefer in die Textabhängigkeiten zwischen den einzelnen Handschriften einzu­ dringen: es genügt zunächst, dass uns eine nicht geringe Anzahl von Überlieferungsträgern zusammen mit der zentralen Brückenhand­ schrift ,T' einen einzigartigen Blick in die Werkstatt unseres Autors ermöglicht. Die beiden modernen kritischen Editionen aus Cam­ bridge und Leipzig, die in ihrer nur durch ein halbes Jahrzehnt von einander getrennten, doch einander nahen Konkurrenz in der inter­ nationalen mediävistischen Forschungsgeschichte bereits eine echte Rarität bilden, machen weitere B emühungen um eine kritische Text­ herstellung der S chrift zwar nicht absolut überflüssig, fordern eine solche aber auch nicht dringend heraus. Es ist davon auszugehen, dass der Text des Marsilius heute in verlässlicher Form vorliegt. S o kann d i e hiermit im Nachdruck vorgelegte deutsche Übersetzung beanspruchen, einen sicheren Zugang zum Text gewählt zu haben. Eine B enutzung der Aus gabe von Richard S cholz verspricht eine große Nähe zu dem ursprünglich von Marsilius gemeinten Buch. Das sollte j etzt aber einen kritischen Gebrauch der Übersetzung da­ durch nachhaltig fördern, dass dem lateinischen Text gegenüber jeder (pontificatus domini nostri Benedicti pape anno xvi0), vgl. die Beschreibung durch H. S. Offler in: Guillelmi de Ockham opera politica, B d . I, editio al­ tera, Manchester 1974, 223 f., sowie auch die Beschreibung durch John Kilcullen auf der Hornepage der British Academy. 83 Previte- O rton (S . XXXVII) und Scholz (S . XXXI) - vgl. dazu Fidora, Tischler (wie Anm. 8 1), 1 8 0 - benutzen jeweils unterschiedliche Nachrich­ ten über einen möglichen Ortswechsel von Manuskripten des " Defensor pacis", ohne dass dabei ,T' wirklich involviert gewesen sein muss. 8 4 So dürfte vor allem der heute in Wien aufbewahrte Pergamentkodex ,H' (cvp 464), der fast alle Veränderungen von ,T' gegenüber der französi­ schen ,Redaktionsstufe' des Textes enthält, eine unmittelbare Kopie von ,T' sein (vgl. Scholz S. XXXII-XXXIV). Im lateinischen Text werden bisweilen sukzessive Veränderungen sinnfällig, etwa oben Anm. 8 0 .

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

deutschen Version (auch gegen die auf der gegenüberliegenden Seite vorfindliehe Übersetzung von Walter Kunzmann und Horst Kusch) ein kritisches Veto belassen bleibt.

Die politische Theorie: Titel und Aufbau des Buches

Marsilius hat seinem Buch einen ganz eigenartigen Titel gegeben, wie ihn kein anderes mittelalterliches Buch trägt. E r legt bewusst ei­ nen oder den "Verteidiger des Friedens" vor, den er bereits in den ersten Sätzen deutlich durch ein hymnisches Lob von "Frieden und Ruhe" im menschlichen Gemeinwesen als Ziel seines N achdenkens bestätigt. Angelehnt an eine Katene von ehrwürdigen Zitaten aus Bibel und Kirchenvätern, die er einer Vorarbeit eines früheren Padu­ aner B ekannten entnimmt, feiert Marsilius pax et tranquillitas in der menschlichen Gesellschaft. 85 Der Frieden ist in seiner Gegenwart ge­ stört, das Buch soll ihn verteidigen. Damit stellt sich der Autor dezidiert auf einen Kampfplatz auf. Sofort, noch im Prooemium des Werkes , identifiziert er sowohl den Gegner, und benennt Strategie und Taktik seiner eigenen Verteidigung. Friede und Ruhe sind näm­ lich schon seit Langem als Ziel aller menschlichen Gesellschaft er­ kannt. B ereits Aristoteles (philosophorum eximius in civili sciencia) hat "fast alle" komplexen Ursachen von Streit und Hader und ihre Zerstörerische Wirkung auf ein Gemeinwesen erkannt und beschrie­ ben. S eine Einsichten will Marsilius nun keineswegs wiederholen, das Buch soll nicht einfach längst B ekanntes ausschreiben. Der grie­ chische Philosoph konnte j edoch aus rein chronologischen Gründen 85 Es handelt sich um Geremia da Montagnone, Compendium moralium notabilium (entst. ca. 1295 / 1 3 1 5), gedruckt als: Hieremias de Montagnone, Epytoma sapientiae, Venedig 1 5 05, hier bes. II.iv. 1 1 (De tranquillitate popu­ lorum) und II.iv. 1 3 (De pace et concordia), als Vorlage itentifiziert durch

P. Marangon, " Marsilio tra preumanesimo e cultura delle arti, Ricerca sulle fonti padovane del primo discorso del Defensor pacis ", in: Medioeva 3 (1977) 8 9 -1 19, jetzt in: Marangon, 'Ad cognitionem scientiae festinare ', Gli studi nell ' Universita e nei Conventi di Padova nei secoli XIII e XI V, ed. T. Pe­ senti, Triest 1997, 3 8 0 - 4 1 0 , hier 382 f.; dazu auch G. Piaia, "The Shadow of Antenor, On the Relationship Between the Defensor pacis and the Institu­ tions of the City of Padua", in: Theoretische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters, hrsg. M. Kaufhold, Leiden-Boston 20 04, 193 -207, hier 204; sowie A. Brett, The Defender of the Peace, Cambridge 2005, 3 Anm. 1).

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eine "einzige, sehr verborgene Ursache" des verderblichen Streits86 der Gegenwart gar nicht erkennen. Denn diese rührt aus einer total verkehrten Auffassung her, nicht einer ,Erkenntnis', sondern einer bloßen opinio perversa. Sie leitet sich nämlich, so wird etwas ver­ klausuliert formuliert, aus der (christlichen) Heilsgeschichte der Menschwerdung G ottes ab, die sich erst lange nach der Lebenszeit des Aristoteles ereignete. 87 Mit dieser ,Historisierung' der Heilsgeschichte stellt Marsilius sein Ziel betont und entschlossen heraus: er will mit den Mitteln ei­ ner ,aristotelischen' Wissenschaft die erst lange nach Aristoteles selbst entstandene Gefahr für das friedliche Zusammenleben im Staat identifizieren und unschädlich machen. Er zitiert bei seiner Darle­ gung die Auffassungen des Aristoteles nicht etwa ausschließlich nach dessen "Politik", sondern in weitem Ausgriff auch mit B elegen aus "Ethik" und "Metaphysik" sowie anderen Schriften des gesamten ihm damals verfügbaren aristotelischen Corpus, vielleicht im An­ schluss an einen in Paris umlaufenden handlichen aristotelischen Zitatenschatz, ein Florileg. 88 Ausdrücklich erklärt er (DP 1.1. 7), er werde mit Gottes Hilfe "ausschließlich (solummodo) diese eine Ursa­ che des Haders" behandeln, damit sie "von nun an von allen König­ reichen und Gemeinwesen leicht ausgeschlossen werden" könne. Dann könnten alle Regierenden und ihre Untertanen in Ruhe ihr Leben führen und damit "das Glück gesellschaftlich geordneten Le86 DP 1 . 1 . 3 (Scholz 5, 1.): una quedam [causa primitiva] singularis et oc­ 3 culta valde; u. 1 . 1 . 7 (Scholz 8 , 17 1.): singularem hanc litis causam. Dazu dem­

nächst zusammenfassend H. G. Walther, " Die ganze Kirchengeschichte als (korrigierbarer) historischer Irrtum? Marsilius von Padua zu den histo­ rischen Rahmenbedingungen des päpstlichen Primats (Defensor pacis, Dic­ tio I!)", [im Druck für: Irrtum, hrsg. A. Speer, A. Mauriege (Miscellanea mediaevalia, 40), Berlin 2 0 1 8] - ich danke dem Vf. für die Gelegenheit, Ein­ blick in den Aufsatz zu nehmen. 8 7 1 . 1 . 3 (Scholz 5, 10 _ 1 ) . 4 88 Den , Stammtext' dieses Florilegs (der entgegen manchen Vermutungen sicherlich nicht von Marsilius selber stammt) gab heraus: Jacqueline Ha­ messe, Les auctoritates Aristotelis. Un jlorilege medieval, Etude historique et edition critique, Louvain 1974. Dazu eingehend vor allem J. Hamesse, " Marsile de Padoue peut-il etre considere comme l',auteur' des , Parvi flores' ? " In. Medioeva 6 (1980) 491-499; sowie jetzt dieselbe, "Johannes de Fonte, compilateur des Parvi Flores? Le temoignage de plusieurs manuscrits conserves a Ia Bibliotheque Vaticane", in: Archivum Franciscanum Histori­ cum 85 (1995) 5 1 5 - 53 1 .

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Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

bens genießen, das in dieser Welt von den menschenmöglichen Wunschzielen als das höchste erscheint." Weil sich die völlig verkehrte Auffassung aus Christi Menschwer­ dung ergeben hat, konnte Aristoteles darüber noch keine Aussagen machen. Auch hat niemand seither diese Aufgabe übernommen. Jetzt aber ist es die Aufgabe des Buches, diesen Kampf zu führen. Das aber bedeutet, mit den wissenschaftlichen Mitteln der damals noch jun­ gen Universität die fundamentalen Irrungen der Zeitgenossen zu identifizieren und abzustellen. Im gleichen Einleitungskapitel (DP 1 . 1 . 6) legt Marsilius sein Buch ausdrücklich dem Rarnanorum imperator 8 9 Ludwig dem B ayern ans Herz. Auf ihn blickt der Ver­ fasser und hofft, dass der Herrscher, dessen Ehrentitel (nach dem Römerbrief 1 3 :4) als "Gottes Diener" prononciert als persönliche Verpflichtung eingeschärft wird, dem Buch " außerhalb " sein im In­ nern bereits formuliertes Ziel werde erreichen lassen (indem er seine Aufforderungen verwirklicht). Der Verfasser erklärt, "diese Haupt­ ergebnisse nach einer Zeit sorgfältiger und angespannter Forschung niedergeschrieben" zu haben, weil er überzeugt sei, dass der kaiserli­ chen Majestät daraus "eine Art Hilfe erwachsen kann". Damit greift Marsilius hoch. Das Buch wird so förmlich dem deutschen Herrscher gewidmet. Marsilius beansprucht selbstbewusst nichts Geringeres , a l s damit d e m "Kaiser d e r Römer" (der noch m i t weiteren Ehren­ titeln überhäuft wird) eine "Hilfe" zu leisten, wie sie Ludwig offen­ bar nirgendwo sonst erhalten kann. Wissenschaft, und das heißt im 14. Jahrhundert, eine durch eine an Aristoteles geschulte und von ihm angeleitete Methode erarbeitete Erkenntnis über das p olitische Zusammenleben der Menschen soll dem deutschen Herrscher mit universalem Anspruch im Streit mit dem Papst reale Hilfe bringen. Marsilius setzt diese programmatische Einweisung des kaiser­ lichen Widmungsempfängers - und damit zugleich j edes weiteren Lesers seines Buches - dann noch im gleichen Kapitel (DP 1 . 1 . 8) fort, indem er Gliederung und Methode seiner S chrift ankündigt. Er will 8 9 Diese vorzeitige Titulierung in der Widmungsansprache ist in breiter Front bereits in der " französischen Handschriftenfamilie" ohne Abstriche überliefert, sie nimmt im Jahre des Abschlusses der ersten Version (1 324) zweifellos die Kaiserkrönung um Jahre vorweg, steht damit aber nicht ganz allein, sondern findet sogar an der Kurie einige Stützung, wo Ludwig eben­ falls bereits vor seiner eigenwilligen römischen Krönung ,Kaiser' genannt wird.

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in drei S chritten vorgehen, die er in aller Ausführlichkeit in den drei Hauptteilen seiner S chrift entwickeln möchte. Kühn und ungewöhn­ lich betitelt er diese Untergliederungen seiner S chrift mit einem zu seiner Zeit für diesen Zweck ungewöhnlichen Wort, wenn er sie dic­ ciones (,Darlegungen'90) nennt. Er will die Krankheit der Politik sei­ ner Zeit dadurch bekämpfen, dass er in einer ersten ,Darlegung' eine theoretische Analyse von Wesen und Ursprung einer politisch-ge­ sellschaftlichen Organisation des Menschen überhaupt entwickelt, um so ein sachgerechtes Funktionieren der Politik schlechthin vor­ zustellen. Er führe, wie er erklärt, in seinem Buch einen wissen­ schaftlichen B eweis "mit sicheren, vom menschlichen Geist gefunde­ nen Methoden auf Grund von feststehenden Sätzen, die jedem denkenden Menschen, der nicht von Natur aus , durch verkehrte Gewohnheit oder verkehrte Neigung verdorben ist, unmittelbar ein­ leuchten." In einer zweiten "Darlegung" seines Buchs möchte er das, was er in der ersten bewiesen zu haben hofft, "mit ewig gültigen Zeugnissen der Wahrheit [d . h. hier der B ibel] und von Texten ihrer heiligen Ausleger und anderer Lehrer des Christenglaubens bekräf­ tigen". B eide Teile des Buches sollen demnach mit verschiedener Methode dasselbe Ziel erreichen, die Diccio I mit wissenschaftlich philosophischem Vorgehen, die Diccio I! mit theologisch-juristi­ schem und historischem Räsonnement. So werde sein Buch " ganz für sich bestehen" und keiner weiteren "B eweisführung von außen" (probacionis extrinsece) mehr bedürfen. Wie Marsilius festhält, wider­ sprechen diese beiden voneinander unabhängigen Methoden im Er­ gebnis einander nicht, sie stehen beide in der Wahrheit und führen zu ihr. Gleichwohl bleibt das Vorgehen in der ersten Diccio nach Mei­ nung des Autors fundamental und ist methodisch herausgehoben, denn der Verfasser wird, wie es heißt, auf dem zweiten Weg die auf dem ersten erreichten Ergebnisse "bekräftigen". Die beiden Wege sollen sich in ihrer Verschiedenheit gegenseitig stützen und durch ihre Übereinstimmung dem Leser das Fundament einer certitudo liefern, einer ,Gewißheit', die dafür sorgen wird, dass das Buch ins9 0 Vgl. Charles du Fresne du Cange, Glossarium mediae et infimae latini­ tatis, editio nova a Leopold Favre, [Paris 1 8 83 -1 8 8 7] Reprint Graz 1954, Bd. III, 1 04 b : Dictio, scriptio rhetorica, seu vera seu ficta, declamatio, quae publice et in consessu virorum eruditorum dicitur, recitatur. . . [d. h. "'Diccio' ist eine schriftliche Darlegung, sei sie nun wahr oder erdichtet, ein Vortrag, der öffentlich im Beisein gelehrter Leute geäugert oder vorgestellt wird . . . " ] .

LII

Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

gesamt "für sich selbst stehen" kann.91 Eine dritte diccio soll sodann "Schlussfolgerungen bzw. sehr nützliche Feststellungen" aus diesen Voraussetzungen erschließen, die bei allen Mitgliedern eines Ge­ meinwesens, bei den Regierenden wie bei ihren Untergebenen92 Be­ achtung verlangen.93

Die Diccio I

Sein Proj ekt einer p olitischen Theorie von und für seine Zeit hat Marsilius wie hier vorgestellt auch durchgeführt. Der "Defensor pacis" ist nicht dazu geschrieben worden, historisch- systematisch die Gedanken des Aristoteles wie in einem Kommentar zu erläutern, die Absicht ist, die von seinem Verfasser als schlechthin maßgeblich angesehenen Einsichten des griechischen Philosophen auf Probleme seiner eigenen Zeit anzuwenden und mit ihrer Hilfe die selbst ge­ setzte Aufgabe einer Schadensanalyse seiner mittelalterlichen Ge­ genwart zu erfüllen. Darum kann die Bezeichnung "Aristoteliker", die man auf Marsilius anwendet, nicht bedeuten, dass etwas aus­ schließlich im Horizont des genuin aristotelischen Entwurfs einer p olitischen Philosophie verstanden werden sollte oder auch nur könnte. Marsilius liest, wie alle scholastischen Gelehrten, die Schrif­ ten des Aristoteles mit mittelalterlichen Augen,94 nicht als ein mo 9 1 certitudo [" Gewissheit"] des Lesers scheint Ziel und Ursache dieses Vorgehens. Im DP spielt certitudo auch anderweitig eine Rolle, bezeichnend etwa 1.9.3 (Scholz 40, 1 7_ 2 3 ). Die lebhafte moderne Diskussion über Probabi­ lismus und certitudo in der spätscholastischen Philosophie ist hier zu beach­ ten. Dazu - mit unterschiedlichem Interesse und unterschiedlichen Akzen­ ten - etwa I. Kantola, Probalility and Moral, Incertainty in Late Medieval and Early Modern Times, Helsinki 1994, oder D. Perler, Zweifel und Ge­ wissheit, Skeptische Debatten im Mittelalter, Frankfurt am Main 2 0 0 6 . 9 2 Marsilius nennt sie subditi, d a s klingt b e i i h m häufig schon beinahe wie die späteren ,Untertanen', doch widerspricht dem das Freiheitspathos des Textes, dazu unten bei Anm. 1 8 0 -182. 9 3 Dazu vgl. dann DP III.2 (Kapitelüberschrift, unten S . 1 0 89): " Schen­ ken ihnen [d. h. den hier gebotenen Schlussfolgerungen aus Diccio I und II] die Herrscher und Untergebenen Beachtung, so können sie leichter das mit diesem Buch angestrebte Ziel erreichen." Diese Funktion der Diccio III nennt Marsilius selbst (unten in Anm. 1 76). 94 Zusammenfassend etwa J. Miethke, " Spätmittelalter, Thomas von Aquin, Aegidius Romanus, Marsilius von Padua", in: Politischer Aristotelis-

Einleitung

LIII

derner Philologe oder Historiker. Er möchte aristotelische Theorie dazu gebrauchen, dem Benutzer neue und sichere Erkenntnisse für seine eigene Gegenwart zu ermöglichen. Marsilius hat - wie alle scholastischen Gelehrten - die aristotelische "Politica" als Aufforderung gelesen, ein Wissen über die Politik nicht nur als Sonderkenntnis und praktisches Wissen zu erwerben (wie es Aristoteles auf breiter empirischer Basis angestrebt und angeboten hatte), sondern das als Theorie, als ,theoretische Wissenschaft', aris­ totelisch gesprochen als brzm�f11J, als theoretisches Wissen mit höhe­ rem, weil methodisch gesichertem Wahrheitsanspruch zu erfassen. Das hatte Aristoteles nicht unbedingt in der praktischen Philosophie gesucht, sondern in Metaphysik, Physik und Logik. Im Mittelalter haben jedoch zahlreiche Gelehrte der Forderung strengerer ,Theorie' entsprechen wollen. Auch Thomas von Aquin hatte die Vorgaben des Aristoteles für die praktischen Disziplinen in diesem Sinne "ge­ steigert".95 Keiner der mittelalterlichen B enutzer der aristotelischen politischen Philosophie hat es anders gehandhabt. Die praktische Phi­ losophie der Scholastik will aristotelische ,Wissenschaft' in strengem Sinne sein. Marsilius macht hiervon keine Ausnahme. In der Diccio I präsentiert er eine systematische Rekonstruktion einer aristotelischen Politik-"Wissenschaft"96 aus wohlbestimmter eigener Perspektive, wo­ bei er in engem Anschluss an Vorgaben des Aristoteles - doch diese immer wieder in seinem eigenen Sinn präzisierend, weiterentwickelnd, ja verändernd - Schritt für Schritt den Aufbau einer Herrschaftsorga­ nisation überhaupt erklärt. Allein diese Aufgabe forderte von ihm einen beträchtlichen Auf­ wand an intellektueller Energie. Er wollte ein Ergebnis erhalten, das mus, Die Rezeption der aristotelischen Politik von der Antike bis zum 19. jahrhundert, hrsg. Ch. Horn, A. Neschke-Hentschke, Stuttgart-Weimar 2 0 0 8 , 77-1 1 1 , bes. 97-103. 95 Dazu vor allem M. Lutz-Bachmann, "Thomas von Aquin als politi­ scher Denker: Ein neuer Ansatz zur ,Politischen Theorie' im Mittelalter", in: Philosophie, Politik und R eligion, Klassische Modelle von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. D. Brand, R. Geiger, St. Herzberg, Berlin 2 0 1 3 , 55 - 66; vgl. auch etwa J. Miethke, "Thomas von Aquin: De regno ad regem Cypri," in: Thomas-Handbuch, hrsg. V. Leppin, Tübingen 2 0 1 6 , 242-2 5 0 . 96 Methodisch hat sein Vorgehen am intensivsten verfolgt P . di Vona, I principi del 'Defensorpacis ', Neapel 1974. Allgemein vgl. jetzt auch L . Lanza,

'Ei autem qui de politia considerat . . . ', Aristotele nel pensiero politico medie­ val, Barcelona-Madrid 2 0 1 3 , bes. 1 67-1 73.

LIV

Marsilius von Padua: " Defensor Pacis"

auf ,alle' Konflikte zwischen ,Staat' und ,Kirche' seiner Zeit passte. Deswegen musste er die auf die griechischen Stadtstaaten (rc6Actrt fertig ausgt>bildet, wie In­ schriften, Grt>gor v. Tours, Ennodius, Jordanes u. a. bezt>ugt>n , also zu einer Zeit, wo Abi. u. Akk. unterschiedslos ineinandt>r über­ gingen, s. Hofm. 449 f. und Löfstedt, Synt. II 'H :ff . 3. Den A b l a t i v u s a b s o l u t u s an Stelle der grammatikalisch regelrechten Participium-coniunctum-Konstruktion hat M. 43 5, 30 f. hiis autem suscipientibus, . . . postmodum susceperunt ; im antiken Latein (schon seit P laut., sogar bei Caesar verschiedt>ntlirh und Cicero) dient er zur deutliehen Markierung der Satzteile (s. Hofm. 447 f. und K-St I 786, 9) . 4. Der einige Male vorkommende, nach dem Schema : 'non ob­ stante . .' gebildete Ablativus absolutus ist nichts anderes als italienisch nonostante 'trotzdem', z. B. 1 20, 20. 5. Partizipialkonstruktionen mit Partikeln u. Konjunktionen, wie quasi, quamvis, quoniam verbunden, verraten die Analogie­ wirkung des Griechischen (s. o. Graec.) : z. B. komparativ: 1 94, 2 1 ; konzessiv : 468, 1'5 f. ; 494, 1 4 ; kausal : 1 39, 1 7 (Abl. abs.) ; 1 '59, 2 1 ( p . c.) . 6. Latet mit Participium ist ein reiner Graecismus (s. o. Graec.) , z. B. 93, 3 (Ar.) ; fraglich 1 34, 1 2. .

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c) Gerundium und Gerundivum 1 . Das Gerundivum wird oft imp ersonal gebraucht und mit Akkusativobjekt verbunden, wie im Griechischen das unp ersön­ lich konstruierte Verbaladjektiv auf Teor; (s. o. Graer.) : 88. 24 con­ templandum (est) instituta; 9 1 , 20 Ieges ferendum (est} (Ar.} ; 1 24, 7 sinendum est quedam peccata; 441 , 3 1 distinguendum nobis est plenitudinem. 2. A d c u m G e r u n d i o , mit zugehörigem Objektakkusativ konstruiert, vt>rtritt bei M. nicht selten das klassisch übliche ad c u m G e r u n d i v o (einzelne Sonderfälle auch i m antik. Latein, bes. bei Varro, auch Planrus in Ciceros Briefwechsel, öfter erst in nach­ klass. Zeit, K-St I 735, 3c, s . auch M. Bonnet, Le Latin de Gr�goire de Tours, Paris 1 8 90 , 655) , z. B. 88, 9 ad formandum et distinguen­ dum unamquamque reliquorum parcium animalis. 3. Im Text des �f. findet sich auch einige �fale eine grammatikal. inkongruente G e r u n d i a l verbindung aus zwei verschiedenep Ge­ netiven statt der G e r u n d i v u m -Konstruktion mit gleichen Kasus­ endungen ; dabei stellt der Genetiv des Substantivums das vom Genetiv des Gerundiums abhängige Objekt einer normalen Satz­ ordnuNg dar ; die zwei Genetive sind über die b eiderseitige Be­ ziehung hinaus noch auf das Bestimmungswort hin ·orientiert. Vermeid ung von Kakophonie infolge des häufigen -orum kommt -

cxv

Sprachliche Vorbemerkungen

hier kaum in Betracht, dazu ist das Gerundialgefüge viel zu sehr auseinandergezogen. Die Unübersichtlichkeit des syntaktischen Gerüstes hat wohl bei diesen ungewöhnlichen Bildungen mitge­ sprochen, z. B. 1 26, 14 f. suorum propriarum operum et commu­ nium . . . exercendi potestas; 470, 6 ipsorumque ( sc. diacono­ rum) ad officia ecclesiastica . . . promovendi determinatus est modus. Antik ist diese Erscheinung bes. im Altlatei n (Plautus, Terenz, Varro) verbreitet, aber auch vereinzelt bei Cicero (in frühen Reden) anzutreffen, z. B. Verr. 2, 77 reiciundi trium iudicum potestas (der Fall in Tusc. 5, 70 wurde konjekturalkrit. "ver­ bessert") , weiteres dazu K-St I 744 A. 1 0 und Löfstedt, Synt. II 1 62 f. 4. Daß ein modaler od. instrumentaler Ablativ des Gerundiums das Partiz. Praes. Akt. ersetzt, ist eine ungemein häufige Erschei­ nung im Mittellatein, die besonders seit dem 3. Jh. im Spätlatein (übergehen in die roman. Sprachen) wuchert; doch sind Anfänge dieses unterschiedslosen Gebrauchs von Gerundium (im Abl.) und Partizip. schon bei Livius und Vitruv nachweisbar, s. Hofm. 600 ; bei M. z. B. 1 62, 1 2 venite credendo ( credentes) (nach Augustin) ; 1 64, 20 f. principes . . . facere debent servando ( servantes) iusti­ ciam u. ö. 5. Formalhaftes accipiendo u. besonders sumendo (stricte, Zarge et improprie), absolut u. außerhalb des Satzgefüges konstruiert im Sinne einer Parenthese ('wobei man . . .' od. ähnl.) , findet man z. B. 2 1 3, 1 2 ; 346, 4 f. =

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d) Modi 1. Entgegen dem klassischen Sprachgebrauch steht häufig der K o n j u n k t i v in Nebensätzen mit f a k t i s c h e m quod (Ac I-Kon­ kurrenz) und k a u s a l e m (auch objektive Gründe angebendem) quod und quoniam ; bei M. ist die Voranstellung dieser unter­ geordneten Sätze (vgl. Italien., Franz.) sehr bevorzugt und b eliebt, z. B. 1 97, 28 ff. quod Christus . . . abdicaverit . . . interdixerit . . . voluerit . . . docuerit, evidenter monstrasse nos credimus ; 250, 1 4 propterea quod peccet quis . . . ; 441 , !3 quod elementa fuerint . . . 2. über den K o n j u n k t i v in T e m p o r a l s ä t z e n mit cum und­ q uando nach Vorbild des grch. 8-cav, äv (I terat. der Gegenwart) , s. o. Graec. S. LI, z. B. 59, 9 f. ; 96, 16 f. (Ar.). 3. I n d. P e r f. drückt den Modus Irrealis im Konditionalsatz aus, dagegen steht Konj. Praes. mit utique in der Apodosis (s. o. Graec.) , z. B. 55, 1 (Ar.) . 4. K o nj. I m p e r f. mit utique als Irrealis d. Gegenwart (in Apo­ dosis) (s. o. Graec.) findet sich z. B. 1 6 1 , 23 (NT) ; 235, 20. 5. Die konditionalen Perioden des p otentialen Falle� werden häufig nach dem Schema : si sit ( fuerit), erit konstruiert (p o t e n '

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Einleitung

CXVI

t i a l e s F u t u r ist etwa seit Auctor ad Her. belegbar) ; häufiger dann im Sp ätlatein (Boethius) s. Hofm. 556 ; bei M. z. B. 1 0 1 , 2-4 si exstiterit , . . . dabit ; 244, 25 - 245, 6 nam si pertineat, . . . pertinebit. 6. F u t u r u m mit utique gibt den grch. Optativ mit av im Hauptsatze, bei Konditionalsatzfolge in der Apodosis wieder (s. o. Graec.) , z. B. 36, 21 f. ; 57, 1 (Ar.) ; 72, 24 (Ar.) ; 9 1 , 24 (Ar.) ; 97, 5 (Ar.) . c) Tempora 1. Symptomatisch für das Mittellatein ist ein unsicheres Durch­ einandergehen der Temp ora ; häufig sind Vertauschungen zwischen P r a e s e n s - und P e r f e k t s t a m m , wie bei M. z. B. fuisse für esse, fuerit für sit (klass. nur im Potentialis unterschiedslos) , pro­ poneret für proposuisset (412, 1 7 ) ; agerent für egissent (235, 20) . 2. Die B evorzugung des I n d . P l u s q u a m p e r f e c t i ist eben­ falls mittellateinisch allgemein verbreitet ; so wird er auch bei M. nicht selten für den Ind. Imperf. u. Perf. gesetzt. Diese wahr­ scheinlich volkssprachlich verursachte Tempusverschiebung setzt bereits ca. bei den Pseudocaesarischen Schriften (Bell. Alex., A fr., Hisp.) u. Vitruv beobachtbar ein (s. Hofm. 562 ) . 3. In oft gebrauchten phraseologischen Wendungen steht r e s u I ­ t a t i v e s P r a e s e n s i n Passivformen statt - dem Deutschen ent­ sp rechend - des PerfekfJS (das Deutsche sieht hierbei in der gegen­ wärtigen Situation das Endergebnis eines Verbalvorganges) ; z. B. 141 , 1 4 continentur 'sie sind enthalten' ; 366, 1 8 ; 330, 1 cont inetur (in einem Hieronymus-Zitat ; auch im klass. Lat. gebräuchlich, z. B. Cic. or. 2. 1 20, vgl. K-St I 1 1 8 A. 2 ) , dagegen aber auch Perfekt : 389, 20 in libro contenta sint vera vel falsa ; attenditur 'es ist ge­ meint, berücksichtigt, in B etracht gezogen' : 1 1 2, 3 ; 2 1 3, 6; 427, 1 ; 597, 2 u. ö. ; ähnl. auch tenentur 'sie sind verpflichtet (worden ) ' 1 88, 2 1 ; 384, 24. u. ö., sowie decipiuntur 'sind getäuscht' 405, 27. =

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V. Praepositionen

A, a b. 1. Bei den Ausdrücken der Verschiedenheit, in sbesondere bei alius bedeutet es 'als', z. B. 36, 2 non alie sunt ab huiusmodi habitibus; 1 22, 1 aliorum a s.e.; 146, 17 aliis ab homine; im antiken Latein findet sich nur umgangssprachlich alius mit dem bloßen Ablativ des verglichenen Gegenstands (Varro ; Brutus u. Cassius in Ciceros Korresp ondenz ) , analog dem grch. aUo,, h:e(!O' c. Gen., doch wohl nicht ererb t ; alius mit ab ist bei Mela 1 .57 belegt, häufiger dann seit Tertullian (s. Hofm. 426 ) .

Sprachliche Vorbemerkungen

CXVII

2. In der Bedeutung 'abweichend von' drückt es den Gegensatz zu cum 'wie, im Anschluß an' aus, z. B. 87, 30 cum Aristotele et a. Ga.lieno (sie ! ) . 3 . Sonst steht e s i n der Redensart a. principio = 'anfangs', z. B . 361 , 2 8 (schon bei Cicero i s t a. principio mit 'zu Anfang' zu über­ setzen, eigentlich 'von Anfang an', es findet sich aber auch (in) principio (meist ohne in, es sei denn bei Buchanfängen und Rede­ einleitungen) . A d . 1 . I n der Bedeutung 'was anbetrifft' kommt e s häufig im Schema ad id, quod . . vor (antike Belege : Livius, s. K-St II 272 b) ; z. B. 254, 1 ad reliquum vero, quod . . ; 3 14, 22 ad primam, que . . ; 543, 25 ad dictum vero sumptum ex codice . . . 2. 'Bis auf, ausschließlich des Genannten' heißt ad z. B. 544, 23. 3. Die ad-Verbindung i n dem t. t. amor ad policia.m statt des klass. üblichen Genet. objectivus bzw. dessen praep ositio­ nalen Ersatz durch in, erga {sc. bei amor) ·w urde nach dem Vor­ bild des grch. :n:e6r; bei Aristoteles geprägt, z. B. 82, 8 f. ; 84, 1 .6 f. (Ar.) . C i r c a heißt übertragen : 'hinsieht!., was anlangt, in bezug' im Kreise einer Handlung, z. B. 91, 33 circa disciplinam . . . negocian­ dum (Arist. Zitat ; circa = nset c. Ace. ; antik etwa seit Horaz, K-St I 543 ß) . C i t r a wird i n zeitlicher Bedeutung verwendet : eigentl. ·'nicht hinreichend bis zu . . .', also antik-lateinisch = ante 'vor' (so beson­ ders bei Ovid, K-St I 545) ; bei M. kommt es - anscheinend vom Standort des chronologisch sp äteren Betrachters aus gesehen - zu dem Sinngehalt 'nach' bzw. 'seit', z. B. citra tempora Constantini : 1 3 1 , 9 u. 489, 29. C u m ist in der Bedeutung 'wie' bei Adjektiven und Pronomina der Gleichheit anzutreffen, z. B. bei equus : 84, 3 non equa. necessi­ tate cum predictis ; und idem : 2 1 5, 17 ab eodem cara.ctere cum cla­ vium potestate. D e wird limitativ gebraumt, wie c,irca., entsprechend dem grch. :n:sel bei Verben der Aktion (perficere, exequi u. a.) und bedeutet 'hinsimtlich, in b ezug' bzw. 'gemäß', vgl. ähnl. Beispiele im antiken Latein bei K-St I 501 1J ; bei M. z. B. 35, 19 ut perficeret de diversitate naturalium inclinacionum ; 90, 1 0 u. 24 exequi de iustis et conferen­ tibus civilibus. E, e x . 1 . Bei Kapitelzitaten ist ex gleichbedeutend mit in; es gibt bei den Verben des Darlegens (dicere, habetur dicitur) und _Be­ weisens (demonstrare, determinare, ostendere, intendere, assignare u. a.) den Schriftort an, z. B. 305, 3 ; 337, 20 ; 348, 2 u. 8; 548, 1 ; 553, 1 1 ; vgl. aum ex principio für ciceronianisch (in) principio 57, 12. =

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Einleitung

CXVIII

2. Auch instrumental gefärbt 'an Hand, auf Grund von' steht es bei Verben des Beweisens, z. B. '77 , 28 ; 325, 1 2 (ex dictis demon­ strare). 3. Dagegen bezeichnet es bei probare und ostendere den Stand­ ort des Argumentierenden in der Redewendung ex alio 'von einem anderen Gesichtspunkt aUIS', z. B. 6?, 20 ; 301 , 2 1 ; 303, 3; vgl. auch ex opposito = 'vom entgegengesetzten Standp unkt aus' 289, 8, sowie formelhaftes, univerbiertes econtra, econverso passim. 4. Kausal, d. h. den Beweggrund, die Motive ausdrückend 'in­ folge, auf Grund von' ist ex wie im antiken Latein (verschiedene B eispiele s. K-St I 505 y) auch bei M. vorhanden, z. B. 2?, 9 f. ex terrore . . . fugiebant homines perverse agere. E x t r a im Sinne von 'darüber hinaus, außer' = ultra steht bei M. besonders in den Kapiteln, die der Erörterung der Eigentumsfrage gewidmet sind, z. B. 295, 16 dominium habere extra modu m die­ turn ; 302, 18 servare extra presentem necessitatem. I n . 1. Ein klass. nichtüberliefertes, zusätzliches Beispiel für die Gruppe der p rägnant konstruierten Verba, d. h. mit i n und A b i. auf d. Frage wohin? stellt cadere dar ( accidere in der Bedeu­ tung 'Akzidens sein') ; z. B. 58, 15 qui in lege cadere nequeunt sicut in iudice ; 60, ? virum . . . heroicum, ut in ipso neque passio neque ignorancia cadat ; 425, 22 in quibus cadunt. 2. Es fin det sich temp oral gebraucht mit elliptischem Gene tiv : 99, 1 ? in t emp o ru m (sc. cursu, wie auch eine Handschrift (H) bietet ; andere Lesart : in tempore) . I nfr a intra 'innerhalb' z. B. 449, 5 infra ecclesiam ; 451 , 2 1 infra ecclesiasticos limites (siehe auch Gegenteil : 46?, 3 extra eccles. limites) ; diese Vertauschung bei M. ist vielleicht durch den Einfluß des italien. fra tra zu erklären ; anderel"Seits jedoch wird schon in der Vulgärsprache seit dem 3. Jh. infra ganz für intra gebraucht (s. Hofm. 5 1 3 un d � onnet a. 0. 58?) . J u x t a . 1 . In der Bedeutung 'gemäß, zufolge, laut, übereinstim­ mend mit . . .' vertritt es secundum; dieser Gebrauch war im Spät­ latein allgemein verbreitet, nahm ständig zu und drang ins Roma­ nische ein (z. B. Schol. Hor. bevorzugt iuxta, während Porphyrio in seinem Horazkommentar noch regelmäßig secund um verwendet, s . Hofm. 503 ; bei Livius, Vitruv u. Justin finden sich die ersten Be­ lege, s. K-St I 52? d) ; M. hat dieses iuxta z. B. 3?, 28 iuxta inten­ , .cionem Aristotelis describamus. 2. Es bedeutet 'außer, neben' = praeter, z. B. 30, 20 (Abraham), cui iuxta predictum dedit (sc. Deus) aliud preceptum gravius, und 214, 9. P e n es heißt 'bei' im weitesten Sinne; die klass. begrenzte Ge­ brauchssphäre ('im Besitz, in der Gewalt, in der Verantwortung =

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Sprachliche Vorbemerkungen

CXIX

j emandes') wurde schon spätlateinisch gesprengt ; penes ersetzte allmählich apud und secundum, s. Hofm. 502 ; bei M. z . B. 442, 1 penes distinccionem. Pe r . 1. Per findet sich beim Agens in Passivkonstruktion a, ab mit Abl., z. B. 384, 5 u. ö. Dafl diese Bedeutung schon zu Ciceros Zeit vorkam, bezeugt Metellus im Briefwechsel Farn. 5, 1 , 1, von Cicero anscheinend korrigiert Farn. 5, 2, 6 (s. K-St I 3?'8 A. 8) . 2. Per in isolierender und verabsolutierender Funktion steht .bei M. in der besonders oft gebrauchten Formel per se, die schon im Spätlatein das zu is verblallte ipse verdrängte u. ersetzte (s. E. Löf­ stedt, Komm. Pereg. 335 f.) ; per se konkurriert im Defensor Pacis mit dem graecistischen secundum se in den Bedeutungen 'was der Sache selbst angehört, ohne Drum und Dran, allein, alleinig', z. B. 1 1 2, 4; oft wird per se durch solus verstärkt 'in eigner Person, an u n d für sich, aus eigener Kraft' ; auch bedeutet es 'dem Wesen nach', z. B. 1 2?', 3 accio per se; die formelhafte Wendung per se notlis (z. B. 20, 2?') oder manifestus per se ist mit 'selbstverständlich, un­ mittelbar einsichtig' übersetzbar. 3. Die Beispiele für per = pro (distributiv oder Italianismus) bei M. sind unsicher : 90, 4 melius per eosdem (in der Vorlage bei Wil­ helm v. Moerbeke : semper eosdem}; 9?', 25 per cives et consules (von facilius abhängig, gleichzeitig aber auch p ersönlicher f\- gens zu cognoscere. 4. Per = sub oder in bei intellegere entspricht der Diktion spä t­ lat. Grammatiker (Donat) ; bei M. z. B. ?'4, 4; 5?'3, 2?'. P r e t e r. 1 . Pr(a)eter ist in der Bedeutung 'wider, entgegen' schon vorklass. u. altlat. bezeugt ; bei M. steht es im Gegensatz zu secun­ dum, wie grch. naed c. Ace. gegenüber xard c. Ace. ; z . B. 58, 22 secundum legem nec preter ipsam. 2. Dafl praeter sine wird, ist eine typisch sp ätlateinische Be­ deutungsverschiebung, die sich u. a. bei Palladius u. Augustinus findet (s. Hofm. 5 1 6) ; M. gebraucht es in diesem Sinne ziemlich häufig, z . B. 62, 9 eleccione sola preter alteram confirmacionem; ?'0, 1 9 ; 389, 1 6 ; 5?'4, 16 u. 29. P r o in finaler Bedeutung mit dem Ablativ des Gerundivums ist im antiken Latein vereinzelt vorhanden (schon bei Plautus, auch bei Cicero, s. K-St I ?54) ; aus M. wäre z. B. 25, 8 pro hiis parandis . . und 3?'4, 2 pro . . . supportandis oneribus anzuführen. P r o p i e r ist neben seiner ursprünglich kausalen Bedeutung auch sekundär in zweckbezeichnendem Sinne aufzufassen, wie es sich schon im antiken Latein nachweisen läflt (etwa seit Seneca pater, s. Hofm. 504) ; wie nachgestelltes causa, gracia behandelt es M. beson­ ders bei ordinare, z . B. 1 1 6, 23 und 1 1 9, 9. =

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cxx

Einleitung

S e c u n d u m in der Bedeutung 'gemäß, entsprechend' und 'bezüg­ lich, betreffs' analog zu xan1 im Griechischen ist klassisch-lateinisch nur wenig verbreitet ; inflationist Tendenzen treten wahrscheinlich erst durch das Kirchenlatein und im Mittellatein in Ers , quoniam . . . < hec argumentacio > negari posset universaliter sumpta). Manchmal scheint es so, als habe Marsilius' Schriftstellertätigkeit nicht darin bestanden, straff geordnete und gegliederte, wohldurchdachte Perioden zu konzi­ p ieren, sondern vielmehr lediglich darin, mit festen, mechanisier­ ten Spracltformeln zu scha lten, die er von Zeit zu Zeit nur fragmen­ tarisch anzudeuten brauchte. Dieser Eindruck täuscht ; nicht durch das ganze Werk hindurch geht es so. Besonders in den invektivi­ schen Partien, etwa 454-51? (464 f., 485 f., 506 f., 509 f.) , kommt sein literarisch-künstlerisches Temp erament mit glänzender, p ackender Rhetorik zum Durchbruch. Auf folgende Einzelheiten wäre noCh hinzuweisen : 1 . D o p p e l b e z u g einiger Satzteile: ManChe Satzteile haben dno "owov -Funktion, d. h., sie wirken meist sowohl zurück auf das Vorangehende und bestimmen zugleich auch das Folgende ('Schar­ nierstellung') , manchmal sind auch zwei nachfolgende, verschie­ dene Konstruktionen von ihnen syntaktisch abhängig, seltener dagegen zwei vorausgeschickte ; s. z. B. 72, 1 5 ; 1 34, 24 f. ; 336, 28 ff. ; 338, 22-25; 352, 2?-353, 1 1 (hier Wiederholung : admirandissimum videtur, si . . . admirandissimum, quod . . . ) ; 510, 4-6. 2. P a r a l l e l i s m u s von Begriffen und dazugehörigen Bestim­ mungen nach rein formalem Gesichtspunkt ; d. h., die attributiven oder verbalen Aussagen werden von den Bezugswörtern abge­ trennt und für siCh in einer Reihe zusammengefaßt, die genau wie die Reihe der Beziehungswörter angeordnet ist, ein bei M. besonders beliebtes Kunstmittel, z. B. 1 1 , 18 f. primo et quinto . . . capitulis 2° et 3° = 'im I. Buch 2. Kap . und im V. Buch 3. Kap .' (eine vierstellige Reihe beim Zitieren 101, 19-20 ; s. auch 434, 1 1 -13) ; 26, 20 ff. sub eterne pene vel premii comminacione vel promissione (dann chiastisch : bonorum aut malorum operatoribus) = 'unter Androhung ewiger Strafe oder Verheißung ewigen Lohnes ' ; 2?, 5 aquam et poma, quae nec bibere auf 1ftanducare pofest = 'Wasser, das er nicht trinken, und Äp fel, die er nicht essen kann' ; 190, 4 f. pena vel supplicio reali vel personali 'mit einer Geldbuße oder einer p ersönlichen Strafe', s. auch 595, 1 5 ; weitere Beispiele : 1 8, 2 1 -23 ; 92, 1 3 - 1 4 ; 93, 3-5 ; 1 28, 28 ff. ; 2?0, 9-1 0 ; 334, 22 (Hierony­ mus) ; 369, 1 8-21 ; 393, 1 4- 1 ? ; 395, 1 4- 16 ; 60?, 21 -22. 3. Eine Sp ezialform des G e s et z es d e r w a c h s e n d e n G l i e d e r : Attribute oder adverbielle Bestimmungen, die für mehrere Begriffe Geltung haben (dno "owov) , stehen wirkungsvoll hinausgezögert nur beim letzten ; z . B. 1 6, 26 ; 49, 25-26 ; ?2, 1 2 ; 523, 8-9. 4. Das H y p e r b a t o n , d. h. die Sp errung von konstruktitmell Zusammengehörigem durch Einschübe, auch durch Umstellungen

·

=

Einleitung

CXXXVI

innerhalb von Wortgruppen, so daß Kasusgleiches (meist Be­ ziehungsw ort mit Attribut) möglichst getrennt wird, rechnet mit zu den einfachen rhetorischen Kunstgriffen, durch die M. srincn spröden philosophischen Deduktionen nicht selten äußerlich an­ sprechende Eleganz verleiht, z. B. 376, 21 u. 4 1 2, 5; dabei sind oft die Regeln des rhythmischen Satzschlusses - bewußt oder u nbe­ wußt - beachtet, z. B. 428, 1 3 quorundam malicia sacerdotum ( = cursus velox) , s. Scholz, Einl. LII Anm. 3. 5. Die E n a 1 1 a g e, d. h. die Versetz1.1ng des Adjektivs vom GPne­ tiv zum regierenden Kasus und umgekehrt, ist an einigen Stellen auch im Werk des Marsilius vorhanden, z. B. 395, 15 officiorum institucionem secundariam ( = 'Einsetzung in sekundäre Amtsauf­ gaben') ; 401 , 24 talis episcoporum turba ( = 'eine Menge von solchen Bischöfen') .

C. A N H A N G : E I N I G E B E S O N D E R H E I T E N

DER LATEINISCHEN

FORMENLEHRE BEI MARSILIUSt

I. Zur Deklination

a) Substantivum DieDativ- und Ablativform animabus bei M. z. B. 1 38, 1 4 ; 51 3, 28 ist spätantik beson ders im Bibellatein bezeugt (Vulgata, s. Leu­ mann 281 ; Gregor v. Tours, s. Bonnet 33 1 ) . b) Adiectivum und Adverbium 1 . Amplius an Stelle von magis zur Umschreibung des Kompara­ tivs begegnet bei M. z. B. 1 0 1 , 7 amplius diligens ; diese Erschei­ nung ist erst sp ätlateinisch (s. Hofm. 464) . 2. Den S u p e r l a t i v nicht durch maxim e umschrieben, wie sonst aus lautlich-formalen Gründen bei -ius, -uus Adjektiven (Ausnah­ men s. Leumann 298 b) , findet man z. B. 89, 10 necessariissimus (übers. Ar. dvay"at6raroc;). 3. Normwi driger Ablativ auf -i beim Komp arativ steht bei M. mittellateinisch-scholastischem Sp rachgebrauch entsprechend bei 1

Ab kürzungen : N-W

Fr. Neue, Formenlehre d. lat. Sprache I-III, 3 . Aufl. v. C. Wagner, Lei pzig 1892-1902. Leumann Stolz-S , daß Christus und seine Ap ostel dies en gewahrt haben. Kap. XIV. Einige Einwände gegen die Ergebnisse des voraus­ gehenden Kapitels, deren Entkräftung und die Sicherung des in demselben Kapitel Gesagten. Kap. XV. Die Teilung des Priesteramtes in eine wesentliche und eine zusätzliche, eine abtrennbare und eine unabtrennbare Voll­ macht und der Nachweis, daß in der wesentlichen Würde jeder Priester nicht unter dem Bischof steht, sondern ausschließlich in der zusätzlichen. Kap. XVI. Die Gleichh e it der Ap ostel in jedem Amt oder jeder Würde, die ihnen Christus unmittelbar verliehen hat. Dadurch wird bewiesen, was über die Gleichheit aller Nachfolger im vor­ ausgehenden Kapitel gesagt worden ist und wieso die Bischöfe alle ohne Unterschied Nachfolger jedes Ap ostels sind. Kap. XVII. Von der B efugnis, Bischöfe und andere Seelsorger und die übrigen Diener der Kirche in beide Ämter oder Würden, die abtrennbare oder unabtrennbare, einzusetzen. Kap. XVIII. Ursprung und Urzustand der christlichen Kirche ; ferner : Woher hat der römische Bischof und die römische Kirche die früher erwähnte Autorität und einen gewissen Vorrang vor den anderen sich angeeignet? Kap. XIX. Eine Vorfrage zur Entscheidung über die eben ge­ nannte Autorität und Vorrangstellung : An welches Wortes oder welcher Schrift Wahrheit muß man glauben, welche bekennen als notwendig für die ewige Seligkeit ? Kap. XX. Wer hat die Befugnis oder hat sie gehabt, den Sinn von zweifelhaften Stellen der Heiligen Schrift lehrmäßig fest­ zulegen oder zu bestimmen ? Kap. XXI. Wer besitzt die zwingende Befugnis oder hat sie bis­ her besessen, ein allgemeines Konzil der Priester und Bischöfe und

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reliquorum fidelium ; cuiusve sit auctoritas in ipso aliquid statuendi quod fideles obliget ad p enam aut culpam p ro statu presentis seculi vel venturi ; et cuius rursum sit in hoc seculo statutorum aut diffinitorum in generali concilio quemlibet transgressorem arcere. Amplius, quod nullus episcopus aut sacerdos excommunicare p otest principem aut p op ulum interdicere quemquam ; nec eccle­ siastica temp oralia beneficia vel decimas aut disciplinarum cui­ quam conferre licencias ; nec officia civilia quequam nisi iuxta generalis concilii aut humani legislatoris vel utriusque determina­ cionrm atque concessionem. CAP. XXII. Qualiter Romanus episcopus et ip sius ecclesia sit ceterarum cap ut et p rincip alior ; et propter quam auctoritatem hoc illis conveniat. CAP. XXIII. De modis plenitudinis potestatis, et secundum quem modum et ordinem hos sibi assumpserit Romanus episcopus, et summarie qualiter hiis usus sit et utatur. CAP. XXIV. Qualiter in sp eciali Romanus episcopus usus sit assumpto primatu et plenitudine p otestatis infra ecclesiasticos limites sive sacerdotalem yconomiam. CAP. XXV. Qualiter in sp eciali p redictis sit usus Romanus epi scopus extra ecclesiasticos limites ad laicos sive civilia. CAP. XXVI. Qualiter eisdem sp ecialins ad princip em et Roma­ nnm imperium. CAP. XXVII. De quibusdam instanciis ad determin ata in XV0 huius et in reliquis capitulis consequenter. CAP. XXVIII. De resp onsionibus ad predictas instancias. CAP. XXIX. De solucione instanciarum ex scrip tura inductarum III0 huius ad ostendendum iurisdiccionem coactivam episcopis et sup remam Rarnano episcop o inquantum huiusmodi convenire. CAP. XXX. De solucione racionum eodem III0 ad idem eciam inductarum, et imperii Romani ac alterins cuiuslibet principatus translacione, qu antum secundum rectam racionem fieri debet et p otest.

I nhaltsübersimt

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der übrigen Gläubigen z u versammeln ? Oder wer hat die Befugnis, dort etwas festzusetzen, was die Gläubigen mit Strafe oder Schuld für die gegenwärtige oder die künftige Welt bindet ? Und fer­ ner : Wer hat in dieser Welt das Recht, jeden zu strafen, der gegen Beschlüsse und Entscheidungen eines allgemeinen Konzils ver­ stößt ? Ferner : Kein Bischof oder Priester kann einen Herrscher exkommunizieren oder ein Volk mit dem Interdikt belegen noch zeitliche Benefizien oder Zehnten der Kirche oder Lehrerlaubnisse oder irgendwelche Staatsämter verleihen, außer wenn das allge­ meine Konzil oder der menschliche Gesetzgeber oder beide das bestimmt und ihm übertragen haben. Kap . XXII. In welchem Sinn sind der römische Bischof und seine Kirche Haup t und Führung der anderen, und aus welcher Vollmacht kommt ihnen das zu ? Kap . XXIII. Von den Auffassungen von Fülle der Gewalt. Wie und in welcher Reihenfolge hat der römische Bischof sie sich ange­ eignet ? Im überblick : In welcher Weise hat er sie gebraucht und gebraucht sie noch ? Kap. XXIV. Wie hat der römische Bischof den beansp ruchten Vorrang und die Fülle der Gewalt insbesondere innerhalb der Grenzen der Kirche oder der p riesterlichen Verwaltung zur Gel­ tung gebracht ? Kap . XXV. Wie hat der römische Bischof die früher genannten < Auffassungen der Vollgewalb im besonderen außerhalb der Grenzen der Kirche gegenüber Laienwelt oder Staat zur Geltung gebracht? Kap . XXVI. Wie bringt < der Papst diese Auffassungen der Fülle der Gewalt > im beson deren gegenüber dem römischen König und Kaiser und dem Römischen Reich zur Geltung ? Kap. XXVI I. Einige Einwände gegen die Feststellungen i n K a p . 1 5 dieses Teils u n d dann gegen d i e der folgenden Kap itel. Kap . XXVIII. Entgegnungen auf die eben angeführten Ein­ ·wände. Kap . XXIX. Die Entkräftung der Einwände, die aus der Schrift in Kap . 3 dieses Teils angeführt worden sind und zeigen sol lten, den Bischöfen stehe die zwingende Rechtsp rechung und dem römi­ schen Bischof als solchem die oberste zu. Kap . XXX. Die Entkräftung der Vernunftgründe, die e b enfalls im 3. Kapitel zu demselben Thema angeführt worden sind, und von der Übertragung des römischen Kaisertums u n d jeder an­ deren Regierungsgewalt, soweit sie nach dem richtigen vernünfti­ gen Denken erfolgen mufl und erfolgen kann.

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Inhaltsübersicht

Tercia diccio huius libri continet capitula 3, quorum primum est : CAP. I. De rememoracione p rincip aliter intentorum et deter­ minatorum diccione Ja et na, et dictorum cum dicendis consequen­ cia quadam. CAP. II. De conclusionum quarundam explicita illacione ad determinata in prioribus diccionibus de necessitate sequencium. Quarum attencione facilius assequi p ossul}.t principantes et sub­ diti finem per hunc librum intentum. CAP. 111. D e titulo huius libri.

lnhaltsübersidzt

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TE I L 1 1 1 Kap. I. RüCkbliCk auf die Hauptthesen und Hauptergebnisse des ersten und zweiten Teils ; Überleitung zu den Schlußkapiteln. Kap. II. Eine R eihe von deutlich' formulierten Folgerungen aus den Feststellungen der ersten beiden Teile, die sich mit Not­ wendigkeit ergeben. Schenken ihnen die Herrscher und Unter­ tanen Beachtung, so können sie leichter das mit diesem BuChe an­ gestrebte Ziel erreichen. Kap . III. Vom Titel dieses BuChes.

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

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DICCIO PRIMA C A P I TULUM I

De intencione summaria tractandorum, et causa intencionis et libri divisione. Omni quippe regno desiderabilis debet esse tranquillitas, in

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qua et pop u li proficiunt, et u tilitas gencium c ustoditur. H ec est enim bonar u m arcium decora mater. H ec mortalium genus 2

repara bili successione m ultiplicans, f acultates protendit, mores excolit. Et tan tarum rerum ignarus agnoscitur, q u i

Cassiodorus in prima suarum epistolarum, hac serie iam premissa, tranquillitatis seu pad� 5 civilium regiminum commoditates et fructus expressit, u t per hos tamquam optimos, humanum optimum, eius v i f f' scilicet su fficienciam explicans, quam sine pace ac tranqu i l ­ litate nemo consequi pofest, a d pacem habendam invicem, et hinc tranquillitatem, voluntates hominum excitaret. In t o quo beati lob sentencie pronunciavit conformiter, ubi 22 ° sui capitulo dixit : H abeto pacem, et per hanc habebis fr u c t u s optimos. Hanc siquidem propterea Christus Dei filius, novi sui natalis signum et nunciam fore decrevit, dum milicie ce­ lestis oraculo in eodem voluit decantari : Gloria in altissimis 1 5 Deo, et in terra pax hominibus bone voluntatis. Propter hoc eciam idem suis discipulis pacem optabat persepe. Unde 3 Iohannes : Ven it lesus et stetit in medio discip u lorum, et di;,dit : Pax vobis. De pacis invicem observacione monens eosdem dixit in Marco : Pacem habete inter v os . Nec solum haue e a m minime quesisse sentitur.

1 2 4

Cassiodorus Senator, Variae I 1 , rec. Th. Mommsen, MG. Auct.

A nt . XII 10.

Hiob 22,2 1 . J oh. 20, 1 9 .

3 s

Luk. 2,14. Marle 9,49.

- Teil I, Kapitel I

TE I L I

t

KA P I T E L I

Das Thema d e r Abhandlung in aller K ü rze, der A n l a ß d a z u u n d d i e E i n t e i l u n g d e s B u c h e s. 5

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3

§ 1 Jedem ReiCh m uß ja Ruhe erroünscht sein, in der die Völker gedeihen und der Nutzen der MensChen geroahrt w ird. Denn sie ist der edlen Künste sChöne Mu tter. Sie v erv ielfältigt der Sterblidwn GesChleCht in immer sich erneuernder Folge, hebt den Wohlstand und bildet die Gesittung. Und als un­ roissend in solCh roiddigen Dingen erkennt man den, bei dem man merkt, daß er nach der Ruhe ü berhaupt nicht gefragt hat.

Cassiodor hat im ersten seiner Briefe1 in der eben zitierten Stelle Annehmlichkeiten und Früchte der Ruhe und des Friedens im staatlichen Lehen geschildert ; er wollte durch diese Früchte - die besten - das Beste für den Menschen über­ haupt aufzeigen, d. h., indem er das Befriedigende eines sol­ chen Lehens anschaulich machte, das ohne Frieden und Ruhe niemand gewinnen kann, und wollte dadurch den Willen der Menschen antreiben, untereinander Frieden zu halten und damit die Ruhe zu haben. Hierin hat er sich in Übereinstim­ mung mit des seligen Hioh Meinung geäußert, der in seinem 22. K ap.2 gesagt hat : Du sollst Frieden halten, und durCh ihn roirst du die besten FrüChte haben. Friede sollte ja deswegen, so hat Christus, Gottes Sohn, bestimmt, für Anbruch seines Gehurtstages Zeichen und Bote sein, als er durch den Gesang der himmlischen Heerscharen an diesem Tage verkündigen ließ3 : Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den MensChen, die guten Willens sind. Deshalb wünschte er auch seinen Jüngern sehr oft Frieden. Daher erzählt Joh annes4 : jesus kam, trat mitten unter die jünger und spradt : Friede s e i mit euCh! Frieden untereinander z u wahren, mahnte er sie und sprach bei Markus5 : Frieden haltet unter eudL ! Diesen

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

invicem ipsos habere, verum eandem aliis optare docebat.Unde Mattheus : Infranies autem in domum salutate eam, dicenfes : Pax h uic domui. Hec rursum fuit hereditas, quam sibi pas­ sionis et mortis instante tempore suis discipulis testamento reliquit, dum Johannis 1 4 ° dixit : Pacem relin quo vobis, pa10 c em meam do vobis. Cuius instar tamquam veri heredes et ipsius imitatores apostoli hanc optaverunt, quibus per ipso­ rum epistolas evangelica documenta et monita dirigebant, cognoscentes fructus pacis dptimos fore, quemadmodum ex lob inductum est et per Cassiodorum amplius explicatum. 15 § 2. Verum quia confraria per se factiva sunt contra­ riorum, ex opposita tranquillitati discordia provenient civili regimini seu regno cuilibet fructus et incommoda pe�sima : ut videre sat est, etiam quasi omnibus inoccultum, ab Ytalico 20 regno. Dum enim ipsius incole convixerunt pacifice, fructus pacis enumeratos pridem suaviter perceperunt ex · hiis et in hiis profieienies in tantum, ut universam habitabilern eorum dicioni subdiderint. Inter ipsos vero discordia seu lite sub­ orta, laboribus et incommodis multimodis vexatum est ' regnum ipsorum, et alienarum atque invisarum gencium subivit imperium. Sicque eciam rursum propter Iitern lacera5 turn est undique, quasi solutum, quod occupare volenti et utcumque potenti facilis cuilibet ad ipsum iam patet in­ gressus. Nulla siquidem tali eventu admiracione digno, nam in hiis que de lugurta, teste Sallustio : Concordia parve res crescunt, discordia vero maxime dilabuntur. 0b quam quidem 10 in erroris seducti devium, vita sufficienti privantur indigene, pro quiete quesita Iabores graviores, pro libertate vero dura iuga tyrampnidum continuo subeuntes, sicque demum ceteris viventibus civiliter infeliciores effecti, ut ipsorum patrono5

4

s v

Ar. Pol. VIII (Rolfes V) 8 Sallust J ugurtha 10,6.

-=

1307 b, 29.

Teil I, Kapitel l

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nicht nur untereinander zu halten, sondern ihn auch anderen zu wünschen, lehrte er sie ; daher schreibt Matthäus6 : Wenn 5

ihr ein Haus betretet, so grüßt es mit den Worten : Friede die­ sem Hause. Friede war wiederum das Erbe, das er beim Heran­

nahen der Leidens- und Sterheuszeit seinen Jüngern letzt­ willig hinterließ, wenn er bei Johannes im 14. Kap.7 sagte : Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe im eudt.

Nach seinem Vorbild haben als seine wahren Erben und Nach­ folger die Apostel ihn denen gewünscht, an die sie durch ihre Briefe evangelische Lehren und Mahnungen richteten, in der Erkenntnis, die Früchte des Friedens seien die besten, wie aus Hiob angeführt und von Cassiodor ausführlich darge­ stellt worden ist. 15 § 2 Aber weil Entgegengesetztes ganz von selbst Entgegen­ gesetztes hervorruff8, so werden aus dem Gegenteil der Ruhe, der Zwietracht, für .Jedes Staatswesen oder Reich die schlimm­ sten Früchte und Nachteile hervorgehen, wie man an dem italischen Reich zur Genüge sehen kann und wohl allen klar 20 vor Augen liegt. Solange nämlich dessen Bewohner friedlich zusammen lebten, genossen sie mit Behagen die eben aufge­ zählten Früchte des Friedens und erstarkten durch sie und in ihnen so g ewaltig, daß sie die gesamte bewohnbare Erde ihrer Herrschaft unterwarfen. Als unter ihnen aber Zwietracht und Streit entstand, wurde ihr Reich von Leiden und Nöten vieler Art heimgesucht und kam unter fremder und verhaßter Völker Herrschaft. So ist es auch jetzt wieder durch Streit überall zerrissen, fast aufgelöst, so daß jedem, der es besetzen 5 will und irgendwie die Macht dazu hat, der Einmarsch nun­ mehr leicht offensteht Ein solches Ergebnis ist ja nicht ver­ wunderlich ; denn - in dem Werke über Jugurtha bezeugt es Sallust9 Durch Eintracht wachsen k leine Dinge, durch Zwietracht zerfallen die größten. Durch die Zwietracht in den 10 Abweg des Irrtums verführt, werden die Bewohner eines be. friedigenden Lebens beraubt, wenn sie statt der erstrebten Ruhe die schwersten Leiden, statt der Freiheit das harte Tyrannenjoch beständig auf sich nehmen müssen und so schließlich unglücklicher geworden sind als die zivilisierte Menschheit sonst ; so wird ihr angestammter Name, der denen, 10

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-

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Matth. 10,12. Joh. 14,27.

Marsilius

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von

Padua, Verteidiger des Friedens

micum nomen, gloriam et immunitatem invocantihus prehere solitum, in passionem ignominie a reliquis nacionihus expro­ hretur eisdem. § 3. In has ergo miseri precipites feruntur tenehras propter discordiam seu Iitern ipsorum invicem, que velut animalis 20 egritudo, sie prava civilis regiminis disposicio fore dignoscitur. Cuius quidem etsi cause primitive sint plures et coniuncte non pauce, quas solitis modis evenire possihiles, philosopho­ rum eximius in civili 'sciencia omnes fere descripsit, est ta­ men extra illas una quedam singularis et occulta valde, qua 5 Romanum imperium dudum lahoravit lahoratque continuo, vehementer contagiosa, nil minus et prona serpere in reliquas omnes civilitates et regna, ipsorumque iam plurima sui avidi­ tate temptavit invadere. Hanc siquidem eiusque ortum et spe­ ciem nec Aristoteles aut philosophorum alter sui temporis 10 vel prioris conspicere potuit. Est enim hec et fuit opinio per­ versa quedam in posteris explicanda nohis, occasionaliter autem sumpta, ex effectu mirahili post Aristotelis tempora dudum a suprema causa p roducto, preter inferioris nature possihilitatem et causarum solitarn accionem in rehus. Hec 1 5 nempe sophistica, honesti atque conferentis faciem gerens. hominum generi perniciosa prorsus existit, omnique civilitati ac patrie, si non prohiheatur, nocumentum taudem importa­ hile paritura. § 4. Sunt igitur, ut diximus, pacis seu tranquillitatis fructus 20 optimi, opposite vero litis importahilia nocumenta : propter quod pacem optare, non hahentes querere, quesitam servare. litemque oppositam omni conamine repellere dehemus. Ad ea quoque singuli fratres, eoque magis collegia et communi­ tates se invicem iuvare tenentur, tarn superne caritatis 15

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Ar. Pol. VIII (Rolfes V) . = Anspruch auf p lenitudo p otestatis ; vgl. I 19,12. W occasio u. occasionaliter. Menschwerdung Ch r isti. Höchste Ursache Gott. über die Ursache des Unfriedens I 19,12; =

515,8-25 ; 602,30 ff.

16 s op histica

< SC.

doctrina, ars >

=

so phisma.

Teil [, Kapitel l

die ihn anriefen, Ruhm und Unverletzlichkeit ,zu gewähren pflegte, ihnen als Schimpfwort von den übrigen Nationen vorgehalten. § 3 In dieses Dunkel nun werden die Unglücklichen jäh­ lings gestürzt durch ihre Zwietracht und ihren Streit mitein­ ander, der, wie für ein Lebewesen die K rankheit, so für ein Staatswesen ein schlimmer Zustand ist ; das erkennt 20 man deutlich. Zwar sind dessen elementare Ursachen sehr zahlreich, und viele sind untereinander verbunden ; wie sie unter gewöhnlichen Umständen entstehen können, hat sie der große Philosoph fast alle in seiner Lel;tre vom Staat10 be­ schrieben ; dennoch gibt es außer diesen Ursachen eine ganz einzigartige und tief verborgene, an der das römische Reich 5 schon lange gelitten hat und beständig leidet ; sie ist sehr ansteckend, immer auf der Lauer, sich ebenso in alle übrigen Gemeinwesen und Reiche einzuschleichen, und sie hat tat­ sächlich in die meisten von ihnen gierig, wie sie ist, einzu­ dringen versucht. Diese Ursache und deren Ursprung und Art hat weder Aristoteles noch ein anderer Philosoph seiner oder einer früheren Zeit in den Blick bekommen können. Es ist und 10 war dies nämlich eine ganz irrige Meinung12 - wir müssen sie später noch gründlich erörtern -, die aber gefaßt wurde alF Nachwirkung13 einer Wunderwirkung14, die lange nach des Aristoteles Zeiten von der höchsten Ursache15 hervorgerufen worden ist ; dieses Wunder geht über die Möglichkeit der unteren Natur und die gewöhnliche Wirksamkeit der Ur­ sachen in den Dingen hinaus. Diese zweifellos sophistische16 15 Meinung, die doch das Gesicht des Guten und Nützlichen trägt, ist der Menschheit ganz verderblich gewesen und droht, jedem Gemeinwesen und jedem Vaterlande, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird, schlieRlieh unerträglichen Schaden zu erzeugen. § 4 Nun sind, wie gesagt, die Früchte des Friedens oder der Ruhe die besten, die Schäden des Gegenteils aber, des Streites, unerträglich ; deshalb müssen wir Frieden wünschen ; wenn wir 20 ihn niCht haben, ihn gewinnen ; wenn er gewonnen ist, ihn wahren und das Gegenteil, den Streit, mit allen Mitteln ab­ weisen. Dabei sich gegenseitig zu helfen, sind auch die einzel­ nen Brüder und um so mehr die Kollegien und Gemeinschaften verpflichtet, ebensosehr aus dem Gefühl der Liebe zu Gott 'w ie 15

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

affectu, quam vinculo sive iure societatis humane. Quod eciam Plato nos admonet, teste Tullio, De Officiis libro primo, cum dixit : Non nobis solum nati sumus, ortusque nostri par­ fern patria vendicat, pariem amici. Cuius sentencie subdit Tullius consequenter : Atque, u t Stoicis placet, que in terris gignuntur, ad usum hominum omnia creari, homines a utem

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hominum causa generatos esse : in hoc naturam ducem sequi

Quodque communis utilitas non parva foret, quinimo necessitas, iam dicte singularis cause licium, regnis atque communitatibus omnibus nocumenta non parva minantis, reserare sophisma, t o curam vigilem diligentemque operam huic prebere tenetur quilibet, commune volens et potens utile cernere. Hoc enim immanifesto, nequaquam pestis hec evitari potest, nec ipsius perniciosus e:f:Iectus a regnis seu civilitatibus resecari per­ fecte. § 5. Non debet autem curam hanc negligere quispiam 15 timore aut segnicie vel quovis alio malignitatis spiritu. Nam 28 ad Timotheum 1 ° : Non dedit nobis Deus timoris spiritum, sed virtutis et dilectionis : virtutis inquam et dilectionis pro­ palande veritatis, unde subdit ibidem apostolus : Noli itaque 20 erubescere testimonium Domini nostri. Hoc autem fuit testi­ monium [veritatis] , ad quod perhibendum Christus se venisse dixit in mundum, dum Iohannis 1 8 ° inquit : Ego in debemus, communes utilitates in medium afferre.

hoc natus sum, et ad hoc veni in m undum, u t testimonium

ducenti scilicet human um genus ad salutem eternam. Ipsius ergo instar, docende veritati, qua civi­ lium regiminum iam dicta pestis cessari valeat, ab humano maxime Christicolarum genere, veritati inquam ad salutem civilis vite ducenti, ad eternam quoque proficienti non paperhibeam veritati :

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1 7 Cicero De off. I '7,22. Bei Cicero ist der Satz non nobis - generatos esse abhängig von einem hier weggelassenen quoniam ; der Acl generatos esse ist Anakoluth, als wenn placet regierendes Verbum wäre ; mit in hoc beginnt bei Cicero der Hauptsatz. 1s resecare ist Bild aus der ärztlichen Praxis. 19 2 . Tim. 1 ,'7-8.

2o

p,i} ovv br:aurxvv&fi,

21 J oh . 1 8,3'7.

, es sei bereChtigt, ein von Na­ tur sklavisChes Gemeinmesen Staat zu nennen ; der Staat ist 25 nämliCh etroas, roas sieh selbst genügt; das SklavisChe aber genügt sieh nieht selbst. Die Notwendigkeit dieses Bestand­ teils begründet Aristoteles in der Politik B. ?, Kap. 681 mit den Aufrührern im Inland. Den Wortlaut haben wir weggelassen, um abzukürzen ; wir werden ihn in I 14, 882 bringen. 25

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

§ 9. Rursumque [quoniam] in annis mundanis quandoque sunt fructuum fertilitates, quandoque sterilitates, adhuc quia civitas quandoque pacifice disponitur ad vicinas, quan­ doque aliter, suntque ipsius alie communes opportunitates 5 quihus indiget, ut viarum, poncium et aliorum edificiorum construcciones aut reparaciones et relique consimiles, quas nec opportunum hic est nec hreve foret numerare : oportuit pro hiis parandis convenienti tempore in civitate statuere parfern thesaurizantem, quam vocavit Aristoteles pecuniato tivam. Hec enim pecunias, hlada, vina, olea et reliqua neces­ saria congregat et custodit, et communia conferencia unde­ cumque procurat, et querit ad succurrendum future neces­ sitati, cui eciam suhserviunt aliarum quedam. Vocavit autem 1 5 hanc Aristoteles pecuniativam, quoniam pecuniarum custo­ dia videretur thesaurus omnium, eo quod in ipsas omnia commutantur. § 10. Superest autem nohis de sacerdotalis partis neces­ sitate dicere, de qua non omnes homines.sic senserunt concor20 diter, ut de necessitate reHquarum parcium civitatis. Et causa huius fuit, quoniam ipsius vera et prima necessitas non potuit comprehendi per demonstracionem, nec fuit res manifesta per se. Convenerunt tarnen omnes gentes in hoc, quod ipsum conveniens sit instituere propter Dei cultum et 25 honoracionem et consequens inde commodum pro statu pre­ sentis seculi vel venturi. Plurime enim legum sive sedarum honorum premium et malorum operatorihus supplicium in futuro seculo promittunt, distrihuenda per Deum. § 1 1. At extra causas posicionis legum, que ahsque demonstracione creduntur, attenderunt philosophantes convenien­ ter valde aliam et pro huius seculi statu quasi necessariam 5 causam tradicionis legum divinarum sive sectarum, ex quibus fuit Esiodus, Pythagoras et aliorum antiquarum quam-

sa

Ar. Pol. VI (Rolfes IV) 4

=

1 29 1 a, 4: ayoeai'ov.

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26

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§ 9 Ferner : es gibt unter den Jahreserträgen auf der Welt manchmal reiche Ernten an Früchten, manchmal kärgliche, außerdem ist der Staat gegenüber den Nachbarstaaten manchmal friedlich gestimmt, manchmal nicht, und es gibt gemeinsame zweckmäßige Vorkehrungen in ihm, deren er 5 bedarf, z. B. Einrichtung oder Wiederherstellung von Wegen, BrüCken und anderen Bauwerken und sonstige ähnliche Au fgaben, deren Aufzählung hier weder angebracht '''äre noch sich kurz abtun ließe. Um diese daher zur richtigen Zeit zu erledigen, mußte man im Staate einen Bestandteil ein­ führen, der Schätze sammelt und den Aristoteles den Stand 10 der Geldleute83 genannt hat. Dieser bringt nämlich Geld, Getreide, Wein, Ol und die übrigen notwendigen Güter zu­ sammen, verwahrt sie und besorgt das für die Allgemeinheit Nützliche von überallher und beschafft es, um den künftigen Bedarf zu befriedigen ; diesem leisten auch einige der anderen Bestandteile des . Staates Hilfsdienste. Aristoteles hat ihn 15 Stand der Geldleu te genannt, da verwahrtes Geld seiner Mei­ nung nach ein Schatz < zum Erwerb > von allem ist, weil alles gegen Geld umgetauscht wird. § 10 Nun mttssen wir noch über die Notwendigkeit des priesterlichen Bestandteils sprechen, über die nicht alle Men­ schen eine so einheitliche Meinung gehabt haben wie über die 20 Notwendigkeit der übrigen Bestandteile des Staates. Der Grund davon war, daß man seine wahre und elementare Notwendigkeit nicht logisch beweisen konnte und die Sache nicht unmittelbar einleuchtete. Darin jedoch waren alle Völ­ ker einig, es sei an sich zweCkmäßig, ihn für den Gottesdienst und die Gottesehrung einzurichten und wegen des daraus sich 25 ergehenden Vorteils für die gegenwärtige Welt und die künf­ tige. Denn die meisten Religionssysteme oder Religionslehren versprechen den Guten Belohnung, den Übeltätern Strafe in der künftigen Welt nach Gottes Entscheidung. § 1 1 Aber außer den Gründen für die Aufstellung von religiösen Gesetzen, die man ohne logischen Beweis glaubt, haben die Philosophen übereinstimmend einem ganz anderen und für den Stand dieser Welt geradezu notwendigen Grund zur Überlieferung von göttlichen Gesetzen und Grundsätzen 5 starke B eachtung geschenkt, , zu denen Hesiod, Pythagoras und sehr viele der Alten gehörten ; dies war die

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plures. Hec autem fuit bonitas humanorum actuum monasti­ corum et civilium, a quibus quies seu tranquillitas communi­ tatum et demum sufficiens vita presentis seculi quasi tota 1 0 dependet. Nam licet philosoph orum aliqui, talium legum sive sedarum adinventores, non senserint aut crediderint homi­ num resurreccionem et illa;m vitam que vocatur eterna, ipsam tarnen esse finxerunt et persuaserunt, et in ipsa delectacio­ nes et tristicias, secundum qualitates humanorum operum t5 in hac vita mortali, ut ex hoc inducerent hominibus Dei re­ verenciam et timorem, desiderium fugiendi v,icia et colendi virtutes. Sunt enim actus quidam, quos legislator humana lege regulare non potest, ut qui alicui non possunt probari adesse vel abesse, quos tarnen non po fest latere Deum, quem zo finxerunt ipsi talium legum latorem et preceptorem observa­ cionis ipsarum, sub eterne pene vel premii comminacione vel promissione bonorum aut malorum operatoribus. Unde dixe­ runt de differenter studiosis in hoc seculo, quod locabantur in firmamento celi. Et hinc fortasse provenerunt nomina qui25 busdam astris et figuris celestibus. Agencium vero perverse quorundam dixerunt animas diversa brutorum ingredi cor­ pora, puta porcorum, qui intemperati fuerant secundum gustum, yrcorum, qui secundum tactum et venerea, sicque 27 reliquorum in reliqua, iuxta proporciones humanorum vici­ orum, ad dampnabiles eorum proprietates. Sie eciam varia tormentarum assignaverunt genera pravorum operatoribus, quomodo intemperato Tantalo sitim et famem perpetuam, 5 aquam et poma presencia, que nec bibere aut manducare pof­ est, semper amplius fugiencia quam persequi possit. Dixe­ runt quoque Tartara loca quedam talium tormentarum vo­ raginosa et tenebrosa terribilibus et contristativis quasi om­ nibus intencionibus talia describentes. Ex quarum terrore 1 0 fugiebant homines perverse agere, ad studiosa quoque operum

84 Vgl . Vo (Stilistik) . 85 nec-aut Vo. 86 intentio Wortbedeutung

s.

W.

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Moralität des menschlichen Handeins im persönlichen und im staatlichen Leben, von dem Stille oder Ruhe d�r Gemein­ schaften und schließlich ein befriedigendes Leben in der gegenwärtigen Welt fast ganz abhängt. Denn mögen auch to einige der Philosophen, Erfinder solcher Gesetze oder philo­ sophischer Lehren, die Auferstehung der Menschen und jenes sogenannte ewige Leben nicht als Lehre aufgestellt oder daran geglaubt haben, so haben sie doch den Leuten vor­ gespiegelt und eingeredet, ein Jenseits gäbe es und in ihm Freuden und Leiden .Te nach den Werken der Menschen in t5. diesem sterblichen Leben ; damit wollten sie den Menschen Ehrerbietung und Furcht vor Gott einflößen und das Ver­ langen, die Laster zu fliehen und die Tugenden zu pflegen. Es gibt .nämlich gewisse Handlungen, die der Gesetzgeber durch menschliches Gesetz nicht regeln kann, denn niemand vermag ihr Vorhandensein oder Nichtvorhandensein zu beweisen ; Gott .fedoch können sie unmöglich verborgen sein, und Gott haben 20 sie vorgespiegelt als den, der solche Gesetze gegeben hat und sie zu befolgen gebietet unter Androhung84 einer ewigen Strafe für die Übeltäter oder Verheißung einer Belohnung für die Guten. Daher haben sie von den Menschen ver­ schiedenartiger Tugendhaftigkeit in dieser Welt behauptet, sie würden an das Himmelsfirmament versetzt, und daraus sind vielleicht die Namen für gewisse Sterne und Sternbilder 25 hervorgegangen. Die Seelen aber derer, die unmoralisch handelten, so haben sie erklärt, gingen in die verschiedenen Tierkörper ein : z. B. in Schweine, wer unbeherrscht war im Essen und Trinken, in Böcke, wer es war im sinnlichen Genuß und erotischen Ausschweifungen, und so weiter, entsprechend 21 dem Verhältnis der menschlichen Laster zu deren verdam­ menswerten Eigentümlichkeiten. So haben sie auch die ver­ schiedenen Gattungen der Qualen den Bösewichtern zuge­ ordnet, wie dem unbeherrschten Tautalus beständigen Durst 5 und Hunger; Wasser, das er nicht85 trinken, und Äpfel, die er nicht verzehren kann, hat er vor Augen, Dinge, die immer weiter fliehen, als er sie zu verfolgen vermag. Sie haben aum eine gewisse Stelle solcher Qualen, voll von Abgründen und Finsternissen, Tartarus genannt, wenn sie mit allen nur denk­ baren Arten von schrecklichen und düsteren Bildern8 6 der10 gleichen beschrieben. Aus Angst davor mieden es die MensChen,

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pietatis et misericordie excitabantur, ad seipsos atque alios disponebantur bene. Cessabantque propter hec in com­ munitatibus multe contenciones et iniurie. Unde pax eciam 15 seu tranquillitas civitatum et vita hominum sufficiens pro statu presentis seculi difficile minus servabatur, quod expo­ sicione talium legum sive sectarum sapientes illi finalHer in­ tendebant. § 12. Fuit ergo gentilium sacerdocium tradicio talium pre20 ceptorum ; ad que docenda statuerunt in suis communitatibus templa, in quibus colebantur ipsorum dii, statuenies eciam doctores dictarum legum seu tradicionum, quos sacerdotes vocabant, eo quod templorum sacra tractabant, ut libros, vasa et huiusmodi reliqua deserviencia cultui divinorum. § 1 3. Hec siquidem ordinabant decenter iuxta ipsorum 25 credulitates et ritus. Nam sacerdotes instituebant non quos­ cumque, sed cives aliquos studiosos et approbatos, qui fu­ erant ex officio militari, iudiciario vel consiliativo, cives inquam, qui secularia negocia abdicaverant, excusati iam a 28 muneribus et officiis civilibus propter etatem. A talibus enim viris iam separatis a passionibus, et quorum dictis propter etatem et morum gravitatem amplius credebatur, decebat 5 honorari deos et illorum sacra tractari, non a banausis seu mercenariis, qui vilia et maculativa officia exercuerant. Unde septimo Politice, capitulo ?0: Neque enim agricolam neque banausum sacerdotem constituendum. § 14. Verum quia gentiles et omnium relique Ieges aut secte, que sunt aut fuerunt extra catholicam fi.dem ch.risti10 anam, aut que ante ipsam fuit Mosaicam Iegern, vel que ante hanc fuit sanctorum patrum credulitatem, et generaliter extra tradicionem eorum, que in sacro canone, vocata Biblia,

87 ss

Der Sinn verlangt, dafl sacerdotium Gen. Plur. ist ; L und andere Hand­ schriften haben sacerdotum ; vgl. 208,8. Pol. IV (Rolfes VII) 9 1 329 a, 28 f. =

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unmoralisch zu handeln, auch fühlten sie sich zu Eifer in den Werken der Frömmigkeit und der Barmherzigkeit an­ getrieben ; gegenüber sich selbst und den anderen stellten sie sich in ein gutes Verhältnis. Deswegen hörten in den Gemein­ schaften viele Streitigkeiten und Gewalttaten auf. Daher t5 ließen sich auch Friede und Ruhe der Staaten und das befrie­ digende Leben der Menschen für den Stand der gegenwär­ tigen Welt leichter wahren, was jene Weisen durch die Ein­ führung solcher Religionssysteme oder -lehren als ihr Endziel erstrebten. § 12 Aufgabe der Priester87 der Heiden war also die über20 Iieferung solcher Gebote ; um sie zu lehren, errichteten sie in ihren Gemeinschaften Tempel, in denen ihre Götter verehrt wurden ; sie setzten auch Lehrer der genannten Gesetze oder Lehren ein, die sie sacerdotes < Geber des Heiligen > nannten, weil sie die Heiligtümer der Tempel verwalteten, z. B. BüclJ.er, Gefäße und andere Dinge, die dem Kult des Göttlichen dienten. 25 § 13 Das ordneten sie in entsprechender Form nach ihren Glaubensvorstellungen und Riten. Denn als Priester setzten sie nicht beliebige ein, sondern einige tüchtige und erprobte Bürger, die aus dem Dienst im Heer, im Gericht oder im Rat hervorgegangen waren, Bürger, sag ich, die sich von den weltlichen Geschäften zurückgezogen hatten, entlastet nunmehr von den staatlichen Ämtern und Berufen wegen ihres Alters. Solchen Männern nämlich, die schon über die Leiden­ schaften hinaus waren und deren Worten man wegen ihres Alters und des Ernstes ihrer Lebensführung mehr Vertrauen schenkte, ziemte es, die Götter zu ehren und deren Heilig5 tümer zu verwalten, nicht ungebildeten Handwerkern oder Lohnarbeitern, die niedrige und schmutzige Berufe ausgeübt hatten. Daher heißt es Pol. B. 7, Kap. 788 : Denn roeder einen Bauern nodt einen Handmerker soll man zum Priester be­ stellen. § 14 Aber die heidnischen und die übrigen Religionssysteme oder -lehren, die außerhalb des katholischen christlichen Glaubens existieren oder existiert haben oder des Mosaischen 10 Gesetzes, das_ ihm voranging, oder der Glaubensvorstellun­ gen der Erzväter, die wieder diesem vorangingen, und über­ haupt außerhalb derüberlieferung des in dem Heiligen Kanon,

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continentur, non recte senserunt de Deo, ut quia humanum ingenium secuti sunt aut falsos prophetas vel doctores er15 rorum, ideoque nec de futura vita ipsiusque felicitate vel miseria, nec de vero sacerdocio propterea instituto recte sen­ serunt. Locuti tarnen sumus in ipsorum ritihus, ut eorum a vero sacerdocio, Christianorum scilicet, differencia *et sacer2 0 dotalis partis necessitas in communitatibus* manifestins ap­ pareret. C A P I TU L U M VI

D e finali causa cuiusdam p artis civilis, s acerdotalis s c i l i c e t , e x D e i t r a d i c i o n e s ive r.e v e l a c i o n e i m m e ­ d i a t a , i m p o s s i h i l i t a rn e n h u m ana r a cio n e c o n v i n c i . Reliquum autem sermonis huius est, dicere de causa finali propter *quam''' fuit verum sacerdocium in communitatibus 29 fidelium institutum. Est enim hec moderacio humanorum achmm imperatorum per cognicionem et appetitum, tarn im­ manencium quam transeuncium, secundum quod ex illis ordinatur genus human um ad optimum vivere venturi seculi. 5 Et propterea oportet attendere, quod licet primus homo, Adam videlicet, creatus fuerit principaliter propter Dei glo­ riam, sicuti cetere creature, fuit ipse tarnen creatus singula­ riter ab aliis speciehus corruptibilium, quoniam ad imaginem Dei et similitudinem, ut capax et particeps esset felicitatis 10 eterne post vitam p r esentis seculi. Fuit eciam creatus in statu innocencie seu iusticie originalis et eciam gracie, ut probahi­ liter dicunt sanetarum aliqui et scripture sacre quidam docto­ res precipui. In quo siquidem permansisset, nec sibi aut sue posteritati necessaria fuisset officiorum civilium institucio 15 vel distinccio, eo quod opportuna queque ac voluptuosa 25

89 Vg l . Gewirth I 83 f. , 90 Wechsel des Subjekts, jetzt Heiden und Ketzer (Ungläubige) , wie secuti sunt beweist. 91 Lies: si quidem ; vgl. 358,1 6 ; Gegensatz 29, 1 8 verum quia. 9� V gl. Gewirth I 9 1 . =

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Bibel genannt, Enthaltenen89 - diese90 haben keine richtige Vorstellung von Gott gehabt, sie sind dem menschlichen Geist t 5 gefolgt oder falschen Propheten oder Irrlehrern ; darum haben sie weder von dem künftigen Leben und dessen Seligkeit oder Pein noch von dem wahren deswegen eingesetzten Priestertum die richtige Vorstellung gehabt. Unsere Ausführungen haben sich jedoch bewegt im Rahmen ihrer religiösen Vorstellungen, damit ihre Abweichung vom wahren Priestertum, dem der Christen, und die Notwendigkeit eines priesterlichen Bestand20 teiles in den Gemeinwesen sich deutlicher heraushebe. KA P I T E L VI

Z w e c k u r s a ch e < E n d z w e c k > e i n e s b e s t i m m t e n B e ­ standteiles des S t a a t e s , der P ri e s t e r s c h a f t , n a c h G ot t e s Ü b e r l i e ferung o d e r u n m it t e l b a r e r O f fen­ barung, eine Ursache, d i e j e d o ch d i e m e n s c h l i ch e Vernunft n icht n a c h w e i s e n k a n n . 25

29

5

10

t5

§ 1 Letzter Punkt dieser Erörterung ist die Zweckursache, derentwegen das wahre Priestertum in den Gemeinschaften der Gläubigen eingesetzt worden ist. Dies ist die Lenkung des < freien > von Erkenntnis und Streben gebotenen menschlichen Handelns, des rein innerlichen wie des übergreifenden, so­ weit dadurch die Menschheit für das beste Leben in der künftigen Welt ausgerichtet wird. Deswegen muß man beachten, daR der erste Mensch, Adam, zwar auch hauptsächlich zu Gottes Ruhm wie die übrigen Geschöpfe erschaffen wurde, doch in einzigartiger Weise anders als die anderen Arten des Vergänglichen : nämlich zum Bilde und Gleichnis Gottes, da­ mit er für die ewige Seligkeit empfänglich wäre und ihrer teilhaftig nach dem Leben in der gegenwärtigen Welt . Er wurde auch erschaffen im Stande der Unschuld, Ursprüng­ licher Gerechtigkeit und auch der Gnade, wie mit Wahrschein­ lichkeit einige Heilige und gewisse hervorragende Lehrer der Heiligen Schrift behaupten. Wäre91 er in diesem Stande ge­ blieben, so wäre weder für ihn noch seine Nachkommen die Einsetzung oder Unterscheidung der staatlichen Beru fsstände notwendig gewesen92 ; denn alles Zweckmäßige und Genufl-

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Padua, Verteidiger des Friedens

sufficiencie huius vite in paradiso terrestri seu voluptatis natura produxisset eidem, absque ipsius pena vel fatigacione quacumque. § 2. Verum quia suam corrupit innocenciam seu origina­ lem iusticiam et graciam in esu prohibiti sibi ligni, divinum 20 in hoc transgrediendo mandatum, repente Iapsus est in cul­ pam atque miseriam sive penam, penam inquam, privacionis felicitatis eterne, ad quam Dei gloriosi beneficio cum sua poste­ ritate qualibet finaliter fuerat ordinatus. Demeruit eciam ex 25 iam dicti transgressione mandati omnem sui successionem in libidine propagare, in qua eciam et cum qua quilibet homo postmodum conceptus est et natus, ex hac peccatum contra­ hens, quod in lege Christianorum originale vocatur, preter Christum Iesum, qui absque peccato et libidine quibuscum30 que conceptus fuit de spiritu sancto, natus ex Maria virgine ; quod factum est, dum una trium divinarum personarum, 30 Filius videlicet, verus Deus in unitate sui suppositi, naturam assumpsit humanam. Ex hac siquidem .transgressione pri­ marum parentum infirmata est secundum animam omnis humana successio et infirma nascitur, que ante creata fuerat 5 in statu sanitatis perfecte, innocencie atque gracie� privata quoque propter delictum suo finali optimo, ad quod fuerat ordinata. § 3. Quodque Dei proprium est misereri humano generi, facture ac imagini sue, quam preordinaverat ad beatam et eternam vitam, voluit, qui numquam facit frustra quicquam, 1 0 neque deficit in necessariis, humani casus exhibere reme­ dium, tradendo scilicet precepta quedam obediencie, ser­ vanda homini, que tamquam contraria: transgressioni, sanare deberent egritudinem culpe, que provenit ab illa. Processitt5 que in hiis ordinate valde a facilioribus ad difficiliora, velut peritus medicus. Precepit namque hominibus primo ritum holocaustorum de frugum primiciis et primogenitis anima­ lium, quasi penitenciam et humanam obedienciam experiri Da 96

97

94 Vgl. 29, 10. 9 5 3 0,6. Scholz 30 Anm. 1 . oboedientiae könnte Dativ sein ; Dativ als Attribut auch 132,2 ; 260, 14. 29,2 1 .

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volle für dieses befriedigende Lehen hätte ihm die Natur in dem irdischen Paradies oder dem Paradies des Genusses ohne irgendwelche Pein 93 oder Anstrengung seinerseits hervor­ gebracht. § 2 Aber weil Adam seine Unschuld oder ursprüngliche Ge­ rechtigkeit und Gnade94 verdarb, indem er von dem ihm ver­ botenen Baume aß und damit das göttliche Gebot übertrat, 20 stürzte er plötzlich in Schuld und Elend oder Strafe, Strafe, sag ich, des Verlustes der ewigen Seligkeit, zu der ihn des glorreichen Gottes Wohltat mit seinen sämtlichen Nachkom­ men als dem Endzustand95 bestimmt hatte. Infolge der Über­ tretung des eben erwähnten Gebotes verfiel er auch der Strafe, 25 alle seine Nachkommen in sinnlicher Lust fortzupflanzen ; in der und mit der ist seitdem auch jeder Mensch empfangen und geboren und zieht sich daraus die Sünde zu, die im Gesetz der Christen Erbsünde heißt, außer Christus Jesus, der ohne alle Sünde und sinnliche Lust vom Heiligen Geist empfangen, >o von der Jungfrau Maria geboren wurde. Dies ist geschehen, als eine der drei göttlichen Personen, der Sohn, wahrer Gott 30 in der Einheit seiner Person, die menschliche Natur annahm. Infolge dieser Übertretung der ersten Eltern ist die ganze nach ihnen kommende Menschheit krank an der Seele und wird krank geboren, die vorher im Zustand vollkommener 5 Gesundheit, Unschuld und Gnade geschaffen war ; sie verlor auch wegen des Vergehens ihren guten Endzustand, zu dem sie bestimmt gewesen war. § 3 Weil es nun Gott eigen ist, sich des Menschengeschiech tes zu erbarmen, seiner Schöpfung und seines Bildes, das er zu einem seligen und ewigen Leben im voraus bestimmt hatte, so wollte er, der niemals etwas vergebens tut und es im Not10 wendigen an nichts fehlen läßt9 6 , ein Heilmittel für den Fall des Menschen bieten ; er gab nämlich gewisse Gebote zur Prü­ fung des Gehorsams97, die der Mensch zu befolgen hätte und die als Gegenmittel für die Übertretung die daraus hervor­ gegangene Krankheit der Schuld heilen sollten ; hierin ging er 15 sehr planmäßig vor, vom Leichten zum Schweren wie ein er­ fahrener Arzt. Er gebot nämlich den Menschen zuerst den Brauch der Brandopfer von den Erstlingen der Früchte und den Erstgeborenen der Tiere, als ob er Reue und Gehorsam

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vell et. Quem ritum servaverunt antiqui patres in Dei reverenciam, fidem, obedienciam et graciarum accionem usque ad Abrahe tempora. Cui siquidem iuxta predictum dedit aliud preceptum gravius, circumcisionis scilicet omnis hu­ mani et masculini sexus in carne prepucii, quasi videretur rursum Deus penitenciam et humanam obedienciam amplius 25 experiri. Fuerunt autem precepta hec per aliquos observata usque in tempora Moysi, per quem postmodum tradidit Deus lsraelitico populo legem, per quam cum supradictis ampliora precepta statuit, tarn pro statu presentis seculi quam venturi, ipsiusque legis ministros eciam statuit sacerdotes atque 30 levitas. Horum siquidem omnium priorum preceptorum atque Mosaice legis observacionibus utilitas erat purgacio quedam peccati sive culpe tarn originalis quam actualis seu sponte commisse, evasio quoque seu preservacio quedam ab eterna et temporali pena alterius seculi, quamvis ex horum 5 observacione non mererentur homines felicitatem eternam. § 4. Ad quam tarnen quoniam ordinaverat misericors Deus humanum genus, volens ipsum a lapsu reducere seu resti­ tuere ad eandem secundum convenientem ordinem, omnium novissime humano generi per filium eius lesum Christum, 1 0 verum Deum et verum hominem in suppositi unitate, tradidit legem evangelicam, precepta continentem credendorum, agendorum et fugiendorum atque consilia eorum. Quorum observacione non solum a pena preservantur homines, ut per 15 priorum observanciam, verum ex ipsius graciosa ordinacione merentur ex talibus, congruitate quadam, felicitatem eter­ nam. Et propterea lex gracie vocata est, turn quia per Christi passionem et mortem redemptum est humanum genus a culpa et pena dampni eterne beatitudinis, quam subiverat ex lapsu seu peccato primorum parentum ; turn quia per illius obser­ 20 vacionem et sacramentorum cum ipsa et in ipsa institutorum recepcionem nobis confertur gracia divina, collata roboratur et amissa recuperatur, per quam ex Dei ordinacione, cum 20

31

98

zur

Sache vgl. Genesis 1 7, 1 0.

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der Menschen erproben wolle. Diesen Brauch haben die alten Väter bewahrt als Ausdruck der Ehrfurcht, des Glaubens, 2 0 des Gehorsams und der Danksagung gegen Gott bis zu Abra­ hams Zeiten. Diesem gab er neben dem vorausgenannten ein anderes drückenderes Gebot, das der Beschneidung9 8 alles männlichen Menschengeschlechts im Fleisch der Vorhaut, als ob Gott die Reue und den Gehorsam der Menschen noch ein­ mal, und zwar stärker zu erproben schiene. Diese Gebote be25 folgten einige bis in die Zeiten des Moses. Durch ihn übergab dann Gott dem israelitischen Volke das Gesetz, in dem er neben den obengenannten umfassendere Gebote festsetzte fiir die gegenwärtige Welt wie die künftige, und als Diener dieses Gesetzes setzte er auch Priester und Leviten ein. Durch Be30 folgung aller dieser früheren Gebote und des Mosaischen Gesetzes ergab sich ein Vorteil : eine Art Reinigung von der Sünde oder Schuld, der ererbten wie der gegenwärtigen oder mit freiem Willen begangenen, und eine Art Rettung oder Schutz vor der ewigen und zeitlichen Strafe in der andC'ren Welt ; freilich verdienten auch durch Befolgung dieser GC'bote 5 die Menschen die ewige Seligkeit nicht. § 4 Da jedoch der barmherzige Gott die Menschhei t zur ewigen Seligkeit bestimmt h atte, so hat er in dem Wunsche, sie von den Folgen des Falles zu retten oder nach einer zweck­ vollen Ordnung ihr die ewige Seligkeit neu zu ermöglichen, t o zuallerletzt der Menschheit durch seinen Sohn J esus Christus, der wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person ist, das evangelische Gesetz verkündet mit Geboten für das, was man glauben, tun und meiden soll, und Ratschlägen dafür. Befolgen sie diese, so schützen sich die Menschen nicht nur vor Strafe wie durch Befolgung der früheren, sondern nach seiner gnän digen Bestimmung verdienen sie damit infolge einer gewissen Entsprechung die ewige Seligkeit. Deswegen heißt es Gesetz der Gnade, teils weil durch Christi Leiden und Tod das Men­ schengeschlecht von der Schuld und der Strafe des Verlustes der ewigen Seligkeit erlöst ist, die es infolge des Falles oder 20 der Sünde der ersten Eltern auf sich geladen hatte, teils weil durch dessen Befolgung und durch den Empfang der mit ihm und in ihm eingesetzten Sakramente uns die göttliche Gnade verliehen, die verliehene gestärkt und die verlorene zurück­ gewonnen wird ; durch sie werden nach Gottes Bestimmung

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merito passionis Christi, congruitate quadam, ut diximus, opera nostra fiunt meritoria felicitatis eterne. § 5. Huius autem merito passionis, Christi videlicet, non solum posteriores graciam susceperunt, qua beatam vitam mereri valeant, verum eciam priorum preceptorum et Mo­ saice legis observatores inde graciam consecuti sunt eterne 32 30 beatitudinis, qua quidem in alio seculo et in loco quem lim­ bum vocant, privati manserant usque in Christi adventum, passionem, mortem et resurreccionem. Per quem repromis­ sionem acceperunt sibi datam a Deo, quamvis in preceptis 5 prioribus *patrum* et legis Mosaice talis gracie repromissio sub enigmatico velamine traderetur eisdem : omnia enim illis contingebant in figura, ut dicit apostolus ad Romanos. § 6. Fuit autem deduccio hec divina conveniens valde, quon­ iam de minus perfecto ad magis, et demum ad perfectissi10 mum conveniencium humane saluti. Nec est opinandum propterea, quin Deus potuisset, si voluisset, statim a prin­ cipio lapsus humani remedium a:dhibere perfectum. Sed sie egit, quia sie voluit et decuit, hominum exigente delicto, ut 15 ne venie nimis prompta facilitas preberet occasionem ulterius delinquendi. § ?. Iam dicte vero legis doctores ac sacramentorum secun­ dum illam administratores instituti sunt quidam in commu­ nitatibus, vocati sacerdotes et diaconi seu Ievite, quorum 20 officium est legis evangelice christiane precepta et consilia docere, in hiis que credenda sunt, agenda et fugienda, finali­ ter pro statu venturi seculi beato siquidem consequendo et opposito devitando. § 8. Sacerdotalis igitur finis est hominum disciplina et eru­ dicio de hiis que secundum evangelicam Iegern necessarium 25

99 1. Kor. 1 0 , 1 1 : Tv:n:neros

vorb ildhaft.

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zusammen mit dem Verdienst des Leidens Christi infolge einer gewissen Entsprechung, wie gesagt, unsere Werke für 25 die ewige Seligkeit verdienstlich. § 5 Aber durch das Verdienst dieses Leidens, des Leidens Christi, haben nicht nur die späteren Geschlechter Gnade er­ langt, um damit das selige Leben verdienen zu können, son­ dern auch, wer die älteren Gebote und das Mosaische Gesetz 30 befolgt hatte, hat dadurch die Gnade der ewigen Seligkeit gewonnen ; denn sie waren in der anderen Welt, und zwar an der Stelle, die man Vorhölle nennt, der ewigen Seligkeit be­ raubt geblieben bis zu Christi Ankunft, Leiden, Tod und Auf­ erstehung. Durch ihn erst haben sie die Verheißung vernom­ men, die ihnen Gott < schon längst > gegeben hatte, wenn auch 5 in den früheren Geboten der Väter und des Mosaischen Ge­ setzes die V erheiflung einer solchen Gnade unter rätselhafter Verhüllung ihnen überliefert wurde ; alles wurde ihnen näm­ lich in bildlidter Form zuteil, wie der Apostel im Römerbrief 99 sagt. § 6 Diese göttliche Fügung war sehr zweckmäßig, denn sie ging vom weniger Vollkommenen zum Vollkommneren 10 und schliefllich zum Vollkommensten, was dem menschlichen Heil angemessen ist. Man darf deswegen nicht glauben, Gott hätte nicht die Möglichkeit gehabt, wenn er gewollt hätte, sogleich von Anfang an für den Fall des Menschen ein voll­ kommenes Beilmittel anzuwenden. Aber so handelte er, weil er es so wollte und es so angebracht war ; denn das Vergehen der Menschen forderte, daß ja nicht eine allzu bequeme und t5 leichte Form der Vergebung zu noch schlimmeren Vergehen einen Anreiz gäbe. § ? Als Lehrer des eben genannten Gesetzes und als V er­ walter der in ihm < gestifteten > Sakramente setzte man einige Männer in den Gemeinschaften ein, die man Priester und Diakonen oder Leviten nennt und deren Aufgabe es ist, des 20 evangelischen christlichen Gesetzes Gebote und Ratschläge zu lehren, darunter, was zu glauben, zu tun und zu meiden ist, um schliefllich die Seligkeit in der künftigen Welt zu er­ langen und dem Gegenteil zu entgehen. § 8 Zweck des Priestertums ist also Erziehung der Men­ schen und Belehrung darüber, was nach dem evangelischen 2� Gesetz notwendig ist zu glauben, zu tun oder zu unterlassen,

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est credere, agere vel omittere propter eternam salutem con­ sequendam et miseriam fugiendam. § 9. In hoc autem officium convenienter veniunt omnes discipline humano ingenio adinvente, tarn speculative quam active, humanorum actuum moderative tarn immanencium quam transeuncium, ab appetitu et cognicione provenien­ cium, quibus bene disponitur homo secundum animam pro statu tarn presentis seculi, quam venturi. Ras etenim quasi s omnes habemus ex tradicione admirabilis philosophi et reli­ quorum gloriosorum .virorum ; enumerare tarnen omisimus hic eas propter abbreviacionem sermonis, et quoniam huius necessitas non habet consideracionem presentem. 10 § 10. Debemus autem intelligere de hoc capitulo et ipsum sequente continuo, alias esse causas of:ficiorum civitatis iuxta quodlibet ipsarum genus, secundum quod officia sunt civita­ tis, et alias ipsorum, secundum quod sunt habitus corporis aut mentis humane. Nam finales eorum cause secundum quod t 5 habitus corporis aut humane anime, sunt opera que ab illis proveniunt immediate per se, ut navifactive navis, militaris armorum usus aut pugna, sacerdocii vero predicacio legis *divine* et secundum illam sacramentorum administracio, et sie conformiter in reliquis omnibus. lpsorum autem cause 20 finales secundum quod officia in civitate determinata et in­ stituta, sunt commoda et sufficiencie perfective accionum et passionum humanarum, provenientes ab operibus dictorum habituum vel que sine hiis haberi nequeunt. Quomodo a pugna, que est actus seu finis militaris habitus, hominibus 25 in civitate libertas provenit et servatur, que quidem finis est actuum et operum militaris, sie eciam *a* domificative opere seu fine, qui domus est, provenit hominibus seu civitati defen­ sio ab aereis impressionibus nocivis calidi, frigidi, humidi aut

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t oo

Zweckursache des Berufsstandes als Habitus ist ein Erzeugnis, z. B. der Fähigkeit, ein Haus zu bauen : dies Haus, des character indelebilis : Predigt und Sakrament ; Zweckursache als Stand ist die Folge des Erzeugnisses : Schutz vor Kälte - ewige Seligkeit.

Teil I, Kapitel VI

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6?

um das ewige Heil zu erlangen und der ewigen Pein zu ent­ rinnen. § 9 Zu dieser Aufgabe gehören natürlich alle vom mensrh­ lichen Geist gefundenen sittlichen Normen, die theoretischen wie die praktischen, die das menschliche Handeln lenken, das rein innerliche wie das übergreifende, das aus Streben und Erkenntnis hervorgehende, Normen, durch die der Mensch seelisch in gute Verfassung gebracht wird für die gegen­ wärtige Welt wie die künftige. Diese Normen haben wir ja 5 fast alle aus der Darstellung des bewunderungswürdigen Philosophen und der übrigen berühmten Männer ; aber wir haben hier die Aufzählung unterlassen, um die Erörterung abzukürzen ; im Augenblick ist ja auch eine Betrachtung < die­ ses P roblems > nicht notwendig. to § 10 Aus diesem Kapitel und dem ihm unmittelbar folgen­ den müssen wir begreifen : Es treten verschiedene Ursachen der Berufsstände des Staates auf bei jeder Gattung, die einen, insofern sie Berufsstände des Staates sind, die anderen, so­ weit sie Habitus des menschlichen Körpers oder Geistes sind100 ; denn ihre Z w e c k u r s a c h e n als Habitus des mensch15 liehen K örpers oder der menschlichen Seele sind Erzeugnisse, die aus den Habitus unmittelbar an sich hervorgehen ; z. B. ist Zweckursache des Schiffsbaus das Schiff, der K riegskunst der Gebrauch der Waffen oder der Kampf ; des Priestertums die Predigt des göttlichen Gesetzes und die Verwaltung der Sakramente nach der Vorschrift dieses Gesetzes ; so entspre­ mend in allen übrigen < Berufsständen > . Ihre Zweckursame zo aber, soweit sie als Berufsstände im Staate bestimmt und ein­ gesetzt sind, ist es, bequeme und befriedigende Voraussetzun­ gen zu schaffen für die Vervollkommnung der Tätigkeiten und Widerfahrnisse der Menschen, Voraussetzungen, die aus den Werken der genannten Habitus hervorgehen oder die man ohne sie nicht haben kann. Wie aus dem Kampf, der Be­ tätigung oder dem Zweck des kriegerischen Habitus, für die 25 Menschen im Staate die Freiheit hervorgeht und gewahrt wird, die der Zweck der Betätigungen und Werke der Kriegs­ kunst ist, so geht auch aus dem Werk oder dem Zweck der Baukunst, dem Haus, für die Menschen oder den Staat der Schutz vor den smädlichen Einwirkungen der Luft hervor, der warmen, der kalten, der feuchten oder trockenen, ein

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5

10

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sicci, que siquidem defensio causa finalis est, propter quam domificative officium fuit in civitate statutum. Eodemque modo ab observacione preceptorum legis divine, que finis est sacerdocii, provenit hominibus eterna felicitas. Sie quoque de reliquis Omnibus partibus s eu officiis civitatis extimare oportet. Hoc eciam modo sive consimili distinguuntur r elique causarum species officiorum dictorum, materialis, formalis et efficiens, ut ex sequentibus apparebit. De numero quidem '�igitur* parcium civitatis ipsarumque necessitate ac distinccione propter finales sufficiencias dicta sint tanta. C A P ITU L U M VII

De r e l i q u i s s p e c i eb u s c a u s a r u m i n ex i s t e n c i e a c s e p a r a c i o n i s p a r c i u m c i v i t a t i s e t u n i u s c u i u s q ue speciei divisione per modos duos ad propositum pertinentes .

15

35

Hiis autem consequens est dicere de reliquis causis officio­ rum seu parcium civitatis. Et primum loquemur in causis 20 materialibus et formalibus, deinde vero inquiremus de ipsa­ rum causa movente. Verum quia in rebus que ab humana mente recipiunt complementum, materia forme preexistit in actu, prius loquamur in causa materiali. Et dicemus, quod materia propria officiorum diversorum, secundum quod of25 ficia nominant habitus anime, sunt homines ex ipsorum gene­ racione seu nativitate inclinati ad diversas artes seu disci­ plinas. Cum enim natura non deficiat in necessariis, de nobilioribus magis sollicita, qualis inter corruptibilia est ho­ minum species, ex qua perfecta per diversas artes aut disci­ plinas oportet tamquam ex materia constituere civitatem et partes distindas in ipsa necessarias ad vite sufficienciam 101

1 o� 103 1 04

I 7. Damit ist die Erörterung I 4-6 abgeschlossen, I 7 bringt einen Nach­ trag (fortgesetzt I 1 5 ,4 f.) . 34,25 sind im Gegensatz zu 3 5,24 mit Habitus die entwickelten Anlagen gemein t ; vgl. Anm. 1 07 ; dazu Scholz 34 Anm. 1 . Scholz 35 Anm. 1 .

Teil I, Kapitel VII

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69

Schutz, der die Zweckursache ist, derentwegen der Beru fs­ stand der Baumeister im Staate eingerichtet wurde. Ebenso geht aus der Befolgung der Gebote des göttlichen Gesetzes, dem Zweck des Priestertums < als Habitus > , für die Menschen 5 die ewige Seligkeit hervor. So muH man auch über alle übrigen Bestandteile oder Berufsstände des Staates denken. So oder ganz ähnlich werden die übrigen Arten der Ursachen der genannten Berufsstände, die materiale, die formale und die bewirkende, unterschieden, wie im folgenden101 sich zeigen wird. 10 über Zahl, Notwendigkeit und Unterscheidung der Be­ standteile des Staates als Zweckursachen für befriedigende Zustände des Staates sei nun soviel gesagf. 1 °2 KA P I T E L VII

15

35

D i e ü b rigen A r t e n d e r U r s a c h e n f ü r V o rh a n d e n s e i n u n d S on d e r u n g d e r B e s t a n d t e i l e d e s S t a a t e s u n d d i e E i n t e i l u n g j e d e r Art nach z wei G e s i cht s p u nkten, die unser Thema betref fen .

§ 1 Anschließend ist von den übrigen Ursachen der Berufs­ stände oder Bestandteile des Staates zu sprechen. Zuerst wer20 den wir uns mit den materialen und formalen Ursachen be­ schäftigen, dann ihre bewirkende Ursache untersuchen. Weil aber in den Dingen, die vom menschlichen Geiste ihre Voll­ kommenheit erhalten, in Wirklichkeit der Stoff vor der Form existiert, wollen wir zuerst uns beschäftigen mit der m a t e ­ r ia l e n Ursache. Wir werden sagen : Der für die verschiede­ nen Berufsstände spezifische Stoff, insofern man die 1Berufs25 stände Habitus der Seele nennt, sind Menschen, die irrfolge ihrer Erbanlage oder angeborenen Eigenart 103 zu verschiede­ nen Fertigkeiten oder wissenschaftlichen Disziplinen neigen. Die Natur läßt es nämlich im Notwendigen an nichts fehlen und ist um das Edlere mehr besorgt, wie es unter den vergängliehen Wesen der Mensch104 ist ; denn wenn er durch die ver­ schiedenen Fertigkeiten und Formungen des Geiste s zur Vollkommenheit entwickelt ist, muß man aus ihm als Stoff den Staat und die verschiedentliehen Bestandteile bilden, die im Staate notwendig sind, um ein befriedigendes Leben zu

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Marsilius

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consequendam, ut 4° et 5° huius ostensum est : iniciavit ipsa circa generacionem hominum distinccionem hanc, quosdam in naturalibus disposicionibus producens aptos et inclinatos ad agriculturam, alias ad miliciam, reliquos vero ad aliorum artificiorum et disciplinarum genera, diversos tarnen ad diver10 sas. Nec solum unicum individuum ad unius speciei artem vel disciplinam, sed ipsorum plura in eandem artificii seu discipline speciem inclinavit, veluti sufficiencie necessitas exigebat. Quosdam ergo genuit aptos prudencie, quoniam ex prudentibus in eivitate statui debet iudicialis pars et con15 siliativa ; quosdam vero ad robur et audaciam, quoniam ex talibus eonvenienter statuitur militaris. Sie quoque reliquos adaptavit ad operativorum et speeulativorum habituum genera, que sunt ad vivere et bene vivere neeessaria seu con­ venieneia, ut in omnibus simul perfieeret de diversitate na20 turalium inclinaeionum ad habitus diversorum generum et specierum, quod neeesse fuit ad diversitatem parcium civi­ tatis. Materiales vero cause offieiorum eivitatis, seeundum quod officia nominant partes civitatis, iam quasi apparent. Nam hee sunt homines habituati per artes et diseiplinas 25 diversorum generum et specierum, ex quibus diversi ordines sive partes statuuntur in civitate, propter finales suffieien­ cias provenientes ab ipsorum artibus et diseiplinis ; quo modo proprie dieuntur partes eivitatis offieia, quasi obsequia, quon­ iam eonsiderate, ut statute sie sunt in eivitate, ad humanum obsequium ordinantur. § 2. Horum vero formales eause, seeundum quod humane mentis habitus, non alie sunt ab huiusmodi habitibus ; nam ipsi forme sunt habeneium eomplective seu perfective humanarum inclinaeionum inexisteneium a natura. Unde 7° 5 5

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1 os

I 4,3 ( 18,4) ; I 5,1 ; I 5,5-13. Die Aristotelesstelle s. Anm. 1 08. 101 Habitus, sonst das Ergebnis der Entfaltung der Anlagen, ist hier die keimhafte Gesamtanlage ; diese bringt als forma die Anlagen zur Ent­ wicklung und Vollendung ; forma ist also mit dem Habitus in diesem Sinne identism; habentium ist wohl soviel wie : derer, die die Habitus haben. 1 06

Teil I, Kapitel VII

5

to

15

20

25

36

?1

erreichen, wie I 4 und I 5105 gezeigt worden ist ; daher hat die Natur selbst bei der Erzeugung der Menschen diese Unter­ schiedlichkeit begründet und sie in ihren natürlichen Anlagen hervorgebracht mit Eignung und Neigung teils zum Acker­ bau, teils zum K riegsdienst, teils zu den anderen Gattungen von Fertigkeiten und wissenschaftlichen Disziplinen, die einen zu dieser, die anderen zu jener. Nicht nur ein einziges Indivi­ duum hat sie auf e i n e Art von Fertigkeit oder Formung des Geistes angelegt106, sondern sehr viele von ihnen für dieselbe, wie es die Notwendigkeit eines befriedigenden Zustandes forderte. Manche hat sie mit der Anlage zur Klugheit ge­ schaffen - denn aus den Klugen im Staate muß man den richterlichen Bestandteil und den beratenden bilden -, manche mit Kraft und Kühnheit - denn aus solchen wird zweckmäßig der K riegerstand geschaffen. So hat sie auclt die übrigen Menschen für die Gattungen der theoretischen und praktischen Habitus vorbereitet, die zum Leben und G u t - leben notwendig und zweckmäßig sind, um in allen zugleich je nach der Verschiedenheit der angeborenen Neigungen für die verschiedenen Gattungen und Arten der Habi­ . tus eine Vervollkommnung hervorzubringen, was not­ wendige Voraussetzung für die verschiedenen Bestandteile des Staates war. - Die materialen Ursachen der Berufsstände des Staates aber, soweit man die Berufsstände Bestandteile des Staates nennt, sind schon fast klar. Denn diese sind Men­ schen, die einen Habitus gewonnen haben durch die verschiedeneu Gattungen und Arten von Fertigkeiten und Disziplinen und aus denen die verschiedenen Stände oder Bestandteile im Staate gebildet werden, um des Endzwecks, eines befriedigenden Lebens willen, wie es aus ihren Fertig­ keiten und Disziplinen hervorgeht ; so nennt man im eigent­ lichen Sinne die Bestandteile des Staates Berufe, ja geradezu Dienste ; denn als Einrichtungen des Staates betrachtet, sind sie zum Dienst am Menschen bestimmt. § 2 Die f o r m a l en Ursachen der Berufsstände des Staates nun als Habitus107 des menschlichen Geistes sind nicht ver­ schieden von derartigen Habitus ; denn diese sind Formen ihrer Träger, welche die angeborenen menschlichen Neigun­ gen abschließen oder zur Vollendung führen. Daher sagt

72 .

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

Politice, capitulo finali : Omnis ars et disciplina quod deficit nature vult supplere. Formales autem officiorum cause, secundum quod instituta et partes civitatis, sunt precepta moventis cause, hiis tradita seu impressa, qui deputantur in civitate ad determinata opera exercenda. 10 § 3. Moventes quidem igitur cause seu factive officiorum, ut anime nominant habitus, sunt mentes et voluntates homi­ num per suas cogitaciones et desideria divisim aut coniunc­ tim indifferenter. Et quorundam eciam cum hiis principium t 5 est motus ·et exercicium corporalium organorum. lpsorum vero causa efficiens, secundum quod partes sunt civitatis, est humanus legislator frequenter et in pluribus, licet olim raro et in paucissimis cuiusdam aut quarundam causa movens immediata fuerit Deus absque humana determinacione, sicuti 9° huius dicetur, et 1 2° et 1 5° *2e* de hiis amplius appare­ 20 bit. De sacerdocio vero diversa quedam institucionis est racio, de qua 1 5° et 1 7° *secunde* dicetur utique sufficienter. De partibus itaque civitatis ipsarumque institucionis ne­ cessitate a reliquis trium causarum generibus, determinatum 25 sit hoc modo. C A P I T U L UM VIII

D e g e n e r i b u s p o l i c i a r u m s i v e r e g i m i n u m, t e m p e r a t o et viciato, et suarum specierum divisione. ;o

37

Quoniam autem i n prioribus monstraturn ef?t aliqualiter, monstrandum tarnen cercius institucionem et distinccionem parcium civitatis ab aliqua movente causa :fieri, quam pridem legislatorem diximus ; quodque legislator idem has partes t os Ar. Pol . IV (Rolfes VII) 1 7 Ende

1337 a, 1 : :rr:aaa yae rixv'IJ xal :rr:a tr'Je{a Ta :rr:e oa.l.ei:rr:ov •iis qn5aews ßovAeTat dva:rr:A'Y}QOifv. TEXV'IJ xal :rr:au5da übersetzt Rolfes mit : Kunst und Lehre. to9 I 9,2. u o vielmehr I 12,1 u . I 1 5,8-14 (Einsetzung der Stände durch die Regie­ rung nach den Richtlinien des Gesetzgebers ) . Beachte den Text von L. 1 1 1 II 15,1-5 primäre, II 1 5,6-9 und II 17 sekundäre ·Einsetzung; causa efficiens des Priestertums als Habitus ist Gott, als Stand der mensch­ liche Gesetzgeber, vgl. II 15,2. u 2 Vg'L Vo ; utique mit Fut. Pot. (a.11) . 1 1 3 quoniam obgleich, vgl. Vo. 1 1 4 I 7,3. =

=

Teil I, Kapitel VIII

5

?3

Aristoteles in der Politik im Schlußkapitel von B . 71 08 :

.Jede Kunst und Lehre mill ergänzen, mas an der Natur fehlt. - Die

formalenUrsachen aber für die Berufsstände als Einrichtungen und Bestandteile des Staates sind Anordnungen der bewegen­ d en Ursache, die sie denen gibt oder einprägt, die bestimmt werden, um im Staate bestimmte Tätigkeiten auszuüben. 10 § 3 B e w e g e n d e oder b e w i rk e n d e Ursachen für die Be­ rufsstände als Habitus der Seele sind Verstand und Wille der Menschen durch ihre Gedanken und Strebungen, die getrennt oder vereinigt wirken ; das macht keinen Unter­ schied ; und das Grundprinzip mancher Berufsstände ist außerdem auch die Bewegung und Betätigung der körper15 liehen Organe. - Ihre bewirkende Ursache aber, soweit sie Bestandteile des Staates sind, ist häufig und in den meisten Fällen der menschliche Gesetzgeber, mag auch in der Urzeit - selten und in sehr wenigen Fällen - für einen oder einige Bestandteile unmittelbare bewegende Ursache Gott gewesen sein ohne Bestimmung durch einen Menschen, wie I 9109 gesagt zo werden wird, und II 12 sowie II 151 10 soll darüber gerrauere Aufklärung gegeben werden. Beim Priestertum aber gibt es eine ganz verschiedt)ne Art der Einsetzung, über die II 15 und I I 1 ?'111 wohl112 genügend gesprochen werden wird. über die Bestandteile des Staates und die Notwendigkeit ihrer Einsetzung, soweit sie aus den übrigen drei Gattungen der Ursachen hervorgeht, sei daher in dieser Weise die Erörte25 rung abgeschlossen. K A P I T E L VIII

D i e b e i d e n G a t t u n g e n d e r S t a a t s - o de r R e g i e r u n g s ­ f o rm e n , d i e g e m ä ß i g t e u n d d i e e n t a r t e t e, u n d d i e E i n ­ teilung ihrer Arten. 30

3?

§ 1 I m vorstehenden ist es zwar11 3 schon einigermaßen bewiesen worden, es muß jedoch noch bestimmter bewiesen werden, daß die Einsetzung und Unterscheidung der Bestand­ teile des Staates von einer bewirkenden Ursache vorgenom­ men wird, die wir soeben114 Gesetzgeber genannt haben ; weil derselbe Gesetzgeber diese Bestandteile einsetzt, unterscheidet

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

statuit, distinguit et separat instar animalis nature, formando scilicet primum seu instituendo in civitate partem unam, quam principantem seu iudicialem diximus 5° huius, per hanc vero reliquas, ·ut declarabitur amplius ,1 5° huius : con­ venit propterea nobis primum aliquid dicere de natura partis illius. Cum enim sit aliarum prima, ut ex sequentibus appat o rebit, ex ipsius efficiencie manifestacione priori convenien­ ter ingrediemur ad manifestacionem institucionis et distinc­ cionis active reliquarum parcium civitatis. § 2. Sunt autem principative partis seu principatuum genera duo, unum quidem bene temperatum, reliquum vero viciatum. Voco autem bene temperatum genus cum Aristo1 5 tele 3° Politice, capitulo 5°, in quo dominans principatur ad commune conferens secundum voluntatem subditorum ; vici­ atum vero, quod ab hoc deficit. Horum rursum generum utrumque dividitur in tres species : primum quidem, tempe20 ratum scilicet, in regalem monarchiam, aristocraciam et poli­ ciam ; reliquum vero, viciatum scilicet, in tres oppositas spe­ cies dividitur, tyrampnicam monarchiam, oligarchiam et democraciam. Et unaqueque rursum harum specierum modos habet, de quibus presentis negocii non est exquisite tractare. 25 De hiis enim sufficienter tradidit Aristoteles 3° et 4° sue Poli­ tice. § 3. Ad habendam vero ipsarum ampliorem noticiam, que necessaria est aliqualiter propter sequencia declaranda, unamquamque dictarum principatus specierum iuxta inten38 cionem Aristotelis describamus, dicentes primum, quod rega­ lis monarchia est temperatus principatus, in quo dominans est unicus ad commune conferens et subditorum voluntatem sive consensum. Tyrampnis vero illi opposita est principatus 5 viciatus, in quo dominans est unicus ad conferens proprium, preter voluntatem subditorum. Aristocracia est principatus temperatus, in quo dominatur honorabilitas sola, iuxta subdi5

us

Der Regent setzt die übrigen Stände ein und unterscheidet dabei die Stände wie die dafür geeigneten Menschen. 1 1 9 Ar. Pol. III ? naeaßdaeu;. 12?9, 22 ff. : noAtreiat oeDaf 1 2 0 Scholz 3? Anm. 2. Aber Susemihl VI Rolfes IV. -

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Teil !, Kapitel VIII

75

und trennt, wie die Natur mit einem Lebewesen verfährt, indem er zunächst im Staate einen einzigen Teil bildet oder einsetzt, den wir I 5115 regierenden oder richterlichen Bestand­ teil genannt haben, durch diesen aber die übrigen, wie I 1 5 1 1 6 gründlicher geklärt werden soll, deswegen müssen wir zu­ nächst etwas von der Natur des regierenden Bestandteils sagen. Da er nämlich der erste von allen ist, wie aus dem Folgenden117 sich ergeben wird, so werden wir zweckmäfliger1 0 weise erst seine Wirksamkeit < im ganzem klarstellen und dann darangehen klarzustellen, wie die Einsetzung und Unterscheidung11 8 der übrigen Bestandteile des Staates vor sich geht. § 2 Es gibt zwei Gattungen des regierenden Bestandteils oder der Regierungsform, erstens die gut gemäßigte, zweitens 15 die entartete. Ich nenne mit Aristoteles Pol. B. 3, K ap. 5119 gut gemäßigt die Gattung, in der der Herrschende die Führung zum Nutzen der Allgemeinheit ausübt nach dem Willen der Untertanen, entartet diejenige, die davon abweicht. Jede Gattung zerfällt wieder in drei Arten : die erste, die gemäßigte, zo in die königliche Monarchie, die Aristokratie und die Politie, die andere, die entartete, in di� drei entgegengesetzten Arten : die tyrannische Monarchie, die Oligarchie und die Demokra­ tie. Jede von diesen Arten hat wieder Abarten, die gründlich zu behandeln gegenwärtig nicht unsere Aufgabe ist. über 1 20 zur Genüge 25 diese hat sich nämlich Aristoteles Pol. B. 3 und 4 ausgesprochen. § 3 Um eine genauere Kenntnis von ihnen zu erhalten, die notwendig ist, um das Folgende einigermaßen verständlich zu machen, wollen wir jede der genannten Staatsformen ent­ sprechend der Auffassung des Aristoteles beschreiben und 38 zunächst sagen : Die königliche Monarchie ist eine gemäßigte Staatsform, in der ein einziger zum Nutzen der Allgemeinheit und mit Willen oder Zustimmung der Untertanen herrscht. Tyrannis aber, ihr Gegenteil, ist eine entartete Staatsform, 5 in der ein einziger zum eigenen Nutzen wider den Willen der Untertanen herrscht. Aristokratie ist eine gemäßigte Staats­ form, in der die Oberschicht allein herrscht mit Willen oder 5

m

I 5,7 (24,6-7) .

1 1s

I 15,7

u.

1 1-2.

1 1 1 I 1 5,7

u.

14.

76

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

torum voluntatem sive consensum et commune conferens. Oligarchia vero illi opposita est principatus viciatus, in quo 10 dominantur aliqui diciorum seu pote�ciorum ad ipsorum conferens, preter subditorum voluntatem. Policia vero, licet in una significacione sit commune quiddam ad omne genus vel speciem regiminis seu principatus, in una tarnen ipsius significacione importat speciem quandam principatus tem15 perati, in quo civis quilibet participat aliqualiter principatu ve). consiliativo vicissim iuxta gradum et facultatem seu con­ dicionem ipsius, ad commune eciam conferens et civium voluntatem sive consensum. Democracia vero illi opposita est principatus, in quo vulgus seu egenorum multitudo statuit 20 principatum et regit sola, preter reliquorum civium volun­ tatem sive consensum, nec simpliciter ad commune conferens secundum proporcionem convenientem. § 4. Quis autem bene temperatorum principatuum sit opti25 mus, aut quis viciatorum pessimus, de reliquorum quöque ordine in bonitate vel malicia dicere non habet presentem speculacionem. Hec tarnen de principatuum divisione in suas species, ipsarumque descripcione dixisse sufficiat. C A P I T U L U M IX

39

D e m o d i s i n s t i tu e n d i r eg a l e m m o n a r,c h i am e t p e r f e c c i o n i s a s s i g,n a c i o n e , d e m o d i s q u o q u e i n s t i t u e n d i r e l i q u a r e g i m i n a s e u p o l i c i a s t a rn temperatas quam viciatas. Determinatis autem hiis, consequens est dicere de modis efficiendi seu instituendi partem prin cipantem. Ex ipsorum namque natura meliori vel deteriori, provenientibus hinc civili regimini tamquam accionibus, arguere oportet causam 122

Der Sinn verlangt, daR nec vor secundum wiederhoH wird ; in H ist es eingesetzt. 123 nämlich der Rechte der einzelnen Bevölkerungsschichten, vgl. 63,23, Scholz 64 Anm . 1 . 124 1 1 ,7 u. 9 Ende (die Wahl) .

Teil I, Kapitel IX

, ,

Zustimmung der Untertanen und zum Nutzen der Allgemein­ heit. Oligarchie aber, ihr Gegenteil, ist eine entartete Staats10 form, in der einige der Reichsten oder Mächtigsten herrschen zum eigenen Vorteil - wider den Willen der Untertanen. Politie ist zwar in der e i n e n Bedeutung ein allgemeiner Ausdruck für jede Gattung oder Art der Regierungs- oder Staatsform, meint jedoch in einer anderen Bedeutung eine bestimmte Art der gemäßigten Staatsform, bei der jeder Bürger irgendwie 15 an der Staatsform oder am Rat wechselweise je nach seiner sozialen Stellung, seiner Fähigkeit oder wirtschaftlichen Lage121 teilhat, auch zum Nutzen der Allgemeinheit und mit Willen oder Zustimmung der Mitbürger. Demokratie aber; ihr Gegenteil, ist eine Staatsform, bei der das niedere Volk oder die Masse der Armen die Staatsleitung bestimmt und 20 allein regiert ohne Willen oder Zustimmung der übrigen Bürger und nicht schlechthin zum Nutzen d((r Allgemeinheit noch122 in der richtigen Abstufung123• § 4 Welche von den gutgemäßigten Staatsformen die beste 25 ist oder welche von den entarteten die schlechteste und was die Rangordnung der übrigen nach ihren guten oder schlech­ ten Eigenschaften ist, darüber zu sprechen gehört nicht zur gegenwärtigen Betrachtung. Soviel jedoch mag für die Ein­ teilung der Staatsformen in ihre Arten und deren Beschrei­ bung genügen. KA P I T E L IX

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D i e Ve r f a h r e n b e i d e r E i n s e t z u n g d e r k ö n i g l i c h e n M o n a r ch i e u n d d i e F e s t s t e l l u n g , w e l c h e s das v o l l ­ k o m m e n s t e i s t 12 4 , u n d d i e Ve r f a h r e n b e i d e r E i n ­ setzung der ü b rigen Regierungs- oder Staat s formen, der gemäß igten wie der entarteten.

1o

§ 1 Nunmehr ist von den Verfahren bei der Schaffung oder Einsetzung des regierenden Bestandteils zu sprechen. Denn auf Grund der < Einsicht in die > bessere oder schlechtere Be­ schaffenheit dieser Verfahren, aus denen doch < im letzten Grunde > für die Regierung gleichsam die Handlungen hervorgehen, ist die bewirkende Ursache nachzuweisen, aus der 121

Vgl. Ar. Pol. VII (Rolfes VI) 4

=

1318 b, 27 ff.

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agentem, a qua tarn ipsi quam pars principans per ipsos ad policiam utilius habeant provenire. § 2. Verum quia de causis et accionibus, a quibus secun­ dum plurimum pars principans creari debet, intendimus in 1 5 hoc libro, antea volumus dicere modum et causam, per quem iam creata fuit pars hec, licet raro, ut hunc modum seu accio­ nem et ipsius causam immediatarn discernamus a modis seu accionibus et ipsarum immediatis causis, per quas huiusmodi pars regulariter et in pluribus creari debet, quas eciam hu20 mana demonstracione convineere possumus. Prioris enim modi per demonstracionem eerta comprehensio nequit haberi. Hic autem modus seu aeeio et ipsius immediata eausa, per quam formata est iam pars prineipans et relique partes eivitatis, preeipue saeerdoeium, fuit divina voluntas, imme25 diate hoc preeipiens alieuius singularis ereature oraeulo determinato aut per se solam immediate fortassis ; quo modo prineipatum lsraelitiei populi in personam Moysi et quorun40 dam aliorum iudieum post ipsum, saeerdoeium quoque in personam Aaron et ipsius suceessorum instituit. De qua si­ quidem eausa et ipsius aeeione libera tradere seu dieere, eur sie aut aliter nee sie esse aut fuisse factum, per demonstracio5 nem nee quiequam dieere possumus, sed simpliei eredulitate absque raeione tenemus. Alia vero est prineipatuum insti­ tueio, que seilieet ab humana mente immediate provenit, lieet a Deo tamquam a eausa remota, qui omnem prineipa­ tum terrenum eeiam concedit, ut Johannis 19° habetur, et 10 aperte dicit apostolus ad Romanos 1 3° et beatus Augustinus 5° De Civitate Dei, eapitulo 2 1 °, quod tarnen non est imme10

12s

Gott. Unmittelbar ist jede Einsetzung, die Gott selbst vollzieht, entweder durch eine weissagende Kreatur oder in eigener Person ; mittelbar ist die Einsetzung durcll einen Menschen. 1 2 s nec quicquam auch nicht etwas, steht für sich ; diese Negation (Sinn : nocll e t w a s ) ist unlogiscll und unlateiniscll , vielmehr grie­ chisch. 1 20 fuisse factum kann sich nur auf principatum beziehen. 1 3 0 J ob. 19,1 1 . 1 31 Röm. 1 3 , 1 . 1 32 Scholz 4 0 Anm. 3 . 1 21

=

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< die Verfahren > selbst wie durch sie der regierende Bestand­ teil so hervorgehen, wie es für den Staat am nützlichsten isU25 § 2 Aber weil wir uns in diesem Buche mit den Ursachen und Handlungen beschäftigen, die zumeist den führenden Bestandteil schaffen sollen, wollen wir zuvor ein Verfahren 15 und eine Ursache126 nennen, durch die dieser Bestandteil tat­ sächlich schon geschaffen worden ist, wenn auch selten, um dieses Verfahren oder diese Handlung und deren unmittel­ bare Ursache zu unterscheiden von d e n Verfahren oder Handlungen und deren unmittelbaren Ursachen, die einen derartigen Bestandteil in der Regel und in den meisten Fällen schaffen müssen und die wir auch mit menschlicher Beweis20 führung nachweisen können ; denn über das erste Verfahren kann man durch logischen Beweis keine Gewißheit erlangen. Diese Verfahrensweise aber oder Handlung und ihre un­ mittelbare12 7 Ursache, die schon den regierenden Bestandteil und die übrigen Bestandteile des Staates gebildet hat, vor allem das Priestertum, war der göttliche Wille, der dies 25 unmittelbar gebot durch eine bestimmte Weissagung eines einzelnen Wesens oder vielleicht auch unmittelbar durch sich selbst allein. Auf diese Weise hat der göttliche Wille die Führung des israelitischen Volkes auf die Person des Moses und gewisser anderer Richter nach ihm und das Priestertum 40 auf die Person des Aaron und seiner Nachfolger begründet. Von dieser Ursache und deren freier Tätigkeit nun können wir weder128 überliefern oder sagen, warum sie so oder anders ist, noch können wir über ihr Sosein oder ihr Gewordensein 1 29 durch logischen Beweis auch nur das Geringste ausmachen. 5 Sondern wir nehmen es in schlichter Gläubigkeit ohne ver­ standesmäßige Begründung hin. Anders aber ist die Ein­ setzung der Regierungen unmittelbar aus dem menschlichen Geiste, wenn auch aus Gott als der entfernten Ursache, der alle irdische Regierung auch verleiht, wie es bei Johannes im 1 0 1 9. Kap.130 heißt und der Apostel Paulus im Römerbrief im 13. Kap. 131 und der selige Augustin im Gottesstaat B. 5. Kap. 2 1132 mit klaren Worten aussprechen ; das erfolgt jedoch '

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Bewirkende Ursache ist der Gesetzgeber, das beste Verfahren die Wahl ; die Wahl ist somit letzte Ursache der Handlungen der Regie­ rung, auch insofern, als die Wahl den besten Mann an die Spitze bringt.

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diate semper, quinimo ut in pluribus et ubique quasi hos sta­ tuit per hominum mentes, q uibus talis institucionis concessit arbitrium. Et de hac causa que sit, aut quali accione talia 15 debeat instituere, ex meliori aut deteriori ad policiam, potest per humanam certitudinem assignari. § 3. Omisso itaque modo quem per demonstracionem certi­ ficare non possumus, modos institucionum principatus per humanam voluntatem immediate factos narrare volumus 20 primum ; deinde vero monstrabimus ipsorum cerciorem at­ que simpliciorem ; postmodum vero ex illius modi natura meliori, arguemus causam moventem, a qua provenire solum­ modo debet et potest. Ex quibus eciam apparebit consequen­ ter causa movere debens ad institucionem optimam et deter25 minacionem reliquarum parcium civitatis. Demum vero dice­ mus de principatus unitate, propter quam apparebit eciam, que sit unitas civitatis aut regni. § 4 . Prosequentes itaque proposita primum enumerabimus modos institucionis regalis monarchie, loquendo scilicet in ipsorum origine. Species enim hec principatus videtur quasi 5 connata nobis et propinqua statim domestice yconomie, ut apparet ex dictis capitulo 3°. Post huius vero determinacio­ nem apparebit consequenter de modis institucionis reliqua­ rum divisionum principatus. Sunt autem modi sive insti­ tuciones regalis monarchie numero quinque secundum 1 0 Aristotelem 3° Politice, 8° capitulo. Unus quidem, cum mon­ archia statuitur ad aliquod unum opus determinatum, circa regimen communitatis tarnen, ut ducaturn exercitus, sive cum generis successione sive pro solius unice persone periodo ; quomodo instituebatur dux exercitus Agamemnon a Grecis. 15 Vocatur autem officium hoc in communitatibus modernis capitaneatus aut constabiliaria. Hic vero exercitus dux de 1 35

138

legislator = I 1 2-13. Gesetzgeber und Regent oder Regierung I 1 5 , 8-12. I 17,1-10. I 17,1 1-12.

1 41

Es folgt ein Exzerpt aus Ar. Pol. III 14.

1 36

1 37

1 39 statim ? 14o I 3,4.

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nicht immer unmittelbar, vielmehr in den meisten Fällen und fast überall bildet Gott die Regierungen durch den Geist der Menschen, denen er die Entscheidung über eine solche Ein­ setzung überlassen hat. Welches diese Ursache ist und mit 15 welcher Handlung sie solche < Gewalten > einsetzen muß, kann durch menschlichen Gewißheitsbeweis aus dem, was für den Staat besser oder schlechter ist, festgestellt werden. § 3 Wir wollen daher das Verfahren übergehen, das wir durch logischen Beweis nicht sichern können, und d i e Ver­ fahren bei der Einsetzung der Regierung, die der menschliche 20 Wille unmittelbar geschaffen hat, zunächst einmal 133 schil­ dern, dann werden wir das sicherste und einfachste134 auf­ zeigen. Danach weisen wir aus der besseren Beschaffenheit dieses Verfahrens die bewegende Ursache135 nach, aus der es allein hervorgehen mu.ß und kann. Daraus wird auch dann die Ursache 1 38 deutlich werden, die auf die beste Form der 25 Einsetzung und Bestimmung der übrigen Bestandteile des Staates hinwirken mu.ß. Endlich sprechen wir von der Einheit der Regierung137, durch die sich auch klar ergeben wird, was Einheit der Stadt öder des Staates138 ist. § 4 Wenn wir nun unserem Thema weiter nachgehen, so werden wir zunächst die Verfahren bei der Einsetzung der königlichen Monarchie aufzählen ; so knüp fen wir nämlich an den Ursprung dieser Verfahren an ; denn diese Regierungs­ form scheint uns gleichsam verwandt mit der Verwaltung 5 einer Familie und mit ihr ganz139 verknüpft zu sein, wie aus dem in I 3 1 40 Gesagten hervorgeht. Nach deren Bestimmung aber wird sich dann Klarheit ergeben über die Verfahren bei der Einsetzung der übrigen Arten der Regierung. Nach Aristoteles Pol. B. 3, Kap. 8 1 4 1 gibt es fünf Arten oder Einsetzungsformen der königlichen Monarchie. Bei der einen 1 0 wird die Monarchie für eine bestimmte Aufgabe eingerichtet im Hinblick auf einen Teil der Staatsleitung, z . B. für die Führung des Heeres, entweder mit Erbfolge oder auf Lebenszeit einer einzigen Person ; so setzten die Griechen 15 Agamemnon als Führer des Heeres ein. Dieses Amt heißt in den modernen Gemeinschaften capitaneatus oder consta­ biliaria. Dieser Heerführer mischte sich aber in kein Gerichts133 I 9,4--8. t 34 Wahl = I 1 1 .

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nullo se intromittebat iudicio tempore paeis ; exereitu tarnen militante, dominus erat oeeidendi aut aliter puniendi trans­ gressores. 20 Alius autem modus est, quo quidam monarche in Asia prin­ eipantur, habenies dominia ex predeeessoribus per sueees­ sionem, seeundum Iegern tarnen, ad monarche eonferens magis quam ad eommune simplieiter, quasi despotieam. Sus­ tinent enim habitatores illius regionis talem prineipatum 25 nihil eontristati, propter ipsorum barbaram et servilem na42 turam et eonsuetudinis auxilium. Hie siquidem prineipatus regalis est, quia patrius et voluntariis subditis, ut quia primi habitatores fuerant regionis preeessores monarche ; aliquali­ ter tarnen tyrampnieus, propter non esse ipsius Ieges ad eom­ mune eonferens simplieiter, sed monarehe. 5 Tereius vero modus regalis prineipatus est, euro quis prin­ cipatur electus, non ex successione patria seu paterna, secun­ dum tarnen legem que non est ad eommune conferens simpli­ citer, sed monarche magis, quasi tyrampnicam. Propier quod eciam vocavit Aristoteles ibidem hanc speeiem principatus 1 0 electam *tyrampnidem-:', tyrampnidem quidem propter legis despociam, electam quidem propterea, quod non erat subditis involuntaria. Quartus autem modus est, quo per eleccionem instituitur aliquis princeps euro omni sui generis successione secundum t 5 Ieges que sunt simpliciter ad commun e conferens. Et hoe ute­ bantur seeundum heroica tempora, ut dieit *Aristoteles* ibi­ dem. Voeata vero sunt ea heroica tempora, vel quia tune eon­ stellaeio tales homines producebat1 qui heroes, id est divini, 20 credebantur propter virtutis exeessum, aut quia tales statue­ bantur principes, non alii, propter virtutum et suorum bene­ ficiorum excessum, ut quia sparsam multitudinem eollegerunt et in communitatem eivilem congregaveruqt, vel quia per pugnam et armorum strenuitatem liberaverunt regionem ab 25 opprimentibus, aut quia fortasse regionem emernnt vel alio 1 42 Ar. Pol. 1 4 3 Ar. Pol. 144 Ar. Pol .

III 1 4 I I I 14 IJI 1 4

=

=

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1 285 a . 22 : ovaxreatvovu:r;. 1 285 a, 3 1 f. 1 285 b, 4-5.

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s;

verfahren in Friedenszeiten ein ; stand das Heer jed och im Felde, so war e r Herr über Leben und Tod und jede sonstige Bes t ra fung von Vergeh en. 20 Die zweite Art ist die der Mon archen in Asien : S i e haben die Herrschaft von den Vorgängern du rch Erb folge, sie h e r r­ ch e n _j edoch nach einem mehr z u m Vorteil des Monarchen als dem der Gemeinschaft schlechthin dienenden, geradezu des­ potischen Geset z. Die Bewohner jenes Landes ert ragen näm­ lich eine solche R egierung ohn e Unwillen142 wegen i h res 2 ; barbarischen und knechti schen C harakters und wegen d er Macht der Gewohnheit. Diese Verfassung ist zwar kö nig­ 42 l i ch - sie ist ererbt, und die Untertanen sind einverstanden : d i e ersten Bewohner des Landes sind ja die Vorgänger des Monarchen gewesen -, jedoch in gewissem Sinne ty rannisch, wei l ihre Gesetze n icht schlechthin dem Nutzen der Allge­ meinheit dienen, sondern dem des Monarchen. 5 Eine dritte Art des K önigtums liegt vor, wenn ein Er­ wäh lter regiert, nicht k raft Erbrech t s der Familie oder als Sohn seines V atcrs, .i edoch nach einem Gesetz, das nicht schlech th i n z u m Nutzen der Allgemeinh eit da ist, sondern viel m e h r zu dem des Monarchen, einem geradezu tyran­ n ischen Geset z . Deswegen hat auch Ari stoteles143 eb enda t o diese Staats form eine auf Wah l beruhende Tyrannis genannt : Tyran nis wegen des despotischen Charakters des Gesetzes, auf Wahl beruhend, weil sie den Untertanen nicht wider ihren Willen au fgezwungen ist. Bei der vierten A rt wird du rch Wah l irgendeiner als Herrscher eingesetzt mit der Erb folge seines ganzen Geschlech ts tes nach Gesetzen, die schlechthin zum Nutzen der Allgemein­ heit da sind, u n d diese Art war üblich w �ih rend der hero­ ischen Zeiten, wie Aristoteles ebenda144 sagt. Gen annt wurden sie heroisch e Zeiten entweder, weil damals der Stand der Gestirne solch e Menschen hervorbrachte, die man fü r Heroen, d. h . göttliche Wesen, hielt wegen des ungewöh nlichen Maßes 20 ihrer Tüchtigkeit, oder weil man solche zu Herrschern C' i n ­ setzte, nicht andere, wegen d e s ungewöhnlichen Malles ihrer grollen Eig·enschaften u n d ihrer Leistungen : sie h aben ja die zerstreute Menge gesammelt und zur staatlichen Gemein­ schaft zusammengeschlossen oder durch K a m p f und die 2 5 K r a ft der Waffen das Land von Unterdrückern be freit oder ,,

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eonvenienti modo aequisiverunt et inter subditos diviserunt. Et ad unum dieere : propter magni benefieii eollaeionem aut alterius virtutis exeessum ad reliquam multitudinem instituti fuerunt hii prineipes eum sua posteritate seu sueeessione tota, sieut eeiam dixit Aristoteles 5° Politice, eapitulo 5°. 5 Sub hae autem monarchie speeie fortasse eomprehendit Aristoteles eam, ad quam quis eligitur pro sola sui periodo vel parte periodi, vel eam feeit nos intelligere per hane et voeatam tyrampnidem dectam, eo quod utrique participet. Quintus vero modus est et fuit, quo principans statuitur 10 omnium dominus eorum que sunt in communitate, sie se­ eundum suam voluntatem realia et personaHa disponens, quemadmodum yeonomus pro voto disponit de hiis que in propria domo sunt. § 5. Quod tarnen, ut hee Aristotelis dicta manifestentur 15 amplius, et eeiam modi omnes instituendi reliquos prineipa­ tus ad eapitulum redueantur, dieemus, quod omnis prineipa­ tus vel est voluntariis subditis vel involuntariis. Primum est genus b ene temperatorum principatuum, secundum vero 20 vieiatorum. Distinguitur autem utrumque horum generum in tres speeies sive modos, sieut dieturn est 8° eapitulo. Et quon­ iam una speeierum bene temperati prineipatus, et fortasse perfeeeior, est regalis monarchia, ideoque premissa reeol­ ligentes ab illius modis inchoemus sermonem, dieentes, quod 25 rex seu monarcha vel instituitur per eleccionem incolarum seu civium, aut absque ipsorum eleecione rite obtinuit prin­ eipatum. Si absque civium eleecione, vel sie est, quia primus inhabitavit regionem aut ipsius predeeessores, ex quibus 44 traxit originem ; vel quia terram et iurisdiecionem emit, aut ipsam iusto bello aequisivit, aut alio quovis licito modo, puta dono sibi de ipsa facto propter impensum servieium. Par­ tieipat autem quilibet dictarum modorum tanto amplius de 43

145 14 6 t 47 148 14 9

Ar. Pol. VIII (Rolfes V) 1 0 = 1 3 1 0 b, 10, 12 u. 3 1 --40. Marsilius vermif!t bei Aristoteles die Wahlmonarchie mit Wahl auf Lebenszeit ; vgl. 42,10. "Beide" meint die dritte und vierte Abart. zu quod vgl. Vo. Das Exzerpt ist zu Ende, modus heif!t wieder Verfahren. I 8,2.

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vielleicht das Land gekauft oder auf eine andere einwand­ freie Weise erworben und unter die Untertanen verteilt ; um 43 es mit einem Wort zu sagen : Wegen der Gewährung einer großen Wohltat oder wegen des ungewöhnlichen Maßes ihrer sonstigen Leistung für das Volk hat man diese als Herrsch er eingesetzt mit der ganzen Nachkommenschaft oder Erbfolge, wie es auch Aristoteles Pol. B. 5, K ap. 5 1 4 5 gesagt hat. Zu 5 dieser Art der Monarmie zählte Aristoteles vielleicht die Monarchie nur auf Lebenszeit oder auf einen Teil davon, oder er bezeichnete sie durch eine Verbindung dieser vierten Art mit derjenigen, die auch wählbare Tyrannis heißt, weil sie Merkmale von beiden trägt. 146 Die fünfte Art ist und war die, durch die ein Herrscher 1 0 eingesetzt wird als Herr über alles, was in der Gemeinschaft vorhanden ist, und so über Personen und Sachen frei verfügt, wie ein Hausvater beliebige Verfügung hat über sein ganzes eigenes Hauswesen. § 5 Um147 jedoch diese Ausführungen des Aristoteles noch 1 5 klarer zu machen und auch alle Verfahren148 bei der Einstel­ lung der Regierung kurz zusammenzufassen, wollen wir sagen : Jede Staatsform besteht entweder mit dem Willen der Untertanen oder gegen ihren Willen. Die erste ist die Gattung der gutgemäßigten Verfassungen, die zweite die der ent20 arteten. Jede Gattung gliedert sich in drei Arten oder Ab­ arten, wie in I 8149 gesagt ist. Da eine Art der gutgemäßigten Verfassungen und vielleicht die vollkommenste die königliche Monarchie ist, so wollen wir in Zusammenfassung des Vor­ getragenen mit dem Verfahren ihrer < Einsetzung > die Erörte­ rung beginnen, indem wir sagen : Der König oder Monarm wird entweder durch die Wahl der Einwohner oder Bürger 25 eingesetzt oder hat ohne deren Wahl rechtmäßig die R egie­ rung erlangt. Wenn ohne Wahl durch die Bürger, dann ist es so, entweder weil er zuerst das Land bewohnt hat oder seine Vorgänger, von denen er abstammt, oder weil er das Land 44 und die Rechtsprechung gekauft oder durch einen gerechten Krieg oder auf irgendeine andere erlaubte Weise erworben hat, z. B. durch eine Schenkung, die ihm wegen einer bedeutenden Leistung gemacht worden ist. Jede der genann­ ten Arten steht der wahren königlichen Monarchie um so

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vero regali, quanto magis est ad subditos voluntarios et se­ cundum Iegern latam ad commune conferens subditorum ; tanto vero amplius tyrampnidem sapiens, quanto magis exit ab hiis, consensu videlicet subditorum et lege ad ipsorum commune conferens instituta. Unde 4° Politice, 8° capitulo t o seribitu r : Erant autem propterea quod secundum legem regales, monarchie scilicet, et quia monarchizabant volun­ tariis; tyrampnice autem, propter despotice principari et secundum suam sentenciam, monarcharum scilicet. Hec igitur duo predicta principatum temperatum et viciosum 1; separant, ut apparet ex Aristotelis aperta sentencia, simpli­ eiter autem aut magis subditorum consensus. Quod si mon­ ardw principans per eleccionem incolarum fuerit institutus, Jwc fieri convenit aliquo horum modorum, quoniam vel insti­ tuitur cum sua tota posteritate seu successione, vel non. 20 Si enim non instituitur cum omni posteritate, hoc contingit plu ribus modis, quoniam vel instituitur pro tota unius vita tantummod o, vel pro unius et alicuius sui successoris unius aut plurium ; vel non instituitur ad vitam totam alicuius, nec primi nec successorum, sed solummodo pro aliqua parte tem2 5 poris terminata, ut annali aut biennali, longiori vel bre­ viori ; et rursum vel ad omne iudiciale officium exercendum, vel ad solum unicum, velut exercitus dux. § 6. Conveniunt autem et differunt monarche regales electi cum non electis, quoniam utrique voluntariis principantur. Differunt autem, quoniam ut in pluribus non electi princi5 pantur subditis minus voluntariis, et ipsos disponunt legibus minus politicis ad commune conferens, quales pridem bar­ baricas diximus. Electi vero magis voluntariis presunt, eosque disponunt legibus politicis magis, quas dixi mus latas ad commune conferens. 5

45

15o

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152

A r. Pol . VI (Rolfes I V) 10 = 1 295 a, 1 5-17. enim = nämlieh ist 'unlogiseh ; L hat Ye ro . 4 1 ,23 ff.

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5 näher, je mehr sie mit dem Willen der Untertanen besteh t

und nach einem Gesetz, d a s zum gemeinsamen Nutzen der Untertanen gegeben ist ; um so mehr aber riecht sie nach Tyrannis, je mehr sie davon abweicht, nämlich von dem Ein­ verständnis der Untertanen und einem Gesetz, das zu ihrem gemeinsamen Nutzen gegeben ist. Daher heißt es Pol. B . 4, to Kap . 8 1 5 0 : Sie roaren aber deswegen, roeil sie naCh dem Gesetz , königliChe, Monarchien nämlich, und roeil sie

monarChisCh regierten mit dem Einverständn is < der Un ter­ tanen > , tyrannische aber, roeil sie despotisCh regierten und nach ihrem eigenen Sinn, nämlich dem der Monarchen. Diese beiden eben genannten < Merkmale > scheiden also die ge­ mäßigte und die entartete Regierungsform, wie aus des t 5 Aristoteles deutli�h ausgesproch ener Meinung h ervorgeh t ; das schlech thin < entscheidende > oder wenigstens wichtigere Merk­ mal ist die Zu stimmung der Untertanen. Wenn aber der regie­ rende Monarch durch die Wahl der Einwohner eingesetzt wird, s o muß dies geschehen nach einem der folgenden Verfah ren : Entweder wird er eingesetzt mit seiner ganzen Nachkommenmit d er 20 schaft und Erb folge oder nicht. Wird er1 5 1 n i cht ganzen Nachkommenschaft eingesetzt, so ist dies möglich nach mehreren Verfahren : E n t w e d e r gilt die Einsetzung au sschließlich für seine Lebenszeit allein oder für seine Lebenszeit und die eines einzigen Nach folgers oder mehrerer Nach folger ; o d e r sie gilt nicht für die Lebenszeit eines Herr­ schers, weder des ersten noch der Nach folger, sondern nur für 2 5 einen b egrenzten Zeitraum, z . B . ein Jahr oder zwei J ahrc, eine l ängere oder kürzere Spanne, und ferner entweder für die Ausübung der gesamten richterlichen Gewalt oder nur für ein einziges Amt, z . B. das des Heerführers. 45 § 6 Die königlichen Monarchen, die gewählten und die nichtgewählten, stimmen darin überein, daß beide über wil­ lige Untertanen herrschen, sind aber darin verschieden, daß in den meisten Fällen die nichtgewählten über weniger willige 5 Untertanen h errschen und sie nach weniger politiemäfligen, d. h. w eniger zum Nutzen der Allgemeinheit < gegebenen > Ge­ setzen regieren, wie wir sie eben152 barbarisch genannt h aben . Die gewählten aber h errschen über willigere Untertanen, und regieren sie nach mehr politiemäßigen Gesetzen, von denen wir gesagt haben, sie seien gegeben zum Nutzen der Allgemeinheit.

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§ 7. Ex quibus patet, quod et in sequentibus amplius ap­ parebit, genus electum principatus prestancius esse non electo. Est quoque sentencia hec Aristotelis 3° Politice, 8° ca­ pitulo, quam induximus supra de hiis qui statuebantur circa h eroica tempora. Rursum hic modus institucionis in commu15 nitatibus perfectis permanencior est. N am omnes alios in hunc quandoque oportet reducere per necessitatem, non econverso, ut si generis successio defecerit, aut alia de causa :fiat genus ilhid importabile multitudini ab excessu malicie sui regiminis, '�oportet* tune multitudinem se convertere ad 20 eleccionem, que siquidem eleccio deficere numquam potest, generacione hominum indeficiente. Amplius, hoc solo modo institucionis habetur principans optimus. Nam eum expedit optimum esse illorum qui versantur in policia, debet enim regulare actus civiles omnium aliorum. § 8. Modus vero institucionis aliarum specierum principa25 tus temperati ut plurimum est eleccio, et quandoque in ali­ quibus sors absque generis successione continua. Viciatorum autem principatuum instituciones ut plurimum sunt fraus aut violencia vel utrumque. § 9. Quis vero principatuum temperatorum sit prestancior, an monarchia vel relique due species, aristocracia vel policia, et rursum monarchiarum, an electa vel non electa ; adhuc autem electarum, an ea que cum omni generis succes5 sione statuitur, aut in qua solus statuitur absque tali succes­ sione : que secatur in duas, ut eam scilicet que ad totam perio­ dum alicuius aut aliquorum, vel ad partem solam temporis terminatam, puta annalem, biennalem, longiorem aut brevio­ rem ; inquisicionem et dubitacionem radonabilern habet, 10 quamvis indubie tenendum secundum veritatem et Aristote­ lis apertarn sentenciam, eleccionem esse cerciorem regulam cuiuslibet principatus, ut in 1 2°, *16°* et 1 7° huius certifica­ bitur amplius. 10

·

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1 55 Logische Gedankenfolge : Denn da er das Handeln regeln soll, so . . 156 Scholz 45 Anm. 2. 1 57 I 1 2,7 und I 16 (Überlegenheit der Wahlmonarchie) . I 1 7 ?

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§ 'l Daraus ergibt sich, was auch im folgenden noch klarer werden wird, daß die auf Wahl beruhende Staatsform besser ist als die nicht auf Wahl beruhende. Dies ist auch die Mei­ nung des Aristoteles Pol. B. 3, Kap. 8153, die wir oben154 über die < Monarchen > der heroischen Zeiten angeführt haben. Ferner ist dieses Verfahren der Einsetzung in den vollkom15 menen Gemeinschaften beständiger. Denn alle anderen Ver­ fahren muft man manchmal aus Not in dieses umwandeln, nicht umgekehrt ; z. B. wenn kein Thronerbe da ist oder aus einem anderen Grunde, wenn jenes Geschlecht dem Volke irrfolge maßloser Bosheit seiner Regierung unerträglich wird, dann muß das Volk zur Wahl übergehen. Die Wahl kann 20 niemals versagen, da der Nachwuchs an Menschen nicht ver­ sagt. Weiter erhält man bei diesem Verfahren der Einsetzung allein den besten Herrscher ; denn es ist zweckmäßig155, daß er der beste Staatsbürger ist ; er soll ja das Handeln aller anderen im Staate regeln. § 8 Das Verfahren bei der Einsetzung der anderen Arten 25 der gemäßigten Regierung ist zumeist die Wahl, manchmal bei einigen das Los 156, ohne Erbfolge. Die entarteten Regie­ rungen werden meist durch Betrug oder Gewalt oder beides eingesetzt. § 9 Welche von den gemäßigten Verfassungen die beste ist, 46 die Monarchie oder die anderen beiden Arten, die Aristokra­ tie oder die Politie, ferner welche von den Monarchien, die gewählte oder die nichtgewählte, außerdem welche von den gewählten : die mit der Erbfolge des ganzen Geschlechtes oder die, bei der ein einzelner ohne solche Erbfolge eingesetzt wird 5 und die wieder in zwei Formen zerfällt : die Monarchie auf Lebenszeit nur eines einzigen oder auch einiger seiner Nach­ folger oder die für einen b estimmten Zeitraum, z. B. ein Jahr, zwei Jahre, einen längeren oder kürzeren, das alles verlangt eine durchdachte Untersuchung und Prüfung ; freilich muft 1 0 man zweifellos, wie es der Wahrheit und der klar ausge­ sprochenen Meinung des Aristoteles entspricht, daran fest­ halten, daß die Wahl die sicherste Regelung für jede Regie­ rung ist, wie in I 1 2, 16 und 1 ? 1 57 zu noch größerer Gewißheit erhoben werden soll. 1 sa Ar. Pol. III 1 4 1 285 b, 2. 1 54 I 9,4 42, 1 5 : Von Überlegenheit der Wahl ist dort nicht die Rede. 10

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§ 1 0. Hoc tarnen non ignorare debemus, quod alia et altera multitudo, in alia vel diversa regione ac tempore disposita est ad alteram et diversam policiam, aliumque aut alterum ferre principatum, ut dicit Aristoteles 3° Politice, capitulo 9°, que attendenda sunt a legum latoribus et principatuum insti­ tutoribus. Nam sicuti non quilibet homo dispositus est ad 20 optimam disciplinam, et propterea non ad illam acquiren­ dam statuitur a dirigente convenienter, sed ad quam, bona­ rum tarnen, magis fuerit preparatus, sie fortasse multitudo aliqua, quandoque aut in loco aliquo, non est disposita ferre optimum principatum, ideoque ad temperatorum sibi con25 venienciorem ipsam prius temptandum reducere. Ante enim 4? I ulii Cesaris monarchiam Romanus populus diu ferre noluit monarcham aliquem terminatum, nec cum generis succes­ sione, neque eciam ad totam unius solins monarche periodum. Quod siquidem contingebat illi fortasse propter heroicorum 5 et principativorum virorum multitudinem, tarn secundum genera seu cognaciones, quam secundum individua persona­ rum. § 1 1 . E x hiis igitur que [a] nobis determinata sunt, mani­ feste apparet, quod querenies quis monarcharum sit pret o stancior civitati vel regno, an qui per eleccionem vel qui per generis successionem principatur, inconvenienter interro­ gant et querunt. Sed oportet corrigentes querere primum, quis monarcharum sit prestancior, an electus aut non electus. Et si electus, rursum quis electorum, an qui cum omni sui 15 generis successione statuitur, vel qui absque generis succes­ sione. Quoniam licet non electus monarcha quasi semper principatum transmittat heredi, electus tarnen non omnis, sed is solum qui cum sui successione omni statuitur prin­ cipari. De modis itaque institucionis principatuum, et quoniam 20 ipsorum simpliciter prestancior est eleccio, determinatum sjt hoc modo. 15

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§ 1 0 Folgendes dürfen wir nicht übersehen : Das eine Volk in der einen Gegend und Zeit ist geneigt zu der eüien Staats­ form und zur Annahme der einen Regierung, das andere in einer anderen Gegend und Zeit zu einer anderen Staatsform, wie Aristoteles Pol. B. 3, Kap. 9 1 58 sagt. Das ist von Gesetz­ gebern und Begründern von Verfassungen zu beachten. Denn wie nicht .Jeder beliebige Mensch die Anlage zum besten Beru f 20 hat und deswegen von der Regierung zweckmäßig nicht be­ stimmt wird, ihn zu ergreifen, sondern wofür er - einen guten jedoch - besser geeignet sein mag, so ist vielleicht ein Volk ­ unter dem Einfluß von Zeit und Ort - nicht dazu veranlagt, d ie beste Regierungsform anzunehmen, und daher < geneigt > , sich 1 59 mit einer ihm angemesseneren unter den gemäßigten 2> zu begnügen, um sie zuvor auszuproben. Vor Julius Caesars 47 Monarchie nämlich wollte das römische Volk lange einen fest­ bestimmten Monarchen nicht ertragen, weder einen Erb­ monarchen noch einen lebenslänglichen Monarchen. Das er­ gab sich ihm vielleicht aus der Fülle der heroischen Männer 5 und der geborenen Führer, die es in ganzen Geschlechtern oder Sippen wie in Einzelpersönlichkeiten besaß. § 1 1 Aus unseren Ergebnissen geht also klar hervor : Wer die Frage aufwirft, welcher Monarch für Stadt oder Staat 1 0 vorzuziehen sei, der Wahlmonarch oder der Erbmonarch, stellt eine unklare Frage, vielmehr mußte er seine Frage schärfer formulieren und zuerst fragen, welcher Monarch vor­ zuziehen sei, der gewählte oder der nichtgewählte. Wenn der gewählte, muß er weiterfragen, welcher von den gewählten 1 5 vorzu ziehen sei, der Erbmonarch oder der ohne Erbfolge. Denn mag auch der nichtgewählte Monarch fast immer die Regierung dem Erben übergeben, so tut es doch der gewählte nicht in ,ledern Falle, sondern allein der Erbmonarch. über die Verfahren bei der Einsetzung der Regierungen und 20 die absolute Überlegenheit der Wahl mag so die Erörterung abgeschlossen sein. t5

1 58

Ar. Pol. III 1 4 = 1 284 b , 3 7-40, 1 285 a, 1 9-24. Dazu Scholz 46 Anm. 1 . für se, u m die Beziehung au f multitudo deutlich z u machen :

!59 i psam

s. Vo.

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CAPITULUM X

D e d i s t i n c c i o n e a c a s s i gn acione s ig n i f i c a t o r u m huius nominis lex, et ipsius p ropriissima et nobis intenta signi ficacione.

25

Quoniam autem eleccionem diximus perfecciorem atque prestanciorem modorum instituendi principatum, bene se habet inquirere illius effectivam causam, a qua scilicet se­ cundum complementum sue bonitatis habeat provenire. 48 Nam ex hoc apparebit eciam causa principatus electi et simi­ liter reHquarum parcium policie. Verum quia principatus regulare debet actus civiles humanos, ut demonstravimus 5 5° lmius, et secundum regulam, que forma est et esse debet principantis, inquantum huiusmodi inquirere oportet huius­ modi regulam, si est, quid est, et propter quid. Est enim for­ tassis eadem ip s ius effectiva causa, que principantis. § 2. Hanc itaque regulam, quam statutum vel consuetudi10 nem et communi nomine Iegern appellant, existere supponen­ tes, quasi per se notum ex induccione in omnibus perfectis communitatibus, primum ostendemus, quid sit, deinde vero ipsius finalem assignabimus necessitatem, demum autem 15 determinabimus per demonstracionem, cuius aut quorum et quali accione hanc statuere oporteat ; quod erit inquirere legislatorem seu causam agentem ipsius, ad quem eciam eleccionem principatuum pertinere putamus, et per demon­ stracionem in sequentibus ostendemus. Ex quibus eciam ap20 parebit materia sive subiectum regule supradicte, quam Iegern diximus. Nam hec est pars principans, cuius est secun­ dum Iegern regulare politicos seu civiles hominum actus. § 3. Ad dicta quidem igitur procedentibus, ne propter no­ minis multiplicitatem eveniat discolia, distinguere convenit significata huius nominis lex. Hoc enim 25 intenciones seu 1 60 161 162 16a 1 64 16s

I 5,7.

Vgl. Gewirth I 230 ff. I I I I

1 0,3-7. 1 1 , 1-3. , 12,3. Y 15,1-7.

Teil I, Kapitel X

93

KA P I T E L X ,

25

48

U n t e r s c h e i d u n g u n d F e s ts t e l l u n g d e r B e d e u t u n g e n d e s Wo r t e s G e s e t z u n d d e s s e n e i g e n t l i c h s i e u n d v o n uns gemeinte B edeutung.

§ 1 Nachdem wir die Wahl als das vollkommenste und beste Verfahren bei der Einsetzung der Regierung bezeichnet haben, ist es gut, die bewirkende Ursache der Wahl zu er­ forschen, aus der sie hervorgehen muß, wenn sie vollkommen sein soll ; denn daraus wird sich auch die Ursache der ge­ wählten Regierung ergeben und ähnlich die der übrigen Be­ standteile des Staates. Aber weil die Regierung das Handeln 5 der Menschen im Staate regeln muß, wie wir I 5 1 60 nachgewie­ sen haben, und zwar nach einer Regel, die die Form der Regierung als solcher ist und sein muß, so ist es erforderlich, eine derartige Regel zu untersuchen nach Existenz, Wesen und Zweck. Vielleicht ist nämlich ihre bewirkende Ursache dieselbe wie die des Regierenden. 161 § 2 Diese Regel nun, die man Satzung oder Gewohnheitst o recht oder mit einer allgemeinen Bezeichnung Gesetz nennt, existiert - so unterstellen wir als unmittelbar einleuchtend aus einer Induktion - in allen vollkommenen Gemeinschaf­ ten, und wir zeigen darum erst einmal ihr Wesen 1 62 auf, dann stellen wir ihre Zwecknotwendigkeit 163 fest, endlich bestimt 5 men wir durch logischen Beweis, welcher Einzelperson oder welcher Personen Tätigkeit und was für eine Tätigkeit diese R egel aufstellen muß. 1 64 Das bedeutet, nach dem Gesetzgeber oder der bewirkenden Ursache des Gesetzes zu forschen, dem auch die Wahl der Regierungen zukommt, wie wir glau­ ben und durch logischen Beweis im folgenden16 5 zeigen wer20 den. Daraus wird auch die Materie oder das Substrat der obengenannten Regel klar, die wir Gesetz genannt haben . Denn dies ist der regierende Bestandteil, dessen Aufgabe es ist, nach dem Gesetz das politische oder staatliche Handeln der Menschen zu regeln. § 3 Wenn wir also nach der Ankündigung vorgehen, so 25 empfiehlt es sich, die Sinnrichtungen oder Bedeutungen von Gesetz zu unterscheiden, damit nicht wegen der Vieldeutig­ keit des Wortes eine Schwierigkeit entsteht. Dieses Wort

94

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

nomen de numPro multiplicium diccionum importat in una

>o

49

ui significacione naturaiPm inclinaeionem sensitivam ad a ecionem aut passionem aliquam, quomodo vocavit eam apostolus ad Romanos :"0, eum dixit : Video autem aliam legem in membris meis, repugnantem legi mentis mee. In alia vPro ipsius aeet>peione dieitur hoe nomen lex de qu olibet hahitu operativo, et genpraliter de omni forma rei Operabilis

5

10

15

eA.istente in mente, a qua tamquam exPmplari sive mt>nsu ra forme artifieiatorum prowniunt, quomodo dicitur Ezechielis

41° : llec ergo est lex domus, iste autem mensure altaris. Tt'r­ eio vero modo sumitur lex pro regula continentl' monita h u ­ manorum act uum imperatorum, secundu m q u o d ordinantur ad gloriam vd penam in seculo venturo ; seeundum quam significacionem Iex Mosaica dida Pst Iex quantum ad aliquam sui partem ; sie quoque Iex evangPiica secundum se totam lex dicitur. rnde apostolus ad Hebreos de hiis ait : Translato Pn im sacerdocio, necesse est ut legis translacio fiat. Sie eciam dP diseiplina evangeliea lex dicitur Iaeobi 1 ° : Q u i autem pro-

spexerit in le1�em perfectam libertatis, et in ea permanserit etc., h ic beatus in facto suo erit. Hac eciam legis accepcione dicuntur Ieges omnPs secte, ut que �1achometi aut Persarum,

20

z;

'iecundum se totas aut aliquas sui partes, licet ex hiis �1osaica et evangelica, Christiana scilicet, sole eontineant veritatem. Sie eciam sectas Ieges vocavit Aristoteles 2° Philosophie, cum dixit : Quantam vim habeat quod consuetum est, leges osten­ dun t ; et in 1 2° eiusdem : Reliqua vero fabulose iam adducta :otunt ad persuasionem multorum ad leges et conferens. Qu arta autem importat hoc nomPn lex d famose magis seien-

1 7 0 Hehr. 7. 1 2 : pnan{}qdv1); 111

1 12 1 73

y{yvnw.

rij; [ der Apostel im Hebräerbrief170 : Mit der Um­

bildun� des Priestertums nämliCh mufl notroendigerroei.�e auCh eine Umbildun� des Gesetzes erfolgen. So wird auch d i e

evangelisch e Lehre Gesetz genannt b e i Jakobus im 1 . K ap . 171 : 15

20

25

Wer aber hinsChaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und in ihm bleibt, usw., der roird selig sein in seinem Tun .

Bei dieser A u f fassung von Gesetz werden Gesetze alle Reli­ gionen genannt, z . B . die Mohammeds oder der Perser an und für sich im ganzen oder in einigen Teilen, mögen auch unter ihnen das Mosaische und das evangelische, das christl ich e nämlich , allein d i e Wahrheit enthalten . So hat au ch Aristo­ teles die Religionen Gesetze genannt i n der Metaphysik B . 2172 mit den Worten : WelChen Einfluß die Gewohn heit hat, zeigen die Gesetze, und i n B. 1 2 1 7 3 desselben Werkes äu ßert er : Die übrigen Lehren sind dann in mythisCher Form

hinzugefügt morden, um das Volk zu den Gesetzen und zum NützliChen zu überreden. - Viertens meint Geset z , u n d zwar

166 Röm. 7,23 . 1 6 7 ß [or; neaxnx 6r; u. 1JEW(!1JTl:> , weil Theopomp sie wieder einschränkte, d. h. seine Gewalt verminderte, die vieHeicht übertrieben er­ schien, und unter anderem das Ephorenamt einsetzte ; denn er nahm zwar etwas von der Macht weg, nämlich seiner, 1 5 steigerte aber das Königtum an Zeit, d. h. gab ihm längere Dauer, und deshalb machte er es in gewissem Sinne nidd kleiner, sondern größer. Dies, d. h. diese Worte, soll er auch

1 16

�o

�5

62

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

verba, aiunt et ad uxorem respondisse ipsum, que, scilicet uxor, dixerat: Si nihil, id est si non, verecundaretur, minus regnum tradens filiis, quam a patre accepit? cui verba iam dicta respondit : Non oportet hoc dicere, trado enim diutur­ nius. 0 vox heroica, ex inaudita prudencia Theopompi pro­ cedens, et quam notanda hiis qui extra Ieges uti volunt pleni­ tudine potestatis in subditos ; quam inadvertentes multi prin­ cipancium corruerunt. Et nos quidem ex huius inadvertencia regnorum non minimum modernis temporibus quasi totum nutare vidimus, dum ipsius princeps quidam insolitam et preter Iegern voluit subditis exaccionem imponere. Sie itaque palam ex dictis, in policiis necessarias esse Ieges, si debeant simpliciter recte disponi, et principatus diucius permanere. C A P I T U L UM XII

10

n

De causa legum humanarum effectiva demonstra­ b i l i , et d e ea eciam, q u e p e r demonstr a c i o n em c o n ­ vinci non pot est ; quod est l egislatorem inquirere. Un d e eciam apparet, quod eleccione s o l a p re t e r alteram confirmacionem datur a uctoritas ei, quod per eleccionem statuitur. Hiis autem habitum est dicere de causa legum effectiva quam reddere possumus per demonstracionem. De illa enim institucione, que Dei opere vel oraculo immediate absque humano arbitrio fieri possibilis est aut iam extitit, qualem Mosaice legis institucionem diximus, eciam quantum ad ea precepta civilium actuum que in ea sunt, pro statu presentis seculi, non intendo hic assignacionem facere, sed de legum et

226

I 9, 2.

Teil I, Kapitel XII

20

25

62

5

10

15

1 1 2'

seiner Gattin geantroortet haben, die, nämlich die Gatti n ,. gesagt hatte: Ob e r süh denn i n nichts, d . h. o b e r sich denn gar nicht, schäme, roenn er eine geringere Königsmacht den Söhnen roeitergäbe, als er vom Vater überkommen habe ? Dieser antwortete die schon angeführten Worte : Das darf man nidd sagen ; roie ich sie übergebe, ist sie niimlidz, da zwr­ hafter. 0 heroisches Wort, Ausdruck der unerhörten Klugheit des Theopomp, und wie beherzigenswert für die, die ohne Bindung an Gesetze die Fülle der Gewalt gegen die Unter­ tanen gebrauchen wollen ! Weil sie es nicht beachteten, sind viele der Herrscher zusammengebrochen. Auch wir haben es erlebt, wie infolge der Nichtbeachtung dieses Wortes ein Königreich, und nicht das kleinste, in heutigen Zeiten gerade­ zu ins Wanken geriet, als sein Herrscher den Untertanen eine ungewohnte und, ungesetzliche Steuer auferlegen wollte. · So ist nun aus den Ausführungen deutlich geworden, daß in den Staaten Gesetze notwendig sind, wenn sie im vollen Sinne des Wortes richtig verwaltet werden und die Regierun­ gen länger bestehen sollen. KA P I T E L XII

D i e n a c h w e i s b a r e b e w i r k e n d e U r s a c h e d e r m e n s c h·­ lichen Gesetze und auch die, die man logisch nicht nach w e i s en k a n n ; d a s b e d e u tet , n a c h d e m G e s e t z ­ g e b e r f o r s c h e n . D a r a u s e r g i b t s i c h a u ch , daR a l l e i n d i e A b s t i m m u n g u n t e r A u s s c h l u ß _j e d e r B e s t ä t i gung dem Abstimmungsergebnis Rechtsk raft ver­ leih t . § 1 Anschließend ist von der bewirkenden Ursache der Gesetze zu sprechen, die wir logisch feststellen können ; von d e r Gesetzgebung nämlich, die durch Gottes Eingreifen oder Verkündigung unmittelbar ohne menschliche Entscheidung vor sich gehen kann oder schon vorgekommen ist 226, wofür wir die Einsetzung des Mosaischen Gesetzes als Beispiel genannt haben, auch hinsichtlich der in ihm enthaltenen Ge­ bote für das Zusammenleben im Diesseits, beabsichtige ich nicht, hier eine ausführliche Darstellung zu geben, sondern ausschlieRlieh von d e r Gesetzgebung und d e r Einsetzung der

1 18

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

p rincipatuum institucione tantummodo, que immediate pro­ veniunt ex arbitrio humane mentis. § 2. Ad quam siquidem ingredientes dicamus, quod Iegern sumptam quasi materialiter et secundum terciam significa­ cionem, videlicet scienciam iustorum et conferencium civili25 um, invenire potest ad quemlibet civem pertinere, licet inqui63 sicio hec conveniencius fieri possit et compleri melius ex ob­ servacione potencium vacare, seniorum et expertorum in agi­ bilibus quos prudentes appellant, quam ex mechanicorum consideracione, qui ad acquirenda vite necessaria suis operi., bus habent intendere. Verum quia cognicio seu invencio vera iustorum et conferencium ac suorum oppositorum non est lex secundum ultimam significacionem et propriam, qua fit mensura burnanorum actuum civilium, nisi dum de ipsius observacione preceptum coactivum datum fuerit, seu per 10 modum talis precepti lata fuerit ab eo, cuius auctoritate trans­ gressores arceri debent et possunt, propterea dicere con­ venit, cuius aut quorum sit auctoritas ferendi tale preceptum et ipsius transgressores arcendi. Quod quidem est inquirere legislatorem sive factorem. t5 § 3. Nos autem dicamus secundum veritatem atque con­ silium Aristotelis 3° Politice, capitulo 6°, legislatorem seu cau­ sam legis effectivam primam et propriam ess� populum seu civium universitatem aut eius valenciorem partem, per suam eleccionem seu voluntatem in generali civium congregacione 20 per sermonem expressam precipientem seu determinantem aliquid fieri vel omitti circa civiles actus humanos sub pena vel supplicio temporali : valenciorem inquam partem, consi­ derata quantitate personarum et qualitate in communitate 25 illa super quam Iex fertur, sive id fecerit universitas predicta 64 civium aut eius pars valencior per seipsam immediate, sive id alicui vel aliquibus commiserit faciendum, qui legislator 20

22 7 vielmehr 4 a, vgl. I 10, 4.

m

2�9

Ar. Pol. III 10/1 1 1281 a, 1 1-1282 b, 1. Nach dem vierten Lateran­ konzil soll maior et sanior pars die Bischofswahlen entscheiden (Lagarde) . Zu valencior pars siehe den Korrekturzusatz im Vorwort und v. p. im Wort- und Sachregister. W sermo ; vgl . 77, 1-4. =

Teil !, Kapitel XII

1 19

Regierung, die unmittelbar aus der Entscheidung des mensch­ lichen Geistes hervorgehen. § 2 Wenn wir nun dazu übergehen, so wollen wir sagen : Ein Gesetz, gleichsam nur seinem Inhalt nach genommen und in der dritten227 Bedeutung, als Wissen vom Gerechten und Nützlichen im bürgerlichen Leben, zu finden, das kann jedem 25 einzelnen Bürger gelingen, mag auch das Forschen danach 63 zweckmäßiger sein und besser zum Ziele kommen aus den Beobachtungen derer, die sich Zeit nehmen können, der Älteren und im praktischen Leben Erfahreneren, die man kluge Köpfe nennt, als aus den Überlegungen der Hand­ werker, die durch ihre Arbeit nach dem Erwerb des Lebens5 notwendigen streben müssen. Aber weil die wahre Erkennt­ nis oder Findung des Gerechten und Nützlichen und ihres Gegenteiles nur dann Gesetz in der letzten und eigentlichen Bedeutung ist, in der es Maßstab für das menschliche Han­ deln im bürgerlichen Leben wird - < nur dann > , wenn der­ jenige eine zwingende Vorschrift, es zu befolgen, erlassen t o oder es als solche Vorschrift formuliert hat, kraft dessen Er­ mächtigung eine Bestrafung der Übertreter erfolgen kann und soll, deswegen muß gesagt werden, wem die Befugnis zusteht, eine solche Vorschrift zu erlassen und deren Über­ treter zu strafen. Das heißt forschen nach dem Gesetzgeber oder Gesetzesschöpfer. t5 § 3 Wir aber wollen sagen, wie es der Wahrheit und dem Rate des Aristoteles Pol. B. 3, Kap. 6 entspricht : Gesetzgel?er oder erste und spezifische bewirkende Ursache des Gesetzes ist das Volk oder die Gesamtheit der Bürger oder deren Mehr20 heit228 durch ihre Abstimmung oder Willensäußerung, die in der Vollversammlung der Bürger in einer Debatte229 zum Ausdruck gekommen ist ; < diese Mehrheib schreibt vor oder bestimmt unter zeitlicher Buße oder Strafe, daß im Zusam­ menleben der Menschen etwas getan oder unterlassen werden soll : die Mehrheit, sage ich - unter Berücksichtigung der Zahl und Bedeutung der Personen -, in jener Gemeinschaft, für die 25 das Gesetz gegeben wird, mag die vorhin genannte Gesamtheit der Bürger oder deren Mehrheit das selbst unmittelbar 64 erledigen, mag sie es einem oder einigen zur Erledigung über­ weisen, die an und für sich nicht Gesetzgeber sind und es 20

1 20

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

simpliciter non sunt nec esse possunt, sed solum ad aliqtlid et quandoque, ac secundum primi legislatoris auctoritatem. 5 Et dico consequenter huic, quod eadem auctoritate prima, non alia, debent Ieges et aliud quodlibet per eleccionem iristitu­ tum approbacionem necessariam suscipere, quicquid sit de cerimoniis seu solempnitatibus quibusdam, que ad esse non exiguntur electorum, sed fad] bene [esse] , quibus eciam non 1 0 factis nil minus eleccio valida foret. Amplius quod ab eadem auctoritate debent Ieges et alia que per eleccionem statuun­ tur, suscipere addicionem aut diminucionem vel totalem mutacionem, interpretacionem et suspensionem, secundum exigencia temporum vel locorum et reliquarum circumstan1 5 ciarum, quibus horum aliquid propter commune conferens circa talia fuerit opportunum. Eadem quoque auctoritate promulgari seu proclamari debent Ieges post earum insti­ tucionem, ne quisquam civis aut advena delinquens in eas possit per ipsarum ignoranciam excusari. § 4. Civem autem dico, secundum Aristotelem 3° Politice, 20 capitulis 1°, 3° et 7°, eum qui participat in communitate civili, principatu aut consiliativo vel iudicativo secundum gradum suum. Per quam siquidem descripcionem separantur a civi­ bus pueri, servi, advene ac mulieres, licet secundum modum diversum. Pueri namque civium cives sunt in propinqua 25 potencia, propter solum etatis defectum. Valenciorem vero civium partem oportet attendere secundum policiarum con­ suetudinem honestam, vel hanc determinare secundum sen­ tenciam Aristotelis 6° Politice, capitulo 2°. § 5. Sie itaque determinato cive ac civium valenciore mu!­ titudine, ad propositam intencionem redeamus, demonstrare � scilicet legumlacionis auctoritatem humanam ad solam civi­ um universitatem aut eius valenciorem partem pertinere ; Stellen bei Scholz 64 Anm. 2. 2 32 V gl. I 8,3. Gewirth I 1 75. zu propinqua potentia vgl. 85,6 ; Gegensatz secundum actum 85, 2. Denkt Marsilius bei politiarum an italienische Städte ? Vgl. 1 35, 1 6 . 2 35 Ar. Pol. VII (Rolfes VI) 4 1 3 1 8 b, 27 ff. bezeichnet Aristoteles d i e Form der Politie als die beste, bei der alle Bürger das aktive Wahl­ recht haben, das passive aber an einen Zensus gebunden ' ist, der um so höher sein muR, je höher das Amt ist. 2s1

233 234

=

Teil ], Kapitel Xll

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121

nicht sein können, sondern nur zu einem bestimmten Zwecke und nur manchmal und nur kraft Ermächtigung durch den 5 primären Gesetzgeber. Im Anschluß daran sage ich : Durch dieselbe primäre Instanz, nicht eine andere, müssen die Gesetze und alle Abstimmungsergebnisse die notwendige Bestätigung < ihrer formalen Korrektheib 230 erhalten, was es auch mit gewissen Zeremonien oder Feierlichkeiten für eine Bewandtnis haben mag, die zum Sein des Abstimmungs­ ergebnisses nicht erforderlich sind, sondern nur zum Gut­ sein, und ohne die die Abstimmung auch gültig231 wäre : von derselben Instanz müssen die Gesetze und 1 0 ferner : alle Abstimmungsergebnisse Zusätze, Streichungen oder völ­ lige Änderung, Auslegung und Aufhebung erfahren nach dem Erfordernis von Zeit, Ort und anderen Umständen, 1 5 sofern sie eine derartige Maßregel zum Nutzen der Gesamt­ heit in solchen Dingen zweckmäßig erscheinen lassen. Die­ selbe Instanz muß die Gesetze nach ihrer Annahme auch ver­ öffentlichen oder verkünden, damit kein Bürger oder Fremder beim Verstoß gegen sie sich mit deren Unkenntnis entschuldigen kann. § 4 Bürger nenne ich nach Aristoteles Pol. B. 3, Kap. 1, 3 20 und 7, wer in der staatlichen Gemeinschaft an der regieren­ d en, beratenden oder richterlichen Gewalt teilhat232 , je nach :,;einem sozialen Rang. 'D iese Beschreibung schließt von den Bürgern die Knaben, die Sklaven, die Fremden und die Frauen aus, wenn auch in verschiedenem Sinne. Denn Knaben 25 von Bürgern sind künftige und potentielle233 Bürger, nur genügt das Alter noch nicht. Die Mehrheit aber muß man auf­ fassen nach der guten Gewohnheit der Staaten23\ oder man muß sie bestimmen nach der Meinung des Aristoteles Pol. B. 6, Kap. 22 3 5• § 5 Nachdem nun Bürger und Mehrheit der Bürger in, dieser Weise bestimmt ist, wollen wir zu unserem Thema 5 zurückkehren, dem Nachweis, daß die menschliche Befugnis zur Gesetzgebung allein der Gesamtheit der Bürger oder deren Mehrheit zukommt. Das werden wir zuerst so zu er/

2ao vgl. Anm. 247 ; Marsilius denkt an die Formen der KaiserwahL Nach dem Zusammenhang meint hier wie 69,4 approbatio wohl Bestätigung der formalen Korrektheit eines Gesetzes, identisch mit der endgülti­ gen Annahme.

1 22

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

quod quidem sie primum inferre temptabimus. Quoniam illius tantummodo est legum humanarum lacionis seu institucionis 10 auctoritas humana prima simpliciter, a quo solum optime Ieges possunt provenire. Hoc autem est civium universitas aut eius pars valencior, que totam universitatem representat ; quoniam non est facile aut non possibile, omnes personas in unam convenire sentenciam, propter quorundam esse natut5 ram orbatam, malicia vel ignorancia singulari discordantem a communi sentencia ; propter quorum irracionabilem recla­ macionem seu contradiccionem non deb �nt communia con­ ferencia impediri vel omitti. Pertinet igitur ad universitatem civium aut eius valenciorem parfern tantummodo leg-umla­ cionis seu institucionis auctoritas. 20 Prima proposicio huius demonstracionis est valde propin­ qua per se notis, quamvis eius robur et ultima certitudo sumi possit ex 5° huius. Secundam vero proposicionem probo, vide­ licet quod ex universe multitudinis auditu et precepto tan25 tummodo feratur Iex optima, supponendo cum Aristotele 3° Politice, capitulo '7°, Iegern optimam esse, que lata est ad com­ mune conferens civium. Unde dixit : Rectum autem forte, in legibus scilicet, ad conferens civitatis et ad commune civium. Hoc autem fieri optime per civium universitatem tantum­ modo aut eius valenciorem partem, quod pro eodem de cetero supponatur, sie ostendo : quoniam illius veritas cercius iudi� catur, et ipsius communis utilitas diligencius attenditur, ad quod tota intendit civium universitas intellectu et affectu. Advertere enim pofest magis defectum circa propositam Iegern statuendam maior pluralitas quacumque sui parte, cum omne totum corporeum saltem maius sit mole atque vir10 tute qualibet sui parte seorsum. Adhuc ex universa multitu­ dine magis attenditur legis communis utilitas, eo quod nemo sibi nocet scienter. lbi autem inspicere pofest quilibet, an Iex proposita magis declinet ad cuiusdam aut quorundam com237

Ar. Pol. III 13 1283 b, 40: 1:0 o' tGWs oeOov :rt:(} Os TO Tijs :n6J.ews Ö):T)r; avp,rpieov; !aw s in gleicher Weise, hier mit forte wiedergegeben. Richtig übersetzt : Das gleichmäßig Richtige ist das, was . . . =

=

Teil I, Kapitel XII

66

1 23

schließen versuchen : D e m allein steht die primäre mensch­ liche Vollmacht, Gesetze zu geben oder zu schaffen, schlechtI O hin zu, von dem allein die besten Gesetze ausgehen kön­ nen (OS) . Nun ist das die Gesamtheit der Bürger oder dererr Mehrheit, die die Gesamtheit vertritt (US) ; denn es ist nicht leicht oder geradezu unmöglich, daß alle Personen sich zu e i n e r Meinung zusammenfinden, weil gewisse Leute mit Blindheit geschlagen sind und aus persönlicher Bosheit oder 15 Unwissenheit von der allgemeinen Meinung abweichen ; deren unvernünftiger Einspruch oder Widerspruch darf < die Wahrnehmung > der Interessen der Allgemeinheit nicht beein­ trächtigen oder unmöglich machen. Also kommt es der Ge­ samtheit der Bürger oder deren Mehrheit ausschließlich zu, , Gesetze zu geben oder zu beschließen (SS) . 20 Der Obersatz dieses Beweises ist beinahe selbstverständ­ lich, obwohl man aus I 5236 seine Geltung < beweisen und > letzte Gewißheit entnehmen kann. Den Untersatz, daß nur, wenn das ganze Volk den Vorschlag gehört und gutgeheißen hat, ausschließlich das beste Gesetz gegeben werden kann, 25 beweise ich, indem ich mit Aristoteles Pol. B. 3, Kap. 7'2 3 7 die Voraussetzung mache, am besten sei d a s Gesetz, das für das Gemeinwohl gegeben ist. Daher hat er gesagt : Das Richtige, in den Gesetzen, dient roohl dem Vorteil des Staates und dem allgemeinen Nutzen. Daß dies am besten ausschließlich von der Gesamtheit der Bürger erreicht wird oder deren Mehr­ heit, was als dasselbe fortan angenommen werden soll, zeige ich so : D e s s e n Wahrheit wird am sichersten beurteilt und 5 d e s s e n Nutzen für die Allgemeinheit am sorgfältigsten be­ achtet, worauf die Gesamtheit der Bürger mit Verstand nnd innerer Anteilnahme ihre Au fmerksamkeit richtet. Einen "Mangel an der Gesetzesvorlage kann nämlich eine größere Zahl eher bemerken als ein Teil von ihr ; denn jedes körper­ hafte Ganze wenigstens ist größer an Masse und Kraft als 1 0 _j eder Teil von ihm für sich. Ferner wird aus dem ganzen Volk heraus der Nutzen des Gesetzes für die Allgemeinheit schär­ fer beachtet, weil niemand sich wissentlich schadet. Dort aber kann jeder beliebige überblicken, ob der Gesetzentwurf mehr zum Vorteil eines einzelnen oder gewisser Leute neigt 2 36 I 5, 'i'? Einige Handschriften haben I 1 1 ; ist gemeint I 1 1 ,3 bes. 55,13

ff. ?

124

Marsilius Don Padua, Verteidiger des Friedens

modum, quam aliorum vel communitatis et in contrarium reclamare ; quod non fieret, si per unum aut paucos q � osdam, p roprium magis quam commune *commodum* attendentes, lex ipsa feratur. Hanc quoque sentenciam satis adiuvant, que de legum necessitate assignavimus in 1 1 ° huius. § 6. Rursum ad principalem conclusionem sie : quoniam 20 illius tantummodo est legumlacionis auctoritas, per quem late melius aut simpliciter observantur. Hoc autem est tan­ tummodo civium universitas ; ipsius igitur est auctoritas la­ cionis legum. Prima proposicio huius demonstracionis est per 2 5 se notis propinqua valde ; ociosa namque Iex esset, nisi obser­ varetur. Unde Aristoteles 4° Politice, capitulo 7° : Non est au­ tem bona legum disposicio, bene poni leges, non obedire au­ tem. Idem 6° eiusdem, capitulo 6° : Nullus profectus est, inquit 6? Aristoteles, fieri quidem sentencias de iustis, has autem non accipere finem. Secundam proposicionem probo : quoniam Iex illa melius observatur a quocumque civium, quam sibi quilibet i m posuisse videtur ; talis est Iex lata ex auditu et 5 precepto universe multitudinis civium. Prima proposicio huius prosyllogismi apparet quasi per se ; nam quia civitas est communitas liberorum, ut scribitur 3° Politice, capitulo 4°, quilibet civis liber esse debet nec alterius ferre despociam, id est servile dominium. Hoc autem non contingeret, si unus alit o quis aut pauciores civium Iegern ferrent auctoritate propria supra civium universitatem ; sie enim legem ferentes aliorum despotes essent. Et ideo reliqui civium, pars amplior scilicet, talem legem quantumcumque bonam moleste ferrent aut nullo modo, et contra illam contemptum passi reclamarent, t5 et non vocati ad illius lacionem nullatenus observarent. Lat5

239 2 40 m 2 42

= pertinet igitur am Schluß von § 5, Abs. 1 65, 1 ?-19 Schlußsatz aller Beweise dieses Kapitels. Gegensatz sind die conclusiones in den Beweisen für Obersatz und Untersatz § 5, Abs. 2. 1 294 a, 3 ff. : ovu lan tle evvopia To e-ü ueia#at Ar. Pol. VI (Rolfes IV) 8 TOV\: v6t-tovr;, t-ti! nelDeaDat tli; nelDot-tat = mir wird gehorcht. Ar. Pol. VII (Rolfes VI) 8 1 322 a, 5 ff. : ovtlev CJrpdo\: ylyvea#at t-tev otua\: neei TCVV &xa{wv, TaVTU\: tle !1-TJ Aat-tß6.veiv TeAO\:. Ar. III 6 = 12?9 a, 2 1 . =

=

=

=

Teil I, Kapitel XII

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125

als zu dem der anderen oder der Gemeinschaft, und kann Einspruch erheben. Das wäre nicht möglich, wenn nur einer 1 5 oder einige wenige, die mehr auf den eigenen Vorteil aus sind als auf den der Allgemeinheit, dieses Gesetz gäben. Diese Meinung stützt auch hinlänglich, was wir über die Notwen­ digkeit von Gesetzen in I 1 1 238 festgestellt haben. § 6 Weiter zum Haupt-Schluflsatz 2 39 ! Dem kommt aus� o schließlich die Gesetzgebung zu, der dadurch bewirkt, daR die gegebenen Gesetze am besten oder ausnahmslos befolgt wer­ den (OS) . Das ist ausschließlich die Gesamtheit der Bür­ ger (US) . Also kommt ihr ausschließlich die Gesetzgebung zu (SS) . Der Obersatz dieses Beweises ist beinahe selbstver25 ständlich ; denn zwecklos wäre ein Gesetz, wenn es nicht befolgt würde. Daher sagt Aristoteles Pol. B. 4 , Kap. 724 0 : Eine gute gesetzliche Ordnung besteht nicht, roenn die Ge­ setze gut gegeben sind, aber keinen Gehorsam finden. Das­ selbe hat Aristoteles B. 6, Kap. 5241 desselben Werkes festge­ stellt : Es hat keinen Wert, roenn Entscheidungen über das, roas gerecht sein soll, gefällt roerden, diese aber nicht zum Ziele kommen. Den Untersatz beweise ich so : D a s Gesetz befolgt jeder Bürger am besten, das er glaubt sich selbst auf­ erlegt zu haben (OS) . Dies gilt für d a s Gesetz, das gegeben 5 ist, nachdem die Gesamtheit der Bürger es angehört und gut­ geheißen hat (US) . Der Obersatz dieses Vor-Schlusses ist fast unmittelbar einsichtig : Weil nämlich der Staat eine Gemein­ schaft freier Männer ist, wie Pol. B. 3, Kap. 4242 steht, muß .j eder einzelne Bürger frei sein und nicht eines anderen Tyrannei, d. h. Knechtschaft, tragen. Das wäre nicht der Fall , 1 0 wenn ein einzelner oder eine Minderheit von Bürgern ein Ge­ setz gäben aus eigener Vollmacht für die Gesamtheit der Bür­ ger ; wenn sie nämlich so Gesetze gäben, wären sie Tyrannen der anderen, und darum würden die übrigen Bürger, die Mehrzahl, ein solches Gesetz, wäre es auch noch so gut, mit Unwillen oder gar nicht hinnehmen, in dem Gefühl, verachtet zu sein, dagegen Einspruch erheben und, da sie nicht zur Be­ schluflfassung darüber gerufen waren, es in keiner Weise 1 5 befolgen. Ein Gesetz jedoch, das gegeben ist, nachdem die 238

I 1 1 ganz.

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tarn vero ex auditu seu eonsensu omnis multitudinis, eeiam minus utilem, quilibet eivium faeiliter observaret �t ferret, eo quod hane quilibet sibi statuisse videtur, ideoque eontra illam reclamare non habet, sed equo animo [illam poeius] 20 tolerare. Adhue seeundam proposieionem primi syllogismi probo ex alio sie. Quoniam illius est potestas observaeionis legum, euius tantummodo est poteneia transgressorum eoae­ tiva ; hoe autem est universitas aut ipsi u s pars valeneior, ergo ipsius solius est legumlaeionis auctoritas. 25 § 7. Amplius ad prineipale sie : quoniam illud agibile, in euius debita institueione eonsistit maxima pars eommunis suffieieneie eivium in hae vita, et in euius prava institueione eommune detrimentum imminet, per universitatem eivium J o tantummodo debet institui ; hoe autem est Iex ; ergo ad uni­ versitatem eivium *tantummodo* illius pertinet institueio. 68 Maior huius demonstraeionis est per se notis propinqua et stabilitur in immediatis veritatibus, que posite sunt 4° lmius et 5°. Convenerunt enim homines ad eivilem eommunieaeio­ nem propter eommodum et vite suffieieneiam eonsequendam 5 et opposita declinandum. Que igitur omnium possunt tangere eommodum et ineommodum, ab omnibus seiri debent et au­ diri, ut eommodum assequi et oppositum repellere possint. Talia vero sunt Ieges, sieut in minori assumebatur. In ipsis enim recte positis toeius et eommunis humane suffieiencie 1 0 pars magna eonsistit ; sub iniquis vero servitus et oppressio atque miseria eivium importabiles, ex quibus tandem contin­ git solvere politiam. § 8. Rursum et est hee quasi abbreviaeio et summa priorum 15 demonstracionum : aut legumlaeionis auctoritas ad solam eivium universitatem pertinet, ut diximus, vel ad hominem unieum aut ad paueiores. Non ad solum unum, propter ea que dicta sunt in 1 1 ° huius et in prima demonstraeione, quam

243 244 245

I 4, 2 u. 5; I 5, 2 u. 7. totus et wie : multi et boni viri. vielmehr 66, 1 1 - 1 8 (I 1 2,5) .

Teil I, Kapitel XII

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Gesamtheit es angehört und ihre Zustimmung gegeben hat, wäre es auch weniger nützlich, würde jeder Bürger leicht be­ folgen und hinnehmen ; denn jeder hat dann das Gefühl, es für sich selbst beschlossen zu haben, und hat darum < keinen Anlaß > , dagegen Einspruch zu erheben, sondern vielmehr 20 < Anlaß > , sich in Ruhe damit abzufinden. - Ferner, den Unter­ satz des ersten Schlusses beweise ich von einem anderen G e­ siChtspunkt aus so : D e r ausschließlich hat Macht über die Be­ folgung der Gesetze, der eine zwingende Gewalt gegen die Übertreter besitzt ; das ist die Gesamtheit oder deren Mehr­ heit ; also steht ihr allein die Gesetzgebung zu. § 7 Noch ein Beweis zum Hauptgedanken : Jene Norm 25 aes Handelns, von deren riChtiger Aufstellung größtenteils das befriedigende Dasein der Allgemeinheit in diesem Leben abhängt und in deren verfehlter Aufstellung für die Allge­ meinheit SChaden droht, darf aussChließlich von der Gesamt­ heit der Bürger aufgestellt werden (OS) . Diese Norm ist ;o das Gesetz (US) . Also kommt der Gesamtheit der Bürger ausschließliCh die Gesetzgebung zu (SS) . - Der Obersatz dieses Beweises ist fast selbstverständlich und gründet sich au f un­ mittelbar einsiChtige Wahrheiten, die I 4 und I 5243 statuiert worden sind. Die MensChen sind nämlich zur staatlichen Gemeinschaft zusammengetreten, um Vorteil und ein befrie; digendes Dasein zu erlangen und das Gegenteil abzuwenden. Was also Vorteil und Nachteil aller berühren kann, müssen alle wissen und hören, um Vorteil erreichen und das Gegen­ teil zurückweisen zu können. Solcher Art sind die Gesetze, wie im Untersatz angenommen wurde ; denn von einer riCh­ tigen Gesetzgebung hängt großenteils das befriedigende 1 0 Dasein der ganzen244 menschlichen GemeinsChaft ab. Unter ungereChten Gesetzen aber entsteht KneChtsChaft und Unter­ drückung und Elend für die Bürger, eine unerträgliChe Lage, woraus schließlich die Auflösung des Staates hervorgeht. § 8 Ferner - und das ist gewissermaßen eine kurze Zusam­ menfassung der früheren Beweise : Entweder kommt die 15 Gesetzgebung, wie gesagt, allein der Gesamtheit der Bürger zu oder einem einzigen MensChen oder einer Minderheit ; einem einzigen allein aber kann sie niCht zukommen : aus den Gründen, die I 1 1245 und in dem ersten Beweis dieses

1 28

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in hoc adduximus ; posset enim propter ignoranciam vel maliciam aut utrumque Iegern pravam ferre, inspiciendo scilicet magis proprium conferens quam commune, unde tyrampnica foret. Propier eandem vero causam non pertinet hoc ad pau­ ciores ; possent enim peccare in ferendo Iegern, ut prius, ad quorundam, scilicet paucorum, et non commune conferens, 2 3 quemadmodum videre est in oligarchiis. Pertinet hoc igitur ad civium universitatem aut eius partem valenciorem, de quihus est altera et opposita racio. Quia enim lege dehent om­ nes cives mensurari secundum proporcionem dehitam, et nemo sihi scienter nocet aut vult iniustum, ideoque volunt omnes aut plurimi legem convenientem communi civium con­ ferenti. § 9. Ex eisdem quoque demonstracionihus convincitur, legum approhacionem, interpretacionem, suspensionem, et 5 cetera proposita parte 3a huius, ad solius legislatoris auctorita­ tem tantummodo pertinere. Idemque senciendum de omni eo quod per eleccionem statuitur. Cuius enim est auctoritas prima eligendi, ipse idem approhat aut reprohat, vel ille cui 1 0 auctoritatem eligendi concesserit ; aliter namque pars maior esset toto vel illi saltem equalis, si ea que per totum instituta sunt, auetoritute propria dissolvere posset. Modus autem con­ veniendi ad legumlacionem in sequenti capitulo descrihetur.

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C A P I T U L U M XIII

De q u i h u s d a m i n s t a n c i i s ad d i c t a in c a p i t u l o p r e c e d e n t i e t i p s a r u m s o l u c i o ne a c p r o p o s i t i ampliori manifestacione.

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D e quihus tarnen diximus duhitahit aliquis disputans ad civium universitatem non pertinere legumlacionis seu insti­ tucionis auctoritatem. Primum quidem, quoniam pravum et 24 6 I

1 2, 5. 247 Eine Bestätigung der in der Vollversammlung. angenommenen Ge­ setze durch eine andere Instanz gibt es nicht, vgl. bes. 492,2-8 ; appro­ bacio muf! mit der Annahme identisch sein : so ist es in dem zitierten §3 64, 6. =

Teil !, Kapitel XIII

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25

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5

10

1 29

Kapitels 246 genannt sind ; er könnte nämlich aus Unwissenheit oder Bosheit oder beidem ein schlimmes Gesetz geben, mehr im Blick. auf den eigenen Nutzen als auf den der Gesamtheit : deshalb wäre es tyrannisch. Aus demselben Grunde kommt die Gesetzgebung einer Minderheit nicht zu ; sie könnte näm­ lich einen Fehler begehen, indem sie, wie früher245 gezeigt, ein Gesetz zum Nutzen gewisser einzelner, der Minderheit, und nicht zu dem der Allgemeinheit gibt, wie in den Oligarchien zu sehen ist. Also kommt die Gesetzgebung der Gesamtheit der Bürger oder deren Mehrheit zu aus dem jenem entgegen­ gesetzten Grunde. Weil nämlich das Gesetz alle Bürger im richtigen Verhältnis einstufen muß und niemand sich wissentlieh schadet oder Ungerechtes will, darum wollen alle oder wenigstens die meisten ein Gesetz, das dem gemeinsamen Nutzen der Bürger entspricht. § 9 Mit denselben Beweisen läßt sich auch zeigen, daß die Bestätigung247, Auslegung und Aufhebung von Gesetzen und was sonst in § 3 dieses Kapitels vorgetragen worden ist, aus­ schließlich dem Gesetzgeber zukommt. Dasselbe muß man annehmen von allen Abstimmungsergebnissen. Wer nämlich die primäre Befugnis zur Abstimmung besitzt, der nimmt auch an oder verwirft, oder es tut dies derjenige, dem er selbst die Vollmacht zur Entscheidung übertragen hat. Denn sonst wäre der Teil größer als das Ganze oder ihm wenigstens gleich, wenn er aus eigener Vollmacht aufheben könnte, was das Ganze beschlossen hat. Das Verfahren aber, zur Gesetz­ gebung zusammenzutreten, soll im folgenden Kapitel he­ schrieben werden.

K A P I T E L XIII 15

20

Einige E inwände gegen d i e Behaupt ungen d e s v o r ­ ausgehenden K ap itels, deren E n tkräftung und eine w e i t e r e K l ärung d e s v o r l i egenden P robl e m s . § 1 An unseren Behauptungen wird jedoch mancher zwei­ feln und einwenden, der Gesamtheit der Bürger komme es nicht zu, Gesetze zu gehen oder zu beschließen. Erstens ( 1 ) : Das Böse und das in den meisten Dingen Urteilslose darf ein

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

indiscreturn secundurn plurimurn non debet Iegern statuere. Hec enirn duo peccata a legislatore debenf excludi, rnalicia scilicet atque ignorancia, propter que eciarn in iudiciis evi25 tanda legis necessitatern accepirnus 1 1° huius. Populus autern seu civiurn universitas est huius [rnodi] ; hornines enirn, ut in pluribus, videntur pravi et stulti. Narn stultorum infinitus est numerus, ut habetur Ecclesiastes 1 °. Arnplius, quoniarn diffi­ cile valde aut irnpossibile pluriurn pravorurn et insensatorum 70 concordare sentencias ; quod non evenit de paucis et studiosis. Est igitur utilius per paucos Iegern ferri, quarn per civiurn universitatern aut ipsorurn superfluarn pluralitatern. Rursurn in qualibet cornrnunitate civili sunt pauci sapientes et docti, 5 respectu alterius rnultitudinis indocte. C urn igitur per sa­ pientes et doctos utilius Iex feratur quarn per indoctos et rudes, videtur quod ipsarurn lacionis auctoritas ad paucos pertineat, non ad plures aut ornnes. Adhuc frustra fit per plures, quod per pauciores fieri contingit. C urn ergo per sa10 pientes, qui pauci sunt, Iex ferri possit, ut dieturn est, frustra occuparetur in hoc universa rnultitudo aut ipsius pars rnaior. Non igitur ad universitatern aut ipsius valenciorern partern pertinet legurn lacionis auctoritas. 15 § 2. Ex supposito nobis in prioribus, quasi ornniurn in hoc libro dernonstrandorurn principio, videlicet : Omnes homines appetere sufficienciam vite et oppositum declinare, per de­ rnonstracionern conclusirnus ipsorurn cornrnunicacionem civilern 4° huius, quoniarn per ipsarn sufficienciarn hanc adipisci possunt, et preter earn rninirne ; propter quod eciarn 20 Aristoteles 1° Politice, capitulo 1° inquit : Natura quidem igi­ tur in omnib us impetus est ad talem communitatem, civilern scilicet. Ex qua siquidern veritate per necessitatern sequitur alia quedarn, et habetur 4° Politice, capitulo 10°, videlicet 2 5 quod oportet valenciorem esse partem civitatis volentem non �so

I 4, 2, besonders 1 7, 1-3.

251 I 4, 3 -5 . 25 2 Ar. Pol. I 2 1 253 a, 29. 258 Ar. Pol. VI (Rolfes IV) 12 =

=

1 296 b, 14.

Teil !, Kapitel XIII

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1 '3 1

Gesetz nicht beschließen (OS) . Denn folgende beiden Feh l er müssen dem Gesetzgeber fernbleiben : Bosheit und Unwissen­ heit ; um sie auch aus den gerichtlichen Urteilen auszuschlie­ ßen, haben wir die Notwendigkeit des Gesetzes in I 1 1 248 an35 genommen. Nun ist das Volk oder die Gesamtheit der Bürger derart ; die Menschen nämlich sind zumeist, wie man sieht, böse und töricht (US) ; denn unendlid� ist die Zahl der Toren, wie im Prediger B. 1 249 steht. Ferner (2) : Es ist sehr schwierig oder geradezu unmöglich, die Meinung einer Anzahl von bös­ artigen und unvernünftigen Menschen zusammenzubringen (OS) ; das ist nicht der Fall bei wenigen und gutwilligen (US) . Also ist es nützlicher, wenn wenige ein Gesetz geben als die Gesamtheit oder deren Mehrheit, die hierbei ganz überflüssig ist (SS) . Weiter (3) : In jeder staatlichen Gemeinschaft gibt es nur wenige Weise und Gebildete im Verhältnis zu der übrigen 5 ungebildeten Menge (OS) . Da es also nützlicher ist, wenn Weise und Gebildete ein Gesetz geben als ungebildete und rohe Menschen (US) , so scheint es richtig, daß die Gesetz­ gebung wenigen zukommt, nicht der Mehrheit oder allen (SS) . Endlich (4) ist es zweckloser Aufwand, wenn sehr viele das tun, was eine geringere Anzahl tun kann (OS) . Da also Weise, 1 0 die ihrer wenige sind, ein Gesetz geben können (US) , wie gesagt, so wäre es grundlos, hierbei das gesamte Volk heran­ zuziehen oder seine Mehrheit. Also kommt der Gesamtheit oder ihrer Mehrheit die Gesetzgebung nicht zu (SS) . § 2 Aus unserer früheren Voraussetzung2 50, dem Grund­ t5 prinzip fast alles dessen, was in diesem Buche bewiesen wer­ den soll, daß nämlich alle Mensdten nadt einem befriedigen­ den Dasein streben und das Gegenteil ablehnen, haben wir I 4251 mit strenger Logik < die Notwendigkeit > ihres Zusammen­ schlusses im..Staate erschlossen ; denn nur durch ihn können sie dieses befriedigende Dasein erreichen und ohne ihn nicht 20 im geringsten ; deswegen sagt auch Aristoteles Pol. B. 1, Kap. 1 252 : Von Natur aus lebt also in allen ein Trieb nadt einer soldten Gemeinsdtaft, der staatlichen. Aus dieser Wahrheit folgt mit Notwendigkeit eine andere, die Pol. B. 4, K ap. 1 02 53 steht : Stärker muß d e r Teil der Bürgersmalt sein, der roill, b leibt, als d e r , der das nidtt roill. 25 daß der Staat bestehen 24 8 I 1 1 , 1 u. 3 (57, 1 8) . 24 9 Prediger 1 , 1 5 .

132

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volente manere policiam. Quoniam nihil desideratur per ean­ dem naturam specie secundum eius plurimum et immediate euro ipsius corrupcione simul ; inane namque foret tale desi­ derium. Quinimo non volentes mauere policiam computantur inter servos, non inter cives, ut sunt advene quidam, unde [Aristoteles] 7° Politice, capitulo 1 2° : Cum subditis enim exi­ stunt omnes volentes insolescere, qui per regionem. Et tune subinfert : Totque multitudine esse eos in politemate, insolen5 tes scilicet seu non curantes civiliter vivere, ut sint valencio­ res hiis omnibus, videlicet politizare volentibus, unum impos­ sibilium est. Cur autem impossibilium sit, apparet : quoniam hoc esset naturam peccare vel deficere, ut in pluribus. Si ergo valencior hominum multitudo vult policiam mauere, quem1 0 admodum bene dieturn videtur, vult idem eciam, sine quo policia mauere non potest. Hoc autem est iustorum et con­ ferencium regula, tradita euro preeepto, vocata Iex, eo quod impossibilium est civitatem aristocratizantem, id est secun­ dum virtutem gubernatam, non bene legibus disponi, ut 15 habetur 4° Politice, eapitulo 7°, et demonstravimus 1 1° huius. Vult ergo valeneior multitudo eivitatis Iegern, aut eontingeret orbaeio in natura et arte, secundum plurimum ; quod impos­ sibilium supponatur ex sciencia naturali. Suscipio rursum euro supradictis veritatibus manifestis, 20 communem animi concepcionem, videlicet : omne totum maius esse sua parte, quod verum est tarn in magnitudine sive

2s1

25s 259 26 o 2o 1 262

Te dvat TOVt;' ev •0 :rcoÄ.tTevpan TO :rc:AijDot; wOT' elvat xeelnovt; TOV­ TWV :n:dvrwv lv Tt •wv d sind alle Bewohner des Landgebietes zu Neuerungen willig, und daß die herrschende Schicht zahlreich genug wäre, um diesen allen überlegen zu sein, ist ein Ding der Unmöglichkeit . Vgl. 50,3-16. Ar. Pol. VI (Rolfes IV) 8 1 294 a, 1 f. I 1 1 , 3 (57,9) . Ars von L gestrichen ; vgl. 3 6,15. Der Schreiber von L war ein auf­ merksamer, kritischer Leser, wie viele Stellen bestätigen, z. B . 27, 1 8 ; 36,3 ; 36,19 ; 7 1 , 1 7 ; 272,25 (alicuius) ; 350,22 ; 556,7 ; 257,5. Vgl. 70,26 ; die Mehrheit wäre dann verblendet ; secundum plurimum greift zurück auf valentior multitudo; zu ergänzen ist civitatis. Siehe Gewirth I 1 5 1 f. =

Teil I, Kapitel XIII

1 33

Denn nichts erstreben Naturwesen gleicher Art254 in ihrem größten Teil an, was unmittelbar mit ihrem Verderben ver­ bunden sein müßte255 ; sinnlos wäre doch ein solches Streben. Ja, wer nicht will, daß der Staat erhalten bleibe, wird zu den Sklaven gerechnet, nicht zu den Bürgern, wie es gewisse ?1 Fremde sind, weshalb Aristoteles Pol. B. ?, Kap. 1 2256 sagt : Denn zusammen mit den Beherrschten < in der Stadt > sind alle Bewohner des L andgebietes zum Aufruhr bereit, und dann fügt er hinzu : Und daß diese in einem Staatswesen, nämlich 5 die aufrührerischen Elemente oder die, denen das Lehen im Staate gleichgültig ist, so zahlreich wären, daß sie alle die, d ie eine staatliche Gemeinschaft bilden wollen, an Stärke über� träfen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Warum es aber ein Ding der Unmöglichkeit ist, das ist klar ; denn das hieße, die Natur begehe einen Fehler oder versage meistenteils. Wenn also die Mehrheit der Menschen will, daß der Staat bestehen 1 0 bleibt - und das ist offenbar richtig -, so will sie auch dies, ohne das ein Staat nicht bestehen kann. Das aber ist die Regel für das Gerechte und Nützliche, gegeben mit einer Vor� schrift257, dem Gesetz, darum, weil es ein Ding der Unmög� liehkeif ist, daß ein am besten, d. h. ein in Abstufung nach der Leistung regierter Staat nicht gut durch Gesetze geord1 5 net wird, wie Pol. B. 4, K ap. ? 258 steht und 'vir I 1 1 259 bewiesen haben. Die Mehrheit der Bevölkerung will also das Gesetz, oder es würde Verblendung im Reich des Natürlichen und dem des künstlich Geschaffenen260 auftreten, wenigstens im größten Teil261 ; das soll als unmöglich unterstellt werden au f Grund der Wissenschaft von der Natur. 262 Ich setze ferner neben den obengenannten unmittelbar ein­ z o sichtigen Wahrheiten eine allgemeine intuitive Einsicht vor­ aus, daß jedes Ganze größer ist als ein T eil von ihm, was eben­ so für die Größe oder Masse gilt wie auch für die wirkende 254

255 2 56

Vgl. I 1 5,5 ; 1 , 1 ?,8. Siehe Gewirth I 8 9 . - Eius geht auf naturam ; secundum plurimum ist im gleichen Sinn ? 1 , 1 ? wiederholt ; et ver­ bindet die beiden adverbiellen Bestimmungen und ist akundant ; vgl. Vo. Damit ist simul wiedergegeben. Ar. Pol. IV (Rolfes VII) 1 4 1 332 b, 29 ff. : w:ra yae TWV aexopbwv VJI:UQXOVUt VSWTeQfJ;stv ßov).6p,eVOt :n:aVTC für die gegenwärtige Welt. Denn d e r Bestandteil 1 0 ist in der staatlichen Gemeinschaft der allererste, der die übrigen einzusetzen, zu bestimmen und zu erhalten hat in der gegenwärtigen Welt und für die gegenwärtige Welt oder den Staatszweck. Das aber ist der nach dem menschlichen Gesetz regierende Bestandteil, wie wir eben mit einem Wahr­ scheinlichkeitsbeweis und einem streng logischen Beweis344 erschlossen haben. Also ist er der allererste, und auf ihn hin 15 ordnen sich die übrigen. über die bewirkende Ursache der Wahl des regierenden Bestandteiles nun und ebenso über die Einsetzung der übri­ gen Bestandteile des Staates und deren Rangordnung sei in dieser Weise die Erörterung abgeschlossen. 20

KA P I T E L XVI

I s t e s f ü r den Staat vorteilh a f t er , j e d en Monarchen durch eine Neuwahl einzeln auf den Thron zu er­ h e b e n o de r n u r e i n e n b e s t i m m t e n m i t s e i n e r g e s a m ­ t e n N a c h k o m m en s c h a f t z u w äh l e n , was m a n E r b folge z u nennen p flegt ? 25

30

95

§ 1 An das Gesagte knüpft sich ein Zweifel. Ist es für die Staatsbürger, die sich einen Monarchen w ä h l e n , vorteilhaf­ ter, diesen mit seiner gesamten Nachkommenschaft einzu­ setzen, was man Erbfolge zu nennen pflegt, oder ihn allein auf Lebenszeit mit der Regierung zu betrauen ; wenn er aber verdorben ist oder sonst in rechtlicher Form die Regierung verloren hat, im Wechsel immer eine Neuwahl des Nachfol­ gers vorzunehmen ? Manche haben die erste Form der Einsetzung wegen gewisser Erscheinungen für besser gehalten : erstens (1) , weil der Erbmonarch den Staat sorgsamer

1 74

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

archa succedens ex genere rempublicam magis curabit, tam­ quam sibi quasi propriam et hereditariam, non sie autem 5 monarcha, cui proprium heredem principaturum fore non constat. Unde 2° Politice, capitulo 1° circa medium inquit Aristoteles : Minime enim cura sortitur, quod plurimorum est commune; de propriis enim maxime curant, de communibus autem minus, quam quantum unicuique attinet. Et rursum 1 0 eodem capitulo circa finem : Duo enim sunt que maxime faci­ unt sollicite curare homines et diligere, proprium et dilec­ tum. Amplius eiusdem 2° capitulo inquit : Adhuc autem et ad delectacionem inenarrabile quanium differt putare aliquid proprium esse. Ad quesitum vero principale rursum, quoniam successores 15 monarche minus despotizare videbuntur subditis, quam nu­ per electi, propter principatum ipsos assuevisse nilque sibi novum evenisse putantes, propter quod amplius extolli de­ beant et contempnere subditos. Novite� autem semper elec­ tos, quemadmodum ditatos noviter, plerumque superbire 20 contingit. Unde 2° Rhetorice, capitulo 24° : Diviciis autem qui assecuntur mores, leviter est videre omnibus ; contumeliosi enim et elati, pacientes aliquid a possessione diviciarum ; tam­ quam enim habenies omnia bona sie disponuntur. § 2. Amplius ad idem, quoniam succedentibus in princi25 patu ex genere, magis obedit subiecta multitudo propter assumptam precessoribus obediendi consuetudinem. Unde 2° Philosophie [prime] , finali capitulo : Ut consuevimus, ita dignamur; et 2° Politice, capitulo 5° circa finem : Non tantum proderit qui mutaverit, quantum nocebit principibus rebel­ lare assuescens; cum aliis qui de consuetudilile dicta sunt 1 8° huius, parte 6a. 348 Ar. Rhet. II 16 1 390 b, 32 ff. : np nÄOVTq.> ä l:ru:rat ifil1J, emnoÄi}(; eanv Merv anamv· vßetaral yde ual vneeiJrpavot ndaxovTe(; Tt vno Tij(; xriJaew(; TOV nJ.ovrov· W(;:rte(! yd(! lxovre(; anavra dyaßod ofJrw Otauetvrat. 349 V gl. Scholz 95 Anm. 5. 35 0 Ar. Pol. II 8 1 269 a, 1 7 ff. Aristoteles spridtt von Änderung der Gesetze; vgl. I 18, 6. =

=

Teil !, Kapitel XVI

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1 ?5

betreuen wird., gleichsam als sein Eigentum und Erbgut, nicht so ab � r der Monarch, der nicht sicher ist, daß sein eigener 5 Erbe zur Regierung kommen wird. Daher sagt Aristoteles Pol. B. 2, Kap. !345 in der Mitte : Am wenigsten findet sorg­ lime Behandlung, was sehr vieler gemeinsames Eigentum ist; denn für das Eigene sorgen die Mensmen am meisten, für das Gemeinsame weniger als nam dem Anteil des einzelnen daran zu erwarten wäre, und ferner sagt er in demselben t o Kapitel gegen Ende34 6 : Zwei Dinge sind es, die vor allem die eifrige Sorge und die Teilnahme der Mensmen wamrufen: das Eigene und das Geliebte. Weiter sagt er in Kap. 2 des­ selben Buches347 : Ferner aber bedeutet aum für die innere Befriedigung unsagbar viel der Glaube, etroas sei Eigentum. 1; Doch weiter zur Hauptfrage : (2) Die Erbmonarchen wer­ den sich gegenüber den Untertanen weniger despotisch zei­ gen als Neugewählte, weil sie an das Regieren gewöhnt sind und nicht meinen, etwas Neues sei ihnen zugefallen, wes­ wegen sie sich überheben und auf die Untertanen herabsehen müßten. Die in jedem Falle Neugewählten aber sind wie die 20 Neureichen meistens hochmütig. Daher sagt Aristoteles in der Rhetorik B. 2, Kap. 24348 : Was für ein Auftreten Folge des Reimtums ist, können alle leimt sehen ; denn übermütig sind < die Neureimen> und aufgeblasen, wenn sie unter dem Ein­ fluß des Reimtums stehen; als ob sie alles Gute besäßen, so sind sie eingestellt. 25 § 2 {3) Weiter zum seihen Thema : Den Erbmonarchen ge­ horchen die Untertanen williger, weil sie gewöhnt waren, den Vorgängern zu gehorchen. Daher sagt Aristoteles Met. B. 2 im Schlußkapitel849 : Wie wir gewöhnt sind, so smätzen wir jemand ein, und Pol. B. 2, Kap. 5 gegen Ende350 : Wer ändert, wird nimt soviel Nutzen stiften wie Smaden, weil er sim daran gewöhnt, gegen die Regierung aufsässig zu werden; dazu kommen noCh andere Äußerungen über die Gewohnheit, die I 1 8, 6 angeführt sind. 345 a•o

847

Ar. Pol. II 3 1261 b, 33 ff. : t}n:ov fj nicht : als, sondern : oder ; Sinn des Originals : oder nur soviel, wie es jeden angeht. Ar. Pol. II 4 1 262 b, 22 ff. Ar. Pol. II 5 1 263 a, 40 ff. : ln /Je "al :n:(! ot; 1)1Jov1)v afu)&rjr:ov öaov IJtarpeeet r:o voftl?:,ew i1Jt6v n. =

=

=

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1 ?6

§ 3. Adhuc eciam ad quesitum, quoniam genus aliquod tale vel tantum beneficium relique multitudini contulisse contin­ git, aut in tantum reliquos cives virtute precellere, vel prop­ ter utrumque, ut semper principari, numquam vero sit subici to d ignum. Unde 3° Politice, capitulo 8°, de hiis Aristoteles in­ quit : Quarta autem species monardtie regalis, que secundum heroica tempora voluntarie et patrie facte secundum legem. Quia primi fuerunt benefactores multitudinis secund um ar­ tes aut bellum, aut quia collegerunt aut emerunt regionem, t 5 facti fuerunt reges voluntariorum, et successive sumentibus patrie. Quod eciam expresse magis inducens einsdem 9° in­ quit : Cum igitur sit genus totum vel aliorum unum acciderit esse differentem secundum virtutem tantum, ut excedat que illius, eam que aliorum omnium, tune iustum est genus hoc 20 esse regale et dominans omnium, et regem unum hunc. Sie eciam 5° Politice, capitulo 5° repetens idem ait : Regnum qui­ dem enim ad auxilium quod a populo epieikeis f actum est, et instituitur rex epieikeorum, que secund um excessum virtutis vel accionum que a virtute, vel secundum excessum talis generis. 25 § 4. Amplius per successionem melior princeps habetur, eo quod tales ad virtutem amplius inclinantur, quoniam ex strenuis parentibus prodeunt magis. Unde Aristoteles 2° Poli­ tice sue, poete cuiusdam Theodecti inducens ex egloga ser5 monem, inquit : Ex ambabus divinis progenitricibus radici­ bus, quis utique dignificabit adducere servum ? parum infra subiungens : Dignificant enim quemadmodum ex homine ho5

9?

1 288 a, 15 ff. : fj entweder ist verwechselt mit fi sit. aliorum unum : rwv ä).).w ist von Susemihl gestrichen:. Ar. Pol. VII (Rolfes V) 10 1 3 1 0 b, 9 ff. : fJ yde ßaatJ.sta ne o, ßofrfJstav ri}v dno TOV , daß es verdient, immer Herrscher, niemals aber Untertan zu sein. Daher sagt Aristoo teles Pol. B. 3, Kap. 835 1 von solchen Herrschern : Die vierte t Form der königlichen Monarchie ist das Königtum der heroi­ schen Zeiten, das auf dem freien Willen der Untertanen und gesetzmäßiger Erbfolge beruhte. Weil nämlich die Begrün­ der Wohltäter des Volkes waren in Künsten < des Friedens > oder im Kriege oder weil sie die Einwohner zusammengeführt oder ihnen Land verschafft haben, sind sie mit Zustimmung 15 der Untertanen Könige gervorden und < die Monarchien > für ihre Nachfolger erblim.352 Das führt er in Kap. 9 desselben Buches353 noch ausdrücklicher aus und sagt : Wenn es also vorkommt, daß entweder ein ganzes Gesmlemt oder ein ein­ zelner Mann354 an Tüchtigkeit so hervorragend ist, daß seine < Tüchtigkeit> die aller anderen übertrifft, dann ist es gerecht, daß dieses Gesmlemt königlich ist und Herr über alle und 20 dieser eine König. Denselben Gedanken wiederholt er auch Pol. B. 5, Kap. 5355 : Das Königtum ist ja als Hilfe für die höhe­ ren Stände gegen die Masse entstanden, und eingesetzt wird ein König aus den höheren Ständen wegen seiner überragen­ den Tüchtigkeit oder Leistung oder wegen der überragenden Tüchtigkeit eines solchen Geschlechtes. 25 § 4 (5) Ferner gilt der Erbmonarch als besser, weil Erbmonarchen mehr zu edler Gesinnung neigen ; sie gehen ja meist aus tüchtigen Eltern hervor. Daher sagt Aristoteles Pol. B. 2356 , wo er eine Äußerung aus der Helena eines Dichters 5 Theodektus anführt : Zwei göttlichen Wurzeln entstamme im ; roer wird es wagen, mim als Dienerin anzusprechen! Etwas weiter unten357 fügt er hinzu : Sie glauben nämlich, roie aus einem Menschen ein Mensm und aus Tieren ein Tier, so gehe 5

9?

35 1 352

Ar. Pol. III 1 4 1 285 b, 4 :ff . quae a[ , vgl. Vo ; secun­ dum tempora "ani TOV . Die erwähnte Besorgnis aber wegen der Spaltung unter den Wählern, wiewohl mehr als alle anderen Einwände beachtlich, zwingt nicht zu der Folgerung, daß die < jedesmalige > Neuwahl des künftigen Monarchen weniger gut sei als eine einmalige Wahl des Herrschers mit 1 0 seiner ganzen Nachkommenschaft. Denn die Wahl erfolgt immer für das allgemeine Beste, das meistens, sogar fast immer, der menschliche Gesetzgeber will und verwirklicht, wie I 1 33s3 und im vorausgehenden Kapitel3s4 bewiesen wor­ den ist. Diesem kommt auch die Befugnis für diese Wahl zu, wie I 1 2 ass und im vorausgehenden Kapitel3s6 gesichert wor1 5 den ist. Es soll ferner in Übereinstimmung mit dem Gegner nur Klugen und Tüchtigen3s7 dieses Wahlrecht zustehen . Dann ist es nicht wahrscheinlich und nicht wahr, daß sie in den meisten Fällen untereinander uneinig sind - sie sind ja klug -, auch nicht, daß ihre Gesinnung verderbt ist - sie sind .ta tüchtig -; diese dritte der angeführten Schwierigkeiten blieb noch übrig. 20 Zu dem Beispiel vom römischen Reich, das wir wegen der Schwierigkeit angeführt haben, die es als Wahlmonarchie hat, ist zu sagen : Diese Schwierigkeit ist keineswegs Folge der Wahl an und für sich. Sondern diese Schwierigkeit ergibt 2; sich allein aus der Bosheit oder Unwissenheit gewisser Leute, die die Wahl und Thronerhebungass des eben genannten Herr­ schers hindern, oder aus beidem. Diese Leute müssen wir hier übergehen, denn über sie, ihr Tun und Treiben, ihre bis­ herigen, gegenwärtigen und künftigen Methoden und über 10 ihre Beweggründe soll I 1 93s9 und II 23, II 24, II 25 und II 26390 gründlich gesprochen werden. § 20 (?) Der Einwurf, ein Erbmonarch lasse sich leichter und sicherer durch guten Rat lenken als ein Wahlmonarch, ist nicht sehr überzeugend. Denn wenn der Monarch einen bösen Charakter hätte, so dürften ihm seine Ratgeber nicht 5 empfehlen, was seinem Charakter entspricht oder was er s

1 08

195

as s as4 as s 3s e

I I I I

1 3 , 3-7. 15, 3 (86,22 ff.) . 12, 3.

1 5, 2.

196

109

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

rem sunt vel appetit, sed opposita magis. Verum monarcha supposito, qualem expedire in supposicionibus et veris pro­ bacionibus diximus, que ad policiam seu commune conferens 1 0 sunt, debent prudentes et studiosi, quales nobiscum supponit disputans futuros principantis consiliarios, illi simpliciter suadere. Quinimo dicetur, expediens fortasse magis ipsos ignorare morem illius, ne ad illius *illicitum placitum* propter eius graciam aut favorem sibi querendum, sed verum et com1 5 mune conferens consulant. Hoc autem sufficienter norunt habenies politicam prudenciam ; propter quod non refert ad hoc monarche mos qualiscumque fuerit ; debet enim illl sem­ per ad policiam magis expediens suaderi. Amplius, esto noticiam disposicionum monarche aliquid 0 consiliariis conferre, propter ipsum cercius posse dirigere : 2 dicendum tarnen, non tauturn quantum per certitudinem quasi semper studiosum et prudentem habere monarcham, cuius siquidem eciam per consilium dirigendi morem atten­ dendum per se hoc ipso sufficienter consiliarius quilibet pru25 dens cognoscere potest. Talern autem cercius exhibet nova semper eleccio quam natalis successio, ut persepe diximus. Unde eciam attendendum, quod succedenti monarche per genus quandoque perverso, magis obtemperant assistentes ;o seu consiliarii, minusque increpare audent aut illius correp­ cionem temptare, propter futuram principari posteritatem ipsius. Et quod inquit Aristoteles 1° Rhetorice : Morem unius­ cuiusque maxime persuasivum ad unumquemque, potest concedi tamquam verum. Ut quod quisque secundum morem seu inclinacionem suam desiderat, vehemencius et facilius 5 persuadenti credit illud. Quod si tarnen perversum appetat, ut diximus, dehet hoc illi minime suaderi. Adhuc, quod nec pretereundum silencio, et evenire videmus persepe, monar-

392 Zu futuram principari vgl. Anm. 298 u. Vo. 393 Vgl. Anm. 360 u. § 6 gegen Ende ; nach dem folgenden Satz zu urteilen, scheint Marsilius ad unumquemque so aufgefaRt zu haben, wie es in der Übersetzung gegeben ist.

Teil I, Kapitel X VI

109

197

erstrebt, sondern vielmehr das Gegenteil. Wenn aber ein Mon­ arch angenommen wird, wie er nach unseren Voraussetzun­ gen und einwandfreien Beweisen wünschenswert ist, so 10 müssen die klugen und tüchtigen Männer, wie sie mit uns der Gegner als künftige Ratgeher des Monarchen voraussetzt, ihm schlechthin empfehlen, was dem Staat oder dem allge­ meinen Besten dient. Ja man wird sogar sagen : Es ist viel­ leicht vorteilhafter, wenn sie seinen Charakter nicht kennen, damit sie nicht anraten, was seinen unerlaubten Wünschen entspricht, um seine Gnade und Gunst zu gewinnen, sondern t 5 das Wahre und allgemeine Beste. Das aber kennen kluge Politiker zur Genüge. Deshalb ist dafür der Charakter des Monarchen, wie er auch sein mag, nicht von Bedeutung ; man muß ihm nämlich immer den für den Staat vorteilhaftesten Rat erteilen. Ferner, zugegeben, Kenntnis der Anlagen des Monarchen 20 sei für die Ratgeher von einigem Vorteil, um ihn sicherer len­ ken zu können : trotzdem muß man sagen : Diese Kenntnis nützt nicht so viel wie die Gewißheit, fast immer einen tüchti­ gen und klugen Monarchen zu haben ; den Charakter dieses Monarchen, der durch Beratung gelenkt werden soll, kann 25 doch jeder kluge Ratgeher auch allein schon dadurch391 zur Genüge erkennen, wenn der Charakter beachtet werden soll. Einen solchen Monarchen aber ergibt die Neuwahl sicherer als die Erbfolge, wie wir oft gesagt haben. Daher muß man auch beachten, daß dem Erhmonarchen, der doch manchmal verderbt ist, die Helfer oder Ratgeher sich eher fügen und 3 0 ihn weniger zu schelten oder zu tadeln wagen, weil seine Nach­ kommen einmal herrschen werden.392 Was Aristoteles Rhet. B. 1 sagt : Der Charakter eines jeden besitze für ihn die stärkste Oberredungskraft393, kann man als wahr gelten J as­ sen ; denn die Wünsche eines jeden entsprechen seinem Cha­ rakter oder seiner Neigung, und er glaubt leidenschaftlicher 5 und leichter einem, der ihn gerade dazu überreden will. Wenn er aber Verwerfliches erstrebt, dann darf dies ihm, wie ge­ sagt, keineswegs empfohlen werden. Ferner - und das darf man auch nicht mit Stillschweigen übergehen -, wir erleben 39 1

hoc ipso = durch die Erfahrung beim Ratgeben ; attendendum ( 1 08.23) wiederholt esto - conferre ; cuius - potest (25) ist Zwischengedank e ; talem knüpft an 1 08,22 an.

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

cham, si non studiosus extiterit, perversorum magis quam studiosorum plerumque sequi consilia ; propter quod ipsum, 10 quoniam cercius studiosum, per eleccionem novam sumen­ dum. § 2 1 . Et quod inducitur ex succedente per genus monarchia, civium ambicionem, temeritatem seu presumpcionem et am­ bicionem principatus indebitam magis auferri : dicendum, 1 5 quod non solum indebitum illis aufertur, verum eciam quod secundum racionem debetur, unde illis sedicionis movende datur occasio. Attendentes enim civjum plurimi super se monarchizare frequenter minus dignos secundum virtutem, et semper principatu privari, aut non intantum vacant virtu20 tibus quibus principari sint digni, aut vacantes continuo, tarnen privati sibi quandoque debito principatu, iuste sedi­ cionem movebunt ; quam siquidem minime temptabunt mo­ vere, sperantes ad principatum posse per eleccionem assumi tempore debito. Amplius, quoniam prudentes et studiosi z5 entes non absque iniuria gravi sedicionem movere tempta­ bunt. Hanc autem non illis inferet legislator aut principans studiosus, qualem semper quasi futurum diximus, qui per novam eleccionem assumitur. Plurimum enim studiosus principans et legislator intendunt quod iustum, ut in 1 3° et 14° huius. Quod autem dixit disputans : ambicionem aut presumpcionem fore civibus appetere principatum, non recte dixit ; quoniam studioso et sie bene merito appetere principa­ tum debito tempore, non est ambicio, superbia neque pre­ sumpcio, sed magnanimitatis atque virtutis politice opus 5 appetere. Propter quod Aristoteles 4° Ethicorum testatur magnanimum non inconvenienter aut preter virtutem appe­ tere magnos honores. Quod autem dixit Tullius De Officiis libro 1° : Molestum esse, quod in maximis animis etc., si verum

aus

Die Menge (Beweise I 13, 3-7) und der gute Regent (Eigensch. I 14) erstreben das Gerechte. 396a s. oben 98, 19 ff.

Teil I, Kapitel X VI

1 99

s�hr oft, daß ein untüchtiger Monarch zumeist mehr den Rat­ schlägen der verderbten als der tüchtigen Ratgeber folgt ; des1 0 wegen muß der Monarch durch Neuwahl eingesetzt werden39 4 ; denn so besteht eher Sicherheit, daß er tüchtig ist. § 21 (8) Wenn man anführt, die Erbfolge mache Ehrgeiz, Unbesonnenheit oder Anmaßung der Bürger und das ehr­ geizige Streben nach der Macht, das nicht sein darf, eher un­ möglich, so ist zu sagen : Nicht nur das, was nicht sein darf, t5 wird ihnen unmöglich gemacht, sondern auch das, was ver­ nünftigerweise sein soll, und damit wird ihnen Anlaß ge­ geben, den Bürgerkrieg zu entfachen. Da nämlich die meisten Bürger die Erfahrung machen, daß über sie häufig minder tüchtige Monarchen regieren und sie selbst immer von der Regierung ausgeschlossen sind, so bemühen sie sich entweder nicht so sehr um die Tugenden, die sie des Thrones würdig 2 0 machen, oder wenn sie es beständig tun, so werden sie, weil sie von der ihnen unter Umständen gebührenden Regierung ausgeschlossen sind, mit Recht den Bürgerkrieg entfachen ; sie werden das keineswegs versuchen, wenn sie die Hoffnung haben dürfen, zur rechten Zeit zum Herrscher gewählt zu werden. Ferner : als kluge und tüchtige Männer werden sie 25 nicht ohne schwere Beleidigung den Bürgerkrieg zu ent­ fachen versuchen, diese wird ihnen aber der Gesetzgeber oder ein tüchtiger Herrscher nicht zufügen, wie es, so haben wir behauptet, fast immer der Wahlmonarch sein wird. Mei­ stens nämlich erstrebt der tüchtige Herrscher und der Gesetz­ geber das Rechte nach I 13 und I 1 4395• Wenn aber der Gegner 1 10 behauptet hat : Streben nach der Macht sei für die Bürger Ehrgeiz oder Anma/lung, so hat er sich geirrt ; denn für den tüchtigen und in diesem Sinne wohl verdienten Mann ist Streben nach der Macht zur rechten Zeit nicht Ehrgeiz, Über­ mut oder Anmaßung, sondern der Wunsch, Taten zu voll­ bringen, die einer großen Seele und eines geborenen Staats5 mannes würdig sind. Deshalb, so bezeugt Aristoteles Eth. B. 4, ist es nicht unberechtigt oder unmoralisch, wenn eine große Persönlichkeit nach hohen Ehren strebt. Was aber Cicero über die Pflichten B. 1396a gesagt hat : Es sei peinlich, dafl in den grö{lten Seelen usw., das hat, falls er recht haben 39 4

Zu ipsum sumendum est vgl. Vo.

200

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

dixerit, veritatern habet, durn talia desiderantur indebite, in quanto vel quali aut reliquis rnodis preter raeionis norrnarn et regularn. § 22. Quod autern post hoe indueebatur, quod non trans­ rnittens prineipaturn ad heredes rnonarcha inaudebit iustifi15 eare seu punire potentes, personaliter saltern et extrerno sup­ plieio, propter tirnere ipsorurn rnalevolencias ad proprios natos : dieendurn, non tirnere, propter anirno fortern esse ta­ lern electurn. Et quoniarn iustifieati potentes, si seeundurn Iegern et ipsorurn dernerito passi fuerint, aut odiurn non eon20 eipient ad rnonarcharn et natos illius, aut debile, non queren­ tes vindictarn. Norunt etenirn ipsi iustieiarn fieri oportere per illurn vel aliurn prineipantern. Quod si tarnen id eurn appe­ titu vindicte eoneeperint, propter ipsorurn ignoraneiarn, rna­ lieiarn aut utrarnque, ad vindietarn non audebunt prorurn25 pere rnetu legislatoris et reliqui prineipantis, a quo velut a predeeessore rursurn puniri verisirniliter dubitabunt. § 23. Ei vero litigiose raeioni, quoniarn in pluribus regioni­ bus et in pluri ternpore eurn sueeessione generis rnonarche per eleeeionern videntur assurni : dieendurn, fortasse non sie seeundurn veritatern habere seeundurn ternporis plurirnurn. Esto tarnen sie esse, quernadmodurn disputans surnit. Quod autern annectit, prineipaturn hune eo naturaliorern atque per5 feeeiorern, negandurn. Et eurn indueit Aristotelis testirno­ niurn ex libro 3° Celi et Mundi, ae 2° Physice, quoniarn natura rei videtur que pluribus et plurimo tempore irrest : dieendurn utique, verurn esse *in eadern speeie*, quod natura­ lins est sie ens quarn eius privaeio vel orbaeio, non tarnen 1 0 naturalins est *aut perfeeeius* quoeurnque alio sibi specie diverso ; sie enirn faber perfeeeior esset prirno philosopho, et 10

111

ao sb

Ist mit in quanto - - - modis die Einteilung der Urteile gemeint ? Der Sinn wäre dann : nach aller Logik. 397 qudniam daR, parallel zu non timere, beides abhängig von dicen­ dum ; Punkt vor et quoniam bei Scholz. aus Vgl. Anm. 361 b. =

Teil I, Kapitel XVI

sollte, Gültigkeit < nur > , wenn einer dergleichen ohne innere Berechtigung, in jeder Weise wider Norm und Regel der Ver­ nunft erstrebt.396h § 22 (9) Wenn danach angeführt wurde, ein Monarch, der die Regierung nicht an die Erben weitergibt, werde nie den n Mut aufbringen, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen oder zu strafen, wenigstens nicht persönlich und nicht mit der Todesstrafe, weil er ihre böse Gesinnung gegen seine eigenen Kinder fürchte - so ist zu sagen : Er hat keine Angst, weil ein solcher erwählter Monarch ein tapferes Herz hat, und397 die zur Rechenschaft gezogenen mächtigen Männer werden, wenn sie nach Gesetz und Verfehlung < Strafe > er­ litten haben, entweder überhaupt keinen RaR gegen den 20 Monarchen und seine Kinder empfinden oder nur einen schwachen, und nicht auf Rache sinnen. Sie wissen nämlich selbst, daR er oder < jeder > andere Herrscher Gerechtigkeit üben muß. Wenn sie aber trotzdem RaR und Rachsucht emp­ fänden aus Unwissenheit, Bosheit oder beiden Gründen, so würden sie sich zur Rache nicht vorwagen aus Furcht vor dem 25 Gesetzgeber und dem folgenden Herrscher, von dem sie wie von dem Vorgänger wahrscheinlich wiederum Strafe be­ fürchten würden. § 23 (10) Auf den Einwurf, daR offenbar doch in den mei­ sten Ländern und in der längsten Zeit Erbmonarchen durch Wahl auf den Thron kommen, ist z u entgegnen : I n der längsten Zeit stimmt vielleicht nicht. Doch es mag so sein, wie der Gegner annimmt. Was er aber hinzufügt, diese Re­ gierungsform sei darum natürlicher und vollkommener, ist 5 abzulehnen. Wenn er das Zeugnis des Aristoteles aus der Schrift ,Von Himmel und Welt' B.. 3 und aus der Physik B. 2398 anführt, Wesen einer Sadte sei offenbar das, roas in den mei­ sten Fällen und in der längsten Zeit ihr eigentümlidt ist, so ist jedenfalls zu sagen : Das gilt nur innerhalb der gleichen Art, weil < ein Ding > natürlicher ist, wenn es in seinem Sosein vollständig ist, als wenn an ihm etwas nicht vorhanden ist 1 0 oder fehlt, jedoch ist es nicht natürlicher oder vollkommener als etwas Artverschiedenes. Dann wäre nämlich der Hand­ werker vollkommener als der Metaphysiker und die 10

111

201

202

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fabrilis prima philosophia vel alia speculativa quacumque ; quod tarnen, ut pridem diximus, neque necessarium est neque veru m. Nunc autem electa semper noviter monarchia t5 non est privacio succedentis ex genere, nec econverso, sed species invicem disparate, simul in eodem incompossibiles respectu eiusdem multitudinis seu communitatis subiecte. Sunt autem et alia fortasse peccata oracionis predicte, que consideranti reliquimus et assignare omisimus propter ab­ breviacionem sermonis. 20 § 24. Ad eam vero qua omnium novissime astruebatur, monarcham electum cum omni posteritate prestanciorem propter eius ampliorem similitudinem unitatis ad principem universi : dicendum, non tantum attendendam huius uni­ tatis similitudinem, quamvis equivocam quasi, quantum 25 secundum animam seu anime habitum est attendenda perfeccionis conformitas. Est enim hec precipua causa, propter quam debet quis ad principatum assumi, non simi­ litudo generis, secundum quam solum attenditur unitas corporalis disposicionis per se, non autem habitus anime, 5 propter quem per se alicui principatus debetur. Secundum hanc autem perfeccionis unitatem sive similitudinem am­ plius et sepius suo precessori et studioso monarche ac enti primo seu principi universitatis encium conformatur electus monarcha singulariter secundum seipsum quilibet, quam 10 successor ex genere solo et propter alterius eleccionem, ut palam ex prioribus dictis. 401 Zum Gedankengang : Der Gegner nimmt an, dafl die Wahlmonarchie

sozusagen eine Erbmonarchie ist, der die Erbfolge fehlt, und schließt aus dem Mangel eines Merkmals au f den geringeren Wert der Wahl­ monarchie. Marsilius entgegnet : Der vom Gegner zitierte Satz des Aristoteles besteht zu Recht innerhalb derselben Art. Wahlmonarchie und Erbmonarchie sind aber verschiedene Arten, und so gilt der Satz hier nicht. Sonst wäre der Handwerker vollkommener als der Metaphysiker ; denn die Handwerker sind zahlreicher, und ihr Stand existiert seit längerer Zeit. 4 02 Einheit in der körperlichen Beschaffenheit bei der Erbmonarchie, in den hohen charakterlichen Vorzügen bei der Wahlmonarchie. 403 des Gründers der Dynastie. =

Teil I, Kapitel XVI

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203

Handwerksweisheit vollkommener als die Metaphysik oder irgendeine andere theoretische Wissenschaft, was jedoch, wie eben39 9 gesagt, weder denknotwendig noch wahr400 ist. Nun aber bedeutet die Wahlmonarchie nicht Ausschluß des get 5 burtsrechtlichen Nachfolgers, auch nicht umgekehrt, sondern es liegen zwei verschiedene Arten vor, die gleichzeitig in dem­ selben < Bereich > unvereinbar sind in Beziehung auf dasselbe Volk oder dieselbe Untertanenschaft.401 Vielleicht gibt es aber noch andere Mängel in den eben zitierten Worten < des Geg­ ners > , die wir dem nachdenklichen Leser überlassen und nicht weiter festgestellt haben, um die Darstellung abzukürzen. zo § 24 ( 1 1 ) Zu dem allerletzten Einwand, der Erbmonarch sei vorzuziehen, weil die Erbmonarchie hinsichtlich der Ein­ heit größere Ähnlichkeit mit dem Herrscher des Universums habe, ist zu sagen : Die Ähnlichkeit in dieser Einsicht - frei­ lich ein doppelsinniger Ausdruck402 - ist nicht so beachtlich 25 wie die Gleichheit in der Vollkommenheit der Seele oder ihres Habitus. Dies ist nämlich die entscheidende Ursache, warum man einen auf den Thron erheben muß, nicht die Ähnlich­ keit mit dem bisherigen Herrscherhause, bei der nur die Ein­ heit der körperlichen Anlage allein in Betracht kommt, nicht aber der Habitus der Seele, dessenfwegen allein jemandem 5 die Regierung zusteht. Hinsichtlich dieser Einheit oder Ähn­ lichkeit in der Vollkommenheit aber gleicht seinem Vor­ gänger, einem tüchtigen Monarchen, und dem ersten Seien­ den oder dem Herrscher über die Gesamtheit der Dinge jeder Monarch, der für seine Person einzig und allein auf Grund seines Charakters gewählt wird, genauer und öfter als einer, 1 0 der auf Grund der bloßen Zugehörigkeit zum Herrscherhause und wegen der Wahl eines anderen403 zur Regierung kommt ; das ist aus früheren Darlegungen klar.

39 9 400

1 1 1 , 7 ff. Denknotwendig fahrung gegeben.

=

logisch beweisbar ; wahr

=

wirklich

=

in der Er­

204

15

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

§ 25. Apparebunt autem et apparent fortasse utrimque quamplures instaneie melius et deterius in singulis ad poli­ eiam eonsiderare volenti ; quas tarnen magis aUendendas advertimus, in predictis induximus. De perfectissimo itaque modo instituendi monarcham sie pertransivisse suf:fieiat.

C A P I T U L U M XVII

20

D e numerali unitate s u premi prineipatus eivitatis a u t regni, et ipsius n e e e s s i t at e ; u n d e e e i a m a p p a r e t unitas numeralis eivitatis aut regni, et numeralis u n i t a s s i ngularum p a r e i u m p r im a r u m s i v e o f fi e i o ­ r u m e i v i t a t i s a u t reg n i .

Biis autem habitum erit dieere de prineipantis *seu prineipatus* unitate ; ad quam siquidem ingredientes, dieamus : quod in eivitate uniea seu regno unieo esse oportet unieuro tantummodo prineipatum, aut si plures numero vel speeie, sieut in magnis eivitatibus expedire videtur et maxime in regno sumpto seeundum primam signifieaeionem, oportet 30 inter ipsos unieuro numero esse supremum omnium, ad quem e t p e r quem reliqui redueantur e t regulentur, e t eontingentes in ipsis errores per ipsum eeiam eorrigantur. § 2. Rune autem solummodo prineipatum, supremum sei5 lieet, dieo unum numero ex neeessitate fore, non plures, si debeat regnum aut eivitas rede disponi. Idemque dieo de prin­ eipante seeundum illum, non quidem unieuro numero prinei­ pantem seeundum suppositum humane speciei, sed seeun­ dum offieium. Est enim principatus aliquis unieus numero 1 0 supremus et bene temperatus, seeundum quem prineipantur plures hornirres uno, ut aristoeracia et polieia, de quibus dixi25

113

4 0 6 1 7, 1 1 . 4 os I 5, 1 .

4 0 7 1 7, 12. 4 09 I 2 , 2.

4 t o Derselbe Gegensatz von abstrakter Regierungsgewalt und daraus abgeleiteter konkreter Regierung 1 04,5-6. 4 1 1 I 8, 3.

Teil !, Kapitel X VII

15

205

§ 25 Es werden sich sehr viele Einwände ergeben, und sie ergeben sich vielleicht von beiden Standpunkten her einem, der erwägen will, was im einzelnen für den Staat besser und schlechter ist ; die beachtenswertesten jedoch, die uns aufgefallen sind, haben wir soeben angeführt. über das vollkommenste Verfahren der Einsetzung eines Monarchen so im überblick gehandelt zu haben, mag nun genügen. KA P I T E L XVII

20

D i e E i n h e i t 404 d e r o b e r s ten R e g i e r u n g in S t a d t o d e r S t a a t u n d d i e N o t w e n d i g k e i t 405 d i e s e r E i nh e i t ; d a r ­ a u s e r g i b t s i c h a u ch d i e E i n h e i t v o n S t a d t o d e r S t a a t 406 u n d d i e E i n h e i t 407 d e r e i n z e l n e n G r u n d ­ b e s t a n d t e i l e o d e r B e r u f s s t ä n d e 408 d e r S t a d t o d e r d e s S t a a t e s.

§ 1 Anschließend wird von der Einheit des regierenden Bestandteiles oder der Regierung zu sprechen sein ; dazu wol­ len wir sagen : In einer einzigen Stadt oder einem einzigen Staat darf es nur eine einzige Regierung geben ; oder wenn es mehrere an Zahl oder Art sind, wie es bei großen Städten vorteilhaft zu sein scheint und besonders bei einem Staat in 3o der ersten Bedeutung 409 , so muß unter ihnen e i n e die alleroberste sein, auf die alle übrigen zurückzuführen sind und die ihnen Richtlinien gibt und auch die bei ihnen vorkom­ menden Irrtümer berichtigen soll. § 2 Diese Regierungsgewalt4 1 0, die oberste, wird, so be5 haupte ich, mit Notwendigkeit nur e i n e sein ; mehrere kann es nimt geben, wenn Staat oder Stadt richtig regiert werden soll, und dasselbe sage ich von d e m Bestandteil des Staates, der als Verkörperung dieser Regierungsgewalt regiert, die somit sich einheitlich betätigt nicht wie ein Individuum menschlicher Art, sondern in der Amtshandlung. Es gibt näm­ lich manche einheitliche oberste und gutgeordnete StaatsI O form, bei der mehr Männer als einer regieren, wie Aristo­ kratie und Politie, über die wir I 84 11 gespromen haben. Aber

25

113

404 405

Vgl. W unitas und II 28, 13 u. 14. 17, 1-10.

206

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

mus 8° huius. Verum hii plures sunt unus principatus numero quantum ad officium, propter numeralem unitatem cuiuscumque accionis provenientis ab eis, iudicii seu senten1 5 cie vel precepti ; nulla enim talium accionum provenire potest ab ipsorum aliquo seorsum, sed ex communi decreto atque con­ sensu eorum aut valencioris partis secundum statutas Ieges in hiis. Et propter talem accionis numeralem unitatem sie provenientis ab eis est et dicitur principatus numero unus, 20 sive unico regatur homine sive pluribus. Talis vero unitas accionum non requiritur in aliquo uno reliquorum officiorum seu parcium civitatis ; possunt enim et debent in unoquoque ipsorum plures acciones consimiles aut diverse specie a diver­ sis in eis suppositis provenire seorsum. Quinimo talis unitas 25 accionis in eis esset communitati et singulis importabilis et nociva. § 3. Sie itaque intellecta unitate numerali principatus aut principantis, convincere volumus, aut unieuro numero tan­ tummodo principatum vel principantem esse in civitate vel ;o regno, aut, si plures, supremum omnium esse unicum tantum numero, non plures. Hoc autem sie primum monstrabimus : quoniam si principatus essent plures in civitate vel regno, et 1 14 non reducti seu ordinati sub aliquo uno supremo, defi.ceret iudicium, preceptum et execucio conferencium et iustorum, et ex hiis propter invindicatas iniurias hominum pugna, sepa­ racio et corrupcio demum civitatis aut regni. Consequens au5 tem istud est inconveniens maxime fugiendum, cuius quidem ad antecedens datum, pluralitatem scilicet principatuum, consequencia potest evidenter ostendi. Primum quidem, quon­ iam legum transgressores iustifi.cari racionabiliter nequeunt, nisi vocati coram principante ad quesitorum seu ipsis obiec1 0 torum examinacionem. Sed principatuum supposita plurali­ tate, non reducta in supremum aliquem unum, quomodo dicit 412 Zu principatus und principans vgl. 1 1 3, 2-6 mit Anm.

413

4 14

m

I 17, 4. zweitens Regent und Richter sind für Marsilius identisch. Fortführung amplius 1 14,26. =

Teil !, Kapitel XVII

207

diese vielen sind zahlenmäßig e i n e Regierung in der Amts­ handlung wegen der Einheit eines jeden Aktes, der von ihnen ausgeht : eines Gerichtsurteils oder Richterspruchs oder einer 1 5 Anordnung ; denn kein solcher Akt kann von einem Mitglied der Regierung gesondert ausgehen, sondern nur von einem gemeinsamen und einhelligen Beschluß der Mitglieder oder ihrer Mehrheit nach der unter ihnen gültigen Geschäftsord­ nung. Wegen einer solchen Einheit des Aktes, der so von ihnen ausgeht, ist und heißt die Regierung e i n e , mag ein einziger 20 Mensch regieren oder mehrere. Eine solche Einheit der Akte ist aber in keinem anderen Berufsstand oder Bestandteil des Staates erforderlich ; es können nämlich und müssen in jedem von ihnen mehrere Akte, ähnlich oder verschieden der Art nam, von den verschiedenen Individuen in ihnen gesondert ausgehen. Ja, eine solche Einheit des Handeins wäre bei 25 ihnen für die Gemeinschaft und den einzelnen sogar uner­ träglich und smädlich. § 3 Nachdem nun die Einheit der Regierungsgewalt oder des regierenden Bestandteils so verstanden ist, wollen wir namweisen, daß es entweder nur eine einzige Regierungs­ gewalt oder einen einzigen regierenden Bestandteil in einem Staate oder Reiche gibt, oder wenn es mehrere sind, daß die ;o alleroberste Regierungsgewalt nur eine ist, nicht mehrere.4 1 2 Das aber werden wir zuerst413 so zeigen : Wenn es mehrere Regierungen in der Stadt oder dem Staate gäbe, und zwar 1 14 ohne daß sie auf eine oberste Regierung zurüCkgeführt oder dieser untergeordnet wären, so müßten Rechtsprechung, An­ ordnung und Durchführung des Nützlichen und Gerechten versagen, und weil die Vergehen der Menschen nicht gesühnt würden, daraus Kampf, Spaltung und schließlich Untergang 5 des Staates oder Reiches hervorgehen. Diese Folge ist uner­ träglich und muß mit aller Mamt vermieden werden ; daß sie aus der gegebenen Voraussetzung sim ergibt414, nämlich aus der Mehrzahl der Regierungen, läßt sich überzeugend bewei­ sen. Denn erstens4 15 : Übertreter der Gesetze kann man in ver­ nünftiger Weise nur zur Rechenschaft ziehen, wenn man sie zur Prüfung des Falles oder der Anklage vor den Regenten 1 0 lädt. Wenn man aber eine Mehrzahl von Regierungen vor­ aussetzt, ohne daß diese auf eine einzige oberste Regierung zurüCkgeführt wären, wie der Gegner Mehrzahl meint, dann

208

1 15

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

ipsam disputans, nemo vocatus coram principante sufficien­ ter poterit comparere. Esto namque, sicut frequenter evenit, quod propter legis transgressionem aliquam vocetur aliquis t 5 respondere a pluribus principatibus non sub invicem ordina­ tis et pro eodem tempore, quoniam eadem racione tenetur et potest unus principatuum vocare seu citare reum qua reli­ quus ; et qua eciam racione vocatus tenetur coram uno princi­ patuum respondere, ne contumax habeatur, eadem racione 20 coram alio vel aliis, si duobus fuerint ampliores. Aut igitur coram omnibus simul apparebit, aut coram nullo ipsorum ; vel corarn quodam quidern sie, corarn alio vel aliis rninime. Coram ornnibus autem simul et eodem tempore non, quoniam hoc est impossibiliurn natura et arte ; idem enim corpus non 25 potest simul esse in diversis locis aut pluribus sirnul loqui vel respondere, diversa fortasse interrogantibus simul. Arnplius esto, quarnvis irnpossibile, vocatum coram pluribus princi­ patibus cornparere sirnulque diversa tacere vel respondere, ab uno tarnen fortasse principatuurn de eodem crimine darnp30 nabitur, ab alio fortasse absolvetur ; vel si ab utroque dampnaretur, non equaliter ab utroque. Propter quod ernendare tenebitur et non tenebitur, aut si tenebitur, hoc erit in tanto et ampliori vel pauciori, et sie in tanto et non in tanto. Unde 5 vel sirnul contradictoria faciet, aut nihil ernendabit. E adern enim racione unius principatus et alterius debet observare preceptum. Coram uno principatuum apparere rnagis quam coram reliquo vel reliquis, non habet aliquam racionem. Quod si tarnen appareat coram uno, reliquis spretis, et ab illo to fortassis absolvatur a culpa et pena civili, a reliquis tarnen darnpnabitur propter contumaciarn. Sie igitur vocatus seu citatus, nec corarn omnibus apparebit simul, nec corarn quo­ dam quidem sie, coram quodarn quidern non, convenienter poterit apparere. Relinquitur ergo, ut corarn nullo principatu

4 16 Zu

sie vgl. Vo.

Teil I, Kapitel XVII

115

209

wird niemand auf Vorladung vor dem Regenten in befriedi­ gender Weise erscheinen können. Nehmen wir an, wie es häu­ fig vorkommt, wegen Übertretung eines Gesetzes werde einer zur Verantwortung geladen von mehreren Regierun1 5 gen, die einander nicht untergeordnet sind, und zwar für dieselbe Zeit ; die eine Regierung hat ja in gleicher Weise die Verpflichtung und das Recht, den Angeklagten vorzuladen ' oder zu bestellen wie die andere, und in gleicher Weise, wie der Vorgeladene verpflichtet ist, sich vor der einen Regierung zu verantworten, um nicht für widerspenstig gehalten zu werden, so ist er es auch vor der anderen oder den anderen, 20 wenn es mehr als zwei sind - dann wird er also entweder vor allen zugleich erscheinen oder vor keiner von ihnen oder vor einer bestimmten schon41 6 , vor der anderen aber oder den anderen keineswegs ; vor allen aber zugleich und zur seihen Zeit nicht, das ist ja schlechterdings unmöglich. Derselbe Körper 25 kann doch nicht zugleich an verschiedenen Orten sein oder, wenn mehrere vielleicht Verschiedenes gleichzeitig fragen, ihnen Rede und Antwort stehen. Zweitens angenommen, so unmöglich das ist, der Vorgeladene erscheine vor mehreren Regierungen und verschweige oder antworte zugleich Ver­ schiedenes, dann wird ihn doch vielleicht die eine wegen desVergehens verurteilen, die andere vielleicht frei3 o seihen sprechen, oder wenn beide ihn verurteilen, nicht in gleichem Sinne. Deswegen wird er verpflichtet werden, Schadenersatz zu leisten, und zugleich nicht, oder wenn es geschieht, wird der Ersatz in so viel bestehen bei dem einen oder in mehr oder weniger bei dem anderen und dann wieder in so viel und nicht in so viel. Daher wird er entweder zugleich Widersprechendes 5 tun oder überhaupt keinen Ersatz leisten. In gleicher Weise nämlich muß er die Weisung der einen und der anderen Be­ hörde befolgen. Vor einer Regierung mehr zu erscheinen als vor der anderen oder den anderen, hat er keinen Grund. Wenn er nun jedoch vor der einen erschiene und die anderen nicht to beachtete und jene ihn vielleicht von gesetzlicher Schuld und Strafe freispräche, so würden ihn die anderen wegen Nicht­ erscheinens verurteilen. So wird er also, vorgeladen oder be­ stellt, weder vor allen Regierungen zugleich erscheinen, noch wird er richtigerweise vor einer bestimmten Regierung er­ scheinen können, vor einer bestimmten wieder nicht. Also bleibt

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Marsilius v o n Padua, Verteidiger des Friedens

vocatus seu citatus debeat comparere, non igitur iustificari poterit. Est igitur impossibilis civitati vel regno pluralitas talium principatuum non subordinatorum invicem, si debeat conservari civile iustum et conferens. § 4. Amplius, talium principatuum pluralitate supposita, 20 omnis communis utilitas turbaretur. Cum enim principantes frequenter precipere debeant civium precipue vacancium congregacionem, propter communia conferencia inquirenda et determinanda vel propter incommoda et emergencia peri­ cula declinanda, ut volencium intrinsecus aut extrinsecus 25 opprimere libertatem communem ; qua quidem enim racione convenire tenentur cives seu subditi vocati ad mandatum, locum et horam unius talium principatuum, eadem propter mandatum ad locum et horam alterius ; cumque hora eadem, loca vero possint esse diversa. Et rursum, quod volet unus principatuum proponere, diversum forte ab hoc volet alter ; 5 euro tarnen in locis diversis esse simul, nec simul diversa intendere possibile videatur. § 5. Rursum contingeret ex hoc civium seccio et opposicio, pugna et separacio, demumque civitatis corrupcio, volenti­ bus quibusdam ipsorum uni principat i mm obedire, quibus1 0 dam vero alteri ; inter principatus quoque invicem, propter velle supergredi quemcumque ipsorum ad alterum ; adhuc principatuum ad cives sibi recusantes subesse. Et amplius principatibus dissidentibus aut invicem contendentibus et iudice superiori carentibus, orirentur scandala supradicta. t5 § 6. Rursum, supposita pluralitate hac, erit aliquid maxi­ morum secundum racionem et artem ociosum atque super­ :fluum. Nam per unieuro principatum, aut supremum unicum, 15

1 16

4 1 7 Vgl. Sclwlz 1 1 6 Anm. 1 .

Teil !, Kapitel X VII

21 1

nur übrig, daß er vor keiner Regierung auf Vorladung oder Bestellung zu erscheinen braucht ; er wird also nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Daraus folgt : Für eine Stadt oder einen Staat ist eine Mehrzahl solcher einander nicht untergeordneter Regierungen unmöglich, wenn das im Staatsleben Gerechte und Nützliche bestehen bleiben soll. § 4 Weiter : Unter Voraussetzung einer solchen Mehrzahl 2o von Regierungen würde das Gesamtinteresse völlig gestört. Die Regierung muß nämlich häufig eine Versammlung der Bürger, zumal der höheren Stände, einberufen, um Fragen des Gemeinwohls zu untersuchen und zu entscheiden oder u m Nachteile und auftauchende Gefahren abzuwenden, z. B. � 5 wenn innere oder äußere Feinde die Freiheit des Volkes unterdrücken wollen ; in der gleichen Weise nun, wie die Bii r­ ger oder die Untertanen durch eine Ladung verpflichtet sind, auf eine Weisung an einem Ort oder zu einer Stunde zusam­ menzukommen, die e i n e solche Regierung bestimmt, werden sie durch eine Weisung, die eine andere Regierung ansetzt, 1 16 an einen Ort oder zu einer Stunde bestellt ; wenn die Stunde dieselbe wäre, so könnten doch die Orte verschieden sein ; und ferner, was die eine Regierung vorschlagen will, davon wird vielleicht das, was die andere will, verschieden sein ; indessen 5 an verschiedenen Orten zugleich zu sein und zugleich mit Ver­ schiedenem sich zu beschäftigen, ist offenbar unmöglich. 41 7 § 5 Ferner : Daraus würde unter den Bürgern Zerrissenheit und Gegensatz, Kampf und Spaltung entstehen und schließ­ lich Untergang des Staates, wenn einige von ihnen der einen Regierung gehorchen wollen, einige einer anderen ; aum 1 0 Kampf der Regierungen untereinander, weil jede von ihnen gegenüber der anderen das Übergewicht behaupten will, weiter Kampf der Regierungen gegen die Bürger, die es ab­ lehnen, sich ihnen unterzuordnen. - Außerdem würden, wenn die Regierungen uneinig wären oder sich unterein­ ander bekämpften und keinen obersten Richter hätten, die obengenannten Ärgernisse entstehen. 15 § 6 Ferner : Wenn man diese Mehrzahl der Regierungen voraussetzt, wird etwas vom Standpunkt der Vernunft und der Praxis höchst Zweckloses und überflüssiges herauskom­ men ; denn durch eine einzige Regierung oder eine einzige oberste Regierung kann man in vollkommener Form alles 15

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

perfecte haberi potest, quicquid civilis utilitatis habe­ retur ex pluribus, absque nocumentis consequentibus plura20 litatem ipsorum. § 7. Amplius, horum sie supposita pluralitate, nullum reg­ num aut civitas erit una. Hec enim unum sunt et dicuntur propter unitatem principatus, ad quem et propter quem reli25 que partes civitatis ordinantur omnes, ut eciam apparebit ex hiis que continuo dicturi sumus. Rursumque nullus e�it ordo 11? parcium civitatis aut regni, cum ad nullam primam ordinen­ tur, eo quod nulli subici teneantur, ut liquido apparuit ex prioribus racionibus, eritque ipsarum atque tocius civitatis 5 confusio. Eliget enim sibi quod quisque volet officium, unum aut plura, nullo regulante nec talia separante. Tot quoque sequerentur ad hoc inconveniencia, ut ea non facile aut non possibile sit dinumerare. § 8. Adhuc, sicut in composito animali primum precipiens et movens ipsum, motu eo qui secundum locum, est unum, 10 ut in eo libro qui De Motibus Animalium apparet, quoniam pluribus existentibus hiis principiis et contraria vel d'iversa simul precipientibus, necesse foret animal aut in contraria ferri vel omnino quiescere et hiis carere, que per motum sibi 1 5 necessaria queruntur et commoda ; sicque in civitate con­ venienter ordinata, quam animali bene formato secundum naturam proporcionaliter habere diximus 15° huius. ldeoque velut in animali talium principiorum ociosa, quinimo nociva foret pluralitas, eodem modo in civitate firmiter opinandum. ldem autem videre est, intendere volenti de primo alteraute 20 in animali, quemadmodum de movente secundum locum, et in toto similiter ordine movencium et motorum. Hec autem

42 0 sicut 1 1 ?,8 und sicque 1 1 ?, 1 4 (= sie) entsprechen sich ; vgl. Vo que. 4 2t I 1 5, 5-?. 4 22 Oder sind in animali und in toto parallel ? Dann wäre das primum

alterans dem primum movens nicht nebengeordnet, wie in der Über­ setzung angenommen ist, sondern übergeordnet.

Teil /, Kapitel X VII

213

Nutzbringende für die Allgemeinheit haben, was man von mehreren haben würde, ohne die Schädigungen, die aus ihrer 20 Mehrzahl folgen. § "l Ferner : Wenn eine Mehrzahl von Regierungen in die­ sem Sinne vorausgesetzt ist, so wird kein Reich und kein Staat eine Einheit418 sein. Diese sind und heißen nämlich eine Einheit wegen der Einheit der Regierung, auf die und derent25 wegen die übrigen Bestandteile des Staates alle sich ausrich­ ten, wie sie sich auch aus dem unmittelbar Folgenden ergehen wird. Ferner wird es keine Ordnung der Bestandteile der 1 1? Stadt oder des Staates geben, wenn sie sich nicht nach dem ersten Bestandteil ausrichten, weil sie nicht gehalten sind, sich e i n e m unterzuordnen, wie sich aus früheren Überlegun­ gen klar ergeben hat, und Verwirrung wird herrschen in den Bestandteilen und im ganzen Staate. Jeder wird nämlich sich 5 den Beruf wählen, den er wünscht, einen oder mehrere, wenn niemand regelnd eingreift und solche Berufe auseinander­ hält. Es würden auch soviel Unzuträglichkeifen die Folge sein, daß es nicht leicht oder nicht möglich ist, sie au fzuzählen. § 8 Ferner : In einem zusammengesetzten Lebewesen ist das leitende und es im Raum bewegende Prinzip eins, wie in 1 0 dem Buch < des Aristoteles > über die Bewegungen der Tiere4 19 deutlich wird ; denn wenn mehrere solche Prinzipien vorhan­ den wären und entgegengesetzte oder verschiedene Weisun­ gen gleichzeitig erteilten, so müßte notwendigerweise das Lebewesen entweder hin und her gezerrt werden oder völlig unbewegt bleiben und auf das ihm Notwendige und Zuträg­ liche verzichten, was es durch die Ortsbewegung für sich ern strebt ; ebenso420 ist es in einem zweckmäßig geordneten Staate, der seiner Natur nach einem wohlgebildeten Lebe­ wesen entspricht, wie wir I 1 5421 gesagt haben. Darum muß man fest glauben : Wie in einem Lebewesen eine Mehrzahl solcher Prinzipien zwecklos, ja sogar schädlich wäre, ebenso wäre es in einem Staate. Dasselbe kann sehen, wer seinen 20 Blick auf das Prinzip der Veränderung in einem Lebewesen richten will, wie wir bei dem bewegenden Prinzip im Raume und ebenso in der gesamten Ordnung422 des Be4 18

m

W unus. V gl. Scholz 1 1 ? Anm. 1 .

2 14

118

Marsilius

von

Padua, Verteidiger d e s Friedens

pretermittantur, quoniam ad naturale pertinent negocium magis ; quantum autem sufficiens est, de ipsis diximus ad pre­ sentem consideracionem. 25 § 9. Amplius, quoniam ars omnino aliqua quidem perficit, q u e natura non potest operari, alia vero imitatur, u t i n 2 ° Phy­ sice scripturn est ; in natura vero encium cum sit unieuro numero primum *principans*, non plura, quoniam encia non volunt male disponi, sicut habitum est 1 2° Philosophie prime ; 5 unus ergo erit numero tantum primus principatus secundum racionem et artem hominum institutus. Cum dictis autem racionibus est hoc videre, verum expediens et necessarium experiencia cunctis sensata : quoniam in quo loco seu pro­ vincia vel hominum congregacione principatus, quomodo 10 diximus, defecerit unitas, hec impossibile videtur bene dis­ poni, quemadmodum de Romanorum regno quasi omnibus evidenter apparet, et in prohemialiter dictis aliqualiter mon­ strabatur. § 1 0. Utrum autem universitati civiliter vivencium et in orbe totali unieuro numero supremum omnium principatum 15 habere conveniat, aut in diversis mundi plagis, locorum situ quasi necessario separatis, et precipue in non communicanti­ bus sermone ac moribus, et consuetudine distantibus pluri­ mum, diversos tales principatus habere conveniat tempore 20 quodam, ad hoc eciam forte movente *causa* celesti, ne homi­ num superflua propagacio fiat, radonabilern habet perscru­ tacionem, aliam tarnen ab intencione presenti. Videretur enim fortasse alicui naturam per pugnas et epydimias hominum et reliquorum animalium moderasse propagacionem, ut ad 25 ipsorum educacionem arida sufficiat, in quo maxime susten­ tarentur dicentes generacionem eternam. 424 Ar. Phys. II 1 3 1 98 a, 13 f. : ßÄwt; TB "' TBXVTJ Ta p,ev buTeÄei, a "' qnJatt; &!5vvau'l d:n:eeyaaaa&at, Ta !58 p,tp,ehm. 425 Ar. Met. X I I 10 1 076 a, 3 f. : Ta !58 lJvm o-ö ßovÄemt :n:oÄtuvea&atl ua-xwt;. 4 26 I 1, 3. 427 Die Existenz vieler selbständiger Staaten führt zu Kriegen, und d iese verhindern die übermäßige Vermehrung der Menschheit. 428 Vgl. 546,14 : Skepsis gegenüber der Universalmonarchie. Vgl. Gewirth I 126 f. 4 29 Scholz 1 1 8 Anm. 2. =

=

Teil I, Kapitel XVII

213

wegenden u n d Bewegten . Diese Fragen aber sollen beiseite bleiben, sie gehören vielmehr zur Aufgabe der Wissenschaft von der Natur42 3 ; was wir darüber gesagt haben, reicht für die gegenwärtige Betrachtung aus. § 9 Ferner : Die menschliche Technik stellt einiges her, mas 25 die Natur nicht hervorbringen kann, anderes ahmt sie nam, wie in der Physik B. 2424 steht ; da es aber in der Welt der 1 18 Dinge nur e i n oberstes herrschendes Prinzip gibt, nicht mehrere, roeil die Dinge ja nicht schlecht regiert sein roollen, wie es in der Metaphysik B. 1 2425 heißt, so wird es also nur 5 e i n e nach der Vernunft und der praktischen Fähigkeit der Menschen eingerichtete oberste Regierung gehen. Daß dies aber ein wahrer Vorteil und eine Notwendigkeit ist, das kann man außer durch die genannten Vernunftgründe an einer Er­ fahrung erkennen, die allen einsichtig ist : In dem Ort oder Land oder der menschlichen Vereinigung, wo die Einheit der Regierung in dem angegebenen Sinne fehlt, ist eine gute Rew gierung offenbar unmöglich, wie das heim römischen Reich wohl allen deutlich vor Augen liegt und in der Einleitung426 einigermaßen gezeigt worden ist. § 10 Ob es aber für die gesamte zivilisierte Menschheit, und zwar auf der ganzen Erde, zweckmäßig ist, eine einzige alleroherste Regierung zu haben, oder ob es in einer hestimmt 5 ten Zeit zweckmäßig ist, in den verschiedenen Landschaften der Welt, die durch die geographischen Verhältnisse gerade­ zu notwendig getrennt sind und vor allem in denen ohne Sprachgemeinschaft und mit sehr stark abweichenden Sitten und Lebensformen, verschiedene solche Regierungen zu haben, wobei außerdem auch vielleicht eine himmlische Ur25 sache4 2 7 dahin wirkt, daß keine übermäßige Vermehrung der Menschheit eintritt, das verlangt eine vernünftige Unter­ suchung428 ; die liegt jedoch dem gegenwärtigen Thema fern. Es könnte nämlich vielleicht manchem scheinen, als habe die Natur durch Kriege und Epidemien die Vermehrung der Menschen und der übrigen Lebewesen gehemmt, damit zu ihrer Ernährung die Erde genüge, < eine Auffassung > , in der 25 die Verfechter der ewigen Zeugung4 29 eine starke Stütze hätten. 42 3

W scientia.

216

119

1 20

Marsilius v o n Padua, Verteidiger des Friedens

§ 1 1 . Ad propositam tarnen nobis redeuntes intencionem, dicamus, ex hiis que dicta sunt iam aliqualiter apparere, que sit numeralis unitas civitatis aut regni ; quoniam hec unitas est ordinis, non simpliciter unitas, sed pluralitas aliquorum, 5 que una dicitur ; vel qui aliquid unutn dicuntur numero, non propter hoc quod unum numero sint formaliter per aliquam formam, sed unum numero vere dicuntur, propterea quod ad unum numero *sunt et* dicuntur, principatum scilicet, ad 10 quem et propter quem ordinantur et gubernantur. Civitas enim aut regnum non est unorum per formam aliquam uni­ cam naturalem, ut composicionis aut commixcionis, quoniam eius partes seu officia et harum parcium supposita sive par­ tes sunt multa in actu et separata invicem numero formaliter, 1 5 quoniam loco atque subiecto. Unde nec sunt unum per ali­ quid formaliter inherens unum, nec pertangens unum aut ea continens velut murus. Roma namque cum Maguncia et reli­ quis communitatibus sunt unum regnum seu imperium numero, non aliter tarnen, nisi quia unaqueque istarum ordi20 nata est per voluntatem ad unum numero principatum supre­ mum. Quo eciam quasi modo mundus dicitur unus numero, non plures mundi, non quidem propter formam aliquam uni­ c � m numeralem formaliter universis entibus inherentem, sed propter numeralem unitatem primi entis dicuntur omnia encia unus mundus numero, quoniam encium quodcumque natu­ raliter inclinatur et pendet ab ente primo. Unde predicacio qua omnia encia dicuntur unus mundus numero, non est for­ maliter alicuius unitatis numeralis in eis omnibus, neque ali> cuius universalis dicti secundum unum, sed est pluralitas quorundam dicta unum, quia est ad unum et propter unum. Sie quoque unius civitatis aut provincie homines dicuntur una civitas aut regnum, quia volunt unum numero princi­ patum.

4 34 4 35

Staates nicht abgeleitet werden ( 1 1 9, 1 5) . Vgl. 36,6 ff. - Trennung der Stände nach dem Wohnbezirk ( 1 1 9, 14) entspricht der mittelalterlichen Ordnung. Die einheitliche Form Idee, die in den Dingen erscheint. Die Aussage ist nicht eine von einer Einheit. =

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§ 11 Kehren wir jedoch zu unserem Thema zurück und stellen fest : Aus dem Gesagten ist nunmehr ziemlich klar, welches die Einheit einer Stadt oder eines Staates ist ; sie ist Einheit der Ordnung, nicht Einheit schlechthin, sondern sie 5 ist eine Mehrzahl einiger430 Männer, die Einheit heißt oder die etwas Einheitliches heißen - nicht weil sie Eines sind formal durch eine forma, sondern die deswegen mit Recht Eines hei­ ßen, weil sie auf Eines bezogen sind und nach ihm genannt werden, der Regierung, auf die hin und derentwegen4 31 sie ge1 0 ordnet und gesteuert werden. Die Stadt nämlich oder der Staat gehört nicht zu den Einheiten, < die > durch eine natür­ liche einheitliche Form , wie < das > einer Zusammensetzung oder Mischung432 < eigen ist > ; denn seine Bestandteile oder Beru fsstände oder von diesen Bestandteilen die Untergruppen oder Teile sind in Wirklichkeit zahlreich und untereinander getrennt in formaler Hinsicht, nämlich 15 nach Ort433 und Individuum. Daher sind sie weder eine Ein­ heit durch etwas Einheitliches, das formal ihnen inhärierte, noch durch etwas Einheitliches, das sie alle berührte oder um­ faßte wie eine Mauer. Denn Rom ist mit Mainz und den übri­ gen Städten e i n Staat oder Kaiserreich, jedoch aus keinem anderen Grunde, als weil jede von ihnen durch ihren Willen zo einer obersten Regierung zugeordnet ist. Fast in diesem Sinne heißt auch die Welt eine, nicht mehrere Welten, und zwar nicht wegen einer einzigen einheitlichen F orm434, die for­ mal allen Dingen insgesamt inhärierte, sondern wegen der Einheit des ersten Seienden heißen alle Dinge eine Welt ; denn jedes Ding neigt seiner Natur nach zu dem ersten Seien­ den und hängt von ihm ab. Daher bedeutet die Aussage, alle Dinge seien eine Welt, nicht formal eine Einheit in ihnen 5 allen4 35 und nicht ein Allgemeines, das nach Einem genannt ist, sondern eine Mehrheit gewisser Dinge heißt Eines, weil sie auf Eines hin und wegen Eines da ist. So auch werden die Menschen einer Stadt oder Provinz e i n e Stadt oder e i n Staat genannt, weil sie eine einzige Regierung wollem

4 30 Gewirth I 1 1 5 ff. 4 31 1 16,23. 432 1 26, 5-9. 4 33 formaliter : J eder

Berufsstand hat seine eigene forma ( 1 20, 1 7-19) . Also kann aus einer einheitlichen forma der Stände die Einheit des

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

§ 1 2. Nec tarnen propter hoc sunt una pars numero civita­ tis, que sunt unum regnum aut una civitas numero, quoniam etsi hec velint unum numero principatum, propter quod di­ cuntur civitas aut regnum unum, quia tarnen ad hoc unum n numero per diversam institucionem activam et passivam referuntur, que non est aliud quam diversum preceptum eis a principante traditum, per quod diversum ad diversa officia statuuntur. Ex cuius siquidem eciam diversitate precepti formaliter sunt isti partlfS et officia civitatis diversa. Dicitur 20 autem quodlihet officiorum eciam numero unum vel una pars civitatis numero, non ohstante pluralitate numerali suppo­ sitarum in ipsis, nec quidem per unum numero inherens, sed quoniam ad unum preceptum activum principantis secun­ dum legalem determinacionem referuntur. 2; § 1 3 . Ex hiis autem que dicta sunt in hoc capitulo 9°, 1 2°, 1 3° et 15° huius, concludi potest evidenti demonstracione, nulli persone singulari, cuiuscumque dignitatis aut status existat, neque collegio cuipiam convenire principatum seu iurisdiccionem aliquam cuiusquam in hoc seculo coactivam, o > nisi per legislatorem divinum aut humanum immediate sibi tradita fuerit auctoritas ista. Qualis quidem igitur esse debeat unitas principatus, adhuc autem que numeralis unitas civitatis aut regni, propter quid cciam dicatur et sit numero unum horum unumquodque, am5 plius de numerali atque specifica unitate parcium seu officio­ rum civitatis ipsarumque ordine, distinccione ac invicem separacione, dicta sint tanta. 10

121

439 § 13 zieht die Folgerun g aus § § 1 - 1 2 und den genannten Kapiteln.

Nach capitulo ist ein Komma einzusetzen. Zu in hoc capitulo vgl. 1 97, 14; 332,7. 44 0 Marsilius verläflt die rein theoretische Erörterung, wie sie für I

charakteristisch ist, und weist den Leser auf die Folgerungen für die aktuelle kirchenpolitische Problematik.

Teil !, Kapitel X VII

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§ 1 2 Jedoch nicht aus diesem Grunde436 sind die < Bestand­ teile > , die ein Reich oder einen Staat bilden, ein einheitlicher Bestandteil des Staates ; denn obwohl diese < Bestandteile > eine einheitliche Regierung wollen - darum werden sie eine Stadt oder ein Staat genannt -, < sind sie doch nur deshalb ein einheitlicher Bestandteil des Staates > , weil sie auf dieses t > Eine durch eine verschiedene aktive und passive Einsetzung bezogen werden, die nichts anderes ist als der verschiedene Befehl des Regenten an die Bürger4 37, dessen Vel'schiedenheit. sie zu verschiedenen Berufen bestimmt. Infolge der Ver­ schiedenheit dieses Befehls sind sie auch formal verschiedene Bestandteile und Berufsstände des Staates. Jeder Berufs20 stand heißt aber auch eine Einheit oder ein einheitlicher Teil des Staates trotz der zahlenmäßigen Vielheit der Per­ sonen in ihm, und zwar < heißt er so > nicht etwa infolge einer Einheit, die ihnen inhärierte, sondern weil sie sich auf einen aktiven < = sie schaffendem Befehl dessen beziehen, der nach der Bestimmung des Gesetzes438 die Regierung führt. 2> § 1 34 30 Aus dem in diesem Kapitel, I 9, I 1 2, I 13 und I 1 5 Gesagten läßt sich mit evidenter Beweisführung schließen : Keiner Einzelperson, welcher Würde oder Rangstufe auclt immer, noch einem Kollegium kommt eine Regierungsgewalt oder eine zwingende Rechtssprechung über jemand in dieser ;o Welt zu, außer ... wenn ihm die Befugnis dazu der göttliche oder menschliche Gesetzgeber unmittelbar übertragen hat. 440 Welcher Art nun die Einheit der Regierung sein muß, ferner, welches die Einheit von Stadt oder Staat ist, auch über den Grund, warum jeder Staat eine solche Einheit heißt und es tatsächlich ist, ferner über die zahlenmäßige und art5 mäßige Einheit der Bestandteile oder Berufsstände des Staates und deren Ordnung, Unterscheidung und Trennung möge soviel gesagt sein. 1.0

121

436 437 438

d. h. nicht wegen des Wunsches nach einer einheitlichen Regierung. eis geht wie isti 120, 1 8 auf die Bürger. Zur Sache vgl. 36,6 ff. und 545, 1 3-15. Einheitlicher Bestandteil des Staates ist jeder Berufsstand, weil er von der Regierung nach dem Gesetz durch einen einheitlichen Befehl geschaffen ist.

220

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

C A P I T U L U M XVIII

to

D e p r i n c i p a n t i s c o r r ep c i o n e , et p r o p t e r q u a m c a u s a m q u a l i t e r e t a q u i b u s I e g e rn t r a n s g r e d i e n s debet arceri.

Dictum est autem a nobis i n prioribus, correpciones aut totaliter mutaciones principatuum ad legislatorem pertinere, quemadmodum instituciones ipsorum. De quibus merito dut 5 bitabit aliquis, utrum videlicet principantes expediat corri­ gere per iudicium et potenciam coactivam. Et si expediat, utrum propter excessum qualemeumque aut solum propter quosdam quidem sie, propter alias vero minime. Adhuc eeiam, euius aut quarum in ipsos sit talia ferre iudieia et 20 iudieiorum exeeuciones explere per poteneiam eoaetivam, cum in prioribus dieturn sit ad solos prineipantes pertinere civiles ferre sentencias legurnque transgressores per eoacti­ varn arcere poteneiam. § 2. Nos autem diearnus, quod prineipans per suarn aeeio25 nern secundurn Iegern et sibi datam auctoritatern regula est atque rnensura euiuslibet eivilis actus, quernadrnodum eor in animali, ut satis ostensum est 1 5° huius. Quod si prineipans aliarn formarn non reeiperet preter Iegern, auctoritatem et desiderium agendi seeundurn illam, *nurnquam* minus debi30 tarn aut eorrigibilern seu mensurabilern ab alio faeeret aeeionern. Et ideo tarn ipse, quarn eius aceio sie esset rnensura euiuslibet eivilis actus aliorurn a se, quod nequaquarn ab aliis mensuratus ; quernadmodurn eor bene formaturn in animali, quod quidern, quoniarn formarn non reeipit, per quarn incli5 netur ad aceionern eontrariam aeeioni, que provenire habet a virtute sua et calore naturali, semper eonvenientell} agit aecionem naturaliter, eontrariarn vero rninirne ; propter quod sie regulat et mensurat per suam influeneiarn seu aeeionern ·

1 22

443 I 4, 4; I 1 5 4. 444-a I 15, 5-?. 4 44/b Quod in advers. Funktion wie 1 22,8 ? Vgl. Vo ; oder Kausal mit ideo korrespondierend : gerade darum . . . , weil ? m Vgl. Anm. 3 1 9. ,

Teil I, Kapitel X VIII

221

KA P I T E L XVIII

10

122

V o n d e r Z u r e ch t w e i s u n g d es R e g e n t e n : A u s w e l chem G r u n d e , i n w el c h e r We i s e u n d von wem e r b e i ü b e r t r e t u n g v o n G e s e t ze n g e s t r a f t w e r d e n s o l l .

§ 1 Oben441 haben wir gesagt, Zurechtweisung oder Ände­ rung der Regierungen im ganzen stehe dem Gesetzgeber zu wie ihre Einsetzung. Hierüber wird mit Recht mancher Be1 5 denken haben, ob es nämlich zweckmäßig sei, die Regenten durch ein Gericht und eine zwingende Gewalt zurechtzuwei­ sen, und gegebenenfalls, ob wegen jeder Straftat, gleichgültig welcher Art, oder nur wegen bestimmter442, wegen anderer aber keineswegs, ferner auch, wer das Recht habe, gegen sie derartige Urteile zu fällen und durch eine zwingende 20 Gewalt vollstrecken zu lassen ; früher443 ist doch gesagt wor­ den, nur den Regenten komme es zu, gerichtliche Urteile zu fällen und Übertreter der Gesetze durch eine zwingende Ge­ walt zu strafen. § 2 Wir aber wollen entgegnen : Der Regent ist durch sein 25 Handeln nach dem Gesetz und durch die ihm verliehene Regierungsgewalt Norm und MaRstab für jeden staatlichen Akt, wie das Herz im Lebewesen, was zur Genüge I 1 5444a gezeigt wo f den ist. Wenn nun der Regent keine andere Form in sich aufnähme als das Gesetz, die Regierungsgewalt und das Bestreben, nach dem Gesetz zu handeln, so würde er niemals etwas tun, was ihm gar nicht anstünde oder zu einer :;o Zurechtweisung oder Maßregelung durch einen anderen Anlaf! gäbe. Darum wäre er wie sein Handeln in dieser Weise MaRstab für jeden staatlichen Akt der anderen außer ihm : er selbst aber444b wäre von seiten der anderen keinem MaR­ stab unterworfen, ebensowenig wie ein gutgeformtes Herz im Lebewesen ; da das Herz keine Form aufnimmt, die es geneigt 5 machte zu einer Tätigkeit, entgegengesetzt der, die aus seiner natürlichen K raft und Wärme entspringt, so führt es immer eine ihm angemessene Tätigkeit seiner Natur gemäß aus, nie­ mals eine ihr widersprechende.445 Deshalb regelt es nach festem Maf! durch seinen EinfluR oder seine Tätigkeit die anderen < Tätigkeiten > der Bestandteile des Lebewesens, 44 t

I 15, 2 (85,12) ; vgl. I 1 2, 9.

442

Vgl. Anm. 416

zu

1 14,22.

222

111 arsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

reliquas parciurn anirnalis, quod ab ipsis nullatenus regula­ tur nec ipsarurn influenciarn recipit aliquarn. § 3. Verurn quia principans horno existens habet intellec­ turn et appetiturn, potentes recipere forrnas alias, ut falsarn extirnacionem aut perversurn desideriurn vel utrurnque, 1 5 secundurn quas contingit ipsurn agere contraria eorurn, que lege deterrninata sunt, propterea secundurn has acciones red­ ditur principans rnensurabilis ab alio habente auctoritatern rnensurandi seu regulandi ipsurn secundurn Iegern aut eius acciones Iegern transgressas ; alioquin despoticus fieret quili20 bet principatus, et civiurn vita *servilis'� et insufficiens : quod est inconveniens fugiendurn, ut ex deterrninatis a nobis appa­ ruit 5° et 1 1° huius. Debet autern iudiciurn, precepturn et execucio cuiuscurn­ que correpcionis principantis iuxta illius derneriturn seu transgressionern fieri per legislatorern, vel per aliquern aut 2 5 aliquos legislatoris auctoritate statutos ad hoc, ut dernonstra­ turn est 1 2° et 1 5° huius. Convenit eciarn pro ternpore aliquo, corrigendi principantis officiurn suspendere ad illurn rnaxirne aut illos, qui de ipsius transgressione debuerint iudicare, ne '0 propter tune pluralitatern principatus contingeret in cornrnunitate scisrna, concitacio et pugna, et quoniarn non corrigitur 1 23 in quanturn principans, sed tarnquarn subditus transgressor legis. § 4. Secundurn hec itaque ingredientes ad quesitas dubita5 ciones dicamus, quod excessus principantis vel gravis est aut rnodicus, adhuc vel est de possibilibus evenire frequenter aut raro tantummodo. Arnplius vel est de lege deterrninatis aut non. Si vero gravis fuerit principantis excessus, ut in rernpu­ blicarn aut in insignem vel aliam quarncurnque personarn, ex 1 0 quo per correpcionis omissionern passet verisiiniliter scan­ dalurn aut populi concitacio generari, sive sit evenienciurn in pluribus sive raro, corrigi debet propter ipsurn principans. Ex ipso enirn non vindicato possibilis esset in populo conci­ tacio et policie turbacio atque solucio. Si quidern lege deterto

m I 5 , ?; I 1 1 , 4-5.

m

I 1 2 , 3 ; I 1 5, 2 Anf.

Hs

I 1 ?.

Teil I, Kapitel X VIII

während es von ihnen in keiner Weise geregelt wird und keinen EinfluR von ihnen in sich aufnimmt. § 3 Aber der Regent ist doch ein Mensch und hat Verstand und Begehren, die andere Formen in sich aufzunehmen ver­ mögen, z. B. eine falsche Meinung oder ein verkehrtes Streben oder beides, die dazu führen können, daR er in Widerspruch 1 s zu den gesetzlichen Bestimmungen handelt ; deshalb wird durch diese Handlungen der Regent für eine Maßregelung durch jemand faßbar, der die Vollmacht hat, ihn nad:t dem Gesetz zu maßregeln oder zu rügen - ihn oder seine gesetz­ widrigen Handlungen. Sonst würde jeder Regent despotisch 2 0 und das Leben der Bürger knechtisch und unbefriedigend werden. Dieses übel ist zu vermeiden, wie aus unseren Fest­ stellungen I 5 und I 1 144 6 sich ergeben hat. Urteil, Befehl und Durd:tführung jeder Zurechtweisung des Regenten muß je nad:t Vergehen oder Übertretung durch den Gesetzgeber erfolgen oder durch einige, die der Gesetzgeber 25 dazu bestellt hat, wie I 12 und I 1 5447 gezeigt worden ist. Es ist auch zweckmä.Hig, eine Zeitlang das Amt des Regenten, der zurechtgewiesen werden soll, zu suspendieren, in erster Linie zugunsten dessen oder derer, die über seine Übertretung urteilen sollen ; sonst könnte wegen einer dann < vorhande30 nffil > Vielzahl der Regierungsgewalten448 innerhalb der Ge­ meinsd:taft Spaltung, Aufruhr und Kampf entstehen ; aum wird er nicht zurechtgewiesen als Regent, sondern als Unter­ tan, der das Gesetz übertreten hat. § 4 Wenn wir nun anhand dieser Feststellungen an die aufgeworfenen Bedenken herangehen, so wollen wir sagen : 5 Die Straftat des Regenten ist entweder sd:twer oder gering ; ferner : entweder kann sie häufig vorkommen oder nur selten ; weiter : entweder geht es um gesetzlich festgelegte Dinge oder nid:tt. Ist die Straftat des Regenten sd:twer, z. B . gegen den Staat oder gegen einen hervorragenden Mann oder aud:t nur gegen irgendeine andere Person gerid:ttet, so daR dadureh bei Unterlassung der Zurechtweisung wahrschein1 0 lid:t ein Ärgernis oder ein Volksaufruhr hervorgerufen wer­ den könnte, mag sie sehr oft oder selten vorkommen, so muR der Regent deswegen zurechtgewiesen werden. Denn würde sie nicht bestraft, so wäre Aufruhr im Volk und Verwirrung und Auflösung des Staates möglid:t. Ist die Straftat im Gesetz 10

t 23

223

224

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

minatus, secund um Iegern corrigendus, si vero non, secundum legislatoris sentenciam ; et lege debet determinari, quantum possibile fuerit, ut ostensum est a nobis 1 1 ° huius. § 5. Quod si principantis excessus parvus fuerit, aut est de 20 raro evenie»tibus et a principante raro commissus, vel de possibilibus evenire frequenter et per principantem sepe commissus. Quod si a principante raro committatur aut com­ mitti possit, debet pocius sub dissimulacione transiri, quam ex eo principans corrigi. Quoniam si ex quolibet excessu raro 25 contingenti et parvo corrigatur principans, contemptibilis redderetur, quod in commune nocumentum non modicum redundans est, eo quod legi et principanti ex hoc cives minus exhibent reverencie atque obediencie. Rursum *-que*, quon­ iam nolente principe pro modico quolibet correpcionem sub124 ire propter id sibi ad parvipensionem *reputare, poterit inde oriri scandalum grave*, cum tarnen tale aliquid non sit in com­ munitatibus refricandum, ex quo evidens utilitas provenire non potest, sed pocius nocumentum. 5 § 6. Hec autem fuit in hoc Aristotelis aperta sentencia 2° Politice, capitulo 4°, cum dixit : Manifestum, quod sinendum est quedam peccata legislatoribus et principibus. Non enim tantum proderit qui mutaverit, quantum nocebit principibus 1 0 rebellare assuescens. Intellexit autem ibidem per legislato­ rem latam legem, quam si observare consueverint homines, dicit non · esse mutandam propter modicum in ea corrigen­ dum, sed sinendam, eo quod legum frequens mutacio robur ipsarum debilitat, consuetudinem scilicet obediendi atque 1 5 servandi, que precipiuntur in ipsis. Unde idem eodem libro et capitulo : Lex nullum robur habet ad persuaderi preter cont5

-r:oaomov wf{le):t]aerat 6 xw7]aar;, lJaov ßÄaß7]aerat roir; äexovaw d:n:edhiv iO.tafhir;. Subjekt im zweiten Satz ist der Bürger, der für die Ände­ rung in der Volksversammlung stimmt. 451 Ar. Pol. II 8 1 269 a, 20 : 6 ya(! VOfJ,Or; iaxvv ov6et.tlav lxet :n:eor; To :n:d{}eaO.at :n:aed To lO.or;. =

Teil I, Kapitel XVIII

225

festgehalten, so mu.ß er nach dem Gesetz zurechtgewiesen werden, sonst nach dem Spruch des Gesetzgebers. Im Gesetz mu.ß sie nach Möglichkeit vorgesehen sein, wie wir I 1 1449 gezeigt haben. § 5 Ist aber die Straftat des Regenten gering, so kommt 20 sie entweder selten vor und wird vom Regenten selten began­ gen ; oder sie kann häufig vorkommen und wird vom Regenten oft begangen. Wenn sie nun der Regent selten beginge oder begehen könnte, so müßte man sie lieber ver­ tuschen als ihretwegen den Regenten zurechtweisen ; denn würde der Regent wegen jeder seltenen oder unbedeutenden 25 Straftat zurechtgewiesen, so würde er verächtlich gemacht : das führt zu nicht geringem Schaden für die Allgemeinheit, weil die Bürger daraufhin dem Gesetz und dem Regenten weniger Ehrfurcht und Gehorsam entgegenbringen. Ferner : Wenn der Regent es ablehnte, für jede Kleinigkeit Zurecht­ weisung auf sich zu nehmen, weil er das als Herabwürdigung empfände, so könnte daraus ein schweres Ärgernis entste­ hen ; in den Gemeinden darf doch etwas nicht wieder auf­ gerührt werden, aus dem ein erkennbarer Nutzen nicht her­ vorgehen kann, sondern vielmehr nur Schaden. § 6 Das war hierüber die klar ausgesprochene Meinung 5 des Aristoteles Pol. B. 2, Kap. 4450, wo es heißt : Offenbar muß man geroisse Mißgriffe den Gesetzgebern und Regenten durchlassen; denn roer < die Gesetze > ändert, roird nicht so sehr Nutzen als vielmehr Schaden stiften, roenn er sich ge­ roöhnt, den Regierenden ungehorsam zu sein. Er verstand 10 dort unter dem Gesetzgeber das gegebene Gesetz, das man, wenn die Menschen sich gewöhnt hätten, es zu befolgen, wegen einer geringen verbesserungsbedürftigen < Einzelheit > nicht ändern dürfe, sondern belassen müsse ; denn häufige Änderung der Gesetze schwächt ihre K raft : die Gewohnheit, ihnen zu gehorchen und zu befolgen, was in ihnen vor15 geschrieben wird. Daher sagt er auch in demselben Buche und Kapitel45 1 : Das Gesetz hat keine Kraft, die Gehorsam 15

1 24

449 450

I 1 1 , 3-4 (57, 3 ff.) . Bei Aristoteles handelt es sich um Mängel in den Gesetzen. Ar. Pol. II 8 1 269 a, 16 ff. : rpave(!O'P wc; lm:eov lv{ac; afta(!T{ar; ual Troll vop,offaäiv "ai Täiv df!xovrwv (in Gesetzgebung und Verwaltung) ; ov ya(! =

226

20

25

125

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

suetudinem; ut videlicet a subditis observetur, maximum est consuetudo. In quo eciam consimile est de reverencia et obe­ diencia principantis. § "!. Si vero excessus *principantis'� magnitudine modicus sit, possibilis evenire frequenter, lege determinandus est, et in eo sepe delinquens principans per convenientem penam debet arceri. Nam excessus huiusmodi, quantumcumque mo­ dicus, sepe commissus notabilifer lederet policiam, sicuti et substancias, id est divicias, parve expense consumunt, sepe facte. Totum enim et omnia non parvum, sed componitur ex parvis, ut scripturn est 5° Politice, capitulo 4°. De correpcione itaque principancium, *per quem* et quibus ex causis, determinatum sit hoc modo.

5

C A P I T U L U M XIX

De causis factivis tranquillitatis et intranquillitatis civitatis a u t regni et e a que p reter solitos modos singulariter regna conturbat, et d e continuacione diccionis p rime a d secundam. Reliquum autem et ultimum huius diccionis est, ex priori­ bus determinacionibus inferre causas tranquillitatis et sui oppositi in civitate vel regno. Hoc enim fuit quesitorum prin­ cipale, secundum propositam nobis a principio intencionem. t 5 Et primum quidem ostendemus has causas in esse communi, singularem ipsarum determinacionem, que solito modo pro­ veniunt, ab Aristotele in 5° sue Politice supponentes. Hiis consequenter sermonem faciemus determinatum in specie de insolita causa discordie seu intranquillitatis civilium regimi20 num, quam in dictis prohemialiter dudum turbasse diximus, vexare atque turbare continuo magis Ytalicum regnum. 10

453 454 455 456

Ar. Pol. VIII (Rolfes V) 8 1307 b, 33-34 ; 37-39. I 2, 3 . VgI. 1 27, 5-6 in genere. Ar. Pol. VIII (Rolfes V) ganz. =

Teil !, Kapitel XIX

1 25

227

erzeugen könnte, außer die Gewohnheit ; daß es nämlich die Untertanen befolgen, das bewirkt vor allem die Gewohnheit. Hierin besteht auch eine Ähnlichkeit mit der Achtung und dem Gehorsam gegenüber dem Regenten. § 7 Sollte jedoch die Straftat des Regenten gering sein und 20 häufig vorkommen können, so müßte man sie im Gesetz vor­ sehen, und wenn hierin der Regent sich oft verginge, ihn mit einer angemessenen Strafe belegen ; denn eine derartige Straftat, wie gering sie auch sei, würde, oft begangen, den Staat merklich schädigen, roie auch kleine Ausgaben die Ver­ mögen452 , d. h. den Reichtum, verbrauchen, roenn sie oft 25 gemacht roerden; denn das Ganze und Alles ist nicht klein, setzt sich aber aus kleinen Dingen zusammen, wie Pol. B. 5, Kap. 4463 steht. über die Zurechtweisung des Regenten : von wem und aus welchen Gründen < sie erfolgen soll > , mag nun so die Erörte­ rung abgeschlossen sein. KA P I T E L XIX

5

Vo n d e n b e wi r k e n d e n U r s a c h e n d e r R u he u n d U n r u h e i n S t a dt u n d S t a at u n d de r , d i e i n g a n z u n g e w ö h n ­ l i ch e m M a ß e d i e R e ic h e i n Ve r w i r r u n g b r i n g t , u n d Ü b e r l e i t u n g v o m e r s t e n z u m z w e i t e n Te i l . 10

t5

20

§ 1 E s bleibt für diesen Teil zuletzt noch übrig, aus den früheren454 Ergehnissen die Ursachen der Ruhe und ihres Gegenteils in Stadt und Staat zu erschließen. Dies war näm­ lich das Hauptprohlem, das wir uns von Anfang an vorgenommen haben. Diese Ursachen werden wir erst einmal generell455 aufzeigen, wobei wir die Einzelbestimmung der gewöhnlichen Ursachen nach den Forschungen des Aristo­ teles Pol. B. 5456 voraussetzen. Im Anschluß daran werden wir eine Sondererörterung durchführen über die ungewöhn­ liche Ursache der Zwietracht oder Unruhe im Staatslehen, die, wie in der Einleitung bemerkt, ein Reich schon längst in Verwirrung gehracht hat und immer mehr quält und ver­ wirrt, Italien. 452 ovaia

=

Wesen, Substanz, Vermögen, vgl. W.

228

Marsilius oon Padu a, Verteidiger des Friedens

§ 2. Resumere autem oportet propter hec tranquillitatis et sui oppositi descripciones iam dictas 2° huius. Erat enim tran25 quillitas bona disposicio civitatis seu regni, qua potest una­ queque suarum parcium facere opera conveniencia sibi se­ cundum racionem et suam institucionem. Ex qua siquidem descripcione apparet ipsius natura. Cum enim dicitur bona 1 26 disposicio, notatur ipsius intrinseca quidditas generalis. In eo vero quod per ipsam dicitur unaqueque parcium civitatis posse agere sibi opera conveniencia, significatur eius finis, 5 qui eciam ipsius propriam quidditatem seu differenciam intelligere facit. lpsa vero, cum forma seu disposicio quedam sit civitatis aut regni, nec amplius una quam regnum et civi­ tatem esse dixerimus 1 ?0 huius, parte 1 1 a et 1 2a, non habet for­ malem causam ; hoc enim p roprium est compositorum. lpsius 1 0 autem agentem causam *sive* factivam comprehendere possu­ mus ex dictis 1 5° huius et aliis, que ipsam necessario conse­ cuntur in civitate vel regno : hec nempe sunt civium conver­ sacio mutua et communicacio ipsorum invicem suorum ope­ rum, mutuumque auxilium atque iuvamentum, generaliter1 5 que suorum propriorum operum et communium exercendi ab extraneo non impedita potestas, participacio quoque com­ munium commodorum et onerum secundum convenientem unicuique mensuram, et cum hiis cetera commoda et deside­ rabilia expressa in oracione Cassiodori, quam posuimus ini20 tium huius libri. Quorum quidem omnium aut precipuorum quorundam contraria, intranquillitatem seu discordiam illi oppositam, consecuntur. § 3. Cum igitur accio debita principantis sit omnium civi­ lium commodorum et predictorum causa efficiens et conser25 vans, ut demonstratum est 1 5° huius, parte 1 f a et 1 2a, erit ipsa tranquillitatis causa factiva ; et hoc sensit apostolus indubie, dum dixit ad Timotheum 1a, capitulo 2° : Obsecro igitur pri12? 459 Vgl. I 2,3 ; Gewirth I 94. 4 6 0 W unus ; zur Sache vgl. 1 19, 1-14. 46 1 Vgl. 1 19, 10- 1 2. 462 I 15, 1 1-14. 4 6 3 aliis nach Vo. 464 Dieser Ausdruck ist hier notwendig wegen der Beziehung auf 1 2?,3. 465 1. Tim. 2,1-2.

Teil !, Kapitel XIX

229

§ 2 Hierfür müssen wir die Beschreibungen der Ruhe und ihres Gegenteils aus I 2457 kurz wiederholen. Die Ruhe war 25 nämlich ein guter Zustand der Stadt oder des Staates, bei dem jeder Bestandteil die ihm nach der Vernunft und seiner Be­ stimmung458 zukommenden Aufgaben erfüllen kann. Aus dieser Beschreibung wird das Wesen der Ruhe klar. Mit den 1 26 Worten : guter Zustand wird ihr inneres Wesen im allge­ meinen festgestellt ; d a: m i t aber, daß durch sie, wie gesagt, jeder Bestandteil des Staates seine ihm zukommende Auf­ gabe erfüllen kann, wird ihr Zweck bezeichnet, und dieser 5 macht auch ihr spezifisches Wesen oder ihre Sonderart ver­ ständlich. Da die Ruhe aber eine Art Form459 oder Zustand der S t a d t oder des S t a a t e s ist und nicht in anderem Sinne Einheit4 6 0, als Stadt oder Staat es nach I 1 7, 1 1 u . 1 2 sind, hat sie keine formale Ursache ; das ist nämlich eine Eigentümlichkeit der zusammengesetzten Dinge.4 61 Aber ihre 10 treibende oder bewirkende Ursache können wir erfassen auf Grund des I 1 5462 Gesagten und außerdem auf Grund der notwendigen Folgen463 der Ruhe in Stadt und Staat. Das sin d doch wohl wechselseitiger Verkehr der Bürger, Austausch ihrer Erzeugnisse, gegenseitige Hilfe und Unterstützung und 15 überhaupt die von außen nicht gehemmte Möglichkeit, ihre eigenen und die gemeinsamen Aufgaben zu erfüllen, auch die Beteiligung an den gemeinsamen Vorteilen und Lasten in dem einem jeden zukommenden Maß und damit die übri­ gen angenehmen und wünschenswerten Dinge, wie sie in den Worten des Cassiodor ausgedrückt sind, die wir als Anfang 20 dieses Buches gebracht haben. Das Entgegengesetzte von alledem oder wenigstens einiger besonders wichtiger Er­ scheinungen ist Folge der Unruhe oder der Zwietracht, ihres Gegenteils. § 3 Da also die ordnungsgemäße Tätigkeit des regierenden Bestandteils464 für alle Annehmlichkeiten im Staatsleben be2 5 wirkende und erhaltende Ursache ist, wie wir I 15 § 1 1 und § 12 gezeigt haben, so wird sie die bewirkende Ursache der Ruhe sein. Das meinte ohne Zweifel der Apostel, als er im 1. Brief an Timotheus im 2. Kapitel4 65 schrieb : Im mahne dich 127 45 7 I 2, 3. institutio, die die Zuweisung eines bestimmten Aufgabenbereichs 4 58 =

einschließt .

230

1 28

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

mum fieri obsecraciones, etc. pro regibus et omnibus qui in sublimitate sunt, ut quietam et tranquillam vitam agamus. Quod vero huius partis accionern per se irnpediverit, ab eo civitatis intranquillitas seu discordia proveniet, tarnquarn 5 causa *factiva*. Que siquidern in genere visa, etsi per plures species varietur et rnodos, de quibus Aristoteles ab accione solita provenientibus sufficientern, ut dicere est, noticiarn fecit in 5° Civilis Sciencie, quarn Politicarn dixirnus. to Est tarnen intranquillitatis seu discordie civitaturn seu regnorum insolita causa quedarn, occasionaliter surnpta propter effecturn a divina causa producturn preter solitarn ornnern eius accionern in rebus, quern, ut in dictis proherni­ aliter tetigisse rnerninirnus, nec Aristoteles aut philosophant 5 ciurn alter sui ternporis vel prioris conspicere potuit. § 4. Hec autern dudurn hactenus et nunc arnplius continuo accionern debitarn principantis irnpediens in Y talico regno, ipsurn pace seu tranquillitate ceterisque ipsarn consequen20 tibus et iarn dictis cornrnodis privavit et privat, ornnique in­ cornrnodo vexavit et vexat, et quasi ornnis generis rniseria et iniquitate replevit. Cuius quidern irnpedientis singulariter cause propter con­ suetudinern rnalignitatis occulte, secundurn nobis a principio 25 propositarn intencionern, naturarn in specie deterrninare de­ hentes, rerninisci oportet eorurn que dixirnus 6° huius : quod videlicet Dei filius, una triurn divinarurn personarurn, verus Deus, propter delicturn transgressionis prirnorurn parenturn et consequenter tocius hurnani generis lapsurn reparandurn, naturarn assurnpsit hurnanarn, dudurn post Aristotelis tern468 469 470 47t 472

I 1, 3 u. I 1 9, 4, Abs. 2; 5 1 5,8 ; vgl. W occasio. ex effectu 5,1 1- 1 2 ; gemeint ist Christus. Zu sumpta vgl. 1 3 1 ,20 u. 1 98,26 originem sumpsisse. I 1, 3. Erklärung der Stelle durdt das Folgende bis § 9, bs. § § 7-8 : Christus ist durch die Worte bei Matth. 1 8 u . J oh. 20 Anlaß zum Ansprudt auf plenitudo potestatis geworden, vgl. li 6, 1 . 473 Scholz 127 Anm. 2. 474 Vgl. 1 25, 1 7-18 determinatum in specie. 475 I 6, 2-4. =

Teil I, Kapitel XIX

5

to

t5

20

25

128

23 1

also, zuerst zu bitten usw. für Könige und alle, die in hoher Stellung sind, damit roir ein stilles und ruhiges Leben führen mögen. Was aber die Tätigkeit dieses Bestandteils seinem Wesen nach hindert, das wird die bewirkende Ursache sein, aus der Unruhe und Zwietracht im Staate hervorgehen. Diese < Ursache > zerfällt zwar, als Gattung betrachtet, in mehrere Arten und Unterarten, über die Aristoteles, soweit sie aus der gewöhnlichen Tätigkeit < der Menschen > hervor� gehen - das kann man sagen -, genügende Kenntnis gegeben hat in der Staatslehre B. 5466, die wir Politik genannt haben. Aber4 67 es gibt doch für Unruhe oder Zwietracht der Städte oder Staaten eine ganz ungewöhnliche Ursache468, die auf Grund einer Wirkung469, die die göttliche Ursache über ihre gesamte gewöhnliche Wirksamkeit in den Dingen hin­ aus hervorgerufen hat, zum Anlaß genommen470 worden ist, einer Wirkung, die, wie wir unserer Erinnerung nach in der Einleitung471 berührt haben, weder Aristoteles noch ein anderer Philosoph seiner Zeit oder früherer Zeit hat zu Gesicht bekommen können.472 § 4 Diese Ursache, die schon seit langem bis auf den heuti­ gen Tag und jetzt noch mehr die ordnungsgemäße Tätigkeit des Herrschers im K önigreich Italien unaufhörlich hindert, hat es des Friedens oder der Ruhe und der Folgen der Ruhe und der eben genannten Annehmlichkeiten beraubt und be­ raubt es noch, hat es mit jeder Drangsal gequält und quält es noch, hat es mit Elend und Ungerechtigkeit fast aller Art erfüllt.473 Wenn wir nun das Wesen dieser Ursache, die wegen ihrer altgewohnten heimtückischen Bosheit eine besonders schwere Störung ist, im Einklang mit unserem von Anfang an aufgestellten Thema im besonderen474 bestimmen sollen, so müssen wir uns des I 6475 Gesagten erinnern : Gottes Sohn, eine der drei göttlichen Personen, wahrer Gott, hat, um das V ergehen der Übertretung der ersten Eltern und damit den Sündenfall der ganzen Menschheit wiedergutzumachen, die menschliche Natur angenommen, indem er lange nach des

466 467

Ar. Pol. VIII (Rolfes V) ganz. Absatz bei Pr.-0. und Scholz, aber etsi-tamen sind eng aufe inander bezogen, vgl. 4,20 ff.

232

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

pora verus homo factus, et idem Deus simul existens, quem Iesum Christum vocatum adorant Christiani fideles. Hic, in5 quam, Christus benedictus Dei filius, Deus et homo simul idem suppositum existens, inter homines Iudaici populi, ex quibus secundum carnem traxit originem, conversatus est ; veritatem credendorum, agendorum et fugiendorum ad vi­ tarn eternam hominibus consequendam et miseriam decli1 0 nandam docere cepit *et docuit*.Propterhec tandem ludeorum malicia et insania sub Pilato Poncio, Cesaris vicario, passus et mortuus, resurrexit a mortuis die tercia sue mortis, post­ modum ad celos ascendens ; ante tarnen propter humani generis salutem quosdam sibi, dum viveret corruptibili vita, 1 5 collegas in veritatis docende ministerium, quos apostolos di­ cunt, assumpsit, et per universum orbem quam docuerat et ipsos instruxerat veritatem predicare precepit. Unde Mat­ thei 28° et ultimo post sui resurreccionem dixit ad eos : Euntes ergo docete omnes gentes, baptizantes eos in nomine Patris et 20 Filii et Spiritus Sancti, docentes eos servare omnia, quecum­ que mandavi vobis. Per hos, inquam, apostolos, quorum no­ mina satis nota sunt apud Christi fideles et alios quosdam, Christus Iegern evangelicam conscribi voluit, et per ipsorum dictamina conscripta est velut per organa quedam ad hoc 25 mota et directa immediate divina virtute ; per quam siquidem Iegern precepta et consilia salutis eterne in ipsius Christi atque apostolorum et evangelistarum absencia comprehen­ dere valeremus. In qua eciam et secundum quam sacramenta 1 29 culpe originalis et actualis mundativa, divine gracie factiva et conservativa, illiusque amisse reformativa, huiusque legis ministrorum institutiva, signavit et statuit. § 5. Huius quoque legis doctores et sacramentorum secun­ dum ipsam ministros p rimum instituit iam dietos apostolos, ipsis per Spiritum Saueturn auctoritatem huius ministerii

476

Matth. 28,19-26.

m V o (Stilistik) .

Teil I, Kapitel XIX

1 29

233

Aristoteles Zeiten wahrer Mensch geworden und zugleich auch Gott gewesen ist, den unter dem Namen Jesus Christus die gläubigen Christen anbeten. Dieser Christus, sage ich, 5 der gepriesene Sohn Gottes, Gott und Mensch zugleich in einer Person, ist unter den Menschen des jüdischen Volkes gewandelt, von denen er nach dem Fleisch abstammte ; die Wahrheit über das, was die Menschen glauben, tun und mei8en sollen, um das ewige Leben zu erlangen und die ewige Pein abzuwenden, begann er zu lehren und hat sie gelehrt. 1 0 Deswegen hat er schließlich infolge der Bosheit und Ver­ blendung der Juden unter Pontius Pilatus, des Kaisers Statt­ halter, gelitten und ist gestorben, ist auferstanden von den Toten am dritten Tage nach seinem Tode und später zum Himmel aufgefahren. Vorher jedoch, während seines ver­ gänglichen Lebens, hat er sich zum Heil der Menschen einige 1 5 Männer als Mitarbeiter für den Dienst der Wahrheits­ verkündigung erwählt, die sogenannten Apostel, und hat ihnen befohlen, in der ganzen Welt die Wahrheit zu predi­ gen, in der er sie unterrichtet und unterwiesen hatte. Daher hat er bei Matthäus im 28. und letzten Kapitel476 nach seiner Auferstehung zu ihnen gesagt : Gehet also hin und lehret alle Völker und taufet s ie im Namen des Vaters und des Sohnes 20 und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, mas im euch geboten habe. Von diesen Aposteln, sage ich, deren Na­ men bei den Christusgläubigen bekannt genug sind, und einigen anderen Männern wollte Christus das Evangelische Gesetz aufschreiben lassen, und < tatsächlich > ist es durch sie wie durch eine Art Werkzeug aufgeschrieben worden, die 25 dazu unmittelbar eine göttliche K raft bewegt und gelenkt hat. Durch dieses Gesetz sollten wir imstande sein, die Leh­ ren und Ratschläge für das ewige Heil in Abwesenheit Christi selbst und der Apostel und der Evangelisten zu ver­ stehen. In diesem Gesetz477 hat er auch die Sakramente bezeichnet, die von der Erbsünde und der aktuellen Smuld reinigen, die göttliche Gnade schaffen und erhalten, jene ver­ lorene Gnade wiederherstellen und Diener dieses Gesetzes einsetzen, und hat sie diesem Gesetz gemäß gestiftet. ; § 5 Als Lehrer dieses Gesetzes und als Verwalter der Sakramente nach dem Gesetz hat er zuerst die eben genann­ ten Apostel eingesetzt, indem er ihnen durch den Heiligen

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conferens, quam sacerdotalem appellant Christi fideles. Per quam siquidem iisdem aut ipsorum successoribus in hoc offi10 cio, non aliis, potestatem contulit sub certa forma verborum ab ipsis et eorum singulis dicta transsubstanciandi panem et vinum in verum corpus et sanguinem eius. Cum hoc eciam ipsis auctoritatem solvendi atque ligandi homines a peccatis, quam dicere solent clavium potestatem, sibique alios substi15 tuendi euro eadem auctoritate potestatem concessit. Quam eciam auctoritatem apostoli quibusdam contulerunt, aut Deus per ipsos orantes et manus aliis imponentes. Sie quoque reliqui potestatem faciendi susceperunt, et consequenter fecerunt, faciunt et facient usque ad seculi consummacio20 nem. Quo eciam modo apostolus Paulus Timotheum, Titum et aliorum plures instituit aliosque instituere docuit. Unde 1a ad Timotheum 4° : Noli negligere graciam que in te est, que data est tibi per propheciam cum imposicione manuum pres-­ byteri. Et ad Titum 1 ° : Huius gracia reliqui te Crete, ut que 25 desunt corrigas, et constituas per civitates presbyteros, sicut ego tibi disposui. Et est auctoritas hec sacerdotalis et clavium, sive unica sive plures, caracter seu forma quedam anime per immediatarn Dei accionem impressa. 130 § 6. Preter hanc autem est auctoritas alia quedam sacerdotibus humana concessione tradita, ipsorum multiplicato iam numero, propter scandalum evitandum ; et hec auctoritas 5 est inter ipsos unius preeminencia super alios dirigendos in templo ad cultum divinum debite fiendum, et ordinandum seu distribuendum de quibusdam temporalibus, que ad usum ministrorum predictorum statuta sunt. De cuius quidem auctoritatis potestate factiva et unde derivetur, sufficienter 479 1 . Tim. 4,14 : :n:esaßVTsetov, vgl. aber 328, 1 1-12. Auch hier klingt die

48 0 481 48 2

48 3

Bedeutung Priester an ; denn es handelt sich um den character indelebilis. Titus 1 ,5. Bischofsamt ordinandum ist abh. von super, nicht von ad. . II 1 5, 1 -5 u. 7-8 die primäre, II 15, 6 u. 9 u. li 1 7,1-15 die sekundäre Vollmacht ; II 1 7, 16-1 9 die Benefizien.

Teil /, Kapitel XIX

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Geist die Vollmacht für diesen Dienst verlieh, die die Christusgläubigen die priesterliche nennen. Dadurch hat er ihnen und ihren Nachfolgern in diesem Amt, nicht anderen, t o die Ge)Valt verliehen, unter einer bestimmten Formel, die sie und jeder einzelne von ihren Nachfolgern478 aussprechen, Brot und Wein in seinen wahren Leib und sein wahres Blut zu verwandeln. Damit hat er ihnen auch die Vollmacht übertragen, die Menschen von ihren Sünden zu lösen und sie zu binden, die man Schlüsselgewalt zu nennen pflegt, und die t5 Gewalt, an ihrer Statt andere einzusetzen mit der gleichen Vollmacht. Diese Vollmacht haben auch die Apostel einigen verliehen oder Gott durch sie, indem sie beteten und anderen die Hände auflegten. So haben auch andere die Gewalt, das zu tun, übernommen und demgemäß es getan, tun es und werden es tun bis zum Ende der Welt. In dieser Weise hat zo auch der Apostel Paulus den Timotheus, den Titus und sehr viele andere eingesetzt und andere einzusetzen sie gelehrt. Daher sagt er im 1 . Brief an Timotheus im 4. Kapitel479 : Laß nicht außer acht die Gabe in dir, die dir gegeben ist durch Weissagung unter Handauflegen des ll'ltesten, und im Brief an Titus im 1 . Kapitel480 : Deshalb habe ich dich in Kreta zu25 rüCkgelassen, daß du, roas noch fehlt, richtig machst und in jeder Stadt Älteste bestellst, roie ich dich angewiesen habe. Diese priesterliche Vollmacht und die Schlüsselgewalt, sei es eine einzige Vollmacht oder mehrere, ist ein bestimmter Cha­ rakter oder eine bestimmte Form, die der Seele durch Gottes unmittelbare Einwirkung eingeprägt ist. § 6 Außerdem gibt es, seitdem sich die Zahl der Priester schon vervielfacht hat, eine bestimmte zweite Vollmacht, die Menschen ihnen übertragen haben, um Ärgernis zu ver­ meiden, und diese Vollmacht ist die hervorgehobene Stel­ lung 481 eines von ihnen, der die anderen zum ordnungs5 gemäßen Vollzug des Gottesdienstes anleiten und482 über gewisse weltliche Güter, die zum Gebrauch der Vorhingenann­ ten Diener bestimmt sind, Anordnungen treffen oder ihre Ver­ teilung regeln soll. über die Gewalt, von der diese Vollmacht geschaffen wird, und ihre Herleitung soll in II 1 5 und II 1 7483 4;s ipsis geht auf die Apostel, eorum auf die Nachfolger ; sonst kämen die

Nachfolger nicht vor.

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dicetur 15° et 1 ?0 2e, quoniam non fit hoc per Deum immediate, sed per hominum voluntatem et mentem, quemadmodum of­ ficia cetera civitatis. § ?. Sie itaque repetita et aliqualiter declarata ministrorum ecclesiasticorum origine ac ipsorum officii potestate factiva, 1 5 oportet amplius attendere, quod inter apostolos Christi pre­ dictos fuit unus nomine Simon, cognomine vero Petrus, qui a Christo auctoritatis clavium promissionem primus accepit, sicut dicit glossa secundum Augustinum, Matthei 1 6°, super illud Christi oraculum : Et tibi dabo claves regni celorum; in20 quit glossa : Qui pre ceteris confessus est, Iesum Christum scilicet esse verum Dei filium, pre ceteris dotatur clavibus, id est ante ceteros. Hic siquidem apostolus post Christi passio­ nem, resurreccionem et in celum ascensionem pervenit Anti­ ochiam, et ibidem factus fuit episcopus per populum, sicuti 25 ex ipsius liquet historia. Inde vero, ut habet historia Supra­ dicta, quecumque causa fuerit pretermissa, quoniam de h oc surrt diverse sentencie, Romam profectus est, et ibidem Christi fidelibus prefuit episcopus ; tandem vero propter Christi professionem et predicacionem obtruncato capite mortuus est, et cum eodem eadem hora et loco Paulus aposto­ lus secundum supradietarn historiam. § 8. Ex prerogativa igitur quam hic discipulus seu apo5 stolus ad alios visus est habere, ut quia pre ceteris dotatus fuit clavibus, propter preinducta scripture verha et alia que­ dam Christo singularHer sibi dicta, que eciam in sequentibus adducentur, episcoporum aliqui post ipsum in apostolica seu 10 episcopali sede Romana, maxime citra tempora Constantini Romanorum imperatoris, se dicunt et asserunt preesse, quan­ tum ad omnimodam iurisdiccionis auctoritatem, reliquis om­ nibus episcopis et presbyteris mundi ; et ipsorum modernio­ res aliqui non solum hiis, verum eciam omn ibus mundi princi1 5 pibus, communitatibus et singulis personarum ; licet hoc non equaliter de omnibus exprimant nec explicite dicant, ut de 10

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484 Matth. 16,19.

48 7

4 8 5 Scholz 130 Anm. 2.

Genauer II 16, 9

u.

4 8 6 li 16, 9. 1 5 ff. Dazu Sclwlz 131 Anm. 1 .

Teil I, Kapitel XIX

zur Genüge gesprochen werden ; dieses Amt schafft ja Gott nicht unmittelbar, sondern menschlicher Wille und Geist wie die übrigen Ämter des Staates. § 7 Nachdem wir nun den Ursprung der Diener der Kirche und die Gewalt, von der ihr Amt geschaffen wird, so in Er­ innerung gebracht und einigermaßen erklärt haben, ist weiter 1 5 zu beachten : Unter den vorhin genannten Aposteln Christi war einer namens Simon, mit Beinamen Petrus, der von Christus zuerst das Versprechen der Schlüsselgewalt erhielt, wie eine Glosse nach Augustin über jenen Ausspruch Christi bei Matthäus im 16. Kap. 484 sagt : Und üh roill dir des Himmel­ reims Schlüssel geben ; die Glosse485 lautet : Der vor den 20 anderen bekannt hat, nämlich Jesus Christus sei der wahre Sohn Gottes, roird vor den übrigen mit den Schlüsseln bedacht, d. h. eher als die anderen. Dieser Apostel kam nun nach Christi Leiden, Auferstehung und Himmelfahrt nach Antiochien ; dort machte ihn das Volk zum Bischof486, wie aus 25 seiner Geschichte hervorgeht. Von da ging er nach Rom, wie die obengenannte Geschichte ohne Angabe eines Grundes berichtet, weil darüber die Meinungen geteilt sind, und leitete dort die Christusgläubigen als Bischof; endlich wurde er wegen seines Bekenntnisses zu Christus und seiner Verkün­ digung enthauptet und mit ihm zur seihen Stunde und am seihen Ort der Apostel Paulus nach der obengenannten Ge­ schichte. 487 § 8 Auf Grund des Vorrechtes nun, das dieser Jünger oder 5 Apostel den anderen gegenüber zu haben schien - weil er ja vor den anderen mit den Schlüsseln bedacht worden ist, wegen der vorhin angeführten Schriftworte und einiger anderer, die Christus an ihn persönlich gerichtet hat und die auch im folgenden angeführt werden sollen -, behaupten und versichern einige Bischöfe, < die > nach ihm auf dem apostolischen oder bischöflichen Stuhl in Rom < gesessen 10 haben > , besonders nach den Zeiten des römischen Kaisers Konstantin, sie besäßen eine umfassende Gerichtsbarkeit über alle übrigen Bischöfe und Priester der Welt ; einige neuere von ihnen < fügen hinzu > : nicht nur über diese, son1 5 dern auch über alle Herrscher, Städte und Einzelpersonen der Welt, mögen sie das auch nicht in gleicher Weise von allen versichern und ausdrücklich behaupten, wie von dem römi10

131

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principe Romanorum imperatore vocato et cunctis provin­ ciis ac civitatibus et personis subiectis eidem ; huius quamvis secundum veritatem dominii seu coactive iurisdiccionis in 20 hunc principem expressio singularis faciem et exordium primum sumpsisse videatur ex quodam edicto et dono, quod quidam dicunt per Constantinum fuisse factum beato Sil­ vestro Romano pontifici. § 9. Quod quia donum seu privilegium illud non habet hoc 25 clare, aut quoniam ex post factis expiravit fortasse, vel eciam quia validum existens ad reliquos mundi principatus, nec ad 132 eum qui Romanorum in omnibus provinciis illius privilegii seu concessionis se virtus extendit, ideoque postmodum iuris­ diccionem hanc coactivam orbi universalem sibi alio quo­ dam omnes comprehendente titulo moderniores Romanorum 5 assumpserunt episcopi, plenitudine potestatis videlicet, quam concessam asserunt per Christum beato Petro eiusque successoribus in Romana episcopali sede, tamquam Christi vicariis. Christus enim, ut aiunt et vere, fuit rex regum et dominus dominancium, universorum omnium personarum et to rerum. Quamvis ex hoc minime sequatur, quod volunt in­ ferre, ut in sequentibus certitudinaliter apparebit. Est igitur huius tituli sensus apud Romanos episcopos, quod sicut Chri­ stus plenitudinem potestatis et iurisdiccionis habuit supra reges omnes, principes, communitates, collegia et singulares t 5 personas, sie et ipsi, qui Christi et beati Petri se dicunt vica­ rios, hanc habeant plenitudinem coactive iurisdiccionis, hu­ mana lege nulla determinatam. § 10. Signum autem huius tituli, plenitudinis sue potestatis 20 scilicet, Romanos episcopos eum quem diximus intendere

bes. 416,1 6 ff. ; 440,7 ff. ; II 25, 1 7 Anf. ; II 25,18, bes. 495,17 ff. ; 506,22. ­ Anders Scholz 132 Anm. 1 . Dem widerspricht 1 3 1 ,1 3-22 und der folgende Hauptsatz : hoc 1 3 1 ,24 muß auf die Weltherrschaft gehen, sonst hat 132,3 o m n e s comprehendente keinen Sinn ; es müßte heißen : etiam imperatorem Romanorum. 49 o Offb. 19,16. 4g1 sophisma 137, 1 1 . =

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sehen Herrscher, dem Kaiser, und von allen Ländern, Städten und Personen, die ihm untertan sind ; indessen scheint in Wahrheit die besondere ausgesprochene Beziehung dieser Herrschaft oder dieser zwingenden Gerichtshoheit auf diesen 20 Fürsten ihre erste Gestalt und ihren ersten Anfang genommen zu haben aus einem bestimmten Edikt über eine Schenkung, die, wie manche behaupten, Konstantin dem seligen Sylve­ ster, einem römischen Bischof, gemacht habe. § 9 Aber weil diese Schenkung oder dieses Privileg jenen < Anspruch auf Weltherrschaft > nicht in klaren Worten ent2> hält oder weil dieses Privileg vielleicht infolge späterer Er­ eignisse erloschen ist oder auch weil sich die Geltung dieses 132 Privilegs oder dieser Verleihung, obwohl noch in Kraft488, weder auf die übrigen Regierungen der Welt noch auf die der Römer in allen Ländern erstreckt489 ; darum haben die neueren Bischöfe der Römer diese universale zwingende Rechtsprechung über die Erde unter einem anderen Rechts­ titel für sich beansprucht, der a l l e Regierungen umfaßt, s unter der Fülle der Gewalt, die, so versichern sie, Christus dem seligen Petrus und seinen Nachfolgern auf dem römi­ schen Bischofssitz als Statthalter Christi verliehen habe. Christus nämlich war, wie sie sagen, und zwar mit Recht, König der Könige und Herr der Herren, aller P ersonen und 10 Dinge überhaupt490; indessen folgt daraus keineswegs, was sie schließen wollen, wie sich im folgenden mit Sicherheit zeigen wird. Der Sinn dieses Rechtstitels ist nun bei den römischen Bischöfen dieser : Wie Christus die Fülle der Ge­ walt und der Rechtsprechung über alle Könige, Fürsten, Städte, Kollegien und Einzelpersonen besaß, so hätten auch 15 sie, die sich Christi und des seligen Petrus Statthalter nennen, diese Fülle der zwingenden Rechtsprechung ohne Einschrän­ kung durch ein menschliches Gesetz.491 § 1 0 Ein überzeugender Beweis, daß die römischen Bischöfe 2 0 den angegebenen Sinn dieses Rechtstitels, der Fülle ihrer

488 489

validum Anakoluth, als wenn privilegium weiter Subjekt wäre, oder Ace. abs.; Gegensatz exspiravit. Weltherrscll a ft ist letztes Ziel, Herrschaft über das deutsch-römische Reim nächstes Ziel, vgl. I 19, 8, besonders 131,13-15; II 21, 13,

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Marsilius

von

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sensum, evidens est, quod Clemens quidam nomine, Clemen­ cium quintus Romanus episcopus, sie eo utitur in quodam suo edicto seu decretali, De sentencia et re iudicata, libro '7°, ad Henricum Henricorum septimum, dive memorie, Roma5 norum imperatorem novissimum, dum ipsius felicis Henrici quandam revocando sentenciam inter cetera protulit seriem, quod diximus de ipsorum sensu circa predictum titulum ex­ primentem. Hanc vero inducere hic omisimus propter rei noticiam et sermonis abbreviacionem, et quoniam ad propoto situm magis inducemus 25° secunde, parte 17a. Cum igitur Christus non magis sit aut fuerit rex et dominus Romanorum imperatoris, quam regis aut principis alterius cuiuscumque, quinimo ipsorum eque vel magis, quoniam et tempore Christi Romanus princeps monarchizabat ubique terrarum, palam 1 5 est huius tituli sensum ex eiusdem virtute radicis ad omnes principatus extendi. Quem eciam per ipsum episcopos Ro­ manos intendere, manifeste nos docet Si Bonifacii Romano­ rum episcopi contra Philippum Pulchrum, clare memorie regem Francorum, attemptacio contenciosa de hiis, et inde 20 subsecuta eiusdem Bonifacii decretalis inducta 20° secunde, parte sa. Per quam siquidem omnem humanam creaturam coactiva iurisdiccione subiectam fore Romano pontifici, diffi­ nit esse credendum de necessitate salutis eterne. § 1 1. Hoc igitur modo ad hec ingredientes Romanorum 25 episcopi, primum quidem sub specie querende pacis inter Christi fideles, quosdam excommunicaverunt ipsorum no­ lentes parere sentencie, deinde vero in ipsos realem et perso­ nalem ferendo sentenciam ; in quosdam quidem magis ex5 presse, ut qui minus ipsorum potencie resistere possunt, velut Ytalicorum singulares personas et communitates, quorum regnum divisum et laceratum in omnibus quasi partibus suis facilius opprimi potest ; in quosdam vero remisse magis, vel493 Scholz 133 Anm. 2; Riezler 208 Anm. 3: Porro subesse pontifici omnem

humanam creaturam declaramus, dicimus et diffinimus et pronun­ tiamus omnino de necessitate salutis. 494 excommunicaverunt ist sachlich Gegensatz zu ferendo. 495 Zu communitas vgl. 1 1 9, 1 7 und W.

Teil !, Kapitel XIX 133

5

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Gewalt, meinen, ist folgendes : Ein gewisser Clemens, der fünfte dieses Namens in der Reihe der römischen Bischöfe, hat ihn so angewendet in einem seiner Edikte oder Dekre­ talen : De sententia et re iudicata (der Richterspruch und die entschiedene Rechtssache) in B. 7492, auf Heinrich VII. seligen Angedenkens, den letzten Kaiser der Römer, als er einen Spruch des seligen Heinrich aufhob und dabei u. a. eine Be­ merkung einfließen lieB, die zum Ausdruck bringt, was wir über ihre Auffassung des vorhin genannten Rechtstitels ge­ sagt haben. Diese Stelle haben wir hier nicht angeführt, weil die Sache bekannt ist und wir die Darstellung abkürzen wollen ; auch weil wir zu dem Thema in II 25, 1 7 mehr beibringen werden. Da nun Christus nicht in höherem Grade K önig und Herr des römischen Kaisers ist und war als jedes anderen K önigs oder Fürsten, vielmehr ebenso oder mehr über diese, weil schon zu Christi Zeit der römische Kaiser überall auf der Erde herrschte, so erstreckt sich offenbar der Sinn dieses Rechtstitels infolge der Gleichheit der Beweis­ grundlage auf alle Regierungen. Da.ß die römischen Bischöfe diesen Sinn auch mit dem Titel meinen, lehrt uns der dadurd:t hervorgerufene leidenschaftliche Angriff des römischen Bi­ schofs Bonifatius VIII. auf den französischen K önig Philipp den Schönen ruhmreichen Angedenkens, und desselben Bonifatius dann folgende Dekretale, die II 20, 8 angeführt ist. Durch diese setzt er fest : Da.ß alle mensc.hlime Kreatur der zwingenden Rechtsprechung des römismen Papstes unter­ steht, ist zu glauben notwendig für das ewige Heil.493 § 1 1 In folgender Weise gingen nun die römischen Bischöfe auf dieses < Zieh los : Unter dem Schein, zwischen den Christusgläubigen Frieden stiften zu wollen, haben sie erst ein­ mal einige exkommuniziert494, die ihrem Spruch nicht ge­ horchen wollten, dann aber haben sie durch rid:tterliches Urteil gegen sie Strafen an Gut und P erson verhängt, gegen einige mehr ausdrücklich, nämlich gegen diejenigen, die ihrer Macht weniger Widerstand leisten können, z. B. gegen Ein­ zelpersonen und Städte495 der Italiener, deren Staat, ge­ spalten und zerrissen in fast allen seinen Teilen, leichter über­ wältigt werden kann, gegen einige aber mehr zurückhaltend, 492

Sclwlz 133 Anm. 1.

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nti reges et principes, quorum resistenciam et coactivam formidant potenciam. Ad hos tarnen paulatim serpunt et serpere continuo temptant in iurisdiccionum usurpacione, totum simul inaudentes invadere, propter quod eciam Romanorum principes et populos sibi subiectos hactenus latuit horum sub­ intrans prevaricacio. Paulative namque iurisdiccionem post 1 5 aliam occupaverunt episcopi Romanorum, maxime imperiali sede vacante, *sie* tandem, ut iam sibi totalem supra eundem principem iurisdiccionem coactivam temporalem habere se dicant.Quorumnovissime atque manifestissimemodernus iam dictorum episcopus ad Rarnanorum principem, tarn in Ytalizo corum provinciis quam Germanorum, ad omnes quoque iam dictarum provinciarum inferiores principes, communitates, collegia et personas singulares, cuiuscumque dignitatis et condicionis existant, ac super omnia ipsorum feudalia et reliqua temporalia supremam iurisdiccionem se scripsit 25 habere, ipsorumque principatus dandi et transferendi po­ testatem sibi palam ascribens, ut liquido patere potest omni­ bus ex huius episcopi quibusdam scripturis, quas vocat r edicta sive sentencias. § 12. Hec itaque Romanorum quorundam episcoporum extimacio non recta et perversa fortassis affeccio principatus. quem sibi deberi asserunt ex eisdem, ut dicunt, per Christum 5 tradita plenitudine potestatis, causa est singularis illa, quam intranquillitatis seu discordie civitatis aut regni factivam diximus. lpsa enim in omnia regna serpere prona, quemad­ modum prohemialiter dicebatur, infesta sui accione dudum vexavit Y talicum regnum, e{ a sui tranquillitate seu pace pro1 0 hibuit prohibetque continu Ö principantis, scilicet imperato­ ris Romani, promocionem seu institucionem ipsiusque accio10

13 5

.

497 ipsorum-potestatem gehört ebenso zu habere wie zu ascribens ; que

nach ipsorum ist sonst nur zu konstruieren, wenn man sibi-ascribens streicht ; vgl. Vo. �98 Scholz 134 Anm. 1. 499 I 1 , 3; I 19, 3, Abs. 2. 500

5,5.

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13 5

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nämlich gegen Könige und Fürsten, deren Widerstand und zwinge:nde Gewalt sie fürchten. An diese jedoch schleichen 10 sie nach und nach heran und versuchen immer wieder heran­ zuschleichen in ihrem Bemühen, deren Rechtsprechungen an sich zu reißen ; mit einem Male auf das Ganze zu gehen, wagen sie nicht, und deshalb ist es den römischen Kaisern und ihren Völkern bis heute verborgen geblieben, daß ihr rechtswidriger Anspruch < immer mehr> durchdrang. Denn allmählich haben die römischen Bischöfe eine Rechtt> sprechung nach der anderen sich angeeignet, besonders wenn der Kaiserthron unbesetzt war, so weit schließlim, daß sie496 nunmehr behaupten, in vollem Umfang die zwingende weltliche Rechtspremung über diesen Herrscher zu besitzen. Ganz neuerdings und ganz offen hat nun der gegen­ wärtige der eben genannten Bischöfe geschrieben, er habe gegenüber dem römischen Kaiser in den italienischen wie in 20 den germanischen Ländern, auch gegenüber allen Unter­ fürsten, Städten, Kollegien und den Einzelpersonen der eben genannten Länder, welchen Ranges und Standes auch immer, und über alle ihre Lehen und übrigen weltlichen Güter die oberste Rechtsprechung und die Gewalt497, ihre Regierungs2'> rechte zu verleihen und zu übertragen ; diese Gewalt schreibt er sich offen zu, wie alle aus gewissen Schriften dieses Bischofs klar erkennen können, die er Edikte oder Ent­ scheidungen nennt.498 § 12 Diese unrichtige Meinung gewisser römischer Bischöfe nun und vielleicht ein verderbtes Streben nach der Herr­ sehaft, die nach ihrer Versicherung ihnen zustehe auf Grund der ihnen - sagen sie - von Christus übertragenen Fülle der 5 Gewalt, ist jene besondere Ursache von Unruhe oder Zwie­ tracht in Stadt oder Staat, die wir genannt haben.499 Diese Ursache nämlich - immer auf der Lauer, sich in alle Staaten einzuschleichen, wie es in der Einleitung500 hieß - hat durch ihr feindliches Wirken schon längst den italischen Staat heimgesucht und nicht zu Ruhe und Frieden kommen lassen, und verhindert das immer wieder, indem sie des Herrschers, t o des römischen K aisers, Thronerhebung oder Einsetzung und Regierungstätigkeit in dem genannten Reich mit allen ihren 49G

sibi: statt esse habere.

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nem in dicto imperio sui toto conamine prohibendo. Cuius si­ quidem accionis carencia, iustificacionis scilicet civilium actu­ um, iniurie ac contenciones eveniunt facile, que regula iusti15 cie sive legis non mensurate propter mensurantis absenciam pugnas causant, unde civium separaciones demumque Ytali­ carum policiarum· seu civilitatum soluciones contigerunt, quemadmodum diximus. Opinione igitur hac et affeccione fortasse quam diximus principandi Romanus episcopus 20 iurisdiccione coactiva seu temporali subiectum facere sibi nititur principem Romanorum, qui nec iure debet, ut ex sequentibus palam monstrabitur, nec eidem tali iudicio subici vult. Unde tanta lis et discordia suborta est, ut non sine mag­ no discrimine animarum et corporum ac rerum dispendio possit extingui. *Non enim Romano vel alteri episcopo, sacerdoti aut cui25 quam spirituali ministro, �-'�in quantum huiusmodi':->:·, in quem­ quam cuiuscumque condicionis singularem personam, �-7 com­ munitatem*'� vel collegium aliquod convenit officium princi­ patus **coactivi*�·, quemadmodum demonstratum est 1 5° et 5 1 7° huius. Et hoc de sacerdocio in qualibet lege sive secta sensit Aristoteles 4° Politice, cum dixit : Propier quod non omnes, neque electos neque sorciales ponendum principes, puta sacerdotes primo. Hoc enim aliquid preter politicos princi­ patus ponendum, etc. Sunt autem hec quidem politice cura10 rum, id est officiorum, etc. Et parum infra subdit : Hee autem yconomice sunt.':· § 13. Quodque perniciosa pestis hec, humane quieti atque felicitati sue omni adversans penitus, ex eiusdem vicio cor­ rupte radicis reliqua mundi regna fidelium Christianorum maxime posset inficere, ipsam repellere omnium necessariis15 simum arbitror, quemadmodum prohemialiter dieturn est. 5oa Ar. PoL VI (Rolfes IV) 15 1299 a, 16-19 u. 23. 504 Gemeint ist das Streben des Papstes naclJ. WeltherrsclJ.aft auf Grund =

der plenitudo potestatis.

5os I 1 , 3. 506 Subjekt von reserando und cohibendo ist : iclJ., wegen arbitror ; vgL auch 137, 6-9.

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Mitteln hemmt. Weil diese, die Wahrung der staatlichen Rechtsordnung, fehlt, entstehen leicht Gewalttaten und Streitigkeiten. Werden diese nicht nach der Richtschnur von Gerechtigkeit oder Gesetz ausgeglichen501, weil niemand da 15 ist, der ausgleicht, so verursachen sie Kämpfe, und daraus sind, wie gesagt, Spaltung unter den Bürgern und schließlich Auflösung der italienischen Staaten oder Gemeinwesen her­ vorgegangen. In diesem Wahn nun und vielleicht in dem erwähnten Streben nach Herrschaft sucht der römische Bi­ schof den römischen Kaiser seiner zwingenden oder weltlichen 20 Rechtsprechung zu unterwerfen, der weder mit Recht einer solchen Gerichtsbarkeit sich unterwerfen darf, wie im folgen­ den deutlich gezeigt werden soll, noch dazu willens ist. Daraus ist so heftiger Streit und Zwist entstanden, daß er sich nicht ohne große Gefahr für Seele und Leib und ohne großen Güterverlust zu Ende bringen läßt. 25 Denn keinem römischen oder anderen Bischof, keinem Priester oder ,geistlichen Diener als solchem kommt gegen­ über einer Einzelperson, welches Standes auch immer, einem Gemeinwesen oder einem Kollegium das zwingende Regie­ rungsamt zu, wie I 1 5 und I 1 7502 gezeigt worden ist. Das war auch die Meinung des Aristoteles über das Priestertum Jedes 5 Gesetzes oder jeder Religion, Pol. B. 4 50 3, wo es heißt : Deshalb darf man nidtt alle, roeder die Erwählten nodt die Erlosten, als Beamte ansehen, z. B. gleidt die Priester nidtt. Das Prie­ steramt muß man nämlidt als etroas Versdtiedenes neben die politisdten A'mfer stellen usw. Es sind aber die einen von den O bliegenheiten politisdten Charakters, d. h. von den 10 Ämtern usw. Ein wenig weiter unten fügt er hinzu : die an­ deren sind roirtsdtaftlidten Charakters. § 1 3 Weil jene verderbliche Pest 5 04, der menschlichen Ruhe und jedem Glück. der Ruhe todfeind, infolge der Fäulnis ihrer verderbten Wurzel die übrigen Reiche der gläubigen Ch�isten in der Welt aufs schwerste vergiften könnte, halte 15 ich es für das Allernotwendigste, sie zurückzuwerfen, wie in der Einleitung5 05 gesagt ist, indem ich 506 zunächst die Hülle so1 Vgl. I 15, 1 1.

so2

I 15, 1-9 Rechtsstellung des Reg·enten, I 1 ?, 1-9 Einheit der Regie­ rung.

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132'

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Primum quidem opinionis iam dicte, tamquam radicis iam factorum et futurorum malorum, involucrum reserando; d einde vero ipsius patronos seu inventores ignaros aut in­ iustos ac defensores pertinaces exteriori opera, si oporteat, 20 cohibendo. Ad hec autem obligantur omnes illi ohviare scien­ tes atque potentes ; quod eciam negligentes aut omittentes occasione quacumque iniusti sunt, teste Tullio 1° De Officiis, capitulo 5°, cum dixit : lniusticie genera duo sunt, unum 25 eorum qui inferunt, alterum eorum qui ab hiis quibus infertur, si possunt, non propulsant iniuriam. Ecce ergo secundum Tullii sentenciam hanc notahilem, quod non solum iniusti sunt qui aliis iniuriam inferunt, verum eciam hii qui prohi­ here sciunt et possunt iniuriam aliis inferentes, non prohi5 bent autem, quoniam ad hoc tenetur quilibet alteri; iure quo­ dam quasi naturali, debito videlicet amicicie atque societatis humane. Quod ius ne siquidem scienter transgrediens ipse saltem mihi dicar iniustus, hanc pestem a fratribus Christi fidelibus doctrina primum et qua valuero exteriori conse10 quenter opera propulsare propono. Quoniam, ut indubitanter videre videor, desuper mihi datum est nosse sophisma et reserandi p otestas, in quo Romanorum episcoporum quorun­ dam hactenus et in presenciarum suorumque complicium ob­ liqua extimacio et cum hac perversa fortassis affeccio, scan15 dalorum iam dictorum parens, hactenus innisa est, et con1inuo nititur sustentari.

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von dem obengenannten Wahn50 7 als der Wurzel der schon eingetretenen und der künftigen übel. wegreiße, ferner, in­ dem ich seine unwissenden oder unmoralischen Schutzherren 20 oder Ertüfteler und hartnäckigen Verteidiger, wenn nötig, mit äußerem Handeln im Zaume halte. Außerdem sind aber auch alle zur Gegenwehr verpflichtet, die das Wissen und die Macht dazu haben. Auch wer diese Pflicht unter irgendeinem Vorwand vernachlässigt oder versäumt, ist schlecht, wie Cicero über die Pflichten B. 1, Kap. 5508 bezeugt mit den Worten : Von dem Mangel an Rechtsgefühl gibt es zwei Gat­ tungen : die der einen, die Unrecht tun, die der anderen, 25 die den Bedrohten, wenn sie es können, das Unrecht nicht abwehren! Beachte also : nach dieser bemerkenswerten An­ sicht Ciceros ist nicht nur schlecht, wer anderen Unrecl:d zufügt, sondern auch, wer andere vor Übeltätern zu schützen weiß und es kann, das aber nicht tut ; denn dazu ist 5 jeder dem Nächsten verpflichtet sozusagen durch eine Art von natürlichem Recht5 09, durch eine Verpflichtung, die aus der Freundschaft und der menschlichen Gesellschaft er­ wächst. Um nun wenigstens mich selbst nicht wegen wissent­ licher Übertretung dieses Rechtsgebotes schlecht nennen zu müssen, nehme ich mir vor, diese Pest von den christus­ gläubigen Brüdern zunächst durch Belehrung und dann, so to gut ich vermag, mit der Tat abzuwehren. Denn wie ich ohne jeden Zweifel zu sehen glaube, ist mir von oben das Wissen um den Trugschluß5 1 0 und die Fähigkeit, ihn au fzudecken, gegeben- den Trugschluß, an dem die unhaltbare Meinung gewisser römischer Bischöfe und ihrer Helfershelfer hisher und in der Gegenwart und zusammen damit vielleicht ein verderbtes Strehen5 11 , die Quelle der obenerwähnten Ärgern nisse, eine Stütze gefunden hat und sich immer wieder aufrechtzuerhalten sucht.

50 7

Gemeint ist der Wahn von der plenitudo potestatis recta, 137,13 obliqua. 508 Cicero De off. I 7, 23. 5o9 II 1 2, 7. 51o § 9 Ende. 135,2. 511 =

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extimatio non

248

M arsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

DICCIO SECUNDA C A P I TULUM I

De tribus impedimentis sive modis adversandi v e r i t a t i b u s i n h a c d i c c i one c o n t e n t i s , i n t e n c i o n e tractandorum et modo procedendi. zo

138

Aggressurus itaque tarn arduum, s i nequicquam obvium dubitem, quod veritati possit inniti, ex illius tarnen tribus infestis hostibus huic operi bella parari video : uno siquidem persecucione violente potestatis Romanorum episcoporum suorumque complicium. Ipsum etenim ipsiusque propala­ tores veridicos totis viribus nitentur destruere, tamquam directo adversantes ipsorum proposito detinendi et possi­ dendi temporalia minus iuste, necnon eorum ardenti desi5 derio principatus. A quibus quidem ipsos revocare sermone veridico, quantumcumque eciam manifesto, difficile fiet. Eos tarnen misericors Deus per graciam revocare dignetur, ipso­ rumque violentarn potenciam compescat ipse, compescantque sibi fideles tarn principes quam subiecti, quorum omnium Secundo vero veritatis quasi 10 profecto inimicantur quieti. cuiuslibet hoste antiquo paratur huic operi bellum non mi­ nus, consuetudine scilicet audiendi falsa illaque credendi ; falsa inquam per presbyteros seu episcopos aliquos reliquos­ que ad hec ipsorum suffraganeos dudum seminata et radi1 5 cata in animabus plurimorum simplicium Christi fidelium. Hii namque sacerdotes suis sermonibus et scripturis quibus­ dam sentencias divinas et humanas actuum humanorum, tam monasticorum quam civilium, involverunt implicacione

Teil ll, Kapitel I

249

TE I L II KAP I T EL I

D r e i H i n d e r n i s s e o d e r d r e i Ge g n e r s c h art e n d e r i n d i e s e m T e i l e n t h a l t e n e n Wah r h e i t e n , d a s Zi e l d e r A b h a n d l u n g un d d i e M e t h o d e d e s V o r g e h e n s . 20

§ 1 Wenn ich nun angesichts einer s o schwierigen Aufgabe auch keinerlei Hemmnis fürchtete, das sich der Wahrheit entgegenst emmen könnte - ich sehe doch : drei gefährliche Feinde der Wahrheit bedrohen dieses Werk mit Krieg : erstens die Verfolgung durch die keinen Gewaltakt scheuende Macht der römischen Bischöfe und ihrer Helfershelfer. Das 138 Werk nämlich und seine wahrhaftigen Verkünder werden sie mit allen K räften zu vernichten suchen im Bewußtsein, daß diese unmittelbar ihrer Absicht, weltliche Güter - ohne alles Recht - festzuhalten und zu besitzen, und auch ihrem glühenden Verlangen nach Herrschaft entgegentreten. Da5 von die römischen Bischöfe durch eine wahrhaftige Dar­ stellung abzubringen, sei sie noch so schlagend richtig, wird schwierig werden. Möge jedoch der barmherzige Gott in Gnaden sich dazu herablassen, möge Er ihre keinen Gewalt­ akt scheuende Macht selbst in Schranken halten, und möge es tun, wer an Ihn glaubt, Regenten wie Untertanen, deren 1 0 aller Ruhe sie wahrhaftig feind sind. Zweitens bedroht ein alter Feind fast jeder Wahrheit dieses Werk nicht minder mit K rieg, die Gewohnheit, Falsches zu hören und das zu glauben, Falsches, sag ich, das durch einige Priester oder Bischöfe und außerdem deren Anhänger schon längst aus­ gesät ist und in den Seelen der meisten schlichten Christus1 5 gläubigen Wurzel gefafH hat. Denn diese Priester haben durch ihre Reden und durch gewisse Schriften die göttlichen und menschlichen Anschauungen über das menschliche Han­ deln, das private wie das staatliche, in ein buntes und nur mit größter Mühe zu entwirrendes Durch einander verhüllt;

250

llfarsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

varia et explicari laboriosa quam multum ; ex tali sentenciarum involucro postmodum inferentes, licet indebite, sensus aliquos, quibus suam iniustam despociam induxerunt super Christi fideles sua simplicitate credentes, ex quibusdam paralogismis horum sacerdotum et comminacione quadam dampnacionis eterne ad talium sophisticorum tarn dictorum 25 quam scriptorum observacionem, in quibus non propter hoc accidere conclusionem sepe committitur, ordinacione divina teneri. Harum etenim rerum de quibus queritur atque contenditur, suorumque verorum atque simpli­ cium iniciorum, de mentibus hominum abolitis veris senten;o ciis, horumque vice falsis paulative1 suggestis, nunc latei 139 plurimos utrorumque discrecio. Turbat enim et abducii a veritaie non modieuro secundum quamlibet disciplinam audicionum falsarum consuetudo ; iestis esi Aristoteles 2° Philosophie, finali capitulo. Propier quam eciam plurimum 5 impedieniur a principio lectores ei auditores huius, precipue qui philosophie fuerini exories et in sacris scripturis inexer­ citati, a comprehensione ac perfecta credulitate veritaium in hoc volumine contentarum. Reliquus autem et tercius veri­ tatis hostis infestus huic doctrine impedimentum grande to prestabit : livor siquidem horum eciam, qui etsi nos vera dixisse crediderint, quia tarnen huius vere sentencie pre se al ium explicatorem intelligent, eidem detraccionis dente clandestino lacerando vel presumpcionis clamoso latratu, adurentis invidie id ipsis nequissimo suadenie spiritu, se opponent. § 2. Verum a propositis nec principaius ardencium minus 15 debite sacerdotum, quos hiis scripiuris alloquor, violente potencie terrore desistam. Quoniam dicente Psalmista : Do­ min us mihi adiutor, et non timebo, quid faciat mihi homo. zo

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Ar. Met. II 3. Vgl. Scholz 139 Anm. 1 .

s quoniam Vo. 6 Psalm 118,6.

Teil li, Kapitel I

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139

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10

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251

ans einer solchen Verschleierung ihrer Gedanken leiten sie dann, wenn auch ohne alles Recht, einige Auffassungen 1 ab, mit denen sie ihre unmoralische Tyrannei über die Christus­ gläubigen begründet haben ; diese glauben in ihrer Einfalt infolge gewisser Trugschlüsse dieser Priester und einer An­ drohung der ewigen Verdammnis, zur Befolgung solcher trügerischer Worte wie Schriften2, in denen der Iogische Fehler begangen wird, Schlüsse zu ziehen, wo Schlüsse nicht möglich sind, durch Gottes Ordnung verpflichtet zu sein. Da nämlich die richtigen Ansichten über diese Fragen, um die die Unter­ suchung und der Streit geht, und ihre wahren und einfachen Anfänge aus den Köpfen der Menschen ausgetilgt und dafür falsche allmählich suggeriert worden sind, so ist .Jetzt den meisten di� klare Unterscheidung von wahr und falsch verhorgen. In .Jedem geistigen Bereich nämlich erzeugt die Ge­ wohnheit, Falsches zu hören, Verwirrung und lenkt von der Wahrheit nicht wenig ab ; Zeuge ist Aristoteles Met. B. 2 im Schlußkapitel.3 Diese Gewohnheit wird auch von Anfang an die Leser und Hörer dieses Teils, zumal die philosophisch un­ gebildeten und die in den Heiligen Schriften nicht bewander­ ten, sehr stark hindern, die in diesem Buche enthaltenen Wahrheiten vollkommen zu erfassen und zu glauben. Drit­ tens wird der noch übrige gefährliche Feind der Wahrheit für diese Lehre ein schweres Hemmnis bedeuten : auch der bleiche Neid derjenigen, die zwar glauben, wir hätten die Wahrheit gesagt, trotzdem aber, weil sie sich sagen müssen, ein anderer habe diese wahre Meinung eher als sie entwickelt, heimlich mit dem Zahn der Mißgunst oder unter dem lärmen­ den Gebelfer der Anmaßung - das gibt ihnen der nichts­ würdige Geist des b rennenden Neides ein - sie zerreißen und ihr entgegentreten werden. § 2 Aber weder werde ich mein Vorhaben aus Angst vor der keinen Gewaltakt scheuenden Macht der ohne .jedes Recht von Herrschsucht glühenden Priester aufgeben, die im in diesen Schriften anrede - denn 5 der Psalmist6 sagt : Der Herr ist mir Helfer, und ich werde mich nicht fürchten; was könnte mir ein Mensch tun?-, noch auch werde ich wegen des t Auffassungen der plenitudo potestatis. 2

Der folgende Relativsatz ist unverständlich; L hat convincitur statt committitur.

252

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

20

Neque hoc eciam propter obloquentes invidos detractores omittam exprimere, quod expositum tarn omnibus proderit atque neglectum obesse potest. Et hii, quoniam seipsos cru­ ciantes, sua sibi malignitate resistent. Nam invidia, ut ait Ugucio bene describens, est in suum actorem reciproca de 25 bono alterius, tabescentis animi cruciatus. Hostili vero con­ suetudini sufficienter refragabitur dicendarum evidencia veritatum. 140 § 3. Incedam autem in huius libri diccione secunda, primum adducendo sacri canonis auctoritates cum quibusdam fictis et alienis quorundam inte�pretacionibus, quibus for­ tasse videretur posse convinci Romanorum episcopo iure 5 deberi supremam omnium coactivarum iurisdiccionum ':· seu�­ principatus in lege Christianorum presertim, tarn supra Ro­ manum principem quam reliquos omnes principatus, com­ munitates, collegia et personas singulares, eciam seculares, 10 eoque magis supra presbyteros seu episcopos, diaconos ipso­ rumque collegia et singulares personas, cuiuscumque condi­ cionis existant. Quoniam si qua necessitate ad horum unum ex secularibus aut clericis concluditur ex virtute verborum scripture, per eandem quoque ad reliquos omnes. Hiis eciam consequenter ad iam dieturn propositum astru­ 15 endum quasdam quasi politicas raciones adducam, apparen­ tes valde suppositis quibusdam scripture sacre veritatibus, quas eciam concorditer veras omnes supponere debent. Ras inquam adducam, ut sie patenter dissolvam, ne quisquam 20 per illas aut consimiles de cetero falli possit, utque ex earum solucione appareat magis infirmitas extimacionis predicte, cui dudum hactenus probabilitatis faciem prebuerunt.

to

u

ne quisquam ut nemo. li 30 (c) . Beherrschender Gesichtspunkt ist die coactiva potestas a und c; b ist Nebenbemerkung, wie schon die Paragrapheneinteilung zeigt. =

=

Teil ll, Kapitel l

140

253

20 Tadels der mißgünstigen Neider unterlassen zu äußern, was, offen ausgesprochen, allen nützen, und was, verschwiegen, allen schaden kann, und diese werden wegen ihrer Selbst­ quälerei mit ihrer eigenen Bosheit sich im Wege stehen ; denn der Neid, wie Ugucio7 in einer treffenden Beschreibung sagt, fällt auf seinen Träger zurück, denn er ist die Qual eines 25 Herzens, das sidt wegen des Guten eines anderen verzehrt. Der feindlichen Gewohnheit, Falsches zu hören, aber wird die Überzeugungskraft der Wahrheiten, die ich vorzubringen habe, zur Genüge entgegenwirken. § 3 Ich werde im zweiten Teil dieses Buches so vorgehen : Zuerst8 führe ich die autoritativen Stellen des Heiligen Ka­ nons zusammen mit einigen erdichteten und abwegigen Er­ klärungen gewisser Leute an, die vielleicht scheinbar den Beweis erbringen könnten, dem römischen Bischof stehe mit 5 Recht die oberste von allen zwingenden Rechtsprechungen zu oder die Herrschaft - zumal im Gültigkeitsbereich des Ge­ setzes der Christen - über den römischen Herrscher wie über alle anderen Regierungen, Gemeinschaften, Kollegien und Einzelpersonen, auch die weltlichen, und um so mehr über die 10 Priester oder Bischöfe, die Diakonen und deren Kollegien und Einzelpersonen, in welchem Range auch immer. Denn wenn sich das mit Notwendigkeit für eine von diesen welt­ lichen oder geistlichen Personen kraft der Worte der Schrift erschließen läßt, so gilt das mit derselben Notwendigkeit auch für alle übrigen. Im Anschluß daran9 werde ich als Stütze für die eben 15 genannte Behauptung einige politisch klingende Gründe an­ führen, die sehr einleuchten, wenn man gewisse Wahrheiten der Heiligen Schrift voraussetzt, die auch alle einmütig aner­ kennen müssen. Diese, sag ich, werde ich anführen, um sie so klar zu entkräften, dafit 0 keiner durch diese oder ähnliche 20 Gründe fortan sich täuschen läßt und daß aus deren Ent­ kräftung die Schwäche der vorgenannten Meinung deutlicher wird, der sie seit langer Zeit bis heute den Anschein, sie sei bewiesen1 1 , geliehen haben. 7 Scholz 139 Anm. 3. s II 3, 1-9 (a) . 9 n 3, 1o-15 (b) .

254

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

§ 4. Post hec autem ex adverso inducam sacri canonis veritates cum sanctorum illius interpretum non fictis, non alienis aut falsis exposicionibus, sed consonis et propriis, demon­ strantes aperte Romanum episcopum vocatum papam, aut alium quemlibet presbyterum seu episcopum vel spiritualem ministrum, communiter aut divisim, inquantum huiusmodi, *aut ipsorum collegium* nullam iurisdiccionem realem aut personalem cuiusquam coactivam habere vel habere debere supra presbyterum seu episcopum aut diaconum quemquam 5 vel ipsorum collegium ; eo q ue minus ipsum aut ipsorum ali­ quem communiter vel divisim talem iurisdiccionem habere in quemquam principem seu principatum aliquem, communi­ tatem, collegium aut personam singularem aliquam secula­ rem, cuiuscumque condicionis existat, nisi ea demum iuris10 diccio per humanum legislatorem in provincia presbytero seu episcopo alicui aut ipsorum collegio concessa foret. Ad quod eciam demonstrandum et confirmandum adduci pote­ runt et debent, cum alicui fuerit opportun um, politice demon­ straciones, quarum principia propria 12° prime, 15° et 17° conJ> tinentur. Has enim iterare non disposuimus propter abbre­ viacionem sermonis. Hiis consequenter ostendam, que quan­ tave sit potestas sacerdotalis et clavium per Christum tradita Romano episcopo et alteri cuilibet sacerdoti. Ex horum enim manifestacione pendet multarum dubitacionum solucio, ad 20 veritatem et finem, quem producere querimus, prebens in­ gressum. § 5. Deinde vero perutile erit dicere ad aliquas innascentes questiones ex dictis ; cum quibus eciam de privilegiis Roma­ norum principum, iam Romanis episcopis concessis, dicemus 25 aliquid expediens ad propositum negocium. Quoniam ex hiis occasionaliter usurpaciones seu occupaciones, seu detencio­ nes iurisdiccionum coactivarum, quas auctoritati ,proprie Romanorum nunc scribunt episcopi, sumpserunt originem,

25

141

14

I 12 (Gesetzgeber ist nur das Volk), I 15 , 1-7 (Gerimt und Verwaltung ist nur Aufgabe der Regierung) , I 17, 1-9 (Einheit des Staatswillens). 17 Woccasio. 16 II 18-22, bes. II 18, 7 u. II 22, 19. 15 II 6-10.

Teil I!, Kapitel I

25

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255

§ 4 Danach12 werde ich im Gegensatz dazu Wahrheiten des Heiligen Kanons anführen mit nicht erdichteten, nicht ab­ wegigen oder falschen, sondern passenden und eigentlichen Auslegungen seiner heiligen Erklärer, die klar beweisen : K ein römischer Bischof, Papst genannt, und kein anderer Priester oder Bischof oder geistlicher Diener hat gemeinschaftlieh oder einzeln als solcher oder ihr Kollegium eine zwingende Rechtsprechung, die Gut oder Person betrifft, über jemand13 : einen Priester oder Bischof oder Diakonen oder deren Kollegium, oder darf sie haben ; und um so weniger hat er oder einer von ihnen gemeinsam oder einzeln eine solche Rechtsprechung über einen Herrscher oder eine Re­ gierung, eine Gemeinschaft, ein Kollegium oder eine welt­ liche Einzelperson welches Standes auch immer, wenn nicht erst der menschllche Gesetzgeber im Lande diese Rechtspre­ chung einem Priester oder Bischof oder deren Kollegium übertragen hat. Um das auch zu beweisen und zu bekräfti­ gen, werden - da das manchem liegt - politische Beweise an­ geführt werden können und müssen, deren eigentümliche Prinzipien in I 1 2, I 15 und I 1 714 enthalten sind ; denn sie zu wiederholen, haben wir nicht beabsichtigt, um die Darstel­ lung abzukürzen. Im Anschluß daran 15 werde ich zeigen, welcher Art und Ausdehnung die priesterliche Gewalt und die Schlüsselge­ walt ist, die Christus dem römischen Bischof und _jedem ande­ ren Priester übergeben hat. Denn von der Klärung dieser hängt die Auflösung vieler Zweifel ab, die zur Wahrheit und zu dem Endergebnis, das wir zu gewinnen suchen, den Zugang eröffnet.t6 § 5 Dann aber wird es sehr nützlich sein, zu einigen Fragen zu sprechen, die aus dem Gesagten sich ergeben ; in diesem Zusammenhang werden wir auch über die Privilegien, die schon die römischen Herrscher den römischen Bischöfen zuge­ standen haben,· etwas für die gestellte Aufgabe Förderliches sagen. Denn von diesen Privilegien als Anlässen 1 7 haben widerrechtliche Anmaßung und Besitzergreifung oder An ­ eignung von zwingenden Rechtsprechungen, die die Bischöfe der Römer jetzt der eigenen Autorität zuschreiben, ihren 12 13

II 4-5. cuiusquam abh. von coactivam, in der übers. mit supra ausgeglichen.

256

Mar silius von Padua, Ver teidiger des Friedens

et per consuetudinem, qujnimo abusum verius, robur acceperunt postmodum, maxime imperiali sede vacante. Hiis enim privilegiis ab inicio, non aliunde, in iurisdiccionum coactivarum acquisicione et ipsarum conservacione susten­ tati sunt Romanorum episcopi. Posterius vero vel quia per d.emeritum privati sunt illis, vel ne debilitas occasionum et 5 veritas indebite iam per ipsos assumpte iurisdiccionis appa­ reat, eorumque ingratitudinem ob tegendam, aut eciam for­ tasse, sicut verisimile ostendimus ultimo prime, quoniam iurisdiccionis coactive regnorum omnium occupacionem intendunt, ad quam sibi nil su:ffragarentur privilegia memo10 rata, iisde:rh non utuntur, sed alio quodam universaH ad prin­ cipantes et omnes civiliter viventes sibi subiciendos supra­ dicto titulo, plenitudine scilicet potestatis. Ex qua, per Chri­ stum tradita beato Petro tamquam vicario, coactivam iuris­ diccionem supremam omnium hominum et provinciarum iam 15 quilibet Romanus episcopus, inquantum Petri successor, se dicit habere. Reliquum autem huius diccionis erit ostendere sacri cano­ nis auctoritates, adversus eam quam veritatis et scripture sentenciam diximus, nihil su:ffr agari errori predicto, sed ei20 dem pocius adversari, sicuti manifeste patebit ex sanctorum quorundam exposicionibus, necnon et aliorum approbato­ rum doctorum fidei Christiane, per que eciam apparebit quorundam exposiciones, imo verius ficciones, scripturam retorquere conancium ad astruendum sensum extimacionis 25 false predicte, violentas esse, scripture alienas atque distortas, sanctorum eciam et peritorum doctorum Christiane fidei sentencie dissonare.

30

142

18 19 20 21

198, 24-27. I 1 9,9. I I 6, 1 ; II 23-26. I I 29.

Teil ll, Kapitel l

142

257

Ausgang genommen18, und durch Gewohnheit, vielmehr rich­ tiger : durch Mißbrauch, haben < diese Ansprüche > sich später 3o verstärkt, besonders wenn der Kaiserthron unbesetzt war. Durch diese Privilegien und durch nichts anderes sind nämlich von Anfang an die römischen Bischöfe bei dem Erwerb der zwingenden Rechtsprechungen und deren Behauptung ge­ stützt worden. Weil sie aber durch eigenes Verschulden jener Privilegien verlustig gegangen sind, oder, damit nicht die Schwäche der Anlässe oder die Wahrheit über die Rechtspre5 chung, die sie ohne jedes Recht schon sich angemaßt hatten, an den Tag käme, und, um ihren Undank zu verdecken, oder auch vielleicht, wie wir als wahrscheinlich im letzten Kapitel des 1 . Teils19 nachgewiesen haben, da sie ja darauf ausgehen, sich die zwingende Rechtsprechung über alle Staaten anzu­ eignen, wobei die erwähnten Privilegien ihnen nichts helfen würden - ziehen sie diese in der späteren Zeit nicht heran, 10 sondern einen anderen ganz umfassenden obengenannten Rechtstitel, um die Regenten und alle im Staatsverband Lebenden sich zu unterwerfen : die Fülle der Gewalf.2° Auf Grund dieser, die Christus dem seligen Petrus als seinem Statthalter übergeben habe, behauptet nunmehr jeder rö­ mische Bischof, als des Petrus Nach folger die oberste zwinn gende Rechtsprechung über alle Menschen und Länder zu haben. Endlich21 wird in diesem Teil noch zu zeigen sein, daR die autoritativen Stellen des heiligen K anons nicht im geringsten wider die Meinung der Wahrheit und der Schrift, wie wir sie angegeben haben, für den vorgenannten Irrtum sprechen, 20 sondern vielmehr dagegen, wie aus den Auslegungen gewis­ ser Heiliger und auch anderer bewährter Lehrer des christ­ lichen Glaubens klar hervorgehen wird. Dadurch wird auch deutlich werden : Die Auslegungen, vielmehr richtiger : die Erdichtungen gewisser Leute, die versuchen, die Schrift zu verdrehen, um die Auffassung der vorhin genannten falschen 25 Meinung zu stützen, sind gewaltsam, der Schrift fremd und verzerrt, stehen auch mit der Meinung der Heiligen und der sachkundigeren Lehrer des christlichen Glaubens nicht in Einklang.

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Fried ens

Omnium vero novissime dissolvam raciones, quas quasi politicas dixi, extimacioni false sepe dicte visas aliqualiter suffragari. CA P I T UL UM II

143

D e d i s t i n c cio n e n o m i n u m s i v e d i c c i o n u m e x q u i h u s q u e s i t a d e ter m i n a n d a c o m p o n u n t u r. Ante tarnen quam de propositis disseramus, ne propter multiplicitatem nominum, quihus in quesitis principalihus utemur, accidat amhiguitas et implicacio sentenciarum, quas volumus aperire, distinguemus significaciones ipsorum. Nam, ut in 1° Elenchorum : Q ui virtutis nominum sunt ignari,paraloto gizantur, et ipsi disputantes et alios audientes. Nomina vero seu dicciones, quorum multiplicitatem distinguere volumus, sunt hec : ecclesia, iudex, spirituale, temporale; propterea quod ex inquisicione proposita scire volumus, utrum ad Romanum aut alium quemvis episcopum seu preshyterum, t5 diaconum aut ipsorum collegium, qui viri ecclesiastici solent dici, pertineat iudicem esse coactivum temporalium aut spi­ ritualium a:ut utrorumque, vel secundum horum neutrum sint ipsi iudices tales. § 2. Hec itaque prosequentes dicamus, quod hoc nomen ecclesia vocahulum est ex usu Grecorum, significans apud 20 ipsos, in hiis que ad nos pervenerunt, congregacionem populi sub uno regimine contenti, quomodo sumpsit ecclesiam Aristoteles 2° Politice, capitulo 7°, dum dixit : Ecclesia autem participant omnes. Apud Latinos vero vocahulum hoc secundum vulgarem et 25 famosam appellacionem in una sui signifi.cacione importat templum �eu domum, in qua Deus communiter a fidelihus colitur et frequencius adoratur. Sie enim de ecclesia loque­ batur apostolus 1a ad Corinthios 1 1°: Numquid domos non s

22 II 30.

23 135 , 2.

24 Ar. Soph. Widerleg. I 1

25

Ar. Pol. II 10

=

1272

a,

165 a, 15-17. 1 0-11.

=

Teil li, Kapitel li

259

Zuallerletzt22 werde ich die Gründe entkräften, die ich die politisch klingenden genannt habe und die die falsche oben­ genannte Meinung23 irgendwie zu unterstützen schienen. 143

KA P I T E L II

D er v e r s c h i e d e n e S i n n d e r B e z e i c h n u n g e n o d e r A u s ­ d r ü c k e , d i e i n d e n v o r lie g e n d e n F r a g e n e i n e b e h e r r ­ s ch e n d e R o l l e s p i e l e n .

§ 1 Um jedoch wegen der Vieldeutigkeit der Bezeichnungen, die wir bei den Hauptfragen verwenden werden, nicht Zweideutigkeit und Verwirrung der Ansichten entstehen zu lassen, die wir darlegen wollen, werden wir vor der Erörte­ rung der aufgeworfenen Probleme erst die Bedeutungen der Wörter klären. Denn wie es in den ,Sophistischen Wider­ legungen' B. 124 heißt : Wer die Wortbedeutungen nicht kennt, to macht Fehlschlüsse, ebenso beim Disputieren roie beim An­ hören anderer. Die Bezeichnungen aber oder Ausdrücke, deren Vieldeutigkeit wir klären wollen, sind folgende : Ek­ klesia (Kirche, Gemeinde) , Richter, spiritual (geistlich geistig) , zeitlich (weltlich) , weil wir nämlich aus der Unter­ suchung, die wir uns vorgenommen haben, erfahren wollen, ob es dem römischen oder irgendeinem anderen Bischof oder t> Priester, Diakon oder deren K ollegium, die man Männer der K irche zu nennen pflegt, zukommt, zwingender Richter zu sein über Weltliches oder Geistliches oder beides - oder ob sie in keinem solche Richter sind. § 2 Wir fahren nun fort und wollen sagen : (1) Ekklesia ist ein Wort aus dem Sprachgebrauch der Griechen, das bei 20 ihnen in den < Schriften > , die auf uns gekommen sind, eine Versammlung des unter e i n e r Leitung zusammengefaßten Volkes bedeutet ; in diesem Sinne nahm es Aristoteles Pol. B . 2, Kap. '725, als er sagte : An der Ekklesia aber nehmen alle teil. (2) Bei den Lateinern meint dieses Wort nach der volks25 tümlichen und bekannten Gebrauchsweise in einer Bedeu­ tung den Tempel oder das Haus, in dem Gott gemeinsam von den Gläubigen sehr häufig verehrt und angebetet wird. So nämlich sprach der Apostel von der Kirche im 1 . K orintherbrief 5

260

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

habetis ad manducandum et bibendum, aut ecclesiam Dei contempnitis? Ubi

144

glossa secundum Augustinum : 'Ecclesiam et infra parum

Dei contempnitis', id est dom um oracionis,

subdit : Hoc usus quotidian us obtin uit, ut 'in ecclesia prodire s

145

vel confugere' non dicatur, nisi qui ad locum ipsum parietesque prodierit vel confugerit.

In alia vero significacione importat hoc nomen ecclesia omnes presbyteros seu episcopos, diaconos et reliquos mini­ strantes in templo seu ecclesia dicta secund um priorem signi1 0 ficacionem. Et secundum harre intencionem ecclesiastice per­ sone � eu viri ecclesiastici famose dicuntur tantummodo cle­ rici seu ministri predicti. Adhuc autem in alia significacione apud modernos maxime importat hoc nomen ecclesia mirristras illos, presbyteros seu 1 5 episcopos atque diaconos, qui mirristraut et presunt in metro­ politana seu principali omnium ecclesiarum, quemadmodum hoc ecclesia Romane urbis dudum obtinuit, cuius ministri et presidentes surrt papa Romanus et cardinales ipsius, qui iam ex usu quodam obtinuerunt dici ecclesia, et ecclesiam aliquid 20 egisse aut recepisse, cum iidem aliquid egerint aut receperint vel aliter qualiter ordinaverint. § 3. Rursum, secundum aliam significacionem dicitur hoc nomen ecclesia, et omnium verissime ac propriissime secun­ dum primam imposicionem huius nominis seu intencionem 25 primarum imponencium, licet non ita famose seu secundum modernum usum, de universitate fidelium credencium et invocancium nomen Christi, et de huius universitatis parti­ bus omnibus, in quacumque communitate, eciam domestica. Et hec fuit imposicio prima huius diccionis et consuetus usus eius ':· apud"-· apostolos et in ecclesia primitiva. Unde apostolus ta ad Corinthios 1 ° : Ecclesie que est Corinthi sanctificatis in

2 8 in ecclesia confugere : vgl. Anm. 852. 20 473 , 1 8 wird diese Bedeutung als dritte gezählt.

30 1. Kor. 1 ,2.

Teil ll, Kapitel ll

26 1

im 1 1 . Kap.26 : Habt ihr etroa keine Häu ser zum Essen und Trinken, oder verachtet ihr die Kirche Gottes ? Dazu sagt die Glosse nach Augustin27 : ,Verachtet ihr die Kirche Gottes ? ' , d. h. d a s Haus des Gebetes, und etwas weiter unten fügt sie hinzu : D a s h a t der tägliche Gebrauch durchgesetzt, daß man

144

5

,in die Kirche28 eintreten oder fliehen' nur sagt, roenn jemand in den Raum selbst und zwischen die Wände ein getreten oder geflohen ist. (3) In einer anderen Bedeutung meint Kirdw alle Priester oder Bischöfe, Diakonen und die übrigen, die im Ternpel

oder der Kirche nach der vorigen Bedeutung Dienst tun. In dieser Bedeutung werden nur die Kleriker oder die vorhin erwähnten Diener im gewöhnlichen Sprachgebrauch Per­ sonen oder Männer der Kirche genannt. (4) Fern'er meint in anderer Bedeutung bei den Neueren Kirche besonders jene Diener, Priester oder Bischöfe u nd die in einer Metropolitan- oder Hauptkirche n Diakonen, Dienst tun und leiten de Stellungen innehaben, wie das die K irche der Stadt Rom schon längst erreicht hat ; deren Diener und Leiter sind der römische Papst und seine Kardinäle, die schon auf Grund eines gewissen Brauchs es durchgesetzt haben, Kirche genannt zu werden und < daß man sagt > , die �o Kirche habe etwas getan oder erhalten, wenn jene etwas getan oder erhalten oder irgendwie sonst etwas angeordnet haben. § 3 (4) 29 Ferner wird Kirche in einer anderen Bedeutung-. und zwar am allerwahrhaftigsten und eigentlichsten nam der ersten Prägung dieser Bezeichnung oder nach der A b2; simt der ersten, die sie geprägt haben, mag sie auch nicht so bekannt und modern sein, von der Gesamtheit der Gläu­ bigen gebraucht, die an den Namen Christi glauben und ihn anru fen, und von allen Teilen dieser Gesamtheit in jed er Gemeinschaft, auch der häuslimen. Dies war die erste Prägung dieses Ausdrucks und ihr gewöhnlicher Gehraum bei den Aposteln und in der Urkirche. Daher sagt der Apostel im 1 . Korintherbrief im 1. Kap.3 0 : An die Kirche (Gemeinde) 10

145

in Korinth, die in Christus ]esus Geheiligten, die berufenen

26 27

1 . Kor. 1 1 ,22. Scholz 144 Anm. 1.

262

M arsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

Christo I esu, vocatis sanctis, cum omnibus qui invocant nomen Domini nostri I esu Christi. Ubi glossa secundum Ambrosium : Sanctificatis in baptismo, et hoc in Christo Iesu. Et secundum hanc intencionem loquebatur apostolus Actu­ um 20° ad presbyteros Ephesios, cum dixit : Attendite vobis et universo gregi, in quo vos spiritus sanctus posuit episcopos, 1 0 ut regeretis ecclesiam Dei, quam acquisivit sanguine suo. Et propterea viri ecclesiastici secundum hanc verissimam et propriissimam significacionem sunt et dici debent omnes Christi fideles, tarn sacerdotes, quam non sacerdotes, eo quod omnes Christus acquisivit et redemit sanguine suo. Sicut 1 5 eciam expresse dicitur in glossa super illud Luce 22° : Hoc est corpus meum quod pro vobis datur. 'Pro vobis', inquit glossa, non significat pro solis apostolis corpus Christi datum et sanguinem effusum fuisse, sed causa tocius humane na­ ture. Sie igitur non pro solis apostolis effusus est Christi 20 sanguis ; ergo non soli acquisiti sunt aut fuerunt per illum, nec per consequens presbyteri aut templorum ministri, suc­ cessores illorum in officio ; non igitur sunt ipsi soli ecclesia, quam Christus suo sanguine acquisivit. Nec propter eandem causam sunt isti ministri, episcopi seu presbyteri et diaconi, 25 soli ecclesia, que sponsa Christi est, sed pars sponse huius, quoniam Christus pro hac sponsa se tradidit. Unde apostolus ad Philippenses 5° : Viri diligite uxores vestras, sicut et Christus ecclesiam, et semetipsum tradidit pro ea. Nunc vero non pro solis apostolis aut ipsorum in officio successoribus, episcopis seu presbyteris atque diaconis, Christus se tradidit, imo pro tota humana natura. Non igitur sunt ipsi aut ipsorum congregacio tantummodo sponsa Christi, licet abutencium 5 vocabulo quedam ipsorum congregacio, propter proprium et temporale commodum et aliorum incommodum fraudulenter adipiscendum, se vocet singuraliter sponsam Christi. Hanc eandem est apprehendere sentenciam ex verbis apostoli 1a ad 5

1 46

za Grundbedeutung von 31

35

Luk. 22,19. Vielmehr : Eph. 5,25.

episcopus.

Teil ll, Kapitel ll

5

10

15

20

25

146

5

263

Heiligen samt allen, die den Namen unseres Herrn ]esus Christus anrufen. Dazu sagt die Glosse naCh Ambrosius3 1 : Geheiligt in der Taufe, und zwar in Christus ]esus. In diesem Sinn spraCh der Apostel in der Apostelgeschichte Kap. 2032 zu den Ältesten der Epheser : Gebt add auf euCh selbst und die ganze Herde, in der euch der heilige Geist zu Aufsehern33 gesetzt hat, um die Kirehe (Gemeinde) Gottes zu leiten, die er erworben hat durch sein eigenes Blut. Deswegen sind alle Christusgläubigen Männer der K irChe in dieser wahrsten und eigentlichsten Bedeutung und müssen so genannt wer­ den : die Priester wie die Nicht-Priester, denn alle hat Christus erworben und erlöst durch sein Blut, wie es auch ausdrücklich in der Glosse zu jener Stelle des Lukas im 22. Kap.34 heißt : Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. ,Für' euch', sagt die Glosse, bedeutet, nicht für die Apostel allein sei der Leib Christi gegeben und sein Blut vergossen, sondern um der ganzen Menschheit willen. So ist also nicht für die Apostel allein Christi Blut vergossen ; also sind niCht sie allein von ihm erworben worden oder erworben gewesen und folgliCh niCht allein die Priester oder Tempel­ diener, ihre NaChfolger im Amt ; also sind nicht s i e allein die KirChe, die Christus durch sein Blut erworben hat. Aus demselben Grunde sind jene Diener, Bischöfe oder Priester und Diakonen nicht allein die KirChe, die die Braut Christi ist, sondern ein Teil dieser Braut ; Christus hat sich ja für diese Braut hingegeben. Daher sagt der Apostel im Philipper­ brief im 5. Kap.35 : Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde (Kirche) geliebt und sieh selbst für sie dargebracht hat. Nun aber hat sich Christus nicht nur für die Apostel allein und deren NaChfolger im Amt, die BisChöfe oder P riester und Diakone, dargebracht, vielmehr für die ganze Menschheit. Also sind nicht nur sie oder ihre Gemein ­ schaft Braut Christi, mag auch eine gewisse Gemeinschaft derer, die das Wort mißbrauchen, um eigenen und zeitlichen Vorteil und den Nachteil der anderen betrügerisch zu er­ langen, sich besonders Braut Christi nennen. Diese gleiche Meinung kann man aus den Worten des Apostels im 1. Korin31 32

Scholz 145 Anm. 2. Acta 20,28.

264

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

10

147

Corinthios ultimo, ad Thessalonicenses 1°, ad Colassenses 4° et ad Philemonem 1°. In omnibus enim hiis locis sumit aposto­ lus ecclesiam secundum eam quam eius propriam et veris­ simam significacionem iam diximus. § 4. Huic consequenter distinguere oportet hec nomina : temporale, deinde spirituale. Quorum tarnen nociore nobis n incipientes dicamus, quod hec diccio temporale in una sui significacione famosiori dicitur de omnibus corporalibus na­ turalibus et artificialibus, aliis ab homine, que aliquo modo in ipsius potestate existencia, ad sui usum, indigenciam et vo20 luptatem supplendam ordinantur in statu et pro statu vite mundane. Quo modo generalins eciam temporale consuevit dici, omne quod in tempore incipit et desinit. Hec enim, ut in 4° Physice, proprie sunt et dicuntur in tempore. Alio vero modo dicitur temporale de omni habitu, accione 25 aut passione humana in se vel in alterum per hominem opera­ tis propter finem huius seculi seu vite presentis. Adhuc autem minus universalHer dicitur hoc nomen temporale de humanis accionibus et passionibus voluntariis et transeuntibus ad commodum vel incommodum alterius ab 5 eo qui fecit, de quibus maxime intendunt humanarum legum latores. § 5. Nunc autem distinguere volo significata seu inten­ ciones huius diccionis spirituale, quod in una sui accepcione dicitur de omnibus incorporalibus substanciis et ipsarum 1 0 accionibus. In alia vero significacione dicitur de omni accione aut pas­ sione humana virtutis sue cognoscentis aut appetentis im­ m anente ipsi. Secundum quam eciam intencionem acciones quedam rerum corporalium in sensus an imalium spirituales

38 Vgl. Ar. Anal. Post. I

39

6

=

74 b, 5 ff.

Ar. Phys. IV 19-22 187 a, 1 2 ff. 40 Alles innere und äußere Handeln des Menschen. 4 1 Gewirth I 102. 42 Gewirth I 1 02. =

Teil ll, Kapitel ll

265

therhrief im letzten Kapitel, im Thessalonicherhrief i m 1. Kap., im K olosserbrief i m 4. K a p . u n d i m Brief a n Ph ile­ mon im 1. Kap. 36 lernen. 37 An allen diesen Stellen nimmt der Apostel Kirche in der Bedeutung, die wir eben ihre eigent­ liche und wahrste genannt haben. § 4 Im Anschluß daran sind die Bezeichnungen zeitlidt (weltlich) und spiritual (geistig-geistlich) zu klären. Wir n wollen jedoch mit der uns hekannteren38 anfangen und sagen : (1) Der Ausdruck zeitlidt wird in der einen bekanntesten Bedeutung von allen körperlichen Dingen, natürlichen und künstlichen, gebraucht, die, vom Menschen getrennt, aber in irgendeinem Sinne in seiner Gewalt befindlich, seinen Bedarf zu befriedigen, seine schwachen Kräfte zu ergänzen und 20 seine Lehensfreude zu erhöhen, im Stande und für den Stand des weltlichen Lehens bestimmt sind. In diesem Sinn'e pflegt man allgemeiner zeitlim auch alles zu nennen, was in der Zeit anfängt und aufhört. Das nämlich ist und heißt im eigentlichen Sinne nach der Physik B. 439 : in der Zeit. (2) In einem anderen Sinne wird zeitlim von ,j edem Ha25 hitus, jeder Tätigkeit oder jedem Widerfahrnis des Menschen gebraucht, die ein Mensch in hezug auf sich selbst oder gegen­ über einem anderen für einen Zweck in dieser Welt oder im gegenwärtigen Lehen hewirkt.40 (3) Ferner wird, weniger umfassend, zeitlim von menschlichen Tätigkeiten und Widerfahrnissen gebraucht, die willentlich geschehen und zum Vorteil oder Nachteil eines anderen vom Täter übergreifen ; damit beschäftigen sich vor s allem die menschlichen GesetzgeherY § 5 Jetzt will ich die Bedeutungen oder Sinnrichtungen des Ausdrucks spiritual (geistig-geistlich) 42 unterscheiden : ( 1 ) I n einer Auffassung wird er von allen unkörperlichen 1 0 Substanzen und ihren Tätigkeiten gebraucht. (2) In einer anderen Bedeutung wird er von jeder mensch­ lichen Tätigkeit oder jedem Widerfahrnis des Erkenntnis­ oder des Begehrungsvermögens gebraucht, die dem Menschen immanent ist. In diesem Sinne pflegt man gewisse Wirkungen der körperlichen Dinge auf die Sinne der Lebewesen geistig 10

147

3 6 1 . Kor. 1 6, 1 37 Vgl. W.

u.

1 9 ; 1. Thess. 1 , 1 ; 2. Thess.

1 , 1 ; Kol. 4, 1 5

u.

1 6 ; Philem. 2.

266

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

dici solent et sine materia, veluti rerum idola seu fantasmata et species, que anime sunt aliquo modo racio cognoscendi ; in quo genere reponuntur a quibusdam sensibilium acciones, eciam in substancia non animata, ut luminum generaciones et quorundam similium. Rursum ad propositum magis dicitur hoc nomen spirituale 20 de lege divina, de doctrina et disciplina preceptorum et con­ siliarum secundum ipsam et per ipsam. In quam siquidem eciam significacionem veniunt omnia ecclesiastica sacra­ menta et ipsorum effectus, omnis gracia divina, virtutes omnes theologice atque dona spiritus sancti ordinancia nos 25 ad vitam eternam. Sie enim et proprie hoc nomine utitur apostolus ad Romanos 1 5° et 1a ad Corinthios 9°, cum dixit : Si nos vobis spiritalia seminavimus, magnum est, si nos car­ nalia vestra metamus ? Ubi glossa secundum Ambrosium : Spiritalia, id est ea que vestrum spiritum vivificant, vel que a Spiritu Saneta data sunt, scilicet verbum Dei et mysterium regni celorum. Amplius secundum aliam significacionem solet hoc nomen s accipi pro qualibet accione vel eciam passione humana vo­ luntaria, tarn in se quam ad alterum operata propter meritum beate vite futuri seculi ; quales sunt Dei contemplaciones, dilecciones ipsius et proximorum, abstinencie, misericordie, mansuetudines, oraciones, oblaciones propter pietatem seu t o cultum divinum, hospitalitates, peregrinaciones, corporis proprii castigaciones, mundanorum et carnalium voluptatum contemptus et fuga, et generaliter omnia consimilia facta propter finem predictum. Adhuc autem dicitur hoc nomen, licet non ita proprie, ut n secundo et tercio modo, de templo seu ecclesia dicta secun­ dum secundam significacionem, de omnibus vasis et appara­ tibus que in eo sunt ordinata propter cultum divinum. n

148

43 44 45 4G

Röm. 1 5,27. 1 . Kor. 9, 1 1 : {}eetaop,ev. Scl:wlz 147 Anm. 3. Kasteiung ist eine passio, die man gegen sich selbst richtet.

Teil li, Kapitel I!

26:'

und immateriell zu nennen, z. B. die Abbilder oder VorstelIungen und Denkbilder, die für die Seele irgendwie Er­ kenntnisgrund sind ; in diese Gruppe rechnen manche die Tätigkeiten der Sinnendinge, auch in der unbelebten Sub­ stanz, z. B. die Erzeugung des Lichtes und einiger ähnlicher Dinge. (3) Ferner - in näherer Beziehung zu unserem Thema 2 0 wird geistlich vom göttlichen Gesetz gebraucht, von der Lehre und Unterweisung in den Geboten und Ratschlägen nach dem Gesetz und durch das Gesetz. Unter diese Bedeutung fallen natürlich auch alle kirchlichen Sakramente und deren Wirkungen, jede göttliche Gnade, alle theologischen Tugen­ den und die Gaben des Heiligen Geistes, die uns für das 25 ewige Leben bereit machen. Denn so und im eigentlichen Sinne gebraucht der Apostel diese Bezeichnung' im Römer­ brief im 1 5 . K ap.43 und im 1 . K orintherbrief im 9. Kap.44 ; er hat nämlich gesagt : Wenn mir euch das Geistliche gesät haben, ist es denn etwas Großes, wenn mir euer fleischliches Gut ernten sollen ( Dazu sagt die Glosse nach Ambrosius45 : Geistliches, d. h., mas euren Geist lebendig madd oder mas vom Heiligen Geist gegeben ist : das Wort Gottes und das Geheimnis des Himmelreiches. (4) Ferner pflegt man in einer anderen Bedeutung diese Bezeichnung für irgendeine freiwillige menschliche Tätigkeit 5 oder ein solches Widerfahrnis zu nehmen, das man in bezug auf sich selbst wie gegenüber einem anderen bewirkt46, um das selige Leben in der künftigen Welt zu verdienen ; solcher­ art sind die Betrachtungen Gottes, die Liebeswerke für ihn und die Nächsten, asketische Übungen, Handlungen des Erbarmens und der Milde, Gebete, freiwillige Gaben aus 1 0 Frömmigkeit oder für den Gottesdienst, Gastlichkeit, Wall­ fahrten, K asteiungen des eigenen Körpers, Verachtung und Meiden des Weltlichen und der irdischen Freuden und über­ haupt alles Ähnliche, was zu dem vorgenannten Zweck getan wird. (5) Ferner wird diese Bezeichnung, wenn auch nicht so 1 5 eigentlich wie im zweiten und dritten Sinne, vom Tempel oder der K irche in der zweiten Bedeutung und von allen Gefäßen und Geräten gebraucht, die dort zum göttlichen K ult bestimmt sind. 15

-

148

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

268

Omnium vero novissime inconvenienter et improprie valde quidam extendunt hoc nomen ad significandum presbytero20 rum seu episcoporum, diaconorum et aliorum templi ministro­ rum acciones voluntarias transeuntes et earum omissiones, que sunt ad commodum vel incommodum alterius a faciente pro statu vite mundane. Extendunt rursum et magis improprie 'idem nomen ad horum possessiones et temporalia bona, mobilia et immobilia, 25 et ad temporalium proventus quosdam, quos vocant decimas, ut huius pretextu vocabuli a norma legum et principancium civilium eximantur. § 6. Sed profecto ipsi palam abutuntur vocabulo in hiis contra veritatem et apostoli atque sanetarum intencionem 30 et usum, qu i talia non spiritualia, sed carnalia seu temporalia 1 49 vocaverunt. Unde ad Romanos 1 5° : Quoniam si spiritualium eorum participes facti sunt gentiles, debent et in carnalibus ministrare eis. Idem expressius ta ad Corinthios 9° : Si nos, inquit apostolus, vobis spiritualia seminavimus, magn um est 5 si nos carnalia vestra metamus ? Ubi glossa secundum Am­ hrosium : Q uod, 'si nos seminavimus vobis spiritalia', id est ea que spiritum vestrum vivificant, vel que a spiritu sancto data sunt, scilicet verbum Dei et mysterium regni celorum, 'est magnum, si nos metamus' ad sustentacionem 'vestra t o carnalia', id est hec temporalia, que vite et indigencie carnis indulta sunt. Ecce quod bona exteriora, quibus predicatores evangelii sustentari debebant in victu et vestitu, apostolus et Ambrosius expresse carnalia et temporalia vocant, et sunt secundum veritatem, sive sint decime sive predia, questus t 5 seu eleemosyne vel collecte ; cuius causam dixit Ambrosius, quoniam vite et indigencie carnis, id est vite corruptibilis, indulta sun t.

48 Röm. 1 5,27. 49 1. Kor. 9 , 1 1 . so

Scholz

149

Anm. 2.

Teil I!, Kapitel li

1 49

26 9

(6) Ganz neuerdings - unpassend und sehr uneigentlich ­ dehnen einige diese Bezeichnung aus, um die freiwilligen übergreifenden Handlungen der Priester oder Bischöfe, 20 Diakonen und anderen Tempeldiener und deren Unter­ lassungen zu benennen, die der Täter zum Vorteil oder Nach­ teil eines anderen für das weltliche Leben ausführt.47 (7) Man dehnt dieselbe Bezeichnung, und zwar noch un­ eigentlicher aus auf ihre Besitzungen und zeitlichen Güter, 25 bewegliche und unbewegliche, und auf gewisse Einkünfte aus zeitlichen Gütern, die sogenannten Zehnten, um sie unter dem Vorwand dieses Wortes aus der Zuständigkeit der Gesetze und der Staatsregierung herauszunehmen. § 6 Tatsächlich aber mißbrauchen sie das Wort hierbei gegen die Wahrheit und gegen die Absicht und den Sprach­ gebrauch des Apostels und der Heiligen, die solche Dinge 3 0 nicht geistlich, sondern fleischlich oder zeitlich genannt haben. Daher sagt er im Römerbrief im 1 5 . Kap.48 : Denn haben die Heiden am geistliChen Besitz von jenen Anteil bekommen, so müssen sie ihn en audt im Fleisdtlidten dienen. Dasselbe steht ausdrücklicher im 1 . K orintherbrief im 9. Kap.49 : Wenn rvir, sagt der Apostel, eudt das Geistlidte gesät haben, ist es denn etrvas Großes, rvenn rvir euer fleisChlidtes Gut ernten sollen ? Dazu sagt die Glosse nach Ambrosius50 : Denn ,rvenn 5 rvir euch das GeistliChe gesät haben', d. h., rvas eueren Geist lebendig maCht oder rvas vom Heiligen Geist gegeben ist: das Wort Gottes und das Geheimnis des HimmelreiChes, ,ist es dann etrvas Großes, rvenn rvir' - zu unserem Lebensunter­ halt - ,euer fleisChliChes Gut' ernten sollen, d. h. d i e zeit1 0 liehen Güter, die dem Leben und dem Bedürfnis des Fleisdtes nadtgelassen sind ? Beachte, daß die äußeren Güter, aus denen die Prediger des Evangeliums mit Nahrung und K lei­ dung versorgt werden mußten, der Apostel und Ambrosius ausdrücklich fleischlich und zeitlich nennen, und sie sind es in Wahrheit, mögen sie Zehnten oder Grundstücke, Gewinne 1 5 oder Almosen oder K ollekten sein ; den Grund davon nannte Ambrosius, daß sie nämlich dem Leben und dem Bedürfnis des FleisChes, d. h. des vergänglichen Lebens, nadtgelassen sind. 47

was § 4 Nr. 3 zeitlich heißt Handeln des Geistlichen. =

=

alles bewußte äußere (übergreifende)

2'2:'0

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

§ "!. l dem quoque senciendum induhie de presbyterorum, episcoporum et diaconorum accionibus quibusdam. Non 20 omnes enim eorum actus spirituales sunt nec dici debent, quinimo ipsorum sunt multi civiles contenciosi et carnales seu temporales. Possurrt enim ipsi mutuare, deponere, emere, vendere, percutere, occidere, furari, meChari, rapere, pro25 dere, decipere falsum testimonium perhibere, diffamare, in 150 heresim cadere ceteraque committere scelera, crimina et con­ tenciones, quemadmodum eciam a non sacerdotibus perpe­ trantur. Propter quod interrogandum convenienter ab eis, si quales diximus acciones ipsorum possibiles, spirituales sint 5 aut dici debeant ab aliquo sane mentis. Et constat, quod minime, quinimo carnales et temporales. Unde apostolus 1a ad Corinthios 3° de talibus accionibus loquens indifferenter ad omnes inquit : Cum regnet inter vos zelus et contencio, nonne carnales estis, et secundum hominem ambulatis? Cum t o igitur indubitata demonstret experiencia, inter presbyteros invicem et ad seculares evenire zelos et contenciones ex pre­ dictis aut aliis consimilibus actibus, manifestum, huiusmodi sacerdotum et episcoporum actus carnales seu temporales esse, et secundum veritatem non spirituales nec dici dehere. n Signum autem, verum esse quod diximus, eciam secundum sacerdotum sentenciam, quoniam ad huius [modi] tollendas contenciones multe humane ordinaciones, quas decretales appellant, edite sunt per Romanos pontifices et ante has de 20 hiis Ieges principum Romanorum. Fiunt enim et fieri possurrt per diaconos et presbyteros seu episcopos acciones multe vo­ luntarie, transeuntes in commodum aut incommodum et iniuriam alterius pro statu et in statu vHe presentis. Et ideo talium mensura dehet esse humana Iex, quemadmodum 1 5° 25 prime dieturn est, et dicetur amplius ad propositum 8° huius.

51 1. Kor. 3,3. 52 I 1 5,4 (87, 1 6-19) ; ausführlicher J 1 1 .4. 5 3 II 8,4-5.

Teil Il, Kapitel Il

20

25

1 50

5

10

1s

20

25

2?1

\ § 7 Dasselbe muß man unzweifelhaft auch von gewissen Handlungen der Priester, Bischöfe und Diakonen denken. Denn nicht alle ihre Handlungen sind geistlich oder dürfen so heißen, vielmehr gehören viele von ihnen dem bürger­ lichen und gerichtlichen Bereich an, sind fleischlich, d. h. zeit­ lich. Sie können nämlich borgen, Geld anlegen, kaufen, ver­ kaufen, niederstoßen, töten, stehlen, Ehebruch treiben, rauben, verraten, täuschen, falsches Zeugnis ablegen, verleumden, in Ketzerei verfallen und die übrigen Verbrechen und Frevel begehen, und < sich im Streitereien < einlassen > , wie sie auch bei Nicht-Priestern vorkommen. Deshalb muß man sie mit Recht fragen, ob solche Handlungen, wie sie - so sagten wir ­ bei ihnen auftreten können, geistlich sind oder von irgendeinem vernünftigen Menschen so genannt werden dürfen. Es steht fest : Sie sind es keineswegs, vielmehr fleischlich und zeitlich. Daher sagt der Apostel im 1. K orintherbrief im 3. Kap. 5 1 von solchen Handlungen zu allen ohne Unterschied : Wenn unter eum Eifersumt und Hader herrsmt, seid ihr da nimt fleismlim und wandelt ihr nimt in mensmlimer weise ? Da er also aus unbezweifelbarer Erfahrung beweist, daß zwischen Priestern untereinander und gegenüber Welt­ menschen Eifersucht und Streitigkeiten infolge der vor­ genannten und anderer ähnlicher Handlungen vorkommen, so sind offenbar derartige Handlungen von P riestern und Bischöfen fleischlich oder zeitlich und in Wahrheit nicht geist­ lich und dürfen nicht so heißen. Beweis für die Wahrheit unserer Behauptung ist auch nach der Meinung der Priester : Um derartige Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen, sind viele menschliche Verordnungen, die sogenannten Dekretalen, von den römismen Päpsten herausgegeben worden und zuvor darüber Gesetze der römisehen Herrscher. Diakone und Priester oder Bischöfe voll­ führen nämlich viele freiwillige Handlungen und können sie vollführen, die sich zum Vorteil oder Nachteil und zur Schä­ digung eines anderen für den Stand und in dem Stand des gegenwärtigen Lebens auswirken. Darum muß der Maßstab für solche Handlungen das menschlime Gesetz sein, wie I 1 552 festgestellt worden ist ; zu diesem Thema soll II 853 mehr gesagt werden.

272

Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

§ 8. Restat autem distinguere nomina hec : iudex atque iudicium, quod illius aceionem significat. Sunt enim de numero multiplicium et in quesitis diffiniendis ambiguitatem et impedimentum ipsorum multiplieitate prebencium. Dici1 5 1 ;o tur autem in una sui significacione iudex de omni discernente seu eognoseente, maxime seeundum habitum aliquem specu­ lativum aut operativum ; et hoc nomen iudicium de eogni­ cione seu diserecione talium. Quo modo geometer iudex est 5 et iudicat de figuris et ipsarum aecidentibus, et medicus de sanis et egris, et prudens de agendis et fugiendis, et domifica­ tor de domibus qualiter construendis. Sie quoque omnis sciens aut expertus dicitur iudex et iudieat de seibilibus aut operabilibus suis. Et secund um harre significacionem sumpsit t o Aristoteles hec nomina 1° Ethicorum, capitu]o 1 °, eum dixit : Unusquisque iudicat bene que cognoscit, et horum est bonus iudex. Adhuc autem dicitur hoc nomen iudex secundum aliam si gnificaeionem de habente seienciam iuris politiei seu eivilis, 1 5 qui eeiam appellaeione consueta advocatus nuncupari solet, lieet in quam pluribus provinciarum et maxime Ytalicarum iudex voeetur. Rursum vero dieitur hoe nomen iudex de principante, et hoe nomen iudicium de prineipantis senteneia, euius siqui­ dem auctoritas est iudicare de iustis et conferentibus secun2 0 dum Ieges aut consuetudines latasque per ipsum sentencias precipiendi et exequendi per potenciam coactivam. Quo modo I udicum dicitur liber quidam sacri eanonis seu Biblie pars una quedam existens. Quo modo eciam de iudice seu 1° Rhetorice, capitulo 1 °, 25 principante loquens Aristoteles dixit : Pre{ectus autem et iudex iam de presentibus et deter­ minatis iudicant. Sie eciam de principantis iudicio intendens eontinue subdit : Ad quos, seilicet prefectum seu iudicem, 152 et amare iam et odire et proprium commodum annexa sunt 55 Ar. N. Eth. I 1 1 095 a, 1 -2 : ytyvwauct kennt. 5G Scholz 1 5 1 Anm. 2. iuuJ..n awa-c*; 57 Ar. Rhet. I 1 1 354 b, 6: praefectus =

=

=

=

vgl.

I 1 1 , 2 {54,1 ) .

Teil ll, Kapitel ll

151

152

273

§ 8 Nun sind noch die Bezeichnungen : Richter und Gerich t (Urteil), das die Tätigkeit des Richters angibt, zu klären. Sie gehören nämlich zu den vieldeutigen, die bei der scharfen Formulierung der Probleme durch ihre Vieldeutigkeit Un30 klarheit und ein Hemmnis schaffen. {1) Richter wird in einer Bedeutung von jedem gebraucht, der entscheidet oder er­ kennt, besonders nach einem theoretischen oder praktischen Habitus, und die Bezeichnung Urteil von der Erkenntnis oder Entscheidung solcher Richter. In diesem Sinne ist der Geo5 meter ein Richter und urteilt über Figuren und deren Eigen­ schaften, der Arzt über Gesunde und K ranke, der Kluge über Tun und Lassen, der Baumeister über die Bauart54 der Häu­ ser. So heißt auch jeder K enner oder Fachmann Richter und urteilt über das auf seinem Gebiet Wissensmögliche oder Aus­ führbare. In dieser Bedeutung hat Aristoteles die Bezeieh1 0 nungen Eth. B. 1, Kap. 1 55 genommen, als er sagte : .Jeder beurteilt gut, roas er kennt, und darin ist er ein guter Richter. {2) Ferner wird Richter in einer anderen Bedeutung von dem gebraucht, der ein Wissen vom öffentlichen oder bürger­ lichen Recht besitzt und der auch gewöhnlich als Advokat 1 5 bezeichnet zu werden pflegt, mag er auch in sehr vielen Ländern und besonders italienischen Richter genannt wer­ den.56 (3) Weiter wird Richter vom Regenten und Urteil von dem Spruch des Regenten gebraucht, zu dessen Zuständigkeit es gehört, über das Gerechte und Nützliche nach den Gesetzen 20 oder Gewohnheitsrechten zu urteilen und die von ihm ge­ fällten Entscheidungen mit zwingender Gewalt für rechts­ kräftig zu erklären und zu vollstrecken. In diesem Sinne heißt ein bestimmter Teil des heiligen K anons oder der Bibel Buch der Richter. In diesem Sinne hat auch Aristoteles vom 25 Richter oder Regenten Rhet. B. 1 , Kap. 1 57 gesagt : Der Teil­ nehmer an der Volksversammlung und der Richter urteilen schon über Gegenwär tiges und Bestimmtes. So auch fügt er - und er meint das Urteil des Regenten - gleich darauf hinzu : Diesen, dem Teilnehmer an der Volksversammlu:rlg oder dem Richter, hängt oft schon das Lieben und das Hassen und der eigene Vorteil an, so daß sie die Wahrheit nicht mehr 54

=

qualiter construendae sint.

274

5

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

sepe, ut non adhuc possint videre sufficiente_r verum, sed at­ tendere in iudicio proprium delectabile aut triste. Sunt autem fortassis supradictarum nomi:imm significa­ ciones alie ; famosiores tarnen et inquisicioni proposite magis necessarias assignasse putamus. C A P I T U L U M III

10

De o r a c u H s c a n o n i c i s et a l i i s q u i b u s d a m a r g u m en t a c i o n i b u s , q u i b u s c o n v i n c i v i d et u r e p i ­ scopis sive presbyteris i n quantum h u i usmodi p rin­ c i p a t u m c o a c t i v u m d e b e r i , e ci a m a b s q u e l e g i s l a t o r i s h u mani concessione, et Romanorum episcopo sive p a p e t a l i u m o m n i u m p rinci p a t u u m s u p re m u m .

15

153

Horum ergo nominum intencionibus, circa quas nostre plurimum inquisicionis versabitur, sie distinctis, inde se­ curius ad principale propositum accedentes, adducemus pri­ mum auctoritates sacre scripture, quibus alicui videri posset, 20 R omanorum episcopum vocatum papam iudicem esse supre­ mum et secundum terciam iudicis seu iudicii significacionem super omnes mundi episcopos seu presbyteros et ecclesiasti­ cos ministros alios, super omnes quoque huius seculi prin­ cipantes, communitates, collegia et singulares personas. cuiuscumque condicionis existant. 25 § 2. Harum autem primam ponamus scripture seriem, que habetur Matthei 1 6° , qua Christus alloquens beatum Petrum inquit : Tibi dabo claves regni celorum, et quodcumque liga­ veris super terram, erit ligaturn et . in celis. Et quodcumque 30 solveris super terram, erit solutum et in celis. Ex hac enim serie assumpserunt sibi Romanorum episcopi quidam supreme iurisdiccionis iam dicte auctoritatem. Nam per claves beato Petro per Christum concessas intelligi volunt sibi tra­ ditam plenitudinem potestatis tocius humani regiminis, quam sicut Christus habuit ad omnes reges et principes, ita 58 Widerlegung von 59 Matth. 1 6,19.

II 3, 1 -9 in II

29.

Teil ll, Kapitel Ill

5

2?5

genügend sehen können, sondern beim Urteil auf das für die eigene Person Angenehme oder Betrübliche achten. Vielleicht gibt es noch andere Bedeutungen der oben­ genannten Bezeichnungen ; die bekanntesten und für die vorliegende Untersuchung notwendigsten jedoch glauben wir festgestellt zu haben. KA P I T E L III

10

15

20

25

;o

153

K anonische Aussp rüche u n d einige andere B eweise a l s s ch ei n b a r e S t ü t z e n f ü r d i e B eh a u p tu n g : d e n B i s ch ö f e n o d e r P r i e s t e r n a l s s o l c h e n s t e h t e i n e z w i n g e n d e R e g i e r u n g s g e w a l t a u ch o h n e Ü b e r t r a ­ g u n g d u r ch d e n m e n s ch l i ch e n G e s e t z g e b e r z u u n d dem B is c h o f der Römer o der Papst d i e oberste von a l l e n s o l c h e n R eg i e r u n g s g e w a l t e n . § 1 Nachdem s o der Sinn der Wörter geklärt ist, u m die zumeist unsere Untersuchung sich bewegen wird, werden wir von da aus mit größerer Sicherheit an die Hauptfrage heran­ gehen und zunächst die autoritativen Stellen der Heiligen Schrift anführen, die manchen zu dem Glauben verführen könnten, der römische Bischof, Papst genannt, sei der oberste Richter, und zwar in der dritten Bedeutung von Richter oder Urteil, über alle Bischöfe oder Priester und die ande­ ren kirchlichen Diener der Welt, auch über alle Regenten, Gemeinschaften, K ollegien und Einzelpersonen dieser Welt, welffies Standes auch immer.58 § 2 Zuerst wollen wir aber eine Stelle der Schrift bei Mat­ thäus im 16. Kap. 59 hersetzen, wo Christus den seligen Petrus anredet und sagt : Ich roill dir des Himmelreichs Schlüssel geben : alles, roas du auf Erden binden roirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, roas du auf Erden lösen roirst, soll auch im Himmel los sein. Auf Grund dieser Stelle nämlich haben gewisse Bischöfe der Römer die schon erwähnte oberste Rechtsprechung beansprucht. Denn unter den Schlüsseln, die Christus dem seligen Petrus übertragen hat, wollen sie die ihnen verliehene Fülle der Gewalt zur Herrschaft über die gesamte Menschheit verstanden wissen, die Christus, wie er sie über alle K önige und Fürsten besaß,

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5

1 54

concessit beato Petro et successoribus eius in episcopali sede Romana, tamquam Christi vicariis generalibus in hoc mundo. § 3. Secunda vero scripture series ad idem propositum astruendum sumitur ex verbis Christi Matthei 1 1 °, cum dixit : to Omnia mihi tradita sunt a patre meo. Et rursum eiusdem 28°, dum dixit : Data est mihi omnis potestas in celo et in terra. Cum igitur beatus Petrus et ipsius successores in episcopali sede Romana fuerint et sint Christi vicarii, sicut hii dicunt, videtur quod omnis potestas seu potestatis plenitudo eisdem t5 tradita sit, et consequenter cuiuslibet iurisdiccionis auc­ toritas. § 4. Tercia vero series ad idem sumitur ex Matthei 8° et Marci 5°, ubi dicitur : Demones autem rogabant eum, Chri­ stum scilicet, dicentes : Si eicis nos, mitte nos in gregem porco20 rum, et ait illis : Ite. At illi exeuntes abierunt in porcos. Et ecce impetu abiit totus grex per preceps in mare, et mortui sunt in aquis. Ex quibus verbis apparet, quod Christus de temporalibus disponebat tamquam de suis omnibus ; aliter namque peccasset dissipans gregem porcorum. Christum autem, cuius caro corrupcionem non vidit, peccasse, nefas est 25 dicere. Cum igitur beatus Petrus eiusque successores, Roma­ norum episcopi, sint et fuerint precipui Christi vicarii, ut aiunt quidam, de temporalibus omnibus tamquam tercie sig­ nificacionis iudices disponere possunt, et ipsorum habent plenitudinem potestatis atque dominii, sicut Christus. § 5. Rursum ostenditur idem per id quod habetur Matthei 2 1 °, Marci 1 1 ° et Luce 19°, quorum series talis est : Tune misit, lesus scilicet, duos discipulos, dicens eis : lte in castel5 lum quod contra vos est, et statim invenietis asinam alligatam et pulZum eius cum ea, vel : pulZum asine alligatum, cui nemo hominum umquam sedit, ut in Marco et Luca ; solvit e et adducite mihi. Ex quibus idem et eodem deduccionis modo

so

Matth. 1 1 ,27

u.

28, 1 8.

61 Matth. 8, 3 1 -32; Mark.

5,

1 2-13.

62 Matth. 2 1 , 1 -2 ; Mark. 1 1 , 1-2 ; Luk. 19, 29-30.

Teil Il, Kapitel lll

2??

5

so dem seligen Petrus und seinen Nachfolgern auf dem römi­ schen Bischofsitz als Christi Generalstatthaltern in dieser Welt übertragen habe. § 3 Die zweite Stelle der Schrift, mit der man dieselbe These zu stützen sucht, entnimmt man den Worten Christi bei Matthäus im 1 1 . Kap.60 : Alle Dinge sind mir übergeben o von meinem Vater, und ferner den Worten im 28. Kap. des­ t selben Evangeliums : Mir ist gegeben alle Gemalt im Himmel und auf Erden. Da also der selige Petrus und seine Nach­ folger auf dem römischen Bischofsstuhl Christi Statthalter waren und sind, wie sie behaupten, so scheint es, daR alle Gewalt oder die Fülle der Gewalt ihnen übergeben sei und 15 folglich jede Rechtsprechung in jedem Sinn. § 4 Den dritten Beleg für dieselbe Behauptung entnimmt man aus dem 8. K ap. des Matthäus und dem 5. des Markus61, wo es heißt : Die bösen Geister aber baten ihn, Christus, und spraChen : Wenn du uns austreibst, so sende uns in die SChmeineherde. Und er spraCh zu ihnen : Gehet hin! A ber sie 20 fuhren aus und in die SChmeine, und siehe, die ganze Herde stürzte siCh den Abhang hinab in den See, und alle kamen im Wasser um. Aus diesen Worten wird deutlich, daR Chri­ stus über alle zeitlichen Güter als sein Eigentum verfügte. Denn sonst hätte er eine Sünde begangen, als er die Schweine­ herde zersprengte. DaR Christus aber, dessen Fleisch die Ver­ gänglichkeit nicht sah, eine Sünde begangen habe, wäre z5 frevelhaft zu behaupten. Da also der selige Petrus und dessen Nachfolger, die Bischöfe der Römer, die bevorzugten Statthalter Christi sind und waren, wie manche behaupten, so können sie über alle zeitlichen Güter als Richter in der dritten Bedeutung verfügen und haben darüber die Fülle der Gewalt und des Eigentumsrechtes wie Christus. 154 § 5 Ferner wird dies auch durch das bewiesen, was bei Matthäus im 2 1 . Kap., bei Markus im 1 1 . Kap. und bei Lukas im 1 9. Kap.62 steht. Der Wortlaut heißt : Dann sandte e r , Jesus, zmei jünger und spraCh zu ihnen : Gehet hin in den 5 FleCken, der vor euCh liegt, und alsbald merd t ihr eine l}_ Ese lin angebunden finden und ihr Füllen bei ihr ; oder : das Füllen der Eselin angebunden, auf dem noCh kein Mensdt bindet sie jemals gesessen hat - so bei Markus und Lukas los und führt sie zu mir. Daraus kann dasselbe - und zwar -,

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concludi pofest, quod ex immediate predicta serie conclusum est antea. § 6. Amplius arguitur idem ex Luce 22°, ubi habetur hec 10 series : Ecce duo gladii sunt, dixerunt apostoli respondentes Christo. At ille, Christus scilicet, respondit: Satis est. Per que verha, secundum aliquorum interpretacionem, debent intel1 5 ligi duo principatus in mundo presenti, ecclesiasticus unus seu spiritualis, et alius temporalis seu secularis. Cum igitur Christus ad apostolos sermonem dirigens dixerit : Satis est, supple : vobis de duobus hiis gladiis, significasse videtur utrumque gladium ad ipsorum auctoritatem pertinere de20 bere, et presertim beati Petri tamquam principalioris eorum. Nam si temporalem gladium ad ipsos pertinere noluisset, dicere debuit : superfluum est. § '7. Rursum videtur idem credendum ex Iohannis 2 1 °, ubi dum Christus alloqueretur beatum Petrum, dixit : Pasce oves 25 meas, pasce agnos meos, pasce oves meas, ter eandem senten­ ciam replicans, sicut induximus. Ex quibus quidem verbis accipiunt aliqui sensum hunc, videlicet beatum Petrum et ipsius successores, Romanos episcopos, simpliciter preesse debere omnibus ovibus Christi fidelibus, scilicet Christianis, horum vero maxime presbyteris atque diaconis. § 8. Adhuc videtur hec aperte sentencia beati Pauli ta ad Corinthios 6°, cum dixit : Nescitis quoniam angelos iudicabi5 mus ? quanto magis secularia ? Secularium ergo iudicia se­ cundum terciam significacionem ad presbyteros seu epi­ scopos, ipsorum vero maxime primum, Romanum scilicet, pertinere videntur. Rursum, ta ad Corinthios 9° idem sensisse 10 videtur apostolus, cum dixit : Numquid non habemus pote­ statem manducandi, etc. Idemque 2a ad Thessalonicenses 3°. In quibus expresse videtur intendere sibi da tarn a Deo potesta-

�5 1. Kor. 6,3. 1 . Kor. 9 ,4. 67 2. Thess. 3, 8-9.

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in derselben Weise der Ableitung - erschlossen werden, was eben aus der unmittelbar vorher genannten Stelle erschlossen worden ist. 10 § 6 Ferner wird dasselbe aus Lukas Kap. 2263 erwiesen, wo die folgende Stelle steht : Sieh, hier sind zmei Schmerter, gaben die Apostel Christus zur Antwort. Aber er, Christus, ermiderte : Es ist genug. Unter diesen Worten muß man nach der Deutung einiger Erklärer zwei Regierungen in der 15 gegenwärtigen Welt verstehen, die kirchliche oder geistliche und die zeitliche oder weltliche. Als also Christus an die Apostel das Wort richtete und sagte : Es ist genug, ergänze : für euch mit diesen zwei Schwertern, scheint er darauf hin­ gedeutet zu haben, beide Schwerter müßten ihrer Vollmacht 20 zustehen und zumal der des seligen Petrus als des hervor­ ragendsten von ihnen. Denn wenn er nicht gewollt hätte, daß das zeitliche Schwert ihnen zustehe, so hätte er sagen müssen : " Es ist überflüssig. " § 7 Ferner scheint man dasselbe glauben zu müssen nach Joh. Kap. 2 1 64, wo Christus den seligen Petrus mit den Wor­ ten anredete : Weide meine Schafe, meide meine Lämmer, 25 meide meine Schafe, in dreimaliger Wiederholung desselben Gedankens, wie wir angeführt haben. Aus diesen Worten entnehmen einige den Sinn, daß der selige P etrus und dessen Nach folger, die römischen Bischöfe, schlechthin die Leitung aller christusgläubigen Schafe, d er Christen, haben müssen, besonders der Priester und Diakonen. § 8 Ferner scheint dies klar die Meinung des seligen Pau­ lus im 1. K orintherbrief im 6. Kap.6 5 zu sein. Dort hat er gesagt : Wißt ihr nicht, daß mir ü ber Engel richten sollen ? 5 Wieviel mehr über die meZfliehen Güter. Die Urteile über das Weltliche in der dritten Bedeutung scheinen also den Prie­ stern oder BisChöfen, besonders dem ersten unter ihnen, dem römischen, zuzustehen. Ferner im 1. Korintherbrief im 9. Kap .66 scheint der Apostel dasselbe gemeint zu haben mit 1 0 den Worten : Haben mir nicht etma Macitt zu essen u sw. ? Dasselbe steht im 2. Thessalonicherbrie f im 3. K ap .67 An dieser Stelle scheint er ausdrücklich die Meinung zu vertreten, 63

Luk. 22, 38.

64 J oh . 2 1 , 1 5-1?.

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tem super temporalia fidelium, et per consequens iurisdicci­ onem eorum. § 9. Amplius ostenditur idem ex 1a ad Timotheum 5°, ad 1 5 quem dixit apostolus : Adversus presbyterum noli accipere accusacionem, nisi sub duobus aut tribus testibus. Videtur igitur ex hoc, quod episcopus iurisdiccionem habeat saltim supra presbyteros, diaconos et reliquos templi ministros, 20 postquam ad eum accusacionem ipsorum audire pertinet. De Veteri autem Scriptura seu Testamento ad propositam con­ clusionem et illius oppositam probaciones omittemus indu­ cere , propter quam vero causam, assignabimus 9° huius. Ex dictis itaque scripture sacre auctoritatibus et aliis con25 similibus ipsarumque talibus interpretacionibus videri pos­ set alicui, episcopo Romano deberi omnium principatum supremum. § 10. Hiis consequenter adducere convenit argumenta­ ciones aliquas quasi politicas, que fortasse quibusdam fan­ tasiam facereut et credulitatem conclusionis predicte. Harum autem prima sit hec. Sicut se habet humanum corpus ad ani­ mam, ita princeps corporum ad principem animarum. Sed corpus anime subest quantum ad regimen ; ergo et princeps 5 corporum, secularis iudex, subesse debet regimini iudicis seu principis animarum, et maxime primi omnium, videlicet pon­ tificis Romanorum. § 1 1 . Rursum ex eadem quasi radice, sicut se habent cor� poralia ad spiritualia, ita princeps corporalium ad eum qui 1 0 spiritualium. Certurn est autem corporalia indigniora et subesse spiritalibus secundum naturam. Igitur corporalium princeps, secularis iudex, ei qui spiritualium ecclesiastico subesse debet. § 12. Amplius, sicut finis ad finem, lex ad legem, legislator 1 5 ad legi!llatorem, ita iudex seu principans secundum horum alterutrum ad iudicem seu principantem secundum reliss

1. Tim. 5,19.

10

Widerlegung von li 3, 1 0-15 i n li 30.

6 9 li 9, 1 0-1 1 .

Teil II, Kapitel III

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ihm sei von Gott die Macht über die zeitlichen Güter der Gläu­ bigen und folglich die Rechtsprechung darüber gegeben. § 9 Weiter läßt sich dasselbe aus dem 1. Brief an Timo568 erweisen ; zu ihm hat der Apostel gesagt : 15 theus Kap. Wider einen Priester nimm eine Klage nur an, wenn zwei oder drei Zeugen gegen ihn auftreten. Danach scheint es also, daß der Bischof die Rechtsprechung habe, wenigstens über die Priester, Diakonen und die übrigen Diener der Kirche, 20 da es ihm ja zusteht, eine Klage gegen sie anzuhören. Aus der Alten Schrift oder dem Alten Testament zum vorliegen­ den Schlußsatz und dessen Gegenteil Beweise anzuführen, werden wir unterlassen, den Grund werden wir in II 969 feststellen. Nach den angeführten autoritativen Stellen der heilig·en 25 Schrift und anderen ähnlichen Stellen und solchen Deutun­ gen dieser Stellen könnte es nun manchem scheinen, als stünde dem römischen Bischof die alleroherste Regierungs­ gewalt zu. § 10 Im Anschluß daran ist es zweckmäßig, einige politisch klingende Beweise anzuführen, die vielleicht eine unklare Vorstellung hervorrufen und Glauben an den obengenannten Schlußsatz wecken könnten.70 ( 1 ) Der erste sei folgender : 1 56 Wie der menschliche K örper zur Seele, so verhält sich der Herrscher der Körper zum Herrscher der Seele. Nun unter­ steht der Körper der Seele, was die Herrschaft angeht. Also 5 muß auch der Herrscher der K örper, der weltliche Richter, unter der Herrschaft des Richters oder Herrschers der Seelen stehen und besonders des ersten von allen, des römisch en Papstes. § 1 1 (2) Ferner, fast aus derselben Wurzel : Wie das Körperliche zum Geistigen, so verhält sich der Herrscher des K örperlichen zu dem des Geistigen ; nun ist sicher, daß das 1 0 K örperliche geringere Würde hat ,;.und seinem Wesen nach dem Geistigen untersteht. Also muß der Herrscher des K ör­ perlichen, der weltliche Richter, dem kirchlichen, dem des Geistigen, unterstehen. § 12 (3) Ferner : Wie Zweck zum Zweck, Gesetz zum Ge­ setz, Gesetzgeher zum Gesetzgeber, so verhält sich der Rich­ n ter oder Herrscher, der nach einem von diesen entscheidet, zum Richter oder Herrscher, der nach dem anderen entscheidet.

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quum. Sed finis ad quem dirigit ecclesiasticus iudex, sacerdos seu episcopus, Iex secundum quam dirigit, et legis illius lator Superiores sunt '-· et* perfecciores fine, lege atque legislatore, 20 ad que et secundum que dirigit secularis iudex. lgitur iudex ecclesiasticus, episcopus seu sacerdos, maxime primus, supe­ rior est quocumque iudice seculari. Finis enim ad quem diri­ git ecclesiasticus iudex, est vita eterna, lex secundum quam, divina ; et ipsius lator immediatus est Deus, in quo nec error 25 aut malicia cadere potest ; finis vero ad quem secularis iudex intendit dirigere, est sufficiencia huius vite mundane ; Iex secundum quam, humana ; et ipsius legislator immediatus, homo vel homines, in quibus contingit error atque malicia. Sunt igitur hec inferiora et indigniora predictis ; ergo et secu30 laris iudex, supremus eciam, ecclesiastico, sacerdoti supremo. 1 5'7 § 13. Adhuc, cuius accio simpliciter est honorabilior, ipsum simpliciter est honorabilius. Sed accio episcopi seu presbyteri est omnium honorabilissima que per hominem fieri possunt in vita presenti, videlicet consecracio benedicti corporis 5 Christi. Ergo et sacerdos quilibet dignior est quolibet non sacerdote. Cum igitur dignius indigniori subesse non debeat, sed preesse, videtur, quod iudex secularis non preesse in iuris­ diccione, sed subesse debeat sacerdoti, et ipsorum maxime primo, Romano pontifici. to § 14. Ostenditur autem idem rursum in specie magis de Romanorum principe, imperatore vocato, quoniam ille supe­ rior est ad Romanorum principem secundum tercie signifi­ cacionis iudicium, cuius est auctoritas instituendi princi­ patum hunc ipsumque de gente in gentem pro libito transt 5 ferendi. Romanus pontifex se dicit huiusmodi, quoniam ipse hunc principatum transtulit a Grecis in Germanos, sicut ex­ pressum est in ?0 suarum decretalium, De lureiurando ; et

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Nun sind der Zweck, auf den der kirchliche Richter, der Priester oder Biscl:tof, zielt, das Gesetz, nacl:t dem er sich ricl:ttet, und dessen Gesetzgeber höher und vollkommener als Zweck, Gesetz und Gesetzgeber, auf die und nach denen der weltliche sich ricl:ttet. Also ist der kirchliChe Richter, der Bisehof oder Priester, bei weitem der erste, jedem weltlichen Richter überlegen. Der Zweck nämlich, auf den der kirchliche Riehter zielt, ist das ewige Leben ; das Gesetz, nach dem < er sich richtet > , das göttliche ; und dessen unmittelbarer Gesetz­ geber Gott, bei dem weder Irrtum noeh Bosheit auftreten kann. Der Zweck aber, auf den der weltliehe Richter zu zielen strebt, ist die befriedigende Form dieses weltlichen Lebens : das Gesetz, nach dem < er sich richtet > , das mensmliehe ; und dessen unmittelbare Gesetzgeber sind Mensch oder Menschen, bei denen I rrtum und Bosheit vorkommt. Nun ist das letztere an Rang und Würden dem Obengenannten untergeordnet, also auch der weltliche Ricl:tter, selbst der höchste, dem kircl:tlicl:ten, dem obersten Priester. § 1 3 (4) Ferner : Eine Person oder Same ist scl:tlechthin ehrenvoller als eine andere, wenn die Handlung der ersten Person oder Sache scl:tlecl:tthin ehrenvoller ist als die Hand­ lung der zweiten. Nun ist die Tätigkeit des Biscl:tofs oder Priesters die allerehrenvollste, die ein Menseh im gegen­ wärtigen Leben ausüben kann : die heilige Wandlung des gepriesenen Leibes Christi. Also ist aucl:t jeder Priester würdiger als jeder Nicht-Priester. Da nun das Würdigere nicht unter dem weniger Würdigen stehen darf, sondern über ihm, so scheint es, dafl der weltlicl:te Richter nicl:tt über dem Priester in der Recl:ttsprechung zu stehen hat, sondern unter ihm und besonders unter dem ersten von ihnen, dem römi­ sChen Papst. § 1 4 (5) Dasselbe wird weiter mehr im besonderen er­ wiesen am Herscher der Römer, Kaiser genannt ; denn d e r ist dem römischen Herrscher im Gericl:tt in der dritten Be­ deutung übergeordnet, dessen Machtbefugnis es ist, diese Regierung einzusetzen und sie von Volk zu Volk nach Be­ lieben zu übertragen. Der römische Papst behauptet, Träger einer solcl:ten Macl:tt zu sein ; er habe ja diese Regierungs­ gewalt von den Griecl:ten auf die Deutscl:ten übertragen, wie im 7. Bueh seiner Dekretalen De iure iurando (über den

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idem dicit expressius modernus vocatus Rarnanorum epi­ scopus in quodam suo edicto ad Ludovicum ducem Bavarie, R arnanorum regem electum. § 1 5 . Amplius ad idem, quoniam inconveniens grande vide­ tur, Christi vicarium, Romanum episcopum, aliosque succes­ sores apostolorum episcopos, subesse dehere diccioni cuius­ piam principis secularis, cumque eciam secularis princeps peccare possit contra Iegern divinam et humanam, unde corrigendus, ut in 18° prime, nec superiorem haheat vel equalem, qui supremus est omnium secularium, quoniam pluralitas principatuum reprohata est 1 '?0 prime, videhitur in ipsum coactiva iurisdiccio ad Romanum episcopum pertinere, nul­ latenus e converso. Ex quihus quidem igitur videretur passe convinci, epi­ scopos seu preshyteros coactivam hahere iurisdiccionem, ipsorum vero supremo, Rarnanorum pontifi.ci, supremum omnium huius seculi principatum deheri, tam auctoritatihus scripture sacre, quam quihusdam quasi humanis et politicis argumentacionihus sufficienter apposuisse videmur.

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Eid} 7 1 ausgesprochen ist ; dasselbe behauptet der gegen­ wärtige sogenannte Bischof der Römer ganz ausdrücklich in einem seiner Edikte an Ludwig, Herzog von Bayern, den erwählten römischen K önig.72 § 1 5 (6) Weiter zu derselben Frage : Es scheint ein grober Widersinn, daß Christi Statthalter, der römische Bischof. und andere Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, dem Spruch eines weltlichen Fürsten unterstehen sollen ; und da auch ein weltlicher Fürst gegen das göttliche und menschliche Gesetz verstoßen kann und deshalb nach I 1,.873 zurechtgewiesen werden muß und da d e r keinen höheren oder ihm gleichen < als Richter > hat, der der oberste aller weltlichen Fürsten ist - die Vielheit der Regierungen ist ja I 1 774 abgewiesen worden -, so wird es aussehen, als stehe die zwingende Rechtsprechung über ihn dem römischen Bischof zu, keines­ wegs umgekehrt. Daraus könnte also scheinbar nachgewiesen werden, die Bischöfe oder Priester hätten eine zwingende Rechtsprechung und dem obersten von ihnen, dem römischen Papst, stehe die alleroberste R egierung in dieser Welt zu. Dafür glauben wir die autoritativen Stellen der Heiligen Schrift wie gewisse Beweise7 5 , die menschlich und politisch klingen, zur Genüge vorgelegt zu haben.

11

S cholz 130 Anm. 1 . S cholz 130 Anm. 2. 73 I 18 ganz . 74 I 1 7, 1-9. 75 Die beiden Ablative sind an ex quibus angeschlossen. 12

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D e c a n o n i c i s s cri p t u r i s , C h r i s t i m a n d a t i s vel c o n s i l i i s et exemp l i s , et s anctorum a c a p p rohatorum d o c t o r u m e v a n g el i c e l e g i s e xp o s i t o r u m . Q u i b u s d e m o n s t r a t u r e v i d en t e r , R o m a n u m a u t q u e m v i s e p i ­ s c o p u m s ive p r e s b yt e r u m ve l c l e r i c u m omnem virtute verborum s c r i p t u r e n u l l u m c o a c t i v u m p ri n c i p a t u m seu iurisdiccionem contenciosam nedum s u p remum omnium supra quemquam clericum aut laicum sibi vendicare vel ascribere posse ; et quod Christi con­ s i l i o e t e x e m p l o , p r e s e r t i m i n c o m m u n it a ti h u s f i d e ­ lium, talem principatum, s i eis dem o f feratur aut c o n f e r a t u r p e r a u c t o r i t a t e m e i u s h a b e n t e m, d e b e a n t recusare ; rursumque quod omnes episcopi et indifferenter vocati nunc clerici subesse debeant coac­ tivo i u dicio sive principatui dominantis auctoritate legislatoris humani, presertim fidel i s . E x adverso autem consequenter adducere volumus verita­ tes scripture sacre, precipientes aut consulentes expresse, tarn literali sensu suo, quam mystico, secundum sanctorum interpretacionem ac aliorum approhatorum doctorum chri­ stiane fidei exposicionem, Romanum episcopum, vocatum papam, aut aliorum quemlihet episcopum seu preshyterum vel diaconum nullum habere aut habere debere principatum seu iudicium vel iurisdiccionem coactivam cuiusquam sacer­ dotis aut non sacerdotis, principantis, communitatis, collegii vel persone singularis alicuius, cuiuscumque condicionis existat ; intelligendo per coactivum iudicium eum quod secundum terciam significacionem iudicis aut iudicii 2° huius diximus importari. § 2. Verum propter intencionem hanc evidencius expli­ candam oportet nos non latere, quod ex hac inquisicione non queritur, quid Christus, qui verus Deus et verus homo fuit, 76

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Bei eum schwebt principatum vor. II 2, 8 ( 1 5 1 , 1 ?) .

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V o n d e n k a n o n i s c h e n S ch r i f t e n , C h r i s t i G e b o t e n o d e r R a t s ch l ä g e n u n d V o r b i l d u n d d e n e n d e r h e i ­ ligen und erp robten gelehrten A u sleger des evan­ g e l i s ch e n G e s e t z e s ; d a d u r ch w i r d ü be r z e u g en d b ew i e s e n : K e i n r ö m i s c h e r u n d ü b e r h a u p t k e i n B i s ch o f o d e r Pri e s t e r u n d k e i n K l e r i k e r k a n n k r a f t d e r W o r t e d e r S c h r i f t e i n e z w in g e n d e R e ­ g i e r u n g s g e w a l t o d e r R e c h t s p r e ch u n g i n S t r e i t ­ s a c h e n , g e s c h w e i g e d en n d i e a l l e r o b e r s t e , ü b e r e i n e n . K l e r i k e r o d e r L a ie n f ü r s i c h b e a n s p r u ch e n o d e r s i c h z u s ch r e i b e n ; u n d n a c h C h r i s t i R at u n d V o r b i l d m ü ß t e n s i e , z u m a l i n d e n G e m e i n s ch a f t e n d e r G l ä u b i g e n , e i n e s o l c h e R e g i e run g s g e w a l t z u ­ r ü c k w e i s e n , f a l l s s i e i h n e n d e rj e n i g e a n b i e t e n o d e r v e r l e i h e n s o l l t e , d e r d i e V o l l m a ch t d a z u h a t . F e r n e r : a l l e B i s ch ö f e u n d d i e o h n e U n t e r s ch i e d j e t z t K l er i k e r G e n a n n t e n m ü s s en d e m z w i n g e n d en G e ­ r i c h t o d e r d e r R e g i e ru n g s g ew a l t d e s s e n u n t e r s t e h e n , d e r k r a f t E r m ä ch t i g u n g d u r ch d e n m e n s c h l i c h e n G es e t z g e b e r r e g i e r t , b e s on d e r s w e n n d i e s e r G e s e t z geber ein Christ ist .

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§ 1 Im Gegensatz hierzu wollen wir anschließend die Wahrheiten der Heiligen Schrift anführen, die in ihrem :;o buchstäblichen wie in ihrem mystischen Sinn nach der Deutung der Heiligen und der Auslegung anderer erprobter Lehrer des christlichen Glaubens ausdrücklich die Weisung oder den Rat geben : K ein römischer Bischof, Papst genannt, und kein anderer Bischof oder Priester und kein Diakon hat 5 eine zwingende Regierungsgewalt oder Gerichtshoheit oder Rechtsprechung über einen Priester oder Nicht-Priester, einen Regenten, eine Gemeinschaft, ein Kollegium oder irgendeine Einzelperson, welches Standes auch immer, oder darf sie haben ; dabei verstehen wir unter zwingender Gerichtshoheit 1 0 diejenige76, die mit der dritten Bedeutung von Richter oder Gericht nach unserer Darstellung in II 277 gemeint i s t § 2 Aber um diese These klarer herauszustellen, dürfen wir nicht übersehen : Bei dieser Untersuchung ist nicht die Frage, was Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, in .

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habuerit et habeat in hoc seculo potestaiis et auctoritatis, nec quid aut quantum horum conferre potuerit beato Petro et reliquis apostolis ac ipsorum successoribus, episcopis seu presbyteris, quoniam de hiis non dubitant Christi fideles in propositis quesitis. Sed volumus et debemus inquirere, quam 20 potestatem et auctoritatem exercendam in hoc seculo Chri­ stus eidem conferre voluerit et de facto contulerit, et a qua ipsos excluserit et prohibuerit consilio vel precepto. Eos enim talem potestatem et auctoritatem habuisse a Christo tenemur credere, qualem per verba scripture sibi traditam convincere 25 possumus, non aliam. Certurn enim est omnibus Christi :fideli­ bus, quod Christus, qui verus Deus et verus homo fuit, conferre potuit nedum apostolis, verum eciam quibuslibet aliis, auc­ toritatem seu iurisdiccionem coactivam in hoc seculo supra omnes mundi principes seu principatus et singulares perso30 nas alias omnes ; et hac ampliorem fortasse, ut creandi encia, 160 destruendi atque reparandi celum et terram et que in eis sunt, et eciam angelis simpliciter imperandi ; quod tarnen nec Christus eis contulit nec conferre decrevit. Unde Augustinus in sermone 1 0° De verbis Domini super Mattheum sie inquit : 5 'Discite a me' non mundum fabricare, non cuncta visibilia et invisibilia creare, non in ipso mundo miracula facere et mortuos suscitare; sed 'quoniam mitis sum et humilis corde'. § 3. Ideoque secundum presentem intencionem ostendere suf:ficit et ostendam prima, quod Christus ipse non venit in 1 0 mundum dominari hominibus, nec ipsos iudicare iudicio ter­ cie signi:ficacionis, nec principari temporaliter, sed magis subici secundum statum presentis seculi ; quinimo quod a tali iudicio seu principatu secundum propositum excludere voluit et exclusit seipsum et apostolos ac discipulos eciam t 5 suos ; ipsorumque successores consequenter, episcopos seu

7Ba Scholz 159 Anm. 1 . 7Bb entia = övra; Ar. Met. XII 1 0 79 Scholz 1 60 Anm. 1.

=

1 076 a, )--4.

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dieser Welt an Gewalt und Machtvollkommenheit gehabt hat und hat, auch nicht, was oder wieviel davon er dem seligen Petrus und den anderen Aposteln und deren Nach­ folgern, Bischöfen oder Priestern hätte übertragen k ö n ­ n e n - denn hierüber sind die Christusgläubigen in den vor­ liegenden Fragen nicht im Zweifel -, sondern wir wollen und müssen untersuchen, welche Gewalt und Machtvollkommenheit ihnen Christus in dieser Welt hat verleihen w o l l e n und tatsächlich verliehen hat und von welcher er sie durch Rat oder Gebot ausgeschlossen und ferngehalten hat. Denn nur an eine solche Gewalt und Machtvollkommenheit der Apostel sind wir verpflichtet zu glauben, wie er sie ihnen nachweislich nach den Worten der Schrift übergeben hat, an keine andere.78a Gewiß ist nämlich allen Christusgläubigen, daß Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, nicht nur den Aposteln, sondern auch allen anderen zwingende Macht­ vollkommenheit oder Rechtsprechung in dieser Welt über alle Regenten oder Regierungen der Erde und alle anderen Einzelpersonen hätte verleihen k ö.n n e n , und vielleicht eine noch größere als diese, z. B. die, Dinge78b zu schaffen, Himmel und Erde und was in ihnen ist, zu zerstören und wiederaufzubauen und sogar den Engeln schlechthin Befehle zu geben ; das hat jedoch Christus ihnen weder verliehen noch zu verleihen beschlossen. Daher sagt Augustin in der 1 0. Predigt79 über die Worte des Herrn bei Matthäus : , Lernt von mir': nicht, die Welt aufbauen, nicht, alles Sichtbare und Unsichtbare schaffen, nicht in dieser Welt Wunder tun und Tote auferwecken ; sondern : ,weil ich sanftmütig bin und von Herzen demütig'. § 3 Daher genügt es für die gegenwärtige Absicht zu zeigen, und ich werde es zuerst zeigen : Christus selbst ist nicht in die Welt gekommen, um über die Menschen zu herr­ schen oder sie nach einem Gericht in der dritten Bedeutung zu richten oder zu regieren im zeitlichen Sinn, sondern viel­ mehr in Anpassung an den Stand der gegenwärtigen Welt sich unterzuordnen ; ja, er wollte von einer solchen Gerichts­ hoheit oder Regierungsgewalt nach seinem Vorsatz sich selbst und auch seine Apostel und Jünger ausschließen und hat sie ausgeschlossen, und folglich hat er deren Nachfolger, die Bischöfe oder Priester, von jeder solchen Regierung oder

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presbyteros, ab omni principatu seu mundano regimine tali, coactivo scilicet, exclusit exemplo et per sermonem eciam consilio vel precepto. I dem quoque ostendam apostolos preci� 20 p uos tamquam Christi veros imitatores fecisse suosque suc­ cessores facere docuisse ; amplius quoque tarn Christum, quam ipsos apostolos voluisse subesse atque subfuisse con­ tinuo coactive iurisdiccioni principum seculi, realiter et per­ sonaliter, aliosque omnes, quibus Iegern veritatis predicave25 runt aut per scripturam mandaverunt, idem facere docuisse atque precepisse sub pena dampnacionis eterne. Deinde vero capitulum faciam de potestate seu auctoritate clavium, tra­ dita per Christum apostolis et ipsorum in officio successori­ bus, episcopis et presbyteris, ut tarn Romani episcopi, quam a]iorum appareat, que, qualis quantave sit potestas huius5 modi. lpsius etenim ignorancia extitit hactenus, et inpresen­ ciarum est origo multar'u m questionum '-· ee· dampnosarum licium inter Christi fideles, ut in huius diccionis primo ali­ qualiter tangebatur. § 4. Prosequentes itaque proposita monstrare volumus, quod ab officio principatus sive contenciose iurisdiccionis, 1 0 regiminis seu coactivi iudicii cuiuslibet in hoc seculo secun­ dum propositum sive intencionem, sermonem et operacionem seipsum et apostolos Christus excludere voluit et exclusit. Hoc autem primum apparet indubie per seriem evangelicam n Johannis 1 8°. Dum enim Christus accusatus esset Pilato Pon­ cio, vicario Romani principis in ludea, ex eo quod se dixisset regem ludeorum, interrogante Pilato, an hec dixisset aut si s e regem diceret, respondit inter cetera Christus a d Pilati quesi­ tum verba hec : Regnum meum non est de hoc mundo, id est : zo regnare non veni regimine seu dominio temporali, quomodo regnant mundani reges ; cuius quidem probacionem subdit met Christus per signum evidens, cum dixit : Si ex hoc mundo esset regnum meum, ministri mei utique decertarent, ut non fraderer I udeis. Quasi sie argueret Christus : si venissem reg80 S cholz 1 60 Anm. 2. s 1 II 6. s� 8 3 J oh. 1 8,36 u . Interlinearglosse d a zu . =

II 1 , 1 .

Teil II, Kapitel IV

2 l) i

weltlichen Herrschaft, einer zwingenden, ausgeschlossen durch sein Vorbild und auch mit Worten durch Rat oder Gebot. Dasselbe80 haben auch, so werde ich zeigen, die herzo vorragenden Apostel als Christi wahre Nachfolger getan und haben es ihre Nachfolger tun gelehrt ; weiter habe Chri­ stus wie die Apostel selbst sich beständig der zwingenden Rechtsprechung der Fürsten der Welt in sachlicher und per­ sönlicher Beziehung unterwerfen wollen und unterworfen ; und alle anderen, denen sie das Gesetz der Wahrheit 25 gepredigt und durch ihre Schriften anempfohlen haben, hätten sie dasselbe zu tun gelehrt und geboten bei Strafe der ewigen Verdammnis. Ferner aber werde ich ein Kapitel über t61 d i e Gewalt oder Machtvollkommenheit der Schlüssel schrei­ ben81, die Christus den Aposteln und deren Nachfolgern im Amt, den Bischöfen und Priestern, übergeben hat, damit deutlich wird, welche, welcher Art und welches Umfangs eine derartige Gewalt des römischen Bischofs wie der ande5 ren ist. Denn hierüber hat bis heute Unkenntnis bestanden, und das ist gegenwärtig Ursprung vieler Untersuchungen und verderblicher Streitigkeiten unter den Christusgläu­ bigen, wie li 182 einigermaßen berührt worden ist. § 4 Wir wollen nun den P roblemen weiter nachgehen und zeigen, daR vom Amt der Regierung oder der Rechtsprechung 1 0 in Streitsachen, jedes Regiments oder zwingenden Gerichts in dieser Welt nach Vorsatz oder Absicht, in Wort und Tat Christus sich selbst und die Apostel hat ausschlieRen wollen und ausgeschlossen hat. Das ergibt sich zunächst unzweifel­ haft aus dem Evangelium des Johannes im 18. Kap.83 1 5 Als nämlich Christus vor Pontius Pilatus, dem Stellvertreter des römischen Kaisers in Judäa, angeklagt war, daR er sich K önig der Juden genannt hätte, antwortete er auf die Frage des Pilatus, ob er das gesagt habe oder ob er sich König nenne, unter anderem folgendes : Mein Reich ist nicht von dieser Welt, d. h., ich bin nicht gekommen, mit zeitlicher 20 Regierung oder Herrschaft zu regieren wie die weltlichen Könige. Als Bestätigung dafür fügt Christus selbst einen überzeugenden Beweis hinzu mit den Worten : Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener roürden kämpfen, daß ich nicht den Juden überantwortet roürde. Etwa so würde Christus argumentieren : Wenn ich in diese Welt gekommen

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nare in hunc mundum mundano regimine seu coactivo, habe­ rem ministros huius regiminis, decertatores scilicet ac trans­ gressorum coactores, quemadmodum ceteri reges habent ; sed tales ministros non habeo, ut tu manifeste videre potes. Unde 162 glossa interlinearis : Apparet, quod nullus defendit. Et hoc est, quod iterato resumens Christus ait : Nuric autem regnum meum non est hinc, de quo scilicet docere veni. § 5. Quas siquidem evangelicas veritates sancti et docto­ res exponentes, sie inquiunt, et primum beatus Augustinus in hec verba dicens : Quod si Pilato in ferrogante continuo respondisset, non eciam ludeis, sed solis gentibus hoc de se opinantibus respondisse videretur. Sed post responsionem 1 0 Pilati iam Iudeis et gentib us opportunius aptiusque respon­ dit, quasi diceret: Audite Iudei et gentes, non impedio dominacionem vestram in hoc mundo. Quid v ultis amplius ? Venite credendo ad regnum quod non est de hoc mundo. Quid enim est regnum eius nisi credentes in eum ? Ecce de quo 15 regno docere atque disponere venit, quoniam de actibus qui­ bus pervenitur ad regnum eternum, fidei scilicet ac reliqua­ rum theologicarum virtutum ; *neminem tarnen ad hoc cogen­ do, ut infra patebit*. Duo namque coactiva dominia non subin­ vicem posita *ac respectu eiusdem multitudinis'' se impediunt, 0 20 ut in 1 ? p rime monstraturn est. Christus autem horum do­ minium non venerat impedire, ut dixit Augustinus. Unde super illud Ioh annis eodem : Gens tua et pontifices tui tradi­ derunt te mihi. Q uid fecisti? Satis, inquit Augustinus, osten­ dit illud pro crimine obiectum, tamquam diceret: si te regem 2 5 negas, quid fecisti, ut tradereris mihi, quasi mirum non esset, si puniendus iudici traderetur, qui se diceret regem. Ecce 1 63 secundum Augustinum quod nimirum, si puniendus fuisset Christus, si se regem secularem dixisset, ignorantibus preser84

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Scholz 162 Anm. 1 . d. h . dem Pilatus. I 1 7, 1-9. J oh. 1 8,35. Scholz 162 Anm. 3.

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wäre, um mit weltlichem oder zwingendem Regiment zu regieren, so hätte ich Diener dieses Regiments, Leute, die für mich kämpften und die Frevler in Zucht hielten, wie sie die anderen Könige haben ; aber solche Diener habe ich nicht, wie du deutlich sehen kannst. Daher sagt die lnterlinearglosse : Es ist offenbar, daß keiner ihn verteidigt. Das ist es, was Christus noch einmal zusammenfassend sagt : Nun aber ist mein Reich nicht von daher, d. h. das Reich, von dem zu künden ich gekommen bin. § 5 Bei der Auslegung dieser evangelischen Wahrheiten sagen die Heiligen und die Kirchenlehrer so, und zuerst der selige Augustin, der zu diesen Worten bemerkt84 : Wenn er dies auf die Frage des Pilatus sogleich geantwortet hätte, so sähe es aus, als roenn er nicht auch den Juden, sondern nur den Heiden85, die dies von ihm dachten, geantwortet hätte. Aber nach der Antwort an Pilatus hat er nunmehr den Juden und den Heiden passender und treffender geantwortet, gleich als ob er sagen mallte: Hört, ihr Juden und Heiden, ich störe eure Herrschaft auf dieser Welt nicht. Was roollt ihr roeiter ? Kommt und glaubt an das Reich, das nicht von dieser Welt ist. Was ist denn sein Reich anderes als die, die an ihn glauben ? Siehe, über dieses Reich Lehren und Weisungen zu geben, kam er, nämlich über die Handlungen, mit denen man zum ewigen Reich gelangt : denen des Glaubens und der übri­ gen theologischen Tugen.den, wobei er jedoch niemand dazu zwang, wie unten klar werden wird. Denn zwei zwingende Herrschaftsansprüche, ohne Unterordnung des einen und gegenüber demselben Volk, stören sich, wie I 1 786 gezeigt worden ist. Aber Christus war nicht gekommen, der irdischen Machthaber Herrschaftsanspruch zu stören, wie Augustin ge­ sagt hat. über jenes Wort des Johannes an derselben Stelle87 : Dein Volk und deine Hohenpriester haben dich mir übergeben. Was hast du getan ? sagt daher Augustin88 : Deutlich genug zeigt Pilatus, daß das Christus als Verbrechen vorgeworfen ist, als roenn er sagte : Wenn du erklärst, du seiest kein König, roas hast du dann getan, daß du mir übergeben w urdest; als ob es nicht auffallend roäre, roenn d e r dem Richter zur Bestrafung übergeben roürde, der sich als König bezeichnete. Beachte also, nach Augustin wäre es nicht auffallend, wenn man Christus hätte bestrafen müssen, falls er sich als

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tim ipsum esse Deum, et quod regem se fore negavit, et de ; quo regno seu regimine, coactivo videlicet legis transgresso­ rum. Unde eciam super illud Iohannis eodem : A temetipso dicis hoc, an alii tibi dixerunt P Dixit Christus Pilato, inquit Theophylactes, ac si diceret, Christus scilicet Pilato : Si hoc ex teipso loqueris, pande signa mee rebellionis, at si ab aliis 1 0 percepisti, inquisicionem f ac ordinariam. Hoc autem quod dicit Theophylactes, non debuisset dicere Christus, quod videlicet Pilatus inquisicionem de ipso faceret ordinariam, quinimo dicere debuisset hanc inquisicionem ad ipsum non pertinere, ex quo sibi secundum adversancium opinionem de 1 5 iure subiectus non erat vel esse nolebat in iurisdiccione sive iudicio coactivo. Rursum super illud : Regnum meum non est hinc, dicit Chrysostomus : Non privat mundum a sua providencia et prelacione, sed ostendit regnum suum non esse humanum 20 neque corruptibile. Omne autem regnum in hoc seculo cuius­ quam coactivum est *humanum ee· corruptibile. Amplius su­ per illud Iohannis eodem : Tu dicis, quia rex sum ego, inquit Augustinus : Non quia regem se timuit confiteri, sed ita libra25 tum est, ut neque se regem neget, neque regem talem se esse faieaiur, cuius regnum putetur esse de hoc mundo. Dictum est enim : Tu dicis, ac si diceretur : Carnalis carnaliter dicis, id est de regimine carnali et actuum temporalium conten­ ciosorum et carnalium secundum terciam significacionem huius nominis temporale; tales enim carnales vocahat aposto­ lus 1a ad Corinthios 3°. § 6. Apparet igitur ex predictis, quod de carnali seu tem­ '3 porali regimine vel iudicio coactivo Christus in mundum dis­ ponere non venit, sed de spirituali regno sive celesti ; de hoc 89

J oh. 1 8 ,34. Scholz 1 63 Anm. 2. 9 1 Scholz 1 63 Anm. 3. DO

9� J oh.

1 8,37. Scholz 1 63 Anm. 5. 94 1 47, 1 ff. 9 5 1. Kor. 3 , 1 -3 . 93

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weltlicher K önig bezeichnet hätte, zumal vor Leuten, die nicht wußten, daß er Gott ist, und mach Augustim hat er erklärt, er sei kein König, und von welchem Reich oder Regiment < er das meine > , nämlich nicht von dem, das zwingende Gewalt hat gegen Übertreter des Gesetzes. Auch über jenes Wort des Johannes an derselben Stelle89 : Redest du das von dir selbst, oder haben es dir andere gesagt? sprach Christus zu Pilatus, sagt daher Theophylaktes90 : Als wenn er sagen wollte, Chri­ stus zu Pilatus : Wenn du das aus dir selbst sprichst, so lege deine Beweise für meinen Aufruhr vor; wenn du es aber von anderen vernommen hast, so führe eine ordnungsgemäße Untersuchung. Was Theophylaktes ihm in den Mund legt, hätte Christus aber nicht sagen dürfen, Pilatus solle eine ordnungsgemäße Untersuchung über ihn anstellen, vielmehr hätte er sagen müssen, diese Untersuchung gehe ihn nichts an, weil er ihm nach der Meinung meiner Diskussionsgegner von Rechts wegen nicht unterworfen war oder nicht unterworfen sein wollte in einem zwingenden Rechtsverfahren oder Gericht. Ferner sagt über das Wort : Mein Reim ist nicht von dieser Welt, Chrysostomus91 : Er beraubt die Welt nicht seiner Vorsehung und Fürsorge, sondern weist darauf hin, daß sein Reim nicht menschlich und nicht vergänglich ist. Jedes Reich in dieser Welt, das gegen jemand zwingende Gewalt hat, ist menschlich und vergänglich. Ferner, über jenes Wort des J ohannes an derselben Stelle92 : Du sagst es, idt bin ein König, bemerkt Augustin93 : Nicht, weil er Furcht hätte, sidt als König zu bekennen, sondern es ist so ausgewogen, daß er weder erklärt, er sei kein König, nodt bekennt, er sei ein solcher König, dessen Reim, wie man glaubt, von dieser Welt sei. Es heißt nämlich : Du sagst es, als wenn gemeint wäre : Als fleisdtlimer Mensch redest du fleischlich d. h. von einem fleischlichen Regiment und einem Regiment über zeit­ liche und fleischliche Akte in Streitsachen in der dritten9 4 Bedeutung von zeitlich; denn solche Menschen nannte der Apostel im 1. Korintherbrief im 3. Kap.95 fleischlich. § 6 Aus dem eben Gesagten geht nun hervor, daß Christus nicht in die Welt gekommen ist, um über ein fleischliches oder weltliches R egiment oder ein zwingendes Gericht zu verfügen, sondern über ein geistliches oder himmlisches ,

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enim solummodo loquebatur et quasi semper predicabat, ut ex evangelica serie palam est, tarn ex ipsius literali quam 1 0 mystico sensu. Et propterea sepissime ,legimus ipsum dixisse : Simile est regnum celorum etc., de mundano vero rarissime, aut ipsum docendo spernere. In celesti namque regno se pre­ mia vel supplicia daturum promittebat secundum merita vel demerita operancium, numquam tarnen talia promisit in 1s hoc seculo se facturum, sed magis econtrario huius seculi principantibus agit ; quoniam ut plurimum iustos et bonorum operatores affligit in hoc seculo vel affligi sinit, et sie ad sui regni premium perducit. Omnes enim qui placuerunt Deo per multas tribulaciones transierunt, ut scribitur ludith 8°. Econ20 tra vero principes huius seculi seu iudices regni mundani faci­ unt et facere debent, servando iusticiam, quoniam legum ob­ servatoribus premia et malorum patratoribus supplicia in hoc seculo distribuunt, recte agentes ; contraria vero facien­ tes peccarent contra Iegern humanam atque divinam. 25 § 7. Rursum ad principale per id quod Christus opere seu exemplo monstravit. Legitur enim Iohannis 6°, quod lesus, cum cognovisset, quia venturi essent, ut raperent eum, et 1 65 facerent eum regem, fugiit iterum in montem ipse solus. Ubi glossa interlinearis : A quo descendit pascere turbas, prospera mundi docens fugere et contra ea orare. Certurn est igitur, 5 quod Christus fugiit principatum, aut suo nihil nos docuisset exemplo. Quem sensum adiuvat exposicio beati Augustini, dicentis, quod fideles Christiani sunt regnum eius, quod modo colitur, modo emitur sanguine Christi. Erit autem manifestum regnum eius, quando erit aperta claritas sanc10 torum eius post iudicium ab eo f actum. Discipuli autem et turbe credentes in eum putaverunt illum sie venisse, ut iam regnaret. Ecce, quod sancti per regnum Christi in hoc seculo

9 6 J udith 8,20. 97 J oh . 6, 1 5 u. Interlinearglosse.

os

Scholz 1 65 Anm. 1 .

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Reich ; denn nur von diesem sprach und predigte er fast immer, wie aus der Stelle im Evangelium sich deutlich ergibt, aus ihrem buchstäblichen wie aus ihrem mystischen Sinn. 10 D eswegen lesen wir sehr oft, er habe gesagt : Das Himmel­ reim ist gleidt usw., von einem weltlichen Reich aber lesen wir sehr selten oder nur so, daR er es verachten lehrt. Denn in dem himmlisch e-n Reich versprach er Belohnungen oder Strafen nach Verdienst oder Schuld der Täter auszuteilen, niemals aber hat er für diese Welt dergleichen versprochen, 15 sondern er handelt vielmehr im Gegensatz zu den Regenten dieser Welt ; denn meistens sucht er die Gerechten und die, die Gutes tun, in dieser Welt heim oder läflt sie heimsuchen und führt sie so zur Belohnung in seinem R eich. Alle nämlich, die Gott gefallen haben, sind durdt viel Trübsal gegangen, wie es im 8. K ap. des Buches Judith96 heiflt. Entgegengesetzt zo aber handeln die Regenten dieser Welt oder die Richter eines weltlichen Reiches und müssen so handeln, wenn sie die Gerechtigkeit wahren ; denn denen, die die Gesetze befolgen, teilen sie Belohnungen und den Übeltätern Strafen in dieser Welt aus, und sie tun recht daran ; denn wenn sie das Gegen­ teil täten, würden sie wider das menschliche und göttli standen ; sondern unter seinem Reich in dieser Welt haben sie die Unterweisung im Glauben und eine Lenkung nach dem Glauben < zur Vorbereitung > auf das himmlische Reich verstanden. Dieses Reim, sagt Augustin99, wird nam seinem Gericht in der anderen Welt sim enthüllen. Weiter sagt er, glauben, er sei König in dieser damaligen Welt, wie das Volk 20 sich das einbildete, bedeutete, ihn entführen, d. h. ihn mit Gewalt fortziehen und über ihn verfügen. Dazu sagt ferner Chrysostomus100 : Und Prophet war er schon in ihren Augen, Christus, und als König wollten sie ihn auf den Thron setzen wegen der Befriedigung des Gaumens, weil er sie gespeist hatte. Christus aber entroim und lehrt uns damit weltliche 25 Würden ver amten. § 8 Weiter wird dasselbe ganz überzeugend durch Wort und Vorbild Christi erwiesen bei Lukas im 1 2. Kap.1 01 : Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm : Meister, sag meinem Bruder, da/l er mit mir das Erbe teile. Aber er, Christus, sprach zu ihm : Mensch, wer hat mim zum Richter oder Erb­ teiler über eum gesetzt?, als wenn er sagen wollte : Nicht um ; dieses Amt auszuüben, bin ich gekommen und nicht dazu bin ich gesandt, um durch mein Urteil bürgerliche Streitigkeiten zu schlichten ; das ist jedoch zweifellos die eigentlichste Auf­ gabe der Regenten und Richter der Welt. Mag auch in Wahr­ heit die Stelle aus dem Evangelium unsere These sehr klar enthalten und beweisen, mehr als die Glossen der Heiligen, 1 0 weil diese den buchstäblichen Sinn, wie wir ihn meinen, als ohne weiteres verständlich vorausgesetzt und überall sich mehr dem allegorischen oder mystischen zugewendet haben, so werden wir jetzt doch die Glossen anführen, um unsere These stärker zu sichern und uns nicht dem Vorwurf auszu­ setzen, wir legten die Schrift leichtfertig aus. In einer Erläuterung zu diesen Worten Christi sagt nun 1 3 der selige Ambrosius 102 : Mit Remt also lehnt er Irdisches ab, er, der für Himmlismes herabgekommen war, und hält es für seiner unwürdig, Richter in Streitigkeiten und Smieds­ rimter ü ber irdische Güter zu sein, er, der über Lebende und Tote Gerimt hält und die Entsmeidung über ihre Verdienste

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torum. Et parum post subdit : Unde non immerito refutatur hic frater, qui dispensatorem celestium gestiebat corrupti20 bilibus occupare. Ecce quid sentit Ambrosius de Christi of­ ficio in hoc seculo ; dicit enim : quod bene terrena declinat, id est iudicia contenciosorum agere, qui propter divina, id est spiritualia docenda et ministranda, descenderat ; in quo ipsius et suorum successorum signavit officium, celestia vide25 licet seu spiritualia dispensare. Spiritualia inquam, de qui­ bus dixerat idem 1a ad Corinthios 9°, et supra induximus 2° huius in significacione tercia huius nominis spirituale. § 9. Nunc vero consequenter restat ostendere, Christum 30 ipsum non solum huius seculi principatum seu coactivum iu­ dicium in hoc seculo recusasse, propter quod sie agendi apostolis et discipulis suis ac ipsorum successoribus dedit exemplum ; verum eciam ipsum sermone docuisse ac exemplo 1 67 monstrasse, cunctos tarn sacerdotes quam non sacerdotes subesse debere realiter et personaliter coactivo iudicio prin5 cipum huius secu1.i. Sermone quidem igitur et exemplo sui monstravit Christus hoc primum in realibus per id quod habetur Matthei 22°. Nam interrogantibus Iudeis ab ipso : Die nobis quid tibi videtur, licet censum dare Cesari an non ? Hiis Christus, inspecto denario et illius superscripcione, responto dens ait : Reddite ergo que Cesaris sunt Cesari, et que Dei Deo. Ubi glossa interlinearis : id est tributum et pecuniam. Ambrosius vero super illud : Cuius est imago et superscripcio hec ? inquit sie : Sicut Cesar exigit impressionem sue imagi­ nis, sie et Deus animam, lumine vultus sui insignitam. Atten15 de igitur, quid Christus exigere venit in mundum. Chryso­ stomus autem sie ait : Tu autem cum audieris: 'redde que sunt Cesaris Cesari', illa scito dicere eum solum, que in n ullo pie­ tati nocent, quia si aliquid tale fuerit, non adhuc Cesaris est,

1os Matth. 22 , 1 7, 20 u. 21 101 Scholz 167 Anm. 2. 1os Scholz 167 Anm. 3.

u.

Interlinearglosse dazu.

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hat. Wenig später fügt er hinzu : Daher roird nicht zu Unrecht dieser Bruder abgeroiesen, der den Verroalter des H immzo Zischen mit Vergänglichem zu beschäftigen begehrte. Beachte, was Ambrosius über Christi Amt in dieser Welt meint : er sagt nämlich, er lehne mit Recht das Irdische ab, d. h. Gericht über strittige Dinge zu halten, er, der des Göttlichen roegen, d. h. um Geistliches zu lehren und zu spenden, herabgekom­ men roar; hiermit hat er sein und seiner Nach folger Amt z; bezeichnet : Himmlisches oder Geistliches zu verwalten, ·Geistliches, sag ich, von dem er dasselbe im 1 . Korintherbrief im 9. K ap.103 gesagt hatte, und wir haben das oben 1 04 in II 2 1 05 bei der dritten Bedeutung von geistlich angeführt. § 9 Nun ist noch im Anschluß daran zu zeigen, daß Chri30 stus selbst nicht nur die Herrschaft über diese Welt oder ein zwingendes Gericht in dieser Welt zurückgewiesen und damit seinen Aposteln und Jüngern und deren Nachfolgern ein Vorbild für ihr Handeln gegeben hat, sondern, daß er auch durch sein Wort gelehrt und durch sein Vorbild gezeigt hat, alle, die Priester wie die Nichtpriester, müßten mit G u t u n d P e r s o n dem zwingenden Gericht der Regenten dieser s Welt unterstehen. Durch sein Wort und sein Vorbild hat das nun Christus zuerst für die G ü t e r bei Matthäus im 22. Kap.106 gezeigt. Als nämlich die Juden ihn fragten : Sage uns, roas dünkt dich : Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht ?, sah Christus den Denar an und dessen Aufschrift, antwortete und sprach : Gebt also dem Kaiser, roas des Kaisers ist, und Gott, roas Gottes ist. Dazu sagt die 0 1 Interlinearglosse : d. h. Steuern und Geld. über die Stelle : Wess en ist dieses Bild und diese Aufschrift? bemerkte Ambrosius107 : Wie der Kaiser die Aufprägung seines Bildes verlangt, so auch Gott eine vom Lichte seines Angesichtes ge­ zeichnete Seele. Beachte also, was zu fordern Christus in die 1 5 Welt gekommen ist. Chrysostomus aber sagt108 : Wenn du aber hörst: , Gib dem Kaiser, roas des Kaisers ist', so roisse, daß er das allein meint, roas der Frömmigkeit nichts schadet; denn roenn es etroas dergleichen ist, so ist es nicht mehr des 1 0 a 1 . Kor. 9,1 1 . 1 04 147,27. to5 II 2, 4 ( 147,1 9) .

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sed diaboli tribuium. Ecce quod in omnibus Cesari subesse debemus, dum modo ''non'} repugnent pieiati, id est divino cultui seu mandato. In realibus ergo subici voluit Christus principi seculi. Hec quoque fuit palam sentencia beati Am­ brosii, huic Christi sentencie innitens ; dixit enim in epistola contra Valentinianum, que intitulatur Ad plebem : Solvimus 2> que suni Cesaris Cesari, ei que sunt Dei Deo. Tributum Cesaris est, non negatur. 1 68 § 10. Ostenditur autem rursum idem ex Matthei 1 '7°, ubi sie scribitur : Aceesseruni qui didragma accipiebant ad Petrum, ei dixerunt: Magister vester non solvii didragma ? et conse5 quenter paucis interpositis subditur, quod Christus dixit Petro : Ut auiem non scandalizemus eos, vade ad mare, et mitte hamum ; et eum piscem qui primus ascenderit, tolle; et aperto ore eius invenies siaterem ; illum sumens da eis pro me et te. N ec dixit tantummodo Dominus : da eis, sed dixit : da eis 1 0 pro me et pro te. leronymus autem dicit hic : Dominus nosier secundum carnem et secundum spiritum filius regis erai vel ex David siirpe generaius, vel omnipoteniis pairis verbum. Ergo tribuia quasi regum filius non debebat. Et infra subiun­ git : Q uamvis ergo liber esset, quia tarnen humiliiaiem carn is 1 5 assumpserat, debuit omnem iusticiam adimplere. Origenes autem super illud verbum Christi : Ui autem non scandali­ zemus eos, magis ad propositum et evangeliste sentenciam in­ quit sie : Gonsequens autem est intelligere, ex verbis Christi scilicet, quoniam quociens exurgunt quidam, qui per iniusti20 ciam iollant nostra terrena, reges huius terre eos transmit­ tunt, ui exigant a nobis qua sunt ipsorum. Et suo exemplo prohibet Dominus aliquod scandalum fieri, eciam huius '-· modi'' hominib us, sive ne amplius peccent, sive ut salveniur. 20

1 10 111 112 113

Matth. 1 7,24 .u. 27. Scholz 168 Anm. 2. Scholz 168 Anm. 3. Die königlichen Steuereinnehmer erheben Abgaben auch von solchen, die nicht zahlungspflichtig sind, also rechtswidrig; trotzdem ist Christus bereit, diese zu entrichten ; vgL 1 70 , 1 3 ff_ u. 1 7 1 ,22 ff_

Teil II, Kapitel IV

'303

Kaisers, sondern des Teufels Steuer. Beachte, in allem müssen wir uns dem K aiser unterordnen, wenn es nur nicht 20 der Frömmigkeit widerspricht, d. h. der Verehrung und dem Gebot Gottes. Was also die Güter anlangt, so wollte Christus sich dem weltlichen Herrscher unterwerfen. Dies war auch deutlich die Meinung des seligen Ambrosius ; denn auf diesen Ausspruch Christi gestützt, sagte er in dem Briefe gegen Valentinian, der den Titel trägt An das Volk109 : Wir be25 zahlen dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Die Steuern sind des Kaisers, sie werden nicht ver­ weigert. 1 68 § 10 Dasselbe läßt sich ferner auch aus Matthäus Kap. i ?' 11 0 erweisen, wo es heißt : Die Einnehmer der Doppeldrachme kamen zu Petrus und sprachen: Zahlt euer Meister die Doppeldrachme nicht?, und dann wird nach wenigen Zeilen ::> hinzugefügt, was Christus zu Petrus sagte : Damit wir aber ihnen keinen Anstoß geben, so gehe an den See und wirf die Angel aus und nimm den ersten Fisch, der heraufkommt; und wenn du sein Maul aufmachst, wirst du einen Stater finden; den nimm und gib ihnen den für mim und dim. Nicht nur sagte der Herr : Gib ihnen den, sondern er sagte : Gib ihnen den für mim und für dim. Hieronymus111 aber sagt hier1 0 zu : Unser Herr war nam dem Fleisch und nam dem Geist Sohn eines Königs, entweder aus Davids Stamm entspros­ sen oder das Wort des allmächtigen Vaters. Also brauchte er als Sohn von Königen keine Steuern zu zahlen. Unten fügt er hinzu : Obwohl er also frei war, mußte er alles erfüllen, 1 5 was recht ist, weil er dom die Niedrigkeit des Fleisches an­ genommen hatte. Origines112 aber sagt über jenes Wort Christi : Damit wir aber ihnen keinen Anstoß geben, in engerer Beziehung zu unserer These und zur Meinung des Evangelisten : Folgerichtig aber ist es, zu entnehmen, aus den Worten Christi : Da nun bisweilen Leute auftreten, die 20 ungerechterweise113 unser Irdisches wegnehmen, schiCken die Könige dieser Erde Leute aus, um von uns zu fordern, was ihnen zusteht, und durch sein Vorbild verhindert der Herr, daß ein Anstoß gegeben wird, auch derartigen Mensmen, sei es, damit sie nicht weiter sündigen, sei es, damit sie tou

Scholz 16? Anm. 4.

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Filius enim Dei qui nullum opus fecit servile, quasi habens formam servi, quam propter hominem suscepit, tributum et censum dedit. Quo igitur modo ex virtute verborum evangelice scripture sunt exempti episcopi et presbyteri ab hoc, nec universaliter a principum iurisdiccione, nisi graciosa eorum concessione, cum Christus et Petrus exemplum prebentes aliis talia sol­ verint ? Et licet Christus secundum carnem de stirpe regia hoc non debuisset fortasse, Petrus tarnen, de stirpe regia non existens, talem causam exempcionis >:· non'' habebat, sieut nec 5 habere voluit. Quod si Christus putasset ineonveniens, futu­ ros sibi successores in offieio saeerdotali tributa solvere ac ipsorum temporalia subiecta fore prineipibus seeuli, potuis­ set ipse absque mali exempli exhibieione, videlieet subieiendi saeerdoeium iurisdieeioni principum seeuli, aliter ordinasse 1 0 ae expedivisse illos exactores didragme, ut puta removendo ipsis petendi talia inteneionem aut alio eonvenienti modo. Sie autem faeere non reputavit eonveniens, quinimo solvere voluit, singulariter inter apostolos Petrum sibi assoeians in hoe. Qui tarnen, seeundum quod dieetur 1 6° huius, eeclesie 1 5 preeipuus doctor et pastor futurus erat, ut tali exemplo alio­ rum nullus hee faeere recusaret. § 1 1 . Hane scripture seriem ex Matthei 1 '7 ° iam adductam sie intelligens beatus Ambrosius, ut prediximus, in epistola, 2 0 eui titulus De tradendis basilicis, inquit : Tributum petit, im­ perator seilieet, non negatur; agri ecclesie solvunt tributum. Et quibusdam interpositis ad propositum magis ait : Solvimus que sunt Cesaris Cesari, et que sunt Dei Deo. Tributum Cesaris est, non negatur. Hane rursum preinduete scripture

25

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1 14

eines freien Mannes Unwürdiges. u. 1 2. 1 16a Matth. 1 7,24-2?. 1 1 6b Scholz 169 Anm. 2.

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II 1 6, 10

Teil li, Kapitel IV

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gerettet werden. Denn der Sohn Gottes, der nid-ds Knech­ tisches114 getan hat, obwohl er scheinbar Knechtsgestalt trug, 25 die er um der Menschen willen angenommen hat, der hat Abgabe und Zins entrichtet. Wieso sind nun kraft der Worte des Evangeliums die Bischöfe und Priester davon befrei t sie sind ja auch nicht allgemein aus der Rechtsprechung der Herrscher her­ ausgenommen, auRer mit deren gnädiger Erlaubnis -, da 169 doch Christus und Petrus anderen ein Vorbild gegeben · und < Steuern > bezahlt haben ? Mag auch Christus, nach dem Fleisch aus königlichem Stamm, vielleicht dazu nicht verpflichtet gewesen sein, so hatte doch Petrus, nicht aus königlichem Stamm hervorgegangen, keinen solchen Grund für die Befreiung, wie er ihn auch nicht beansprucht hat. s Wenn es Christus aber für unangemessen gehalten hätte, daR seine künftigen Nachfolger im priesterlichen Amt Abgaben zahlten und ihre zeitlichen Güter den Herr­ schern der Welt unterstellt wären, so h ätte er, ohne ein schlechtes Vorbild zu geben, d. h. ohne das P riestertum der Rechtsprechung der Fürsten der Welt unterzuordnen, einen anderen Befehl geben oder jene Einnehmer der Doppel1 0 drachme anders abfertigen können, z. B. so, daR er ihre Ab­ sicht, so etwas zu verlangen, ihnen vereitelt hätte, oder auf eine andere angemessene Weise. So zu handeln, hielt er aber nicht für richtig, vielmehr wollte er zahlen, und dabei gesellte er sich besonders unter den Aposteln den Petrus zu, der doch nach dem, was in II 16115 gesagt werden wird, ein 1 5 hervorragender Lehrer und Hirt der Kirche sein sollte, damit im Hinblick auf ein solches Vorbild kein anderer sich weigere, dies zu tun. § 1 1 Diese eben aus Matthäus Kap. 1 7 11 8" angeführte Schriftstelle versteht der selige Ambrosius116h so, wie wir oben gesagt haben, in einem Briefe mit dem Titel Die über20 gabe der Basiliken, und sagt : Steuern verlangt er, der K aiser, sie werden nicht verweigert. Die Ländereien der Kirche zahlen Steuern. Einige Zeilen weiter sagt er in deutlicherer Beziehung auf unser Thema : Wir zahlen dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Die Steuern sind des Kaisers, sie werden nicht verweigert. Diesen Sinn der oben wieder angeführten Schriftstelle, den wir angegeben -

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25

quam diximus fuisse sentenciam, amplius exprimens beatus Bernardus in epistola quadam ad archiepiscopum Senonensem, sie inquit : Hec isti, scilicet qui suggerunt subditos suis 1 70 superioribus rebellare ; Christus aliter et iussit et gessit. Red­ dite, ait, que sunt Cesaris Cesari, et que sunt Dei Deo. Quod ore locutus est, mox opere implere curavit. Conditor Cesaris '> Cesari non cunctatus est reddere censum. Exemplum enim dedit vobis, ut et vos ita faciatis. Quando vero Dei sacerdoti­ b us debitam negaret reverenciam, qui hanc quoque seculari­ b us potestatibus exhibere curavit ? Et debemus attendere quod dixit Bernardus, Christum, 1 0 curando secularibus potestatibus tradere censum, ipsum ex­ hibuisse debitam reverenciam, non ergo coactam, quoniam huiusmodi census et tributum debetur principibus a quocum­ que, ut sequenti capitulo adducemus ex apostolo ad Romanos 1 3° et glossis sanetarum atque doctorum ibidem ; quamvis 1 5 forte non omnis census a quibuscumque debeatur ubique, u t illius pedagii quod a b incolis n o n debebatur, quamvis custo­ des seu exactores illud quandoque a quibusdam incolis sive terrigenis simplicibus, quales erant apostoli, minus debite peterent et exigerent. Et propterea conformiter Origeni, 20 quem credo in hac parte magis habuisse intencionem evange­ liste, quam Ieronymum, dico, quod consuetum videbatur et fortasse statutum communiter in regnis, �·presertim in ludea\ incolas sive indigenas non solvere pedagia, sed alienigenas. Et ideo dixit Christus Petro : Reges terre a quibus accipiunt 25 tributum ? etc., per tributum significans illud pedagium quod exactores didragme colligebant. Tributum namque, secun­ clum quod nomen commune est ad omnem censum, Christus 171 non negavit filios terre id est indigenas debere, quinimo de tali postmodum dixit, neminem eximendo : Reddite que Cesaris

111

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Scholz 1 69 Anm. 3 . I I 5, 4-5. vielmehr Tempelsteuer. Matth. 1 7,25.

Teil ll, Kapitel IV 25

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haben, führt der selige Bernhard11 7 in einem Briefe an denErz­ bischof von Sens weiter aus und sagt : Das tun diese, die den Untertanen einflüstern, sie sollten sich gegen ihre Obrigkeit empören. Christus hat anders geboten und gehandelt. Gebt, sagt er, dem Kaiser, roas des Kaisers ist, und Gott, roas Gottes ist. Was er mit dem Munde gesprochen hat, das hat er bald durch die Tat Wirklichkeit werden lassen. Der Be­ gründer des Kaisers hat dem Kaiser Steuer zu zahlen nicht gezögert. Ein Vorbild nämlich hat er euch gegeben, damit auch ihr so handelt. Wann aber hätte er den Priestern Gottes die schuldige Achtung verweigert, er, der sie auch den weltlichen Gemalten hat erweisen lassen ? Wir müssen beachten, daß Bernhard gesagt hat, Christus habe, indem er den weltlichen Gewalten Steuer entrichten ließ, selbst ihnen die schuldige Achtung erwiesen, also nicht eine erzwungene, da ja jeder eine derartige Steuer und Abgabe den Herrschern entrichten muß, wie wir im folgen­ den K apitel118 aus dem Apostel Römerbrief Kap. 1 3 an­ führen werden und aus den Glossen der Heiligen und der Kirchenlehrer zu eben dieser Stelle ; indessen müssen vielleicht nicht alle jede Steuer überall entrichten, z. B. jene Verkehrssteuer 11 9, die Einwohner nicht zu entrichten brauch­ ten, obgleich die Aufseher oder Einnehmer sie bisweilen von manchen einfachen Einwohnern oder Einheimischen, wie es die Apostel waren, ohne jedes Recht verlangten und er­ hoben. Deshalb sage ich übereinstimmend mit Origines, der meiner Meinung nach an dieser Stelle die Absicht des Evangelisten besser verstanden hat als Hieronymus, daß es offenbar Gewohnheit war und vielleicht allgemeine Ver­ ordnung in den Staaten, zumal in Judäa, daß die Ein­ wohner oder Einheimischen keine Verkelirssteuern zahlten, sondern die Fremden. Darum sagte Christus zu Petrus12 0 : Die Könige der Erde, von roem erhalten sie Steuern ? usw., wobei er mit Steuer jene Verkehrssteuer bezeichnete, die die Eintreiber der Doppeldrachme einsammelten. Denn was die Steuer angeht, soweit das eine allgemeine Bezeich­ nung für jede Abgabe ist, so bestritt Christus nicht, daß die Söhne die Landes, d. h. die Einheimischen, sie entrichten müßten, vielmehr sagte er später von einer solchen, ohne jemand auszunehmen : Gebt dem Kaiser, roas des Kaisers

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sunt Cesari; quod eciam Christo conformiter expressit apostolus ad Romanos 1 3°, dum dixit : ldeo enim tributa prestatis, principibus scilicet, ministri enim Dei sunt. Per filios 5 ergo intellexit Christus filios regnorum, id est inde natos sive oriundos, '�non filios regum secundum semen*, alioquin sermo eius non videretur fuisse ad propositum ; nam in plurali locu­ tus est tarn pro se quam pro Petro, quem eonstat non fuisse 10 filium talium regum, de quibus dixit Ieronymus. Amplius, quoniam si Christus erat de stirpe David seeundum earnem, sie et alii plurimi Iudeorum, quamvis fortasse non Petrus. Rursum, quoniam per David nee aliquem ex ipsius semirre tune exigebatur tributum, sed per Cesarem, quid ergo dixis1 5 set Christus : Reges terre, ete. Ergo filii liberi sunt, de rege eelesti nihil dieens ? Constat autem eeiam Christum neque Petrum filios fuisse Cesaris seeundum earnem, neque seeun­ dum spiritum. '� Adhue, quid quesivisset Christus questionem premissam ? omnibus enim constat filios regum seeundum 20 semen non solvere tributa parentibus.* Non igitur fuisse vide­ tur exposicio Ieronymi sie eonsona seripture, quemadmodum Origenis. Voluit autem Christus ex verbis predictis tributa eeiam indebita alieubi et quandoque solvere ':· poeius*, ae apo25 stolum et sibi sueeessores solvenda doeere, quam pro talibus eontendere. Hee enim fuit iustieia eonsilii, non preeepti, quam Christus pro humilitate earnis quam sumpserat voluit adim­ plere ae adimpleri doeere ; quod eeiam instar Christi doeebat apostolus fieri. Unde 1a ad Corinthios 6° : Quare non magis in5 iw:iam accipitis ? quare non magis fraudem patimini? quam, ut predixerat, invieem eontendatis. § 1 2. Amplius, nee solum quantum ad realia monstravif Christus se subesse iurisdiecioni coactive prineipis seeuli, 1 0 verum eeiam id ostendit in se, quantum ad personalem, qua nullam iurisdiccionem maiorem in ipsum aut alium prineeps

121 Röm. 13,6. 122 1. Kor. 6,2' : 6td ·d ovx l ,uaUov d:n:oaTeeeiaih.

Teil ll, Kapitel IV

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ist. Dies hat auch übereinstimmend mit Christus der Apostel im R ömerbrief im 1 3. Kap. 121 zum Ausdruck gebracht mit den Worten : Darum leistet ihr .fa Steuern, den Herrschern 5 nämlich, denn sie sind Gottes Diener. Unter Söhnen ver­ stand also Christus die Söhne der K önigreiche, d. h. die dort geboren oder entsprossen sind, nicht die Söhne der Könige nach dem Blut ; sonst hätte seine Äußerung offenbar nicht zu unserem Thema gepaßt ; denn im Plural sprach er für sich wie für Petrus, der bekanntlich nicht Sohn solcher K önige war, YOn 1 0 denen Hieronymus redete. Ferner, wenn Christus nach dem Fleisch vom Stamme Davids war, so auch die meisten ande­ ren Juden, indessen vielleicht Petrus nicht. Ferner, da ja weder David noch einer aus seinem Blute damals Steuern forderte, sondern der K aiser, warum also hätte Christus ge1 5 sagt : Die Könige der Erde usw. Also sind die Söhne frei, ohne vom himmlischen K önig etwas zu sagen ? Bekanntlich aber sind auch weder Christus noch Petrus Söhne des Kaisers gewesen, weder nach dem Fleisch noch nach dem Geist. Fer­ ner, warum hätte Christus die vorausgeschickte Frage ge­ stellt ? Für alle ist nämlich selbstverständlich, daß die Söhne zo von Königen nach dem Blut den Eltern keine Abgaben zah­ len. Also scheint die Auslegung des Hieronymus nicht so zur Schrift zu stimmen wie die des Origines. Christus wollte aber lieber nach den vorher angeführten Worten die Steuern - sogar die irgendwo und irgendwann zu Unrecht geforder­ ten - bezahlen und den Apostel und seine Nachfolger lehren, 25 sie sollten lieber zahlen als deswegen streiten. Das war nämlieh die Gerechtigkeit eines Rates, nicht eines Gebotes, die Christus bei der Niedrigkeit des Fleisches, die er angenom­ men hatte, erfüllen und deren Erfüllung er lehren wollte. Dies hat auch der Apostel gelehrt ebenso wie Christus. Da­ her sagt er im 1. Korintherb rief im 6. Kap. 1 22 : Warum leidet 5 ihr nicht lieber Unrecht? Warum laßt ihr euch nicht lieber betrügen ?, als, wie er vorher gesagt hatte, untereinander zu streiten. § 12 Weiter : Nicht für den Besitz hat Christus gezeigt, daß er der zwingenden Rechtsprechung des weltlichen Herrschers untersteht, sondern er hat das auch an sich selbst für die t o Rechtsprechung über die Person gezeigt, die höchste, die ein Herrscher über ihn oder einen anderen haben konnte, wes-

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1 ?3

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habere potuit, propter quod eciam vocatur hec iurisdiccio a Romano legislatore merum imperium. Hoc autem potest evi­ denter ostendi ex Matthei 27° ; nam, ut ibidem legitur et appa15 ret, Christus se capi permisit '�er:- ad Pilati duci p retorium, qui vicarius erat imperatoris Romani, et per ipsum demum tam­ quam iudicem coactive potestatis se sustinuit extremo suppli­ cio iudicari et tradi ; nec contra ipsum tamquam contra non iudicem reclamavit, licet fortasse signaverit se pati minus 2 0 iustum iudicium. Constat autem quod tale iudicium atque supplicium per sacerdotes subire potuisset, si voluisset, et i nconveniens iudicasset futuros sibi successores principibus seculi subici et per ipsos iudicari. Quod quia hoc seriosius scripturn est Johannis 19°, idcirco adducam hic, quod habetur 25 ibidem. Dum ergo Christus ad Pilatum Cesaris vicarium tamquam iudicem esset adductus, accusatus eciam ex eo quod se regem ludeorum atque filium Dei dixisset, Pilato quoque interrogante lesum : Unde es tu ? lesu autem ad hoc ei null um dante responsum, dixit Pilatus ad ipsum verba con­ sequencia et nostro proposito attinencia, quorum series talis est : Dicit ergo ei Pilatus : Mihi non loqueris ? nescis quia potestatem habeo crucifigere te et dimittere te ? Respandit ; l esus : Non haberes potestatem adversus me ullam, nisi datum esset tibi desuper. Ecce, quod lesus non negavit Pilatum habere potestatem ipsum iudicandi et in ipsum iudicium exe­ quendi ; nec dixit : hoc non pertinet de iure ad te, imo de facto 10 id facis. Sed addidit Christus hanc potestatem Pilatum ha­ bere desuper. Quomodo desuper ? Respondet Augustinus : Discamus ergo quod dixit, Christus scilicet, quod et aposto­ lum docuit, Paulum videlicet ad Romanos 1 3°. Quid ergo dixit Christus ? quid apostolum docuit ? Quia non est potestas, id 1 5 est auctoritas iurisdiccionis, nisi a Deo, quicquid sit de actu male utentis ea. Et quia plus peccat qui innocentem occiden-

1 25

J oh. 1 9,9-1 1 ; et verbindet consequentia und attinentia ; vgl. Vo.

126 Scholz 1 ?3 Anm. 2. 127 R öm . 1 3 , 1 -?.

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2;

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halb auch diese Rechtsprechung beim römischen Gesetzgeber Gemalt über Leben und Tod heißt. Das läßt sich aus Mat­ thäus Kap. 2'?1113 überzeugend beweisen ; denn wie dort in klaren Worten steht, ließ Christus sich gefangennehmen und zum P alast des Pilatus führen, des Statthalters des römischen Kaisers, und schließlich ertrug er es, daß dieser als Richter mit zwingender Gewalt ihn zur höchsten Strafe verurteilte und dazu auslieferte ; und er hat ihn nicht als unzuständig abgelehnt, mag er vielleicht auch angedeutet haben, er er­ leide ein höchst ungerechtes Gericht. Ganz bestimmt aber hätte er sich einer solchen Aburteilung und Bestrafung durch Priester. unterziehen können, wenn er das gewollt und es für unangemessen gehalten hätte, daß seine künftigen Nachfol­ ger sich den weltlichen Herrschern unterordneten und von ihnen abgeurteilt würden. Weil dieser Gedanke bei Johan­ nes im 19. Kap.12 4 eindringlicher ausgesprochen ist, darum werde ich hier anführen, was dort steht. Als nämlich Christus vor den Richterstuhl des Pilatus, des Statthalters des Kaisers, geführt worden war, auch unter der Anklage, er hätte sich K önig der Juden und Sohn Gottes genannt, und als Pilatus Jesus fragte : Woher bist du?, Jesus aber ihm darauf keine Antwort gab, sprach P ilatus zu ihm folgende Worte125, die unser Thema betreffen und lauten : Da spricht nun Pilatus zu ihm : Du redest nicht mit mir ? Weißt du nicht, daß im Macht habe, dich zu kreuzigen, und Macht habe, dich loszugeben ? ]esus antwortete : Du hättest keine Macht über mim, roäre es dir nicht gegeben von oben her . Beachte, Jesus bestritt nicht, daß Pilatus Macht habe, ihn zu richten und das Urteil gegen ihn zu vollstrecken ; und er sagte nicht : Das kommt dir von Rechts wegen nicht zu, vielmehr tust du das < nur > tatsächlich ; sondern Christus fügte hinzu, diese Macht habe Pilatus von oben her. Wieso von oben her ? Augustin126 ant­ wortet : Wir wollen also lernen, roas er gesagt hat, Christus, roas er auch den Apostel gelehrt hat, nämlich Paulus im Römerbrief im 1 3. Kap. 1 27 Was hat nun Christus gesagt ? Wa& hat er den Apostel gelehrt ? Daß es keine Gemalt gibt, d. h . Vollmacht zur Rechtsprechung, die nicht von Gott roäre, was es auch mit ihrem Mißbrauch auf sich haben mag, und daß 1 23 Matth.

27, 1 .

124 J oh.

1 9,9 ff.

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dum potestati livore tradit, quam potestas ipsa, si eum timore alterius potestatis maioris occidit. Talem quippe Deus dede­ rat illi potestatem, Pilato scilicet, ut esset eciam sub Cesaris potestate. 20 Fuit ergo iudicialis coactiva potestas Pilati supra Christi personam a Deo, sicut aperte Christus confessus est, et Au­ gustinus palam expressit. Et aperte dixit Bernardus ad archiepiscopum Senonensem epistola quadam : Cum, ut in25 quit, Romani presidis potestatem Christus super se quoque fateatur celitus ordinatam, loquens de potestate Pilati et super hunc locum scripture. Si ergo Pilati iudiciaria .potestas coactiva in Christum fuit a Deo, quanto magis et supra ipsius temporalia seu carnalia bona, si qua Christus possedisset aut 1 74 habuisset. Quod si supra Christi personam et ipsius tempora­ lia, quanto magis supra personas et temporalia omnium apo­ stolorum et suorum successorum, omnium episcoporum seu ; presbyterorum. Fuit autem hoc non solum verbo Christi monstratum, sed operis consummacione firmatum. Nam per Pilatum eundem pro tribunali sedentem lata fuit in Christum sentencia capitalis, et per ipsius auctoritatem illius execucio facta sentencie. Unde Johannis eodem habetur hec series : 1 0 Pilatus ergo cum audivisset hos sermones, adduxit foras lesum, et sedit pro tribunali; et subditur paucis interpositis : Tune ergo tradidit eis illum, Iesum scilicet, ut crucifigeretur. Fuit autem de Christo talis apostoli sentencia, dum dixit ad 1 > Galatas 3° : At ubi venit plenitudo temporis, misit Deus filium suum, factum ex m uliere, "factum sub lege•:· ; ergo et sub iudice, cuius erat iudicare atque precipere secundum Iegern, qui tarnen non erat episcopus aut sacerdos. § 1 3. Nec a se tantum Christus excludere voluit seculi prin20 cipatum seu iudicialem coactivam potestatem, verum eciam et a suis apostolis hanc exclusit, tarn ipsorum invicem, quam ad alios. Unde Matthei 20° et Luce 22° habetur hec series :

12s

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Scholz 1 ?3 Anm. 4. Scholz 1 ?4 Anm. 3.

1 3 0 Gal. 4,4. 12 9 J oh. 19,13 u . 16. Luk. 22,24-2? u . Matth. 20,25-28.

1 32

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eine sduverere Sünde b egeht, roer einen Unschuldigen der Gemalt zur Hinrichtung aus gemeinem Neid ü berliefert, als die Genmit selbst, roenn sie aus Furcht vor der höheren Ge­ malt eines anderen tötet. Eine solche Gemalt hatte ja Gott ihm, dem Pilatus, gegeben, daß er auch noch unter der Gemalt des Kaisers stand. 20 Also war die zwingende richterliche Gewalt des Pilatus üb er Christi Person von Gott, wie Christus offen bekannt, Augustin klar ausgedrückt und Bernhard 1 28 mit deutlichen Worten in einem Brief an den Erzbischof von Sens ausgespro­ chen hat : Da Christus bekennt, daß auch die Gemalt des rö25 mischen Statthalters über ihn vom Himmel bestimmt sei, als er von der Gewalt des Pilatus und über diese Schriftstelle spricht. Wenn also die zwingende richterliche Gewalt des Pilatus über Christus von Gott war, wieviel mehr auch über 1 74 seine zeitlichen oder fleischlichen Güter, falls Christus welche besessen oder gehabt hätte. Wenn aber die über Christi Per­ son und zeitliche Güter, wieviel mehr die über die Personen und zeitlichen Güter aller Apostel und ihrer Nachfolger, aller 5 Bischöfe oder Priester ! Dies wurde nicht nur durch das Wort Christi gezeigt, sondern durch das Ende des Geschehens bestätigt. Denn derselbe Pilatus, der auf dem Richterstuhl saß, fällte gegen Christus das Todesurteil und vollstreckte den Spruch kraft seiner Vollmacht. D aher heißt es bei Johan1 0 nes an demselben Ort 1 29 : Als nun Pilatus diese Worte hörte, führte er ]esus heraus und setzte sich auf den Richtstuhl. Wenige Zeilen später wird hinzugefügt : Darauf überant­ wortete er nun ihn, Jesus, denen, daß er gekreuzigt roürde. über Christus aber war die Meinung des Apostels im Ga15 laierbrief im 3. Kap. 1 30 : Aber als die Zeit erfüllet roar, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe, unter das Ge­ setz getan, also auch unter den Richter, der nach dem Gesetz Urteile zu fällen und Befehle zu geben hatte, der .fedoch nicht Bischof oder Priester war. § 13 Aber nicht nur sich selbst wollte Christus von einer zo weltlichen Herrschaft oder zwingenden richterlichen Gewalt ausschließen, sondern auch seine Apostel hat er davon aus­ geschlossen : ebenso < von Gewalt > über ihresgleichen wie über andere. Daher 1 3 1 steht bei Matthäus im 20. Kap. und bei Lukas im 22. 1 32 die folgende Stelle : Es brach aber ein Streit

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Facta est autem contencio inter eos, id est apostolos, quis eorum esset maior. Dixit autem eis, Christus scilicet : Reges 25 gencium dominantur eorum, et qui potestatem habent super eos, benefici Docantur. In Mattheo vero habetur hec clausula sie : Et qui maiores sunt, potestatem exercent in eos, DOS autem non sie. Sed qui maior est in Dobis, fiat sicut iunior, et qui precessor, sicut ministrator. Nam quis maior est, qui re­ c umbit, an qui ministrat? nonne qui recumbit? Ego autem in medio Destrum sum, sicut qui ministrat. Sed quicumque Dolu5 erit inter DOS maior fieri, sit Dester minister. Et qui Doluerit inter Dos primus esse, erit Dester serDus, sicut filius hominis non Denit ministrari, sed ministrare, id est servire in tempo­ ralihus, non dominari vel preesse. Nam in ministerio spiri­ tuali erat primus, non servus in medio apostolorum. Ubi 10 Origenes : Seifis quia principes gencium dominantur eorum, id est: non contenti tantum regere suos subditos, Diolenter eis dominari nituntur, id est per potenciam coactivam, si opor­ teat. Inter DOS autem qui estis mei, non erunt hec. Q uoniam sicut omnia carnalia in necessitate sunt posita, spiritualia 15 a zdem in Doluntate, sie et qui principes sunt spirituales, id est prelati, principatus eorum in dileccione debet esse posi­ tus, non in timore. Chrysostomus autem inter cetera dicit hec, que ad p ropositum sunt : Principes mundi ideo sunt, ut dominentur minoribus suis, et eos serDituti subiciant et ex20 polient, supple : si demeruerint, et usque ad mortem eis utan­ tur ad suam, id est principatus, utilitatem et gloriam. Princi­ pes autem ecclesie, id est prelati, fiunt, ut serDiant minoribus suis et ministrent eis, quecumque acceperunt a Christo, ut suas utilitates negligant et illorum procurent, et mori non 25 recusent pro salute inferiorum. Primaturn ergo ecclesie con­ cupiscere neque iustum, neque utile. Quis enim sapiens Dult ultro se subicere serDituti et periculo tali, ut det racionem

133 Scholz 1 ?5 Anm. 1 . 134 Scholz 1 ?5 Anm. 2.

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unter ihnen, d . h. unter den Aposteln, aus darüber, roeldwr von ihnen der Größte roäre. Er aber, Christus, sprach zu ihnen : Die Könige der Völker herrschen ü ber sie, und ihre 25 Machthaber lassen sim gnädige Herren nennen. (Bei Mat­ thäus heißt dieses Schlußstück : und die größten vergeroaltigen sie.) Ihr aber nicht also, sondern der Größte unter euch roerde roie der jüngste, und der Vornehmste roie der, der auf­ roartet. Denn roer ist größer : roer zu Tische sitzt, oder roer aufroartetP Nicht der, roer zu Tische sitzt? Im aber bin in eurer Mitte roie der, der aufroarfet. Sondern roer unter euch 5 der Größte roerden roill, der soll euer Diener sein, und roer unter eum der Erste sein roill, der soll euer Knecht sein, g[fdmroie des Menschen Sohn nicht gekommen ist, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen, d. h. Knecht zu sein im Zeit­ lichen, nicht zu h errschen oder obenan zu stehen ; denn im geistlichen Dienst war er der Erste, nicht Diener inmitten der 1 0 Apostel. Dazu sagt Origines 1 33 : Ihr roißt, daß die Fürsten der Völker herrschen über sie, d. h. nicht zufrieden, ihre Unter­ tanen nur zu regieren, streben sie danach, geroaltsam über sie zu herrschen, d. h. nötigenfalls durch zwingende Gewalt. Unter eum aber, die ihr mein seid, soll das nicht sein. Denn roie alles Fleischliche auf Notroendigkeit ber uht, alles Geist1 5 liehe aber auf dem freien Willen, so muß aum die Herrsdtaft der Ersten im Geistlichen, d. h. der höheren Geistlichkeit, auf Liebe beruhen, nicht auf Furcht. Chrysostomus134 aber sagt u. a. folgendes, was zum Thema gehört : Die Höchsten in der Welt sind dazu da, um über die Geringeren zu herrschen, sie der Knechtschaft zu unterroerfen und zahlen zu lassen, er2o gänze : wenn sie sich schuldig gemacht haben, und sie bis zum Tode zu ihrem Nutzen, d. h. dem der Regierung, und Ruhm zu gebrauchen. Die Höchsten in der Kirche aber, d. h. die Prälaten, kommen zu dieser Würde, damit sie ihren gerin­ geren < Brüdern > dienen und ihnen alles spenden, roas sie von Christus erhalten haben, damit sie ihre eigenen Vor­ teile nicht amten und die jener besorgen und den Tod nicht 25 scheuen für das Heil der Niederen. Den Primat in der K irme also zu begehren ist roeder gerecht nodt vorteilhaft. Denn roelcher Weise roill freiroillig sim der Knechtschaft aus­ setzen und einer solchen Gefahr, für die ganze Kirche Rechenschaft ablegen zu müssen ? Höchstens roer Gottes

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pro omni ecclesia ? nisi forte qui non timet Dei iudicium, abu­ tens primatu suo ecclesiastico seculariter, ita ut convertat illum in secularem. Quid ergo de secularibus iudiciis coac­ 1 76 tivis se habent intromittere sacerdotes ? non enim debent tem­ poraliter dominari, sed servire, Christi exemplo et precepto. Unde Ieronymus : Denique sui proponit exemplum, Christus 5 scilicet, ut si dicta, ipsius supple, parvipenderent, apostoli, erubescant ad opera, temporaliter dominari. Unde Origenes super illo : Et dare animam suam redempcionem pro multis, inquit sie : Ecclesiarum ergo principes imitari debent Chri­ stum accessibilem, et mulieribus loquentem, et p ueris manus 1 0 imponentem, et discipulis pedes lavantem, ut et ipsi similiter {aciant fratribus. Nos autem tales sumus, loquitur de pre­ latis sui temporis, ut eciam principum mundi excedere super­ biam videamur, vel non intelligentes vel contempnentes man­ daturn Christi, et querimus sicut reges acies precedentes et n terribiles. Quod quia hec facere, contempnere vel ignorare Christi mandatum est, primum sunt de hoc monendi prelati, quod faciemus ex hoc tractatu, ostendendo, quid ipsis auc­ toritatis conveniat ; deinde si contempserint se corrigere, zo compellendi sunt atque cogendi per seculi principes, ne mores aliorum corrumpant. Hec igitur dicta sunt super Mattheum. Super Lucam vero dicit Basilius : Decet autem et corporale obsequium ab hiis qui president of/erri, exemplo Domini la­ vantis pedes discipulorum. Dixit ergo Christus : Principes gencium dominantur eorum, 25 vos autem, scilicet apostoli, non sie. Non igitur Christus, rex regum et dominus dominancium, eis potestatem exercendi secularia principum iudicia tradidit, neque in quemquam 1 7? potestatem coactivam ; sed hanc ipsis aperte prohibuit, cum dixit : Vos autem non sie. Et idem consequenter tenendum de omnibus apostolorum successoribus, episcopis sive presby­ teris. 136 Gegensatz ist im Original wohl : dicta et o p era C h r i s t i , angekün­ digt 1 76,3 u . 4 mit exem p lum. 13 9 Scholz 1 76 Anm. 4. 138 Scholz 1 76 Anm. 3. 137 Matth. 20,28.

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Gericht nicht fürchtet und seinen kirchlichen Primat z u welt­ lichen Zwecken mißbraucht, so daß er ihn in einen weltlichen verwandelt. Was haben also die Priester sich in die weltlichen zwingenden Gerichte einzumischen ? Denn sie dürfen keine weltliche Herrschaft ausüben, sondern müssen dienen nach Christi Vorbild und Gebot. Daher sagt Hieronymus135 : End; lieh stellt er sein eigenes Vorbild hin, Christus, so daß sie, die Apostel, wenn sie die Worte, ergänze : seine Worte, gering achteten, schamrot werden müßten bei ihrem Tun 1 36 , d. h. bei weltlicher Herrschaft. über jene Stelle137 : Und zu geben sein Leben zum Lösegeld für viele, sagt daher Origines138 : Die Leiter der Kirche müssen also Christus nadwhmen, wie er zugänglich ist, mit Frauen spricht, Kindern die Hände auf1 0 legt und den Jüngern die Füße wäscht, damit sie gleid1falls ähnlich handeln an den Brüdern. Wir aber sind s o er spricht von den Prälaten seiner Zeit , daß wir offenbar selbst über den Hochmut der Fürsten hinausgehen, entweder weil wir das Gebot Christi nicht verstehen, oder weil wir es verachten, und wir verlangen wie die Könige ungestüme und machtvolle 1 5 Armeen. Weil nun dieses Tun bedeutet Christi Gebot ver­ achten oder ignorieren, so sind die höheren Geistlichen erst einmal dar an zu erinnern ; das werden wir mit dieser Ab­ handlung tun, indem wir zeigen, was ihnen an Vollmacht wirklich zukommt ; verachten sie < Unsere Mahnung > , dann müssen die weltlichen Herrscher sie drängen und zwingen, 20 sich zu bessern, damit sie nicht die Sitten anderer verderben. Soviel ist nun über Matthäus gesagt. über Lukas bemerkt Basilius139 : Es ziemt sich aber, daß, wer oben sitzt, auch körperlichen Dienst leistet nach dem Vorbild des Herrn, der den Jüngern die Füße wäscht. Christus hat also gesagt : Die Fürsten der Völker herrschen 25 über sie. Ihr aber, die Apostel, nicht also. Christus, der K önig der K önige und der Herr der Herren, hat also ihnen nicht die Gewalt, die weltlichen Gerichte der Fürsten auszuüben, gegeben und über niemand zwingende Gewalt, sondern diese hat er ihnen deutlich verboten mit den Worten : Ihr ab er nicht also. Dasselbe muß man folglich von allen Nach folgern der Apostel halten, den Bischöfen oder Priestern. -

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1as Scholz 1 76 Anm. 1 .

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Hoc est eciam, quod beatus Bernardus aperte dicebat ad ; Eugenium, De Consideracione libro 2°, capitulo 4° tractans illud Christi iam dictum : Reges geneium dominantur eorum etc. lnquit enim inter cetera : Quod habuit apostolus, Petrus videlicet, hoe dedit, solieitudinem, ut dixi, super eeclesias. Numquid dominaeionem ? Audi ipsum : 'Non dominantes, ait, 1 0 de clero, sed forma faeti gregis'. Et ne dietum sola humilitate putes, ne eeiam veritate, vox Domini est in evangelio : 'Reges geneium dominantur eorum, et qui potestatem habent super eos, benefiei voeantur'. Et infert: 'Vos autem non sie'. Pla1 5 num est, apostolis interdieitur dominatus. *I ergo tu et tibi usurpare aude aut dominus apostolatum, aut apostolieus do­ minatum. Plane ab utroque prohiberis, si utrumque simul habere voles, perdes utrumque; alioquin non te illorum n umero putes exeeptum, de quibus queritur Deus sie : 'Ipsi regnaverunt et non per me: principes extiterunt, et non eo�o gnovi eos'. �Ex adductis itaque veritatibus evangelicis ac sanetarum et aliorum approbatorum doctorum interpretacionibus ea­ rum apparere debet omnibus evidenter, Christum seipsum exclusisse seu excludere voluisse, tarn sermone quam opere, 25 ab omni principatu seu regimine, iudicio seu coactiva po­ testate mundana, ipsumque seipsum principibus et seculi potestatibus coactiva iurisdiccione voluisse subiectum. C A P ITULUM V

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D e canoniCIS a p o stolorum oraculis et exposiCioni­ bus sanctorum atque doctorum, quibus aperte con­ vincitur idem quod ex capitulo precedenti. 5

Reliquum autem et hiis habitum est ostendere, hanc ean­ dem fuisse sentenciam atque doctrinam precipuorum Christi apostolorum, Pauli quidem primum, 2a ad Timotheum 2° ip140 Scholz 1 77 Anm. 1 . 141a 1 . Petr. 5,3 :

wc; xaraxvetsvovrec; TWV xÄ�(]WV. Die Übersetzung gibt die Stelle so wied er, wie sie von Bernhard und Marsilius vielleicht verstanden worden ist. t4 tb Hosea 8,4.

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Das ist e s auch, was der selige Bernhard mit klaren Worten zu Eugenius gesagt hat über die Betrachtung B. 2, Kap. 414 0, als er jenes eben genannte Wort Christi behandelte : Die Könige der Völker herrschen über sie usw. Er sagt nämlich u. a. : Was der Apostel hatte, Petrus, das gab er : Sorge, wie ich gesagt habe, um die Gemeinden. Etwa Herrschaft? Höre ihn selbst: ,Nicht als Herren über den Klerus1ua, sondern als Vorbilder für die Herde.' Und damit du nicht glaubst, es sei a u s bloßer Demut gesagt, nicht auch im Ernst, so steht im Evan­ gelium das Wort des Herrn : ,Die Könige der Völker herr­ schen über sie, und ihre Machthaber lassen sich gnädige Herren nennen. ' Und er fährt fort : ,Ihr aber nicht also.' Es ist off�nbar : Den Aposteln wird die Herrschaft untersagt. Geh also und unterfange dich, entweder als Herrscher dir das Apostolat oder als Nachfolg er des Apostels die Herrschaft an­ zumaßen. Es ist klar : du wirst an beidem gehindert. Wenn du beides zugleich haben willst, so roirst du beides verlieren. Sonst glaube nicht, du seist aus der Zahl derer ausgenommen, über die Gott klagt: ,Sie haben als Könige geherrscht und nicht durch mich ; sie sind Fürsten gewesen, und ich habe sie nicht gekannt.'1 4tb Aus den angeführten evangelischen Wahrheiten und ihren Deutungen durch die Heiligen und andere bewährte Kirchen­ lehrer muR nun allen evident werden : Christus hat sich selbst durch Wort wie durch Tat von jeder Herrschaft oder Regierung, jedem Gericht oder jeder zwingenden weltlichen Ge­ walt ausgeschlossen oder ausschlieRen wollen und hat sich den weltlichen Herrschern und Gewalten in ihrer zwingen­ den Rechtsprechung unterordnen wollen. KA P I T E L V

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D i e k a n o n i s ch e n A u s s p rü ch e d e r A p o s t e l u n d d i e A u s l e g u n g e n d e r H e i l i g e n u n d K i r c h enl e h r e r , d u r c h di e klar dasselbe b ewiesen wird wie im vorausg e h e n d e n K ap i t e l . 5

§ 1 E s ist noch z u zeigen - und das schlieRt sich a n das Vor­ ausgehende an -, daR dies auch Meinung und Lehre der her­ vorragenden Apostel Christi war, des Paulus in erster Linie

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sum quem statuerat presbyterum seu episcopum admonentis mundanis se non immiscere negociis. Inquit enim ipse : Nemo militans Deo implicat se secularibus negociis. Ubi glossa secundum Ambrosium : Quia nemo in spiritualibus militans Deo, qui non pofest dividi duobus contrariis servis, sicut nemo pofest duobus dominis servire, implicat se secularibus t5 negociis quibuslibet. Et dixit quibuslibet, nullum excipiendo. Cum igitur negociorum omnium seculariissimum sit prin­ cipatus seu iudicium coactivum contenciosorum actuum, quoniam omnia secularia negocia seu seculares actus huma­ nos civiles ordinat et regulat, ut demonstratum est 1 5° prime, 20 ipsum maxime fugiendum p recipit apostolus ab eo, qui debet Deo militare, spiritualia scilicet ministrando, qualis esse debet episcopus et sacerdos quicumque. § 2. Haue autem quam diximus apostoli fuisse sentenciam, 25 aperit ipsius series ta ad Corinthios 6°, cum dixit : Secularia igitur iudicia si habueritis, confemptibiles qui sunt in ecclesia constituite ad iudicandum. Ibi enim loquebatur apostolus ad omnes fideles et ecclesiam propriissime dictam, secundum ultimam significacionem videlicet. Quam siquidem apostoli 30 seriem sie exponit glossa secundum Ambrosium et Augustinum : Si secularia negocia, etc. Contemptibiles, id est aliquos sapienfes, qui tamen sunt minoris meriti, supple : quam presbyteri et doctores evangelii, constituite ad iudicandum. Et redditur causa, quare non ministros evangelii : Aposfoli ; enim circueuntes talibus non vacabant. Sapientes ergo qui in locis consistebant fideles et sancti, non qui hac atque illac propter evangelium discurrebant, talium negociorum exami­ nafores esse voluit. Aliam vero causam huius assignat glossa secundum Gregorium in Moralibus, et iudicio meo recte ad

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145a 1.

Kor. 6,4 f. : -covc; N;ovfhV'Y}f.tllVOVr; iv -cfj e)(.)(.Ar)Giq., -cov-covr; )(,af}{�erc; ofJ-cwr; OV)(. lvt iv vpiv O VOctr; oo a b ? ' Und doch mürde, glaube ich, mer 25 das behaupten sollte, nicht nachmeisen, mo e;nmal ein Apostel über Menschen zu Gericht gesessen hat megen Feststellung von Grenzen oder Teilung von Land. Endlich, daß Apostel - vor Gericht gestanden haben, lese ich ; daß sie zu Gericht gesessen hätten, davon lese ich nichts. Das mird einmal so 182 sein155, aber geroesen ist es nicht. Schmälert denn dann ein Knecht seine Würde, menn er nicht größer sein mill als sein Herr, ein jünger, menn er nicht größer sein mill als der, der ihn gesandt hat, oder ein Sohn, menn er die Grenzen nicht überschreitet, die seine Väter gesetzt haben ( , Wer hat mich ; zum Richter gesetzt ?' sagt jener Meister und Herr. Und dem Knecht und dem jünger sollte Unrecht geschehen, menn er nicht über die ganze Menschheit Richter märe ? 156 Bernhard hat also gesagt, es sei unter seiner Würde, wenn ein Apostel­ Nachfolger sich ein richterliches Amt anmaße. Und folgendes fügt er weiter hinzu : Mir jedoch scheint kein g uter Beurteiler der Dinge zu sein, mer es der Apostel oder der Nachfolg er 1 0 der Apostel für unwürdig hält, menn sie über dergleichen nicht urteilen, sie, denen das Amt für das Höhere gegeben ist. Warum sollten sie es nicht verachten, über irdische Besitztümchen der Menschen zu entscheiden, sie, die in himmlischen Dingen und sogar über Engel urteilen roerden ? § 4 Der heilige Apostel gebot auch, alle sollten ohne Unter­ 15 schied, ohne jede Ausnahme, Bischof oder Priester oder Diakon, in einem zwingenden Gericht den weltlichen Rich­ tern oder Herrschern unterstehen und dürften sich ihnen nicht widersetzen, außer wenn diese etwas dem Gesetz des ewigen Heils Widersprechendes befehlen sollten. Daher sagt er im Römerbrief im 13. Kap.157 : jede Seele sei untertan den 20 höheren Gemalten ; denn es gibt keine Gemalt, die nicht von Gott märe. Was aber von Gott ist, das ist geordnet.158 Wer sich daher der Gemalt widersetzt, widersetzt sich Gottes Ordnung. Die sich roidersetzen, ziehen sidt selbst d;e 20

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Nam principes non sunt timori boni operis, sed mali. Vis au tem non timere potestatem ? Fac bonum, et habebis laudem ex illa; Dei enim minister est tibi in bonum. Si autem male feceris, time. Non enim sine causa gladium portat. Dei enim minister est, uindex in iram et qui malum agit. ldeo neces­ sitate subditi estote non solum propter iram, sed et propter 3 0 conscienciam. ldeo enim et tributa prestatis; ministri enim Dei sunt, in hoc ipsum seruientes. Reddite omnib us debita, �·cui':· tributum, tributum, cui uectigal, uectigal, cui timorem, timorem, cui honorem, honorem. 1 83 Volui autem super hec apostoli notanda verba inducere glossam secundum sanctos atque doctores catholicos, quon­ iam ex hiis que dixit apostolus et glossatores tarn aperte demonstratur propositum nostrum esse verum, ut nemo com5 posite mentis ipsis inspectis debeat ulterius dubitare. Dixit ergo apostolus : Omnis anima etc., nullam excipiendo. Ubi glossa secundum Augustinum primo et quandoque vicissim secundum Ambrosium inquit sie : Et hic ad humilitatem in­ vitat. Videbatur enim quibusdam, quod mali domini, et 10 maxime infideles, non deberent fidelibus dominari; et si boni et fideles essent, bonis et fidelibus deberent esse pares. Q uam eciam superbiam removet hic apostolus a parte superiore, id est anima, significans totum hominem. Quid enim est omnis anima, nisi omnis homo ? Q uasi dicat : 'Omnia predicta o facienda sunt, et si ita perfecti sitis in corpore Christi, tamen omnis anima s ubdita sit, id est, omnis homo subditus sit. Q uem nomine anime ideo significo, ut non solum corpore, sed et voluntate serviatis'. Omnis ergo anima subdita sit, ut eciam 20 voluntate serviat homo potestatibus secularibus, bonis vel malis, scilicet regibus, principibus, tribunis, centurionibus et aliis huiusmodi. Ecce ergo quid intellexit apostolus per potestates sublimiores, quoniam seculares principes. Tune 25

1 59 Röm. 1 3 ,4 : bcl5txor; (Gerichtsvollstrecker) slr; o(!YTJV •4> To xaxov neaaaont.

Et unverständlich, Versehen für ei, aber in allen Handschriften ; vgl. 225 , 1 2 (ei nur in H) und die Deutung 225,15-25. 160 R öm. 1 3,5 : Oto dvayx'l) vnoTaaaea{}at. 1 6 1 Scholz 183 Anm. 1 . 1 62 quonium : nämlich, s . Vo.

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Verdammnis zu. Denn die H errsmer sind nimt zum Smreck:en da für das gute Tun, sondern für das böse. Du millst aber keine Furmt haben vor der Gemalt ? Dann tue das Gute, und du mirst Lob von ihr ernten; denn sie ist Gottes Diener dir zugut. Tust du aber das Böse, so fürmte dim; denn sie trägt das Smmert nimt umsonst. Denn sie ist Gottes Diener, ein Rämer zum Zomgerimt für den159, der Böses tut. Daher sollt ihr notmendigermeise160 ihr untertan sein, nimt nur um des Zorngerimtes, sondern um des Gemissens millen: Darum nämlim leistet ihr aum Steuern ; denn es sind Gottes Diener, die gerade dazu Dienst tun. Gebt allen, mas ihr ihnen smuldig seid: mem Steuer, dem Steuer; mem Zoll, dem Zoll; mem Furmt, dem Furmt; mem Ehre, dem Ehre. Zu diesen bemerkenswerten Worten des Apostels habe ich die Glosse nach den Heiligen und den rechtgläubigen Kirchenlehrern anführen wollen ; denn durch die Worte des Apostels und der Glossatoren wird die Wahrheit unserer These so überzeugend bewiesen, daß kein Mensch mit klarem Verstande nach Kenntnisnahme dieser Stelle weiter im Zwei­ fel sein darf. Der Apostel sagte also : jede Seele usw., ohne eine Ausnahme zu machen. Dazu sagt die Glosse 1 6 1 - im An­ fang nach Augustin und manchmal im Wechsel nach Ambro­ sius : Und hier fordert er zur Demut auf. Es smien nämlim manmen, daß böse Herren und besonders Ungläubige nimt über Gläubige Herrsmaft ausüben dürften ; und menn sie gut und gläubig mären, den Guten und Gläubigen gleim­ stehen müßten. Aum diesen Rommut smließt jedom der Apostel hier a us von dem höheren Teil, d. h. der Seele, momit er den ganzen Mensmen bezeimnet. Was heißt denn ,iede Seele anderes als ,ieder Mensm ?, als menn er sagen mollte : ,Alles, mas im vorher gesagt habe, müßt ihr tun; menn ihr audL < als Glieder > am Leibe Christi nom so vollkommen seid, so sei dennom ,iede Seele untertan, d. h., jeder Mensch sei unter­ tan. Diesen bezeimne im darum mit dem Wort Seele, damit ihr eum nimt nur mit dem Körper, sondern aum mit dem Willen fügt. ' jede Seele sei also untertan, damit aum mit dem Willen der Mensm sim den meltlimen Gemalten fügt, den guten oder smlemten : den Königen, Fürsten, Trib unen, Hauptleuten und anderen Männern dieser Art. Beachte also, was der Apostel unter den höheren Gewalten verstand162 : -

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subiungit : Si enim bonus fuerit qui tibi preest, nutritor tuus est ; malus si fuerit, temptator tuus est. Et nutrimenta liben­ ter accipe, et in temptacione approbare. Esto ergo aurum et attende mundum istum, quasi fornacem aurificis. Sit ergo omnis anima subdita potestatibus sublimioribus, id est in hoc quod sublimes s unt, id est in mundanis ; vel notatur causa, 184 cum dicit sublimioribus, id est, quia sublimiores sunt. 'Non est enim' probat quod debent subici hoc modo : quia potestas omnis est a Deo. Sed, 'que a Deo sunt, ordinata sunt'; igitur potestas est a Deo ordinata, id est, quicumque habet potesta5 tem, Dei ordinacionem habet. 'ltaque qui resistit potestati, Dei ordinacioni resistit'. Et hoc est quod dicit, quasi ideo debent subici, quia non est potestas alicui homini bono vel malo, nisi a Deo data. Unde Pilato dominus ait: 'Non haberes in me potestatem, nisi datum esset tibi desuper'. Quod eciam to Bernardus ad archiepiscopum Senonensem epistola quadam repetens ait : Secularior nemo Pilato, cui Dominus astitit iudicandus. 'Non haberes, inquit, in me potestatem, nisi tibi esset data desuper'. Iam tune pro se loquebatur et in se expe­ riebatur, quod post per apostolos clamavit in ecclesiis : 'non n est potestas nisi a Deo', et 'qui resistit potestati, Dei ordina­ cioni resistit'. Et infra parum ibidem subdit : Cum Romani presidis potestatem Christus super se quoque fateatur celitus ordinatam. Et sequitur in glossa : 'Que autem s unt, a Deo ordinata sunt', id est, racionabiliter ab eo disposita sunt. 20 Itaque qui resistit vi vel dolo potestati, id est homini habenti potestatem, in hiis scilicet que ad potestatem pertinent, ut in tributo et huiusmodi, 'Dei ordinacioni resistit', id est habenti potestatem Dei ordinacione, non ergo secundum Dei ordinacionem agit. De potestate bona patet, quod eam pre­ 185 fecit Deus racionabiliter ; de mala eciam videri pofest, dum 25

1 63 Vgl. Anm. 1 58. 164

Scholz 1 84 Anm . 1 .

1 6 5 Scholz 1 84 Anm. 2.

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weltliche Herrscher. Dann fügt die Glosse hinzu : Ist nämlid1. dein Vorgesetzter gut, so ist er dein Ernährer; ist er smlemt, $0 ist er dein Versucher : Die Nahrung nimm gern an, und in der Versuchung bewähre dich. Sei also Gold und erwarte jene Welt wie den Ofen des Goldschmieds. jede Seele sei also untertan den höheren Gewalten, d. h. in dem, worin sie hohe Gewalten sind, d. h. im Weltlichen ; oder es wird der Grund angegeben, wenn er sagt: den höheren Gewalten, d. h., weil sie höher sind. , D e n n e s g i b t k e i n e ' beweist, daß sie sich im folgenden Sinne unterordnen müssen : weil alle Gewalt von Gott ist. ,Aber was von Gott ist, ist ver­ ordnet'163 ; also ist die Gewalt von Gott verordnet, d. h . , mer Gemalt hat, handelt in göttliChem Auftrage. ,W e r s i c h d a h e r d e r G e m a l t w i d e r s e t z t , m id e r s e t z t s i c h G o t t e s O r d n u ng.' Und das ist es, was Paulus meint, soviel mie : sie müssen siCh darum unterordnen, weil keinem Men schen, keinem guten oder sChlechten, Gewalt gegeben ist außer von Gott. Daher sagt der Herr zu Pilatus : ,Du hättest keine Macht über miCh, wenn sie dir niCht wäre gegeben von oben her.' Das wiederholt auch Bernhard 1 64 in einem Briefe an den Erzbischof von Sens und sagt : Weltliiher war n iemand als Pilatus, vor dessen GeriCht der Herr trat. ,Du hättest, sagt er, keine Madd über mid1., wenn sie dir niCht wäre gegeben von oben her. ' Ferner erklärte er damals für seine Person und erfuhr an sich, was er nachher durch die Apostel in den Ge­ meinden laut verkünden ließ: ,Es gibt keine Gemalt, die nid1.t von Gott wäre'; und ,wer der Gemalt siCh widersetzt, widersetzt siCh Gottes Ordnung'. Etwas weiter unten fügt er ebenda hinzu : Da Christus bekennt, die Gewalt des römischen Statthalters auCh über ihn sei vom Himmel verordnet. Es folgt in der Glosse 165 nach Augustin : ,Was aber ist, ist von Gott geordnet'1 6 3, d. h., es ist von ihm vernunftgemäß geregelt. Wer daher mit roher Kraft oder List sich der Gewalt widersetzt, d. h. einem Menschen, der Gewalt hat, in dem, was der Gemalt zusteht, z. B. in einer Steuer und dergleiChen, ,widersetzt siCh Gottes Ordnung', d. h. einem, der Gewalt hat durCh Gottes Ordnung. Er handelt also niCht naCh Gottes Ordnung. Von der guten Gewalt ist klar, daß Gott sie als Obrigkeit der Vernunft gemäß eingesetzt hat; bei der sihlemten aber kann man es audt

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von

Padua, Verteidiger des Friedens

et boni per eam purgantur et mali dampnantur, et ipsa dete­ rius precipitatur. Et nota, quod nomine potestatis interdum ipsa, que data est aliquando a Deo, 5 accipitur potestas aliquando ipse homo habens potestatem, quod diligens lector distinguat. 'Qui autem': quasi qui resistit potestati, Dei ordinacioni resistit. Hoc autem tam grave est, quod qui ei resistunt, ipsi sibi acquirunt dampnacionem. Et ideo non 1 0 debet quis, id est : non aliquis seu nullus, resistere, sed subici. Si tamen illud iubeat, quod non debes facere, hic sane con­ tempne potestatem, timendo potestatem maiorem. Ipsos hu­ manarum rerum gradus adverte. Si quid iusserit curator, numquid faciendum est, si contra proconsulem iubeat ? 15 Rursus si quid ipse proconsul iubeat, et aliud imperator iubeat, numquid dubitatur illo contempto, id est proconsule, illi, id est irnperatori, serv iendum ? Ergo si aliud imperator, aliud Deus iubeat, contempto illo, obtemperandum est Deo. Non tarnen dixit Augustinus : si aliud irnperator et aliud 20 episcopus seu papa iubeat, quod tarnen dicere debuisset, si papa iurisdiccionis gradu superior esset. Tarnen voluit Augustinus, quod si preceperit irnperator aliquid faciendum contra Iegern salutis eterne, que Dei precepturn est irnrnedia­ turn, in hoc irnperatori non esse obternperandurn ; in quo pape 25 precipienti secundurn hanc Iegern, scilicet divinarn, quamvis in hoc seculo nerninern cogere potenti neque debenti secun­ durn ipsarn, rnagis esset obternperandurn quarn irnperatori precipienti quicquarn agendurn contrariurn legi divine. Sed pape precipienti aliud secundurn suas decretales, inquanturn >o h uiusrnodi, nihil obediendurn contra irnperatoris seu legum suarum preceptum, ut hic aperte liquet, et 9° huius amplius 1 86 deducetur. Tune glossa : Q uasi merito acquirunt dampna­ cionem. Nam principes boni vel mali 'non sunt timori boni 166 Das erste al iquando ist unverständlich ; der Gegensatz zum zweiten ist interdum.

16 7 li 9, 7-9. 168 Scholz 186 Anm. 2. 169 Röm. 1 3,3 : principes

=

äexovuc; .

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sehen, roenn die Guten durch sie geläutert, die Schlechten verdammt roerden und sie selbst jählings < ins > schlimmste < Verderben > stürzt. Beamte, daß unter Gemalt bisweilen die 5 Gemalt selbst verstanden roird, die von Gott gegeben ist 1 66, manchmal der Mensch, der Gemalt hat, roas der gewissen­ hafte Leser untersmeiden möge. , W e r a b er . . .' soviel roie : Wer sich der Gemalt widersetzt, widersetzt sidt Gottes Ordnung. Das aber ist so smroerroiegend, daß die, die sich ihr widersetzen, sich selbst die Verdammnis zuziehen, und darum darf nicht jemand, d. h. nicht irgendeiner oder 1 0 keiner, sich widersetzen, sondern muß sich unterordnen. Wenn sie jedoch etroas befehlen sollte, roas du nicht tun darfst, dann allerdings veramte die Gemalt aus Furcht vor einer hi;heren Gemalt. Diese Rangstufen in den mensch­ lichen Verhältnissen beachte. Wenn etroa der Kurator etroas befiehlt, muß es getan roerden, falls es < dem Willen > des Pro­ konsuls widerspricht? Ferner, roenn der Prokonsul selbst 1 5 etroas befiehlt und etroas anderes der Kaiser befiehlt, trägt man da roohl Bedenken, jenen nicht zu beachten, d. h. den Prokonsul, und ihm, d. h. dem Kaiser, sich zu fügen ? Wenn also das eine der Kaiser, das andere Gott befiehlt, so mufl man den Kaiser niCht beachten und Gott gehorchen. Jedoch hat Augustin nicht gesagt : Wenn das eine der Kaiser und das 20 andere ein Bischof oder Papst befiehlt ; das hätte er jedoch sagen müssen, wenn der Papst eine höhere Instanz in der Rechtsprechung darstellte. Dennoch wollte Augustin, daR man, wenn der Kaiser Befehl gibt, etwas gegen das Gesetz des ewigen Heils zu tun, das unmittelbare Gebot Gottes, hier­ in dem K aiser nicht gehorchen solle. Hierin müßte man dem 25 Papst, wenn er etwas nach diesem Gesetz gebietet, dem gött­ lichen, obwohl er in dieser Welt niemand zwingen kann oder darf, < nach ihm > zu handeln, mehr gehorchen als dem Kaiser, wenn dieser einen dem göttlichen Gesetz widersprechenden Befehl gibt. Aber wenn der Papst etwas anderes nach seinen Dekretalen als solches gebietet, so darf man ihm gegen des 30 Kaisers oder seiner Gesetze Anordnung keineswegs gehor1 86 chen, wie hier ganz klar ist und II 9 1 67 noch ausführlicher abgeleitet werden soll. Dann sagt die Glosse1 68 : Sozusagen mit Recht ziehen sie sich die Verdammnis zu. Denn Herr­ smer169, ob gut oder schlecht, ,sind nicht zum Schrecken da für

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

operis, sed mali', id est : non sunt ad timorem hiis qui bene operantur, sed hiis qui male. Si enim bonus est princeps, bene operantem non punit, sed diligit; si vero malus, non nocet bono, sed purgat eum. Malus vero debet timere, quia instituti sunt principes, ut mala p uniant. Principes dicit illos, qui propter corrigendam vitam et prohibenda adversa creantur, 1 0 Dei habenies imaginem, ut ceteri sub uno sint. 'V is autem' : quasi male operantibus sunt timori. Tu autem vis 'non timere potestatem', quecumque sit, sive bona, sive mala ? 'Fac bo­ num', et non est, unde timeas, imo 'habebis laudem ex illa', 1 5 eciam si mala erit, dum tibi causa est maioris corone. Si autem iusta est potestas, 'habebis laudem ex illa', eciam ipsa lau­ dante; si iniqua est, 'habebis laudem ex illa', non ipsa laudante, sed ipsa tibi laudis occasionem prebente, vere ex illa habebis laudem. 'Dei enim minister est tibi in bonum', id est, tibi est faciens bonum, sive bonus sive malus sit, quia 20 exercet vel quia tibi datus est a Deo in bonum tuum, ut tueatur te et tua. Manifestum est enim, quod ideo dati sunt a Deo rectores, ne malum fiat bonis. 'Si autem ' : quasi bono, non est timendum; 'si autem malefeceris, time', et timendum est enim, id est, quia 'portat gladium', id est, habet iudicia25 riam potestatem, 'non sine causa', sed ut malos puniat. Et hoc ostendit subdens : 'Dei enim minister est', id est, loco Dei vin18'7 dicat. lpse dico existens 'vindex in iram' Dei, [id est] propter offensam Dei vindicandam, vel 'vindex in iram' Dei, id est futuram ostendendam, id est propter vindictam Dei futuram ostendendam, quia hec punicio iudicat persistentes in malo, 5 gravius puniendos. Dico quod vindex est, et hoc 'ei', id est ad dampnum eius et correpcionem, 'qui malum agit' et quia 5

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Im Anschluß an minister geht der Text ins Maskulinum über.

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das gute Tun, sondern für das böse', d. h., sie sind nicht da, um denen Furcht zu machen, die gut, sondern denen, die schlecht handeln. Wenn nämlidt der Herrscher gut ist, so straft er den nicht, der gut handelt, sondern liebt ihn. Wenn er aber böse ist, so sdtadet er dem Guten nicht, sondern läu­ tert ihn. Der SchleChte aber muß siCh fürChten, meil die Herr­ sCher eingesetzt sind, um das Böse zu strafen. Mit HerrsChern meint er die, die zur Besserung der Lebensführung und zur Verhinderung des Gegenteils gemählt merden, sie, die ein 1 0 Abbild Gottes darstellen, damit die übrigen unter e i n e m stehen. ,D u m i l l s t a b e r . . . ' ist soviel mie : für die, die sChleCht handeln, sind sie zu fürChten. Du aber millst ,keine FurCht haben vor der Gemalt', melChe auCh immer sie sei, ob gut oder sChleCht? Tu d a s G u t e . . . und es gibt keinen Grund zur FurCht, vielmehr ,mirst du Lob von ihr ernten', auCh menn 1 5 sie sChleCht ist, da sie dann dir UrsaChe für eine höhere Aus­ zeiChnung ist. Ist aber die Gemalt gereCht, ,so mirst du Lob von ihr ernten', mobei sie auCh selbst diCh lobt; ist sie unge­ reCht, ,so mirst du Lob von ihr ernten', obmohl sie selbst diCh niCht lobt; aber da sie dir Gelegenheit zum Lob bietet, mirst du tatsäChliCh von ihr Lob ernten. ,Denn sie ist Gottes Dienerin dir zugute', d. h., er170 tut dir Gutes, mag er gut oder sChleCht 20 sein, meil er die Gemalt ausübt oder meil er dir von Gott zu deinem Besten gegeben ist, um diCh und das Deine zu sChützen. Offenbar sind nämliCh HerrsCher darum von Gott gegeben, damit den Guten niChts Böses gesChieht. ,We n n a b e r . . .' ist soviel mie : der Gute brauCht siCh niCht zu fürChten; ,menn du aber Böses tust, so fürChte diCh', und fürChten mußt du diCh ja, d. h., meil er ,das SChmert trägt', d. h. eine riChterliChe Geumsonst', sondern um die SChleChten zu 25 malt hat, ,niCht strafen. Und das bemeist Paulus, indem er hinzufügt : ,denn sie ist Gottes Dienerin', d . h . , a n Gottes Stelle ü b t e r Vergeltung : Er, sage iCh, meil er ,RäCher zum ZorngeriCht Gottes ist, d. h. um die Beleidigung Gottes zu räChen, oder meil er ,RäCher für das ZorngeriCht' Gottes ist, d. h. um den künftigen Zorn Gottes zu zeigen, d. h. um die künftige RaChe Gottes zu zeigen, meil diese Bestrafung die, die im Bösen beharren, mit 5 sChmererer Strafe trifft. ICh sage, er ist RäCher, und zmar für ,ihn', d. h. um ihn zu verbessern und zu strafen, ,der Böses tut', und meil er Gottes Diener ist. ,Darum 5

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est minister Dei. 'ldeoque subditi estote' ei, quasi ex neces­ sitate vel necessitati, id est, necessarie ordinacioni subditi estote. Et hoc 'non solum propter iram' principis vel Dei 1 0 vitandam, sed et propter conscienciam, scilicet, ut munda sit vestra mens, prelatum a Deo, id est eum qui sie preest per Dei ordinacionem, diligendo. Licet enim omnes fideles, in­ quantum fideles sunt, unum sint in Christo, in cuius fide non 1 5 est distancia, Iudei, Greci, domini et servi, et huiusmodi, dif­ ferencia tarnen est in conversacione mortali, et eius ordinem in huius vite itinere servandum esse apostoli precipiunt. Alia sunt enim que servamus in unitate fidei sine ulla distancia, et alia in ordine huius vite tamquam in via, ne nomen Domini 20 et doctrina blasphemetur. 'ldeo enim' hec est probacio subieccionis, quare subditi esse debetis, quia et ideo ad osten­ dendam subieccionem 'prestatis trib uta', quod est signum subieccionis. Non ait : solvitis, sed prestatis quasi reddituris, quia reddunt serviendo in defensione, dum pugnant pro 25 patria, et dum agunt iudicia. 'Prestatis tributa', vos dico, 'servientes' Deo 'in hoc ipsum', id est, per hoc ipsum servitis Deo, quod illis tributa datis. Vere per hoc servitis Deo ; ministri enim sunt Dei, ad hoc enim instituti sunt, ut boni 1 88 laudentur, mali puniantur. Vel ita : ministri enim, quare debetis prestare tributa, quia 'ministri Dei sunt', ipsi dico 'servientes' vobis, dum patriam defendunt, 'in hoc ipsum', id est propter hoc, scilicet propter tributum serviunt vobis in defensione patrie, et quia ministri Dei sunt. 5 § 5. Ex hac itaque apostoli serie ac sanetarum exposicioni­ bus preinductis, non volenti nomen et doctrinam Domini blasphemari tamquam iniustam et contra civiles leges pre-

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3'3 ?

sollt ihr ihm untertan sein' gleichsam aus Notwendigkeit; oder der Notwendigkeit, d. h. einer notwendigen Ordnung, sollt ihr untertan sein; und das ,nicht nur, um das Zomt o gerimt' des Herrschers oder Gottes zu meiden, sondern aum um des Gewissens willen, nämlich damit euer Herz rein sei, in Liebe zu dem von Gott höher Gestellten, d. h. zu dem. d er durch Gottes Ordnung eine solche höhere Stelle hat. Denn mögen alle Gläubigen als Gläubige in Christus eins sein - im Glauben an ihn gibt es ja keinen Unterschied, mögen sie 15 Juden, Griechen, Herren und Knechte und dergleichen sein -, so gibt es doch eine V ersmiedenheit im Ver kehr der Men­ smen untereinander, und daß dessen Ordnung auf dem Wege dieses Lebens gewahrt werden soll, gebieten die Apostel. Was wir nämlich in der Einheit des Glaubens ohne .ieden Untersmied befolgen, ist etwas anderes als was wir in der Ordnung dieses Lebens gleichsam unterwegs befolgen, damit der Name des Herm und seine Lehre nicht 20 gelästert werden. ,D a r u m n ä m l i c h . . .', das ist die Begründung für die Unterordnung, weshalb ihr unter­ geordnet sein müßt, daß ihr auch darum, um die Unter­ ordnung zu zeigen, ,Steuern leistet', was das Zeichen der Unterordnung i s t. Er sagt nicht: Ihr zahlt, sondern: Ihr leistet, sozusagen für eine Gegenleistung, weil sie eine Gegenleistung liefern, indem sie bei der Verteidigung Dienste leisten, wen n sie für das Vaterland kämpfen und Gerimt halten. ,Ihr leistet Steuern', euch meine im, die ihr Gott 25 ,gerade dafür dient', d. h., gerade dadurch dient ihr Gott, daß ihr ihnen Steuern gebt. In Wirklichkeit dient ihr da­ durch Gott; denn sie sind Diener Gottes; dazu nämlich sind sie eingesetzt, daß die Guten gelobt, die Smlemten bestraft werden. Oder so : Denn die Diener - derentwegen ihr 1 88 Steuern entrichten müßt, weil sie ,Diener Gottes sind' -, sie eben, sag ich, ,dienen' eudt, indem sie das Vaterland vertei­ digen, ,gerade dazu', d. h. deswegen, nämlich wegen der Steuer, in der Verteidigung des Vaterlandes und weil sie Diener Gottes sind. § 5 Auf Grund dieser Stelle des Apostels und der eben 5 angeführten Auslegungen der Heiligen nun muß jeder, der den Namen und die Lehre des Herrn nicht lästern lassen will, als sei sie ungerecht und predige gegen die staatlichen

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dicantem, ut dicit hic glossa Augustini et 1a ad Timotheum 6°, absque dubitacione aliqua tenendum est, omnes homines, cuiuscumque status aut condicionis existant, realiter et per­ sonaliter subesse debere iurisdiccioni principum seculi et eisdem obedire in hiis omnibus, que non contradicunt legi salutis eterne, secundum humanas Ieges maxime aut con1 5 suetudines honestas et approbatas ; de hiis enim loquitur apo­ stolus aperte, cum dicit : Omnis anima subdita sit etc., et quod non sine causa gladium portant, et reliqua que de ipsis protulit, tarn patrie defensione, quam tributorum eisdem exhibicione secundum sanetarum exposiciones. Hec autem 20 nusquam de quoquam episcopo seu presbytero dixit aposto­ lus. Nam domini, quibus in iurisdiccione coactiva obedire tenemur, sunt qui per armatam potenciam defendere debent patriam, quod nullo modo convenit episcopo aut presbytero. Unde beatus Ambrosius ad Valentinianum, epistola 2a, que 25 intitulatur Ad Plebem, sie inquit : Dolere potero, fiere potero, gemere potero; adversus arma, milites Gothosque, lacrime mee arma mea sunt: talia enim munimenta sunt sacerdotis ; aliter nec de b eo nec possum resistere. Rursum domini tales, quibus sie obedire tenemur, possent esse infideles, ut dixit glossa circa principium ; tales autem non sunt nec esse pos­ sunt episcopi. Et ideo palam omnibus, quod de presbyteris seu episcopis non loquebatur apostolus, imo de regibus et ; principibus, sicut dicebat Augustinus. Ab hac subieccione eciam neminem apostolus excipit, cum dixit : Omnis anima. Si ergo resistentes huiusmodi potestatibus, eciam infidelibus et malis, sibi dampnacionem eternam acquirunt, quanto magis indignacionem omnipotentis Dei et huius apostoli 10 Pauli atque Petri acquirunt sibi, qui hac Dei et horum apo­ stolorum contempta doctrina dudum turbaverunt et turbant continuo fideles reges et principes et maxime ac inexcusabi10

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111 1. Tim . 6,1 . 1 12 Scholz 1 88 Anm. 2.

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Gesetze, wie hier die Glosse aus Augustirr sagt und der 1. Brief an Timotheus Kap. 61 7 1 muß jeder ohne irgendein Bedenken festhalten : Alle Menschen, welches Standes oder Ranges auch immer, müssen in Gut und Person der Rechtsprechung der weltlichen Herrscher unterstehen und ihnen gehorchen in all dem, was dem Gesetz des ewigen Heils nicht widerspricht, besonders wenn sie sich nach den menschlichen Gesetzen oder den guten und erprobten Ge wohnheitsrechten richten. Von den < Herrschern > nämlich spricht der Apostel mit klaren Worten, wenn er sagt : jede Seele sei untertan usw. und sie tragen das Schwert nicht umsonst, und in dem, was er sonst über sie vorgebracht hat, über die Ver­ teidigung des Vaterlandes wie die Entrichtung der Steuern an sie, wie die Heiligen seine Worte auslegen. Dies aber hat der Apostel nirgends von irgendeinem Bischof oder Priester gesagt. Denn die Herren, denen wir bei der zwingenden Rerutsprechung zu gehormen verpflichtet sind, sind die, die mit bewaffneter Macht das Vaterland verteidigen müssen, und das kommt in keiner Weise einem Bischof oder Priester zu. Daher sagt der selige Ambrosius An V alentinian im 2. Brief, der den Titel trägt An das Volk 1 72 : Trauern werde ich können, weinen werde ich können, seufzen werde ich können ; gegen die Waffen, die Soldaten und die Goten sind meine Tränen meine Waffen ; denn solches sind die Bollwerke des Priesters; anders darf ich weder noch kann ich Wider­ stand leisten. Ferner, solche Herrsch er, denen wir in dieser Weise zu gehorchen verpflichtet sind, könnten Ungläubige sein, wie die Glosse im Anfang gesagt hat ; solche aber sind die Bischöfe nicht und können es nicht sein. Darum ist allen offenbar, daß der Apostel nicht von den Priestern oder Bischöfen gesprochen hat, vielmehr von den Königen und Fürsten, wie Augustirr sagte. Von dieser Unterordnung nimmt der Apostel auch niemand aus bei den Worten : jede Seele . . . Wenn also schon, wer sich derartigen Gewalten widersetzt, selbst ungläubigen und bösen, sich die ewige Ver­ dammnis zuzieht, wieviel mehr zieht sich den Unwillen des allmächtigen Gottes und des Apostels Paulus und des Petrus zu, wer diese Lehre Gottes und dieser Apostel verachtet und die gläubigen K önige und Fürsten, besonders und in unentsChuldbarer Weise den Herrscher der R ömer schon -

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Iiter principern Rornanorurn. Principes enirn ministri Dei sunt, ut dixit apostolus, nec dixit : rninistri nostri sunt, vel 1 5 Cephe aut alterins apostoli ; et ideo nec in iudicio coactivo subiecti alicui episcopo vel presbytero, sed rnagis e converso. Quod eciarn glossa secundurn Augustinurn explicavit, durn dixit : Ergo si aliud imperator, aliud Deus iubeat etc., nullurn episcopurn aut archiepiscopurn vel patriarcharn norninando 20 in talibus iurisdiccionibus, quod tarnen fecisset aut facere debuisset, si Christus rex regurn et dorninus dorninanciurn hanc potestatern sibi concessisset super irnperatorern, ut ipsi fabulantur in suis decretalibus, que secun durn veritatern nihil aliud sunt, quarn ordinaciones quedarn oligarchice, 25 quibus in nullo tenentur obedire Christi fideles, inquanturn huiusrnodi, quernadrnodurn ex 1 2° prirne dernonstraturn est et in consequentibus specialins apparehit. § 6. Non tarnen ex hiis dicere volurnus, quin doctori seu ;o pastori ecclesiastico debeatur reverencia et obediencia in hiis 1 90 que praecipit seu docet observanda secundurn Iegern evan­ gelicarn, non aliter aut in contrariurn, ut Matthei 23° et per leronyrnurn ibidern satis apparet. Quarnvis eciarn ipse ad taliurn observacionern nerninern debeat nec possit arcere in 5 hoc seculo, pena vel sripplicio quoquarn reali vel personali ; quoniarn talern potestatern arcendi et dorninandi cuiquarn in hoc seculo sibi ex evangelica scriptura concessarn non legirnus, sed pocius interdietarn consilio vel precepto, ut ex hoc et precedente capitulo liquet. Talis enirn potestas in hoc t o seculo datur a legibus seu legislatoribus hurnanis, que eciam data episcopo vel presbytero ad cornpellendurn hornines in hiis que sunt divine legis inutilis esset. Narn coactis nihil tale profleeret ad eternarn salutern. Et hec palarn fuit rnens

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I 12, 3 u . II 28, 29. Matth. 23,3. 176 Scholz 1 90 Anm. 1 . 1 75

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seit langem < in der Regierungstätigkeib gestört hat und noch stört. Denn die Herrscher sind Gottes Diener, wie der Apostel gesagt hat ; und er hat nicht gesagt : Sie sind unsere 15 Diener oder des Kephas oder eines anderen Apostels ; und darum sind sie auch nicht in einem zwingenden Gericht einem Bischof oder Priester untergeordnet, sondern v i e l ­ mehr umgekehrt. Das hat auch die Glosse nach Augustin erklärt mit den Worten : Wenn also das eine der Kaiser, das andere Gott befiehlt usw., wobei sie keinen Bischof oder Erz20 bischof oder Patriarchen als Träger solcher Rechtsprechungen nannte ; das hätte sie jedoch getan oder tun müssen, wenn Christus, der K önig der Könige und der Herr der Herren, diese Gewalt über den Kaiser sich zugesprochen hätte, wie jene in ihren Dekretalen fabeln, die in Wahrheit nichts an­ deres sind als Anordnungen eines kleinen Klüngels 1 73, denen 25 die Christusgläubigen als solche in gar nichts zum Gehorsam verpflichtet sind, wie I 1 2174 nachgewiesen worden ist und im folgenden mehr im einzelnen klarwerden wird. § 6 Doch wollen wir damit nicht behaupten, dem Lehrer 3 o oder Hirten der Kirche schulde man nicht Ehrerbietung und Gehorsam in dem, was er nach dem evangelischen Gesetz gebietet oder lehrt ; < wir denken darüber > nicht anders oder gar entgegengesetzt, als es aus Matthäus Kap. 23 1 75 und aus des Hieronymus Glosse176 zu dieser Stelle sich klar genug er­ gibt ; indessen kann und darf ein Lehrer oder Hirt der Kirche, um die Befolgung solcher < Gebote > < zu erzwingen > , niemand 5 in dieser Welt mit irgendeiner Geldbuße oder persönlichen Strafe1 77 treffen ; denn daß eine solche Gewalt, zu strafen und über jemand Herrschaft auszuüben, ihm in dieser Welt auf Grund der Heiligen Schrift überlassen sei, davon lesen wir nichts, sondern vielmehr, daß sie ihm durch Rat oder Gebot untersagt ist, wie aus diesem und dem voraus­ gehenden Kapitel deutlich hervorgeht. Denn eine solche Ge10 walt geben in dieser Welt die Gesetze oder die menschlichen Gesetzgeber ; wäre diese aber auch einem Bischof oder Priester gegeben, um die Menschen zu nötigen in dem, was Forderungen des göttlichen Gesetzes sind, so wäre sie zwecklos. Denn unter Zwang würde dergleichen niemandem etwas zum ewigen Heil nützen. Dies war offenbar der

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M arsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

apostoli 2a ad Corinthios 1 °, cum dixit : Ego autem festem Deum invoco in animam meam, quod parcens vobis non veni ultra Corinthum; non quia dominamur fidei vestre, sed adiutores sumus gaudii vestri. Nam fide statis. Ubi glossa secund um Ambrosium : 'Ego invoco Deum festem' non solum contra corpus, sed eciam 'in', id est contra 'animam meam', si mencior 20 de quo loquor : 'quod non veni Corinthum ultra', id est, post­ quam a vobis discessi. Et hoc feci 'parcens vobis', scilicet ne contristarem multos aspere corripiendo, in quo pepercit eis, ne eo asperiore ':· verterentur'} in sedicionem. Vult ergo eos prius mitigari, et ideo non ex levitate vel carnali cogitacione non 25 implevit que disposuit. Spiritualis enim tune dispositum non implet, quando aliquid ad salutem providencius meditatur. Et ne indignentur quasi de dominio, eo quod dixerat 'parcens vobis non veni', subdit : non ideo dico parcens, 'quia domi­ nemur fidei vestre', id est, quia dominium et coaccionem 5 paciatur fides vestra, que voluntatis est, non necessitatis. Sed ideo dico, 'quia adiutores sumus', si vultis cooperari, 'gaudii vestri' eterni, vel gaudii emendacionis vestre, quia gaudent emendati. Bene dixi fidei vestre, nam 'fide' que per dileccionem operatur 'statis', non dominio. Hanc eandem sen1 0 tenciam ex verbis apo.s toli supradictis accepit, et omnibus evidenter expressit beatus Iohannes Chrysostomus in suo libro Dialogorum, qui eciam De Dignitate Sacerdotali in­ titulatur, libro 2°, capitulo 3° ; inquit enim ibidem, postquam induxerat illud apostoli : Non dominamur fidei vestre, sed 1 5 adiutores sum us etc. : Hii qui foris sunt iudices, seculares scilicet, malignos quosque cum subdiderint, ostenduni in eis plurimam potestatem, et invitos eos a priorum morum pra15

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1 78 2. Kor. 1 ,23. 1 79 Scholz 190 Anm. 3. 180 Scholz 191 Anm. 1 .

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Gedanke des Apostels im 2. K orintherbrief im 1 . Kap. 1 78, als er sagte : Ich aber rufe Gott zum Zeugen an wider 15 meine Seele, daß ich aus Schonung für euch nicht wieder nach Karinth gekommen bin ; nicht daß wir Herren über euren Glauben wären, nein, wir sind Mitarbeiter an eurer Freude ; denn ihr steht fest im Glauben. Dazu sagt die Glosse naCh Ambrosius 1 79 : ,Ich rufe Gott zum Zeugen an', nid-d nur gegen den Körper, sondern auch ,wider', d. h. gegen ,meine Seele', wenn ich lüge in dem, wovon ich spreche: ,daß ich nicht 20 wieder nach Karinth gekommen bin', d. h. nachdem ich euch verlassen habe. Und das habe ich ,aus Schonung für euch' getan, nämlich um nicht viele durch harten Tadel zu betrü­ ben; damit hat er sie verschont, daß sie nicht, wenn er zu hart wäre, sich empörten. Er will also, daß sie sich erst beruhigen, und darum hat er nicht etwa aus Leichtsinn oder einem fleischlichen Gedanken nicht durchgeführt, was er geplant 25 hat. Denn ein geistlicher Mensch führt dann seinen Plan nicht 191 durch, wenn er etwas für das Heil Vorsorglicheres im Sinne hat. Damit sie nicht unwillig werden, wie wenn er sich als ihren Herrn aufspielte mit dem Satz : ,Aus Schonung für euch b in ich nicht gekommen', fügt er hinzu: Nicht darum sage ich : aus Schonung, ,weil wir Herren über eueren Glauben wären', d. h. weil euer Glaube Herrschaft und Zwang erführe, 5 der doch eine Sache des freien Willens ist, nicht des Zwangs; sondern darum sage ich es, ,weil wir Mitarbeiter sind', wenn ihr mithelfen wollt, ,an euerer Freude', der ewigen, oder an der Freude über euere Vervollkommnung, denn voll Freude ist, wer sich vervollkommnet hat. Gesegnet habe ich eueren Glauben ; denn ,im Glauben', der aus Liebe handelt, ,steht ihr fest', nicht in der Herrschaft. Diese seihe Meinung hat 1 0 aus den oben angeführten Worten des Apostels der selige J ohannes Chrysostomus entnommen und für alle über­ zeugend in seinem BuChe Dialoge, das auch den Titel trägt Von der priesterlichen Würde, B. 2 Kap. 3 180 , zum Ausdruck gebracht. Er sagt nämlich dort, nachdem er jenes Wort des Apostels angeführt hat : Wir sind nicht Herren über euren 15 Glauben, sondern Mitarbeiter usw. : Wenn die, die draußen Richter sind, die , weltlichen', alle Bösewichte gebändigt haben, dann zeigen sie an ihnen ihre höchste Gewalt und bringen sie durch Zwang wider ihren Willen von der Schlechtigkeit

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

vitate compescunt. In ecclesia vero 'fnon* coactum, sed adquiescentem oportet ad meliora converti, quia nec nobis a 20 legibus data est talis potestas, ut auctoritate sentencie cohibeamus homines a delictis. Et loquitur in persona om­ nium saeerdotum, assignans primam eausam iam dictam, quare seilieet neminem eogere possint, quia eoactivam in hoe seeulo euiusquam auctoritatem non habent, eo quod a legi25 b us, id est legislatoribus, eis data non erat illis temporibus 'fvel in locis illis sive provineiis':· . Tune aliam eausam assignans subiungit : Nec si data esset, talis potestas seilieet, haberemus, 1 92 nos videlieet episeopi seu presbyteri, ubi excerceremus eiusmodi potestatem, cum Deus noster, Christus seilieet, non necessitate, id est violeneia, submotos a peccato, sed propria sese sponte abstinentes remuneraturus sit. § '7 . Nee tarnen ex hiis dieere volumus ineonveniens esse 5 eoereeri heretieos aut aliter infideles, sed auctoritatem hane, ':· si lieeat hoe fieri\ esse solius legislatoris humani. Non igitur eonvenit saeerdoti vel episeopo euiquam eoactiva potestas, sed debent tarn ipsi quam alii seeularibus 1 0 iudieibu s in hae subesse, quemadmodum dieturn est. Unde rursum apostolus 1a ad Timotheum 2° dixit : Obsecro igitur primum omnium fieri obsecraciones, oraciones, postula­ ciones, graciarum acciones pro omnibus hominibus, pro regibus et omnibus qui in sublimitate sunt, ut quietam et 1 5 tranquillam vitam agamus. Ubi glossa : Timotheo hec verba dirigens, in illo omni ecclesie formam tradidit. Et tune seeun­ dum Augustinum subiungit : 'Pro omnibus hominibus', id est pro hominibus omnis generis, et specialiter 'pro regibus', etsi mali sint, et pro 'omnibus qui in sublimitate 'constituti' zo sunt, ut ducibus et comitibus, etsi mali sint; eum tarnen inter positos in sublimitate seu iudiciaria tali potestate nusquam apostolus aut Augustinus episeopum aut presbyterum ali­ quem nominet, sed solummodo prineipes seeulares. Quare 1 82 1 . Tim. 2,1-2. 1 8 1 Ausdruck von Toleranz ; vgl. 292,1 1 . 1 8 4 Scholz 192 Anm. 2. 1 83 ndvrwv 'TWV ev vnteoxfi önwv. 1 8 5 Scholz 192 Anm. 3. 186 Scholz 1 92 Anm. 4.

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des früheren Lebenswandels ab. In der KinJw aber muß man nimt unter Zwang, sondern in Ruhe zum Besseren bekehrt werden, denn die Gesetze haben uns keine solme Gemalt 20 g egeben, daß mir durm die Mamtvollkommenheit unseres Sprums die Mensmen von Vergehen abhalten könnten. Er spricht im Namen aller Priester, wenn er als erste Ursache die schon genannte feststellt, warum sie niemand zwingen könnten : daR sie in dieser Welt keine zwingende Macht� vollkommenheit über jemand haben, weil sie ihnen die 25 Gesetze, d. h. die Gesetzgeber, in jenen Zeiten oder in jenen Orten oder Provinzen nicht gegeben hatten. Dann stellt er einen zweiten Grund fest und fügt hinzu : Nom hätten mir, wir Bischöfe oder P riester, Gelegenheit, eine derartige Ge­ 1 92 malt auszuüben, roenn sie < uns > gegeben roäre, eine solche Gewalt ; denn unser Gott, Christus, roird nimt die, die mit Zwang, d. h. mit Gewalt, von der Sünde ferngehalten morden sind, sondern nur die, die aus eigenem freien Willen sim von ihr frei mamen, besmenken. § 7 Wir wollen damit aber auch nicht sagen, es sei un� 5 berechtigt, Ketzer oder sonst Ungläubige zu bestrafen, son� dern, wenn das erlaubt sein sollte18t, sei dafür allein der menschliche Gesetzgeber zuständig. K einem Priester oder Bischof kommt also eine zwingende Gewalt zu, sondern, wie gesagt, müssen sie darin wie die 1 0 anderen den weltlichen Richtern unterstehen. Darum hat ferner der Apostel im 1 . Brief an Timotheus im 2. Kap.182 gesagt : Im mahne also zuallererst, zu tun Bitten, Gebete, Fürbitten, Danksagungen für alle Mensmen, für die Könige und alle, die in einem hohen Amte sind183, damit mir ein stilles 1 5 und ruhiges Leben führen mögen. Dazu bemerkt die Glosse184 : Als er diese Worte an Timotheus rimtete, hat er in ihm der ganzen Kirme ein Beispiel gegeben. Dann fügt sie nach Augustin185 hinzu : ,Für alle Mensmen', d. h. für Men­ smen jeder Art und besonders ,für Könige', roenn sie aum smlemt sind, und für ,alle, die in ein hohes Amt ,gesetzt' 20 sind', roie für die Herzöge und Grafen, roenn sie aum smlemt sind, wobei jedoch der Apostel oder Augustirr unter denen, die mit einem h ohen Amt oder einer solchen richterlichen Gewalt betraut sind, nirgends einen Bischof oder Priester nennt, sondern immer nur die weltlichen Herrscher. 18 6

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autem, inquit Augustinus, pro regibus et sublimibus eciam malis orari velit, reddit causam, apostolus scilicet, subdens, quia hoc nobis proderit, 'ut quietam vitam agamus' a persecucione, 'et tranquillam', id est sine inquietacione aliqua. Ecce testimonium eius quod diximus ultimo prime, videlicet quod causa tranquillitatis factiva et conservativa est accio principantis debita, non impedita. Tune subiungit Augusti5 nus, quod est valde ad propositum, dicens : Ideo apostolus ammonuit ecclesiam orare pro regibus et omnibus sublimi­ b us, eodem spiritu sancto afflatus quo et leremias, qui misit epistolam Iudeis, qui erant in Babilone, ut orarent pro vita regis Nabugodonosor filiorumque eius, et pro pace civitatis, 10 inquiens : 'quia in pace illorum erit pax vestra'. Hoc autem figurale significabat ecclesiam in omnibus sanctis suis, qui sunt cives celestis Ierusalem, servituram sub regibus huius seculi. Ideoque apostolus eam monet pro eis orare, ut quie­ tam agant vitam. Ecce indubie '�apostoli* atque Augustini t5 fuisse sentenciam, quod ecclesia seu Christi fideles omnes subesse debeant principibus seculi, maxime fidelibus, et ipsorum obedire preceptis, non contrariis legi salutis eterne. Quod si apostolns intellexisset, episcopos seu presbyteros principari debere ac homines realiter et personaliter coactivo 20 iudicare iudicio in statu et pro statu vite presentis, dixisset Timotheo, quem episcopum constituerat : Obsecro etc. pro regib us et episcopis omnibus, qui in sublimitate sunt. § 8. Amplius ad Titum 3° dicebat apostolus : Admone illos, 25 quibus predicas scilicet, subditos esse principibus et potesta­ tibus. Nec dixit apostolus : admone seculares tantum ; nec rursum dixit : admone illos subditos esse nobis et principibu s. Bene enim novit apostolus, quod nec ipse vel alii presbyteri 25

193

t8 7 I 1 9, 3. 1 88 Scholz 1 93 18 9 Tit. 3 , 1 .

Anm. 2.

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14 7

Weshalb er aber, sagt Augustin, für die Könige und die Hochstehenden, auch die schlechten, gebetet haben will, dafür gibt er den Grund an, der Apostel, wenn er hinzufügt: weil das uns nützen wird, ,damit wir ein stilles Leben führen', von Verfolgung ,und ein ruhiges', d. h. ohne irgendwelche 1 93 Beunruhigung. Da haben wir ein Zeugnis für das, was wir im letzten K ap. des ersten Teils187 gesagt haben, daß die Ursache, die die Ruhe schafft und erhält, die ordnungsgemäße ungestörte Tätigkeit des Herrschers ist. Dann fügt ; Augustin 1 88 hinzu, was eng zum Thema gehört : Darum hat der Apostel die Gemeinde ermahnt, für die Könige und alle Hachgestellten zu beten, wobei er von demselben heiligen Geist erfüllt war wie ]eremias, der an die Juden in Babyion einen Brief sandte, sie sollten für das Leben des Königs Nebu­ kadnezar und seiner Söhne und für den Frieden des Staates 1 0 beten, und hinzufügte : ,weil in deren Frieden euer Friede ruhen wird'. Damit aber bezeichnete er bildlich, daß die Kirche in allen ihren Heiligen, die Bürger des himmlischen ]erusalems sind, unter den Königen dieser Welt dienen soll. Daher mahnt der Apostel die Kirche, für die Könige zu beten, damit man ein ruhiges Leben führe. Beachte, es war un­ zweifelhaft des Apostels und Augustins Meinung, daß die 15 K irche oder die Christusgläubigen alle den weltlichen Herr­ schern untertan sein sollten, besonders den gläubigen, und ihren Anordnungen gehorchen sollten, soweit diese nicht dem Gesetz des ewigen Heils widersprächen. Wenn aber der Apostel < den Satz > dahin verstanden hätte, die Bischöfe oder Priester müßten Herrschaft ausüben und die Menschen nam Gut und Person durch ein zwingendes Gericht richten im 20 Stande und für den Stand der gegenwärtigen Welt, so hätte er dem Timotheus gesagt, den er als Bischof eingesetzt hatte : ldt mahne dich usw., für die Könige und alle Bischöfe, die in ihrem hohen Amte sind. § 8 Ferner hat der Apostel im Brief an Titus im 3. Kap. 189 25 gesagt : Mahne sie, denen du predigst, den Herrschern und Gewalten untertan zu sein. Der Apostel li at nicht gesagt : Mahne nur die Weltlichen ; und ferner hat er nicht gesagt : Mahne sie, uns und den Fürsten untertan zu sein. Der Apostel weiß nämlich wohl, daß weder er selbst noch die anderen Priester oder Bischöfe Herrschaft ausüben oder 25

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Marsilius

von

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seu episcopi debent principari aut alios iudicare litigioso seu secularium actuum iudicio, quinimo ipsos a secularibus negociis quibuslibet revocaverat, nedum a principatu seu iu­ dicio talium, cum dixerat 2a ad Timotheum 2° : N emo militans ; Deo implicat se seczilaribus negociis. Unde Ambrosius : 'Admone etc.', quasi: et si tu habes imperium spirituale, id est precipere de spiritualibus, tamen 'admone illos subditos esse principibus', scilicet regibus et ducibus, 'et potestatibus' minoribus, quia Christiana religio neminem privat iure suo. 1 0 Quod pro tanto dixit Ambrosius, quia eciam fideles dominis et principibus infidelibus aut malis voluit et docuit apostolus subesse, sicut dicit ipse 1a ad Timotheum ultimo : Quicumque sunt sub iugo servi etc., ubi glossa secundum Augustinum : Sciendum quosdam predicasse, communem omnibus in 1s Christo libertatem esse, quod de spirituali libertate utique verum est, non de carnali, ut illi intelligebant. ldeo contra eos loquitur hic apostolus, iubens servos dominis suis sub­ ditos esse. Non ergo exigant servi Christiani, quod de Hebreis dicitur, ut sex annis serviant, et gratis dimittantur liberi; 2 0 quod mysticum est. Et quare hoc precipiat apostolus, subdit: 'ne blasphemetur nomen Domini' quasi aliena invadentis, 'et doctrina' Christiana quasi iniusta et contra leges predicet, civiles scilicet. Quo igitur modo et qua secundum Deum consciencia vult 25 aliquis sacerdos, quicumque sit ille, absolvere subditos a iuramento quo dominis fidelibus astringuntur ? Est enim hec heresis manifesta, ut in sequentibus amplius apparebit. Dixit ergo apostolus : Admone illos subditos esse principibus; non dixit laicos solum, sed indifferenter, quia secundum ipsum omnis anima subdita est eis in iudicio coactivo seu conten5 cioso. Si vero non, die mihi, in quo dixit : Omnis anima subdita 19 0 2. Tim. 2,4. 1 91 Scholz 1 94 Anm . 1 .

t92

1 . Tim. 6 , 1 . Scholz 1 94 Anm. 3. 1 9 4 Vo. 19 5 II 26, 13 Anf. 193

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andere mit einem Urteil in einer Streitsache oder in welt­ lichen Rechtsfällen richten dürfen, vielmehr hatte er sie von allen weltlichen Geschäften ferngehalten, erst recht von der Regierung oder einem Urteil über dergleichen mit den Wor­ ten im 2. Brief an Timotheus im 2. Kap.190 : Kein Streiter für verwickelt sidt in weltliche Geschäfte. Daher sagt 5 Gott Ambrosius 1 9 1 : ,Mahne usw.' soviel wie: Wenn du audt eine geistliche Herrschaft hast, d. h. < das Recht > , Vorschriften über Geistliches zu erlassen, dennoch ,mahne sie, den Herr­ schern untertan zu sein', den Königen und Statthaltern und den niederen ,Gewalten'; denn die christliche Religion beraubt niemanden seines Rechtes. Das hat Ambrosius in 1 0 dem Sinne gesagt, der Apostel habe gewollt und gelehrt, daR die Gläubigen auch den ungläubigen oder bösen Herren und Herrschern untertan sein sollen, wie er selbst im 1. Brief an Timotheus im letzten K ap.192 sagt : Alle Sklaven, die unter dem Joch sind usw. Dazu sagt die Glosse nach Augustin 1 93 : Man m uß wissen, daß manche gepredigt hatten, allen sei t 5 in Christus die Freiheit gemeinsam, was von der geistlichen Freiheit a uf jeden Fall wahr ist, aber nicht von der fleisch­ lichen, wie jene meinten. Daher spricht der Apostel hier gegen sie und befiehlt den Sklaven, ihren Herren untertan zu sein. Die christlichen Sklaven sollen also nicht fordern, was von den Hebräern berichtet wird, daß sie sechs ]ahre dienen und dann umsonst in die Freiheit entlassen werden 20 sollen ; das ist mystisch. Weshalb der Apostel diese Weisung gibt, fügt er hinzu: ,damit der Name des Herrn nicht gelästert wird', als ob194 er in fremde Rechte eingreife, ,und die christ­ liche Lehre', als ob sie Ungerechtes und gegen die Gesetze, nämlich die staatlichen, < Verstoßendes > predige. In welcher Form und mit welchem Gewissen vor Gott will 25 also ein Priester, wer auch immer es sei, die Untertanen von dem Eide lossprechen, der sie an die gläubigen Herren bin­ det ? Dies ist nämlich offenbare K etzerei, wie im folgenden195 noch deutlicher werden wird. Der Apostel sagte also : Mahne 1 95 sie, den Herrschern untertan zu sein. Er hat nicht nur die Laien gemeint, sondern alle ohne Unterschied, weil na hat auch die ganze Kirche in den Priestern und BisChöfen, aber darum hat Petrus sie besonders erhalten, damit alle erkennen: Wer Don der Einheit des Glaubens und dessen Gemeinschaft sich trennt, kann meder Don den Sünden losgesprodten merden noeh in den Himmel eingehen. Hieronymus hat gesagt : Don der Einheit des Glaubens, aber nicht : von der Einheit des Petrus oder des römischen Bischofs ; denn einige von ihnen konnten Ketzer sein oder sonst irregeleitet, und tatsächlich hat man schon solche erlebt. Diese richterliche Gewalt aber ist die Vollmacht der Schlüssel nach Hieronymus und Augustin zu eben dieser Stelle, von denen Augustin215 sagt : Die SChlüssel sind die Fähigkeit und die Kraft, zu unter­ scheiden, mit deren Hilfe er die Würdigen aufnehmen und die Unmüujigen Dom Himmelreim ausschließen soll, der

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scilicet. Qualiter autem recipere, et qualiter a regno excludere possit, consequenter patehit ; et ex hoc, que quantave sit harum clavium per Christum Petro et apostolis concessarum potestas. 25 § 4. Primum tarnen oportet attendere, quod in anima pec­ cantis mortaliter generatur culpa, et corrumpitur divina gracia sibi collata prius. Qua siquidem culpa peccator obligatur debito dampnacionis eterne pro statu futuri seculi. In qua eciam culpa persistens a consorcio fidelium in hoc seculo preciditur per correpcionem quandam apud Christi 5 fideles, vocatam excommunicacionem. Et econtra debemus advertere, quod peccator per tristiciam sui delicti et exterio­ rem confessionem factam sacerdoti, de quorum utroque simul et divisim dicitur hoc nomen penitencia, triplex hene­ ficium consequitur : primum quidem, quoniam ab interiori 1 0 culpa mundatur et in ipso Dei gracia reformatur ; secundum vero, quoniam a debito dampnacionis eterne, ad quam ex culpa obligatus fuerat, ahsolvitur ; tercium autem, quoniam ecclesie reconciliatur, id est fidelium consorcio reunitur seu 1 5 reuniri dehet. Hec igitur in peccatore facere, videlicet a culpa et eterne dampnacionis dehito solvere vel ligare, quod aliqua­ liter fieri habet per clavium potestatem sacerdoti concessam, quemadmodum infra dicetur, est sacramentum penitencie ministrare. § 5. Hiis itaque sie premissis, ad propositum accedentes, :!O secundum mentem Magistri Sentenciarum, quinimo scrip­ ture atque sanctorum, quorum auctoritate loquitur lihro 4°, distinccione 1 8a, et eciam secundum intencionem Ricardi in quodam libello quem fecit intitulato De Clavium Sacer25 dotalium Potestate, dicamus, quod ad veram penitenciam seu sacramentum penitencie suscipiendum requiritur primum interior peccatoris contricio seu tristicia de commisso sive m Dies sind nach Marsilius die drei Akte beim Sakrament der Bulle.

2 1 7 204,4. 2 1 s Scholz 201 Anm. 1 . 2 1 9 Scholz 201 Anm. 2 .

Teil /I, Kapitel VI zo

%1

Priester nämlich. Wie er aber sie au fnehmen und wie er sie vom Himmelreich ausschließen kann, wird sich i m folgenden ergeben, und daraus wieder, was Wesen und Umfang der Gewalt dieser Schlüssel ist, die Christus dem Petrus und den Aposteln zugestanden hat. 25 § 4 Zunächst jedoch muß man beachten, daß in der Seele dessen, der eine Todsünde begeht, Schuld erzeugt und die 201 göttliche Gnade, die ihm zuvor verliehen worden war, zer­ stört wird. Durch diese Schuld verfällt der Sünder natürlich der verdienten Strafe der ewigen Verdammnis für das künf­ tige Leben. Wenn er in dieser Schuld sogar weiter beharrt wird er aus der Gemeinschaft der Gläubigen in dieser Welt durch eine bestimmte Form des Verweises ausgestoßen, bei 5 den Christusgläubigen Exkommunikation genannt. Hin­ gegen erlangt der Sünder, darau f müssen wir achten, durch Trauer über sein Vergehen und äußere Beichte vor dem Priester, von denen beiden zugleich und einzeln die Bezeich­ nung Buße gebraucht wird, eine dreifache Wohltat : erstens 1 0 wird er von der inneren Schuld gereinigt, und Gottes Gnade wird in ihm wiederhergestellt ; zweitens wird er von der ver­ dienten Strafe der ewigen Verdammnis, der er auf Grund seiner Schuld verfallen war, losgesprochen ; drittens wird er mit der K irche wieder versöhnt, d. h., er wird mit der Gemein­ schaft der Gläubigen wieder vereinigt oder muß mit ihr wie1 5 der vereinigt werden. 21 6 Dies also an dem Sünder zu wirken , nämlich < ihn > von der Schuld und der verdienten Strafe d e r ewigen Verdammnis zu lösen oder < ihn > zu binden, was irgendwie durcq die dem Priester zugestandene Schlü ssel ­ gewalt zu geschehen hat, wie unten2 1 7 ausgeführt werden wird, d a s bedeutet die Spende des Bußsakraments. § 5 Nach diesen Vorbemerkungen gehen wir nun an das zo Thema heran, und im Sinne des Meisters der Sentenzen 2 1 8 oder vielmehr im Sinne der Schrift und der Heiligen, aus d eren Autorität er in B. 4, Abt. 1 82 1 9 spricht, und auch nach d e r Ansicht Richards i n einem Büchlein, das er betitelt hat ,über die Gewalt der priesterlichen Schlüssel', wollen wir sagen : 25 Wenn einer wahre Buße tun oder das Sakrament der Buße empfangen soll, so wird zuerst die innere Zerknirschung des Sünders oder Trauer über das BegangenP. oder das Vergehen

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del icto. Secundo vero requiritur propositum et actus confi­ tendi delictum, ipsum per sermonem exprimendo seu significando sacerdoti, si sacerdotis facultas affuerit ; quod si non adesset, in sie penitente seu contrito sufficit firmum propo­ situm confitendi delictum sacerdoti, cum ipsius primum facultas a:ffu erit. 5 § 6. Et intendunt consequenter, quod in peccatore vere penitente, id est contrito et habenie propositum confitendi, quedam ante confessionem et omnem sacerdotis accionem solus Deus operatur. Hec autem sunt : expulsio culpe, gracie reformacio et debiti eterne dampnacionis remissio. Quod 1 0 autem predicta Christus solus operetur, probat Magister libro 4°, distinccione 1 8a, capitulo 4°, per auctoritates scripture atque sanctorum. Primum quidem auctoritate psalmiste dicentis in persona Dei : Ego solus deleo iniquitates et pec­ cata populi. Rursum auctoritate Ambrosii dicentis : Verbum 1 5 Dei dimittit peccata, sacerdos et iudex. Sacerdos quidem officium suum exhibet, sed nullius potestatis iura exercet. A dhuc idem Ambrosius : Ille solus dimittit peccata, qui solus pro peccatis nostris mortuus est. Amplius per Augustinum di­ centem : N emo tollit peccata, nisi solus Christus, qui est agnus 20 tollens peccata mundi. Quod autem hoc faciat Deus ante omnem sacerdotis accionem, deducit Magister ex dictis Augustini super illud psalmiste : Quorum tecta sunt peccata. Ex hiis enim, inquit Magister, aperte ostenditur, quod Deus ipse penitentem solvif a debito pene. Et tune solvit, quando intus illuminat inspirando veram cordis contricionem. Cui sentencie racio suffragatur, et auctoritates attestantur. Nemo enim de peccato nunc compungitur, habens cor contritum et humiliatum, nisi in caritate. Qui autem caritatem habet, dig5 1zus est vita. N emo autem simul dignus est vita et morte. Non 222

J es. 43,25. Die Hss. haben psalmiste, nur Q hat prophete. Scholz 202 Anm. 3. 22 4 Scholz 202 Anm. 4. 22 � Scholz 202 Anm. 5. 226 Ps. 32, 1 . 22 1 Scholz 202 Anm. 7. 22 3

Teil li, Kapitel VI

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erfordert. Zweitens wird Vorsatz und Akt der Beichte des Vergehens erfordert, wobei er den Vorsatz dem Priester durch Worte zum Ausdruck bringt oder angibt, wenn die 202 Möglichkeit, einen Priester aufzusuchen, vorhanden ist ; sonst genügt in dem so reuigen oder zerknirschten Sunder der feste Vorsatz, dem Priester das Vergehen zu beichten, sobald die Möglichkeit vorhanden ist, diesen < aufzusuchen > . § 6 Sie meinen weiter, in einem wahrhaft reuigen Sünder, d. h. einem zerknirschten, der den Vorsatz hat zu beichten, wirke vor der Beichte und jeder Handlung des Priesters Gott manches allein. Dies aber ist : Tilgung der Schuld, Wieder·· herstellung der Gnade und der Erlaß der verdienten Strafe der ewigen Verdammnis. Daß aber dieses eben Genannte 1 0 Christus allein wirke, beweist der Meister in B. 4, Abt. 1 8, Kap. 4220 durch autoritative Stellen der Schrift und der -Heiligen221 : erstens durch die Autorität des Propheten222, der im Namen Gottes sagt : Im allein tilge die Ungeremtig­ keiten und die Sünden des Volkes; ferner durch die Autori­ tät des Ambrosius223, der sagt : Das Wort Gottes vergibt die t 5 Sünde, und der Priester ist aum Rimter. Der Priester tut zwar seinen Dienst, aber keiner Gewalt Rechte übt er aus ; außer­ dem sagt derselbe Ambrosius224 : Der allein vergibt die Sünden, der allein für unsere Sünden gestorben ist; weiter mit Augustin, der sagt : Niemand nimmt die Sünden hinweg außer Christus allein, der das Lamm ist, das die 20 Sünden der Welt hinwegnimmt. Daß aber dies Gott bewirkt vor jedem Eingreifen des Priesters, leitet der Meister aus den Worten Augustins225 über jene Stelle des Psalmisten226 ab : Deren Sünden zugedeckt sind. Damit nämlich, so sagt der Meister227, wird klar bewiesen, daß Gott selbst den reuigen Sünder von der verdienten Strafe löst; und zwar dann löst er ihn, wenn er ihn innerlich erleuchtet, indem 203 er ihm die wahre Zerknirschung des Herzens eingibt. Diese Ansicht stützt die Vernunft, und die Autoritäten bezeugen sie. Denn niemand empfindet über seine Sünde jetzt Ge­ wissensbisse, auch wenn er ein zerknirschtes und gedemü­ tigtes Herz hat, außer in der Liebe zu Gott. Wer aber Liebe 5 zu Gott hat, verdient zu leben. Niemand aber verdient 22o Scholz 202

Anm. 1 .

22 1

Punkt b . Pr.-0. u . Scholz.

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est igitur tune ligatus debito eterne mortis ; filius enim ire esse desiit, ex quo diligere et penitere eepit. Ex tune igitur solutus est ab ira, que non manet super illum qui eredit in Christum, sed super illum qui non eredit. Non igitur postmodum per t o saeerdotem, eui eonfitetur, ab ira eterna liberatur, a qua libe­ ratus est iam per Dominum, ex quo dixit : Confitebor. Solus igitur Deus hominem interius mundat a maeula peeeati, et a debito eterne pene solvit. Consequenter autem repetit Ma­ gister auctoritates psalmiste atque sanetarum prius adduct 5 tas, post que eciam epilogans inquit : Hiis aliisque pluribus testimoniis doeetur, Deum solum per se peeeata dimittere. Et sieut dimittit quib usdam, ita et aliorum quorundam peeeata retinet. § ?. Exigit tam*en* Deus, ut prediximus, in penitente pro­ positum confitendi delicta sacerdoti, cum illius primum �o facultas affuerit, sicut dicit Magister libro 4°, distinccione 1 ?a, capitulo 4°, ubi querit, an suffieiat soli Deo eonfiteri peeeata, et determinat auctoritatibus scripture, quod non, si facultas affuerit sacerdotis. Quod si non affuerit, su fficit soli Deo con25 fessum esse, habito tarnen semper proposito confitendi, si possit. Hoc eciam conformiter Magistro sensit Ricardus in suo libello predicto ; et ex determinatis ab eo in diversis capi­ tulis colligitur, quod a vere penitente, id est contrito de pec­ cato, Deus ante quodeumque ministerium saeerdotis eulpam 204 tollit debitumque mortis solvit eterne, sub eondieione tarnen, quod saeerdoti postmodum debeat eonfiteri delietum, eum illius primum f aeultas affuerit. Quam siquidem condicionem vocavit Magister firmum propositum confitendi delicta, cum 5 sacerdotis facultas adesset. Hanc autem sentenciam conclusit

2� s Scholz 203 Anm. 1 .

�29 Scholz 203 Anm. 2. �3o Scholz 204 Anm. 1 .

Teil II, Kapitel VI

zugleich Leben und Tod. Also ist er dann an die verdiente Strafe des ewigen Todes nicht gebunden; denn er hat auf­ gehört, ein Sohn des Zornes zu sein, seitdem er zu lieben und zu bereuen begonnen hat. Von da an ist er also vom Zorn gelöst, der nicht bleibt ü ber dem, der an Christus glaubt. Er wird also nicht erst nachträglich durch den 10 Priester, dem er beichtet, von dem ewigen Zorn befreit, vielmehr ist er von ihm schon durch den Herrn befreit, seitdem er gesagt hat : Ich will beichten. Gott allein reinigt den Menschen innerlich von dem Makel der Sünde und löst ihn von der verdienten Strafe der ewigen Verdammnis. Im folgenden wiederholt der Meister die autoritativen Stellen des Psalmisten und der Heiligen, die er vorhin angeführt hat, 1 5 und danach sagt er noch abschließend : Diese und sehr viele andere Zeugnisse lehren, daß Gott für sich allein die Sün­ den v ergibt. Und wie er sie manchen vergibt, so behält er auch manchen anderen die Sünden. § 7 Gott fordert jedoch, wie vorhin gesagt, in dem reuigen Sünder den Vorsatz, die Vergehen dem Priester zu beichten, zo sobald die Möglichkeit, ihn < aufzusuchen > , vorhanden ist. wie der Meister in B. 4, Abt. 1 ?, Kap. 4228 sagt ; dort wirft e r die Frage auf, ob es genüge, Gott allein die Sünden zu beichten, und entscheidet durch die autoritativen Stellen der Schrift, daR das nicht genügt, wenn die Möglichkeit, einen Priester < au fzusuchen > , vorhanden ist. Ist sie aber nicht vorhanden, dann genügt es, Gott allein gebeichtet zu 2 5 haben, vorausgesetzt jedoch, daß er immer den Vorsatz habe zu beichten, wenn er könnte. Diese Ansicht hat, mit dem Meister übereinstimmend, Richard in seinem vorhin genann­ ten Büchlein229 vertreten, und aus den von ihm in verschie­ denen Kapiteln gewonnenen < Ergebnissen > wird gefolgert, daß von dem wahrhaft reuigen Sünder, d. h. dem, der über seine Sünde zerknirscht ist, Gott vor .iedem Dienst des Priesters die Schuld hinwegnimmt und die verdiente Strafe des ewigen Todes von ihm löst, unter der Bedingung .fedoch, 204 daß er dem Priester nachträglich das Vergehen beichten soll, sobald die Möglichkeit, ihn , vorhanden ist. Diese Bedingung nannte ja der Meister230 den festen Vorsatz, die Vergehen zu beichten, wenn die Möglichkeit vorhanden 5 ist, einen P riester < au fzusuchen > . Diese Meinung erschloß

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Magister eodem 4°, distinccione 18a, capitulis 5° et 6°, re­ spondens cum hoc racionabili questioni, qua dubitari potest, ad quid officium sive accio sacerdotis in penitencia requira­ tur, si solus Deus ante omne illius ministerium culpam tollit 1 0 et eterne dampnacionis debitum solvit. Et dixit Magister : In hac autem tanta varietate, quoniam de hoc tarn sancti, quam doctores dissentire videbantur, licet non in veritate dissen­ ciant, quid tenendum, hoc sane dicere ac sentire possumus, quod solus Deus dimittit peccata et retinet. Et tamen ecclesie, t5 id est sacerdotibus, qui dicuntur ecclesia secundum unam significacionem, ut apparuit 2° huius, contulit potestatem ligandi et solvendi. Sed aliter ipse solvit vel ligat, aliter eccle­ sia, id est sacerdotes. Ipse enim per se tantum dimittit ita pec­ catum, quia et animam mundat ab interiori macula et a debito 20 e terne mortis solvif; non autem hoc sacerdotibus concessit, qui­ bus tamen tribuit potestatem ligandi et solvendi, id est osten­ dendi homines solutos vel ligatos. In quo expressit, propter quid requiratur in penitencia officium seu ministerium sacer­ dotis, et consequenter id declarans dixit : Unde eciam Domi25 nus leprosum prius sanitati per se restituit, deinde ad sacer­ dotes misit, quarum iudicio ostenderetur mundatus; ita eciam Lazarum iam vivificatum obtulit discipulis solvendum, quia ef si aliquis apud Deum sit solutus, non tamen in facie, id est 30 in noticia, ecclesie solutus habetur, nisi per iudicium sacerdotis. In solvendis igitur culpis auf retinendis ita operatur sa­ 205 cerdos ecclesiasticus et iudicat, sicut olim legalis in illis qui contaminati erant lepra, que peccatum significat. Hanc quo­ que sentenciam repetit circa finem capituli 6ti, ipsamque con5 firmat auctoritate Ieronymi super illud Matthei 16 ° : Et tibi dabo claves regni celorum. Inquit Ieronymus : Id iuris et

231a Scholz 204 Anm. 2. 23 1 b 144, 6-1 1 . 232 Scholz 204 Anm. 3 . 2 33 J oh. 1 1 , 34-44 : z u r Lösung aus den Binden, mit denen der Leichnam

umwickelt war.

2 34 Scholz 205 Anm. 1 .

Teil Il, Kapitel VI

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der Meister in demselben B . 4, Abt. 18, Kap. 5 und 6231a, wobei er zugleich damit eine vernünftige Frage beantwortete ; man kann nämlich im Zweifel sein, wozu das Amt oder die Hand­ lung des Priesters bei der Buße erfordert wird, wenn Gott allein vor jedem Dienst des Priesters die Schuld hinweg­ nimmt und die verdiente Strafe der ewigen Verdammnis < von ihm > löst. Der Meister sagte : In dieser großen Ver­ schiedenheit der Meinungen aber denn hierüber schienen die Heiligen wie die Kirchenlehrer verschiedener Meinung zu sein, obwohl sie es in Wahrheit nicht sind - woran sollen wir uns halten ? Folgende Behauptung und Meinung können wir allerdings aufstellen : Gott allein vergibt und behält die Sünden. Dennoch hat er der Kirche, d. h. den Priestern, die Kirche in der einen Bedeutung genannt werden, wie in li 223 1h sich gezeigt hat, die Gewalt zu binden und zu lösen verliehen. Aber anders löst und bindet Er und anders die Kirche, d.h. die Priester. Gott nämlich vergibt für sich allein die Sünde nur insoweit, als er die Seele von der inneren Befleckung reinigt und von der verdienten Strafe des ewigen Todes löst. Aber den Priestern hat er das nicht zugestanden; ihnen hat er jedoch die Gewalt zu binden und zu lösen zugewiesen, d. h. die Menschen öffentlich für gelöst oder gebunden zu erklären. Hierin hat der Meister zum Ausdruck gebracht, wozu bei der Buße das Amt und der Dienst des Priesters erfordert wird, und anschließend232 hat er zur Erklärung gesagt : Dabei hat auch der Herr zuerst allein den A ussätzigen der Gesundheit zurückgegeben, dann hat er ihn zu den Priestern geschickt, damit er durch deren Urteil für gereinigt erklärt würde. So hat er auch den Lazarus, als er schon zum Leben erweckt war, seinen Jüngern zur Lösung233 übergeben; denn wenn einer auch vor Gott gelöst ist, so gilt er doch in den Augen, d. h. für die Kenntnis, der Kirche als gelöst nur durch das Urteil des Priesters. Beim Lösen oder Behalten der Schuld wirkt und entscheidet also der Priester der Kirche so, wie einst der des Alten Testaments an denen, die durch Aussatz befleckt waren, der die Sünde bezeichnet. Diese Meinung wiederholt er auch gegen Ende des Kap. 6 und sichert sie durch die Autorität des Hieronymus. über jene Stelle bei Matthäus im 16. Kap. : Und ich will dir des Himmelreichs Smlüssel geben, sagt Hieronymus234 : D a s Recht und Amt -

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officii habent euangelici sacerdotes, quod olim s u b lege habe­ bant legales in curandis leprosis. Hii ergo peccata dimittunt to

uel retinent, dum dimissa a Deo uel reten ta iudicant et ostendunt.

Unde : in Leuitico ostendere se sacerdotibus iubentur

leprosi, quos illi non faciunt leprosos uel mundos, sed discer­

Requiritur igitur sacerdotis officium ad penitentem propter causam predictam, ut per ipsum videlicet ostendatur in ecclesie facie, quibus Deus pec­ cata retinuit vel dimisit. § 8. Est aliud eciam quod Deus operatur ad peccatorem, non sine ministerio sacerdotis, ut idem Magister atque Ricar­ dus senserunt, videlicet commutacio temporalis pene purga­ torii, quam pro delictis subiturus erat peccator, quantumcumque bene penitens et confessus, in aliquam huius seculi satisfaccionem, ut ieiunium, oracionem aut elemosinam, peregrinacionem vel consimile aliud. Et secundum hoc iura potestatis in peccatore sacerdos exercet. Unde Magister distinccione 18a, capitulo 7°, sie inquit : * Est et alius modus q u in unt, qui mundi uel imm undi.

t)

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25

dam ligandi atque soluendi':· , q uia q uos satisfaccione peniten­ cie ligant, eo ipso a peccatis solu tos ostendunt, quia non im­ ponitur alic u i satisfaccio penitencialis, n isi quem sacerdos

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uere penitentem arbitratur ; alii non imponit, et eo ipso pec­

Commutat quoque sacerdos penas purgatorii peccatori debitas in aliquas huius seculi satisfac­ ciones, et peccatores postmodum ecclesie, id est communioni fidelium, reconciliat ; in quo similiter potestatem in peccatores exercet, si tarnen id secundum discrecionem egerit. Unde Magister ubi supra : Ligant q uoque sacerdotes, dum satisfac­ cata a Deo retineri iudicat.

5

cionem penitencie confitentib us impon unt; solu unt, cum de ea aliquid dimittunt, u el per eam p urgatos ad communionem 235 23 6 2 37 2 38 239 24 0

24 1

3 . Mos. 14, 1 -2.

201 , 1 1-12. Scholz 205 Anm. 2. Scholz 205 Anm. 3 . 20 1 , 1 2-14. 200, 1 8 ff. Scholz 206 Anm. 1 .

Teil ll, Kapitel VI

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haben die evangelismen Priester, das einst unter dem Gesetz die Priester des Alten Testaments in der Fürsorge für die Aussätzigen hatten. Diese also vergeben die Sünden oder behalten sie, indem sie entsmeiden und bekanntgeben, Gott habe sie vergeben oder behalten. Daher roird im Levitikus235 den A ussätzigen befohlen, sim den Priestern zu zeigen; die Priester mamen sie nidti aussätzig oder rein, sondern ent­ smeiden, roelme rein oder unrein sind. Also wird das Amt des Priesters für den reuigen Sünder aus dem vorhin ge­ nannten Grunde erfordert : damit er vor der Gemeinde erklärt, welchen Gott die Sünden behalten oder vergeben hat. § 8 Auch das Zweite236, das Gott an dem Sünder wirkt, ge­ schieht nach der Meinung desselben Meisters und Richards237 nicht ohne den Dienst des Priesters : die Umwandlung der zeitlich begrenzten Strafe im Fegefeuer, die der Sünder für seine Vergehen erleiden sollte, wie ehrlich er auch bereut und gebeichtet hat, in eine Genugtuung innerhalb dieser Welt, z. B. Fasten, Gebet oder Almosen, Wallfahrt oder etwas Ähnlich es ; und in diesem Sinne übt der Priester die Rechte einer Gewalt über den Sünder aus. Daher sagt der Meister in Abt. 18, Kap. '7 238 : Es gibt aber nom eine andere Art zu binden und zu lösen, daß die Priester die}enigen, die sie durm eine Rußstrafe binden, gerade dadurm für gelöst von den Sünden erklären; denn nur dem roird eine Ruß­ strafe auferlegt, den der Priester für einen aufrimtig be­ reuenden Sünder hält; einem anderen legt er sie nimt auf, und gerade dadurm entsmeidet er, daß die Sünden von Gott behalten werden. Und der Priester wandelt nicht nur die Strafen im Fegefeuer, die der Sünder verdient hat, in irgend­ welche Genugtuungen dieser Welt um, sondern versöhnt auch < drittens > 239 danach die Sünder wieder mit der Kirche, d. h . der Gemeinschaft der Gläubigen ; hierbei übt er in ähnlicher Weise eine Gewalt über die Sünder aus, jedoch nur dann, wenn er handelt im B esitz der Fähigkeit, Würdige und Unwürdige zu unterscheiden.240 Daher sagt der Meister an der oben angeführten Stelle241 : Die Priester binden aum, roenn sie die R ußstrafe den Reimtenden auferlegen ; sie lösen, roenn sie von ihr etroas erlassen oder die durm sie Gereinigten zur Teilnahme an den Sakramenten zulassen.

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

sacramentorum admittunt. Quem modum, solvendi scilicet vel ligandi, ''supra notavif Leo papa, et secundum hunc'� mo­ dum dicuntur sacerdotes peccata dimittere vel retinere. Unde superius Augustinus dixit : Quibus remittunt, remittit Deus etc. Opus enim iusticie exercent in peccafores, cum eos iusta t > pena ligant; opus misericordie, dum de ea aliquid relaxant, vel sacrameniorum communioni conciliant; alia opera in pec­ catores exercere nequeunt. Unde eciam patere potest, quod iuxta merita penitencium non plus de culpa vel pena relaxare potest Romanus episcopus, quam alter quicumque sacerdos. § 9. Ex dictis itaque sanctorum auctoritatibus, Magistri 20 atque Ricardi, apparet liquido, quod culpam et debitum eterne dampnacionis solus Deus peccatori vere penitenti remittit absque opere sacerdotis precedente vel interveniente 25 simul, quemadmodum ostensum est prius. Cuius eciam volo demonstracionem infallibilem assignare secundum scriptu­ ram et iuxta dicta sanctorum atque doctorum, Quoniam solus Deus est, qui non potest ignorare, quibus retnittendum [ et quibus retinendum] sit peccatum ; et solus, qui a:ffe ccione per­ 207 versa neque movetur, neque iudicat quemquam iniuste. Non sie auiem ecclesia sive sacerdos, quicumque sit ille, eciam Romanus episcopus. Potest enim ipsorum quilibet errare ; quandoque vel inclinari affeccione perversa vel utroqu e ; propter quod, s i vere penitenti cum debito proposito aut eci­ am actu confitendi subsecuto non remitteretur peccatum seu culpa et debitum eterne dampnacionis, renitente sacerdote ignorancia, malicia vel utroque, periret persepe fidelis et 1 0 evangelica Christi promissio, qua bonis premia eterne glorie, malis vero Gehenne supplicia se dixit daturum. Unde, sicut eciam frequenter evenire contingit, esto peccatorem aliquem

Teil Il, Kapitel VI 10

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Diese Art, zu lösen oder zu binden, hat weiter oben Papst Leo angemerkt, und in dieser Weise, wie man sagt, vergeben die Priester die Sünden oder behalten sie. Daher hat weiter oben Augustin gesagt: Denen sie diese erlassen, denen erläßt sie Gott usw. Das Werk der Gerechtigkeit nämlich üben sie an den Sündern aus, wenn sie diese durch eine gerechte Strafe binden; das Werk der Barmherzigkeit, wenn sie von 15 der Strafe etwas nachlassen oder sie mit der Sakraments­ gemeinschaft versöhnen ; andere Werke können sie an den Sündern nicht ausüben : Daraus kann auch deutlich werden, daß nach den Verdiensten der reuigen Sünder der römische Bischof von der Schuld oder Strafe nicht mehr nachlassen kann als jeder andere Priester. zo § 9 Aus den angeführten autoritativen Äußerungen der Heiligen, des Meisters und Richards ergibt sich nun klar : Die Sclmld und die verdiente Strafe der ewigen Verdammnis erläßt Gott allein dem aufrichtig bereuenden Sünder ohne eine vorausgehende oder zugleich eingreifende Amtshand25 lung des Priesters, wie früher gezeigt worden ist. Dafür will i . Diese haben jedoch keine zwin­ gende �fachtbefugnis ; daß es deren in jeder einzelnen Ge­ meinsc.haft mehrere gibt, auch ohne Cnterordnung des einen unter den anderen, dem steht nichts im Wege. KA P I TE L IX

Die B eziehung der menschlichen Handlungen zum göttlichen Gesetz und zum Richter in der anderen W e l t , C h r i s t u s , a u ch d a s V e r h ä l t n i s , i n d e m s i e z u m L e h r e r d e s s el b e n G e s e t z e s , d e m B i s c h o f o d e r P r i e ster, in d i e s e r Welt s t eh e n . 10

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25

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§ 1 Führen wir diesen330 Gedanken weiter, s o gibt e s nun auc.h einen Richter mit zwingender Machtbefugnis329b gegen die Übertreter des göttlichen Gesetzes, das wir eine zwin­ gende Regel genannt haben auch für manche menschliche Handlungen, rein innerliebe wie übergreifende. Dieser Richter aber ist nur einer, Christus, und kein anderer. Daher heißt es im Brief des Jakobus im 4. Kap.331 : Einer ist Gesetzgeber und Richter, der verderben und retten kann. Aber dieses Richters zwingende Gewalt wird gegen niemand in dieser Welt ausgeübt, um Strafe oder Pein oder Belohnung denen auszuteilen, die das von ihm unmittelbar gegebene Gesetz übertreten oder befolgen, das wir sehr oft das evangelische genannt haben. Christus wollte nämlich in seiner Barm­ herzigkeit jedem bis zum Ende seiner Lebenszeit die Mög­ lichkeit geben, sich Verdienste zu erwerben und die Vergehen gegen sein Gesetz zu bereuen, wie auch mit Hilfe der autori­ tativen Stellen der Heiligen Schrift im folgenden332 gezeigt werden soll. § 2 Es gibt aber auch einen anderen Richter nach der Heili­ gen Schrift, den in der ersten Bedeutung333a, ebenso wie beim menschlichen Gesetz, den Priester, der in dieser Welt Lehrer des göttlic.hen Gesetzes und dessen ist, was man tun oder

41 6

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Marsilius v o n Padua, Verteidiger des Friedens

et agendarum aut fugiendorum que sunt ad vitam eternam consequendam et penam declinandam secundum ipsam pre­ ceptorum, non tarnen habens coactivam potestatem in hoc s seculo arcendi quemquam ad preceptorum secundum ipsam observacionem. Frustra enim ad hec quemquam cogeret, quoniarn observatori talium coacto nihil ipsa proficerent ad eternarn salutern, *quernadrnodurn per Chrysostornurn, quini­ rno per apostolurn evidenter ostendirnus 5° huius, parte 6a•:· . 10 Ideoque iudex hic convenienter assirnilatur rnedico, cui data est auctoritas docendi atque precipiendi et prognosticandi seu iudicandi de hiis que sunt utilia fieri vel ornitti ad corpo­ ralern Sanitatern consequendam et martern aut egritudinern declinandarn. Propter quod eciam Christus in statu et pro 15 statu vite presentis vocavit se rnedicurn, non principern aut iudicern. Unde Luce 5°, et supra induxirnus capitulo prece­ denti, de se loquens ad Phariseos inquit : Non egent medico qui sani sunt, sed qui male habent. Non enirn ordinavit Chri20 stus arceri quernquarn ad legis late per ipsum observacionern in hoc seculo, et propterea nec iudicern coactivarn habentern potenciam huius legis transgressores arcendi statuit in eodem. § 3. Unde attendendurn quod evangelica Iex potest dupli25 citer comparari ad hornines, super quos est lata per Chri­ stum : uno quidern rnodo ad ipsos in statu et pro statu vite presentis ; et ut sie racionern habet rnagis doctrine speculative aut operative vel utriusque; quanturn ad diversas sui partes, quarn legis dicte secundurn propriam et ultirnarn significa­ cionern, quamvis Iex possit dici secundurn alias legis signifi­ caciones, ut secundarn et terciarn, de quibus dixirnus 1 0° prirne. Et causa eius quod diximus est, quoniarn Iex secun5 dum ultimam et proprie dietarn significacionem dicitur de regula coactiva, id est secundurn quarn transgressor arcetur per potenciam coactivam, traditam secundurn ipsarn iudicare debenti. Nunc autern per evangelicarn doctrinarn seu legis 333b = 1 9 1 , 1 1 . 334 Luk. 5,3 1 . 33s I I 7 , 5 (220,28) . 336 ut sie s. Vo ut . 337 I 10, 3 (48,30-49,24) .

Teil ll, Kapitel IX

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meiden muß und was dazu dient, das ewige Leben zu erlangen und der ewigen Strafe für < Übertretung > des nach dem gött­ lichen Gesetz Gebotenen zu entgehen ; < dieser Richter > hat jedoch nicht die zwingende Gewalt, in dieser Welt einen zur 5 Befolgung des nach diesem Gesetz Gebotenen zu nötigen. Denn es wäre zwecklos, wenn er einen dazu zwingen wollte ; denn Handeln unter Zwang würde für das ewige Heil nichts nützen, wie wir mit Berufung auf Chrysostomus oder viel­ mehr den Apostel in II 5, 6333b überzeugend nachgewiesen haben. Darum läßt sich dieser Richter passend mit einem 10 Arzt vergleichen, dem die Vollmacht gegeben ist, Lehren und Weisungen zu geben und Prognosen zu stellen oder zu urteilen über das, was zu tun oder zu lassen nützlich ist, um körp erliche Gesundheit zu erlangen und Tod oder Krankheit zu vermeiden. Deswegen hat sich auch Christus im Stande 1 5 und für den Stand des gegenwärtigen Lebens Arzt genannt, nicht Herrscher oder Richter. Daher sagt er bei Lukas im 5. Kap.334 - wir haben die Stelle oben im vorausgehenden Kapitel335 angeführt - zu den Pharisäern von sich : Nidd die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Denn Christus hat nicht angeordnet, jemanden in dieser Welt zur 20 Befolgung des von ihm gegebenen Gesetzes zu nötigen, und deswegen hat er in dieser Welt auch keinen Richter eingesetzt mit der zwingenden Gewalt, die Übertreter dieses G esetzes zu nötigen. § 3 Daher muß man beachten, daß das evangelische Ge­ setz in zweifachem Sinne zu den Menschen, für die es Christus 2> gegeben hat, in Beziehung treten kann : erstens in dem Stande und für den Stand des gegenwärtigen Lebens, und so336 hat es mehr den Charakter einer theoretischen oder praktischen Lehre oder beider, je nach seinen verschiedenen Teilen, als den eines Gesetzes in der eigentlichen und letzten Bedeutung ; 233 natürlich kann es in den anderen Bedeutungen von Gesetz so genannt werden, nämlich in der zweiten und dritten, von ' denen wir I 1 0337 gesprochen haben. Der Grund dafür ist, 5 daß Gesetz in der letzten und eigentlichen Bedeutung von einer zwingenden Regel gebraucht wird, d. h. einer, nach der der Übertreter durch eine zwingende Gewalt bestraft wird, die einem gegeben ist, der danach richten soll. Nun aber gebietet die evangelische Lehre oder ihr Gesetzgeber,

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

latorem ipsius nemo cogi precipitur in hoc seculo ad eorum ohservacionem, que in ipsa precipiuntur per homines in hoc seculo fieri vel omitti. ldeoque, ad statum hominis in hoc et pro hoc seculo comparata, dici dehet doctrina, non lex, nisi secund um quem modum diximus. Et fuit hec apostoli senten­ cia 2a ad Timotheum 3°, cum dixit : Omnis scriptura diuinitus 15 inspirata utilis est ad docendum, ad arguendum, ad corri­ piendum, ad erudiendum in iusticia. Nusquam vero dixit apostolus : ad cogendum vel puniendum in hoc seculo. Unde 2a ad Corinthios 1°: Non quia dominamur fidei uestre, sed adiu­ tores sumus gaudii uestri; quia fide statis. Uhi Amhrosius, et 2 0 supra induximus 5° huius, nec frequenter iterare piget : Et n e indignentur, Corinthii scilicet, quasi de dominio, eo quod dixerat, apostolus, 'parcens uobis non ueni', subdit, aposto­ lus : non ideo dico parcens, 'quia dominemur fidei vestre', id 25 est, quia dominium et coaccionem paciatur fides vestra, que uoluntatis est, non necessitatis; sed ideo dico, 'quia adiutores sumus', si uultis cooperari. Ecce adiutores, per doctrinam scilicet, et si vultis cooperari. Nam 'fide', que per dileccionem operatur, 'statis', non dominio. ;o Alio vero modo comparari potest evangelica scriptura seu lex ad homines pro ipsorum statu in alio seculo, in quo solum­ modo, non ''in':· isto, arcehuntur pena vel supplicio, qui eam transgressi fuerint in vita presenti ; et ut sie nomen legis pro­ priissime dicte sortitur, et qui secundum ipsam iudicahit tune 5 propriissime iudex, ut qui secundum terciam significacionem coactivam hahens potenciam. Sacerdos autem seu episcopus quicumque sit ille, quoniam secundum hanc disponit et regu­ lat homines solummodo in statu vite presentis, licet ad 10

234

338 2. Tim. 3 , 1 6 : niiaa yearp�

339 2. Kor. 1 ,23.

a4o I I 5 , 6 ( 1 90,13 ff.) . 34 1 ut sie vgl. Vo ut.

34 2 1 5 1 , 1 7 ff.

{}eonvevaTor; uai

wrpeAt/LOr;.

Teil Il, Kapitel l X

niemanden in dieser Welt zur Befolgung dessen zu zwingen, was nach den darin enthaltenen Geboten Menschen tun oder lassen sollen. Darum muß es in B eziehung zu dem Stand des Menschen in dieser Welt und für diese Welt Lehre heißen, nicht Gesetz, außer in dem angegebenen Sinne. Dies war die Meinung des Apostels im 2. Brief an Timotheus im 3. Kap.338 ; er hat nämlich gesagt : Alle Smrift, von Gott einn gegeben, ist nützlim zur Lehre, zur Vberführung, z u r Zurechtroeisung, zur Erziehung in der Geremtigkeit. Nir­ gends aber hat der Apostel gesagt : zum Zwang oder zur Bestrafung in dieser Welt. Daher sagt er im 2. Korinther­ brief im 1. Kap.339 : Nimt daß roir Herren über euren Glauben roären, nein, roir sind Mitarbeiter an eurer Freude ; denn ihr steht fest im Glauben. Dazu sagt Ambrosius - wir 2 0 haben die Stelle oben in l i 5340 angeführt, und ich wieder­ hole sie nicht ungern : Und damit sie nimt unroillig roerden, die Korinther, roie roenn er sim als ihren Herren aufspielte, roeil er gesagt hatte, der Apostel : ,Aus Smonung für eum bin im nimt gekommen', so fügt er, der Apostel, hinzu: Nimt darum sage im : aus Smonung, ,roeil roir Herren ü ber euren Glauben roären', 25 d. h., roeil euer Glaube Herrsdtaft und Zroang erführe, der dom eine Same des freien Willens ist, nimt des Zwanges; sondern darum sage im es, ,roeil roir Mitarbeiter sind', roenn ihr mitarbeiten roollt. Beachte : Mitarbeiter, durch die Lehre nämlich, und w e n n ihr mitarbeiten wollt. Denn ,durd1 Glau­ ben', der aus Liebe handelt, ,steht ihr fest', nimt durm Herr­ smaft. >O In einem zweiten Sinn kann die evangelische S ch rift oder das evangelische Gesetz zu den Menschen für ihren Stand in der anderen Welt in Beziehung treten, in der allein, nicht in dieser Welt, durch Strafe oder Pein getroffen werden soll, wer das Gesetz im gegenwärtigen Leben übertreten hat. Und so341 gewinnt es die Bezeichnung Gesetz im eigentlichsten Sinne, und wer nach ihm richten wird, ist dann Richter im 5 eigentlichsten Sinne, als einer3 4 2 in der dritten Bedeutung, der zwingende Gewalt hat. Da aber der Priester oder Bischof, wer auch immer es sei, nach ihm die Menschen nur im Stande des gegenwärtigen Lebens vorbereitet und ihnen den rechten Weg zeigt, wenn auch für das künftige Leben, to

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

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futuram vitam, nec sibi secundum ipsam arcere quemquam in hoc seculo concessum est ab illius immediato latore, Christo videlicet, idcirco nec proprie iudex dicitur, ut qui tercie signi­ ficacionis coactivam habens potenciam, nec quemquam tali iudicio in hoc seculo pena reali aut personali potest nec debet arcere. Quo eciam vel proporcionali modo doctor aliquis 1 5 operativus, ut medicus, se habet ad iudicium sanitatis corpo­ ralis hominum absque coactiva cuiusquam potencia, quem­ admodum diximus circa principium capituli huius. § 4. Hec quoque iuxta mentem apostoli 2a ad Corinthios 1 ° 2 0 fuit aperte sentencia beati Johannis Chrysostomi i n s u o Libro Dialogorum, qui eciam De Dignitate Sacerdotali intitulatur, Iibro 2°, capitulo 3°. >:· Licet" eius seriem quam induximus 5° huius, parte 6a, non reiteraverimus hic propter abbreviacio­ nem sermonis, ':· sed quod'' addit ad seriem su pradictam subiun25 ':· ximus hic. lnquit ergo Chrysostomus':· : Propier hoc ergo multe opus est artis auxilio, ut persuadeatur hominibus, et se ultra, cum egrotant, sacerdotum prebeant medicine, nec solum hoc, sed et gratificentur curandis. Sive enim aliquis resuZtet liga­ tus, habet quippe in hoc liberam potestatem, malum suum deterius faciet, sive ea verba que vice ferri erant profutura 5 respuerit, aliud sibi de contemptu v ulnus adiungit, fitque curacionis occasio morbi perniciosioris instrumentum. Non est enim qui curare possit invitum. Et tune aliquibus inter­ positis que in corrigendo, non tamen cogendo debet attendere pastor animarum, infra subiungit : Homo vero si a fide recta 1 0 fuerit abductus, m ultum sacerdoti imminet exhortacionis, in­ dustrie et paciencie, quia non pofest errantem ad callem vi reducere, sed persuadere conabitur, ut ad fidem rectam re­ vertatur, a qua primitus cor.ruit. Ecce qualiter sanctus iste separat iudicium sacerdotum a iudicio principancium, quon10

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232,9.

344 2. Kor. 1 ,23.

34 5

Scholz 234 Anm. 1 .

346 Messer u n d Brenneisen.

3 47

primitus s. Vo.

Teil II, Kapitel IX 10

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und er von dessen unmittelbarem Gesetzgeber, Christus, nimt die Erlaubnis hat, nach diesem Gesetz einen in dieser Welt zu nötigen und zu strafen, darum heif!t er auch nich t Rimter im eigentlichen Sinne, wie einer in der dritten Be­ deutung, der zwingende Gewalt hat, und kann und darf niemanden nach einem solchen Urteil in dieser Welt durch eine Strafe an Gut oder P erson treffen. In diesem oder einem entsprechenden Sinne < gilt das > für den praktischen Lehrer ; 15 z. B . verhält sich so der Arzt zum Urteil über die körper­ liche Gesundheit der Menschen : ohne zwingende Gewalt über jemand, wie wir gegen Anfang dieses Kapi tels343 gesagt haben. § 4 Dies war auch im Sinne des Apostels - vgl. den 2. Ko­ rintherbrief K ap. 1 344 - klar die Meinung des seligen Johan20 nes Chrysostomus in seinem Buch ,Dialoge', das auch über die priesterliche Würde betitelt ist, in B. 2, Kap. 3. Den Wort­ laut, den wir in II 5, 6 angeführt haben, wollen wir hier nicht wiederholen, um die Darstellung abzukürzen ; was er aber zu der obengenannten Stelle hinzusetzt, haben wir hier 25 angefügt. Chrysostomus345 sagt nun : Deswegen also braumt man die Hilfe vieler Gesmiddichkeit, daß die Mensdwn sidt überreden lassen und sich freiwillig, roenn sie krank sind, der Behandlung der Priester anvertrauen, und nicht nur das, sondern auch, daß sie gegenüber den ärztlichen Maßnahmen roillfährig sind. Denn sollte einer sich sträuben, seine Binden abreißen - er hat ja dazu die freie Gemalt -, so roürde er sein Vbel verschlimmern, oder sollte er die Worte des Arztes, die statt des Eisens346 nützlid-t sein sollen, zurückweisen, so fügt 5 er sich mit dieser Nichtadttung eine andere Wunde zu, und die Gelegenheit zur Heilung roird Mittel zu einer verderb­ licheren Krankheit. Denn niemand kann jemanden heilen , der nimt roill. Dann fügt er nach einigen Zeilen unten hinzu, was der Seelenhirt bei seiner bessernden, nicht zwingenden Aufgabe beachten muf! : Wenn der Mensm aber vom remten 1 0 Glauben abgekommen ist, dann steht dem Priester viel Er­ mahnung, Energie und Geduld bevor, roeil er den Irrenden nimt mit Gemalt auf den remten Weg zurückführen kann, sondern versumen roird, ihn zu überreden, zum rechten Glau­ ben zurückzukehren, von dem er zuerst341 abgefallen ist. Be­ achte, in welchem Sinne jener Heilige das Urteil der Priester

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iam sacerdotum iudicium coactivum nec est nec esse debet, causam quam persepe diximus assignans : primum, quoniam coactiva potestas a legibus seu legum latoribus est, que sacer­ dotibus suo tempore �·vel provincia*concessa non erat ; secun20 do, quoniam si concessa foret eisdem, frustra utique secun­ dum illam agerent in subditos, nam coactis nihil spirituale proficit ad salutem eternam. I demque dixit super illud Luce 9° : Si quis vult post me venire, abneget semetipsum. Seriem autem propter dictarum sufficienciam omisi et propter ab­ breviacionem. 25 § 5. Hec rursum fuit aperte sentencia beati Ylarii ad Con236 stancium imperatorem, in qua epistola inter cetera scripsit eidem : Deus cognicionem sui docuit pocius quam exegit, et operacionum celestium admiracionem preceptis suis con­ cilians auctoritatem coactivam confitendi se aspernatus est. 5 Ecce quod vult Deus homines doceri cognicionem sui et con­ fessionem, per fidem scilicet ; cogi vero quemquam minime, sed hoc aspernatur. Eadem quoque parum infra repetit di­ cens : Non requirit Deus coactam confessionem. Rursumque infra eadem in persona omnium sacerdotum inquit sie : Non 1 0 possum nisi valentem recipere, nisi orantem audire, nisi pro­ fitentern signare. Non vult ergo Deus coactam sui confessio­ nem, nec quemquam ad hoc trahi per violentarn alicuius accio­ nem seu compulsionem. Unde idem Contra Auxencium Mediolauensem episcopum, quem Arianum reputavit, et qui 1 5 per armatam p otenciam homines fateri que sue opinionis erant circa, imo verius contra fidem catholicam, ut dicit, pro­ curabat arceri, ipsumque arguens eciam si vera docuisset, sie ait : Ac primum misereri licet nostre etatis laborem, et presen­ cium temporum stultas congemiscere opiniones, quibus pa20 trocinari Deo humana creduntur, et ad tuendam Christi 348

Vo . Luk. 9,23. a5o Scholz 235 35 1 Scholz 236 3:> 2 Scholz 236 3:>:3 ipsumque : �49

Anm. 2. Anm. 1 . Anm. 2 . - que Anakoluth oder ohne Bedeutung s. Vo .

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von dem der Herrscher abhebt : Das Urteil der Priester ist weder zwingend, noch darf es das sein ; dabei betont er den sehr oft angeführten Grund : Erstens stammt die zwingende Gewalt von den Gesetzen oder den Gesetzgebern, und sie war den Priestern zu seiner Zeit oder in seinem Bezirk nicht zuge­ standen ; zweitens, wäre sie ihnen zugestanden gewesen, so wäre es auf jeden Fall zwecklos gewesen, mit ihr gegen die Untergebenen vorzugehen348 ; denn nichts Geistliches nützt unter Zwang zur ewigen Seligkeit. Dasselbe sagt er über jenes Wort bei Lukas im 9. Kap .349 : Will jemand mir nachfolgen, der verleugne sich selbst. Den Wortlauf350 habe ich ausge­ lassen ; die angeführten Stellen genügen, und ich will ab­ kürzen. § 5 Dies war ferner offenbar die Meinung des seligen Hilarius3 5 1 in dem Brief ,An K aiser Konstantin', in dem er ihm u. a. schrieb : Gott hat seine Erkenntnis mehr gelehrt als ver­ langt, und die Forderung, seine himmlischen Werke zu bewundern, verbindet er zwar mit seinen Geboten, aber eine Machtbefugnis, die das Bekenntnis zu Gott erzwingt, hat er verworfen. Beachte : Gott will, daß die Menschen in seiner Erkenntnis und im Bekenntnis zu ihm u n t e r r i c h t e t wer­ den, im Glauben nämlich ; keineswegs aber, daß einer g e ­ z w u n g e n wird, sondern das verwirft er. Dasselbe wieder­ holt er auch ein wenig weiter unten mit den Worten : Gott verlangt nicht ein erzwungenes Bekenntnis. Ferner drückt er unten dasselbe im Namen aller Priester so aus : Ich kann nur einen, der will, aufnehmen, nur einen, der betet, erhören, nur einen, der bekennt, segnen. Gott wünscht also nicht ein erzwungenes Bekenntnis, nicht, daß einer durch gewaltsames Vorgehen jemandes oder durch Druck dazu gebracht wird. Daher sagt Hilarius auch in der Schrift ,Gegen Auxentiu s'3 52 • den Bischof von Mailand, den er für einen Arianer hielt und der durch eine bewaffnete Macht die :Menschen nötigen ließ zu bekennen, was seine eigene Meinung über oder, vielmehr richtiger, wie er behauptet, gegen den rechten Glauben war ­ er tadelt ihn353, auch wenn er die Wahrheit gelehrt hätte, mit folgenden Worten : Und zuerst kann man bedauern die Mühe unserer Tage und den törichten Wahn der gegenwärtigen Zeiten beklagen, daß man sich einbildet, Gott könnten menschliche Mittel helfen, und zum Schutze der Kirch e Christi -

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ecclesiam ambicione seculari laboratur. Rursus ad eundem ibidem : At nunc proh dolor divinam fidem suffragia terrena commendant, inopsque virtutis sue Christus, dum ambicio nomini suo conciliatur, arguitur. Terret exiliis et carceribus 25 ecclesia, * credique sibi cogit, que exiliis et carceribus'' credita 23? est. Et loquitur de ecclesia pro collegio sacerdotum seu epi­ scoporum et reliquorum templi ministrorum, quos vocant clericos. § 6. Hoc eciam Ambrosius ad Valentinianum imperatorem 5 epistola 2a, que intitulatur Ad Plebem, sensit aperte, cum dixit : Dolere potero, fiere potero, gemere potero; adversus arma, milites, Gothos quoque, lacrime mee arma mea sunt; talia enim munimenta sunt sacerdotis, aliter nec debeo nec possum resistere. Ecce quod non debet, esto quod posset, arma vel 1 0 potenciam coactivam in quemquam movere aut moveri iubere vel exhortari sacerdos, maxime contra Christi fideles, cuius oppositum contra sacri canonis et sanetarum ''senten­ ciam':· omnis iste mundus de quibusdam sacerdotibus sentire pofest. § 7. Secundum veritatem igitur et apertarn intencionem 1 5 apostoli atque sanctorum, qui doctores ecclesie seu fidei exti­ terunt aliorum precipui, nemo cogi precipitur in hoc seculo pena vel supplicio ad legis evangelice precepta servanda, per sacerdotem precipue, nedum fidelis, verum eciam nec infi20 delis ; propter quod huius legis ministri, episcopi seu pres­ byteri, nec quemquam iudicare possunt aut debent in hoc seculo tercie significacionis iudicio, nec quemquam invitum compellere pena vel supplicio quoquam ad preceptorum di­ vine legis observacionem, presertim absque humani legisla25 toris auctoritate ; quoniam secundum Iegern divinam tale iudicium in hoc seculo exerceri non debet aut eius execucio fieri, sed in futuro tantummodo. Unde Matthei 1 9° : lesus au-

354 Scholz 236 Anm. 3 . 355 Scholz 23? Anm. 1 . 356 Matth. 1 9,28.

Teil Il, Kapitel IX

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mit meltlidwm Ehrgeiz siCh müht. Ferner schreibt er an ihn ebenda354 : Aber jetzt, o SChmerz, empfehlen irdisChe Argu­ mente den Glauben an Gott, und als kraftloser SChmäChling mird Christus hingestellt, menn der Ehrgeiz siCh mit seinem Namen verbindet. DurCh Verbannung und Kerker sChreckt 25 die KirChe und erzmingt, daß man ihr glaubt, die einst unter Verbannung und Kerker Glauben gefunden hat. 237 Er spricht von der Kirche im Sinne eines K ollegiums der Priester oder Bischöfe und der übrigen Diener des Heilig­ tums, die man Kleriker nennt. § 6 Das meinte auch Ambrosius offenbar im 2. Brief an den 5 Kaiser Valentinian, der betitelt ist ,An das Volk'355, mit den Worten : Trauern merde idt können, meinen merde iCh kön­ nen, seufzen merde iCh können; gegen Waffen, Soldaten, auCh die Goten sind Tränen meine Waffen ; solChes nämliCh sind die BolZmerke des Priesters; in anderer Weise darf iCh meder noCh kann iCh Widerstand leisten. Beachte : Ein Priester darf niCht, gesetzt auch, er könnte es, Waffen oder eine zwingende 10 Macht gegen jemand in Bewegung setzen oder in Bewegung setzen lassen oder dazu auffordern, am wenigsten gegen Christusgläubige ; das Gegenteil davon kann freilich die ganze heutige Welt wider die Meinung des Heiligen Kanons und der Heiligen an gewissen Priestern erleben. § 7 In Wahrheit also und nach der klar ausgesprochenen t5 Meinung des Apostels und der Heiligen, die hervorragende Lehrer der K irche oder des Glaubens für die anderen gewesen sind, besteht das Gebot, niemand dürfe in dieser Welt durch Strafe oder Pein zur Befolgung der Gebote des evangelischen Gesetzeß gezwungen werden, besonders nicht durch den Priester, nicht nur ein Gläubiger, sondern auch nicht ei nmal ein Ungläubiger ; deswegen können oder dürfen die Diener 20 dieses Gesetzes, die Bischöfe oder Priester, weder einen in dieser Welt durch ein Urteil in der dritten Bedeutung richten noch einen gegen seinen Willen durch eine Strafe oder Pein zur Befolgung der Gebote des göttlichen Gesetzes zwingen, besonders nicht ohne Ermächtigung durch den menschlichen Gesetzgeber ; denn in dieser Welt darf ein solches Gericht 25 nach dem göttlichen Gesetz nicht gehalten noch ein solches Urteil vollstreckt werden, sondern nur in der künftigen. Daher heißt es bei Matthäus im 19. Kap.356 : ]esus aber spram

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tem dixit illis, id est apostolis : Amen dico Dobis, quod DOS qui secuti estis me, in regeneracione, cum sederit filius hominis in sede maiestatis sue, sedebitis et Dos super sedes duodecim, iu­ dicantes duodecim tribus Israel. Ecce quando sessuri erant apostoli cum Christo tamquam coniudices tercie significa5 cionis, quoniam in alio seculo, non in isto. Ubi glossa : 'in regeneracione', id est, quando mortui resurgent incorrupti. Unde secund um glossam : Due sunt regeneraciones : prima ex aqua et spiritu sancto, secunda in resurreccione. Unde : sede­ bitis et Dos, dicit glossa secundum Augustinum : Forma servi t o que iudicata est, Christi scilicet, qui in hoc seculo iudicatus fuit coactivo iudicio, non iudicans, •:· cum•:· iudiciariam exer­ cuerit potestatem, in resurreccione scilicet, eritis et vos me­ cum iudices. Ecce ergo secundum Christi oraculum evange­ licum et sanetarum exposicionem, quod Christus non exert5 cuit in hoc seculo iudiciariam potestatem, coactivam scilicet. quam tercie significacionis diximus ; sed pocius in forma servi existens, ab alio iudicatus est tali iudicio ; et quod talem iudiciariam potestatem coactivam cum exercuerit in alio se­ culo, tune apostoli cum ipso sedebunt ad iudicandum tali 20 iudicio, non antea. § 8. Unde admiracione dignum est valde, cur sibi assumat episcopus seu presbyter aliquis, quicumque sit ille, maiorem aut aliam auctoritatem, quam Christus aut eius apostoli 25 habere voluerint in hoc seculo. Ipsi enim in forma servorum iudicati sunt per seculi principes. Eorum vero successores presbyteri principibus non solum subesse recusant contra Christi et apostolorum exemplum atque preceptum, verum eciam principibus et potestatibus supremis coactiva iurisdic30 cione preesse se dicunt. Cum tarnen dixerit Christus Matthei 1 0° : Et ad reges et presides ducemini propter me; nec dixit : presides aut reges eritis. Et infra subiungit : Non est discipulu s 357 358 359 36 0

Scholz 238 Anm. 1 . Scholz 238 Anm . 2 . Scholz 238 Anm. 3. Matth. 1 0 , 18.

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zu ihnen, d. h. zu den Aposteln : Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet in der Wiedergeburt, 238 roenn des Menschen Sohn auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzt, ebenfalls auf zwölf Thronen sitzen und richten die zroölf Stämme Israels. Beachte, wann die Apostel mit Chri­ stus als Mitrichter in der dritten Bedeutung sitzen sollten, 5 nämlich in der anderen Welt, nicht in dieser. Dazu sagt die Glosse357 : ,in der Wiedergeburt', d. h., wenn die Toten auf­ erstehen werden unverweslich. Dann heißt es nach der Glosse358 : Es gibt zroei Wiedergeburten, die erste aus Wasser und dem Heiligen Geist, die zweite in der Auferstehung. Zu den Worten : Auch ihr werdet sitzen, sagt daher die Glosse359 nach Augustirr : Wenn die Knechtsgestalt, die gerichtet ist, d. h. 1 0 Christus, der in dieser Welt durch ein zwingendes Gericht gerichtet worden ist, nicht als Richter auftrat, ihre richter­ liche Gemalt ausübt, nämlich bei der Auferstehung, dann werdet auch ihr mit mir Richter sein. Beachte also : Nach Christi Ausspruch im Evangelium und der Auslegung der Heiligen hat Christus in dieser Welt keine richterliche Gewalt u ausgeübt, keine zwingende, die wir die in der dritten Bedeu­ tung genannt haben ; sondern er ist vielmehr in Knechts­ gestalt von einem anderen in einem solchen Gericht abge­ urteilt worden ; und wenn er eine solche zwingende richter­ liche Gewalt in der anderen Welt ausübt, dann werden die Apostel mit ihm in einem solchen Gericht als Richter sitzen , 20 nicht vorher. § 8 Daher ist es höchst verwunderlich, wieso ein B ischof oder Priester, wer auch immer er sei, sich eine größere oder andere Machtbefugnis anmaßt, als Christus oder seine 2 5 Apostel sie in dieser Welt haben wollten. Denn die Apostel sind in Knechtsgestalt von weltlichen Herrschern gerichtet worden. Deren Nachfolger aber, die Priester, weigern sich nicht nur, gegen Christi und der Apostel Vorbild und Gebot sich den Herrschern zu unterstellen, sondern behaupten so­ gar, mit einer zwingenden Rechtsprechung über den Herr­ schern und höchsten Gewalten zu stehen : Christus jedoch hat 3 0 bei Matthäus im 1 0. Kap.360 gesagt : Und man roird euch vor 239 Könige und Statthalter führen um meinetwillen ; und nicht : Statthalter oder Könige werdet ihr sein. Unten fügt er hin-

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supra magistrum, nec servus super dominum suum. Nul­ lum ergo iudicium, principatum seu dominium coactivum 5 potest aut debet in hoc seculo presbyter seu episcopus aliquis inquantum huiusmodi exercere. Fuit eciam hec aperte sen­ tencia famosi philosophi 4° Politice, capitulo 1 2° ; inquit enim : Propier quod non omnes neque electos neque sorciales panen­ d um principes, puta sacerdotes prima, hoc enim aliquid pre1 0 ter politicos principatus ponendum, adhuc et distributores et precones. Eliguntur autem et legati. Sunt autem hee quidem politice curarum, vel omnium civium ad quandam operaci­ onem. Et parum infra subdit : Hee autem yconomice sunt. § 9. Testatur autem dictis, quoniam si voluisset Christus 15 sacerdotes Nove Legis iudices esse secundum ipsam tercie significacionis, iudicio coactivo videlicet, contenciosos homi­ num actus in hoc seculo per talem diffiniendo sentenciam, tradidisset utique in lege huiusmodi specialia precepta talium, quemadmodum Moysi fecit in Antiqua Lege, quem oraculo 20 suo et non per hominem Deus p rincipem et ludeorum iudicem coactivum instituit, sicut habetur Actuum 7°. Propier quod eciam illi Iegern Deus tradidit observandorum in statu et pro statu vite presentis, ad contenciones hominum dirimendas, 25 precepta talium specialia continentem, et in hoc proporciona­ liter se habentern humane legi, quantum ad aliquam sui partem. Ad que siquidem observanda compellebantur et arce­ 240 bantur homines in hoc seculo per Moysem et ipsius substitu­ tos iudices coactivos pena vel supplicio, minime vero per sacerdotem aliquem, sicut Exodi 1 8° *evidenter apparet. 5 Verum huiusmodi precepta'' in evangelica lege non tradidit Christus, sed tradita vel tradenda supposuit in humanis legi­ bus, quas observari et principantibus secundum eas omnem animam humanam obedire precepit, in hiis saltem que non ad-

36 1 36 2 363 364

M atth. 1 0,24. Ar. Pol. VI (Rolfes IV) 15 Acta ?,35. 2. Mos. 18,13-26.

=

1 299 a, 16 ff. ; vgl . 136,5 ff.

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5

10

15

zo

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240

5

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zu381 : Ein jünger ist niCht über dem Meister, noCh ein KneCht ü ber seinem Herrn. Kein Gericht also, keine Regierung oder zwingende Herrschaft kann oder darf ein Priester oder Bischof als solcher in dieser Welt ausüben. Dies war auch offenbar die Meinung des berühmten Philosophen Pol. B. 4, Kap. 1 236 2 ; er sagt nämlich : Deswegen darf man niCht alle, weder die Erwählten noCh die Erlosten, als Beamte ansehen, z. B. gleiCh die Priester nicht: denn < das Priesteramf > muß man als etwas VersChiedenes neben die Staatsämter setzen, ferner auCh die Choregen und Herolde niCht; gewählt werden aber auch die Gesandten. Es sind aber die einen von den Obliegenheiten politisch oder gelten für alle Bürger hinsiCht­ liCh einer gewissen Tätigkeit. Und weiter unten fügt er hinzu : Die anderen aber sind wirtsChaftliChen Charakters. § 9 Für das Gesagte zeugt : Hätte Christus gewollt, daß die Priester des N euen Gesetzes nach dem Gesetz in der dritten Bedeutung Richter wären, durch ein zwingendes Gericht nämlich, und Streitsachen der Menschen in dieser Welt durch einen solchen Spruch entschieden, so hätte er sicherlich in einem derartigen Gesetz ins einzelne gehende Vorschriften dafür gegeben, wie das Moses in dem Alten Gesetz getan hat, den Gott nach der Apostelgeschichte Kap. 7363 durch seinen Ausspruch und nicht durch einen Menschen zum Führer und zwingenden Richter der Juden eingesetzt hat. Deswegen hat ihm auch Gott das Gesetz für das übergeben, was im Stande und für den Stand des gegenwärtigen Lebens zu beachten sei, um die Streitigkeiten unter den Menschen zu schlichten, ein Gesetz, das Einzelvorschriften dafür enthält und hierin dem menschlichen Gesetz entspricht, wenigstens in einem be­ stimmten Teil. Zu deren Befolgung wurden natürlich die Menschen in dieser Welt von Moses und den für ihn ein­ gesetzten Richtern mit Vollstreckungsgewalt durch Strafe oder Pein gezwungen und genötigt, keineswegs von einem P riester, wie aus Exodus Kap. 1 8364 mit voller Klarheit her­ vorgeht. Aber Christus hat derartige Gebote im evangelisehen Gesetz nicht gegeben, sondern hat vorausgesetzt, daf! sie in den menschlichen Gesetzen gegeben oder zu geben sind ; diese zu befolgen und den nach ihnen regierenden Männern zu gehorchen, hat er jeder menschlichen Seele geboten, wenig­ stens in dem, was dem Gesetz des ewigen Heils nicht wider-

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versarentur legi salutis eterne. Unde Matthei 22° et Marci 1 1 ° : Reddite que sunt Cesaris, Cesari, per Cesarem signifieans quemlibet principantem. Sie eciam apostolus ad Romanos 1 3°, nee reiterare piget : Omnis anima subdita sit potestatibus sublimioribus. Sie eciam 1 a ad Timotheum ultimo : Eciam do­ minis infidelibus, et ibidem glossa seeundum Augustinum. n quam 5° huius induximus, parte sa. Ex quibus apparet liquido intencionem Christi, apostoli et sanetarum fuisse human is legibus et secundum ipsas iudieibus eunctos hornirres subesse debere. 20 § 1 0. Amplius ex hiis palam, quoniam non omnia que in Lege seu Testamento Veteri ludaieo populo eonsulta vel eustodiri preeepta fuerunt, observare tenentur Christi fide­ les ; quinimo quorundam est ipsis observaeio interdicta, ut que cerimoniarum sub pena perdicionis eterne, quemadmo25 dum doeet apostolus ad Romanos 3° et ?0, ad Galatas 2°, 3° et 5°, ad Ephesios 2° et ad Hebreos ?0 et 1 0°. Cuius eeiam asse­ quentes senteneie beati leronymus et Augustinus in ipsorum mu tuis epistolis 1 1 a et 1 3a eoneordi ter in hoe dicentes, asserunt talium eerimoniarum observatores sive veros sive simulatos post publieaeionem evangeliee legis fore in diaboli baratrum 241 devolutos. Ad legalium quoque similiter observacionem mi­ nime tenentur Christi fideles, ut apparet per apostolum ubi supra et per Augustinum super illud predictum 1 e ad Timo5 theum ultimo, eum dixit : Non ergo exigant, id est, quia non exigere possunt, servi Christiani, quod de Hebreis dicitur etc. Cum igitur nee in lege gracie tradita sint precepta speeialiter pro eonteneiosis actibus hominum in hoe seculo dirimendis, relinquitur talia diffiniri debere per hurnanas Ieges tantumo modo et iudiees seeund um has ab humano legislatore auctori­ t tatem habentes. to

366 Mark. 1 2 , 1 3-17. 367 Röm. 1 3 , 1 ; vgl. I l 5 , 4. 3 ss

1. Tim. 6 , 1 -2.

3 69 1 94, 13. 370 Scholz 241 Anm. 1 . 371 1 94 , 1 8-19.

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spräche. Daher sagt er bei Matthäus im 22.365 und bei Markus im 1 1 . Kap.366 : Gebt dem Kaiser, roas des Kaisers ist, wobei er mit Kaiser jeden beliebigen Herrscher bezeichnet. So auch der Apostel im Römerbrief im 1 3. Kap.367, und wir wieder­ holen es gern : ] ede Seele sei untertan den höheren Gewalten, so auch im 1 . Brief an Timotheus im letzten K apitel368 : Audt den ungläubigen Herren, und dazu die Glosse nach Augustin, 1 5 die wir in II 5, 8369 angeführt haben. Daraus ergibt sich deut­ lich : Es ist die Ansicht Christi, des Apostels und der Heiligen gewesen, daß alle Menschen den menschlichen Gesetzen und den nach ihnen < Urteilenden > Richtern unterstehen sollen. 20 § 10 Ferner ergibt sich daraus, daß die Christusgläubigen nicht alles, was in dem Alten Gesetz oder Alten Testament dem _jüdischen Volk geraten oder vorgeschrieben war, zu befolgen verpflichtet sind ; vielmehr ist ihnen die Befolgung gewisser < Vorschriften > untersagt, z. B. die gewisser reli­ giöser Bräuche unter der Strafe ewiger Verdammnis, wie der Apostel im Römerbrief im 3. und "!., im Galaterbrief im 2., 2 5 3. und 5., im Epheserbrief im 2. und im Hebräerbrief im "!. und 1 0. Kap. lehrt. Im Anschluß an seine Meinung äußern sich auch der selige Hieronymus und Augustin in Brief 1 1 und 13 ihres Briefwechsels370 übereinstimmend hierüber und versichern, wer solche Bräuche nach Verkündigung des evangeli­ schen Gesetzes befolge, sei es in ehrlicher Überzeugung oder aus Heuchelei, solle in des Teufels Abgrund hinabgestürzt roerden. Auch ·zur Befolgung ähnlichergesetzlicher < Vorschrif­ ten > sind die Christusgläubigen keineswegs verpflichtet, wie sich aus den oben angeführten Worten des Apostels und aus Augustins < Bemerkung > zu der zitierten < Stelle > im 1. Brief 5 an Timotheus im letzten Kapitel368 ergibt : Die christlichen Sklaven sollen also nicht fordern, d. h., weil sie es nicht for­ dern können, roas von den Hebräern berichtet roird311 usw. Da also im Gesetz der Gnade auch keine Einzelvorschriften für die Schlichtung von Streitsachen der Mensmen in dieser Welt gegeben sind, so bleibt nur übrig, daß dergleichen ausI O smließlim menschliche Gesetze und Richter entscheiden müs­ sen, die nach ihnen und ihre Vollmacht vom menschlichen Gesetzgeber haben. 10

241

43 1

365 Matth.

22,1 7, 20-21 ; vgl. 167, 6 ff.

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§ 1 1 . Fuerunt autem et alia quedam in lege Mosayca obser­ vari precepta pro statu venturi seculi, veluti ea que sacri­ ficiorum aut hostiarum seu oblacionum quorundam pro 1 5 redempcione peccatorum, maxime occultorum, que per im­ manentes actus committuntur. Ad que implenda nemo coge­ batur pena vel supplicio presentis seculi. Et hiis proporciona­ liter habent omnia Nove Legis tarn consilia quam precepta, zo eo quod ad talium observacionem in hoc seculo neminem Christus voluit nec precepit arceri, licet legum humanarum instituta generali mandato precipiat observari, sub pena tarnen aut supplicio in alio seculo transgressoribus infligendo. Unde transgressor humane legis quasi ut in pluribus peccat 25 in Iegern divinam, licet econverso non sie. Quoniam multi sunt actus, in quibus committens aut omittens peccat contra Iegern divinam, que de hiis precipit, de quibus humana Iex frustra preciperet ; quales sunt quos pridem diximus immanentes, qui alicui adesse vel non irresse probari nequeunt, euro 242 tarnen Deum latere non possint. Et ideo de talibus debite fa­ ciendis aut omittendis Iex divina lata fuit convenienter prop­ ter hominum melioracionem, tarn in presenti seculo quam venturo. 5 § 1 2 . Obiciet autem aliquis imperfeccionem evangelice legi, si per ipsam, ut diximus, sufficienter regulari nequeant actus humani contenciosi pro statu et in statu vite presentis. Nos autem dicamus, quod per Iegern evangelicam sufficienter 10 dirigimur in agendis aut declinandis in vita presenti, pro statu tarnen venturi seculi seu eterne salutis consequende atque supplicii declinandi, propter que lata est, non quidem pro contenciosis actibus hominum civiliter *reducendis'' ad equalitatem aut commensuracionem debitam pro statu seu t5 sufficiencia vite presentis, eo quod Christus in mundum non

372 26, 18. 373 Strafe als Ausgleich I 1 5 , 1 1 .

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§ 1 1 Auch noch einige andere Gebote waren im Mosaischen Gesetz gegeben, die für die künftige Welt befolgt werden sollten, wie die über Opfer oder Opfertiere oder gewisse t 5 Spenden für die Erlösung von den Sünden, besonders den verborgenen, die durch rein innerliche Handlungen begangen werden, Gebote, die zu erfüllen niemand durch Strafe oder Pein in der gegenwärtigen Welt gezwungen wurde. Dem entsprechen alle Ratschläge wie Gebote des Neuen Gesetzes, 20 weil zur Befolgung solcher Weisungen nach Christi Willen und Gebot in dieser Welt niemand genötigt werden sollte, mag er auch durch eine allgemeine Anweisung gebieten, die Bestimmungen der menschlichen Gesetze zu befolgen, jedoch unter einer Strafe oder Pein, die in der anderen Welt gegen die Übertreter verhängt werden soll. Wer daher ein mensch­ liches Gesetz übertritt, verstößt fast immer zugleich gegen 25 das göttliche Gesetz, mag es auch umgekehrt nicht so sein. Denn es gibt viele Handlungen, bei denen der Mensch durch Tun oder Lassen gegen das göttliche Gesetz sündigt, das über Handlungen Vorschriften gibt, über die Vorschriften des menschlichen Gesetzes zwecklos wären ; solche Handlungen sind die, die wir vorhin rein innerlich genannt haben, und 242 daß sie in einem Menschen vorgehen oder nicht372, läßt sich nicht beweisen, während sie doch Gott nicht verborgen blei­ ben können. Darum ist es zweckmäßig, daß über solche Handlungen, wie sie im Tun und Lassen sein sollen, das gött­ liche Gesetz gegeben ist, um die Menschen in der gegenwär­ tigen Welt wie in der künftigen zu bessern. 5 § 12 Mancher wird dem evangelischen Gesetz Unvollkom­ menheit vorwerfen, wenn es, wie gesagt, die Streitsachen der Menschen für den Stand und in dem Stand des gegenwärtigen Lebens nicht genügend regeln kann. Wir aber wollen sagen : Das evangelische Gesetz leitet uns genügend in dem, was im t o gegenwärtigen Leben zu tun oder zu meiden ist, ebenso darin, was die künftige Welt angeht oder die ewige Seligkeit zu ge­ winnen und der ewigen Pein zu entgehen. Dafür ist es ge­ geben, wahrhaftig aber nicht, um Streitsachen der Menschen im bürgerlichen Leben wieder auszugleichen373 und wieder ins richtige Verhältnis zu bringen, wie es für den Stand oder 1 5 die befriedigende Form des gegenwärtigen Lebens sein soll ; denn Christus ist nicht in die Welt gekommen, um dergleichen

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venit ad huius [modi] regulandos pro vita presenti, sed futura tantummodo. Et propterea diversa est temporalium et hu­ manorum actuum regula, diversimode dirigens ad hos fines. Una enim, divina scilicet, nullo modo docet contendere aut 20 repetere in iudicio, licet non prohibeat. Ideoque nec de tali­ bus specialia tradit precepta, ut diximus. Reliqua vero horum actuum regula hec docet, tradit et transgressores arceri preci­ pit, humana Iex scilicet. Propter quod Luce 1 2° petenti a Christo humanum iudicium inter se et fratrem suum respon25 dit ipse : Homo, quis me constituit iudicem aut divisorem super vos ? quasi diceret : non veni ad tale iudicium exercen243 dum. Unde glossa : Non dignatur esse iudex licium, non arbi­ ter facultatum, qui vivorum et mortuorum habet iudicium et meritorum arbitrium. Non ergo per evangelicam legem com­ mensurari possent sufficienter actus humani pro fine presen5 tis seculi. Quoniam nec regule talium actuum commensura­ tive ad proporcionem, quam volunt hornirres et licite, pro statu vite presentis sunt in ea tradite, sed ab humanis legibus supposite vel tradite vel tradende ; sine quibus eciam propter 1 0 defectum iusticie contingeret ex hominum scandalo seu con­ tencione ipsorum pugna et separacio ac humane vite mun­ dane insufficiencia, quam quasi omnes refugiunt secundum naturam. § 1 3 . Non potest ergo propterea dici secundum veritatem 1 5 evangelica Iex sive doctrina imperfecta ; quoniam non est nata habere perfeccionem quam non habeat. Est enim lata, ut per ipsam dirigamur immediate de hiis et in hiis que sunt eterne salutis consequende hominibus et miserie declinande,

374 Luk. 12, 14. 375 Scholz 243 Anm. 1. 376 240,5.

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für das gegenwärtige Leben zu regeln, sondern nur für das künftige. Deswegen sind die beiden Regeln für die zeitlichen und menschlichen Handlungen verschieden, weil sie in ver­ schiedener Weise auf diese Ziele hinlenken. Die eine, die gött­ liche, gibt in keiner Weise Anweisungen, wie man vor Gericht 20 zu streiten und vor Gericht zurückzufordern hat, wenn sie es auch nicht verbietet ; darum gibt sie auch dafür, wie gesagt, keine Einzelvorschriften. Die andere Regel für diese Hand­ lungen, das menschliche Gesetz, gibt solche Anweisungen und gebietet, die Übertreter zu strafen. Deshalb hat Christus bei Lukas im 1 2. Kap.374 einem, der von ihm ein menschliches Ur­ teil < in einem Streit > zwischen ihm und seinem Bruder erbat, 25 zur Antwort gegeben : Mensdt, wer hat mim zum Ridtter oder Erbteiler über eudt gesetzt?, als ob er sagen wollte : Ich bin nicht gekommen, um ein solches Gericht auszuüben. Daher 243 sagt die Glosse375 : Er hält es für seiner unwürdig, Ridtter in Streitigkeiten und Sdtiedsridtter über irdisdte Güter zu sein, der über Lebende und Tote Geridtt hält und die Entsdteidung über ihre Verdienste hat. Also könnten die menschlichen Hand­ lungen durch das evangelische Gesetz für den Zweck der gegenwärtigen Welt nicht genügend ins Gleichgewicht ge5 bracht werden. Denn nicht einmal < allgemeine > Regeln, solche Streitsachen wieder in das richtige Gleichgewicht zu bringen, das die Menschen wünschen, und zwar erlaubter­ weise, sind für das gegenwärtige Leben in dem evangeli­ schen Gesetz gegeben, sondern es ist vorausgesetzt, daß sie durch die menschlichen Gesetze schon überliefert sind oder noch überliefert werden sollen376 ; ohne diese Regeln könnte 1 0 wegen der Schwäche des Gerechtigkeitsgefühls aus dem Ärgernis, das die Menschen nehmen, oder ihrem Streit auch Kampf und Spaltung und ein unbefriedigender Zustand des menschlichen Lebens in dieser Welt entstehen, den fast alle aus natürlicher Abneigung scheuen. § 1 3 Man kann also in Wahrheit deswegen das evan1 5 gelische Gesetz oder die evangelische Lehre nicht unvoll­ kommen nennen ; denn es gehört nicht zu seinem Wesen, eine Vollkommenheit zu haben, die es nicht haben soll. Es ist nämlich gegeben, damit wir dadurch unmittelbar über das und in dem eine Anleitung erhalten, was den Menschen dazu dient, die ewige Seligkeit zu gewinnen und der ewigen Pein

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in quibus est valde sufficiens et perfecta. Non autem lata fuit nec est ad civilia litigiosa negocia dirimenda, propter finem quem volunt homines et licite in vita mundana. Si enim ex hoc diceretur imperfecta, eque convenienter imperfecta dici posset, quoniam per ipsam medicari corporales egritudines aut mensurare magnitudines vel oceanum navigare nescimus. 2 5 Quamvis hoc sane concedi possit, quod ipsa non simpliciter est perfecta, quia non est tale aliquod ens nisi unicum, Deus ipse. Huic quidem sentencie tamquam indubie vere testatur glossa secundum Gregorium super sexturn 1e ad Corinthios, 244 ubi sie ait : 'Ad reverenciam vestram dico' : ut videlicet hii terrenas causas examinent, qui extoriorum rerum sapienciam perceperunt, qui autem spiritualibus donis dotati sunt, ter5 renis non debent negociis implicari. Quod si per sapienciam rerum exteriorum et terrenarum causarum seu contencionum intellexisset sacram scripturam, non dixisset : qui autem spiritualibus donis dotati sunt, id est scriptura sacra, terrenis 1 0 non debent negociis implicari, nec tales secundum has doctri­ nas invicem separasset. Amplius, quia talem sapienciam habentes, exteriorum rerum videlicet, prius vocaverat apo­ stolus et sancti secundum unam exposicionem contemptibiles in ecclesia, quod tarnen nec apostolus aut sancti exponentes 15 eius seriem senserunt de doctis in sacra scriptura. Qui quidem igitur et quales sint actus legales humani, quibus eciam legibus atque iudicibus, qualiter et quando •:· et per quos•:· regulandi et corrigendi, sufficienter ad intencionem propositam monstrasse putamus. 20

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zu entgehen, und darin ist es völlig ausreichend u nd voll­ kommen. Es ist aber nicht gegeben worden oder dazu da, um 20 bürgerliche Streitsachen zu schlichten für den Zweck, den d ie Menschen, und zwar erlaubterweise, im irdischen Dasein wün ­ schen. Wollte man e s nämlich aus diesem Grunde unvoll­ kommen nennen, so könnte man es ebensogut deshalb unvoll� kommen nennen, weil wir damit nicht körperliche K rank­ heiten heilen oder Größen ausmessen oder den Ozean 25 befahren können. Das allerdings kann man zugeben : Es ist nicht schlechthin vollkommen, aber das ist kein Wesen außer einem einzigen : Gott selbst. Für die unzweifelhafte Wahr244 heit dieses Satzes zeugt die Glosse nach Gregorius zum 1 . Ko­ rintherbrief Kap. 6377 : ,Euch zur Beschämung sage idL das' : damit nämlich diejenigen die irdismen Angelegenheiten untersuchen, die sim in den äußeren Dingen Wissen angeeig­ net haben. Die aber, die mit geistlimen Gaben bedacht sind, 5 sollen sich nimt in irdisme Geschäfte verwickeln. Wenn er unter Wissen in äußeren Dingen und irdischen Angelegen­ heiten oder Streitigkeiten die Heilige Schrift verstanden hätte, so hätte er nicht gesagt : Die aber mit geistlichen Gaben bedamt378 sind, d. h. mit < Kenntnis > der Heiligen Schrift, 1 0 sollen sim nimt in irdisdw Gesmäfte verwickeln, und er hätte solche Richter nach diesen beiden Lehren nicht vonein­ ander geschieden. Ferner < kann die Heilige Schrift darum nicht gemeint sein > , weil der Apostel und die Heiligen nach der e i n e n378 Auslegung die, die solches Wissen besitzen , in äußeren Dingen nämlich, früher genannt hatten : minder �eamtet in der Gemeinde, was doch weder der Apostel noch die Heiligen bei der Auslegung dieser Stelle von den K ennern t5 der Heiligen Schrift gemeint haben. Welche also und welcher Art die gesetzlichen Handlungen der Menschen sind, auch von welchen Gesetzen und Richtern, in welchem Sinn und wann und von wem sie zu regeln und auszugleichen sind, glauben wir für unser Thema genügend gezeigt zu haben.

377 37 8 3 79

J . Kor. 6,4 ; vgl. 1 79,7 ff. 1 79,14 ditati. 1 79,9 ff.

u.

Scholz 244 Anm. 1 .

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20

C A P I T UL U M X

De coactivo hereticorum iudice, cuius videlicet sit i p s o s i u dicare i n h o c s e cu l o , a r c e r e a c p en a s r e a l e s a u t p e r s o n al e s i l l i s i n f l i g e r e , e x i g e r e , et cui debeant a p p l i cari. 25

Sed de quibus diximus, merito dubitatur. Nam s i arcendo­ rum omnium in vita presenti, iudicio coadivo ac realium 245 aut personalium penarum infliccio [ne] et exaccio [ne] , prin­ cipanti tantummodo legislatoris audoritate pertineat iuris­ diccio, quemadmodum in prioribus ostensum est, hereticorum igitur aut aliter infidelium vel scismaticorum iudicium co5 activum, realis quoque ac personalis pene infliccio, exaccio et applicacio ad principantem huiusmodi pertinebit, quod siquidem inconvenientis faciem habere videtur. Cum enim eiusdem auctoritatis appareat delictum cognoscere, iudicare 1 0 atque corrigere, sacerdotis autem, presbyteri seu episcopi sit heresis discernere crimen, nullius alterius, ad sacerdotem seu episcopum solum videbitur utique huius criminis et con­ similium iudicium coactivum seu correpcio pertinere. Amplius, ad illum videtur iudicium et pene delinquentis 15 exaccio pertinere, in quem seu cuius Iegern delinquens pec­ caverit ; hic autem presbyter est seu episcopus. Est enim legis divine minister et iudex, in quam per se peccat hereticus, scismaticus aut aliter infidelis, sit peccans collegium aut singularis persona. Relinquitur igitur hoc fore iudicium 20 sacerdotis, principantis vero nequaquam. Et videtur hec a perte sentencia beati Ambrosii Ad Valentinianum impera­ torem epistola prima, et quia quasi per totam illius [epistole] *seriem'; id sentire apparet, eam inducere omisi propter ab­ Lreviacionem. § 2. Nos autem secundum priores determinaciones dica­ 25 mus, quod peccans quilibet in Iegern divinam iudicandus est

as o Scholz 245 Anm. 1 .

Teil Il, Kapitel X 20

KAPITEL X

Der z wingende Richter über die K etzer, der sie in d i e s e r W e l t a b z u u rt e i l e n , b ü ß e n z u l a s s e n u n d S t r a ­ fen a n Gut o d e r P erson ü b e r sie z u verhängen und e i n z u z i e h e n h a t u n d d e r ü b e r d i e s e S t ra f e n v e r f üge n s o l l. 25

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§ 1 Doch erhebt sich gegen unsere Behauptungen mit Recht ein Zweifel. Wenn nämlich die Rechtsprechung über alle, die im gegenwärtigen Leben durch ein zwingendes Gericht und Verhängung und Einziehung von Bußen an Gut oder Person zu strafen sind, nur dem Herrscher kraft Ermächtigung durch den Gesetzgeber zukäme, wie früher gezeigt worden ist, so würde also das zwingende Gericht über Ketzer und andere Ungläubige oder Schismatiker, auch die Verhängung, Ein­ ziehung und Verwendung einer Strafe an Gut oder Person dem Herrscher zukommen ; das scheint doch wie Widersinn auszusehen. Da es nämlich offenbar Sache derselben Instanz ist, ein Vergehen festzustellen, abzuurteilen und < den Täter > zurechtzuweisen, es aber Aufgabe des Geistlichen, des Priesters oder Bischofs ist, über das Verbrechen der K etzerei zu ent­ scheiden, und keines anderen, so wird, wie es scheint, dem Priester oder Bischof allein auf jeden Fall das zwingende Gericht oder die Züchtigung wegen dieses und ähnlicher Ver­ brechen zukommen. Ferner scheint d e m das Urteil und die Einziehung der Strafe bei dem Schuldigen zuzukommen, gegen den oder dessen Gesetz der Schuldige gefehlt hat. Dies aber ist der Priester oder Bischof. Er ist nämlich Diener und Richter des göttlichen Gesetzes, gegen das allein der Ketzer, Schismatiker oder anderweit Ungläubige sündigt, mag der Sünder eine Gruppe oder eine Einzelperson sein. Also bleibt nur übrig, daß dies Urteil dem Priester zukommt, dem Herrscher aber keineswegs. Dies scheint klar die Meinung des seligen Ambrasins im 1 . Brief ,An den Kaiser Valentinian' 380 zu sein, und weil fast im ganzen Wortlaut jenes Briefes diese Meinung hervortritt, habe ich ihn nicht angeführt - der Kürze halber. § 2 Wir aber wollen den früheren Feststellungen gemäß sagen : Jeder, der gegen das göttliche Gesetz sündigt, muß nach ihm gerichtet, zurechtgewiesen und gestraft werden.

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440 246

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secundurn illarn, corrigendus et arcendus ; verurn secundurn ipsarn duplex est iudex. Unus quidern qui tercie significacio­ nis coactivarn hahens potenciarn transgressores huius legis arcendi et ab ipsis exigendi supplicia ; et hic unicus est, 5 Christus scilicet, quernadrnodurn ex Iacohi 4° induxirnus ca­ pitulo precedente. Qui tarnen ornnes huius legis transgres­ sores voluit et ordinavit iudicari iudicio coactivo in seculo venturo, et in eodern tanturnrnodo arceri pena vel supplicio, non in isto, ut ex precedenti capitulo sufficienter apparuit. 10 Alius vero iudex est secundurn hanc Iegern, preshyter vide­ licet seu episcopus, non quidern tercie significacionis, ut ipsius sit arcere quemquam huius legis transgressorem in hoc seculo, penam aut supplicium exigere per potenciam coacti­ vam, quernadmodum 5° huius et capitulo precedente aucton ritate apostoli atque sanetarum aperte monstraturn est ac invincihili racione ipsorum. Iudex tarnen est ipse secundurn primam significacionem, cuius est docere, exortari, arguere atque corripere delinquentes seu transgressores illius, ipsos­ que terrere iudicio future sihi dampnacionis et pene inflic20 cionis per iudicem coactivurn, Christum scilicet, in seculo venturo ; quemadmodum declaravimus 6° huius et 7°, in qui­ bus agehatur de claviurn sacerdotalium potestate, et in capitulo precedente, uhi medico corporum comparavimus sacerdotes, qui medici sunt animarum, ut dixit Augustinus 25 auctoritate prophete, et recitat Magister in 4°, distinccione 18a, capitulo 9°. Cum igitur hereticus, scismaticus aut infidelis alter quicumque transgressor sit evangelice legis, in eo per­ sistens crimine per euro iudicem punietur, cuius est trans­ gressores divine legis arcere, inquantum huiusmodi, cum 30 suum videlicet iudicium exercehit. Hic autem iudex Christus est, qui iudicaturus est vivos et iam mortuos et morituros, in 383 384 385 386

II II II II

5, 1-2. 9, 2. 6, 1-13;

II 7 ganz. (Nach dem göttl. Gesetz ist der Priester nur Richter in der ersten Bedeutung, d. h. Lehrer, Gutacl:!ter usw.) 387 Scl:!olz 246 Anm. 3. 9, 1-9.

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Aber Richter nach dem göttlichen Gesetz gibt es zwei : den einen, den in der dritten Bedeutung 381 , der die zwingende Macht hat, die Übertreter dieses Gesetzes zu strafen und ihnen Bußen aufzuerlegen, und dieser ist ein einziger, Chri5 stus, wie wir aus dem Jakobusbrief Kap. 4 im vorausgehen­ den Kapitel 382 angeführt haben. Christus jedoch wollte und ordnete an, alle Übertreter dieses Gesetzes sollten durch ein zwingendes Gericht erst in der kommenden Welt gerichtet und < nur > in der künftigen durch Strafe oder Pein getroffen werden, nicht in der irdischen, wie aus dem vorausgehenden Kapitel deutlich geworden ist. Einen zweiten Richter aber 10 gibt es, der nach diesem Gesetz entscheidet, den Priester oder Bischof, freilich nicht Richter in der dritten Bedeutung, so daß es seine Aufgabe wäre, einen Übertreter dieses Ge­ setzes in dieser Welt büßen zu lassen, ihm Strafe oder Pein durch zwingende Gewalt aufzuerlegen, wie in II 5 38 3 und im vorausgehenden Kapitel38 4 durch die Autorität des Apostels t5 und der Heiligen und durch deren unüberwindliche Logik klar bewiesen worden ist. Richter jedoch ist der Bischof in der ersten Bedeutung ; seine Aufgabe ist es, die Schuldigen oder die Übertreter des Gesetzes zu belehren, zu ermahnen, zu überführen, zu rügen und durch ein Gericht in der kommen­ den Welt mit der ihnen drohenden Verdammung und mit 20 Verhängung einer Strafe durch den zwingenden Richter, Christus, zu schrecken. Das haben wir I1 6 und II 738 5 dar­ gelegt, in denen von der Gewalt der priesterlichen Schlüssel die Rede war, und im vorigen Kapitel386 ; mit dem Arzt für die Körper haben wir dort die Priester verglichen, die Ärzte der Seelen, wie Augustin auf Grund der Autorität des Pro25 pheten gesagt hat, was der Meister in B. 4, Abt. 18, Kap. 938 7 anführt. Da also der Ketzer, Schismatiker oder jeder be­ liebige andere Ungläubige Übertreter des evangelischen Ge­ setzes ist, so wird er, falls er in diesem Verbrechen beharrt, von d e m Richter gezüchtigt werden, dessen Sache es ist. die Übertreter des göttlichen Gesetzes als solchen zu strafen, >o wenn er nämlich sein Gericht halten wird. Dieser Richter aber 247 ist Christus, der die Lebendigen und die Toten und die zum 246

3RI a�z

151,17 ff. II 9, 1.

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futuro tarnen seculo, non in isto. Quoniam usque ad ultimum ex hoc seculo transitum, martern scilicet, misericorditer pec­ catoribus passe mereri et penitere concessit. Per reliquum 5 vero iudicem, pastorem scilicet, episcopum seu presbyterum, docendus et exhortandus est homo in vita presenti, arguen­ dus, corripiendus peccator atque terrendus iudicio seu pro­ gnostico future glorie vel dampnacionis eterne, nequ�quam vero cogendus, ut ex priori capitulo palam. 10 § 3. Quod si humana lege prohibitum fuerit hereticum aut aliter irrfidelem in regione manere, qui talis in ipsa repertus fuerit, tamquam legis humane transgressor, pena vel sup­ plicio huic transgressioni eadem lege statutis in hoc seculo n debet arceri, et per eum iudicem, quem legislatoris auctori­ tate humane legis demonstravimus esse custodem 1 5° prime. Si vero hereticum aut aliter irrfidelem commorari fidelibus in eadem provincia non fuerit prohibitum humana lege, quemadmodum hereticis ac semini Iudeorum iam humanis 20 legibus permissum extitit, eciam temporibus Christianorum populorum, principum atque pontificum, dico cuipiam non licere hereticum aut aliter irrfidelem quemquam iudicare aut arcere pena vel supplicio reali aut personali pro statu vite presentis. Et causa eius generalis est, quoniam nemo quan25 tumcumque peccans contra disciplinas speculativas aut ope­ rativas quascumque punitur vel arcetur in hoc seculo precise, inquantum huiusmodi, sed inquantum peccat contra pre­ ceptum humane legis. Si enim inebriari aut calceos facere vel vendere cuiuscumque modi, prout possit aut velit qui>o libet, medicari et docere ac similia reliqua officiorum opera exercere pro libito, prohibitum non esset humana lege, nequaquam arceretur ebriosus aut aliter perverse agens in operibus reliquis. § 4. Et propterea oportet attendere, quod in quolibet huius seculi iudicio coactivo, antequam absolucionis vel damp388 I 15, 11. 389 248,11-16 ; 251,27-252,11. 390 Dazu Gewirth I 122 f.

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Tode Bestimmten richten wird, doch in der künftigen Welt, nicht in dieser. Denn bis zum letzten < Augenblick > , dem Übergang aus dieser Welt, dem Tode, hat er in seiner Barm­ herzigkeit den Sündern die Möglichkeit gewährt, sich Ver­ dienste zu erwerben und zu bereuen. Der andere Richter aber, der Hirte, der Bischof oder Priester, soll den Menschen als Sünder im gegenwärtigen Leben belehren und ermahnen, überführen und rügen und durch das Gericht oder die An­ kündigung künftiger Herrlichkeit oder ewiger Verdammnis schrecken, keineswegs aber zwingen, wie aus dem voraus­ gehenden Kapitel hervorgeht. § 3 Wenn hingegen das menschliche Gesetz verbietet, daß ein K etzer oder ein anderer Ungläubiger im Lande bleibe, der als solcher dort ermittelt ist, so muß er als Übertreter eines menschlichen Gesetzes durch eine Strafe oder Pein, die dasselbe Gesetz für diese Übertretung festgelegt hat, in dieser Welt getroffen werden, und zwar durch d e n Richter, der, wie wir I 15 388 gezeigt haben, kraft Ermächtigung durch den Gesetzgeber Hüter des menschlichen Gesetzes ist. Wenn aber ein menschliches Gesetz nicht verbietet, daß ein Ketzer oder ein anderer Ungläubiger in demselben Lande wie die Gläubigen sich aufhält, wie das Ketzern und dem Volk der Juden schon < immer > das menschliche Gesetz erlaubt hat, auch im Zeitalter der christlichen Völker Herrscher und Päpste, so ist es, sage ich, keinem erlaubt, einen Ketzer oder einen anderen Ungläubigen vor Gericht zu ziehen oder an Gut oder Person für das gegenwärtige Leben zu strafen ; und die allgemeine Ursache dafür ist : Wie sehr einer auch gegen theoretische oder praktische Lehren fehlt, er wird in dieser Welt nicht bestraft oder gemaßregelt, insofern er gegen eine solche Ordnung, sondern nur, insofern er gegen die Vor­ schrift des menschlichen Gesetzes verstößt. 389 Wenn nämlich sich zu betrinken oder Schuhe jeder möglichen Art herzu­ stellen und zu verkaufen, so gut jeder könnte oder wollte, als Arzt und Lehrer aufzutreten und andere ähnliche Berufe nach Belieben auszuüben das menschliche Gesetz nicht ver­ böte, so würde ein Trunkenbold oder einer, der sonst in seinem Beruf Verkehrtes tut, keineswegs bestraft. 390 § 4 Deshalb ist zu beachten : Bei jedem zwingenden Gericht in dieser Welt müssen, ehe der Spruch auf schuldig

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nacionis feratur sentencia, quantum pertinet ad propositum, secundum ordinem inquirenda sunt aliqua. Unum quidem, si dieturn aut factum alicui tamquam reo impositum sit, quale dicitur ; hoc autem est prescire, quid est, quod com­ missum dicitur. Secundum vero, an huiusmodi sit humana lege probibiturn fieri. Tercium autem, an accusatus id comto miserit vel non commiserit. Hec autem sequitur iudicium seu senteneia dampnaeionis in reum vel absolucionis. Verbi gra­ cia : sit aliquis accusatus tamquam heretieus aut vasorum aureorum vel metalli falsator alterius, debet, antequam per senteneiam coactivam dampnetur aut absolvatur, inquiri, an t5 dieturn aut factum impositum illi sit hereticum aut non. Secundo vero, an sit tale aliquid dieere, faeere vel doeere humana lege prohibitum. Tercio quidem, an tale aliquod crimen commissum fuerit vel non eommissum per eum cui erimen imponitur. Demum vero ad hee sequitur absolueionis vel dampnacionis iudicium coactivum. 20 § 5. De primo quidem horum certifieari debet prineipans per eos, qui periti sunt seeundum unamquamque discipli­ nam, quorum est eonsiderare per se quiditatem seu naturam eius dicti vel operis, quod aceusato imponitur, quoniam hii 2 5 sunt iudices prime significaeionis talium, quemadmodum diximus 2° huius ; et ipsorum naturam seire tenentur, quibus docendi aut operandi talia in civitate per principantem data est auctoritas, quam in diseiplinis liberalibus consueto voea­ bulo licenciam appellamus, quod et in aliis omnibus artibus factivis seu mechanicis proporcionaliter habet, ut demonstra­ tum est 15° prime. Sie enim medieus nosse debet leprosos et non leprosos secundum corporis habitum ; sie saeerdos ser­ monem seu doctrinam hereticam et eatholicam ; sie aurifex 5 seu argentarius de metallis ; et sie eeiam de mutuis aut depo­ sitis et aliis eonsimilibus actibus eivilibus iurisperitus seu doctor. Talia enim principans, inquantum huius [modi] , non 5

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in reum gehört auch zu sententia.

II 2, 8, Abs. 1. 393 Vgl. 419,6 ff. as4 I 1 5, 8-12. 392

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oder nichtschuldig gefällt wird, für den vorliegenden Fall ordnungsgernäH einige Untersuchungen geführt werden : erstens, ob die Äußerung oder Tat, die einem als Angeklagten zur Last gelegt wird, ein solches V ergehen ist, wie man be­ hauptet ; das aber bedeutet, im voraus das Wesen dessen zu kennen, was er begangen haben soll. - Zweitens, ob das menschliche Gesetz dergleichen verbietet. - Drittens, ob der Angeklagte das begangen hat oder nicht. Darau f folgt das Urteil über den Angeklagten 3 91 oder der Spruch auf schuldig oder nichtschuldig. Zum Beispiel : Jemand sei als Ketzer oder als Fälscher von Gefäßen aus Gold oder einem anderen Metall angeklagt ; bevor er durch einen zwingenden Spruch verur­ teilt oder freigesprochen wird, muß untersucht werden, ob die Äußerung oder Tat, die jemand zur Last gelegt wird, ketzerisch ist oder nicht. - Zweitens, ob etwas Derartiges zu ' sagen, zu tun oder zu lehren das menschliche Gesetz ver­ bietet. - Drittens, ob der Beklagte ein derartiges Vergehen begangen hat oder nicht. - Endlich folgt danach das zwin­ gende Urteil auf nichtschuldig oder schuldig. § 5 Bei der ersten von diesen Fragen muß sich der Herr­ scher durch die Sachverständigen des betreffenden Bereichs zuverlässig unterrichten lassen, deren Aufgabe es ist, das Wesen oder die Natur dieser Äußerung oder Tat an sich zu erwägen, die dem Angeklagten zur Last gelegt wird ; denn diese sind Richter in der ersten Bedeutung über dergleichen, wie wir li 2392 gesagt haben, und deren Wesen zu kennen, sind sie verpflichtet ; denn ihnen hat der Herrscher die Voll­ macht gegeben, solche Dinge im Staate zu lehren oder aus­ zuführen, eine Vollmacht, die wir bei den akademisChen Berufen393 mit �inem gewohnten Wort Zulassung (Lizenz) nennen. Das verhält sich auch in allen anderen praktischen oder technisChen Berufen entsprechend, wie I 1 5394 gezeigt worden ist. So muß z. B. der Arzt die Aussätzigen und Nicht­ aussätzigen nach ihrer körperlichen Beschaffenheit kennen ; so der Priester die ketzerische und die rechtgläubige Äußerung oder Lehre ; so der Goldschmied oder der Silberarbeiter die Metalle; so auch der R echtskundige oder Rechtslehrer < das Recht des > Geldverleihs oder der Depositen und anderer ähnliCher Akte des bürgerlichen Lebens. Solche Dinge zu kennen, ist nämliCh der Herrscher als solcher nicht gehalten,

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tenetur cognoscere, quamvis secundum legislacionem, si Iex perfecta fuerit, debeat certificari de natura sermonum, ope10 rum et actuum per disciplinarum doctores aut operatores. § 6. Tune ad propositum quesitum dieo, quod an crimen impositum alicui sit heresis vel non, iudicare potest et debet, prime tarnen significacionis iudicio, quilibet divinarum scrip­ turarum doctor, qualis est aut esse debet saeerdos quicum15 que. Unde Malachie 2° : Labia enim sacerdotis custodiunt scienciam, et legem, divinam scilicet, requirent ex ore eius. Tales enim esse debent apostolorum successores episcopi seu presbyteri, quibus dieturn est a Christo Matthei 28° : Euntes ergo docete omnes gentes etc., docentes eos servare zo omnia quecumque mandavi vobis. Sie eciam 1 a ad Timo­ theum 3° : Oportet ipsu;m inter cetera doctorem esse, sacre legis scilicet. Sie eciam ad Titum 1 ° : Oportet episcopum esse amplectantem eum, qui secundum doctrinam est, fidelem sermonem, ut potens sit exhortari in doctrina sancta, et eos qui contradieuni arguere. Sunt enim multi seductores, quos 25 oportet redargui. Secundum vero, an seilicet tale commissum sit lege prohibitum aut non, nosse oportet principantem ex 250 lege dicta secundum ultimam et propriam significacionem, secund um quam legislatoris au ctoritate principari quis debet. 5 Tercium autem quod scire oportet, est, an crimen dicti vel operis heretici dixerit vel exercuerit is, eui crimen imponitur ; et hoc quidem iudicium per sensus exteriores et interiores consequenter tarn a doctis, quam ab indoctis iudicari potest, quos festes vocare solent. Post hec autem per principantem est iudicium seu senteneia dampnaeionis aut 10 ferendum absolueionis pene aut supplicii, exaeeio quoque vel relaxacio illius ab eo, qui ex crimine delatus fuerat, *fienda''. § 7. Non enim propterea quod in Iegern divinam tantum15 modo peccet quis, a principante punitur. Sunt enim multa 397 398 399

400

Matth. 28, 19-20. 1. Tim. 3,2. Tit. 1,7-11: t:lvat dvux6pt:vov -r:oiJ "a-r:d -r:ijv ���axiJv ma-r:ov A.6yov.

dixerit zu dicti, exercuerit zu operis, zusammengefaRt in ,begehen'.

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doch ist er durch die Gesetzgebung, wenn das Gesetz voll­ kommen ist, verpflichtet, sich durch die Lehrer oder Praktiker 10 der Sachgebiete über das Wesen der Äußerungen, Erzeug­ nisse und Tätigkeiten zuverlässig unterrichten zu lassen 395 § 6 Ferner sage ich zum vorliegenden Thema : Ob das einem zur Last gelegte Verbrechen Ketzerei ist oder nicht, kann und muß - doch durch ein Urteil in der ersten Bedeu­ tung - jeder Lehrer der Heiligen Schrift entscheiden, wie es 15 jeder Priester ist oder sein muß. Daher heißt es bei Maleachi im 2. Kap.396 : Denn die Lippen des Priesters beroahren das Wissen, und das Gesetz, das göttliche nämlich, roird man aus seinem Munde erroarten. Solche müssen die Nacl:tfolger der Apostel sein, die Priester oder Biscl:töfe, denen Christus bei Matthäus im 28. Kap.397 gesagt hat : Darum gehet hin und lehret alle Völker usw. und lehret sie 20 halten alles, roas im euch befohlen habe. So heißt es auch im 1. Brief an Timotheus im 3. Kap. 398 : Er soll- unter ande­ rem - Lehrer sein, des heiligen Gesetzes nämlich ; so auch im Brief an Titus im 1. Kap.399 : Ein Bischof soll festhalten an dem zuverlässigen Wort, roie es der Lehre entspricht, damit er imstande sei, in der heiligen Lehre zu ermahnen 25 und die Widerspremenden zu überführen. Denn es gibt viele Verführer, die zu widerlegen sind. Das zweite, ob das 250 Gesetz ein solches Vergehen verbietet oder nicht, muß der Herrscher aus dem Gesetz in der letzten und eigentlichen Bedeutung wissen, nach dem er kraft Ermächtigung durch den Gesetzgeber regieren soll. Das dritte, das er wissen muß, 5 ist, ob der Beklagte das Verbrechen der ketzerischen .Äuße­ rung oder Handlung begangen40 0 hat ; die Entscheidung dar­ über können dann mit Hilfe der Sinne und der inneren Kräfte des Erkennens Gebildete wie Ungebildete treffen, die man Zeugen zu nennen pflegt. Danach muß der Herrscher das 10 Urteil oder den Spruch auf schuldig oder nichtschuldig fällen, auch muß er die Strafe an dem, der wegen des Verbrechens angezeigt war, vollstrecken oder mildern. § '? Denn nicht deswegen, weil er ausschließlich gegen das göttliche Gesetz sündigt, wird jemand von dem Herrscher 1 5 bestraft - es gibt viele Sünden gegen das göttliche Gesetz, .

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Scholz 249 Anm. 2. Maleachi 2,7.

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peccata mortalia et in Iegern divinam, ut fornicacionis, que permitfit eciam scienter legislator humanus, nec coactiva potencia prohibet nec prohibere potest aut debet episcopus vel sacerdos. Sed peccans in Iegern divinam, hereticus scilicet, 2o tali peccato eciam humana lege prohibito punitur [in hoc seculo] , inquantum peccans in Iegern humanam. Est enim hec causa precisa seu per se prima, cur aliquis arcetur pena vel supplicio presentis seculi, quoniam posita ponitur effec­ tus, et remota removetur. Sicut econ�erso, peccans in Iegern 25 humanam peccato aliquo punietur in alio seculo, inquantum peccans in Iegern divinam, non inquantum peccans in Iegern humanam. Multa enim sunt humana lege prohibita, que tarnen sunt divina lege permissa ; ut si non restituerit quis mutuum statuto tempore propter impotenciam, casu fortuito, 251 egritudine, '�oblivione':- vel alio quodam impedimento, non punietur ex hoc in alio seculo per iudicem coactivum secun­ dum Iegern divinam ; qui tamen per iudicem coactivum se5 cundum Iegern humanam in hoc seculo iuste punitur. Sed quicumque in Iegern divinam peccaverit actu quantumcum­ que humana lege permisso, ut fornicacione, in alio seculo punietur ; et ideo peccare in Iegern divinam est per se prima causa, que in philosophia secundum quod ipsa dici solet, to quoniam ipsa posita ponitur et remota removetur e:ff e ctus pene vel supplicii pro statu et in statu futuri seculi. § 8. Est igitur in hereticos, scismaticos aut aliter in:fideles quoscumque iudicium et arcendi ac exigende ab ipsis pene ;:; vel supplicii temporalis, sibique aut communitati, non alteri, applicandi potestas solins principantis auctoritate legislato­ ris humani, non autem presbyteri seu episcopi cuiusquam,

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Ar. An. Post. II 16 98 u. 35; vgl. 4?5,25 (quae T>j v ) , s. Vo. =

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sogar Todsünden, z. B. Unzucht, die der menschliche Gesetz­ geber sogar wissentlich erlaubt und nicht mit zwingender Gewalt verbietet und auch der Bischof oder Priester nicht mit zwingender Gewalt verbieten kann oder darf. Sondern wer gegen das göttliche Gesetz sündigt, der Ketzer, wird nur dann, wenn eine solche Sünde auch das menschliche Gesetz verbietet, in dieser Welt bestraft, wegen Verstoßes gegen das menschliche Gesetz. Dieses ist nämlich die genaue Ursache und die alleinige erste Ursache, weshalb einer von Strafe oder Pein in der gegenwärtigen Welt betrof­ fen wird - denn mit der Ursache wird die Wirkung gesetzt, und mit ihrer Beseitigung wird auch die Wirkung beseitigt -, ebenso wie umgekehrt, wer gegen das menschliche Gesetz mit einem Vergehen verstößt, in der anderen Welt bestraft wird < nur > wegen Verstoßes gegen das göttliche, nicht das menschliche Gesetz. Denn vieles verbietet das menschliche Gesetz, was doch das göttliche Gesetz erlaubt ; z. B. wenn .Jemand ein Darlehen aus Unvermögen, aus Zufall, wegen Krankheit, Vergefllichkeit oder irgendeines anderen Hinder­ nisses zur festgesetzten Zeit nicht zurückgibt, so wird ihn deswegen in der anderen Welt der zwingende Richter nach dem göttlichen Gesetz nicht strafen, während ihn doch der zwingende Richter nach dem menschlichen Gesetz in dieser Welt mit Recht belangt. Aber wer gegen das göttliche Gesetz durch eine Handlung sündigt, mag diese noch sosehr durch das menschliche Gesetz erlaubt sein, z. B. durch Unzucht, der wird in der anderen Welt büßen ; und darum ist Sünde gegen das göttliche Gesetz die alleinige wesentliche Ursache40 1 , die man in der Philosophie die ,Ursache als solche' zu nennen pflegt ; denn mit dieser Ursache wird auch die Wirkung der Strafe oder Pein für den Stand und in dem Stand des künf­ tigen Lebens gesetzt, und mit ihrer Beseitigung wird auch diese Wirkung beseitigt. § 8 Das Gericht über K etzer, Schismatiker oder alle ande­ ren Ungläubigen und die Gewalt, sie büßen zu lassen und ihnen zeitliche Strafe oder Pein aufzuerlegen und für sich oder die Gemeinschaft, nicht für einen anderen zu verwen­ den, steht also nur dem Herrscher kraft Ermächtigung durm den menschlichen Gesetzgeber zu, nicht aber, mit der Begrün­ dung, sie sündigten gegen das göttliche Gesetz, einem

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propterea quod in Iegern divinam peeeent. Que ad homines eomparata in statu et pro statu vite presentis Iex est non qui20 dem seeundum ultimam signifieaeionem, eoactivam habens euiusquam poteneiam in hoe seeulo, ut palam est ex eapitulo preeedenti et 5° huius ; sed lex est dicta seeundum tereiam legis signifieaeionem, ut apparuit ex 10° prime. Seeundum quam eeiam in hoe seeulo saeerdotes iudiees sunt seeundum pri25 mam iudieis aut iudieii signifieaeionem, nullam eoactivam habenies poteneiam, ut ex 5° huius ostensum est, et per apo­ stolum, Ambrosium, Ylarium et Chrysostomum eapitulo preeedente. Si namque forent ipsi iudiees eoactivi seu prin­ eipantes in heretieos, quia tales peeeant in eam diseiplinam, 10 euius sunt ipsi doctores, et seeundum ipsam aliquorum operatores in alios, sie esset aurifaber falso fabrieantis aurea 252 seulptilia iudex eoactivus et prineipans, quod absurdum est valde ; sie quoque medieus prave agentes seeundum artem medieine posset areere ; foretque tanta prineipaneium multi5 tudo quot et offieiorum civitatis, in que peeeare eontingit; euius tarnen impossibilitas aut superfluitas ostensa est 1 7° prime. Non enim areerentur sie peeeantes in offieia civita­ tis aut punirentur propterea, nisi aliud interveniret, verbi graeia legislatoris seu legis humane preeeptum. Si enim pee10 eata huiusmodi non essent humana lege prohibita, ea eom­ mittentes nequaquam punirentur. § 9. Est autem quod diximus in exemplo familiari videre. Esto namque humana lege prohibitum leprosos aliis eivibus 1 5 eommanere ; numquid medieus qui horum egritudinem solus iudieare potest seeundum ipsius diseiplinam, utrum seilieet leprosi sint aut non, quos leprosos esse iudieaverit prime signifieaeionis iudieio, poterit per eoactivam poteneiam, auctoritate propria, ut qua doctor est medieinalis seieneie, 4o4 II 5, 1 2 u. 10. 4os I 1 0, 3 (49,6) . 4oa 11 9, 4-6. -

40 7 I 1 ?, 3 408 2 1 ?, 15.

u.

13, Abs. 1.

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Priester oder Bischof. Das göttliche Gesetz ist Gesetz für die Menschen im Stande und für den Stand des gegenwär20 tigen Lebens, zwar nicht Gesetz in der letzten40 2 Bedeutung, das über _jemand in dieser Welt eine zwingende Macht hätte, wie aus dem vorausgehenden Kapitel403 und li 5404 hervor­ geht, sondern Gesetz ist es in der dritten Bedeutung von Gesetz, wie aus I 104 0 5 deutlich geworden ist. Nach diesem sind auch in dieser Welt die Priester Richter in der 25 ersten Bedeutung von Richter oder Gericht, sie haben also keine zwingende Gewalt, wie li 5404 und unter Beru fung auf die Apostel, Ambrosius, Hilarius und Chrysostomus im vor­ ausgehenden Kapitel4 06 erwiesen worden ist. Wären sie nämlich Richter oder Herrscher mit Vollstreckungsgewalt gegen die Ketzer, weil solroe gegen die Kirchenlehre sün30 digen, deren Lehrer sie sind und nach der sie einige < religiöse Handlungen > für die anderen vollziehen, dann wäre der 252 Goldschmied zwingender Richter und Herrscher über den, der goldene Bildwerke fälscht, was völlig unsinnig ist ; dann könnte auch der Arzt solche, die im Sinne der ärztlichen Kunst verkehrt handeln, strafen, und die Menge der zwingen5 den Richter wäre so groß wie die der Berufe in der Bürger­ schaft, gegen die Verstöße denkbar sind. Doch daß < diese Fol­ gerung > unmöglich und überflüssig ist, haben wir I 1 '7407 ge­ zeigt. Denn nur dann werden diejenigen, die gegen die Berufs­ regeln in der Bürgerschaft verstoßen oder sich vergehen, ge­ rügt oder bestraft, wenn etwas anderes dazukäme, nämlich 10 eine Vorschrift des Gesetzgebers oder des menschlichen Ge­ setzes. Denn wären solroe Verstöße nicht durch das menschliche Gesetz verboten, so würde, wer sie begeht, keineswegs bestraft. § 9 Man kann unsere Behauptung an einem naheliegen­ den4 08 Beispiel anschaulich machen. Angenommen, das menschliche Gesetz verbiete das Zusammenleben der Aus15 sätzigen mit den anderen Bürgern ; wird dann etwa der Arzt, der allein deren K rankheit aus seiner Fachkenntnis beurtei­ len kann, ob sie nämlich aussätzig sind oder nicht - wird der Arzt das Recht haben, die_jenigen, die er durch ein Urteil in der ersten B edeutung für aussätzig erklärt hat, durch eine zwingende Gewalt aus eigener Autorität, als Lehrer der 402 = 4 b nach I 1 0, 4. 4 03 II 9, 1-9, bes. 9, 1-3.

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ab aliorum arcere consorcio vel convictu ? Et constat, quod minime. Sed hoc is solummodo potest, cui legis humane coactive custodia commissa est, principans scilicet. Non enim private persone aut collegio cuiquam licet quemquam iudi­ care aut arcere vel penam exigere, sed soli principanti. Qui 25 tarnen de impositis maculis, criminihus seu peccatis et ipso­ rum natura iuxta legis determinacionem, si de hoc dixerit, quod erit, si fuerit Iex perfecta, vel per suam prudenciam, si lege omissum fuerit, uti dehet et credere iudicio peritorum in disciplinis que talium operum, actuum aut sermonum 30 tractant naturam, ut medici de leprosis aut non leprosis, theologi de criminosis, qui per leprosos figurantur in sacra scriptura, secundum sanetarum exposicionem. Similiter quo253 que de vasorum metallicorum sophismate credere dehet aurifahro, et in consimilihus cuilihet docto secund um reliqua operahilium et agihilium genera. Sie igitur de hereticis aut aliter infidelihus iudicare dehet medicus animarum, sacerdos 5 scilicet, iudicio siquidem prime significacionis, discernendo videlicet sermonem aut actum hereticum a non heretico. De hiis vero iudicare tercie significacionis iudicio, damp­ nando scilicet vel solvendo aceusatos supplicio aut pena tem­ porali ipsosque arcere ad talia persolvenda, qui dampnati 10 fuerint, solius est principantis humana lege ; exactas quoque penas, si reales fuerint, quemadmodum eas que propter alia crimina exiguntur, applicare secundum legislatoris seu legis humane determinacionem. 15 § 10. Hiis autem que diximus testatur scriptura in Actihus Apostolorum, 25° capitulo. Dum enim apostolus a Iudeis accusatus esset tamquam hereticus, licet falso, cause sue inquisicio, deduccio, appellacio et diffinicio illius facta est 20

409 Gemeint ist das Verfahren gegen Paulus vor Festus, Acta 25.

Teil II, Kapitel X

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ärztlichen Wissenschaft, vom Verkehr oderZusammenleben mit anderen fernzuhalten ? Es steht fest : au f keinen Fall ! Sondern das kann nur der, dem die Wahrung des zwingenden mensch­ lichen Gesetzes anvertraut ist, der Herrscher. Denn keiner Privatperson und keinem Kollegium ist es erlaubt, jemanden zu richten oder ihm Strafe oder Bufle aufzuerlegen, sondern allein dem Herrscher. Dieser mufl jedoch wegen der zur Last 25 gelegten Makel, Verbrechen oder Sünden und wegen deren Natur nach der Bestimmung des Gesetzes, wenn es davon spricht, was bei einem vollkommenen Gesetz der Fall sein wird, oder aus eigener Klugheit, wenn das im Gesetz aus­ gelassen ist, das Urteil der Sachverständigen in den Fach­ gebieten, die das Wesen solcher Erzeugnisse, Handlungen oder Reden behandeln, heranziehen und ihm Glauben schen30 ken, wie die Ärzte über die Aussätzigen oder Nicht-Aus­ sätzigen urteilen, die Theologen über die Schuldbeladenen, die durch die Aussätzigen in der Heiligen Schrift nach der Auslegung der Heiligen sinnbildlich dargestellt werden. Ähnlich mufl er auch wegen der Fälschung von Metallgefäflen dem Goldschmied Vertrauen schenken und genauso 253 .Jedem Sachkenner in den übrigen Gattungen dessen, was an Erzeugnissen und Handlungen möglich ist. In diesem Sinne also mufl der Arzt der Seelen, der Priester, über die Ketzer oder andere Ungläubige urteilen, natürlich durch ein Urteil ; in der ersten Bedeutung, so nämlich, dafl er ketzerisches Reden und Handeln von dem nichtketzerischen unter­ scheidet. Darüber aber durch ein Gericht in der dritten Bedeutung zu entscheiden, dafl er die Angeklagten zu zeit­ licher Pein oder Strafe verurteilt oder davon losspricht, und die Verurteilten zu nötigen, solche abzubüßen, das ist allein 10 Sache dessen, der kraft des menschlichen Gesetzes regiert; auch die eingezogenen Strafen, falls sie in Geld und Gut bestehen, ebenso wie die wegen anderer Vergehen, nach der Bestimmung des Gesetzgehers oder des menschlichen Ge­ setzes zu verwenden. § 10 Für unsere Behauptung zeugt die Schrift in der 15 Apostelgeschichte im 25. Kapitel. 409 Als nämlich der Apostel von den Juden als K etzer angeklagt war, wenn auch fälsch­ lich, ist in seiner Sache die Untersuchung, Vorführung, Appel­ lation und die Entscheidung darüber in Gegenwart des 20

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coram iudice ad iudicem et per iudicem humani legislatoris auetoritate statutum ad hoc, quemadmodum ad reliquos aetus 'ccontenciosos sive'c civiles. § 1 1 . Contraria vero hiis non est difficile solvere. Cum enim dicebatur, ad eum tamquam iudicem heretici iudicium per­ tinere, cuius est heresis cognoscere crimen, hec distinguenda 25 est propter multiplicitatem huius diccionis iudex aut iudi­ cium ; et secundum unum sensum vera est, acceptis scilicet hiis nominibus secund um primam eorum significacionem; si vero secundum terciam sumantur, falsa est. ldeoque nihil 254 contra nostram determinacionem ex hoc paralogismo conclu­ ditur. Ad reliquum vero, quod subiungebatur, ad illum speetare iudicium delinquentis et exaccionem pene ac illius si realis fuerit sibi applicacionem, contra quem seu in cuius 3 Iegern peccat delinquens : verum est, si in ipsum tamquam tercie significacionis iudicem et in ipsius Iegern dietarn secun­ dum ultimam legis significacionem, coaetivam scilicet. Et cum assumitur, quod hereticus peccat in Iegern divinam, con­ cedendum ; et ideo iudicabitur per iudicem tercie significat o cionis secundum ipsam, Christum scilicet, in alio tantum­ modo seculo non [in] isto, iuxta ipsius legislatoris ordinaci­ onem que talis fuit. Per ipsum eciam arcebitur pena vel supplicio, aut premiabitur secundum legis preceptorum et consiliorum observacionem vel transgressionem. Talis autem n iudex huius legis, divine scilicet, non est episcopus aut sacer­ dos aliquis, sed prime significacionis tantummodo quasi doetor, maxime comparata lege hac ad homines in stahl et pro statu vite presentis. Rursum maiori lmius sillogismi supposita tamquam vera, 20 secundum quem diximus sensum, ad-eum scilicet tamquam iudicem coaetivum pertinere iudicium transgressoris, in quem aut in Iegern cuius custos est peccat transgressor, Iegern inquam eciam dietarn secundum ultimam legis significaci20

4to 4�1

ad

s.

Vo.

25 1 . 1 -4.

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Richters, vor dem Richter und von dem Richter vollzogen worden, der kraftErmächtigung durch den Gesetzgeber dazu eingesetzt war wie für die übrigen Streitsachen oder bürger­ lichen Rechtsfälle. § 1 1 Die Gegengründe sind nicht schwer zu entkräften. Wenn nämlich gesagt wurde, d e m stehe als Richter über einen Ketzer das Gericht zu, dessen Aufgabe es ist, das Ver­ brechen der Ketzerei festzustellen, so muß dieser Satz wegen der Vieldeutigkeit von Richter oder Gericht verschieden ver­ standen werden ; iii dem einen Sinne ist er richtig, wenn man nämlich diese Bezeichnungen in ihrer ersten Bedeutung au f­ faßt ; werden sie aber in der dritten genommen, so ist der Satz falsch. Darum folgt nichts aus diesem Fehlschluß gegen unser Ergebnis. Was aber den anderen < Einwand> angeht4 10 , d e m falle das Gericht über den Schuldigen zu und die Voll­ streckung der Strafe, und wenn sie in Geld und Gut besteht, deren Verwendung für sich, gegen den oder gegen dessen Gesetz der Schuldige verstöRt, ist zu entgegnen : Das ist richtig für ihn als Richter in der dritten Bedeutung und für sein Gesetz in der letzten Bedeutung von Gesetz, der zwingenden nämlich. Wenn man nun < als US> dazunimmt, daR der Ketzer gegen das göttliche Gesetz sündigt, so ist der Einwand zuzugeben. Darum wird ihn ein Richter in der dritten Bedeu­ tung richten, der nach dem göttlichen Gesetz entscheidet, Christus, aber erst in der anderen Welt, nicht in dieser, gemäß der Anordnung des Gesetzgebers selbst, die so lautete; < dieser Richter > wird ihn auch mit einer Strafe oder Pein treffen oder belohnen, je nachdem er die Gebote und Rat­ schläge des < göttlichem Gesetzes befolgt oder übertreten hat. Ein solcher Richter dieses Gesetzes, des göttlichen, ist aber kein Bischof oder Priester, sondern dieser ist Richter in der ersten Bedeutung ausschlieRlich, soviel wie Lehrer, besonders wenn dieses Gesetz zu den Menschen im Stande und für den Stand des gegenwärtigen Lebens in Beziehung gesetzt wird. Ferner, wenn der OberS'atz4 11 dieses Schlusses als richtig in dem angegebenen Sinn vorausgesetzt wird, daR nämlich d e m als zwingendem Richter das Gericht gegen den Über­ treter zusteht, gegen den - zugleich auch gegen das Gesetz, dessen Hüter er ist - der Übertreter verstöRt, Gesetz, sag ich, auch in der letzten Bedeutung von Gesetz ausschlieRlich ,

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onern tanturnrnodo ; tune subsurnenda est hee proposieio vera, videlieet quod in iudieern huius seeuli, dieturn seeundurn 25 tereiarn iudieis signifieaeionern, et legern euius est eustos, dietarn eeiarn seeundurn ultirnarn [eiusj et propriarn signifi­ eaeionern, eoaetivarn seilieet tanturnrnodo, no� in aliarn in hoc seeulo eoaetivarn legern aut iudieern peeeat heretieus ; ;o et ideo per talern tanturnrnodo iudieandus in hoc seculo iudi­ cio eoaetivo, sie huius legis ordinante latore ; ab eodern quoque transgressore per eundern iudieern pena exigenda, quc 255 si realis fuerit applieanda per hune iudicem ei, cui legislator humanus illarn in lege statuit applieandarn. *Vel distinguen­ durn est rnaiorern seeundurn equivocaeionem, ut in priori paralogismo.'-· § 12. Sie igitur non lieet inferre per neeessitatern : aliquis darnpnandus aut iudieandus est tamquam hereticus in hoc et pro hoc seeulo iudieio eoaetivo realiter aut personaliter vel utroque rnodo, ergo per saeerdotern aut episeopurn quern10 quarn, nisi fortasse, ut diximus, prime signifieaeionis iudieio. Nee sequitur eeiarn propter hoe : ergo darnpnati tamquam heretiei earnalia seu temporalia bona, que ab eodem exigun­ tur tarnquam pena vel pars pene delicti, applieari debent episeopo seu presbytero euiquam. Sieut nee sequitur : hie 15 iudieandus est tarnquarn monete falsarius, ergo per rnoneta­ rios, nisi fortasse prirne significaeionis iudieio, non quidern tereie, eoactivo videlieet. Nec eeiam sequitur, quod tempora­ lia, que ab illo exiguntur in penam, debeant rnonetariis applieari, eollegio aut singulari persone, sed eoactivo iudieio 20 iudieari debet per prineipantem, et applicari pena seeundum legis humane determinaeionem. § 13. Ad beaturn Arnbrosiurn dieendum, quod intellexit heretieorurn seu erirnen heresis ad saeerdoturn seu episeopo­ rurn iudieium pertinere iudieio .prirne signifieacionis, non 25 tereie. Hoc enirn iudieio auetoritate propria nurnquarn usus

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245 , 1 9-23.

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dann muß der folgende richtige Satz < als US > subsumiert werden, daR nämlich der K etzer gegen den Richter dieser Welt in der dritten Bedeutung von Richter und gegen das Gesetz, dessen Hüter der Richter ist, auch in seiner letzten und eigent­ lichen Bedeutung, der zwingenden nämlich ausschliefllich, nicht gegen ein anderes zwingendes Gesetz in dieser Welt oder einen anderen zwingenden Richter verstöRt ; darum darf ihn nur ein solcher Richter in dieser Welt durch ein zwingendes Gericht aburteilen, wenn der Gesetzgeber dieses Gesetzes es so anordnet. Bei demselben Übertreter muß auch derselbe Richter die Strafe einziehen, und wenn sie in Geld und Gut besteht, muß sie dieser Richter für d e n verwenden, für den sie der menschliche Gesetzgeber im Gesetz zur Verwendung bestimmt hat. Oder man muß den Obersatz entsprechend seiner Zweideutigkeit verschieden auffassen wie in dem vorausgehenden Fehlschluß. § 12 So darf man also nicht mit Notwendigkeit folgern : Als K etzer muß einer in dieser Welt und für diese Welt durch ein zwingendes Gericht < zu einer Strafe > an Gut oder Person oder in beiderlei Sinn verurteilt oder gerichtet werden, also durch einen Priester oder Bischof ; es sei denn, wie gesagt, es geschieht durch ein Gericht in der ersten Bedeutung. Des­ wegen folgt auch nicht : Also sind die fleischlichen oder zeit­ lichen Güter des wegen K etzerei Verurteilten, die bei diesem als Strafe oder Teil der Strafe für das Vergehen eingezogen werden, für irgendeinen Bischof oder Priester zu verwenden, wie auch nicht folgt : Dieser muR als Falschmünzer abgeurteilt werden, also durch die Münzpräger - es sei denn, es geschieht durch ein Gericht in der ersten Bedeutung, nicht in der dritten, durch ein zwingendes Gericht, und es folgt auch nicht : Die zeitlichen Güter, die bei ihm zur Strafe eingezogen werden, sind für die Münzpräger zu verwenden, ihre Zunft oder eine Einzelperson. Sondern durcl:t ein zwingendes Gericl:tt muß ihn der Herrscher aburteilen, und die Strafe ist nacl:t der Bestimmung des menschlichen Gesetzes zu verwenden. § 13 Zu der Schrift des seligen Ambrosius412 ist zu sagen, daR er gemeint hat, die Anklage gegen Ketzer oder wegen K etzerei komme dem Gericht der Priester oder Bischöfe in einem Gericht in der ersten Bedeutung zu, nicl:tt der dritten. Denn ein solches Gericht hat aus eigener Vollmacht niemals

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est episcoporum seu pontificum aliquis circa statum ecclesie primitive, quamvis postmodum ad talia processerint occasio­ naliter ex quibusdam concessionibus principum sibi factis. Ideoque talium vera considerantibus inicia, que nunc ex abusione robur et faciem iuris habere videntur, velut sompni­ orum fantastica videbuntur. De iudice itaque ac iudicio et coactiva potestate infidelium et hereticorum determinatum sit hoc modo.

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C A P I T U L U M XI

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D e q u i b u s d a m s i g n i s , t e s t i mo n i i s e t e x e m p l i s t a rn e x c a n o n i c a q u a m h u m a n a s cl'i p t u r a , q u i b u s o s t e n ­ d i t u r v e r u m e s s e q u o d d e t e r m i n atu m e s t IV0 h u i u s e t V 0, V lll0, I X 0 e t xo e i u s c i r c a sta t u m e p i s c op oru m e t g e ne r a l i t e r s a c e r d o t u m . E t c u r C h r i s t u s i p s o r u m statum, paupertatis scilicet, a statu p rincipancium separavit.

Quoniam autem ex prioribus demonstratum est nobis tarn canonice scripture auctoritatibus, quam aliis quasi politicis episcopo aut 10 evidentibus argumentis quibusdam, nulli presbytero vel alteri clerico iurisdiccionem cuiusquam co­ activam in hoc seculo convenire, nunc volumus id declarare signis et testimoniis manifestis. Quorum evidens est, quia nec aut ipsius apostolorum aliquem umquam aut 15 Christum usquam quemquam iudicem aut ipsorum vicarium pro tali regimine seu iudicio faciendo instituisse legimus ; cum tarnen tarn necessarium in humano convictu nec ipsum ignorasse aut neglexisse, p eque ipsius apostolos, verisimile videatur. 20 Si hoc ad ipsorum officium pertinere novissent, et si ad suos successores episcopos aut presbyteros id spectare voluissent,

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4 t 4b

9 , 1 -3 (Zwingendes Gericht nach dem göttl. Ges. gibt es nur im Jen­ seits); II 1 0 , 1 -3; II 1 0 , 6; 25 1 , 1 3 (beim Ketzergericht ist der Priester nur Gutachter). II 6-7 , auch II 8, II 9 u. II 1 0. 1 40. 1 5 u. 1 55 , 27-28 ist der Ausdruck quasi politicus im Sinne des päpstlichen Standpunktes gebraucht.

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ein Bischof oder Papst in der Zeit der Urkirche ausgeübt, erst später sind sie gelegentlich zu solchen übergegangen auf Grund gewisser Zugeständnisse der Herrscher. Darum werden dem, der die wirklichen Anfänge solcher < Ansprüche > erwägt, die Anmaßungen, die jetzt infolge des MiRbrauchs den Eindruck der Rechtsgültigkeit machen und den Schein des Rechtes für sich haben, wie Traumphantasien vorkommen. über den Richter, das Gericht und die zwingende Gewalt gegenüber Ungläubigen und Ketzern mag nun in dieser Form die Erörterung abgeschlossen sein. KA P I T E L XI

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Gewisse Beweise, Zeugnisse und Beispiele aus der H e i l i g en S c h r i f t w i e a u s d e r p ro f a n e n L i t e r a t u r , d i e d i e Wa h rh e i t d e s s e n e r w e i s en , w a s s i ch i n I I 4 u n d I I 5 , I I 8 , I I 9 u n d I I 104 1 3 ü b e r d en S t a n d d er B i s c h ö f e u n d ü b e rh a u p t d e r P r i e s t e r e r g e b e n h a t , u n d d e r G ru n d , w a r u m C h r i s t u s d e r e n S t a n d , d e n d e r Armut, vom Stand der Herrscher getrennt hat.

§ 1 Nachdem wir früher414a durch autoritative Stellen der Heiligen Schrift wie durch einige andere politisch klingende414b überzeugende Argumente nachgewiesen haben, daR keinem Bischof oder Priester und keinem anderen Kleriker eine zwingende Rechtsprechung über jemand in dieser Welt zukommt, wollen wir ,j etzt dieses Ergebnis durch klare Be­ weise und Zeugnisse deutlich machen. Davon ist schon eins überzeugend : Wir lesen nichts davon, daR Christus oder einer von seinen Aposteln jemals oder irgendwo einen al s Richter oder Statthalter zur Durchführung eines solchen Regiments oder Gerichts eingesetzt hat, während man es doch nicht für wahrscheinlich halten kann, daR er oder seine Apostel etwas im menschlichen Zusammenleben so Notwen­ diges übersehen oder vernachlässigt hätten. Wären sie sich bewußt gewesen, das gehöre zu ihrem Amt, und h ätten sie gewollt, dies solle ihren Nachfolgern, den Bischöfen oder 4 1 3 l i 4-5 (C hr. u. die Ap. unterwerfen sich der Obrigkei t); II 8, 7-9 (Der Priester ste ht unter dem weltlichen GeriCht) ; li 9, 1 -9, bes.

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super hoc preceptum aut consilium tradidissent. Verum de instituendis spiritualibus ministris, episcopis, presbyteris et diaconis formam tradiderunt et modum ; et hoc ad ipsorum 25 officium pertinere, satis nosGitur ex apostoli sentencia 1a ad Timotheum 3°, ad Ti turn 1°, et in aliis plerisque scripture locis apparet. § 2. Separavit autem Christus presbyterorum seu epi­ scoporum officium ab eo quod principum, cum tarnen potuis3o set ipse, si voluisset, statum principis et officium sacerdotis exercere, et apostolos idem facturos similiter ordinasse. Sed 257 sie noluit, imo tamquam conveniencius, qui simpliciter melius cuncta disposuit, hec officia supposito et racione di­ stingui voluit. Quia enim humilitatem et huius seculi con­ temptum Christus docere venerat, tamquam viam meriti 5 salutis eterne, ut prius humilitatem et mundi seu rerum temporalium contemptum [tarn] exemplo quam verbo do­ ceret. In summa quidem humilitate ac temporalium con­ temptu hunc mundum ingressus est, sciens ipse, quod non minus, imo magis opere seu exemplo docentur homines 1 0 quam sermone. Unde Seneca epistolarum 9a : Quid faciendum, a faciente discendum. Voluit igitur Christus, ut suo nos prius exemplo quam sermone doceret, in summa humilitate ac mundi contemptu seu paupertate nasci. Unde Luce 2° : Pannis eum involvit, beata virgo scilicet, et *reclinavit* eum 15 in presepio. Ecce quod in aliena domo, ecce quod in pre­ sepio, ubi scilicet bestie locus erat et pabulum ; et verisimile quod alienis pannis, quia heata virgo et Ioseph peregrini et vlatores erant ibidem. Pauper eciam natus, pauper vixit etate provectus ; unde loquens de sui paupertate Matthei 8°

4 1 7 tarn unverständlich neben prius, vgl. 257, 1 1 , wohl verfehlte Kon­ jektur, hervorgerufen durch das folgende quarn ; tarn fehlt in T, H

und sonst, ist aber von Scholz in den Text gesetzt.

4 18 257,6 nach doceret Punkt bei Scholz. 4 1 9 Scl1olz 257 Anm. 1 . 4 2 0 Luk. 2,7.

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Matth. 8,20 ; Luk. 9,58.

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Priestern, zustehen, so hätten sie darüber ein Gebot oder einen Rat gegeben. Aber für die Einsetzung von geistlichen Dienern, Bischöfen, Priestern und Diakonen haben sie die Form und die Art und Weise angegeben ; und daß das zu 25 ihrem Amt gehört, erkennt man zur Genüge aus der Meinung des Apostels im 1 . Brief an Timotheus im 3. Kap. 4 15 und an Titus im 1 . Kap. 416 und ergibt sich aus sehr vielen anderen Stellen der Schrift. § 2 Christus hat aber auch das Amt der Priester oder Bischöfe von dem der Herrscher getrennt, während er doch die Möglichkeit gehabt hätte, wenn er gewollt hätte, selbst 30 die Tätigkeit eines Herrschers und das Amt eines Priesters auszuüben und anzuordnen, die Apostel sollten dasselbe in ähnlicher Weise tun. Aber das hat er nicht gewollt, vielmehr in der Meinung, so sei es am zweck.mäßigsten, wollte er, der alles schlechthin aufs beste geordnet hat, daß diese Ämter nach Person und Wesensart unterschieden werden sollten. Weil nämlich Christus gekommen war, Niedrigkeit und Verachtung dieser Welt zu lehren als Weg, das ewige Heil 5 zu verdienen, und zwar um Niedrigkeit und Verachtung der Welt und der zeitlichen Dinge zuerst417 durch sein Vorbild und dann durch sein Wort zu lehren418, hat er in der tiefsten Niedrigkeit und in Verachtung der zeitlichen Güter diese Welt betreten ; er wußte ja selbst, daß die Menschen nicht weniger, nein mehr durch Tat oder Vorbild sich belehren lassen 1 0 als durch Worte. Daher sagt Seneca in B. 9 41 9 der Briefe : Was zu tun ist, mu/l man vom Täter lernen. Christus wollte also, um uns zuerst durch Vorbild und dann durch Worte zu belehren, in der tiefsten Niedrigkeit und Weltverachtung oder Armut geboren werden. Daher heißt es bei Lukas im 2. Kap. 42 0 : Sie roickelte ihn in Windeln, die selige Jungfrau, 1 5 und legte ihn in eine Krippe. Beachte, in einem fremden Hause, in eine K rippe, wo für ein Tier Platz und Futter war, und wahrscheinlich in fremde Windeln, weil die selige Jungfrau und Joseph dort fremd waren und sich auf der Reise befanden. Arm war er geboren, arm lebte er auch als Jüngling und Mann ; daher sagte er bei Matthäus im 8. Kap. und bei Lukas im 9. Kap.421 von seiner Armut : Die Füdtse 4 15 1. Tim. 3,1-13. 416 Tit. 1 ,5.

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et Luce 9° dixit : Vulpes foveas habent, et volucres celi nidos ; {ilius hominis non habet, ubi reclinet caput. Et hunc statum, tamquam eum qui perfeccionis, ceteris observatis ut decet preceptis atque consiliis, docuit Christus eligere eos, qui sui volunt esse discipuli et imitatores precipui, et maxime 25 successores ipsius in officio, quod in mundum venerat exercere. Unde Matthei 19°, Marci 10° et Luce 18° cuidam 258 interraganti ab ipso : Magister bone, quid faciens vitam eternam possidebo ? Dixit autem ei Iesus : Mandata nosti ? Non occides etc. ; qui ait: Hec omnia custodivi a iuventute mea; quo audito, Iesus ait ei: Adhuc unum tibi deest, 5 vel : Si vis perfectus esse, ut dicitur in Mattheo, omnia que­ cumque habes, vende et da pauperib us, et habebis thesaurum in celo. Rursus eiusdem Luce 1 4° dicebat discipulis : Sie ergo, inquit Christus, omnis ex vobis qui non renunciat omnibus que possidet, non potest meus esse discipulus. to § 3. Ecce ergo quod status paupertatis et mundi con­ temptus decet omnem perfectum, precipue Christi discipu­ lum et successorem in officio pastorali, quinimo quasi neces­ sarius est debenti suadere aliis mundi contemptum, si sua doctrina seu predicacione proficere velit. Nam si talis divicias n possideat et principatus ambiat, qui eos quos alloquitur hec spernere docet, ipse quidem sui accione sermonem proprium manifeste redarguit. Unde Chrysostomus contra tales in libro De Compunccione Cordis inquit : Dicere et non facere, non 20 solum lucri nihil, sed et dampni plurimum. Grandis quidem enim condempnacio est componenti sermonem suum, vitam vero negligenti. Hoc eciam resonat philosophorum eximius >:· ultimo':· Ethicorum, capitulo 1 ° dicens : Cum enim dissonent, sermones scilicet, ab hiis que secundum sensum, id est ab 25 operibus dicentis, que opera senciuntur, condenti, id est com20

425 Ar. N. Eth. X 1

1 1?2 a , 35 ff. : örav otiv Ötmpwvwatv -r o i� xa-ra -r� v alafhJGtV xarmpeovovp,evot xai raJ.rr{}i� neoaavweovm. =

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haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege. Diesen Stand als den der Vollkommenheit - strenge Be­ folgung der übrigen Gebote und Ratschläge vorausgesetzt lehrte Christus diejenigen wählen, die vornehmlich seine Jünger und Nachahmer sein wollen, und besonders seine Nachfolger in dem Amt, das auszuüben er in die Welt ge­ kommen war. Daher bei Matthäus im 19., bei Markus im 10. und bei Lukas im 1 8. Kap.422 seine Antwort an einen, der ihn fragte : Guter Meister, was soll ich tun, um das ewige Leben zu erwerben ? Jesus aber sprach zu ihm : Die Gebote kennst du : Du sollst nicht töten usw. Er aber sagte : Dieses alles habe ich gehalten von meiner ] ugend auf. Da es aber ' ] esus hörte, sagte er zu ihm : Noch eines fehlt dir, oder, wie es bei Matthäus heißt : willst du vollkommen sein, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Ferner sagte er auch bei Lukas im 1 4. Kap.423 zu seinen Jüngern : So kann denn auch keiner von euch, der nicht allem, was er besitzt, entsagt, mein jünger sein. § 3 Beachte also : Der Stand der Armut und Weltver­ achtung ziemt jedem Vollkommenem, vor allem einem Jünger und Nach folger Christi im Hirtenamt, ja er ist so gut wie notwendig für den, der anderen Weltverachtung raten soll, wenn er mit seiner Lehre oder Predigt Erfolg haben will. Denn falls einer Reichtum besitzt und sich um Ämter bewirbt, der seine Hörer dies verschmähen lehrt, so widerlegt er selbst offenbar durch sein Handeln die eigene Rede. Daher sagt Chrysostomus gegen solche Leute in dem Buche ,über die Zerknirschung des Herzens' 424 : Reden und nicht tun ist nicht nur kein Gewinn, sondern sogar der schwerste Schaden. Denn schwere Verurteilung trifft den, der seine Worte schön setzt, sein Leben aber vernachlässigt. Dies bringt auch der große Philosoph in der Ethik B. 10, Kap. 1425 zum Ausdruck, wenn er sagt : Denn wie sie, die Reden, nicht mit dem Wahrgenommenen harmonieren, d. h. mit den wahrgenommenen Taten des Sprechers, so vernichten sie dem 422 Matth. 1 9 , 1 6-21 ; 423 Luk. 14,33.

Mark. 1 0 , 1 7-2 1 ; Luk. 18,18-22 ; zitiert ist Lukas.

424 Scholz 258 Anm. 2.

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ponenti sermones, verum interimunt. Et parum post subdit : Convenientes enim entes operibus eredentur, sermones scili­ cet. Et ideo qui novit omnia qualiter fienda conveniencius, Christus scilicet, volens sermones credibiles fieri, quibus mun­ 259 di docetur contemptus, vanitatum et carnalium voluptatum spretus et fuga, opera monuit sermonibus conformari. Unde ad omnes talium futuros doctores in apostolorum persona 5 dicebat Mattbei 5° : Sie lueeat lux vestra eoram hominibus, id est doctrina, que luci comparatur. Sie, inquam, lueeat, ut vi­ deant opera vesh·a bona. Ubi glossa : Opera requiro, ut vi­ deantur, et sie eonfirmetur doctrina ; aliter enim sermonibus et doctrine parum creditur. Unde glossa super illud Mat· t o thei 10° : Nolite possidere aurum neque argentum, huius causam reddens, inquit : Si hee haberent, viderentur non eausa salutis predieare, sed lucri. § 4. Talia enim possidentes aliorum doctores sive pastores, magis destruunt hominum fidem et devocionem suis oppot5 sitis operibus et exemplis, quam sermonibus confirment, eo quod hiis opera manifeste opponunt, ad que magis attendunt h omines quam ad verba. Et formidandum valde, quin demum fidelem populum deducant suis perversis exemplis operum ad desperacionem futuri seculi. Talia namque operantur 20 quasi omnes ecclesiarum ministri, episcopi seu presbyteri et reliqui clerici consequenter ; manifestins autem ipsorum, qui super maiores thronos ecclesie sedent, ut futurum Dei iudi­ cium in alio seculo nullatenus credere videantur. Qua enim, dicant queso secundum Deum, consciencia, et si futurum cre25 dunt venturi seculi iustum Dei iudicium, Romani pontifices

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condenti statt contempti der Vorlage ; der Sinn des Originals ist ganz entstellt ; condere = verfassen (W) . Ar . N. Eth. X 1 = 1 1 ?2 b, 5-6 : avvcp6oto'ne,, übersetzt mit convenientes. Matth. 5,16 mit Glossa ord. Matth. 1 0,9 mit Glossa ord. Gen. comp., vgl. Vo.

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Redner428, d. h. dem, der die Worte schön setzt, die Wahr­ heit < der Lehre > . Bald darauf fügt er hinzu : Denn nur, roenn sie mit den Taten zusammenstimmen421, roerden sie Glauben finden, die Reden nämlich. Darum hat er, der weiß, wie alles am zweckmäßigsten getan werden muß, Christus, in dem Wunsche, die Worte denjenigen glaubhaft zu machen, denen Weltverachtung und Abscheu und Flucht vor Eitel­ keiten und fleischlichen Vergnügungen gelehrt werden darum hat Christus die Mahnung gegeben, die Taten mit den Worten in Einklang zu halten. Daher sagte er zu allen künf­ tigen Lehrern solcher Weisungen in der Person der Apostel 5 bei Matthäus im 5. Kap. 4 28 : So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, d. h. : eure Lehre, die mit dem Licht verglichen wird. So, sag ich, soll sie leuchten, daß sie eure guten Taten sehen. Dazu bemerkt die Glosse : Taten verlange ich, daß sie gesehen roerden, und so soll die Lehre bestätigt roerden; denn sonst glaubt man den Worten und der Lehre wenig. Daher sagt die Glosse über jene Stelle bei Matthäus im 10. Kap. 429 : 10 Ihr sollt nicht Gold oder Silber besitzen, wobei sie den Grund dafür angibt : Wenn sie das hätten, roürde es so aus­ sehen, als predigten sie nicht um des Heiles, sondern um des Gewinnes roillen. § 4 Wenn nämlich die Lehrer oder Hirten der anderen dergleichen besitzen, dann zerstören sie den Glauben und die Frömmigkeit der Menschen durch ihre widersprechenden 15 Taten und Vorbilder mehr, als sie ihn durch Worte sichern könnten, weil sie ihre Taten zu ihren Worten offensichtlich in Widerspruch setzen ; auf Taten achten die Menschen jedoch mehr als auf Worte. Und man muß sehr befürChten, daß sie schließlich durch die verkehrten Vorbilder, die sie in ihren Taten geben, das gläubige Volk dazu verführen, an der künftigen Welt zu verzweifeln. Denn so handeln fast alle 20 Diener der Kirchen, die Bischöfe oder Priester und nach ihrem Beispiel die übrigen Kleriker; noch offener als sie430 aber diejenigen, die auf den höchsten Thronen der Kirche sitzen, so daß man sieht, sie glauben nicht im geringsten an ein künftiges Gottesgericht in der anderen Welt. Denn mit welchem Gewissen - sie sollen es bitte bei Gott sagen - u nd < welcher Bedenkenlosigkeib , wenn sie an ein künftiges 25 gerechtes Gottesgericht in der kommenden Welt glauben,

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plurimi et ipsorum cardinales aliique presbyteri seu episcopi, ad curas animarum et ecclesiastica temporalia pauperibus distribuenda prefecti, reliqui quoque quasi omnes, diaconi et clerici, quilibet secundum sui facultatem ex furto vel rapina 30 temporalium, que per devotos fideles statuta sunt et legata propter evangelizancium et reliquorum pauperum sustentacionem, quantas possunt denariorum summas tradunt viven­ 260 tes aut legant morientes non egentibus, sibi sanguinis affinitate coniunctis aut aliis quibuslibet, eisdem bonis nulli dubium pauperes spoliantes ? Qua eciam secund um Christianam reli5 gionem consciencia, flagito dicant, viventes ipsi temporaliter, qui propter evangelii ministerium contenti debent esse ali­ mentis et hiis quibus tegantur, secundum apostolum 1a ad Timotheum ultimo, in tot preternecessariis bona pauperum consumunt, equis, familiis, conviviis ac reliquis vanitatibus 1 0 et voluptatibus manifestis et occultis ? § 5. Que vero de officiorum ecclesiasticorum et benefici­ orum seu temporalium distribucione fiunt inconveniencia, pertranseo. Nam ipsorum plurima prece vel favore pofenturn seculi ohtinendis, aut precio, si fas sit dicere, distributoribus 15 aut intercessorihus Magi Simonis ministris oblato, talia con­ feruntur ignorantihus, criminosis, pueris, incognitis et invisis ac idiotis manifeste secundum tocius vulgi sentenciam ; cum tarnen apostolus 1 a ad Timotheum 3° precipiat officiales eccle2o siasticos dehere cognosci tamquam prohatos et perfeetos vita seu morihus et doctrina. Unde ubi supra : Oportet autem illum, id est presbyterum seu episcopum, et testimonium ha­ bere bonum ab hiis qui foris sunt; quanto magis et ab hiis qui sunt intra ecclesiam ? Et infra parum eodem : Diaconos

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Die Verba sind aus ex furto et rapina entnommen. 1. Tim. 6,8. obtinendis ist Abi. gerund. plur. (prece und favore umfassend) ; vgl. 458,1 7 (favore ac gracia sibi q uerendis) . Anders in ähnlichem Ge� dankengang 453,1 2 (prece . . . aut obtinendo favore) . Acta 8,9. 1. Tim. 3,7 ; 3 ,8 ; 3 , 1 0.

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stehlen und raubenm die meisten römischen Päpste und deren Kardinäle und die anderen Priester oder Bischöfe - zur Sorge für die Seelen und zur Verteilung der zeitlichen Güter der Kirche an die Armen bestellt -, auch fast alle übrigen, Diakone und Kleriker, jeder nach Kräften die zeitliehen Güter, die fromme Gläubige zum Unterhalt den Predigern des Evangeliums und den übrigen Armen gestiftet und vermacht haben, und geben bei Lebzeiten so große Summen von Silberstücken, wie sie < erraffen > können, an ihre Blutsverwandten oder einige andere, die keineswegs arm sind, oder hinterlassen sie ihnen im Tode und berauben unzweifelhaft die Armen dieser Güter ! Mit welchem Ge­ wissen auch im Sinne der christlichen Religion - ich verlange das, sie sollen es sagen ! - vergeuden in ihrem zeitlichen Leben die, die für den Dienst am Evangelium mit dem Unterhalt und mit dem, was sie auf dem Leibe tragen, nach dem Wort des Apostels im 1 . Brief an Timotheus im letzten Kapitel 432 zufrieden sein müRten, mit so viel überflüssigem die Güter der Armen, mit Pferden, Dienersmaften, Gast­ mählern und den übrigen Eitelkeiten und Vergnügungen, öffentlichen und geheimen ! § 5 Was aber bei der Verteilung der kirchlichen Ämter und Pfründen oder zeitlichen Güter an unlauteren Machen­ schaften vorkommt, darüber gehe im rasch hinweg. Denn die Verteiler oder deren Vermittler suchen reichliche Für­ sprache oder Gunst der Mächtigen der Welt zu gewinnen433 , oder sie - Diener des Magiers Simon434 - werden bestochen, wenn es recht sein sollte, das zu sagen ; daher werden solche Güter Nichtswissern, Verbrechern, Kindern, Unbekannten und nie Gesehenen und Idioten zugeschoben - offen, die ganze Welt weift es -, während doch der Apostel im 1. Brief an Timotheus im 3. Kap.4 35 vorschreibt, die kirchlichen Amts­ träger müßten als bewährte und vollkommene Männer in ihrer Lebensführung, also in Sitten und Lehre, sid::t erweisen. Daher sagt er an der oben angeführten Stelle : Er muß aber aum, d. h. der Priester oder Bischof, ein gutes Zeugnis haben von denen draußen ; wie viel mehr auch von denen, die inner­ halb der Gemeinde stehen ! Etwas weiter unten schreibt er an derselben Stelle : Die Diakonen müssen ebenso ehrbar sein. Aum diese sollen aber erst einer Prüfung unterzogen roerden

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similiter pudicos. Et hii autem probentur primum ; et sie ministrent, nullum crimen habentes. Verumptamen hoc con­ venienter potest dicere quis, quod hene prohantur horum plurimi, ut novit mundus, quantum scilicet precium aut pre­ cem valeant exhihere. >o § 6. Quod ne singula inconveniencium dinumerare temptemus, tamquam impossihilium aut difficilium valde, de pres­ 26 1 hyterorum seu episcoporum ceterorumqu e templi ministro­ rum quasi omnium actihus summam facientes, coram Chri­ sto testamur, eius si mentimur invocantes iudicium, prefatos ; episcopos et reliquos fere omnes modernis temporihus om­ nium quasi opposita perpetrare, que secundum doctrinam evangelicam aliis predicant ohservanda. Voluptates namque, vanitates, temporalia et seculi principatus exardent, et omni conamine, non iure, sed iniuria occulta et manifesta proset o cuntur et occupant. Que tarnen omnia Christus et veri eius imitatores apostoli spreverunt et spernere docuerunt et prece­ perunt, eos maxime qui aliis evangelizare dehent mundano­ rum contemptum. § 7. Paterat enim Christus, si voluisset, si evangelizanti 1 5 expedire vidisset, servasse statum principis in hoc seculo, et in eo statu pati similiter. Sed fugit in montem, ut statum ta­ lem ahiceret et ahici doceret, sicut ex Johannis 6° supra in­ duximus 4° huius. Talern enim statum gerere non decet evan­ gelizantes ipsius contemptum, sed pocius suhiectorum et 20 humilium, qualem in hoc seculo tarn ipse quam ipsius apo­ stoli servaverunt. Econtra status paupertatis exterioris et ahiectus non decet principantem, quoniam expedit illi status quem honi suhditi revereantur et mali vereantur, per quem eciam, si oporteat, rehelies legum transgressores valeat 25

436 J oh. 6,15 in II 4, 7.

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und ihren Dienst erst dann übernehmen, menn sie olme Tadel sind. Das freilich kann man mit Recht behaupten : Die meisten von ihnen werden, wie die Welt weift, trefflich geprüft, wieviel sie nämlich an Zahlungen oder Bitten zu leisten ver­ mögen. § 6 Damit wir nun nicht die Einzelheiten dieser unglaub­ lichen Zustände aufzuzählen versuchen - es wäre doch unmöglich oder mindestens sehr schwierig -, so ziehen wir von dem Wandel fast aller Priester und Bischöfe und der übrigen Diener der Kirche die Summe und bezeugen vor Christus unter Anrufung seines Gerichtes, falls wir lügen : Die obengenannten Bischöfe und fast alle anderen tun in heutigen Zeiten beinahe das Gegenteil von alledem, was sie nach der evangelischen Lehre anderen als göttliche Gebote predigen. Denn auf Vergnügungen, Eitelkeiten, zeitliche Güter und weltliche Herrschaften brennen sie und mit allen Mitteln ohne jedes Recht, vielmehr mit Unrecht, geheimem und offenem, gehen sie ihnen nach und reiften sie an sich. Dies alles haben jedoch Christus und seine echten Nach­ folger, die Apostel, verschmäht und zu verschmähen gelehrt und geboten, denen vor allem, die anderen Verachtung der weltlichen Güter im Dienst des Evangeliums predigen sollen. § 7 Hätte Christus nämlich gewollt und es als förderlich für den Verkünder des Evangeliums angesehen, so hätte er den Stand eines Herrschers in dieser Welt einnehmen und in diesem Stande auf ähnliche Weise leiden können. Aber er floh au f einen Berg, um einen solchen Stand zurück­ zuweisen und dessen Zurückweisung zu lehren, wie wir aus Johannes Kap. 6 oben II 4436 angeführt haben. Einen solchen Stand darf nämlich nicht innehaben, wer dessen Ver­ achtung im Dienst des Evangeliums verkündet, sondern vielmehr den von Untertanen und Menschen niederer Herkunft, wie ihn er selbst und seine Apostel in dieser Welt eingenommen haben. Umgekehrt ziemt der Stand der äußeren Armut und der Niedrigkeit dem Herrscher nicht ; denn für ihn ist ein Stand vorteilhaft, den die guten Unter­ tanen verehren und die schlechten scheuen sollen und durch den er auch nötigenfalls die aufrührerischen Übertreter der Gesetze zu bändigen vermag ; das könnte er gar nicht in

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coercere ; quod nec passet facere convenienter, si statum pau pe­ rem et deiectum haheret, propter quod eciam illi non convenit evangelizantis officium. Si enim principans in populo suade­ ret statum paupertatis et ahiectum ; adhuc, si quod percussus in una maxilla percucienti afferat aliam ; et rursum, quod 30 au ferenti sibi tunicam det quis pallium pocius, quam adver­ sus iniuriantem contendat iudicio : talia nec sihi faciliter cre­ derentur, quia statu, quem decet ipsum et quem gerit, suo 262 repugnaret sermoni. Amplius, sie inconvenienter ageret. Cum enim sua intersit per penam iniuriantes arcere, id eciam non requirentihus passis iniuriam, si predicaret iniurias remit­ tendas, iniuriosis et pravis occasionem quandam amp1 ius de5 linquendi preheret, et offensis seu passis iniustum duhitaci­ onem aut suspicionem iusticie consequende. Propter quod Christus, qui omnia semper meliori modo disposuit, officia principancium et sacerdotum in eodem supposito coniungi noluit, sed pocius separari . Hec autem videtur beati Bernardi 10 expressa sentencia De Consideracione ad Eugenium papam lihro 2°, capitulo 4°, uhi sie ait : I ergo tu et tibi usurpare aude, aut dominus apostolatum, aut apostolicus dominaium. Plane ab utroque prohiberis. Si utrumque simul habere voles, per­ des utrumque. Alioquin non te exceptum illorum numero putes, de quibus queritur Deus ':· sie':· : 'Ipsi regnaverunt et non per t5 me, principes extiterunt, et non cognovi eos.' § 8. Testantur autem dictis decreta seu historie quedam Rarnanorum pontificum. Ipsis enim irrscripturn reperitur, et ab eisdem approbatum privilegium quoddam Constantini 20 Rarnanorum imperatoris, quo beato Silvestro Rarnano pon­ tifici concessit iurisdiccionem coactivam super omnes mundi ecclesias, reliquosque preshyteros seu episcopos omnes. Cum25

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de c et ipsum < gerere > . 25?, 1-2.

1 7'7 , 1 4 ff. ; dazu Sch olz 262 Anm. 1 . 44 0 Scholz 263 Anm . 1 . 430

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Teil Jl, Kapitel XI

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angemessener Weise tun, wenn er einen armen und niedrigen Stand hätte. Deswegen paflt für ihn auch das Amt eines Verkünders des Evangeliums nicht. Wenn nämlich der Herrscher im Volke den Stand der Armut und der Niedrig­ keit anraten wollte, noch dazu, wer auf die eine Backe ge­ schlagen sei, solle dem Schlagenden die andere anbieten, und auflerdem, man solle jemandem, der einem den Rock 30 stiehlt, eher den Mantel geben als gegen den Dieb vor Gericht streiten : solche Reden würden ihm gar nicht leicht geglaubt werden, weil er durch den Stand, den er inne­ haben soll437 und den er auch wirklich innehat, seinen Worten widersprechen würde. Ferner wäre es widersinnig, wenn 262 er so handelte. Da es nämlich in seinem Interesse liegt, die Übeltäter zu strafen - sogar dann, wenn es die Ge­ schädigten nicht verlangen -, so würde er, wenn er Ver­ gebung des Unrechtes predigte, den Gewalttätigen und Bösartigen einen gewissen Anreiz geben, sich noch mehr zu vergehen, und bei den Beleidigten oder Geschädigten 5 Zweifel oder MiRtrauen wecken, ob sie Gerechtigkeit finden werden. Deswegen wollte Christus, der alles immer in der besten Weise geordnet hat, die Ämter der Herrscher und der Priester nicht in derselben Person4 38 vereinigen, sondern vielmehr trennen. Dies aber ist offenbar die ausdrückliche Meinung des seligen Bernhard in der Schrift ,Zur Erwägung' t o an den Papst Eugenius B. 2, Kap. 4 439 , wo er sagt : Geh du also und unter!ange dich, entweder als Herrscher dir das Apostolat oder als Nachfolger des Apostels die Herrschaft anzumaßen. Es ist klar : du roirst an beidem gehindert. Wenn du beides zugleich haben roillst, so roirst du beides verlieren. ]edenfalls glaube nicht, du seiest aus der Zahl derer n ausgenommen, über die Gott klagt: ,Sie haben als Könige geherrscht und nicht durch mich ; sie sind Fürsten gewesen, und ich habe sie nicht gekannt. ' § 8 Für das Gesagte zeugen auch gewisse Dekrete oder geschichtliche Überlieferungen der römischen Bischöfe. Darunter befindet sich nämlich au fgezeichnet und von ihnen 20 bestätigt ein Privileg des römischen Kaisers K onstantin 44 0, das dem seligen Sylvester, dem römischen Papst, eine zwin­ gende Rechtsprechung über alle Kirchen der Welt und alle übrigen Priester oder Bischöfe zugestand. Da jeder 25

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que concessionem eam fuisse validam fateatur quilibet papa Romanus et cum eo presbyterorum seu episcoporum reliquus cetus, consequenter ipsis concedendum est eundem Constan­ tinum hanc iurisdiccionem seu potestatem in eos primitus habuisse, presertim cum ad ipsos virtute verborum scripture nulla talis iurisdiccio in quemquam clericum aut laieuro per­ tinere noscatur. Et hoc es t, quod beatus Bernardus dicit ex­ presse ad Eugenium, De Consideracione libro et capitulo 4° ; inquit enim ibi : Petrus hic est, qui nescitur processisse aliquando vel gemmis ornatus vel sericis, nec tectus auro, nec vectus equo albo, nec stipatus milite, nec circumstrepentib us septus ministris. Absque hiis tamen credidit satis passe im­ pleri salutare mandatum : 'Si amas me, pasce oves meas.' In hiis '�enim'�, secularihus videlicet apparatibus et potestatibus, successisti non Petro, sed Constantino. Principancium igitur officium non est sacerdotale inquantum huius [modi] , nec econverso ; de quorum tarnen differencia rememoratum sit hoc modo. C A P ITUL UM

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D e distinccione quar undam diccionum necessaria p ropter determinacionem q u e s itorum circa statum p aup ertatis supreme. Sie igitur figuraliter nobis ostenso, Christum e t ipsius apo­ stolos viatores statum paupertatis et humilitatis docuisse at­ que servasse ; certumque tenendum sit fidelibus, doctrinam seu consilium omne Christi et apostolorum eterne vite meri­ torium aliqualiter extitisse ; convenienter utique inquiren­ dum videtur de ipsorum paupertate, que, qualis, quantave fuerit, ne imitari volentes eosdem hanc lateat viatores. § 2. Ruinsmodi ergo temptantes inquisicionem, primum dicturi sumus, quid est quod dicitur, et quot modis paupertas

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Scholz 263 Anm. 2.

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römische Papst und mit ihm der übrige K reis der Priester oder Bischöfe verkündet, dieses Zugeständnis sei rechts­ kräftig, so müssen sie folglich zugeben, K onstantirr habe diese Rechtsprechung oder Gewalt über sie ursprünglich selbst gehabt, zumal, da man erkennt, daß kraft der Worte der Schrift ihnen keine solche Rechtsprechung über irgendeinen Kleriker oder Laien zukommt. Das ist es, was der selige Bernhard ausdrücklich in der Schrift an Eugenius ,Zur Erwägung' B. 4, Kap. 4441 sagt ; er äußert nämlich dort : Dies ist Petrus, von dem nicht bekannt ist, daß er jemals einhergezogen sei mit Edelsteinen oder mit seidenen Gervändern geschmückt oder bedeckt mit Gold oder reitend auf rveißem Roß oder umdrängt von Soldaten oder von lärmenden Dienern umgeben. Ohne das glaubte er jedoch, seinen heilbringenden Auftrag zur Genüge erfüllen zu können : ,Wenn du mich liebst, so meide meine Schafe. ' Denn hierin, d . h. i n weltlicher Pracht und Gewalt, bist du nicht des Petrus Nachfolger, sondern des Konstantin. Also ist das Amt der Herrscher nicht das priesterliche als solches, auch nicht umgekehrt ; über deren Unterschied jedoch sei in dieser Weise das Nötige in Erinnerung gebracht. KAP I T E L XII

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K l ä r u n g d e r B e d e u t u n g s v e r s ch i e d en h e i t e m 1 g e r A u s d r ü c k e , d i e w e g e n d e r L ö s u n g g e wi s s e r F r a g e n ü b e r d e n S t a n d d e r h ö c h s t e n A r m u t n o t w e n d i g i s t. § 1 Nachdem wir so in anschaulicher Form gezeigt haben, daß Christus und seine Apostel während ihres Erden­ wandels den Stand der Armut und der Niedrigkeit gelehrt und gewahrt haben und daß die Gläubigen für gewiß halten müssen, daß jede Lehre oder jeder Rat Christi und der Apostel für das ewige Leben irgendwie verdienstlich ist, so scheint eine Untersuchung übel" Begriff, Art oder Umfang ihrer Armut zweckmäßig und unbedingt not­ wendig zu sein, damit sie denen, die ihnen auf ihrer irdischen Wanderschaft nachleben wollen, deutlich wird. § 2 Wenn wir nun eine derartige Untersuchung in Angriff nehmen, so wollen wir zunächst sagen, was das ist, was

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aut pauperern esse, sirniliter autern et divitern esse. Videntur enirn hec invicern opponi quandoque velut hahitus et privato cio, quandoque ut contraria. Deinde vero norninurn horurn utrurnque distinguernus in suos rnodos, et ipsorurn descrip­ ciones suhiungernus, ut si qua sit paupertas rneritoria et ipsius rnodorurn ordo aliquis perfeccionis invicern, quisque aliorurn surnrnus aut prirnus nohis appareat. Et quoniarn divitem orn15 nes eurn dicunt, qui licitarn seu de iure potestatern hahet vel dorniniurn aut possessionern rerurn ternporaliurn, quas vocant divicias, in proprio vel cornrnuni aut utroque rnodo, paupe­ rem autern econtra vocant illurn, qui honis talihus privatus est ; ne propter usus varietatern quorundarn iarn dictorurn 20 norninurn, quihus ad propositurn nostrurn indigehirnus uti, sentencia quarn explicare volurnus extet arnhigua, distin­ guernus prirnurn significata seu rnodos eorurn. Surrt autern no­ rnina hec : ius, dominium, possessio, proprium et commune, dives et pauper. § 3. Incipiernus autern distinguere signi:ficata iuris, quon25 iarn ipsis indigehirnus in aliorurn distinccionihus et assig­ nacionihus, non econverso. /us igitur in una sui significacione dicitur de lege dicta secundurn terciarn et ultirnarn legis signi­ ficacionern, de qua fuit hahiturn 1 0° prirne. Que siquidern du265 plex est : una quidern hurnana, reliqua vero divina, que eciarn secundurn aliquod ternpu s et rnodurn venit in ultirnarn legis significacionern, ut dieturn est uhi supra. De harurn vero legurn natura et qualitate ipsarurnque conveniencia et diffe5 rencia sufficienter dixirnus 8° huius et 9°. De quihus eciarn resurnenies ad propositurn, dicarnus ipsa­ rurn convenienciarn in eo prirnurn, quod utraque Iex est pre442 Derselbe Satzhau § 5 Anf. 443 II, 12, 29 u. W. 444 V gl. Anm. 539. 445 Recht 1 objektives Recht

Inbegriff der erzwingbaren, schlechthin bindenden Vorschriften für die Handlungen der Menschen in ihrem Verhalten zueinander. vielmehr 4 b, vgl. I 1 0, 4. 449 II 8, 5 ; l i 9, 1 -3 . 44R I 1 0. 7. I 10, 4. =

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Armut hei1!t442 und auf wie viele Weisen Armut oder arm sein, ähnlich aber auch reich sein, < aufgefafH werden kann > . Diese Begriffe scheinen nämlich manchmal wie Haben und 10 Nichthaben 443 , manchmal wie konträre Gegensätze ein­ ander gegenübergestellt zu werden. Dann werden wir die Auffassungen dieser beiden Bezeichnungen unterscheiden und deren Beschreibung hinzufügen, damit, wenn eine Form der Armut verdienstlich sein sollte, sich auch innerhalb ihrer Auffassungen eine Rangordnung444 nach der Voll­ kommenheit für uns ergibt und klar wird, welche davon die höchste oder erste von allen ist. Reim nennen nun alle 1 5 den, der eine zulässige oder rechtlich begründete Gewalt oder ein Eigentum oder einen Besitz an zeitlichen Dingen hat, die man Reimtum nennt, persönlich oder mit anderen gemeinsam oder in beiden Formen, arm aber nennt man umgekehrt den, der solche Güter nicht hat ; damit daher nicht wegen der Verschiedenheit im Gebrauch gewisser eben 20 angeführter Bezeichnungen, die wir für unser Thema brau­ chen werden, die Meinung, die wir entwickeln wollen, zwei­ deutig sei, wollen wir zuerst deren Bedeutungen oder Au f­ fassungen unterscheiden. Es handelt sich um folgende Bezeichnungen : ius (Recht) , dominium (Eigentum - Herr­ schaft) , possessio (Besitz) , proprium (eigen, eigentlich, eigen­ tümlich) und communis (gemeinsam, allgemein) , reim und arm. § 3 Wir werden damit beginnen, die Bedeutungen von 25 Recht zu unterscheiden ; denn wir werden ihrer bei Unter­ scheidung und Feststellung der anderen Begriffe bed ürfen, nicht umgekehrt. (1) Rechi445 bedeutet also Gesetz, und zwar in dessen dritter446 und letzter Bedeutung, über die I 10447 gehandelt worden ist. Gesetze gibt es natürlich zwei : das menschliche 265 und das göttliche, das auch je nach Zeit und Umständen in die letzte Bedeutung von Gesetz übergeht, wie oben gesagt worden ist. 448 über Wesen und Beschaffenheit dieser Gesetze und deren Übereinstimmung und Verschiedenh eit haben wir 5 in II 8 und II 9 449 zur Genüge gesprochen. Wir wollen darüber für unser Thema noch eine kurze Zusammenfassung geben und zunächst einmal deren Über­ einstimmung darin feststellen, daß beide Gesetze Gebot oder

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ceptum vel prohibicio aut permissio actuum qui provenire sunt nati ab imperio mentis humane. Differunt autem, quon­ iam primum coactivum est in hoc seculo transgrediencium illud ; secundum vero, divinum scilicet, minime, sed in futuro tantummodo. Dicitur autem preceptum dupliciter : uno qui­ dem modo active, de actu scilicet precipientis, quomodo sole1 5 mus dicere, velle aliquod imperantis expressum esse precep­ tum, ut regis aut �lterius principantis. Alio modo dicitur preceptum de ipso volito per actum precipientis, quo modo solemus dicere, servum fecisse preceptum domini, non qui­ dem quod actum domini, qui est precipere aut imperare, fece20 rit servus, sed quoniarn volitum fieri per actum seu irnperiurn dornini fecit servus. Et propterea quociens hoc nornen precep­ tum refertur ad precipientem, idem est quod actus imperandi ; quociens vero ad subditum, idern est quod voliturn fieri per 'actum imperandi, passive dictum. 25 Hoc ergo nornen preceptum active sumptum et cornrnuniter dicitur de ordinacione seu statuto legislatoris tarn affirrnativo quarn negativo, ad penam obligante transgressorern. Secun­ dum tarnen usurn rnodernurn proprie surnitur pro statuto ; o affirmativo. Quoniarn statutum affirmativ um non habet ex usu nornen propriurn, sed nornen cornrnune sibi retinuit ; sta­ 266 tutum vero negativum sibi nornen habet propriurn, quoniam prohibitum dicitur. Voco autem affirmativum statutum, quo fieri aliquid ordi­ natur, negativ um, quo aliquid ordinatur non fieri. Quod si 5 fuerit talis ordinacio affirrnativa obligans transgressorern ad penarn, vocatur preceptum; si vero negativa, sie eciarn obli­ gans, vocatur prohibitwn, quod siquidern prohibitum du­ pliciter dicitur, ''tarn'' active quarn passive, quernadrnodum et preceptum. Hec au tern due ordinaciones, obligantes ad penam 1 0 scilicet, ut plurirnurn in legibus sunt expresse, vel secundum propriarn speciem vel secundurn sirnilern aut proporcionalem. 10

45 0 Vgl. Defensor minor XIII 5. 451 Entweder ist das Gesetz selbst praeceptum oder wird von einem pr. begleitet, vgl. 50,3 ff.

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V erbot oder Erlaubnis von Handlungen sind, die aus dem Befehl des bewußten Willens des Menschen hervorgehen 10 können. Sie unterscheiden sich aber darin, daß das erste Gebot zwingend ist in dieser Welt für die, die es übertreten, das zweite, das göttliche, keineswegs, sondern ausschlief!lich in der künftigen Welt. Gebot wird doppelt gebraucht : erstens aktiv, nämlich von dem Akt dessen, der das Gebot gibt ; in dieser Auffassung pflegen wir zu sagen : Gebot sei das aus1 5 drückliehe Wollen eines Befehlenden, z. B. eines Königs oder eines anderen Herrschers. Zweitens hei.flt Gebot das durch den Akt des Gebietenden Gewollte ; so pflegen wir zu sagen, der Knecht habe das Gebot des Herrn ausgeführt, nicht wei l der Knecht die Tätigkeit des Herrn, Gebieten oder Befehlen. ausgeübt hätte, sondern weil der Knecht das durch Akt oder z o Befehl des Herrn Gewollte vollzogen habe. Darum : wenn Gebot auf den bezogen wird, der ein Gebot gibt, so ist es das­ selbe wie der Akt des Befehlens ; wenn aber auf den Unter­ gebenen, so ist es dasselbe wie das durch den Akt des Be­ fehlens Gewollte, ist also passiv gebraucht. 450 Gebot also, aktiv und allgemein genommen, wird von der 25 Anordnung oder Festsetzung des Gesetzgebers gebraucht, im positiven wie im negativen Sinne, wenn sie dem Über­ treter eine Strafe androht. Nach dem heutigen Gebrauch .Tedoch wird Gebot im eigentlichen Sinne für eine positive 3 0 Festsetzung genommen. Denn die positive Festsetzung hat im Sprachgebrauch keine eigene Bezeichnung, sondern hat die allgemeine Bezeichnung Gebot behalten ; die negative 266 Festsetzung aber hat eine eigene Bezeichnung für sich, sie wird ja Verbot genannt. Ich nenne positive Festsetzung eine, die anordnet, daß etwas geschieht ; negativ eine, die anordnet, daß etwas nicht 5 geschieht. Ist nun eine solche Anordnung, die dem Übertreter Strafe androht, positiv, so heißt sie Gebot; ist sie negativ, ebenfalls mit Strafandrohung, so hei.flt sie Verbot. Verbot wird natürlich doppelt gebraucht : aktiv und passiv, wie Gebot auch. Diese beiden Anordnungen, die mit Strafandrot o hung, sind meistens in Gesetzen ausgesprochen, entweder in der eigentlichen Form oder in einer ähnlichen oder entspre­ chenden.451 In einer anderen Gebrauchsweise wird Gebot

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

Alio vero modo sumitur preceptum magis stricte in lege di­ vina, similiter et prohibitum, pro eo solo statuto, sive affirma15 tivo sive negativo, quod obligat ad penam eternam ; quomodo u sus ipsorum est apud theologos, dicentes precepta fore de necessitate salutis, id est observanda necessario, si debeat quis salvari. Unde Luce 1 8° : Si vis ad vitam ingredi, serva manda­ ta, id est precepta. § 4. Surrt autem alie quedam ordinaciones expresse vel 20 intellecte tantum in legibus, tarn affirmative quam eciam negative, sive circa eundem actum sive circa diversum faci­ entem aut omittentem, non obligantes ad penam, ut actum liberalitatis exercere vel omittere, similiter et aliorum pluri­ morum quorundam. Et talia proprie dicuntur lege permissa, 25 quamvis hoc nomen *permissum'-· communiter sumptum quandoque dicatur de statuti� obligantibus ad penam. Nam omne quodlege fieri precipitur, fieri permittitur, licet non econ­ verso. Sie eciam quod lege prohibetur fieri, lege permittitur 30 non fieri. Horum vero rursum permissorum proprie, non ob26? ligancium scilicet, quedam surrt meritoria secundum Iegern divinam, et vocantur consilia, quedam vero minime, absoluto nomine vocata permissa. Que eciam sie sumpta et proprie du­ pliciter dicuntur, active atque passive, quemadmodum prohi3 bita et precepta. Hec tarnen ut plurimum secundum suam speciem non exprimuntur in legibus, '�presertim humanis\ propter eorum multitudinem, et quoniam ipsorum ordinacio generalis sufficiens est in hoc. Omne enim quod lege non est preceptum aut prohibitum, intelligitur legislatoris ordina10 cione permissum. Est igitur preceptum secundum Iegern in propria significacione statutum affirmativum obligans ad penam transgressorem illius ; prohibitum vero proprie statu­ tum negativum ad penam obligans est ; permissum vero 454 455 456

Erlaubnis, etwas zu tun oder nicht zu tun, z. B. Freigebigkeit zu üben. Nicht alles, was erlaubt ist, ist geboten. Erlaubnis, allgemein genommen, ist alles, was im Einklang mit den Geboten, Verboten und Erlaubnissen des Gesetzes geschieht, identisch mit licitum (§ 5) legal, daher Strafandrohung begreiflich. Nam non fieri (26-29) umschreibt licitum. =

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enger genommen, im göttlichen Gesetz, und ähnlich auch Verbot: nämlich nur für eine Festsetzung in positivem oder 1 5 negativem Sinne, die die ewige Strafe androht ; in diesem Sinne ist deren Gebrauch bei den Theologen üblich, die sagen, die Gebote seien notwendig für das Heil, d. h., sie seien notwendigerweise zu befolgen, wenn einer selig werden soll. Daher heißt es bei Luk. im 18. Kap.4 52 : Willst du zum Leben eingehen, so halte die Weisungen, d. h. die Gebote. § 4 Es gibt aber einige andere Anordnungen4 53 , ausdrück20 lieh ausgesprochene oder nur mitverstandene, in den Ge­ setzen, positive wie auch negative454, für den Menschen, der den Akt - entweder denselben oder einen anderen - ver­ richtet oder unterläßt ohne Strafandrohung, z. B. den Akt der Freigebigkeit auszuüben oder zu unterlassen, ähnlich auch Anordnungen über sehr viele andere Akte. Dergleichen 25 heißen im eigentlichen Sinne gesetzliche Erlaubnisse, obwohl Erlaubnis, allgemein genommen, manchmal von Festsetzun­ gen mit Strafandrohung gebraucht wird. Denn alles, was das Gesetz gebietet, ist erlaubt, wenn auch nicht umgekehrt455 ; so erlaubt auch das Gesetz, das nicht zu tun, was es ver­ bietet.456 Von den Erlaubnissen im eigentlichen Sinne, denen 30 ohne Strafandrohung, sind wieder einige nach dem göttlichen 26? Gesetz verdienstlich und heißen Ratschläge, manche aber sind es durchaus nicht, < nämlich > die, die schlechthin Erlaub­ nisse heißen. Auch diese werden, so und im eigentlichen Sinne genommen, doppelt gebraucht, aktiv und passiv, wie die 5 Verbote und Gebote. Doch werden sie meistens in den Ge­ setzen nicht ausdrücklich ausgesprochen, zumal in den menschlichen nicht, weil sie zu zahlreich sind und daher über sie für diesen Zweck eine allgemeine Anordnung genügt � Alles nämlich, was das Gesetz nicht gebietet oder verbietet, -wird verstanden als durch Anordnung des Gesetzgebers 10 erlaubt. Im Sinne des Gesetzes ist also das Gebot in eigent­ licher Bedeutung eine positive Festsetzung, die ihrem Über­ treter Strafe androht ; Verbot im eigentlichen Sinne eine nega­ tive Festsetzung mit Strafandrohung ; Erlaubnis wird im eigentlichen Sinne eine Anordnung des Gesetzgebers 4 52

m

Nach Luk. 18,18 ff. ; gemeint ist Matth. 19,1?. proprie oder lege permissa ist das, was im Leben Erlaubnisse heif!t; darauf steht keine Strafe.

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proprie dicitur ordinacio legislatoris ad penarn nerninern obligans. I uxta quas significaciones, proprias scilicet, hiis norninibus deinceps nobis utendurn est. § 5. Ex hiis autern convenienter apparere potest, quid est, quod licitum dicitur ; quoniarn ornne facturn iuxta legis pre­ cepturn aut perrnissionern, vel ornissurn iuxta legis prohibi ci20 onern aut perrnissionern, licite facturn vel ornissurn est et lici­ tum dici potest, eius vero contrariurn seu oppositurn illicitum. § 6. Hinc eciarn nobis apparere potest, quid est, quod fas appellari solet ; est enirn ''fas in una significacione idern quod 25 liciturn, quasi convertibiliter. In alia vero significacione irn­ portat hoc nornen'' fas id quod legislator in aliquo casu per­ rnisisse racionabiliter presurnitur, quarnvis tale aliquid sit absolute prohibiturn seu regulariter, ut per alienurn agrurn transire quandoque, aut rern alienarn contractare absque 3o dornini expresso consensu fas est, licet non sit ius dieturn regulariter secundurn aliquern dictorurn rnodorurn. Narn 268 aliene rei contractacio regulariter prohibita est ; in casu tarnen fas est, in quo rei dorninus racionabiliter presurnitur consentire, quarnvis hoc non concedat expresse ; propter quod in talihus quandoque opus est epieikeia. Sie igitur secundurn unarn significacionern ius idern est 5 quod lex divina vel humana, seu secundum has preceptum aut prohihiturn vel permissum. § 7. Est autern et alia quedarn iuris, et proprie hurnani, divisio in ius naturale atque civile. Et dicitur ius naturale secundum Aristotelem 4° Ethicorum, tractatu De Iusticia, 10 statutum illud legislatoris, in quo tamquam honesto et ob­ servando quasi ornnes conveniunt, ut Deum esse colendum, parentes honorandos, humanas proles usque ad tempus parentibus educandas, nemini iniuriandum, iniurias licite 15

457 zulässig legal identisch mit permissum communiter sumptum, 266,25 ; 282,4-5 u . § 10 Ende de iure primo aut secundo modo dicto. 4 58 I 14, 7. 4 5 9 Ar. N. Eth. V 10 1 134 b, 1 7 ff. : roii lie noÄmxoii litxatov ro pev qJVatx6v, ro lie voptx6v. =

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genannt, die niemandem eine Strafe androht. In diesen Bedeutungen, den eigentlichen, müssen wir diese Bezeichnun­ gen im folgenden gebrauchen. § 5 Daraus kann man sich mit Leichtigkeit klarmachen, was das ist, was zulässig451 heißt ; denn alles, was nach dem Gebot oder der Erlaubnis des Gesetzes getan wird oder nach dem Verbot oder der Erlaubnis des Gesetzes unterlassen wird, das ist zulässigerweise getan oder unterlassen und zo kann als zulässig bezeichnet werden, dessen Gegenteil aber oder Gegensatz als unzulässig. § 6 Daraus kann uns auch klarwerden, was das ist, was fas (redtt nicht unrecht) genannt zu werden pflegt ; redtt ist nämlich in einer Bedeutung dasselbe wie zulässig, fast 25 vertauschbar damit. In einer anderen Bedeutung aber meint redtt das, wovon man vernünftigerweise im voraus annimmt, der Gesetzgeber habe es in einem bestimmten Falle erlaubt, obwohl etwas Derartiges absolut oder in der Regel verboten ist, wie z. B. ohne die ausdrückliche Einwilligung des Eigen­ tümers, über einen fremden Acker zu gehen oder eine fremde Sache zu benutzen, manchmal recht ist, mag es auch nicht 30 Redtt im normalen Sinne des Wortes in einer der genannten Anwendungen sein. Denn Benutzung einer fremden Sache 268 ist in der Regel verboten ; in d e m Falle jedoch ist sie redtt, in dem man vernünftigerweise die Einwilligung des Eigen­ tümers der Sache voraussetzt, obwohl er das nicht ausdrück­ lich gestattet ; deswegen ist in solchen Fällen manchmal Billig­ keit (epieikeia) nötig. 458 So ist also in der einen Bedeutung Redtt dasselbe wie Ge5 setz, göttliches oder menschliches, oder was im Sinne dieser Gesetze geboten oder verboten oder erlaubt ist. § 7 Es gibt aber auch eine ganz andere Einteilung des Rechtes, und zwar des im eigentlichen Sinne menschlichen Rechtes in natürliches Recht und gesetzliches vom Gesetz­ geber willkürlich festgesetztes451 Recht. Nach Aristoteles in der Ethik B. 4 in der Abhandlung über die Gerechtigkeit heiflt 1 0 natürliches Redtt eine Bestimmung des Gesetzgebers, die übereinstimmend alle als gut und befolgenswert anerkennen, z. B., daR man Gott verehren und die Eltern achten soll, daß die Eltern die menschlichen Nachkommen bis zu einer gewis­ sen Zeit aufziehen sollen, daß man niemandem Unrecht tun 15

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repellendum, et similia reliqua ; que licet sint ab humana institucione pendencia, transumptive iura dicuntur natura­ lia, quoniam eodem rnodo creduntur apud omnes regiones licita et eorum opposita illicita, quemadmodum actus natu­ raliurn non habencium propositum conformiter apud omnes proveniunt, velut ignis qui sie ardet hic, sicut in Persis. 20 § 8. Sunt tarnen quidam, qui ius naturale vocant recte racionis agibilium dictamen, quod sub iure divino collocant. propterea quod omne factum secundum Iegern divinam et secundum recte racionis consilium simpliciter est licitum ; non tarnen omne factum secundum Ieges humanas, quoniam 25 in quibusdam a recta racione deficiunt. Verum naturale hic et supra equivoce dicitur. Multa enim sunt secundum [recteJ racionis dictamen, ut que videlicet non omnibus sunt per se 269 nota et per consequens neque confessa, que non ab omnibus nacionibus conceduntur tamquam honesta. Sie eciam secun­ dum Iegern divinam sunt quedam precepta, prohibita vel per­ missa, que [nonJ se habent in hoc conformiter humane legi. 5 quod quia notum est in pluribus, exempla pretermisi propter abhreviacionem sermonis. § 9. Et inde eciam est, quod quedam licita sunt secundurn Iegern humanam, que non licent secundurn Iegern divinam, et econverso. Verumptamen licitum et illicitum simpliciter 10 attendenda sunt secundurn Iegern divinam pocius quam hu­ manam, in quibus dissonant preceptis, prohibitis aut per­ missis. § 10. Dicitur autem ius secundo modo de omni humano actu, potestate vel habitu acquisito, imperato, interiori vel exteriori, tarn immanente quam transennte in1 rem aliquam n exteriorem aut in rei aliquid, puta usum aut usufructum, acquisicionem, detencionem seu conservacionem aut comt5

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1 1 34 b, 24 ff. A r. N. Eth. V 1 0 Cicero De re publica III 22, 33. Vgl. Gewirth I 149 Anm. 15. Unzucht, Trunksucht, vgl. II 13, 2 Ende. subjektives Recht der konkrete Rechtsanspruch, der sich Recht 2 für den einzelnen im konkreten Fall aus dem objektiven Recht ergibt. 9 1 ,1 1 : Der Habitus wird durch Übung erworben, vgl. 282,27-29. =

461 Vgl. 4 62

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darf, daß Abwehr des Unrechtes zulässig ist und ähnliches mehr ; mag das auch von menschlicher Einsetzung abhängen, so wird es doch in übertragenem Sinne natürlidtes Redtt ge­ nannt ; denn es gilt gleicherweise in allen Ländern als zulässig und das Gegenteil als unzulässig460 , wie das Walten der Naturkräfte, die absichtslos wirken, gleichmäßig bei allen vor sich geht, z. B. das des Feuers, das hier so brennt wie bei den Persern. 20 § 8 Einige461 aber nennen die Forderung des richtigen ver­ nünftigen Denkens in Fragen des Handeins Naturredtt und unterstellen sie dem göttlichen Recht ; denn alles, was nach dem göttlichen Gesetz getan wird, ist auch nach dem Rat des richtigen Denkens schlechthin erlaubt, nicht jedoch alles, was nach den menschlichen Gesetzen getan wird, da sie ja in man25 chen Punkten von dem richtigen Denken abweichen. Aber natürlidt wird hier und oben in verschiedenem Sinn ge­ braucht. Denn es gibt nach der Forderung des richtigen Den­ kens vieles, was nicht allen selbstverständlich ist und folgli will.4&s § 1 3 Daran schlieRt sich die Untersmeidung der Anwen­ dungen oder Bedeutungen von dominium409 (Eigentum, Herr­ schaft, Herrschaftsrecht). Eigentum bedeutet streng genom­ men ( 1) die umfassendste Gewalt470 , eine nach dem Recht in der ersten Bedeutung erworbene Sache in Anspruch zu nehmen, 465 46 6

Rechts und links sind im Körper objektiv bestimmt ; ebenso liegt das obj. Recht fest ; von dem objektiv Festliegenden wird im einzelnen Falle rechts und links und das subjektive Recht hergeleitet. Vgl. § 3 .

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dicto secundum primum modum, potestatem inquam scientis et non dissencientis in hoc, volentis eciam nemini alteri licere rem illam contractare absque sui, dominantis scilicet, dum illi dominatur, expresso consensu. Hec autem potestas nil aliud est quam actuale aut habituale velle sie habendi rem iure zo quesitam, ut diximus ; que siquidem ius alicuius dicitur, quon­ iam iuri primo modo dicto conformis, secundum quem mo­ dum eciam columpnam dexteram aut sinistram esse iam dixi­ mus, cum ad animalis dexteram aut sinistram secundum pro­ pinquitatem vere fuerit comparata. 25 § 1 4. Dicitur autem rursum hoc nomen communiter magis de potestate iam dicta, sive fuerit in rem tantum, sive in usum aut usufructum tantum, sive in hec omnia simul. § 1 5. Dicitur amplius idem nomen de potestate iam dicta, 5 non tarnen scientis aut consencientis, neque eciam dissencien­ tis expresse seu renunciantis ; quo modo infanti et absenti aut alteri cuilibet ignoranti, capaci tarnen, acquiri potest res aliqua vel eius aliquid cum dominio seu potestate ipsam ven­ dicandi ab auferente vel auferre volente per se vel alium 10 coram iudice coactivo. Dictum est autem non dissencientis expresse, quoniam expresse dissencienti seu renundanti rem aliquam aut rei aliquid non acquiruntur talia neque ipsa ven­ dicandi dominium aut potestas. Potest enim quilibet renun­ ciare licite iuri pro se introducto secundum humanas Ieges, 1 '> neque ad iuris beneficium compellitur quis invitus secundum Iegern aliquam. Sunt autem iaiJl dicta dominia legalia, quon15

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in Akt übergegangen ; Gegensatz ist das Dauerrecht.

472 Vgl. Anm. 465. 473 Das ist wichtig für den Vollkommenen, der gegen das Eigentumsrecht an dem geschenkten Stück Brot Einspruch erhebt.

Teil I!, Kapitel XII 15

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die Gewalt, sag ich, eines, der weifl, dafl er diese Sache hat und nicht Einspruch dagegen erhebt, < dafl sie sein Eigentum sei > , der auch will, dafl es keinem anderen erlaubt sei, jene Sache zu benutzen ohne seine, des Eigentümers, ausdrück­ liche Einwilligung, solange er der Eigentümer ist. Diese Ge­ walt ist nichts anderes als der aktualisierte47 1 oder dauernde Wille, die mit Recht erworbene Sache in dem Sinne zu haben, wie wir ihn beschrieben haben ; diese Gewalt heißt nun Recht einer Person, da sie ja mit dem Recht in der ersten Anwen­ dung übereinstimmt, eine Anwendung, nach der wir aum eine Säule eben als rechte oder linke bezeichnet haben, wenn sie zur rechten oder linken Seite eines Lebewesens nach der Nähe richtig in Beziehung steht. 472 § 14 (2) Diese Bezeichnung wird ferner mehr allgemein von der eben erwähnten Gewalt gebraucht, mag sie sich nur auf die Sache oder nur deren Gebrauch oder Nieflbraum oder auf alles dies zugleim erstrecken. § 15 (3) Ferner wird dieselbe Bezeichnung von der eben genannten Gewalt gebraucht, doch so, dafl < der Eigentümer von seinem Eigentum > nichts weifl oder nicht erklärt, es sei sein Eigentum, aber auch nicht ausdrücklich dagegen Ein­ spruch erhebt oder darauf verzichtet ; in diesem Sinne kann z. B. von einem Kinde und einem Abwesenden oder einem beliebigen anderen, der nich ts davon weifl, aber rechtsfähig ist, eine Sache oder etwas von ihr erworben werden mit dem Eigentum oder der Gewalt, sie gegenüber einem, der sie weg­ nimmt oder wegnehmen will, in eigener Person oder durch einen anderen vor einem Richter mit Vollstreckungsgewalt in Anspruch zu nehmen. Gemeint ist das aber < von der Gewalt > eines, der nicht ausdrücklich gegen das Eigentum Einspruch erhebt ; denn einer, der ausdrücklich Einspruch erhebt oder auf eine Sache oder etwas von ihr verzichtet, erwirbt dergleichen nicht noch das Eigentum oder die Gewalt, sie in Anspruch zu nehmen.473 Jeder kann nämlich zulässiger­ weise nach den menschlichen Gesetzen auf ein Recht, das für ihn geltend gemacht worden ist, verzichten, und niemand wird nach irgendeinem Gesetz zur Ausnutzung eines Rechts­ vorteils wider seinen Willen gezwungen. Die eben erwähnten Eigentumsrechte sind aber gesetzlich ; denn sie werden durch

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iam legis seu ipsius latoris ordinacione ac hominum elec­ cione acquiruntur seu acquisibilia sunt. § 16. Adhuc dicitur nomen dominii de humana voluntate seu libertate secundum se, cum ipsius executiva seu motiva z o organica potestate non impedita. Hiis enim possumus in aetus aliquos et ipsorum oppositos. Propter quod eciam dicitur homo inter animalium cetera suorum actuum habere domi­ nium ; quod siquidem a natura inest homini, non voluntarie seu eleccione quesitum. § 1 7. Consequenter distinguendum est hoc nomen posses25 sio. Quod quidem sumptum large significat uno modo idem quod dominium dieturn secundum primam aut secundam significacionem vel terciam, aut rem temporalem aliquam in comparacione ad sie habentern et habere volentem, quem>o admodum dieturn est in duabus prioribus dominii significacionibus. Unde Geneseos 1 3° : Erat autem dives valde in 2?2 possessione auri et argenti; et eiusdem 1 ?0 : Dabo tibi et semini tuo omnem terram Chanaam in possessionem eter­ nam. 5 § 18. Alio modo et magis stricte dicitur possessio de domi­ nio iam dicto cum aetuali contraetacione corporali, presenti vel preterita, rei vel usus aut usufructus ipsius ; quomodo nomine hoc utuntur plurimum in sciencia civilium actuum. § 19. Amplius dicitur hoc nomen de licita contractacione t o corporali rei sue vel eciam aliene ; ut Actuum 4° : Nec quis­ quam eorum que possidebat aliquid suum esse dicebat, sed erant illis omnia communia. § 20. Dicitur autem rursum possessio, licet improprie de rei detencione illicita, in presenti vel preterito, per se vel alium corporaliter contractata.

476 1. Mos. 1 3,2. 477 1. Mos. 1 7,8. 478 Du Cange : corporaliter et legitimo iure possidere. 479 Acta 4,32. 480 contractata sachlich zu rei.

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Anordnung eines Gesetzes oder des Gesetzgebers und durch den Entschlufl der Menschen erworben oder sind dadurch erwerbbar. § 16 (4) Ferner wird dominium < im Sinne von > HerrsChaft vom menschlichen freien Willen gebraucht oder von der menschlichen Freiheit an sich, verbunden mit dem Vermögen, ohne jedes Hemmnis < das Gewollte > in die Tat umzusetzen oder die Organe474 zu bewegen. Dadurch sind wir zu irgend­ welchen Handlungen und deren Gegenteil fähig. Deswegen sagt man auch vom Menschen, er habe allein unter den Lebe­ wesen die Herrschaft über seine Handlungen ; diese Herr­ schaft ist dem Menschen von Natur eigen, nicht durch einen Willensakt oder durch eine Entscheidung erworben.475 § 1 7 Dann mufl man die verschiedenen Bedeutungen von Besitz aufzeigen. Besitz bedeutet in weiterem Sinne erstens (1) dasselbe wie Eigenturn in der ersten oder zweiten oder drit­ ten Bedeutung oder ein zeitliches Gut in seiner Beziehung zu einem, der es in demselben Sinne hat und haben will, wie es bei den ersten zwei Bedeutungen von Eigentum beschrieben ist. Daher heiflt es in der Genesis im 13. Kapitel476 : Er roar aber sehr reiCh in Besitz von Gold und Silber und ebenda im 1 7. Kapitel4 77 : Im roill dir und deinem Samen das ganze Land Kanaan zu ewigem Besitz geben. § 18 (2) In einer zweiten und engeren Auffassung heiflt Besitz das eben genannte Eigentum verbunden mit tatsäch­ limer konkreter Benutzung in Gegenwart oder Vergangen­ heit, soviel wie Gebrauch oder Nutznießung einer Sache ; in diesem Sinne gebraucht man diese Bezeimnung zumeist im Zivilremt. § 19 (3) Ferner wird diese Bezeichnung von der zulässigen tatsächlichen478 Benutzung einer eigenen oder einer fremden Sache gebraumt, z . B. in der Apostelgeschichte im 4. Ka­ pitel479 : Und keiner nannte ein Stüd: von dem, roas er besaß, sein eigen, sondern es roar ihnen alles gemeinsam. § 20 (4) Ferner wird Besitz, wenn auch uneigentlich, von der unzulässigen Aneignung einer Sache in Gegenwart oder Vergangenheit gebraumt, die einer selbst oder ein anderer tatsämlich benutzt.480 organorum. 474 organica 4 75 Vgl. II 13, 9. =

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§ 2 1 . Nunc autem sequitur distinguere nomen proprii et communis. Dicitur autem proprium sive proprietas uno modo de dominio dicto secundum primam significacionem ; quo­ modo utuntur ipso in sciencia civilium actuum. 20 § 22. Dicitur rursum magis large sumendo de dominio dicto secundum eius significacionem tarn primam quam secundam ; quomodo usus eius est apud theologos et eciam in sacra scrip­ tura plerumque. § 23. Amplius dicitur hoc nomen proprium et proprietas 25 famose magis apud theologos de singularitate persone vel rei aut rei aliquo pertinentibus ad unicam personam tantum, non cum alia. Sie enim sumunt proprium, distinguentes ipsum contra commune, qui querunt, utrum perfeeeins seu magis meritorium eterne vite sit habere temporalia in proprio, 273 id est singulariter, quam habere talia cum alio vel aliis in communi. § 24. Dicitur autem rursum hoc nomen proprium sive pro­ ; prietas de accidente alicui subiecto inherente per se ; quo modo utuntur philosophi nomine hoc, in eo tarnen famosins quod convertitur cu m subiecto. § 25. Hoc autem nomen commune, quantum ad propositum pertinet, sumitur opposite duabus significacionibus proprii posterins dictis. 10 § 26. Reliquum vero nobis est distinguere modos horum n ominum pauper et dives. Dicitur autem hoc nomen dives famose magis de habenie sibi superhabun danciam rerum temporalium, quas vocant divicias, simul pro quolihet tem­ pore, presenti atque futuro et licite. 15 § 27. Alio vero [modo} dicitur dives de habente sibi licite res predictas solum sufficientes simul pro quolihet presenti [tempore} atque futuro. 15

48 1 aliquo statt alicuius, das in 482 II 13, 25 Ende (290,3 ff.) . 483 Ar. Topica I 5 102 a, 18 ff.

L steht.

: Der Mensch ist Kenner der Grammatik - der Kenner der Grammatik ist ein Mensch. =

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§ 21 Nun folgt die Aufgabe, die verschiedenen Bedeutun­ gen von proprius (eigen, eigentlich, eigentümlich) und com­ munis (allgemein, gemeinsam) zu unterscheiden. ( 1 ) Eigen oder Zueigenhaben heißt in der einen Auffassung das Eigen­ tum in der ersten Bedeutung ; in diesem Sinne gebraucht man das Wort im Zivilrecht. 20 § 22 (2) Ferner wird es in weiterem Sinne vom Eigentum in dessen erster wie zweiter Bedeutung gebraucht ; in diesem Sinne ist es in Gebrauch bei den Theologen und sehr oft in der Heiligen Schrift. § 23 (3) Ferner ist eigen und Zueigenhaben bei den Theo25 logen für das Besondere einer Person oder einer Sache oder eines Etwas481 an einer Sache sehr verbreitet, < d. h. für Dinge > , die sich nur auf eine einzige Person beziehen, nicht auch noch auf eine andere. In diesem Sinne nehmen diejeni­ gen eigen im Gegensatz zu gemeinsam, die untersuchen, ob es ' für das ewige Leben vollkommener oder verdienstlicher ist, daR jemand zeitliche Güter als sein eigen, d. h. für sich 273 besonders, hat als zusammen mit einem oder mehreren ande­ ren gemeinsam. 482 § 24 (4) Ferner wird proprium oder Eigentümlichkeit von 5 einer Eigenschaft gebraucht, die irgendeinem Seinsträger als solchem inhäriert ; in dieser Auffassung gebrauchen die Philo­ sophen diese Bezeichnung, in d e r jedoch am häufigsten, daR das Akzidenz < in der Aussage > mit dem Seinsträger ver­ tauschbar ist.483 § 25 Das Wort communis (gemeinsam, allgemein) wird, soweit es für unser Thema in Frage kommt, als Gegensatz zu den beiden zuletzt genannten Bedeutungen von eigen (eigentümlich) genommen. 10 § 26 Nun bleibt uns noch, die Anwendungen von arm und reim zu unterscheiden. (1) Reim ist am verbreitetsten als Be­ zeichnung für einen, der für sich ÜberfluR an zeitlichen Gütern hat, die man Reichtum nennt, zugleich für jede gegen­ wärtige und künftige Zeit, und zwar zulässigerweise. 15 § 27 (2) Zweitens wird reim von einem gebraucht, der für sich zulässigerweise die eben genannten Dinge h at, freilich nur in genügendem MaRe zugleich für jede gegenwärtige und künftige Zeit. n

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§ 28. Dieitur autem adhue dives duplieiter et magis proprie : primum quidem de hahente res iam dietas superhahun­ dantes eeiam, ut dieturn est, et sie eas hahere valente ; alio rur­ sum modo de hahente iam dietas res suffieienter solum, ut eeiam dieturn est in secundo modo, et sie eas hahere valente. § 29. Hiis autem quasi opposite privative duohus priorihus 25 modis dieitur pauper : uno quidem, qui privatus est super­ hahundantihus solum ; alio vero modo, qui eciam sufficieneia pro quolihet tempore non simul hahet. § 30. Tercio vero· modo dicitur pauper opposite diviti, quasi contrarie, primum quidem de eo qui sponte vult privari ;o hahundantihus pro quolihet tempore. 274 § 3 1 . Quarta vero modo de eo qui eciam sufficientes pro quolihet presenti atque futuro non vult simul hahere, sed ipsis vult quandoque sponte earere. Dehes autem attendere, quod dives iuxta seeundum et 5 quartum modum pauper est, iuxta primum et tercium pau­ pertatis modum. Unde non quilihet modus paupertatis seu pauperis opponitur cuilihet modo divitis indifferenter. § 32. Nec oportet omittere, quod spontaneorum pauperum 1 0 sunt quidam ahdicantes temporalia propter finem honestum et convenienti modo. Alii vero talia videntur ahdicare non propter hoc, sed propter inanem gloriam aut aliam aliquam mundanam fallaeiam committendam. § 33. Est eciam euro hiis attendendum, quod rerum tem15 poralium, quas vocant divicias, quedam sunt que sui et com­ muni hominum institucione unieo aliquo aetu vel usu eon­ sumptihiles sunt, quemadmodum cihi, potus, medieine ac reliqua similia ; quedam vero sunt que manencia plurihus usihus deservire sunt nata, ut ager et domus, seeuris et vestis, equus aut servus. 20

484 Pr.-0. bemerkt, daf! das Geld als dritte Kategorie nicht genannt ist.

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t5

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§ 28 Ferner wird aber reim in zweifachem und mehr eigentlichem Sinne gebraucht : erstens von einem, der die eben erwähnten Dinge besitzt, im überfluß sogar, wie gesagt, und in diesem Sinne sie haben w i l l ; ferner zweitens von einem, der die eben genannten Dinge nur in genügendem Maße hat, wie auch bei der zweiten Bedeutung gesagt ist, und in diesem Sinne sie haben w i l l . § 29 Diesen Anwendungen geradezu entgegengesetzt wird im Sinne des Nichthabens in den beiden ersten Anwendungen arm verwendet : ( 1 ) in der einen Anwendung, die nur den überfluß nicht hat, (2) in der zweiten, die auch das genügende Maß für .t ede Zeit zugleich nicht hat. § 30 (3) In der dritten Auffassung wird arm verwendet im Gegensatz zu reim geradezu als kontradiktorisches Gegen­ teil, erstens von einem, der freiwillig den überfluß für jede Zeit nicht haben w i l l . § 3 1 (4) I n der vierten Auffassung zweitens von einem, der zugleich < mit dem überfluß > auch für jede gegenwärtige und künftige Zeit genügende Güter nicht haben w i l l, son­ dern sie in jedem Augenblick freiwillig entbehren will. Wir müssen aber beachten, daß reim in der zweiten und vierten Anwendung soviel ist wie arm in der ersten und drit­ ten Anwendung von Armut. Daher steht nicht jede Auffas­ sung von Armut oder arm in Gegensatz zu jeder Auffassung von < Reichtum und > reich ohne Unterschied. § 3 2 Und man darf nicht übersehen, daß unter den freiwillig Armen manche sind, die die zeitlichen Güter für einen guten Zweck und in sinnvoller Weise aufgeben. Andere aber scheinen dergleichen nicht deswegen aufzugeben, sondern um eines eitlen Ruhmes willen oder um irgendeine andere weltliche Täuschung zu begehen. § 33 Außerdem ist noch zu beachten, daß unter den zeitliehen Gütern, die man Reimtum nennt, einige sind, die in­ folge ihrer und der allgemein menschlichen Beschaffenheit durch eine einzige Handlung oder Verwendung verbrauch­ bar sind wie Speisen, Getränke, Arzneien und ähnliches mehr ; es gibt aber einige, die wegen ihrer Dauerhaftigkeit in mehreren Fällen gebraucht werden können, z. B. Acker und Haus, Beil und Kleidung, Pferd oder Knecht.4 8 4

494 20

25

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

Sunt autem iam dictarum nominum significaciones alie fortasse ; famosiores tarnen ipsarum et modos nostro propo­ sito magis attinentes enumerasse putamus. Quas siquidem secernere atque descrihere vel diffinire proprie, difficile est propter usus earum varietatem apud diversos et eosdem eciam artifices, loca et tempora. Fere enim quidem igitur no­ minum unumquodque dicitur multi{ariam, ut in De Gene­ racione scrihitur lihro primo.

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C A P I T U L U M XIII

De statu iam dicte paupertati s , q u e m e v a n g e l i c a m p e r f e c c i o n e m d i c e r e s ol e n t , e t q u o d h u n c C h ri s t u s e t i p s i u s a p o s t o l i s e rv a v e runt. Hiis itaque modis et significacionihus dictarum nominum sie distinctis, conclusiones aliquas inferimus : primam qui­ dem quod rem aliquam temporalem aut rei aliquid, puta usum vel usufructum aut similia, in proprio vel communi, suam vel alienam non potest aliquis licite contractare sine 10 iure, seu non hahens in ea vel eius aliquo ius dieturn secun­ dum primam et secundam [iuris] significacionem. Nam omne factum non preceptum aut permissum iure fieri, est non lici­ tum, ut ex diffinicione liciti cuilihet evidenter apparet ; nec 15 oportet immorari ad hoc prohandum, quoniam omnihus quasi per se notum est. § 2. Secundo possumus ex dictis inferre, quod rem aliquam aut eius aliquid potest aliquis licite contractare secundum unam Iegern, puta divinam, et illicite secundum aliam, ut 20 humanam ;· similiter econverso ; rursum idem facere licite aut idem eciam illicite facere secundum utramque. Hoc autem videre non est difficile, quoniam precepta, prohihita et per­ missa quandoque diversantur et dissonant in hiis legihus in­ vicem, quandoque conveniunt. Et ideo secundum unius pre5

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Ar. De gener. I 6 = 322 b, 30 f.

Teil li, Kapitel XIII 20

25

495

Von den eben genannten Bezeichnungen gibt es vielleicht noch andere Bedeutungen ; die bekanntesten und die auf unser Thema am meisten bezügliroeil Auffassungen glauben wir jedoro aufgezählt zu haben. Diese auseinanderzuhalten und zu besroreiben oder im eigentlichen Sinne zu definieren, ist schwierig wegen der Mannigfaltigkeit ihres Gehraums bei den verschiedenen und sogar bei denselben Meistern und wegen der Versroiedenheit nach Ort und Zeit. In der Regel roird nämlim jedes Wort vielfältig gebraumt, so steht in dem Werke Von der Zeugung B. 1 . 4ss KAP I T E L XIII

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D e r S t a n d d e r e b e n g en a n n t e n A r m u t, d e n m a n e v a n ­ gelische Vollkommenheit zu nennen p flegt, und < der Nachweis > , daß Christus und seine Apostel diesen g e w a h r t h a b e n.

10

15

zo

§ 1 Nachdem nun die verschiedenen Anwendungen und Bedeutungen der genannten Wörter so voneinander abge­ grenzt sind, wollen wir einige Folgerungen ziehen ; die erste : ein zeitliches Gut oder etwas an dem Gut, z. B. den Gebrauch oder Nießbrauch oder ähnliches, ein Gut, das einer für sich oder mit anderen gemeinsam hat, oder ein fremdes, kann niemand zulässigerweise ohne Recht benutzen oder ohne an das Gut oder an etwas von ihm ein Recht in der ersten oder zwei­ ten Bedeutung von Recht zu haben. Denn jede Tat, die nicht rechtlich geboten oder erlaubt ist, ist nicht zulässig, wie aus der Definition von zulässig jedem überzeugend klar ist ; man darf für diesen Nachweis keine Zeit verlieren : die Sache ist allen geradezu selbstverständliro. § 2 Zweitens können wir aus dem Gesagten folgern : Eine Sache oder etwas von ihr zu benutzen kann nach dem einen Gesetz zulässig sein, z. B. dem göttlichen, und unzulässig nach dem anderen, nämlich dem menschlichen ; in ähnlicher Weise umgekehrt ; ferner kann nach beiden dasselbe zulässig oder auch unzulässig sein. Das zu sehen ist nicht schwierig ; denn Gebote, Verbote und Erlaubnisse gehen manchmal in diesen Gesetzen auseinander und harmonieren nicht, manch­ mal stimmen sie überein. Wenn daher jemand nach Gebot

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

ceptum aut permissionem operans, licite operatur secundum illam ; quod si alia lege prohibitum extet, idem illicite secun­ dum Iegern aliam operatur. Quod si tale aliquid utraque lege permissum fuerit, secundum utramque licite operatur ; si vero utraque prohibitum fuerit, idem operatur illicite secun276 dum utramque. Utrum autem secundum Iegern divinam sit permissum quicquam fieri vel omitti, quod humana lege pre­ ceptum aut prohibitum extet, quemadmodum econverso, con­ siderandum relinquitur ; non est enim hoc presentis inquisi5 cionis. Certurn est tarnen multa permissa fore humana lege, quemadmodum fornicaciones, ebrietates et reliqua quedam peccata, que lege divina prohibita sunt. § 3. Hiis consequenter ostendere volo, quod rem quamcumt o que temporalem aut eius aliquid, sive unico aliquo usu con­ sumptibilem sive non, propriam alicuius iuxta tercium mo­ dum proprii sive communem sibi cum alio vel aliis, suam, id est sibi iure acquisitam, vel alienam, ex consensu tarnen eius, cui iure primo modo dieto quesita est, potest aliquis con­ traetare in proprio dieto secundum terciam significacionem, n vel eciam cum alio in communi habere possidere secundum terciam significacionem possessionis, atque corrumpere licite absque omni eins rei aut eius alicuius dominio secund um pri­ mam, secundam [et] terciam dominii significacionem. 2o Hoc autem demonstro sie : quoniam rem illam temporalem aut eius aliquid secund um omnem eius dieturn modum potest quis licite contraetare atque corrumpere absque dominio se­ cundum iam dietos tres modos, tarn in proprio quam com­ muni, quam contraetat vel habet absque iam dietis dominiis 25 secundum Iegern divinam aut humanam vel utramque. Sed rem aliquam suam et rei aliquid, ac alienam, consenciente 25

4ssh 489

Vgl. II 12, 3-10 . Beweisziel : Der Vollkommene verstöRt nicht gegen das Armuts­ gelübde, das Verzicht auf Eigentum einschlieRt, wenn er Nahrung und Kleidung für den augenblicklichen Bedarf annimmt. Diese These ist § 3, Abs. 1 aufgestellt ; die Beweisführung in Abs. 2 variiert nur diesen Gedanken.

Teil Il, Kapitel XIII

497

oder Erlaubnis des einen handelt, so ist das Handeln nach diesem Gesetz zulässig ; ist es aber durch das andere Gesetz verboten, so ist dasselbe Handeln nach dem anderen Gesetz unzulässig ; ist aber etwas Derartiges durch beide Gesetze er­ laubt, so ist das Handeln nach beiden zulässig. Ist es aber durch beide verboten, so ist dasselbe Handeln nach beiden 2?6 unzulässig. Ob aber nach dem göttlichen Gesetz etwas zu tun oder zu lassen erlaubt sei, was das menschliche Gesetz ge­ bietet oder verbietet, wie auch umgekehrt, bleibt als Aufgabe der Erwägung hier außer Betracht ; denn es gehört nicht zur gegenwärtigen Untersuchung. Sicherlich erlaubt jedoch das 5 menschliche Gesetz vieles, wie Unzucht, Trunkenheit und gewisse andere Sünden, was das göttliche Gesetz verbietet.486 § 3 Im Anschluß dar an will ich zeigen : Jede zeitliche Sache 1 0 oder etwas von ihr, mag sie durch eine einzige Verwendung verbrauchbar sein oder nicht, die jemandem eigen ist in der dritten Auffassung von eigen487•, oder die er mit einem ande­ ren oder anderen gemeinsam hat, seine487b, d. h. eine von ihm488• rechtmäßig erworbene Sache oder eine fremde, diese jedoch mit Einwilligung dessen, der sie durch ein Recht in der ersten Auffassung488b erworben hat - eine solche Sache kann einer als eigen in der dritten Bedeutung von eigen verwenden 1 5 oder auch mit einem anderen in gemeinsamem Haben besitzen in der dritten Bedeutung von Besitz und kann sie zulässiger­ weise vernichten ohne jedes Eigentum an dieser Sache oder an etwas von ihr in der ersten, zweiten und dritten Bedeu­ tung von Eigentum.489 20 Das beweise ich folgendermaßen : Jene zeitliche Sache oder etwas von ihr kann jemand in jeder genannten Auffassung zulässigerweise benutzen und vernichten ohne Eigentum in den eben genannten drei Auffassungen sowohl als sein wie als gemeinsames Gut, eine Sache, die man ohne die ehen erwähnten Formen des Eigentums nach dem göttlichen Ge25 setz oder dem menschlichen oder beiden benutzt oder besitzt (OS) . Nun kann man seine Sache und etwas von ihr oder eine fremde mit Einwilligung dessen, dem jene Sache gehört, wie 25

4sa

V gl. II 1 0,?. Zum folgenden vgl. II 12, 1 7-25. i tal. una sua cosa. 487b rem suam 48Sa sibi a se, cui a quo ; vgl. Vo.

_4 8 7a

=

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

illo, cuius res illa fuerit, pofest aliquis contractare secundum Ieges, ut dieturn est, absque omni predicto dominio, ergo licite sine ipso. Prima proposicio huius deduccionis per se nota 3o est ex liciti diffinicione. Secundam probo racione sumpta ex induccione, primum quidem in re sua seu alicui iure quesita facto suo vel alieno, in proprio vel sibi cum alio in communi, ut dono vel legato, venacione, piscacione aut altero sui Iabore seu apere licito. Esto enim rem aliquam sie alicui esse que­ sitam. Certurn est igitur ipsum ea uti et eam contractare passe secundum Ieges, quoniam modis predictis secundum 5 legem acquiritur res, ut ex induccione palam. Constat eciam, quod quilibet aptus licite potest renunciare iuri pro se intro­ ducto, quoniam beneficium non confertur invito, secundum Iegern humanam atque divinam. Poterit igitur, cui rei vel eius usus dominium acquiri pofest facto suo vel alieno, tali 10 dominio renunciare. Cum igitur eidem si voluerit acquiratur tarn potestas utendi licite, quam eciam potestas rem vendi­ candi et ab altero prohibendi, potest licite renunciare po­ testati vendicandi seu rem aut eius aliquid ab altero pro­ hibendi, que nil aliud est quam dominium dieturn secundum 15 tres priores modos legales, non renunciata potestate utendi re aut eius aliquo ; que siquidem potestas cadit sub iure dicto iuxta secundam eius significacionem. Et vocari solet ab aliquibus simplex facti usus sine iure utendi ; per ius utendi sumentibus dominium, secundum aliquam iam dictarum trium significacionem. 20 § 4. Amplius, re, que in nullius bonis est, pofest aliquis licite uti secundum Ieges ; sed aliqua res, cuius potestatem vendicandi et ab altero prohibendi renunciavit quis, pofest

4oo II 12, 5.

40 1

deinde § 8 == fremde Same ; Disposition 276, 1 1-12. 271 , 1 2-1 5 ; dazu Smolz 277 Anm. 1. 403 usus facti rei ; vgl. 279,26 und 278,2-3 ; Gegensatz usus moderatus, vgl. Riezler 61 ohne genaue Definition. 494 Scholz 277 Anm. 2. 4 9 5 Sonderfall der eigenen Same. 40 2

=

Teil I!, Kapitel XIII

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gesagt, nach den Gesetzen benutzen ohne jedes vorhin genannte Eigentum, also zulässigerweise ohne es (US) . Der Obersatz dieses Beweisganges ist selbstverständlich nach der ;o Definition von zulässig. 4 90 Den Untersatz beweise ich durch eine Überlegung, die ich aus einer Induktion entnehm e, erstens481 an seiner Sache oder einer, die jemand durch sein oder fremdes Tun rechtmäßig erworben hat - als sein eigenes Gut oder als gemeinsames Gut mit einem anderen zusammen -, z. B. durch ein Geschenk oder ein Vermächtnis, durch Jagd, Fischfang oder eine andere Arbeit oder zulässige Be­ tätigung. Angenommen, eine Sache sei in dieser Weise von einem erworben. Also ist es sicher, daß er sie nach den Ge­ setzen gebrauchen und benutzen kann, da ja in den vorge5 nannten Formen eine Sache gesetzmäßig erworben wird, wie sich aus einer Induktion ergibt. Es steht auch fest, daß jeder Berechtigte zulässigerweise auf ein Recht verzichten kann, das für ihn geltend gemacht worden ist ; denn ein Rechtsvor­ teil492 wird einem gegen seinen Willen nach dem menschlichen und göttlichen Gesetz nicht zugewendet. Also wird, wer das Eigentum an einer Sache oder an deren Gebrauch durch sein eigenes oder durch fremdes Tun erwerben kann, auf ein sol1 0 ches Eigentum verzichten können. Da er also, wenn er will, ebenso die Gewalt erwirbt, eine Sache zulässigerweise zu ge­ brauchen, wie auch die Gewalt, eine Sache in Anspruch zu nehmen und einen anderen davon auszuschließen, so kann er zulässigerweise verzichten auf die Gewalt, eine Sache in An­ spruch zu nehmen oder von einer Sache oder von etwas ihr Zugehörigem einen anderen auszuschließen - diese Gewalt ist nichts anderes als das genannte Eigenturn in den drei ersten 1'1 gesetzlichen Gebrauchsweisen -, < doch > ohne auf die Gewalt zu verzichten, die Sache oder etwas von ihr zu gebrauchen ; diese letzte Gewalt fällt ja unter Recht in der zweiten Bedeu­ tung von Recht und pflegt von einigen genannt zu werden : schlichter Gebrauch des gegebenen Gegenstandes493 ohne das R echt, ihn zu gebrauchen, von denen nämlich, die unter Recht zu gebrauchen das Eigentum in einer der eben genannten drei Bedeutungen verstehen.494 20 § 4 Ferner495, eine herrenlose Sache kann man nach den Gesetzen zulässigerweise gebrauchen ; nun kann eine Sache, für die einer die Gewalt, sie in Anspruch zu nehmen und von

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esse in nullius bonis : ergo ipsa potest quis licite uti. Cum igitur renuncians potestati predicte non habeat rei dominium 2> supradictum, apparet, quod rem aliquam potest quis licite contractare ac ea uti absque omni legali iam dicto dominio. § 5. Rursum, illa separantur [ab] invicem, quarum unum per licitum votum abdicari potest pro quolibet tempore, reli­ >o quum vero minime. Sed iam dieturn rei dominium seu ven­ dicandi et prohibendi rem temporalem aut eius aliquid potestas per ] icitum votum abdicari potest pro quolibet tem­ 2?8 pore. Habere vero rem ] icite seu eius simplicem usum, non pro quolibet tempore abdicari potest per licitum votum. Ergo hec ab invicem separare convenit. Prima proposicio s huius deduccionis est per se nota ex liciti diffinicione ; non enim potest i dem secundum eandem Iegern simul licitum et illicitum esse. Secundam proposicionem probo quantum ad utramque sui partem ; et prima quod abdicacio dominii iam 10 dicti per votum licita sit pro quolibet tempore, quoniam de Christi consilio potest emitti licitum votum. Sed talis ab­ dicacio est Christi consilium, ubi Matthei 20° dixit : Omnis qui dimisit domum aut agros etc. propter nomen meum, cen­ tuplum accipiet, et vitam eternam possidebit. Idem habetur 1 5 Matthei 59 et Luce 6°, cum dixit Christus : Et ab eo qui aufert tibi vestimentum, eciam tunicam noli prohibere. Et ei qui v ult tecum iudicio contendere et tunicam tuam tollere, remitte ei et pallium. Ubi Augustinus : Si pro necessariis im­ perat, id est : consulit non contendere, quanto magis pro zo super/luis ? Iuxta quam eeiam Christi sentenciam dixit apo­ stolus 1 a ad Corinthios 6° : I am quidem, inquit, omnino delic­ twn est in vobis, quod iudicia habetis inter vos. Quar:e non 4 96

Zur Sache vgl. II 14, 1 9. dominium 2. 4 9 8 dominium 1 . 499 Vielmehr Matth. 1 9 , 29, nach dem Gedächtnis zitiert (Scholz 278 Anm. 1 ) . s oo Matth. 5,40 (dies aus dem Gedächtnis zitiert) und Luk. 6,29. so 1 Scholz 278 Anm. 4. �e2 1. Kor. 6,7 ; vgl. 1 72,4 mit Anm. 1 22. 497

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ihr einen anderen auszuschließen, durch Verzicht aufgegeben hat, herrenlos sein ; also kann man sie zulässigerweise ge­ brauchen. Da also der, der au f die vorgenannte Gewalt Verzicht leistet, das obenerwähnte Eigentum an der Sache 25 nicht hat, so ergibt sich, daR man eine Sache zulässigerweise benutzen und gebrauchen kann ohne jedes gesetzliche eben erwähnte Eigentum. 496 § 5 Ferner sind die Dinge scharf auseinanderzuhalten, von denen man das eine durch ein zulässiges Gelübde für jede beliebige Zeit aufgeben kann, das andere aber keineswegs ;o (OS) . Das eben erwähnte Eigentum an einer Sache oder die Gewalt, eine zeitliche Sache oder etwas von ihr in Anspruch zu nehmen und < einen anderen davon auszuschlie­ 2?8 flem , kann man durch ein zulässiges Gelübde für jede belie­ bige Zeit au fgeben497 (US a) ; eine Sache oder ihren schlichten Gebrauch zulässigerweise zu haben, kann man dagegen nicht für _jede beliebige Zeit durch ein zulässiges Geliibde auf­ geben498 (US b) . Also mufl man diese beiden Dinge scharf auseinanderhalten (SS) . Der Obersatz dieses Beweisganges 5 ist selbstverständlich nach der Definition von zulässig; denn dasselbe kann nach demselben Gesetz nicht zugleich zulässig und unzulässig sein. Den Untersatz beweise ich nach seinen beid en Teilen (a-b) , und zwar erstens (a) : Die Aufgabe des eben genannten Eigentums durch ein Gelübde ist für jede 10 beliebige Zeit zulässig ; denn ein Gelübde, das man auf Christi Rat ablegt, ist zulässig (OS) . Nun ist es Christi Rat, solche Dinge aufzugeben (US a) ; er hat ja bei Matthäus im 20. Kap. 499 gesagt : jeder, der Haus oder A'cker usw. verläßt um meines Namens willen, wird's hundertfältig empfangen und das ewige Leben besitzen. Dasselbe steht bei Matthäus t 5 im 5. K ap . und bei Lukas im 6. Kap. 500 ; danach hat Christus gesagt : Und dem, der dir den Mantel nimmt, dem weigere den Rock nicht, und dem, der mit dir vor Gericht streiten und deinen Rock nehmen will, dem laß auch den Man tel. Dazu sagt Augustin501 : Wenn er das schon für Nofroendiges befiehlt, d. h. rät, nicht < dafür > zu streiten, wieviel mehr zo für Ober/lüssiges! Dieser Meinung Christi gemäfl hat auch der Apostel im 1 . Korintherbrief im 6. Kap. 502 gesagt : Es ist schon ganz und gar ein Fehl unter euch, daß ihr unterein­ ander Prozesse habt. Warum leidet ihr nicht lieber Unrecht ?

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magis iniuriam accipitis ? Quare non magis fraudem pali­ mini? supple : quam iudicio eciam iusto adversus quemquam 25 contendere pro rei temporalis vendicacione. Ubi glossa se­ cundum Augustinum inducit evangelium in locis preassigna­ tis. Et tune addit : Hoc, id est : contendere iudicio, iuste scilicet, secundum veniam infirmis concedit apostolus, cum sint 279 in ecclesia talia iudicia fieri inter fratres fratribus iudican­ tibus. Consequenter propter quoddam dieturn Augustini dubium subdit glossa : Ut autem predicta verba A ugustini, 5 quibus ait : 'peccatum est iudicium habere contra fratrem', sane intelligantur, dicendum est hic, quid in huiusmodi con­ veniat perfeciis et quid non, et quid liceat infirmis et quid non. Perfeefis igitur licet repetere s ua simpliciter, scilicet sine causa, sine lite, sine iudicio, sed non convenit eis inde movere 1 0 causam ante iudicem. lnfirmis vero licet et sua repetere mo­ vendo causam ante iudicem, et iudicium habendo contra {ratrem. Potest igitur de abdicacione dominii licitum votum emitti. Quod si eciam perfectis non est licitum contendere coram iudice coactivo, ergo potestatem licite vendicandi non 13 habent, que dominium est iam dictum ; tali enim potestati iam per votum renunciaverunt, contra quod eis ullo tempore venire non licet, precipue stante voto. Quod autem rei vel eius usus habitus licitus seu simplex facti usus abdicari nequeat pro quolibet tempore, satis apparet, quia nullum 20 prohibitum lege divina potest licite cadere sub voto ; sed talis abdicacio est prohibita lege divina, eo quod species quedam est homicidii. Tale enim votum observans seipsum fame aut frigore vel siti perimeret scienter, quod lege divina prohi­ betur expresse, ut Matthei 19°, Marci 1 0° et Luce 1 8°, ubi

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Scholz 278 Anm. 6. 5v4 und nicht der heidnische Richter. 505 Scholz 279 Anm. 1 . 5 o & Vgl . Vo.

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Warum lallt ihr euch nicht lieber betrügen ? ergänze : als einen Prozeß, sogar einen berechtigten, gegen jemand für 25 den Anspruch auf ein zeitliches Gut zu führen ? Dazu führt die Glosse nach Augustin das Evangelium in den soeben her­ vorgehobenen Stellen an und fügt dann hinzu 503 : Dies, d. h. einen ProzeR zu führen, gereroterweise nämlich, erlaubt der 279 Apostel aus Nachsieht den Schwachen, da in der Gemeinde solche Prozesse vorkommen zwischen Brüdern, wobei ßrüder Richter sind.604 Im folgenden fügt die Glosse wegen eines bestimmten unklaren Wortes Augustins 505 hinzu : Damit aber die vorhin angeführten Worte Augustins : ,Es ist Sünde, 5 gegen den Bruder einen Prozell zu führen', vernünftig ver­ standen werden, mull man hier sagen, was in derartigen Fällen den Vollkommenen ziemt und was nicht, und was den Schwachen erlaubt ist und was nicht. Den Vollkommenen ist also erlaubt, das Ihre einfach zurüCkzufordern, nämlich ohne Prozell, ohne Streit, ohne Gericht; aber nicht ziemt ihnen, deswegen vor dem Richter einen Prozell anzustrengen. Den 10 Schwachen aber ist erlaubt, das Ihre zurüCkzufordern, so­ wohl so, daß sie vor dem Richter einen Prozell anstrengen, als auch so, dall sie gegen den Bruder Gericht halten. Also kann man über die Aufgabe des Eigentums ein zulässiges Gelübde ablegen. Wenn es aber außerdem für die Voll­ kommenen nicht zulässig ist, vor dem Richter mit Voll­ streckungsgewalt zu prozessieren, so haben sie also keine Gewalt, zulässigerweise etwas in Anspruch zu nehmen ; diese 1 5 ist das eben genannte Eigentum ; denn auf eine solche Gewalt haben sie schon durch ihr Gelübde verzichtet, dem zuwider­ zuhandeln 5 06 ihnen zu kejner Zeit erlaubt ist, zumal wenn das Gelübde feststeht. - D � R aber das zulässige Haben einer Sache oder ihres Gebrauchs oder der einfache Gebrauch des Gegenstandes nicht für jede beliebige Zeit aufgegeben wer­ den kann, ist klar genug (US b) ; denn nichts, was das gött20 liehe Gesetz verbietet, kann zulässiger Inhalt eines Gelübdes sein. Nun verbietet das göttliche Gesetz, etwas derart auf­ zugeben, weil das eine bestimmte Art des Mordes ist. D enn wer ein solches Gelübde befolgen wollte, würde sich selbst durch Hunger oder Kälte oder Durst wissentlich zugrunde richten ; das verbietet das göttliche Gesetz ausdrücklich, so bei Matthäus im 19., bei Markus im 1 0 . und bei Lukas im

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Christus aliqua precepta legis antique confirmans ait : Non occides etc. Separantur igitur rei scilicet usus simplex seu habere licitum ab omni iam dicto dominio, seu vendicandi et prohibendi rem aut eius aliquid potestate. § 6. Ex quo eciam per necessitatem sequitur manifeste, insanam heresim esse asserentis rem aut eius usum haberi non posse absque iam dicto dominio. Sie enim dicens nil aliud sentit quam Christi consilium adimpleri non posse, ; quod aperturn mendacium est et, ut diximus, tamquam per­ versum et hereticum fugiendum. § ?. Nec obstat sermo dicentis, quod de actu contencioso possit abdicacio licita per votum fieri, non tarnen de habitu seu activa potestate legali ad vendicandum et prohibendum 10 rem ab alio coram iudice coactivo, quam pridem tale domi­ nium esse diximus. Hoc enim falsum est ; quoniam omnis habitus seu potestas legalis acquisita vel acquisibilis, cuius actus per licitum votum abdicari potest, eodem modo abdi1 5 cabilis est, sicut induccione apparet in omnibus consultis sub voto cadentibus. Nam vovens castitatem aut obedien­ ciam non solum per votum abdicat actus, verum eciam potestatem licitam ad tales actus sibi iure primo modo dicto convenientes prius. Rursum inconsonum veritati est dicere, 20 quemquam habere licitam potestatem ad actus, qui omnes sunt illiciti, cum potestas non dicatur licita vel illicita, nec aliter harum differencia cognoscatur, nisi per actus licitos aut illicitos provenientes aut provenire possibiles ab eadem. Cum igitur omnes actus licite potestatis, quam quis habuit

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Matth. 1 9 , 1 8 ; Mark. 1 0, 1 9 ; Luk. 18,20. J ohann XXII. hatte in der Bulle Ad conditorem canonum vom 8. Dez. 1 322 erklärt, der usus facti (277, 1 7 ; 279,1 7) bei Dingen, die durch den Gebrauch verzehrt werden, sei identisch mit wahrem Eigentum, und in der Dekretale Cum inter nonunilos vom 12. Nov. 1323 die Lehre als ketzerisch bezeiclmet, daR Christus und die Apostel weder einzeln noch gemeinsam Eigentum besessen hätten (Riezler 65 f.) ; vgl. Scholz 279 Anm. 3 . 50 9 wie Paulus fordert (278,20) . 5 10 Verzicht auf die Ausübung eines Habitus oder einer potestas bedeutet Verzicht auf die potestas selbst.

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18. Kap.5 07, wo Christus einige Gebote des Alten Gesetzes bestätigt und sagt : Du sollst nicht töten usw. Es müssen also scharf auseinandergehalten werden : einerseits der schlichte Gebrauch einer Sache oder das zulässige Haben und anderer­ seits jedes eben genannte Eigentum oder die Gewalt, eine Sache oder etwas von ihr zu beanspruchen und einen anderen davon auszuschließen. § 6 Daraus folgt auch offenbar mit Notwendigkeit : Es ist eine unsinnige K etzerei, wenn jemand behauptet, man könne eine Sache oder deren Gebrauch nicht haben ohne das eben genannte Eigentum.508 Damit meint er nämlich nichts anderes, als daR Christi Rat unerfüllbar sei ; das ist eine offenbare Lüge und muß, wie gesagt, als falsch und ketzerisch ab­ gelehnt werden. § '7 Dem steht die Behauptung nicht entgegen, es sei zwar möglich, durch ein Gelübde zulässigerweise darauf zu ver­ zichten, einen ProzeR anzustrengen5 09 , nicht jedoch möglich, zu verzichten auf den Habitus, d. h. auf die aktive gesetzliche Gewalt ( das subjektive Recht) , vor einem Richter mit Vollstreckungsgewalt eine Sache zu beanspruchen und einen anderen davon auszuschließen, < eine Gewalt > , die, wie wir schon längst gesagt haben, mit einem solchen Eigentum zu­ sammenfällt. Dies ist nämlich falsch ; denn jeder Habitus oder jede erworbene oder erwerbbare gesetzliche Gewalt (jedes subj. Recht) , deren B e t ä t i g u n g durch ein zuläs­ siges Gelübde aufgegeben werden kann, ist in gleicher Weise aufgebbar51 0, wie sich durch eine Induktion bei allen Entschlüssen klar ergibt, die die Form eines Gelübdes annehmen können. Denn wer Reinheit oder Gehorsam gelobt, gibt durch das Gelübde nicht nur die Handlungen auf, sondern auch die zulässige Gewalt für solche Handlungen, die ihm durch ein Recht in der ersten Auffassung zukam. Ferner steht es in Widerspruch mit der Wahrheit, wenn man behauptet, jemand habe eine zulässige Gewalt für Handlun­ gen, die alle unzulässig sind ; denn eine Gewalt läßt sich nicht zulässig oder unzulässig nennen und der Unterschied zwi­ schen ihnen läßt sich nur feststellen auf Grund von zulässigen oder unzulässigen Handlungen, die aus dieser Gewalt hervor­ gehen oder hervorgehen können. Da also jeder Akt einer zu­ lässigen Gewalt, die einer vor dem Gelübde gehabt hat, nach =

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ante voturn, sint post voturn illiciti, apparet quod eorurn nulla potestas licita rernansit apud voventern. § 8. Deinde ostendo, quod rei aut eius usus aliene potest aliquis habere ''liciturn'c usurn, rern ipsarn eciarn consurnen281 tem, si hunc usurn consenciente dornino in rern exerceat absque ornni tali dorninio supradieto. Narn ex quo sup­ ponitur esse ornnino in alterins dorninio seu potestate ven­ dicandi, certurn est quod tale dorniniurn non transfertur in 5 aliurn, nisi faeto dornini et expresso consensu, non dissen­ ciente eciarn, in quern rei talis aut eius usus tale dorniniurn seu vendicandi potestas transferri debet. Esto igitur domi­ nurn non velle transferre rei vel eius usus tale dorniniurn in aliurn quernquarn. Esto eciarn aliurn dissentire in tale dorni1 0 nium, ut qui expresso voto ternporaliurn ornniurn iarn dieturn abdicavit dominiurn, sicut perfeetis convenit. Esto arnplius dorniniurn consentire perfeeturn aliquern re sua uti, eciarn usque ad rei consurnpcionern ; perfeeturn quoque seu qui ornnis rei dorniniurn abdicavit tali re velle uti consen1 5 ciente domino : dico sie utentem re illa licite uti ea, et tamen illius aut eius usus nullurn supradieturn penitus habere do­ rniniurn. Quod autem nullum rei aut eius usus habeat do­ rniniurn, apparet ex prernissis ypothesibus, tarn ex habentis domini voluntate, quarn ex recepturi rei usurn condicione, 20 qui talia simpliciter abdicavit dorninia. Quod autern ea licite utatur, apparet ex liciti diffinicione, quoniarn legE permissum est unicuique uti aliena re eciarn usque ad eius consurnpcionern, si ad hoc interveniat dorninantis earn con­ sensus expressus. 25

51 1

5 12

erstens 276,30. eius usus neben usum wohl Versehen ; geplant war vielleicht potesta­ tem licitam, vgl. § 10 Anf. ; auch die Wortstellung ist flüchtig, bes. die Stellung von aliene. =

Teil Il, Kapitel XIII

'50:"

dem Gelübde unzulässig ist, so ergibt sich, daß keine zulässige Gewalt, < ihn auszuüben > , bei dem geblieben ist, der ein Ge­ lübde ablegt. § 8 Zweitensm zeige ich, daß man auch den zulässigen Gebrauch einer f r e m d e n Sache512 haben kann, sogar einen Gebrauch, der die Sache selbst verbraucht, falls man diesen 281 Gebrauch mit Einwilligung des Eigentümers gegenüber der Sache ausübt - ohne jedes solche obengenannte Eigentum. Denn daraus, daR vorausgesetzt wird, die Sache stehe völlig im Eigentum eines anderen oder dessen Gewalt, sie zu beanspruchen, folgt mit Sicherheit : Ein solches Eigentum wird auf einen anderen nur durch eine Tat und ausdrück5 liehe Einwilligung des Eigentümers übertragen, sofern d e r � , noch können wir eine solche Herrschaft (dominium) aufgeben. Weil dies an und für sich allen gerade­ zu selbstverständlich ist - denn ohne diese Fähigkeiten kann 282 niemand im Dasein bleiben -, so gehe ich darüber hinweg ohne eine andere Beweisführung, um die Darstellung abzu­ kürzen. § 10 Daraus kann man nun sich klarmachen, daß nicht 5 _jede zulässige Gewalt über eine zeitliche Sache oder über deren Gebrauch, die aus einem Recht in der ersten oder zweiten Gebrauchsweise oder in beiden < begründet wird > , dominium (Eigentum) ist, obwohl umgekehrt _jedes zulässige Eigentum in den eben genannten drei gesetzlichen Auffas­ sungen an einer Sache oder an deren Gebrauch oder an bei­ dem zulässige oder aus dem eben genannten Recht Gewalt ist. Wer daher folgert : Es gibt eine zulässige oder rechtmäßige Gewalt über eine Sache oder über deren 1 0 Gebrauch, also gibt es auch ein zulässiges oder rechtmäßiges Eigentum an einer Sache oder ihrem Gebrauch, der verfällt in einen Fehlschluß. Es ist nämlich möglich, daß jemand eine Sache zulässigerweise hat und benutzt, eine von seinen Sachen, die er allein oder gemeinsam mit anderen hat, wie auch eine fremde - diese mit Zustimmung des Eigentümers oder dessen, der sie zulässigerweise erworben hat -, doch 1 5 beides ohne _jedes gesetzliche erworbene Eigentum.515 § 11 Wenn wir nach dieser Grundlegung näher an unser Thema herangehen, so sagen wir erstens : Armut und arm ist einer von den geradezu selbstverständlichen Begriffen und findet sich sehr oft in der Schrift, so daß hierfür eine von allen Belegstellen anzuführen genügt : aus Markus, zo Kap. 12518, wo Christus sagt : Wahrlich, ich sage e u ch : diese arme Witroe hat mehr als alle < in den Opferkasten > gelegt. § 12 Dann zeige im in ähnlicher Weise durch die Schrift : Die Armut ist verdienstlich für das ewige Leben ; denn die �>

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Padua, Verteidiger des Friedens

veritas Luce 6° : Beati pauperes, quia vestrum est regnum Dei, merendo scilicet, [quia] nemo preter Christum in hac vita beatus efficitur, sed meretur. § 1 3 . Et ex hoc sequitur per necessitatem, paupertatem esse virtutem, si ex multis actibus sie volendi carere temporalibus 283 bonis habituata fuerit, aut actum virtutis factivum aut elici­ tum a virtute, quia omne meritorium virtus est aut actus eius. Rursum, omne Christi consilium pertinet ad virtutem per se ; paupertas est huiusmodi, ut Matthei 5°, 1 9° et aliis plerisque locis evangelice scripture satis apparet. 5 § 14. Ex quo sequitur per necessitatem, hanc esse pauper­ tatem spontaneam dietarn secundum tercium et quartum mo­ dum paupertatis, eo quod non est virtus aut eius opus sine eleccione, eleccio vero non sine consensu, ut ex 2° et 3° Ethico1 0 rum satis apparet. Cuius eciam confirmacio sumi potest ex Matthei 5°, ubi Christus : Beati pauperes spiritu, intelligens per spiritum voluntatem seu consensum, quamvis aliqui sanc­ torum exponant per spiritum superbiam, quod tarnen non multum est ad propositum, quoniam in eadem serie subiun1 5 gitur immediate : Beati mites. Quicquid tarnen sit de huius loci exposicione, nemini dubium est secundum sentenciam sanctorum, quod paupertas si meritoria sit regni celorum, quemadmodum Christus ait, oportet hanc esse non exteri­ orem temporalium privacionem principaliter, sed inferiorem 20 mentis habitum, quo quis vult talibus sponte privari propter Christum. Unde Basilius super illud Luce 6° : Beati pauperes etc. inquit : Non omnis quem paupertas premit, beatus est. 25

51 9

Matth. 5,3 ; 1 9,21-24,29. II 12, 29-30. s21 Dadurch wird die Armut freiwillig, vgl. 222,13 und 1 7-18, auch I1 12, 30 und 3 1 (vult) . s22 Ar. N. Eth. II 6 1 106 b, 36 ff. und III 4 1 1 1 2a, 8 ff. 523 Matth. 5,3-4 ; dazu Scholz 283 Anm. 3. m Vgl. II 12, 30-3 1 . m Luk. 6,20. 52 6 Scholz 283 Anm. 4. 5�o

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Teil 11, Kapitel XIII 25

283

10

15

31 1

Wahrheit hat bei Lukas im 6. K ap.5 17 gesagt : Selig ihr Armen ; denn euer ist das Reim Gottes, ihr verdient die Seligkeit,

weil niemand außer Christus in diesem Lehen selig wird, sondern die Seligkeit nur verdient. § 1 3 Daraus folgt mit Notwendigkeit : Armut ist eine Tugend, wenn sie aus vielen Betätigungen des Willens, in diesem Sinne die zeitlichen Güter zu entbehren, ein Habitus geworden ist, oder eine Betätigung der Tugend518 : eine, die Tugend schafft, oder eine, die von der Tugend hervorgeru fen ist ; denn alles Verdienstlime ist Tugend oder eine Betätigung der Tugend. Ferner bezieht sich jeder Rat Christi auf die Tugend an sich ; die Armut ist ein solcher Rat, wie aus Mat­ thäus, Kap. 5 und 1 9518 und sehr vielen anderen Stellen des Evangeliums deutlich genug hervorgeht. § 14 Daraus folgt mit Notwendigkeit : Diese Armut, < die verdienstliche > , ist die freiwillige Armut in der dritten und vierten Anwendung520 von Armut, weil es keine Tugend oder kein Werk der Tugend ohne Entscheidung gibt, keine Ent­ scheidung aber ohne Jasagen des Willens521, wie aus der Ethik B. 2 und 3 522 zur Genüge hervorgeht. Eine Bestätigung dafür kann auch aus Matthäus Kap. 5528 entnommen werden, wo Christus sagt : Selig die, die durch den Geist arm sind, wobei er unter Geist den Willen oder die Einwilligung ver­ steht ; allerdings verstehen einige Heilige in ihrer Auslegung unter Geist den Hochmut, was jedoch für unser Thema nicht viel bedeutet ; denn an derselben Stelle wird unmittelbar darauf hinzugefügt : Selig die Sanftmütigen. Wie es sich jedoch auch mit der Auslegung dieser Stelle verhalten mag. niemandem ist nach der Meinung der Heiligen zweifelhaft : Wenn Armut für das Himmelreim verdienstlich sein soll, wie Christus sagt, so darf sie nicht in der Hau p tsame ein äußeres Nichthaben von zeitlichen Gütern sein, sondern ein innerer Habitus des Geistes ( des bewußten Willens) 289, solche Güter freiwillig nimt hahen524 zu wollen um Christi willen. über jene Stelle bei Lukas im 6. Kap . 625 : Selig ihr Armen usw. sagt daher Basilius526 : Nicht jeder, den die =

20

Armut drückt, ist selig. Denn die meisten sind arm im

5 17 Luk. 6,20. virtus und actus virtutis stehen gegenüber ; der actus ist zweierlei Art ; vgl. den folgenden Satz und 285,2.

at s

5 12

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

Plures enim pauperes sunt in substancia, avarissimi vero secund um affectum, quos non salvat paupertas, sed dampnat 25 affectus. Nihil enim involuntariorum beatificabile est, eo quod omnis virtus libero designatur arbitrio. Est ergo pau­ pertas meritoria virtus et spontanea per consequens ; non autem exterior privacio secundum se virtus est, quoniam talis 284 non salvat sine affectu debito. Posset enim quis talibus pri­ vari coactus et invitus, et propter horum tarnen inordinatum 5 affectum dampnari. Sie eciam de hoc sensit apostolus 2a ad Corinthios 8°, cum dixit : Si enim voluntas prompta est secun­ dum id quod habet, accepta est, id est meritoria. § 15. Debet eciam hec eleccio privacionis temporalium fieri propter Christum, si futura sit meritoria. Unde veritas Matt o thei 1 9° : Et omnis qui reliquit domum etc. propter nomen meum. Ubi leronymus : Qui carnalia pro salvatore reliquit, spiritualia recipiet, que merito et comparacione sui quasi parvo numero centenarius numerus comparantur. Et infra : Qui propter fidem Christi ad evangelii predicacionem omnes 15 a.ff ectus contempserint atque divicias et seculi voluptates, hii centuplum accipient et eternam vitam possidebunt. § 1 6 . Rursum, quod opponitur avaricie, per se meritorio­ rum existens virtus est essencialiter ; paupertas spontanea propter Christum est huiusmodi ; avaricia enim vicium est. 20 Proporcionem autem habet virtus hec ad moralem liberalita­ tem, quamvis ab ipsa fine differat, et rei medio saltim species eius perfeccior quedam [est] , ut ex sequentibus apparebit ; propter quod ambe in eadem atoma specie reponi non pos­ surrt. 529 Scholz 284 Anm. 3 . 530 Ar. N. Eth. IV 1

1 1 1 9 b , 2 1 ff. : Freigebigkeit ist Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Ebenso die Armut ? Freigebigkeit gibt viel, Armut alles. Oder : Freigebigkeit liegt in der Mitte zwischen dem Geiz, der nichts, und der verdienstlichen Armut, die alles gibt. s a t II 13, 22. 532 Das a:r:op,ov cloot; des Aristoteles wird auch von Thomas aufgefaflt als letzte nicht mehr teilbare Unterart ; vgl. Ar. AnaL Post. II 13 a. 20 ff. und Scholz 284 Anm. 4. =

Teil ll, Kapitel XIII

z;

284

Materiellen, sehr habgierig aber dem Verlangen nadt, und diese madtt die Armut nidtt selig, sondern das Verlangen v er­ dammt sie. Denn nidtts Unfreiwilliges madtt selig, weil jede Tugend durdt den freien Willen geke nnzeidtn et wird. Die

Armut ist also eine verdienstliche Tugend und folglich freiwillig. Aber das äußere Nichthaben an sich ist keine Tugend ; denn ein solches macht ohne das rechte Verlangen nicht selig ; es könnte nämlich einer solche Güter unter Zwang und wider seinen Willen nicht haben und trotzdem wegen des zügel­ losen Verlangens danach verdammt werden. So dachte hier; über auch der Apostel im 2. K orintherbrief im 8. Kap.527 ; er hat nämlich gesagt : Denn wenn der gute Wille vor Augen

liegt, so ist er nadt dem Ma{l dessen, was er hat, < Gott > woh l­ gefällig, d. h. verdienstlich. § 1 5 Diese Entscheidung für das Nichthaben von zeitlichen

Gütern muß aber um Christi willen gefällt werden, wenn sie verdienstlich sein soll. Daher sagt die Wahrheit bei Matthäus 10 im 19. Kap.5 2 8 : Und jeder, der Haus usw. verlassen hat um meines Namens willen. Dazu bemerkt Hieronymus52 9 : Wer Fleisdtlidtes für den Heiland verlassen hat, wird Geistlidtes empfangen, das nadt < Seinem geringen > Verdienst und der im Verhältnis ganz kleinen Menge seiner Leistung in hun­ dert{ält ig er Menge erworben wird. Unten fügt er hinzu : Die im Glauben an Christus, um das Evangelium zu ver­ künden, alles irdisdte Verlangen, den Reidttum und die 1 5 Freuden der Welt veradtten, die werden das Hundertfache empfangen und das ewige Leben besitzen. § 16 Ferner, was zur Habgier in Gegensatz steht, ist an sich, weil verdienstliCh, dem Wesen naCh eine Tugend ; die freiwillige Armut um Christi willen ist ein solCher Gegen­ satz ; die Habgier ist doch ein Laster. Di ese Tugend steht aber zo in einem Verhältnis zur sittlich wertvollen Freigebigkeit530, obwohl sie von der Freigebigkeit im Zweck versChieden ist und mittels der Sache wenigstens eine gewisse vollkom­ menere Art von Freigebigkeit ist, wie aus dem Folgenden53 1 hervorgehen wird ; deswegen können beide niCht in dieselbe unteilbare Art532 eingeordnet werden. 5 27 s2s

2. Kor. 8, 1 2 : el yae ij neo{}vft[a ne6"EtTat "a{}' ö eav lxn ( evne6afJ E�eTOr;. Matth. 19,29.

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vermag) ,

514

Marsilius

von

Padqa, Verteidiger des Friedens

§ 1 ?. Ex hiis quidem igitur apparere potest, quod paupertas meritoria virtus est, qua quis propter Christum privari vult et carere bonis temporalibus; que divicie vocari solent, superfluis sue sufficiencie. 285 § 1 8. Unde eciam sequitur manifeste virtutem hanc non esse habitum aut actum caritatis, quod visi sunt quidam opinari. Quoniam habitus aut actus non hic est, qui Dei odio 5 actuali aut habituali per se primum opponatur, eo quod tune uni opponerentur plura prima. Nam quamvis caritati re­ pugnet vicium oppositum uniuscuiusque virtutis theologice, non tarnen propter hoc ipsa est omnis virtus theologica, quon­ iam nec talia sibi primum opponuntur. tu § 19. Nec obstat sermo dicentis eandem esse virtutem essen­ cialiter qua in Deum tendimus per dileccionem et qua rece­ dimus ab inordinato rerum temporalium desiderio, veluti motum eundem essencialiter fore, quo aliquid exit ex aliquo termino et in oppositum tendit. Cum ergo caritate per se t > tendamus in Deum, eadem igitur, non alia virtute ab amore temporalium exire videmur. § 20. Ex iam enim premisso nobis sermone patere potest huius deduccionis infirmitas. Quoniam etsi caritate per se ::· prima* tendamus in Deum per dileccionem, eadem ipsa exizo mus ab huius opposito per se prima ; quod quidem odium Dei est, non amor illicitus rerum temporalium ; quamvis quando­ que ad caritatem sequatur hic exitus, propterea quod ad ipsam sequitur studiosa paupertas, que talis temporalium est per se prima abdicacio spontanea, ad quam per necessitatem 533 Scholz 285 Anm. 1. 5 34 per s e primo (primum) s. Vo. 25

§ 1 7-2 1 : Die Hinwendung zur Gottesliebe ist identisch mit Abwen­ dung vom Gotteshafi, vgl. § 19 Anf. Die verdienstliche Armut ist nicht identisch mit der Gottesliebe, nur zwangsläufige Folge der Gottesliebe; aus der verdienstlichen Armut folgt wieder Abkehr von zeitlichen Dingen. Daher ist die verdienstliche Armut nicht kontra­ diktorischer Gegensatz von Gotteshafi. ,\ 3 6 Der logische Fehler des Gegners ist : Er vermischt die Gegensatzpaare L i e b e zu Gott - H a fi gegen Gott ; Liebe zu G o t t - Liebe zur W e I t. 537 V gl. Anm. 534. 538 Vgl. Augustinus De mor. eccl. cath. 25. 535

Teil Il, Kapitel Xlll

25

515

§ 1 ? Hieraus kann man nun sich klarmachen : Die verdienstl ich e Armut ist die Tugend dessen, der um Christi willen alle zeitlicl:ten Güter nicht haben und entbehren will, die Reiddum genannt zu werden pflegen und die für seinen ausreichenden Unterhalt überflüssig sind. § 18 Daraus folgt offenbar auch : Diese Tugend ist nicht ein Habitus oder eine B etätigung der Gottesliebe, was manche allem Anschein nach angenommen haben.5 33 Denn diese Tugend ist nicht ein Habitus oder eine Betätigung, die

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5

10

15

zu dem betätigten oder habituellen Gotteshaft wesentlich und von vornherein534 in < kontradiktorischem > Gegensatz stünde : < das ist unmöglich > , weil dann zu einem einzigen (dem Gotteshafl) gleich von vornherein mehreres (die theologischen Tugenden) in logiscl:tem Gegensatz stehen würde ; denn ob­ wohl mit der Gottesliebe das Laster, das logische Gegenteil einer ,jeden theologischen Tugend, unvereinbar ist, so fällt doch die Gottesliebe deswegen nicht zusammen mit jeder theologischen Tugend, da ja die < Laster > zur Gottesliebe zu­ nächst gar keinen logischen Gegensatz bilden.535 § 1 9 Dem steht die Behauptung n ich t entgegen, es sei wesenhaft dieselbe Tugend, in der wir zu Gott aus Liebe h ins t r eb en und in der wir uns von dem o r dnun gswidrigen Verlangen nach zeitlichen Gütern abkehren, ebenso wie es dieselbe Bewegung ihrem Wesen nach ist, durch die etwas von einem Ziel abgeht und nach dem Gegenteil strebt. Also, da wir aus Gottesliebe allein zu Gott hinstreben, so scheinen wir au s derselben Tugend heraus, keiner anderen, von der

Liebe zu den zeitlicl:ten Gütern abzugehen.538 § 20 Aus der von uns eben vorausgeschickten E rört e rung kann man die Schwäche dieser Beweisführung sich klar­ machen. Wir streben nämlich zwar infolge der Gottesliebe

zo

wesentlieh und von vornherein5 37 zu Gott aus Liebe hin, aber wir gehen doch tatsächlich schon infolge der Gottesliebe von deren Gegenteil wesentlich und von vornherein ab, und das ist ja der Gotteshafi, nicht eine unzulässige Liebe zu zeitlichen Dingen ; freilich folgt5 38 tatsächlich immer auf die Gottesliebe diese Abkehr < von zeitlichen Dingen > ; denn auf die Gottes­ liebe folgt die gewollte Armut, die eine solche freiwillige Auf­ gabe von zeitlichen Gütern wesentlich und von vornherein ist, au f die mit Notwendigkeit die Abkehr von dem Gegenteil

516

Marsilius v o n Padua, Verteidiger des Friedens

sequitur exitus ab opposito per se primo, scilicet ab amore illicito temporalium rerum. Si enim disputantis sermo verum inferret, ex veris concluderet sie : caritatem esse quasi omnem virtutem, quoniam ad caritatem plurime sequuntur per ne286 cessitatem, ut fides et spes, quibus per se primum eximus ab heresi et desperacione. § 2 1 . Amplius caritas non cadit sub voto, quia preceptum 5 est. Iam dicta paupertas, precipue quarto modo dicta, cadit sub voto. Non igitur est caritas essencialiter studiosa pauper­ tas nec econverso, quamvis hec sequatur caritatem, sicut aliarum theologicarum virtutum plurime. § 22. Huius autem virtutis summum modum aut speciem to esse dico votum viatoris expressum, quo propter Christum renunciando privari et carere vult, tarn in proprio quam eciam in communi, omni legali iam dicto dominio acquisito seu potestate vendicandi et ab alio prohibendi coram iudice coactivo res temporales, quas vocant divicias. Votum inquam 1 5 eciam, quo propter Christum, tarn in proprio quam eciam in communi, privari vult et carere omni potestate, habitu et con­ tractacione vel usu ipsorum superfluo in quanto et quali pre­ senti sufficiencie. Nec talia bona, quantumcumque sibi licite adveniencia pro pluribus futuris necessitatibus seu indigen20 ciis supp l endis, propter se solum nec propter se cum aliquo vel determinatis aliquibus in communi vult habere simul, sed pro unica tantum simul, ut immediate instante quasi presente indigencia alimenti atque tegmenti ; hoc tarnen dumtaxat excepto, quod sit hic vovens in loco, tempore ac sui disposi25 cione tali, ut vicissim successive singulis diebus sibi de tem­ poralibus tantum querere possit, quo suam indigenciam iam dictam, solum tarnen unicam simul, non plures, supplere 25

539 Die verdienstliche Armut ist in verschiedenen Graden möglich : a) Der

einzelne hat kein Eigentum, nur seine Gemeinschaft (§ 25 Ende) , b) der einzelne hat Eigentum, aber keine Nutznießung davon (§ 32) , c) die Reste bekommen nur bestimmte Arme (§ 28, Abs. 2) . d) Die summa paupertas schlieRt jedes Eigentum aus (§ 22, bes. 286,20) , erlaubt nur, Nahrung und Kleidung für den augenblicklichen Bedarf anzunehmen, und bestimmt die Reste für den ersten Bedürftigen (§ 28) .

Teil Il, Kapitel Xlll 25

286

517

wesentlich und von vornherein folgt, d. h . also : von der unzu­ lässigen Liebe zu zeitlichen Dingen. Wenn nämlich die Äuße­ rung des Gegners etwas Richtiges vorbrächte, so würde er aus Richtigem so schließen : Die Gottesliebe ist fast jede Tugend : denn auf die Gottesliebe folgen538 tatsächlich die meisten Tugenden mit Notwendigkeit, z. B. Glaube und Hoffnung, durch die wir wesentlich und von vornherein von K etzerei und V er­ zweiflung abgehen. § 21 Ferner, die Got t esliebe ist n ich t Inhalt eines Gelübdes, weil sie ein Gebot ist. Nun ist die eben genannte Armut, besonders in der vierten Auffassung, Inhalt eines Gelübdes. Also ist die Gottesliebe nicht wesenhaft gewollte Armut oder u mgek ehrt , obwohl diese der Gottesliebe folgt wie die .

5

to

meisten theologischen Tugenden. § 22 Die höchste539 Form oder Art dieser Tugend i st , behaupte ich, das ausdrückliche Gelübde des Erdenpilgers,

um Christi willen zu verzichten und als sein persönliches

wie gemeinschaftliches Gut nicht haben oder entbehren zu

20

wollen : jedes gesetzliche eben genannte erworbene Eigen­ man Reich­ tum nennt, vor einem Richter mit Strafgewalt in Anspruch zu nehmen und einen anderen davon auszuschließen ein Gelübde, sag ich, sogar, mit dem er um Christi willen als sein persönliches wie gemeinschaftliches Gut jede Ge­ walt, jedes Haben und jede Benutzung oder jeden Ge­ bra uch von Gütern, der nach Menge und Beschaffenheit für den augenblicklichen ausreichenden Unterhalt ü b e rflüssig ist, entbehren und nicht haben will. Wed er will er solche Güter, wie s eh r sie ihm auch zulässigerweise zu fall en, zur Befrie­ digung mehrerer künftiger Notwendigkeiten oder Bedürfnisse für sich allein haben, noch will er sie für sich mit jeman­

25

dem oder einigen Bestimmten gemeinsam zugleich haben, sondern nur für ein einziges B edürfnis zugleich, nämlich ein u nmittelbar drängendes, so gut wie gegenwärtiges Bedürfnis nach Nahrung und K l ei dun g, dies jedoch l e diglich mit der Einschränkung, daR, wer das Gelübde tut, an einem solchen Ort, in einer solchen Zeit und Lage sei, daß er Tag für Tag,

t ums r echt oder jede Gewalt, zeitliche Dinge, die

t5

aber immer für einmal, sich an zeitlichen Gütern geradeso­ viel verschaffen könne, um damit seinen eben erwähnten Bedarf, jedoch nur fü r einen einzigen Fall zugl eich , nicht

Marsilius uon Padua, Verteidiger des Friedens

518

possit. Hic siquidem modus aut species meritorie paupertatis status est, quem ad evangelicam perfeccionem necessarium dicere volunt, ut ex sequentibus aperte patebit. Quem eciam iam dieturn modum meritorie paupertatis sive [non] habentis in proprio, tercio modo dieto, sive eciam cum alio in communi 287 modo communis huic opposito, deinceps propter abbrevia­ cionem vocabimus summam paupertatem, sie vero habere valentem more theologorum perfeeturn dicemus. 5 § 23. Quod autem iam dietus modus paupertatis meritorie sit aliorum summus, ostendi potest ex hoc, quoniam secun­ dum ipsum aliorum maxime omnia Christi consilia meritoria observantur. Omnia namque primum temporalia abici pos1 0 sibilia viatori per votum abdicantur ; plurima divine caritatis sie voventibus amoventur impedimenta ; pluribus seculi pas­ sionibus et ignominiis ac sustinendis incommodis disponun­ tur ; pluribus quoque ipsius voluptatibus et vanitatibus sponte privantur ; et ad unum dicere, ad observanda Christi 15 tarn precepta quam consilia omnia maxime se disponunt. Quod autem temporalia simpliciter et quantum viatori pos­ sibile ac licitum est, abdicet sie vovens, evidens est, quoniam nihil nisi quod presenti aut quasi presenti alimenti ac teg­ menti supplende indigencie unice necessarium fuerit, habere 20 vult simul ; minus autem habere non licet alicui viatori fideli, quoniam si minus habere vellet sibi necessario ad vite susten­ tacionem, sui esset homicida scienter, quod divina saltim lege non licet alicui. Qui ergo sie habere vult temporalia, quod eorum minus non licet habere, minimum vult ex ipsis ; et qui 25 tantum abdicat ex eis, quod amplius abdicare non licet, maxi­ mum abdicat. Sie autem facit viator secundum iam dieturn modum meritorie paupertatis, quem summ um diximus. Quod 30

540 li 541

54 2 543 544 54 5 546

12, 23 und 25. Thema für § § 23-26. 287, 1 5-3 1 . § 24. § 25 Anf., Ygl. 295 . 1 7 289, 12 ff. § 26.

u.

289,3.

Teil Jl, Kapitel XIII

3 19

für mehrere, befriedigen zu können. Diese Form oder Art ist der Stand der verdienstlichen Armut, der, so will man 30 behaupten, für die evangelische Vollkommenheit notwendig ist, wie aus dem Folgenden klar hervorgehen wird. Auch werden wir diese eben genannte Form der verdienstlichen Armut oder die eines Menschen, der nichts zu eigen in der dritten Auffassung hat noch auch mit einem anderen gemein­ 28?' sam in der dieser entgegengesetzten Auffassung von gemein­ sam 54 0, im folgenden der Kürze halber höchste Armut nen­ nen, einen aber, der so leben will, werden wir nach der Sitte der Theologen einen Vollkommenen nennen. § 23 Daß die eben genannte Form der verdienstlichen 5 Armut die allerhöchste541 ist, läßt sich dadurch beweisen, daß mit ihr alle verdienstlichen Ratschläge Christi am aller­ gerrauesten befolgt werden. Denn erstens : Alle zeitlichen Güter, die wegzuwerfen für einen Erdenpilger möglich ist, werden durch das Gelübde aufgegehen542 , < zweitens > die 10 meisten Hemmnisse der erhabenen Gottesliehe werden für die, die ein solches Gelübde tun, weggeräumt 54 3, < drittens > den meisten Leiden und Beschimpfungen und Nachteilen in der Welt werden sie ausgesetzt544 , < viertens > auch der meisten Freuden und Eitelkeiten der Welt berauben sie sich frei­ willig545 , und, um es mit einem Wort zu sagen : Christi 1 5 Gebote wie Ratschläge alle zu befolgen, machen sie sich im höchsten Grade fähig. 546 Daß aber die zeitlichen Güter schlechthin und alles für einen Erdenpilger Mögliche und Zulässige aufgibt, wer ein solches Gelübde tut, ist augen­ scheinlich ; denn nichts außer dem, was einzig und allein zur Befriedigung des gegenwärtigen oder fast gegenwärtigen Bedarfs an Nahrung und Kleidung notwendig ist, will er 20 zugleich haben ; weniger aber zu haben ist einem gläubigen Erdenpilger nicht erlaubt ; denn wenn er für sich weniger haben wollte als das für die Erhaltung des Lehens Notwen­ dige, so wäre er wissentlich ein Mörder, was wenigstens nam dem göttlichen Gesetz keinem erlaubt ist. Wer also die zeit­ lichen Güter nur in dem Umfang haben will, daß er von ihnen nicht weniger haben darf, will das Mindestmaß von 25 ihnen, und wer so viel von ihnen aufgibt, daß er mehr nicht aufgehen darf, gibt das Höchstmaß auf. So aber handelt, wer in der eben genannten Form der verdienstlichen Armut

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autem sit hoc secundum Christi consilium apparet ; nam de hoc voto consilium dedit, Luce 14° cum dixit : Sie ergo omnis ex vobis qui non renunciat omnibus que possidet, non pofest meus esse discipulus. 288 § 24. Quod autem plurima caritatis divine sibi amoveat impedimenta, evidens est, quoniam amor et voluntas conser­ vandi temporalia convertit hominem ad ipsa, et per conse5 quens magis avertit in tantum ab amore seu ':· Dei'� dileccione. Unde veritas Matthei 6° : Ubi thesaurus tuus, ibi et cor tuum. Nec valet excusacio dicentis, quod habens has non convertet suum amorem ad illas. Nam audi Christum Matthei 1 3° et Marci 4° dicentem, quod fallacia diviciarum suffocat verbum. 1 0 Ubi Ieronymus : Blande enim sunt divicie aliud agentes, aliud pollicentes. Propier quod eciam ipsas simpliciter abdicare, volenti perfeeturn esse Christus consuluit Luce 1 8°, cum dixit : Omnia quecumque hab es, vende et da pauperibus. Ubi Beda : Quicumque ergo perfectus esse voluerit, debet 15 vendere que habet, non ex parte, sicut Ananias fecit et Saphyra, sed totum. Et ibidem, quod est ad propositum, sub­ dit Theofilus : Summam paupertatem suadet. Si quid enim restiterit, temporalium scilicet, illius servus est, supple : qui servat talia propter se. Sunt enim huiusmodi nata inordinate 20 movere detinentis affectum. Eidern quoque sentencie Raha­ nus super idem Christi oraculum Matthei 1 9° a d dit, quod est ad propositum valde. Inquit enim : Inter pecunias habere et pecunias amare nonnulla distancia est. Tucius autem est, nec habere nec amare divicias. Quoniam, ut ibidem subdit Iero25 nymus : Divicie habite dif{icile contempnuntur. Sunt enim nisco viscosiores, ut dicit Thomas Luce 1 8° super eodem 289 Christi consilio. Plurima ergo sibi caritatis impedimenta 549 Matth. 13,22 und Mark. 4,1 9 ; zitiert nadt Matth. 550 Sdtolz 288 Anm. 3. 551 Luk. 1 8,22. 30

s s2

55 3 554 555 556 557

S cholz 288 Anm. 5 ; vgl. Acta 5,1-1 1 . Scholz 288 Anm. 6 . Scholz 288 Anm. 8. Matth. 19,24. Scholz 288 Anm. 9. Luk. 1 8,25.

Teil li, Kapitel XIII

521

auf Erden wandelt, die wir als die höchste bezeichnet haben. DaR das Christi Rat entspricht, ist offenbar ; denn wegen ;o dieses Gelübdes gab er seinen Rat bei Lukas im 14. Kap.547 mit den Worten : So also kann keiner von eum, der nimt allem, roas er besitzt, entsagt, mein jünger sein. § 24 Dafl er sich aber die meisten Hindernisse der erha288 benen Gottesliebe wegräumt, ist augenscheinlich. Denn die Liebe und der Wille, die zeitlichen Güter zu erhalten, wendet den Menschen ihnen zu und wendet ihn folglich insofern noch 5 mehr ab von der Liebe oder Neigung zu Gott. Daher sagt die Wahrheit bei Matthäus im 6. Kap. 54 8 : Wo dein Smatz, dort ist aum dein Herz. Die Ausflucht : Wer diese Dinge hat, braucht ihnen seine Liebe nicht zuzuwenden, bedeutet nichts. Denn höre Christus bei Matthäus im 1 3. und bei Markus im 4. Kap. 549 ; er sagt : Der Trug des Reimtums erstickt das Wort. 10 Dazu bemerkt Hieronymus 550 : Verführerism ist nämlim der Reimtum, er ruft anderes hervor als er versprimt. Deswegen hat auch Christus einem, der vollkommen sein wollte, bei Lukas im 1 8 . Kap.551 geraten, die zeitlichen Güter schlechthin aufzugeben, mit den Worten : Verkaufe alles, roas du lz ast, und gib es den Armen. Dazu erklärt Beda 5 52 : Wer also voll1 5 kommen sein roill, muß verkaufen, roas er hat, nimt teilweise, roie Ananias und Sapphira taten, sondern ganz. Zu derselben Stelle fügt Theophylactus553 hinzu, was zum Thema gehört : Die hömste Armut rät er. Denn roenn etroas übrigbleibt, von den zeitlichen Gütern, so ist er dessen Sklave, ergänze : wer solche Güter um seinetwillen aufbewahrt. Derartige Güter sind nämlich ihrer Natur nach fähig, das Verlangen dessen, 2 0 der sie festhält, in ordnungswidriger Weise zu erregen. Dieser Meinung fügt auch Rabanus554 über denselben Ausspruch Christi bei Matthäus im 1 9. Kap.555 hinzu, was eng zu unserem Thema gehört : Zroisdwn Geld h a b e n und Geld l i e b e n be­ steht einiger Untersmied. Simerer aber ist es, den Reimtum roeder zu haben nom zu lieben. Denn, wie ebenda Hierony25 mus554 hinzufügt : Reimtum, den man hat, zu veramten, ist smroierig. Denn er ist klebriger als Klebstoff, wie Thomas von Aquino556 zu Lukas, Kap. 1 8557 über denselben Rat Christi sagt. Sehr viele Hindernisse der Gottesliebe räumt sich also 289 54 7 Luk. 14,33.

548

Matth. 6,21.

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subtrahit, qui divicias, quantum viatori possibile ac licitum est, abdicat. § 25. Pluribus eciam seculi passionibus, ignominiis et in­ commodis exponit se ; pluribus voluptatibus et mundanis ; commodis sponte se privat. Hoc autem quamvis per se notum sit experiencia, dicit [tarnen] Sapiens Ecclesiastes 1 0° : Pecunie enim, inquit, obediunt omnia, id est habenti pecu­ nias. Ex opposito autem Proverbiorum 1 5° : Omnes dies pau1 0 peris mali; quoniam pauper a//liccionibus hab undat, ut glossa dicit ibidem. Rursum einsdem 1 9° ait : Divicie addent amicos plurimos, a paupere autem et hii quos habuerit sepa­ rantur. Quod autem tristia sustinere in hoc seculo et a clelectabilibus abstinere propter Christum, sit meritorium et 1 5 consultum, apparet evidenter Matthei 5° et 1 9° ac Luce 6°, unde quantum ad tristium toleranciam : Beati pauperes, beati qui lugent, beati qui persecucionem paciuntur, beati qui esuritis, cum ceteris que ibidem annumerantur hiis ; quantum vero ad delectacionum abstinenciam, quoniam omnis qui reli20 quit domum aut fratres, cum reliquis ibidem annumeratis, centuplum accipiet et vitam etemam possidebit. Hanc ean­ dem sentenciam explicant ibidem glosse sanctorum, quas omisi propter abbreviacionem sermonis, et eo quod res hec est nota satis. Hec quoque fuit apostoli sentencia ad Romanos 8° : 25 Extimo enim, inquit, quod non sunt condigne passiones huius temporis ad futuram gloriam que revelabitur in nobis. Ergo meritorie sunt adversitates lmius seculi tolerantibus sponte. I dem 2a ad Corinthios 1 °, cum dixit, quoniam sicut socii pas290 sionum estis, sie eritis et consolacionis. Ubi Ambrosius : Q uia equa gloria labori vestro retribuetur, id est proporcionalis. Ad hec autem seculi tristia et incommoda sustinenda non se 5 61 Sprüche 1 9,4. 562 Matth. 5 , 3 , 5 563 Luk. 6,2 1 . 564 Matth. 1 9.29. 565 Röm. 8,18. 566 2. Kor. 1 ,?.

51; 7

u.

1 0.

Scholz 290 Anm. 1 .

Teil Il, Kapitel Xlll

weg, wer den Reichtum aufgibt, soweit das für einen Erden­ pilger möglich und zulässig ist. § 25 Auch den meisten Leiden, Beschimpfungen und Nöten in der Welt setzt er sich aus, der meisten weltlichen Freuden 5 und Vorteile beraubt er sich freiwillig. Obwohl dies nach der Erfahrung selbstverständlich ist, sagt dennoch der weise Prediger im 10. Kap.558 : Dem Gold gehorcht alles, d. h. dem, der Geld hat. Andererseits heißt es in den Sprüchen Kap. 15559 : Alle Tage des Armen sind übel; denn der Arme erfährt t o N iederdrückendes im Vberma/1, wie die Glosse 560 zu dieser Stelle sagt. Ferner sagt sie zum 19. Kap.561 desselben Buches : Der Reichtum roird immer mehr Freunde versdwffen, von dem Armen aber trennen siCh auch die Freunde, die er gehabt hat. Daß aber um Christi willen in dieser Welt Trüb­ sal zu ertragen und von den Annehmlichkeiten sich fern­ zuhalten verdienstlich und geraten ist, ergibt sich übern zeugend aus Matthäus Kap. 5562 und 19 und aus Lukas Kap. 6 563 ; daraus stammen die Worte über das Erdulden von Trübsal : Selig die Armen ; selig, die trauern ; selig, die Verfol­ gung leiden ; selig ihr, die ihr hungert, und was sonst ebenda dem zugezählt wird. Hinsichtlich der Enthaltung von den An­ nehmlichkeiten heißt es564 : Wer Haus oder Brüder verlassen 20 hat, und was sonst ebenda aufgezählt ist, roird das Hundert­ fache empfangen und das eroige Leben besitzen. Dieselbe Meinung erläutern zu diesen Stellen die Glossen der Heiligen, aber ich habe sie weggelassen, um die Darstellung abzukür­ zen ; diese Sache ist ja hinreichend bekannt. Das war auch die Meinung des Apostels im Römerbrief im 8. Kap.565 : Denn ich 25 halte dafür, sagt er, dafl die Leiden dieser Zeit nichts roert sind gegen die künftige Herrlichkeit, die sich an uns offen­ baren soll. Also sind die Widerwärtigkeiten dieser Welt ver­ dienstlich für die, die sie freiwillig ertragen. Dasselbe steht im 2. Korintherbrief im 1 . Kap. 566 in den Worten : Wie am 290 Leiden, so roerdet ihr am Troste Anteil haben. Dazu schreibt Ambrosius567 : Weil eine eurer Drangsal gleichwertige II err­ lichkeit als Vergeltung gewährt roerden roird, d. h. eine ent­ sprechende. Diese Trübsal und Not der Welt aber zu ertragen, ·

558 559 560

Prediger 10, 19. Sprüche 1 5,15. Scholz 289 Anm. 3 .

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omniquaque sie disponunt collegia personarum habencium dorninium temporalium in communi, quinimo minus multis pauperibus in seculo, coniugatis, habentibus quandoque pro­ pria, eis tarnen que ad vite su fficienciam sepius egentibus, hiis qui talia solum possident in communi. § 26. Quod autem secundum hunc modum paupertatis 1 0 meritorie, quem supremum diximus aliorum, maxime omnia precepta et Christi consilia observari possint, apparebit dis­ currenti per seriem evangelicam, precipue in capitulis as­ signatis. Qui enim talem paupertatem elegit, quomodo erit 1 5 avarus aut superbus, qualiter incontinens aut intemperatus, ambiciosus, immisericors, et cur iniustus, timidus, accidiosus aut invidus, cur eciam mendax, irnpaciens et alteri propter quid malivolus ? Quinimo ad ornnes virtutes sie disposito ianua reserata videtur, ad omnia quoque precepta et consilia 20 equanimiter adimplenda. Quod quia palam fit inducenti, probare omitto propter abbreviacionem sermonis. r § 27. Sie igitur surnmus modus aut species meritorie pau­ pertatis est, quern prius descripsimus, quoniam secundum ipsum possunt arnplius et securius omnia Christi precepta 5 2 et rneritoria consilia observari. Ex qua siquidem descripcione prirnum apparet, quod temporalia quantum ad dorninium per votum expressum renunciare debet perfectus, turn quia Christi consilium est, ut ex Luce 14° pridem induximus, turn 30 quia ex hoc suam paupertatem notificans se arnplius in aliorum conspectu contemptibilem reddit et secularibus ho­ 29 1 noribus magis cedit. Unde Luce 9° : Si quis vult venire post me, abneget semetipsum. Ex quo sequitur amplius, quod nemo summam paupertatem observare potest ante perfectum 5 racionis usum. Sequitur eciam ex hac descripcione, quod per­ fectus existens nihil habere neque querere debet aut conser­ vare propter se, ad futuram scilicet suam necessitatem sup5

5 6 8 V gl. Anm. 539. 569 286,28.

570 Luk. 14,33 ; vgl. 283,29 ff. 571 Luk. 9,23. 5 72 Scholz 291 Anm. 2.

Teil li, Kapitel XIII

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dazu machen sich nicht in jeder Hinsicht die Vereinigungen der Personen fähig, die Eigentum an zeitlichen Gütern ge­ meinsam haben, vielmehr weniger als viele verheiratete Arme in der Welt, die manchmal Privateigentum haben, jedoch das zu einem ausreichenden Unterhalt Nötige des öfteren ent­ ·behren als die, die solche Güter nur in Gemeineigentum be­ sitzen. § 26 DaR aber bei dieser Form der verdienstlichen Armu t, 1 0 die wir als die allerhöchste568 bezeichnet haben, alle Gebote und Ratschläge Christi am genauesten befolgt werden kön­ nen, wird dem klarwerden, der den Text des Evangeliums überschaut, zumal in den hervorgehobenen Kapiteln. Wer nämlich eine solche Armut erwählt hat, wie könnte der wohl 1 5 habgierig oder überheblich sein, wie unenthaltsam oder un­ beherrscht, ehrgeizig, unbarmherzig und warum ungerecht, furchtsam, mürrisch oder neidisch, warum auch verlogen, ungeduldig und weshalb dem Nächsten gegenüber übelwol­ lend ? Vielmehr scheint dem, der sich für alle Tugenden in dieser Weise erzogen hat, die Tür aucl:t dazu aufgetan zu sein, 20 alle Gebote und Ratschläge geduldig zu erfüllen. Weil das jedem bei einer Betrachtung offenbar wird, unterlasse ich den Beweis, um die Darstellung abzukürzen. § 27 Das also ist die höchste Form oder Art der verdienst­ lichen Armut, die wir oben569 geschildert haben ; denn mit ihr 25 lassen sich alle Gebote und verdienstlichen Ratschläge Christi ganz umfassend und ganz sicl:ter befolgen. Aus dieser Schil­ derung ergibt sich erstens : Auf Eigentum an zeitlichen Gütern muß der Vollkommene durcl:t ein ausdrückliches Ge­ lübde verzichten, teils weil das Christi Rat ist, wie wir aus Lukas Kap. 14 oben57 0 angeführt haben, teils weil er durch > o die damit erfolgte Bekanntgabe seiner Armut sicl:t in den 29 1 Augen anderer ganz herabsetzt und den weltlichen Ehren am meisten ausweicl:tt. Daher heißt es bei Lukas im 9. Kap. 571 : Will jemand mir nachfolgen, der verleugne sich selbst. Dar­ aus folgt ferner : Niemand kann < das Gelübde > der höchsten Armut ablegen, ehe er zum völligen Gebrauch der Vernunft 5 herangewacl:tsen ist. 572 Aus dieser B eschreibung folgt auch : Wer vollkommen ist, darf um. seinetwillen nichts haben oder erwerben oder aufbewahren, um seinen künftigen notwen­ digen Bedarf zu befriedigen, nichts als den unmittelbar 5

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plendam, nisi instantem quasi presentem, excepto dumtaxat in casu quem pridem in descripcione diximus. Unde Matt o th ei ? 0 : Nolite ergo solliciti esse in crastinum. Crastinus enim dies sollicitus erit sibi ipsi. Ubi glossa : In crastinum, id est in futurum ; de presentibus concedit; de futuris que divina procurat ordinacio, non convenit sollicitari, sed presencia grate suscipientes, curam futurorum, que incerta est, Deo n relinquamus, cui de nobis cura est. ldem eodem 7°, cum dixit Christus ad discipulos : Respicite volatilia celi, quoniam non serunt neque metunt neque congregant in horrea, et pater vester celestis pascit illa. Et parum infra subiungitur : Nolite ergo solliciti esse dicentes : quid manducabimus aut quid zo bibemus, aut quo operiemur ? Hec enim omnia gentes in­ quirunt. § 28. Diximus autem perfecto nihil licere propter se ad crastinum custodire, non quidem intelligentes si�, ut si quid ex eo, quod illi advenit ex questu diurno licito, residuum 25 fuerit, id reicere debeat et nullo modo custodire ; sed quod tale residuum non debeat sibi sie custodire, quin illud pau­ peri cuivis vel pauperibus sibi occurrentibus, et prius indi292 gentibus quam ipse, proponat firmiter tribuere atque dispen­ sare convenienter. Unde Luce 3° : Qui habet duas tunicas det non habenti; et qui habet escas, similiter faciat. Intelligens per duo vestimenta et escas id vel de eo, quod superest indi5 gencie presentis et proprie supplemento. Cuilibet autem dieturn est, quoniam communitas servan­ cium aut habencium pro aliquibus determinatis solum, ut que monachorum et canonicorum et similium, non est per­ w fecta commu nitas ; perfecta enim, ut que Christi et aposto-

573 286,23. 574 Vielmehr Matth. 6,34 ; 575 Glossa ord. ad loc . 576 Matth. 6,26.

vgl. 301 ,26 ff.

577 Matth. 6,3 1 -32 : T{ qxi.ywfJBV; usw. 578 quin, vgl. Vo ; die beiden Negationen heben sich auf.

579

Luk. 3 , 1 1 .

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10

15

20

25

292

5

10

bevorstehenden, fast gegenwärtigen Bedarf, mit einer E i n­ schränkung lediglich in dem Falle, den wir oben 573 in der Beschreibung angeführt haben. Daher heißt es bei Matthäus im 7. Kap. 574 : Darum sorget nicht auf den morgenden Tag ; denn der morgende Tag wird für sich selbst sorgen. Dazu sagt die Glosse575 : auf den morgenden Tag, d. h. auf den künf­ tigen; wegen der Gegenwart gibt er die Erlaubnis ; wegen der Zukunft, für die die göttliche Ordnung sorgt, dürfen wir uns nicht beunruhigen, sondern wir sollen das Gegenwärti{J,e dankbar hinnehmen und die Sorge für das Künftige, die unsicher ist, Gott überlassen ; er hat für uns die Sorge. Dasseihe steht ebenda im 7. Kap. 576 ; Christus hat nämlich zu seinen Jüngern gesagt : Sehet die Vögel unter dem Himmel an : sie säen nicht, sie ernten nidd, sie sammeln nicht in Scheu­ nen, und euer himmlischer Vater ernährt sie dodt. Etwas weiter unten wird hinzugefügt : Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen : Was sollen mir essen ?577 Was sollen wir trinken ? Womit sollen wir uns kleiden ? Denn nach diesem allen trach­ ten die Heiden. § 28 Wir haben gesagt, dem Vollkommenen sei nicht er­ laubt, um seinetwillen für den morgenden Tag etwas aufzu­ heben ; dabei verstehen wir allerdings den Satz nicht so : Wenn etwas von dem, was ihm aus dem täglich zulässigen Erwerb zufällt, übrigbliebe, müßte er dies wegwerfen und dürfte es unter keinen Umständen aufheben, sondern : einen solchen Rest dürfte er für sich nur in dem Sinne aufheben, dafi 578 er sich fest vornähme, ihn an _jeden Armen oder die Armen, die ihm begegnen oder ihn früher brauchen als er selbst, zu verschenken und zu verteilen, wie das < dem Vollkommenen > ziemt. Daher sagt Christus bei Lukas im 3. Kap. 579 : Wer zwei Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat, und wer Speise hat, tue ebenso, wobei er unter den beiden Kleidungsstücken und den Speisen das oder etwas von dem versteht, was über die Befriedigung des gegenwärtigen eigenen Bedarfs hinausgeht. Es ist aber gesagt worden, daR der überschuft jedem be­ liebigen Armen gegeben werden mufi ; eine Gemeinschaft nämlich, die nur für einige Bestimmte etwas aufhebt oder hat, z. B. die der Mönche und Kanoniker usw., ist keine vollkommene Gemeinschaft ; denn eine vollkommene wie die

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lorum, ad omnes fideles extitit, ut apparet Actuum 4°. Et si ad irrfideles in casu se extenderet, adhuc fortasse magis meri­ toria foret, iuxta illud Luce 6° : Benefacite hiis qui oderunt DOS.

Potest autem licite perfectus custodire residua et debet, ea tarnen intencione seu proposito firmo, quod diximus. Unde Johannis 6° : Colligite que superaverunt fragmenta, ne per­ eant. Collegerunt ergo et impleverunt duodecim cophinos fragmentorum. Sie eciam sentit glossa super illud Mat20 thei 1 8° : Staterem illum assumens etc. ; inquit enim : Tante paupertatis fuit Dominus, ut unde daret tributa non haberet. Judas quidem communia in loculis habebat. Sed res pau­ perum in suos usus convertere, nefas dixit. Ecce quod reser­ vata erant pauperum, id est, ea intencione,custodiebantur. § 29. Et ex hoc apparet illos errare, qui dicunt attinere per­ 25 feccioni votum nihil recipiendi ad distribuendum pauperi­ bus, infirmis aut aliter querere sufficiencia impotentibus. 293 Nam hunc questum exercuit apostolus, et licite ac meritorie milli dubium, quemadmodum palam est 2a ad Corinthios 8° et 9°. Et apparet eciam ex' glossa super illud Johannis 2 1 ° : 5 Pasce oves meas etc. Series autem horum omitto propter rei evidenciam et sermonis abbreviacionem. § 30. Sequitur eciam ex iam dicta descripcione necessario, quod perfectus nullam rem immobilem, ut domum aut agrum in sua potestate existentem servare aut retinere debet nec 1 0 potest, nisi firmo proposito, cum primum potuerit id alienandi seu commutandi ad pecuniam vel rem aliam convenienter pauperibus immediate distribuibilem. Nam quia domus aut 15

583 584 5 85 586 5 87 588 589 5 90

J oh. 6,12-13. Scholz 292 Anm. 5. Vielmehr Matth. 1 7,27. Scholz 292 Anm. 6. 2. Kor. 8 und 9, über die S ammlung für die Armen von Jerusalem. Scholz 293 Anm. 2. J oh. 2 1 , 1 5-17. Scholz 293 Anm. 3.

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Christi und der Apostel hat für alle Gläubigen gegolten , wie sich aus der Apostelgeschichte Kap. 4580 ergibt, und wenn sie sich gegebenenfalls auf die Ungläubigen ausdehnte5Rl, so würde sie vielleicht noch verdienstlicher sein nach jenem Wort bei Lukas im 6. Kap. 582 : Tut mohl denen, die eudt hassen. 15 Ein Vollkommener kann aber und soll - das ist zulässig Reste aufheben, jedoch in der Absicht und dem festen Vor­ satz, den wir angegeben haben. Daher heißt es bei Johannes im 6. Kap. 58 3 : Sammelt die übrigen Brocken, damit sie nidtt umkommen. Da sammelten sie also und füllten zmölf Körbe mit BroCken. So denkt auch die Glosse 584 über jene Stelle bei 20 Matthäus im 18. Kap. 5 85 : Nimm jenen Stater usw. ; sie sagt nämlich : So arm mar der Herr, daß er nidtts hatte, movon er die Steuern bezahlen konnte. Judas hatte zmar das gemein­ same Geld in der Kasse, aber das Gut der Armen für seinen eigenen Gebraudt zu verwenden, erklärte er für Sünde. Beachte, das aufgehobene Geld gehörte den Armen, d. h . , in dieser Absicht wurde es aufbewahrt. 25 § 29 Daraus ergibt sich : Im Irrtum ist, wer behauptet, zur Vollkommenheit gehöre das Gelübde, nichts zur Verteilung an Arme, Kranke oder solche anzunehmen, die sich sonst den ausreichenden Unterhalt nicht schaffen können. 586 Denn diese 293 -Art des Erwerbs < durch Sammlung > übte der Apostel aus, und zwar war das ohne Zweifel zulässig und verdienstlich nach der klaren Angabe im 2. K orintherbrief im 8. und 9. Kap. 587 Es ergibt sich auch aus der Glosse 588 über jenes Wort bei Johannes im 2 1 . Kap.58 9 : Weide meine Sdtafe usw. Den ; Wortlaut dieser Stellen lasse ich weg ; die Sache leuchtet un­ mittelbar ein, und ich möchte die Darstellung abkürzen. § 30 Aus der eben 'erwähnten Schilderung folgt zwangs­ läufig : Der Vollkommene darf und kann eine unbewegliche Sache, die sich in seiner Gewalt befindet, z. B. ein Haus oder einen Acker, nur mit dem festen Vorsatz bewahren oder 1 0 behalten, so bald als möglich sie zu veräußern oder in Geld oder eine andere Sache umzutauschen, die sich leicht un­ mittelbar an die Armen verteilen läßt. 590 Denn es wäre nicht 580 Acta 4,32 ; 4,34-35. 581 Weitherzigkeit des M., 582 Luk. 6,27.

vgl. 1 92,7.

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ager non possent immediate distribui pauperibus convenien­ ter, quin in eo contingeret peccare per superhabundanciam 1 5 et defectum, in talibus est Christi consilium attendendum, clum dixit Matthei 19°, Luce 18° et Marci 10° : Vade et vende. Nec dixit : omnia que habes, da pauperibus ; nec dixit : omnia que habes, dimitte deperdi ; sed : vade et vende, quoniam ven­ dendo conveniencior distribucio fieri potest. Sie eciam fieri 20 consulebant apostoli ; et quibus consulebatur, sie eciam facie­ bant, sua volentes pauperibus distribuere convenienter. Unde Actuum 4° : Quotquot enim possessores agrorum et do­ morum erant, vendentes offerebant precia eorum. Divideban­ tur autem singulis, prout cuique opus erat. 2; § 3 1 Apparet eciam ex iam dictis, quod nullius rei temporalis dominium acquisitum iuxta primam, secundam et ter­ ciam dominii significacionem iam dieturn perfecto convenire potest, ut ex Matthei 5° et Luce 6° probavimus prius. Et per 294 apostolum idem confirmavimus 1a ad Corinthios 6°. Idemque per Augustinum et glossam ibidem patefecimus sufficienter. Quorum series omisimus inducere propter rei evidenciam et sermonis abbreviacionem. § 32. Nec est auscultandus sermo dicentis immobilia licite a perfectis servari posse, ut ex ipsis proventus annui pau­ peribus distribuantur. Quoniam amplioris est meriti propter Christi dileccionem et proximi misericordiam distribuere 1 0 pauperibus rem simul et proventum, quam alterum tantum ; et adhuc magis rem solam, quam solum eius proventum. Quoniam sie pluribus pauperibus actu egentibus simul sub­ ven iri potest, qui fortasse ante futurum rei proventum prop­ ter defectum incurrent egritudinem aut mortem, stuprum, 1 5 furtum aut alterum inconveniens. Rursum, quoniam infra .

59 1 Matth. 19,21 ; Luk. 18,22 ; Mark . 10,2 1 . 592 Acta 4,34-35 gekü rzt. :;D a

II 12, 1 3-15.

594 278,1 3

:ff .

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53 1

leicht, ein Haus oder einen ACker unmittelbar an die Armen zu verteilen, ohne daß dabei durch ein Zuviel oder Zuwenig 15 Mißgriffe vorkämen ; daher ist in solchen Fällen Christi Rat zu beachten ; er hat nämlich bei Matthäus im 1 9., bei Lukas i m 18. und bei Markus im 1 0. Kap. 591 gesagt : Gehe hin und verkaufe. Weder hat er gesagt : Alles, was du hast, gib den Armen, noch hat er gesagt : Alles, was du hast, überlasse dem Verderb, sondern : Gehe hin und verkaufe; denn durch den Verkauf kann die Verteilung erleichtert werden. So zu ver20 fahren, rieten auch die Apostel, und die, denen dieser Rat erteilt wurde, taten auch so, wenn sie ihre Habe an die Armen mit Leichtigkeit verteilen wollten. Daher heißt es in der Apostelgeschichte 4. Kap. 5 92 : Denn alle, die Besitzer von Grundstücken und Häusern waren, verkauften das und brach ten den Erlös davon dar. Der wurde an die einzelnen nach Bedarf verteilt. 25 § 31 Aus dem eben Gesagten ergibt sich : Erworbenes Eigentum an einer zeitlichen Sache in der schon erwähnten ersten, zweiten und dritten Bedeutung 593 von Eigentum kann einem Vollkommenen nicht zustehen, wie wir aus Matthäus 294 Kap. 5 und aus Lukas Kap. 6 früher5 94 nachgewiesen haben. Durch Berufung auf den Apost el haben wir das aus dem 1 . Korintherbrief Kap. 6 bestätigt, und dasselbe haben wir durch Augustirr und die Glosse ebenda genügend klar­ gemacht. Den Wortlaut dieser Stellen anzu führen, haben wir unterlassen ; die Sache leuchtet unmittelbar ein, und wir möchten die Darstellung abkürzen. § 32 Nicht hinzunehmen ist die Behauptung, unbewegliche Güter könnten zulässj gerweise di e Vollkommenen unter d e r Voraussetzung b ehalten, daß die jährlichen Einkünfte aus ihnen an die Armen verteilt würden. Denn verdienstlicher ist es, aus Liebe zu Christus und aus Erbarmen mit dem 1 0 Nächsten Sachen und Einkünfte zugleich an die Armen zu verteilen als nur das eine, und ferner verdienstlicher, die Sache allein als allein die Einkünfte aus ihr < zu verteilen > . D enn so kann man mehr Armen zugleich helfen, die im AugenbliCk bedürftig sind und die vielleicht vor der Ver­ f ügb a: rke it der Einkünfte aus Not in Krankheit oder Tod, Unzucht, Diebstahl oder so nst etwas Ung eh öri g e s g eraten t5 kö nn ten. Ferner wird vielleicht vor der Zeit des künftigen

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Padlta . Verteidiger des Friedens

tempus futuri rei proventus fortasse morietur, qui eam reser­ vavit, et sie ex ea numquam merebitur quod mereri potuerat. I dem penitus senciendum de mobilibus quibuscumque, que eciam sie retenta cum aliis similiter inordinate movere sunt n ata detinentis affectum. Quod si tarnen hec virtus caritas esse credatur, ut quidam sentire videntur, nulli dubium, quin hic modus caritatis, cum summa scilicet paupertate, perfec­ cior sit habitu dominii rei temporalis in proprio vel communi, ut ex prioribus racionibus palam. § 33. Nunc autem ad principa-le propositum accedentes, ostendere volumus, Christum viatorem summam meritorie paupertatis speciem vel modum servasse. Quoniam primum in unoquoque aliorum est maximum ; Christus autem sub Nova Lege primus viatorum merencium vitam eternam fuit, ergo aliorum perfeccione maximus ; ergo statum hunc ad temporalia observavit, cum absque ipso mereri maxime se­ cundum communem Iegern impossibile sit. Rursum, si hunc non observasset modum paupertatis, fuis­ set alter viator, esset vel esse passet Christo secundum com­ munem Iegern perfeccior in merendo, quod nefas est credere. Hoc enim Christus ad perfeccionem meriti asseruit pertinere, cum dixit ubi supra : Si vis perfectus esse, omnia quecumque habes vende, et da pauperibus ; nec addidit : proprium aut commune, sed hoc universaliter intellexit, propter quod eciam significatum universale geminavit, dicens : Omnia quecumque. Nam qui habet in communi cum aliquo vel aliquibus dominium aut reservacionem temporalium extra modum dictum, non abdicavit temporalium omne abdicari possibile, nec tot passionibus seculi exponitur aut commodis privatur,

595 Schlu.f!gedanke zu mobilia und immobilia. paupertas meritoria in jeder Form. 59 6 597 Vgl. § 18 Anf. 5 98 Vgl. § 23 Anf. 599 Scholz 294 Anm. 2. =

s oo Luk. 18,22.

Teil Il, Kapitel Xlll

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Ertrags aus der Sache der sterben, der sie aufgehoben hat, und so aus ihr niemals das Verdienst haben, das er hätte gewinnen können. Genau dasselbe mufl man über alle beweglichen Güter denken, die auch, wenn sie so mit anderen zurückgehalten 20 werden, in ähnlicher Weise fähig sind, die Begehrlichkeit des­ sen, der sie festhält, in ordnungswidriger Weise zu erregen. Wenn man also dennoch glaubt 5 95 , diese Tugend 596 sei Gottes­ liebe, wie manche zu denken scheinen 597 , so ist ohne Zweifel die Form der Gottesliebe, die sich mit der höchsten Armut verbindet, vollkommener als die, die Eigentum an einer zeit­ lichen Sache als Privateigentum oder in Gemeineigentum < zuläflb . Das ist aus früheren überlegungen 598 klar. 25 § 33 Jetzt wollen wir an das Hauptthema herangehen und zeigen : Christus hat während seines Erdenwandels die 295 höchste Art oder Form der verdienstlichen Armut gewahrt. 599 Denn erstens ist sie in jeder Hinsicht das Allerhöchste : nun war Christus unter dem Neuen Gesetz der erste der Erden­ pilger, die das ewige Leben verdienten ; also von allen an Vollkommenheit der Größte. Also hat er diesen Stand gegen­ über den zeitlichen Gütern gewahrt ; denn ohne diesen Stand dem allgemeinen Gesetz unmöglich, sich das 5 ist es nach höchste Verdienst zu erwerben. Zweitens, hätte er diese Form der Armut nicht gewahrt. so hätte es einen anderen Erdenpilger gegeben, gäbe es oder könnte es geben, der in seinem Verdienst vollkommener wäre als Christus nach dem allgemeinen Gesetz ; das zu glauben wäre eine Sünde. Denn das, so hat Christus versichert, gehört 1 0 zur Vollkommenheit des Verdienstes ; er hat ja an der oben an­ geführten Stelle gesagt 6 00 : Willst du vollkommen sein, so ver­ kaufe alles, roas audt immer du hast, und gib es den Armen : und er hat nicht hinzugefügt : Privateigentum oder Gemein­ eigentum, sondern dieses Gebot hat er ganz allgemeingültig verstanden und hat deshalb auch die Bezeichnung des Allge­ meingültigen verdoppelt mit den Worten : alles, roas a u dt 15 immer. Denn wer in Gemeinschaft mit einem anderen oder mehreren Eigentum oder Eigentumsvorbehal t an zeitlichen Gütern über das genannte Mafl hinaus hat, der hat nicht alles an zeitlichen Gütern aufgegeben, was möglich ist, und setzt sich nicht so vielen Leiden in der Welt aus oder beraubt sicl1

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Marsilius

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Padu a. Verteidiger des Frieden s

sicut temporalibus renuncians utroque modo, nec sie ab horum sollicitudine liberatur, nec omnia Christi consilia ser­ vat equaliter omnimode abdicanti. § 34. Post hec ostendere volo, Christum habuisse aliquid in proprio et eciam in cornmuni, surnrnam tarnen pauper­ tatem servando. In proprio quidern, dicto secundum terciam 25 sign ificacionern, per id quod habetur Marci 2° : Erant autem 296 m u lti qui sequebantur eum, scribe et pharisei videntes quia manducaret cum publicanis et peccatoribus. Certurn est autern ipsurn licite ac sibi propriurn seu singulariter habuisse, quod ori suo applicabat et rnanducabat. Amplius et vesti5 menta sibi propria seu singulariter habuit, ut ex Matthei 27°, Marci 1 5°, Luce 23° et Johannis 1 9° satis apparet. Unde in Mattheo ubi supra : Exuerunt eum clamide, et induerunt eum vestimentis eius. Sie eciam in lohanne ubi supra : Milites ergo cum crucifixissent eum, acceperunt vestimenta eius. Sie 1 0 eciarn in Marco et Luca, quorurn series omittantur propter decurtacionern serrnonis. Temporalia igitur in proprio Chri­ stus habuit licite seu de iu re, surnmarn eciarn paupertatern observans, et talia voluit habere et velle debuit ; alioquin rnortaliter peccaturus, quia verus homo existens esuriit, ut 15 apparet ex Matthei 2 1 ° et Marci 1 8°, ideoque cibo indiguit, quem non sumens, surnere potens, peccasset graviter, se farne videlicet perirnendo scienter. § 35. In cornrnuni quoque Ch ristus habuit licite, summam 20 eciarn paupertatern observans. Unde Johannis 1 2° : Dixit a u tem hoc Judas, non quia de egenis perfinebat ad eum, sed quia fur erat et loculos habens, cornmunes scilicet Christo et apostolis et pauperibus reliquis. Quod apparet ex eo, quod d e hiis Christus iussit distribui farnescentibus pauperurn 20

601 602 603 604 6 05 606 607 6os

li 12, 23. Mark. 2, 1 5-16. Mat t h . 2?,3 1 .

J oh. 1 9,23. Mark. 1 5 ,20 ; Luk. 23,34. Matth. 2 1 , 1 8 ; Mark. 1 1 , 1 2 (nicht Kap. Vgl. A n m . 539. J oh. 1 2,6.

18) .

Teil ll, Kapitel XIII

3)3

nicht so vieler Annehmlichkeiten wie einer, der auf die zeit­ lichen Güter in beiden Formen verzieh tet, noch befreit er sich so ::: o von der Sorge um sie und befolgt nicht alle Ratschläge Christi in gleicher Weise wie einer, der in jeder Hinsicht verzichtet. § 34 Hierau f will ich zeigen : Christus hat etwas als sein eigen persönlich und auch mit anderen gemeinsam gehabt, obwohl er doch die höchste Armut wahrte : als sein eigenes persönliches Gut freilich nur in der dritten Bedeutung601 von 25 eigen nach dem, was bei Markus im 2. Kap. 602 steht : Es roaren 296 aber viele, die ihm nachfolgten. Und die Schriftgelehrten und Pharisäer sahen, daß er mit den Zöllnern und Sündern speise. Sicher ist : Er hat zulässigerweise und als sein eigenes oder persönliches Gut gehabt, was er seinem Munde zu führte und aß. Weiter, auch Kleider hat er als sein eigenes oder per5 sönliches Gut gehabt, wie aus Matthäus Kap. 27, Markus Kap. 1 5, Lukas Kap. 23 und Johannes Kap. 19 zur Genüge hervorgeht. Daher heißt es bei Matthäus 603 an der oben angeführten Stelle : Sie zogen ihm den Man tel aus und legten ihm seine Kleider an. So steht auch bei Johannes8 04 an der oben angeführten Stelle : Als die Kriegsknechte ihn nun ge­ kreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider. So heißt es aum t o bei Markus und Lukas6 05 , doch soll der Wortlaut weggelassen werden, um die Darstellung zu verkürzen. Zeitliche Güter also hatte Christus zu eigen in zulässiger oder rechtmäßiger Form, obwohl er dabei sogar die höchste Armut wahrte, und solche wollte er haben, und er durfte es wollen ; sonst hätte er eine Todsünde begangen, weil er als wahrer Mensch hunt 5 gerte, wie sich aus Matthäus Kap. 21 und Markus Kap. 1 8 606 ergibt, u nd daher der Speise bedurfte ; hätte er sie nicht zu sich genommen, obwohl er dazu in der Lage war, so hätte er eine schwere Sünde begangen, indem er sich durch Hunger wissentlich ums Leben gebracht hätte. § 35 Auch mit anderen gemeinsam hatte Christus zuläs­ sigerweise etwas, obwohl er dabei sogar6 07 die höchste Armut 20 wahrte. Daher heißt es bei Johannes im 1 2. Kap .6 08 : Das sagte aber .Judas nicht, roeil ihm an den Armen lag, sondern roeil er ein Dieb roar und da er die Kasse führte, die für Christus und die Apostel und die anderen Armen gemeinsam < he­ stimmt > war ; das ergibt sich daraus, daß Christus davon an die hungernden Scharen der Armen austeilen ließ, wie aus

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

turbis, ut Matthei 14° satis apparet. Loculi autem erant repo­ sitoria, in quibus pecunia elymosinaria sibi data reser­ vabatur. Idem rursum eiusdem 14° : Quidam autem putabant, 29? quia loculos habebat I udas. I dem eciam glossa super illud Mat­ thei 1 8° : Staterem illum sumens etc., Judas, inquit glossa, communia in loculis habebat. Sie eciam apostoli post Christi resurreccionem communia invicem et cum aliis pauperibus 5 habuerunt, summam paupertatem servantes. Unde Actu­ um 4° : Erant autem illis omnia communia. Propria quoque similiter habuerunt, victum scilicet atque vestitum, quos sibi proprie applicuerunt, quemadmodum Christus. 10 § 36. Deinde tamquam principale intentum ex hoc et pre­ cedente atque immediate sequente capitulo inferre volo per necessitatem, Christum viatorem, summam perfeccionis pre­ cipue monstrantem, non habuisse dominium aliquod acquisi­ tum secundum primam vel secundam aut terciam dominii sig1 5 nificacionem dieturn in proprio vel c.um alio in communi rei alicuius temporalis aut eius usus. Quoniam tale dominium sibi assumens non omnia consilia, et precipue summam pau­ pertatem viatori possibilem, servasset ; Christus autem hec omnia perfectissime viatorum servavit. Non igitur tale domi20 nium temporalium Christus habuit nec habere voluit, quod scriptura possessionem plerumque nominat, ut in Luce 14° : Qui non renunciat omnibus que possidet. Sie eciam Mat­ thei 10° : Nolite possidere aurum neque argenturn neque pecuniam in zonis vestris, id est : conservare nolite, nisi for25 tasse in casu licito, ea scilicet intencione atque necessitatibus, quas pridem diximus, ut propter impotentes pauperes, quem­ admodum fecit Paulus, aut temporis vel loci et proprie dis­ posicionis necessitate urgente, de quibus in sequenti capitulo amplius apparebit. Quamvis tarnen dominium iam dieturn 25

611 612 613

6 14 615 616

Scholz 29? Anm. 1 ; vgl. 292, 19. Acta 4,32. l i 12, 13-15. Luk. 14,33. Matth. 1 0,9. l i 14, 16 (313,21 ff.) .

Teil li, Kapitel XIII 25

29 7

5

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25

53:'

Matthäus Kap. 1 4609 zur Genüge hervorgeht. Die Kasse war ein Kästchen, in dem das ihm gegebene Almosengeld auf­ gehoben wurde. Dasselbe steht ferner bei Johannes im 14. Kap. 61 0 : Einige aber meinten, daß Judas die Kasse führte. Dasselbe sagt auch die Glosse6 11 zu Matthäus Kap. 1 8 : Nimm diesen Stater usw. Judas hatte das gemeinsame Geld in der Kasse. So haben auch die Apostel nach Christi Au ferstehung gemeinsames Gut untereinander und mit anderen Armen gehabt und wahrten doch die höchste Armut. Daher heißt es in der Apostelgeschichte Kap. 4612 : Sie hatten aber alles ge­ meinsam. Persönliches Gut hatten sie auch in ähnlicher Weise, Nahrung und Kleidung, die sie für sich zu ihrem Gebrauch verwandten wie Christus. § 36 Ferner will ich - und das soll Hauptbeweisziel sein ­ aus diesem und dem vorangehenden und dem unmittelbar folgenden Kapitel streng logisch schlieRen : Christus, der das Höchste an Vollkommenheit vor allen anderen zeigte, hat während seines Erdenwandeins kein erworbenes Eigentum813 in der ersten, zweiten und dritten Bedeutung gehabt - als sein persönliches Eigentum oder mit einem anderen in Gemeineigenturn - an irgendeiner zeitlichen Sache oder an deren Ge­ brauch. Denn hätte er solches Eigentum beansprucht, so h ätte er nicht alle Ratschläge und vor allem die höchste Armut, die einem Erdenwandler möglich ist, nicht gewahrt. Nun war Christus d e r von den Erden pilgern, der diese < Rat­ schläge > alle aufs vollkommenste befolgt hat. Also, hatte Christus kein solches Eigentum an zeitlichen Gütern, noch wollte er es haben, das die Schrift sehr oft Besitz nennt, z. B. bei Lukas im 14. Kap.614 : Wer sich nicht lossagt von allem, ma. zulässigen Falle, in der Absieht und für die Notwendigkeiten, die wir früher angeführt haben, z. B. für hilflose Arme, wie Paulus getan hat, oder für den Fall, daR die Not der Zeit oder des Ortes oder der eigenen Lage drängte, worüber im folgenden Kapitel 616 sich mehr er­ geben wird ; indessen das eben genannte Eigentum auch in 609

Matth. 14, 1 4-19.

6 10

Vielmehr J oh. 1 3,29.

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Marsilius oon Padua, Verteidiger des Friedens

eciam in predictis casibus summe pauperi habere non liceat, quoniam tale dominium per necessitatem circa summam paupertatem excludit Christi consilium. Non habuit ergo Christus temporalium dominium iam dictum nec haben' potest eius aliquis imitator, summam scilicet paupertatem servare volens. 5 § 37. Hiis consequenter dico, quod ex scriptura sacra con­ vinci non potest Christum, quantumcumque eondescenden­ tem infirmis, habuisse temporalium iam dietum dominium seu possessionem in proprio vel eommuni, quamvis hoc eredantur t o sensisse sanetarum aliqui. Pari namque racione eoncludi posset, ipsum exereuisse omnia permissa, ne statum talia exereencium dampnasse videretur. Sie ergo seeuli prineipa­ tum seu seeulare iudicium contenciosum aceeptasset ae exer­ cuisset, euius oppositum ostensum est irrefragabiliter 4° t5 huius ; sie eciam eoniugium, sie accionem eonteneiosam eoram iudiee eoaetivo, sie reliqua permissa omnia ; que Chri­ stum exercuisse nemo per seripturam eonvineere potest, sed oppositum magis. Non enim talia ipsum oportuit aut deeuit exereere, ne statum exereeneium, quos voeant infirmos, 20 dampnare videretur. Quoniam non sequitur : Christus non fuit eoniugatus, ergo statum eoniugatorum visus fuit damp­ nare ; similiter et in reliquis. Nam ipse suffieienter expressit differeneiam inter ea, que sunt de neeessitate salutis fienda vel omittenda, preeepta vel prohibita, et ea, que non sunt 25 de neeessitate salutis, apud sauetos voeata supererogacionis. Cum enim interrogatus fuisset a quodam de neeessariis ad salutem eternam, respondit Christus : Si vis ad vitam ingredi, serva mandata. Interraganti vero rursum de hiis que sunt 299 supererogacionis, non respondit Christus : Si vis ad vitam in­ gredi, sed dixit illi : Si vis perfectus esse. In quibus verbis 30

298

61 7

Scholz 298 Anm. 1 .

Teil Il, Kapitel XIII

den vorher erwähnten Fällen zu haben ist einem im höchsten Sinne Armen nicht erlaubt ; denn ein solches Eigentum schließt 298 mit Notwendigkeit < die Befolgung von > Christi Rat hinsicht­ lich der höchsten Armut aus. Also hatte Christus nicht das eben erwähnte Eigentum an zeitlichen Gütern, und keiner kann es haben, der ihm nachstrebt, nämlich wer die höchste Armut haben will. 5 § 37 In Weiterführung dieses Gedankens behaupte ich : Aus der Heiligen Schrift läflt sich nicht nachweisen, das Chri­ stus, wie sehr er sich auch zu den Schwachen herablieft, das eben erwähnte Eigentum oder Besitz an zeitlichen Gütern für seine Person oder mit anderen gemeinsam gehabt hat, ob­ wohl man von einigen der Heili gen glaubt, sie hätten das 1 0 gedacht. 61 7 Denn in gleicher Weise könnte man den Schluß ziehen, er habe alles Erlaubte ausgeübt, damit es nicht so aussähe, als habe er den Stand derer, die dergleichen aus­ üben, verdammt. Dann hätte er also eine weltliche Regierung oder ein weltliches Gericht in Streitsachen angenommen und ausgeübt, aber das Gegenteil davon ist unwiderlegbar in Kap. 4 dieses Teils nachgewiesen ; dann auch die 15 Ehe, dann auch ein Vorgehen in Streitsachen vor einem Rich­ ter mit Vollstreckungsgewalt, dann alles Erlaubte < auf sich nehmen müssen > ; daß dies Christus ausgeübt habe, kann niemand aus der Schrift nachweisen, sondern vielmehr das Gegenteil. Denn es war für ihn nicht nötig oder angemessen, dergleichen auszuüben, um nicht den Anschein zu erwecken, als habe er den Stand derer, die das ausüben und die man 20 die SChroadwn nennt, verdammt. Denn man darf nicht schlie­ ßen : Christus war nicht verheiratet ; also hat er offenbar den Stand der Verheirateten verdammt und ähnliches in anderen Fällen. Denn er selbst hat den Unterschied zur Genüge zum Ausdruck gebracht zwischen den Geboten und Verboten, denen nachzukommen für die ewig� Seligkeit notwendig ist, und denen, die für die Seligkeit nicht notwendig sind - bei den 25 Heiligen genannt : Gebote und Verbote der tJberleistung. Als ihn nämlich einer gefragt hatte, was zur ewigen Seligkeit notwendig sei, antwortete Christus : Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote. Als der aber weiter fragte nach 299 dem, was zur Überleistung gehört, antwortete Christus nicht : Willst du zum Leben eingehen, sondern sagte zu ihm : ;o

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Matthei 19°, Luce 18° et Marci 1 0° Christus expresse fecit in­ telligere, quod observacio mandatorum sufficiebat ad vitam 5 eternam, cum de hoc interraganti nil aliud respondit, quam : Serva mandata, si vis ad vitam ingredi. ldeoque non omnia permissa Christum oportuit aut decuit exercere, ne statum eiusmodi exercencium dampnasse videretur ; quia iam ex­ presserat ipsos ex solis mandatis seu preceptis, communiter t o sumendo preceptum ad affirmativum et negativum, posse salvari ; sed magis decuit ipsum consiliarum exercicium, ut summam paupertatem servare et coniugium omittere propter talium exercicii reliquis omnibus prebendum exemplum, quemadmodum ipsum de facto fecisse atque dixisse legimus 1 5 in scriptura. Nam Matthei 8° et Luce 9° de sua paupertate loquens ait : Vulpes (oveas habent, volucres celi nidos ; filius autem hominis non habet, ubi reclinet caput. Ubi glossa : Cum ita sim pauper, ut nec hospicium habeam quod meum sit. � o Tante enim paupertatis (uit Dominus, ut, unde daret tributa, non haberet, secundum glossam super illud Matthei 18° : Sta­ terem illum assumens, da eis pro me et te. Nusquam ''tarnen':· legimus ipsum habuisse castra vel agros, aut cumulos the­ saurorum, ne statum sie habencium visus dampnare fuisset. § 38. Quod si tarnen Christus exercuisset permissa, potuis­ z; set hoc facere nil minus omnibus consiliis pariter observatis, quoniam ipse qui legislator erat, paterat huiusmodi exercere, 300 ne statum exercencium reprobare videretur. Unde talia non voluisset simpliciter, quemadmodum volunt infirmi qui ea volunt propter suum commodum, sed ea Christus voluisset 5 propter aliud et ea quodammodo nolens, quia non propter se, sed propter iam dietarn racionem. Reliqui vero perfecti tale

6 18

619

6 20 62 1

622

Matth. 19, 1? u. 21 ; Mark. 10,19-21 ; Luk. 18,1 8--22. Matth. 8,20 ; Luk. 9,58. Scholz 299 Anm. 2. Vielmehr zu Matth. 1 ?,2?; vgl. Anm. 584 u. 585. 3 1 2,5.

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'> 4 1

Willst du vollkommen sein. Mit diesen Worten Lei Matthäus im 19., bei Lukas im 18. und bei Markus im 10. Kap.61 8 hat Christus ausdrücklich zu verstehen gegeben, die Befolgung der Gebote genüge für das ewige Leben, als er dem, der danach fragte, nichts anderes antwortete als : Halte die Ge­ bote, roenn du zum Leben eingehen roillst. Darum war es für Christus nicht nötig oder angemessen, alles Erlaubte auszu­ üben, damit es nicht so aussähe, als ob er den Stand derer, die dergleichen ausübten, verdammt habe - er hatte ja schon zum Ausdruck gebracht, sie könnten allein durch Erfüllung der Weisungen oder Gebote, wobei er Gebot allgemein im positiven und negativen Sinne nahm, selig werden ; sondern mehr ziemte ihm selbst, die Ratschläge zu befolgen, z. B. die höchste Armut zu wahren und auf die Ehe zu verzichten, um für deren Befolgung allen anderen ein Vorbild zu geben ; so hat er tatsächlich gehandelt und gesprochen, wie wir in der Schrift lesen. Denn bei Matthäus im 8. und bei Lukas im 9. Kap.619 sagt er von seiner Armut : Die Füchse haben Gru­ ben, die Vögel unter dem Himmel haben Nester ; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege. Dazu bemerkt die Glosse62 0 : Da im so arm bin, daß im nicht einmal eine Unterkunft habe, die mein roäre. Denn so arm roar der Herr, daß er nichts hatte, roovon er die Steuern bezahlen konnte, nach der Glosse621 zu Matthäus Kap. 18 : Nimm jenen Stater und gib ihnen den für mim und dich. Nirgends ,jedoch lesen wir, er habe Schlösser622 oder Ländereien oder Haufen von Schätzen gehabt, damit es nicht so aussähe, als habe er den Stand derer, die in solcher Lebenslage sind, ver­ dammt. § 38 Wenn aber Christus dennoch das Erlaubte ausgeübt hätte, so hätte er das ebensogut unter gleich strenger Beob­ achtung aller Ratschläge tun können ; denn er als Gesetzgeber hätte dergleichen ausüben können, um nicht den Anschein zu erwecken, als mißbillige er den Stand derer, die das aus­ übten. Daher hätte er dergleichen nicht an und für sich gewollt, wie die Schwachen das wollen, die das ihres eigenen Vorteils wegen wollen, sondern Christus hätte das aus einem anderen Grunde gewollt, und zwar in gewissem Sinne widerstrebend, weil er das nicht um seinetwillen, sondern aus dem eben genannten Grunde gewollt hätte. Für die anderen

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dominium nullo modo possunt velle convenienter, summam consiliarum observantes. Non enim id possunt velle, ne sta­ tum aliorum dampnare videantur ; quoniam ad eos statum approbare vel dampnare non pertinet, eo quod legislatores non fuerunt nec sunt aut erunt. Si ergo tale dominium vellent, id vellent quemadmodum infirmi, non tamquam perfecti. Licuis­ set ergo Christo '�si voluisset'' hec exercere permissa, summam omnium consiliarum observans, quod tarnen alteri ab ipso minime licere potest propter causam iam dictam. § 39. Quod si queratur, quis tarn perfectus esse valeat, ut nihil simul temporalium velit habere, nisi sufficiens indigen­ cie presenti aut immediate instanti, quasi presenti ; dico, quod Christus et alii quicumque volentes, quamvis tales pauci sint, quoniam via hec arta est et angusta, et pauci ingrediuntur per e a m , ut scribitur Matthei 7°. Et die mihi tu, queso, quot sint martyres voluntarii temporibus hiis ? quot viri heroici ? quot Catones, Scipiones atque Fabricii ?

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Vollkommenen aber schickt es sich unter keinen Umständen, ein solches Eigentum zu wollen, wenn sie die Gesamtheit der Ratschläge befolgen. Sie können das ja nicht deshalb wo1len, damit es nicht so aussehen soll, als verdammten sie den Stand der anderen ; denn ihnen kommt nicht zu, einen Stand anzuerkennen oder zu verdammen, weil sie nicht Gesetzgeber waren noch sind noch sein werden. Wenn sie also ein solches Eigentum wollten, so würden sie es wollen wie die Schwa­ chen, nicht als Vollkommene. Für Christus wäre es also zu­ lässig gewesen, wenn er gewollt hätte, dieses Erlaubte unter Beobachtung der Gesamtheit aller Ratschläge auszuüben ; das kann jedoch aus dem eben genannten Grunde einem anderen als ihm in keinem Falle erlaubt sein. § 39 Sollte man also die Frage aufwerfen, wer so voll­ kommen zu sein vermöchte, daß er gleichzeitig an zeitlichen Gütern nur das haben wollte, was für den Bedarf in der Gegen wart oder der unmittelbar bevorstehenden Zukunft, fast in der Gegenwart, genügt, so würde ich antworten : Christus und alle anderen, die es wollten ; freilich gibt es deren wenige ; denn dieser Weg ist eng und smmal, und roenige wandeln auf ihm, wie bei Matthäus im 7. Kap.6 2 3 geschrieben steht, und sage mir bitte : Wie viele freiwillige Märtyrer gibt es in diesen Zeiten, wie viele heroische Gestalten, wieviel Männer wie Cato, Scipio und Fabricius ? 624

623

&24

Matth. 7,14. Scholz 300 Anm. 2.

D E F E N S O R PAC I S II, XIV

-

I I I , III

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C A P I T U L U M XIV

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5

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zo

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302

D e quib u s dam i n s t a n c i i s a d determinata in capitulo precedenti et ipsarum s o l u ci o n i b u s a c c o n f i rm a ci o n e d i c t o r u m in e o d e m c a p i t u l o . A d dicta vero sie intendentihus obiciet aliquis, quoniam si ministrantes evangelium, statum perfeccionis eciam servare volentes, episcopi atque presbyteri nihil servare possint propter suam futuram necessitatem supplendam, quin illud firmo proposito velle debeant tribuere pauperi vel pauperi­ bus occurrentibus primum et magis indigentibus cum reli­ quis que in descripcione summe paupertatis iam diximus ; quo modo poterunt intendere predicacioni verbi Dei et coti­ dianam vitam procurare, quod necessarium videtur, si nihil illis pro futuro sibi servare liceat ? Videntur enim hec simul fieri difficilia vel impossibilia quedam. Unde Actuum 6° : Non est equum nos derelinquere verbum Dei et ministrare mensis; innuentes apostoli quod duo hec simul fieri nequeunt. Liciturn est ergo perfectis propter suam necessitatem futuram supplendam temporalia reservare. Amplius ostenditur idem ex alio ; quoniam Iohannis 14° super illud : Q uia loculos. In quibus oblata servabantur etc., dicit glossa : In quo forma datur ecclesie servandi necessaria. Cum igitur in hoc loco ecclesie nomine intelligantur perfecti, precipue sacerdotes aut episcopi, videtur quod necessaria pro futuro sibi licite servare possint. Rursum super illud Matthei 7° : Nolite sol­ liciti esse in crastinum, dicit glossa : Sed nemo debet scanda­ lizari, si quem iustorum viderit hec necessaria sibi suisque

62 7 quin, vgl. Vo. 628 II 13, 22-32 . s2o

630 6Sl 6 32

II 13, 28. Acta 6 2 Scholz 301 Anm. 1 u. 2. Scholz 302 Anm. 1 ; Matth. 6,34. ,

.

Teil Il, Kapitel XIV 301

54?

K AP I T E L X I V m

5

Einige Einwände gegen d i e E rgebnis s e des voraus­ gehenden K a p itels, deren Entkrä ftung u n d die S i ch e r u n g d e s i n d e m s e l b e n K a p i t e l G e s a g t e n .

§ 1 626 I m Hinblick auf das Gesagte wird mancher einer solchen Ansicht entgegenhalten : Wenn ( 1 ) die Diener des Evangeliums, die auch den Stand der Vollkommenheit wah­ ren wollen, die Bischöfe und Priester, nichts aufbewahren könnten, um ihren künftigen notwendigen Bedarf zu befriedigen, vielmehr 627 das nur mit dem festen Vorsatz 1 0 wollen dürften, es an einen Armen oder die Armen auszu­ teilen, die ihnen zuerst begegneten und es mehr brauchten, und unter Berücksichtigung der < Bedingungen > , die wir in der Beschreibung der höchsten Armut eben62 8 g en a nn t h aben - wie könnten sie sich dann um die Verkündigung des Wortes Gottes bemühen und zugleich für den täglichen Unterhalt sor1 5 gen, was doch notwendig scheint, wenn ihnen nicht erlauht sein soll, sich etwas für die Zukunft aufzuheben ?62 9 Das zu­ gleich zu tun scheint nämlich schwierig oder ganz unmöglich. Daher heißt es in der Apostelgeschichte im 6. Kap. 630 : Es ist nicht recht, daß mir das Wort Gottes hintansetzen und bei Tische dienen, womit die Apostel darauf hinweisen, daß diese zwei Aufgaben sich nicht zugleich erfüllen lassen. Also ist es zo für die Vollkommenen zulässig, zeitliche Güter aufzuheben, um ihren notwendigen künftigen Bedarf zu befriedigen. Zweitens (2) wird dasselbe aus einem anderen < Gesichts­ punkt > bewiesen ; denn zu Johannes Kap. 14631 : Weil er die Kasse < führte > ; in ihr murden die Gaben aufbewahrt usw., sagt die Glosse : Hiermit wird der Kirche eine Form gegeben, das Notwendige aufzuheben. Da nun an dieser Stelle unter 25 der Bezeichnung K irche die Vollkommenen verstanden wer­ den, besonders die Priester oder Bischöfe, so scheint es zuläs­ sig, das für die Zukunft Notwendige sich aufzuheben. Drittens (3) über das Wort bei Matthäus im ?. Kap. : Sorget nicht auf 302 9-en morgenden Tag, sagt die Glosse632 : Aber niemand darf Anstoß nehmen, wenn er sieht, roie ein Gerechter dieses Not62 5 Scholz 301

626

Anm. 1 nad1 dem Zitat. I Einwände §§ 1-5, II Grundl egun g §§ 6-1 0, III Widerlegung §§ 1 1 bis 24.

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procurare, ne iudicet eum de crastino cogitare, quia ille qui hoc precepit, cui ministrabant angeli, propter hoc exemplum dandum loculos habuit, unde necessaria usibus preberet. Adhuc firmatur idem ex Iohannis 14°, ubi dicitur sie : Quidam autem putabant, quia loculos habebat Judas, quod dixisset ei lesus : Eme ea que opus sunt nobis ad diem festum. Ergo 1 0 pecuniam reservatam habebaut Christus et apostoli, unde talia emere poterant. Adhuc ostenditur idem ex alio ; quoniam Matthei 6° super illud : Respicite volatilia celi etc., dicit glossa : Non prohibet providenciam et laborem, sed sollicitu­ dinem, ut tota spes nostra sit in Deo. Perfectis igitur de 1 5 futuris sibi necessariis providere licet. Amplius ostenditur idem ex Matthei 14°, Marci 6° et 8° et Luce 1 0°. Dixit enim Christus ad apostolos : Quot panes habetis ? Qui dixerunt: septem. Hos autem servaverant extra presentem necessita­ tem ; ergo perfectis pro futuro sibi temporalia servare licet. § 2. Deinde ostenditur per necessitatem, quod perfecti 20 habeant vel habere possint, eciam perfecti manentes, domi­ nium dieturn secundum primam aut secundam vel terciam speciem dominii rerum temporalium, vel usus earum in pro25 prio aut cum alio vel aliis in communi, et maxime rerum que unico aliquo usu consumptibiles sunt. Primum quidem appa­ ret hoc ex Luce 22°, cum loquens Christus ad apostolos ait : Et qui non habet, vendat tunicam suam et emat gladium. Sed qui emit aut vendit aliquid, dominium rei vel precii transfert 303 in alterum. Nullus autem in alterum transfert, quod prius non habuit. Dominium igitur habuerunt Christus et apostoli supradictum. 5

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li 12, 13-15. Luk. 22,36.

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roendige sich und den Seinen verschafft; er soll nicht urteilen : Der denkt an den morgigen Tag; denn der, der dieses Gebot 5 gab, dem die Engel dienten, hatte, um dieses Beispiel zu geben, eine Kasse, aus der er das Notroendige für den Bedarf liefern mallte. Viertens (4) wird dasselbe durch Johannes Kap. 1463 1 bestätigt, wo es heißt : Einige aber meinten, roeil Judas die Kasse hatte, habe ]esus ihm gesagt: Kaufe, roas mir zum Fest nötig haben. Also hatten Christus und die 10 Apostel zurückgelegtes Geld, von dem sie dergleichen kaufen konnten. Fünftens (5) läßt sich dasselbe aus einem anderen < Gesichtspunkt > nachweisen ; denn zu Matthäus Kap. 6 : Seht die Vögel unter dem Himmel an usw., sagt die Glosse63 3 : Er verbietet Voraussicht und Arbeit nicht, sondern nur die ängstliche Sorge, damit unsere ganze Hoffnung auf Gott beruhe. Die Vollkommenen dürfen also wegen des künftig 15 Notwendigen Vorsorge treffen. Sechstens (6) wird dasselbe aus Matthäus Kap. 14, Markus 6 und 8 und Lukas 1 01)34 bewiesen. Christus hat nämlich zu den Aposteln gesagt : Wieviel Brote habt ihr ? Diese antworteten : sieben. Diese aber hatten sie über den gegenwärtigen notwendigen Be­ darf hinaus aufgehoben. Also dürfen die Vollkommenen sich für die Zukunft zeitliche Güter aufheben. 20 § 2 ( 7) Siebentens läßt sich mit logischer Notwendigkeit nachweisen : Die Vollkommenen haben - oder können es haben -, auch wenn sie Vollkommene bleiben, Eigentum in der ersten oder zweiten oder dritten Art 635 von Eigentum an zeitlichen Dingen oder an deren Gebrauch als persönliches Eigentum oder mit einem oder mehreren anderen in Gemein25 eigenturn und vor allem an Dingen, die durch einen einzigen Gebrauch verzehrbar sind. Erstens ergibt sich das aus Lukas Kap. 22 636 , wenn Christus zu den Aposteln spricht : Und mer nidds hat, verkaufe seinen Rock und kaufe ein Schroert. Wer etwas kauft oder verkauft, überträgt das Eigentum an der Sache oder am Kaufpreis auf einen anderen. Nun überträgt keiner auf einen anderen, was er zuvor nicht gehabt hat. Also haben Christus und die Apostel das obengenan nte Eigentum gehabt. 633 6 34

Scholz 302 Anm. 3; Matth. 6,26. Matth. 14, 1 ? ; Mark. 6,38 (zitiert) ; Mark. 8,5 ; Luk. 9,13.

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§ 3. Deinde ostendo idem ex alio sie : quoniam qui habuit usum licitum alicuius rei ab illius dominio iam dicto insepa­ rabilem, ex necessitate habuit rei dominium. Sed Christus et apostoli talium rerum h abuerunt usum ; ergo per necessi­ tatem ipsarum dominium. Prima proposicio huius deducci­ onis famosa est. Secunda vero probatur ex eo usu rerum consumptibilium, quem Christus et apostoli habuerunt, quoniam vel habuerunt usum rei sue de iure vel non sue de iure. Si usum rei sue de iure, ergo habuerunt simul cum usu rei domi­ nium ; si vero rei non sue, aut ergo aliene aut rei que in nullius bonis erat ante usum eius. Si rei que in nullius bonis erat, cum talis occupanti concedatur de iure, Christus autem et apostoli per necessitatem prius aut simul tempore cum usu rem occu ­ paverunt, ergo ipsius dominium ante usum vel simul cum usu h abuerunt. Si vero usus talis fuit in rem alienam, aut fuit hoc concedente domino rei vel non concedente. Si non concedente et maxime in usu rem consumente aut alio quem dominus de iure prohibuisse presumitur, talis usus esset illicitus, quod nefas esset de Christo aut apostolis dicere. Si vero huiusmodi usus rem aliquam consumens fuerit concedente domino, aut igitur rei dominus concessit utenti usum solum absque domi­ nio aut usum cum dominio simul. Si usum absque dominio, usus fuisset illicitus, quoniam ex tali usu privatur dominus dominio rei absque facto suo, quod licite seu de iure fieri non potest. Si vero usum cum dominio concessit dominus sie

637 Ansichten des Gegners werden wie eigene vorgetragen. 6 '18

Lehre J ohanns XXII., vgl. Anm. 508 und Scholz 303 Anm. 1.

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§ 3 (8) Achtens beweise ich637 dasselbe aus einem anderen < Gesichtspunkt > : Wer den zulässigen Gebrauch einer Sache 5 gehabt hat - und dieser ist von dem eben genannten Eigen­ tum an ihr untrennbar638 -, hat mit Notwendigkeit Eigentum an der Sache gehabt. Nun haben Christus und die Apostel den Gebrauch von solchen Dingen gehabt ; also notwendigerweise Eigentum an ihnen. Der Obersatz dieses Beweisganges ist bekannt. Der Untersatz wird aus dem Gebrauch der verzehrto baren Dinge bewiesen, den Christus und die Apostel gehabt haben. Denn entweder hatten sie den rechtmäßigen Gebrauch e i n e r v o n i h r e n S a c h e n oder einer Sache, d i e n i c h t d i e i h r i g e w a r . Beim rechtmäßigen Gebrauclt e i n e r v o n i h r e n S a c h e n hatten sie also zugleich mit dem Gebrauch der Sache das Eigentum. Beim Gebrauch einer Sache, d i e n i c h t d i e i h r i g e w a r , hatten sie also ent­ weder < den Gebrauch > einer f r e m d e n oder einer, die vor ihrem Gebrauch h e r r e n I o s war. Wenn sie den einer h e r r e n I o s e n Sache hatten, < so waren sie Eigentümer > , d a ein solcher Gebrauch einem, der sie sich aneignet, von 1 5 Rechts wegen zugestanden wird ; nun haben Christus und die Apostel notwendigerweise früher oder gleicltzeitig mit dem Gebrauch sich die Sache angeeignet ; also hatten sie Eigentum an ihr vor oder zugleich mit dem Gebrauch. Hat aber ein solcher Gebrauch einer f r e m d e n Sache gegolten, so gebrauchten sie diese entweder mit Erlaubnis des Eigen:zo tümers oder ohne dessen Erlaubnis. Wenn o h n e E r I a u b n i s und besonders bei einem Gebrauch, der die Sache verzehrt, oder einem anderen, den voraussichtlich der Eigentümer von Rechts wegen verboten h at, so wäre ein solcher Gebrauch un­ zulässig, was von Christus oder den Aposteln zu behaupten Sünde wäre. Wenn aber ein derartiger Gebrauch, der eine Sache verzehrt, m i t E r I a u b n i s des Eigentümers erfolgt ist, so hat also der Eigentümer der Sache dem, der sie gebraucht, 25 entweder nur den Gebrauch erlaubt o h n e E i g e n t u m oder den Gebrauch m i t d e m E i g e n t u m zugleich. Wenn den Ge­ brauch o h n e E i g e n t u m , so wäre der Gebrauch unzu­ lässig gewesen ; denn irrfolge eines solchen Gebrauchs wird der Eigentümer des Eigentums an der Sache ohne sein Zutun beraubt, was in zulässiger oder rechtlicher Form nicht mög­ lich ist. Wenn aber der Eigentümer den Gebrauch m i t d e m

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utenti, apparet manifeste, quod sie utens, perfectus existens, eciam simul cum usu per necessitatem habuit rei dominium . § 4. Amplius, si perfectus nullum haberet rei dominium, sequeretur, quod auferens ab ipso eciam actualiter indigente rem temporalem, licite auferret, quoniam de iure. Nam que 5 in nullins bonis sunt licite seu de iure, a quolibet occupari possunt. Sed que per nullum vendicari possunt, in nullins bonis sunt. Talia vero sunt que habet perfectus, ut ex priori­ bus ypothesibus satis apparet. Amplius, qui debent hospitalitatem servare, necessario provisionem futurorum et aliquorum dominium oportet 1 0 habere. Omnes apostolorum successores, episcopi scilicet, ad hospitalitatem tenentur. Unde t a ad Timotheum 3° et ad Ti­ turn 1 ° : Episcopum oportet hospitalem esse. Adhuc videntur hoc fecisse sancti patres episcopi ; ha1 5 buerunt enim agros et possessiones in suo dominio, saltem in communi cum aliis episcopis atque presbyteris. Unde Am­ hrosius in epistola De Tradendis Basilicis ait : Agri ecclesie solvunt tributum. Ergo agros et immobilia possidebant viri perfecti, qui eciam ecclesie nomine designantur aut designari debent, precipue sacerdotes. 20 § 5. Ostenditur autem hoc de Christo in speciali. Primum quidem, quoniam secundum Ieges eciam humanas, qui ali­ quem redimit a morte, illius dominus efficitur et per conse­ quens omnium suorum temporalium. Sed Christus nos a 25 morte redemit, non quacumque, sed ab eterna ; ergo nostro­ rum corporum et temporalium acquisivit dominium. Rur­ sum Apocalypseos 19° scribitur de ipso, quod habebat scrip­ turn in vestimento : rex regum et dominus dominancium. Ubi glossa : In vestimento, scilicet humanitatis. Cum igitur rex et

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6 39 Die Sache des Vollkommenen ist nicht herrenlos. 6 4 o 1. Tim. 3,2 ; Tit. 1 ,7.

6 4 1 Scholz 304 Anm. 2. dem römischen Recht ; vgl. Scholz 304 Anm. 3 . 643 Offb. 19,16 u n d Interlinearglosse dazu. 644 V gl. § 24. 642

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E i g e n t u m dem überlassen hat, der sie in diesem Sinne gebraucht, so ergibt sich deutlich. daß der, der sie in diesem Sinne gebraucht, auch ohne seine Vollkommenheit zu ver­ lieren, zugleich mit dem Gebrauch notwendigerweise Eigen­ tum an der Sache gehabt hat. § 4 (9) Neuntens, hätte der Vollkommene kein Eigentum an der Sache, so würde folgen : Wer ihm die Sache wegnähme, wäre dazu berechtigt, auch wenn der Vollkommene im Augenblick ihrer bedarf ; er täte es ja von Rechts wegen. Denn Aneignung des Herrenlosen 639 ist für jeden zulässig oder rechtlich erlaubt. Abe;r was niemand in Anspruch neh­ men kann, ist herrenlos. Solcherart ist das, was der Voll­ kommene hat, wie aus den früheren Voraussetzungen zur Genüge hervorgeht. (10) Zehntens, wer Gastlichkeit üben soll, muß notwen­ digerweise Vorrat für die Zukunft und damit Eigentum an etwas haben. Alle Nachfolger der Apostel, die Bischöfe, sind zur Gastlichkeit verpflichtet. Daher heißt es im 1. Brief an Timotheus im 3 . und an Titus im 1. Kap. 64 0 : Ein Bisdwf soll gastfrei sein. (1 1) Elftens scheinen das die heiligen Väter, soweit sie Bischöfe waren, getan zu haben ; sie hatten nämlich Ländereien und Besitzungen als Eigentum, wenigstens in Gemeineigentum mit anderen Bischöfen und Priestern. Daher sagt Ambrosius in dem Briefe über die Übergabe der Basiliken64 1 : Die Ländereien der Kirdw zahlen Steuer. Also Ländereien und unbewegliche Güter besaßen die vollkom­ menen Männer, die auch mit dem Namen Kirche bezeichnet werden müssen, besonders die Priester. § 5 (12) Das läßt sich zwölftens auch von Christus im besonderen nachweisen. Zunächst : Nach den Gesetzen, auch den menschlichen 642 , wird der, der einen vom Tode errettet, dessen Herr und folglich Herr aller seiner zeitlichen Güter. Nun hat uns Christus vom Tode errettet, nicht von irgendeinem, sondern vom ewigen. Also hat er das Eigentum an unseren Körpern und zeitlichen Gütern erworben. (13) Und dann steht in der Offenbarung Kap. 19 643 von ihm : Er trug auf seinem Kleide < Seinen Namen > geschrieben : König der Könige und Herr der Herren. Dazu erklärt die Glosse : Auf dem Kleide, nämlich dem des Menschsein s 644 Da also der .

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d om_inus omnium eorum habeat dominium, apparet, quod Christus in rebus temporalibus hoc habuerit. § 6. Ex prius autem diffinitis a nobis de summa paupertate temporalium atque dominio responderi poterit convenienter hiis que obiecta sunt ex presenti capitulo, secundum Christi 5 tarnen et apostoli sentenciam ; primum apponentes, quod ministri evangelii, presbyteri seu episcopi, cum reliquis in­ ferioris ordinis, contentari debent alimento cotidiano et ne­ cessario tegumento, statum perfeccionis seu summam pau­ pertatem custodire volentes. Unde 1a ad Timotheum ultimo : 10 Habenies autem alimenta et qu i bus tegamur, hiis contenti simus. Que siquidem evangelizantibus ministrare tenentur, secundum Iegern divinam saltem, quibus evangelica predi­ cacio ministratur. Hoc enim figuraliter dieturn Deuterono­ mii 25° : Non alligabis os bovis triturantis in area fruges tuas, t 5 exponens Paulus 1 a ad Corinthios 9°, tamquam dieturn prop­ tcr futuros evangelii doctores atque ministros, sie ait : Num­ quid de bobus cura est Deo, an propter nos utique dicit? I dem apparet ex Matthei 10°, dum ad hoc et propter hoc proposi­ tum dixit Christus : Dignus est operarius cibo suo. Debent 20 ergo suscipientes evangelium victum cotidianum atque vesti­ tum evangelizanti ministrare, si possint. Et hoc tamquam debitum ex lege divina petere possunt evangelizantes licite, quamvis non in iudicio coactivo prcsentis seculi, idque qui25 bus evangelium ministratur, si possint exhibere, recusantes in legem divinam committunt. Unde 1 a ad Corinthios 9° : Ita et Dominus ordinavit hiis qui evangelium enunciant, de evange­ lio vivere. Sicut qui pascit gregem, de lacte gregis manducat; et qui plantat vineam, de fructu eius edit. Ad aliam vero, 30

3 05

6 45 II 13, 22-32. 6 4 6 apponentes, als wenn vorausginge : respondere poterimus. vgl. II 1 1 ,4 Ende (260, 4-10) . 6 47 1 . Tim. 6,8 : TO VTotc; a(!xt:a{}1}acip,t:{}a; vgl. Scholz 305 Anm. 1 . 6 48 5. Mos. 25,4. 6 49 1. Kor. 9,9-1 0 : utique :nav-rwc;. 6 5 0 Matth. 1 0, 1 0. =

'' " 1

Nach 1 . Kor. 9,14 und 7.

Zur Sache

Teil II, Kapitel XlV

König und Herr das Eigentum an alledem hat, so ergibt sich : Christus hat Eigentum an zeitlichen Dingen gehabt. § 6 Auf Grund unserer früheren 645 Feststellungen über die höchste Armut an zeitlichen Gütern und das Eigentum an ihnen, wird man aber auf die < Einwürfe > des gegenwärtigen Kapitels mit Leichtigkeit antworten können, doch in über3 einstimmung mit Christi und des Apostels Meinung. Zu­ nächst fügen wir dem hinzu 646 : Die Diener des Evangeliums, die Priester oder Bischöfe mit den übrigen < Geistlichen > niederen Ranges, müssen sich mit der täglichen Nahrung und der notwendigen Kleidung begnügen, wenn sie den Stand der Vollkommenheit oder die höchste Armut wahren wollen. Daher heißt es im 1 . Brief an Timotheus im letzten Kapitel647 : 1 0 Haben mir aber Nahrung und Kleidung, s o laßt uns dm·an genügen. Das den Verkündern des Evangeliums zu bieten, sind ja, nach dem göttlichen Gesetz wenigstens, d i e ver­ pflichtet, denen die Verkündigung des Evangeliums geboten wird. Was nämlich im Deuteronomium im 25. Kap. 648 bildlich ausgedrückt ist : Du sollst einem Ochsen nicht das Maul ver­ binden, roährend er auf der Tenne dein Getreide drischt, n das erläutert Paulus im 1 . K orintherbrief im 9. Kap. 64 9 als für die künftigen Lehrer und Diener des Evangeliums ge­ meint mit folgenden Worten : Kümmert sich Gott etroa um die Ochsen ? Oder spricht er nicht ganz und gar unseretroegen ? Dasselbe ergibt sich aus Matthäus Kap. 1 0. 65° Christus hat nämlich zu diesem Thema und wegen dieses Themas gesagt : Der Arbeiter ist seiner Nahrung roert. Die das Evangelium 20 erhalten, müssen also dem Verkünder des Evangeliums täg­ liche Nahrung und Kleidung liefern, wenn sie dazu imstande sind. Das können die Verkündiger des Evangeliums als ihnen zustehend nach dem göttlichen Gesetz zulässigerweise ver­ langen, wiewohl nicht vor einem zwingenden Gericht in der gegenwärtigen Welt, und wenn das die, denen das Evange­ lium geboten wird, leisten können und es trotzdem ver25 weigern, so vergehen sie sich gegen das göttliche Gesetz. Daher heißt es im 1. Korintherbrief im 9. Kap.651 : So hat auch der Herr denen, die das Evangelium verkündigen, befohlen, vom Evangelium zu leben roie derjenige, der die Herde meidet, von der Milch der Herde sich nährt und wer einen Weinberg pflanzt, von seiner Frucht ißt. Zu einein anderen aber, dem 3o

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decimam aut partem aliquam suorum proventuum nemo fidelium evangelizantibus secundum scripturam tenetur. § 7. Quod si quibus evangelium ministratur tante paupertatis essent, ut evangelizanti sufficienciam victus atque vesti­ 5 tus ministrare nequirent, non obligantur ad hoc lege divina ; sed debet ipse aliunde sibi querere necessaria vite, ut alia doctrina vel arte operativa, si quam noverit exercere, aut alio quodam honesto et convenienti modo. Sie enim faciebat 1 0 apostolus, ne pauperibus quibus evangelizabat onerosus red­ deretur. Unde Actuum 20° de se loquens ait : Aurum et argen­ turn nullius concupivi, ipsi scitis, quoniam ad ea que mihi opus erant et hiis qui mecum sunt laboraverunt manus iste. ldem dixit 2a [ad] Thessaloniceilses ultimo : Neque, inquit, 1 5 panem gratis manducavimus ab aliquo, sed in labore et fati­ gacione, nocte et die operantes, ne quem vestrum gravare­ mus. Verum aucto iam fidelium devotorum numero, et preci­ pue temporibus hiis, nec Iaborare manibus neque mendicare necesse est doctrine sacre ministros. Nam statuta sunt et ordizo n ata in fidelium communitatibus tarn per legis humane lato­ rem, quam personas aliquas singlllares proventus quidam, tarn ex mobilibus, quam ex immobilibus, ex quibus sufficien­ ter, quinimo habundanter ministrantes evangelium susten­ tari possunt. § 8. lnterrogabit autem aliquis, cuius aut quorum sit ho­ 25 rum temporalium, precipue immobilium, iam dieturn do­ minium seu vendicandi potestas coram iudice coactivo pre­ sentis seculi, cum tale dominium ministris evangelicis per­ fectis existentibus convenire non possit secundum deter­ minacionem capituli precedentis. Nos vero dicamus domi3 0 nium temporalium, que sunt pro ministrorum evangelicorum sustentacione statuta, legislatoris esse aut eius vel eorum qui per legislatorem ad hoc fuerint deputati vel per eos qui 652 Acta 20, 33-34. 6 5 3 2. Thess. 3,8 : ovoe owesdv ai]TOV icpayop,sv naea TtVovorden, das bei Johannes im 20. Kap. 749 geschrieben steht ; Christus hat nämlich zu ihnen gesagt : N ehmet hin den heiligen Geist! 20 Und deren7 50 Sünden ihr erlaßt, denen werden sie erlassen, und denen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten. Wieder andere sagen, es sei durch das Wort geschehen, das bei Matthäus im 16. Kap.751 steht ; Christus hat nämlich zu ihnen in der Person des Petrus gesagt : Im will dir des Himmelreims Smlüssel geben, oder durch das, was ihnen Christus in demselben Evangelium im 18. Kap.75 2 gesagt 25 hat : W ahrlim, im sage eum : Was ihr auf Erden binden werdet, soll aum im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll aum ' im Himmel los sein. Noch andere behaupten hingegen, die vorhin genannten priesterlichen Gewalten oder Vollmachten seien zwei : die 30 eine, das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen, die andere, die Menschen zu binden oder von den Sünden los­ 328 zusprechen ; diese seien auch zu verschiedenen Zeiten und durch verschiedene Worte Christi den Aposteln verliehen worden.753 Es isf jedoch für unsere gegenwärtige Absicht be­ langlos, welche von beiden Ansichten die richtige ist. Denn in ; welcher Form und wann auch immer die Übertragung dieses Amtes auf die Apostel erfolgt sein mag, es steht fest : Chri­ stus hat ihnen diese Gewalt übergeben, und sie wird daher in der Symbolhandlung der Apostel und ihrer Nachfolger den anderen verliehen, die zu diesem Amt genommen werden. Daher heiRt es im 1 . Brief an Timotheus im 4. Kap. 754 : 10 Amte die Gnadengabe in dir nimt gering, die dir gegeben ist durm Weissagung mit Handauflegung des Altesten. Und in derselben Form erhalten die Diakonen ihren be­ stimmten Charakter durch die Handauflegung des Prie­ sters. Von diesen heißt es in der Apostelgeschichte im 6. Kap.755 : Diese, die künftigen Diakonen, stellten sie vor das Angesimt der Apostel und sie beteten756 und legten 15 ihnen die Hände auf. 749 J oh. 20, 22-23. 750 äv TtvWV dtpijTe. 75 1 Matth. 16,19. 752 Matth. 18,18.

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§ 4. Rune siquidem sacerdotalem caracterem sive unum sive plures, quem diximus potestatem conficiendi sacramen­ tum eucharistie seu corporis et sanguinis Christi ac potesta20 tem solvendi atque ligandi hornirres a peccatis, et quem eciam deinceps appellahimus auctoritatem essencialem seu insepa­ rabilem presbytero, inquantum presbyter est, prohabiliter mihi videtur, quod omnes sacerdotes habent eundem specie, nec ampliorem habet hunc Romanus episcopus aut alter ali2> quis, quam simplex dictus sacerdos quicumque. Nam in hac auctoritate, sive una sive plures extent, episcopus a sacer­ dote non differt, ·teste Ieronymo, imo verius apostolo, cuius 329 eciam est aperta sentencia, ut infra patehit. Inquit enim Iero­ nymus super illud Matthei 1 6° : Et quodcumque ligaveris s uper terram etc. : Habent quidem eandem iudiciariam pote­ statem alii apostoli, supple : quam habuit Petrus, quibus post 5 resurreccionem ait, Christus scilicet : Accipite spiritum sanc­ tum; quorum remiseritis peccata, remittuntur eis etc. Habet omnis ecclesia in presbyteris et episcopis; preponens in hoc presbyteros, quoniam auctoritas hec debetur preshytero in­ quantum presbyter primo et secundum quod ipsum. De potet o state [vero sacramenti] eucharistie nemo contendit, quin equalis sit in quovis sacerdote illi que Romani pontificis. Ideoque mirandum est, cur contendant aliqui pertinaciter asserentes, minus tarnen racionabiliter, Romanum pontificem reliquis sacerdotibus ampliorem clavium a Christo potestan tem habere, cum id ex scriptura convinci nequeat, sed oppo­ situm magis. § 5. Propter que eciam evidencius intuenda debet nos non latere, quod hec nomina : presbyter et episcopus in ecclesia primitiva fuerunt synonyma, quamvis a diversis proprietati­ zo bus eidem imposita fuerint. Nam presbyter ab etate nomen impositum est, quasi senior ; episcopus vero a dignitate seu cura super alios, quasi superintendens. Unde Ieronymus in 75 8

Scholz 329 Anm. 1 . secundum < i d > quod ipsum attinet; vgl. Vo. 7 6 0 behauptet, daR nicht (quin) . 76 1 S cholz 329 Anm. 2. 759

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§ 4 Diesen priesterlichen Charakter, sei es einer, seien es mehrere, den wir genannt haben : die Gewalt, das Sakra­ ment der Eucharistie oder des Leibes und Blutes Christi zu vollziehen, und die Gewalt, die Menschen von ihren Sünden zo zu lösen und sie zu binden, und den wir auch im folgenden die wesentliche oder vom Priester als Priester untrennbare Vollmacht nennen werden, diesen Charakter, scheint mir, besitzen alle Priester in der gleichen Weise, und der römische Bischof oder irgendein anderer besitzt keinen umfassenderen 25 als jeder sogenannte einfache Priester.75 7 Denn in dieser Voll­ macht, mag es eine, mögen es mehrere sein, unterscheidet sich der Bischof nicht vom Priester nach dem Zeugnis des Hierony­ mus, vielmehr richtiger des Apostels, dessen Meinung auch unmißverständlich ist, wie unten sich zeigen wird. Hierony­ 329 mus758 sagt nämlich zu jener Stelle bei Matthäus im 16. Kap. : Und was du auf Erden binden wirst usw. : Die anderen Apostel haben dieselbe riChtende Gewalt, ergänze : die Petrus 5 hatte , denn z u ihnen sagt er, Christus, naCh der Auferstehung : Nehmet hin den heiligen Geist! Deren Sünden ihr erlaßt, denen werden sie erlassen usw. hat nämlidt die ganze KirChe in den Priestern und BisChöfen! Dabei stellt er die Priester voran, da ja diese Vollmacht dem Priester als Priester in erster Linie und als solchem759 gebührt. Bei der 1 0 Gewalt des Sakraments der Eucharistie bestreitef 76 0 niemand, daR sie in jedem Priester der des römischen Papstes gleich ist. Darum ist es verwunderlich, warum einige behaupten und hartnäckig versichern - weniger jedoch mit Vernunftgrün­ den �, der römische Papst habe von Christus eine umfassen­ dere Schlüsselgewalt erhalten als die anderen Priester76 1, ob1 5 wohl das aus der Schrift nicht bewiesen werden kann, son­ dern vielmehr das Gegenteil. § 5 Um das noch klarer zu fassen, dürfen wir nicht über­ sehen, daR die Bezeichnungen Priester und BisChof in der Ur­ kirche gleichbedeutend waren, obwohl sie von verschiedenen Eigenschaften aus demselben Mann beigelegt worden sind. zo Denn Priester ist eine vom Alter her beigelegte Bezeichnung, soviel wie Ältester ; Bis Chof < Aufseher > aber von der Würde oder der Fürsorge für die anderen, soviel wie Aufsichtführen757 Vgl. J ohannes von Paris, De potestate regia et papali, c.

XII.

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epistola quadam Ad Evandrum preshyterum, que intitulari solet : Q ualiter presbyter et diaconus . differant, inquit sie : et episcopus, aliud etatis, aliud dignitatis est 25 Presbyter nomen. Unde et ad Titum et ad Timotheum de ordinacione 330 episcopi et diaconi dicitur, de presbyteris omnino reticetur, quia. in episcopo presbyter continetur. Hoc eciam manifeste apparet per apostolum ad Philippenses 1 °, cum dixit : Omnibus sa.nctis in Christo lesu, qui sunt Philippis, cum episcopis et 5 dia.conibus. Ecce quod sacerdotes non aliter nominavif quam episcopos. Certurn enim est, quod episcopi plures in unica civitate non aliter erant, nisi quia plures sacerdotes. Idem rursum palam per eundem ad Titum 1 °, cum dixit : Huius rei gra.cia. reliqui te Crete, ut ea. que desuni corriga.s, et constito tua.s per civita.tes presbyteros, sicut ego tibi disposui, si quis sine crimine est. Et immediate subiungens constituendorum preshyterorum qualitatem, ait : Oportet enim episcopum sine crimine esse, sicut Dei dispensa.torem. Ecce quod consti­ tuendum preshyterum non nisi episcopum vocavit. Idem t 5 Actuum 20° loquens ad unius ecclesie sacerdotes, Ephesi vide­ licet, inquit : Attendite vobis et universo gregi, in quo vos spiritus sanctus posuit episcopos regere ecclesia.m Dei, qua.m a.cquisivit sanguine suo. Ecce quod in ecclesia unius muni­ cipii, videlicet Ephesi, plures allocutus est apostolus tam20 quam episcopos : quod non fuit, nisi propter sacerdotum pluralitatem, qui omnes episcopi dicehantur, propter hoc quod superintendentes esse debehant populo ; quamvis hoc nomen in posteriori ecclesia sibi solum retinuerit qui primus sacerdotum einsdem civitatis aut loci per reliquos sacerdotes 25 et populum instituehatur. Vocahat autem apostolus eos magis episcopos quam preshyteros, ut ad eorum memoriam reduceret curam et sollicitudinem quam habere debent reli­ quorum fidelium. Seipsum autem preshyterum vocabat, non 763 764 765

766

Phil. 1 , 1 . Tit. 1 ,5-?. Acta 20 ,28. 3 3 1 , 1 9.

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der. In einem Brief an den Priester Evander, der betitelt zu werden pflegt : Wie Priester und Diakon siCh untersCheiden, sagt daher Hieronymus76 2 : Priester und BisChof : das eine ist 2'5 eine BezeiChnung naCh dem Alter, das andere eine naCh der Würde. Daher wird im Brief an Titus wie im 1 . Brief an Ti­ motheus von der Ordination des BisChofs und Diakons gesproChen, von den Priestern ganz gesChwiegen, weil der 3 30 Priester im BisChof enthalten ist. Das ergibt sich auch deut­ lich aus den Worten des Apostels im Philipperbrief im 1 . Kap. 763 : Allen Heiligen in Christus ]esus zu Philippi samt 5 BisChöfen und Diakonen. Beachte : Die Priester hat er nicht anders denn als Bischöfe bezeichnet. Sicher ist nämlich : mehrere Bischöfe in einer einzigen Stadt bedeuteten nichts anderes als mehrere Priester. Dasselbe wird ferner klar durd1 einen Satz desselben Apostels im Brief an Titus im 1 . Kap. 764 : Deshalb habe iCh diCh in Kreta zurückgelassen, daß du, was noCh fehlt, vollends riChtig maChest und in jeder Stadt Priester 1 0 bestellest, wie iCh dir aufgetragen habe, wenn einer unbe­ sCholten ist. Als er unmittelbar darauf noch die Charakter­ eigenschaften der einzusetzenden Priester nennt, sagt er : Denn der BisChof soll unbesCholten sein als Haushalter Gottes. Beachte : Den einzusetzenden Priester hat er nur Bischof ge­ nannt. Dasselbe sagt er in der Apostelgeschichte im 20. Kap.765 t5 zu den P riestern einer einzigen Gemeinde, von Ephesus : AChtet nun auf euCh selbst und die ganze Herde, in der euCh der heilige Geist zu BisChöfen bestellt hat, zu leiten die Ge­ meinde Gottes, die er erworben hat durCh sein Blut. Be­ achte : in der Gemeinde einer einzigen Stadt, von Ephesus, hat der Apostel mehrere als Bischöfe angeredet ; das geschah 20 nur wegen der Vielzahl der Priester, die alle BisChöfe genannt wurden, weil sie Aufsichtsführende über die Ge­ meinde sein sollten ; indessen hat in der späteren Kirche diese Bezeidmung sich der allein vorbehalten766, der vor den übri­ gen Priestern und dem Volk zum ersten Priester derselben 25 Stadt oder Gegend eingesetzt wurde. Der Apostel nannte sie aber lieber Bismöfe als Priester, um ihnen die liebevolle Für­ sorge ins Gedämtnis zu rufen, die sie für die anderen Gläu­ bigen haben sollen. Sim selbst aber nannte er Priester, nicht 76 2

Scholz 329 Anm. 3.

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episcopum, propter humilitatem, ut apparet ex preinducta serie 1a ad Timotheum 4°, cum dixit : Noli negligere graciam ete. Sie eciam Petrus atque Iohannes se vocaverunt seniores, id est presbyteros, quoniam nomen hoc ab etate impositum fuit. Unde 1a Petri 5° : Seniores ergo qui in vobis sunt obsecro 5 consenior et testis Christi passionum. Et 2a Johannis 1 ° : Senior electe domine et natis eius. Et rursum eiusdem 3e, 1 ° : Senior Gaio carissimo. Verum ubi eommunis Iitera eanonis habet senior aut consenior, beatus Ieronymus in epistola predicta ubique habet presbyter aut conpresbyter; quoniam hiis nominibus tamquam synonymis utebantur apostoli. 10 § 6. Post hee autem apostolorum tempora, numero sacer­ dotum notabiliter aucto, ad scandalum et scisma evitandum elegerunt saeerdotes unum ex ipsis, qui alios dirigeret et ordinaret quantum ad ecclesiastieum offieium et servicium exercendum et oblata distribuendum, ae reliqua disponen1 5 dum eonvenieneiori modo, ne istud quolibet pro libito faciente et quandoque minus debite, yeonomia et servieium templorum turbaretur propter a:ffe eeionum diversitates. Hic siquidem electus ad alios sacerdotes regulandos ex posterio­ rum consuetudine retinuit sibi soli nomen episeopi, quasi 2 0 superintendentis, eo quod non solum fideli populo super­ intendens erat, propter quod omnes sacerdotes in ecclesia primitiva dieebantur episcopi, verum eeiam quia superinten­ debat reliquis conpresbyteris suis, propter quod talis An­ tiochie sibi soli nomen episcopi retinuit, eeteris sibi post25 modum simplex nomen retinentibus saeerdotis. § 7. Verum iam dicta eleecio seu institucio per hominem facta sie electo nihil amplioris meriti esseneialis seu saeerdotalis auctoritatis aut prius diete potestatis tribuit, sed

30

33 1

332

769 1.

Petr. 5 , 1 . J oh. 1 , 1 . J oh. 1 , 1 . Gemeint i s t Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Schriften, wie sie sich eben in dem Ausdruck senior gezeigt hat.

110 2 . 111 3.

112

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Bischof, aus Demut, wie sich aus der oben767 angeführten Stelle im 1 . Brief an Timotheus im 4. K ap.76 8 ergibt : AChte die Gnadengabe nicht gering usw. So haben auch Petrus und J ohannes sich Älteste genannt, d. h. Presbyter, da ja diese Bezeichnung vom Alter her geprägt ist. Daher heißt es im 1 . Brief des Petrus im 5. Kap. 769 : Die Altesten nun unter euch beschwöre ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, und im 2. Brief des Johannes im 1 . Kap.170 : Der A'lteste an die auserwählte Herrin und ihre Kinder, und ferner bei dem­ selben im 3. Brief im 1 . Kap. 771 : Der Alteste an seinen lieben Gaius. Aber wo die übereinstimmende172 Überlieferung des Kanons Altester oder Mitältester bietet, hat der selige Hiero­ nymus in dem obengenannten Briefe überall Priester oder Mitpriester, da ja die Apostel diese Bezeichnungen als gleich­ hedeutend gebrauchten. § 6 Als aber nach den Zeiten der Apostel die Zahl der Priester merklich gestiegen war, wählten die Priester zur Vermeidung von Ärgernis und Spaltung einen aus ihrer Mitte, der die anderen leiten und anweisen sollte in der Ausübung des kirchlichen Amtes und Dienstes, in der Ver­ teilung der Liebesgaben und, der angemessenen Verwaltung der übrigen Dinge, damit nicht Kirchenverwaltung und Kirchendienst in Unordnung komme durch einander wider­ sprechende Wünsche, wenn jeder nach Belieben und manchmal in ungehöriger Weise das täte. Dieser, der gewählt war, um den anderen Priestern Richtlinien zu geben, behielt nach der Gewohnheit der Späteren die Bezeichnung eines Bischofs als des Aufsichtsführenden für sich allein, weil er nicht nur über das gläubige Volk Aufsichtführender war - darum wurden Priester in der Urkirche Bischöfe genannt -, sondern auch über seine Mitpriester die Aufsicht führte ; deshalb behielt in Antiochien ein solcher sich allein die Bezeichnung Bischof vor, während die übrigen seitdem die schlichte Bezeichnung Priester behielten. § 7 Aber die eben erwähnte Wahl oder Einsetzung durch einen Menschen erteilt dem so Erwählten kein höheres wesentliches Verdienst oder keine höhere priesterliche Vollmacht oder Gewalt der vorhin erwähnten Art, sondern nur 767 768

328,8 ff. 1. Tim. 4,14.

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solum ordinacionis yconomice in domo Dei seu templo pote­ statem quandam, alias sacerdotes, diaconos et officiales reli­ quos ordinandi et regulandi, quomodo priori datur potestas in monachos temporibus hiis ; potestas, inquam, non coactiva 5 cuiusquam, nisi quantum de hoc sie electo concessum fuerit per legislatorem humanum, ut 4° huius et 8° demonstratum est, et in sequenti capitulo amplius apparebit, neque aliqua intrinseca dignitas alia sive potestas. Hoc eciam modo mili10 tantes in bellicis sibi eligunt capitaneum, quem preceptorem seu imperatorem antiquitus solebarrt dicere, quamvis nomen hoc, imperator scilicet, ad regalis monarchie modum quen­ dam aut speciem aliarum quasi supremam translatum fuerit, et taliter hiis temporibus usitentur. Sie quoque diaconi ex eligunt, cui meritum essenciale seu 1 5 ipsis archidiaconum sacrum ordinem diaconatu ampliorem talis eleccio minime tribuit, sed solum qualem quandam diximus humanam potestatem ordinandi seu regulandi diaconos reliquos. Unde non plus sacerdotalis auctoritatis essencialis habet Romanus 20 episcopus quam alter sacerdos quilibet, sicut neque beatus Petrus amplius ex hac habuit ceteris apostolis. Omnes enim hanc eandem auctoritatenli a Christo susceperunt equaliter et immediate, ut dieturn est prius auctoritate Ieronymi super illud Matthei 16° : Et tibi dabo claves regni celorum, et amplius declarabitur capitulo consequenti. 25 § 8. Fuit autem hec aperte sentencia beati Ieronymi epi­ stola supradicta, in qua postquam ex multis apostolorum 333 predictorum auctoritatibus demonstraverat eundem esse penitus in essenciali dignitate a Christo data presbyterum et episcopum in ecclesia primitiva seu apostolorum tempore, reddens causam dictarum inquit : Quod autem unus electus

774 II 1 6 (Gleichheit der Apostel) . 775 Scholz 332 Anm. 1 . 776 329,1 ff. 111 II 16,1-1 3. 11s Scholz 333 Anm. 1 .

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eine gewisse Gewalt für eine Ordnung der Verwaltung im Hause Gottes oder der Kirche, die anderen Priester, Dia­ konen und die übrigen Amtsträger der Kirche anzuweisen und ihnen Richtlinien zu geben, wie in unseren Zeiten dem Prior Gewalt über die Mönche gegeben wird - keine zwin5 gende Gewalt, sag ich, über jemand, außer soweit sie der menschliche Gesetzgeber dem zum Prior Erwählten zuge­ sprochen hat, wie II 4 und II 8173 dargelegt worden ist und im folgenden Kapitel774 noch deutlicher werden wird, und keine andere innere Würde oder Gewalt. In dieser Weise wählen sich auch die Krieger in Kriegszeiten einen Haupt10 mann, den sie in alter Zeit Kommandant oder Imperator (Feldherr) 775 zu nennen pflegten ; indessen ist die Bezeichnung Feldherr ( Kaiser) auf eine gewisse Form der königlichen Monarchie, die allerhöchste, übertragen worden, und so ge­ braucht man sie in unserer Zeit. So wählen auch die Diakonen aus ihrer Mitte einen Archidiakonus, dem eine solche "\Vahl 15 keineswegs ein wesentliches Verdienst oder eine heilige Weihe verleiht, höher als die des Diakonats, sondern nur nach unserer Bezeichnung eine Art menschliche Gewalt, die ande­ ren Diakonen anzuweisen oder ihnen Richtlinien zu geben. Daher hat der römische Bischof keine höhere wesentliche priesterliche Vollmacht als jeder beliebige andere Priester, 20 wie auch der selige Petrus keine höhere gehabt hat als die übrigen Apostel. Denn alle haben diese selbe Vollmacht von Christus in gleicher Weise und unmittelbar empfangen, wie früher776 auf Grund der Autorität des Hieronymus über jene Stelle bei Matthäus im 16. Kap. gesagt worden ist : Und idt mill dir des Himmelreidts Sdtlüssel geben ; weitere Klärung wird im nächsten Kapitel777 folgen. zs § 8 Dies war die klar ausgesprochene Meinung des seligen Hieronymus in dem oben angeführten Briefe. Nachdem er darin aus vielen autoritativen Äußerungen der obenge­ nannten Apostel nachgewiesen hat, daß in der wesentlichen von Christus erteilten Würde Priester und Bischof in der Urkirche oder der Zeit der Apostel ganz und gar das gleiche war, gibt er den Grund für seine Behauptung an und sagF78 : Daß aber einer ermählt rourde, der über die anderen gesetzt =

333

773

II 4,1 ; II 8,9 (Die Geistlichkeit untersteht dem weltlichen GericlJ.t) , vgl. 191 ,24.

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est, qui ceteris preponeretur, in scismatis remedium factum est, ne unusquisque ad se trahens Christi ecclesiam rum­ peret. Nam et in Alexandria a Marco evangelista usque ad Hereidam et Dionysium episcopos presbyteri semper unum 10 de se electum et in excelsiori gradu collocatum, episcopum nominabant; quomodo, si exerciius imperatorem faciat, id est preceptorem seu capitaneum secundum modernum usum, non quidem secundum quod imperator modum monarche dicit usu moderno, aut eligant diaconi de se quem industrium 1 5 noverint et ardtidiaconum vocent. Q uid enim facit excepta ordinacione episcopus, quod presbyter non facit? quantum scilicet ad actus essencialis auctoritatis. Non enim intellexit ibi leronymus per ordinacionem potestatem conferendi seu collacionem sacrorum ordinum, quoniam preter hanc multa 20 faciunt et faciebant eciam suis temporibus episcopi, que non faciunt sacerdotes, quamquam ad omnia sacramenta confe­ renda divina potestate sie possit sacerdos quilibet, sicut epi­ scopus. Sed intellexit ibi per ordinacionem potestatem yconomicam, de qua diximus prius, al> homine vel hominibus 25 sibi datam immediate. Quod eciam confirmo racione cum eiusdem leronymi auctoritate, racione quidem, quoniam iam multi fuerunt electi episcopi a tota plebe, sicut beatus 334 Clemens, beatus Gregorius, beatus Nicolaus, et reliqui multi sanctorum, quibus constat per plebem aut eciam sibi con­ presbyteros maiorem sacrum ordine� non fuisse collatum, �'aut intrinsecum caracterem aliquem*, sed solam potestatem 5 ordinandi ecclesie ritum atque personas regulandi, quantum ad exercicium divini cultus in templo seu domo Dei. Propter quod eciam tales electi ad alios sacerdotes dirigendum in templo et populum instruendum in hiis que sunt fidei, vocati episcopi, ab antiquis legumlatoribus, ut a lustiniano et 10 Romano populo, tune vocabantur yconomi reverendi, quo­ rum eciam supremus vocatus est yconomus reverendissimus ab eisdem. 5

779 780 78 1

V gl. den folgenden Absatz. Scholz 333 Anm. 2. Falsch nach Pr.-0. 2?0 Anm. 3 und Scholz 334 Anm . 1 .

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werden sollte, geschah zur Beseitigung der Spaltung, damit nicht jeder die Gemeinde Christi an sich zöge und sie zerrisse. Denn auch in Alexandrien wählten die Priester von dem Evangelisten Markus an bis zu den Bischöfen Hereida und Dionysius immer einen aus ihrer Mitte, stellten ihn auf einen 1 0 höheren Rang und nannten ihn Bischof, wie wenn das Heer einen zum Imperator macht, d. h. zum Kommandanten oder Hauptmann nach dem heutigen Sprachgebrauch, freilich nicht in dem Sinn, wie Imperator nach dem heutigen Sprach­ gebrauch eine Form des Monarchen meint < Kaiser > , oder wie wenn die Diakonen einen aus ihrer Mitte wählen, den sie 1 5 als tüchtig kennen und Archidiakonus heißen. Was tut denn mit Ausnahme der Ordination der Bischof, was der Priester nicht tut?, nämlich in bezug auf die Handlungen der wesent­ lichen Vollmacht. Denn unter Ordination verstand dort Hieronymus nicht die Gewalt, die heiligen Weihen zu er­ teilen, oder ihre Erteilung - denn außer dieser tun und taten 20 auch zu seinen Zeiten die Bischöfe vieles, was die Priester nicht tun, obwohl jeder Priester zur Erteilung aller Sakra­ mente durch göttliche Gewalt ebenso befähigt ist wie der Bischof -, sondern er verstand dort unter Ordination die ökonomische Gewalt, von der vorhin die Rede war und die ihm ein Mensch oder Menschen unmittelbar gegeben haben. 25 Das aber bestätige ich außer durch die Autorität desselben Hieronymus 779 durch eine vernünftige Überlegung, nämlich : Schon viele Bischöfe sind von der ganzen Gemeinde gewählt worden wie der selige Clemens, der selige Gregorius, der 334 selige Nikolaus und viele andere Heilige780 ; diesen haben - das steht fest - die Gemeinde und auch ihre Mitpriester keine höhere heilige Weihe oder keinen höheren inneren Charakter erteilt, sondern nur die Gewalt, den Ritus der 5 Kirche zu ordnen und den Personen für die Ausübung des Gottesdienstes im Tempel oder im Hause des Herrn Richt­ linien zu geben. Deswegen wurden auch solche, die erwählt waren, um die anderen Priester im Tempel zu leiten und die Gemeinde in Fragen des Glaubens zu unterrichten, die so­ genannten Bischöfe, von den alten Gesetzgebern (wie von 1 0 J ustinian und dem römischen Volke) damals ehrwürdige Ver­ walter78 1 genannt, deren höchsten sie sogar hochehrwürdiger Verwalter genannt haben. :>

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Quod autern non altera sit esseneialis dignitas episeopi quarn saeerdotis, neque invieern episeoporurn seu saeerdoturn n arnplior, expressit eeiarn Ieronyrnus epistola predicta, eurn dixit : Nec altera Romane urbis ecclesia et altera tocius orbis extimanda est. Et Gallie, et Britannie. et Africe, et Persis, et Oriens, et Yndia, et omnes barbare naciones unum Chri­ stum adorant, unam observant regulam veritatis. Si auctori20 tas queritur, orbis maior est urbe. Ubicumque fuerit epi­ scopus, sive Rome sive Eugobii, sive Constantinopolis sive Regii, sive Alexandrie sive Rathanis, eiusdem 1 sunt meriti, eiusdem sunt sacerdocii. Potencia diviciarum et paupertatis humilitas vel sublimiorem vel inferiorem episcopum facit; ceterum omnes apostolorum successores sunt. § 9. Alia vero quedarn aut alie sunt saeerdotaliurn offi335 ciorurn institueiones non esseneiales, qualern quandarn iarn dietarn eleeeionern dixirnus, qua unus ex ipsis ad aliorurn ordinaeionern seu guhernacionern assurnitur, quanturn ad 5 ea que divino eultui attinent ; quales eciarn sunt ipsorurn quorundarn elecciones et institueiones ad docendurn et in­ struendurn ac Nove Legis saerarnenta rninistrandurn certo populo et in deterrninato loco rnaiori aut rninori, sirniliter quoque ad dispensandurn tarn sihi, quarn reliquis pauperihus 1 0 ternporalia quedarn, per legislatorern aut singulares personas statuta et ordinata pro sustentaeione pauperurn evangelizan­ ciurn in certa provineia vel cornrnunitate, necnon pro aliorurn eeiarn pauperurn, sihi suffleere irnpotenciurn propter etatern 15 aut infirmitatern vel alterarn rniserahilern eausarn, sustenta­ cione, ex eo tarnen quod superest evangelizanciurn sufficien­ cie. Que siquidern ternporalia sie statuta vocantur ex usu rnoderno ecclesiastica beneficia, de quihus hahiturn est 14° huius. Hec enirn ternplorurn rninistris dispensanda eornrnit20 tuntur in usus predictos ; rninistris, inquarn, ad hec statutis, eleetis et ordinatis in certa provincia. Per earn enirn auctori782 Scholz 334 Anm. 2. 783 Vo (Stilistik) . 784 Ordination im Sinne des Hieronymus pafH hier nicht mehr. 785 II 1 7, 16-19. 786 II 14, 7-8 (306,16 ff.)

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Daß aber die wesentliche Würde eines Bischofs keine andere ist als die eines Priesters noch die der Bischöfe oder Priester untereinander verschieden groß, hat ebenfalls Hierot 5 nymus 782 in dem vorhin genannten Briefe zum Ausdruck gebracht mit den Worten : Man darf die Kirche der Stadt Rom nicht für etroas anderes halten als die der ganzen Welt. Galliens, Britanniens und Afrikas Provinzen und Persien und der Orient und Indien und alle barbarisdten Völker beten den einen Christus an, befolgen e i n e Regel der Wahr20 heit. Wenn man nach der Autorität fragt: die Welt ist größer als die Stadt < Rom > . Oberall, roo ein Bischof sein mag, in Rom oder Eugobius oder Konstantinopel oder Rhegium oder Alexandrien oder Rathani, haben sie dasselbe Verdienst, das­ selbe Priestertum. Die Macht des Reichtums oder die Ohn­ macht der Armut gibt dem Bisdw{783 eine höhere oder niedere Stellung; im übrigen sind sie alle Nachfolger der Apostel. 335 § 9 Aber es gibt gewisse andere, nicht wesentliche Formen der Einsetzung in die priesterlichen Ämter ; als eine solche haben wir die eben genannte Wahl bezeichnet, durch die einer von ihnen zur Ordination784 oder Leitung der anderen in ; Fragen des Gottesdienstes eingesetzt wird ; solche sind auch die Wahlen und Einsetzungen einiger von ihnen als Lehrer und Erzieher und Spender der Sakramente des Neuen Ge­ setzes für eine bestimmte Gemeinde und in einem bestimmten größeren oder kleineren Bezirk, ebenso auch < als Beauf­ tragte > , um für sich wie die übrigen Armen gewisse zeitliche 1 0 Güter zu verwalten, die vom Gesetzgeber oder von Einzel­ personen für den Unterhalt der armen Verkündiger des Evangeliums in einer gewissen Provinz oder Gemeinde ge­ stiftet und bestimmt worden sind, und ferner für den Unter­ halt auch anderer Armer, die außerstande sind, für sich aus­ reichend zu sorgen des Alters oder der Krankheit oder 1 5 einer anderen beklagenswerten Ursache wegen, jedoch nur aus dem, was über den Bedarf der Verkündiger des Evan­ geliums hinausgeht. Solcl:J.e Stiftungen heißen im heutigen Spracl:J.gebraucl:J. kirchliche Benefizien185, von denen II 14786 gehandelt worden ist. Sie werden nämlich den Dienern der 20 Kirchen für die vorhin genannten Zwecke zur Verwaltung anvertraut, den Dienern, sag ich, die in einer gewissen Pro­ vinz dazu eingesetzt, gewählt und bestimmt sind. Durch die

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tatem esseneialem, qua sueeessores sunt apostolorum, non magis determinantur ad unum loeum aut populum instruen­ dum et saeramenta Nove Legis ministrandum, quam ad reli25' quum ; quemadmodum nee apostoli omnino fuerunt deter­ minati, quibus dieturn fuit Matthei ultimo : Euntes ergo do­ cete omnes gentes, non determinans eos Christus ad loea ; sed ipsi postmodum inter se sibi eondiviserunt populos et provin­ cias, in quibus verbum Dei seu Iegern evangelieam annun:;o eiarent, quandoque vero revelaeione divina id eeiam peree­ perunt. Unde eeiam ad Galatas 2° : Dexteras dederunt mihi et Barnabe societatis, Iaeobus videlieet, Cephas atque Io­ 336 hannes, ut nos in gentes, ipsi autem in circumcisionem. § 10. Sie igitur ex predictis apparet, a quo tamquam effi5 eiente sit institueio saeerdoeii, ':· seeundum quod anime signi­ fieat habitum sive earacterem'�, et aliorum ordinum, quos saeros appellant, quoniam a Deo seu Christo immediate, quamvis previo quasi preparante quodam humano ministe­ rio, ut manuum imposieione atque verbarum pronuneia­ eione, que ad hoe fortasse nihil effieiunt, sed sie premittun10 tur ex quodam pacto seu ordinaeione divina. Apparet eeiam ex iam dictis, quod alia est quedam hu­ mana institueio, qua saeerdotum unus aliis prefertur ; qua eeiam saeerdotes ad eertas provincias et populos erudiendos 1 5 et instruendos in lege divina, et ministrandis sacramentis, ac dispensandis temporalibus, que benefieia ecclesiastica dixi­ mus, statuuntur. Apparuit rursum ex hiis, quoniam in auctoritate prima, quam ex principio esseneialem diximus, omnes sacerdotes equales sunt in merito atque sacerdoeio, quemadmodum zo Ieronymus dixit [in] epistola predicta, causam assignans,

789

Gal. 2,9 : uatvwv{ac;. efficiens ist Mask. wie 348,26. 79 1 Dativ des Zwecks ad ; s. Vo. 102 II 15, 2. 793 332,25 ff. 790

=

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wesentliche Vollmacht, kraft deren sie Nachfolger der Apostel sind, werden sie nämlich ebensowenig für das eine Gebiet oder das eine Kirchenvolk bestimmt, es zu unterweisen und ihm die Sakramente des Neuen Gesetzes zu spenden, wie für 25 ein anderes ; auch die Apostel waren durchaus nicht für ein bestimmtes Gebiet abgeordnet. Zu ihnen hat Christus bei Matthäus im letzten KapiteP87 gesagt : Gehet also hin und lehrtet alle Völker, wobei er sie nicht für einzelne Gebiete bestimmt haf788 , sondern sie selbst haben sich hinterdrein die Völker und die Provinzen untereinander zugeteilt, in denen sie das Wort Gottes oder das Gesetz des Evangeliums Yer3 0 kündigen wollten ; manchmal aber haben sie das auch durch göttliche Offenbarung erfahren. Daher heißt es auch im Galaterbrief im 2. Kap.78 9 : Mir und dem Bamabas gaben sie 336 die ReChte der GemeinsChaft, J akobus, Kephas und J ohannes : roir sollten zu den Heiden, sie aber zu den BesChnittenen gehen. § 10 So ergibt sich demnach aus den bisherigen Aus­ führungen, wer der Urheber790 ist für die Einsetzung des 5 Priestertums, soweit es einen Habitus oder einen Charakter der Seele bezeichnet, und der anderen Weihen, die man heilige nennt, nämlich Gott oder Christus unmittelbar. Frei­ lich eine bestimmte vorausgehende Handlung eines Menschen bereitet gleichsam vor, nämlich das Handauflegen und das Aussprechen von Worten, die dazu vielleicht nichts bewirken, 10 aber in dieser Form nach einer gewissen Übereinkunft oder nach göttlicher Ordnung vorausgeschickt werden. Aus dem eben Gesagten ergibt sich auch, daß eine andere menschliche Einsetzung existiert, durch die e i n Priester über die anderen gestellt wird und die Priester auch eingesetzt wer­ den, um bestimmte Länder und Völker im göttlichen Gesetz 15 zu unterweisen und zu unterrichten, ihnen die Sakramente zu spenden791 und die zeitlichen Güter zu verwalten, die wir kirchliche Benefizien genannt haben. Ferner ergab sich daraus, daß in der primären Vollmacht, die wir von Anfang an792 als die wesentliche bezeichnet haben, alle Priester nach Verdienst und Priestertum gleim 20 sind, wie Hieronymus in dem vorhin erwähnten Briefe798 787 788

Matth. 28, 19. Absoluter Nominativ ; vgl. Vo.

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quoniam omnes episcopi apostolorum successores sunt. In quo innuere videtur, omnes apostolos equalis auctoritatis fuisse ; sicque consequenter neminem ipsorum singulariter 25 in alterum aut supra reliquum vel reliquos auctoritatem ha­ buisse, nec quantum ad essencialem institucionem, quam prim_am diximus, nec quantum ad secundarias instituciones. Unde eciam similiter opinandum videtur de ipsorum suc­ cessoribus invicem, ad quos siquidem et in quos, unde per3o veniant instituciones huiusmodi, quas secundarias et auc­ toritate humana factas iam diximus, queve racionabiliter sit earum effectiva causa, determinandum utique restat.

337

C A P I T U L U M XVI

D e apo stolorum e q u a l i t a t e i n o f fi c i o s i v e d i g n i t a t e qu acumque per Christum illis immediate collata . U n d e p r o b a t u r, q u o d d e s u c c e s s o r u m o mn i u m e q u a 5 l i t a t e d i e t u rn e s t c a p i t u l o · p re c e d e n t i , e t q u a l i t e r episcopi omnes indifferenter successores sint apo­ s t o l i c u i u s c u tn q u e . A prioribus itaque inchoantes, in hoc ostendemus primum apostolorum neminem ad alios habuisse preeminenciam in essenciali dignitate, sacerdotali scilicet, sibi datam a Christo ; deinde vero quod in nulla institucione alia, quam secunda­ riam diximus, et eo minus in iurisdiccione aliqua coactiva, *immediate sibi datis per Christum'', quamvis hoc proximum 15 sufficienter demonstratum fuerit 4° huius et 5°. Ex quibus eciam per necessitatem deducemus, episcoporum sibi suc­ cessorum neminem singulariter auctoritatem seu potestatem aliquam iam dictarum in reliquos sibi coepiscopos seu 10

798 § 7-10. 799

8oo

§ 1 1-14. II 4,4 Anf. ; 4,9 Anf. ; 4, 1 3 ; II 5 , 1 ; 5, 1 0, Abs. 2.

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gesagt hat, wobei er als Grund angab, daß alle Bischöfe Nad-"folger der Apostel sind. Damit scheint er anzudeuten : alle Apostel hätf.en gleiche Vollmacht gehabt und so folglich keiner von ihnen für seine Person gegenüber einem anderen 25 oder über einen anderen oder die anderen eine Vollmacht, weder in der wesentlichen Einsetzung, die wir die primäre genannt haben, noch in den sekundären Einsetzungen. Daher mufl man auch, wie es scheint, eine ähnliche Mei­ nung über das Verhältnis ihrer Nachfolger haben. Bis zu79 4 wem nun und auf wen derartige Einrichtungen, die wir eben 30 sekundär und durch menschliche Vollmacht geschaffen ge­ nannt haben, < zurückgehen > 795, woher sie stammen oder was nach vernünftiger Überlegung ihre bewirkende Ursache 796 ist, bleibt allerdings noch zu bestimmen. 33?

KA P I T E L XVI

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t5

D i e G l e i ch h e i t d e r A p o s t e l i n j e d e m A m t o d e r j e d er Würde, die ihnen Christus unmittelb ar verliehen h a t . D a d u r ch w i r d b e w i e s e n , w a s ü b e r d i e G l e i ch h e i t aller Nachfolger i m vorau sgehenden K a p itel ges agt worden ist und w i e s o ·die B i s c h ö f e alle ohne Unter­ schied Nachfolger jedes Apostels sind. § 1 Von den früheren Kapiteln ausgehend, werden wir nun in diesem zunächst zeigen : Kein Apostel hat vor den anderen in der wesentlichen Würde, nämlich der priester­ lichen, einen Vorrang gehabt, den ihm Christus gegeben h ätte797 ; ferner auch in keinem anderen von uns als sekundär bezeichneten Amt798 und um so weniger in einer zwingenden Rechtsprechung799, die ihm Christus unmittelbar gegeben hätte, obwohl dieses letzte in II 4 und II 5800 zur Genüge nachgewiesen worden ist. Wir werden daraus auch mit zwingen­ der Logik ableiten : Keiner von den Bischöfen, ihren Nach­ folgern, hat für seine Person im besonderen eine von den eben erwähnten Vollmachten oder Gewalten gegenüber

7 94 Vo (Stilistik) . 795 II 1 ?,5-15 und II 18. 796 Der Gesetzgeber, vgl. II 797 § 2--{).

1 ?,8, Abs. 1 und II 16,1 Ende.

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conpresbyteros habere, nec oppositum huius virtute verborum scripture, sed magis propositum posse convinci. Demum vero quod ex hoc et precedenti capitulo finaliter intendimus, deducemus per necessitatem, ad humanum legislatorem fidelem pertinere has instituciones, quas secundarias sepe vocavimus, tamquam ad causam per se factivam illarum, -.. sicuti et aliarum parcium civitatis':· . 25 § 2. Primum quidem igitur propositorum convincitur ex Luce 22°. Nam tribuens Christus apostolis potestatem ad eucharistie sacramentum, inquit ad eos : Hoc est enim corpus meum, quod pro vobis datur, hoc facite in meam commemo30 racionem, id est, hoc faciendi potestatem habete, proferendo tarnen verba consimilia, quando actum hunc exercere de­ 338 betis, videlicet : Hoc est enim corpus meum. Nec dixit hec verba plus ad beatum Petrum, quam ad alios. Non enim dixit Christus : fac, et aliis apostolis sie faciendi potestatem 5 tribuas ; sed dixit : facite, in plurali et omnibus indifferenter. Idem quoque per omnia senciendum de clavium potestate, sive hiis eisdem verbis tradita fuerit apostolis sive aliis aut alio tempore, ut hiis que habentur Iohannis 20°. Postquam enim Christus dixit apostolis : Sicut misit me pater, et ego 10 mitto vos, insufflavit et dixit eis : Accipite spiritum sanctum ; quorum remiseritis peccata, remittuntur eis, et quorum retinueritis, retenta sunt. Dixit ergo Christus : Mitto vos, sicut pate1· me misit ; nec dixit Petro aut alteri apostolo singu­ lariter : mitto te, sicut pater etc., et tu alios mitte. Nec rursum n dicitur : Christus insufflavit ei, sed dixit : eis, non uni per alterum. Nec dixit Christus ad Petrum : accipe spiritum saueturn et aliis postmodum tribue ; sed dixit : accipite, in plurali et indifferenter omnibus loquens. Et hoc est eciam quod habetur Matthei ultimo, dum dixit Christus ad eos : zo

8 01 8 02 8os 804 sos

342, 1 2 ; 345, 4-6. II 1 7,8-15, geschichtliche Voraussetzungen dazu II 1 7, 1-7. Luk. 22,19. J oh. 20,21-23. Mat th. 28,1 9.

Teil ll, Kapitel XVI

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seinen Mitbischöfen oder Mitpriestern, und das Gegenteil davon kann kraft der Worte der Schrift nicht nachgewiesen 20 werden, sondern vielmehr unsere These. 801 Endlich aber802 : Was wir aus diesem und dem vorhergehenden Kapitel haupt­ sächlich beweisen wollen, werden wir mit zwingender Logik ableiten : Dem gläubigen menschlichen Gesetzgeber stehen diese Amtseinsetzungen zu, die wir oft als sekundär bezeich­ net haben, als Ursache, die sie allein bewirkt wie auch die anderen Bestandteile des Staates. 25 § 2 Die erste These läßt sich nun aus Lukas Kap. 22803 beweisen. Denn als Christus den Aposteln die Gewalt für das Sakrament der Eucharistie erteilte, sagte er zu ihnen : Das ist mein Leib, der für eudt gegeben roird, das tut zu meinem 30 Gedädttnis, d. h., das zu tun, sollt ihr die Gewalt haben, doch 338 unter dem Aussprechen der gleichen Worte, wenn ihr diese Handlung zu vollziehen habt, nämlich : Das ist mein Leib. Diese Worte hat er nicht ausdrücklicher zu dem seligen Petrus als zu den anderen gesagt. Denn Christus hat nicht gesagt : Tu's und erteile den anderen Aposteln die Gewalt, 5 so zu tun, sondern er hat gesagt : Tut es, im Plural und zu allen ohne Unterschied. Dasselbe muß man auch in allen Stücken von der Schlüsselgewalt denken, mag die mit diesen seihen Worten den Aposteln üb ergeben worden sein oder mit anderen oder zu anderer Zeit, z. B. mit denen, die bei J ohan­ nes im 20. Kapitel804 stehen. Nachdem nämlich Christus zu den Aposteln gesagt hatte : Gleidtroie midt der Vater gesandt hat, so sende audt idt eudt, blies er sie an und spradt zu 1 0 ihnen : Nehmet hin den heiligen Geist! Deren Sünden ihr er­ laßt, denen werden sie erlassen, und denen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten. Christus hat also gesagt : ICh sende eudt, gleidtroie der Vater midt gesandt hat, und er hat nicht zu Petrus oder einem anderen Apostel besonders gesagt : Ich sende dich, gleichwie der Vater usw., und du sende die anderen. Ferner : es heißt nicht : Christus blies i h n an, t5 sondern er hat gesagt : sie, nicht den einen durch den anderen. Und Christus hat nicht zu Petrus gesagt : Nimm hin den heiligen Geist und erteile ihn den anderen später einmal, sondern er hat gesagt : nehmet hin, im Plural und ohne Unterschied zu allen sprechend. Das ist es auch, was bei Mat­ thäus im letzten Kapitel steht8 05 ; dort sagt Christus zu ihnen :

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Euntes ergo docete omnes gentes; et dixit : euntes, pluraliter et indifferenter, non dicens Petro : vade ergo et alios mitte. § 3. Quod amplius exprimens apostolus ad hanc que­ stionem diffiniendam, ut videlicet nemo crederet aliquem apostolorum hanc habuisse prerogativam seu auctoritatem 2 5 super alios, eam expresse removens a Petro, de quo fortasse videbatur hoc magis propter aliqua sibi a Christo singula­ riter dicta, et quia senior ceteris erat, 2° ad Galatas inquit sie : Mihi enim qui videbantur esse aliquid, nihil contulerunt, 30 sed econtra, [cum vidissent] quod creditum est mihi evange­ lium prepucii, sicut Petro circumcisionis. Qui enim operatus est Petro in apostolaturn circumcisionis, operatus est et mihi 339 inter gentes. Et cum cognovissent graciam que data est mihi, lacobus et Cephas et lohannes, qui videbantur columpne esse, dexteras dederunt mihi et Barnabe societatis etc. Qui ergo fuit operatus Petro in apostolatum, operatus fuit et Paulo ; hic autem fuit Christus ; ergo huiusmodi officium 5 non suscepit a Petro, et similiter nec apostoli reliqui. Ubi eciam glossa secundum Augustinum hoc amplius exprimen s, inquit : 'Illi, qui videbantur esse aliquid', scilicet Petrus et alii, qui fuerunt cum domino, 'nihil contulerunt', id est, addiderunt 'mihi', in quo patet, quod non illis inferior sum, t o qui a domino adeo perfectus sum, ut nihil esset quod in colla­ cione mee perfeccioni adderent. Ecce quod Paulus non fuit inferior Petro nec aliis. Consequenter ad hanc intencionem subiungit glossa : 'Cum vidissent, quod evangelium prepucii creditum est mihi' ut fideli, ita principaliter, 'sicut et Petro 1 5 evangelium circumcisionis'. Ecce quod eque principaliter missus fuit Paulus quemadmodum et Petrus, et non a Petro zo

808 Gal. 2,8 : 809

s1o 811 812 8 13 814

6 yae ivseyl}aa' IIf:recp sl, dnoaroA:r}v rij, nsetrof1iJ' ivl]e y'fJasv ual ef.tol el, rd lifW1). Gal. 2,9 : oi oouoiivre, aTVAOt clvat. 335,3 1 ff. u. Anm. 789. Scholz 339 Anm. 1. Scholz 339 Anm. 2. 539,2 1 ? Vgl. Vo (et) .

Teil II, Kapitel XVI

Gehet also hin und lehret alle Völker; e r hat gesagt : gehet, im Plural und ohne Unterschied, er hat nicht zu Petrus gesagt : Geh also hin und sende die anderen. § 3 Das bringt der Apostel noch deutlicher zum Ausdruck, um diese Frage zu entscheiden8 06 ; damit nämlich niemand glaube, einer der Apostel habe dieses Vorrecht oder diese 25 Vollmacht über die anderen gehabt, spricht er sie ausdrück­ lich dem Petrus ab, von dem das vielleicht am ehesten onög­ lich > schien wegen einiger Worte, die Christus an ihn beson­ ders gerichtet hatte, und weil er älter war als die anderen, und sagt im Galaterbrief im 2. Kap. 807 : Mir haben nämlidt diejenigen, die Ansehen hatten, nidtts roeiter auferlegt, son> o dem im Gegenteil, als sie sahen, daß mir das Evangelium für die Unbesdtnittenen anvertraut ist roie dem Petrus für die Besdtnittenen - denn der bei Petrus roirksam roar für das Apostelamt unter den Besdtnittenen, roar audt bei mir roirksam für die Heiden808 -, und als sie die Gnade erkannten, die mir verliehen ist, da gaben Jakobus und Kephas und ]ohan­ nes, die man als die Säulen < der Gemeinde > ansah809, mir und Barnabas die Redtte zum Zeidten der Gemeinsmaft8 1 0 usw. Der also bei Petrus für das Apostelamt wirksam war, war wirksam auch bei Paulus ; dieser aber war Christus ; also hat 5 Paulus ein solches Amt nicht von Petrus erhalten, auch nicht die anderen Apostel. Die Glosse dazu nach Augustin8 11 bringt das deutlicher zum Ausdruck und sagt : ,Jene, die Ansehen hatten', nämliCh Petrus und die anderen, die mit dem Herrn zusammengeroesen sind, ,haben mir nidds roeiter auferlegt', d. h. dazu getan; darin kommt zum AusdruCk, daß idt nidtt t o unter ihnen stehe, vielmehr hat mim der Herr so vollkommen gemacht, daß es nichts gab, roas sie bei der Amtsübertragung meiner Vollkommenheit hätten hinzufügen können. Beachte : Paulus stand nicht unter Petrus oder den anderen. Die Glosse812 fügt dann zur Bestätigung dieser Ansicht hinzu : ,Als sie sahen, daß das Evangelium für die Unbesdtnittenen mir anvertraut ist' als treuem Sadtroalter8 1 3, ebenso vm·zugs15 roeise ,roie dem Petrus8 14 das Evangelium für die Besdtnit­ tenen'. Beachte : Ebenso vorzugsweise war Paulus gesandt wie814 Petrus, und nicht von Petrus oder einem der Apostel, 8 0 6 Vo (Syntax) . 807 Gal. 2,6-9 ; in 6 contulerant für neoaavifhvro; Erklärung 339,8. 20

339

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aut apostolorum aliquo, sed a Christo immediate ; quod amplius exprimens apostolus eadem 1 °, sie ait : Paulus apo­ stolus non ab hominibus neque per hominem, sed per Ies um 20 Christum et Deum patrem. Ubi glossa secundum Amhro­ sium : 'Paulus apostolus non' electus vel missus 'ab homi­ nibus', scilicet ab Anania, ut quidam dicebant, vel ab aliis, ut quidam ab apostolis electi et missi fuerunt. Deinde parum infra subdit secundum Augustinum : Ceteri enim apostoli 25 videbantur esse maiores, quia priores ; iste minimus, quia novissimus. Sed inde apparet dignior, quia priores constituti sunt per Christum adhuc ex parte hominem, id est morta­ lem; novissimus vero Paulus per Christum iam totum Deum, id est ex omni parte immortalem, et Deum patrem qui hoc fecit per filium. Atque ut aperiret, cur dixerit 'neque per 340 hominem', subdit 'qui suscitavit eum a mortuis'. Et ita dignius constituit me per immortalem Christum, quam alias per mortalem. 5 § 4. Rursum confirmans hoc apostolus infra eodem ait : Notum enim vobis facio evangelium, fratres, quod evange­ lizatum est a me, quia non est secundum hominem; neque enim ego ab homine accepi illud neque didici, sed per reve­ lacionem Iesu Christi. Uhi glossa secundum Augustinum : 10 'Notum enim vobis facio evangelium, fratres, quod evange­ lizatum est a me, quia non est secundum hominem' docentem me vel mittentem. Et vere non est ab homine. 'Neque enim accepi illud neque didici ab homine', ut homo me eligeret ad evangelizandum vel mihi iniungeret, 'neque didici' ab 1 5 homine docente me, 'sed per revelacionem lesu Christi'. Ecce quod Petrus neque alius apostolorum aut homo quis­ quam elegit, misit aut iniunxit Paulo ministerium evangelii.

8 18 819 82 0 82 1

822

Scholz 339 Anm. 5. Gal. 1, 1 1-12 : yvwefCw Yde vp,iv To svayyiA.wv neque - neque o vlJ8 - ovre. Scholz 340 Anm. 2. V o (nec) . =





•,

ÖTt : Prolepsis.

Teil Il, Kapitel XVI

340

62 1

sondern von Christus unmittelbar. Das bringt der Apostel ferner zum Ausdruck in demselben Brief im 1 . Kap. 81 5 mit den Worten : Paulus, Apostel, nicht von Menschen her noch durdL 20 einen Menschen, sondern durch ]esus Christus und Gott den Vater. Dazu sagt die Glosse nach Ambrosius816 : ,Paulus, Apostel, nicht' errvählt oder gesandt ,von Menschen', nämlich von Ananias8 1 1, rvie manche behaupteten, noch von anderen, rvie die Apostel manche errvählt und gesandt haben. Dann fügt sie etwas weiter unten nach Augustin818 hinzu : Die übrigen 2 5 Apostel sChienen nämliCh größer zu sein, rveil sie die früheren rvaren, er der kleinste, rveil der späteste. Aber darum er­ sdteint er rvürdiger, rveil diese früher von Christus eingesetzt rvurden, als er noCh zum Teil MensCh rvar, d. h. sterbliCh, Paulus aber zuletzt, als er sChon ganz Gott roar, d. h. in ganzer Person unsterbliCh, und von Gott dem Vater, der dies durCh den Sohn tat. Um lclarzumachen, rvarum er gesagt habe : ,noCh durCh einen MensChen', fügt er hinzu : ,der ihn auferrvedct hat von den Toten'. So hat Gott miCh in rvürdi­ gerer Form durCh den unsterbliChen Christus eingesetzt als die anderen durCh den sterbliChen. 5 § 4 Ferner bestätigt dies der Apostel weiter unten an der­ selben Stelle mit den Worten819 : ICh tue euCh nämliCh kund, liebe Brüder, rvegen des Evangeliums, das iCh verkündigt habe, daß es niCht MensChenmerk ist; denn iCh habe es nim t820 von einem MensChen empfangen noCh gelernt, sondern durdt eine Offenbarung ] esu Christi. Dazu bemerkt die Glosse 10 nach Augustin8 21 : ,ICh tue euCh nämlich kund, liebe Brüder, rvegen des Evangeliums, das ich verkündigt habe, daß es nicht Werk eines MensChen ist', der miCh gelehrt oder gesandt hätte. Wahrhaftig, es stammt niCht von einem MensChen. ,Denn iCh habe es niCht von einem MensChen empfangen nod!. gelernt', so daß ein MensCh mich zur Verkündigung des Evangeliums ausgervählt hätte oder es mir aufgetragen hätte, ,noCh habe iCh es gelernt' von einem MensChen, der miCh t5 belehrt hätte, ,sondern durCh eine Offenbarung ]esu Christi'. Beachte : weder822 Petrus noch ein anderer Apostel oder irgendein Mensch hat Paulus ausgewählt, gesandt oder ihm 815 816 817

Gal. 1, 1 . Scholz 3 3 9 Anm . 4 . Acta 9,10-17 u. 22,12-16.

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Idem quoque iudicandum est de apostolis reliquis. Nullam ergo potestatem, eoque minus coactivam iurisdiccionem 20 habuit Petrus a Deo ''immediate'' super apostolos reliquos, neque instituendi eos in officio sacerdotali, neque segregandi eos seu mittendi ad officium predicacionis ; nisi quod hoc sane concedi potest, ipsum fuisse priorem aliis etate vel officio, fortasse secundum tempus aut apostolorum eleccione, 25 qui eum propterea reverebantur merito, quamvis hanc elec­ cionem ex scriptura nemo convincere possit. § 5. Signum autem verum esse quod diximus est, quoniam beatus Petrus nullam sibi assumpsisse singulariter auctori341 tatem supra reliquos apostolos invenimus ex scriptura, sed magis cum ipsis equalitatem servasse. Non enim sibi as­ sumpsit auctoritatem determinandi, que dubia erant circa evangelii predicacionem, quod pertinet ad doctrinam ; sed 5 que dubia fuerunt in hoc, ex communi deliberacione aposto­ lorum et aliorum fidelium magis doctorum determinabantur, non Petri aut alterius apostoli seorsum determinacione. Unde Actuum 15°, dissensione orta inter predicatores evan­ gelii, an oporteret circumcidere incircumcisos fideles ad sat o lutem eternam consequendam, quibusdam dicentibus apar­ tere, Paulo vero et Barnaba reclamantibus contra hoc, con­ venerunt apostoli et seniores videre de verbo hoc. Super quo locuti sunt Petrus et Iacobus non oportere, quarum sentencie seniores et reliqui consenserunt apostoli. Unde subditur t 5 infra : Tune placuit apostolis et senioribus cum omni ecclesia eligere viros, et mittere Antiomiam etc. scribentes per manus eorum. Et fuit modus scribendi modo deliberandi conformis, et talis : Apostoli et seniores fratres hiis qui sunt Antiomie et Syrie et Cilicie fratribus ex gentibus, salutem etc. Simile

824 W electio.

82 5

826

Acta 15,6. 22-25. 28. Acta 1 5,6 : liktv :ns(!i Tov J.6 y ov TovTov.

Teil I!, Kapitel XVI

341

den Dienst am Evangelium aufgetragen. Dasselbe muß man auch von den anderen Aposteln denken. Keine Gewalt also und noch weniger eine zwingende Rechtsprechung hatte 20 Petrus von Gott unmittelbar über die anderen Apostel noch eine Gewalt, sie in das Priesteramt einzusetzen, noch sie aus­ zuwählen oder sie zum Predigtamt auszusenden ; nur das kann man allerdings zugeben : Er stand über den anderen durch sein Alter oder durch sein Amt, dies vielleicht wegen der früheren Einsetzung823 oder durch eine Wahl824 der 25 Apostel, die ihn deswegen mit Recht achteten ; freilich kann niemand diese Wahl aus der Schrift nachweisen. § 5 Ein Beweis für die Wahrheit unserer Behauptung liegt darin, daß der selige Petrus - so finden wir es in der Schrift - für seine Person keine Autorität über die anderen Apostel beansprucht hat, vielmehr sich ihnen gleichgestellt hat. Denn er hat nicht für sich die Befugnis beansprucht, zu entscheiden, was bei der Predigt des Evangeliums in der Lehre zweifelhaft war, sondern was im Evangelium zweifel5 haft war, wurde durch gemeinsame Beratung der Apostel und der anderen gebildeteren Gläubigen entschieden, nicht von Petrus oder einem anderen Apostel allein. Als daher nach der Apostelgeschichte Kap. 15 825 unter den Predigern des Evangeliums eine Meinungsverschiedenheit entstanden war, ob es nötig sei, die unbeschnittenen Gläubigen zu beschnei1 0 den, um die ewige Seligkeit zu erlangen, und manche behaup­ teten, das sei nötig, Paulus aber und Barnabas widersprachen,. kamen die Apostel und die Altesten zusammen, um ü ber diese Same zu urteilen. 82 6 Hierzu sagten Petrus und Jakobus, es sei nicht nötig, und deren Meinung pflichteten die Ältesten und die anderen Apostel bei. Daher wird weiter unten hinzu15 gefügt : Hierauf beschlossen die Apostel und die Ältesten mit der ganzen Gemeinde, Männer zu wählen und nach Antiomien zu senden usw. mit einem Schreiben von ihrer Hand. Die Formulierung in dem Schreiben stimmte mit der im Beschluß überein und lautete : Die Apostel und die ältesten Brüder entbieten den Brüdern aus den Heiden in Antiomien, Syrien und Cilicien ihren Gruß usw. Ähnliches steht auch weiter

823

prior secundum tempus, ni wurde verteilt. z; § 8 Sage mir also : Woher kommt dem römischen Bischof die Mamthefugnis, dergleichen nach Wunsch zu verteilen oder, was in Testamenten der Menschen für fromme Zwecke 834 Gal. 2,2 : contuli für rJ.vd}epirJV im legte ihnen vor, s. W. conferre. 835 Scholz 343 Anm. 1 . 25

=

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344

345

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distribui, tamquam sibi soli debita repetendi, cum nec sibi soli aut cum alio liceat divino aut humano iure talia petere, que aliorum fidei et custodie per Ieges racionabiles commissa sunt, ut testancium aut sie ordinancium voluntate ? Dicat enim testator, de suo scilicet, et lex erit, sicut in aliis s scripturn est. Non enim potest racio sumi ex scriptura sacra fidem faciens hanc potestatem Romani aut cuiusquam alterius episcopi fore, sed oppositi magis. Quod si hec legata eommissa fuerint eeclesie distrihuenda determinate dioeesis, ad eos pertinehit episeopos, qui sie determinate dioeesi pre1 0 sunt, ad Romanum vero nequaquam. Huius autem eausa est, quoniam Romanus episeopus supra reliquos sibi eoepiseopos aut eonpresbyteros nullam habet a Christo *immediate* nee habuit potestatem aut auctoritatem, quod erat unum propo­ sitarum ex prineipio eapituli huius. Nam sieut Petrus hane 15 non habuit supra reliquos apostolos, ita nee Petri sueeessores in episcopali sede Romana supra sueeessores reliquorum apo­ stolorum. Non enim habuit Petrus potestatem, sacerdocium aut apostolaturn vel episeopatum illis eonferendi, quoniam omnes a Christo potestatem seu aucto:ritatem hane imme20 diate, non per Petri ministerium plus quam econverso sumpserunt, quemadmodum ex scriptura patenter probavi­ mus supra. Quod eeiam expresse dieit Augustinus De Que­ stionihus Novi et Veteris Testamenti, questione 94a, ubi sie ait : Eodem die, id est penteeosten, lex lata est, quo et spiritus 25 sanctus decidit in discipulos, ut auctoritatem caperent, ac scirent evangelicum ius predicare. § 9. Amplius sieut Petrus Antiochie legitur electus in episeopum per fidelium multitudinem, aliorum apostolorum eonfirmaeione vel eonseeraeione non indigens, sie et aposto­ lorum reliqui prefuerunt in aliis provineiis absque Petri

84 1

8 42 8 43 844

Scholz 344 Anm. 1. s. V o plus. Scholz 344 Anm. 2. Scholz 345 Anm. 1.

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vermacht, anderen jedoch zur Aufbewahrung und Ver­ teilung anvertraut ist, einzufordern, als wenn er allein darüber zu verfügen hätte ? Weder ihm allein noch mit einem 344 anderen zusammen ist doch nach göttlichem oder mensch­ lichem Recht erlaubt, solche Güter zu verlangen, die anderer Leute treuen Händen durch vernünftige bindende Bestim­ mungen anvertraut sind, nämlich nach dem Willen der Erb­ lasser oder derer, die solche Anordnungen treffen. Denn der Erblasser soll sprechen, über das Seine, und es roird Gesetz 5 sein, wie anderswo geschrieben steht.841 Denn kein vernünfti­ ger Grund läßt sich aus der Heiligen Schrift entnehmen, der glaubhaft machte, diese Gewalt stehe dem römischen oder einem anderen Bischof zu, sondern vielmehr Gründe für das Gegenteil. Wenn diese Vermächtnisse also der Kirche einer be­ stimmten Diözese zur Verteilung anvertraut wären, so würde das die Bischöfe angehen, die der so bestimmten Diözese vor10 stehen, den römischen aber unter keinen Umständen. Der Grund dafür ist, daR der römische Bischof über seine Mit­ bischöfe oder Mitpriester von Christus her unmittelbar keine Gewalt oder Vollmacht hat noch gehabt hat ; das war eine von den Thesen aus dem Anfang dieses Kapitels. Denn wie Petrus 15 keine Gewalt über die anderen Apostel gehabt hat, so auch nicht des Petrus Nachfolger auf dem römischen Bischofstuhl über die Nachfolger der anderen Apostel. Denn Petrus hat nicht die Gewalt, ein Priesteramt oder ein Apostelamt oder Bischofsamt ihnen zu verleihen, da ja alle diese Gewalt oder Vollmacht von Christus unmittelbar, nicht durch des Petrus 20 Vermittlung - ebensowenig 842 umgekehrt - erhalten haben, wie wir aus der Schrift eben klar bewiesen haben. Das sagt auch Augustirr ausdrücklich < in dem Werke > ,über Fragen des Neuen und Alten Testamentes' zur Frage 94843 , wo er be­ merkt : An demselben Tage, d. h. zu Pfingsten, ist das Gesetz 25 gegeben morden, an dem auch der heilige Geist auf die jün ­ ger ausgegossen rourde, damit sie Vollmacht erhielten und v erstünden, das Gesetz des Evangeliums zu predigen. § 9 Ferner wie Petrus in Antiochien, so liest man, von der Menge der Gläubigen zum Bischof gewählt wurde, ohne der 345 Bestätigung oder Weihe durch die anderen Apostel zu be­ dürfen84\ so haben auch andere Apostel in anderen Gebieten

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sciencia, institucione vel consecracione aliqua ; fuerant enim per Christum consecrati sufficienter. Propter quod similiter 5 opinandum, horum apostolorum successores non indiguisse aliqua confirmacione successorum Petri, quinimo multi suc­ eessores aliorum apostolorum fuerunt eleeti et instituti epi­ seopi rite, ipsorumque provineias sanete rexerunt absque aliqua institueione vel eonfirmaeione de ipsis faeta per sue10 eessores Petri. Et extitit hoe sie legitime observatum usque quasi ad tempora Constantini imperatoris, qui quandam preemineneiam et potestatem tribuit episeopis et eeclesie Rarnanorum super eeteras mundi eeclesias, episeopos seu presbyteros omnes. Haue siquidem Petri et apostolorum 15 equalitatem signifieavit apostolus ad Galatas 2°, eum dixit : Dexteras dederunt mihi et Barnabe societatis, Iaeobus, Petrus atque Iohannes, ut nos in gentes, ipsi autem in cir­ cumcisionem. Dexteras societatis, ergo et equalitatis, ut ex glossa seeundum Augustinum satis ostensum est supra, 20 quamvis in hoc dieturn apostoli sie sit apertum, ut glossa non egeat, quod eeiam supra induximus ex epistola Ieronymi Ad Evandrum, dieentis, omnes episeopos sive Rome sive alibi, eiusdem sacerdocii atque meriti seu potestatis a Christo ':· immediate•:· eollate. § 10. Quod si tarnen beatus Petrus a quibusdam sanetarum 5 princeps apostolorum seribatur, dieturn est large ae impro­ prie sumendo vocabulum principis, et nisi sie aperte eontra Christi sentenciam et oraeulum, ubi Matthei 20° et Luee 22° inquit : Principes gencium dominantur eorum, vos autem non sie. Ideoque dieendum, sie sauetos loeutos fuisse non 1 0 propter potestatem aliquam a Christo super apostolos sibi datam •:· immediate\ sed fortasse quia etate senior, aut quia Christum prius eonfessus est fuisse verum Dei eonsubstan845

Scholz 345 Anm. 2. Gal. 2, 6-9. Scholz 345 Anm. 3. Scholz 345 Anm. 4. 849 Vgl. II 15,8. sso Scholz 346 Anm. 1 . 83 1 Matth. 20,25 ; Luk. 22,25.

8 46 8 47 84 8

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63 1

die Leitung gehabt, ohne des Petrus Wissen, Einsetzung oder Weihung irgendwelcher Art ; sie waren nämlich von Christus genügend geweiht. Deswegen muß man in gleicher Weise an5 nehmen, die Nachfolger dieser Apostel haben keiner Bestäti­ gung durch die Nachfolger des Petrus bedurft, vielmehr sind viele Nachfolger anderer Apostel zu Bischöfen gewählt und in aller Form eingesetzt worden und haben ihre Gebiete un­ tadlig regiert, ohne von den Nachfolgern des Petrus irgend1 0 wie eingesetzt oder bestätigt zu sein. Dieser so gesetzmäßig beobachtete Brauch hat ungefähr bis zu den Zeiten des Kaisers Konstantirr bestanden ; der erst hat den Bischöfen und der Kirche der Römer einen gewissen Vorrang und eine gewisse Gewalt über die anderen Kirchen der Welt, die Bischöfe oder Priester alle, zugesprochen. 8 45 Auf die Gleichheit des Petrus 15 und der Apostel hat der Apostel im Galaterbrief im 2. Kap. 846 hingewiesen mit den Worten : Mir und dem Barnabas gaben sie die Rechte < zum Zeichen > der Gemeinschaft, Jakobus, Petrus und Johannes, roir sollten zu den Heiden, sie aber zu den Beschnittenen < gehen > , die Rechte < zum Zeichen > der Ge­ meinschaft, also aum der Gleichheit, wie oben aus der Glosse nach Augustin847 zur Genüge bewiesen worden ist ; indessen 20 ist hierin die Äußerung des Apostels so klar, daß sie einer Glosse nicht bedarf. Diese Auffassung haben wir auch oben angeführt aus dem Brief des Hieronymus ,An Evander' 848 , der erklärt, alle Bischöfe, seien sie in Rom oder andersroo, besäßen dasselbe Priestertum und dasselbe Verdienst84 9 oder 346 dieselbe Gewalt, und diese habe ihnen Christus unmittelbar verliehen. § 10 Wenn nun dennoch manche Heilige den seligen 5 Petrus in ihren Schriften als Apostelfürsten85 0 bezeichnen, so ist das Wort Fürst in weiter und uneigentlicher Bedeu­ tung gebraucht, sonst < stünde es > in klarem Widerspruch zu Christi Meinung und Äußerung ; denn bei Matthäus im 20. und bei Lukas im 22. Kap. 85 1 sagt er : Die Fürsten der Völker herrschen über sie, ihr aber nicht so. Darum muß man sagen : So haben die Heiligen gesprochen, nicht weil 1 0 Christus dem Petrus irgendeine Gewalt über die Apostel unmittelbar gegeben hätte, sondern vielleicht, weil Petrus älter war an Jahren oder weil er zuerst Christus als den wahren, wesensgleichen Sohn Gottes bekannt hat, oder weil

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cialem filium, vel quia fortasse fuit in fide fervencior atque constancior, aut quia euro Christo conversatus et frequen15 cius vocatus in consiliis et secretis. Unde apostolus ad Ga­ latas 2° : lacobus et Cephas, id est Petrus, et Iohannes vide­ bantur columpne esse, ubi glossa secundum Ambrosium : Quia honoraciores erant in apostolis, quia semper in secretis cum domino fuerunt. Cuius rei exemplum conveniens sumi 20 potest ex principantibus seculi, qui nihil presunt sibi invi­ cem aliqua potestate, ut comites eiusdem regni, quorum unus alteri non subest iurisdiccione vel auctoritate, sed omnes immediate regi ; euro tarnen quandoque inter alios unus aut plures ceteris honoraciores habeantur, ut quia seniores aut 25 aliqua vel aliquibus virtutibus excellenciores, vel magis obsequiosi regi aut regno, propter quod a rege vel populo magis diliguntur et reverenciores habentur. Quo eciam modo debemus opinari de apostolis invicem et ad Christum. Omnes enim sub Christi potestate et auctoritate fuerunt, im­ 347 mediate ab ipso suam institucionem sacerdocii et apostolatus suscipientes, non ab invicem, ut in aperto clamat ubique scriptura et sancti sequentes ipsam ; quamvis inter eos beatus 5 Petrus honoracior fuerit propter iam dictas causas, non tarnen propter aliquam sibi a Christo super reliquos tradi­ tam potestatem. Hanc enim eis invicem interdixit, ut supra induximus ex Mattheo 23°, euro directe ad propositam nunc intencionem dixit eis : Nolite vocari Rabi; unus est enim magister vester, vos autem omnes fratres estis. 10 § 1 1 . SirnilHer autem neque iurisdiccionem coactivam habuit Petrus in reliquos apostolos plus quam econverso, nec per consequens ipsorum successores invicem. Hanc enim sibi Christus penitus interdixit Matthei 20° et Luce 22° ad

853 854 855 856

Gal. 2,9. Scholz 346 Anm. 4. Matth. 23, 8. Vgl. Vo.

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er vielleicht in seinem Glauben leidenschaftlicher und stand­ hafter war oder weil er mit Christus sich traf und häufiger zu Beratungen und geheimen < Zusammenkünften > 852 berufen 15 wurde. Daher schreibt der Apostel im Galaterbrief im 2. Kap. 853 : Jakobus und Kephas, d. h. Petrus, und ]ohannes rourden als Säulen < der Gemeinde > angesehen, wozu die Glosse nach Ambrosius 854 bemerkt : roeil sie am geehrtesten roaren unter den Aposteln, roeil sie immer im geheimen mit dem Herrn zusammen roaren. Ein passendes Beispiel dafür kann man von den weltlichen Machthabern abnehmen : Sie 20 haben in keiner Hinsicht voreinander etwas an Gewalt vor­ aus, z. B. die Grafen desselben Reiches, die einander in Ge­ richtshoheit oder Machtbefugnis nicht untergeordnet sind, sondern alle unmittelbar dem König : und doch genießt manch­ mal einer oder mehrere unter ihnen höhere Achtung als die anderen, z. B. weil sie älter sind oder durch eine oder einige 25 vorzügliche Eigenschaften hervorragen oder dem König oder dem Reich treuer ergeben sind, und darum werden sie vom Könige oder dem Volk mehr geliebt oder stehen in höherer Achtung. So müssen wir auch von < dem Verhältnis der > Apostel untereinander und zu Christus denken. Denn alle standen unter Christi Gewalt und Vollmacht, weil sie un­ 347 mittelbar von ihm ihre Einsetzung als Priester und Apostel erhielten, nicht voneinander, wie in klaren Worten überall die Schrift und im Anschluß an sie die Heiligen laut verkün5 den ; zwar genoft unter ihnen der selige Petrus höhere Achtung aus den eben genannten Gründen, nicht jedoch wegen irgend­ einer Gewalt, die ihm Christus über die anderen übertragen hätte. Diese Gewalt hat er ihnen < im Verkehr > untereinander verboten, wie wir oben aus Matthäus Kap. 238 55 angeführt haben, als er ihnen - < Und das steht > in unmittelbarer Be­ ziehung zum gegenwärtigen Thema - sagte : Ihr sollt eudt nidtt Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. 10 § 1 1 Ebenso hatte weder Petrus eine zwingende Rechtspre­ chung über die anderen Apostel -.ebensowenig umgekehrt856� noch folglich einer ihrer Nachfolger über die anderen. Denn diese hat ihnen Christus ganz und gar verboten bei Matth äus Sö t

NadJ. dem Sprachgebrauch des Marsilius kann in consiliis nur versatus est konstruiert sein, vgl. 346 , 1 8 ; 1 44,3 ist Zitat.

zu

con-

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propositas intenciones directe. Cum enim facta esset con­ tencio inter eos, quis eorum esset maior, dixit eis, Christus scilicet : Reges aut principes *gencium* dominantur eorum, et qui maiores sunt potestatem exercent in eos, vos autem non sie. Nec posset hoc Christus magis aperte negare. Cur ergo credet aliquis de hoc magis humane tradicioni sive sancti 20 sive non sancti, quam apertissimo Christi eloquio ? Contra talem enim vel tales loquitur Christus Matthei 15° et Marci 7°, cum dixit directe ad propositam intencionem : Invanum autem me colunt docentes doctrinas et precepta hominum. Relinquentes enim mandatum Dei tenetis tradi25 ciones hominum. Et parum infra : Bene irritum facitis pre­ ceptum Dei, ut tradicionem vestram servetis. Quod faciunt docentes humanas decretales, que Romano episcopo dicunt convenire potestatem et dominium temporalium non solum ecclesiasticorum, verum eciam et imperialium atque rega­ 348 lium, facientes irritum Dei preceptum, ut ex 14° demonstra­ tum est, et ex presenti capitulo liquet aperte, ut suam tradi­ cionem de bonis temporalibus ad ipsorum commodum ser­ vent. 5 § 12. Quod si tarnen apostoli beatum Petrum tamquam sibi episcopum elegissent aut principaliorem propter ipsius eta­ fern et sanctitatem acquisitam excellenciorem, ut habetur ex quodam Anacleti pape decreto in Isidori codice contento, cuius series est : Ceteri vero apostoli cum eodem, Petro scit o licet, pari consorcio honorem et potestatem acceperunt, ip­ sumque principem eorum esse voluerunt; non tarnen ex hoc sequeretur, quod ipsius successores in Romana sede vel alia, si alibi fuit episcopus, hanc prioritatem habeant super alio­ rum successores, nisi a reliquorum successoribus eligerentur n

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Matth. 15,3 u. 6; Mark. 7,7-9 ; zitiert ist Markus. Markus 7,7 : t5u5da"ov­ Ts,; r5tt5aa"aJ.. ta,; iv-,;d).p,am dvOewnwv; et zeigt, daß die griechische Kon­ struktion nicht verstanden ist ; praecepta ist Apposition zu doctrinas. 86 0 Mark. 7,8 : dtpbrs; - - - "f2aTstTC. 861 Mark. 6,9 : "a).äJ ,; dOsrciTs, Zva T'f}I}� O'rJ7:s. 8S2 II 1 4,22, bes. 323,4. 8o3 Scholz 348 Anm. 1 .

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n

20

25

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im 20. und bei Lukas im 22. Kap.857, ein direkter Beweis für unsere Thesen. Als nämlich ein Zank unter ihnen entstanden roar, roer von ihnen der Größte sei, sagte er zu ihnen, Chri­ stus : Die Könige oder Fürsten der Völker herrsChen über sie, und die die Größten sind, üben Gemalt über sie aus. Ihr aber niCht so. Klarer könnte Christus < einen Vorrang > nicht ablehnen. Warum also wird einer in dieser Hinsicht lieber der menschlichen Tradition858 glauben, sei es der eines Heiligen oder eines Nicht-Heiligen, als dem ganz klaren Ausspruch Christi ? Denn gegen solche Traditionen spricht Christus bei Matthäus im 1 5 . und bei Markus im 7. Kap. 8 59, wo er in unmittelbarer Beziehung zum vorliegenden Thema erklärt hat : Vergebens ehren sie miCh mit ihren Lehren von MensChenweisheiten und MensChengeboten. Ihr laßt näm­ liCh Gottes Gebot beiseite8 60 und haltet euCh an die Traditionen der MensChen. Und etwas weiter unten861 : Trefflidt wer­ steht ihr es > , Gottes Gebot zuniChte zu maChen, um eure Traditionen zu halten. Das tun die Lehrer der menschlichen Dekretalen, die besagen, dem römischen Bischof komme Gewalt und Eigentum an zeitlichen Gütern zu, nicht nur an kirchlichen, sondern sogar auch an kaiserlichen und königlichen ; so machen sie Gottes Gebot zunichte, wie II 14862 nachgewiesen worden ist und im gegenwärtigen Kapitel voll­ kommen klar wird - um ihre Tradition über die zeitlichen Güter zu ihrem eigenen Vorteil zu halten. § 1 2 Wenn nun jedoch die Apostel den seligen Petrus sich zum Bischof oder Leiter erwählt hätten wegen seines Alters und der von ihm erworbenen überragenden Heiligkeit so steht es in einem Dekret des Papstes Anacletus, das in dem Codex des Isidor enthalten ist und lautet863 : Die übrigen Apostel aber haben Ehre und MaCht in gleiChem Anteil roie er, Petrus, erhalten und haben gewollt, er solle ihr Führer s ein -, so würde doch daraus nicht folgen, daß seine Nach­ folger auf dem Römischen Stuhl oder einem anderen, wenn er anderswo Bischof war, diesen Vorrang vor den Nach­ folgern der anderen Apostel hätten, außer wenn sie von den

857 858

Matth. 20,25 ; Luk. 22, 24-26. Vgl. II 28,29 (574,20 ff.) .

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ad hoc ; maioris enim virtutis fuerunt aliqui successores aliorum quibusdam successoribus Petri, quamvis proprie quilibet episcopus indifferenter sit successor cuiuslibet apo­ stoli quantum ad officium, licet non secundum locum. Rur­ sum, cur magis conveniret hoc successoribus eius in sede 20 Romana, · quam in Antiochena vel Ierosolymitana vel alia, si episcopus in pluribus extitisset ? § 13. Amplius, quilibet episcopus, quantum ad intrinsecam dignitatem, inseparabilem scilicet, indifferenter successor est 25 cuiuslibet apostoli, et eiusdem meriti sive perfeccionis quan­ tum ad dignitatem predictam sive caracterem ; quoniam omnes hunc habent eundem ab uno efficiente sive datore secundum numerum immediate, videlicet a Christo, non ab eo, qui manus imponit. Neque refert quis apostolorum manus imposuerit. Unde ta ad Corinthios 3° : Nemo in hominibus glorietur, sive Paulus, sive Apollo, sive Cephas etc. vos baptizaverit vel aliter manus imposuerit, non refert. Unde 5 subdit : Vos autem Christi estis, id est, interins signaculum habetis a Christo. Ubi glossa : 'Vos autem Christi', non homi­ num, in creacione vel recreacione, que per sacramenta fit, supple. § 14. Amplius, propter manuum imposicionem Romanus to episcopus non est aut dici debet singulariter beati Petri suc­ cessor, quoniam Romanum episcopum esse convenit, cui non imposuit manus beatus Petrus, nec mediate nec immediate ; nec rursum propter seclern sive loci determinacionem. Primum quidem, quia nullus apostolorum lege divina detern minatus fuit omnino ad populum aliquem vel locum ; nam Matthei ultimo dieturn est omnibus : Euntes ergo docete omnes gentes. Amplius, quoniam beatus Petrus prius legitur Antiochie fuisse quam Rome. Rursum, quoniam si Roma fieret inhabitabilis, non propterea periret Petri successio. t5

349

8 64 8 65 8 66 �67 8 68

1 . Kor. 3,2 1-23 : ftrJbei� uavxaaffw iv dvffewnot�. Scholz 349 Anm. 2. Besseren Sinn gibt die Lesart (Konjektur) contingit sondern Paulus, vgl. §§ 15-18. Mat th. 28,19.

=

möglicherweise.

Teil II, Kapitel XVI

Nachfolgern der anderen Apostel dafür gewählt würden : denn einige Nachfolger der anderen standen sittlich höher als gewisse Nachfolger des Petrus ; freilich ist eigentlich jeder Bischof ohne Unterschied Nachfolger jedes Apostels nach dem Amt, wenn auch nicht nach dem Amtssitz. Ferner, warum sollte dieser Vorrang seinen Nachfolgern auf dem Römischen Stuhl mehr zukommen als denen auf dem von 20 Antiochien oder J erusalem oder einem anderen, wenn Petrus an mehreren Orten Bischof gewesen wäre ? § 1 3 Ferner, jeder Bischof ist in der inneren Würde, der unabtrennbaren, ohne Unterschied Nachfolger jedes Apostels 25 und besitzt dieselbe V erdienstlichkeit oder Vollkommenheit, was die eben genannte Würde oder den Charakter anlangt ; ·denn alle haben Mann für Mann diesen seihen < Charakter > unmittelbar von dem einen, der ihn geschaffen oder gegeben hat, von Christus, nicht von dem, der ihnen die Hände auflegt. Es kommt auch nicht darauf an, wer von den Aposteln die Hände aufgelegt hat. Daher heiRt es im 1 . Korinther­ brief im 3. Kap.864 : Niemand soll sich eines Menschen rüh­ men. Mag Paulus, mag Apollo, mag Kephas usw. euch getauft oder sonst die Hände aufgelegt haben, es kommt nicht darauf an. Daher fügt er hinzu : Ihr aber seid Christi, 5 d. h. tragt in eu erem Innern ein Siegel von Christus. Dazu erklärt die Glosse865 : ,Ihr aber seid Christi', nicht der Men­ schen in Schöpfung oder Wiedergeburt (ergänze : die durch die Sakramente geschieht) . § 14 Weiter : wegen der Handauflegung ist kein römischer 1 0 Bischof im besonderen des seligen Petrus Nachfolger oder darf so genannt werden - denn römischer Bischof darf866 sein, dem nicht der selige Petrus die Hände aufgelegt hat, weder mittelbar noch unmittelbar867 -, andererseits auch nicht wegen seines < römischen Bischof > stuhls oder des fest­ bestimmten Amtsbezirkes. Erstens : Kein Apostel war üher15 haupt durch göttliches Gesetz für irgendein Volk oder Gebiet bestimmt ; bei Matthäus im letzten Kapitel868 ist doch zu allen gesagt worden : Gehet also hin und lehret alle Völker. - Zweitens ist der selige Petrus, wie man liest, früher in Antiochien gewesen als in Rom. - Drittens, wenn Rom un­ bewohnbar würde, so hörte deswegen des Petrus Nachfolge nicht auf. - Endlich kann durch das göttliche Gesetz nicht n

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Adhuc, quia lege divina convinci non potest, per Christum aut apostolorum aliquem vel ipsorum collegium fuisse statu­ tum, episcopum alicuius determinate provincie sive diocesis debere vocari vel esse Petri aut alterius apostoli singulariter successorem ceterisque priorem, esto, quantumcumque apo25 stolos auctoritate impares extitisse. Sed ille vel illi magis sunt aliquo modo beati Petri et reliquorum apostolorum successores, qui vite et ipsorum sanctis moribus amplius con­ formantur. Tales enim responderent beati apostoli fore suc350 cessores suos interrogati de hiis, instar Christi eorum magistri, qui Matthei 1 2° respondens dicenti sibi: Mater tua et fratres tui foris stant, querenies te, ait: Que est mater mea et fratres mei ? Et extendens manum in discipulos suos dixit: 5 Ecce mater mea et fratres mei. Q uicumque enim fecerit vo­ luntatem patris mei qui in celis est, ipse meus frater et soror et mater est. Quis ergo episcoporum aut sacerdotum magis meretur apostolorum dici successor ? Is certe, qui eos amplius moribus et operibus imitatur. 10 Quod si dicatur, episcopum aliquem eo fieri beati Petri singulariter et principaliter successorem, quia per Romanum eierum aut per ipsum cum reliquo populo ad episcopatum eli­ gitur, et eo fieri episcopum universalis ecclesie, quamquam 1 5 specialius civitatem Romanam respiciat, quamdiu extiterit ipsa ; dicendum quod, quamvis hoc dieturn multiplices possit pati calumpnias, unico tarnen modo sufficienter repelli pot­ est, quoniam ex sacra scriptura convinci non potest, sed oppositum magis, quemadmodum supra monstraturn est et 20 immediate sequenti capitulo amplius ostendetur. Propier quod eadem vel consimili facilitate, qua dicitur, negari potest. Unde tarnen et propter quid principalitas pervenerit, aut pervenire si debeat, episcopo et ecclesie Rarnanorum super ceteras, 22° huius seriose dicetur. 20

86 9 Matth. 12,47-50. 870

II 22, 8.

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nachgewiesen werden, daR Ch.ristus oder ein Apostel oder deren Gesamtheit festgesetzt habe, der Bischof einer bestimm­ ten Provinz oder Diözese solle im besonderen Nachfolger des Petrus oder eines anderen Apostels genannt werden oder es sein und stehe über den anderen, selbst wenn die Apostel 25 an Ansehen noch so ungleich gewesen wären. Sondern viel­ mehr : Nachfolger des seligen Petrus oder der übrigen Apostel sind mit einem gewissen Recht der Mann oder die Männer, die ihr Leben am treuesten nach deren heiligem Leben und Wandel gestalten. Solche Männer seien ihre Nachfolger, würden die seligen Apostel, wenn darum gefragt, antworten nach 350 dem Vorbild ihres Meisters Christus ; der antwortet bei Matthäus im 12. Kap. 86 9 einem, der zu ihm sagt : Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suChen diCh : Wer ist meine Mutter und roer sind meine Brüder ? Und er streckte die Hand aus über seine jünger und spraCh : Siehe, das ist meine 5 Mutter und meine Brüder. Denn roer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder, SChwester und Mutter. Welcher von den Bischöfen oder Priestern verdient also am meisten, Nachfolger der Apostel genannt zu werden ? Sicherlich der, der sie am treuesten in Wandel und Werken nachahmt. Wenn aber gesagt wird : Ein Bischof wird darum Nach­ 10 folger des seligen Petrus im besonderen und vorzugsweise, weil ihn die römische Geistlichkeit oder sie mit dem übrigen Volk zum Bischofsamt erwählt, und dadurch wird er Bischof der Gesamtkirche, obwohl er im engeren Sinne < nur > die 1 5 Stadt Rom angeht, solange sie existiert, so ist zu entgegnen : Diese Behauptung könnte zwar vielfach Angriffe erfahren, doch schon durch einen einzigen Gegengrund läfit sie sich zur Genüge erledigen : Sie kann aus der Heiligen Schrift nicht bewiesen werden, sondern vielmehr ihr Gegenteil, wie oben gezeigt worden ist und im unmittelbar folgenden 20 Kapitel ausführlicher dargelegt werden wird. Deswegen kann sie mit derselben oder mit ähnlicher Leirotigkeit, mit der sie aufgestellt wird, verneint werden. Woher und wes­ halb aber trotzdem der Vorrang über die anderen an den römischen Bischof und die römische Kirche gekommen ist oder ob er an sie kommen darf, soll in II 22870 ernsthaft be­ sprochen werden. 20

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§ 1 5 . lam dictis autem audiri desuetis mirabilius est, quia desuetum amplius et inopinabile fortassis videbitur, si non falsum, �·quod':· ex certo scripture testimonio convinci potest, Romanos episcopos magis esse successores, quantum ad pro­ vinciam et gentem, apostoli Pauli quam Petri, presertim in episcopali sede Romana ; rursumque, fquod] iam dicto su5 peradmirabilius videbitur, quod per. scripture seriem imme­ diate probari nequit, Romanos episcopos successores esse singulares beati Petri propter sedis sive provincie determi­ nacionem ; sed propter hoc pocius eos, qui sederunt aut sedent in episcopali Antiochena sede. Prioris autem nunc 10 dictorum fides esse potest ex eo, quod, quamvis beatus Pau­ lus generaliter missus fuerit ad omnes naciones, quemad­ modum apostolorum quilibet reliquorum, unde Actuum 9° : Vas eleccionis est iste mihi, ut portet nomen meum coram gentibus et regibus et filiis Israel, singulariter tarnen et 15 principaliter fuit apostolus gencium, quemadmodum Petrus ludeorum, tarn per revelacionem, quam secundum aposto­ lorum invicem ordinacionem. Unde ad Galatas 2° : Cum vidissent, lacobus, Petrus et Iohannes, quod creditum est mihi evangelium prepucii, id est gencium, sicut Petro cir­ cumcisionis, id est ludeorum ; et intendit apostolus utrobique 20 tarn Petro quam sibi principaliter. Quoniam et Petrus genti­ bus et Paulus Iudeis poferat predicare, si causa vel necessi­ tas extitisset, quamvis principalitas in gentibus per dispen­ sacionem esset Pauli, et ad ludeos esset beati Petri, sicut glossa secundum Augustinum exponit ibidem. Rursum 25 Actuum 22° dieturn est Paulo in stupore mentis sue per revelacionem : Vade, quoniam in naciones longe mittarn te. Amplius Actuum 28° et ultimo : Et sie venimus Romam; et

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von

87 1 872 87 3 8 74 87 5 87 6 sn

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Scholz 350 Anm. 2. 354,27. Acta 9,15. Gal. 2,7. 339, 13 ff. Scholz 351 Anm. 3. Acta 22, 1 7 u . 2 1 . Acta 28,14.

Teil II, Kapitel XVI

§ 15 Aber überraschender als die eben ausgesprochene Behauptung871 , die man schon nicht mehr zu hören gewöhnt ist ­ denn das Ungewohnte wird überdies vielleicht auch als un­ glaubwürdig erscheinen, wenn nicht als falsch -, ist, daß durch das bestimmte Zeugnis der Schrift bewiesen werden kann : Die römischen Bischöfe sind, was Land und Volk an­ langt, mehr Nachfolger des Apostels Paulus als des Petrus, gerade auf dem Bischofssitz von Rom, und z w e i t e n s , was noch überraschender als das eben Behauptete erscheinen wird : 5 Durch keine Schriftstelle kann unmittelbar glaubhaft ge­ macht werden, daß die römisch en Bischöfe wegen ihres be­ stimmten Stuhles oder Gebietes im besonderen Nachfolger des seligen Petrus sind, sondern aus diesem Grunde sind es vielmehr die, welche auf dem Bischofsstuhl von Antiochien gesessen haben und sitzen.872 Der Beweis für die e r s t e jetzt 10 aufgestellte Behauptung kann aus folgendem hervorgehen : Der selige Paulus ist zwar allgemein zu allen Völkern ge­ sandt worden, wie jeder der übrigen Apostel - daher das Wort in der Apostelgeschichte im 9. Kap. 873 : Dieser ist mir ein auserwähltes Gefäß, zu tragen meinen Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels - aber er war doch im be1 5 souderen und vorzugsweise Apostel der Heiden wie Petrus der Juden ebenso durch Offenbarung wie nach der Abmachung der Apostel untereinander. Daher heißt es im Galaterbrief im 2. Kap. 874 : Als sie sahen, Jakobus, Petrus und Johannes, daß mir das Evangelium für die Unbesdmittenen anvertraut ist, d. h. für die Heiden, roie dem P etrus für die BesChnittenen, d. h. 20 für die Juden, und der Apostel meinte in beiderlei Hinsicht ebenso für Petrus wie für sich : vorzugsweise875 ; denn sowohl Petrus hätte den Heiden als auch Paulus den Juden predigen können, wenn ein Anlaß oder eine Notwendigkeit aufgetre­ ten wäre, obwohl bei den Heiden durch die Verteilung der Vorrang dem Paulus und bei den Juden dem seligen Petrus gehörte, wie die Glosse nach Augustin876 zu eben dieser Stelle 25 auseinandersetzt. Ferner ist nach der Apostelgeschichte Kap. 22 877 dem Paulus in der VerzüCkung durch Offenbarung gesagt worden : Ziehe hin, denn iCh roill diCh unter die Heiden in die Ferne senden. Weiter heißt es in der Apostelgeschichte im 28. 878 und letzten Kapitel : Und so kamen roir naCh Rom;

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infra parum loquens apostolus Iudeis in Roma, inquit : No­ turn ergo sit vobis, quoniam gentibus missum est hoc salutare Dei, et ipsi audient. Mansit autem biennio toto in suo con­ ductu, et suscipiebat omnes qui ingrediebantur ad eum, predieans regnum Dei. Rursum testatur hoc ipse magis specia­ liter ad Romanos 1 1° : Vobis enim, inquit, dico gentibus; quamdiu quidem ego sum apostolus gencium, ministerium meum honori/icabo, si quomodo ad emulandum provocem carnem meam, id est : licet quandoque eciam I udeos exhorter

10 ad hoc, principaliter tarnen ad gentiles apostolus sum. Adhuc

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ad Galatas 2° : Iacobus et Cephas et Iohannes, qui v ideban­ tur columpne esse, dexteras dederunt mihi et Barnabe socie­ tatis, ut nos in gentes, id est ad gentiles, ipsi autem in circum­ cisionem, id est ad Iudeos, irent evangelium predicandum. 15 Postrema vero legitur idem 1 a ad Timotheum 2° et 2• ad eun ­ dem 1 °, et series omisi propter abbreviacionem. § 16. Cum igitur per scripturam constet evidenter, Pau­ lum Rome fuisse biennio, et ibidem omnes suscepisse gen� tiles converti valentes, iisdemque predicasse, constat ipsum 20 fuisse Romanum episcopum specialiter, eo quod ibidem of­ ficium episcopi sive pastoris exercuit, auctoritatem huius habens a Christo, et revelacione mandatum, et aliorum apo­ stolorum eleccione consensum. De beato vero Petro, in qua secundum propositarum 25 apparebit, dico per scripturam sacram immediate convinci non passe ipsum fuisse Romanum episcopum ''specialiter*, et quod amplius est, ipsum umquam Rome fuisse. Admiran­ dissimum namque videtur, si secundum quandam vulgatam ecclesiasticam legendam sanetarum beatus Petrus prevenerit Romam beatum Paulum, ibidem predicans verbum Dei et

881 B82 88 3 884 885

88 6

Gal. 2,9. ad bei evangelium praedicandum zu ergänzen. 1. Tim. 2,7; 2. Tim. 1 , 1 1 . et. 35 1 ,4 ff. Vo (Stilistik) .

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etwas weiter unten 879 sagt der Apostel in einer Ansprache an die Juden in Rom : So sei es euch also kund, daß dieses Heil Gottes den Heiden gesandt ist, und die werden hören. Er blieb aber ganze zwei ]ahre in seiner eigenen Mietwohnung und empfing alle, die ihn besuchten, und predigte das Reich Gottes. Ferner bezeugt er < sein Heidenapostolat > selbst ge­ nauer im Brief an die Römer im 1 1 . Kap. 880 : Euch Heiden näm­ lich sag ich : Gerade insofern ich Apostel der Heiden bin, will ich meinen Dienst rühmen, ob ich irgendwie mein Volk zur Eifersucht reizen könnte, d. h., mag ich auch manchmal die Juden dazu anfeuern, vorzugsweise jedoch bin ich Apostel für die Heiden. Ferner sagt e r im Galaterbrief im 2. Kap.881 : Jakobus und Kephas und ]ohannes, die als die Säulen < der Gemeinde > angesehen wurden, gaben mir und dem Barnabas die Rechte < Zum Zeichen > der Gemeinschaft, wir sollten zu den Völkern, d. h. zu den Heiden, sie selbst aber zu den Beschnittenen, d. h. zu den Juden, gehen, um das Evange­ lium zu predigen. 882 Schließlich liest man dasselbe im 1 . Brief an Timotheus im 2. Kap. und im 2. Brief an denselben im 1. Kap.88 3, aber884 den Wortlaut habe ich ausgelassen, um abzukürzen. § 16 Da also durch die Schrift unwiderleglich feststeht, daR Paulus zwei Jahre in Rom gewesen ist, dort alle Heiden empfangen hat, die sich bekehren wollten, und ihnen ge­ predigt hat, so steht < ebenso > fest, daR er im besonderen römischer Bischof gewesen ist, weil er dort das Aufseher- oder Hirtenamt ausgeübt hat ; er hatte ja die Vollmacht dazu von Christus, durch die Offenbarung seinen Auftrag und durch der anderen Apostel Entscheidung deren Zustimmung < erhalten > . Von dem seligen Petrus aber - hiermit wird die z w e i t e 88 5 These klar werden - kann, so behaupte ich, aus der Heiligen Schrift nicht nachgewiesen werden, er sei römischer Bischof im besonderen gewesen, und, was < noch > weiter geht, er sei < nicht einmal > jemals in Rom gewesen. Denn es scheint höchst verwunderlich886 : Wenn nach einer weitverbreiteten kirchlichen Legende der Heiligen Petrus eher nach Rom gekommen wäre als der selige Paulus, dort das Wort Gottes ge879 Acta 880

28,28 u . 30. Röm. 1 1 , 1 3-1 4 : erp' öaov fl-B'V OVv elpt dn6aroÄo,;, rijv &axov{av oo�aaw, e'l nw,; !;rJ).waw p,ov rijv aaexa.

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postmodum captus ; deinde vero, quod beatus Paulus in suo adventu Romam una cum beato Petro tot conflictus habuerit cum Sirnone Mago, et simul tauturn pro fide certaverint ads versus imperatores et ipsorum ministros ; demum [que] se­ cundum eandem historiam, quod ambo simul capite privati propter Christi confessionem dormiverunt in Domino, et sie Romanam consecraverunt ecclesiam : admirandissimum in1 0 quam dico;' quod beatus Lucas, ut dicitur qui Actus Aposto­ lorum scripsit, et Paulus apostolus de beato Petro nullam prorsus mencionem fecerunt. § 1 7. Amplius, quod beatus Petrus Romam non prevenerit eos, credere facit probabiliter valde, quod Actuum ultimo scribitur. Dum enim Paulus in suo adventu prima alloque1 5 retur Iudeos, inter cetera sui adventus Romam volens assi­ gnare causam inquit : Contradicentibus autem Iudeis coac­ tus sum appellare Cesarem. At illi dixerunt ad eum : Nos neque Iiteras accepimus de te a ludea, neque adveniens ali­ quis fratrum nunciavit aut locutus est quid de te malum. 20 Rogamus autem a te audire que sentis, nam de secta hac no­ turn est nobis, quia ubique ei contradicitur. Dicat ergo mihi veritatis inquisitor, non querens contendere solum, si proha­ bile sit alicui beatum Petrum Romam prevenisse Paulum, et inter fratres idest Iudeos ibidem existentes, quarum specialiter et principaliter apostolus erat, nihil nunciasse de Christi fide, quam Iudei loquentes ad Paulum sectarn voca­ bant. Amplius, Paulus in reprehendendo ipsos de incredu5 litate, si novisset Cepham ibidem fuisse et predicasse, quo­ modo non dixisset aut ipsum huius testem induxisset negocii,

888 I 19,7. Scholz 353 Anm. 1 . 889 Paulus und seine Begleiter Acta 1 8, 1 1 ff. 890 W probabilis. 891 Acta 28, 1 9 u. 21-22. 892 Vgl. Vo. 893 Acta 28,22 ; rogamus für Mtovp,cv.

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predigt hätte und hinterdrein gefangengenommen worden wäre ; ferner < wenn es wahr wäre > , daß der selige Paulus bei seiner Ankunft in Rom zusammen mit dem seligen Petrus so viele Zusammenstöße mit dem Zauberer Sirnon gehabt hätte und sie zugleich so viel für den Glauben gegen die 5 Kaiser und ihre Diener gestritten hätten ; und endlich, wenn887 nach derselben Geschichte beide, zugleich enthauptet um ihres Bekenntnisses zu Christus willen, entschlafen sind in dem Herrn und so die römisdw Gemeinde geweiht haben - dann < scheint > es höchst verwunderlich886, behaupte ich, 10 daß der selige Lukas, der - wie es heißt - die Apostel­ geschichte geschrieben hat, und der Apostel Paulus den seligen Petrus überhaupt nicht erwähnt haben.888 § 1? Ferner, daß der selige Petrus nicht vor ihnen889 naCh Rom gekommen ist, läßt mit großer W ahrscheinlichkeit890 glauben, was in der Apostelgeschichte im letzten Kapitel8 9 1 geschrieben steht. Als nämlich Paulus bei seiner Ankunft 15 zum ersten Male892 die Juden anredete, sagte er u. a. in dem Wunsche, den Grund seiner Ankunft in Rom zu betonen : Da aber die Juden < meiner Freilassung > widerspraChen, sah idt miCh gezwungen, an den Kaiser zu appellieren. Sie aber sag­ ten zu ihm : Wir haben weder briefliChe NadtriChten über diCh aus ]udäa erhalten, noCh ist einer der Brüder angekommen und hat etwas Schlimmes über dich gemeldet oder erzählt. zo Wir roünschen893 aber von dir zu hören, was du meinst; denn von dieser Sekte ist uns bekannt, daß man ihr überall wider­ spricht. Einer, der nach der Wahrheit forscht, nicht einer, der nur Streit sucht, soll mir nun sagen, ob es jemandem wahr­ scheinlich ist, daß der selige Petrus eher nach Rom gekommen sei als Paulus und unter den Brüdern, d. h. unter den Juden, die dort wohnten und deren Apostel er doch im besonderen und vorzugsweise war, nichts vom Glauben an Christus ver­ kündet habe, den die Juden im Gespräch mit Paulus eine Sekte nannten. Ferner, als Paulus sie wegen ihres Unglaubens s tadelte, < wie hätte er da > , wenn er erfahren hätte, Kephas sei dort gewesen und habe ihnen gepredigt - wie hätte er da das ·

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quod ist in der Übersetzung weggelassen, um die Satzkonstruktion durchführen und den lat. Indikativen dormiverunt et consecraverunt gerecht werden zu können.

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qui resurreccionis Christi testis extiterat ? ut apparet Aetu­ um 30. § 18. Et rursum, de quo iam diximus, quis opinabitur, quod 10 biennio existens ibidem Paulus numquam conversacionem, collacionem aut contubernium habuerit cum beato Petro ? Et si habuisset, quod de ipso nullam penitus mencionem fecisset, qui Aetuum scripsit historiam ? In aliis enim locis minus famosis, dum Paulus Petrum invenit, mencionem de 1 5 ipso fecit, et cum eo conversatus [est] , ut in Corintho, fa ad Corinthios 3°, et in Antiochia, ut ad Galatas 2°, et sie de reli­ quis plerisque locis. In Roma vero inventum quo modo non nominasset, que omnium urbium famosissima erat, et in qua secundum iam dietarn historiam beatus Petrus preerat tam20 quam episcopus ? Sunt enim hec incredibilia quasi ; propter quod historia illa sive legenda non videtur in hac parte pro­ babilifer posse teneri, et quasi cum apocryphis computari debere. Sed per scripturam sacram indubitanter tenendum, beatum Paulum fuisse Romanum episcopum ; et si quis alter 25 cum ipso Rome fuerit, ipsum tarnen Paulum singulariter et principaliter propter causas predietas fuisse Romanum episcopum, beatum vero Petrum Antiochie, ut apparet ad Galatas 2°. Rome vero non contradico, sed verisimiliter teneo ipsum in hoc non prevenisse Paulum, sed pocius econverso. § 19. Quod autem omnium maxime attendendum propter propositum ''principale est'' : quoniam et si alique sint congru­ encie, propter quas appareant quomodocumque singulariter 5 vocati successores beati Petri successoribus aliorum reveren­ ciores, et precipue in episcopali sede Romana, nulla tarnen, ut eisdem subieeti credantur secundum aliquam potestatem iam dietarn aliorum apostolorum successores, sacre scripture necessitas vocat. Esto adhuc apostolos auetoritate impares

89 4 8 95 896

Acta 3,15. 1 . Kor. 3 ,22. Gal. 2, 1 1-14. 897 Vgl. 349,24.

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nicht sagen und ihn als Zeugeu für diese Tatsache anführen sollen, der Zeuge der Auferstehung Christi gewesen war, wie sich aus dem 3. Kap. 894 der Apostelgeschichte ergibt ! § 1 8 Ferner - wir haben schon darüber gesprochen -, wer wird glauben, daR Paulus, wenn er zwei Jahre dort gelebt 10 hätte, niemals Verkehr, eine Besprechung oder eine Tisch­ gemeinschaft mit dem seligen Petrus gehabt hätte, und wenn er sie gehabt hätte, daR der Verfasser der Apostelgeschichte ihn gar nicht erwähnt hätte ! Wenn nämliCh Paulus in an­ deren weniger b erühmten Orten Petrus traf, hat er ihn 1 5 erwähnt und hat mit ihm verkehrt wie in K orinth nach dem 1 . Korintherbrief Kap. 3 8 95 und in Antiochien naCh dem Galaterbrief Kap. 2896 , und < das gilt > von sehr vielen anderen Orten. Wenn er vollends ihn in Rom vorgefunden hätte, wie hätte er ihn nicht nennen sollen, < in Rom > , der berühmtesten aller Städte, in der nach der eben erwähnten Geschichte der 20 selige Petrus als Bischof die Leitung hatte ! Das ist ja gerade­ zu unglaublich ; deswegen kann man jene Geschichte oder Legende in diesem Teil offenbar nicht als wahrscheinlich hin­ nehmen und muß sie geradezu zu den Apokryphen rechnen. Vielmehr kann nach der Heiligen Schrift nicht bezweifelt wer­ den : Der selige Paulus war römischer Bischof, und wenn ein anderer mit ihm in Rom gewesen sein sollte, so ist doch Paulus 25 im besonderen und vorzugsweise aus den vorhin genannten Gründen römischer Bischof gewesen, der selige Petrus aber in Antiochien, wie aus dem Galaterbrief K ap. 2 hervorgeht. < DaR Petrus > aber < auch > in Rom < gewesen ist > , bestreite ich nicht, aber für wahrscheinlich halte ich : er ist hierin dem Pau­ lus nicht zuvorgekommen, sondern vielmehr umgekehrt. 355 § 19 Was man aber am allermeisten wegen der Hauptthese beachten muß : es mag zwar einige übereinstimmende Über­ lieferungen geben, nach denen es scheint, als seien irgendwie 5 diejenigen, die im b esonderen Nachfolger des seligen Petrus genannt wurden, und vor allen die auf dem Bischofsstuhl in Rom, geaChteter gewesen als die Nachfolger der anderen ; doch daR man glauben müßte, ihnen seien in irgendeiner schon erwähnten Gewalt die Nachfolger der anderen Apostel untergeordnet, < das > verkündet keine zwingende Überliefe­ rung der Heiligen Schrift, mögen auch überdies die Apostel an Ansehen ungleich gewesen sein. 897 Al so hatte < erstens > der

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extitisse. Non habuit ergo beatus Petrus aut apostolus alter virtute verborum scripture super alios potestatem insti­ tuendi aut deponendi, neque quantum ad sacerdotalem dig­ nitatem, quam essencialem diximus, neque ad eorum missio­ nem seu determinacionem ad locum aut populum, neque ad 15 scripture seu fidei catholice interpretacionem, neque quan­ tum ad coactivam cuiusquam in' hoc seculo iurisdiccionem plus quam econverso. Unde per necessitatem sequi videtur, quod nec virtute verborum scripture successor aliquis ipso­ rum alicuius singulariter quomodocumque vocatus in succes20 sores reliquorum aliquam supradictarum habeat potestatem. Potest autem hoc patenter astrui auctoritate Ieronymi, quam ex epistola ipsius ad Evandrum circa finem 8• capituli prece­ dentis induximus.

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C A P I T U L U M XVII

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D e a u ct o r i t a t e i n s t i t u e n d i ep i s c o p o s e t a l i o s c u r a t o s a c r el i q u os e c c l e s i e m ini s t r o s q u a n ­ t u m a d ut r a m q u e d i g n i t a t e m s i v e o f f i c i u m , s e p a rabilem s i ve i n s e p a rab ilem . De prime quidem igitur sacerdotalis auctoritatis, quam essencialem diximus, factiva causa iam dieturn est nobis. De reliqua vero, qua scilicet certis sacerdotibus aut populo vel utrisque in certa provincia seu loco preferuntur ipsorum aliqui ; amplius, unde conveniat eisdem temporalia quedam, iam vocata ecclesiastica beneficia, dispensare ; unde eciam rursum ad ipsos seu ipsorum quosdam coactive iurisdicci­ ones pervenerint ; ad quem eciam aut quos et qualiter con­ veniencius sacre scripture dubios sensus, in hiis precipue que

9 oo

II 15, 8 (334,14 ff.) . Scholz 355 Anm. 1 . 902 § § 5-15. 903 §§ 16-19. oo4 II 18. 901

Teil Il, Kapitel XVII 10

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selige Petrus oder ein anderer Apostel kraft der Worte der Heiligen Schrift keine GewaltS 98 über die anderen, sie einzu­ setzen oder abzusetzen, weder in bezug auf ihre priesterliche Würde, die wir die wesentliche genannt haben899 , noch in be­ zug auf ihre Aussendung oder Bestimmung für ein Gebiet oder Volk, noch in bezug auf die Auslegung der Schrift oder des katholischen Glaubens, noch in bezug auf eine zwingende Rechtsprechung über irgend jemanden in dieser Welt, eben­ sowenig wie umgekehrt. Daraus folgt offenbar mit Notwen­ digkeit < zweitens > : Kraft der Worte der Heiligen Schrift hat auch kein < Nachfolger> von ihnen, mag er auch als < Nach­ folger > irgendeines < Apostels > im besonderen irgendwie be­ zeichnet werden, gegenüber den Nachfolgern der übrigen < Apostel > irgendeine von den obengenannten900 Gewalten. Dies kann offensichtlich durch das autoritative Wort des Hieronymus gestützt werden, das wir aus seinem Brief ,An Evander' gegen Ende von § 8 des vorausgehenden Kapitels9 01 angeführt haben. KA P I T E L XVII

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Vo n d e r B e f u g n i s , B i s ch ö f e u n d a n d e r e S e e l s o r g e r und die übrigen D iener der K irche in beide Ämter o d e r Wü r d e n , d i e a b t r e n n b a r e o d e r u n ab t r e n n ­ b a r e , e i n z u s e t z e n. § 1 über die wirkende Ursache der ersten priesterlichen Vollmacht, die wir die wesentliche genannt haben, haben wir also bereits gesprochen. Nun haben wir noch über die zweite zu entscheiden, wonach einige von ihnen mit der Aufsicht über bestimmte Priester oder ein bestimmtes Volk oder beides in einer bestimmten Provinz oder Landschaft betraut wer­ den90li, ferner : wieso es ihnen zukommt, gewisse zeitliche Güter, die schon erwähnten kirChliChen Benefizien, zu verwalten903, weiter : wieso ihnen oder einigen von ihnen zwin­ gende Rechtsprechungen zugefallen sind904, endlich : welc:hen Personen oder Kollegien oder in welchem Verfahren es am besten gebührt, den Sinn zweifelhafter < Stellen > der Heiligen s9 s

340, 18 ff.

s 99

II 16, 5.

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ad salutis necessitatem attinent, determinare pertineat, reli­ quum nobis est diffinire. Sufficienter enim manifestatis hiis, apparebit quod ab huius operis inicio propositum mani­ festare fuerat. § 2. Ante tarnen quam hic proposita singulariter prosequa­ mur, expedit narrare primum institucionis et determinat 5 cionis episcoporum seu presbyterorum modum circa statum et inicium ecclesie primitive, unde cetera postmodum deri­ vata sunt. Horum autem omnium principium accipiendum est a Christo, qui caput est et petra, super quam fundata est ecclesia catholica. secundum quod dicit apostolus ad Ephe20 sios 4° et 5° et 1 a ad Corinthios 1 0°. Quod eciam dicit glossa que­ dam super illud Matthei 16° : Super hanc petram edificabo ecclesiam meam. Hoc, inquam, caput ecclesie, petra et funda­ mentum, Christus scilicet, apostolis contulit sacerdocium et auctoritatem episcopalem super omnes gentes et populos, 25 cuilibet seorsum, neminem ad certurn locum seu populum determinando sie, quin eciam sibi liceret ubilibet predicare, quamvis aliqui magis deputati fuerint in gentes, alii vero in circumcisionem, ipsorum invicem aut spiritus sancti ordi­ nacione. Quod eciam videtur sentire glossa super illud 2; ad 3o Galatas : Et cum cognovissent graciam que data est mihi inter gentes. Inquit enim glossa : Christus enim dedit Paulo, 35? ut ministraret gentibus, qui eciam Petro dederat, ut ministra­ ret Iudeis. Ita tamen dispensacio distributa est illis, ut et Petrus gentibus predicaret, si causa fecisset, et Paulus Iudeis. Quod similiter videtur apostolus intellexisse ad Ro5 manos 1 1°, euro dixit : Ministerium meum honorificabo, si quo modo ad emulandum provocem carnem meam : id est Iudeos, ex quibus natus erat secundum carnem, ut glossa to

9o7

9 08 9 09 910 911 912

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Eph. 4, 1 5 ; 5,23. 1. Kor. 1 0,4 ; vgl. 1. Kor. 3,1 1 . Scholz 356 Anm. 2. Es war ihm also erlaubt : die beiden Negationen heben sich auf. Gal. 2, 8-9 ; vgl. 338,32 u. Anm. 808. Scholz 356 Anm. 4. Röm. 1 1 , 13-1 4 ; vgl. 352,5 ff. u. Anm. 880. Scholz 35? Anm. 1 .

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Schrift zu bestimmen905, besonders in dem, was für das Heil der Seele notwendig ist. Ist das nämlich hinreichend geklärt, so wird sich ergeben, was zu klären von Anfang dieses Werkes an < unser > Vorsatz war. § 2 Bevor wir jedoch den hier aufgeworfenen Fragen Punkt für Punkt weiter nachgehen, ist es zweckmäßig, zu­ nächst die Form zu schildern, wie in der ältesten Kirche Bischöfe oder Priester eingesetzt und < für ihren Sprengel > bestimmt wurden, woraus die späteren Zustände908 sich ent­ wickelt haben. Diese < Formen > gehen alle, so ist anzuneh­ men, auf Christus zurück, der das Haupt ist und der Fels, auf den die rechtgläubige Kirche sich gründet nach den Worten des Apostels im Epheserbrief im 4. und 5. Kap.907 mid im 1 . Korintherbrief im 10. Kap.90 8 Das sagt auch eine Glosse9 09 über jenes Wort bei Matthäus im 16. Kap. : Auf diesen Felsen roill im meine Gemeinde bauen. Dieses Haupt der Gemeinde, sag ich, dieser Fels und dieser Grund, Chri ­ stus, hat den Aposteln die Priesterwürde und die bischöfliche Vollmacht über alle Nationen und Völker, jedem besonders, erteilt, ohne einen für ein bestimmtes Gebiet oder Volk aus­ smließlieh festzulegen, so daß es ihnen nimt erlaubt gewesen wäre910, an jedem beliebigen Ort zu predigen, wiewohl einige mehr zu den Heiden abgeordnet waren, andere mehr zu den BesChnittenen nach der durm Vereinbarung oder durm den heiligen Geist < festgesetzten > Ordnung. Das scheint auch die Glosse zu jener Stelle im 2. Kap. des Galaterbriefes911 zu meinen : Und als sie die Gnadengabe erkannten, die mir für die Heiden verliehen ist; die Glosse8 12 sagt nämlim : Christus hat ja dem Paulus < den Auftrag > gegeben, den Heiden zu dienen, < er > , der aum dem Petrus < den Auftrag > gegeben hatte, den Juden zu dienen. So jedom sind die Aufgaben unter ihnen verteilt roorden, daß soroohl Petrus den Heiden predigen sollte, roenn ein Anlaß es ergeben hätte, als aum Paulus den Juden. Das scheint auch der Apostel im Römer­ brief im 1 1 . Kap.913 gemeint zu haben ; er hatte nämlich gesagt : Meinen Dienst roill im rühmen, ob im irgendwie mein Volk zur Eifersud-ti reizen könnte, d. h. die Juden, von denen er abstammte nach dem Fleisch, wie die Glosse914 zur 9os

90 6

II 20. cetera postmodum 356, 1 5 = reliqua consequenter 359,15.

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dicit ibidem. Ex quibus verbis senciendum videtur, quod ea potestate seu caractere, qua quis sacerdos instituitur, indif10 ferenter habet potestatem ubique ministrandi et super om­ nem populum, quamvis divina revelacione vel humana qua­ dam ordinacione quidam ad certurn locum aut populum magis determinentur quam ad reliquum, precipue tempori­ bus hiis. t5 § 3. Hec autem videntur scripture ac racioni consona. Nam generalem unicuique apostolorum tradens Christus admini­ stracionem, Matthei 28° dixit apostolis indifferenter : Euntes ergo docete omnes gentes, neminem determinando ad locum aut populum. Quandoque vero ad specialem gentem aut populum divina revelacione determinati fuisse videntur, 20 cum dicat apostolus de se Actuum 22° : Factum est autem revertenti mihi in lerusalem et oranti in templo fieri me in stupore mentis, et videre illum, Christum scilicet, dieentern mihi: Festina et exi velociter ex lerusalem, quoniam non 25 recipient testimonium tuum de me. Et parum infra subiungi­ tur sibi dieturn a Christo : Vade, quoniam in naciones longe mittarn te. Ecce quod per revelacionem accepit quandoque Paulus aliquam loci et populi determinacionem. Sie eciam 358 eandem suscepit determinacionem ipse cum aliis apostolis humana quadam ordinacione. Unde ad Galatas 2° dixit : Dexteras dederunt mihi et Barnabe societatis, Iacobus, Cephas atque Iohannes, ut nos in gentes, ipsi autem in cir5 cumcisionem. Ecce determinacionem apostolorum ad certurn populum et provincias humana ordinacione factam imme­ diate. Constat autem, quod ex tali determinacione, sive facta immediata Dei · revelacione sive ipsorum invicem ordi­ nacione, ipsos non recepisse perfeccionem per spiritum sanc­ tum, quam prius non habuissent.

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9 18

Acta 22, 1 ?-18. 21 . Gal. 2,9.

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gleichen Stelle sagt. Diesen Worten scheint man entnehmen zu müssen, daR durch die Gewalt oder den Charakter, wo­ durch einer zum Priester gemacht wird, er die Gewalt hat, t o ohne Unterschied überall und über jedes Volk sein Amt aus­ zuüben, wiewohl manche durch göttliche Offenbarung oder menschliche Ordnung einem bestimmten Gebiet oder Volk mehr zugewiesen werden als einem anderen, zumal in heuti­ ger Zeit. 15 § 3915 Dies scheint mit der Schrift und der Vernunft in Ein­ klang zu stehen. Denn als Christus jedem Apostel eine allge­ meine Aufgabe stellte, sagte er bei Matthäus im 28. Kap.916 zu den Aposteln ohne Unterschied : Gehet also hin und lehret alle Völker, ohne einen für ein Gebiet oder Volk zu bestim­ men. Manchmal aber scheinen sie durch göttliche Offen­ barung für eine besondere Nation oder ein besonderes Volk 20 bestimmt gewesen zu sein ; so sagt der Apostel in der Apostel­ geschichte im 22. Kap.917 von sich : Als im aber nach ]erusalem zurückgekehrt roar und im Tempel betete, geschah es mir, daß im in Verzückung geriet und ihn sah, Christus, roie er zu mir sprach: Eile und verlasse schleunig ]erusalem ; denn sie werden dein Zeugnis über mim nicht annehmen. Etwas 25 weiter unten wird hinzugefügt, Christus habe ihm gesagt : Ziehe hin ; denn im roill dich zu den Heiden in die Ferne senden. Beachte : Durch eine Offenbarung erhielt einmal Paulus eine Zuweisung für Gebiet und Volk. So hat er auch dieselbe Zuweisung mit anderen Aposteln durch eine mensch­ 358 liche Abmachung erhalten. Daher sagte er im Galaterbrief im 2. Kap.9 1 8 : Mir und dem Barnabas gaben sie die Rechte < zum Zeichen > der Gemeinschaft, Jakobus, K ephas und Johannes, roir sollten zu den Heiden, sie selbst aber zu den Besmnit5 tenen < gehen > . Beachte : Die Zuweisung der Apostel an ein bestimmtes Volk und bestimmte Provinzen ist durch mensch­ liche Ordnung unmittelbar erfolgt. Es steht aber fest : Aus einer solchen Zuweisung, mochte sie durch unmittelbare Offenbarung Gottes oder durch gegenseitige Abmachung er­ folgt sein, haben sie keine Vollkommenheit durch den heiligen Geist empfangen, die sie früher nicht gehabt hätten. 9 15

Zu §§ 3 -4 Scholz 357 Anm. 2.

9 1 6 Matth� 28, 19.

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§ 4. Apparet hoc siquidem racione, quoniam esto episco­ pum aut alium curatum quemlihet determinatum ad ali­ quam provinciam aut populum extra provinciam sibi Com­ missam exivisse, sicut frequencius quam oporteat evenire videmus, obviet autem, casu aliquo vel a proposito eciam, 1 5 alicui non fideli neque baptizato, baptizari tarnen petenti per se vel alium ; si quidem hunc baptizet, servata forma sacramenti, constat hunc vere baptizatum esse, quamvis forte mortaliter peccet sie baptizans i� non sibi subiecta seu zo commissa provincia. Non ergo determinatus est quisquam ex episcopali seu sacerdotali potestate, quam essencialem diximus, ad locum aut populum, sed indifferenter respicit omnes. Determinata fuerunt tarnen huiusmodi quandoque divina revelacione, ut in ecclesia primitiva, frequencius z; tarnen humana ordinacione, precipue modernis temporibus. Et hoc ad scandalum evitandum inter episcopos et sacerdotes invicem, et propter alias evidentes utilitates, quas in sequen­ tibus assignabo. § 5. Hiis itaque sie premissis, ad proposita in principio huius capituli singulariter accedentes, ostendemus primum -. o determinate institucionis apostolorum ad certos populos atque provincias causam factivam convenienciorem imme­ diatam fuisse Christi revelacionem aut ipsorum invicem concordem ordinacionem ; deinde vero, quod suorum successo­ rum primarum ante populi conversionem determinate insti­ tucionis causa factiva immediata fuit expressa voluntas omnium apostolorum aut plurium, si omnes aut plures pre5 sentes fuerint simul in loco seu provincia, in qua sacerdotem aut episcopum apartebat statuere, vel ipsorum apostolorum unicus secundum loci et populi ac temporis disposicionem ; demum vero, quod post martern apostolorum aut in ipsorum ahsencia episcoporum et aliorum ecclesie seu spiritualium 1 0 ministrorum institucio secundaria modorum convenientis­ simo possibilium humane conversacioni facta est per univer10

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9�s

b) Zeit der ersten Apostelnachfolger § § 6-7. c) Zeit nach dem Tode der Apostel und der Apostolischen Väter § § 8 bis 15.

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§ 4 Das ergibt sich durch vernünftige Überlegung : Ange­ nommen, ein Bischof oder ein beliebiger anderer Seelsorger, der für eine Provinz oder ein Volk bestimmt ist, habe die ihm anvertraute Provinz verlassen (wie wir es häufiger als nötig erleben) ; dabei mag er (durch Zufall oder auch absicht1 5 lieh) einem Nicht-Gläubigen und Nicht-Getauften begegnen, der jedoch bittet, von ihm oder einem anderen getauft zu werden ; wenn er nun diesen tauft unter Wahrung der Form des Sakramentes, so steht fest : Dieser ist wirklich getauft, allerdings begeht vielleicht eine Todsünde, wer so tauft in einer ihm nicht unterstellten oder anvertrauten Provinz ! 9 19 Also 20 ist einer durch die bischöfliche oder priesterliche Gewalt, die wir die wesentliche genannt haben, nicht für ein Gebiet oder Volk bestimmt, sondern ohne Unterschied ist er für alle da. Dergleichen Zuweisungen sind jedoch manchmal durch gött­ liche Offenbarung erfolgt wie in der Urkirche, häufiger je25 doch durch menschliche Ordnung, zumal in heutiger Zeit, und zwar um Ärgernis zwischen den Bischöfen und Priestern zu vermeiden und wegen anderer offenbarer Vorteile, die ich im folgenden hervorheben werde. 920 § 5 Wenn wir nun nach diesen Vorbemerkungen an die im Anfang dieses Kapitels aufgeworfenen Fragen im ein­ zelnen herangehen, so wollen wir erstens921 zeigen : Die an30 gemessensie unmittelbare bewirkende Ursache der Zu­ weisung der Apostel für bestimmte Völker und Provinzen war Christi Offenbarung oder eine unter ihnen gütlich vereinharte Ordnung ; zweitens922 : Unmittelbare wirkende Ur­ sache der Zuweisung ihrer ersten Nachfolger dür bestimmte Gebiete > war vor der Bekehrung des Volkes der ausdrückliche Wille aller oder mehrerer Apostel, wenn alle oder mehrere zu5 gleich an einem Ort oder in einer Provinz anwesend waren, in der man einen Priester oder Bischof einsetzen mußte, oder ein einziger Apostel je nach der Lage des Ortes, des Volkes und der Zeit ; endlich9 2 3 aber : nach dem Tode der Apostel oder in deren Abwesenheit erfolgte die < sekundäre > Einsetzung der 1 0 Bischöfe und der anderen kirchlichen oder geistlichen Diener in der zweckmäßigsten Form, die für das menschliche 10

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920 § § 2-4 bereiten die folgende Erörterung vor. 919 ironisCh. 021 § 5, Abs. 1 Disposition für §§ 5 (Abs. 2) - 1 5 :

a ) Zeit Christi und der Apostel § 5, Abs. 2 .

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sitatem :fidelium in loco sive provincia, super quam iam dicti ministri debent institui, [num] quam per aliquod singulare collegium aliud vel personam. Sicque postmodum osten1 5 dentur reliqua consequenter. Horum ergo primum apparere potest : quod videlicet non alia conveniencior huius determinacionis causa potest as­ signari quam divina revelacio aut ipsorum communis deli20 beracio, quoniam in harum neutra error aut malicia inter­ venisse videtur. De divina siquidem revelacione nemini dubium ; de apostolorum autem eleccione videtur prohabile atque credendum, quoniam spiritu sancto inspirati erant, ut ex Iohannis 20° pridem induximus. § 6. Deinde dico, quod suorum successorum primorum, 25 maxime ante populorum conversionem, institucionis secun­ darie seu determinacionis causa factiva immediata fuerunt et esse debuerunt omnes aut plures apostolorum vel ipsorum unicus secundum modum predictum, ut si simul omnes aut 360 ipsorum plures aut unicus tantum reperti fuerint -.. ibidem*. Hoc autem convincitur primum ex scriptura, nam ipsos sie egisse legimus Actuum 6° in diaconorum institucione, -.. eciam 5 quantum ad primam auctoritatem, quam essencialem iam diximus*. Unde : Hos statuerunt ante conspectum aposto­ lorum, et orantes, apostoli scilicet, imposuerunt eis manus. Non ergo adduxerunt eos ad Petrum solum, sed ante conspec­ tum apostolorum. Nec solus Petrus sibi assumpsit singulariter 10 auctoritatem imponendi eis manus, sed apostoli imposuerunt eis manus. Est autem et hoc racioni consonum. Verisimile enim est omnes aut plures apostolorum simul cereins deliberasse ac minus errasse circa personam promovendam sive ad sacer­ docium sive ad alium sacrum ordinem �·aut aliud of:ficium 15 secundarium statuendamo:·, quolibet ipsorum seorsum acErg. fuisse. - Zu reliqua consequenter vgl. cetera postmodum 356,15. - Gemeint ist § 8 ff. 9 25 Joh. 20, 22-23 ; vgl. 327,19. 9 26 b , s. Anm. 922. 9 27 Acta 6,6 : saT'T)O'aY ivcvmov Twv anoar6i\wv. 924

=

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Zusammenleben möglich ist, durch die Gesamtheit der Gläubigen in der Landschaft oder Provinz, über die die eben erwähnten Diener gesetzt werden sollten, niemals durch irgendein besonderes anderes einzelnes Kollegium oder eine 15 einzelne Person. Diese Form hat tatsächlich in der Folgezeit gegolten, wie später gezeigt werden wird.9 24 Von diesen ist nun d i e e r s t e ohne weiteres einsehbar : Keine andere angemessenere Ursache dieser Bestimmung läßt sich feststellen als die göttliche Offen­ barung oder die gemeinsame Beratung der Apostel ; denn 20 offenbar mischt sich bei keiner Irrtum oder Bosheit ein. Bei der göttlichen Offenbarung ist das niemandem zweifelhaft, bei der Entscheidung der Apostel aber scheint das wahrschein­ lich und glaubhaft : sie waren ja vom heiligen Geist erfüllt, wie wir aus Johannes Kap. 20925 früher angeführt haben. § 6 Zweitens behaupte ich : Unmittelbare bewirkende 25 Ursache der sekundären Einsetzung oder Bestimmung i h r e r e r s t e n N a c h f o l g e r 926 , besonders vor der Be­ kehrung der Massen, waren alle oder mehrere Apostel oder ein einziger von ihnen in der vorhin genannten Form, und 360 sie mußten es sein, je nachdem alle oder mehrere von ihnen zugleich oder nur ein einziger sich am Ort der Wahl befand. Das wird erstens aus der Schrift erwiesen ; denn wie wir in der Apostelgeschichte im 6. Kap. lesen927, haben sie so ver­ fahren bei der Einsetzung der Diakonen, auch für die 5 primäre Vollmacht, die wir schon die wesentliche genannt haben : daher heißt es dort : Diese stellten sie vor die Apostel, und sie beteten, die Apostel, und legten ihnen die Hände auf. Sie haben diese also nicht zu Petrus allein geführt, sondern vor die Apostel, und Petrus hat nicht allein für sich im besonderen die Vollmacht beansprucht, ihnen die Hände 10 aufzulegen, sondern die Apostel haben ihnen die Hände aufgelegt. Das steht auch mit der Vernunft in Einklang. Denn wahr­ scheinlich bedeutete eine Beratung von allen oder mehreren Aposteln mehr Sicherheit und weniger Irrtum bei der Er­ hebung einer Person zum Priester oder in einen anderen 15 heiligen Stand oder bei Einsetzung in ein sekundäres Amt, als wenn irgendeiner allein genommen worden wäre ; so sind

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cepto ; quemadmodum supra induximus capitulo precedente, ipsos propter hoc simul convenisse cum aliis senioribus ad diffiniendum dubium circa Iegern evangelicam in facto cir­ cumcisionis. Rursum ex hoc tollebatur scandali et conten20 cionis materia, que verisimiliter inter eos orta fuisset, si quis eorum in aliorum presencia potestatem aut prioritatem pre­ ter reliquos assumere voluisset, quam Christo vivente inter ipsos ortam ex hoc Christus diffinivit, ipsorum exprimens equalitatem, ut ex Matthei 23° et Luce 22° induximus, per 25 apostolum quoque ac sanctorum exposiciones id amplius manifestavimus capitulo precedente. Amplius racionabilius sie agere fuit. ut ex hoc ab omnibus suis successoribus pre­ sumpcionem huius singularitatis auferrent, et similiter faci361 endi exemplum preberent, ut ex glossa super Actuum 6° monstrabitur infra parte �. § 7. Quod si tarnen non simul omnes aut plures fuissent, 5 ubi episcopum multitudini alicui fidelium custodiende ac servande in :Eide oportebat preficere, dicendum sane hoc ipsorum unicum licite facere potuisse, maxime ubi multi­ tudo fidelium pauca erat, rudis et imperita discernere con­ venienciorem personam ad episcopatus of:ficium, et precipue, ubi sufficiencium personarum ad hoc officium quasi nulla 10 pluralitas erat, quemadmodum Paulo et suis successoribus primis sepe contigit propter causas predictas, ut ex Actibus Apostolorum et suis epistolis ad Timotheum et Titum satis apparet. Quod autem per ipsorum unicum talis institucio fieri potuerit et debuerit, licite ostendi potest, quoniam ex 15 hoc eligebatur melior et conveniencior pastor. Aut enim pre­ ficere se aliis in ministerio evangelii, licitum erat unicuique pro voto, aut hoc fieri debebat per eleccionem subiecte multi­ tudinis aut per apostolorum aliquem ibi presentem. Ex primo

928 Matth. 23,8- 1 1 (und 20,24-27) ; vgl. 342,22. 929 Luk. 22,24-26 ; vgl. 346,7; 347, 1 3 ff. 93 o 931

II 16,2-12. vielmehr § 10 (364, 1 ff.)

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sie, das haben wir oben im vorausgehenden Kapitel ange­ führt, aus diesem Grunde mit den anderen Ältesten zusam­ mengekommen, um über einen Zweifel wegen des evange­ lischen Gesetzes in Sachen der Beschneidung zu entscheiden. zo Ferner wurde dadurch Anlaß zu Ärgernis und Streit beseitigt ; der wäre wahrscheinlich unter ihnen ausgebrochen, wenn einer von ihnen in Gegenwart der anderen eine Gewalt oder ein Vorrecht vor den anderen hätte beanspruchen wollen ; als er deswegen unter ihnen ausbrach, entschied ihn Christus bei seinen Lebzeiten, indem er ihre Gleichh eit betonte, wie wir das aus Matthäus Kap. 239 28 und aus Lukas Kap. 229 2 9 ange25 führt und durch < Berufung auf dem Apostel und die Aus­ legungen der Heiligen im vorausgehenden Kapitel9 30 ganz ausführlich geklärt haben. Weiter war es am vernünftigsten, so vorzugehen, um dadurch allen ihren Nachfolgern den An­ spruch auf diese Sonderstellung zu nehmen und für ähnliches 361 Verfahren ein Vorbild zu geben, wie aus der Glosse zur Apostelgeschichte Kap. 6 unten in § 9931 gezeigt werden soll. § 7 Wenn aber doch nicht alle oder mehrere zugleich an­ wesend gewesen wären, wo es galt, einen Bischof mit der 5 Obhut über ein Volk von Gläubigen und seiner Bewahrung im Glauben zu betrauen, dann - so muß man allerdings sagen - hätte ein einziger von ihnen es tun dürfen, beson­ ders < dort > , wo die Menge der Gläubigen gering war, un­ gebildet und unerfahren darin, die geeignetsie Person für das Bischofsamt herauszufinden, und zumal dort, wo an Personen, die für dieses Amt brauchbar waren, fast keine 10 Auswahl bestand ; so erging es oft dem Paulus und seinen ersten Nachfolgern aus den vorhin genannten Gründen, wie aus der Apostelgeschichte und seinen Briefen an Timotheus und Titus deutlich genug hervorgeht. Daß aber durch einen einzigen von ihnen zulässigerweise eine solche Einsetzung habe erfolgen können und müssen, kann man damit beweit5 sen, daß dadurch ja der beste und geeignetsie Seelenhirt gewählt wurde. Entweder nämlich war es für jeden einzelnen zulässig, nach Belieben sich zum Vorsteher der anderen im Dienst des Evangeliums zu machen, oder die Entscheidung mußte in einer Wahl durch das Kirchenvolk getroffen wer­ den oder durch einen Apostel, der dort anwesend war. Aus dem ersten Verfahren hätte Ärgernis und Irrtum erwachsen

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modo scandalum et error contingere potuisset : scandalum quidem, si duo vel plures hanc sibi auctoritatem assumere voluissent ; error quidem seu pastoris insufficiencia similiter, quoniam ut plurimum stulti aut ambiciosi presidatum ap­ petunt et assumere temptant amplius studiosis et sapientibus 25 viris. Ex secundo vero modo, videlicet ex illius multitudinis eleccione constituisse prelatum, error et insufficiencia veri­ similiter contigisset, propter inultitudinis illius imbecillita­ tem in quanto et quali ; rudes enim erant a principio in pluribus provinciis, presertim extra Iudeam, et facile seduc3 o tibiles, ut ex tota epistola ad Galatas et pluribus aliis satis apparet. ''Unde apostolus 1a ad Corinthios 3° : Et ego, fratres, 362 non potui vobiscum loqui quasi spiritualibus, sed quasi car­ nalibus. T amquam parvulis in Christo lac potum vobis dedi. Nondum enim poteratis; sed nec nunc quidem potestis, adhuc enim carnales estis.* Tucius ergo et sanius fuit hanc institu5 cionem fieri eleccione seu determinacione alicuius aposto­ lorum, cuius vita et sapiencia preponderans et amplior erat, propter habitum sancti spiritus, ea que simul omnium in tali multitudine ; quamvis non sit negandum, expediens fuisse apostolum consuluisse multitudinem de moribus preferendi. 10 § 8. Hiis consequenter ostendere volo, quod post tempus apostolorum et priorum patrum, sibi quasi prope succeden­ cium in officio, et precipue communitatibus fidelium iam perfectis, huius institucionis seu determinacionis presidis sive maioris, quem vocant episcopum, sive minorum, quos 1 5 curatos sacerdotes appellant, similiter et reliquorum mino­ rum causa factiva immediata sit seu esse debeat universa eius loci fidelium multitudo per suam eleccionem seu 20

932 1. Kor. 3, 1-2. 9� 3 c nach § 5, Abs. 1 ; vgl. Anm. 923. =

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können : Ärgernis, wenn zwei oder mehr dieses angesehene Amt zugleich für sich hätten beanspruchen wollen, Irrtum oder Unzulänglichkeit des Seelenhirten aus ähnlichem Grunde ; denn meistens erstreben die Dummen oder Ehr­ geizigen das Vorsteheramt und versuchen mit mehr Energie, es an sich zu bringen, als die tüchtigen und klugen Männer. 25 Aus dem zweiten V erfahren, nämlich durch eine Wahl jenes Volkes den höheren Geistlichen einzusetzen, wäre wahr­ scheinlich ein irrtümliches und unzulängliches Ergebnis her­ ausgekommen wegen der Schwäche jenes Volkes nach Um­ fang und Art < seiner Einsicht > ; denn ungebildet waren die Menschen ursprünglich in den meisten Provinzen, zumal außerhalb Judäas, und leicht verführbar, wie sich aus dem 3 o ganzen Galaterbrief und sehr vielen anderen < Stellen > deut­ lich genug ergibt. Daher sagt der Apostel im 1 . Korintherbrief im 3. Kap.932 : Und üh konnte, liebe Brüder, mit eum n imt 362 spremen roie mit geistlimen < Mensmen > , sondern roie mit fleismlimen; roie kleinen Kindern in Christus g a b im eum Milm zu trinken, mimt feste Speise zu essen > ; denn ihr konntet dies nom nimt. Aber a um jetzt könnt ihr es nom nimt, denn nom immer seid ihr fleismlim Sicherer also und vernünftiger war es, wenn diese Einsetzung in < Form der > 5 Wahl oder Bestimmung durch einen Apostel erfolgte ; denn weil er den heiligen Geist besaß, waren sein Leben und seine Weisheit gewiChtvoller und reicher als die aller zusammen in einem solchen Volke; freilich ist nicht zu bestreiten, daß es zweckmäßig gewesen ist, wenn der Apostel das Volk wegen des Charakters dessen befragt hat, der mit dem Amt betraut werden sollte. 10 § 8 Im Anschluß daran will ich < drittens > 933 zeigen : N a c h d e r Z e i t d e r A p o s t el u n d d e r a p o s t o l i s ch e n V ä t e r, die ihnen ganz dicht im Amte nachgefolgt sind, und zwar besonders in den schon vollkommenen Gemeinschaften der Gläubigen, ist oder soll sein die unmittelbare bewirkende Ursacb.e dieser Einsetzung oder Bestimmung eines Vorstehers (sei es eines höheren, den man Bischof nennt, sei es der niede15 ren, die man Seelsorge-Geistliche nennt, und in ähnliCher Weise auch der übrigen niederen) die Gesamtheit der Gläu­ bigen dieser Gegend durch ihre Wahl oder ausdrückliche Will ensäußerung oder der einzelne oder das Kollegium, dem 20

.

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volun tatem expressam, au t ille vel illi, eui vel quibus iam dicta multitudo harum institueionum auctoritatem eoneesserit ; et quod einsdem auctoritatis sit, unumquemque iam dieturn officialem ab huiusmodi officiis licite amovere sive privare ac ad illius exercicium compellere, si expediens videatur. Verumtamen oportet attendere, quod quamvis in potestate 25 cuiuslibet saeerdotis sie sit suum exhibere ministerium, ut alterum quemlibet fidelem valentem promovere possit ad sacerdocium, ipso ministrante quasi preparante, Deo autem simpliciter et immediate saeerdotalem potestatem essencia3o lern seu caracterem imprimente ; dico tarnen id sibi pro voto 363 non Heere conferre cuilibet, neque divina neque humana lege in communitatibus fidelium iam perfectis, ut diximus, quinimo criminoso aut aliter insufficienti cooperans peceat plectibiliter contra Iegern divinam et humanam. Quod autem 5 contra Iegern divinam plectibiliter peccet, apparet per apo­ stolum ta ad Timotheum 3° et ad Titum 1 ° : quoniam epi­ scopum oportet sine crimine esse, cum reliquis sufficienciis ibidem enumeratis ; idemque aut proporcionale de diaconis opinandum, unde ad Timotheum ubi supra : Diacones sito militer pudicos etc. Quod autem contra humanam Iegern delinquat plectibiliter sie insufficientem promovens ad ec­ clesiasticum ordinem, apparet ex hiis que ostensa sunt 8° huius. Committit enim aliquid transiens in alterins nocumen­ tum pro statu presentis et eciam futuri seculi simul, quod sibi 1 5 probari potest inesse, id eciam ipso negante, promovendo scilicet ad publicum officium talem, qui aliorum utriusque sexus, feminini maxime, vitam et mores corrumpere potest, aut quantum expedit et necesse est pro statu tarn presentis quam futuri seculi mores hominum formare nequit, qualis 20 est perversus vel aliter insufficiens diaconus : aut sacerdos. 20

934 Die Gemeinde muf! befragt werden (§ § 9-15) . o3s 1 . Tim. 3,2 ; Tit. 1 ,7. 036

1. Tim. 3,8.

m II 8, 7.

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das eben genannte Volk die Vollmacht zu diesen Einsetzungen übertragen hat. Zu derselben Machtbefugnis gehört es, einen jeden der eben genannten Amtsträger auf gesetzliche Weise von derartigen Ämtern zu entfernen oder ihn abzusetzen und < auch > zur Ausübung seines Amtes zu nötigen, wenn es vorteilhaft erscheint. 25 Man muR aber beachten : Es liegt zwar in der Gewalt jedes Priesters, seinen Dienst dahin auszuüben, daR er jeden anderen Gläubigen, der es wünscht, zum Priester erheben kann, wobei er selbst tätig ist als der Vorbereitende, Gott aber ausschlieRlieh und unmittelbar die wesentliche priester3 o liehe Gewalt oder den Charakter einprägt, aber es ist doch, sage ich, ihm nicht erlaubt - weder durch göttliches noch 363 menschliches Gesetz -, willkürlich jedem beliebigen in den, wie gesagt9 34, bereits vollkommenen Gemeinschaften der Gläubigen diesen Charakter zu verleihen, vielmehr wenn er es mit einem Verbrecher oder einem sonst ungeeigneten Men­ schen tut, so sündigt er sträflich gegen das göttliche und menschliche Gesetz. DaR er gegen das g ö t t I i c h e Gesetz 5 sträflich sündigt, wird klar durch die Worte des Apostels im 1. Brief an Timotheus im 3. Kap. und an Titus im 1 . Kap.935 : Denn der Bisdtof muß unbesdtolten sein neben den übrigen erforderlichen Eigenschaften, die ebenda aufgezählt sind, und dasselbe oder Entsprechendes muß man von den Diakonen denken, weshalb es im Brief an Timotheus an der anget o führten Stelle heißt936 : Die Diakonen müssen ebenso ehrbar sein usw. DaR aber gegen das m e n s c h l i c h e Gesetz sich sträflich vergeht, wer einen so Unzulänglichen zum geist­ lichen Stande erhebt, ergibt sich aus dem, was in II 8937 ge­ zeigt worden ist. Er begeht nämlich etwas, was zum Schaden des Nächsten hinüberwirkt für die gegenwärtige und auch die künftige Welt zugleich (etwas, was nachweislich seine 15 Schuld ist, wiewohl er es sogar abstreitet) , wenn er nämlich einen zu einem öffentlichen Amt erhebt, der Leben und Sitten anderer < Menschen > beiderlei Geschlechts, besonders des weiblichen, verderben oder in allem, was für die gegen­ wärtige wie die künftige Welt förderlich und notwendig ist, den Charakter der Menschen nicht formen kann, sittlich 20 verderbt oder sonst unzulänglich wie ein solcher Diakon oder Priester ist. 20

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§ 9. Ex hiis amplius per necessitatem inferre volo, quod in communitatibus fidelium iam perfectis ad legislatorem h umanum solummodo seu fidelem multitudinem eius loci, super quam intendere debet promovendus minister, per25 tineat eligere, determinare ac presentare personas promo­ vendas ad ecclesiasticos ordines ; et quod nemini sacerdoti vel episcopo singulariter neque ipsorum soli collegio cui­ quam cooperari liceat ad huiusmodi suscipiendos ordines absque legislatoris humani vel ipsius auctoritate principan­ tis licencia. 3o § 1 0. Hoc autem primum ex scriptura sacra demonstrabo, 364 deinde vero racione probabili confirmabo. Auctoritate siqui­ dem scripture hoc apparet ex Actuum 6°. Indigentes enim sancti apostoli diaconis pro ministerio ipsorum et populi, requisiverunt fidelium multitudinem tamquam eam, cuius 5 erat personas huiusmodi eligere ac eciam determinare. Unde ubi supra : Convocantes autem duodecim multitudinem dis­ cipulorum, id est fidelium, qui tune discipuli vocabantur omnes, ut habetur in glossa, dixerunt: Non est equum nos derelinquere verbum Dei et ministrare mensis. Considerate 10 ergo, fratres, viros ex vobis boni testimonii septem, plenos spiritu sancto et sapiencia, quos constituamus super hoc opus. Nos vero oracioni et ministerio verbi instantes erimus. Et placuit sermo coram omni multitudine. Et elegerunt Stephanum, virum plenum fide et spiritu sancto, et Philip15 pum reliquosque similiter. Quod si presentibus apostolis talis eleccio commissa fuit multitudini minus perfecte, ut cercius eligerentur magis apti, quoniam tota multitudo aliquid scire potest, precipue de moribus et vita unius ho­ minis, quod unus multum doctus ignorat persepe, quanto zo magis eleccio sacerdotum, qui amplioris necessitatis sunt in

na s

Acta 6, 1-5 .

939 Scholz 364 Anm. 2.

94 0 Acta 6,3 : opus für xesta = Bedarf, Verwendung.

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§ 9 Daraus will ich weiter mit Notwendigkeit folgern : In den b ereits vollkommenen Gemeinscl:taften der Gläubigen steht es ausscl:tließlich dem menscl:tlicl:ten Gesetzgeber zu oder dem gläubigen Volk dieser Landscl:taft, über das der künftige Diener der K ird:te die Aufsid:tt führen soll, die 25 Personen zu wählen, zu bestimmen und vorzusd:tlagen, die zu den kird:tlicl:ten Weihen erhoben werden sollen ; und keinem Priester oder Bisd:tof für seine Person oder einem Kollegium von ihnen allein ist es gestattet, heim Empfang derartiger Weihen mitzuwirken ohne die Erlaubnis des menscl:tlicl:ten Gesetzgebers oder dessen, der kraft Ermäcl:t­ tigung durd:t ihn regiert. ,0 § 10 Das will ich zuerst aus der Heiligen Scl:trift bewei1ien, dann durch einen Wahrsd:teinlicl:tkeitsbeweis sichern. 364 Was die Autorität der Scl:trift anlangt, so ergibt sicl:t das aus der Apostelgesd:ticl:tte Kap. 6.938 Als nämlich die heiligen Apostel Diakonen hraud:tten als Gehilfen für sid:t selbst und die Gemeinde, wandten sie sicl:t an das Volk der Gläubigen als die Männer, deren Aufgabe es war, derartige Personen 5 zu wählen und auch zu bestimmen. Daher heifit es an dem oben angeführten Ort : Die Zroölf riefen aber die Gesamt­ heit der jünger zusammen, d. h. der Gläubigen, die damals alle Jünger hießen, wie in der Glosse939 steht, und spradten : Es ist nidtt redtt, daß roir das Wort Gottes hintansetzen und bei Tisdt dienen. Seht eudt also um, liebe Brüder, nadt t o sieben Männern aus eurer Mitte mit gutem Leumund, voll heiligen Geistes und Weisheit; die roollen roir zu diesem Amt940 bestellen. Wir aber roollen beharren im Gebet und im Dienst des Wortes. Dieser Vorschlag fand Beifall bei der gesamten Gemeinde. Und sie roählten den Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und den Phi!5 lippus und die übrigen ebenso. Wenn also schon in An­ wesenheit der Apostel eine sold:te Wahl der weniger voll­ kommenen Menge anvertraut wurde, damit es sid:terer wäre, daß die Geeignetsten gewählt würden - denn die ganze Gemeinde kann etwas wissen, zumal über Charakter und Lebensführung eines einzelnen Mensd:ten, was ein einzelner, aucl:t wenn er horngebildet ist, sehr oft nicl:tt kennt -, wieviel 20 mehr muß dann die Wahl der Priester, die einen höheren Grad von Tugend und Weisheit besitzen müssen als

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virtute ac sapiencia diaconis ; et absentibus talibus prelatis, quales fuerunt apostoli in communitate fidelium p erfecta, debet eleccio hec universitati committi, ut de promovendo amplius et cercius testimonium habeatur::· 'Convocantes ergo 2> duodecim', non solus Petrus, ubi glossa : De communi con­ sensu. 'Multitudinem discipulorum', ubi glossa : Consensum queruni multitudinis, quod in exemplum debet assumi. 365 'Hos statuerunt' etc., ubi Rabanus : Hic ordo servandus est in ordinandis. Eligat populus, ordinet episcopus.':· Et hoc est, quod eciam dicit apostolus aperte ta ad Timotheum 3° : Oportet autem illum, id est presbyterum, testimonium ; habere bonum ab hiis qui foris sunt, id est extra ecclesiam ; unde glossa secundum Ieronymum : Non solum a fidelibus, sed eciam ab infidelibus. Ubi eciam de diaconibus parum infra dicitur : Et hii autem pr.obentur primum, et sie mini­ strent. § 1 1 . Nunc autem racione probabili, si necessarium pro10 habile liceat dicere, ostendere volo, promovendi cuiuslibet ad sacrum ordinem eleccionem atque approbacionem per­ tinere ad iudicem tercie significacionis, sentenciam scilicet humani legislatoris in communitatibus fidelium iam per­ fectis ; et cum hoc simul secundariam eius institucionem, 1 5 qua scilicet fideli populo alicui et in certo loco preficitur episcopus aut curatus, sicque in reliquis minoribus eccle­ siasticis officiis ; ab ea quoque remocionem seu privacionem, ad exercicium eciam secundum eam ecclesiasticos, si opor­ teat, arcere ministros. Deinde vero monstrabitur, ad quem 20 vel quos ecclesiastica temporalia, vocata beneficia, distri­ buere pertineat. 944 945 94& 947

948

94 9 95 0 95 1 952

9 sa

1. Tim. 3,7. Scholz 365 Anm. 2. 1. Tim. 3 , 1 0. W probabilis. W necessarius. §§ 1 1 (Abs. 2) -15. 'V approbatio. ea = institutio secundaria 365,14. 368, 16 ff. I I 1 7, 16-19.

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Diakonen und < auch noch dazU > in Abwesenheit solcher be­ deutender Männer, wie es die Apostel waren - muß in einer vollkommenen Gemeinschaft der Gläu­ bigen diese Wahl der Gesamtheit anvertraut werden, damit man über den künftigen Priester ein umfassenderes und sicheres Zeugnis hat. Die Zroölf riefen also zusammen, niCht 25 Petrus allein, wozu die Glosse9 41 bemerkt : m i t allgemeiner Zustimmung. Die Gesamtheit der jünger, wozu die Glosse942 sagt : Die Zustimmung der Gesamtheit suchen sie, roas als Vorbild genommen roerden muß. Diese setzen sie ein usw., wozu Rabanus943 erklärt : Diese Ordnung muß bei den Ordi­ 365 nationen gewahrt roerden : Wählen soll die Gemeinde, ordi­ nieren der Bischof. Das ist es, was auch der Apostel im 1 . Brief an Timotheus im 3. Kap.944 klar ausspricht : Er muß aber, d. h. der Priester, ein gutes Zeugnis haben < auch > von 5 denen draußen, d. h. außerhalb der Kirche, weshalb die Glosse nach Hieronymus945 hinzufügt : Nicht nur von den Gläubigen, sondern auch von den Ungläubigen. Dort heißt es auch etwas weiter unten von den Diakonen946 : Auch diese sollen erst einmal geprüft roerden und dann Diens t tun. § 1 1 Jetzt will ich mit einem WahrsCheinlichkeitsbeweis947, to wenn es erlaubt sein sollte, das Denknotwendige948 wahr­ sCheinlich zu nennen, < erstens > 949 zeigen : Die Wahl und Zulassung950 eines jeden, der in den heiligen Stand erhoben werden soll, steht dem Richter in der dritten Bedeutung zu, nämliCh der EntsCheidung des menschlichen Gesetzgebers in den b ereits vollkommenen GemeinsChaften der Gläu­ bigen, und damit zugleich dessen sekundäre Einsetzung, 15 durCh die ein Bischof oder Pfarrer für ein gläubiges Volk und in einem bestimmten Gebiet zum Vorsteher bestellt wird, und ebenso bei den anderen niederen kirchliChen Ämtern ; auch die Entfernung aus dem Amt95 1 oder die Amts­ entsetzung, endlim9 52 < das Recht > , die Diener der KirChe nötigenfalls zur pfliChtgemäßen Ausübung < des Amtes > zu zwingen. Zweitens9 53 soll gezeigt werden, wem es zukommt, 20 < die Erträge > der zeitlichen Güter der K irche, Benefizien genannt, zu verteilen. 941 942 943

Scholz 364 Anm. 3. SCholz 364 Anm. 4. Scholz 364 Anm. 5.

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Primum quidem convinci potest eisdem aut consimilibus demonstracionibus, qualibus 1 2°, 13° et 1 5° prime ad uni­ versitatem civium legumlacionem et principancium institu25 cionem ostendimus pertinere, sola demonstracionum mutata extremitate minori, ut videlicet eleccio seu persone ad ordi­ nem sacrum promovende approbacio, ipsiusque institucio 366 seu determinacio ad certe piebis atque provincie presidatum, eiusque privacio seu remocio ab eisdem propter delictum vel radonabilern alteram causam assumantur in demonstraci­ onibus pro termino legis aut principantis. Est autem et in hiis tanto evidencior necessitas talium 5 fiendorum per legislatorem seu civium universitatem, quanto periculosior est error circa personam in sacerdotali aut altero ecclesiastico gradu atque presidatus officio statuendam, quam circa humanam Iegern aut principaturum secundum 1 0 ipsam instituendum. Nam si ad sacerdocium promoveatur perversus more vel ignorans aut utrimque deficiens, sicque curando et dirigendo fideli populo preferatur, ex eo peri­ culum imminet populo mortis eterne atque civilium incom­ modorum plurimorum ; mortis eterne siquidem, quoniam t5 ipsius est docere atque dirigere in hiis et de hiis que attinent ad necessitatem eterne salutis. Unde Malachie 2° : Labia sacerdotis custodiunt scienciam, et legem requirent ex ore eius; divinam scilicet, in qua continentur precepta et prohi­ bita observari aut omitti, de quibus transgrediens non ex20 cusaretur per ignoranciam aut maliciam sacerdotis. Ideoque discernere debet populus, qualem sibi preferat pastorem, eo quod ex ipsius officio unicuique commodum aut incom­ modum atque periculum evenire potest. Cuius siquidem dis­ crecionis seu cautele populus fidelis habet et racionabiliter 2 5 habere debet potestatem, aliter namque inconveniens hoc evitare non posset. Est autem quam diximus plane Augustini sentencia in libro De Penitencia, quinimo et Christi verius, cuius auctori­ tate loquitur et affirmat quod dicit. Inquit enim, et recitat 954 I 12, 3 u . 5-8 ; I 13 ganz ; I 15, 1-3. 955 Maleachi 2,7.

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Das erste kann auf dieselbe odt:r ähnliche Art bewiesen werden, wie wir in I 12, I 13 und I 15954 gezeigt haben, der Gesamtheit der Bürger komme Gesetzgebung und Ein25 setzung der Regierung zu ; man braucht in den Beweisen nur den Unterbegriff zu ändern, < SO > nämlich, daß anstelle des Ausdrucks Gesetz oder Regierung in die Beweise einge­ setzt werden Wahl oder Zulassung eines künftigen Geist366 liehen und dessen Einsetzung oder Zuweisung zur Leitung eines bestimmten Volkes und Landes und dessen Amtsentset­ zung oder Entfernung aus diesen < Ämtern > wegen eines Ver­ gehens oder aus einem anderen vernünftigen Grunde. Hierbei ist die Notwendigkeit, daß der Gesetzgeber oder 5 die Gesamtheit der Bürger solche < Entscheidungen > trifft, um . so einleuchtender, als der Irrtum gefährlicher ist bei Einsetzung einer Person in einen priesterlichen oder anderen kirchlichen Rang und ein Vorsteheramt als bei Annahme eines menschlichen Gesetzes oder Wahl eines < Mannes > , der 10 nach ihm regieren soll. Denn wenn einer, der sittlich ver­ derbt oder unwissend ist oder in beidem versagt, zum Priester erhoben wird und mit solchen Mängeln zum Seel­ sorger oder Führer eines gläubigen Volkes bestellt wird, so droht daraus dem Volke die Gefahr des ewigen Todes und sehr vieler schwerer Schäden im bürgerlichen Leben : des ewigen Todes, da es ja Aufgabe < des Priesters > ist, zu belehren 1.5 über das, was für die ewige Seligkeit notwendig ist, und darin anzuleiten. Daher heißt es bei Maleachi im 2. Kap. 955 : Die Lippen des Priesters beroahren das Wissen, und das Gesetz roird man aus seinem Munde erroarten, das göttliche näm­ lich, in dem die Gebote und Verbote für Tun und Lassen deren Übertreter mit Unwissenheit oder 20 enthalten sind, Bosheit des Priesters nicht entschuldigt würde. Darum muß das Volk sorgfältig prüfen, was für einen < Mann > es als Seelsorger über sich setzen soll, weil aus dessen Amtsführung für jeden Vorteil oder Nachteil und Gefahr erwachsen kann. Zu dieser Prüfung oder Vorsichtsmaßregel hat das gläubige 25 Volk die Gewalt und muß sie vernünftigerweise haben ; denn sonst könnte es dieser Schädigung nicht entgehen. Die Meinung, die wir geäußert haben, vertritt mit klaren Worten Augustin in dem Buche ,über die Buße', vielmehr richtiger Christus, kraft dessen Autorität Augustin spricht

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Magister Sentenciarum libro 4°, 1 ?• distinccione, capitulo 6° : Qui vult peccata confiteri, ut inveniat graciam, querat sacer­ dotem, qui sciat ligare et solvere; ne cum negligens circa se extiterit, negligatur ab illo, Christo scilicet, qui eum mise5 ricorditer monet et petit, ne ambo in foveam cadant, quam stultus evitare noluit. Est ergo vel esse debet in potestate cuiuslibet, sibi ruinistrum penitencie convenientem eligere, similiter et aliorum sacramentorum, ut dicit eciam Magister ibidem. Cum igitur eleccio prestancior :fieri possit per :fide1 0 lium universitatem quam per unicum hominem, eciam epi­ scopum, aut collegium unicum, apparet, quod ad ipsam magis quam ad unicam singularem personam aut singulare collegium talis eleccio seu presidis institucio debeat per­ tinere. § 1 2. Amplius potest hoc esse ad civile incommodum 15 grande, quoniam sacerdotes confessionis titulo muherum habent persepe secreta colloquia. Quod quia facile seducibi­ les sunt, presertim ipsarum iuvenes tarn virgines quam eciam coniugate, ut apparet Geneseos 3° et inducit apostolus 1 • ad 20 Timotheum 2° : Adam enim seductus non fuit, sed mulier in prevaricacione, sacerdos perversus existens ipsarum mores et pudiciciam facile corrumpere poterit, quod eciam frequen­ ter hiis temporibus propter sacerdotum qualitatem evenire videmus. Hoc autem est civile incommodum non modicum, 2 5 considerare volenti, que sequuntur ex hoc inconveniencia. Unde et Aristoteles 1° Rhetorice, 8° capitulo : Quibuscumque enim ea que secundum mulieres sunt prava, quemadmodum Lacedemoniis fere secundum dimidium vite non sunt felices. Mulier enim est quasi domus medietas, ut apparet ex illius Y conomia. Unde si propter temporale commodum assequen­ dum per legislatorem expedit determinare personas ad reli5 qua civitatis of:ficia promovendas, ac eciam principantis 956 Scholz 367 Anm. 1 . 957 1 . Tim. 2,14 nach 1 . Mos. 3,6 : Nana-r:rrfh"iaa yiyovev iv naeaßciact; Vul­

gata : in praevaricatione fuit.

958 Ar. Rhet. I 5 1361 a, 1 0-12. 959 Ps. Ar. Oecon. I 2 1 343 a, 20-22. =

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und bestätigt, was er sagt ; er erklärt nämlich, und der Meister der Sentenzen führt es in B. 4, Abt. 1 ?, Kap. 6956 an : Wer seine Sünden bekennen roill, um Gnade zu finden, suche einen Priester, der zu binden und zu lösen roei/l, damit er nicht, roenn er vergessen hat für seine Seele zu sorgen, von ihm, von Christus, vergessen roird, der ihn barmherzig mahnt 5 und bittet; sonst könnten beide in die Grube fallen, die der Tor nicht hat vermeiden roollen. Es liegt also in der Gewalt eines jeden oder soll in seiner Gewalt liegen, sich einen geeigneten Spender < des Sakraments > der Buße auszu­ wählen, ähnlich aum < einen Spender> der anderen Sakra­ mente, wie der Meister auch eben da sagt. Da also die Wahl 1 0 durch die Gesamtheit der Gläubigen zu einem besseren Er­ gebnis führen kann als die durm einen einzigen Menschen, sogar einen Bischof oder ein einziges Kollegium, so ergibt sich, daß eine solche Wahl oder die Einsetzung eines Vor­ stehers eher der Gesamtheit als einer Einzelperson allein oder einem einzelnen Kollegium zustehen muß. § 12 Ferner kann dies zu schweren Unzuträglichkeiten im 1 5 b ürgerlimen Leben führen, da ja die Priester unter dem Vor­ wand der Beirote sehr oft mit den Frauen geheime Unter­ redungen haben. Weil diese nun leicht verführbar sind, zu­ mal die jungen unter ihnen, die Jungfrauen wie auch die ver­ heirateten (was sich aus der Genesis Kap. 3 ergibt und der Apostel im 1. Brief an Timotheus im 2. Kap.957 anführt : Denn 20 nicht Adam ließ sich verführen, aber das Weib < ist > in Über­ tretung ) , so wird ein Priester, der sittlich minder­ wertig ist, ihre Moral und KeusChheit leicht verderben können. Dies kommt wegen der Beschaffenheit der Priester in heutiger Zeit häufig vor, wir erleben es ja. Dies aber ist für das bürger25 liehe Leben eine sChwere Smädigung, wenn man die üblen Folgen bedenken will. Daher sagt auch Aristoteles in der Rhetorik I 8958 : Alle, bei denen die Beziehungen zu den Frauen nicht in Ordnung sind roie bei den Lacedämoniern, 368 sind beinahe die Hälfte ihres Lebens nicht glüCklich. Denn die Frau ist geradezu der Mittelpunkt des Hauses, wie man aus seiner Wirtsmaftslehre959 ersieht. Wenn es daher um eines zeitlichen Vorteils willen nützlich ist, durch den Gesetzgeber die Personen für die übrigen Ämter des Staates zu bestimmen 5 und sogar die Person des Herrschers einzusetzen oder zu

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instituere seu determinare personam, ut pocior fiat eleccio et propterea conveniencior ad officium assumatur, quemad­ modum demonstratum credimus 15° prime, videtur eo magis ad eundem legislatorem humanum seu fidelium universi1 0 tatem pertinere determinacionem promovendorum ad of­ ficium sacerdotis et sacerdotum institucionem in officio pre­ sidatus. Quoniam etsi perversus princeps a:ffe rre possit grave incommodum pro statu presentis seculi, puta temporalis mortis, sacerdotis et perversi ecclesiastici pastoris accio eo 1 5 gravius inducere potest, quoniam mortis eterne. Sie eciam propter periculum cogendu s est et racionabiliter per humanum legislatorem aut principem cogi potest eccle­ siasticus minister ad exhibenda et ministranda sacramenta, 20 que sunt de necessitate salutis, ut baptismum, si perversus existens hoc facere recusaret. Possunt autem confirmari predicta de promovendis ad sacros ordines et instituendis ad animarum curas maiores sive minores per ea que de Ysidori codice induximus 2 1 ° huius, parte 4a et 5a. § 13. Testantur autem dictis instituciones gloriosissimorum 25 sanctorum, facte secundum modum quem diximus, ut beati Gregorii et Nicolai ac reliquorum plurimorum, quemadmo­ dum ex ipsorum Iegendis et approbatis apparet historiis. § 14. Nec obstat, quod sacerdotes aut ipsorum collegium, 3 0 de promovendorum sufficiencia, tarn ad sacerdocium quam ad officium pastoratus et reliqua minora, magis noverint 369 iudicare ; similiter et relique consimiles instancie adducte 13° prime, qualibus argui videbatur, ad civium universitatem legum lacionem aut principancium institucionem minime 5 pertinere. Potest enim ad has quemadmodum ibidem con­ similiter responderi. Quoniam, esto sacerdotes de talibus amplius et cereins habere iudicium reliqua civium multi­ tudine, quod tarnen fallit hiis diebus plerumque, non tarnen 1 0 ex hoc inferri potest, solum collegium sacerdotum horum 9 ao I 15, 1-3. 9 61 ( das Unheil ) des zeitlichen Todes. 9 6 2 zum Perf. induximus vgl. Anm. 1070. 9 63 Scholz 333 Anm. 2. 964 I 13, 1-7.

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bestimmen, damit die Wahl besser ausfällt und daher der Geeignetsie für das Amt genommen wird, wie wir in I 1598 0 nachgewiesen zu haben glauben, so steht es um so mehr, scheint mir, demselben menschlichen Gesetzgeber oder der 10 Gesamtheit der Gläubigen zu, die künftigen Priester zu bestimmen und die Priester in ein Amt als Vorsteher einzu­ setzen. Denn wenn auch ein böser Herrscher für die Welt schweres Unheil bringen kann, nämlich961 den zeitlichen Tod, so kann doch das Wirken eines bösen Priesters und geist­ lichen Hirten um so schwereres < Unheil > heraufführen, näm15 lieh den ewigen Tod. Daher muß auch wegen der Gefahr und kann aus Vernunft­ gründen der menschliche Gesetzgeber oder der Herrscher den Diener der K irche zwingen, die Sakramente zu reichen und zu spenden, die für die ewige Seligkeit notwendig sind wie 20 die Taufe, wenn einer aus Bosheit das verweigern sollte. Was aber oben über die Erhebung zu den heiligen Weihen und die Einsetzung in die höhere oder niedere Seelsorge gesagt worden ist, kann durch das bestätigt werden, was wir aus dem Kodex Isidors in II 21, 4 u. 5 angeführt haben.882 25 § 1 3 Für unsere Behauptung zeugt die Einsetzung der berühmtesten Heiligen in ihr Amt : Sie ist erfolgt in der angegebenen Form, z. B. die des seligen Gregorius und Nicolaus und sehr vieler anderer, wie sich aus ihren Legen­ den und anerkannten geschiehtliehen überlieferungentel er­ gibt. § 14 Dem widerspricht nicht < die Behauptung > , daß die 30 Priester und deren Kollegium über die Eignung derer, die zur Priesterwürde wie zum Hirtenamt und den übrigen nie­ deren Ämtern erhoben werden sollen, klarer zu urteilen ver­ stünden, ähnlich auch < nicht > die anderen verwandten Ein­ wände, die in I 1 3964 angeführt sind ; dadurch schien sich nachweisen zu lassen, der Gesamtheit der Bürger komme die Gesetzgebung oder die Einsetzung der Regierung keines5 wegs zu. Man kann nämlich darauf ganz ähnliCh wie dort entgegnen. Denn mögen auch die Priester über dergleiChen ein umfassenderes und sichereres Urteil haben als die übrigen Bürger ( < eine Erwartung > , die heutzutage meistens täuscht ! ) , s o kann man doch daraus nicht folgern, die Priesterschaft 1 0 allein habe darüber ein siche r eres Urteil als das ganze Volk,

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cereins habere indicinm tota mnltitndine, cnins pars existnnt. Unde reliqne mnltitndini, coninncto sacerdotnm collegio, cer­ eins et secnrins habebitnr indicinm, qnam ex solo seorsnm collegio sacerdotnm. Omne enim totum maius est qualibet sui parte seorsum. 15 Vernmtamen hoc sane tenendnm, qnod bene posita lex conformiter legi divine statnere debet, principantem de hoc credere indicio sacerdotnm ant legis divine doctornm et aliornm honestornm virornm, qnemadmodnm de promoven­ dis in reliqnis disciplinis, tarn de disciplina, qnam de mo20 ribns, indicio peritornm et approbatornm debet examine nti ; indicio, inqnam, peritornm dicto secnndnm primam indicis ant indicii signi:ficacionem. Qnoniam indicio tercie signifi­ cacionis anctoritate legislatoris habet principans approbare 25 vel reprobare personas, statnere vel removere ab officiornm exercicio, qnemadmodnm ostensnm est 15° prime. Secns antem tot essent in commnnitate unica principantes snpremi, qnot iudicantes prime significacionis indicio de snfficiencia vel defectn secnndnm nnnmqnodqne officiornm civitatis ; qnod est inconveniencinm et impossibilinm, si debeat mauere 370 civitas et recte disponi, velnt demonstratnm est 10° hnins et 1'7° prime. § 15. Snnt ergo legislatoris ant eins anctoritate principantis 5 sentencia sen indicio, tercie significacionis, approbande vel reprobande persone ad ecclesiasticos ordines promovende, institnende qnoqne vel removende a cnra sen presidatn maiori vel minori, et ab exercicio eins prohibende ant eciam, si ex malicia desisterent ab officii exercicio, exercere 10 cogende, ne sni perversitate possit aliqnis incidere pericnlnm mortis eterne, nt defectn baptismatis vel alterins sacramenti. Qnod sane intelligendnm est in commnnitatibns fidelinm iam perfectis. Nam in qno loco legislator et eins anctoritate principans infideles existerent, qnemadmodnm erat in 965

Vgl. 71 ,20-22.

tus

II 1 0, 8-9 ; I 17,1-9.

96 6 Vo (Syntax) . 967 I 15, 8-10.

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s

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von dem sie ein Teil sind. Wenn daher die Priesterschaft mit der übrigen Menge vereint ist, so wird man ein sichereres und zuverlässigeres Urteil haben als von der Priesterschaft für sich allein. Denn jedes Ganze ist größer als irgendein Teil davon für siCh. 965 Das allerdings muß festgehalten werden : Ein gutes Gesetz muß im Einklang mit dem göttlichen Gesetz bestimmen, daß der Herrscher hierin dem Urteil der Priester oder der Lehrer des göttlichen Gesetzes und anderer ehrenwerter Männer Vertrauen schenkt, wie er bei der Beförderung in anderen Gebieten wegen der fachlichen Eignung das Urteil von Sachverständigen und wegen des Charakters die Prüfung durch erprobte Männer berücksichtigen muß966 , das Urteil, sag ich, von Sachverständigen in der ersten Bedeutung von Richter oder Gericht ; denn durch ein Urteil in der dritten Bedeutung hat kraft Ermächtigung durch den Gesetzgeber der H e r r s c h e r die Personen zuzulassen oder abzulehnen, einzusetzen oder aus den Ämtern zu entfernen, wie in I 1 59G7 gezeigt worden ist ; sonst gäbe es in einer einzigen Gemein­ schaft so viele oberste Regierungen wie Männer, die durch ein Urteil in der ersten Bedeutung für jedes Staatsamt ent­ schieden, ob einer sich dafür eignet oder nicht. Das ist sinnlos und unmöglich, wenn der Staat erhalten bleiben un d richtig verwaltet werden soll, wie in II 10 und I 17968 nach­ gewiesen worden ist. § 1 5 Es müssen also durch Entscheidung oder Urteil des Gesetzgebers in der dritten Bedeutung oder dessen, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert, diejenigen Personen zu­ gelassen oder abgelehnt werden, . die zu den kirchlichen Weihen erhoben und eingesetzt werden oder aus der Seel­ sorge oder einer mehr oder minder gehobenen Stellung ent­ fernt und von deren Ausübung suspendiert oder auch, wenn sie aus Bosheit die Ausübung des Amtes verweigern, dazu gezwungen werden sollen, damit nicht durch ihre Widerspenstigkeit jemand der Gefahr des ewigen Todes verfallen kann, z. B. wenn die Taufe oder ein anderes Sakrament nicht vollzogen wird. Allerdings ist zu verstehen : in bereits voll­ kommenen Gemeinschaften der Gläubigen. Denn wo ein ungläubiger Gesetzgeber und kraft Ermächtigung durch ihn ein · ungläubiger Herrscher vorhanden wäre, wie es in den

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communitatum plurimis et quasi omnibus circa statum ecclesie primitive, personarum promovendarum ad ec­ clesiasticos ordines approbacio vel reprobacio, cum reli­ quis institucionibus iam dictis et officiorum exerciciis, sacer­ doti vel episcopo cum saniori parte fidelis multitudinis existentis ibidem aut illi soli, si solus esset, auctoritas hec 20 conveniret absqu e consensu vel sciencia principantis, ut ex huiusmodi promocione ac prelatorum seu curatorum insti­ tucione fides Christi et doctrina salutaris divulgaretur : que legislatoris infidelis aut legis custodis auctoritate, studio vel precepto non fierent, sed magis prohiberentur. Quo eciam 2 5 modo id fecerunt apostoli circa inicium ecclesie Christi ; et facere tenebantur precepto divino et tenerentur ipsorum suc­ cessores in legislatoris defectu. Unde apostolus 1 a ad Corin­ thios 9° : ':·Nam si evangelizavero, non est mihi gloria; necessi30 tas enim mihi incumbit.�· Ve mihi, si non evangelizavero. Ubi tarnen legislator fidelis et legis custos talia volunt fieri, dico ipsorum esse auctoritatem secundum iam dieturn modum propter assignatas causas seu probaciones, tarn ex scriptura sacra, quam ex humana, probabili et necessaria racione. § 16. De distribucione vero temporalium, que beneficia 5 ecclesiastica vocari solent, oportet prescire, quod talia tem­ poralia vel ordinata sunt per legislatorem ad sustentandum evangelicos ministros et reliquas personas miserabiles, de quibus diximus 14° et 1 5° huius, vel ordinata sunt ad hunc usum per personam aliquam aut collegium aliquod singu1 0 lare. Quod si huiusmodi temporalia ex dono et legislatoris ordinacione sie statuta fuerint, dico, quod de ipsis distri­ buendis auctoritatem cui vult et quando licite secundum Iegern divinam committere pofest ; et ex causa, cum voluerit, 15

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96 9 97 0 97 1 972 978 974

Nur hier erscheint etwas wie Trennung von Kirche und Staat. 1. Kor. 9,16 : dvayx 17 yae fWt in[xsn:at. W probabilis. W necessarius. AbschluR der mit § 10 begonnenen Erörterung. II 14,7 (306,10) u. 22 ; II 15, 9 (335,9-20) .

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meisten und fast allen Gemeinscl�aften der Urkirche der Fall war, dort würde Zulassung oder Ablehnung der Personen, die zu den kirchlichen Weihen erhoben werden sollen (nebst den übrigen eben erwähnten Amtseinsetzungen und Amts­ ausübungen) , dem Priester oder Bischof < in Zusammen­ wirken > mit dem vernünftigeren Teil der Gemeinde des Spren­ gels zukommen, oder dem Bischof allein, wenn es ein einziger 20 wäre, würde diese Vollmacht zustehen ohne Einwilligung oder Wissen des Herrschers9 6 9, damit durch eine derartige < Form der> Rangerhöhung oder der Einsetzung der höheren Geistlichen oder Seelsorger der Glaube an Christus und die Heil slehre verbreitet würde ; das würde durch die Autorität, Bemühung oder Anordnung eines ungläubigen Gesetzgebers oder Gesetzeshüters nicht gefördert, sondern vielmehr ge25 hemmt. So haben es auch die Apostel am Anfang der Kirche Christi gehalten, und dazu wurden sie durch das göttlime Gebot verpflichtet und würden deren Nachfolger verpflichtet sein, wenn der Gesetzgeber < als Heide > dazu ungeeignet wäre. Daher sagt der Apostel im 1 . Korintherbrief im 9. Kap.970 : Denn roenn ich das Evangelium verkündige, so habe ich davon keinen Ruhm; denn ein Zroang liegt auf mir. 3 o Wehe mir, roenn ich das Evangelium nicht verkündige! Wo jedoch ein gläubiger Gesetzgeber und ein Hüter des Gesetzes dergleichen < Aufgaben > durchgeführt haben wollen, dort, sage ich, kommt ihnen diese Vollmacht in der eben genannten 3?1 Form zu aus den hervorgehobenen Gründen oder Beweisen : auf Grund der Heiligen Schrift wie einer annehmbaren911 und sogar denknotwendigen972 menschlichen Überlegung. 9 7 3 § 1 6 Von der Verteilung der < Erträge der > zeitlichen Güter, 5 die man kirchliche Benefizien zu nennen pflegt, muß man vor jeder Erörterung wissen : Solche zeitliche Güter hat ent­ weder der Gesetzgeber zum Unterhalt der Diener des Evan­ geliums und anderer armer Personen bestimmt, von denen wir in II 14 und II 1 5974 gesprochen haben, oder eine einzelne Person oder ein einzelnes Kollegium hat sie für diesen Zweck 1 0 bestimmt. Wenn nun derartige zeitliche Güter durch eine Schenkung oder durch eine Anordnung d e s G e s e t z ­ g e b e r s so gestiftet sind, so kann er, sage ich, die Vollmacht zur Verteilung, wem er will und wann er das will, zulässiger­ weise nach dem göttlichen Gesetz anvertrauen und kann 15

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auctoritatem ab eo vel eis, cui vel quibus persone singulari vel collegio commiserat, revocare ; nec passet huius opposi­ tum, sed magis propositum ex scriptura convinci, sicut eciam auctoritate Ambrosii ex epistola De Tradendis Basilicis supra monstravimus 14° huius. Nec solum talium tempora20 lium auctoritatem distribuendi ab eo vel eis cui commiserat revocare potest licite secundum Iegern divinam legislator fidelis, verum eciam vendere aut aliter alienare propter racionabilem causam supervenientem, quoniam sua sunt et in ipsius semper potestate de iure, nisi fortasse rem ipsam z; simpliciter aut eciam cum dominio in alterius collegii aut persone singularis transtulerit potestatem ; hiis tarnen sem­ per adiciendo, secundum omnem eventum fidelem populum lege divina obligari, si potens fuerit, ad evangelicorum mini­ strorum sustentacionem in victu et tegmento decenti, quibus 30 contenti debent esse, ut ex 1 a ad Timotheum ultimo monstra­ turn est 14° huius. Si vero huiusmodi temporalia statuta fuerint ad pia opera ex dono vel legato persone vel persona­ rum singularium, dico talia debere conservari, custodiri atque distribui secundum donantis aut legantis intencionem. Quod si quis error in distributoribus horum correpcione indi5 gens appareat, iuxta donantis vel legantis intencionem debet error huiusmodi per humanum legislatorem aut eius auctori­ tate principantem corrigi. Quinimo id sciens et potens peccat omittens, quoniam non pertinet hoc aut fieri debet per colle­ gium aut personam *aliam':· singularem aliquam, cuiuscum1 0 que condicionis existant, excepto dumtaxat, si talium cor­ repcio per donatorem aut legatorem alicui persone vel collegio commissa foret, quarum eciam error, si contingeret, tandem corrigi debet per principantem. Quamvis persona singularis 15

372

975 Scholz 371 Anm. 1 ; vgl. II 14, 22 (322,25 ff.) . 9 7 6 ipse s. V o (Pronomina) .

' D77. 1 . Tim. 6 ,8. 1ns II 14, 6 (305, 8-10) .

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< andererseits > aus irgendeinem Grunde, wenn er will, die Vollmacht dem wieder entziehen, den er damit betraut hatte, einer Einzelperson oder einem K ollegium, und nicht das Gegenteil davon, sondern vielmehr < Unsere > These könnte aus der Schrift bewiesen werden, wie wir es auch durch die Autorität des Ambrosius aus dem Briefe ,über die Übergabe der Basiliken' in II 14975 oben gezeigt haben ; und nicht nur die Vollmacht zur Verteilung < der Erträge > solcher zeitlicher 2 0 Güter kann der gläubige Gesetzgeber denen, die er damit betraut hatte, zulässigerweise nach dem göttlichen Gesetz wieder entziehen, sondern er kann < die Güter > auch ver­ kaufen und sonst aus einem vernünftigen Grunde, der das erforderlich macht, veräußern ; denn sie sind sein und stehen von Rechts wegen immer in seiner Gewalt, wenn er nicht etwa diesesm Vermögen an und für sich oder sogar mit dem 25 Eigentum in die Verfügungsgewalt eines anderen, eines Kollegiums oder einer Einzelperson, übertragen hat, jedoch immer mit dem Zusatz, unter allen Umständen sei das gläu­ bige Volk durch göttliches Gesetz verpflichtet, wenn es dazu imstande sei, die Diener des Evangeliums mit geziemender Nahrung und Kleidung zu versehen, womit sie zufrieden sein 30 müssen, wie aus dem letzten K apitel des 1. Briefes an Timo­ theus977 in II 14978 gezeigt worden ist. Wenn hingegen d er­ artige zeitliche Güter durch Geschenk oder Vermächtnis e i n e r 3?2 E i n z e I p e r s o n o d e r v o n E i n z e I p e r s o n e n für fromme Werke gestiftet worden sind, so müssen sie, sage ich, nach dem Wunsch des Spenders oder Erblassers erhalten, aufbewahrt und < ihre Erträge > verteilt werden. Wenn aber ein Irrtum bei den Verteilern sich zeigt, der einer Zurecht­ weisung bedarf, so muß der menschliche Gesetzgeber oder 5 kraft Ermächtigung durch ihn der Herrscher nach dem Wunsch des Spenders oder Erblassers einen derartigen Irr­ tum richtigstellen. Ja, gesetzt er weiß und kann das, so begeht er eine Sünde, wenn er es unterläßt ; denn dies geht nicht ein K ollegium oder eine andere Einzelperson an, welcher Stellung auch immer, oder darf durch sie erfolgen - aus10 genommen lediglich < den Fall > , daß der Spender oder Erb­ lasser eine Zurechtweisung solcher Leute einer Person oder einem Kollegium anvertraut hätte ; käme auch ein Irrtum vor, so müßte ihn endlich der Herrscher richtigstellen. 15

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aut collegium basilicam construere, ibique legis evangelice quemquam ministrum statuere nequeat absque legislatoris concessione, propter pridem assignatas causas. § 1 ?. Amplius, proposita de ministrorum ecclesiasticorum institucione ac temporalium seu beneficiorum distribucione vel collacione ostendere volo auctoritate catholicorum Fran20 cie regum non spernenda, sed pocius attendenda. Asserunt enim ipsi de iure, quod eciam de facto usque in presens tem­ pus volunt et faciunt immutabiliter observari, aliquorum officiorum ecclesiasticorum [et temporalium] seu beneficio­ rum ad se sie pertinere auctoritatem institucionis et distribu25 cionis, ut a nemine singulari vel collegio mortalium, cuius­ cumque condicionis existat, in ipsos aut ad ipsos hec auc­ toritas derivetur. Non igitur lege divina prohibitus est legis­ lator aut princeps ab horum institucione, collacione seu 3o distribucione ; quinimo auctoritas hec in perfectis fidelium 373 communitatibus ex legislatoris concessione derivata est, si licita fuerit, non subdole usurpata in personas aut collegia sacerdotum. Unde in legibus principum Romanorum statu­ tus est modus et forma eligendi seu instituendi episcopos, 5 curatos, decanos et reliquos ordinandi templorum ministros, •:· quantum ad secundarias instituciones de quibus [supra] die­ turn est parte 1 1 a et 1 2a�·, numerus quoque ipsorum determina­ tus et prefinitus. Hoc enim ad humanum legislatorem et prin­ cipantem pertinet, ut demonstratum [est] 8° huius et 15° prime. t o Sie eciam de modo tractandi ecclesiastica temporalia seu beneficia et actuum contenciosorum inter presbyteros invi­ cem et ad quoscumque alios Ieges statute sunt, contra quas priores Romani antistites, sancti et sue libertatis conscii, non ignari, minime reclamarunt, sed illis fuerunt et esse volun

979 98 o 98 1 982

Scholz 373 Anm. 1 . I I 8, 7-9, Abs. 1 . I 1 5 , 8-10. Scholz 373 Anm. 2.

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Freilich eine Basilika bauen und dort einen Diener des evangelischen Gesetzes einsetzen darf aus den früher be­ tonten Gründen keine Einzelperson und kein Kollegium ohne Erlaubnis des Gesetzgebers. § 1? Weiterhin will ich durch die Autorität der katholischen Könige Frankreichs beweisen, daß meine Thesen über die Einsetzung der Diener der Kirche und die Verteilung oder Verleihung < der Erträge > der zeitlichen Güter der Kirche oder 20 kirchlichen Stiftungen nicht zurückzuweisen, sondern viel­ mehr aufrechtzuerhalten sind. Diese < Könige > versichern nämlich, daß ihnen von Rechts wegen {und an diesem Recht wollen sie tatsächlich bis heute festhalten und lassen es unverändert ausüben) die Vollmacht zusteht, einige kirch­ liche Ämter zu besetzen und < die Erträge > der zeitlichen Güter der Kirche und kirchlichen Stiftungen zu verteilen, 25 ohne daß diese Vollmacht sich von einer Einzelperson oder einem Kollegium von sterblichen Menschen, welcher Stellung auch immer, für sie oder auf sie herleitet. Denn das göttliche Gesetz hindert den Gesetzgeber oder den Herrscher nicht an Einsetzung von Geistlichen, an Verleihung oder V er­ teilung von kirchlichen Geldern, vielmehr leitet sich diese 3o Vollmacht in den vollkommenen Gemeinschaften der Gläu­ bigen aus der Übertragung durch die Gesetzgeber ab, wenn sie zulässig, nicht für Personen oder Kollegien der Priester 373 hinterlistig angemaßt ist. Daher ist in den Gesetzen der römischen Herrscher die Art und Form für die Wahl oder " Einsetzung der Bischöfe, Pfarrer, Dekane und für die Amts­ einweisung der übrigen Diener der Kirche festgelegt, soweit es sich um die sekundären Einsetzungen handelt, von denen oben in § 1 1 und 1 2 gesprochen worden ist ; auch ist die Zahl < der Geistlichen > bestimmt und im voraus festgesetzt.m Das nämlich steht dem menschlichen Gesetzgeber und dem Herr­ scher zu, wie in II 8980 und I 1 5 981 gezeigt worden ist. So sind 10 auch über die Art der Behandlung der zeitlichen Güter der Kirche oder kirchlichen Benefizien und der Streitsachen der Priester untereinander und mit irgendwelchen anderen < Bür­ gern > Gesetze geschaffen982, und gegen diese haben die ersten Vorsteher der römischen Gemeinde, heilige und ihrer Freiheit bewußte, nicht unwissende Männer, keineswegs Einspruch erhoben, sondern, wie sie es auch mußten - und das von Red:ds n

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erunt, sicut eciam et iuste debuerunt, sponte subiecti ; ut eciam 21° huius, parte 2a declarabitur amplius usque in sam. Unde vero tanta provenerit alietas, ut sacerdotale collegium non solum legibus et principum seculi consuetudinibus se dicat exemptum, verum eciam super illos iam se legislatorem 20 constituat idque pertinaciter asserat et defendat, posterins dicturi sumus. § 18. Rursum eciam ex premissis nos latere non debet, hu­ manum legislatorem aut eins auctoritate principantem ex temporalibus ecclesiasticis, presertim proventibus immo25 bilium que beneficia diximus, si qua residua fuerint suffi­ ciencie ministrorum evangelicorum, tallias et collectas suscipere 'fposse licite secundum Iegern humanam atque divi374 nam\ pro patrie defensione aut captivorum in fidei obsequium redempcione vel supportandis oneribus publicis ac aliis racionabilibus causis, secundum legislatoris fidelis deter5 minacionem. Non enim qui talia temporalia legato vel dono ad pias causas statuit et alicui vel aliquibus distribuenda commisit, ea potuit cuiquam collegio vel singulari persone cum immunitate maiori tribuere, quam habuerit, dum exti­ terunt in ipsius potestate. Sed pro tune numquam fuerunt a 10 publicis oneribus immunia ; ergo nec postquam per donato­ rem aut institutorem translata fuerint in cuiusvis alterins potestatem. § 19. Huic autem testatur Ambrasins in epistola De Tra­ dendis Basilicis, cum dixit : Solvimus que sunt Cesaris, Ce15 sari, et que sunt Dei, Deo. Tributum Cesaris est, non negatur. Et rursum eadem : Si tributum petit, imperator, non nega­ mus. Agri ecclesie solvunt trib utum. Quod tarnen impera­ tori negasset, si hoc sibi iure non deberi credidisset ; quemad­ modum sibi templa negavit seu sacerdotum institucionem in !5

9 83 II 22, 20. 984 Schol z 374 Anm. 1 .

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wegen -, waren sie diesen Gesetzer.. freiwillig untertan und wollten es sein, wie noch in II 2 1 , 2-8 ausführlicher erklärt werden soll. Woher aber eine so tiefgreifende Veränderung gekommen ist, daß die Priesterschaft nicl:J.t nur behauptet, aus den Gesetzen und den Gewohnheitsrechten der welt­ lichen Herrscher herausgenommen zu sein, sondern auch bereits sich zum Gesetzgeber über sie aufwirft und diesen 20 < Anspruch > hartnäckig behauptet und verteidigt, < das > wollen wir später883 erklären. § 18 Ferner dürfen wir auch eine Folgerung aus den bis­ herigen Erörterungen nicht übersehen : Der menschliche Ge­ setzgeber oder, kraft Ermächtigung durch ihn, der Herrscher kann von den zeitlichen Gütern der Kirche, zumal von den 25 Einkünften aus unbeweglichen < Gütern > , die wir Benefizien genannt haben, falls Überschüsse über den Bedarf der Diener des Evangeliums hinaus vorhanden sind, nach dem menschlichen und dem göttlichen Gesetz zulässigerweise Abgaben und Steuern erheben : für die Verteidigung des Vaterlandes, für den Loskauf derer, die im Gehorsam gegen 374 den Glauben in Gefangenschaft geraten sind, für die Erleich­ terung der öffentlichen Lasten und andere vernünftige Zwecke, wie das der gläubige Gesetzgeber bestimmt. Denn 5 wer solche zeitliche Güter durch Vermächtnis oder Schen­ kung für fromme Zwecke bestimmt und < deren Erträge > einem oder mehreren zur Verteilung anvertraut hat, konnte sie einem Kollegium oder einer Einzelperson nicht mit höhe­ rer Steuerfreiheit überlassen, als er sie gehabt hat, solange sie sich in seiner Gewalt befanden. Vielmehr waren sie da­ mals nie von öffentlichen Lasten frei ; also sind sie es auch 10 nicht, nachdem sie durch den Spender oder Stifter in die Verfügungsgewalt irgendeines anderen übergegangen sind. § 19 Dafür zeugt auch Ambrosius in dem Brief ,über die Übergabe der Basiliken'984 mit den Worten : Wir zahlen, rvas des Kaisers ist, dem Kaiser, und rvas Gottes ist, Gott. Die 15 Steuern sind des Kaisers, sie rverden nicht verrveigert. Und ferner ebenda : Wenn er Steuern verlangt, der Kaiser, so ver­ rveigern rvir sie nicht. Die Ländereien der Kirche zahlen Steuern. Das hätte er jedoch dem Kaiser verweigert, wenn er der Meinung gewesen wäre, das stehe diesem rechtlich nicht zu, wie er ihm die Kirchen verweigert hat oder ihre 15

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20 eis propterea, quod Arianis videbatur favere, eciam contra

piebis sentenciam ; de quo amplius in sequentibus dicturi sumus. [Hoc eciam sensit Hugo de Saneta Victore in libro De Sacramentis, cum dixit : Ecclesia licet fructum terrene possessionis in usum accipiat, potestatem tamen exercende 25 iusticie per ecclesiasticas personas aut iudicia secularia exer­ cere non pofest. Pofest tamen ministros habere, laicas per­ sonas, per quos iura et iudicia ad terrenam potestatem perti375 nencia secundum tenorem legum et debitum iuris terreni exerceantur; sie tamen ut et ipsum quod potestatem habet, a principe terreno se habere cognoscat, et ipsas possessiones numquam ita a regia potestate elangare passe intelligat, 5 quin, si racio postulaverit et necessitas, et illis ipsa potestas debeat patrocinium, et illi ipse possessiones debeant in neces­ sitate obsequium. Sicut enim regalis potestas patrocinium, quod debet alteri, non pofest non dare, sie ipsa possessio ab ecclesiasticis personis obtenta obsequium, quod regie pote­ stati pro patrocinio debetur, iure negare non pofest.] C A P I T U L U M XVIII

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D e o r i g i n e a c s t a tu p ri m a e c c l e s i e c h r i s t i a n e , e t u n d e R o m an u s e p i s c o p u s e t e c c l e s i a p r e d i ct a m a u c t o r i t a t e m a c s u p e r c e te r o s s i b i q u e n d a m p r i m a t u rn a s s u m p s i t . Nunc autem restat ex propositis intencionibus manifestare ortum et inicium, ex quibus iurisrliccio coactiva et omnium sacerdotalium institucionum secundariarum, non essencia­ lium vocatarum, ecclesiasticorum quoque temporalium om20 nium distribuendi potestas in episcopos seu presbyteros ali­ quos pervenerit ; talium quoque potestatum supremam unde sibi papa Romanus ascribat. Hiisque consequenter adicien­ dum, cuius aut quarum scripture sensus dubios interpretari, 15

985 II 28, 18. 9 86 Scholz 3 74 Anm. 2.

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Besetzung mit Priestern, weil der Kaiser, auch im Gegensatz zur Volksmeinung, zu den Arianern zu neigen schien, worüber wir im folgenden985 ausführlicher sprechen wollen. So dachte auch Hugo von Sankt Viktor in dem Buche ,über die Sakramente'986 ; er hat nämlich gesagt : Mag die Kirdte auCh den Ertrag des irdisChen Besitzes für ihren ZroeCk er­ halten, so kann sie doCh die ReChtspflege durCh kirchliChe 25 Personen oder roeltlidte GeriChte niCht ausüben. Sie kann jedoCh Diener haben, Laien, durCh die ReCht und GeriCht, soweit sie die irdisChe Gemalt betreffen, naCh dem Wortlaut der Gesetze und den RiChtlinien des irdisChen Rechts ausgeübt werden sollen; dabei muß sie siCh allerdings darüber im klaren sein, daß sie, roas sie als MaCht besitzt, vom irdischen Herr­ sCher· hat, und muß sieh auCh sagen, sie kann diese Besitzun­ gen niemals so roeit der königliehen Gemalt entziehen, daß ; niCht, roenn Vernunft und Notwendigkeit es fordern, einer­ seits ihnen diese Gemalt Schutz sChuldet, andererseits diese Besitzungen ihr in der Not Tribut schuldig sind. Wie nämliCh die königliChe Gemalt den SChutz, den sie einem an­ deren sChuldig ist, gewähren muß, so kann dieser Besitz kirdtlidter Personen den Tribut, der der königliChen Gemalt für ihren Schutz geschuldet mird, von Rechts roegen nicht verweigern. zo

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KA P I T E L XVIII

U r s p r u n g u n d U r z u s t a n d d e r c h r i s t l i c h e n K i r ch e ; f e r n e r : Wo h e r h a t d e r r ö m i s c h e B i s ch o f u n d d i e r ö m i s c h e K i r ch e d i e f r ü h e r e r w ä h n t e A u t o r i t ä t u n d e i n e n g e w i s s e n Vo r r a n g v o r d e n a n d e r e n s i ch a n geeignet ? 15

20

§ 1 Jetzt bleibt von den aufgestellten Thesen noch zu klären : < Was ist > Ursprung und Anfang davon, daß die zwingende Rechtsprechung und die Verfügungsgewalt über alle sekundären priesterlichen Amtseinsetzungen, nicht­ wesentliche genannt, und über die Verteilung < der Erträge > aller zeitlichen Güter einigen Bischöfen oder Priestern zu­ gefallen ist ; woher < kommt es, da1 h sich der römische Papst solche oberste Gewalt zuschreibt ? Im Anschluß daran ist hinzuzufügen, wem die Berecl:ttigung zukommt, Stellen der

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et interpretatos fidelibus credendos et observandos tradere atque precipere sit iusta potestas. 25 Supponentibus igitur primum ex determinatis a nobis 15° et 1 7° prime, 4°, 5°, 8°, 9° et 1 0° huius, ad nullum episcopum aut presbyterum vel mirristrum ecclesiasticum aliquem, in­ quantum huius':· modi':· , iurisdiccionem aliquam cuiusquam 3o coactivam in hoc seculo pertinere ; rursumque monstraturn sufficienter 15°, 16° et 1 7° huius, nullum episcopum aut pres3?6 byterum immediata ordinacione Christi alteri episcopo vel presbytero subesse quantum ad aliquam sacerdotalium po­ testatum essencialem aut non essencialem iam dictam ; id quoque * quod * de temporalium ecclesiasticorum distribucione s iam diximus capitulo precedenti : sufficienter patere posset inspicientibus solucio quesitorum. Verumtamen ad horum dissolucionem accedere volumus singulariter magis, propter minus introductorum in talibus tarditatem. 10 § 2. Quesita igitur proposita reddere temptaturis oportebit de ipsis intendere : primum quatenus processerunt de facto et circa ipsorum origines ; deinde vero quantum iuri divino et humano ac recte racioni sie facta conformiter se habuerint aut habere debuerint, que eciam hiis contrarie atque diffor15 miter, ut demum conformia tamquam probanda et obser­ vanda, difformia vero velut nociva seculo et fidelium quieti ac licite detestanda et declinanda noscamus. De hiis autem, quantum de *iure ac* facto processerint, principium queren­ dum est ex canone sacro. De consequentibus vero colligere 20 possumus ex approbatis historiis, harum autem plurimum

9 88 li 15, 2'-8 ; li 16,13 ; li 1 ?,2 (35?,?)-4. 9 8 9 sie facta 3?6,12. 9Do § ? Ende (38 1 , 1 6 ff.) .

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Schrift von zweifelhaftem Sinn zu d euten und die Deutun­ gen den Gläubigen als Glaubenssätze und Verpflichtungen 25 weiterzugeben und vorzuschreiben. Wer nun auf Grund unserer Ergebnisse in I 15 und I 1 7, II 4, II 5, II 8, II 9 und II 10987 e r s t e n s voraussetzt : K einem Bischof oder Priester oder Diener der Kirche als solchem steht irgendeine zwingende 3o Rechtsprechung gegen jemand in dieser Welt zu ; z w e i t e n s , wie in II 15, II 16 und II 1 7988 zur Genüge nachgewiesen ist : Kein Bischof oder Priester untersteht kraft unmittelbarer 376 Anordnung Christi einem anderen Bischof oder Priester in irgendeiner wesentlichen oder nicht-wesentlichen schon erwähnten priesterlichen Gewalt ; d r i t t e n s auch, was wir über die Verteilung < der Erträge > der zeitlichen < Güter> der Kirch� im vorausgehenden Kapitel schon angeführt haben 5 dem könnte bei seinem Einblick < in den Stand der Dinge > die Lösung der Fragen vollkommen klar sein. Aber wir wollen doch an deren Lösung lieber Punkt für Punkt herangehen mit Rücksicht auf die Schwerfälligkeit derer, die in solche Dinge weniger eingeweiht sind. 10 § 2 Wenn wir also versuchen wollen, die vorgelegten Fra­ gen zu beantworten, werden wir mit Rücksicht auf sie be­ achten müssen : erstens, wie haben sich < die Verhältnisse > 989 tatsächlich entwickelt, und wie waren ihre Ursprünge ? Ferner, inwieweit sind sie mit dem göttlichen und mensch­ li hätten sie sein sollen ?99 0 Welche stehen sogar dazu in Gegensatz und Widerspruch ? Zum S sich kaum bereit finden ließen anzu­ nehmen ; auch die Ordnungen, die sie sich für den kirchlichen Ritus gebildet hatten, teilten sie freundschaftlich anderen Ländern mit, und wenn sie von Streit oder Spaltung der Gläubigen untereinander in anderen Provinzen hörten, mahnten sie manchmal auch gütig. § 6 Das nahmen die Kirchen anderer Länder dankbar an, wie aus gewissen geschichtlichen Überlieferungen und aus dem Wortlaut des obengenannten Kodex1000 sich zur Genüge ergibt, vom Papst Clemens an, der als der erste Bischof dort in der Nachfolge des Petrus oder Paulus oder beider ange­ geben wird, bis zu den Zeiten des eben erwähnten Konstan­ tin. In dieser oder einer ganz ähnlichen Weise übernahm das römische Volk von den Griechen freiwillig, nicht gezwungen, gewisse Gesetze, die sogenannten Zwölf Tafeln, die der Ausgangspunkt für die späteren 1001 Gesetze des römischen Volkes geworden sind. 1 00 2 Dennoch steht fest : Das römische Volk ist deswegen den Griechen in keiner Rechtsprechung oder Autorität untergeordnet gewesen. So hat auch der Autor die­ ses Buches gesehen, gehört und gewußt, wie die Universität Orleans durch ihre Boten und B riefe die Pariser Universität als die berühmtere und verehrungswürdigere um ihre Regeln, Privilegien und Statuten 1003 dringend bat, und doch war sie der Pariser Universität weder vorher noch nachher in irgendeiner Autorität oder Rechtsprechung untergeordnef.1°04 § 7 Auf Grund dieses eben genannten Vorrangs, der auf bloßer Gewohnheit und der freiwilligen Zustimmung anderer 1000 Scholz 379 Anm. 1001 356,15.

1.

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scopi, secundum ipsorum ulteriorem a principio processum, auctoritatem quandam decreta �-seu ordinaciones'-· constitu­ endi super universalem ecclesiam, quantum ad ecclesiasticum ritum et actus eciam sacerdotum, et illorum observacionem precipiendi ampliorem sumpserunt usque ad tempora Con­ stantini �-predicti':- . Utrum autem id facere potuerint Romano15 rum episcopi sola ipsorum auctoritate, an aliorum oportuerit ad hec intervenire consensum, in sequentibus dicturi sumus. Constantinus vero predictus, ut ex iam dicto codice, capi­ tulo De Primitiva Ecclesia In Concilio Niceno, narrat Ysi­ dorus, et in Edicto Domini Constantini Imperatoris inscripto pariter continetur, primus fuit imperator, qui fidem Christi ministerio beati Silvestri, tune pape Romani, patenter adep­ tus est, et qui sacerdocium a iurisdiccione coactiva princi­ pum exemisse videtur ; qui eciam per predictum edictum 5 ecclesie Romane ac ipsius episcopo similiter tribuisse videtur auctoritates et potestates super alios episcopos et ecclesias onmes, quas sibi convenire nunc asserunt aliunde, ut 1 9° prime, parte sa et 9a supra narravimus ; cum hiis quoque iuris­ dicciones coactivas super eosdem agros, predia et possessio10 nes plurimas cum quarundam eciam provinciarum seculari dominio, ut palam se offert inspicienti predictum edictum. Hic eciam, ut ubi supra legitur, primus imperator fuit, qui christianis concessit licenciam se publice congregandi, tem­ pla seu ecclesias construendi, et cuius precepto primum con1 5 cilium Nicenum extitit congregatum. De quo siquidem cum reliquis que facta sunt in processu ecclesie ab apostolorum usque in presencia tempora con­ sequenter in suis locis, quantum proposito nostro conveniet, tangemus et inducemus historias, ex ipsis quidem, que legi

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381

1001 Schol z 380 Anm. 3. 1 oos

Nach der Legende.

100 9 videtur 381,3 u. 5 ist eingeführt 380, 19 durch in edicto continetur, abgeschlossen 381 , 1 0-12 durch ut palam se offert inspicienti edictum

und ut ubi supra legitur ; videtur kann also nur heillen : wie man sieht. Gewollte Unklarheit ist bei dieser Umrahmung undenkbar. 1010 Scholz 381 Anm. 2.

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Kirchen beruht, haben die römischen Bischöfe, je nachdem < ihr Einfluß > von dem Anfang aus weitere Fortschritte machte, eine gewisse < immer > umfassendere Machtbefugnis 1 0 gewonnen, Dekrete oder Anordnungen für die Gesamtkirche über den kirchlichen Ritus und auch über den Kult zu er­ lassen und deren Befolgung vorzuschreiben, bis zu den Zeiten Konstantins. Ob das aber die römischen Bischöfe allein kraft 15 ihrer Autorität haben tun können oder ob die Zustimmung der anderen hat dazutreten müssen, wollen wir im folgen­ den 1005 ausführen. Der vorhin genannte Konstantin aber war (wie Isidor1006 in dem genannten Kodex im Kapitel ,über die Urkirche auf dem K onzil von Nikäa' erzählt und in dem Edikt, betitelt ,Edikt des Herrn, des Kaisers Konstantin', in gle icher Weise enthalten ist) 1007 der erste Kaiser, der den christlichen Glauben vor aller Welt angenommen hat, < und zwar > getauft1 008 vom seligen Sylvester, damals Papst in Rom, und der das Priesteramt aus der zwingenden Recht­ sprechung der Herrscher, wie man sieht, herausgenommen hat1009 ; er hat auch durch das obengenannte Edikt der römi5 sehen Kirche und deren Bischof in ähnlicher Weise, das sieht man, die Vollmachten und Gewalten über alle anderen Bischöfe und Kirchen erteilt, die, so versichern sie jetzt, ihnen aus einem anderen Grunde zustehen, wie wir I 19, 8 u. 9 oben erzählt haben, im Zusammenhang damit auch die zwingen­ den Rechtsprechungen über diese Ländereien, Grundstücke 10 und sehr viele Besitzungen sogar einschließlich der weltlichen Herrschaft über gewisse Provinzen, wie jeder, der in das oben­ genannte Edikt Einblick nimmt, sich überzeugen kann. Dieser war auch, wie man an der oben angeführten Stelle liest, der erste K aiser, der den Christen die Erlaubnis gegeben hat, sich öffentlich zu versammeln, Tempel oder Kirchen zu bauen, 15 und auf dessen Befehl das erste Konzil in Nikäa einberufen worden ist. 1010 Dieses Konzil und die übrigen Ereignisse, die sich in der Entwicklung der Kirche von den Zeiten der Apostel an bis zur Gegenwart abgespielt haben, werden wir nach und nach an den passenden Stellen, soweit das für unser Thema in Frage kommt, berühren und anführen, wobei wir das, was 1 oos

li 22, 1 (420,2 1-23) .

100 0 Scholz 380 Anm. 2.

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divine ac recte racioni consona fuerint, recipientes, que vero dissona, reicientes ; qualiter autem et que facta surrt se ha­ bere debuerint, iuxta canonem sacrum evidenter tradentes. § 8. Sie itaque diffiniendorum a sui origine aliqualiter reci­ tato progressu, ad ipsorum determinacionem ingredientes 25 amplius, supposicionem cum apostolo faciemus indubiam, :Eidern catholicam unam esse, non plures ; unde ad Ephesios 4° : Unus Dominus, una fides. Harre quoque rursum in uni­ tate, secundum eundem sensum videlicet, credendam et ab 30 omnibus fidelibus confitendam, ut ubi supra, parum post inquit apostolus : Donec occurramus omnes in unitatem fidei et 382 agnicionem filii Dei. Ex quibus quidem per necessitatem in­ feremus primum, quod legis divine, presertim evangelice, dubios sensus atque sentencias et si que fuerint inter doctores 5 ipsius contenciones vel contraversie probabiles, quemad­ modum quorundam ignorancia vel malignitate aut utrisque iam evenisse legimus iuxta Christi et apostoli propheciam, expedit terminare. Huic autem per necessitatem assequi monstrabimus, ad solum generale concilium fidelium om10 nium vel eorum, qui omnium fidelium auctoritatem ha­ buerint, determinacionem harre tantummodo pertinere. Deinde ostendam secundum Iegern divinam et racionem rectam, quod generale concilium convocare idque si expediat 15 per coactivam potenciam congregare, ad solins humani fide­ lis legislatoris superiore carentis auctoritatem pertineat, non autem ad personam aliquam aut collegium aliquod singu­ lare, cuiuscumque dignitatis au f condicionis existant, nisi 20

1 0 13 1o1 4

1015

1016 101 1

Disposition für II 20-22. II 20, 1-5. 392, 1 8 ff. 393, 8. II 20, 6-1 2 ; II 21, 1-3.

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mit dem göttlichen Gesetz und dem richtigen Denken in Ein­ klang steht, annehmen, was aber damit nicht harmoniert, verwerfen ; wie aber auch, was geworden ist, hätte sein sollen, werden wir nach dem heiligen Kanon überzeugend heraus­ stellen. § 8 So haben wir nun die Entwicldung dessen, was kritisch betrachtet werden soll, von seinem Ursprung an einiger­ maßen vorgeführt, und wenn wir < jetzt > näher an die 25 Erledigung dieser Fragen herangehen, so werden wir mit dem Apostel die unbezweifelbare Voraussetzung machen : Der katholische Glaube ist einer, nicht viele ; daher heißt es im Epheserbrief im 4. Kap.10 11 : Ein Herr, ein Glaube. Ferner, daß dieser < Glaube > aucl1 in Einheit, d. h . in derselben Auffassung, von allen Gläubigen angenommen und bekannt werden muß, 3 0 sagt der Apostel an der oben angeführten Stelle etwas 382 später101 2 : Bis mir alle gelangen zur Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes. Daraus werden wir mit Notwendigkeit schließen 1013 : Erstens1014, Sinn und Meinung des göttlichen Gesetzes, zumal des evangelischen, wo sie zweifelhaft sein sollten, < festzulegen > , ist zweckmäßig, auch, falls dergleichen auftritt 1015 , Streitigkeiten oder Meinungs5 Verschiedenheiten unter den Lehrern des evangelischen Ge­ setzes, die sich beilegen lassen, ein Ende zu machen ; sie sind ja < tatsächlich > , so lesen wir, durch Unwissenheit oder Bos­ heit mancher oder durch beides nach der Prophezeiung Christi und des Apostels schon vorgekommen.1016 Diesem Punkt folgt mit Notwendigkeit, wie wir zeigen werden : Nur einem all­ gemeinen Konzil aller Gläubigen oder derer, die die Ermäch10 tigung durch alle Gläubigen dazu haben, kommt diese Ent­ scheidung ausschließlich zu. Zweitens 1017 will ich auf Grund des göttlichen Gesetzes und des richtigen Denkens zeigen : Ein allgemeines Kon­ zil einzuberufen und gegebenenfalls durch zwingende 15 Gewalt zusammenzubringen, steht allein dem gläubigen menschlichen Gesetzgeber zu, der keinen höheren über sich hat, nicht aber irgendeiner einzelnen Person oder irgend­ einem einzelnen Kollegium, welcher Würde oder welchen 20

1011 Eph. 4,5. 1 0 1 2 Eph. 4,13.

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eidem aut eisdem per supradieturn legislatorem auctoritas concessa foret. 20 Amplius ostendam per certitudinem, nihil statui posse circa ecclesiasticum ritum et humanos aetus, quod omnes homines ad observacionem obliget sub aliqua pena pro statu presentis seculi vel venturi, nisi per solum generale con25 cilium '-· seu supremum legislatorem fidelem'-· immediate aut inde sumpta prius auetoritate. Ex quo eciam monstrabitur consequenter, quod nullus princeps, provincia vel communi­ tas aliqua interdici aut excommunicari possit nec debeat per aliquem sacerdotem ':· seu episcopum\ quicumque sit ille, nisi 3 0 secundum modum per Iegern divinam aut supradieturn gene­ rale concilium ordinatum. Deinde monstrabitur evidenter, ad nullins unici sive solins 383 episcopi vel alterins unice singularis persone aut particularis unici collegii cuiusquam auetoritatem pertinere, in cunctis mundi ecclesiasticis officiis personas instituere, neque pro 5 eisdem ecclesiastica temporalia, vocata beneficia, distribuere seu conferre ; sed auctoritatem hanc solins esse fundatoris seu donatoris vel universalis legislatoris fidelis aut eius vel eorum, cui vel quibus et secundum quam formam et modum idem donator aut legislator hanc concesserit potestatem. Deinde vero monstrabitur, quod unieuro episcopum et 10 ecclesiam, quales et quorum auctoritate aliarum princi­ paliorem sive caput conveniens est instituere ; cuius quidem cum ipsius ecclesia sit insinuare reliquis omnibus episcopis 1 5 et ecclesiis ea, que per generalia concilia circa ritum ecclesi­ asticum et alios humanos aetus ad communem fidelium utilitatem et quietem ordinata fuerint et appareant ordi­ nanda. 1 o2 1 Zu 382 Anm. 1 von Scholz : Das Konzil ist unfehlbar, sein Beschluf!

ist also göttl. Gesetz. Die von Marsilius vertretene Form der Ex­ kommunikation entspricht außerdem dem göttl. Gesetz (vgl. II 6, 13 über die Praxis des Paulus) ; es besteht also kein Widerspruch. Das Konzil ist vom obersten gläubigen Gesetzgeber beauftragt, also rechtlich mit ihm identisch ; vgl. 413, 2 1 . 1 022 II 2 1 , 1 1-15. 1o2a II 22, 1-1 1 .

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Ranges auch immer, falls nicht der obenerwähnte Gesetz­ geber die Vollmacht dazu ihm oder ihnen übertragen hat.1018 Drittens1019 will ich mit Sicherheit zeigen : Eine Anordnung über den kirchlichen Ritus und das menschliche Handeln, die alle Menschen unter einer Strafe für die gegenwärtige oder künftige Welt zur Befolgung verpflichtet, kann allein ein allgemeines Konzil oder der höchste gläubige Gesetzgeber erlassen : unmittelbar oder kraft einer von ihm dazu vorher erteilten Ermächtigung. Auf Grund dessen wird sich dann erweisen102 0 : Kein Herrscher, kein Land und keine Gemein­ schaft kann oder darf von einem Priester oder Bischof, wer es auch sein möge, mit Interdikt oder Exkommunikation belegt werde�, es sei denn in der Form, die das göttliche Gesetz oder das obengenannte allgemeine Konzil angeordnet hat.10 2 1 Viertens1022 wird unwiderleglich gezeigt werden : Keinem einzigen Bischof oder keinem Bischof allein oder keiner ein­ zigen anderen Einzelperson oder keinem einzigeil Sonder­ kollegium kommt die Befugnis zu, in alle kirchlichen Ämter der Welt Personen einzusetzen noch zu ihren Gunsten < die Erträge > der zeitlichen Güter der Kirche, Benefizien genannt, zu verteilen oder ihnen zu verleihen, sondern die Befugnis hierzu gehört allein dem Begründer oder Spender oder der Gesamtheit der Gläubigen als Gesetzgeber oder dem oder denen, denen dieser Spender oder Gesetzgeber - und zwar in der < von ihm festgesetztem Form und Art - jene Gewalt überlassen hat. Fünftens 1023 wird gezeigt werden : Einen einzigen Bischof und eine einzige Kirche als Führung oder Oberhaupt der anderen einzusetzen, ist sinnvoll ; < auch zu bestimmen > , welche dazu einzusetzen sind und von wem. Dieser Bischof soll mit seiner Kirche die Aufgabe haben, an alle übrigen Bischöfe und Kirchen weiterzuleiten, was die allgemeinen Konzilien über den kirchlichen Ritus oder das menschliche Handeln zum gemeinsamen Nutzen der Gläubigen und zu ihrer Ruhe verordnet haben und was als verordnenswert erscheint. 101 s d. h. dem Kaiser. 101 0 II 2 1 , 4-9. 1 o2 o II 2 1 , 9 Abs. 2.

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Demum vero ex hiis per necessitatem inferemus, tarn determinata circa scripturam et fidem catholicam, quam 20 circa ritum ecclesiasticum, cum reliquis institutis per gene­ rale concilium, solius generalis concilii auctoritate, non autem alterins particularis collegii vel persone singularis alicuius immutari posse, augeri, minui vel suspendi aut totaliter revocari. 25 Ex quibus quidem omnibus ad uniuscuiusque quasi sen­ satam noticiam deducetur, Romanum episcopum aut ipsius 384 ecclesiam vel quemvis alium episcopum aut ecclesiam, in quantum huiusmodi, nullam potestatem aut auctoritatem iam dictarum habere super reliquos episcopos et ecclesias 5 divino vel humano iure, nisi que sibi simpliciter vel ad tem­ pus concessa fuerit per supradieturn concilium generale. Propter quod eciam apparebit, Romanum episcopum aut quemvis alium incongrue, minus debite ac preter, imo contra scripturarum divinarum et humanarum demonstracionum sentenciam sibi ascribere super principem, communitatem 1 0 aut personam aliquam singularem plenitudinem potestatis ; et quod ab ipsius sibi attribucione idem episcopus et alter quicumque penitus est, eciam per monicionem et coactivam potestatem, si oporteat, ab humanis legumlatoribus seu ipsorum auctoritate principantibus cohibendus. 15

C A P I T U L U M XIX

D e p r evio q u o dam p ropter determinacionem auctoritatis et primatus iam dicti, c u i videlicet d i c t o v e l s c r i p t o v e r i t a t i s s i t p r es t a n d a c r e d u l i ­ t a s a t q u e C o n f e s s i o d e n e c e s s i t a t e s a l u t i s e t e r n e. 20

Ante vero quam ad demonstranda proposita procedamus, oportet attendere perutile quiddam, quinimo necessarium ad eorum omnium certitudinem que in sequentibus dicturi sumus. Est autem hoc, quod nullam scripturam Irrevoca1o 2s II 22, 5. 1o 24 II 21, 10. 1 o26 veritatis abh. von credulitatis, vgl. 384, 32.

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Endlich1024 werden wir daraus mit Notwendigkeit folgern : Was über die Schrift und den katholischen Glauben wie über den kirchlichen Ritus bestimmt ist nebst den übrigen Anord­ nungen eines allgemeinen Konzils, kann allein ein allgemei­ nes Konzil, nicht aber ein Sonderkollegium oder eine Einzel­ person ändern, ergänzen, kürzen oder aufheben oder gänzlich widerrufen. Durch all das wird zu einer geradezu < allem einsichtigen Erkenntnis erhoben werden102 5 : Der römische Bischof oder dessen Kirche oder jeder andere Bischof oder dessen Kirche als solche hat nach göttlichem oder menschlichem Recht keine der eben genannten Gewalten oder Vollmachten über die anderen Bischöfe und Kirchen außer der, die ihnen das obengenannte allgemeine Konzil schlechthin oder auf Zeit über­ tragen hat. Weil dem so ist, wird sich auch klar ergeben : Der römische Bischof oder jeder andere < handelt > in blinder Un­ vernunft, ohne jedes sittliche Recht und ohne Rücksicht auf den Sinn der göttlichen Schriften und der menschlichen Be­ weise, ja in vollem Gegensatz dazu, < wenn er > sich über Herrscher, Gemeinschaften und Einzelpersonen die Fülle der Gewalt zuschreibt ; diese sich beizulegen, müssen die mensch­ lichen Gesetzgeber oder kraft Ermächtigung durch sie die Herrscher diesen Bischof und jeden anderen mit aller Macht gänzlich hindern - durch Verwarnung und nötigenfalls sogar durch zwingende Gewalt. KA P I T E L XIX

E i n e Vo r f r a g e z u r E n t s ch e i du n g ü b e r d i e e b e n genannte Autorität und Vorrangstellung : An wel­ c h e s W o r t e s o d e r w e l ch e r S ch ri f t W a h r h e i t 1026 m u ß m a n g l au b e n , w e l c h e b e k e n n e n a l s n o t w e n di g f ü r d i e e w i g e S el i g k e i t ? 20

§ 1 Bevor wir zum Beweis unserer Thesen weitergehen, müssen wir etwas sehr Nützliches, ja sogar Notwendiges beachten zur Sicherung alles dessen, was wir im folgenden sagen wollen. Es ist dies : Keine Schrift sind wir als unwider­ ruflich wahr im Glauben hinzunehmen oder zu bekennen

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biliter veram credere vel fateri teuernur de necessitate salutis eterne, nisi eas, que canonice appellantur, vel eis que ad has ex necessitate sequuntur, aut scripturarum sacrarum sensum dubium habencium eis interpretacionibus seu determinaci­ onibus, que per generale fidelium seu catholicorum concilium 30 essent facte, in hiis presertim, in quibus error dampnacionem eternam induceret, quales sunt articuli fidei Christiane. § 2. Quod autem sacris scripturis firma sit veritatis pre385 standa credulitas et confessio, per se notum supponitur om­ nibus Christianis ; quod quia probari non passet aliter quam ipsarum auctoritatibus, series pretermisi propter abbrevia­ cionem. Quod vero ipsarum interpretacionibus sie factis, ut 5 diximus, eadem sit prestanda credulitas, satis apparet, quon­ iam ab eodem spiritu nobis revelatas pie tenendum videtur. Quod eciam ex scriptura et in ipsa infallibili deduccione firmata ostendere possumus ; ex scriptura quidem, dicente veritate Matthei 28° et ultimo : Et ecce ego vobiscum sum usque ad seculi consummacionem. Ubi t o omnibus diebus, Rahanus : Ex hoc intelligitur, quod usque in finem seculi non sunt defuturi in mundo, qui divina mansione et inhabita­ cione sunt digni; quibus scilicet ad fidei conservacionem spiritum sanctum pie tenendum est semper adesse. Unde t 5 Ieronymus : Qui ergo usque ad consummacionem seculi cum discipulis se esse promittit, et illos ostendit semper esse victuros, et se numquam a credentibus recessurum. Idem aperte convincitur ex Actuum 15°, dicente apostolorum et fidelium congregacione post ambiguitatis illius determina20 cionem : Visum est enim spiritui sancto et nobis. Asseruerunt enim et asserit scriptura ipsorum determinacionem in du­ bietate illa circa fidem factam esse a spiritu sancto. Cum igitur fidelium congregacio seu concilium generale per suc­ cessionem vere representet congregacionem apostolorum et 25

1021

§ 3 Anf. Matth. 28,20. 1029 Scholz 385 Anm. 2. 1oao Schol z 385 Anm. 3 . 10a1 Act a 1 5,28. 10!8

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verpflichtet, weil sie für die ewige Selig-keit notwendig wäre, außer den sogenannten kanonischen ; < wir müssen also > ent­ weder dem < glauben > , was aus ihrem eindeutigen Wortsinn mit Notwendigkeit folgt, oder, soweit die Heiligen Schriften einen zweifelhaften Sinn haben, den Auslegungen oder Bestimmungen, die ein allgemeines Konzil der Gläubigen 3o oder K atholiken gegeben hat, besonders wo ein Irrtum die ewige Verdammnis nach sich ziehen würde, wie in den Artikeln des christlichen Glaubens. § 2 DaR man an die Wahrheit der Heiligen Schriften unverbrüchlich glauben und sie bekennen muß, wird als selbstverständlich von allen Christen vorausgesetzt ; weil das nicht anders als durch autoritative Stellen dieser < Schriften > bewiesen werden könnte, habe ich den Wortlaut weggelassen, um abzukürzen. DaR man aber an deren Deutungen, wenn sie in der genannten Form gegeben worden sind, ebenso 5 glauben muß, ist ziemlich klar ; denn daR sie uns ebenfalls vom heiligen Geiste offenbart sind, muß man offenbar from­ men Sinnes annehmen. Das können wir auch aus der Schrift und durch einen unfehlbaren in ihr gesicherten Beweis 1027 zeigen : aus der Schrift, wenn die Wahrheit bei Matthäus im 28. und letzten Kapitel1028 sagt : Und siehe, ich bin bei euch alle 10 Tage bis an der Welt Ende. Dazu bemerkt Rabanus1029 : Daraus erkennt man, daß bis ans Ende der Welt Männer auf der Erde nicht fehlen roerden, die roert sind, daß Gott in ihnen Her­ berge und Wohnung nimmt; diesen steht nämlich zur Erhal­ tung des Glaubens der heilige Geist immer bei, daran ist frommen Sinnes festzuhalten. Daher schreibt Hieronymus1 030 : 15 Er verspricht also, bis zum Ende der Welt bei seinen Jüngern zu sein, und zeigt, sie roerden immer leben, und er roird nie­ mals von den Gläubigen roeichen. Dasselbe wird mit klaren Worten bewiesen aus der Apostelgeschichte Kap. 1 5 1031 , wenn die Versammlung der Apostel und der Gläubigen nach der Entscheidung über jene Unklarheit sagt : Es ist nämlich des 20 heiligen Geistes und unser Beschluß. Sie haben ja versichert, und die Schrift versichert es < ebenfalls > , ihre Entscheidung in jenem Zweifel wegen des Glaubens sei gefällt vom heiligen Geist. Da also die Versammlung der Gläubigen oder in deren Nachfolge das allgemeine Konzil wirklich die Versammlung der Apostel und der Ältesten und der übrigen Gläubigen der

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seniorum ac reliquorum tune fidelium, in determinandis scripture sensibus dubiis, in quibus maxime periculum eterne dampnacionis induceret error, verisimile, quinimo certurn est, deliberacioni universalis concilii spiritus sancti dirigentis et revelantis adesse virtutem. 386 § 3. Hoc eciam deduccione infallibili ex scriptura vim sumente patere potest ; quoniam ''frustra'' dedisset Christus Iegern salutis eterne, si eius verum intellectum, et quem cre­ dere fidelibus est necessarium ad salutem, non aperiret 5 eisdem hunc querentibus et pro ipso invocantibus simul, sed circa ipsum fidelium pluralitatem errare sineret. Quinimo talis Iex non solum ad salutem foret inutilis, sed in hominum eternam perniciem tradita videretur. Et ideo pie tenendum, 1 0 determinaciones conciliorum generalium in sensibus scrip­ ture dubiis a spiritu sancto sue veritatis originem sumere, ab humano vero legislatore, ut in sequentibus ostendetur, sue observacionis in confessione auctoritatem coactivam, promulgacionem vero atque doctrinam earum a sacerdotibus 15 et evangelicis ministris, horum vero maxime ab eo, quem ad hoc principalem statuerit fidelis legislator humanus supe­ riore carens aut concilium generale. § 4. Quod autem scripturis aliis, que scilicet humano spiritu revelate sunt et tra.dite, nemo certarn credulitatem aut veritatis confessionem prebere teneatur, apparet. Quon20 iam nulli scripture falsum significare potenti tenetur quis firmiter credere aut ipsam tamquam veram simpliciter con­ fiteri. Hoc autem paciuntur scripture innitentes humane invencioni singularis persone aut collegii parcialis. Possurrt enim a veritate deficere, ut experiencia palam, et habetur 25 Psalmo 1 15° : Ego autem dixi in excessu meo : omnis homo mendax. Scripture vero canonice non sie, quia non surrt ab 25

10 32 et verbindet die beiden Attribute zu intelleeturn ; vgl. Vo (Partikeln) . 10a3 Psalm 1 16 , 1 1 .

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damaligen Zeit bei der Entscheidung über Schriftstellen zweifelhaften Sinnes verkörpert, besonders wo ein Irrtum die Gefah r ewiger Verdammnis heraufführen würde, so ist wahrscheinlich, ja geradezu gewiß : Der Beratung des gesam­ ten K onzils steht die Kraft des heiligen Geistes bei, der die Leitung hat und Offenbarungen eingibt. 386 § 3 Das kann auch durch einen unfehlbaren Beweis klarwerden, der aus der Schrift seine Kraft entnimmt : Es wäre zwecklos, daR Christus das Gesetz der ewigen Seligkeit gegeben hätte, wenn er dessen wahres Verständnis 1032 , das zu glauben für die Gläubigen zur ewigen Seligkeit notwendig s ist, denen nicht eröffnete, die es suchen und deswegen ihn zugleich anrufen, sondern zuließe, daR darüber die Mehrheit der Gläubigen irre ; ja ein solches Gesetz wäre nicht nur zur Seligkeit unnütz, sondern es würde so aussehen, als sei es zum ewigen Verderben der Menschen gegeben. Daher mufl man fromm annehmen : Die Entscheidungen der allgemeinen 10 Konzilien über den Sinn zweifelhafter Stellen in der Schrift erhalten vom heiligen Geiste, aus dem sie stammen, ihre Wahrheit, vom menschlichen Gesetzgeber, wie im folgenden gezeigt werden soll, die Autorität, die ihre verbindliche < Anerkennung > im Bekenntnis erzwingt, ihre Verbreitung als Kirchenlehre von den Priestern und den Dienern des 1 5 Evangeliums, darunter besonders von dem, den für diese Aufgabe als die oberste < Autorität > der gläubige menschliche Gesetzgeber, der keinen höheren < über sich > kennt, oder ein allgemeines Konzil eingesetzt hat. § 4 DaR hingegen die Wahrheit der anderen Schriften, die durch den menschlichen Geist offenbart und überliefert sind, in festem Glauben hinzunehmen oder zu bekennen, niemand z o verpflichtet ist, leuchtet ein. Denn einer Schrift, die etwas Falsches enthalten kann, festen Glauben zu schenken oder sie als schlechthin wahr zu bekennen, ist niemand gehalten. Diesem < Bedenken > unterliegen die Schriften, die sich auf die menschliche Erfindung einer Einzelperson oder eines Sonder­ kollegiums stützen. Sie können nämlich von der Wahrheit abweichen, wie man aus Erfahrung weiß und im 25 Psalm 1 1 5 10 33 steht : Idt aber spradt in meiner Verzagtheit: jeder Mensdt ist ein Lügner. Die kanonischen Schriften sind nicht solcher Art ; denn sie stammen nicht aus menschlicher 25

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humana invencione, sed immediata Dei tradite inspiracione, qui nec falli potest nec fallere vult. 30 § 5. Hanc autem quam diximus sentenciam et differenciam humanarum et divinarum scripturarum aperte confirmat 38i Augustinus 1 3• epistolarum ad Ieronymum, cum dixit : Ego enim fateor caritati tue : solum enim scripiurarum libris, que iam canonice appellantur, didici hunc honorem timoremque deferre, ut nullum earum actorem scribendo aliquid errasse, 5 firmissime credam. Ac si aliquid in eis offeratur literis, quod videatur contrarium veritati, nihil aliud, quam vel men­ dosum esse codicem vel interpretem non assecutum esse quod dictum est vel me minime intellexisse, non ambigam. Alios autem ita lego, ut quantacumque sanctitate doctrinaque preJo polleant, non ideo verum putem, quia ipsi ita senserunt, sed quia mihi vel per illos auctores canonicos vel probabili ra­ cione, quod a vero non aberret, persuadere potuerunt. Hoc idem replicat et admonet in prologo 3ü De Trinitate, cum dixit : Noli, Ieetor scilicet, meis literis quasi scripturis canonin cis inservire; sed in illis, id est canonicis, et quod non credis, cum inveneris, incunctanter crede. In istis autem, quod cer­ tum non habeas, nisi certum intellexeris, noli firmiter tenere. Idem quoque dixit in epistola Ad Fortunatianum et aliis plerisque libris, quorum series omisi propter abbreviacio20 nem. Id quoque videtur sensisse Ieronymus in Exposicione Catholice Fidei, cum dixit : Novum et Vetus Testamenturn 388 recipimus in eo librorum numero, quem sancte catholice ecclesie tradidit aucioritas. § 6. Intellexit ergo beatus Augustinus per canonicas scrip5 turas eas solas, que in volumine Biblie continentur, non quidem decretales aut decreta Romani pontificis et suorum collegii clericorum, quos cardinales appellant : neque alia quevis humana statuta, de humanis actibus aut contencioni1034 1035 1 036 1 037 1 oas

Scholz 387 Anm. 1 . Scl10lz 387 Anm. 2. Scholz 387 Anm. 3. Scholz 387 Anm. 4. Eben war aber Hieronymus zitiert.

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Erfindung, sondern sind unmittelbar von Gott eingegeben, und der kann weder getäuscht werden, noch will er täuschen. 30 § 5 Diese eben ausgesprochene Meinung über den Unter­ schied zwischen menschlichen und göttlichen Schriften bestäj87 tigt mit klaren Worten Augustin im 1 3. Briefe an Hiero­ nymus1034 : ICh gebe nämliCh deiner Liebe zu: Nur den BüChern d e r SChriften, die nunmehr kanonisCh heißen, habe iCh gelernt diese AChtung und EhrfurCht zu erroeisen, daß iCh ganz fest glaube, kein Autor von ihnen habe bei der Abfassung einen 5 Irrtum begangen. Und roenn etroas in diesen SChriften vor­ kommen sollte, roas der Wahrheit zu roiderspreChen sChiene, so roürde iCh ohne jedes SChroanken niChts anderes annehmen, als daß entroeder die HandsChrift fehlerhaft ist oder der Aus­ leger das Gemeinte niCht getroffen hat oder iCh es gar niCht verstanden habe. Andere < Autoren > hingegen lese iCh so, daß iCh trotz aller ihrer Lauterkeit und Gelehrsamkeit 10 den Inhalt niCht darum für roahr halte, roeil sie so gedaCht haben, sondern roeil sie miCh entweder durCh jene kanonisChen Verfasser oder durd1 einleuChtende Über­ legung überzeugen konnten, daß der Inhalt von der Wahrheit niCht abirrt. Das wiederholt er auch und bringt es in Erinne­ rung in der Vorrede des dritten Buches über ,über die Drei­ einigkeit' 1 035 mit den Worten : Unterwirf diCh niCht, Leser, meinen BüChern roie den kanonisChen SChriften, sondern in 15 .ienen, d. h. den kanonischen, glaube ohne Zögern auCh das Unglaubhafte, roenn du es liest; in meinen aber nimm niCht gläubig hin, roas du nur dann für geroifl halten roürdest, roenn du diCh von seiner Geroißheit überzeugt hättest. Dasselbe hat er auch in dem Briefe ,An Fortunatian' 1036 und in sehr vielen anderen Büchern gesagt, aber ich habe den Wortlaut 20 weggelassen, um abzukürzen. Das hat offenbar auch Hiero­ nymus in der Auslegung des katholischen Glaubens 1037 gedacht ; er hat nämlich gesagt : Das Neue und das Alte Testa­ 388 ment nehmen mir unter die BüCher auf, die die Autorität der heiligen katholisChen KirChe überliefert hat. § 6 Der selige Augustin1038 verstand also unter kanonischen 5 Schriften nur die, die in dem Bibelband enthalten sind, nicht die Dekretalen oder Dekrete des römischen Papstes und des Kollegiums seiner Kleriker, die man Kardinäle nennt, noch irgendwelche andere menschliche Bestimmungen über

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bus et humano spiritu adinventa. Canon enim regula est et mensura ; mensura vero, quoniam certa, quod solins divine scripture inter ceteras proprium est, ut ex Augustino induxi­ mus pridem. ldeoque Augustinus idem scripturas proprias a canonicis separavit ; nec ipse, qui tante fuit sanctitatis, auctoritatis et sciencie, suas tradiciones canonicas appellare 15 presumpsit. Hoc enim impium est et sacrilegii modus qui­ dam, quoniam in humana tradicione dicta vel scripta error et falsum contingere potest, quod in canone secundum veri­ tatem dicto aut eiusmodi, quam per generale concilium cano­ nice scripture interpretacionem factam diximus, nullatenus evenire contingit. 20 § 7. Propter quod eciam ex concilio Carthaginensi tercio prohibitum reperitur racionabiliter valde, ne sub nomine harum, canonicarum scilicet, alie quevis scripture legantur. Unde legitur ibidem, et in Ysidori predicto codice continetur 25 series hec : Item placuit, ut preter scripturas canonicas nihil in ecclesia legatur sub nomine divinarum scripturarum. Sunt autem canonice scripture : Genesis et cetere que de volumine Biblie numerantur ibidem. § 8. Nec obstat hiis, quod dicit Augustinus contra Ma389 nicheos in Epistola Fundamenti. lnquit enim ibi : Ego vero non crederem evangelio, nisi me catholice ecclesie com­ moveret auctoritas, in quo humanam auctoritatem preferre videtur auctoritati scripture ; semper enim propter quod unumquodque est, et illud magis. Nos autem dicamus, quod 5 aliud est credere sermonem aut scripturam aliquam esse tradicionem alicuius seu ab aliquo factam, et aliud est cre­ dere illam esse veram, utilem vel nocivam, observandam aut omittendam. Unum quidem enim horum recipere potest quis 1 0 ex hominum testimonio absque secundo, et econverso, et utrumque [similiter] quandoque ; velut oblatam et sibi pre10

103 9 Anknüpfung an 38?,16.

t o4o

aut secundum interpretacionem canonice scripture eiusmodi, quam per . . . factam diximus, intellecto. 1ou Scholz 388 Anm. 1 . 1042 Scholz 388 Anm. 2. 1043 Vgl. Anm. 3?0. =

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menschliche Handlungen oder Streitigkeiten, die der Men­ schengeist erfunden hat. Der Kanon ist nämlich Richtschnur 10 und Maß, Maß aber, weil er unbedingt richtig ist10 39 , was allein der göttlichen Schrift unter den anderen eigen ist, wie wir vorhin aus Augustin angeführt haben. Darum hat auch Augustin die eigenen Schriften von den kanonischen geschieden, und nicht einmal er, der so hohe Heiligkeit, Autorität und K enntnis besaß, hat seine eigenen Ausführun1 5 gen kanonisch zu nennen beansprucht. Das ist nämlich gottlos und eine bestimmte Art der Gotteslästerung ; denn in dem, was ein Mensch in Wort oder Schrift ausführt, kann Irrtum und Falsches vorkommen ; im Kanon, der aus < dem Geiste > der Wahrheit gesprochen, oder in einer solchen Deutung1040 der kanonischen Schrift, die, wie wir ausgeführt haben, durch ein allgemeines Konzil geschehen ist, kann das auf keinen Fall auftreten. 20 § 7 Deshalb findet sich auch unter < den Beschlüssen des > dritten Konzils von Karthago sehr vernünftigerweise das Verbot, unter ihrem Namen, dem der kanonischen Schriften, irgendwelche andere Schriften zu lesen. Daher steh en ebenda folgende Sätze, sie sind in dem früher genannten Kodex des Isi d or1041 enthalten : Ebenso rourde besChlossen, 25 außer den kanonisChen SChriften solle niChts in der KirChe unter dem Namen göttliChe SChriften vorgelesen roerden; kanonisChe SChriften aber sind: Genesis und die übrigen, die aus der Bibel ebenda aufgezählt werden. § 8 Dem steht nicht entgegen, was Augustin < in der Schrift > ,Gegen die Manichäer im Brief der Grundlegung' 1042 389 ausführt. Er sagt nämlich dort : ICh für meine Person roiirde aber dem Evangelium niCht glauben, roenn miCh niCht die Autorität der katholisChen KirChe < dazu > bestimmte; hier scheint er eine menschliche Autorität über die Autorität der Schrift zu stellen ; immer nämliCh ist das, roesroegen ein ]edes ist, in höherem Grade. 1 043 Wir aber wollen entgegnen : 5 Es ist etwas anderes, zu glauben, eine Rede oder Schrift sei von jemandem überliefert oder geschaffen, und etwas anderes. zu glauben, sie sei wahr, nützlich oder schädlich, verbindlich oder nicht zu beachten. Das erste kann man dem Zeugnis von Menschen entnehmen ohne das zweite und umgekehrt und 10 beides < zugleich > manchmal in ähnlicher Weise ; z. B. daß eine

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von

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sentem scripturam aliquam credet quis esse patriam Iegern ab incolarum communi testimonio, quam tarnen esse veram, observandam et non transgrediendam addiscere potest signo 15 sensibili aliquo, ut pena quam illius transgressoribus infligi vidit vel sua raciocinacione recta, preter hominum persua­ sionem aut dictum. Sie eciam econverso, videns aliquem hominem librum aut domum construere vel alterum aliquid, credet ex se absque hominum testimonio librum aut domum 20 ab hoc esse constructum. Quod autem in libro contenta sint vera vel falsa, utilia vel nociva, prosequenda vel fugienda, ab hominum, presertim fide dignorum, testimonio credere potest. Rursum, et utrumque quandoque ab hominum testi­ monio suscipere potest quis, ut quod hic sit Yppocratis liber 25 atque doctrina, credet qui numquam viderit Yppocratem ab 390 hominum testimonio. Quod autem in eo contenta seu scripta sint vera vel falsa, servanda vel omittenda propter sanitatem conservandam et egritudinem declinandam, suscipiet idem a testimonio peritorum. 5 § 9. Eodem quoque vel quasi consimili modo scripturam aliquam in Biblia contentam Dei credere tradicionem seu Iegern a Christo editam esse vel dictam, potest accipere quis ex fidelium communi testimonio seu ecclesie catholice, qui 1 0 tarnen nec Christum vidit nec audivit aut alio exteriori sensu percepit. Hanc tarnen scripturam veram esse vel obser­ vandam, credet ex fide vel signo aliquo sensibili, puta mira­ culo, absque testimonio cuiusquam ; quemadmodum Paulus, qui Iegern, quam persequebatur prius, Christi fuisse doctrio nam credebat ex predicancium quos persequebatur testimo­ nio, nec eam propterea verum continere credebat. Credidit autem postmodum veram esse, primum ex sensibili miraculo et fide quam habuit '�consequenter�·. Similiter autem et utrum-

1044 Marsilius sprüht als Arzt. 1045

Punkt bei Pr.-0.

u.

Scholz.

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ihm vorgelegte und vor Augen liegende Schrift ein von den Vätern überkommenes Gesetz sei, wird mancher nach dem gemeinsamen Zeugnis der Einwohner glauben ; daR diese aber wahr sei, daR sie -verpflichtend sei und nicht übertreten werden dürfe, kann er dazulernen durch einen sinnlich wahr15 nehmbaren Beweis, z. B. eine Strafe, die er über die Über­ treter < des Gesetzes > verhängt sieht, oder durch sein richtiges vernünftiges Denken, abgesehen von der Überredung durch Menschen oder von deren Wort. So auch umgekehrt : wenn er einen Menschen ein Buch oder ein Haus oder etwas anderes herstellen sieht, so wird er auch von selbst ohne das Zeugnis von Menschen glauben, das Buch oder das Haus sei von die20 sem hergestellt. DaR aber in dem Buch Wahres oder Falsches, Nützliches oder Schädliches, Vorbildliches oder Abzulehnen­ des enthalten sei, kann er nach dem Zeugnis von Menschen, zumal von vertrauenswürdigen, glauben. Ferner kann man auch beides manchmal dem Zeugnis von Menschen entneh­ men ; z. B. dies sei Buch und Lehre des Hippokrates, wird 25 glauben, wer niemals den Hippokrates gesehen hat, nach dem Zeugnis der Menschen. DaR aber darin Wahres oder Falsches 390 enthalten oder geschrieben ist, Weisungen oder Warnungen zur Erhaltung der Gesundheit und Vermei dung von Erkran­ kungen, wird er dem Zeugnis der Sachkundigen ent­ nehmen.104' 5 § 9 In derselben oder einer ganz ähnlichen Weise kann jemand nach dem gemeinsamen Zeugnis der Gläubigen oder der katholischen Kirche eine in der Bibel enthaltene Schrift für göttliche Überlieferung halten oder als ein von Christus gegebenes oder gesprochenes Gesetz annehmen, ob10 wohl er doch Christus weder gesehen noch gehört noch durch einen anderen äußeren Sinn wahrgenommen hat. Diese Schrift wird er jedoch für wahr oder verbindlich halten im Glauben oder wegen eines sinnlich wahrnehmbaren Zeichens, z. B. eines Wunders, ohne jemandes Zeugnis, wie Paulus, der < erst nur > glaubte, das Gesetz, das er früher verfolgte, sei 15 Christi Lehre nach dem Zeugnis der Verkündiger, die er ver­ folgte, und deswegen < doch > nicht glaubte, es enthalte die Wahrheit1 045 , es aber hinterdrein für wahr hielt, erstens wegen eines sinnlich wahrnehmbaren Wunders und < dann > im Glauben, den er infolgedessen hatte. In ähnlicher Weise

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que quandoque susceptum est ab humano testimonio, ut 20 hanc scripturam esse legem a Christo traditam et latam, in ipsa quoque contenta vera esse ac observanda propter eternam salutem consequendam et miseriam fugiendam, creditur et creditum est a multis, qui nec Christum viderunt aut exteriori sensu cognoverunt nec umquam miraculum seu signum de hoc sensibile perceperunt. § 10. Quod ergo dicit beatus Augustinus : Non crederem 25 evangelio etc., potest secundum predicta duplicem sensum habere : unum quidem, quia scripturam illam credidit evan­ gelium esse, id est Christi tradicionem, ex testimonio ecclesie catholice sive universalis, quamvis hanc scripturam seu 39 1 :� o evangelium verum continere principalius crediderit ex mira­ culo fortasse vel revelacione aliqua, vel ex fide, qua Chri­ stum credidit esse verum Deum et per consequens omnem eius tradicionem esse veram atque servandam. Alium vero sensum possunt habere Augustini verba predicta, ut quod 5 utrumque testimonio catholice ecclesie primum accepit et credidit ; licet primus sensus sentencie apostoli ad Gal atas 1° magis convenire videatur ; non enim dicta Christi sive Dei vera sunt causaliter, quia eisdem testificetur ecclesia catho10 lica vero testimonio, sed testimonium ecclesie catholice Cau­ saliter verum est, dum dicit dicta Christi vera, propter veri­ tatem dictorum Christi. Unde apostolus ubi supra : Sed licet nos aut angelus de celo evangelizet vobis preterquam quod evangelizavimus vobis, anathema sit. Et consimiliter intel1 5 ligendum est, quod eciam si tota ecclesia aliud evangelizas­ set, id est contrarium, illud non fuisset verum. Et causa est, quia sibi constabat, illud evangelium esse Christi dieturn seu revelacionem, in qua falsitas esse non poterat ; quamvis ex necessitate consequencie et a posteriori bene sequatur : zo ecclesia catholica dicit hanc oracionem : Deus est trinus in 1045 1 047

1048

Gal. 1 ,8. d. h. als causa efficiens : a) Christi Worte sind wahr; also ist das Zeugnis der Kird:J.e wahr ; b) das Zeugnis der Kirche ist wahr ; also sind die Worte Christi wahr, die sie bezeugt. S cholz 391 Anm. 2.

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aber ist beides auch manchmal menschlichem Zeugnis ent­ nommen worden ; z. B. diese Schrift sei ein von Christus über20 liefertes und gegebenes Gesetz, in ihm sei auch das Wahre enthalten und was man befolgen müsse, um die ewige Selig­ keit zu erlangen und der ewigen Pein zu entgehen, < das > wird geglaubt und ist geglaubt worden von vielen, die Chri. . stus weder gesehen noch mit einem < anderen > äußeren Sinn wahrgenommen noch jemals ein Wund er oder ein sinnliches Zeichen, das ihn beträfe, erhalten haben. § 1 0 Was der selige Augustin sagt : " Ich würde dem Evan25 gelium nicht glauben usw. ", kann also nach dem eben Ge­ sagten einen zweifachen Sinn haben : erstens, er glaubte . jene Schrift sei das Evangelium, d. h. Christi Lehre, nach dem Zeugnis der katholischen oder allgemeinen Kirche ; indessen, daR diese Schrift oder das Evangelium die Wahr391 s o heit enthalte, glaubte er in erster Linie vielleicht auf Grund eines Wunders oder einer Offenbarung oder der Überzeu­ gung, Christus sei wahrer Gott und folglich sei seine ganze Lehre wahr und verpflichtend ; zweitens aber können die vorhin angeführten Worte Augustins den Sinn haben : er hat 5 beides durch das Zeugnis der katholischen Kirche zuerst erhalten und geglaubt ; freilich geht offenbar der erste Sinn mit der Meinung des Apostels im Galaterbrief im 1 . Kap. 1046 besser zusammen ; denn die Worte Christi oder Gottes sind nicht wirkursächlich1047 wahr, weil ihnen die katholische Kirche ein wahres Zeugnis gibt, sondern das Zeugnis der 10 Kirche ist wirkursächlich wahr, wenn sie die Worte Christi als wahr bezeichnet, wegen der Wahrheit der Worte Christi. Daher hat der Apostel an der oben angeführten Stelle gesagt : Aber selbst roenn roir oder ein Engel vom Himmel euCh ein anderes Evangelium verkündigten, als roir eudt verkündigt haben - FluCh über ihn! Ähnlich mufl man 1 5 < seine \Vorte > verstehen : Auch wenn die ganze Kirche ein anderes Evangelium, d. h. ein widersprechendes, verkün­ digte, so wäre es nicht wahr, und der Grund ist : Es stand für ihn fest, jenes Evangelium sei Christi Wort oder Offen­ barung, darin konnte es etwas Falsches nicht geben. Indessen mit Denknotwendigkeit und aus der Erfahrung dürfte sehr wohl folgen : Die katholische Kirche behauptet, die Aus20 sage10 48 : Gott ist dreifaltig in den Personen sei wahr, also

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personis esse veram, ergo est vera, vel de quovis alio Christi

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5

dicto sive precepto, quod dicat esse servandum, eo quod dicta ecclesie catholice [sive] ''universalis'' in hiis que circa fidem vertuntur a spiritu sancto immediate revelata fore, pie tenendum est, ut apparuit ex premissis. Et ideo secun­ dum quemvis sensum exponantur Augustini verba pro­ posita, non adversantur sentencie quam diximus, quoniam dictis ecclesie de hiis que circa fidem sunt credere, magis est credere spiritui sancto, quam homini. Dicit autem Augusti­ nus pro tanto se credere evangelio propter ecclesie catholice auctoritatem, quia sue credulitatis inicium inde sumpsit, quam spiritu ''sancto•:- dirigi novit. Fides enim quandoque incipit ex auditu. Voco autem catholicam ecclesiam eam, que propriissime atque verissime dicitur ecclesia secundum ulti­ mam significacionem ecclesie, dietarn 2° huius, ''universalem scilicee·. C A P I T U L UM XX

10

Cuius sit vel fuerit au ctoritas diffiniendi seu d e t e r m i n a n d i d u b i a s s cr i p t u r e s a c r e s e n t e n c i a s.

Hiis itaque sie premissis, concludenda iam proposita resu­ rnenies ostendere volumus, primum quod dubios sensus sive sentencias scripture sacre iam exortas aut orituras, cum orte 15 fuerint, presertim circa fidei articulos, precepta et prohibita, sit expediens et necessarium terminare. Quoniam expediens est, quinimo necessarium, sine quo fidei unitas minime sal­ varetur, error et scisma contingeret circa fidem inter Christi fideles. Hoc autem est determinacio dubiarum et quandoque 20 contrariarum sentenciarum doctorum quorundam circa Iegern divinam. In hac enim opinionum diversitates aut con-

1o49 II 2, 3. 1o so II 1 8, 8, Ahs. 1.

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?1.5

ist sie wahr oder < ihre Aussage > über ein anderes Wort oder Gebot Christi, von dem sie behauptet, es sei zu befolgen ; denn das muß man fromm glauben : Was die katholische oder allgemeine Kirche über das Dogma sagt, ist vom heiligen Geiste unmittelbar offenbart, wie sich aus früheren 25 < Überlegungen > ergab. In welchem Sinne man daher auch immer die vorhin angeführten Worte Augustins auslegen möge, sie stehen unserer Meinung nicht entgegen ; denn den Worten der Kirche in Fragen des Dogmas glauben heißt 392 - dem heiligen Geist mehr glauben als einem Menschen. Des­ wegen aber sagt Augustin, er glaube insofern dem Evange­ lium wegen der Autorität der katholischen Kirche, weil er von ihr den Antrieb zu seinem Glauben empfing ; denn sie, das hat er erkannt, wird vom heiligen Geist geleitet. Der Glaube nimmt nämlich manchmal seinen Anfang vom Hören. Ich nenne aber katholische Kirche diejenige, die ganz eigent5 lich und ganz wahr Kirche heißt in der letzten Bedeutung von Kirche, wie sie in II 21049 aufgestellt ist, nämlich die allgemeine. K A P I T E L XX

1o

Wer hat die B efugnis oder hat sie gehabt, den Sinn v o n z w e i f el h a f t e n S t e l l e n d e r H e i l i g e n S ch r i f t l e h r­ m ä ß i g f e s t z u l eg e n o d e r z u b e s t i m m e n ?

§ 1 Wenn wir nun nach diesen Vorbemerkungen die bereits10 50 aufgeworfenen Fragen, um sie zu erledigen, wie­ deraufnehmen, so wollen wir zunächst zeigen : Zweifel über Sinn und Meinung der Heiligen Schrift, die schon aufge­ taucht sind oder noch auftauchen werden, zumal < solche > in 15 den Glaubensartikeln, in Geboten und Verboten, wenn sie < einmal > aufgetaucht sind, durch Festlegung zu beheben, ist zweckmäßig und notwendig ; denn zweckmäßig, ja geradezu notwendig ist doch < das > , ohne das die Einheit des Glaubens sich überhaupt nicht aufrechterhalten ließe, < vielmehr > unter den Christusgläubigen Irrtum und Spaltung eintreten könnte. Dies ist aber die Entscheidung über zweifelhafte und 20 manchmal widersprechende Meinungen einiger Kirchenlehrer über das göttliche Gesetz. Verschiedenheit oder Gegensätz­ lichkeit der Ansichten hierüber würde nämlich die Bildung

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trarietates diversas sectas inducerent, scismata et errores, sicut ex iam dicto Ysidori codice, capitulo intitulato : lncipit prefacio Niceni concilii, recitatur. Quodam enim Alexan25 drino presbytero, Ario nominato, Christum sie Dei filium esse dicente, ut ipsum extimaret pure creaturam existere et per consequens patre Deo inequalem atque minorem, huius erroris divulgacione numerosa multitudo Christianorum 393 Iahefacta fuit, fuissetque amplior nec ab errore revocata, nisi verus in hoc scripture sensus a falso determinatus fuis­ set. Sie quoque in spiritum saueturn et circa persone ac essen­ cie unitatem et pluralitatem in Christo insanas quidam pro5 tulere sentencias, propter quarum discrecionem a veris et ipsarum reprobacionem ac dampnacionem convocate ac congregate surrt quatuor prime synodi, Nicena, Constantino­ politana, Ephesina et Chalcedonensis. Ras etenim contro­ versias inter ecclesie christiane doctores, veros aut simulatos 10 fideles, prophetavit Christus Luce 2 1 ° et apostolus 1 • ad Timotheum 4° et 2• ad eundem 3°, quarum series pretermisi propter ipsarum noticiam et abbreviacionem sermonis. § 2. Huic consequenter ostendo, quod huius determina­ cionis auctoritas principalis, mediata vel immediata solius 15 sit generalis concilii Christianorum aut valencioris partis ipsorum vel eorum, quibus ab universitate fidelium Christia­ norum auctoritas hec concessa fuerit ; sie videlicet, ut omnes mundi provincie seu communitates notabiles secundum sui 20 legislatoris humani determinacionem, sive unici sive pluris, et secundum ipsarum proporcionem in quantitate ac quali­ tate personarum viros eligant fideles, presbyteros primum et non presbyteros consequenter, idoneos tarnen, ut vita pro­ baciores et in lege divina periciores, qui tamquam iudices 25 secundum iudicis significacionem primam, vicem universi-

1 053

10 54 1 055 1osa

Luk. 2 1 , 8 ; 1. Tim. 4,1-3 ; 2. Tim. 3,2-9. 13. Die Entscheidung des Konzils ist mittelbar, die des bedeutsameren Teiles unmittelbar. Gewirth I 1 6 7 ff. Gewirth I 182 f. und 286.

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verschiedener kirchlicher Parteien, Spaltungen und Irrlehren hervorrufen, wie in dem schon erwähnten Kodex des lsidor, in dem Kap. betitelti 051 : Es beginnt die Vorrede zum Konzil von Nikäa, angeführt wird. Als nämlich ein Priester von 25 Alexandria, namens Arius, behauptete, Christus sei seiner überzeugung 105 2 nach < nur > in dem Sinne Gottes Sohn, daR er schlechthin Geschöpf sei und folglich Gott-Vater nicht gleich und niedriger stehe als er, da wurde durch Verbreitung dieser Irrlehre eine grofie Zahl von Christen wankend, und 393 · sie wäre gröfier gewesen und nicht von der Irrlehre ab­ gebracht worden, wenn nicht in diesem Punkte der wahre Sinn der Schrift von dem falschen abgegrenzt worden wäre. So haben auch manche über den heiligen Geist und über die Einheit und Vielheit der Person und der Wesenheit in Chri5 stus unsinnige Meinungen vorgetragen ; diese von den wahren zu unterscheiden, zu verwerfen und zu verdammen, sind die vier ersten Synoden einberufen und versammelt worden : die von Nikäa, von Konstantinopel, von Ephesus und von Chalkedon. Denn diese Streitigkeiten unter den Lehrern der christlichen Kirche, wahren oder heuchlerischen 1 0 Gläubigen, hat Christus bei Lukas im 2 1 . Kap. und der Apostel im 1 . Brief an Timotheus im 4. Kap. und im 2. Brief an denselben im 3. Kap.1053 prophezeit, aber ich habe den Wortlaut weggelassen ; < die Stellen > sind bekannt, und ich will die Darstellung abkürzen. § 2 Im Anschluß daran zeige ich : Diese Befugnis zu einer solchen Entscheidung hat letztlich, mittelbar oder unmittel15 bar, ein allgemeines Konzil aller Christen oder ihres bedeut­ sameren Teiles 1054 oder derer, denen die Gesamtheit der gläu­ bigen Christen diese Vollmacht übertragen hat ; dabei sollen alle Länder der Erde oder die ansehnlichen Gemeinschaften zo nach der Entscheidung ihres menschlichen Gesetzgebers, sei es eines einzigen, sei es mehrerer 105 S, und entsprechend der Zahl und Bedeutung 1056 der Personen gläubige Männer wählen, Priester zuerst und dann Nicht-Priester, doch tüchtige , nämlich die in ihrer Lebensführung erprobfesten und im göttlichen Gesetz erfahrensten, und die sollen als Richter 25 in der ersten Bedeutung von Richter die Vertretung der 1 051 Scholz 392 Anm. 1 052 extimaret.

2.

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395

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tatis fidelium representantes, iam dicta sibi per universitates auctoritate concessa conveniant ad certurn orbis locum, con­ venienciorem tarnen secundum plurime partis ipsorum determinacionem, in quo simul ea que circa legem divinam apparuerint dubia, utilia, expediencia et necessaria ter­ minari, diffiniant, et reliqua circa ritum ecclesiasticum seu cultum divinum, que futura sint eciam ad quietem et tran5 quillitatem fidelium, habeant ordinare. Ociose namque ac inutiliter ad congregacionem hanc conveniret multitudo fide­ lium imperita, inutiliter autem, quoniam turbaretur ab operibus necessariis ad vite corporalis sustentacionem, quod onerosum ei esset aut importabile forte. 10 § 3. Quamvis ad hanc congregacionem fideles omnes obli­ gentur lege divina propter finem predictum, licet diversi­ mode : sacerdotes quidem enim, eo quod ipsorum officium sit legem docere secundum ipsius verum sensum, et ea procu­ rare que ad ipsius sinceritatem et veritatem profleere possint, 15 errores contrarios reprobare, ab ipsis quoque suis exhorta­ cionibus, arguicionibus increpacionibus homines revocare. Unde Matthei ultimo ad sacerdotes omnes, in persona tarnen apostolorum, ait veritas : Euntes >:· ergo'' docete omnes gentes. Propter quod ''eciam* in persona omnium loquens apostolus 1 a 20 ad Corinthios 9° dicebat : ''Necessitas mihi incumbiC Ve mihi si non evangelizavero. Obligantur autem sacerdotibus con­ sequenter, amplius reliqua multitudine, qui periti fuerint in lege divina ; debent enim hii alios excitare et convenire cum sacerdotibus, presertim si sufficienter ad hec requisiti fuerint 25 vel mandati ; quoniam : scienti bonum facere et non facienti, peccatum est illi, ut scribitur Iacobi 4°. Pro reliquis eciam diffiniendis extra Iegern divinam, que sunt ad fidelium com­ munem utilitatem et pacem, interesse possurrt et debent con­ cilio, qui ad hoc statuti fuerint per humanum legislatorem 1057 1058 1 059

1 o 6o 106 1

p lurima pars. Matth. 28, 1 9. 1 . Kor. 9, 1 6 ; vgl. Anm. 970. also Laien. J ak. 4, 1 7.

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Gesamtheit der Gläubigen darstellen - ihnen ist ja die eben erwähnte Vollmacht von den Gesamtheiten übertragen - und an einem bestimmten Ort der WeH zusammenkommen, jedoch dem nach der Entscheidung der Mehrheit1057 geeignetsten ; dort 394 sollen sie gemeinschaftlich, was am göttlichen Gesetz zweifel­ haft < und> festzulegen nützlich, vorteilhaft und notwendig erscheint, lehrmäßig festsetzen und sonst < Anordnungen > für den kirchlichen Ritus oder Gottesdienst treffen, die auch zur Ruhe und zum Seelenfrieden der Gläubigen dienen sollen. 5 Denn zwecklos und schädlich wäre es, wenn zu dieser Ver­ sammlung die unerfahrene Masse der Gläubigen zusammen­ käme, auch schädlich, da sie ja von ihren für das Wirtschafts­ leben notwendigen Arbeiten abgelenkt würde ; das wäre für sie lästig oder vielleicht unerträglich. 10 § 3 Indessen sollen alle Gläubigen durch göttliches Gesetz um des vorhin genannten Zweckes willen auf dieser Ver­ sammlung < zu erscheinen > verpflichtet sein, wenn auch aus verschiedenen Gründen : (1) die Priester darum, weil es ihres Amtes ist, das Gesetz in seinem wahren Sinn zu lehren und sich um das zu kümmern, was für dessen Reinheit und Wahr­ heit nützlich sein kann, die widersprechenden Irrlehren zu 15 verwerfen und die Menschen durch ihre Mahnungen, An­ klagen und Scheltworte davon abzubringen. Daher sagt die Wahrheit bei Matthäus im letzten Kapitel1058 zu allen Prie­ stern, jedoch in Person der Apostel : Gehet also hin und lehret alle Völker. Deswegen hat auch der Apostel im Namen 20 aller im 1 . Korintherbrief im 9. Kap.1059 gesagt : Ein Zwang liegt auf mir; wehe mir, roenn iCh das Evangelium niCht verkündige! (2) Nächst den Priestern sind aber mehr als das übrige Volk d i e zu erscheinen verpflichtet, die im göttlichen Gesetz sachkundig1060 sind ; sie müssen nämlich die anderen anspornen und mit den Priestern zusammenkommen, zumal wenn sie zur Genüge dafür um Beistand ersucht oder damit 25 beauftragt sind ; denn wer weiß, Gutes zu tun, und tut's niCht, dem ist es Sünde, wie bei Jakobus im 4. Kap.1061 ge­ schrieben steht. (3) Um aber auch die übrigen , < die > außerhalb des göttlichen Gesetzes, zu regeln, 395 die zum gemeinsamen Nutzen und zum Frieden der Gläu­ bigen dienen, kann und mu.fl am Konzil teilnehmen, wer vom gläubigen menschlichen Gesetzgeber dazu bestimmt

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fidelem. Legislatores vero ad hoc eciam obligantur, eligendo personas idoneas ad concilium integrandum, eisque de neces­ sariis temporalibus providendum, et venire recusantes, ad hoc tarnen idoneos et electos, tarn sacerdotes quam non sacer­ dotes, propter utilitatem publicam compellendum, si opor­ tuerit. 10 § 4. Quod autem solius generalis iam dicti concilii sit auc­ toritas predicta diffiniendi et ordinandi secundum dieturn modum, nullius vero alterins persone singularis aut alterins particularis collegii, consimilibus demonstracionibus et scrip­ ture sacre auctoritatibus convinci potest, qualibus legum15 lacionem et officiorum ecclesiasticorum institucionem secun­ dariam 12° prime et 1 7° huius monstravimus pertinere, sola demonstracionum minori extremitate mutata, ut videlicet circa Iegern divinam determinanda seu diffinienda dubia cum reliquis circa ritum ecclesiasticum sive cultum divinum 20 ac fidelium pacem et unitatem ordinandis assumantur pro termino legis aut officiorum ecclesiasticorum secundarie in­ stitucionis. Tanto ampliori necessitate attendenda in hiis, quanto de lege seu fide tenenda et hiis, que omnibus fidelibus 25 profleere vel nocere possunt, discrecio et cura diligencior est haben da. § 5. Sie namque fecerunt apostoli cum senioribus de hiis que dubia circa evangelium occurrerunt, ut apparet Actu­ um 15°, et seriose induximus 16° huius. Non enim dubium so illud de circumcisione beatus Petrus aut alter apostolus seor­ sum aut singulariter diffinivit, sed convenerunt super hiis 396 omnes apostoli et seniores sive periciores in lege. Signum au­ tem verum esse quod diximus, est, quoniam et conciliis prin­ cipalibus in diffiniendis scripture dubiis aderant impera5

106 4 Das Adjektivum ist in der übers. umgestellt. 10 65 L ücke im Text. 106 6 V o (Stilistik) . to 6 7 Vgl. II 1 7, 1 1 . 10 68 Acta 15,6. 22-25 u . 28. 1 oag II 16, 5-6.

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ist. Die Gesetzgeber aber sind auch dazu verpflichtet, durch 5 Wahl geeigneter Persönlichkeiten das Konzil zu ergänzen, für diese wegen der notwendigen irdischen Bedürfnisse Vor­ sorge zu treffen und die, die sich weigern, zur Teilnahme jedoch geeignet und erwählt sind, Priester wie Nicht-Priester, im allgemeinen Interesse nötigenfalls zum Erscheinen zu zwingen. § 4 Daß aber das eben genannte allgemeine Konzil allein 10 die vorhin erwähnte Befugnis besitzt, in der angegebenen Weise lehrmäßige Entscheidungen und Anordnungen zu tref­ fen, < dagegen > keine Einzelperson oder kein Sonderkollegium, das kann durch ganz ähnliche logische Beweise und autorita­ tive Stellen der Heiligen Schrift gesichert werden wie die, durch die wir in I 12106 2 gezeigt haben, daß die Gesetzgebung, 15 und in II 1 7 1063 , daß die Einsetzung in die sekundären Ämter1064 der Kirche < dem gläubigen menschlichen Gesetz­ geber > 1065 zukommt1066 ; man braucht in den Beweisen nur den Unterbegriff zu ändern : das Zweifelhafte, das im göttlichen Gesetz zu entscheiden oder lehrmäßig festzulegen ist, muß zusammen mit dem, was sonst für den kirchlichen Ritus 20 oder den Gottesdienst und für den Frieden und die Einheit der Gläubigen angeordnet werden soll, statt des Ausdrucks Gesetz oder Einsetzung in die sekundären Ämter der Kirche genommen werden. Auf sorgfältige Überlegung zu achten ist hierbei um so notwendiger, je gewissenhafter man diese anstellen muß, wenn man Gesetz und Glauben im Auge hat 25 und das, was allen Gläubigen nützen oder schaden kann.106 7 § 5 Denn so haben es die Apostel zusammen mit den Ältesten in Zweifelsfragen gehalten, die wegen des Evan­ geliums aufgetreten sind, wie sich aus der Apostelgeschichte Kap. 151068 ergibt und wie wir in II 161 069 gründlich bewiesen haben. Denn jenen Zweifel wegen der Beschneidung hat 3 0 nicht der selige Petrus oder ein anderer Apostel für sich oder für seine Person besonders entschieden, sondern deswegen 396 kamen alle Apostel und die Ältesten oder Gesetzeskundig­ sten zusammen. Beweis für die Wahrheit unserer Behaup­ tung ist : Wenn es um die lehrmäßige Entscheidung über zweifelhafte Stellen der Schrift ging, wohnten die gläubigen 1062 I 12, s. to6 3

II 1 7, 8--1 5.

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

tores et irnperatrices fideles curn suis officialibus, ut ex Ysidori sepe dicto codice satis apparet, ubi sequenti capitulo induxirnus a 2a in sam, quarnvis eo ternpore non tanta vocaret necessitas nonsacerdoturn presenciarn, quanta rnoderno, propter instanciurn sacerdoturn et episcoporurn turbarn rnai­ orern divine legis, quanturn oporteret, ignararn. Unde sacert o dotibus invicern dissidentibus de credendis ad salutern eter­ narn, de ipsorurn saniori parte fideliurn pars valencior habet iudicare, quarnvis ipsis ornnibus concordantibus, ''in quibus dubiurn videbatur'', credendurn sit in predictis, sie tarnen pro­ rnotis ad ordines, quernadrnodurn dixirnus 1 ?0 huius. 15 § 6. Propter quod eciarn ostendere volo rursurn, deter­ rninacionern hanc nullatenus ad solurn Rornanurn episcopurn pertinere, neque ad ipsurn eciarn curn solo cardinaliurn cetu ; et consequenter ex hoc, quod ad nullurn episcopurn aliurn unicurn sive solurn sive ipsurn et aliud aliquod particulare 20 collegiurn. Esto narnque, sicut evenire contingit, hereticurn aliquern ad Rornanurn pontificaturn assurni vel, postquarn assurnptus fuerit, si non antea, in hanc cadere labern, igno­ rancia vel rnalicia vel utrisque, quales iarn quidarn assurnpti 25 leguntur, velut Liberius, nativitate Romanus. Si quidern so­ lus hic pontifex aut curn solo suo cetu cardinaliurn, quos sui 397 cornplices erroris verisirniliter fore continget, quia sibi quales vult absque cuiusquarn deterrninacione assurnit et se dicit assurnere posse, aliquid deterrninaverit circa dubiarn ali­ quarn scripture sentenciarn, nurnquid huius episcopi aut eius 5 et sui solius collegii �·vel rnaioris partis* sentencie standurn erit, qui forte ignorancia vel rnalicia, cupiditate aut arnbi­ cione vel alia quavis erunt affeccione sinistra seducti ? § ?. De quo ne Ionge petatur exernplurn, id contigisse vide10 rnus cuidarn pape Rornano. Ipse enirn per se singulariter aut 5

1010 II 2 1 , 2-7 ; das Perf. beweist, dafl eine Skizze des Gedankengangs

vorlag. II 1 7 , 8 (Abs. 2) -9 . 1 0 12 Scl10lz 396 Anm. 2. 1 o 1 s V gl. 414, 1 1 . ton

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Kaiser und Kaiserinnen mit ihren Beamten den Haupt­ konzilien bei, wie sich aus lsidors oft genanntem Kodex zur s Genüge ergibt in den Abschnitten, aus denen wir im folgen­ den Kapitel von § 2 bis § 8 Stellen angeführt hahen1070 ; in­ dessen war damals die Anwesenheit von Nicht-Priestern nicht so dringend notwendig wie heutzutage, weil die Menge der gegenwärtigen Priester und Bischöfe größer ist, die vom gött­ lichen Gesetz nicht so viel verstehen, wie nötig wäre. Wenn 10 daher die Priester untereinander uneinig sind über das, was für die ewige Seligkeit zu glauben nötig sei, so hat der bedeut­ samere Teil der Gläubigen zu entscheiden, welche Partei < der Priester > die vernünftigere ist ; indessen, wenn die Priester alle einig sind in den Glaubensfragen, in denen Zweifel zu bestehen schien, so liegt < die Entscheidung > bei den Vor­ genannten, jedoch nur soweit sie in der II 1 ?10 7 1 angegebenen Form zu den Weihen erhoben worden sind. 15 § 6 Deswegen will ich auch ferner zeigen : Diese Ent­ scheidung kommt keineswegs allein dem römischen Bischof zu, noch auch ihm allein mit dem Kardinalskollegium, und demzufolge keinem einzigen anderen Bischof, sei es ihm allein, sei es mit irgendeinem anderen Sonderkollegium. 20 Angenommen nämlich, wie es gelegentlich vorkommt, ein Ketzer werde auf den päpstlichen Thron erhoben, oder wenn nicht < schon > vorher, so nach seiner Thronbesteigung verfalle < ein Papsb in diese Schande aus Unwissenheit oder Bosheit oder heidem, wie sie schon, so liest man, auf den Thron er25 hohen worden sind, z. B. Liherius, ein Römer von Geburf.10 72 Wenn nun ein solcher Papst allein oder zusammen mit seinem Kardinalskollegium (sie werden wahrscheinlich auch in seiner Irrlehre befangen sein, weil er solche, wie er will, 39? ohne jemandes bindende Anweisung1073 heranzieht und das tun zu können behauptet) etwas über den Sinn einer zweifel­ haften Stelle der Schrift entschieden haben sollte, würde man < dann > etwa zur Meinung dieses Bischofs oder seiner und 5 seines Kollegiums oder der Mehrheit Meinung stehen müssen, die vielleicht durch Unwissenheit oder Bosheit, durch Gier oder Herrschsucht oder irgendein anderes verhängnisvolles Streb en verführt sind ? § ? Um ein Beispiel dafür nicht weit herzuholen : Wie wir 10 sehen, ist es einem gewissen römischen Papst so ergangen.

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cum solo suorum cardinalium cetu, ne summam Christi pau­ pertatem et perfeccionis statum deserere videretur, cum hoc volens temporalia eciam immobilia in suo vendicandi reti­ nere dominio et seculariter principari, edictum emisit circa 15 summe paupertatis sive perfeccionis statum, cuius senten­ cia per falsam interpretacionem Christi evangelio contradi­ cit, sicut palam ostendimus 1 3° et 14° huius. Propier quod soli cuivis episcopo aut sibi et suo soli collegio clericorum hac auctoritate concessa fidelium universitas naufragii circa 20 fidem periculo subiacebit, ut ex iam dictis atque dicendis composite mentis quilibet intelligere potest. § 8. Amplius, si solius Romani pape aut alterius cuiusvis solius episcopi, quemadmodum dieturn est, talis esset auc25 toritas ; vel si, secundum Ysidorum predicto codice capitulo, cui titulus : Prefacio Ysidori in sequenti apere, epistole sive decreta Romani pontificis equalia vel non imparia forent auctoritate hiis, que determinata et diffinita sunt per con­ cilium generale, omnes seculi principatus, omnia regna et mundi provincie ac persone singulares cuiuscumque digni­ tatis, preeminencie vel condicionis existant, antistiti Rarnano primo forent coactiva iurisdiccione subiecti. Decrevit enim hoc Octavus Bonifacius, papa Romanus, per ipsius episto5 lam sive decretum quoddam, cuius inicium : Unam sanctam catholicam ecclesiam, eius vero finis : Porro subesse Romano pontifici omnem humanam creaturam, declaramus, dicimus et diffinimus omnino esse de necessitate salutis. Cum igitur semel determinata circa scripturam per concilium generale 10 rite vocatum, congregatum et secundum formam debitam celebratum et consummatum, presertim que ad salutem eter­ nam vera credere necessarium sit, immutabilis et infallibilis veritatis existant, quemadmodum demonstratum est circa principium 19; huius, obtineret igitur epistola hec Bonifa1 074 107 5 1 076 1 011 1 0 78 1 o19

Sd:wlz 397 Anm. 1 . besonders I I 13, 6. Scholz 397 Anm. 2. Sd:wlz 398 Anm. 1 . ergänzt nadJ. 133,20 ff. ; vgl. Anm. 500. II 19, 1-3.

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Damit es nämlich nicht so aussehen sollte, als gäbe er die höchste Armut Christi und den Stand der Vollkommenheit preis, wenn er zugleich den Besitz von zeitlichen Gütern, sogar Grundbesitz, behalten und weltliche Herrschaft ausüben wollte, brachte er selbst und allein oder zusammen mit dem K ardinalskollegium ein Dekret10 74 über den Stand der 15 höchsten Armut oder Vollkommenheit heraus, dessen Sinn infolge falscher Auslegung dem Evangelium Christi wider­ spricht, wie wir in II 1 3 und II 1410 75 klar erwiesen haben. Wird daher einem beliebigen Bischof, entweder ihm allein oder ihm mit seinem Kollegium von Klerikern, diese Voll­ macht überlassen, so wird die Gesamtheit der Gläubigen der Gefahr eines Schiffbruchs im Glauben ausgesetzt sein, wie 20 aus dem bereits Gesagten und dem, was noch zu sagen ist, jeder Mensch mit gesundem Sinn erkennen kann. § 8 Ferner, wenn der römische Papst allein oder ein anderer beliebiger Bischof allein, wie gesagt, eine solche Machtvollkommenheit hätte oder wenn nach Isidor (in dem 25 vorhin genannten K odex in dem Kapitel mit der Überschrift : Vorrede Isidors für das folgende Werkjt 01 6 die Briefe oder Dekrete des römischen Papstes an Autorität den Entschei­ dungen und lehrmäfligen Festlegungen eines allgemeinen Konzils gleichwertig oder nicht ungleich wären, so < müflten > alle weltlichen Regierungen, alle Reiche und Länder der 398 Welt und alle Einzelpersonen, welcher Würde, Vorrang­ stellung oder sozialer Lage auch immer, dem ersten römischen Oberhirten in einer zwingenden Rechtsprechung unter­ geordnet sein. Das hat der römische Papst Bonifatius VIII. in einem seiner Briefe oder Erlasse dekretiert, der be5 ginnt10 77 : Eine heilige katholische Kirche; er schlieRt : Ferner : daß dem römischen Papst alle menschliche Kreatur untertan ist - so erklären, behaupten und bestimmen roir -, < das ist zu glauben > 1 018 unbedingt notwendig für das < eroige > Heil. Da also das, was über die Schrift einmal ein rechts­ gültig berufenes und versammeltes und in der rechten 10 Form abgehaltenes und durchgeführtes Konzil bestimmt hat, zumal was für wahr zu halten zur ewigen Seligkeit notwendig ist, unwandelbare und unfehlbare Wahrheit be­ sitzt, wie zu Anfang von II 1 91 0 79 gezeigt worden ist, so wäre, was dieser Brief des Bonifatius behauptet, sichere,

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ciana certarn et indubiam ac irrevocabilem veritatem. Nunc autem eam ab inicio nunc et semper constat esse falsam, erroneam cunctisque civiliter viventibus preiudicialissimam omnium excogitabilium falsorum, sicut indubie demonstra­ tum est 4°, 5° et 9° huius. 20 § 9. Quam eciam falsam esse ac dieturn Y sidori, nisi for­ tassis illud pia interpretacione iuvetur, manifeste deman­ strat Quinti Clementis, successoris einsdem Bonifacii, epi­ stola sive decretum, cuius inicium : Meruit carissimi filii nostri Philippi, regis Franeorum illustris, eius vero finis : Tamquam ad ecclesiam, quam eciam quoad regem et regnum 25 superius nominatos. Hac enim dictus Clemens exprimit diffi­ niendo Bonifacianam epistolam in nullo preiudicare regi aut regno predicto. Cum ergo nec rex predictus, nec illius succes­ sor aliquis vel regnicola suus quisquam, iuxta dicti Clemen­ tis conscienciam eiusque ac omnium Christianorum scien­ ciam, verum crediderint aut credituri fuerint, sed falsum 5 aperturn esse, quod continet epistola supradicta in eo arti­ culo, quo cunctos sibi subicit principatus et regna, per neces­ sitatem sequitur, quod credere id non sit de necessitate salu­ tis ; nam si sie, preiudiciale foret utique non credenti. to § 10. Amplius, consideranti videbuntur tales epistole sive decreta insanie quedam. Nam ea que Bonifacii verum conti­ nente, ad ipsius credulitatem omnes mundi principes et po­ pulos obligat ; ea vero que Clementis, non omnes, quoniam ab hac credulitate Franeorum princeps cum suis regnicolis solus 1 ·; eximitur. Sunt igitur aliqua de necessitate salutis auctoritate scripture quibusdam credenda, quibusdam vero minime. Non ergo unus dominus, nec una fides, nec Christo in unitate fidei omnes tenentur occurrere ; cuius oppositum dicit aperte doctor gencium ad Ephesios 4°. 15

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1 08 0 1 08 1 1082 1o8a

V gl. W preiudicium. II 4 überschr. u. § 1 ; II 5 überschr. u. § 4 ( 1 85,28 ff.) ; II 9 (Es gibt kein zwingendes Gericht nach dem göttlichen Gesetz im Diesseits) . Schol z 398 Anm. 3. Eph. 4 5 . 13. ,

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20

25

399

5

10

15

?2'?'

unbezweifelbare und unwiderrufliche Wahrheit. Nun aber steht von Anfang an jetzt und immer fest : Er ist unwahr und irrig und ist für alle Staatsbürger die schädlichste Unrichtig­ keit108 0 von allen denkbaren Unwahrheiten, wie ohne jeden Zweifel in II 4, II 5 und II 91081 nachgewiesen worden ist. § 9 Daß dieser Brief unwahr ist und ebenso die Behaup­ tung Isidors (wenn ihr nicht vielleicht durch eine fromme Auslegung geholfen werden könnte) , beweist offensichtlich auch ein Brief oder Dekret Clemens V., des Nachfolgers dieses Bonifatius, das beginnt1082 : Meruit carissimi filii nostri Philippi, regis Franeorum illustris, und das schließt : roas die Kirche, roie auch, roas den obengenannten König und sein Reim angeht. In diesem Brief bringt nämlich der genannte Clemens durcli seine Interpretation zum Ausdruck, daß der Brief des Bonifatius in keiner Hinsicht für den vorhin ge­ nannten König oder sein Reich irgendeine schädliche Vorentscheidung treffe. Da also weder der obengenannte König noch einer seiner Nachfolger oder Untertanen nach des ge­ nannten Clemens Gewissen und seinem wie aller Christen Wissen für wahr gehalten haben noch für wahr zu halten geneigt sind, sondern für offenbar falsch, was der obengenannte Brief < des Bonifatius > in dem Artikel enthält, in dem er sich alle Regierungen und Reiche unterwirft, so folgt mit Notwendigkeit : An diesen Artikel zu glauben ist für die Seligkeit nicht notwendig ; denn sonst wäre es allerdings schädlich für den, der an ihn nicht glaubt. § 10 Ferner werden dem kritischen Betrachter solche Briefe oder Dekrete ganz unsinnig erscheinen. Denn wenn der des Bonifatius die Wahrheit enthält, so verpflichtet er alle Herrscher und Völker der Welt, an ihn zu glauben, der des Clemens aber nicht alle ; denn von dem Glauben an ihn wird der Herrscher von Frankreich mit seinen Untertanen allein ausgenommen. Also gibt es einiges, das für das Seelen­ heil kraft der Autorität der Schrift manche glauben müssen, manche aber keineswegs. Es gibt also nicht einen Herrn und nicht einen Glauben, und nicht alle sind verpflichtet, Christus in der Einheit des Glaubens zu begegnen. Das Gegenteil davon sagt mit klaren Worten der Lehrer der Heiden im Epheserbrief im 4. Kap.1 os a

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111a rsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

§ 1 1 . Est rursum interrogandum Clementi, secundum quem sanum intelleeturn ex sua fide mereri potuit Franeorum rex cum populis sibi subiectis non obligari credere, que credenda sunt de necessitate salutis ? Aut igitur ex fide meruerunt heretici et infideles fieri, aut epistola Bonifaciana continet 25 aperturn mendacium, ':· et sie ista que a veritate non veniunt, plerumque eciam nullo impellente seipsa subvertunt, ut dici t Augustinus 7° De Civitate Dei, capitulo 16°�·. § 12. Amplius, dignum est admirari ceteros reges et populos, ipsisque convenienter querendum, quis locus aut sensus 400 scripture ipsos preter Franeorum regem constituat Rarnano pape iurisdiccione subiectos ; curve illud unus reliquo magis ad sue salutis necessitatem credere teneatur ? Hoc enim velut 5 figmento simile multa fuit et est irrisione dignum, et ex talia proferencium ambicione ac principandi seculariter ardore supradicti':· que':· Franeorum regis terrore procedens. § 13. Quod autem prediximus, generale concilium eciam per nonsacerdotes integrari posse, deliberandis quoque per 1 0 concilium convenienter una cum sacerdotibus suum appo­ situri et interposituri decretum, suadebimus primum ex Ysidori predicto codice, capitulo, cui titulus : lncipiunt Ca­ nones, id est regule ecclesiastice. Continetur enim in eo inter 1 5 cetera series hec : Deinde ingrediantur laici, qui eleccione concilii interesse meruerint. Multo magis igitur qui fuerint literati et in lege divina periti, quamquam non sacerdotes existant. Sie enim fecerunt apostoli cum senioribus, ut pri­ dem induximus. Unde oportet attendere, quod in ecclesia pri20 mitiva et antiquis temporibus, presertim ante tempora Con­ stantini, soli sacerdotes et quasi omnes erant, sicut soli tenen­ tur et esse debent, legis divine doctores, iuxta illud Mala20

1084 1 08 5 1086 108 7

Sdwlz 399 Anm. 2. appositnri-i nterposituri bezogen auf per non-sacerdotes ; deliberan­ dis zu apposituri. Sdwlz 400 Anm. 1 . 395, 26-28.

Teil II, Kapitel XX

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§ 1 1 Ferner mufl dem Clemens die Frage vorgelegt wer­ den, was für einen vernünftigen Sinn es haben soll, dafl der König von Frankreich mit seinen Untertanen wegen seines Glaubens es verdienen konnte, frei zu sein von der Verpflich­ tung, zu glauben, was zu glauben heilsnotwendig ist. Ent­ weder haben sie also wegen ihres Glaubens verdient, Ketzer und Ungläubige zu werden, oder der Brief des Bonifatius enthält eine offenbare Lüge, und so untergräbt das, roas nidti 25 aus der Wahrheit kommt, meist auCh siCh selbst, ohne daß jemand einen Anstoß gibt, wie Augustin im ,Gottesstaat' B. 7, Kap. 16108 4 sagt. § 12 Ferner : Mit Recht wundern sich die übrigen Könige 400 und Völker, und sie müssen alle mit gutem Grund fragen, welches Wort oder welcher Gedanke der Schrift sie dem ,römischen Papst in der Rechtsprechung unterstelle - nur den König von Frankreich nicht ; oder warum der eine mehr als der andere verpflichtet sei zu glauben, das sei für sein Seelenheil notwendig. Das verdiente nämlich und ver­ dient lauten Spott - es sieht ja geradezu aus wie eine Er5 dichtung - und entspringt der Herrschsucht derer, die solche Behauptungen aufstellen, ihrer Sucht nach weltlicher Herr­ schaft und der Angst vor dem obengenannten König von Frankreich. § 1 3 Was wir aber vorhin behauptet haben, das allgemeine Konzil könne auch durch Nicht-Priester ergänzt werden, den Beratungen des Konzils zweckmäßigerweise 10 die bei neben den Priestern ihre Ansicht vortragen und den Beschluß formulieren sollen1085 , das werden wir erst einmal nachweisen auf Grund des vorhin genannten Kodex lsidors, des Kapitels mit der Überschrift : Es beginnen die Canones, d. h. die Kirchengesetze. Darin ist nämlich u. a. folgende Stelle entt 5 halten1086 : Dann sollen die Laien eintreten, die durch Wahl des Konzils der Teilnahme gewürdigt sind ; viel eher also wissenschaftlich gebildete und im göttlichen Gesetz erfahrene Männer, wenn sie auch Nicht-Priester sind, < Sitze verdient > . So nämlich haben die Apostel und die Ältesten ver­ fahren, wie wir das eben1087 angeführt haben. Daher mufl man 20 beachten : In der Urkirche und in alter Zeit, zumal vor Kon­ stantin, waren allein die Priester, und zwar fast alle, Lehrer des göttlichen Gesetzes, wie sie allein dazu verpflichtet sind 20

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

chie 2° : Labia sacerdotis custodiunt scienciam, et legem, di­ vinam scilicet, requirent ex ore eius. Unde eciam apostolus 1 • 25 ad Timotheum 3° et ad Titum 1 ° : Oportet episcopum, id est sacerdotem, doctorem esse, amplectentem eum qui secundum doctrinam est fidelem sermonem, ut potens sit exortari in doctrina sana, et eos qui contradieuni arguere. Propier quod tales existentes sacerdotes ad difficilia vel dubia circa scrip­ turam et fidem interpretanda et diffinienda quasi soli con­ venire solebant. Nunc vero propter ecclesiastici regiminis corrupcionem plurima pars sacerdotum et episcoporum in 5 sacra scriptura periti sunt parum et, si dicere liceat, insuffi­ cienter, eo quod temporalia beneficiorum, que assequuntur officiis ambiciosi, cupidi et causidici quidam obtinere volunt et obtinent obsequio, prece vel precio, vel seculari potencia. 10 § 14. Et Deo teste ac fidelium multitudine, sacerdotes pluri­ mos, abbates et ecclesiasticos prelatos quosdam me vidisse ac audivisse memini adeo diminutos, ut eciam nec grammatice congruum scirent proferre sermonem. Et quod amplius or­ rendum est, in ecclesiastico ritu scivi et vidi hominem citra n vigesimum etatis sue annum divine legis ignarum quasi peni­ tus, cui tarnen in famosa et populosa civitate commissa est episcopalis cura, eo non solum sacerdotali ordine carenti, verum eciam diaconatus et subdiaconatus exorti. Quod qui­ dem asserit se licite posse, hoc eciam et quasi consimile incon20 veniens de facto persepe faciens propter pofenturn favorem sibi querendum, qui super ecclesiasticorum officiorum insti­ tucionem et beneficiorum distribucionem Romanus episco­ pus habere se dicit, velut Christi vicarium, plenitudinem potestatis. A quo siquidem convenienter interrogandum, cur 25 talis episcoporum et sacerdotum in generali concilio congre­ gabitur turba ? Et qualiter in dubiis circa scripturas deter-

1 088 1 os8 1 08o

Maleadli 2,7. 1 . Tim. 3,2 ; Tit. 1 ,9. talis umgestellt.

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und es sein müssen nach jenem Wort bei Maleachi im 2. Kap.1088 : Die Lippen des Priesters wahren das Wissen, und das Gesetz, das göttliche nämlich, wird man aus seinem Munde erfragen. Daher sagt auch der Apostel im 1 . Brief an Timotheus im 3. 25 und an Titus im 1 . Kap.1089 : Ein Bischof, d. h. ein Priester, soll Lehrer sein, festhaltend an dem lehrgemäß bewährten Wort, damit er imstande sei, in der gesunden Lehre zu ermahnen und Widersprechende zu überführen. Deswegen pflegten Priester, die solche Lehrer waren, fast allein zusammenzu­ kommen, um Schwieriges oder .Zweifelhaftes in Schrift und Glauben zu deuten und für die Lehre festzulegen. Heutzutage aber sind wegen der Verderbtheit der Kirchenregierung die Priester und Bischöfe größtenteils in der Heiligen Schrift 5 wenig und, wenn man so sagen darf, unzureichend bewandert, weil manche ehrgeizige gierige Rechtsverdreher die zeitlichen Vorteile der Benefizien, die sie durch ihre Ämter erlangen, gewinnen wollen und < tatsächlich > gewinnen durch Liebe­ dienerei, Bittgesuche oder Bestechung oder durch weltliche Macht. 10 § 14 Und - Gott sei Zeuge und das Volk der Gläubigen ich besinne mich, sehr viele Priester, Äbte und manche höhere Geistliche der Kirche mit so dürftiger Bildung gesehen und gehört zu haben, daß sie nicht einmal einen grammatisch korrekten Vortrag zustande bringen konnten. Und was noch widerwärtiger ist, ich habe im Gottesdienst einen noch nicht 20,j ährigen Menschen gekannt und gesehen, der vom gött15 liehen Gesetz so gut wie nichts versteht und dem trotzdem in einer berühmten und volkreichen Stadt das Bischofsamt anvertraut ist, obwohl er nicht nur die Priesterweihe nicht besitzt, sondern nicht einmal Diakonat und Subdiakonat bekleidet hat. Das, so versichert der römische Bischof, stehe zulässigerweise in seiner Gewalt, er, der tatsächlich auch 20 diese und eine ganz ähnliche Sinnlosigkeit oft begeht, um die Gunst der Mächtigen sich zu gewinnen, und der behaup­ tet, über die Einsetzung in die kirchlichen Ämter und die Verteilung der Benefizien als Christi Statthalter die Fülle der Gewalt zu haben. Er muß mit Recht gefragt werden : Warum soll ein Haufe von solchen1 090 Bischöfen und Priestern 25 in einem allgemeinen Konzil sich versammeln ? Und wie wird dieser bei zweifelhaften Stellen in der Schrift den wahren

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minare noverint veros sensus a falsis ? Propter quod in horum defectum nonsacerdotes approbatos fideles, iuxta fidelis legislatoris determinacionem, scripture sacre doctos sufficienter, vita et moribus eciam talibus episcopis et sacerdotibus prepollentes, perutile, quinimo necessarium, legi divine ac recte racioni consonum est tali concilio interesse, ipsorum­ que deliberacione cum reliquis dubia circa fidem et quesita cetera diffiniri. C A P I T U L U M XXI

C u i u s s i t vel f u e r i t h a c t e n u s a u c t o r i t a s c o a c t i v a c o n ­ gregandi generale concilium sacerdotum et episco­ p o r u m a c r e l i q u o r u m f i d e l i u m ; c u i u s ve s i t a u c t o r i ­ tas in ipso aliquid statuendi quod fideles obliget ad 10 p enam aut culpam pro statu presentis seculi vel ven­ tu r i ; e t c u i u s r u r s u m s i t i n h o c s e c u l o s t a t u t o r u m a u t d i f finitorum in generali concilio quemlibet trans­ g r e s s o r e m a r c e r e . Am p l i u s , q u o d n u l l u s e p i s c o p u s aut sacerdos excommunicare potest principem aut 15 p o p u l u m i n t e r d i c e r e q u e m q u a m ; n e c e c cl e s i a s t i c a t e m p o r a l i a b en e f i c i a v e l de c i m a s a u t d i s c i p l i n a r u m cuiquam conferre licencias ; nec officia civilia que­ quam nisi i uxta generalis concilii au t humani legislatoris vel utriu sque determinacionem atque concessionem. 20

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Nunc autem ostendere volo, a d solius humani legislatoris fidelis superiore carentis auctoritatem pertinere, aut eius vel eorum, cui vel quibus per iam dieturn legislatorem potestas hec commissa fuerit, generale concilium convocare, personas ad hoc idoneas determinare, ipsumque congregari, celebrari et secundum formam debitam facere consummari, rebelies quoque ad conveniendum et iam dicta necessaria et utilia faciendum, determinatorum quoque ac ordinatorum in dicto

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Sinn vom falschen scheiden können ? Um deren Versagen aus­ zugleichen, ist es deshalb sehr nützlich, ja notwendig, mit dem göttlichen Gesetz und dem richtigen Denken im Ein­ klang, wenn Nicht-Priester, erprobte gläubige Männer, in der Heiligen Schrift vollkommen unterrichtet, auch an Lebensführung und Charakter solchen Bischöfen und Priestern überlegen, nach der Entscheidung des gläubigen Gesetz­ gebers einem solchen Konzil beiwohnen und durch ihre Be­ ratung mit den übrigen Teilnehmern Zweifel über den Glauben und über andere Fragen entscheiden helfen. KAP I T E L XXI

We r b e s i t z t d i e z w i n g e n d e B e f u g n i s o d e r h a t s i e b i s h e r b e s e s s e n , e i n a l l g e m e i n e s K o n z i l d e r P r i e s t er u n d B i s ch ö f e u n d d e r ü b ri g e n G l ä u b i g e n z u v e r ­ s ammeln ? O der wer h a t d i e B e fu g n i s , dort etwas f es t z u s e t z e n , w a s d i e G l ä u b i g e n m i t S t r a f e o d e r S c h u l d f ü r d i e g e g e n w ä r t i g e o d e r d i e k ü n f t i g e We l t b i n d e t ? U n d f e r n e r : W e r h a t i n d i e s e r W el t d a s R e c h t , j eden zu s t r a f e n , der gegen B e s c h l ü s s e und E n t s c h ei d u n g e n e i n e s a l l g e m e i n e n K o n z i l s v e r ­ s t ö ß t ? F e rn' e r : K e i n B i s c h o f o d e r P r i e s t e r k a n n e i n e n H e r r s ch e r e x k o m m u n iz i e r e n o de r e i n Vo l k m i t d e m I n t e r d i k t b e l e g e n n o ch z e i t l i c h e B e n e f i z i e n o d e r Z e h n t en d e r K i r c h e o d e r L e h r e r l a u b n i s s e o d e r i r g e n d w e l ch e S t a a t s ä m t e r v e r l e i h·e n , a u ß e r w e n n d a s a l l g e m e i n e K o n z il o de r d e r m e n s ch l i c h e Ge s e t z ­ g e b e r o d e r b e i1 d e d a s b e s ti m m t u n d i h m ü b e rt r a g e n haben.

§ 1 Jetzt will i ch zeigen : Allein dem gläubigen mensch­ lichen Gesetzgeber, der keinen höheren über sich kennt, oder demjenigen oder denjenigen, der bzw. denen der eben ge­ nannte Gesetzgeber diese Gewalt übertragen hat, kommt zu, ein allgemeines Konzil einzuberufen, dafür geeignete Per sonen zu bestimmen, es zu versammeln, abzuhalten und in der ordnungsgemäßen Form durchführen zu lassen, auch, wer sich weigert, zur Versammlung zu kommen und die eben er­ wähnten notwendigen und nützlichen Aufgaben zu erledigen -

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concilio transgressores tarn sacerdotes quam nonsacerdotes, clericos · aut nonclericos, licite secundum divinam et huma­ nam Iegern per coactivam arcere potenciam. Que quamvis demonstrata sirrt 1 5° prime, 4°, 5° et 9° ac 1 7° huius, in quibus per demonstracionem ostensum est et auctoritate scripture certificatum amplius, iurisdicciones coactivas super omnes 403 indifferenter sacerdotes et nonsacerdotes, personarum deter­ minaciones et approbaciones, officiorum quoque institucio­ nes omnium ad solius humani legislatoris fidelis auctori5 tatem, minime vero ad sacerdotis aut sacerdotalis collegii solius, inquantum huiusmodi, pertinere ; volumus tarnen nunc ea persuadere per iam dieturn Ysidori codicem pleris­ que locis, maxime vero, in quibus ea que facta surrt legi di­ vine ac recte racioni consona recitat. 10 § 2. Primum quidem igitur in capitulo, cui titulus : lncipit prefacio Niceni concilii, ubi sie inquit : Ibique Arium '318 residentibus episcopis adesse iubet, Constantinus videlicet, ac de eius proposicionibus iudicare, episcopos scilicet. Ecce 15 quod iussu legislatoris congregati fuerunt episcopi et sacer­ dotes in concilio supradicto. Idem rursum in capitulo, cui titulus : Incipit concilium 6'30 episcoporum, ubi sie inquit : Saneta et magna et ,venerabilis synodus, que secundum gra­ ciam Dei ex decreto piissimorum imperatorum Valentiniani 20 et Marciani congregata est. Amplius ex capitulo, cui titulus : Explicit concilium T oletanum septimum, incipit octavum, ubi sie inquit : Anno vero orthodoxi atque gloriosi et vera clemencie dignitate precipui Recesvinthi regis, cum omnes nos divine ordinacio voluntatis, eiusdem principis serenissi25 mo iussu, in basilica sanetarum apostolorum ad sacrum 404 synodi coegisset aggregari conventum. Idem adhuc ex capi­ tulo, cui titulus : Explicit concilium Toletanum undecimum, incipit duodecimum. I dem rursum ex eo, cui titulus : Explicit 30

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d. h. Konstantins. Scholz 403 Anm. 3. Schol z 403 Anm. 4. Die Zahl ist ausgefallen. Scholz 404 Anm. 1 . Scholz 404 Anm. 2 .

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und die Übertreter der auf dem genannten Konzil festgelegten Lehrsätze und Ordnungen, Priester wie Nicht-Priester, Kleri30 ker oder Nicht-Kleriker, mit Fug und Recht nach dem gött­ lichen und menschlichen Gesetz durch zwingende Gewalt zu strafen. Das ist zwar in I 15, II 4, II 5, II 9 und II 1 ?1091 nachge­ wiesen worden, in denen wir durch Beweis gezeigt und durch die Autorität der Schrift noch mehr bestätigt haben, daß 403 zwingende Rechtsprechungen über alle ohne Unterschied, Priester und Nicht-Priester, Ernennungen und Zulassungen von Personen und Einsetzung in alle Ämter allein dem gläu­ bigen menschlichen Gesetzgeber zukommt, keineswegs aber 5 einem Priester oder einem Priesterkollegium als solchem allein ; aber wir wollen das jetzt überzeugend dartun durch den er­ wähnten Kodex des lsidor an sehr vielen Stellen, besonders solche, in denen er Tatsachen anführt, die mit dem göttlichen Gesetz und dem vernünftigen Denken in Einklang stehen. to § 2 Die erste < Tatsache > steht nun in dem Kapitel mit der überschrift1092 : Vorrede für das Konzil von Nikäa, wo er sagt : Und dort befiehlt er, Konstantin, dem Arius, vor den '318 anwesenden Bisdtöfen zu ersdteinen, und ihnen, den Bischöfen, über dessen Thesen zu entsdteiden. Beachte : Auf t'l Befehl des Gesetzgebers1093 waren die Bischöfe und Priester auf dem obengenannten Konzil versammelt. Dasselbe steht ferner in dem Kapitel mit der überschrift1°94 : Konzil der 6'30 Bisdtöfe, wo er sagt : Die heilige und große und verehrungs­ würdige Synode, die nadt Gottes Gnade auf Grund der Ver­ ordnung der frommen Kaiser Valentinianus und Marcianus 20 sidt versammelt hat. Ferner in dem Kapitel mit der über­ schrift10 95 : Es sdtließt das siebente Konzil von Toledo, es be­ ginnt das amte, WO er sagt : Im Jahre . 1096 aber des redtt­ gläubigen und ruhmreimen und durdt die wahre Würde sei­ ner Milde ausgezeidtneten Königs Receswinth, als uns alle Gottes Wille auf den huldreimen Befehl dieses Herrselters in 2s der Basilika der heiligen Apostel v eranlaßt hatte, uns zur heiligen Synode zu versammeln. Dasselbe steht ferner in dem 404 Kapitel mit der überschrift1°97 : Ende des elften Konzils von Toledo, es beginnt das zwölfte. Dasselbe steht ferner in dem mit der überschrift1098 : Ende des ersten Konzils von Braga, es 1 o 91 I 1 5, 8 ; II 4, 1 ; II 5, 1 u. 1 0 ; II 9, 2-3 ; II 1 7, 8 (Abs. 2) -13. .

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Sclwlz 403 Anm. 1.

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concilium Bradwrense primum, incipU secundum. Amplius idem ex Epistola Leonis pape Romani ad Ephesinam synodum. Idem rursum ex Epistola Leonis pape Romani ad Theodosium Imperatorem. Adhuc idem ex Epistola Leonis episcopi Marciano Augusto, cuius inicium est : Poposceram. Idem amplius in Epistola ad Marcianum Augustum, cuius 1 0 inicium est : Multa mihi in omnibus. Idem in aliis plerisque locis dicti codicis et epistolis, quarum series propter rei no­ ticiam et sermonis abbreviacionem omisi. § 3. Quod autem ad solum Romanum episcopum vel ipsum 15 et suorum cardinalium solum collegium non pertineat auc­ toritas supradicta, suaderi potest cum predictis ex eo, quod si reus esset ipse aut cum suo collegio criminis alicuius, prop­ ter quod expediret huiusmodi concilium convocare, verisi­ mile est, ipsum talem congregacionem quantum posset dif20 ferre vel auferre totaliter ; quod in grande fidelium gravamen et preiudicium redundaret. Hoc autem fideli legislatori seu fidelium universitati sie evenire non potest, eo quod ipsa vel ipsius valencior pars non sie seducibilis est, neque in civili­ bus, quemadmodum ostendimus 1 3° prime, neque in spiritu25 alibus, presertim circa fidem, ut ostensum est 19° et 20° huius. 405 § 4. Quod vero diffinitorum seu iudicatorum et reliquorum ordinatorum, prime significacionis iudicio, per generale con­ cilium observacionis coactivum ferre preceptum seu dare decretum super omnes indifferenter, tarn sacerdotes quam 5 nonsacerdotes, eiusque precepti sive decreti transgressores arcere pena . reali aut personali vel utraque, in hoc eciam seculo transgressoribus infligenda, sit auctoritas humani legislatoris fidelis superiore carentis, suadere volumus pri­ mum ex hiis que racionabiliter acta sunt et recitat Ysidorus 5

Scholz 404 Anm. 5. Scholz 404 Anm. 6. Vollständig 408,10. I 13,5 ? l i 19,1 u. 3 ; li 20,2 ? Der Gedanke (seducihilis) kommt nirgends genau so vor. 110 6 d. h. ohne zwingende Gewalt. 110 7 403,7-9.

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beginnt das zweite, ferner in dem Brief des römischen Papstes Leo an die Synode von Ephesus 1 099, ferner in dem Brief des römischen Papstes Leo an den Kaiser Theodosius 11 00, ferner in dem Brief des Bisdwfs Leo an den Marcianus Augustus1 1 0 1 , der beginnt : Im hatte gefordert. Dasselbe steht ferner in dem Brief an den Marcianus AugustusWJ2, der beginnt : Vieles ist mir in allen , 1 1°3 Dasselbe findet sich an sehr vielen anderen .

.

Stellen und in Briefen des genannten Kodex ; deren Wortlaut habe ich weggelassen ; die Sache ist bekannt, und ich möchte die Darstellung abkürzen. § 3 DaR aber dem römischen Bisehof allein oder ihm mit dem Kollegium seiner Kardinäle allein die obenerwähnte Befugnis nicht zusteht, kann außer durch die vorhin genann­ ten Stellen folgendermaßen nachgewiesen werden : Wenn der römische Bischof selbst oder er mit seinem Kollegium irgend­ eines Vergehens angeklagt wäre, weswegen es zweckmäßig wäre, ein solches Konzil einzuberufen, so würde er wahr­ scheinlich eine solche Versammlung möglichst aufschieben oder ganz hintertreiben ; das würde auf eine schwere Be­ lastung und Schädigung der Gläubigen hinauslaufen. Das kann aber bei dem gläubigen Gesetzgeber oder der Gesamt­ heit der Gläubigen in dieser Weise nicht vorkommen, weil sie oder ihre Mehrheit nicht so deicht > verführbar ist, weder in politischen, wie wir in I 131 1 04 gezeigt haben, noch in geist­ lichen Fragen, zumal in solchen des Glaubens, wie in II 19 und II 20 11 05 gezeigt worden ist. § 4 DaR es aber die Befugnis des gläubigen menschlichen Gesetzgebers ist, der keinen höheren über sich hat, eine Vorschrift zu erlassen oder eine Verfügung herauszugeben für alle ohne Unterschied, für Priester wie Nicht-Priester, die die Befolgung der vom allgemeinen Konzil durch ein Urteil in der ersten Bedeutung 11 06 festgelegten oder entschiedenen < Glaubenslehren > und der übrigen von ihm aufgestellten Ordnungen erzwingt, und Übertretungen dieser Vorschrift oder Verfügung mit einer Strafe an Gut oder Person oder beidem noch in dieser Welt zu belegen - das wollen wir nach­ weisen zunächst auf Grund der Staatsaktt, die in Überein­ stimmung mit der Vernunft 11 07 vollzogen sind und die Isidor touu uoo

Smolz 404 Anm . 3. Scl10l z 404 Anm. 4.

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Marsiliu-s

von

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codice predicto plerisque locis. Est enim hoc videre palam ex capitulo, cui titulus : Edictum Marciani lmperatoris in affirmacione concilii Chalcedonensis. In quo continetur inter cetera series hec : Nemo itaque vel clericus, militans et alte­ rius cuiuslibet condicionis, de fide Christiana publice ter15 minata coadunatis et audientibus tractare conetur in poste­ rum, ex hoc tumultus et perfidie occasionem requirens. Uhi eciam parum infra suhiungitur : Nam in contemptoribus huius legis pena non deerit. Et infra rursum : lgitur si cleri20 cus erit, qui publice tractare de religione ausus fuerit, a con­ sorcio clericorum removebitur; si vero milicia preditus sit, cingulo milicie expoliabitur; et sie de reliquis consequenter statuit. Idem apparet rursum ex capitulo immediate suhnixo, cui titulus : lncipit sacra Valentiniani et Marciani Augusto25 rum post concilium Chalcedonense, in confirmacione eius­ dem concilii et dampnacione hereticorum. In qua series talis hahetur : Hac lege decernimus eos qui Eutydwtis errore deci­ piuntur ad exemplum Apollinariorum, quos EutyChes secu­ tus est, quos venerabiles patrum regule, id est ecclesiastici 406 canones, et divarum principum sacratissime sancciones con­ dempnant, nullum episcopum, nullum presbyterum, nullos creare vel appellare clericos, ipsumque EutyChen nomine presbyteri, quo indigne utens expoliatus est, in totum carere. Si quis tamen contra diffinita nostra episcopos, presbyteros 5 ceterosque clericos ausi fuerint ex hiis creare, tam facientes quam factos, vel presumentes sibi, clericorum bonorum amis­ sione, periculo subiacere exilii perpetui precipimus. Ex hoc autem apparet *verum* esse, quod de promovendis ad to

11os 1 10G mo

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Scholz 405 Anm. 1 . Scholz 405 Anm. 2. Wörtlich : zu dem Beispiel getäuscht werden. d. h. Kleriker zu sein. II 17, 8 (Abs. 2)-13.

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in dem obengenannten K odex an sehr vielen Stellen anführt. Das ist nämlich deutlich zu ersehen aus dem Kapitel mit der überschrift 1 1 08 : Edikt des Kaisers Marcianus in Bestätigung des Konzils von Chalkedon. Darin ist u. a. folgende Stelle enthalten : Niemand soll daher, meder ein Kleriker noch ein Soldat, noch eine Person eines anderen Standes, die von Staats megen festgelegten christlichen Glaubenslehren in 15 Zukunft in einer Versammlung und vor Hörern zu behandeln versuchen und daraus eine Gelegenheit zu Aufruhr und Ver­ rat suchen. Dort wird auch etwas weiter unten hinzugefügt : Denn bei den Verämtern dieses Gesetzes mird Strafe nicht ausbleiben. Weiter unten heißt es ferner : Wenn also ein Kle20 riker magt, öffentlich über die Religion zu sprechen, so soll er aus der Gemeinschaft der Kleriker entfernt merden; menn es einer ist, der im Heeresdienst steht, so soll er aus dem Heere ausgesto{len merden, und so bestimmt er weiter über die anderen < Stände > . Dasselbe ergibt sich ferner aus dem un­ mittelbar anschließenden Kapitel mit der überschrift 1 109 : Die heilige < Verordnung > der erhabenen Kaiser Valentinia25 nus und Marcianus nach dem Konzil von Chalkedon in Bestätigung dieses Konzils und der Verdammung der Ketzer. Darin steht folgende Stelle : Durch dieses Gesetz verordnen mir : Diejenigen, die durch die Irrlehre des Eutymes getäuscht, dem Beispiel der Apollinarier folgen1110, denen Eutymes sich angeschlossen hat, und die von den verehrungswürdigen Ordnungen der Väter, d. h. dem Kirchenrecht, und von den 406 hochheiligen Bestimmungen der erhabenen Herrscher ver­ urteilt merden, sollen kein Bischof, kein Priester, < über­ haupt > niemand zu Klerikern mählen oder so nennen, und Eutymes selbst soll des Namens Priester, megen dessen unmürdigen Gehraums er ausgestoßen morden ist, ganz und gar verlustig gehen. Wenn jedoch jemand magt, gegen unsere Bestimmungen Bischöfe, Priester und sonst Kleriker aus 5 diesen < Ketzern > zu mählen, so sollen ebenso die, die sie dazu machen, mie die, die dazu gemacht morden sind oder < das > 1111 für sich beanspruchen, unter Verlust ihrer geist­ lichen Güter mit lebenslänglicher Verbannung bestraft mer­ den ; das verordnen mir. Daraus ergibt sich, daß richtig ist, was wir in II 171112 über die Erhebung zur Priesterwürde und 10

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

sacerdocium et reliquos ordines sacros ad fidelis legislatoris aut principis auctoritatem 1 '7° huius diximus pertinere. Amplius idem ex habito huic immediate capitulo, cui titu­ lus : ltem alia Marciani imperaforis confra eosdem hereficos. Adhuc idem ex capitulo, cui titulus : Edictum regis de con1 5 firmacione concilii. Ubi hoc inter cetera continetur : Si quis ergo clericus auf laicus harum sanccionum obediens esse noluerif, si episcopus, presbyfer, diaconus auf clericus fuerif, ab omni concilio excommunicacioni subiaceaf; si vero laicus ef honestioris loci persona fuerif, mediefafem facultafum suarum amiffaf, fisci iuribus profufuram. Ex quo eciam 20 manifeste apparet, quod penas personales atque reales here­ ticis in:lligere, ipsasque exigere sibique applicare licite pos­ sunt et solebaut principes sive legislatores humani, quemad­ modum diximus 10° huius. Hoc rursum ex capitulo, cui titu­ lus : Explicit concilium Tolefanum JJm, cuius inicium est : 25 C arifafis instinctu, et aliis plerisque locis, de quibus pertrans­ eo propter abbreviacionem, et quoniam preinducta suffi­ ciunt. 407 § 5. Nec solum de observandis hiis, que per concilium diffinita fuerant, coactivum ferre decretum ad humanum legis­ latorem seu ipsius auctoritate principantem pertinet, verum eciam formam et modum Romanam sedem apostolicam ordi5 nandi seu Romanum eligendi pontificem statuere. Quod eciam ab imperatore Romanum pontificem cum instancia postulasse legimus, non reclamasse, ut ex eiusdem codicis capitulo, cui titulus : Incipiunf decrefa Bonifacii pape. Epi­ sfola deprecaforia ad Honorium Augusfum, uf consfituafur 0 a principe in urbe Romana, quatinus per ambifum numquam 1 pontifex ordinefur; et ex capitulo immediate subiuncto, cui titulus : Consfantini Honorii imperaforis ad Bonifacium 10

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Smolz 406 Anm. 1. II 10,8 (25 1 , 1 3-15) . Pr.-0. 3 3 1 Anm. 1.

1114 Scholz 406 Anm. 2. 1 1 16 Scholz 406 Anm . 3. ms Smolz 407 Anm. 1.

Gegen den eben gewählten greisen Bonifatius I. hatte sich ein Gegenpapst erhoben. 1 120 Scholz 407 Anm. 2.

Teil Il, Kapitel XXI

zu den anderen heiligen Weihen gesagt haben, daß dies nämlieh dem gläubigen Gesetzgeber oder Herrscher zukommt. Ferner ergibt sich dasselbe aus dem Kapitel, das sich die­ sem unmittelbar anschließt und die überschrift1113 trägt: Ebenso eine andere < Verordnung> des Kaisers Marcianus gegen dieselben Ketzer, ferner aus dem Kapitel mit der überschrift1114 : Edikt des Königs über die Bestätigung des 15 Konzils. Dort finden wir unter anderen Feststellungen fol­ gende Stelle : Wenn also ein Kleriker oder Laie sich weigert, diesen Bestimmungen gehorsam zu sein, so soll er, falls er Bischof, Priester, Diakon oder Kleriker ist, von dem ganzen Konzil mit Exkommunikation bestraft werden, falls er aber Laie und eine Person höheren Ranges ist, so soll er die Hälfte seines Vermögens verlieren, die der Staatskasse zugute kom20 men soll. Daraus ergibt sich deutlich : Strafen an Gut und Person über Ketzer zu verhängen, diese einzuziehen und für sich zu verwenden, dazu sind die Herrscher oder die mensch­ lichen Gesetzgeber berechtigt und pflegten tatsächlich so zu verfahren, wie wir in II 1 01115 gesagt haben. Das < ergibt sich> ferner aus dem Kapitel mit der überschrift1116 : Ende des drei25 zehnten Konzils von Toledo, das beginnt : Aus dem Trieb der Liebe1117, und aus sehr vielen anderen Stellen, über die ich hinweggehe ; ich möchte abkürzen, und das vorhin Ange­ führte genügt. § 5 Nicht nur wegen der Befolgung der Glaubenssätze, die das Konzil festgelegt hat, ein zwingendes Dekret zu erlassen, kommt dem menschlichen Gesetzgeber zu oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert, sondern auch < das Recht > , über Form und Art der Besetzung des römischen aposto5 lischen Stuhles, d. h. Wahl des römischen Papstes, Anord­ nungen zu geben. Das hat auch, so lesen wir, der römische Papst vom Kaiser dringend gefordert, nicht dagegen Ein­ spruch erhoben, wie hervorgeht aus einem Kapitel desselben Kodex'mit der überschrift111 8 : Die Dekrete des Papstes Boni­ fatius.111 9 Brief an den Augustus Honorius mit der Bitte, der 10 Herrscher möchte in der Stadt Rom ihn als Papst einsetzen, weil ja infolge der Umtriebe niemals einer ordiniert würde, und aus dem unmittelbar angeschlossenen Kapitel mit der überschrift1120 : Verfügung des Kaisers Honorius an den 10

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papam missa, ut si denuo Rome duo episcopi ordinati fuerint, ambo civitate pellentur, cuius inicium : Victor Honorius, 15 inclitus triumphator semper Augustus, sancto ac venerabili Bonifacio pape urbis Rome. In quo siquidem decreto dictus imperator parum infra suhinfert : Illud autem pietati nostre satis placuisse cognosce, quod sanctimonia . tua de ecclesi­ arum aut populi perturbacione sollicita est. Que ne aliqua 20 racione possit evenire, satis clemencia nostra credidit esse provisum. Denique predicante beatitudine tua, id ad cunc­ torum clericorum noticiam volumus pervenire, ut si quid forte religioni tue, quod non optamus, humana sorte conti­ gerit, sciant omnes ab ambicionibus ·esse cessandum. Ac si duo forte contra fas temeritate certantum fuerint ordinati, 25 nullum ex eis penitus futurum sacerdotem, id est Romanum episcopum, sed illum solum in sede' apostolica permansurum, quem ex numero clericorum nova ordinacione divinum iudi408 cium et universitatis consensus elegerit. Ex quo eciam appa­ ret verum esse, quod diximus' 1 7° huius, ad universitatem fidelium sive humanum legislatorem fidelem pertinere insti­ tucionem secundariam sacerdotum, episcoporum et reliquo5 rum ministrorum ecclesie ad curas animarum maiores sive m1nores. § 6. Amplius, proposita suadere possumus ex epistola, cui titulus : Item ad Marcianum Augustum, gracias agens, quod eius industria per Chalcedonense concilium pax ecclesie red10 dita sit/ cuius inicium est : Leo episcopus Marciano Augusto. Multa mihi in omnibus clemencie vestre literis causa gaudii est. In qua eciam circa finem legitur, quod idem Leo sie ait : Q uia vero omnibus modis obediendum est pietati vestre et religiosissime voluntati, constitucionibus synodalibus, que 15 mihi de confirmacione fidei catholice et de hereticorum dampnacione placuerunt, libens adieci meam sentenciam.

1121 Original pellantur (Pr.-0. 332 Anm. 1). 1122 II 1 7,8, Abs. 1 ; 9-15. 112a Scholz 408 Anm. 1.

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Papst Bonifatius : Wenn mieder in Rom zmei Bischöfe ordi­ niert morden mären, dann sollten beide aus der Stadt ver­ trieben merden1121 ; diese < Verfügung > beginnt : Der sieg15 reime Honorius, ruhmreicher Triumphator, immer Augustus, an den heiligen und verehrungsmürdigen Papst Bonifatius in der Stadt Rom. In diesem Dekret fügt nun der genannte Kaiser etwas weiter unten hinzu : Wisse aber, es hat unserer Frömmigkeit recht gefallen, daß deine Heiligkeif megen der Vermirrung in den Gemeinden oder im Volk beunruhigt ist. 2o Daß diese auf keinen Fall eintreten könne, dafür, so glaubte unsere Milde, sei genügend Fürsorge getroffen. Endlich mün­ smen mir, daß das durch eine Bekanntmachung deiner Selig­ keit zur Kenntnis aller Kleriker gelangt, damit, menn etma deiner Frömmigkeit, mas mir nicht münsmen, nam Men­ schen Los etmas zustoßen sollte, alle missen, sie müssen ihre ehrgeizigen Pläne aufgeben. Und menn etma zmei Päpste miderremtlim durch die Unbesonnenheit der streitenden 25 ordiniert merden sollten, so merde auf keinen Fall einer von ihnen Priester sein, d. h. römischer Bischof, sondern der allein auf dem Apostolischen Stuhl bleiben, den das gött­ liche Urteil und der einmütige Wille der Gesamtheit aus der 408 Zahl der Kleriker durch eine neue Entscheidung gemählt hat. Daraus ergibt sich auch die Wahrheit dessen, was wir in II 1 71122 gesagt haben, der Gesamtheit der Gläubigen oder dem gläubigen menschlichen Gesetzgeber komme die sekun­ däre Einsetzung der Priester, Bischöfe und der übrigen Die5 ner der Kirche in die höhere oder niedere Seelsorge zu. § 6 Ferner können wir unsere Thesen beweisen auf Grund eines Briefes mit der überschrift1123 : Gleichfalls an den Augustus Marcianus mit dem Ausdrude des Dankes dafür, daß durch seine Energie auf dem Konzil von Chalkedon der Kirche der Friede zurüCkgegeben morden sei. Dieser Brief 10 beginnt : Der Bischof Leo an den Augustus Marcianus. Vieles ist mir in allen Briefen Eurer Milde ein Grund zur Freude. In diesem liest man auch gegen Ende die folgenden Worte Leos : Weil man aber in jeder Weise Eurer Frömmigkeit und Eurem tiefreligiösen Willen gehorchen mu/l, habe im zu den Beschlüssen der Synode, die mir megen der Sicherung des 15 katholischen Glaubens und megen der Verdammung der Ket­ zer gefallen haben, gern meine Meinung geäußert. Daß dies

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Que ut in noticiam omnium sacerdotum ecclesiarumque perveniant, vestre clemencie precepcio ordinare dignabitur. Ecce quod suam sentenciam sive iudicium prime significa20 cionis adiecit Romanus pontifex diffinitis per concilium, precepcionem tarnen observacionis ad ecclesias et sacerdotes supplicans fieri per Romanum principem ; quod tarnen non fecisset, si hec illius non fuisset auctoritas. Ex quo eciam apparet verum esse, quod diximus 4°, 5° et 9° huius, auctori25 tatem scilicet coactivam, tarn in sacerdotes quam nonsacer­ dotes ad humanum legislatorem seu eius auctoritate princi­ pantem pertinere ; neque contra hoc reclamaverunt Romani pontifices antiquis temporibus, sed pro talibus sibi dandis regulis sive legibus per imperatores pocius supplicabant. § ?. Eadem rursum evidenter apparet sentencia ex capi30 409 tulo, cuius principium : lmperatores Cesares Theodosius et Valentinianus. In quo parum infra subicitur : Quoniam igi­ tur in presenti subita emergente dubitacione ad catholice et apostolice doctrine ac nostre fidei custodiam, que, ut fit, di5 versis sentenciis impugnata conturbat·et confundit hominum sensus et animas, intolerabile duximus huiusmodi delictum contempnere, ne per talem negligenciam ipsi Deo inferri con­ tumelie viderentur. Ideoque sancimus, in unum sanctissimos et Deo placitos convenire viros, quibus pro1pietate catholica 10 atque vera fide plurimus sermo est, ut universa quidem talis et vana dubitacio subtili proposito inquisicione solvatur, vera autem et Deo amica catholica fides firmetur. Igitur et tua sanctitas, sumptis secum decem reverentissimis metropoli­ tanis qui sub tua degunt diocesi, et aliis similiter decem sanc15 tis episcopis, sermone et vita ornatis, qui in doctrina et scien­ cia recte et immaculate fidei pre cunctis apud cunctos emi-

1124 Marsilius: perveniant; (Pr.-0. 332 Anm. 2). ms Vgl. Anm. 1081. 112e Sd10lz 409 Anm. 1.

Orig.

perveniat,

auf

sententia

bezogen

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zur Kenntnis aller Priester und Gemeinden gelange11 24, roird Eurer Gnade Befehl anzuordnen geruhen. Beachte : Seine Meinung oder sein Urteil in der ersten Bedeutung hat der rö20 mische Bischof zu den vom Konzil getroffenen Entscheidungen geäußert, bittet jedoch dringend, den Befehl, sie zu befolgen, möchte der römische K aiser an die Gemeinden und Geist­ lichen geben ; das hätte er doch nicht getan, wenn das nicht Befugnis des Kaisers gewesen wäre. Daraus ergibt sich auch die Wahrheit dessen, was wir in II 4, II 5 und II 911 2 5 gesagt 25 haben, daß nämlich die zwingende Vollmacht gegenüber Prie­ stern wie Nicht-Priestern dem menschlichen Gesetzgeber oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert, zukommt ; die römischen Päpste haben dagegen in alter Zeit keinen Ein­ spruch erhoben, sondern haben vielmehr dringend gebeten, die Kaiser möchten ihnen solche Verordnungen oder Gesetze geben. § 7 Dieselbe Meinung ergibt sich ferner überzeugend aus 3o dem Kapitel, das beginnt 1126 : Die Kaiser Theodosius und Valentinianus. Darin wird weiter unten hinzugefügt : In dem gegenwärtigen plötzlich auftauchenden Zroeifel haben roir es zur Wahrung der katholischen und apostolischenJ Lehre und unseres Glaubens, der, roie es datsächlich > geschieht, von widersprechenden Meinungen umkämpft 5 ist, roas Sinne und Seelen der Menschen verroirrt und beun­ ruhigt, für unerträglich gehalten, ein derartiges Verbrechen hingehen zu lassen, damit es nicht so aussieht, als ob durch eine solehe Nachlässigkeif Gott selbst beschimpft roürde. Darum verordnen roir, daß ganz makellose und Gott wohl­ gefällige Männer an einem Ort zusammenkommen, die zur Verteidigung katholischer Frömmigkeit und roahren Glauw bens eine sehr hohe Redegabe besitzen, damit ein soleher all­ gemeiner und nichtiger Zroeifel durch eine diesem Problem geroidmete subtile Untersuchung behoben und der roahre gottliebende katholische Glaube gesiChert roird. Daher soll auch deine Heiligkeit die zehn frömmsten Erzbischöfe mit sich nehmen, die deiner Diözese angehören, und außerdem ähnlich zehn heilige Bischöfe, die durch Redegabe und Lebensmandel ausgezeichnet sind und die in Lehre und t5 Kenntnis des rechten und unbefleCkten Glaubens vor aller Welt über alle hervorragen, und mit ihnen am nächsten

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nent, proximis Kal. Augusti Ephesum, metropolim Asie, con­ venire absque ulla dubitacione festinent, nullo scilicet alio preter predictos viros sanctam synodum molestante, quati0 n us universis, sanctissimis et b eatissimis episcopis, quos con­ 2 v enire per sacras nostras epistolas sancimus, ad predictam concurrentibus civitatem et subtilissime investigantibus et querentibus, omnis de medio error contrarius aufferatur, catholica autem doctrina et orthodoxe fidei salvatoris nostri 25 Christi amicissima solidetur et consuete fulgeat, quod uni­ versi in posterum inconcussum Deo propicio et intemeratum custodiant. Si quis v ero tam necessariam et vere Deo amicam 410 synodum pretermiserit et omni virtute secundum predictum tempus ad prefinitum locum non pervenerit, nullam excu­ sacionem neque apud Deum, neque apud nostram inveniet pietatem; sacerdotalem enim conventum non nisi quis mali 5 propria consciencia sauciatus evitat. Theodoretum sane epi­ scopum Syrie civitatis, quem pridem iussimus sue soli vacare ecclesie, sancimus, non prius ad sanctam synodum conve­ nire, nisi univer so complacuerit convenienti concilio et ipsum concurrere et pariter interesse. Si vero aliqua discordia de eo 10 emerserit, absque illo sanctam synodum convenire et que iussa sunt ordinare precipimus. Ex hoc autem edicto atten­ denti apparet intencio trium conclusionum iam proposita­ rum : unius quidem, quod dubia que circa Iegern divinam fuerint, expedit diffinire ; secunde vero, quod diffinicio hec 1 5 non ad singularis persone vel collegii auctoritatem pertinet, sed ad concilium generale ; tercie quidem, quod huiusmodi convocare seu precipere concilium, •:· personas ad hoc idoneas statuere ac determinare\ et per ipsum * concilium'' diffinita et ordinata servari statuere, statutorum quoque transgressores 20 arcere in statu et pro statu presentis seculi, auctoritas sit

1129 intencio = Intention = Grundgedanke = Sinn, s. W. mo II 18,8, Abs. 1-3, z. T. wiederholt II 2 1 , 1 .

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1.

zo

25

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5

10

15

zo

August ohne alles Bedenken nach Ephesus, der Hauptstadt Asiens, eilen; kein anderer nämlich außer den vorhin ge­ nannten Männern soll die heilige Synode belästigen; denn dadurch, daß alle hochheiligen und hodtseligen Bischöfe, die wir durch unsere heiligen Briefe zusammenkommen lassen, zur vorhin genannten Stadt eilen und aufs genauesie unter­ suchen und forschen, soll alle widersprechende Irrlehre besei­ tigt, aber die katholische Lehre, die mit der rechten Glaubens­ lehre Christi11 2 1 , unseres Heilands, völlig übereinstimmt, gefestigt werden und im gewohnten Glanze erstrahlen; das sollen alle in Zukunft unerschüttert, so Gott will, und unbe­ fleckt bewahren. Wenn aber jemand die so notwendige und Gott wahrhaft wohlgefällige Synode versäumt und nicht mit aller Energie zur vorgenannten Zeit an den vorhin bestimm­ ten Ort kommt, so wird er keine Nachsicht finden, weder bei Gott noch bei unserer Frömmigkeit; denn eine Zusammen­ kunft der Priester meidet nur der, den sein schlechtes Gewissen drückt. Was freilich den Theodoretus, den Bischof des Landes Syrien, angeht, dem wir früher befohlen haben, sich nur seiner Kirche zu widmen, so verordnen wir, er solle nicht eher mit zur heiligen Synode kommen, als bis auch das gesamte zusammentretende Konzil beschließt, er möchte mit hinkommen und gleichberechtigt teilnehmen. Sollte aber irgendeine Meinungsverschiedenheit seinetwegen auftauchen, so soll die heilige Synode ohne ihn zusammenkommen und die befohlenen Dinge ordnen; so gebieten wir.11 28 Aus diesem Edikt ergeben sich für den aufmerksamen Leser dem Sinne 1129 nach drei eben 1130 vorgelegte SchlufHolgerungen. Erstens : es ist zweckmäßig, Zweifel über das göttliche Gesetz lehrmäßig festzulegen ; zweitens, diese Entscheidung steh t nicht einer Einzelperson oder einem Kollegium zu, sondern dem allgemeinen Konzil ; drittens, ein derartiges Konzil ein­ zuberufen oder anzuordnen, geeignete Personen dazu aus­ zuwählen und zu bestimmen und die Befolgung der Beschlüsse und Anordnungen dieses K onzils anzubefehlen und die Übertreter dieser Bestimmungen im Stande und entsprechend dem Stand der gegenwärtigen Welt zu strafen 1127 112s

Der Streit geht um das Verhältnis der beiden Naturen in Christus. Vgl. I. D. Mansi, Sacrorum conciliorum amplissima collectio, VI, Florenz 176 1, 587 ff.

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solius humani legislatoris :fidelis seu eius auctoritate princi­ pantis. § 8. Hiis consequenter ostendere convenit, nihil per homi­ nem aliquem singularem, cuiuscumque dignitatis aut con­ dicionis existat, statui passe circa ecclesiasticum ritum, quod 25 homines ad observacionem obliget sub aliqua pena pro statu presentis seculi vel venturi, nisi per generale coneilium im­ mediate *aut inde'� sumpta prius auctoritate, *ad hec eciam fidelis humani legislatoris primi aut eius auctoritate princi­ pantis interveniente decreto�· ; nihilque circa humanos actus 30 alias, velut ieiunia, esus carnium, abstinencias, sanctorum 411 canonizaciones ac veneraciones, operum meehanicorum aut aliorum quorumcumque prohibiciones seu vacaciones, ma­ trimoniorum copulas infra certos cognacionis gradus, ordines 5 quoque sive collegia religiosorum approbare ''vel reprobare\ reliqua''que'' similia lege divina licita seu permissa statuere sub aliqua ecclesiastica censura, ut interdicti vel excommu­ nicacionis aut alterius pene consimilis maioris aut minoris, eoque minus ad ea quemquam obligare posse sub pena reali 10 vel personali in statu presentis seculi exigenda, absque iam dicti legislatoris auctoritate ; cuius siquidem licita solius potestas est infligere ac exigere tales penas, ut ex 15° prime ac 1 0° huius suf:ficienter apparet. § 9. Hec autem eisdem demonstracionibus et auctoritatibus 15 supponendum probata, quibus et dubiorum legis divine sen­ suum determinacionem ad supradieturn concilium reliquos­ que humanos actus circa ritum ecclesiasticum per coactiva decreta ordinare, ad fidelem legislatorem humanum supra monstravimus pertinere, sola racionum minori extremitate 20 mutata. •:· Adhuc, quoniam lege divina permissa non prohiben1131 1132 ma 1134 1135 1136 1137 1138

d. h. des Kaisers. Erg. statuti posse aus 410,24. Marsilius hat darüber eine SclJ.rift verfaf!t. Erg. neminem posse, abh. von ostendere 410,22; vgl. 411,8 ff. I 15,11. II 10, 12. Erg. est; davon ist abhäng. ein Acl ohne esse. supponendum probata ist aus dem Anfang des § zu ergänzen.

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diese Befugnis besitzt allein der gläubige menschliche Gesetz­ geber oder der, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert. § 8 Daran schließt sich gut der Nachweis : Ein einzelner Mensch, welcher Würde oder welches Standes auch immer, kann nichts über den kirchlichen Ritus festsetzen, was die 25 Menschen unter einer Strafe für die gegenwärtige oder künf­ tige Welt zur Befolgung verpflichtete ; das kann nur ein allgemeines Konzil unmittelbar oder durch eine aus ihm vorher abgeleitete Vollmacht unter Mitwirkung eines Edikts des ersten gläubigen menschlichen Gesetzgebers oder dessen, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert 1131 ; und niehts < kann festgesetzt werden > 113 2 über andere Fragen des 30 menschlichen Handeins wie Fasten, Fleischessen, Enthalt411 samkeit, Heiligsprechungen und Heiligenverehrung, Verbote von mechanischen oder irgendwelchen anderen Arbeiten oder B efreiungen davon, Eheschließungen unterhalb be­ stimmter Verwandtschaftsgrade 1133 , und niemand kann Orden oder Vereinigungen von frommen Männern zulassen oder 5 ablehnen 1134 und sonst etwas dergleichen, was das göttliche Gesetz zuläßt oder erlaubt, unter irgendeine schwere Kirchenstrafe stellen, z. B. die des Interdikts oder der Exkommunikation oder eine andere ähnliche größere oder kleinere Strafe, und um so weniger < kann er > jemand zur Unterlassung des Erlaubten verpflichten unter < Androhung > 10 einer Strafe an Gut oder Person, die in der gegenwärtigen Welt vollstreckt werden soll, ohne Ermächtigung durch den eben genannten Gesetzgeber ; er allein hat ja das Recht, solche Strafen zu verhängen und zu vollstrecken, wie aus I 1 511 35 und II 1 0 1136 zur Genüge hervorgeht. § 9 Dies ist aber, so muß man voraussetzen 1137 , durch die15 seihen Beweise und autoritativen Stellen bewiesen, durch die wir oben nachgewiesen haben, daß auch die Festlegung des Sinnes zweifelhafter Stellen des göttlichen Gesetzes und , die menschlichen Handlungen beim Gottesdienst durch zwingende Dekrete zu ordnen, allein dem gläubigen menschlichen Gesetzgeber zusteht ; man braucht nur den Unterbegriff in den Vernunftbeweisen zu ändern. Ferner 2o < wird damit gesichert > 1138 : Was das göttliche Gesetz erlaubt, kann nur der menschliche Gesetzgeber verbieten oder

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tur aut illicita fiunt, nisi per legislatorem humanum.'' Amp­ lius, quoniam nullus episcopus in alium auctoritatem habet aliquam a Christo immediate, quemadmodum demanstrat um est 15° et 16° huius, neque coactivam invicem aut in alios 25 iurisdiccionem, ut 4°, 5° et 9° huius ostendimus prius. Ex quibus eciam deduci potest et convenit, ad solius iam dicti concilii, non autem ad solius episcopi aut presbyteri vel alicuius ipsorum particularis collegii auctoritatem pertinere, 30 principem, provinciam aut communitatem aliam civilem ex412 communicare vel divinorum officiorum usum interdicere. Ignoranter enim aut inique valente presbytero seu episcopo vel particulari aliquo ipsorum collegio principem aut pro­ vinciam excommunicare vel interdicere, magnum inde scan5 dalum paci et quieti fidelium omnium evenire contingit. Quod eciam quasi novissime iam rerum experiencia magistra monstravit, dum Octavus Bonifacius, papa Romanus, clare memorie Philippum Pulchrum, Franeorum catholicum re­ gern, excommunicare temptavit, eiusque regnum cum sibi 10 adherentibus ecclesiasticorum officiorum interdictis suppo­ nere, reclamante predicto rege adversus narracionem quan­ dam scriptam, cui principium est : Unam sanctam catholicam ecclesiam, emissam a predicto Bonifacio aut ab eodem cum suorum cardinalium cetu, inter cetera continentem, quinimo 1 5 finaliter concludentem, omnes mundi principes, communita­ tes et personas singulares Romano pape coactiva iurisdicci­ one subiectos. Quamvis eciam temporibus illis proponeret idem Bonifacius adversus iam dieturn principem et ipsi sub­ ditos ac adherentes singulariter tendere, reliquosque quos 20 potuisset adversus illum principes et populos fideles, teste immortali veritate ac vivencium plurimorum memoria, con­ citare, nisi de medio sorte mortalium sublatus fuisset. Hec autem aut consimilis alterins maligne concitacionis tempestas 1141

= contingit. Scholz 412 Anm. 1 ; 416,5--6 Vo (Hyperbaton) u. 376,21-22. 1 143 Vo (Tempora).

1142

richtige

Wortstellung;

vgl.

aber

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unzulässig machen. Weiter : Kein Bischof hat gegenüber einem anderen irgendeine Autorität von Christus unmittelbar, wie in II 1 5 und II 1611 39 bewiesen worden ist, noch eine zwingende Rechtsprechung gegen seinesgleichen oder gegen andere, wie 25 wir in II 4, II 5 und I I 91140 früher gezeigt haben. Daraus kann auch gut abgeleitet werden : Dem eben genannten Konzil allein, nicht aber einem Bischof oder Prie­ ster oder einem Sonderkollegium von ihnen allein steht es 3 0 zu, einen Herrscher, ein Land oder eine andere bürgerliche Gemeinschaft zu exkommunizieren oder ihnen den Vollzug der religiösen Amtshandlungen zu untersagen. Denn wenn ein Priester oder Bischof oder ein Sonderkollegium von < ihnen> aus Unwissenheit oder Gehässigkeit einen Herrscher oder ein Land exkommunizieren oder mit dem Kirchenbann belegen 5 will, so muß1141 daraus großes Ärgernis für Frieden und Ruhe aller Gläubigen entstehen. Das hat auch fast ganz neuerdings schon die Erfahrung als Lehrerin im Leben1142 gezeigt, als der römische Papst Bonifatius VIII. Philipp den Schönen ruhm­ reichen Angedenkens, den katholischen König von Frank­ reich, zu exkommunizieren und sein Reich mit seinen A:nto hängern unter das Verbot der kirchlichen Amtshandlungen zu stellen versuchte, weil der vorhin genannte König Ein­ spruch erhob gegen ein Schriftstück mit dem Anfang : Eine heilige katholische Kirche, das von dem vorhin genannten Bonifatius oder zusammen mit seinem Kardinalskollegium veröffentlicht worden ist und das unter anderem die Be­ hauptung enthält, ja zuletzt die Folgerung zieht : Alle Herrt5 scher der Welt, alle Gemeinschaften und Einzelpersonen seien dem römischen Papst in zwingender Rechtsprechung unter­ stellt. Indessen hätte1143 sich dieser Bonifatius seinerzeit sogar vorgenommen, gegen den eben erwähnten Herrscher, seine Untertanen und Anhänger im besonderen vorzugehen und die übrigen gläubigen Herrscher und Völker, soweit er es 20 gekonnt hätte, gegen jenen Herrscher - Zeuge sei die unsterb­ liche Wahrheit und die Erinnerung der meisten Lehenden in Aufruhr zu bringen, wenn ihn nicht Menschenlos zuvor hinweggerafft hätte. Dieser aber oder ein ähnlicher Sturm einer neuen böswilligen Aufwiegelung - eher Sturm als1139 II 15,8; II 16, 12-13. 11 4 0 Vgl. Anm. 1081.

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pocius quam potestas, grandis scismatis atque periculi fidelibus allativa, resecanda prorsus est ; temperandaque interdietorum et excommunicacionum huiusmodi forma relinqui debet soli Christianorum [generali] concilio, cuius iudicium dirigente saneto spiritu ignorancia vel malignitate aliqua perverti non potest. § 10. Hiis autem per necessitatem sequitur ordinata et diffinita tarn circa fidem sive legis evangelice sensum, quam circa ecclesiasticum ritum sive cultum divinum et rehqua omnia per concilium generale statuta, mediate vel im5 mediate, implicite vel explicite, aut alio quovis modo, auc­ toritate ac ·ordinacione nullins episcopi aut alterins parti­ cularis collegii, concilii vel congregacionis, eoque minus persone singularis, cuiuscumque condicionis aut dignitatis extet, posse immutari, augeri, minui vel suspendi aut inter1 0 pretacionem recipere, presertim in arduis, 'aut penitus re­ vocari ; sed que sie ordinata fuerint, si ad immutandum aut simpliciter revocandum vocet necessitas evidens, ad supra­ dieturn concilium convocandum debere referri. Hoc autem eisdem racionibus et auetoritatibus convincendum, quibus 15 per solum iam dieturn concilium eiusmodi ordinanda, diffi­ nienda et statuenda monstravimus. § 1 1 . Ex iisdem quoque rursum scripture auetoritatibus et humanis racionibus demonstrari potest et convenit, ad 20 nullins solins episcopi vel persone singularis aut particularis alius collegii auetoritatem pertinere, absque iam dicti gene­ ralis concilii vel fidelis humani legislatoris determinacione in omnibus mundi ecclesiasticis officiis personas instituere seu preferre, neque pro eisdem officiis cuneta ecclesiastica 25 temporalia, vocata beneficia, distribuere neque vocatas disci­ plinarum licencias, notariatus aut rehqua officia publica seu civilia conferre cuiquam, nisi auetoritate iam dieta. Que quamvis 1 5° prime ac huius 1 7° secundum modum

25

413

1144 1146 1147 1 148

Marsilius als Arzt. Pr.-0. 340 Anm. 2 u. Scho lz 418 Anm. 1. I 15, 8. II 1 7,8-15.

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Gewalt -, der große Spaltung und Gefahr den Gläubigen bringen würde, muß ganz und gar unterdrück:t1144 und die Form derartiger Interdikte und Exkommunikationen ge­ regelt und allein dem allgemeinen Konzil der Christen über­ lassen werden, denn dessen Urteil kann, weil vom heiligen Geist gelenkt, durch Unwissenheit oder Bosheit nicht irre­ geführt werden. § 10 Daraus folgt mit Notwendigkeit : Was verordnet und lehrmäßig festgelegt ist über den Glauben oder den Sinn des evangelischen Gesetzes wie über den kirchlichen Ritus oder den Gottesdienst und alles, was sonst das allgemeine Konzil beschlossen hat, mittelbar oder unmittelbar, unausgesprochen oder ausdrücklich oder auf irgendeine andere Weise, das kann nicht durch die Machtbefugnis und Anordnung eines Bischofs oder eines anderen Sonderkollegiums, eines Kon­ zils oder einer Versammlung, und noch weniger einer Einzel­ person, welches Standes oder welcher Würde auch immer, geändert, erweitert, gekürzt oder aufgehoben oder ausgelegt werden, zumal in schwierigen Fragen, oder ganz und gar widerrufen werden, sondern, wenn das in dieser Form Ver­ ordnete zu ändern oder schlechthin zu widerrufen eine unbe­ streitbare Notwen digkeit fordert, so ist das obengenannte Konzil zu berufen und diesem die Frage vorzulegen. Dieser < Satz > läßt sich durch dieselben Vernunftgründe und autori­ tativen Stellen beweisen, mit denen wir gezeigt haben, daß das eben genannte Konzil allein dergleichen anordnen, lehr­ mäßig festlegen und beschließen darf. § 1 1 Ferner läßt sich auch aus denselben autoritativen Stellen der Schrift und mit denselben menschlichen Vernunft­ gründen gut nachweisen : Keinem Bischof und keiner Einzelperson und keinem Sonderkollegium allein kommt es zu, ohne Anweisung des eben erwähnten allgemeinen Konzils oder des gläubigen menschlichen Gesetzgebers in irgend­ welche kirchliche Ämter der Welt Personen einzusetzen oder sie damit zu betrauen noch zugunsten dieser Ämter irgendwelche weltliche Güter der Kirche, Benefizien genannt, zu verteilen oder die sogenannten Lehrerlaubnisse114 6 , Nota­ riate oder sonstige öffentliche oder staatliche Ämter jeman­ dem zu verleihen außer kraft der eben erwähnten Ermächti­ gung. Das ist zwar in I 1 51147 und II 1 71148 einigermaßen

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

aliquem ostensa sint convenienter, ea tarnen amplius expli­ candum et confirmandum ex immediate predictis et aliis quibusdam probabilibus argumentis in hac parte decrevimus. Nam illud non est nec esse debet auctoritatis Romani 414, vel alterius cuiusvis episcopi aut particularis cum ipso col­ legii clericorum, propter quod omnia regna omnesque policie maiores sive minores heresis et dissolucionis exponuntur 5 periculo. Sie autem fit Romano aut alteri soli cuivis episcopo absque determinacione universalis legislatoris vel concilii generalis tali potestate permissa. Esto namque, ut supra iam diximus, hereticum aliquem aut nigromanticum, cupidum et superbum aut aliter criminosum, quales quidam in episco10 pos Romanos prefici visum est et leguntur assumpti : si qui­ dem criminosus hic auctoritatem habeat absque determina­ cione legali aliqua generalis concilii aut :fidelis legislatoris mortalis, in omnibus ecclesiasticis officiis personas statuere, qualescumque voluerit, verisimile valde videtur, eiusmodi .15 p onti:ficem eos in ecclesiasticis officiis, precipue maioribus, ut cardinalatu aut episcopatu, preferre, quos suorum crimi­ num complices noverit et suis perversis omnibus favere votis. Erit igitur inde universus grex :fidelium expositus periculo subversionis a fide, quemadmodum eciam aliqualiter osten20 sum est 1 1° huius ; et hoc presertim, si heresi labefactus ignorancia vel malicia interpretacionis divine legis habeat potestatem, sicut eciam pridem induximus 20° huius, et ex presencium memoria et conspectu de duobus Romanis epi­ scopis [omnibus] liquet. Rursum, si Romano episcopo divina vel humana lege non 25 reperitur concessa potestas, sed pocius interdicta instituendi -,o

·

1151

quidam nam leguntur konstr. Scholz 4 1 4 Anm. 2. 11s� II 1 7,8 (Abs. 2); 9-15. us4 II 1 1 ,4. ms II 20, 6-12. 1156 praesencium u nd omnibus sind zusammengefaRt. 1157 Scholz 4 1 4 Anm . 3.

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befriedigend nachgewiesen worden, trotzdem haben wir uns entschlossen, es in diesem Paragraphen ausführlicher zu ent30 wickeln und durch das unmittelbar vorher Gesagte und einige andere Wahrscheinlichkeitsbeweise zu sichern. Denn das gehört nicht zur Befugnis des römischen oder eines anderen Bischofs oder eines Sonderkollegiums von Klerikern unter seinem Vorsitz und darf nicht dazu gehören; deswegen sind alle Reiche und alle größeren und kleineren Staaten der Gefahr der Ketzerei und der Auflösung ausgesetzt. Dazu 5 aber kommt es, wenn dem römischen oder einem anderen Bischof allein ohne Anweisung des allgemeinen Gesetz­ gebers1149 oder eines allgemeinen Konzils eine solche Gewalt überlassen wird. Nehmen wir an, wie schon oben gesagt, irgendein Ketzer oder Totenbeschwörer, ein gieriger und hochmütiger oder sonst verbrecherischer Mensch < sei auf den päpstlimen Thron gekommen > 1150, wie manche1151, man hat es gesehen und kann es lesen, zu römismen Bis , der durch Unwissenheit oder Bos­ heit der Ketzerei verfallen ist, die Gewalt hätte, das göttliche Gesetz auszulegen, wie wir schon früher in II 20 1155 ausge­ führt haben und allen Menschen von heute 1 156 - es handelt sich um zwei Päpste 1157 - aus der Erinnerung und der un­ mittelbaren Ansmauung bekannt ist. Ferner, wenn sim schon für den römismen Bisroof weder 25 im göttlichen nom im mensmlimen Gesetz die Erlaubnis 1 1 4� Scholz 414 Anm. 1. 11 60 Erg. sumptum esse aus dem Relativsatz.

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sibi successorem in episcopali sede Romana, cum tarnen ex ea provincia magis nosse possit et debeat sufficiencias per:­ sonarum et quid eidem provincie magis expediat, cur igitur episcoporum aut aliorum ecclesie prelatorum, curatorum et eciam ministrorum in alienis et remotis provinciis, quibus 5 expediencia minus noscit et ex ipsis sufficiencias persona­ rum, successores instituendi potestas sive auctoritas eidem episcopo permittetur ? § 12. Amplius, cuivis episcopo soli aut eciam cum solo particulari aliquo clericorum cetu conferendi omnia mundi 10 ecclesiastica temporalia, vocata beneficia, pro suo voto, ahsque iam dicta determinacione legali aut generalis concilii et humani legislatoris vel fidelis principantis auctoritate sibi concessa, omnia regna et omnes policie maiores et minores 1 5 solucionis exponuntur periculo. Rursumque ritus hic ad ecclesiarum sive animarum regimen diciores et excellentes seculari potencia vel favore, quantumcumque ignorantes et more perversos; pauperihus, iustis et humilibus, quantum­ cumque doctis et vita pollentibus, preferri faciet. Esto enim 20 Romanum episcopum avarum, superhum aut aliter crimino­ sum, volentem eciam seculariter principari, quales eos et qualia sectari videmus modernis temporibus ipsorum quam plures, propter suam siquidem avariciam insaciabilem et ex7" plenda reliqua sua vota [perversa] iam dicta et propterea 25 pofenturn favores et gracias acquirendas, ecclesiastica officia [ et beneficia] venalia ponet. I psa quoque potentibus, violentis et bellicosis aut iuxta ipsorum requisicionem cognatis, affini­ bus et amicis eorum conferet, quos ad [sua] prava desideria per:ficienda suffragari tarn velle, quam posse putahit. Hec autem, ut diximus, sie evenire possibile, non solum argu-

uss .ex ipsis ex quibus; s. Vo (Graec.) . 1159 Erg. : si reperitur concessa potestas, aus 414,24. 1160 Vgl. W ritus, hier ironisch. 1161 Scholz 415 Anm. 1 . =

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findet, sondern vielmehr das Verbot, sich einen Nachfolger auf dem römischen Bischofsstuhl einzusetzen, obwohl er doch am besten wissen kann und muß, welche Persönlichkeiten 415 aus diesem Lande sich eignen und was diesem Lande am meisten frommt, warum sollte also diesem Bischof dann die G�walt oder Befugnis überlassen werden, Nachfolger für die Bischöfe oder andere hohe Geistliche, für Seelsorger und auch Diener der Kirche in fremden und entfernten Ländern 5 einzusetzen, von denen er weniger erkennt, was für sie vor­ teilhaft ist und welche Persönlichkeiten aus ihnen1158 geeignet sind ? § 1 2 Wenn ferner irgendeinem Bischof allein oder auch 10 ihm mit einer Sondergruppe der Kleriker allein < die Voll­ macht überlassen wird > 1159 , alle zeitlichen Kirchengüter in der \Velt, Benefizien genannt, nach seinem Beliehen zu verleihen ohne die eben erwähnte gesetzlich bindende Anweisung und ohne Ermächtigung durch ein allgemeines Konzil oder den menschlichen Gesetzgeber oder den gläubigen Herrscher, so sind alle Reiche und alle größeren und kleineren Staaten der 15 Gefahr der Auflösung ausgesetzt. Ferner wird diesePraxis 1160 die Wirkung haben, daß für die Leitung der Gemeinden oder Seelen die Reichsten und durch weltliche Macht und Einfluß Hervorragenden, seien sie auch noch so unwissend und sitt­ lich verderbt, den Armen, Gerechten und den Männern nie­ deren Standes, seien sie noch so gebildet und in der Lebens­ führung sauber, vorgezogen werden. Angenommen also, ein 20 römischer Bischof sei habgierig, hochfahrend oder sonst lasterhaft, auch beseelt von dem Wunsche nach weltlicher Herrschaft, wie wir sie - und was für Zielen jagen sie nach ! in heutigen Zeiten sehr zahlreich erleben1161 ; dann wird er nun, um seine unersättliche Habgier und seine übrigen er­ wähnten bösen Wünsche zu befriedigen und um deswegen 25 Gunst und Gnade der Mächtigen zu erwerben, die Ämter und Benefizien der Kirche zum Verkauf stellen. Er wird sie auch den mächtigen, gewalttätigen und kriegslustigen Männern 416 oder auf deren Ersuchen hin ihren Blutsverwandten, Ange­ hörigen und Freunden verleihen, von denen er annimmt, daß sie den Willen wie die Macht haben, ihm bei der Erfüllung seiner schlimmen Wünsche zu helfen. Daß dies aber so kommen kann, wie wir gesagt haben, beweisen nicht nur

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menta probant, verum eciam sie evenisse dudum ac evenire continuo, experiencia rerum magistra docet, quasi fidelibus omnibus inocculta. § 1 3 . Rursum, hac illi officiorum institucionis et tempora­ lium seu beneficiorum distribucionis generali et immoderata 1 0 potestate permissa, regna et policie omnes solucionis aut immense perturbacionis periculo subiacent, si talis episcopus seculares principatus sibi subicere querat, quos omnes secun­ dum suam narracionem scriptam, decretalem vocatam, nobis premissam, Octavus Bonifacius sic Romano cuilibet episcopo t5 coactiva iurisdiccione subiectos expressit, ut id credere fidelibus pertinaciter fore asseruerit de necessitate salutis. Idemque in suis edictis adversus inclitum Ludovicum, ex ducibus Bavarie Rarnanorum regem assumptum, implicet quidam vocatus Romanus episcopus, quamvis hoc solum 20 exprimere videatur de regno sive imperio Romanorum ; reli­ quos tarnen omnes comprehendens per eum, quo sibi hoc cum aliis racionibus permixturn adscribit titulum, plenitu­ dinem scilicet potestatis; hoc enim titulo non magis superest coactiva iurisdiccione principi Rarnanorum quam reliquis 25 regibus, quemadmodum evidenter ostensum est ultimo pri­ me. Hic inquam ergo episcopus hanc super principes seculi iurisdiccionem, quamvis minus debite, querens, talium tem­ poralium seu beneficiorum et decimarum, que ad omnia regna mentem convertenti iam quasi facta sunt inextima­ bilis pars, distribucione seu donacione sedicionem magnam concitare potest et de facto hactenus concitavit et concitat, precipue in universo Rarnanorum imperio, quemadmodum 5 in sequentibus seriose magis dicturi sumus. 5

41?

1 1 64 Sdwlz 416 Anm. 2. m� I 19,9 (13 1 , 1 1 ff.) . 1 166 quae . . . facta sunt faßt heneficia und decimae zusammen. 1 1 67 pars ( regnorum ) .

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Argumente, sondern daR es schon längst so gekommen ist und beständig so kommt, lehrt die Erfahrung, die Lehrerin im Leben, die fast allen Gläubigen offen vor Augen liegt. § 1 3 Ferner : Wird ihm diese umfassende und grenzenlose Gewalt überlassen, die .Ämter zu besetzen und die zeitlichen < Güter > oder Benefizien zu verteilen, so droht allen Reichen 10 und Staaten die Gefahr der Auflösung oder mafiloser Ver­ wirrung, falls ein solcher Bischof die weltlichen Regierungen sich zu unterwerfen sucht; denn sie alle sind, wie Boni­ fatius VIII. in seinem vorhin angeführten Schriftstück, De­ kretale genannt, zum Ausdruck gebracht hat, in d e m Sinne .t edem römischen Bischof in einer zwingenden Rechtspret5 chung unterstellt, daR, wie er hartnäckig versichert hat, dies zu glauben für die Gläubigen zur eroigen Seligkeit notwendig ist. 1162 Denselben Anspruch erhebt11 6 3 ein sogenannter römi­ scher Bischof unausgesprochen in seinen Edikten, die er gegen den ruhmreichen Ludwig, Herzog von Bayern, den erwähl­ ten römischen König, gerichtet hat; obwohl er diesen An­ s pruch allein gegenüber dem Römischen Reiche oder lm20 perium11 6 4 zu äußern scheint, umfaflt er jedoch alle anderen Herrscher unter dem Rechtstitel, durch den er sich diesen An­ spruch zuschreibt, vermischt mit anderen Überlegungen, näm­ lich den der Fülle der Gemalt; nach diesem Rechtstitel näm­ lich steht er in zwingender Rechtsprechung über dem Herr­ scher der Römer wie über den anderen Königen, was im letz25 ten Kapitel des 1 . Teils11 65 einwandfrei gezeigt worden ist. In seinem Streben, sage ich, diese Gerichtshoheit über die weltlichen Fürsten, wenn auch ohne das geringste Recht, zu gewinnen, kann dieser Bischof also durch Verteilung oder Schenkung solcher zeitlicher Güter oder Benefizien und Zehnten11 66 , die schon ein fast unschätzbarer Faktor11 67 dafür ge­ 417 worden sind, seine Absicht auf alle Reiche zu lenken, einen heftigen Aufruhr erregen und hat ihn tatsächlich bis heute erregt und erregt ihn noch, besonders in dem gesamten RömiReich, wie wir im folgenden gründlicher darlegen 5 scheu werden. 5

1 182 1 183

Vgl. 133,20 und Anm. dazu ; 398,4. 412, 1 1 . Der Konj. implicet ist unerklärlich ; gehört die Form zu einem Verbum implicere, das zu explicitus steht wie territus zu terrere ?

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§ 14. Et propterea oportet humanum legislatorem aut ipsius auctoritate principantem attendere in decimarum et reliquorum temporalium ecclesiasticorum accepcione sive assumpcione, an huiusmodi ecclesiastica temporalia super10 fluant sufficiencie pauperum, evangelii ministrorum et reli­ quorum eciam pauperum impotentum, propter quos statuta sunt talia, vel non superfl.uant. Et rursum attendere debet, an talibus bonis de necessitate indigeat ad rempublicam 1 5 defendendam aut aliter sustentandam vel non necessario hiis egeat propter finem iam dictum. Quod si eguerit hiis tempo­ ralibus ex necessitate propter finem predictum, superfluis omnibus sufficiencie iam dictarum ministrorum et paupe­ rum uti et auctoritate propria sumere possurrt ea licite secun20 dum Iegern divinam legislatores sive principantes, nulla obstante contradiccione sacerdotum aut talium ministrorum ; nec solum decimas, verum eciam quartas et tercias, et ad unum dicere, ipsorum et pauperum impotentum sufficiencie quodcumque superfluum. Alimentis enim et hiis quibus 25 tegantur contenti sint sacerdotes, ut dicit apostolus 1 a ad Timotheum 6°. Quod si huiusmodi bonis ad usum sive finem predictum non egent, peccant mortaliter suscipientes sibique consencientes vel ipsos inducentes ad hoc. Non est igitur ecclesiasticorum temporalium distribuendi potestas soli Rarnano episcopo [vel alteri] permittenda, nec sihi et suo soli collegio sacerdotum, ne tali potestate seculares favores in preiudicium principum et papularum sibi querere possirrt et inter Christi fideles inde contenciones et scandala 5 suscitare. Ad hec enim sibi non modicum, quinimo magnum instrumenturn est iam dicta potestas, eo quod plurimi, quam­ vis seducti, credentes talia per ipsum sie passe distribui seque ipsa suscipere iuste, ad acquisicionem et recepcionem ipso­ rum faciliter inclinantur. Propter quod illi episcopo et alteri 10 cuicumque per generale concilium et legislatorem humanum

1 16 8 Bei Scholz Komma nach pauperum, ähnlich 459, 1 0 ; vgl. aber 5 1 1 ,4.. 1169 1 . Tim. 6,8.

Teil II, Kapitel XXI

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§ 14 Deswegen muß der menschliche Gesetzgeber oder der, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert, bei der Annahme oder Übernahme von Zehnten oder von sonstigen zeitlichen Cütern durch die Kirche darauf achten, ob derartige zeitliche 0 Güter der Kirche über den Bedarf der armen1168 Diener des 1 Evangeliums und auch der anderen hilflosen Armen hinaus­ gehen, für die solche Stiftungen geschaffen sind, oder nicht. Ferner muß er darauf achten, ob er solche Güter notwendig 1 5 braucht, um den Staat zu verteidigen oder sonst zu stützen, oder ob er sie zu dem genannten Zweck nicht benötigt. Sollte das der Fall sein, so könnten Gesetzgeber oder Herrscher alles, was über den Bedarf der eben genannten Diener der Kirche und der Armen hinausgeht, gebrauchen und kraft eigenen 20 Rechts zulässigerweise nach dem göttlichen Gesetz an sich nehmen, ohne daß irgendein Einspruchsrecht der Priester oder solcher Diener < der Kirche > entgegenstünde, und nicht nur die Zehnten, sondern auch die Viertel und die Drittel und, um es mit einem Wort zu sagen, alles, was über ihren und der hilflosen Armen Bedarf hinausgeht. Denn mit Nahrung und 25 Kleidung sollen die Priester zufrieden sein, wie der Apostel im 1. Brief an Timotheus im 6. Kap.11 69 sagt. Falls die Herr­ scher aber derartiger Güter zu dem vorhin genannten Ge­ brauch oder Zweck nicht bedürfen, so begehen sie eine Tod­ sünde, wenn sie diese an sich nehmen, ebenso, wer ihnen zu­ stimmt oder sie dazu verleitet. Die Gewalt, die zeitlichen Güter der Kirche zu verteilen, darf also nicht dem römischen oder einem anderen Bischof allein überlassen werden noch ihm mit seinem Kollegium von Priestern allein, damit sie sich nicht durch eine solche Gewalt zum Schaden der Herrscher und Völker weltlichen Einfluß verschaffen und dadurch unter den Christusgläu­ bigen Streitigkeiten und Ärgernisse erregen können. Dazu 5 ist nämlich für sie die eben genannte Gewalt kein schwach es, vielmehr ein wirksames Mittel ; denn sehr viele, wenn auch verführt, sind des Glaubens, der römische Bischof könne solche Güter frei verteilen und sie könnten sie mit Recht annehmen, und dah er gern geneigt, sie zu erwerben und anzunehmen. Deshalb muß das allgemeine Konzil und der 10 menschliche Gesetzgeber jenem Bischof und jedem anderen diese der Ruhe der Gläubigen gefährliche Gewalt ganz und

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fidelium hec quieti perniciosa potestas penitus subtrahenda est aut debite moderanda, presertim cum eidem lege divina minime debeatur, sed, sicut est, fuerit pocius interdicta, quemadmodum ostensum est sufficienter 1 3°, 14° et 1 ?'0 huius. 15 § 15. Propter eandem quidem igitur causam conferendi licencias in disciplinis iam dicto episcopo et alteri cuicum­ que presbytero ac ipsorum soli collegio debet ac licite potest revocari potestas. Est enim hoc humani legislatoris aut eius 20 auctoritate principantis officium, quoniam hec ad commune civium commodum aut incommodum cedere possunt ''pro statu presentis seculi'c, quemadmodum demonstratum est 15° prime. Eodemque modo senciendum est de sanetarum canoni­ zacione seu veneracione instituenda. Potest enim hec nociva 25 vel proficua fore communitati fidelium civium. Posset nam­ que perversus episcopus hac potestate fretus quosdam pro­ nunciare sanctificatos, ut ipsorum dictis aut scriptis suas roboraret opiniones perversas in preiudicium aliorum ; propter quod auctoritas hec est soli generali concilio fidelium committenda. Sie etenim Gregorius Quartus ex assensu Lu­ dovici imperatoris et omnium episcoporum instituit, ut festurn omnium sanctorum celebraretur; unde eciam de con5 similibus omnibus similiter senciendum. Rursum, quoniam hac sibi temporibus antiquis per legis­ latorem auctoritate concessa propter ipsorum vite sanctita­ tem et doctrine sufficienciam, ut ex sciencia civilium actuum evidenter apparet, in oppositas temporibus hiis qualitates t o conversi literatorum collegia sibi subiciunt et seculi princi­ pantibus subtrahunt, ipsisque tamquam non modicis instru­ mentis, quinimo maximis in suis acquirendis et defendendis �surpacionibus adversus seculi principantes utuntur epi­ scopi supradicti. Nolentes enim aut dubitantes viri literati 15 suorum magisteriorum titulos perdere appetitu commodi et 1 174

Scholz 4 1 9 Anm. 1 .

1175 rursum ( sentiendum est ) ·, quoniam, vgl. 41 8,23.

11 70 Nach Pr.-0. 341 Anm. 3 und Scholz 419 Anm. 2 ist das Corp. iuris

civilis gemeint ; die Stelle wird nicht angegeben.

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gar entziehen oder auf das rimtige Maß einsmränken, zumal da sie ihm nam dem göttlimen Gesetz keineswegs zusteht, s.ondern tatsämlich ihm vielmehr untersagt ist ; das haben wir in II 13, II 14 und II 1 7 1 170 zur Genüge gezeigt. § 15 Aus demselben Grunde also soll und kann die Gewalt, Lehrgenehmigungen zu erteilen, dem eben erwähnten Bischof und jedem anderen Priester und deren Sonderkollegium mit Recht entzogen werden.1171 Dies ist nämlim Amt des mensch­ lichen Gesetzgebers oder dessen, der kraft Ermämtigung durm ihn regiert ; denn jene Gewalt kann sim ja zum gemein­ samen Vorteil oder Namteil der Bürger für die gegenwärtige Welt auswirken, wie in I 1 51172 gezeigt worden ist. Ebenso muß man über die Kanonisation von Heiligen oder die Einführung einer Heiligen -Verehrung denken. Diese kann nämlim für die Gemeinsmart der gläubigen Bürger schädlich oder nützlich sein. Denn ein böswilliger Bisroof könnte im Vertrauen auf diese Gewalt einige zu Heiligen erklären, um durm deren Worte oder Smriften seine ver­ kehrten Meinungen zum Smaden der anderen zu stützen1173 ; deswegen ist diese Vollmamt allein dem allgemeinen Konzil der Gläubigen zu überlassen. So hat Gregor IV.U74 mit Zu­ stimmung des Kaisers Ludroig und aller Bischöfe das Fest Allerheiligen eingeführt; daher muß man aum über alle ähn­ limen ebenso denken. Ferner 11 75, der Gesetzgeber hat ihnen diese Gewalt in alter Zeit wegen der Lauterkeit ihres Lebenswandels und wegen der Tiefe ihrer Gelehrsamkeit überlassen, wie sim aus dem Zivilrecht117 6 deutlich ergibt ; obwohl aber die obengenannten Bismöfe in heutiger Zeit die entgegengesetzten Eigensmarten angenommen haben, unterwerfen sie sim < nom immer > die Universitäten und entziehen sie den weltlimen Herrsmern und gehraudien sie als keineswegs smwame, vielmehr höchst wirksame Werkzeuge bei dem Durchsetzen und der Verteidi­ gung ihrer widerremtlichen Ansprüme gegen die weltlichen Fürsten. Die Gelehrten haben nämlim keine Lust, ihre berufliehen Ansprüme zu verlieren, aber befürmten das, auch 11 10 1 11 1 1 1 12 11 73

II 13, 33 ; II 14,16. (Chr. Scholz 418 Anm. 1. I 1 5,8. Scl10lz 418 Anm. 2.

u.

die Ap. waren arm) ; II 1 7, 16-19.

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glorie consequentis, hosque sibi episcoporum ·=· Romanorum aut aliorum'' auctoritate advenisse, non aliunde, credentes, votis horum assequuntur et quam arbitrantur eorum auc­ toritati contradicentibus adversantur tarn seculi principibus quam subiectis. Verum quia eiusmodi auctoritas conferendi disciplinarum licencias est humani legislatoris aut illius auc­ toritate principantis, ne literatorum et sapientum favore careant, sed hunc, qui su p er auxilia extrinseca queque ad suos stabiliendos et defendendos principatus et policias preponderandus est, acquirant et servent, iam dictas soli debent et licite possunt auctoritate propria conferre licencias nota­ riatuum et reliquorum magistratuum sive officiorum civilium titulos. Hoc enim private persone, cuiuscumque digni­ tatis aut condicionis existat, vel collegio particulari cuiquam competere nequit, inquantum huiusmodi, ''sed soli princi­ panti'-· , quemadmodum demonstratum est 1 5° et 1 ?0 prime.

C A P I T U L UM XXII

Qu a l i t e r R o m a n u s e p i s c o p u s e t i p s i u s e c c l e s i a s i t ceterarum caput et p rincipalior; et propter quam a u ct o r i t a t e m h o c i l l i s c o n v e n i a t . Determinatis autem hiis, ostendere volumus consequenter, expediens et perutile fore unicum episcopum et unicam ec­ clesiam sive collegium sacerdotum aliarum caput sive princi­ paliorem statuere. Primum tarnen oportet dividere modos et intenciones, quibus unicam ecclesiam aut episcopum aliorum t5 omnium esse caput intelligi potest, ut ipsorum convenientem ab inconvenientibus et inexpedientibus separemus. Esse au­ tem unieuro episcopum aut ecclesiam omnium aharum caput, uno modo intelligi potest, ut videlicet secundum ipso10

1177 I 15, 14; I 17 (Einheit der Regierung) .

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streben sie nach dem daraus folgenden Vorteil und Ruhm und sind der Meinung, diese < Würden und Stellungen > seien ihnen durch die römischen oder anderen Bischöfe zuteil geworden, nicht woandersher ; daher fügen sie sich deren Wünschen und treten den weltlichen Fürsten wie deren Untertanen entgegen, wenn diese der Machtbefugnis wider­ sprechen, die < die Gelehrtem den Bischöfen zuschreiben. Aber eine derartige Befugnis, die Lehrerlaubnis zu erteilen, steht dem menschlichen Gesetzgeber zu oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert ; um daher nicht die Gunst der gebildeten und klugen Männer zu verlieren, sondern ihre Gunst, die höher als alle äußeren Hilfen einzuschätzen ist, wenn es um Festigung und Verteidigung der R.egierungen und Verfassungen geht, sich zu erwerben und zu erhalten, müssen und können sie allein zulässigerweise kraft eigenen Rechts die obenerwähnte Genehmigung für Übernahme von Notariaten erteilen und die Rechtstitel der übrigen Behörden oder Staatsmänner verleihen. Dafür kann nämlich niCht eine Einzelperson, welcher Würde oder sozialen Stellung auch immer, oder ein Sonderkollegium als solches zuständig sein, sondern allein der Herrscher, wie in I 15 und I 1 ? 11 77 gezeigt worden ist. KA P I T E L XXII

I n w e l c h e m S i n n s i n d d e r r ö m i s ch e B i s c h o f u n d seine K irche Haupt und Führung der anderen, und a u s w e l c h er Vo l l m a ch t k o m m t i h n e n d a s z u ? 10

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§ 1 Nach Erledigung dieser Fragen wollen wir anschließend zeigen : Es ist zweckmäßig und sehr nützlich, einen einzigen Bischof und eine einzige Kirche oder ein einziges Kollegium von Priestern als Haupt oder Führung der anderen einzu­ setzen. Zuvor jedoch müssen wir die Arten und Absichten unterscheiden, in denen man verstehen kann : eine einzige Kirche oder ein einziger Bischof Haupt der anderen, um die zweckmäßige unter ihnen von den unzweckmäßigen und ungeeigneten zu trennen. (1) DaR aber ein einziger Bischof oder eine einzige Kirche aller anderen Haupt ist, kann erstens so verstanden werden : Alle Kirchen und Einzelpersonen der

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rum diffinicionem et determinacionem scripture sacre sensum, in quibus dubia fuerit, precipue de credendis et obser­ vandis de necessitate salutis, omnes mundi ecclesie ac per­ sone singulares credere teneantur, ritumque ecclesiasticum sive cultum divinum secundum ipsorum ordinacionem ser­ vare. Iuxta quem sensum sive modum nullus episcopus aut 25 ecclesia unica cuiusquam provincie, inquantum huiusmodi, sive collegium sacerdotum caput aliarum est statuto divine legis, nec secundum exemplum ecclesie primitive talem ali­ quam unicam expedit esse ; neque similiter legislatoris hu­ mani fidelis ordinacione aliqua seu decreto. Sie enim cum reli30 quis inconvenientibus, que sequuntur ad hec, ex necessitate salutis credere tenerentur omnes principes, communitates et populi secundum Octavi Bonifacii diffinicionem seu deter­ minacionem, se fore Romano pape coactiva iurisdiccione subiectos ; rursumque secundum cuiusdam vocati pape 5 Romani constituciones, non esse Christi consilium, spernere sive renunciare in communi et proprio temporalium, que ad presentem necessitatem superfluunt, possessioni sive domi­ nio seu potestati licite contendendi pro talibus aut talia sibi vendicandi coram iudice coactivo. Quorum unum falsum 1 0 orrendissimum est, secundum vero tamquam hereticum de­ clinandum, quemadmodum ex 1 3°, 14°, 16° et 20° ac 2 1 ° huius clare visum est prius. § 2. Alio rursum modo extimare est unicum episcopum et ecclesiam sive collegium caput sive principaliorem cunctis t5 aliis, sicut omnes mundi clerici sive collegia clericorum sibi sint coactiva iurisdiccione subiecti. Quod eciam nulli epi­ scopo vel ecclesie lege divina convenit, sed magis interdicitur consilio vel precepto, quemadmodum ostensum est suffi­ cienter 4°, 5°, *8°, 9°* et 1 1° huius. �o § 3 . Alio quoque modo intelligi potest prioritas hec sie, ut ad unicum episcopum aut ecclesiam sive collegium pertineat

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117 8 1 1 1u 1 1 8 () ust

Sclwlz 421 Anm. 1 . I 1 13,6 u. 33 ; I I 1 4,3 ; I I 16,8 ; I I 20,7; I I 2 1 , 12.

Parallel 424,20 ; daher sie, ut zu sdueiben (s. aud! 421 ,20) . Anm. 1 08 1 ; II 8, 7-9 ; II 1 1 , 1 .

Teil Il, Kapitel XXII

Welt sind verpflichtet, ihre Bestimmungen oder Auslegungen des Sinnes der Heiligen Schrift in Zweifelsfällen, zumal in .dem, was man glauben und befolgen muß, weil es zur Seligkeit notwendig ist, anzunehmen und den kirchlichen Ritus oder den Gottesdienst nach deren Anordnung durchzu­ führen. In dieser Bedeutung oder Auffassung ist kein Bischof 25 oder keine einzige Kirche irgendeines Landes als solche oder ein K ollegium von Priestern nach dem göttlichen Gesetz Haupt der anderen, noch ist es zweckmäßig, wie das Vorbild der Urkirche lehrt, wenn eine einzige Kirche eine solche Rolle spielt ; noch ist eine < Kirche Haupt > in ähnlicher Weise durch Anordnung oder Erlaß des gläubigen menschlichen Gesetz­ gebers. Dann wären nämlich, abgesehen von anderen Sinn30 losigkeiten, die daraus folgen, alle Herrscher, Gemeinschaften und Völker verpflichtet, nach der These oder dem Dekret des Bonifatius VIII., als für die Seligkeit notwendig zu glauben, sie seien dem römischen Papst in einer zwingenden Recht­ sprechung unterstellt, und ferner nach den Verfügungen eines gewissen sogenannten römischen Papstes zu glauben, s es sei nicht Christi Rat, in Entsagung zu verzicht�n auf Besitz oder Eigentum an zeitlichen Gütern, die über den augenblick­ lich notwendigen Bedarf hinausgehen, als Gemeingut oder Eigengut oder auf die Befugnis, vor einem zwingenden Rich­ ter zulässigerweise um solche Güter einen ProzeR zu führen oder sie für sich in Anspruch zu nehmen.1178 Das erste ist eine t o ganz schreckliche Irrlehre, das zweite muß als ketzerisch abgewiesen werden, wie aus II 13, II 14, II 16, II 20 und ll 2 1 l 179 früher klar ersichtlich gewesen ist. § 2 (2) Zweitens ist es möglich, einen einzigen Bischof und eine einzige Kirche oder ein Kollegium für Haupt oder Führung aller anderen zu halten in folgendem Sinne 1180 : Alle t5 Kleriker der Welt oder Kollegien von Klerikern sind ihnen in einer zwingenden Rechtsprechung unterstellt. Auch das kommt keinem Bischof und keiner Kirche nach dem göttlichen Gesetz zu, sondern wird vielmehr durch Rat oder Gebot untersagt, wie in II 4, II 5, II 8, II 9 und II 1 1 1l-8 1 zur Genüge gezeigt worden ist. § 3 (3) Drittens kann dieser Vorrang auch so verstanden 20 werden : Einem einzigen Bischof oder einer einzigen Kirche 20

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omnium officialium ecclesiasticorum institucio et tem­ poralium sive heneficiorum distrihucio, deposicio et ahla­ cio. Quo eciam modo lege divina convinci non potest, epi­ scopum aliquem aut ecclesiam aliquam ceteris esse priorem, 25 sed oppositum magis. Et ad unum dicere, virtute verbarum scripture convinci non potest, ''quod':· secundum ullam auc­ toritatem sive potestatem sit aliquis episcopus aut ecclesia 422 caput sive principalis aliorum aut aliarum, quemadmo­ dum ostensum est ex 15°, 16°, 1 7°, 20° huius et in capitulo precedente. § 4. Unde neque alium episcopum plus excommunicare 5 potest alter aut sihi commisso populo sive provincie divina interdicere sacramenta vel officia, quam econverso, neque auctoritatis plus hahet in alterum aut sihi commissum populum, quam econverso, nisi per generale concilium aut fidelem legislatorem humanum super alium aut alios aucto10 ritas sive potestas hec sihi concessa foret. Omnes enim episcopi equalis meriti sunt et auctoritatis, inquantum epi­ scopi sunt, ut ex epistola leronymi Ad Evandrum induxi­ mus 15° huius. Nec perfeccior est aut fuit, cui perfeccior apostolus aut episcopus manus imposuit, ut apparet 1 a ad 15 Corinthios 3°. N emo enim, inquit apostolus, in hominibus glorietur. Omnia enim vestra sunt, sive Paulus, sive Apollo, sive Cephas etc., vos autem Christi. Uhi glossa : 'Vos autem Christi', non hominum in creacione vel recreacione. Propier quod non refert ad aliquod sacramentum, an perfeccior vel 20 minus perfectus preshyter manus imponat, dummodo auc­ toritatem haheat, quia solus Deus effectum dat sacramenti. Unde eadem et eodem inquit apostolus solvens ad duhita­ cionem hanc : Ego plantavi, Apollo rigavit, sed Deus incre25 mentum dedit. Sicut enim plantans arhorem aut irrigans non 1 1 82 1 1 8a 1 184 1 1 85 c: a a

II 15,7-8, II 16,1 ; II 1 7,8 (Abs. 2) -1 5 ; 16 (Der Gesetzgeber hat die Geistlichen einzusetzen und die Benefizien zu verteilen) ; II 20, 4. II 15, 8 u. 10. 1 . Kor. 3,21-23. Scholz 422 Anm. 3. 1 . Kor. 3,6.

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oder einem einzigen Kollegium kommt es zu, alle kirchlichen Würdenträger einzusetzen und die zeitlichen Güter oder Benefizien der Kirche zu verteilen, sie zu entziehen und weg­ zunehmen. Auch bei dieser Auffassung kann durch das gött­ liche Gesetz nicht nachgewiesen werden, daß ein Bischof oder eine Kirche vor den anderen einen Vorrang habe, sondern vielmehr das Gegenteil. Und um es mit einem Wort zu sagen : Kraft der Worte der Schrift kann nicht nachgewiesen werden, daß ein Bischof oder eine Kirche in irgendeiner Machthefugnis oder Gewalt Haupt oder Führung der anderen Bischöfe oder der anderen Kirchen sei, wie in II 15, II 16, II 1 7 und II 201182 und im vorausgehenden Kapitel gezeigt worden ist. § 4 Daher kann ehensowenig ein Bischof einen anderen exkommunizieren oder dem diesem anvertrauten Volke oder Lande die göttlichen Sakramente oder die kirchlichen Amtshandlungen verbieten wie umgekehrt, noch hat einer mehr Machtvollkommenheit gegenüber einem anderen oder dem diesem anvertrauten Volke als umgekehrt, wenn ihm nicht ein allgemeines Konzil oder der gläubige mensch­ liche Gesetzgeher diese Vollmacht oder Gewalt über einen anderen oder andere zugesprochen hat. Denn alle Bischöfe haben gleiches Verdienst und gleiche Vollmacht als Bischöfe, wie wir aus dem Briefe des Hieronymus ,An Evander' in II 1 5 118 3 angeführt haben. Und keiner ist oder war voll­ kommener, weil ihm ein vollkommenerer Apostel oder Bischof die Hände aufgelegt hat, wie sich aus dem 1 . Korintherbrief Kap. 3 118 4 ergibt. Denn niemand, sagt der Apostel. soll sich eines MensChen rühmen. Es ist doch alles euer, sei es Paulus, sei es Apollos, sei es Kephas usw., ihr aber seid Christi. Dazu erklärt die Glosse 1185 : Ihr aber seid Christi, nicht der Menschen, in Schöpfung oder Wü}dergeburt. Des­ halb ist es für kein Sakrament von Bedeutung, ob ein mehr oder weniger vollkommener Priester die Hände auflegt, wenn er nur die Vollmacht dazu hat ; denn Gott allein gibt die Wir­ kung des Sakraments. Daher sagt in demselben Briefe und in demselben Kapitel 1 1 8 6 der Apostel zu diesem Zweifel und löst ihn damit auf : Ieh habe gepflanzt, Apollos hat begossen, doch Gott hat wachsen lassen. Wie nämlich, wer einen Baum pflanzt oder begießt, ihm nicht die Kraft gibt, zu keimen

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est qui germinare seu opera vite facere tribuit, sed qui dat animam vegetantem plante, ita vult apostolus, quod impo­ nentes manus, docentes aut benedicentes, non dant opera meritoria, sed qui dat caracterem aut graciam inferiorem, 30 Deus ipse, quamvis et hii adiuvent, quemadmodum irrigantes. Et quoniam *numero* unus est dator interioris auctori­ 423 tatis �·et caracteris eiusdem speciei* et gracie, Deus ipse, ideo­ que omnes episcopi sive sacerdotes equalis sunt auctoritatis et meriti a Deo dati, secundum quem modum Ieronymus intellexit. 5 § 5. Non est igitur episcopus aliquis aut ecclesia caput sive principalior aliarum, inquantum huiusmodi, virtute verbo­ rum scripture. Caput enim ecclesie simpliciter et fidei fun­ damentum, Dei ordinacione immediata, secundum scriptu­ ram sive veritatem, unieuro est Christus ipse, non aliquis t o apostolus, episcopus aut sacerdos, ut apertissime dicit apo­ stolus ad Ephesios 4° et 5°, ad Colossenses 1° et 1 a ad Corin­ thios 10°. Unde omnes apostolos, prophetas, doctores reli­ quosque fideles dicit constituere corpus Christi, quod est ecclesia, tamquam reliqua membra ; neminem autem sicut 1 5 caput, nisi solum Christum. Unde ad Ephesios 4° : Et ipse dedit quosdam quidem apostolos, quosdam autem prophetas, alios vero evangelistas, alios autem pastores et doctores ad consummacionem sanctorum in opus ministerii, in edificaci20 onem corporis Christi, donec occurramus omnes in unitatem fidei etc. Et parum infra subiungit : Unitatern aufem facien­ tes in caritate, crescamus in illo per omnia, qui est caput Christus. Ex quo totum corpus compactum et connexum per omnem iuncturam subministracionis, secundum operacio25 nem in mensuram uniuscuiusque membri, augmentum cor­ poris facit, in edificacionem sui in caritate. Rursum 5° : Quon­ iam vir caput est mulieris, sicut Christus caput est ecclesie, us9 Eph. 4,1 1-13 : :n:eo' Tov "aTaeuap,ov (Zurüstung, Ausrichtung)

Täiv dylwv el, leyov 6t=ovla,. 1190 Eph. 4, 1 5-1 6 : el, avT6v ; in illo ist nicht Sprachgehrauch des Mar­ silius, vgl. Anm. 852. 1191 augmentum facit aiJ�naw :n:oteiTat av�dveTat wächst. 119 2 Eph. 5,23-24 : avTO' awTi}(! TOV awp,aTo,. =

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'7? 1

oder Lebensfunktionen zu verrichten, sondern wer der Pflanze die belebende Seele gibt, so meint der Apostel : Nicht, ,wer die Hände auflegt, lehrt oder segnet, gibt die verdienst­ lichen Wirkungen, sondern der, der den inneren Charakter oder die innere Gnade gibt, Gott selbst, obwohl auch jene 3 0 dabei helfen wie die, die begießen. Und da ja nur ein einziger Geber der inneren Vollmacht oder des gleichen inneren Cha­ rakters und der inneren Gnade 118 7 vorhanden ist, Gott selbst, darum haben alle Bischöfe oder Priester die gleiche Vollmacht und das gleiche Verdienst als Gabe Gottes, wie es Hieronymus verstanden hat. 5 § 5 Ein Bischof als solcher oder eine Kirche als solche ist also nicht Haupt oder Führung der anderen kraft der Worte der Schrift. Denn Haupt der Kirche und Grund des Glaubens ist schlechthin durch die von Gott unmittelbar geschaffene Ordnung gemäß der Schrift oder der Wahrheit einzig und 10 allein Christus selbst, kein Apostel, Bischof oder Priester, wie der Apostel im Epheserbrief im 4. und 5., im Kolosserbrief im 1 . und im 1 . Korintherbrief im 10. Kap. 1188 mit klaren Wor­ ten sagt. Daher bilden alle Apostel, Propheten, Kirchenlehrer und die übrigen Gläubigen, so meint er, den Leib Christi, < d. h. > die Kirche, als seine übrigen Glieder ; niemand aber ist 15 gleichsam das Haupt als Christus allein. Daher sagt er im Epheserbrief im 4. Kap.U89 : Und er selbst hat gegeben den einen : Apostel zu sein, den anderen : Propheten, den anderen : Evangelisten, den anderen : Hirten und Lehrer für die Voll­ endung der Heiligen zum Werke des Dienstes, zur Erbauung 20 des Leibes Christi, bis roir alle zur Einheit des Glaubens gelangen usw. Etwas weiter unten fügt er liinzu1190 : Laßt uns aber die Einheit sChaffen in der Liebe und roamsen in allen StüCken zu ihm hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt und ·verbunden ist durCh jedes Gelenk, das Hilfe leistet bei der Tätigkeit, dem Ma/l 25 eines jeden Gliedes entspreChend, den Körper waChsen lä{Jt11 9 1 zu seiner Auferbauung in Liebe. Ferner sagt er im 5. Kap.U 92 : Denn der Mann ist das Haupt der Frau, roie Christus das Haupt der Gemeinde ist, er selbst, der Erlöser 11 87 11 88

Zu dem Einschub 423, 1 vgl. 422, 28 (interior gehört zu caracter wie zu gracia) . Eph. 4,1 5 ; 5,23 ; Kol. 1 , 1 8 ; 1 . Kor. 10,4.

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ipse salvator corporis. Sicut ecclesia subiecta est Christo, ita [etj mulieres viris suis in omnibus. Nusquam tarnen :;o Cepham dixit ecclesie caput, nec ecclesiam illi tamquam capiti fore subiectam, cum tarnen hec dicta fuerint, post424 quam Christus surrexit a mortuis et super celos ascendit. Unde parum infra eodem in persona omnium fidelium loquens apostolus ait : Nemo enim umquam carnem suam odio habuit, sed nutrit et fovet eam, sicut et Christus eccle-, siam, quia membra sumus corporis eius. Amplius ad Colos­ senses 1 ° : Et ipse est caput corporis ecclesie, qui est princi­ pium primogenitus ex mortuis, ut sit in omnibus ipse prima­ turn tenens. Idem dixit aperte beatus Petrus prima canonica 1. 0 sua, capitulo 5° : Et cum apparuerit princeps pastorum, Chri­ stus scilicet, percipietis immarcescibilem gracie coronam. Est rursum et fuit Christus solus ecclesie sive fidei fun­ damentum et petra. Unde 1a ad Corinthios 3° : Fundamenturn enim aliud nemo ponere pofest preter id quod positum est, t 5 quod est Christus lesus. Et rursum eiusdem 10° : Petra autem erat Christus. § 6. Alio vero modo episcopum aliquem aut ecclesiam esse vel statui caput et ceteris principaliorem auctoritate gene­ ralis concilii vel fidelis legislatoris humani, convenienter 20 intelligi potest sie, ut videlicet ipsius sit officium, cum suo tarnen collegio sacerdotum, quos sibi fidelis legislator huma­ nus aut generale concilium ad hoc associare voluerit, deli­ b eracione preha� ita, si casus emerserit fidei, aut fidelium evidens necessitas, sibi delatus, propter quem expediens 2} omnino videatur generale concilium convocare, id insinuare 425 atque significare debeat fideli legislatori superiore carenti, iuxta cuius coactivum preceptum id debeat quemadmodum diximus, congregari. Cuius eciam officium sit in dicto con1 1 93 Eph. 5,29-30. 1 194 Kol. 1 , 1 8. 1 1 95

1. Petr. 5,4. 1. Kor. 3 ,1 1 . 1 1 g 7 1 . Kor. 10, 4. 1 198 Scholz 424 Anm. 6. 1 1 99 Die Wahl der Kardinäle wird also dem Papst entzogen. 1 196

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des Leibes. Wie die Gemeinde Christus untertan ist, so < Seien es > auch die Frauen ihren Männern in allen Stüdcen. Nir3 0 ,gends jedoch hat er gesagt, Kephas sei das Haupt der Kirche, noch die Kirche sei ihm als ihrem Haupte untertan, obwohl doch diese Worte gesprochen sind, nachdem Christus aufer­ standen ist von den Toten und zum Himmel aufgefahren. Daher sagt der Apostel etwas weiter unten in demselben Kapitel 119 3 im Namen aller Gläubigen : Denn niemand hat nodt sein eigenes Fleisch gehaßt, sondern er hegt und pflegt 5 es, roie auch Christus die Gemeinde, roeil roir Glieder seines Leibes sind. Ferner im Kolosserbrief im 1 . Kap.1194 : Und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, der da ist der Anfang, Erstgeborener von den Toten, auf daß er habe in allem den ersten Platz. Dasselbe hat deutlich der selige Petrus in seinem ersten kanonischen Brief im 5. Kap.U95 erklärt : Und roenn der 10 Oberhirte, Christus, sich offenbaren roird, roerdet ihr den un­ verwelklichen Kranz der Herrlichkeit davontragen. Christus ist und war ferner allein der Gemeinde oder des Glauben s Grund und Fels. Daher heißt es im 1 . Korintherbrief im 3. Kap.U 96 : Denn einen anderen Grund kann niemand legen aufler dem, der gelegt ist, roelcher ist ] esus Christus. Endlich 15 steht im 1 0. Kap. desselben Briefes 119 7 : Der Fels aber roar Christus. § 6 1198 (4) Viertens kann aber die Möglichkeit, daß auf Grund der Vollmacht eines allgemeinen Konzils oder des gläubigen menschlichen Gesetzgebers ein Bischof oder eine Kirche Haupt und Führung der übrigen sei oder dazu ein­ gesetzt werde, sinnvoll so verstanden werden : Wenn eine zo Frage des Glaubens oder eine unbestreitbare Notwendigkeit für die Gläubigen auftaucht und ihm hinterbracht wird, weswegen es ganz und gar zweckmäßig erscheint, ein allge­ meines Konzil einzuberufen, dann ist es sein Amt - doch zu­ sammen mit seinem Priesterkollegium, das ihm der gläubige menschliche Gesetzgeber oder das allgemeine Konzil dafür 25 hat beigeben wollen - 1199 , nach vorausgehender Beratung den Fall an den gläubigen Gesetzgeber, der keinen höheren über sich hat, weiterzuleiten und ihm zur Kenntnis zu bringen ; nach dessen zwingender Weisung mü.fite ja das Konzil, wie wir gesagt haben, versammelt werden. Dieses < obersten Bischofs > Amt soll es auch sein, auf dem genannten

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cilio, inter episcopos et clericos omnes primam seclern seu 5 locum teuere, deliberanda proponere, deliberata in presencia tocius concilii recolligere in s criptis sub sigillis authenticis et tabellionum signaculis redigi facere ; cunctis requirentibus ecclesiis talia communicare atque insinuare ; ea quoque scire, docere ac de talibus respondere ; deliberatorum quoque, tarn 1 0 circa fidem quam ritum ecclesiasticum sive cultum divinum et reliquorum ordinatorum ad pacem atque fidelium unita­ tem, transgressores per ecclesiasticam aliquam arcere cen­ suram, ut excommunicacionis vel interdicti aut alterins pene consimilis, secundum concilii tarnen determinacionem et per 15 ipsius auctoritatem, nequaquam vero potestate aliqua co­ activa pene realis aut personalis inflictiva pro statu et in statu presentis seculi. Cuius eciam, cum sibi per legislatorem fidelem dati et instituti collegii parte valenciori sive maiori, 20 iudicare sit super episcopos et ecclesias, non subinvicem positas, de contencionibus spiritualibus proprie dictis, iuxta secundam scilicet ac terciam huius nominis spirituale signi­ ficacionem, assignatis 2° huius ; in quibus cadunt ea que circa ritum ecclesiasticum ordinata fuerint per concilium obser25 vari ; quamvis eiusmodi episcopo ecclesie sive collegio circa tale officium secundum apertam, verisimilem et quasi com­ munem aliarum ecclesiarum sentenciam perverse nimis aut negligenter habente, licitum sit ecclesiis reliquis humanum legislatorem fidelem appellare, si per l egislatorem aut ipsius 30 auctoritate principantem corrigi possit convenienter, vel generale concilium requirere, si casus ille per reliquarum ecclesiarum ampliorem parfern et legislatoris iudicium exi­ gat concilium huiusmodi congregari.

1 2 oo Hier ist eine zahlenmäflige Mehrheit gemeint. 12 01 II 2, 5 (147,1 0) . 1 2 02 Vo (Wortstellung) .

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Konzil unter den Bischöfen und Klerikern allen den ersten Sitz oder Platz einzunehmen, die Tagesordnung zu bestim_men, das Ergebnis der Beratung in Gegenwart des ganzen Konzils zusammenzufassen, die Verhandlungen schriftlich niederlegen zu lassen, versehen mit den echten amtlichen Siegeln und den Stempeln der Geheimschreiber, es in Ab­ schriften ausfertigen zu lassen, allen Kirchen, die darum ersuchen, solche < Beschlüsse > mitzuteilen und an sie weiter� zuleiten, auch die < Beschlüsse > zu kennen, zu lehren und darüber Auskunft zu geben und diejenigen, die verstoßen t o gegen das, was über den Glauben wie über den kirchlichen Ritus oder den Gottesdienst beschlossen und sonst für Frieden und Einheit der Gläubigen angeordnet ist, durch eine schwere Kirchenstrafe zu treffen, z. B. Exkommunikation oder Interdikt oder eine andere ähnliche Strafe, jedoch < nur > nacl:t Anweisung des Konzils und kraft Ermäcl:ttigung durch 15 das K onzil, keineswegs aber auf Grund einer zwingenden Befugnis, eine Strafe an Gut oder Person für den Stand und in dem Stand der gegenwärtigen Welt zu verhängen. Seine Aufgabe soll es auch sein, mit dem bedeutsameren Teil oder der Mehrheit 1200 des ihm von dem Gesetzgeber bei­ gegebenen und eingesetzten K ollegiums über Bischöfe und 20 Kirchen, die einander nicht untergeordnet sind, Gericht zu halten in geistlicl:ten Streitigkeiten im eigentlichen Sinne, nämlich in der zweiten und dritten Bedeutung von geistlich, wie sie in II 2 1201 festgestellt sind ; darunter fällt das, was nach Konzilsbescl:tluß hinsicl:ttlich des kirchlicl:ten Ritus zu beobachten ist. Gesetzt indessen, ein Bischof einer solchen 25 Kirche 1202 oder ein Kollegium zeige sich in < Erfüllung > einer solchen Pflicht nach der offen ausgesprochenen, wahrschein­ l i chen und so gut wie einhelligen Meinung der anderen Kir­ chen allzusehr in irrigen Anschauungen befangen oder zu nachlässig, so soll es für die übrigen Kirchen zulässig sein, an den gläubigen menscl:tlicl:ten Gesetzgeber zu appellieren, wenn < der Scl:tuldige > von dem Gesetzgeber oder dem, der :;o kraft Ermächtigung durcl:t ihn regiert, in angemessener Weise zurecl:ttgewiesen werden kann, oder ein allgemeines Konzil zu verlangen, wenn jener Fall nacl:t der < Meinung der > Mehr­ heit der übrigen Kirchen und dem Urteil des Gesetzgebers die Einberufung eines derartigen Konzils erfordert. 5

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Hoc igitur solo et ultimo modo episcopum aut ecclesiam aliquam unicam statuere aliarum caput seu principaliorem in cura pastorali, absque iurisdiccione coactiva, quamvis non sit lege divina preceptum, quoniam et sine hoc fidei unitas, s licet non sie faciliter, salvaretur, expedire dico ad hanc uni­ tafern facilius et decencius observandam. Deinde vero mon­ strandum erit nobis, qualem episcopum, ecclesiam sive col­ legium sacerdotum et clericorum, et ex qua diocesi sive provincia conveniencius expediat aliorum caput sive prin10 cipaliorem statuere ; demum vero cuius aut quorum sit auctoritas huius institucionis, correccionis et deposicionis eciam, si visum fuerit expedire. § ?. Horum autem primum, videlicet quod tale caput ec1 5 clesiarum unicum expediat instituere, supposita necessitate convocandi quandoque generale fidelium concilium et sacer­ dotum propter utilitates predictas circa ecclesiasticum ritum sive fidem et cultum divinum, persuaderi pofest ex eo, quod frustra occuparentur plures episcopi aut ecclesie in officio, zo quod per unicum episcopum et ecclesiam eque convenienter exerceri et compleri pofest. Nunc autem insinuacio concilio­ rum predicta cum reliquis, que ad huius capitis ecclesiastici officium diximus pertinere, convenienter eque aut con­ veniencius per unieuro exerceri possunt et perfici, quam per 25 plures. Amplius ex huiusmodi capitis sive principalioris super episcopos et ecclesias institucione contencio tollitur et scandalum oriri possibile. Nam in generali concilio congre­ gato agendorum dare formam et modum oportet. Hec autem ordinare aut precipere, si quilibet indifferenter posset et '0 vellet, inter eos verisimiliter suscitaretur scandalum, confusio atque contencio. Et rursum, quoniam in generali con­ cilio congregato attenditur ordo loci, ut in sedendo vel stando, sermonis eciam, ut in proponendo et deliberando et

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42'5,25.

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Nur i:n dieser letzten Auffassung, sage ich, ist es nun zweckmäßig, einen einzigen Bischof oder eine einzige Kirche als Haupt oder Führung der anderen in der Seelsorge ein­ zusetzen ohne zwingende Rechtsprechung - freilich ist das im göttlichen Gesetz nicht geboten ; auch ohne das würde > ja die Einheit des Glaubens erhalten, wenn auch nicht so leicht -, um diese Einheit leichter und in würdigerer Form zu wahren. Nun werden wir aber zeigen müssen, was für einen Bischof, was für eine Kirche oder was für ein Kollegium von Priestern und Klerikern als Haupt oder Führung der anderen einzusetzen am zweckmäßigsten und vorteilhafte1 0 sten ist und auch aus welcher Diözese oder Provinz ; endlich, wem die Befugnis zusteht, diese einzusetzen, zu rechtzuweisen und sogar abzusetzen, wenn das zweckmäßig erscheinen sollte. § 7 Die erste von diesen Thesen, nämlich daß es geraten 1 5 sei, ein solches einziges Haupt für die Kirchen einzusetzen unter Voraussetzung der Notwendigkeit, manchmal ein all­ gemeines Konzil der Gläubigen und der Priester wegen der vorhin erwähnten Vorteile für den kirchlichen Ritus oder den Glauben und den Gottesdienst einzuberufen, kann über­ zeugend bewiesen werden durch folgende Überlegung : Es wäre sinnlos, wenn mehrere Bischöfe oder Kirchen sich mit einem Amt beschäftigten, das ein einziger Bischof oder eine 20 einzige Kirche gleich gut ausüben und verwalten kann. Nun aber kann die vorhin erwähnte Anregung 1203 der Konzilien samt dem, was sonst, wie gesagt, zum Amte dieses Hauptes der Kirche gehört, gleich gut oder besser ein einziger erledigen und durchführen als mehrere. Weiter wird durm die Einz> setzung eines Hauptes oder einer Führung dieser Art über die Bischöfe und Kirchen Streit und Ärgernis vermieden, das sonst entstehen könnte. Denn auf dem versammelten allge­ meinen Konzil muß Form und Art der Verhandlungen gegeben werden. Wenn aber jeder beliebige ohne Unterschied diese Anordnungen oder Weisungen erteilen könnte und 30 wollte, so würde unter ihnen wahrscheinlich Ärgernis, Verwirrung und Streit erregt werden. Ferner, bei einem versam­ melten allgemeinen Konzil ist die Ordnung im Raume, näm­ lich beim Sitzen oder Stehen, zu beachten, auch bei der Debatte, nämlich beim Vorsmlägeeinbringen und Beraten, und < die Notwendigkeit > , manchmal einzugreifen, indem den allzu

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aliqua precipere quandoque, ut nimis garrulis silencium imponendo ; amplius, quoniam et per concilium deliberata recolligere oportet, ac in scriptis per tabelliones redigi facere sub certis et authenticis signaculis et sigillis, expediens fuit unum esse aliorum priorem, cuius sit auctoritas ceteros ordi­ nandi et reliqua expediencia precipiendi circa concilium 1 0 celebrandum et debite consummandum, ne propter talium diversitatem et quandoque Contrarietatem publica fidelium turbetur aut differatur utilitas. Adhuc videtur id expedire propter consuetudinem ecclesie Christiane in hoc, et quoniam ex eo fidei unitas magis apparet sensibili signo. § 8. Quem vero episcopum et qualem cuiusque provincie 15 sive diocesis ecclesiam sie caput aliarum instituere magis conveniat, qualem primum assignantes, dicamus secundum veritatem eum, qui ceteris vita et sacra doctrina cunctis pre20 pollet, in quo tarnen est hone vite pocius attendendus exces­ sus. Cuius autem loci sive provincie ceteris ecclesia preferri debeat, dicendum eam, cuius sacerdotale sive clericorum collegium pluribus et ut plurimum honestioris vite ac luci­ dioris doctrine sacre viris habundat ; quamvis ceteris paribus 25 aut non multum distantibus Romanus episcopus aut ipsius ecclesia, quamdiu locus habitabilis extet, pluribus congruen­ ciis videatur meruisse preferri : primum quidem, propter episcopi sui primi beati Petri aut Pauli vel utriusque excel­ lentem fidem et caritatem, famositatem et per apostolos reli30 quos illis impensam reverenciam ; deinde vero propter Ro­ mane urbis solempnitatem, et quia dudum super ceteras obtinuit principalitatem, et habundanciam in ipsa virorum illustrium, sanetarum atque doctorum fidei Christiane, se­ cundum temporis plurimum ab inicio ecclesie constitute, 'fet�· 5

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1204 12os 12os 1207 12os

§ 9 Anf. ist ebenso gebaut. Erg. instituamus aus dem vorausgehenden Satz. Vgl. Gewirt h I 279. pluribus et wie multi et boni viri. abundantiam abh. von propter 427,30.

Teil II, Kapitel XXII

Geschwätzigen Schweigen geboten wird ; ferner mufi man �uch < die Ergebniss e > der Beratungen des Konzils zusam­ menfassen und in Abschriften durch die Geheimschreiber unter sicheren und echten amtlichen Stempeln und Siegeln ausfertigen lassen ; daher ist es zweck.mäßig, dafi einer den Vorsitz führt ; der soll die Befugnis haben, die anderen anzu­ weisen und, was sonst für die ordnungsmäßige Abhaltung und Durchführung des Konzils erforderlich ist, zu bestimt o men, damit nicht wegen Verschiedenheit - manchmal auch Gegensätzlimkeit - der Meinungen hierüber das allgemeine Beste der Gläubigen durch Unruhe und Verwirrung ge­ schädigt wird ; ferner scheint das zweck.mäßig zu sein, weil die christliche Kirche daran gewöhnt ist und dabei die Einheit des Glaubens durch ein sinnlich wahrnehmbares Zeichen deutlicher in Erscheinung tritt. 15 § 8 Weichen Bischof 1204 und was für eine Kirche aber und die Kirche welcher Provinz oder Diözese ist es am zweck­ mäßigsten, in diesem Sinne zum Haupt der anderen einzu­ setzen ? Wenn wir zuerst darlegen : Was für einen Mann ?1 2 05 , wollen wir wahrheitsgemäß sagen : den, der vor allen anderen durch Lebensführung und theologische Gelehrsamkeit her20 vorragt, wobei jedoch die sittliche Höhe des Lebenswandels stärker zu betonen isU 206 Welches Ortes aber oder welches Landes Kirche soll den anderen vorgezogen werden ? Darauf ist zu antworten : die, deren Priester- oder Klerikerschaft die meisten Männer besitzt, die12 07 im höchsten Sinne das reinste Leben führen und durch theologische Gelehrsamkeit am stärksten hervorleuchten ; indessen unter sonst gleichen oder nicht sehr verswiedenen Umständen smeint der römische 25 Bischof und seine Kirche, solange der Ort bewohnbar ist, durch sehr viele günstige Umstände den Vorzug zu ver­ dienen : erstens wegen der überragenden Glaubenstreue, Gottesliebe und Berühmtheit ihres ersten Bischofs, des seligen Petrus oder Paulus, oder beider, und wegen der 30 Ehrerbietung, die die anderen Apostel diesen erwiesen haben ; ferner wegen des Glanzes, der auf der Stadt Rom liegt, wegen ihres seit alter Zeit behaupteten Vorranges vor den anderen, wegen ihres Reichtums 1208 an berühmten, heiligen Männern und Lehrern des christlichen Glaubens, der < dort> sehr lange von Anfang der neuerrichteten Kirche an 5

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M arsilius

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quoniam aliarum ecclesiarum in augmento fidei et eius unitate servanda curam diligentem atque laborem assiduum 5 prebuerunt ; rursum eciam propter sui populi ac principis generalem tune monarchiam et auctoritatem coactivam super reliquos omnes mundi principantes et populos, qui de observacione fidei et eorum que per generalia diffiniebantur concilia soli poterant omnibus coactivum ferre preceptum et :o illius ubilibet transgressores arcere, sie quoque fecerunt et ecclesiam ex modico in rem magnam auxerunt, quamquam ab ipsorum aliquibus post'cmodum* persecucionem fideles sint passi quandoque, propter quorundam maliciam sacer­ dotum. Demum vero congruit episcopo Romano et illius 1 5 ecclesie principalitas hec propter consuetudinem, eo quod hunc episcopum et ecclesiam fideles omnes pre ceteris didice­ runt seu consueverunt amplius revereri, et illius exortacioni­ bus atque monicionibus ad virtutes et Dei reverenciam exci­ tari, eiusque arguicionibus seu increpacionibus et comminazo cionibus eterne dampnacionis a viciis et sceleribus revocari. § 9. Cuius autem sit auctoritas instituendi prioritatem hanc, dicendum, quod generalis concilii aut fidelis legislato­ ris humani superiore carentis. Ad quos eciam pertinet deter­ minare primum illum clericorum cetum sive collegium, z> secundum quem modum Romane urbi, quamdiu extiterit obicemque ad hoc non apposuerit populus ille, propter bea­ torum Petri et Pauli reverenciam et quas pridem diximus conveniencias poterit licite ac debebit iam dicta principa­ litas in episcopo et ecclesia continue reservari. § 1 0. Hanc autem fore legislatoris quam diximus potestatem, testatur edictum Primi Constantini, Romanorum impe­ ratoris, insertum codici Ysidori supradicto, in quo continetur ; inter cetera series hec : Atque decernentes sancimus, nos videlicet, imperator Romanus, ut principatum teneat, eccle­ sia Romana scilicet, tam super quatuor precipuas sedes,

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vorhanden war, und wegen ihrer gewissenhaften Sorge und t!nermüdlichen Arbeit für die anderen Kirchen in der Mehrung des Glaubens und der Erhaltung seiner Einheit, ferner auch , wegen der einstigen Weltherrschaft und zwingenden Macht­ fülle ihres Volkes und Herrschers über alle anderen Herr­ scher und Völker der Erde. < Volk und Herrscher der Römer > , die über die Wahrung des Glaubens und Befolgung der von den allgemeinen K onzilien beschlossenen Glaubenslehren allein allen eine zwingende Vorschrift geben und ihre 1 0 Übertreter überall strafen konnten, handelten auch dement­ sprechend und erhoben die Kirche aus geringem Umfang zu gewaltiger Größ e ; freilich haben durch einige von ihnen später die Gläubigen manchmal Verfolgung erlitten wegen der Bosheit gewisser Priester. 1209 Endlich aber paßt für den 15 römischen Bischof und seine Kirche dieser Vorrang wegen der Gewöhnung ; denn alle Gläubigen haben gelernt oder sich gewöhnt, diesen Bischof und diese Kirche mehr als die anderen zu verehren und sich durch ihre Mahnungen und Weisungen zu Tugend und Gottesverehrung antreiben, durch ihre Rügen oder Scheltworte und Drohungen mit der ewigen 20 Verdammnis von Lastern und Verbrechen abhalten zu lassen. § 9 Wer hat aber die Befugnis, diese führende Stellung zu schaffen ? < Darau f > ist zu sagen : das allgemeine Konzil oder der gläubige menschliche Gesetzgeber1210 , der keinen höheren < über sich > hat. Diesen kommt auch zu, jene oberste Körperschaft oder Gruppe von Klerikern zu bestimmen ; in 2:> Obereinstimmung mit diesem Verfahren wird man der Stadt Rom, solange sie existiert und ihr Volk dem keinen Riegel vorschiebt, wegen der Verehrung des seligen Petrus und des seligen Paulus und wegen der vorhin erwähnten Gründe mit Recht dauernd die erwähnte führende Stellung in Bischof und Kirche vorbehalten können und müssen. § 10 DaR aber die erwähnte Gewalt dem Gesetzgeber zukommt, bezeugt ein Edikt des römischen Kaisers Konstan­ tirr I., das dem obengenannten Kodex des Isidor eingefügt s ist und u. a. folgende Stelle enthäW 211 : Und mit unserem Edikt verordnen roir, wir, der römische Kaiser : Sie soll die Führung haben, die römische Kircl:te, über die vier Patriar1 2 09 der Arianer ? 121 o § 1 1 Anf. 12 11 Schol z 429 Anm. 1.

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Antiochenam, Alexandrinam Constantinopolitanam et lero­ solymitanam, quamque eciam super omnes in universo orbe terrarum Dei ecclesias; et pontifex, qui pro tempore ipsius 1 0 sacrosancte Romane ecclesie extiterit, celsior et princeps cunctis sacerdotibus tocius mundi existat, et eius iudicio, queque ad cultum Dei vel fidei stabilitatem procurandam fuerint, disponantur. Dixit autem signanter : procurandam per ipsum fidei, sive legis divine, stabilitatem; nec dixit : se15 cundum suam aut sue solius ecclesie sive collegii sentenciam determinandam. Quoniam, ut pridem diximus, sollicitari et inquirere opiniones emergentes circa scripturam et fidem, que scisma vel aliud scandalum afferre possurrt et fidelium quietem ac unitatem turbare, idque denunciare fideli legiszo latori aut illius auctoritate principanti, et ab ipso concilium requirere propter huiusmodi determinanda et si expediens fuerit corrigenda, ad sui pertinet officii prioritatem, quam diximus. Sie igitur principalitatem harre tribuit Constanti­ nus episcopo et ecclesie Romanorum, et cum principalitate hac propter devocionem auctoritates alias quam plurimas, 25 eciam coactivas, ad quarum collacionem eidem divino vel humano iure minime tenebatur. Harre siquidem eciam prin­ cipalitatem iam dictam, ab episcopo et ecclesia Rarnanorum 43 0 revocatam fortasse per successores aliquos Constantini, re­ stituit Augustus Focas ecclesie supradicte, ut ex cronica Martini de Romanis Pontificibus et Imperatoribus evidenter 5 apparet, ubi legitur inter cetera : Bonifacius Quartus natus Marsorum etc., et parum infra : Hic obtinuit ab Augusto Foca imperatore, ut ecclesia beati Petri apostoli caput esset om­ nium ecclesiarum, quia Constantinopolitana primam om­ nium se scribebat. 10 § 1 1 . Huius autem rursum institucionis auctoritatem esse fidelis *legislatoris* humani *aut eius auctoritate principan­ tis* iuxta consilium et determinacionem generalis concilii, 1212 Vo (que) . 121a in den päpstlichen Besitzungen ; vgl. 381,8 ff. 121 4 Scholz 430 Anm. 1 .

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Chate von AntioChien, Alexandrien, Konstantinopel und ]erusalem roie aum1212 über alle KirChen Gottes in der gesam­ ten Welt, und roer auf Lebenszeit < Papst > der hoChheiligen 1 0 römisChen KirChe gervorden ist, soll erhabener sein als alle Priester der ganzen Welt und der Erste won ihnen > , und naCh seiner EntsCheidung soll alles, roas für den Gottesdienst oder zur Sorge für die Festigung des Glaubens dienen könnte, geordnet werden. Es ist aber bezeichnend, daß er sagte : Zur Sorge für die Festigung des Glaubens, d. h. des göttlichen Gesetzes, die der römische Bischof übernehmen sollte ; er hat nicht gesagt : um < den Glauben > nach seiner 15 Meinung oder der seiner Kirche oder seines K ollegiums allein festzulegen. Denn, wie gesagt, auftauchende Meinungen über Schrift und Glauben, welche Spaltung und anderes Ärgernis herbeiführen und der Gläubigen Ruhe und Einheit stören können, zu beobachten und zu untersuchen und dem gläubigen 20 Gesetzgeber oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert, davon Mitteilung zu machen und von ihm ein Konzil zu verlangen, um dergleichen zu entscheiden und, wenn es zweckmäßig sein sollte, zu bessern - das alles sind Aufgaben seines erwähnten Oberamtes. In diesem Sinne also hat Kon­ stantin dem Bischof und der Kirche der Römer die Führung übertragen und neben dieser führenden Stellung ehren2 25 halber sehr viele andere Vollmachten, auch zwingende 1 13, die ihm zu verleihen er durch göttliches oder menschliches Recht nicht im geringsten verpflichtet war. Auch hat diese erwähnte führende Stellung, die dem Bischof und der Kirche der Römer vielleicht von einigen Nachfolgern Konstantins ßO entzogen worden war, der Augustus Phokas der oben­ genannten Kirche zurückgegeben, wie aus der Chronik des Martin über die römischen Päpste und Kaiser klar hervor5 geht. Dort liest man u. a. 1 2 14 : Bonifatius IV. aus dem Volke der Marser usw., und etwas weiter unten : Dieser erhielt vom Augustus Phokas, dem Kaiser, < das VorreCht> , dafl die KirChe des seligen Apostels Petrus das Haupt aller KirChen sein sollte, roeil die von Konstantinopel siCh als die erste von allen in ihren SChreiben bezeiChnete. § 1 1 Daß die Befugnis zu dieser Einsetzung dem gläubigen 10 menschlichen Gesetzgeber oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert, nach Beschluß und Entscheidung des

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convinci potest eisdem racionibus et auctoritatibus, quibus ostensum est 2 1 ° huius ad ipsius auctoritatem pertinere gene15 rale conciliurn convocare, rebelies ad conveniendum sacer­ dotes et nonsacerdotes omnes ac ordinatorum per concilium transgressores licite per coactivam arcere potenciam, sola racionum rnutata extremitate minori. Ex quibus eisdem per necessitatem sequitur, einsdem fore auctoritatis iam dieturn 20 episcopurn principalem et ecclesiam sive collegium corrigere, ab officio suspendere ac privare seu deponere licite, si visum fuerit racionabiliter expedire. § 12. Non est autem pretereundurn silencio, quod sub infi­ delibus legislatoribus sive horum auctoritate principantibus 25 constituti fideles, tarn sacerdotes quam nonsacerdotes, qui fuerint in lege divina periti, eadern lege divina videlicet obligantur, si congrue possint, convenire ad eius sensus dubios diffiniendurn et determinandurn ac reliqua ordinandurn, que ad fidei et fideliurn augrnenturn et unitatern atque cornrnunem utilitatem profleere possint, quarnvis ad hoc arnplius obligentur sacerdotes et debeant alios excitare, quon­ iarn ipsorurn officium est alios docere, exortari, arguere ; et si oportuerit increpare. Tenentur eciam consequenter ad hoc, qui docti fuerint in lege divina, et per sacerdotes ad hoc requirendi sunt, quoniam scienti bonum facere et non fa­ cienti, peccatum est illi, ut scribitur Iacobi 4°. Quemadrno1 0 dum enirn ad civilern libertatem defendendam per pugnam corporalern ternpore necessitatis hurnana lege non solum obligantur, qui assignati sunt officio militari, pedestri aut equestri, verum eciarn qui ex aliis officiis civitatis extiterint, et arnplius qui ad hoc sunt magis idonei, precipue cum per

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TI 2 1 . 4, 8-9, Abs. 1 . Jak. 4 " 1 7.

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allgemeinen Konzils zukommt, das kann ferner mit den­ s�lben Vernunftgründen und autoritativen Stellen nach­ gewiesen werden, mit denen in II 2 1 1215 gezeigt worden ist, daß ihm die Befugnis zusteht, ein allgemeines Konzil ein15 zuberufen und alle Priester und Nicht-Priester, die gegen die Teilnahme sich sträuben, und alle, die gegen die An­ ordnungen des Konzils verstoßen, zulässigerweise durch eine zwingende Macht zu strafen ; man braucht in den Beweisen nur den Unterbegriff zu ändern. Aus diesen seihen < Voraus­ setzungen > folgt mit Notwendigkeit, daß es zu seiner Befugnis auch gehört, zulässigerweise den eben erwähnten 20 obersten Bischof und seine Kirche oder sein Kollegium zu­ rechtzuweisen, sie zu suspendieren und ihres 'Amtes zu ent­ heben oder sie abzusetzen, wenn es aus vernünftigen Er­ wägungen zweckmäßig erscheinen sollte. § 1 2 aber darf nicht mit Stillschweigen übergangen werden : Die Gläubigen, die Untertanen von ungläubigen Gesetzgebern sind oder von ungläubigen Herr­ schern, die kraft Ermächtigung durch diese regieren, ebenso 25 Priester wie Nicht-Priester, die im göttlichen Gesetz sach­ kundig sind, werden durch dieses göttliche Gesetz verpflichtet, wenn es sich leicht ermöglichen ließe, in angemessener Weise zusammenzukommen, um Stellen des göttlichen Gesetzes von zweifelhaftem Sinn lehrmäßig festzulegen und zu bestimmen und anzuordnen, was sonst zur Stärkung des Glau­ bens und der Gläubigen und zur Einheit und zum gemein­ samen Nutzen beitragen könnte ; indessen sind die Priester dazu stärker verpflichtet, und sie müssen die anderen dazu anregen, da es ja ihr Amt ist, andere zu belehren, zu mahnen 5 und zu tadeln und nötigenfalls zu schelten. Weiter ist dazu verpflichtet, wer Kenntnis des göttlichen Gesetzes besitzt, und diese müssen von den Priestern darum ersucht werden ; denn roer roeiß, Gutes zu tun, und tut' s niCht, dem ist es Sünde, wie bei Jakobus im 4. Kap. 121 7 geschrieben steht. Die 10 Freiheit des Vaterlandes mit der Waffe in der Hand zu ver­ teidigen, ist doch in Notzeiten nach dem menschlichen Gesetz nicht nur verpflichtet, wer für den militärischen Dienst zu Fuß oder zu Pferd eingeteilt ist, sondern auch, wer aus anderen Berufen des Staates kommt, und desto mehr, je ge­ eigneter er ist, zumal wenn die Soldaten und deren Führer

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militares aut ipsorum ducem fuerint requisiti ; sie eciam ad fidei defensionem et declaracionem et reliquum ritum eccle­ siasticum ordinandum non soli sacerdotes obligantur lege divina, verum eciam qui nonsacerdotes, periti tarnen in ea, presertim cum ad hec per sacerdotes fuerint requisiti, quam­ vis hoc sit proprium sacerdotum officium. 20 § 13. Quo vero convocante sacerdotum collegium et reli­ quorum fidelium idoneorum congregabuntur ? merito queret utique quis, cum nullus sacerdotum aut reliquorum fidelium lege divina sit ceteris prior secundum determinata prius, 25 neque humana, eo quod legislator humanus ubique supponi­ tur infidelis. Nos autem dicamus iuxta scripture sensum, per nullum episcopum sive sacerdotem habentern super alios sacerdotes et episcopos auctoritatem futuram convocacio­ nem aut congregacionem predictam, nisi forsitan eo casu, :oo quo a iam dicta fidelium pluralitate huiusmodi auctoritas 432 alicui sacerdotum concessa foret. Esto igitur neminem sie aliis omnibus per sacerdotum et reliquorum fidelium multi­ tudinem fuisse prelatum, sed preferendum expedire, aut aliud quid circa fidem et ecclesiasticum ritum expediens 5 ordinandum : dico vocacionem congregacionis huius vel ab omnibus sacerdotibus proventuram, si fortasse tante carita­ tis fuerit unusquisque, quod propter fidem conservandam et augendam velit alios excitare, sie, ut hoc sibi condicen­ tibus et consencientibus omnibus nulli dubium ipsos faciliter 1 0 congregari. Aut si forte non omnes tante fuerint caritatis, ut seipsos et alios ad dietarn congregacionem movere velint, ab aliquo vel aliquibus reliquis fervencioribus amore divino proveniet, aliis vero presbyteris aut nonpresbyteris Öbtempe­ rantibus sibi tamquam benedicentibus et consulentibus recte. n Quo eciam alterutro dictarum modorum convenerunt apo­ stoli et seniores videre, an oporteret ad salutem eternam n

1 2 1 s Scholz 43 1 Anm . 2. 1219 Vgl. II 20, 13 u . 14 (400,8 ff., 401 ,2'7 ff. : Teilnahme von Laien am Konzil) .

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< darum > ersuChen 1218 ; ebenso sind auCh, den Glauben zu verteidigen, zu klären und sonst den Ritus der KirChe zu ordnen, niCht nur die Priester durCh das göttliche Gesetz verpfliChtet, sondern auCh die NiCht-Priester, doCh nur soweit sie in ihm saChkundig sind, zumal wenn sie von den Priestern darum ersuCht werden, mag dies auCh das den Priestern eigentümliche Amt sein. 1219 20 § 1 3 Auf wessen Ruf aber werden die PriestersChaft und die übrigen geeigneten Gläubigen siCh versammeln ? - so wird mit ReCht gewiß manCher fragen, da naCh den früheren Ergebnissen das göttliChe Gesetz keinem der Priester oder der übrigen Gläubigen vor den anderen einen Vorrang gibt, auCh niCht das mensChliChe Gesetz ; der mensChliChe Gesetz25 geber wird ja überall als ungläubig vorausgesetzt. Wir aber wollen im Sinne der SChrift sagen : K ein Bischof oder Prie­ ster, der über die anderen Priester und BisChöfe eine MaCht­ befugnis hätte, wird die vorhin genannte < Einberufung > oder Versammlung veranlassen, au.ßer vielleiCht in dem Falle, da.ß die obengenannte Mehrheit der Gläubigen eine 30 derartige VollmaCht einem Priester übertragen hätte. Nehmen wir also an, niemand sei so durCh die Vielheit der Priester und der übrigen Gläubigen über alle anderen gesetzt, aber es sei zweckmäßig, einen zum Leiter zu maChen oder etwas anderes NützliChes über den Glauben und den kirCh5 IiChen Ritus anzuordnen, < dann > sage iCh : Die Berufung dieser Versammlung wird entweder von allen Priestern aus­ gehen, wenn jeder von so tiefer Gottesliebe erfüllt ist, da.ß er zur Erhaltung und Stärkung des Glaubens die anderen aufrufen will, so da.ß sie alle ihm das zusagen und zustimmen und zweifellos ohne SChwierigkeiten siCh versammeln ; oder 10 wenn vielleiCht niCht alle von so tiefer Gottesliebe erfüllt sein sollten, da.ß sie den WunsCh hätten, sich < aufzumaChen > und die anderen zur erwähnten Versammlung zu veranlassen, so würde < der Ruf > von einem oder einigen anderen ausgehen, die stärker von göttliCher Liebe erglühen ; aber die anderen Priester oder NiCht-Priester würden ihnen siCh fügen in der Überzeugung; ihre Worte seien gut und ihr Rat riChtig. Auf die eine der beiden angeführten Weisen kamen auch 15 die Apostel und die Ältesten zusammen, um zu sehen, ob es für die ewige Seligkeit nötig sei, die unbesChnittenen 15

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incircumcisos fratres circumcidi, sicut apparet Actuum 15°. Nusquam enim legitur, quod vocante apostolorum aliquo per 2 0 suam auctoritatem alii convenerint ; sed solum hoc, quod convenerunt apostoli et senior es videre de verbo hoc; et rursum, quod convocantes duodecim multitudinem discipu­ lorum. Quis vero apostolorum primus excitator seu exortator fuerit ad has congregaciones fiendas, ex scriptura non habe433 tur expressum. Esto tarnen hunc fuisse beatum Petrum propter ampliorem in ipso caritatem, non propterea sequere­ tur ex hoc, ipsum habuisse super apostolos alios auctoritatem aliquam, nisi eam forte, quam sibi per ipsorum eleccionem 5 super ceteros tribuissent, quemadmodum supra ostensum est 1 5° et 16° huius. Sunt enim in claustris et civilitatibus pluri­ mi, merito vite atque doctrine sacre perfecciores aut virtute politica prestanciores, qui tarnen minus perfecciorum non sunt principes aut prelati, sed plerumque subiecti, quod in t o sacerdotalibus officiis, nescio vel fortasse novi qua peste, frequenter evenit temporibus hiis. § 14. Amplius, sicut quandoque in civili congregacione stu­ diosioribus, antiquioribus et magis approbatis viris a suis concivibus, nulla sibi tarnen auctoritate subiectis, sed prop15 ter solam reverenciam que ampliori virtuti et etati deberi videtur, prerogativa sedendi, loquendi et deliberandi conce­ ditur, et in aliis honoracionibus defertur quam pluribus : sie verisimile valde ac iuxta scripture seriem propter iam dictas causas ceteri apostoli Petro deferebant ; primus enim inter 20 alios proposuisse legitur. Unde fortassis a quibusdam sanctis dictus est : os et vertex collegii apostolorum, quamvis nulla forent sibi auctoritate subiecti, nisi secundum eam quam pridem diximus ipsorum eleccionem, si ipsum sie sibi 1 220 1221 1222 122 3 t22 4 122s 122s 1227

Acta 15,6. Scholz 432 Anm. 1 . losiv :nse l Toif Ä6yov TovTov. Acta 6,2. W eleccio, erklärt durch 433 , 1 ?-18. I I 15, 10 (336, 1 ? ff.) ; II 16, 10-12. Scholz 433 Anm. 1 . 433 ,4.

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Brüder zu beschneiden, wie sich aus der Apostelgeschichte Kap. 15 1220 ergibt. Nirgends nämlich liest man, die anderen seien zusammengekommen, weil einer der Apostel kraft 20 s e i n e r Autorität sie berufen hätte, sondern nur dies 1 ��1 : Die Apostel und A"ltesten sind zusammengekommen, u m über diese Sadw zu u r t e i len 1222 , und ferner 1 � 23 : Die Zmölf riefen die Versammlung der jünger zusammen und Wer von den Aposteln aber die erste Anregung oder Mahnung gegeben hat, diese Versammlung einzuberufen, steht in der Schrift nicht ausdrücklich. Angenommen jedoch, der selige Petrus sei es gewesen, weil er von der tiefsten Gottesliehe 433 erfüllt war, so würde deswegen daraus nicht folgen, er habe über die anderen Apostel irgendeine Machtvollkommenheit gehabt, außer vielleicht der, die sie ihm über die anderen 5 durch ihre Wahl 122 4 erteilt hätten, wie oben in II 1 5 1 225 und I I 16 gezeigt worden ist. Es gibt nämlich in Klöstern und Städten sehr viele Leute, deren verdienstliches Leben und theologische Gelehrsamkeit vollkommener, deren politische Fähigkeiten bedeutender sind und die doch nicht Führer oder Vorgesetzte der weniger Vollkommenen, sondern meistens ihre Untergebenen sind ; das kommt bei priesterlichen Ämtern 1 0 - ich weifl nicht, oder vielleicht weifl ich doch. aus was für einer unheilvollen Ursache - in diesen Zeiten häufig vor. § 14 Weiter : Wie manchmal bei einer Volksversammlung die Mitbürger den gelehrtesten, ältesten und erprobtesten Männern, ohne ihnen in irgendeiner Vollmacht untergeordnet 15 zu sein, sondern nur wegen der Achtung, die dem höheren Verdienst und Alter offenbar gebührt, bei der Sitzordnung, in der Debatte und Beratung ein Vorrecht zugestehen und ih nen bei sehr vielen anderen Ehrungen zuerkennen, so übertrugen die übrigen Apostel höchstwahrscheinlich und nach dem Wortlaut der Schrift dem Petrus < ein solches Vor­ recht > aus den eben genannten Gründen ; denn Petrus hat zuerst unter den anderen das Wort zu einem Vorschlag 20 ergriffen, wie man liest. Daher nannten ihn vielleicht manche Heilige : Mund und Haupt der Zmölft 226 ; in­ dessen waren sie ihm in keiner Machtbefugnis untergeord­ net, höchstens so, wie das ihrer eben1227 erwähnten Wahl en tsprach, wenn sie ihm in dem Sinne freiwillig einen Vorrang .

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preferre sponte voluerint, ut abbatem aut priorem monachi et presidem populus. 23 § 15. Seeundum itaque iam dietos modos eonvoeaeionem et eongregaeionem fidelium fuisse possibilem, raeionabile 434 valde. Sieut enim ad eivilem eommunitatem et legem ordi­ nandam eonvenerunt hornirres a prineipio, ipsorum valen­ eiori parte eoneordante in hiis que sunt ad vite suffieieneiam, non quidem voeati per singularem hominem aut per plures 5 aliquos habenies auctoritatem eoactivam in reliquos, sed suasione seu exortaeione prudentum et faeundorum viro­ rum, quos natura inter alios produxit inclinatos ad hoe, ex se postmodum profieienies suis exereieiis et alios dirigentes 1 0 sueeessive vel simul ad formam eommunitatis perfeete, ad quam eeiam homines naturaliter inelinati obtemperaverunt suadentibus faeile, quemadmodum eeiam ex 1° Politiee, ea­ pitulo 1°, ex 4° eiusdem, eapitulo 10°, et ex ?' 0 illius, eapitulo 1 2° induximus 3°, 4°, ?'0 et 13° prime ; sie quoque proporeionaliter 15 et iuxta seripture seriem raeionabiliter opinandum, multi­ tudinem apostolorum atque fidelium eonvenisse suadente fortasse apostolorum aliquo vel aliquibus earitate fervenei­ oribus, rehqua quoque multitudine spiritus sancti graeia et inclinaeione obtemperante fa ciliter. 20 Quo eeiam modo post apostolorum tempora sub infidelibus legislatoribus sive prineipibus fortasse feeerunt episeopo­ rum sive saeerdotum aliqui earitate Christi et proximi magis habundantes, eum quibus se mansurum usque ad seculi con­ summacionem Christus promisit Matthei ultimo et novissimo 2 5 verbo. Hii enim sunt, de quibus Rahanus dieit ibidem : quod usque in finem seculi non sunt defuturi in mundo, qui divina 435 mansione et inhabitacione sunt digni; quamvis ad hoe ex offieio teneatur quilibet saeerdotum, si eongrue possit. Omni­ bus enim hoe datum est preeeptum in apostolorum persona Matthei ultimo, dum ad eos dixit Christus : Euntes ergo : 2 29 123 o

S cholz 434 Anm. 1 ; Ar. Pol. B. 1 Kap. 1 : I 3, 3 ; I 4, 3 ; I 13, 2; Ar. Pol. B. 7 (Rolfes B. 6) Kap. 1 2 : I 7, 2. 1231 S ch ol z 434 Anm. 3. 1232 Mat th. 28,19. Matth. 28,20.

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zugestehen wollten wie die Mönche dem Abt oder dem Prior 11-nd das Volk dem < gewähltem Staatsoberhaupt. 1228 § 1 5 Daß nun auf die erwähnten Weisen eine Berufung und Versammlung der Gläubigen möglich war, ist sehr verständlich. Ursprünglich kamen doch die Menschen zusammen, um Staat und Gesetz zu ordnen - ihr bedeutsamerer Teil war ja einig in dem, was zu einem befriedigenden Dasein führt -, nicht b erufen von einem einzelnen Menschen oder von mehreren, die die zwingende Machtbefugnis dazu gegenüber den anderenbesessenhätten, sondern auf Rat oder Mahnung kluger und beredter Männer. Diese hatte die Natur erschaffen mit einer besonderen Neigung für diese Aufgabe, sie, die darin von sich aus durch eigene Anstrengungen weiterkamen und die anderen nach und nach oder auf einmal zu einer vollentwickelten Gemeinschaft führten, zu der die Menschen von Natur geneigt sind ; und daher gehorchten sie gern ihren Beratern, wie wir auch aus der ,Politik', B. 1 Kap. 1 , B . 4 Kap. 1 0 und B. "! Kap. 1 2, i n I 3, I 4 , I "! und I 1 3 an­ geführt haben.1229 Entsprechend und nach dem Wortlaut der Schrift muß man auch vernünftigerweise glauben, die Ge­ samtheit der Apostel und der Gläubigen sei zusammen­ gekommen, weil vielleicht einer oder einige der Apostel, die stärker in Gottesliebe erglühten, das empfahlen und weil das übrige Volk durch die Gnade des heiligen Geistes und aus Neigung sich leicht fügte. So haben es auch nach den Zeiten der Apostel unter un­ gläubigen Gesetzgebern oder Herrschern vielleicht einige Bischöfe oder Priester gehalten, die an Liebe zu Christus und zum Nächsten besonders reich waren und bei denen zu bleiben bis an der Welt Ende Christus bei Matthäus im letzten KapiteJ1230 und in seinem letzten Wort versprochen hat. Diese nämlich sind es, von denen Rabanus12 3 1 zu dieser Stelle sagt, daß bis ans Ende der Welt solche Männer auf der Erde nicht fehlen roerden, die roert sind, daß Gott in ihnen Her berge und Wohnung nimmt. Indessen ist jeder Priester von Amts wegen dazu verpflichtet, wenn er es in ange­ messener Form tun kann. Denn allen ist dieses Gebot in der Person der Apostel bei Matthäus im letzten Kapitell232 122s

Pr.-0. 353 Anm. 2

u.

Scholz 433 Anm. 2.

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docete omnes gentes. Quod attendens apostolus 1 a ad Corin­ thios 9° dicebat : Ve mihi, si non evangelizavero, *necessitas enim mihi incumbir. Cuius exemplum, sollicitudinem et la­ barem circa fidei augmentum et unitatem servandam mo­ derni pastores ecclesie Romane parum attendunt, Christi 1 0 fideles ad Iitern et discordiam invicem excitantes, ut eisdem possint securius, quamvis illicite ac indebite, seculariter principari. § 16. Ex dictis itaque patet, Romanum episcopum et ipsius ecclesiam aliarum hactenus extitisse principaliorem et ca15 put ; et in quibus esse debuerit et debeat esse caput, sufficien­ ter ostensum est. Unde vero ad ipsam et secundum quem mo­ dum pervenerit auctoritas hec, et usque ad quantum de facto, quamvis indebite ac illicite, subrepticie sit protensa, resumentes dicamus, quod episcopus et ecclesia Romanorum, 20 secundum ea que induximus 18° huius, parte 5a, 6a et (a, ab inicio sui usque ad tempora Constantini obtinuit licite priori­ tatem hanc ex aliarum ecclesiarum quasi eleccione preben­ cium eidem consensum et obedienciam ; sponte tarnen, non quidem, quia eidem aliqua forent auctoritate subiecte, sed 25 propter apostolorum Petri et Pauli preeminenciam caritatis et in fide constanciam, et rursum propter multitudinem so­ lempnium personarum in ea, honestate prepollencium atque doctrina. Qui eciam propter ipsorum caritatem immensam curam et sollicitudinem assumpserunt, aliarum ecclesiarum 3 0 prelatos et singulares fideles alios instruere ac fraterne mo­ nere. Hiis autem ipsorum monita tamquam docciorum susci­ pientibus, ipsorum eciam ordinaciones circa ecclesiasticum ritum, quoniam utiles videbantur et iuste, postmodum susce­ perunt, et demum ipsorum mandatis sub ecclesiastica censura excommunicacionis vel interdicH propter fidelium unitatem 5

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1. Kor. 9, 1 6 ; vgl. Anm. 970. s. 378-381.

W eleccio. II 18, 5-7 ; II 25, 3. Der abl. abs. steht gegen die Regel.

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gegeben worden, als Christus zu ihnen sagte : Gehet also hin und lehret alle Völker. Im Hinblick darauf hat der Apostel im 1 . Korintherbrief im 9. Kap. 12 33 gesagt : Wehe mir, roenn idt nicht das Evangelium predige; denn ein Zroang liegt auf mir. Sein Vorbild, seine Sorge und Mühe, den Glauben zu mehren und seine Einheit zu erhalten, beachten die gegen­ wärtigen Hirten der römischen Kirche wenig, wenn sie die Christusgläubigen zu Streit und Zwietracht untereinander 10 aufhetzen, um über sie sicherer, wenn auch ohne jedes juristische und sittliche Recht, eine weltliche Herrschaft aus­ zuüben. § 16 Aus dem Gesagten ergibt sich nun, daR der römische Bischof und seine Kirche bisher Führung und Haupt der anderen gewesen sind ; auch worin der römische BisChof Raupt 15 sein muRte und sein muR, ist zur Genüge gezeigt worden. Woher aber mid wie dieser Kirche diese Machtfülle zu­ gefallen ist und wie weit sie tatsächlich, wenn auch wider­ rechtlich und unzulässigerweise, ganz unmerklich ausgedehnt worden ist, wollen wir kurz zusammenfassen und sagen : Der Bischof und die Kirche der Römer haben nach dem, was 2 0 wir in II 18, 5, 6 u. ? 12 34 bewiesen haben, von ihrem Anfang an bis hin zur Zeit Konstantins zulässigerweise diesen Vorrang behauptet so gut wie auf Grund einer Wahl 1235 der anderen Kirchen, die ihr Zustimmung und Gehorsam entgegenbrach­ ten1236 , freiwillig jedoch, nicht etwa, weil sie ihr in irgend­ einer Machtstellung untergeordn�t gewesen wären, sondern 25 weil die Apostel Petrus und Paulus an Gottesliebe überlegen und standhaft im Glauben waren und ferner, weil Rom eine Fülle hervorragender Persönlichkeiten < hervorbrachte > , die durch Ehrenhaftigkeit und Gelehrsamkeit sich auszeichneten. Diese Bischöfe haben auch in ihrer unendlichen Gottesliebe die Aufgabe und Sorge übernommen, führende Geistliche 30 und andere einzelne Gläubige der übrigen Kirchen zu unter­ weisen und brüderlich zu mahnen. Diese Kirchen härten auf ihre Ermahnungen12 37 - sie kamen ja von gelehrteren Män­ nern ; dann nahmen sie auch ihre Anordnungen wegen der kirchlichen Praxis an, da sie ja nützlich und richtig schienen ; und schlieRlieh fügten sie sich ihren Weisungen unter der < Androhung > der kirchlichen Strafe der Exkommunikation oder des Interdikts, um die Einheit der Gläubigen zu wahren. 5

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servandam obediverunt. Que siquidem obediencia spontanea per Iongarn consuetudinem obtinuit vim eleccionis cuiusdam. Unde licet circa inicium ecclesie reliqui episcopi et ecclesie fidelium neque divina neque humana lege aliqua obligaren­ tur obedire mandatis aut institutis ecclesie vel episcopi Ro­ manorum plus quam econverso, invalescente tarnen hac utili 10 et racionabili consuetudine, qua fideles in unitate amplius servabantur, eo quod tune fideli caruerunt legislatore ipsos ad ordinem reducente ac in unitate servante, obligati fuerunt posteri lege divina ad huius'=- modi'' obedienciam in licitis et 1 5 honestis, ac si dieturn episcopum * et ecclesiam per eleccionem sibi iudicem statuissent circa'' ecclesiasticum ritum, et hoc presertim usque in ea tempora, quibus possent publice con­ gregari et de statu ecclesiastico perfeeeins ordinare. § 1 7. De contenciosis autem actibus altera quidem racio 20 est. In illis enim iudicandis inter fideles sive sacerdotes sive nonsacerdotes aliud consilium dedit apostolus, secundum quod ex 1a ad Corinthios 6° induximus aliqualiter 9 ° huius, et einsdem 29° explicabimus amplius. Hoc enim noluit aposto5 2 lus esse officium sacerdotis seu episcopi cuiusquam aut solius ipsorum collegii, sicut ex apostoli serie ac sanctorum exposi­ cionibus evidenter apparet ibidem. § 18. Sie ergo Romanus episcopus et ipsius ecclesia priori­ tatem licite a principio per quandam sui caritativam sollici3o tudinem obtinere cepit ; que postmodum propter consuetam 437 devocionem, reverenciam et obedienciam spontaneam elec­ cionis quasi robur assumpsit. Nusquam enim ex scriptura colligi potest, quod precepto Christi vel consilio aut alicuius apostolorum ecclesie vel episcopi reliqui subesse deberent 5 ecdesie vel episcopo Romanorum eciam in ecclesiastico ritu. Quod si tarnen necessitatis fuisset debitum ad salutem :Eide5

123 8 II 1 8 , 5-7 dieselbe Geschichtskonstruktion. 1239 1 . Kor. 6,4. 1 ?.4o I I 9, 1 3 ; II 29, 6.

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Dieser freiwillige Gehorsam bekam durch lange Gewohnheit die Wirkung einer Art Wahl. Daher waren zwar im Anfang der Kirche die übrigen Bischöfe und Kirchen der Gläubigen weder durch ein göttliches noch durch ein mensch­ liches Gesetz verpflichtet, den Weisungen oder Verord­ nungen der Kirche oder des Bischofs der Römer zu ge­ h orchen - ebensowenig umgekehrt ; als aber diese nützliche 1 0 und vernünftige Gewohnheit sich mehr und mehr einbürgerte, durch die die Einheit der Gläubigen besser gewahrt wurde sie hatten ja damals keinen gläubigen Gesetzgeber, der sie zur Ordnung brachte und in der Einheit erhielt -, wurden die späteren durch göttliches Gesetz zu einem derartigen Gehor­ sam in zulässigen und ehrenhaften Dingen verpflichtet, als wenn sie sich den genannten Bischof und die genannte Kirche 15 durch eine Wahl hinsichtlich des kirchlichen Ritus zum Rich­ ter gesetzt hätten, und zwar besonders bis zu den Zeiten, in denen sie sich in aller Öffentlichkeit versammeln und den Zu­ stand der Kirche angemessener ordnen konnten. 1238 § 1 7 Wegen der Streitsachen gilt aber eine andere Regezo lung. Für deren Entscheidung - nämlich unter Gläubigen, seien es Priester oder Nicht-Priester -, hat der Apostel einen anderen Rat gegeben nach dem, was wir aus dem 1 . Korinther­ brief Kap. 6 1 239 in II 9 1 240 einigermaßen bewiesen haben und in II 29 ausführlicher entwickeln werden. Das nämlich sollte 25 nach dem Willen des Apostels nicht Amt eines Priesters oder Bischofs oder des Kollegiums eines einzigen von ihnen sein, wie sich aus den Worten des Apostels und den Auslegungen der Heiligen zu dieser Stelle überzeugend ergibt. § 18 So gewannen nun der römische Bischof und seine Kirche rechtmäßig von Anfang an dank einer Art liebevoller s o Fürsorge eine führende Stellung. Diese wurde später wegen der gewohnheitsmäßigen Ehrerbietung, Hochachtung und des freiwilligen Gehorsams fast so stark, als sei sie aus einer Wahl hervorgegangen. Nirgends läßt sich nämlich der Schrift entnehmen, nach Gebot oder Rat Christi oder eines Apostels müßten die übrigen Kirch en oder Bischöfe auch im kirch5 liehen Ritus der Kirche oder dem Bischof der Römer unter­ geordnet sein. Wäre dies jedoch ein unbedingtes Erfordernis für das Seelenheil der Gläubigen gewesen, wie nunmehr 5

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lium, quemadmodum asserunt iam quidam Romanorum epi­ scopi, nec solum circa ecclesiasticum ritum, verum eciam in iurisdiccionibus coactivis, non tantum super clericos, verum 10 eciam seculares principatus quoslibet : quomodo extimabile fest] , Christum et ipsius apostolos hoc pretermisisse traden­ dum ? Sed quoniam tam Christus quam ipsius apostoli aperte statuerunt oppositum, presertim in iurisdiccionibus coacti­ vis, ut ex scriptura palam ostensum est 4° huius, 5° et 9°, debet 1 5 sie sermo dicencium cum apocryphis fabulis computari. § 19. Tempore vero Constantini Primi, Romani impera­ toris, qui patenter Christi fidem et baptismum assumpsit, primum fideles inceperunt publice congregari et dubia circa 20 fidem diffinire ac ecclesiasticum ritum ordinare, ut ex Ysi­ dori predicto codice apparet, capitulo De primitiva ecclesia, In synodo Nicena. Ab hoc siquidem Constantino per edictum imperiale iuxta predictam laudabilem et antiquam consue­ tudinem obtinuit episcopus et ecclesia Romanorum priori25 tatem, quam sibi super alias determinavimus convenire, et ultra prioritatem hanc provinciarum quarundam possessio­ nes atque dominia ; quamvis ante tempora Constantini et post eciam Romanorum episcopi quidam suis epistolis sive decretis quibusdam prioritatem, quam super alios illis con438 venire monstravimus eleccione vel constitucionibus princi­ pum, sibi singu lariter absque requisicione vel consensu legis­ latoris humani fidelis, collegii cuiusquam vel persone singularis, cuiusvis preeminencie aut auctoritatis existat, 5 innuerunt divina lege deberi ; cuius tamen oppositum mon­ stratum est sufficienter capitulo precedente. § 20. Post tempora vero Constantini Primi et precipue im­ periali sede vacante hanc sibi deberi prioritatem quandoque lege divina, quandoque vero concessione principum expres1 0 serunt suis epistolis Romanorum episcopi quidam. In quihus 124 1 1242 124 3 1244 t245

II 4 übers ehr.

u.

§ 1, II 5, 1 ; II 9, 1 -9.

nach der Legende. Scholz 43? Anm. 1 . Scholz 43 ? Anm. 2. Vgl. 439, 6-?.

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438

797

gewisse Bischöfe der Römer versichern - nicht nur für den kirchlichen Ritus, sondern für zwingende Rechtsprechungen, nicht bloR über Kleriker, sondern sogar über alle weltlichen 1 0 Regierungen -, wie ist es dann glaublich, daR Christus und seine Apostel das zu überliefern versäumt hätten ? Aber da Christus wie seine Apostel das Gegenteil mit klaren Wor­ ten bestimmt haben, zumal bei den zwingenden Recht­ sprechungen, wie aus der Schrift in II 4, II 5 und II 9 1241 deutlich gezeigt worden ist, so muR diese Behauptung zu den t5 apokryphen Fabeln gerechnet werden. § 1 9 Doch in der Zeit des römischen Kaisers Konstantin I., der vor aller Welt Christi Glauben und Taufe annahm 1242, haben zum ersten Male die Gläubigen begonnen, sich in aller Öffentlichkeit zu versammeln, Glaubensfragen zu entschei20 den und den kirchlichen Ritus zu ordnen, wie sich in dem obengenannten Kodex des Isidor im Kapitel tJ ber die Ur­ kirChe, Auf der Synode von Nikäa1243, ergibt. Von diesem Konstantin erhielten durch kaiserliches Edikt1244 < in Bestäti­ gung > der obengenannten löblichen und alten Gewohnheit 25 der Bischof und die Kirche der Römer eine führende Stellung vor den anderen, die ihnen zukommt, wie wir festgestellt haben, und über diese führende Stellung hinaus Besitz und Herrschaftsrechte an gewissen Provinzen ; indessen haben schon vor der Zeit Konstantins und auch danach einige römische Bischöfe in ihren Briefen oder Verordnungen darauf hingewiesen, der Vorrang, der ihnen vor den anderen, wie wir gezeigt haben, durch Wahl oder die Verfügungen der Herrscher zukommt, stehe ihnen einzig und allein durch das göttliche Gesetz zu, ohne daR der gläubige menschliche Gesetzgeber, ein Kollegium oder eine Einzelperson von noch so überragender Stellung oder Autorität zugezogen worden wäre oder zugestimmt1245 hätten. Das Gegenteil davon ist je5 doch zur Genüge im vorausgehenden Kapitel nachgewiesen worden. § 20 Aber nach den Zeiten Konstantins I., und zumal wenn der K aiserthron unbesetzt war, haben einige Bischöfe der Römer in ihren Briefen ausgesprochen, diese führende Stel­ lung stehe ihnen manchmal nach göttlichem Gesetz zu, manch1 0 mal infolge der Übertragung durch die Herrscher. Worin aber und in was für Verhältnissen diese führende Stellung

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autem et qualibus hec sit attendenda prioritas, quam pluri­ bus ipsorum insinuantibus et aliqualiter exprimentibus hanc esse circa legis evangelice interpretacionem et circa ordina­ cionem ecclesiastici ritus, tarn circa divinum cultum quam n circa ministros, quantum ad omnem ipsorum institucionem inseparabilem ';sive primariam\ quam essencialem diximus, sive secundariam ac ipsius privacionem, quam separabilem sive accidentalem dicebamus 15° huius. Hanc eciam exten­ dentes [auctoritatem] in omnes episcopos et ecclesias, popuzo los et singulares personas, ad sentenciam excommunicacionis et interdicti divinorum officiorum, tarn subditis quam eccle­ siarum ministris sive prelatis, ac alterins cuiuslibet ecclesia­ stice censure consimilis, ut anathematis, in supradietos fide­ les ferendam. Consequenter vero ipsorum aliis idem inten25 dentibus de omni iurisdiccione seu coactiva potestate super omnes ecclesiarum mundi ministros et ipsorum collegia. Ea quidem utentes tamquam sibi convenienti ex concessione principum, quamdiu potens extitit Romanorum princeps ipsiusque regnum integrum et plena sedes. Hoc vero deducto 30 in sedicionem, et precipue imperiali sede vacante, per tempo439 rum intervalla freti sunt hac potestate, tamquam sibi divina lege concessa. Quod cur tarn varie contigerit, sequenti capi­ tulo dicturi sumus. Sie eciam suis epistolis expresserunt, sibi convenire tem­ poralium omnium ecclesiasticorum dispensacionem seu 5 distribucionem pro voto absque collegii cuiusquam aut per­ sone singularis cuiuscumque dignitatis vel auctoritatis re­ quisicione *sive�· consensu. Quibus eciam ipsorum moderni­ ores excessibus non contenti, suis expresserunt epistolis sive decretis, auctoritatem sive iurisdiccionem coactivam supret o mam super omnes mundi principatus, populos et singulares personas sibi lege divina deberi ; sie quidem, ut nullus princi­ pancium iam dictorum iurisdiccionem hanc coactivam, quam 12 46

438,10-29 formlose Partizipialkonstruktionen.

12 �s

sententiam ferre

1247 I I 15 überschr. ; 1-5 ; 6-9. =

Spruch fällen.

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15

20

25

30

439

s

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799

in Betracht kommt, < in dieser Frage > unterstellen 1246 sehr viele von ihnen und sprechen ziemlich deutlich aus, sie be­ ziehe sich auf die Auslegung des evangelischen Gesetzes und die Ordnung des kirchlichen Ritus, d. h. auf den Gottesdienst wie auf die Diener < der Kirche > , was ihre Einsetzung in jedem Falle angeht : die untrennbare oder primäre, die wir die wesentliche, oder die sekundäre und deren Entziehung, die wir die trennbare oder zusätzliche in II 1 5 1247 genannt haben. Diese Befugnis haben sie sogar auf alle Bischöfe und Kirchen, Völker und Einzelpersonen ausgedehnt bis < zu dem Recht > , die Exkommunikation und das Verbot der göttlichen Amtshandlungen über die Untertanen wie über die Diener der Kirchen oder höheren Geistlichen und jede andere ähn­ liche Kirchenstrafe wie die der Verfluchung über die oben­ genannten Gläubigen zu verhängen. 1248 In der Folge aber er­ strebten andere von ihnen diesel be < Machterweiterung > für die ganze Rechtsprechung oder zwingende Gewalt über alle Diener der Kirchen der Welt und deren Kollegien. Diese < Ge­ walt > gebrauchten sie, als wenn sie ihnen zukäme auf Grund der Übertragung durch die Herrscher, solange es einen mäch­ tigen Herrscher der Römer gab, sein Reich ungeschwächt und der Thron besetzt war. Wenn aber < das Reich > in Aufruhr stand und besonders wenn der Kaiserthron unbesetzt war, so vertrauten sie in solchen Zwischenzeiten auf diese Gewalt, als wenn sie ihnen durch das göttliche Gesetz zugesprochen wäre. Warum das so wechselhaft verlief, wollen wir im folgenden Kapitel darstellen. Auch das haben sie in ihren Briefen ausgesprochen, ihnen komme es zu, alle zeitlichen Güter der Kirche nach Belieben zu verwalten und zu verteilen, ohne daß ein Kollegium oder eine Einzelperson, welcher Würde oder Machtvollkommen­ heit auch immer, zugezogen werden oder einwilligen müßte. Mit diesen ihren ausschweifenden < Forderungen > immer noch nicht zufrieden, haben die Neueren in ihren Briefen oder Erlassen ausgesprochen, ihnen stehe die höchste Gewalt oder zwingende Rechtsprechung über alle Regierungen, Völ­ ker und Einzelpersonen der Welt nach dem göttlichen Gesetz zu, in so weiter Auslegung, daß keiner der eben erwähnten Herrscher diese zwingende Rechtsprechung, die sie selbst das

800

440

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vocant ipsi gladium temporalem, preter aut contra ipsorum consensum sive dietarnen licite valeat exercere ; preter autem 15 [aut] contrarium facientes principantes et populos excom­ municacionis vel interdicti sentencie vocaliter pronunciando subiectos. Asserunt enim se solos in mundo Christi vicarios, qui fuit rex regum et dominus dominancium; hec latenter 20 intendentes per euro quem sibi debitum dicunt titulum pleni­ tudinis potestatis. Propter quod eciam ad suam auctoritatem pertinere dicunt omnia mundi regna et principatus conferre ac auferre licite passe regibus et ceteris principantibus ipso­ rum mandata transgredientibus, quamvis impia sint secun­ dum veritatem et illicita sepe. 25 Hoc autem inter ceteros Romanos episcopos, non minus temerarie quam preiudicialiter et contra scripture sensum literalem, ''metaphoricis'f eius exposicionibus innisus Octavus Bonifacius intantum expressit et asseruit, ut hanc Romanis episcopis deberi potestatem decreverit ab omnibus creden­ dum et confitendum esse de necessitate salutis eterne. Cuius sentenciam assecuti sunt successores eius Clemens Quintus 5 et dicti Clementis vocatus immediate successor, quamvis hoc solum explicite videantur dicere de solo imperio Romano­ rum. Quod quia id asserunt innisi titulo supradicto, plenitu­ dinis videlicet sibi date potestatis a Christo, indubium est, 1 0 potestatem hanc sive auctoritatem, si qua talis ex hoc illis conveniat, omnia mundi regna et principatus ex equo respi­ cere, quemadmodum Christi potestas, sicuti seriose satis ostendimus 19° et ultimo prime.

1 249 1 250 1 2 51 1 2 52 1 2 53 1 2 54

Offb. 19,16.

Gewirth I 75 f. Vgl. Anm. 500 ; 398,5 ff. ; 412, 1 1 ff. J oh ann XXII. wird nie mit Namen genannt. Scholz 440 Anm. 2. I 19, 7-1 1 .

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zeitlidw SChwert nennen, ohne oder gegen ihre Einwilligung oder Weisung zulässigerweise auszuüben vermöge ; wenn 1 5 Regierungen und Völker aber ohne ihre Zustimmung oder das Gegenteil täten, so seien sie dem Spruch der Exkommunikation und des Interdikts verfallen ; das ver­ künden sie mit lauter Stimme. Sie versichern nämlich, sie allein in der Welt seien Statthalter Christi, des Königs der Könige und Herrn der Herren1 2 49 , und erstreben dies in aller Heimlichkeit unter dem Rechtstitel, der, wie sie sagen, 20 i hnen zustehe : dem der Fülle der Gewalt. Deswegen auch, so behaupten sie, stünde es ihnen zu, von Rechts wegen alle Reiche und Regierungen der Welt den K önigen und den übrigen Herrschern zu übertragen und zu entziehen, wenn sie gegen ihre Weisungen verstießen, so gottlos und rechts­ widrig diese auch oft in Wahrheit sind. z; Das hat auch unter den anderen römischen Bischöfen ebenso leichtfertig wie schädlich und gegen den buchstäb­ lichen Sinn der Schrift, auf deren allegorische Auslegungen 440 gestützt1250 , Bonifatius VIII. in so weiter Auslegung aus­ gesprochen und versichert, daß er dekretiert hat : Daß diese Gewalt den römischen Bischöfen zustehe, müßten alle glau­ ben und bekennen als für die ewige Seligkeit n otro e ndig 1 25 1 Di eser Meinung haben sich seine Nachfolger angeschlossen '> Clemens V. und des genannten Clemens sogenannter unmit­ telbarer Nachfolger -1 2 52 , obwohl es so klingt, als behaupteten sie das ausdrücklich nur für das Römische Reich.1253 Weil sie bei dieser Versicherung sich stützen auf den obengenannten Rechtstitel, den der Fülle der Gewalt, die Christus ihnen ver­ liehen habe, so ist zweifellos, daß diese Gewalt oder Voll10 macht, wenn irgendeine solche auf Grund dieses < Rechts­ titels > ihnen zukäme, alle Reiche und Regierungen der Welt in gleicher Weise beträfe wie die Gewalt Christi, was wir gründlich genug im 19 . und letzten Kapitel des 1 . Teils 1254 gezeigt haben. .

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CAP I T UL U M X X I I I n

D e m o d i s p l e n i t u d i n i s p o t e s t a t i s , e t s e cu n d u m q u e m modum et ordinem hos sibi assumpserit Romanus episcopus, et summarie qualiter hiis usus sit et utat u r .

D e quantis quidem igitur et qualibus potestatibus sacerdotum determinatum est 6°, 7°, 9° et 1 1 ° huius ; amplius de ipsorum invicem potestatis et dignitatis equalitate �'vel ine­ qualitate'� habitum est 15° et 16° huius ; et rursum de unius episcopi, ecclesie sive collegii sacerdotum et clericorum super ceteros omnes expedienti et convenienti prioritate seu principalitate ipsiusque inicii atque processus, adhuc autem de 441 illius in disconvenientem sibi prioritatis formam et speciem latenti transitu atque serpigine usque quasi ad gravissimum et importabilern secularium potestatum occupacionis exces5 sum, immoderatumque amplius et intolerabile futurum peni­ tus eorum desiderium principandi vocaliter iam expressum, deductum est aliqualiter capitulo precedente. § 2. Quodque tarn in occupatis quam eciam occupandis secularibus potestatibus et principatibus, ad quos, ut om1 0 nium quasi sensibus evidenter apparet, omni conamine ten­ dunt episcopi Romanorum, quamvis indebite, non modieuro elementum fuerit, extet futurus �'que* sit eis locus *ille* so­ phisticus, quem sibi videlicet ascribunt titulum plenitudinis 15 p ofestatis, unde eciam paralogismus, quo reges et principantes ac singulos coactiva sibi iurisdiccione subiectos nituntur con­ cludere, traxit originem, bene se habet perscrutari de huius­ modi plenitudine potestatis : primum quidem separando seu distinguendo modos illius ; deinde vero inquirendo, an Ro20 mano pontifici vel alteri cuiquam episcopo secundum ali­ quem unum aut plures modos plenitudo conveniat potestatis ; �o

·

1 2 55 1 2 56 1 2 57 1 2 58 1 259

II 6 u. II 7 ganz ; II 9, 1-9 ; II 1 1 , 1 -2, 7-8. II 15 überschr. u . 7-1 0 ; II 16 üb erschr. u . 1-14. li 22, 20. weil, auch mit Konj., vgl. Vo (Modi) ; Hauptsatz 441 ,16. quod Sinnen Augen und Ohren. =

=

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KAP I T E L XXIII 15

§ 1 Umfang und Art der Gewalten der Priester ist in II 6, II 'l, II 9 und II 1 1 1255 festgestellt worden ; ferner, ob ihre Gewalt und Würde gleich oder ungleich sei, darüber haben wir II 15 und II 161 256 gehandelt ; weiter, daß es zweckmäßig und sinnvoll war, e i n e m Bischof, e i n e r Kirche oder e i n e m Kollegium von Priestern und Klerikern einen Vor­ rang oder eine führende Stellung über alle anderen zu geben, wie diese entstand und sich entwickelte, schließlich aber, wie sie unmerklich und schleichend in eine ihnen gar nicht zu­ kommende Form und Art von Vorrang überging bis zu einem geradezu bedrohlichen und ins Unerträgliche übersteigerten Anspruch auf weltliche Gewalten und bis zum maßlosesten 5 und künftig keinesfalls zu duldenden Verlangen nach Herr­ schaft, das sie schon laut ausgesprochen haben - < alles das > ist im vorausgehenden Kapitel1 2 57 bereits einigermaßen be­ handelt worden. § 2 Ebenso1258 bei den bereits gewonnenen wie bei den noch zu gewinnenden weltlichen Gewalten und Regierungs10 befugnissen, nach denen, wie so gut wie allen125 9 ganz klar vor Augen liegt, die römischen Bischöfe mit aller Macht stre­ ben, wenn auch ohne jedes Recht, war und ist und wird für sie sein ein bedeutsames Element jenes trügerische Beweis­ mittel, der Rechtstitel der Fülle der Gewalt, den sie sich zuaus ihm hat ja auch der Trugschluß seinen 15 schreiben ; Ursprung genommen, mit dem sie zu begründen suchen, die Könige und die Herrscher und die einzelnen seien in einer zwingenden Rechtsprechung ihnen untergeordnet ; daher ist es gut, Nachforschungen anzustellen über eine derartige Fülle der Gewalt : Erstens sind ihre Auffassungen zu son­ dern oder zu unterscheiden ; dann ist zweitens zu fragen : 20 Kommt dem römischen Papst oder einem anderen Bischof die Fülle der Gewalt in einer oder in mehreren Auffassungen

20

441

Yon d e n A u f f a s s u n g e n v o n F ü l l e d e r G e w a l t . Wi e u n d i n w e l c h e r R e i h e n f o l g e h a t d e r r ö m i s ch e B i s ch o f s i e s i ch a n g e e i g n e t ? I m ü b e r b l ic k : I n w e l c h e r We i s e h a t e r s i e g e b r a u ch t u n d g e b r a u c h t s i e n o ch ?

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post hec autem, secundum quam significacionum hunc titu­ lum Romanus episcopus sibi primum assumpsit ; demum vero, qualiter ex hac in alias assurnendas accepciones, non 25 utinam decepciones, principantibus et subiectis omnibus civiliter viventibus preiudiciales se transtulit, et qualiter et in quibus eis usus fuerit et utatur idem pontifex et, nisi pro­ hibeatur, verisimiliter sit usurus. § 3. Verum quia plenitudo potestatis universalitatem quan­ 3o dam importare videtur, et de voluntariis potestatibus propo442 situm sit intendere solum, distinguendum nobis est plenitu­ dinem potestatis in modos, penes universalis voluntarie pote­ statis distinccionem. Est igitur et intelligi vere potest uno modo potestatis pleni5 tudo secundum significacionem sive virtutem sermonis ea, que cuiuslibet actus possibilis et rem quamlibet voluntarie factiva est, non habens yperbolem. Que soli hominum Chri­ sto convenire videtur ; unde Matthei ultimo : Data est mihi omnis potestas in celo et in terra. 10 Secundo vero modo intelligi potest plenitudo potestatis ad propositum magis ea, secundum quam liceat homini exercere quemlibet suum actum voluntarium imperatum in quemli­ bet hornirrem et rem quamlibet exteriorem existentem in hominum potestate sive ordinabilem ad usum eorum ; vel ea 1 5 rursum, secundum quam quidem liceat in omnem actum iam dictum, quamvis non super quemlibet hominem aut rem omnem humane potestati subiectam ; vel amplius ea, secun­ dum quam liceat non omnem actum exercere, sed determina­ tum specie sive modo, secundum tarnen omnem volentis 20 impetum, super quemlibet hornirrem et rem omnem humane subditam potestati. 1262 1263 1264 126 5

Scholz 442 Anm. 1 . factiva erst mit Gen., dann mit Akk. faciens ; die meisten Hss. haben i n vor dem Akk. eingeschoben. Matth. 28, 18. a) ohne Einschränkung, b) Einschränkung im Objekt, c) Einschränkung im Subjekt. Voll ist die Gewalt, wenn sie in dem genannten Kreis ohne weitere Einschränkung gilt. =

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zu ? Drittens, in welcher Bedeutung hat der römische Bischof diesen Titel sich zuerst angeeignet ? Viertens, wie < ging es zu, daR > dieser Rechtstitel aus der ersten Auffassung sich in die anderen (wären es doch nicht Täuschungen !) gewandelt1260 hat, die mit dem Anspruch auf Anerkennung auftreten, 25 schadenbringend allen Herrschern und ihren Untertanen in ihrem bürgerlichen Leben ? Fünftens, in welcher Weise und in welcher Hinsicht hat derselbe Bischof diese Auffassungen gebraucht und gebraucht sie und wird sie wahrscheinlich ge­ brauchen, wenn man ihn nicht hindert ? ;o § 3 Weil aber Fülle der Gewalt eine ganz umfassende Bedeutung 1261 zu haben scheint und unsere Aufgabe nur sein soll, uns mit den in freiem Willen ausgeübten Gewalten zu 442 beschäftigen, so müssen wir die verschiedenen Auffassungen von Fülle der Gewalt sondern bei der Aufgliederung der umfassenden, durch den freien Willen bestimmten Gewalt. (1) Erstens 1262 ist nun Fülle der Gewalt und kann in Wahr5 heit der Bedeutung oder dem Wortsinn nach verstanden wer­ den als die Gewalt, die jede mögliche Handlung und jede beliebige Sache mit freiem Willen hervorbringt 1 2 6 3, ohne eine weitere Steigerung zuzulassen. Diese scheint allein von den Menschen Christus zuzukommen. Daher heißt es bei Mat­ thäus im letzten Kapitel1264 : Mir ist gegeben alle Gemalt im Himmel und auf Erden. 10 (2) Zweitens 1265 kann man Fülle der Gewalt in engerer Beziehung zum Thema verstehen (a) als die < Gewalt des Men­ schen > , jede seine vom Willen gebotenen Handlungen gegen­ über jedem Menschen und jeder äußeren Sache auszuführen, die sich in der Gewalt von Menschen befindet oder für ihren Gebrauch bestimmt werden kann ; oder ferner (b) als eine 1 5 < Gewalt > zu jeder eben erwähnten Handlung, allerdings nicht gegenüber jedem Menschen oder jeder Sache, die menschlicher Gewalt unterworfen ist ; oder weiter (c) als eine < Gewalt > , nicht jede Handlung auszuführen, sondern < nur > eine nach Art und Unterart b egrenzte, jedoch auf jeden < innerhalb dieses Kreises zulässigen > Willensimpuls 20 des Wollenden hin · gegenüber jedem Menschen und jeder Sache, die menschlicher Gewalt unterstellt ist. 1 2ao accepciones - decepciones Wortspiel. 1 26 1 einschlieRlieh der Naturgewalten.

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Tereio vero modo intelligi potest plenitudo potestatis ea, que supreme iurisdieeionis eoactive super omnes mundi prin� eipatus, populos, eommunitates, eollegia et singulares per� 25 sonas ; aut rursum in aliqua horum, seeundum tarnen omnem impetum voluntatis. Quarto vero modo intelligi potest ea, que iam dicta est aut seeundum dieturn modum super omnes clerieos tantum, ipsos� que omnes ad eeclesiastiea offieia instituendi, privandi seu 30 deponendi et eeclesiastiea temporalia sive benefieia distri� buendi, aut seeundum modum iam dictum. Quinto autem potest intelligi, ut ea que saeerdotum omni� mode ligandi et solvendi hornirres a eulpis et penis exeom� munieandi et interdieendi et reeoneiliandi, de qua dieturn est 6° huius et ?' 0 • 5 Sexto quidem intelligi potest ea, qua manus imponere 1iceat omnibus ad eeclesiastieos ordines suseipiendos, et ee� clesiastiea saeramenta eonferendi vel prohibendi, de qua die� turn est eeiam 16° et 1 ?'0 huius. 10 Septimo vero intelligi potest ea, que sit interpretandi serip� ture sensus, presertim in hiis que sunt de neeessitate salutis, et veros a falsis, sanos ab insanis diffinire seu determinare, ritumque omnem eeclesiastieum ordinandi, et ordinatorum observaeionis eoactivum vel sub anathemate generaliter ferre preeeptum. Octavo vero et ultimo modo, quantum proposito nostro 15 attinet, intelligi potest plenitudo potestatis ea, que eure pastoralis animarum generalis ad omnes mundi populos at� que provineias, de qua dieturn est 9° et 22° huius. 20 Posset autem rursum plenitudo potestatis intelligi seeun� dum unamquamque divisionum dictarum ea, que nulla sit determinata lege ; non plena vero, que foret determinata per

1 26 6

1267

1 268 t269

d. II II II

h. nur als Rechtsprechung. 6-7 ganz. 16, 2; II 17,8, Abs. 2. 9,2 ; II 22,6 (426,1-4) .

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(3) Drittens kann Fülle der Gewalt verstanden werden als die < Gewalt > zur höchsten zwingenden Rechtsprechung über alle Regierungen, Völker, Gemeinschaften, K ollegien 25 und Einzelpersonen der Welt oder ferner über einige davon, jedoch auf jeden Willensimpuls hin. (4) Viertens kann sie verstanden werden als die < Gewalt > , wie sie eben erwähnt oder aufgefa.ßt worden ist, doch < nur > über alle Kleriker und < als das Recht > , sie alle in die kirch­ lichen .Ämter einzusetzen, sie ihrer zu entkleiden oder sie abzusetzen und die zeitlichen < Güter > der Kirche oder Bene30 fizien zu verteilen, oder < nur > in der eben genannten < 3. > Auf­ fassung. 1266 443 (5) Fünftens kann sie verstanden werden als die der Priester, die Menschen in jeder Weise zu binden und sie zu lösen von Schuld und Strafe der Exkommunikation und des Interdikts und sie wieder zu versöhnen ; über diese ist in II 6 und II '7 1267 gesprochen worden. 5 (6) Sechstens kann sie verstanden werden als die < Gewalt > , allen bei Empfang der kirchlichen Weihen die Hände auf­ zulegen und die kirchlichen Sakramente zu erteilen oder zu versagen, worüber schon in II 16 und II 1 '7 1268 gesprochen worden ist. w ('7) Siebentens kann sie verstanden werden als die < Gewalt > , den Sinn der Schrift auszulegen, zumal in dem, was für das Seelenheil notwendig ist, und den wahren < Sinn > vom falschen, den vernünftigen vom unvernünftigen abzu­ grenzen und zu bestimmen und den ganzen kirchlichen Ritus zu ordnen und ganz allgemein eine Weisung zu geben, die die Befolgung der Anordnungen erzwingt, sogar unter dem Bannfluch. 15 (8) Achtens und letztens : Soweit das unser Thema angeht, kann man Fülle der Gewalt verstehen als die < Gewalt > , die allgemeine Seelsorge für alle Völker und Länder der Welt < auszuüben > ; über diese ist in II 9 und II 22 1260 gesprochen worden. Ferner könnte Fülle der Gewalt in jeder der genannten 20 Gruppen als die < Gewalt > verstanden werden, die durch kein Gesetz begrenzt ist ; nicht voll aber wäre eine < Gewalt > ,

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Ieges humanam aut divinam, sub qua eeiam recta raew potest eonvenienter eomprehendi. § 4. Sunt autem fortasse modi quidam et eombinaciones 25 alie plenitudinis potestatis ; que tarnen omnes ad inteneio­ nem propositam pertinent, enumerasse videmur. Hiis itaque potestatis plene divisionibus sie premissis, dieo plenitudinem potestatis secundum iam dietos duos priores 30 modos episcopo Rarnano vel alteri cuiquam saeerdoti vel nonsacerdoti preter Christum sive Deum minime convenire. De quibus siquidem propter rei evideneiam, et quoniam cer­ tificatum est ex divina et humana sapiencia et omni morali seieneia, pertranseo eciam propter abbreviaeionem. 444 De tereio quidem et quarto modo plene potestatis per demonstracionem ostensum est 1 5° prime, per seripture saere testimonium infallibile 4°, 5° et 8° huius, amplius eonfirma5 turn 1 5°, 16°, 1 7° ae 2 1 ° eiusdem firmissime roboratum, quon­ iam sacerdoti aut episcopo, inquantum huius·=· modi\ super clericum [aut non clericum] quemquam absolute, nedum cum plenitudine aliqua, lege divina nulli conveniunt. Utrum autem humana lege sit clerico cuiquam, episcopo vel sacer1 0 doti aut nonsacerdoti, talis potestatis plenitudo eoncessa, secundum aliquem modum possibilis quidem concedi, et ex causa racionabili legislatoris humani iudicio revocari, certi­ ficandum est ex humanis legibus et rescriptis seu privilegiis legislatoris eiusdem. De reliquis autem quinto et sexto modo, plene potestatis 15 seilicet, ostensum est 6° huius et 7°, quoniam potestas ligandi atque solvendi a culpis et penis, similiter ea que anathemati­ zandi seu excommunicandi publiee quemquam, non est abso­ lute sive cum plenitudine saeerdoti eoneessa, sed lege divina 20 determinata, sie ut neque innoxios apud Deum dampnare, 1 2 1o I 15 (Der Regent ist der einzige Richter) , bes. §§ 2 u. 6. 1271 II 4-5 (Christus und die Apostel haben sich dem staatlichen Gericht unterstellt) ; II 8, "2'-9. 1272 II 15, 6-1 0 (Urkirche) ; II 1 6 (Gleichheit der Apostel wie aller

Bischöfe) ; II 1"2' (sekundäre Einsetzung durch die Gemeinden) .

12 73 II 2 1 , 2--4 u. 1 1 . 1274 I I 6-"2' ganz.

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z5

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die begrenzt wäre durch das menschliche oder das göttliche Gesetz ; unter dieser Gewalt kann auch das vernünftige Denken mit Recht inbegriffen werden. § 4 Es gibt aber vielleicht noch andere Auffassungen und Mischarten von Fülle der Gewalt ; alle jedoch, die zu dem aufgestellten Thema gehören, glauben wir aufgezählt zu haben. Nachdem wir nun diese Gruppen der Vollgewalt erst ein­ mal festgestellt haben, behaupte ich : Die Fülle der Gewalt kommt in den beiden ersten eben erwähnten Auffassungen dem römischen Bisclwf oder einem anderen Priester oder Nicht-Priester keineswegs zu, nur Christus oder Gott. Hier­ über gehe ich hinweg ; die Sache ist unbedingt klar und durch die göttliche und menschliche Weisheit und die ganze Moral­ wissenschaft gesichert, auch möchte ich abkürzen. Was die dritte und vierte Auffassung von Vollgewalt anlangt, so haben wir in I 1 5 1 2 70 streng logisch und durch unfehl­ bares Zeugnis der Heiligen Schrift in II 4, II 5 und II 8 1 271 erwiesen, in II 1 5, II 16, II 1 71272 noch besser gesichert und in II 2 1 1273 aufs stärkste bekräftigt, dafl sie einem Priester oder Bischof als solchem gegenüber einem Kleriker oder Nicht-Kleriker nach göttlichem Gesetz absolut nicht zukom­ men, geschweige denn in Verbindung mit irgendeiner Fülle der Gewalt. Ob aber durch menschliches Gesetz einem Kleri­ ker, einem Bischof oder Priester oder einem Nicht-Priester eine solche Fülle der Gewalt zugesprochen worden ist - sie könnte ja in irgendeiner Auffassung zugesprochen und aus einem vernünftigen Grunde durch die Entscheidung des menschlichen Gesetzgebers widerrufen werden -, ist auf Grund der menschlichen Gesetze und der Verfügungen oder Privilegien dieses Gesetzgebers festzustellen. Was aber die fünfte und sechste Auffassung der Voll­ gewalt angeht, so ist in II 6 und II 71274 gezeigt worden, dafl die Gewalt, zu binden und von Schuld und Strafe zu lösen, ebenso die, jemand vor aller Öffentlichkeit zu verfluchen oder zu exkommunizieren, nicht absolut oder mit Fülle der Gewalt dem Priester übertragen ist, sondern durch göttliches Gesetz begrenzt, so dafl er weder vor Gott Unschuldige ver­ dammen noch Schuldige lösen kann, und ferner, dafl die

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neque noxios solvere possit. Et rursum, quoniam excom­ municandi quemquam publice, precipue principai:ttem aut communitatem aliquam interdicendi, cuilibet episcopo et sacerdoti humana ordinacione convenienter debet deter25 minari potestas, quemadmodum ostensum est ''6° et" 7° et 2 1 ° huius. Amplius, eandem potestatem a d ecclesiasticos mini­ stros instituendos per manuum imposicionem, docendum et predicandum ac ecclesiastica sacramenta in communitati­ bus fidelium ministrandum, monstraturn est 1 7° huius non sie 0 episcopis aut sacerdotibus cum plenitudine convenire, quin 3 divina et humana lege determinatus sit eis modus conveniens agendi secundum illam. De residuis autem septimo et octavo modo plenitudinis 445 potestatis, ostensum est 20°, 2 1 ° et 22° huius, eos nulli epi­ scopo aut sacerdoti cum plenitudine convenire, sed secun­ dum determinacionem tarn divine quam humane legis. Non 5 igitur episcopo Romanorum aut alteri sacerdoti cuiquam plenitudo convenit potestatis, inquantum huiusmodi, nisi eam fortasse velint appellare plenitudinem potestatis priori­ tatem seu principalitatem, quam episcopo supradicto et ipsius ecclesie super reliquas omnes ''fidelis legislatoris hu­ mani auctoritate'' 22° huius monstravimus convenire. 10 § 5. Unde vero et a qua significacione per Romanum ponti­ ficem primum exordium sumptum est huius ascribendi sibi tituli plenitudinis potestatis, cum tarnen vere secundum nul­ lam dictarum significacionum illi conveniat, consequenter dicendum. Videtur autem titulus hic a Romano pontifice 1 5 secundum significacionem octavam primum assumptus, et sue cuiusdam apparentis conveniencie originem extitisse id Christi oraculum, quod habetur Johannis 2 1°, dum beatum Petrum alloquens inquit : Pasce oves meas; amplius ex eo 20 quod Matthei 16° ad eundem singulariter : Tibi dabo claves 1277 II 20, 4-1 2 ; II 2 1 ,4 (Der Gesetzgeber führt die Beschlüsse des Konzils

durch) ; II 22, 1 -7 (Die richtige Auffassung des päpstlichen Primats) .

121s J oh. 2 1 , 1 7. 121u Mat th. 16,1 9.

Teil II, Kapitel XXIII

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5

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Gewalt, _jemand vor aller Öffentlichkeit zu exkommunizie­ ren, zumal einen Herrscher, oder eine Gemeinschaft mit dem Interdikt zu belegen, für jeden Bischof und Priester durch menschliche Anordnung zweckmäßigerweise begrenzt werden muß, wie in II 6, II 7 und II 2 1 12 75 gezeigt worden ist. Ferner d i e Gewalt, Diener der Kirche durch Handauf­ legung einzusetzen, zu lehren, zu predigen und die kirch­ liehen Sakramente in den Gemeinschaften der Gläubigen zu spenden - das ist in I I 1 71276 gezeigt worden -, steht den Bischöfen oder Priestern < in Verbindung > mit der Fülle der Gewalt nicht in so weitem Umfang zu, daß ihnen nicht durch göttliches und menschliches Gesetz die richtige Art, dem Gesetz gemäß zu handeln, bestimmt wäre. Von den übrigen Auffassungen von der vollen Gewalt, der siebenten und achten, ist in II 20, II 21 und II 22 1 277 gezeigt worden, daß sie keinem Bischof oder Priester in vollem Um­ fang zukommen, sondern in Begrenzung durch göttliches wie durch menschliches Gesetz. Dem römischen Bischof oder einem anderen Priester kommt also als solchen die Fülle der Gewalt nicht zu, sie müßten denn Fülle der Gewalt nennen wollen den Vorrang oder die führende Stellung, die dem obengenannten Bischof und seiner Kirche gegenüber allen übrigen Kirchen kraft Ermächtigung durch den gläubigen menschlichen Gesetzgeher zusteht, wie wir in II 22 gezeigt haben. § 5 Womit aber und von welcher Bedeutung ausgehend der römische Papst begonnen hat, sich diesen Rechtstitel der Fülle der Gewalt zuzuschreiben, obwohl er ihm doch in Wahrheit in keiner der genannten Bedeutungen zukommt, muß nun­ mehr dargelegt werden. Diesen Rechtstitel hat wohl der römisehe Papst zuerst in der achten Bedeutung in Anspruch ge­ nommen, und Ursprung einer gewissen Scheinberechtigung ist wohl das Wort Christi bei Johannes im 2 1 . Kap. 1278 gewesen ; er hat nämlich den seligen Petrus angeredet und gesagt : Weide meine SChafe, ferner < stammt er > aus dem, was Christus bei Matthäus im 16. Kap.1279 zu Petrus im besonderen sagt : ICh roill dir des HimmelreiChs SChlüssel 1275 12 1a

II 6, 1 1 -1 3 ; II 7, 5; II 2 1 ,2 (41 1 ,26) . II 17, 8 (Abs. 2) -1 5.

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Marsilius v o n Padua, Verteidiger des Friedens

regni celorum etc. ; rursum ex eo quod Iohannis 18° : Converte gladium tuum in vaginam; amplius ex discipulorum respon­ so ad Christum : Ecce duo gladii. Ex quibus siquidem secun­ dum suas interpretaciones quidam intelligi volunt universita23 tem totam et tocius orbis ovium, id est Christi fidelium, soli Petro fuisse commissam et sie cuilibet Romano pontifici, tam­ quam beati Petri vicario singulari ; reliquis vero apostolis et ipsorum successoribus episcopis non totam et tocius orbis universitatem ovium, sed singulis determinatum et singulum 3 0 gregem atque provinciam gubernandam fuisse commissam. Quorum beatus Bernardus, sie intelligens oraculum Christi predictum, Ad Eugenium Papam Romanum De Considera­ cione libro 2° sie ait : N ec modo ovium, sed et pastarum tu modo unus omnium. Unde id probem, queris : ex verbo Domini. 5 Cui enim, non dico episcoporum, sed eciam apostolorum sie absolute et indiscrete tote commisse sunt oves ? 'Si me amas, Petre, pasce oves meas' : nihil excipitur, ubi nihil distinguitur. Parum eciam infra subiungens : lnde est, quod alii singuli singulas sortiti sunt plebes, scientes sacramentum. Denique 1 0 lacobus, qui videbatur una esse columpna ecclesie, una con­ tentus est Ierosolima, Petro universitatem cedens. Consequen­ ter autem propositum inferens, inquit : Ergo iuxta canones tuos alii in partem sollicitudinis, tu in plenitudinem potesta1 5 tis vocatus es. Intellecta fuit igitur ab inicio plenitudo pot­ estatis administracio seu cura generalis omnium animarum. § 6. Secundum hanc quidem significacionem assumpta sibi predicacione tituli huius, quamvis non secundum verum scripture sensum, quemadmodum 28° huius sufficienter monzo strabitur, ex presumpcione transivit in aliam Romanus epi­ scopus, fortasse questus gracia vel alterins commodi aut excellencie super alios usurpande, assumendo videlicet ac publice predicando se solum singulariter a penis debitis seu 1280 1281 1282 1283 t 284

J oh. 18, 1 1 . Luk. 22,38. Scholz 446 Anm. 1 . Schrift des Eugenius, vgl. 561 ,21-22. II 28, 8 9 . -

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geben usw., weiter aus dem Wort bei Johannes im 18. Kap 12 80 : SteCke dein SChwert in die SCheide, schlieRlieh aus der Ant­ wort der Jünger an Christus : Hier sind zwei SChwerter.1281 Daraus wollen nun einige in ihren Deutungen den Sinn her­ auslesen, die Gesamtheit der Schafe in der ganzen Welt, d. h . 2> der Christusgläubigen, sei allein dem Petrus anvertraut gewesen und damit jedem römischen Papst als dem einzigen Statthalter des seligen Petrus, den übrigen Aposteln aber und deren Nachfolge-Bischöfen sei nicht die Gesamtheit der Schafe in der ganzen Welt, sondern jedem einzelnen sei eine >o bestimmte und einzelne Herde und Provinz zur Leitung an446 vertraut gewesen. Zum Beispiel sagt der selige Bernhard, der das obenerwähnte Wort Christi so versteht, in der an den römischen Papst Eugenius gerichteten Schrift ,Zur Erwägung' B. 21282 : Und niCht nur unter allen SChafen, sondern auCh unter allen Hirten stehst nur du einzig da. Woher iCh das beweisen roill, fragst du ? Aus dem Wort des Herrn. Wem nämliCh, ich ; sage niCht: von den BisChöfen, sondern sogar : von den Aposteln sind so absolut und untersChiedslos alle SChafe an­ vertraut morden ? ,Wenn du miCh liebst, Petrus, weide meine SChafe.' NiChts wird ausgenommen, roo niChts untersChieden wird. Ein wenig weiter unten fügt er hinzu : Daher kommt es, daß jeder andere, der das Sakr ament kennt, ein einzelnes Volk 1 0 bekommen hat. EndliCh ist ]akobus, der offenbar eine Säule der Gemeinde war, zufrieden mit ] erusalem und überläßt dem Petrus die Gesamtheit. Im Anschluß daran bringt er < Unsere > These vor und sagt : Also sind naCh deinen Canones1283 die einen zum Anteil an der Seelsorge, du aber zur Fülle der Ge1 5 walt berufen. Fülle der Gewalt wurde also anfangs als allge­ meine Hilfeleistung oder Fürsorge für alle Seelen verstanden. § 6 Nachdem sie den Anspruch auf den Rechtstitel in dieser Bedeutung erhoben hatten, wiewohl nicht nach dem wahren Sinn der Schrift, wie in II 281284 dieses Teils zur Genüge 20 gezeigt werden wird, ging der römische Bischof von einer Anmaßung zu einer zweiten über, vielleicht um eines anderen Gewinnes oder Vorteils willen oder um eine überragende Stellung vor den anderen sich anzueignen ; er erhob nämlich und verkündete in aller Öffentlichkeit den Anspruch, er allein für seine Person könne von Strafen, die für die künftige Welt 25 verdient oder noch zu verhängen seien, je nach den .

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infligendis pro statu futuri seculi iuxta peccatorum demerita suo verbo vel satisfaccionis in hoc seculo quo sibi libeat modo taxato simpliciter eximere peccatores et absolvere posse. § 7. Hiis autem sie sumptis sub quadam pietatis et miseri5 cordie specie, prima quidem, ut ex caritate sollicitari et curare de omnibus videantur, secunda vero, ut omnibus mi­ sereri posse ac velle credantur, privilegiis et concessionibus principum fulti et precipue imperiali sede vacante, titulum hunc consequenter extenderunt episcopi Romanorum : pri1 0 mum quidem ad ordinandum circa ecclesiasticum ritum laciones ''legum'' quasdam in clericos ab inicio, vocata decreta; deinde vero per modum rogacionum seu exortacionum ordi­ naciones quasdam Iaicis suaserunt, ut ieiuniorum et certis temporibus abstinencie ciborum quorundam propter divinum su:ffragium et misericordiam impetrandam, ad quasdam 15 tollendas tune ab hominibus epidimias et aereas tempestates, sicut ea legenda beati Gregorii et aliorum quorundam sane­ tarum satis apparet. § 8. Ras autem suscipientibus Iaicis sponte ac propter de­ vocionem observantibus, inveterata talium consuetudine, 20 ordinaciones, iam dictas rogaciones, per modum precepti ceperunt indicere, sie ut earum transgressores auserint abs­ que humani legislatoris licencia vocalis sui anathematis seu excommunicacionis, sub pietatis tarnen seu divini cultus specie, [terrore] ferire. § 9 . Crescente autem consequenter ipsis appetitu amplius 25 dominandi, attendentibus eciam devotos fideles huiusmodi verbis terreri propter ignaviam et divine legis impericiam, qui ad ea que per sacerdotes indicebantur obligari credebant metu dampnacionis eterne, presumpserunt ulterius episcopi Romanorum cum suo clericorum cetu oligarchica quedaRJ. 5 edicta sive ordinaciones circa civiles actus statuere, quibus

25

447

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12ss modo satisfaccionis, quem sibi ( taxare ) libeat ; quo ist eine Art

Attraktion, s. Vo.

1286 378, 14 : schon vor Konstantin. 1287 Nach Galen ist mutacio aeris in suis qualitatibus Ursache der Epi­

demien.

1288 Scholz 447 Anm. 1 .

Teil Il, Kapitel XXIII

44?

4.48

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Vergehen der Sünder, durch seine Erklärung oder die Aufleg,u ng einer Genugtuung in dieser Welt, die er nach Belieben abschätzen könne 128 5, schlechthin die Sünder frei machen und lossprechen. § ? Nach dem sie diese < Gewalten > unter einem gewis5 sen Schein von Frömmigkeit und Barmherzigkeit für sich beansprucht hatten (die erste, damit es so aussähe, als küm­ merten sie sich und sorgten sie sich aus Nächstenliebe um alle, die zweite, damit man glauben sollte, sie könnten und wollten mit allen Erbarmen haben) , dehnten die römischen Bischöfe, gestützt auf die Privilegien und Zugeständnisse der Kaiser, und zumal wenn der Thron unbesetzt war, diesen Rechts­ anspruch Schritt für Schritt weiter aus : erstens gaben sie 1 0 von Anfang an 1286 gewisse Gesetze für die Kleriker über den kirchlichen Ritus, Dekrete genannt ; zweitens empfahlen sie in Form von Bitten oder Mahnungen den Laien gewisse Anordnungen, z. B. über die Fasten und über Enthaltung von gewissen Speisen in bestimmten Zeiten, wodurch die Men15 sehen Gottes Hilfe und Erbarmen erlangen sollten, um sich von gewissen Epidemien und atmosphärischen Einflüssen1287 zu befreien, wie sich aus der Legende des seligen Gregor1288 und gewisser anderer Heiliger zur Genüge ergibt. § 8 Die Laien nahmen diese < Anordnungen > freiwillig an und befolgten sie aus frommer Scheu ; als die Gewöhnung daran eingewurzelt war, begannen sie die Anordnungen, 20 eben Bitten genannt, in Form einer Vorschrift anzukündigen, so daR sie es wagten, deren Übertreter ohne Genehmigung des menschlichen Gesetzgebers mit ihrem lauten Fluch oder der Exkommunikation zu schrecken, jedoch unter dem Schein der Frömmigkeit oder der Gottesverehrung. 2'> § 9 Dann aber wuchs ihnen das Verlangen nach weiterer Ausdehnung ihrer Herrschaft ; in der Erwartung, die from­ men Gläubigen würden in ihrer Feigheit und Unkenntnis des göttlichen Gesetzes auch durch derartige Worte sich schrecken lassen - sie glaubten in ihrer Furcht vor der ewigen Ver­ dammnis, sie seien zu dem verpflichtet, was die Priester an­ gaben -, wagten die römischen Bischöfe noch darüber hinaus mit ihrer Priesterclique gewisse Edikte oder Anordnungen 5 ihres kleinen machthungrigen Klüngels zu erlassen, die in das Staatsleben eingreifen ; in denen erklärten sie, sie selbst und

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seipsos ae ipsorum ordinem s ive officium clerieatus, assu­ rnenies quoslibet eciam mere laicos, pronuneiaverunt exemp­ tos ab oneribus publieis, ad hoc promoventes officium secu­ lares eciam coniugatos, qui faeile sunt allecti, ut immunitati1 0 bus gaudeant onerum publicorum. Unde non modicam civilis multitudinis sibi subiecerunt partieulam, eandem subtrahen­ tes principaneium potestati. Rursumque ampliorem subtra­ here studentes, aliis pronunciaverunt edictis anathematis pena feriri eos qui personales iniurias qualescumque intule1 5 rint hiis, qui clericorum collegio sunt ascripti ; sie quoque cle­ ricis iniuriam inferentes per excommunieacionem in templis publice di:ffamantes ; nec minus propterea persequentes eos­ dem requirunt humanarum legum penis arceri. § 10. Horum autem detestabilius et sacerdotum officio exe�o crabile valde, quod Rarnanorum et episcopi reliqui, ut suam amplient iurisdiccionem et per hanc sibi questum turpissi­ mum in Dei contemptum et principancium preiudicium manifestum, tarn laicos quam clericos vel negligentes aut eciam impotentes quedam persolvere debita pecuniaria, qui­ bus ad certurn temporis terminum persolvendis fuerant civi­ liter obligati, excommunicant et excludunt ab ecclesiasticis sacramentis ; quos Christus et sancti apostoli multis exorta5 cionibus, penis et laboribus ac demum suis martiriis et pre­ ciosis sanguinibus infra ecclesiam posuerunt. Non enim sie fecit qui omnibus omnia factus est, ut omnes lucrifaceret, sed propter sola crimina gravia voluit peccatores a reliquo­ rum fidelium precidi consorcio, ut ex 1 a ad Corinthios 5° in­ duximus 6° huius. 10 § 1 1 . Quibus eciam non contenti, sed secularium contra Christi et apostolorum preceptum aut consilium petentes fastigia, in legumlaciones, seorsum ab hiis que civium uni­ versitatis, proruperunt, omnem eierum ab hiis decernentes 12s 9 II 8, 9.

1 290

Scholz 448 Anm. 1.

1 2 94

II 6,13, (bes. 2 1 2 , 1 5-2?) .

1291 Scholz 449 Anm. 1. 1292 1 . Kor. 9,21-22. 12 9 3 1. Kor. 5,3-5.

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ihr Stand oder das geistliche Amt - sie nahmen auch beliebige völlige Laien dazu - seien von öffentlichen Lasten befreit ; dabei erhoben sie zu diesem Amte auch verheiratete Laien, die sich leicht dazu verlocken ließen, Befreiung von öffent1 0 liehen Lasten zu genießen.1289 Damit unterstellten sie sich einen nicht geringen Teil des Staatsvolkes und entzogen ihn der Gewalt der Regierungen. Weiter, in dem Streben, ihnen einen < noch > größeren Teil zu entziehen, verkündigten sie in anderen Edikten, mit der Strafe der Verfluchung würde ge­ troffen, wer irgendwelches persönliches Unrecht denen täte, 15 die dem Klerus zugeschrieben seien ; demgemäß stellten sie auch die, die Klerikern Unrecht taten, durch Exkommuni­ kation in den Kirchen öffentlich bloß ; trotzdem verfolgen sie diese desweg·en < noch weiter > und verlangen, daß sie < auch noch > nach den menschlichen Gesetzen bestraft werden. 1290 20 § 10 Das Abscheulichste davon aber und Verwerflichste für das Priesteramt ist dies : Um ihre Rechtsprechung zu er­ weitern und dadurch sich einen ganz schändlichen Gewinn zu versd1affen - so verachten sie Gott und schädigen ganz offen die Regierungen -, exkommunizieren der römische und die anderen Bischöfe Laien wie Kleriker und schließen sie von den kirchlichen Sakramenten 1291 aus, wenn sie aus Nachlässigkeit oder Unvermögen gewisse Geldschulden nicht bezahlen, die bis zu einem bestimmten Termin zu begleichen sie nach bürgerlichem Recht verpflichtet waren - Menschen, die Christus und die heiligen Apostel durch viele Mahnungen, 5 Strafen und Mühen, endlich durch ihre Marter und ihr kost­ bares Blut in die Kirche aufgenommen haben. So handelte doch d e r nicht, der für alle Alles geworden ist129 2, um alle zu gewinnen, sondern er wollte, daß Sünder nur wegen schwerer Vergehen aus der Gemeinschaft mit den übrigen Gläubigen ausgestoßen würden, wie wir aus dem 1 . Korintherbrief Kap. 5 1293 in II 6 1294 angeführt haben. 10 § 1 1 Damit immer noch nicht zufrieden, vielmehr in dem Streben nach dem Gipfel der weltlichen < Macht > sind sie gegen Christi und der Apostel Gebot oder Rat sogar so weit gegangen, Gesetze zu geben, gesondert von denen der Ge­ samtheit der Bürger ; sie verordneten nämlich, der ganze Klerus sei aus der staatlichen Gesetzgebung herausgenom­ men, und verursachten dadurch Spaltung unter den Bürgern

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exemptum, civile scisma et principatuum supremorum plu­ ralitatem inducentes ex ipsis, quam velut impossibilem hu­ mane quieti, certarn huius experienciam inducentes, demon­ stravimus 1 7° prime. Hec enim pestilencie ''Ytalici'' regni radix est et origo, ex qua cuncta scandala germinaverunt et prod2o eunt, et qua stante numquam civiles ibidem cessahuni dis­ cordie. Pofestatem etenim hanc, ad quam paulatim et latenti prevaricacione subintravit, ex consuetudine aut abusione verius dudum detinuit Rarnanorum episcopus ; eandemque sibi per principem revocari formidans, et merito propter 25 commissos excessus, creacionem atque promocionem Romani principis omni maligna sollicitudine vetat ; et in tantam 450 demum ipsorum quidam prorupit audaciam, ut in suis edictis expresserit, Romanum principem sibi iuramento fide­ litatis astringi, tamquam coactiva iurisdiccione subiectum, ut ea suarum narracionum, quas decretales appellant, deri5 sibili et contempnendo prorsus involucro 7°, De Sentencia et Re Iudicata, palam se inspicientibus offert. § 1 2. Cui p recipiti temeritati adnuere recusans christia­ nissimus imperator ille, virtutum omnium vir, per omne temto pus et locum et statum, singulariter inter ceteros principes approbatus, felicis et dive memorie ?u• Henricorum, tam­ quam prestiti iuramenti se immemorem simulans transgres­ sor describitur per falsam non minus quam temerariam nar­ racionem quandam, decretalem vocatam, cui titulus De n Iureiurando, quamvis pocius de iniusta iniuria et illata divo imperatori suisque successoribus, cognatis et affinibus omni­ bus contumelia intitulari merito possit. Nam a canonum vocatis conditoribus, quoniam periurus, pronunciatur infa­ mis. Qui eciam eius claram memoriam, si calumpniatorum 20 huiusmodi maculari posset verbis aut scriptis, denigrare sunt nisi. t5

1295 t296 t 297 1298

aus den italienischen Städten. I 17, 3-9. Vgl . I 1 , 2 ; I 1 9 , 1 1 ; 5 1 6 ,23-5 1 7,30. Scholz 450 Anm. 1 ; Clemens V. hob den Spruch Heinrichs VII. über Robert von Neapel auf. 1299 Scholz 450 Anm. 2.

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und eine Vielheit der höchsten Regierungsgewalten ; daR diese mit der Ruhe der Menschen unvereinbar ist, haben wir unter Berufung auf eine sichere Erfahrung 1 29 5 davon in I 1 7 1296 nachgewiesen. Diese < Vielheit > ist nämlich Wurzel nnd Ursprung des Verderbens Italiens, aus dieser < Wurzel > sind alle Ärgernisse herausgewachsen und gehen noch aus ihr hervor, und solange sie existiert, wird dort die Zwietracht 1297 20 unter den Bürgern niemals aufhören. Diese Gewalt nämlich, in deren Besitz er allmählich und durch versteckten Rechts­ bruch nach und nach gekommen ist, hat der römische Bischof auf Grund der Gewöhnung oder richtiger eines MiRbrauchs schon lange behauptet, und in der Besorgnis, der Kaiser könnte sie ihm entziehen (und das mit Recht wegen der begangenen Überschreitungen < seiner Befugnisse > ) , verbietet 25 er Wahl und Thronerhebung des römischen Kaisers mit allen bösartigen Ränken, und einer von ihnen ist schlieRlieh so weit 450 in seiner Frechheit gegangen, in seinen Edikten auszu­ sprechen, der römische Kaiser sei ihm durch einen Treueid verpflichtet, gleich als wenn er ihm in zwingender Recht­ sprechung unterstellt sei, wie es in dem höchst lächerlichen und verächtlichen Band 7 seiner Erzählungen, die man De5 kretalen nennt, De Sentencia et Re Iudicata (über den Rich­ terspruch und die entschiedene Sache) 1 29 8 , für den, der Ein­ blick nimmt, klar vor Augen liegt. § 1 2 Weil jener christliche Kaiser es ablehnte, dieser unbe­ sonnenen Dreistigkeit sich zu fügen, er, der Hort aller Tu10 genden, zu aller Zeit, an jedem Ort, in jeder Lage wie kein zweiter unter den übrigen Herrschern erprobt, Heinrich VII . glücklichen und erhabenen Angedenkens, wird e s i n einem ebenso falschen wie dreisten Schriftstück, Dekretale genannt, mit dem Titel De iureiurando (indessen könnte es nach 15 dem unerhörten Unrecht, das dem erhabenen Kaiser und seinen Nachfolgern, Blutsverwandten und allen Angehörigen angetan worden ist, sich eher Verleumdung betiteln) so hin­ gestellt, als wenn er einen geleisteten Eid verletzt habe und so täte, als hätte er ihn vergessen. Denn von den sogenannten Begründern des KirdwnreChts wird er vor aller Welt als Meineidiger verfemf. 1299 Diese haben auch sein ruhmreiches Andenken, wenn es durch Worte oder Schriften solcher Ver2o Ieuruder befleckt werden könnte, zu schwärzen sich bemüht. 15

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Marsilius

von

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§ 1 3 . Ras siquidem oligarchicas ordinaciones non auserunt episcopi Romanorum cum suis cardinalibus vocare leges, sed decretales appellarunt, quamvis eisdem homines ad penam obligare intendant pro statu presentis seculi, quemadmodum hec intendunt legislatores humani. Id autem vocabulo legum a principio inauserunt exprimere, formidantes resistenciam et correpcionem legislatoris predicti, quoniam ex hoc in prin5 cipantes et legislatores commiserunt crimen lese maiestatis. Vocaverunt rursum huiusmodi ordinaciones a principio iura canonica, ut ex vocabuli colore, quamvis impie appositi, magis habeantur authentice, ipsarumque credulitatem et reverenciam atque obedienciam fidelibus imprimant amplius. Sie igitur paulative clanculum se transferentes, ut omnia 10 concludamus, sex posteriores significaciones plenitudinis potestatis de se predicant Romanorum episcopi, per has quam plurima in civili ordine monstruosa committentes contra Iegern divinam et humanam ac rectum iudicium 1 5 cuiuslibet racionem habentis. De quorum aliquibus, quam­ vis non omnibus, singulariter saltim ·rememoracionem feci­ mus capitulo precedenti.

C A P I TUL UM XXIV

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Q u a l i t e r in s p e c i a l i R o m a n u s e p i s c o p u s u s u s s i t a s s u m p t o p r i m a t u e t p l e n i t u d i n e p o t e s ta t i s infra eccles iasticos limites sive s a c e r d otalem yconom1am. Ad hec autem consequens est manifestare, qualiter et in quibus hiis plene potestatis sibi modis assumptis usi fuerint hactenus Romanorum episcopi, utantur et nisi vetentur veri­ similiter sint usuri : et primum quidem in ecclesiasticis offici­ alibus statuendis et beneficiis seu temporalibus dispensandis, tarn in ecclesiasticos minisiros quam alias miserabiles per1 3oo

1301

W oligarchicus. 575,8.

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45 1

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§ 1 3 Diese Anordnungen ihres kleinen machthungrigen Klüngels 1300 haben natürlich die römischen Bischöfe mit ihren Kardinälen nicht als Gesetze zu bezeichnen gewagt, sondern Dekretalen genannt, obwohl sie durch sie die Menschen zu binden versuchen unter Strafandrohung für die gegenwärtige Welt wie die menschlichen Gesetzgeber. Das haben sie aber mit dem Wort Gesetz von Anfang an nicht auszudrücken ge­ wagt aus Furcht vor dem Widerstand und der Rüge des vor­ hin genannten Gesetzgebers ; denn damit haben sie gegen 5 Herrscher und Gesetzgeber Hochverrat 1301 begangen. Sie haben ferner derartige Anordnungen von Anfang an Kano­ nisches Recht genannt, um sie irrfolge der Färbung des Wortes, mag seine Beifügung noch so gottlos sein, eher als echt er­ scheinen zu lassen und den Gläubigen Glauben, Ehrfurcht und Gehorsam diesen gegenüber tiefer einzuprägen. 10 In so allmählicher heimlicher Wandlung, um das Ganze abzuschließen, nehmen die römischen Bischöfe die sechs letz­ ten Bedeutungen von Fülle der Gewalt laut für sich in An­ spruch und begehen unter diesen sehr vieles, was innerhalb der staatlichen Ordnung ungeheuerlich ist, gegen das göttliche und menschliche Gesetz und gegen das gesunde Urteil eines 15 jeden, der Verstand hat. Einiges davon, wenn auch nicht alles, haben wir einzeln im vorausgehenden Kapitel wenigstens erwähnt. KA P I T E L XXIV

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W i e h a t d e r r ö m i s c h e B i s c h o f d e n b e a n s p r u ch t e n Vorrang u n d die Fülle der Gewalt insb e s o n dere i n n e r h a l b d e r G r e n z e n d e r K i r c h e o d e r d e r p r i e s t er­ l i c h e n V e r w a l t u n g zur G e l t u n g g e b r a ch t ? § 1 Im Anschluß daran ist deutlich zu machen, wie und in welcher Hinsicht die römischen Bischöfe diese von ihnen in Anspruch genommenen Auffassungen der Vollgewalt bis heute zur Geltung gehracht haben, zur Geltung bringen und, wenn es ihnen nicht verboten wird, wahrscheinlich zur Gel­ tung bringen werden : und zwar erstens bei der Einsetzung von kirchlichen Würdenträgern und bei der Verwaltung von Benefizien oder zeitlichen Gütern im Interesse sowohl von Dienern der Kirche wie anderer, bedürftiger Personen, für die

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sonas, propter quas eciam, ut in 14° huius, eceiesiastica tem­ poralia tradita sunt et statuta fuere sie per ministros eceie­ siasticos dispensanda. Deinde vero monstrandum, qualiter hiis plenis potestatibus usi sint hactenus et utantur ac dein5 ceps usuri ad eos qui civiliter vivunt, tarn principes quam subiectos. § 2. Secundum hanc itaque plenitudinem potestatis hacte­ nus et in presenciarum Romanis episcopis accione permissa, Christi corpus omne misticum infecerunt et, si dicere liceat, 1 0 corruperunt. Eleccionem namque, modum pociorem, quin­ imo in qua solo securitas est simpliciter bene instituendi officialem quemcumque, diminuerunt, corruperunt et de­ mum quasi totaliter extinxerunt ; cum tarnen hac apostoli cum reliqua fidelium multitudine diaconorum institucionem ut habetur Actuum 6°. Diminuerunt quidem t5 effecerint, prima, in solum eierum convertendo quod per universam fidelium multitudinem fieri solebat et debet, quemadmodum ostensum est 1 '7° huius. Corruperunt autem rursum diminu­ endo, ut in quorundam imperitorum et exorcium legis divine 20 iuvenum, quos canonicos vocant, exeiusis provincie sacer­ dotibus, eligendi episcopum auctoritatem transferendo, nisi fortasse casu contingeret, quod rarum est et in paucioribus, eundem esse sacerdotem atque canonicum ; ad solius unius eceiesie sive templi eiericorum in provincia determinantes 25 eleccionis auctoritatem, que saltim per omnem provincie eierum fieri deberet et per sacerdotes precipue, quos debitum est esse divine legis doctores, ut ubi supra monstravimus. Extinxerunt autem quasi finaliter, quoniam omnium fere prelacionum eceiesiasticarum, nec modo harum, verum me­ diocrium et minorum officiorum, eciam que mere Iaicis con­ venire possunt propter templorum custodiam, collacionem 13o2 1303 1304 1 305 1aos 130 7 1308

I I 14, 8. Scholz 452 Anm. 1. Vgl. Gewirth I 244. Acta 6, 2-6. II 1 7, 8-1 5. Erg. auctoritatem. Zum Klerus gehören auch die Diakonen.

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auch, wie in II 14 130 2 < gezeigt worden isb , die kirchlichen Güter gegeben und gestiftet worden sind, um sie so von den Dienern der Kirche verwalten zu lassen. Zweitens ist zu zeigen, wie sie diese Arten der Vollgewalt bis heute benutzt haben und benutzen und in der Folgezeit benutzen werden 5 gegenüber denen, die im bürgerlichen Leben stehen, den Re­ gierungen wie den Staatsbürgern. § 2 Weil nun bei der Ausübung dieser Fülle der Gewaltt30 3 bis jetzt und noch heute den römischen Bischöfen < Freiheit des > Handeins gelassen worden ist, haben sie den ganzen mystischen Leib Christi vergiftet und, wenn man so sagen 10 darf, verfälscht. Denn die Wahl, die vorzüglichste Form, ja die, bei der allein Sicherheit für eine unbedingt richtige Er­ nennung eines Würdenträgers gegeben ist 1304 , haben sie ein­ geschränkt, verfälscht und schließlich fast ganz beseitigt, ob­ wohl doch die Apostel zusammen mit dem übrigen Volk der Gläubigen die Einsetzung der Diakone in einer Wahl voll15 zogen haben, wie in der Apostelgeschichte im 6. Kap. 130 5 steht. Sie haben die Wahl erst eingeschränkt dadurch, daß sie allein der Geistlichkeit zuwiesen, was die Gesamtheit der Gläubigen zu vollziehen pflegte und vollziehen muß, wie in II 1 ? 1306 ge­ zeigt worden ist. Sie haben die Wahl aber verfälscht, indem sie sie noch weiter einschränkten und das Recht der Bischofs­ 'vahl auf einige unerfahrene und im göttlichen Gesetz un20 wissende junge Leute 1307 , die man Kanoniker nennt, unter Ausschluß der Priester des Landes übertragen haben - außer wenn es vielleicht der Zufall ergab (was selten ist und in den wenigsten zutrifft) , daß Priester und Kanoniker die­ selbe Person war ; sie haben jedenfalls das Wahlrecht auf die Kleriker1307 einer einzigen Gemeinde oder Kirche des Landes eingeengt, die Wahl, die doch wenigstens der gesamte Klerus 2'5 des Landes vollziehen müßte und besonders 130 8 die Priester, die Lehrer des göttlichen Gesetzes sein sollen, wie wir oben gezeigt haben. Die römischen Bischöfe haben die Wahl aber fast endgültig beseitigt, indem sie die Besetzung fast aller höheren geistlichen Stellen der Kirche und nicht nur dieser, sondern auch der mittleren und niederen Ämter, sogar der K üsterstellen, die für völlige Laien geeignet sind, und die 5 Verteilung der zeitlichen Güter oder Benefizien < an die

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; et pro hiis temporalium seu beneficiorum distribucionem immediate sue potestati reservant episcopi Romanorum. Qua siquidem reservacione irritas et inanes esse decernunt elecciones quaslibet, quamvis rite factas de sufficientibus et approbatis personis, horum vice instituentes de sue plenitu1 0 dine potestatis ignorantis aut affecte precio vel prece, odio vel amore, terrore, obsequio exibito aut obtinendo favore, vel perverse aliter, divinarum literarum ignaros, idiotas et indisciplinatos, et plerumque homine � mente corruptos et t5 notorie criminosos, qui plebibus eciam quibus preficiuntur non communicant idiomate seu sermone. § 3. Unde respondeat ipse Christo Iohannis 10°, qui contra vel post factas aut fiendas elecciones inter cetera monstra, que fecit et facit, de lingua sua Occitana duos instituit epi20 scopos, u num Guinthoniensem in Anglia, reliquum Londen­ sem in Dacia, cum populis illis nullo communicantes ser­ mone, quales autem doctrina et moribus non mea referre interest ; quamvis Londensis, ut in Dacia liquet, ecclesia et 454 diocesi spoliata omnium armentorum gregibus, necessariis ad agrorum cultum secundum exigenciam patrie, per ven­ dicionem, collectis inde thesauris et ecclesia destituta, ab­ fugerit, reversus in regionem suam. Respondeat, inquam, 5 Romanus episcopus, quomodo pasfor hic proprias oves voca­ bit nominafim, mores ipsarum cognoscendo per ipsorum con­ fessiones, et quos arguere oportet reprehendendo ; aut quo­ modo sequentur illum oves, eius vocem predicacionis et doctrine intelligendo ? § 4. Nec modo propter necessitatem sive defectum homi1 0 num, qualis erat antiquis temporibus, oportet ex alienis pro­ vinciis mendicare pastores. Erant enim in Anglia viri pre­ stanciores vita et sacra doctrina docciores eo, qui vocum seu sermonum significacionis ipsorum expers nec sacre scripture 1 309 qua bezieht sich auf collacionis 453,4. 1310 455,2. 1311 J oh. 10,1-13. 131 � Scholz 453 Anm. 2. 1313 Pr.-0. 3?0 Anm. 1 ; Scholz 454 Anm. 1. 1 314 ipsorum ist auf Menschen, d. h. die Beichtkinder, bezogen trotz ovis.

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Amtsinhaber > unmittelbar ihrer Gewalt vorbehalten. Auf Grund dieses Vorbehalts 1309 verordnen sie nun, irgendwelche Wahlen seien ungültig und nichtig, auch wenn sie ordnungs­ gemäß vollzogen worden sind und geeignete und erprobte Personen ergeben haben, und setzen an deren Stelle aus der 10 Fülle ihrer Gewalt, die nichts weiß oder beeinflußt ist durch Geld oder Fürsprache, Haß oder Liebe, Angst, Liebedienerei 1310 und < Aussicht > , jemandes Gunst zu gewinnen, oder sonst irre­ geleitet ist, Leute ein, die von den göttlichen Schriften nichts verstehen, Dummköpfe, zügellose Kerle und meistens Men­ schen von verderbter Sinnesart und notorische Verbrecher, die t5 sich auch mit den Gemeinden, über die sie gesetzt werden, sprachlich nicht verständigen können. § 3 Daher soll d e r selbst Christus Rede stehen nach Johan­ nes Kap. 10 1 311, der gegen oder nach den vollzogenen oder zu vollziehenden Wahlen unter anderen Ungeheuerlichkeiten, die er begangen hat oder begeht, zwei Angehörige seiner provenzalischen Sprache 1 3 12 zu Bischöfen eingesetzt hat, den 20 einen im englischen Winchester, den anderen im dänischen Lund1313, die mit jenen Völkern durch kein Wort sich ver­ ständigen können ; was für Menschen sie aber nach Bildung· und Charakter sind, habe ich kein Interesse zu berichten ; indessen hat der von Lund, wie in Dänemark bekannt ist, der Kirche und der Diözese alle Großviehherden, die für den Ackerbau nach den Erfordernissen des Landes unentbehrlich sind, durch Verkauf geraubt, hat damit Schätze gesammelt, dann die Kirche im Stich gelassen und ist davongeflohen, zurück in seine Heimat. Antworten soll er, sag ich, der 5 römische Bischof, wie dieser Hirt die eigenen Sdtafe beim Namen rufen wird, wenn er ihr Verhalten durch ihre 1 314 Beichte kennenlernt, und die er tadeln und rügen muß, oder wieso ihm die Sdtafe folgen werden. Sie verstehen ja die Stimme seiner Predigt und Lehre ! § 4 Heutzutage muß man doch nicht aus Not oder aus 10 Mangel an Menschen, wie er in alter Zeit bestand, aus frem­ den Ländern Seelenhirten erbetteln. Es gab nämlich in Eng­ land Männer von besserer Lebensführung und höherer theo­ logischer Gelehrsamkeit als den, der, ohne den Sinn der Worte oder Reden der Einheimischen zu kennen und ohne Lehrer der Heiligen Schrift zu sein - er war vielmehr eine Art

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doctor, sed causidieus quidam prefectus est illis ; sie et in Dacia et in reliquis provineiis de quibus in errore consimili inoeeulta possent induei testimonia plurima, que tarnen per­ transeo propter abbreviaeionem. § 5. Quis enim non admirabitur aut stupebit, divinarum scripturarum ignaros iuniores, morum convenienti gravitate zo earentes, inexpertos, indiseiplinatos et quandoque notorie eriminosos, ad maiores eeclesie thronos esse prefectos simo455 niaea pravitate vel preee potentum, non dieo quandoque ter­ rore, obsequio vel sanguinis affinitate, repulsis aut neglectis seripture saere doctoribus, viris honestate probatis ? Fictane 5 loquor aut falsa ? Ab numeranti quippe provineiarum epi­ seopos aut archiepiscopos, patriarehas et reliquos inferiores prelatos, saere theologie doctor aut in ipsa suffieienter in­ structus non reperietur unus ex deeem. Et quod referre pudet, quamvis non pigeat, quia verum, episeopi modernorum ne1 0 que predicare populo verbum Dei, nec heretieorum, si qui apparuerint, noverunt erroris adversari doctrinis, sed in pre­ dictis eventibus impudenter mendicant aliorum doctrinas ; cum tarnen dicat doctor gencium ta ad Timotheum 3°, quod oportet episcopum esse doctorem, amplectantem eum qui 1 5 secundum doctrinam est, fidelem sermonem, ut potens sit exortari in doctrina sana, et eos qui contradieuni arguere, ut idem scripsit ad Titurn 1°. § 6. De reliquis vero prelatis inferioribus, abbatibus et prioribus monachorum ac reliquis ecclesiarum euratis testem invoco Deum, immortalem veritatem, numerosam ipsorum 20 multitudinem vite atque doctrine suffieientis exortem, sie eciam, ut grammatiee nesciant ipsorum quam plures eon­ gruum proferre sermonem. § 7. Sed quibus, rursum dieam de plenitudine potestatis, plerumque eoneeduntur maiores eeclesie dignitates, et qui 15

1315 453 , 1 1 . 1 316 Nach 1 . Tim. 3 , 2 un d Tit. 1 ,9.

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Sachwalter -, mit deren Leitung betraut wurde ; so war es auch in Dänemark und in anderen Ländern, aus denen sehr viele klare Zeugnisse von ganz gleicher Verirrung angeführt werden könnten ; ich gehe jedoch darüber hinweg, um abzu­ kürzen. § 5 Wer wird sich nämlich nicht wundern oder nicht stau­ nen, daß ganz junge Leute ohne Kenntnis der göttlichen Schriften, ohne den erforderlichen Ernst der Lebensfüh20 rung13 15 , ohne Erfahrung, ohne Selbstzucht und manchmal notorische Verbrech er zu den höchsten Thronen der Kirche erhoben worden sind durch simonistische Verderbtheit oder auf Fürsprache der Mächtigen, ich sage nicht : manchmal aus Angst < vor ihnen > , aus Liebedienerei oder wegen Blutsver­ wandtschaft, während Lehrer der Heiligen Schrift, erprobte Ehrenmänner, zurückgewiesen oder übergangen worden 5 sin d ! Ist erdichtet oder falsch, was ich sage ? Denn wer die Bischöfe oder Erzbischöfe, Patriarchen und die niederen Prälaten der Kirchenprovinzen zählt, der wird nicht einen unter zehn finden, der Lehrer der heiligen Theologie oder in ihr hinreichend unterrichtet wäre. Und was man zu berichten sich schämt (aber ich will es doch sagen, weil es wahr ist) : Die Bischöfe heutiger Zeit können weder dem Volk das Wort 1 0 Gottes predigen noch den irrtümlichen Lehren von Ketzern (wenn welche auftauchen) entgegentreten, sondern erbetteln bei den obenerwähnten Anlässen schamlos die Gelehrsam­ keit anderer, während doch der Lehrer der Heiden im 1. Brief an Timotheus im 3. Kap. sagt : Ein BisChof soll Lehrer sein, 15 festhaltend an dem Wort des Glaubens naCh der Lehre, damit er imstande sei, in der gesunden Lehre zu ermahnen und die WiderspreChenden zu roiderlegen, wie er auch im Brief an Titus im 1 . Kap. 131 6 geschrieben hat. § 6 Was aber die niederen Prälaten angeht, die Äbte und Prioren der Mönche und die Pfarrer der Gemeinden, so rufe ich Gott als Zeugen an, die unsterbliche Wahrheit, daß eine 20 große Menge von ihnen in Lebensführung und Wissen unzu­ länglich ist, sogar in dem Grade, daß sehr viele von ihnen nicht fähig sind, eine grammatisch korrekte Rede zustande zu bringen. § 7 Aber die, denen zumeist - jetzt will ich wieder von der Fülle der Gewalt sprechen - die höchsten Würden der Kirche 15

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ad has gubernandas sufficientes putantur, causidici sunt. Hos enim tamquam utiles dignificat Romanus pontifex et ecclesie defensores, qui pro temporalibus conservandis vel amplius usurpandis contendere norunt, sacre vero theologie do ctoribus tamquam inutilibus reiectis ab eo. Simplices en im 456 sunt, ut inquit ille cum suorum cardinalium cetu, et eccle­ siam dilapidari sinerent; cum tarnen ecclesia non sint tem5 poralia, sed Christi fides, pro qua, non pro temporalibus, iuxta Christi consilium et apostoli contendere debet epi­ scopus, ut in Iohannis 1 0° ac ex apostolo ubi supra, et aliis numerosis scripture locis, que inducere omitto propter evi­ denciam et sermonis abbreviacionem. § 8. Non enim sunt temporalia hereditas apostolorum, 10 quam conservandam successoribus suis episcopis dimi­ serunt ; nec sunt iura sponse Christi fastigia imperialia et secularia dominia, que sub huiusmodi verbarum sophismate modernus Rarnanorum episcopus, se ut defendat, imo pocius 15 ut offendat, opposuit iniquissime inclito Ludovico ex Bavarie ducibus Rarnanorum regi. Unde Bernardus Ad Eugenium De Consideracione libro 2°, capitulo 4°, cum de animarum seu ecclesiarum sollicitudine locutus fuerat, quam sancti apostoli suis successoribus dimiserunt, inquit : N am quid 2o aliud sanctus dimisit apostolus ? 'Quod habeo', inquit, 'hoc tibi do'. Quid illud ? unum scio : non est aurum neque argen­ turn, cum dicat ipse : 'Argentum et aurum non est mihi'. Et infra parum subdit : Esto ut alia quacumque racione hec tibi vendices, temporalia scilicet, sed non apostolico iure. 25 Et infra rursum : Quod habuit hoc dedit, sollicitudinem, ut dixi, super ecclesias. Quid autem de dominio seu principatu ? 45 ? Audi adicientem Bernardum : Numquid dominacionem ? Audi ipsum : 'Non dominantes', ait, 'de clero, sed forma facti 25

1317 1318 1319 1 320 1321

Joh. 1 0, 1 1 . 455,1 3. Scholz 456 Anm. 2. Scholz 456 Anm. 3. Vgl. Anm. 141 a.

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überlassen und die als geeignet für deren Leitung erachtet werden, sind Sachwalter. Diese hält nämlich der römische Papst als nützliche < Helfer > und als Verteidiger der Kirche in Ehren - denn für Erhaltung oder weitere Besitzergreifung von zeitlichen Gütern verstehen sie zu streiten -, während er hingegen die Lehrer der heiligen Theologie als unnütz verwirft. Einfältig nämliCh sind sie, wie er mit seinem Kar­ dinalskollegium sagt, und roürden die KirChe auseinander­ fallen lassen, obwohl doch nicht die zeitlichen Güter die 5 Kirche sind, sondern der Glaube an Christus : für den Glau­ ben, nicht für die zeitlichen Güter, muß nach Christi und des Apostels Rat ein Bischof kämpfen, wie es bei Johannes im 1 0. Kap. 1317 und beim Apostel am oben angeführten Ort13 18 und an zahlreichen anderen Stellen der Schrift heißt ; aber ich unterlasse, sie anzuführen ; die Sache leuchtet unmittelbar ein, und ich möchte die Darstellung abkürzen. § 8 Denn nicht die zeitlichen Güter sind das Erbe der 1 0 Apostel, dessen Erhaltung sie ihren Nachfolgern, den Bischöfen, hinterlassen haben, und die höchste kaiserliche Macht und weltliche Herrschaft sind nicht die Rechte der Braut Christi, die der gegenwärtige Bischof unter dem Trug derartiger Worte zu seiner Verteidigung, ja vielmehr zum t 5 Angriff, ganz ungerechtfertigterweise dem ruhmreichen Lud­ wig, dem Herzog von Bayern und römischen König 1 319, ent­ gegengesetzt hat. Daher sagt Bernhard in der Schrift an Eugenius ,Zur Erwägung' B. 2, Kap. 4 1320 , als er über die Sorge für die Seelen oder Gemeinden gesprochen hat, die die heiligen Apostel ihren Nachfolgern hinterlassen haben : Denn 20 roas hat anderes der heilige Apostel hinterlassen ? ,Was iCh habe', sagt er, ,das gebe iCh dir.' Was roar das ? Eins roeifl iCh : Es ist niCht Gold noCh Silber, da er selbst sagt: ,Silber und Gold besitze iCh niCht.' Und etwas weiter unten fügt er hinzu : Es mag sein, daß du mit irgendeiner anderen Begründung diese für diCh in AnspruCh nimmst, die zeitlichen Güter, aber niCht naCh apostolisChem ReCht. Und unten meint er wie25 derum : Was er gehabt hat, das hat er gegeben : Die Sorge, roie iCh gesagt habe, für die Gemeinden. Was ist's aber mit Herrschaft oder Regierungsgewalt ? Höre Bernhard, der hinzu­ fügt : Etroa HerrsChaft? Höre ihn selbst. , < Weidet die Herde > niCht als Herren über den Klerus'1 321, erklärt er, ,sondern als

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gregis'. Et ne dictum sola humilitate putes, ne eciam veritate, vox Domini est in evangelio : 'Reges gencium dominantur 5 eorum, et qui potestatem habent super eos, benefici vocan­ tur'. Et infert : 'Vos autem non sie'. Planum est : apostolis interdicitur dominatus. § 9. Et quod amplissima omnium admiracione ac atten­ cione dignum et per principes, tamquam Dei ministros, ad formam dehitam reducendum in concilio generali, est de 1 0 summi pontificis et suorum fratrum, cardinalium scilicet, in­ stitucione, quos caput et principaliores ceteris constituendos diximus, principaliter ad fidei veritatem et unitatem servan­ dam atque docendam, iuxta determinacionem concilii supra15 dicti. Ad hunc enim dignitatis apicem non semper, imo rarius eligitur, qui sacre scripture doctor prefuerit, sed plerumque assumitur ex causidicorum collegio ; quod sacre scripture in­ consonum est omnino, recte racioni dissonum et in omnium ecclesiarum facie pudendissimum omnium. Sie quoque con20 sequenter nec quasi minus advertendum de cardinalium cetu, quoniam ad hunc assumuntur lascivi iuvenes et divinarum literarum indocti quam plures, cum tarnen episcopus hic et ecclesia sive collegium omnium aliorum esse deheat exemplar et forma, horumque consilio fretus, non aliter, presertim in 25 arduis, Romanus pontifex habeat universalem ecclesiam gubernare. § 1 0. Sed de hiis hactenus, unde sermo venerat, redeuntes dicamus, quod Romanus pontifex de plenitudine potestatis ampliorem multitudinem prelacionum maiorum, medio30 crium et minorum ''confert idiotis'' [aut] divinarum literarum ignaris, non utinam criminosis, tarn sihi cognitis, quam igno­ tis, pueris et infantibus, eciam simoniaca pravitate sui vel intercessorum aut alia quavis plerumque affeccione sinistra. Maiorihus ergo ac principaliorihus sedibus sie infectis ex

1322 1323

wegen der im folgenden erwähnten MiRgriffe. W preesse.

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Vorbild für die Herde.' Und damit du niCht glaubst, das sei aus bloßer Demut gesagt, niCht auch im Ernst, so lautet das Wort des Herrn im Evangelium : ,Die Könige der Völker herr5 sehen über sie, und die Gemalt über sie haben, lassen sich gnä­ dige Herren nennen.' Und er fährt fort: ,Ihr aber nidd so.' Es ist klar : Den Aposteln roird die Herrschaft untersagt. § 9 Was die höchste Verwunderung1322 und Aufmerksam­ keit aller verdient und von den Herrschern als Gottes Dienern auf einem allgemeinen Konzil in die richtige Form gebracht 10 werden muß, das ist die Einsetzung des obersten Pontifex und seiner Brüder, der Kardinäle, die, wie gesagt, als Haupt und Führung für die übrigen eingesetzt werden müssen, vor allem, um Wahrheit und Einheit des Glaubens zu erhalten und zu lehren nach der Bestimmung des obengenannten Kon15 zils. Für diese allerhöchste Würde wird nicht immer, ja sogar sehr selten gewählt, wer vorher Lehrer der Heiligen Schrift war1323 , sondern meistens wird der Papst aus den Sachwaltern genommen ; das steht mit der Heiligen Schrift ganz und gar nicht in Einklang, zum vernünftigen Denken in Widerspruch und ist in den Augen aller Kirchen das Allerschamloseste. So 20 muß man dann auch und genau ebenso scharf auf den Kreis der Kardinäle achten ; denn dazu werden sehr viele leicht­ fertige und in den göttlichen Schriften unwissende junge Leute genommen ; und doch müssen dieser Bischof und seine Kirche oder sein Kollegium für alle anderen Muster und Vor­ bild sein, und im Vertrauen auf deren Rat, nicht anders, zu25 mal in schwierigen < Fragen > , hat der römische Papst die ge­ samte Kirche zu regieren. § 1 0 Doch genug hierüber ; wovon unsere Darstellung aus­ gegangen ist, dahin wollen wir zurück:kehren und sagen : Der römische Papst verleiht auf Grund der Fülle der Gewalt die Mehrzahl der höheren, der mittleren und der niederen 3 0 geistlichen Ämter Dummköpfen oder Leuten, die von den göttlichen Schriften nichts wissen (wären sie wenigstens keine Verbrecher ! ) , ihm bekannten wie unbekannten Personen, Jungen und kleinen Kindern und dazu aus simonistischer Verderbtheit seiner Person oder der von Fürsprechern oder aus irgendeiner anderen meist verhängnisvollen Neigung. Da also die höchsten und wichtigsten Bischofsstühle infolge der Einsetzung - oder vielmehr Zwangseinsetzung solcher

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talium promoeione, quinimo intrusione, eetere minores eure sive officia ad *collacionem'-· horum pertinencia contagione polluta redduntur. Gaudenfes enim similibus, quemadmo­ dum homine homo et equus equo, iuxta sapientis gentilis oraculum, ad eeclesiastica officia et beneficia eam qua simot o nie aut alterius perverse vie ianuam ingressi sunt reserant idiotis et more perversis. Nam valentes agere seeundum habi­ tum proprium, quem non mutavit dignitas, sed plerumque monstravit, sanctos et iustos ac doctos, qui per talem semitam domum Dei intrare non querunt, tamquam [sibi] inimicos n odiunt et reieiunt, declinant et premunt ; quoniam, ut inquit veritas : Qui male facit, odit lucem. § 1 1 . Nee taeeo, quod supradictus episeopus, favore ac gracia pofenturn sibi querendis et cum hiis eciam inde for­ tassis receptis pecuniis, quosdam iuvenes divine legis et zo aliarum disciplinarum indoctos nec in saerum quemquam ordinem promotos adhuc in famosis urbibus ad episeopatris promovit, cum tarnen ad Evandrum dicat Ieronymus, pres­ byterum in episcopo eontineri. Ecclesiastico igitur regimine sie infecto, universum corpus Christi misticum egrotat ni25 mirum. Omittentibus enim ecclesiarum prelatis reliquisque euratis exortaciones, obseeraciones et inerepaeiones seeun­ dum sanam doctrinam, committentibus autem detestanda et abominanda, palam scandalizatur populus ipsorum exem­ plo, quia velut signum sagittatoribus, sie plebi constituuntur exemplum. Quod veritas attendens Matthei 5° inquit : Sie luceat lux vestra coram hominibus, ut videant opera vestra 5 bona. Et hinc est modernorum morum radix et prima per­ versitas, ad quam demum sequitur eterna dampnacio ; quon­ iam, ut ait Christus Matthei 15° : Si cecus ceco ducaturn prestet, ambo in foveam cadunt. 5

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132 6 132 7 1 328 13 2 9 1330

Scholz 458 Anm. 3. 329,23 ff. Klagelieder J er. 3,12. Matth. 5 , 1 6. Matth. 15, 14.

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5 Leute so vergiftet sind, werden die übrigen kleineren Stellen oder Ämter angesteckt, die zu deren Kollatur gehören. Da sie nämlich nach dem Ausspruch des weisen Heiden 1324 an ihres­ gleichen Gefallen finden wie am Mensdwn der MensCh und das Pferd am Pferd, so eröffnen sie Dummköpfen und sittlich V erderbten das Tor zu den kirchlichen Ämtern und Pfründen 10 - das Tor für den simonistischen oder sonst in die Irre führen­ den Weg, durch das sie selbst eingetreten sind. Denn da sie nach ihrem eigenen Charakter handeln wollen, den ihre Würde nicht gewandelt, sondern meist < erst > offenkundig gemacht hat, hassen sie die lau.teren und gerechten und ge­ bildeten Männer, die auf einem solchen Weg das Haus Gottes nicht zu betreten suchen, wie ihre Feinde und lehnen sie 15 schroff ab, weisen sie zurück und bedrängen sie : denn, wie die Wahrheit sagt : Wer SChleChtes tut, haßt das LiCht.1325 § 1 1 Auch das verschweige ich nicht : Weil der obengenannte Bischof sich Gunst und Gnade der Mächtigen gewinnen wollte und zugleich damit vielleicht auch Geld empfangen hat von ihnen, hat er einige junge Leute, die theologisch und wissen20 schaftlieh ungebildet sind und keine heilige Weihe empfangen haben - noch dazu in berühmten Städten -, zur Bischofs­ würde erhoben, obwohl doch Hieronymus < im Brief > ,An Evander' 1326 sagt, der Priester1327 sei im BisChof erhalten. Da nun die Kirchenleitung so vergiftet ist, krankt ohne Zweifel 25 der ganze mystische Leib Christi. Wenn nämlich die führen­ den Geistlichen der Kirchen und die übrigen Seelsorger Mah­ nungen, Bitten und Scheltworte nach der gesunden Lehre unterlassen, aber abscheuliche und widerwärtige Taten be459 gehen, so nimmt das Volk an ihrem Beispiel offen Anstoß, weil sie, wie dem Bogenschützen das Ziel, dem Volke als Muster hingestellt werden. 1328 Das meint die Wahrheit mit den ·worten bei Matthäus im 5. K ap. 1329 : So soll euer LiCht leuChten vor den MensChen, auf daß sie eure guten Werke 5 sehen. Daraus stammt die Wurzel und der Ursprung der Ver­ derbtheit der heutigen Moral, der schlieRlieh die ewige Ver­ dammnis folgt ; denn wie Christus bei Matthäus im 1 5. Kap. 1330 sagt : Wenn ein Blinder einen Blinden führt, so fallen beide in eine Grube. 1324 Ar. Probl. 1 0,52

=

896 b, 10 ff.

1325

J oh. 3,20.

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Quid autem de temporalium dispensacione dicemus, cum enim debeant ecclesiasticorum ministrorum sufficiencie re1 0 sidua pauperibus, impotentibus aliisque personis miserabi­ libus dispensari, quod neminem quasi latet, convertuntur in eos usus, et verius abusus dixero, de quibus sermo fuit 1 1 ° huius. Quibus adice novum elymosine modum, quod in mer15 cenarios milites, equites et pedites horum plurima consu­ muntur ad pugnas inter Christi fideles concitandas et con­ tinue nutriendas, ut eos sue tandem subicere valeant tyramp­ nice potestati. Sie igitur ex predictis apparet, propter pleni­ tudinem potestatis corpus ecclesie misticum secundum mate20 riam sive membra principalia, maxime verbi causa prelatos, undique infectum et corrupcioni propinquum. § 12. Nunc autem de corporis huius forma dicturis, que in suorum membrarum ordine ac situ debito consistere debet, hoc ipsum tamquam deforme monstrum videbitur diligenter 25 inspectum. Quis enim animalis corpus, cuius singula mem­ bra suo capiti nexu immediato iunguntur, monstruosum et inutile ad operaciones convenientes esse non extimet ? Digitus namque vel manus, si capiti immediate nectatur, situ sibi debito carens, virtute, motu et apere convenienti carebit. Non sie autem, si digitus manui, manus brachio, brachium humero, humerus cervici, cervix vero capiti per convenientes 5 nectantur iuncturas. Sie enim corpus redditur sua forma decens, sie eius caput membris reliquis convenientem virtu­ tem uni per reliquum secundum eorum naturam et ordinem immittere potest et ipsa quidem hinc sibi convenientes opera­ ciones perficere. Quam siquidem formam et modum in eccle1 0 siastico necnon et civili quolibet regimine oportet attendere. Non enim potest universalis pastor aut princeps immediate in omnibus provinciis singulorum singulos actus inspicere et immediate dirigere, sed oportet, si decenter, si sufficienter 1 33 1 1 33 2 1 333 1 334

Vgl. Anm. 1 1 68. II 1 , 5-6. Scholz 459 Anm. 4. Gegensatz materia.

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Was werden wir aber zur Verteilung der Erträge der zeit­ lichen Güter sagen ? Während nämlich die Überschüsse über den Bedarf der Diener der Kirche hinaus an hilflose Arme 1331 10 und andere bedauernswerte Personen verteilt werden sollen, was so gut wie niemandem unbekannt ist, werden sie für einen Gebrauch bestimmt (richtiger sollte ich sagen : für einen Mißbrauch) , von dem in II 1 1 1332 die Rede war. Dem füge eine neue Art des Almosenspendens hinzu, daß nämlich für Söld15 ner, Reiter und Fußvolk der Hauptteil der Almosen ver­ braucht wird, um Kämpfe innerhalb der Christusgläubigen zu erregen und beständig zu nähren, damit sie diese schließ­ lich ihrer tyrannischen GewaW333 zu unterwerfen vermögen. So ergibt sich also aus dem eben Gesagten : Wegen der Fülle der Gewalt ist der mystischeLeih der Kirche in seinem Stoff und zo seinen wichtigsten Gliedern, d. h. besonders der hohen Geist­ lichkeit, durch und durch vergiftet und dem Verderben nahe. § 1 2 Wenn wir jetzt von der Form 1 334 dieses K örpers sprechen wollen, die in der richtigen Ordnung und Lage seiner Glieder bestehen muß, so wird dieser selbst bei sorg­ fältiger Betrachtung als ein mißgestaltetes Ungeheuer 25 erscheinen. Wer sollte nämlich nicht glauben, daß ein tieri­ scher Körper, dessen einzelne Glieder mit seinem Kopf durch unmittelbare Verknüpfung verbunden sind, mißgestaltet und für zweckmäßige Bewegungen unbrauchbar sei ? Denn wenn 460 Finger oder Hand mit dem Kopfe unmittelbar verknüpft wären und ihre richtige Lage nicht hätten, so würden ihnen die angemessene Kraft, Bewegung und Leistung fehlen ; so ist es aber nicht, wenn der Finger mit der Hand, die Hand mit dem Arm, der Arm mit der Schulter, die Schulter mit dem Genick, das Genick mit dem Kopf durch die richtigen Gelenke 5 verbunden sind. So wird nämlich der Körper durch seine Form sinnvoll, so kann sein Kopf den übrigen Gliedern die angemessene Kraft, dem einen durch das andere, ,je nach deren Natur und Ordnung, einflößen, und die < Glieder> können daher ihre Funktionen erfüllen. Diese Form und Art 10 muß man bei der Kirchenleitung, aber auch bei jeder Staats­ leitung bedenken. Denn der universale geistliche Hirt oder der universale weltliche Herrscher kann nicht unmittelbar in allen Ländern sämtliche Handlungen der einzelnen über­ schauen und unmittelbar leiten ; sondern wenn das sinnvoll,

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von

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hee perfiei debeant, seeundum ordinem debitum substitutis et speeialibus ad ea iuvari ministris ; sie enim ordinatum per­ mauere potest et ereseere eorpus eeclesie. Quod seneiens doctor geneium ad Ephesios 4° sie inquit : Crescamus in illo, qui per omnia caput est Christus; ex quo totum corpus com20 pactum et connexum per omnem iuncturam subministracio­ nis, secundum operacionem in mensuram uniuscuiusque membri augmentum corporis facit. § 1 3. Verum de plenitudine potestatis Romano permissa pontifiei omnis hie ordo seu forma sublata est ; absolvit enim 25 ipse a potestate seu eura et eorrepeione superiorum inferio­ res prelatos et ordines, ut a patriarchis archiepiseopos, ab archiepiscopis episeopos, ab episeopis vero suorum eapitula seu collegia clerieorum, et rursum abbates et monachorum priores, novissime autem, non utinam pessime, religiosos qui 461 paupertatis ordines appellantur. Hosque omnes ordine per­ turbato sue eure atque immediate eorrepcioni submittens, nulla quidem evidenti utilitate, sed notoria poeius sibi lites aeeumulandi aviditate, inde peeuniarum eonfluxum ae pre5 latorum expoliaeionem et ipsorum ampliorem subiugaeio­ nem intendens. § 14. Quanta tarnen inde subseeuta insoleneia, quasi nullus ignorat. Carentes etenim hii superiori eura sibi presenti eon­ tumaees, inobedientes et irreverentes fiunt quibus merito 10 subesse deberent, ad seipsos et alios faeultatem peeeandi liberius hine eciam assumentes. Quibus vero eura talium esse deberet, sibi debita potestate privatis, torpendi et negligendi prebetur oecasio. Unde vexaeiones fidelium tot tantaque eon­ tingunt inconvenieneia, quod ea diffisus enumerare propter 1 5 ipsorum incomprehensibilem quasi varietatem et numerum 15

1 336 Eph. 4,15 f. ; vgl. Anm. 1 1 91. 1 337 Sd10lz 460 Anm. 3. 1aas W preesse.

Teil II, Kapitel XXIV

wenn das befriedigend ausgeführt werden soll, muß er sich dabei durch besondere Diener unterstützen lassen, die in der gebührenden Ordnung einander untergeordnet sind ; so kann nämlich der Leib der Kirche in Ordnung bleiben und wachsen. Das meint der Lehrer der Heiden, wenn er im Epheserbrief im 4. Kap. 1 336 sagt : Wir wollen waChsen in dem, der in allen Stücken das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zo zusammengefügt und v erbunden ist durCh Aufgabe und Fähigkeit eines jeden Gliedes, naCh der jedes Gelenk, das Hilfe leistet, maCht, daß der Leib wäChst. § 1 3 Aber infolge der dem römischen Papst überlassenen Fülle der Gewalt ist diese ganze Ordnung oder Form besei­ tigt ; er entzieht nämlich die niederen Prälaten und die Orden z5 der Leitung oder Aufsicht und Strafgewalt der höheren Prälaten : den Patriarchen die Erzbischöfe, den Erzbischöfen die Bischöfe, den Bischöfen die Kapitel oder Kollegien ihrer Kleriker und ferner die Äbte und die Prioren 1 337 der Mönche, ganz neuerdings aber (täte er's doch nicht in der schlimmsten Absicht ! ) die Mönche, die Armutsorden genannt werden ; diese alle unterstellt er unter Verwirrung der Ordnung seiner unmittelbaren Aufsicht und Strafgewalt ohne irgendeinen ersichtlichen Vorteil, sondern vielmehr < nur > aus offenbarer Gier, in seinem Interesse die Streitigkeiten zu häufen, und in dem Streben, dadurch die Gelder zusammenströmen zu lassen, 5 die höheren Prälaten auszuplündern und in straffere Ab­ hängigkeit zu bringen. § 1 4 Welch unerhörte Zuchtlosigkeit jedoch die Folge davon ist, weiß wohl jeder. Da diese nämlich keine übergeordnete Aufsicht haben, die über ihnen stünde 1 338, werden sie wider­ spenstig, ungehorsam und unehrerbietig denjenigen gegen­ über, denen sie von Rechts wegen unterstehen müßten, und 1 0 erlauben infolgedessen obendrein sich selbst und anderen. ganz hemmungslos zu sündigen. Die aber über solche Unter­ gebene die Aufsicht führen sollten, denen wird durch Ent­ ziehung der ihnen zustehenden Gewalt Anlaß gegeben, gleichgültig und nachlässig zu sein. Daraus ergeben sich so viele schwere Plagen und Widrigkeiten für die Gläubigen, daß im wegen ihrer fast unüberschaubaren Mannigfaltigkeit 1 5 und Zahl mir nicht zutraue, sie aufzuzählen, und daher unter15

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particulariter describere pretermisi, quamvis ipsorum pluri­ ma se volentibus indagare faciliter o:fferant. Id quidem pertranseo iam ex abusu faciem gerens honesti, 20 quod mensarum ministros diaconos quosdam, cardinales vocatos, sede ac reverencia episcopis et sacerdotibus preferre se patitur, nihil attendens scripturam in hoc nec quantum detestabile sit illud secundum Ieronymum ad Evandrum epistola, de qua supra 1 5° huius. Et hiis adice novum germen iam dicte radicis, quod Romanus episcopus ex hac plenitudine potestatis beneficium eccle­ siasticum obtinentibus ubique locorum, absque sui licencia, interdixit condere testamenta, et intestatorum simpliciter 5 aut sie ad suam sedem immediate decrevit bona devolvi et debere deferri. Et quod amplius a malo est, quoniam simonia, quamvis post factum expleatur, amplissima est, quod eadem potestate 1 0 redditus et proventus beneficiorum omnium et ubique, quo primum anno vacancia fuerint, sibi reservat, secundum hunc modum sibi congregans omnes mundi thesauros et eisdem omnia regna spolians atque provincias ; in quibus distribui debent ministris evangelicis et personis miserabilibus aut in 1 5 reipublice, de qua sumuntur, subsidium, si oportet, converti, quoniam ad hoc statuta et ordinata fuere. § 15. Hoc rursum intolerabilius, quod legata in testamentis fidelium laicorum pro ultramarino transitu vel alias pias 20 causas secundum determinatarum personarum disposicio­ nem, quas commissarios dicere solent, ad sui ordinacionem pertinere dicit eadem plenitudine potestatis : nec mirum, cum eadem omnium regum, principum et regnorum se quidam

1 340 1 34 1 1 34 2 1 343 1 344

Scholz 461 Anm. 1 . II 15 , 5 u . 8. devolvere ist Anspielung auf das Devolutionsrecht. Scholz 462 Anm. 1 . weil die Simonie erst am Ende des ersten J ahres in Erscheinung tritt ? 1 34 5 Annaten.

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5

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lassen habe, sie im einzelnen zu beschreiben, obwohl denen, die sie aufspüren wollen, leicht das meiste davon sich dar­ bietet. über folgendes gehe ich freilich rasch hinweg, obwohl es infolge des Mißbrauches schon den Schein des Berechtigten hat : Er läßt es geschehen, daß die Diener bei Tisch, gewisse Diakonen, Kardinäle genannf1339, sich an Rang und Ehren­ stellung über die Bischöfe und Priester erheben 1340, ohne hierin auf die Schrift zu achten noch < zu bedenken > , wie ver­ werflich das ist nach des Hieronymus Brief ,An Evander', von dem wir oben in II 1 5 1341 < gesprochen haben > . Dem füge einen neuen Schößling aus der genannten Wurzel hinzu : Der römische Bischof hat auf Grund dieser Fülle der Gewalt den Inhabern einer kirchlichen Pfründe aller Orten verboten, ohne seine Genehmigung ein Testament zu machen, und hat verordnet, daß < die Güter > derer, die keins gemacht haben (aus eigenem Entschluß oder wegen seines Verbots) , an seinen Bischofsstuhl unmittelbar übertragen 1 342 und ab­ geliefert 1343 werden müssen. Und was weiter vom übel ist (es ist ja die schlimmste Simonie, obwohl sie erst nach der Tat sich erfüllt} 1344 : auf Grund derselben Gewalt behält er sich die Einkünfte und Erträge aller Benefizien, und zwar überall, vor in dem Jahre, in dem sie erst einmal unbesetzt bleiben sollen 1345, und sam­ melt sich auf diese Weise alle Schätze der Welt und raubt sie allen Reichen und Ländern, in denen sie an die Diener des Evangeliums und an Arme zu verteilen oder nötigenfalls zur < finanziellen > Unterstützung • des Staates, aus dem sie entnommen werden, zu verwenden sind ; denn dafür sind sie gestiftet und bestimmt. § 15 Folgendes ist ferner ganz unerträglich : Er behauptet auf Grund derselben Fülle der Gewalt, die Legate in den Testamenten gläubiger Laien für den überseeverkehr < ins heilige Land > oder für andere fromme Zwecke unter Verwaltung der dazu bestimmten Personen, gewöhnlich Kommissare genannt, stünden zu s·einer Verfügung. Das ist nicht auf­ fallend ; denn auf Grund derselben < Gewalt > haben einige von ihnen versichert, sie hätten über alle Könige, Fürsten und 1339

Hier werden die Kardinäle verächtlich behandelt, vgl. dagegen § 9.

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ipsorum asseruerint habere dominium, ut induximus 20° huius ; cum tarnen predictorum •:· omnium�· nullum ad sui per­ tineat potestatem, ut ostensum est 1 5° prime et 1 ? 0 huius. 463 Ab eadem quoque radice hiis ampliora et graviora contingent, que omnia narrari nequeunt propter ipsorum tarn variam esse naturam. Uno enim inconvenienti dato, preser5 tim eo in quo cetera cogitabilia circa civiles actus humanos inconveniencia continentur, alia qu ecumque contingere, nihil difficile, iuxta gentilis sapientis oraculum. Hac enim sibi debita potestate plena, illi sequitur licere quod libet ; propter quod humanas omnes ordinaciones et Ieges, eciam 1 0 per generale concilium ordinatas, secundum sui votum suspendit et revocat, quod tamquani ultimum inconvenien­ cium in omni mundano regimine tarn sancti quam philosophi refugerunt, ut in 1 1° prime per demonstracionem et 5° huius auctoritate Augustini, 1 a ad Timotheum 6°, fuit amplius con1 5 firmatum. Sie igitur ex sibi permissa plenitudine potestatis universum corpus ecclesie infectum est ; omnis ecclesiastice yconomie prevaricatus est ordo et omne civile regimen im­ peditum simpliciter aut in parte turbatum, cum tarnen huius episcopi et ipsius ecclesie sive collegii sermones et opera con20 stituta sint velut exemplum omnium aliorum. § 16. In quos siquidem, velut queso, fideles convertant Iumina, quodam dudum honestatis sophistice plurimorum ex ipsis obumbrata velamine ; cernent se ipsis limpide, qui 25 Romane curie, imo verius, cum veritate dicam, domus nego­ ciacionis et ea que latronum horribilioris spelunce limina visitarunt, aut qui ab hac abstinuerunt, numerose fide digno­ rum multitudinis relacione discent, eam pene sceleratorum omnium et negociatorum tarn spiritualium quam tempo464 ralium receptaculum esse factam. Quid enim aliud ibi, quam 25

1 348 13 50 1 353 1354 13 55 13 56

1349 Ar. Phys. 1 ,2 I I 1 7, 1 6-19. ·185 a, 1 1 . 1352 II 5, 5. 1351 I 1 1 , 1-8 (besonders 57,3 ff.) . Absolutismus. Die Verbindung fehlt hier, dagegen ist sie 1 88,8 vorhanden. 1. Tim. 6 , 1 . se ipsis durch s i ch selbst, Gegensatz : durch Erzählung. Matth. 2 1 , 1 3 . =

=

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Reiche die Herrschaft, wie wir in II 201 346 angeführt haben ; dabei kommt doch nichts von allem oben Erwähnten ihrer Ge­ walt zu, wie in I 151 347 und II 1 ?'1 348 gezeigt worden ist. 463 Aus derselben Wurzel wird < noch > mehr und Schlimmeres als das hervorgehen, was man nicht alles schildern kann, weil es seinem Wesen nach so verschiedenartig ist. Denn roenn ein Mißstand gegeben ist1 349 , zumal einer, auf dem die übrigen 5 denkbaren Mißstände im staatlichen Leben beruhen - daß dann alle anderen Mißstände auftreten, ist gar nimt smroer < ZU sehen > nach dem Wort des heidnischen Weisen. Wenn ihm nämlich diese Vollgewalt zusteht, so folgt, daß ihm erlaubt ist, was beliebt ; deswegen hebt er nach seinem Gefallen alle menschlichen Anordnungen und Gesetze auf, 1 0 auch solche, die von einem allgemeinen Konzil gegeben sind, und widerruft sie ; das 1350 haben als den schwersten Mißstand in aller weltlichen Regierung die Heiligen und ebenso die Philosophen abgelehnt, wie in I 1 1 1351 durch Beweis und in II 51352 durch die Autorität des Augustirr und1353 den 1. Brief an Timotheus Kap. 61 354 aufs kräftigste bestätigt worden ist. 15 So ist nun durch die dem Papst überlassene Fülle der Ge­ walt der gesamte Leib der Kirche vergiftet, alle Ordnung der kirchlichen Verwaltung gestört, die ganze Staatsregie­ rung völlig gehemmt oder teilweise in Verwirrung ; dabei sind doch Worte und Taten dieses Bischofs und seiner Kirche 20 oder seines Kollegiums als Vorbild für alle anderen hin­ gestellt worden ! · § 16 Auf diese Menschen möchten die Gläubigen (ich bitte darum) ihre Augen wenden (sie sind freilich schon längst getrübt durch eine Art Schleier trügerischer Ehrbarkeit bei den meisten von ihnen) ; dann wird mit eigener Kraft13 "5 · klar erkennen, wer die Schwelle der römischen Kurie, viel25 mehr richtiger (die Wahrheit will ich reden) des Handels­ hauses oder der schrecklichen Räuberhöhle1356, betreten hat, oder wer ihr ferngeblieben ist, wird durch die Erzählung einer großen Menge glaubwürdiger < Besucher > lernen : sie 464 ist beinahe für alle Verbrecher und alle Händler mit geist­ lichen wie mit zeitlichen Gütern eine Zufluchtsstätte ge­ worden. Denn was begibt sich dort anderes als das 23

1 346

II 20, 8.

1347 I 1 5 (Einheit der Regierung) .

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simoniacorum undecumque concursus ? quid aliud quam causidicorum strepitus et calumpniatorum insultus et iusto­ rum impulsus ? Ibi periclitatur innocentum iusticia vel in 5 tantum differtur, si eam precio redimere nequeant, ut tan­ dem exhausti et innumeris fatigati laboribus iustas et mise­ rabiles ipsorum causas cogantur deserere. Ibi namque alte intonant Ieges humane, silent autem vel rarins resonant di­ vine doctrine ; ibi tractatus et scrutinia invadendi provincias 10 christianorum et per armatam et violentarn potenciam obti­ nendi et eripiendi ab hiis quorum custodie licite sunt com­ misse. Acquirendarum animarum nulla sollicitudo neque consilia. Et adde, quod ibi nullus ordo, sed sempiternus orror inhabitat. § 1 7. Qui vero vidi et affui, videre videor quam Danielis t5 secundo Nabuchodonosor terribilem statuam in sompnio reci­ tatur vidisse, caput siquidem habentern aureum, brachia vero et pectus argentea, ventrem autem et femora erea, tibias quidem ferreas pedumque partem unam ferream et reliquam 20 fictilem. Quid enim aliud ingens hec statua est, quam status personarum curie Romani seu summi pontificis, que olim perversis hominum terribilis, nunc vero cunctis studiosis orribilis est aspectu. Ruins enim statue superiora membra, caput, pectus et brachia, quid sunt aliud in conspectu, in 2> a:ff e ctu et in amplexu, quam aurum et argenturn et opera manuum hominum ? Eins vero venter et femora, quid aliud, quam secularium licium seu causarum calumpniarumve ac simoniacarum negociacionum, tarn spiritualium quam carnalium rerum, sonitus et tumultus ? Nec modo dicam excommunicacionum et anathematum, tarn vocalium quam literalium, tonitrua et fulmina in Christi :fideles, Ro­ mano ponti:fici et ipsius ecclesie seculariter subici et ipsorum carnalia sive temporalia, quamvis iuste recusantes, tribuere ? 5 Quid aliud, die queso, enea femora, quam voluptatum, Iuxus 1357 Hiob 10,22. 1358 Daniel 2,3 1-33. 1359 Vgl. Vo.

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Zusammenströmen der Simanisten aus aller Welt ? Was anderes als der Lärm der Sachwalter und der Ansturm der Verleumder und die MiRhandlung der Gerechten ? Dort ist die Gerechtigkeit für die Unschuldigen in Gefahr, oder wenn sie 5 sie nicht mit Geld erkaufen können, wird < die Entscheidung > so weit hinausgeschoben, daR sie endlich, durch die zahllosen Anstrengungen erschöpft und ermüdet, sich gezwungen sehen, ihre gerechte und bedauernswerte Sache aufzugeben. Denn dort dröhnen laut menschliche Gesetze, es schweigen oder erklingen sehr selten göttliche Lehren. Dort überlegt und plant man, in die Länder der Christen einzufallen und 1 0 sie mit Waffengewalt zu gewinnen und denen zu entreißen, deren Obhut sie von Rechts wegen anvertraut sind. Seelen zu gewinnen, darum sorgt man sich nicht, das plant man nicht. Und füge hinzu : Dort wohnt nidtt Ordnung, sondern ewiges Grausen.1351 § 1 ? Ich aber, der ich gesehen habe und dort gewesen bin, 15 glaube die schreckliche Statue zu sehen, die nach dem 2. Ka­ pitel Daniels Nebukadnezar im Traum gesehen hat ; sie hatte nämlich ein Haupt von Gold, Arme und Brust von Silber, Bauch und Oberschenkel von Erz, Schienbeine von Eisen und Füße teils von Eisen, teils von Ton. 1358 Was ist denn diese 20 ungeheure Statue anderes als der Zustand der Personen der Kurie des römischen oder höchsten Pontifex, die einst bösen Menschen schrecklich, jetzt aber allen tugendhaften grauenvoll anzusehen ist ? Denn die oberen Glieder dieser Statue : Haupt, Brust und Arme, was sind sie anderes für 2> Betrachtung, Begehren und Berührung als Gold und Silber und Erzeugnisse von Menschenhänden ? Bauch und Ober­ schenkel der Statue, was sind sie anderes als Lärm und Tumult von weltlichen Streitigkeiten oder Prozessen oder Verleumdungen oder simonistischen Handelsgeschäften in geistlichen wie in fleischlichen Dingen und - ich möchte nicht geradezu sagen 1359 - anderes als Donner und Blitze von Exkommunikationen und Verfluchungen in Rede wie Schrift gegen die Christusgläubigen, die sich - wenn auch mit noch so großem Recht - weigern, dem Papst und seiner Kirche sich in weltlichem Sinn zu unterwerfen und ihre irdischen oder zeitlichen Güter ihm zu übertragen ? Was, sag bitte, 5 sind die ehernen Schenkel anderes als der pomphafte Prunk

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et vanitatum quasi omnium, eciam Iaicis indecencium, appa­ ratus pomposus, quem sensibus hominum inprimunt, qui ceteris esse debent castitatis et honestatis exemplum ? lpsius autem ferree tibie ac pedes et digiti, quibus statua figitur, 1 0 secundum parfern fictiles et testei, in quid aliud tendunt, quam secularium principatuum, regnorum et provinciarum usurpacionem, invasionem et occupacionem per armatorum seu ferreatorum violentarn potenciam, secum portantes in hoc superiora membra, auri et argenti exibicionem armatos 15 ad hec invitantem, ventrem quoque ac femora enea talium sonora promissione ac peccatorum et penarum vocali, quam­ vis fallaci absolucione, propriam vero libertatem defenden­ cium suisque principibus debitam fidem observare volencium iniusta, quamvis Deo protegente prorsus innocua, condemp20 nacione ac malediccione ? Pedum vero bases et digiti testei, fictiles et proinde fragiles, quid aliud representant, quam in­ constanciam Romane curie ? Quid aliud notant, quam, qui­ bus innititur Romanus pontifex adversum Christi fideles 25 opprimendos, occasionum debilitatem, non modo dicam falsi­ tatem et iniquitatem omnibus manifestam ? Verum eodem testante propheta, super hanc statuam casu­ rus est lapis sine manibus abscissus de monte, id est rex, quem de hominum universitate per suam graciam electum suscitabit Deus, illi scilicet conferendo potestatem, et cuius regnum alteri non tradetur ; hic inquam rex magis virtute sive gracia trinitatis, quam apere seu potestate manuum ho­ minum huius terribilis et orribilis ac monstruose statue pri5 mum conteret atque comminuet testeam partem, pedum videlicet, quibus inconvenienter innititur, falsas scilicet ac iniquas causas, et occasiones calvas verius dixero cum p oeta, omnibus populis ac principibus ipsarum reserato sophismate 1 3 60 Vgl. Vo (Wortstellung) . 1 3 61 Daniel 2, 34-35. 1 3 62 Untergang des Endreichs, des Römischen Reiches, bedeutet Welt­

untergang.

1 3 6 3 Die occasio

xa t{!6� hat bei Phaedrus V 8 ein kahles Hinterhaupt und kann im Vorbeihuschen nur bei den Stirnlocken gepackt werden ; dazu Scholz 466 Anm. 1 . =

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der Vergnügungen, des Luxus und fast aller eitlen Freuden, die sogar für Laien ungehörig sind, den diejenigen den Sinnen der Menschen aufdrängen, die den anderen ein Vorbild an Reinheit und Ehrenhaftigkeit sein müHten ? Die eisernen Schienbeine und die Füße und Zehen der Statue, auf denen sie steht, deils von Eisen > , teils von Ton und Ziegelsteinen, worauf weisen sie sonst hin als auf die widerrechtliche Anmaßung, gewaltsame Aneignung und Besitznahme von weltlichen Herrschaften, Reichen und Provinzen durch eine gewalttätige Macht von Bewaffneten oder Gepanzerten ? Für diesen < Zweck > tragen die Füße die oberen Glieder mit sich, ein Anerbieten von Gold und Silber, das Bewaffnete dafür werben soll ; auch den Bauch und die Schenkel von Erz, dröhnend von dem lauten Versprechen solcher < Beloh­ nungen > 13 6 0 und dem lauten (wenn auch trügerischen) Erlaß von Sünden und Strafen und der ungerechten Verdammung (freilich schützt Gott das Unschuldige gewiß) und Schmähung derer, die die eigene Freiheit verteidigen und ihren Herrschern die schuldige Treue wahren wollen. Aber die Grund­ lagen in den Füßen und die Zehen aus Ziegel und Ton, daher zerbrechlich - was stellen sie anderes dar als das Brüchige der römischen Kurie ? Was bedeuten sie anderes als die Schwäche der Vorwände, auf die sich der römische Pontifex gegen die Christusgläubigen stützt, um sie zu unterdrücken, ich möchte nicht geradezu sagen 1359 : als ihre Falschheit und Ungerechtigkeit, die allen vor Augen liegt ? Aber wie derselbe Prophet bezeugt t36t , wird auf diese Statue ein Stein fallen, ohne Hände losgerissen vom Berge, d. h. der König, den Gott aus der gesamten Menschheit durch seine Gnade auserwählen und erwecken wird, indem er ihm die Macht verleiht, und dessen Reich an keinen anderen weitergegeben werden wird 1362 ; dieser König, sag ich, wird mehr durch Kraft oder Gnade der Dreieinigkeit als durch Tat oder Gewalt menschlicher Hände erst den tönernen Teil dieser schrecklichen und schauerlichen und mißgestalteten Statue zertrümmern und zerschmettern, den der Füße, auf denen sie zweckwidrig ruht ; d. h., er wird die falschen und ungerechten Begründungen (und die kahlen1 363 Vorwände, werde ich richtiger mit dem Dichter sagen) allen Völkern und Herrschern bekannt machen, indem er deren Trug

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ac humanis demonstracionibus impugnato et scripture sacre veritatihus annullato innotescere faciendo ; deinde vero fer­ rum ipsius, scilicet atrocem et impiam potestatem, arcendo ; es autem consequenter, id est maledicendi quam sibi pre­ sumpsit in principes et populos auctoritatem, secularium quoque iurisdiccionum usurpatarum et proinde causarum et 15 vexacionum tumultum silere ac obmutescere faciet, Iuxus quoque voluptatum et pompas vanitatum cessare. Demum vero argenturn et aurum, id est avariciam et rapinam Romani pontificis et superiorum membrarum curie Romane, compe­ scet ; temporalium quoque usum moderamine debito sibi conzo cedet. Sicque pariter secundum prophetam conterentur {er­ rum, testa, argenturn et aurum; omnia scilicet supradicte curie vicia et excessus extinguentur, quasi redacta in favil­ lam estive aree, que rapta sunt vento. Quod enim tarn contra naturam, Iegern humanam atque divinam et omnem racio25 nem est, diu permanere non potest. 10

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C A P I T U L U M XXV

Q u al i t e r in s p e c i a l i p r e d i c t i s sit usus Romanu s episcopus extra ecclesiasticos limites ad laicos sive civilia. Superest autem nobis exquirere, qualiter et in quibus plenitudine sibi potestatis assumpta extra limites ecclesia­ sticos usi sint hactenus et utantur episcopi Romanorum. Rememorabimur tarnen primum ecclesie primitive ritus eius­ que processus a sui principio et capite, quod est Christus, 1 0 et a primis suis promotoribus, apostolis sanctis. Hic enim, Christus videlicet, venit in mundum sacerdotale sive pastoris animarum officium instituere ac eciam exercere. Legis nam­ que lator eterne salutis existens, sacramentorum ritum et s

1 364 W consequenter. 1 3 65 Daniel II 35 ; dazu Sclwlz 466 Anm. 2. ·

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enthüllt, mit menschlichen Beweisen bekämpft und durch 10 Wahrheiten aus der Heiligen Schrift zunichte macht ; darauf aber wird er ihr Eisen, d. h. ihre unheilvolle und gottlose Gewalt, bändigen. Dann1364 wird er das Erz, d. h. das Recht zu schmähen, das < der Papst > sich gegen Herrscher und Völ­ ker herausgenommen hat, und den Lärm der angernaRten weltlichen Rechtsprechungen und folglich der Prozesse und 15 Schikanen zum Schweigen und Verstummen bringen, auch dem Luxus der Vergnügungen und dem Pomp der eitlen Freuden ein Ende machen. Endlich aber wird er Silber und Gold, d. h. die Habsucht und Raubgier des römischen Ponti­ fex und der obersten Glieder der römischen Kurie bändigen ; auch den Gebrauch der zeitlichen Güter wird er ihr < nur > im 20 rechten Maß gestatten. So werden gleicherweise nach dem Prophetenwort Eisen, Ton, Silber und Gold zertrümmert, d. h. alle Laster und übergriffe der obengenannten Kurie vernichtet werden, als seien sie in die Spreu auf der sommer­ lichen Tenne verwandelt, und der Wind verwehte sie.1 365 Was nämlich der Natur, dem menschlichen und göttlichen Gesetz 25 und aller Vernunft widerspricht, kann nicht lange Bestand haben. 467

KA P I T E L XXV

W i e h a t d e r r ö m i s c h e B i s c h o f d i e f r ü h e r g e n a n nt e n < Au f fassungen der Vollgewalt > im beson deren a u R e r h a I b d e r G r e n z e n d e r K i r c h e g eg e n ü b e r L a i e n w e l t o d e r S t a a t z u r G e l t u n g g e b r a ch t ? § 1 Es bleibt uns noch zu untersuchen, in welcher Weise und in welcher Hinsicht die römischen Bischöfe die Fülle der Gewalt, die sie für sich beanspruchen, a u ß e r h a l b der Grenzen der Kirche bis heute zur Geltung gebracht haben und bringen. Wir werden uns jedoch erst einmal die Praxis der Urkirche ins Gedächtnis rufen und ihre Entwicklung von ihrem Anfang und Haupt an, von Christus, und von 10 den ersten Ausgestaltern, den heiligen Aposteln. Denn dieser, Christus, ist in die Welt gekommen, um das Amt des Priesters oder Seelenhirten zu stiften und. auch auszuüben. Denn er, der das Gesetz für die ewige Seligkeit gab; hat Ritus und Ausübung der Sakramente, auch Gebote und

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exercicium, precepta quoque atque consilia credendorum, agendarum et spernendorum ad merendam simpliciter aut excellenter felicem seu beatam vitam, quam vocamus eter­ nam, sub eadem lege perstrinxit, iudicium quidem civilium actuum sive principatus of:ficium huius seculi abdicans et 20 eidem expresse renuncians et consimiliter abdicare preci­ piens aut consulens, omnes apostolos et sui ac ipsorum alias successores in officio supradicto seipsumque subiectum ex­ primens ordinacione divina iudicio seu coactive potestati principancium huius seculi, sie quoque suos apostolos, sie 25 ipsi seipsos tarn apere quam sermone, quemadmodum evi­ denter ostensum est ex scriptura euro sanetarum et doctorum exposicionibus [et auctoritatibus] 4° huius et 5°, et humanis racionibus 8° et 9° eiusdem aliqualiter declaratum. Eas vero potestates [exercens] et apostolis ac ipsorum successoribus in :; o eorum persona exercendas concedens, de quibus eciam die­ turn est 6°, 7°, 1 5° et 16° huius ; summamque rursum pauper­ tatem observans, ipsisque ac ipsorum successoribus servare docens, precipiens aut consulens secundum rememoratum et declaratum a nobis modum 1 2°, 1 3° et 14° huius. § 2. Hanc siquidem formam et modum vivendi et iam dic5 turn officium exercendi secundum potestates predictas ob­ servaverunt apostoli, tamquam obediencie filii; observave­ runt eciam Rarnanorum episcopi et apostolorum ceteri successores plurimi, quamquam non omnes, usque quasi ad tempora Constantini Primi, Rarnanorum imperatoris. I pso1 0 rum enim quidam predia possederunt, quarum primus legi­ tur fuisse Primus Urbanus, Romanus episcopus, usque in cuius tempus vixerat ecclesia sive sacerdotale collegium omne instar vite Christi et apostolorum, quam meritoriam et summam diximus paupertatem. Hoc quamvis fortasse faciens principaliter predictus Urbanus propter pietatem et 15

468

1369 1 370 1371 1a12 137 3 13H

II 6-7 ganz ; II 15, 1-4 ; 7-1 0 ; II 16, 1-13. li 12, 26-32 ; li 13,33-37 Anf. ; li 14,16 (3 13,21 ff.) . 1. Petr. 1 , 14. von possidere, vgl. 480,12. Sdwlz 468 Anm. 2. quamvis mit Partizipium, vgl. Vo (Gräzismen) .

Teil ll, Kapitel XXV

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Ratschläge für das, was man glauben, tun und verwerfen soll, um das glückliche oder selige Leben überhaupt oder in hervorragendem Maße zu verdienen, das wir das ewige nennen, in diesem Gesetz mitgegeben ; dagegen hat er das Richteramt in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten oder das Herrscheramt dieser Welt abgelehnt, ausdrücklich darauf 20 verzichtet und allen Aposteln und seinen und deren Nach­ folgern in dem obengenannten Amt geboten oder geraten, es in gleicher Weise abzulehnen, und erklärt, er selbst sei durch Gottes Ordnung dem Urteil oder der zwingenden Gewalt der Herrscher dieser Welt unterworfen, ebenso seien es auch seine Apostel ; das gleiche haben die Apostel für ihre 25 Person13 66 durch Wort und Tat < zum 'Ausdruck gebracht > , wie unwiderleglich aus der Schrift und den autoritativen Er­ läuterungen der Heiligen und der Kirchenlehrer in ll 4 und li 5 1367 gezeigt und durch menschliche Vernunftgründe in II 8 und II 91368 recht deutlich gemacht worden ist ; d i e Gewalten aber hat er ausgeübt und d e r e n Ausübung ; o den Aposteln und ihren Nachfolgern ; in ihrer Person ge­ stattet, von denen wir auch in I1 6, Il 7, I1 1 5 und I1 161369 gesproch�n ' haben, hat ferner die höchste Armut gewahrt und ihnen und ihren Nachfolgern die. Lehre, das Gebot oder 468 den Rat gegeben, sie zu wahren in der Weise, wie sie in li 12, Il 1 3 und Il 14 1 370 von uns in Erinnerung gebracht und dargelegt worden ist. § 2 Diese Form und Art, zu leben und das eben erwähnte 5 Amt gemäß den vorhin erwähnten Gewalten auszuüben, behielten die Apostel als Söhne des Gehorsams1 311 bei ; auch die römischen Bischöfe und die anderen Nachfolger der Apostel wahrten sie zumeist, freilich nicht alle, etwa bis zu den Zeiten des römischen Kaisers Konstantirr I. Denn to manche von ihnen erwarben1372 Grundstücke, nach der Über­ lieferung zuerst der römische Bischof Urbanus I. ; bis zu dessen Zeit hatte die Kirche oder die ganze Priesterschaft genau wie Christus und die Apostel 1 37 3 gelebt, was wir als verdienstliche und höchste Armut bezeichnet haben. Mag1374 das der obenerwähnte Urbanus vielleicht hauptsächlim aus t5

1366 1367 1 36 8

ipsi ( expresserunt ) se ipsos ( subiectos esse ) . II 4-5 ganz. II 8, 7-9 ; II 9, 2-9.

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pauperum subvencionem seu misericordiam, ut ipsius inf.en­ cionem quam pie possumus referamus ad bonum, si tarnen huiusmodi prediorum aut ex ipsis proventuum coram iudice coactivo vendicandi potestatem assumpsit, vel ipsa vendendi et precium distribuendi pauperibus habuit potestatem nec 20 vendidit et distribuit, a summa paupertate iam dicta sive perfeccionis statu, scienter aut ignoranter hec fecerit, in­ dubie declinavit. Quem modum eciam secuti sunt Romano­ rum episcoporum quam plures in hoc usque in tempora Con­ stantini. § 3. Quo siquidem intervallo, quemadmodum diximus 25 1 8° et 22° huius, ordinaciones quasdam circa ritum ecde­ siasticum, ut cultum divinum et statum honestum sacerdo­ talis collegii, sibi statuerunt cum suo collegio Rarnanorum episcopi, et eas tamquam utiles communicaverunt reliquis 30 ecclesiis requirentibus maxime has ; ceterarum quoque 469 mundi ecclesiarum iuxta possibilitatem, propter pietatem et caritatem, curam et diligencia.m assumpserunt, eo quod rec­ toribus sive pastoribus sufficientibus carebant frequencius ; 5 propter quod aliarum ecclesiarum personas exortabantur ac monebant in hiis que pertinebant ad honestatem et fidem. Eorum vero moniciones grate ac sponte sumebant ecclesia­ rum relique propter causas assignatas 18° et 22° huius. In quibus quidem eciam ecclesiis, quandoque discolis existenti1 0 bus sacerdotum seu episcoporum aut diaconorum vel reli­ quarum personarum aliquibus, neque ab aliorum turbacione circa mores aut fidem fraterna presencium monicione ces­ santibus, procurabant fortasse ipsorum discreciores ac pie valentes in Christo vivere per Romanum episcopum et ipsius 1 5 ecclesiam, quarum monita propter iam dictas causas magis verebantur fideles, excommunicaciones seu anathemata ferri et mandari super rebelies et aliorum turbatores vel aliter criminosos, vel id per seipsos zelo fidei fecerunt episcopi 15

1 375 II 18, 5-7 ; II 22, 16. 1 37 6 V gl. 470,6. 1 377 W presens.

Teil li, Kapitel XXV

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Frömmigkeit und zur Unterstützung der Armen oder aus Barmherzigkeit getan haben - damit wir seine Absicht so fromm als möglich zum Guten deuten -; wenn er jedoch sich das Recht genommen hat, derartige Grundstücke oder die Einkünfte daraus vor einem zwingenden Richter < als Eigentum > zu beanspruchen, oder das Recht gehabt hat, sie zu verkaufen und den Erlös unter die Armen zu verteilen, zo und sie < doch > nicht verkauft vnd verteilt hat, so ist er zweifellos von der eben erwähnten höchsten Armut oder dem Stand der Vollkommenheit wissentlich oder unwissent­ lich abgewichen. So haben es auch die meisten römischen Bischöfe hierin bis zu den Zeiten Konstantins gehalten. § 3 In diesem Zeitraum setzten die römischen Bischöfe 25 zusammen mit ihrem Kollegium, wie wir in II 1 8 und II 22 1 m ausgeführt haben, für sich gewisse Ordnungen hinsichtlich des Ritus der Kirche fest, z. B. hinsichtlich des Gottesdienstes und der ehrbaren Lebensführung der Priesterschaft1376, und weil sie nützlich waren, teilten sie sie den übrigen Gemeinden 30 mit, besonders wenn diese darum ersuchten ; auch für die 469 anderen Kirchen der Welt übernahmen sie soweit als möglich aus Frömmigkeit und Gottesliebe die gewissenhafte Für­ sorge, weil diese sehr häufig keinen geeigneten Leiter oder Hirten hatten ; deswegen mahnten und warnten sie die Mit5 glieder anderer Gemeinden in Sachen des ehrbaren Lebens­ wandels und des Glaubens. Ihre Mahnungen nahmen die übrigen Kirchen dankbar und freiwillig an aus den Grün­ den, die in II 18 und II 22 1375 hervorgehoben sind. Da in diesen Kirchen auch einige der Priester oder Bischöfe oder Diakonen 1 0 oder andere Personen manchmal unzufrieden waren und trotz brüderlicher Mahnung der Vorgesetzten 1377 nicht auf­ hörten, die anderen in Lebenswandel oder Glauben zu be­ unruhigen, so sorgten vielleicht die Klügsten von ihnen und wer fromm in Christus leben wollte, dafür, daß der römische Bischof und seine Kirche, deren Mahnungen die Gläubigen 15 aus den eben erwähnten Gründen am meisten achteten, Ex­ kommunikationen oder Verfluchungen aussprachen und ver­ anlaBten über Widerspenstige und unruhige Köpfe oder sonst verbrecherische Menschen, oder die Bischöfe der Römer taten das von sich aus im Eifer für den Glauben. Gläubige 15

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Romanorum. In aliis ergo locis fideles existentes, secundum plurimam partem ipsorum, concordaverunt obedire Roma­ norum episcopo et ipsius ecclesie propter fidei unitatem et ipsorum invicem pacem et quietem servandam, quoniam hec potestate coactiva nec modo convenienciori alio servare pot­ erant, eo quod infidelis esset quasi ubique tune legislator hu­ manus. 25 § 4. Adveniente vero tempore Constantini Primi, Roma­ norum imperatoris, qui primus Rarnanorum principum per­ misit et concessit fideles Christi publice congregari, facta sunt primum concilia generalia sacerdotum seu episcoporum precepto et auctoritate principis supradicti. Quibus quidem 30 conciliis diffiniti sunt et determinati scripture sacre sensus ambigui et ipsorum veri a falsis et erroneis sequestrati. Quos 4'70 siquidem falsos et insanos sacerdotum aliqui, quandoque quidem propter ignoranciam et plerumque propter super­ sticionem atque maliciam, seminaverant inter Christi fideles. 5 In quibus rursum conciliis facte sunt ordinaciones circa ecclesiasticum ritum, ut circa cultum divinum, diaconorum et sacerdotum honestatem et disciplinam ipsorumque ad offi­ cia ecclesiastica, tarn inseparabilia, que vocant ordines, quam separabilia, que vocant prelaciones sive curas anima10 rum et huiusmodi reliqua, in certis locis sive provinciis pro­ movendi ac temporalia seu beneficia, ut oblaciones ac reliqua que sibi propter ministerium evangelii tradebantur, tarn mobilia quam immobilia, distribuendi, determinatus sive statutus est modus et forma. De quo siquidem observando 15 legislator humanus seu principans eius auctoritate precep­ tum coactivum sive Iegern tulit obligantem quemlibet sacer­ dotem aut nonsacerdotem secundum exigenciam cuiusque pena reali vel personali pro statu et in statu presentis seculi transgressoribus in:fligenda. Ferebantur enim huiusmodi 20 Ieges in sacerdotes et episcopos magis quam in alios, quoniam 20

1 380 ipsorum Obj. zu promovendi, vgl. Vo (Verbum) . 1 381 weil sie gegen das Dogma verstief!en.

Teil Il, Kapitel XXV

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also, die an anderen Orten lebten, waren zum größten Teil damit einverstanden, dem römischen Bischof und seiner Kirche zu gehorchen, um Einheit des Glaubens, Frieden untereinander und Ruhe zu erhalten ; sie konnten das ja weder1378 durch zwingende Gewalt noch auf eine andere zweckmäßigere Art erreichen, weil der menschliche Gesetz­ geber fast überall damals ungläubig war. 25 § 4 Als aber die Zeit des römischen Kaisers Konstantirr I. herankam, der zuerst von den römischen Herrschern den Christusgläubigen erlaubt und zugestanden hat, sich in aller Öffentlichkeit zu versammeln, da wurden zum ersten Mal allgemeine Konzilien der Priester oder Bischöfe auf Befehl und aus der Machtvollkommenheit des obengenannten Herrschers ;o abgehalten. Auf diesen Konzilien wurden die in ihrem Sinn zweifelhaften Stellen der Heiligen Schrift lehrmäßig festgelegt und bestimmt und ihr wahrer Sinn von dem falschen 470 und irrtümlichen geschieden. Diese falschen und unver­ nünftigen137 9 Auslegungen hatten einige Priester, manchmal aus Unwissenheit, meist aus Aberglauben und Bosheit, unter den Christusgläubigen ausgesät. Auf diesen Konzilien wurs den ferner Ordnungen für die kirchliche Praxis geschaffen, so für den Gottesdienst, für die ehrbare Haltung und Ausbildung der Diakonen und Priester, und die Art und Form bestimmt oder festgesetzt, sie1380 zu kirchlichen Ämtern, den untrenn­ baren, die man Weihen nennt, wie den trennbaren, die man höhere Kirchenämter oder Pfarrstellen nennt, und anderen 10 dieser Art in bestimmten Gegenden oder Provinzen zu erheben und die zeitlichen Güter oder Benefizien, z. B. Spen­ den und was sonst ihnen für den Dienst am Evangelium übergeben wurde, bewegliche wie unbewegliche Güter, zu verteilen. Das zu befolgen, gab der menschliche Gesetzgeber 15 oder der, der kraft Ermächtigung durch ihn regierte, eine zwingende Vorschrift oder ein Gesetz, das alle Priester oder Nicht-Priester je nach den Anforderungen, die an jeden zu stellen sind, mit einer Strafe an Gut oder Person bedrohte, die für den Stand der gegenwärtigen Welt über die Über­ treter zu verhängen war. Derartige Gesetze wurden nämlich gegen Priester1381 und Bischöfe als gegen andere 20 mehr 20

1 378

nec, s. Vo.

1379

Vgl. doctrina sana 609,5.

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et ipsi tune erant, qui frequeneius eausam dabant talis edicti ; nee adversus legislatorem humanum reclamantibus episeo­ pis Rarnanorum aut aliis quibuseumque tamquam non subiectis prineipum legibus et edictis, sed instanter suppli25 cantihus ad prineipes pro legibus ferendis huiusmodi, quem­ admodum ex codiee Ysidori supradicto et aliis approbatis apparet historiis, de quibus induximus plures 2 1 ° huius. § 5. Amplius, per eosdem prineipes statuebantur et statute öo sunt Ieges de ipsorum numero eerto secundum provincias ; et de ipsorum temporalibus sive earnalihus honis, tarn mohili­ bus quam immobilihus, que sibi per predictum Constanti­ num donata fuere ae per reliquos prineipes Romanos aut 471 alias et sueeessive eeiam per personas aliquas singulares ; rursumque de eivilihus seu eonteneiosis ipsorum aetibus, quamvis speeialibus ex humani legislatoris graeia moderate favorihus. Attendentes namque legislatores sacerdotalis ca5 racteris dignitatem et revereneiam, quoniam per ipsum secundum veritatem Christi representatur officium, atten­ dentes eciam gravitatem morum et simplicitatem ac innocen­ ciam personarum, que tune in evangelio ministrabant et iam dieturn gereharrt officium, eciam in consimilibus actibus Ieges 10 minus rigorosas pro hiis statuebarrt ipsisque quam plurima privilegia concedentes, ne a Iaicis ealumpniatoribus vexa­ rentur vel a divinis officiis turharentur. Erant enim numero pauci devoti et propter humilitatem facile causidieorum ce­ dentes insultibus, nee violenta seu armata propter sui defent5 sionem aut aliorum offensionem vallati potencia. Nam cleri­ cos, presertim sacerdotes aut episcopos, arma sumere vel pro se sumi iubere, grande nefas et quasi monstrum civile visum fuisset priseis temporihus. Unde Amhrosius, ubi supra in­ duximus 9° huius : Dolere potero, fiere potero, gemere potero; 20 adversus *arma'�, milites, Gothos quoque lacrime mee arma mea sunt, talia enim munimenta sunt sacerdotis; aliter nec 1 38 2 II 2 1 , 2-7. 1 38 3 373,2-7 aus dem Corpus iuris zitiert ; vgl. Anm. 979. 138 4 II 9,6 ; vgl. Anm. 355.

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gegeben ; denn sie waren es ja damals selbst, die sehr häufig zu einem solchen Edikt Anlaß gaben ; weder die römischen Bischöfe noch alle anderen erhoben gegen den menschlichen Gesetzgeber Einspruch, als wenn sie den Gesetzen und Er­ lassen der Herrscher nicht unterstellt wären, sondern sie baten die Herrscher dringend, derartige Gesetze zu geben, wie aus dem obengenannten Kodex Isidors und anderen bewährten geschichtlichen Überlieferungen hervorgeht, von denen wir sehr viele in II 21 1382 angeführt haben. § 5 Ferner gaben dieselben Herrscher Gesetze über die Zahl der < Geistlichen > in den einzelnen Ländern - und sie bestehen noch1383 - und über deren zeitliche oder irdische Güter, die beweglichen wie die unbeweglichen, die ihnen der obengenannte Konstantin und die übrigen oder anderen römischen Herrscher und nach und nach auch Einzelpersonen geschenkt hatten, ferner über ihre bürgerlichen oder streitigen Rechtssachen ; allerdings < waren diese Gesetze > maßvoll durch besonderes Entgegenkommen aus dem Wohlwollen des menschlichen Gesetzgebers heraus ; denn mit Rücksicht auf die Würde und ehrfurchtgebietende Stellung des Priester­ tums - es verkörpert ja in Wahrheit Christi Amt - und mit Rücksicht auf die Sittenstrenge, Einfalt und Lauterkeit der Personen, die damals am Evangelium Dienst taten und das eben erwähnte Amt ausübten, gaben die Gesetzgeber auch bei gleichen Rechtsverhältnissen weniger strenge Gesetze für sie und überließen ihnen sehr viele Vorrechte, damit sie nicht von den Laien mit Verleumdungen belästigt oder in ihrem göttlichen Amt gestört würden. Diese wenigen < Priester > waren nämlich demütig, in ih rer Selbsterniedrigung gaben sie leicht den Angriffen der Sachwalter nach und waren nicht von Waffengewalt umhegt, um sich verteidigen oder andere anzugreifen. Denn daß Kleriker, zumal Priester oder Bischöfe, zu den Waffen gegriffen hätten oder andere für sich zu den Waffen gerufen hätten, wäre in alter Zeit als schwere Sünde und geradezu als etwas Ungeheuerliches im bürgerlichen Leben erschienen. Daher sagt Ambrosius an der Stelle, die wir oben in II 91384 angeführt haben : Trauern roerde ich können, meinen roerde ich können, seufzen roerde ich können; gegen Waflen, Soldaten, auch die Goten, sind meine Tränen meine Waffen; solcher Art nämlich sind die

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debeo nec possum resistere. Propter quod favoribus et privi­ legiis specialibus indigebant ad quiete ac tute vivendum et calumpniatorum vexaciones evadendum, quamvis modernis 25 temporibus ipsorum ad laicos 'fin hoc'-· conversio facta sit in oppositam qualitatem. § 6. Sie ergo sub legibus et ordinacionibus civilibus princi­ pum vixerunt antiquis temporibus, et dudum totum sacerdotale collegium ab eisdem et a populo collaciones, confir­ 472 maciones et investituras suorum officiorum separabilium, ut prelacionum, curarum et reliquorum similium aut minorum ac temporalium seu beneficiorum distribuendi et dispensandi 5 potestatem, suscipientes ; nec propter huiusmodi subieccio­ nes contendebant pastores antiqui, Rarnanorum episcopi, adversus principes Romanorum neque adversus populum aut singulares personas, ecclesiarum patronos, quoniam ad hoc se teneri noverant divina et humana lege, quemadmo10 dum 4°, 5° et 8° huius ac 1 ?'0 per scripturam et humanas racio­ nes sufficienter ostendimus. Sie enim legimus de Symmacho, nativitate Sardo. Hic enim Laurencio cuidam coeledtus discor­ diter per Theodoricum regem, facto iudicio confirmatus est in papam Romanum. Sie eciam scribit Martinus de beato Gre15 gorio : Hic, inquit, in papam eligitur, et ipse, Mauricins vide­ licet imperator, imperialibus literis suum affirmat consen­ sum. Sie eciam suorum privilegiorum confirmacionem ab imperatoribus petere solebaut episcopi Romanorum, ut de Vitaliano, nativitate Signeno et Constantino, nativitate Syro, 20 et aliis plerisque Romanis pontificibus legitur, quinimo pro hiis et aliis supplicacionibus et suis confirmacionibus impe­ trandis ad imperatores per loca distancia plurimum persona­ liter solebaut accedere, ut de ipsorum quam pluribus legitur in cronicis et approbatis historiis. Et quod amplius est, Io25 hannes Duodecimus per Ottonem Primum, Romanum impe­ ratorem, suis exigentibus demeritis, consenciente omni po1 385 W qualitas. 1 38 6 II 4 5 besonders II 4 Überschrift -

,

I I 8 , 7-8 ; I I 1 7, 8-15. 1 387 Scholz 472 Anm. L

u.

§ 1 ; II 5 Überschrift

u.

§ 1;

Teil II, Kapitel XXV

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Bollwerke des Priesters; in anderer Weise darf üh weder noch kann ich Widerstand leisten. Deswegen bedurften sie besonderen Entgegenkommens und besonderer Vorrechte, um ruhig und sicher leben und den Schikanen der Verleum­ der entgehen zu können ; freilich ist heutzutage hierin ihr 25 Verhalten gegenüber den Laien ins Gegenteil1385 umge­ schlagen. § 6 So lebten sie nun in alter Zeit unter den shatlichen Gesetzen und Anordnungen der Herrscher, und die ganze 472 Priesterschaft empfing lange von ihnen und vom Volke durch Verleihung, Bestätigung und Investitur ihre abtrenn­ baren Ämter, wie die höheren geistlichen Würden, die Pfarr­ stellen und andere ähnliche oder niedere Ämter, und die Gewalt, die zeitlichen Güter oder Benefizien zu verteilen und zu verwalten, und die Hirten der alten Zeit, die römi'5 sehen Bischöfe, stritten nicht wegen solcher < F ragen der > Unterordnung gegen die Herrscher der Römer noch gegen das Volk oder gegen Ein zelpersonen, die Kirchenpatrone ; sie wußten ja, sie seien dazu durch das göttliche und mensch­ liche Gesetz verpflichtet, wie wir in II 4, II 5 u. II 8 und 1 0 II 1 7138 6 durch die Schrift und menschliche V ernunHgründe zur Genüge bewiesen haben. Das lesen wir von Symmachus, einem Sarden von Geburt. Dieser, zusammen mit einem gewissen Laurentins in zwiespältiger Wahl gewählt, wurde nämlich vom König Theoderich nach einer Gerichtsverhand­ lung als römischer Papst bestätigt. Das schreibt Martin auch 15 von dem seligen Gregor1 387 : Dieser, sagt er, wird zum Papst gewählt, und er, der Kaiser Mauritius, sichert durch einen kaiserlichen Brief seine Einwilligung zu. So pflegten die römischen Bischöfe auch die Bestätigung ihrer Vorrechte von den Kaisern zu erbitten, wie das von Vitalianus aus Segni < in Latium > und von dem Syrer Konstantirr und sehr vielen 20 anderen römischen Bischöfen berichtet wird, ja um dies und die < Erfüllung > anderer Bitten und ihre Bestätigung zu erlangen, pflegten sie sogar oft genug zu den Kaisern über weite Entfernungen persönlich zu reisen, wie man es von sehr vielen Päpsten in Chroniken und glaubwürdigen Ge­ schichtsbüchern liest. Und was mehr bedeutet : Johann XII. 25 ist vom römischen Kaiser Otto I., weil seine Vergehen das erforderlich machten, unter Zustimmung des ganzen Volkes,

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pulo, tarn clero quam laieis, a papatu depositus est. Sie eeiam ubi de Nono Benedicto agitur in eroniea Martini, legitur de duobus electis eonteneiose atque depositis imperiali eensura per Henrieum, tune prineipem Romanorum. Eiusdem enim 5 auctoritatis prime est aliquid statuere ae id euro expediens fuerit destituere ; euro igitur episeopus quilibet per prinei­ pem et omnem populum eligi debeat, ipsorum auctoritate destitui sive deponi potest, quemadmodum eertifieatum est 1 '2'0 huius. 10 § ?. Irrstar ergo Christi et apostolorum vixerunt Romani et eeterarum provineiarum episeopi et saeerdotes ac clerieorum omne eollegium sub regimine eoactivo prineipaneium aue­ toritate legislatoris humani. Verum suadenie ae stimulante Imins mundi prineipe, superbie ae ambieionis primo pa­ reute, reliquorum quoque vieiorum omnium suggestore, 15 diabolo, in alienam viam, ab ea que Christi et apostolorum, deducti surrt, quinimo seducti verius Romanorum episeopi quidam. Nam ipsorum animos invadens eupiditas et ava­ rieia inde foris expulit, quam Christus in eeclesia tereio modo dicta plantaverat et statuerat summam meritoriam 20 paupertatem. Rursumque invadens eosdem superbia et am­ bieio seeulariter prineipandi expulit inde summam humi­ litatem, quam Christus indixerat et observare mandaverat eidem eeclesie sive universo eetui saeerdotum. Quorum qui25 dem primus hoe passus, si eo prior in hoe non alter extiterit, fuisse legitur Simplieius quidam, Tibertinus eognomine, Ro­ manus episeopus. Hie enim, unde sibi neseio auctoritate sumpta, quamvis eertissime noverim, nisi per ignoraneiam exeusetur, unde temeritate presumpta, statuit, nullum cleri­ eum investituram a laieo debere suseipere, investituram siquidem intelligendo benefieiorum et offieiorum, de quibus 1auo II 1 7, 15 Anf. 1a91 II 2,2 (144,6-1 1 ) . 1392 Mischkonstruktion aus : nescio, unde auctoritas sumpta sit, und :

auctoritate nescio unde (irgendwoher) sumpta.

1393 Mischkonstruktion wie in Anm. 1392. 139 4 Scholz 474 Anm. 1 .

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der Geistlichkeit wie der Laien, der päpstlichen Würde ent­ kleidet worden. So liest man auch in dem Abschnitt über Benedikt IX. in der Chronik des Martin 1 388 von zweien, die in strittiger Wahl gewählt und nach kaiserlicher Prüfung von Heinrich, dem damaligen Herrscher der Römer, abgesetzt worden sind. 1 389 Es ist nämlich das Recht derselben Autorität, etwas festzusetzen und, wenn zweckmäßig, aufzuheben ; da nun jeder Bischof vom Herrscher und vom ganzen Volk gewählt werden muß, kann er auch von ihnen seiner Macht entkleidet oder abgesetzt werden, wie in II 1 ? 1 39 0 gesichert worden ist. § 7 Ebenso wie Christus und die Apostel lebten also die römischen Bischöfe und die der übrigen · Provinzen, die Priester und der ganze Klerus unter der zwingenden Leitung derer, die kraft Ermächtigung durch den menschlichen Gesetzgeber regierten. Aber der Fürst dieser Welt, der Über­ heblichkeit und der Herrschsucht Erzvater und der Ver­ führer zu allen anderen Lastern, der Teufel, redete ihnen zu und stachelte sie an, und so wurden einige römische Bischöfe auf einen Weg, der dem Weg Christi und der Apostel ganz fernlag, geführt, vielmehr richtiger : verführt. Denn in ihre Seelen drang Gier und Habsucht ein und trieb hinaus, was Christus in der Kirche (in der dritten Bedeu­ tung 1 3 91 < des Wortes > ) gepflanzt und eingesetzt hatte : die höchste verdienstliche Armut. Ferner drang in sie Überheb­ lichkeit und ehrgeiziges Streben nach weltlicher Herrschaft ein und vertrieb die tiefe Demut, die Christus gefordert und ebenfalls der Kirche oder der gesamten Priesterschaft zu wahren aufgetragen hatte. Der erste von ihnen, dem es so ergangen ist, wenn er nicht hierin einen Vorgänger gehabt hat, war nach der Überlieferung ein gewisser Simplicius, mit Beinamen Tibertinus, ein römischer Bischof. Dieser näm­ lich - woher 1 392 er das Recht dazu nahm, weiß ich nicht ; indessen weiß ich ganz sicher, wenn er nicht durch Nicht­ wissen entschuldigt werden soll, woher1393 diese Anmaßung gekommen ist - gab die Bestimmung : kein Kleriker dürfe seine Investitur von einem Laien empfangen 1394, wobei er Investitur in die Benefizien und Ämter meinte, von denen 1388

Scholz 473 Anm. 1 .

1 asu

Scholz 473 Anm. 2 .

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diximus prius ; quamvis tarnen ex ipsius statuto significetur manifeste, predecessores suos humilitatem et reverenciam debitam principibus exibere valentes investituras predictas a Iaicis recipere soluisse. Huius siquidem rursum successor, quamvis non immediatus, Pelagius Primus statuit, ut here­ tici per seculares potestates punirentur. De qua eciam sta1 0 tuto mirandum, quoniam non latuit illum huiusmodi Iegern tempore Iustiniani Romani principis in hereticos latam fuisse, et quoniam sue non erat auctoritatis ferre huiusmodi leges inquantum episcopi, nisi fortasse hoc sibi auctoritate humani legislatoris foret indultum, quemadmodum 1 2° et 15 1 3° prime ostensum est et 2 1 ° huius. Et ideo, quemadmodum iam dictus Simplicius in alienam messem falcem iniecit, videlicet auctoritatem sibi que alterius usurpando. Cui rur­ sum Adrianus Tercius, licet non immediate, successit in usur­ pacione predicta. Statuit enim, ut nullus imperator se intro20 mitteret de eleccione pape, ut dicti Martini verbis utamur. Quod siquidem statutum omnino nullum, eo quod a carente tali auctoritate, legislativa scilicet, emanavit. Aperturn eciam inconveniens continebat, quemadmodum ex 1 '7° huius osten­ sum est, fueratque illius oppositum longa et laudabili con­ suetudine roboratum. 25 § 8. Quamvis enim dicat Martinus, ubi legitur de Leone Decimo, quod Romani ex prava consuetudine petebant ab imperatore pontificem sibi dari, consuetudinem confessus, quod verum concedimus, pravam tarnen auctoritate propria d icens illam, quantum potens iustificans usurpaciones predictas Rarnanorum pontificum et iura principum sive hu5

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1398 1399 14 oo 1401 1402 1403 1404 uos

Scholz 474 Anm. 4. quoniam steht parallel zu dem von latuit abh . Acl, nicht zu quoniam 474,9. I 12, 3 u. 5-8 ; II 1 3, 3-8 ; II 21 ,2-7. Schol z 474 Anm . 5. Scholz 474 Anm. 6. II 1 7,15 Anf. Scholz 474 Anm. 7. gemeint : Leo IX.

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wir früher gesprochen haben ; und doch zeigt sein Erlaß deutlich, daß seine Vorgänger in dem Wunsche, dem Herrs cher die schuldige Unterwürfigkeit und Ehrerbietung zu zeigen, die obengenannten Investituren regelmäßig von Laien empfangen haben.1395 Dessen Nachfolger, freilich nicht der unmittelbare, Pelagius J.l39 6, bestimmte weiter, die Ketzer sollten durCh die weltliChen Gemalten bestraft roerden. 1391 An diesem Erlaß ist auch erstaunlich : Er hat wohl gemerkt, daß ein derartiges Gesetz in der Zeit des römischen Kaisers Jl.J.stinian gegen die Ketzer gegeben worden war1398 und es1399 nicht zu seiner Zuständigkeit als Bischof gehörte, derartige Gesetze zu geben, außer wenn das vielleicht ihm kraft Ermächtigung durch den menschlichen Gesetzgeber nach­ gelassen war, wie in I 1 2 u. I 1 3 und in II 2 1 1 4 00 gezeigt worden ist, und er hat darum wie der eben erwähnte Simplicius1401 die SiChel an eine fremde Ernte gelegt, indem er sich eine Machtbefugnis anmaßte, die einem anderen ge­ hörte. Ihm folgte wieder Adrian 111 ., wenn auch nicht unmittelbar, in der vorhin erwähnten Anmaßung ; er be­ stimmte nämlich : kein Kaiser solle siCh in die Papstmahlen einmisChen, um die Worte des genannten Martin zu gebrauchen.l4°2 Diese Bestimmung ist ganz und gar nichtig, weil sie von einem ausging, der keine Befugnis dazu hatte, keine gesetzgeberische nämlich. Sie enthielt auch etwas offenbar Widerrechtliches, wie in II 1 71403 gezeigt worden ist, und das Gegenteil davon war durch ein altes und löbliches Gewohnheitsrecht bekräftigt. § 8 Martin 1404 behauptet zwar, wo von Leo X. 1405 die Rede ist : Die Römer baten auf Grund eines verkehrten GeroohnheilsreChtes den Kaiser, ihnen einen Pontifex zu geben, und räumt damit das GewohnheitsreCht ein - wir gestehen. darin hat er recht -; wenn er es jedoch zugleich aus eigener Macht­ vollkommenheit als verkehrt bezeichnet und damit, so gut er kann, die obengenannten Anmaßungen der römischen Bischöfe rechtfertigt und die Rechte der Kaiser oder des 1395

soluisse solitos esse ; vgl. auserint ausi sint (447,21) und auserunt (450,21 f.) ; ausi und solui sind altlateinisch. 139 6 Scholz 474 Anm. 3. 1a u1 d. h., die weltlichen Gewalten sollten das Urteil des geistlichen Gerichts vollstre , der ohne Alle­ gorie im Römerbrief im 13. Kap.1512 mit deutlichen Worten sagt : jede Seele sei untertan den höheren Gemalten, lehren und predigen diese den Untertanen Aufruhr gegen ihre t o Herrscher. Solche Aufrührer nämlich und die, die auch an­ dere durch ihr hinterlistiges und ungerechtes Zureden zum Aufruhr verführen, widersetzen sich Gottes Ordnung. Denn der Apostel fügt an der oben angeführten Stelle1513 hinzu : Wer sidt der Gemalt, d. h. dem weltlichen Herrscher, mider­ setzt, midersetzt sidt Gottes Ordnung. Von ihnen hat er auch im 1 . Brief an Timotheus im 4. Kap. und im 2. Brief an den1 5 seihen im 3. Kap.1514 prophezeit mit den Worten : Wisse aber, daß in den letzten Tagen sdtlimme Zeiten bevorstehen ; und da merden die Mensdten sein selbstsüdttig, geldgierig, prahle­ risdt, hodtmütig, sdtmähsüdttig, den Eltern ungehorsam, wobei er unter Eltern die Herrscher mitversteht ; weshalb Cicero ,Von den Pflichten' B. 11515 sagt : Herrsdter sind Vater20 land, sind Eltern, denen mir für ihre großen Wohltaten ver­ pflichtet sind - den Eltern also oder Herrschern ungehor­ sam, undankbar, verbrecherisdt1 516 , vertragsbrüchig1517, ohne 1511 1s 12 1 51 3

Vgl. die vorige Anm. Röm. 13, 1 . Röm. 13, 2.

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l'rfarsilius v o n Padua, Verteidiger des Friedens

affeccione, supple bona, sine pace, criminatores, incontinen­ tes, immites, sine benignitate, proditores, procaces, protervi, 25 tumidi, Doluptatum amatores magis quam Dei, habenies qui­ dem speciem pietatis, id est apparentes agere que faciunt propter cultum Dei, reverenciam et amorem, Dirtutern autem eius, scilicet talis pietatis, abnegantes. Quod facile omnibus cognoscere est ab ipsorum operibus, iuxta illud Matthei 7° : 506 Attendite Dobis, inquit, a falsis prophetis, qui Deniunt ad DOS in Destimenfis ODium, intrinsecus autem sunt lupi rapaces; a fructibus eorum cognoscetis eos. Et subdit apostolus confor3 miter Christi consilio vel precepto premisso : Et hos deDita, id est hiis noli credere neque in talibus obedire. Sed proh dolor, quod propter hanc speciem pietatis in tantum homines se­ duxerunt, ut iam violenta freti potencia, quam sub specie 1 0 pietatis obtinuerunt gratis in parte, plurimum vero latenter usurpaverunt et nunc patenter atque violenter usurpant, devitari non possunt, violenciam Christi fidelibus inferentes. § 14. Qui eciam, ingrati, superbi, sine pace ac immites, et 15 revera quales eos per omnia descripsit apostolus, ponentes bonum mal um et lucem tenebras, secundum illud Y saie 5 ti , ecclesiasticorum officiorum maiorum, mediocrium et mino­ rum collacione ac temporalium seu beneficiorum, tarn rerum mobilium quam immobilium, ac decimarum, que propter 20 bonum finem statuta fuerunt, exibicione, promissione ac ho­ rum prius interveniente convencione nefanda, concitant ad­ versus fideles principes sibi subditos et affines eciam non subiectos. Quod quamvis cum sibi complicibus nunc solum adversus Romanum principem facere videantur, illius tarnen 25 exemplo, qui Rarnano episcopo et ipsius ecclesie in tantum a"earsi,;. dvf;psf!ot; vgl. 506, 1 3 . 152J �e o�sui,;, bei Marsilius zweimal (procaces, protervi) übersetzt, in der Vulgata nur protervi unverschämt. 1524 T c:r:V(/!WflEvOt. 1525 abnegantes �e TJf-llvat. 1526 Matth. 7, 15-16. 1527 2. Tim. 3,5. 1529 Jes. 5,20. ms Indikativ nach ut consec. 1521

1522

=

=

Teil Il, Kapitel XXVI

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Zuneigung 1 5 18, d. h. ohne gute, treulos 1519 , verleumderisch 1520, unmäflig1521, hart 1 522, herzlos, verräterisch, leichtfertigma, 2> unverschämt, aufgeblasen 15 24, mehr roeltlidw Lust liebend als Gott, zroar mit dem Ansdwin der Frömmigkeit, d. h. sie tun alles, was sie tun, scheinbar für den Dienst Gottes, aus Ver­ ehrung · und Liebe für Gott, aber1 525 ohne deren innere Kraft, nämlich einer solchen Frömmigkeit. Das ist aus ihren Wer506 ken für alle leicht zu erkennen nach jenem Wort im "!. Kap. des Matthäus 1 526 : Nehmt euch in acht vor den falschen Pro­ pheten, die in Schafkleidern zu euch kommen, inroendig aber sind sie rei/lende Wölfe; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Und der Apostel fügt hinzu in übereinstim5 mung mit dem vorhin erwähnten Rat oder Gebot Christi15 27 : Und die sollst du meiden, d. h. diesen glaube und gehorche nicht hierin. Aber o Schmerz, durch diesen Anschein der Frömmigkeit · haben sie die Menschen soweit verführt, dafl es unmöglich ist 1 528, sie zu meiden, wenn sie jetzt im Ver­ trauen auf die Anwendung von Gewalt, die sie unter dem 1 0 Anschein der Frömmigkeit teilweise umsonst gewonnen haben, zumeist aber heimlich sich angemaßt haben und jetzt offen und gewaltsam sich anmaßen, den Christusgläubigen Gewalt antun. § 14 Diese undankbaren, hochmütigen Menschen, treulos, 1> hart und in Wahrheit so, wie sie in allen Stücken der Apostel beschrieben hat, die das Gute bös und das Licht Finsternis nennen nach jenem Wort im 5. Kap. des Jesaja 1 529 , hetzen durch Verleihung kirchlicher Ämter, höchster, mittlerer und niederer, durch Angebot und Versprechen von zeitlichen Gütern oder Benefizien, beweglichen wie unbeweglichen Besitztümern, und von Zehnten, die für einen frommen 20 Zweck gestiftet sind, durch einen im voraus darüber ge. schlosseneu verruchten Vertrag - < durch all das hetzen sie > gegen die gläubigen Herrscher ihre Untertanen und sogar die Nachbarn auf, die ihnen nicht untertan sind. Es sieht jetzt zwar aus, als ob sie samt ihren Mitschuldigen das nur gegen den römischen Herrscher betrieben, aber aus dem Beispiel 25 dessen, der dem römischen Bischof und seiner Kirche in so 1 5 1 8 lJ.t:nO(! ')'OI. 1519 l1anov6o1.

152 0 r5ui.ßoJ.m.

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

benefieus extitit, eeteri prineipantes diseant eadem sibi pro­ babiliter eontingere posse, et adversus eosdem eadem satagere predictum episeopum, sine affeeeione bona in quemlibet exi­ stentem, dum se illi huius insultus faeultas offeret. Asserens 30 enim ipse, tarn suis sermonibus quam seripturis pridem in­ ductis, propter sue, quam sibi, quamvis ineonvenienter, 50? aseribit, plenitudinem potestatis omnes prineipes et populos suo prineipatui sive iurisdieeioni eoactive subiectos, hoe eeiam ad effectum perdueere eupiens et anhelans, observat tempora quibus prineipum fidelium invieem aut populorum 5 invieem seismata et eontenciones aut subditorum adversus dominos ipsorum rebelliones appareant ; quas eeiam nonnum­ quam eoneitari proeurat, ut sie altera dissideneium invieem pareium debilior vel ad versanti resistere nequiens su um eoga1 0 tur implorare subsidium et subire dominium. Quamvis enim sub ficta speeie pietatis ae miserieordie videatur impotentes vel inique fortassis oppressos aliquando protegere illisque favorem secularem impendere, non tarnen hunc prestat, nisi prius ipsi constiterit sui favoris egentes eumque requirentes 15 suum subituros prineipatum seu seculare dominium, sperans inde demum per mutuam Oppressionern et invidiam utrum­ que sie adversaneium ipsius potestatem cogi subire. Propter quod cavende surrt conteneiones et acciones, que suorum fa­ vorum cuiquam necessitatem inducant, quoniam tandem 20 eonvertuntur in libertatis pernieiem et eos suseipiencium servitutem. § 15. Secundum hunc igitur modum per regna mundi sue­ cessive repit episcopus hic, ut omnes tandem, quos ineessan.:. ter ardet, principatus sibi subicere valeat. In omnibus nam25 que vel pluribus simul inaudet huiusmodi temptare proces­ sus, sed paulatim sibi tantam expectat seeularem subcrevisse poteneiam, ut reliquorum residuam videat et posse credat

1530 503,20.

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großem Umfang Wohltaten erwiesen hat, sollen die übrigen Herrscher die Lehre ziehen, daR aller Wahrscheinlichkeit nach dasselbe Schicksal ihnen widerfahren kann und dafl der obengenannte Bischof dasselbe gegen sie im Schilde führt - er, der gegen niemanden eine gute Gesinnung hegt ­ bis sich ihm eine Gelegenheit zum Angriff bietet. Er ver3 0 sichert nämlich in seinen Reden wie in seinen Schriften, die eben 1530 angeführt sind : wegen der Fülle seiner Gewalt, die er sich, wenn auch ganz mit Unrecht, zuschreibt, stünden alle Herrscher und Völker unter seiner Regierung oder zwingen­ den Rechtsprechung, und da er danach lechzt, das auch wirk­ sam zu machen, so paßt er die Zeiten ab, in denen Zwiespalt und Streitigkeiten der gläubigen Herrscher und Völker unter5 einander oder Aufstände der Untertanen gegen ihre Herren sich zeigen. Diese zu erregen, läßt er sich sogar manchmal an­ gelegen sein, damit, wenn die eine der miteinander streiten­ den Parteien zu schwach ist und dem Gegner nicht Wider­ stand leisten kann, sie sich gezwungen sieht, s e i n e Hilfe 1 0 anzuflehen und sich unter s e i n e Herrschaft zu stellen. Er er­ weckt zwar unter dem erheuchelten Ansehein der Frömmig­ keit und Barmherzigkeit den Eindruck, als schütze er manch­ mal Schwache oder vielleicht ungerecht Unterdrückte und wende ihnen seine irdische Hilfe zu, doch gewährt er diese < erst dann > , wenn er im voraus sicher ist, daR die, die seiner Hilfe bedürfen und darum nachsuchen, sich unter seine Re15 gierung oder weltliche Herrschaft stellen werden ; er hofft nämlich, dadurch könnten schl:i.eRlich infolge ihrer gegen­ seitigen Bedrohung und Eifersucht beide feindlichen Parteien sim gezwungen sehen, seine Oberhoheit anzuerkennen. Des­ wegen heißt es sich hüten vor Streitigkeiten und Unterneh­ mungen, die jemand zwingen könnten, seine Gunst zu suchen ; denn schlieRlieh schlägt sie aus in Verlust der Freiheit 2o und in sklavische Abhängigkeit derer, die sie annehmen. § 15 In dieser Weise nun schleicht dieser Bischof nach und nam in die Staaten der Welt ein, um alle Regierungen, nach denen er unablässig hungert, sich schlieRlieh unterwerfen zu können. Denn in allen oder in den meisten zugleich ein der25 artiges Vorgehen zu versuchen, wagt er nicht, sondern wartet, bis ihm allmählich eine so starke weltliche Macht in aller Heimlichkeit herangewachsen ist, daR er sieht und glaubt, er

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

absque sui discrimine superare. Tune enim fiducialiter ape­ riret super reliqua regna sensum presumpti a se tituli pleni3 0 tudinis potestatis ; et quemadmodum eum qui Romanorum, sie reliquos principatus explicite proferret suo dominio seu coactive iurisdiccioni fore subiectos sibique subici, quamquam licite recusantes, per blasphemias et consimiles iam 508 premissis sentencias in Romanum principem et sibi fideles per violentarn quoque sive armatam usque ad attricionem et exterminium persequeretur potenciam. 5 Hiis igitur modis et viis iam dictus episcopus cum sibi com­ plicibus quasi omnes Ytalie principatus, communitates et populos in contencionem ac scisma seduxit idemque in Ala­ mania iam facere cepit et continuo perficere studet. Quos­ dam enim subditorum proditores et sceleratos, favoribus se10 cularibus, ut officiorum et beneficiorum ecclesiasticorum collacionibus, decimarum et pecuniarum exibicione, in rebel­ lionem adversus Romanum principem concitavit, et indesi­ nenter quoscumque potest maiores, medios et minores con­ citare procurat ; eosque qui sie per ipsum seducti fuerint et 15 eidem obtemperaverint, ecclesie filios et vere fideles appellat et vocat ; qui vero in debita fidelitate suo principi obedientes persistuni et persistere volunt, scismaticos et hereticos nomi­ nat et tamquam ecclesie inimicos persequitur blasphemando, quantum in ipso est, diffamando, excommunicando et per 20 sentenciam secularem personaliter atque realiter condemp­ nando, cum tarnen nullum tale iudicium illi taliter debeatur, inquantum huiusmodi, divina vel humana lege, ut ex prece­ dentibus patet et rememoratum est prius. 25 § 1 6. Est autem, de quo pridem aliquid diximus, omnium nequissimum et gravissimum nocumentum generaliter infe509 rens, nec taceri potest a lege caritatis excidere non volenti, quod videlicet Romanus exercens episcopus omnes Christi oves, quas ad pascendum salutari doctrina sibi dicit fore 1531 1532 1533 1534

Vgl. 500, 1 1-50 1 , 1 . Sclwlz 508 Anm. 1 . 501, 1 7. W caritas.

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könne mit der restlichen Macht der übrigen ohne Gefahr für sich fertig werden. Dann würde er nämlich voll Zuversicht den anderen Staaten den Sinn des von ihm beanspruchten Rechtstitels der Fülle der Gewalt enthüllen und mit dürren 3 0 Worten verkünden : wie die römische, so seien auch die übri­ gen Regierungen seiner Herrschaft oder zwingenden Recht­ sprechung unterworfen, und wenn sie sich - wiewohl mit Recht - sträubten, so würden sie unterworfen durch Ver50S flucl:mngen und ähnliche Urteilssprüche wie die früher 153 1 gegen den römischen Herrscher und seine Getreuen geschleu­ derten, und er würde sie mit Waffengewalt bis zur Vernich­ tung und Austilgung verfolgen. 5 Auf diese Art und Weise nun hat der eben erwähnte Bischof nebst seinen Mitschuldigen fast alle Regierungen, Gemeinden und Völker Italiens zu Streit und Spaltung ver­ führt ; dasselbe hat er schon in Deutschland versucht und sucht es immerfort durchzuführen.1532 Denn einige Verräter und Verbrecher aus den Untertanen hat er schon durch welt1 0 liehe Gunsterweisungen, wie Verleihung von Ämtern und Benefizien der Kirche, durch Anerbieten von Zehnten und Geldern zur Empörung gegen den römischen Herrscher auf­ gewiegelt und läßt unaufhörlich aufhetzen, soviel er kann : die Höchsten, die Mittleren und die Niedersten ; die auf diese Weise von ihm verführt worden sind und ihm gehorcht 1 5 haben, die nennt und heißt er Söhne der Kirche und roahrhaft Gläubige; die aber in schuldiger Treue ihrem Fürsten gehor­ sam bleiben wollen, die nennt er Schismatiker und Ketzer und verfolgt sie als Feinde der Kirche : verflucht, beschimpft sie, soviel er kann, exkommuniziert sie und verdammt sie zo durch einen weltlichen Richterspruch für ihre Person und ihre Güter ; dabei steht ihm nach göttlichem und mensch­ lichem Recht als Papst doch kein solches Urteil in solcher Form zu, wie sich aus dem Vorausgehenden ergibt und vorhin 1 533 in Erinnerung gehracht worden ist. § 16 Es gibt aber etwas, wovon wir schon früher ein Wort 25 gesagt haben, was den allerbösesten und allerschwersten Schaden überhaupt hervorruft, und das kann nicht ver509 scllw eigen, wer im Gesetz der Liebe1534 bleiben will ; dadurch stürzt nämlich der römische Bischof alle Schafe Christi ins ewige V erderben und verschlingt sie, die doch, wie er

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

eommissas, eternaliter eonfundit et devorat. Ponens enim rursum malum bonum et lucem tenebras, eoneedit ipse vo­ ealiter et in seriptis absolucionem culpe ac pene cuiuslibet militantibus omnibus tempore eerto, equitibus aut peditibus adversus iam dietos Christi fideles, Romano prineipi subiee­ tos et eonstanter illi tamquam regi obedientes et obedire vo10 lentes ; quos eeiam velut hereticos et erueis Christi rebelles impugnare quomodoeumque licitum esse, spoliare ae exter­ minare finaliter per se vel alios, sermone tarn seripto, quam non seripto pronuneiat. Et quod orret auditus, id predieat et per quosdam falsos et pseudofratres, sieientes eeclesiastieas 15 dignitates, tamquam Deo sie aeeeptum, quemadmodum in transmarinis partibus expugnare paganos, predieari faeit ubique ; predictam siquidem fallaeem veniam eoneedens similiter dictus episeopus non potentibus propter eorporis debilitatem id seelus explere, si ad proprios ipsorum sump20 tus id per alios usque in idem tempus proeuraverint perpe­ trari, aut summam illam ad hoe suffleientern exibuerint ne­ fariis exactoribus suis ; eum tarnen seeundum eatholieam religionem nulli dubium esse debeat, sie militantibus atque pugnantibus hane derisibilem et inanem absolueionem nihil 25 profieere, sed noeere. Sie tarnen fallit simpliees ad explenda sua impia desideria, quod in sui potestate non est voealiter eoneedendo, quinimo sie ipsos dedueit atque sedueit ad eternam pernieiem animarum. Aliene namque patrie invasores 510 existentes et expugnatores iniusti, paeis et quietis innoeentum fidelium turbatores, quos eciam non ignorant vere eatholieos fore, sed proprie patrie defensores et ipsorum vero et legi5 timo domino fidelitatis observatores spoliando et oeeidendo vel aliter impugnando, non sunt Christi, sed diaboli pugiles. Rapinas enim, ineendia, furta, homieidia, fornieaeionc�s, adulteria, eetera quoque quasi omnia eriminum genera i n10 eidunt et eommittunt. Unde eonstat indubie, non ipsos mereri 5

1 53 5 Scholz 509 Anm. 1 . 1536 sed - observatores erst parallel z u vere catholicos, dann Objekt von

spoliando (Vo Stilistik) .

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behauptet, ihm anvertraut sind, sie zu weiden mit der heil­ samen Lehre. Denn indem er wieder das Böse gut und das Lidtt s Finsternis nennt, gewährt er in Rede und Schrift Absolution von jeder Sdtuld und Strafe allen, die an einem bestimmten Zeitpunkt zu Roß oder zu Fuß im Felde stehen gegen die eben erwähnten Christusgläubigen, die Untertanen des römi­ schen Herrschers, die standhaft ihm als ihrem K önig gehor10 chen und gehorchen wollen. Diese als Ketzer und Aufrührer gegen das Kreuz Christi sogar mit allen Mitteln zu be­ kämpfen, zu berauben und schließlich auszutilgen in eigener Person oder durch andere, sei berechtigt, so verkündet er in geschriebener wie nichtgeschriebener Rede. Und wovor die Ohren schaudern, das predigt er und läßt es durch Lügen­ brüder, die nach kirchlichen Würden lechzen, überall predi15 gen, nämlich das sei Gott so wohlgefällig, wie die Heiden in überseeischen Ländern zu bekämpfen1535 ; dabei gewährt der genannte Bischof natürlich die obenerwähnte trügerische Sündenvergebung in ähnlicher Weise denen, die aus körper­ licher Schwäche dieses Verbrechen nicht selbst verüben kön­ nen, für den Fall, daß sie auf ihre eigenen Kosten es durch 20 andere bis zur seihen Zeit begehen lassen oder eine dafür ge­ nügende Summe seinen nichtswürdigen Agenten zur Ver­ fügung stellen ; und doch darf nach dem katholischen Glauben niemandem zweifelhaft sein, daß denen, die für diese Sache in den Krieg ziehen und kämpfen, diese lächerliche und nich­ tige Absolution nichts nützt, sondern schadet. So jedoch 25 verführt er einfältige Gemüter, um seine gottlosen Wünsche zu erfüllen, indem er das, was nicht in seiner Macht liegt, mit tönenden Worten gewährt, ja er verleitet und verführt 510 sie sogar zum ewigen Verderben ihrer Seelen. Denn wer in ein fremdes Land einfällt und es in ungerechtem Kriege erobert, Frieden und Ruhe der unschuldigen Gläubigen stört, sie beraubt, tötet oder sonst bekriegt, die, wie er genau weiß, auch wahrhaft katholisch sind 1536 , aber das eigene 5 Vaterland und sich selbst verteidigen und ihrem wahren gesetzmäßigen Herrn die Treue halten, der ist nicht Christi, sondern des Teufels Streiter. Auf Raub, Brandstiftung, Dieb­ stahl, Mord, Unzucht, Ehebruch und fast jede andere Art von Verbrechen verfallen ja diese Leute und begehen sie. Daher 10 steht unzweifelhaft fest : Sie verdienen keine Verzeihung,

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veniaro, sed eo pocius reos et debitores fieri daropnacionis eterne ; ad que tarnen patranda seducuntur ipsi per illius ora­ culuro atque scripturas, qui, quamvis non existat, se Christi vicarium dicit in terris. 15 Neque hiis tarn orrendis suo imperio vel induccione per laicos exerceri contentus, vir sanguinum hic et dolosus quendam presbyterum ex suis fratribus sive complicibus, quos cardinales appellant, euro equitum et peditum nume­ rosa caterva transmisit in provinciam Lombardie, similiter quoque abbatem, monachuro quendam, in marchia quadam 20 Ytalie, que cognominatur Anchone, propter iropugnandos et exterminandos Christi fideles ; quos suis impiis et iniquis iussibus adversus ipsorum principem parere nolentes iaro dictis persecucionibus omnimodis incessanter infestat, ipso­ rumque pium principem Ludovicum predictum, illis com25 pacientem ipsosque pro posse foventem, fautorem hereti­ corum ob hoc solita temeritate in suis dictis et scriptis appel­ lare presumpsit. In quos siquidero atque consimiles usus ecclesiastica teroporalia, que devoti fideles tarn principes quaro subiecti, coro­ rounitates et singuli, statuerunt ad sustentacionero roinistro5 rum evangelii et subvencionero pauperum iropotentum, epi­ scopus hic consuroit atque convertit ; et in testaroentis ad pias causas legata teroporalia, ut ultraroarinum transituro, capti­ voruro per infideles redempcionero et similia reliqua, taro­ quaro sue potestatis existencia iniuste vendicans, convertere 1 0 querit ; euro tarnen apostolicum et sacerdotale opus non sit neque sacerdotero aut viruro Deo dedicaturo deceat arroa roovere vel moveri iubere inter Christi fideles, et inique pre­ sertiro, sed eosdem pocius, si discordes aut dissidentes invi­ cem fuerint, per convenientes exortaciones ad concordiam

1539 Scholz 5 1 0 Anm. 3. 1 540 Vgl. 462, 1-26 (besonders 1 7-26) .

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sondern um so härter verklagt und der ewigen Verdammnis schuldig zu werden. Diese Schandtaten zu begehen, werden sie jedoch durch Worte und Schriften dessen verführt, der, ohne es zu sein, sich Christi Statthalter auf Erden nennt. 15 Und noch nicht zufrieden damit, dafl diese schrecklichen < Verbrechen > auf seinen Befehl oder seine Veranlassung durch Laien verübt werden, hat dieser blutgierige und heim­ tückische Mensch1531 einen Priester aus seinen Brüdern oder Kumpanen, den sogenannten Kardinälen, mit einer gro­ ßen Schar zu Rofl und zu Fufl in die Lombardei hinüber­ geschickt, in ähnlicher Weise auch einen Abt, einen Mönch, 20 in der italienischen Mark Ancona < ausgesandt > , um Chri­ stusgläubige zu bekämpfen und auszutilgen.1538 Wer den gottlosen und ungerechten, gegen seinen Fürsten gerichteten Befehlen nicht gehorchen will, den bedroht er unablässig mit den eben erwähnten Verfolgungen aller Art und hat sich in seinen Reden und Schriften herausgenommen, deren from­ men Fürsten, den vorhin genannten Ludwig, der auf ihrer 25 Seite steht und sie nach Kräften unterstützt, deswegen in seiner gewohnten Dreistigkeit Begünstiger von Ketzern zu nennen.153 9 Für diese und ähnliche Ziele verbraucht und verwendet dieser Bischof die zeitlichen Güter der Kirche, die fromme Gläubige, Fürsten wie Untertanen, Gemeinschaften und einzelne, zum Unterhalt der Diener des Evangeliums und 5 zur Unterstützung hilfloser Armer gestiftet haben ; und die zeitlichen Güter, die in Testamenten für fromme Zwecke vermacht sind, z. B. für den überseeischen Verkehr < ins heilige Land > , den Loskauf der von den Ungläubigen Ge­ fangenen und ähnliches mehr, nimmt er als in seiner Ver­ fügung stehend ohne jedes Recht in Anspruch und sucht sie 1 540 dür seine Zwecke > zu verwenden ; aber das ist doch 10 kein apostolisches und priesterliches Werk, noch ziemt es einem Priester oder einem Manne, der sich Gott geweiht hat, unter Christusgläubigen Waffen zu führen oder führen zu lassen, und zumal in ungerechter Sache, sondern wenn diese Gläubigen miteinander verfeindet oder uneinig sind, soll er sie vielmehr durch geeignete Ermahnungen wieder aussöhnen, 1537 Psalm 5,7. 1 538 SCholz 510 Anm. 2.

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Padua, Verteidiger des Friedens

revocare, quemadmodum per apostolum Chrysostomum et Ylarium atque Ambrosium sufficienter ostensum est 5° huius et 9°. Non est igitur de cetero permittendum neque committen­ dum huic episcopo vel alteri cuiquam sie generalem, absoluzo tarn et tantam potestatem ecclesiastica temporalia eonfe­ rendi et distribuendi, sed per principes et legislatores vel hane simpliciter revocandum ab ipso vel moderandum, sie ut que ad salutem fidelium presentem atque futuram sta­ tuta et ordinata sunt hactenus, statuuntur et ordinantur eon25 tinuo vel in futurum ordinabuntur, non eedant in continuam ipsorum vexaeionem temporalem et demum in perpetuum erueiatum. § 1?'. Talihus quoque proeessibus sie laudabilibus et Deo gratis, quantum unusquisque sane mentis neque perversus 512 affectu comprehendere potest, modernis temporibus proees­ sit et eontinuo proeedit [voeatus] modernus papa Romanus eum suis ministris, quos legatos appellat, adversum sepedie­ tum Ludovieum, Romanorum regem ; sie quoque adversus 5 eiusdem viearios et fideles subditos maxime in provineia Lombardie, Tuscie ae Anchonitane marchie proeesserunt. Quorum tarnen singularius persecutus est hactenus genero­ sum, nobilem et illustrem virum eatholieum, morum hone­ state ae gravitate inter eeteros Ytalicos singularem, hone 1 0 reeordaeionis Matheum Vieecomitem, imperiali auctoritate Mediolauensem viearium, eum plurima sibi adhereneium mul­ titudine fidelium populorum. Rune enim, quamvis iniquis­ sime, predictus episcopus suis profanis sermonibus et serip­ turis dampnate vite fuisse ae dampnate memorie fore pro1 5 nuneiat. Verum non ille Matheus, sed ipse per quem scandala veniunt plurima, et qui profert de sue thesauro malieie semper mala, dampnate p reseneie apud Deum et homines patenter hahetur estque amplius ante mortem et post mortem futurus 15

154 3 Scholz 5 1 2 Anm. 1. 1 544 Matth. 1 2,35 ; 18 , 7.

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wie unter Berufung auf den Apostel, Chrysostomus, Hilarius und Ambrosius in Il 5 und II 9 1541 zur Genüge ge­ zeigt worden ist. Man darf also hinfort diesem Bischof oder einem anderen nicht eine so allgemeine, absolute und so weitgehende Befugnis 20 zur Verleihung und Verteilung der zeitlichen Güter der Kirche zugestehen oder überlassen, sondern Herrscher und Gesetz­ geber müssen sie entweder ihm wieder völlig entziehen oder so einschränken, daß, was zum gegenwärtigen und künftigen Heil der Gläubigen bis jetzt gestiftet und bestimmt ist, in der Gegenwart gestiftet und bestimmt wird oder in Zu25 kunft bestimmt werden wird, nicht zu ihrer dauernden Plage im Diesseits und schließlich zur ewigen Qual ausschlägt. § 1 ? Mit solchen so löblichen und Gott wohlgefälligen Pro­ zeduren1542, wie jeder Mensch von gesundem Verstand und unverdorbenem Empfinden begreifen kann, ist in heutiger Zeit der gegenwärtige sogenannte Papst mit seinen Dienern, 512 die er Legaten nennt, gegen den oft genannten Ludwig, den römischen König, vorgegangen und tut es jetzt mocln : so 5 haben sie es auch gegen seine Statthalter und treuen Unter­ tanen besonders in der Lombardei, in Tuscien und in der Mark Ancona getan. Ganz besonders, mehr als diese alle, hat er bis heute eine edle, vornehme und hochangesehene katholische Persönlichkeit verfolgt, ein Muster von Ehren­ haftigkeit und Ernst der Lebensführung unter den Italienern, einen Mann gesegneten Angedenkens, den Matteo t o Visconti, kraft kaiserlicher Vollmacht Statthalter in Mailand, zusammen mit der großen Menge seiner treuen Anhänger. Dieser nämlich - so verkündet der genannte Bischof, wenn auch ohne das geringste Recht, in seinen unheiligen Reden und Schriften - habe ein verdammenswürdiges Leben ge­ führt und sei verdammten Angedenkens. 1543 Aber nicht jener 1 5 Matteo, sondern er selbst, durch den die Ärgernisse in Fülle kommen und der aus dem Smatz seiner Bosheit immer Böses hervorbringt1 544, gilt vor Gott und den Menschen offenbar als Mensch, dessen Leben verdammt ist und weiterhin vor und nach seinem Tode < als verdammb gelten wird ; denn t 5 41 II 5, 6 (besonders 190, 1 3 ff.) ; II 9,4-6. 1 542 Ist processus Anspielung auf die Prozesse J ohanns XXII. gegen 15

Ludwig ?

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haberi, id sibi comminante veritate Matthei 1 8°, dum inquit : Ve homini per quem scandalum venit; et rursum eodem : Qui autem scandalizaverit unum de pusillis istis, qui in me credunt, expedit ei, ut suspendatur mola asinaria in collo eius, et demergatur in profundum maris. Que eciam non attendens, sicut nec cetera monita Christi, qui pertinax et 25 impenitens est, indesinenter persequitur et blasphemat viros alios quamplures clarissimos, fidelitatis atque constancie ad 513 ipsorum iam dieturn Romanum principern sectatores. Quorum farnam apud Deurn et hornirres redolentem predictis suis pro­ fanacionibus atque blaspherniis, *quarnvis nec maculet, con5 tinuo'� nititur maculare. Hic enirn est episcopus cuius et ipsius ecclesie non sequitur iudicium Deus, quoniam per surrep­ cionem et ignoranciam iudicat, sicut dicit Magister Senten­ ciarurn libro 4°, distinccione 1 8a, capitulo 6°. Et huius causarn reddit Ieronymus super illud Matthei 16° : Et tibi dabo claves 1 0 regni celorum. Inquit enirn, quod nec repetere piget : H unc locum quidam non intelligentes, sicut, supplendurn, nec epi­ scopus iste, aliquid sumunt de supercilio phariseorum, ut dampnare innoxios vel solvere se putent noxios; et subdit ad propositurn : Cum apud Deum non sentencia sacerdotum, t 5 sed reorum vita queratur. Non igitur sequitur Deus talis sacerdotis seu episcopi vel ecclesie iudicium tarn iniquum. Propter quod ipsius ac suorum complicum blasphernie ve­ rende non sunt nec ab aliquo fideli timende, quernadmodum dixirnus, quoniam non transennt in fideliurn gregem, sed 20 prorumpencium in has feda corpora, sceleratas et infelices anirnas divina virtute referire pocius didicerunt. § 18. Sunt igitur que iarn narravirnus quesitorum inicia vera, et que eciarn tarn debite quam indebite processerunt post hec vel ab hiis, quamvis propter temporis longitudinem, 20

1 54 5 1 5 46 154 7 1 54 8 1549

Matth. 18, 6-7. Vgl. 208,3 ff. u. Scholz 5 1 3 Anm. 1 . Scholz 5 1 3 Anm. 2 ; Matth. 1 6 , 1 9 u. 207,27 ff. § § 18-19 Schluß und Zusammenfassung. V gl. 1 38,26 ff. u. I1 1 8,3-7 (Entstehung des Primats) .

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20

25

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dies droht ihm die Wahrheit an bei Matthäus im 18. Kap. 1 545 mit den Worten : Wehe dem MensChen, durCh den Ärger­ nis kommt; ferner an derselben Stelle : Wer aber einen von diesen Kleinen, die an miCh glauben, ärgert, dem roäre es besser, es roürde ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er würde versenkt in die Tiefe des Meeres. Ohne auf diese Mahnungen Christi zu achten, ebensowenig wie auf die anderen, verfolgt und verflucht dieser starrsinnige und gewissenlose Mensch unaufhörlich sehr viele andere an­ gesehene Männer, die treuen und standhaften Anhänger ihres eben erwähnten römischen K önigs. Deren Namen, der vor Gott und den Menschen einen guten Klang hat, sucht er durch seine genannten Herabwürdigungen und Lästerungen, freilich ohne Erfolg, immer wieder zu beschmutzen. Dies ist nämlich ein Bischof, dessen Urteil Gott nidtt folgt, auch nicht dem seiner KirChe; denn er urteilt ja in Bosheit und Un­ wissenheit, wie der Meister der Sentenzen in B. 4, Abt. 18, Kap. 6 1546 sagt. Die Ursache davon gibt Hieronymus an < in der Erläuterung > zu jenem Wort bei Matthäus im 16. Kap. 1547 : Und iCh will dir des HimmelreiChs SChlüssel geben; er sagt n ämlich - und ich wiederhole es nicht ungern - : Weil sie diese Stelle niCht verstehen, ebensowenig wie, so ist zu er­ gänzen, auch jener Bischof < sie versteht > , nehmen manche eüvas an von dem HoChmut der Pharisäer, so daß sie glauben, sie könnten Unschuldige v erdammen oder SChuldige los­ spreChen; und er fügt zu unserem Thema hinzu : während doCh bei Gott niCht nach der Meinung der Priester, sondern nach dem Leben der Angeklagten gefragt wird. Gott folgt also dem ungerechten Urteil eines solchen Priesters oder Bischofs oder einer solchen KirChe nicht. Deswegen braucht man auf seine oder seiner Mitschuldigen Lästerungen nicht zu achten, und, wie gesagt, kein Gläubiger braucht sie zu fürchten, denn sie wirken nicht auf die Herde der Gläubigen, sondern pflegen vielmehr, durch die Kraft Gottes auf die hä.fHichen K örper, die verbrecherischen und unglücklichen Seelen derer, die zu < solchen Schmähungen > sich hinreißen lassen, zurückzuschlagen. § 1 8 1548 Was wir dargelegt haben, ist also der richtige 1 54 9 Aus­ gangspunkt unserer Untersuchungen, und was sich - mit Recht und mit Unre zu schüren und wach zu hal­ ten, war ein kräftiges Mittel jene fluchwürdige Meinung 5 und Behauptung des römischen Bischofs und des Kreises oder Kollegiums seiner Kleriker, ihm habe, in der Person des seligen Apostels Petrus jedoch, Christus die Fülle der Gewalt übertragen. Aber nach einer umfassenden, sorgsamen und mühevollen Erforschung und Untersuchung der Schriften (unter Trennung der göttlichen von den menschlichen, die 10 manche römische Päpste in eins verschmolzen hatten in der Meinung, aus dieser Vermischung werde ihren eigenen Dekreten die Autorität zuteil, die allein dem heiligen Kanon zukommt) haben wir in II 23 1 552 die Bedeutungen der eben erwähnten Versicherung oder des Rechtstitels festge­ stellt und wenigstens für alle, die ihre Vernunft gebrauchen 15 und die nicht durch ein unheilvolles Vorurteil verwirrt sind, zur Genüge nachgewiesen, daß diese < Auffassungen > falsch sind, am allermeisten aber die, in die schließlich der römische Bischof die vorhin genannte Behauptung umgeformt hat : Auf Grund ihrer schreibt er sich nämlich die universale oder höchste zwingende Rechtsprechung zu, die er mit einem 20 bildlichen · Ausdruck zeitliches Schwert1553 nennt, über alle Herrscher, Gemeinschaften und Völker der Welt ; indessen, wie gesagt - auch die Gründe haben wir angegeben -, be­ zieht er jetzt diesen Rechtsanspruch allein auf den Herrscher der Römer, fest entschlossen jedoch, ihn auf alle übrigen aus­ zudehnen, wenn er in ihren Reichen einen Aufruhr voraus­ ahnt und sieht, daß ihm eine militärische Macht zur Ver25 fügung steht, um sie sich anzueignen und zu besitzen. § 1 9 So haben die römischen Bischöfe nun die Fülle der Gewalt, die aus Schlaffheit ihnen überlassen worden ist, gegenüber der weltlichen Rechtspflege des Staates bis jetzt gebraucht, gebrauchen sie ständig und werden es auch in 515 immer schlimmerer Form tun, wenn sie nicht gehindert werden. 25

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prohibeantur, usuri. Leges enim oligarchicas statuerunt, quibus ubique clericorum collegium et aliorum coniugato­ rum quosdam a legibus civilibus recte latis exemerunt in principum et populorum preiudicium summum. Nec hiis 5 contenti limitibus, iam laicos citari faciunt coram suis voca­ tis offi.cialibus sive iudicibus et iustificare volunt, in hoc principancium iurisdiccionem penitus destruentes. Hec autem est litis seu civilis discordie causa singularis 1 0 et occulta in sui origine valde, quam ex principio propone­ bamus ostendere. Propter divinarum enim et humanarum scripturarum involucrum paralogizati fi.delium plures in­ ducti sunt credere, Romanum episcopum cum suis clericis, quos cardinales appellant, super fideles statuere posse quod t 5 volunt, ad id quoque servandum omnes obligari lege divina, transgredientes vero reos fieri dampnacionis eterne ; quod tarnen in prioribus, et precipue 1 2° et 1 3° prime ac huius 2 1 °, parte 8•, monstravimus per certitudinem non esse verum nec vero propinquum, sed veritatis oppositum manifeste. 20 Hec rursum causa est, ut proemialiter diximus, qua regnum Ytalicum dudum laboravit laboratque continuo ve­ hementer contagiosa, nil minus et prona serpere in reliquas omnes civilitates et regna, et ea omnia iam infecit utcumque, 23 demum [queJ , nisi prohibeatur, ea totaliter velut Ytalicum infectura. Propter quod principibus omnibus et populis per generale concilium, ut prediximus convocandum, expedit hunc titu­ lum interdicere ac simpliciter prohibere Rarnanorum epi­ scopo et alteri cuicumque, ne propter consuetudinem au3 0 diendi falsa de cetero populus seducatur ; revocandaque sibi cst potestas ecclesiastica officia et temporalia sive benefi.cia

1555 5,3 ff. ; 135,1 ff. 1 5 5 6 '\V involucrum. 1557 I 12-13 (Gesetzgebung und Wahl der Regierung ist Sache des Vol­ kes) . 1 55 8 5, 5-6. tm 508, 4-13.

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Denn sie haben oligarchische Gesetze1554 gegeben, durch die sie überall den Klerus und manche ihrer anderen Hand­ langer von den rechtmäßig gegebenen Gesetzen des Staates ausgenommen haben, für die Herrscher und Völker zum schwersten Schaden ; und mit diesem Umfang < ihrer Macht > 5 nicht zufrieden, lassen sie schon Laien vor ihre sogenannten Offiziale oder Richter vorladen und wollen sie aburteilen : damit zerstören sie die Rechtsprechung der Herrscher von Grund aus. Dies aber ist Ursache des Streites und Bürgerkrieges - eine to besondere und in ihrem Ursprung tief verborgene Ursache, die aufzuzeigen wir uns von Anfang an vorgenommen haben. 1555 Denn weil < diese Ursache> durch die falsche Aus­ legung der göttlichen Schriften und durch die Verschleierung in den menschlichen verhüllt wird 1556 , sind sehr viele Gläubige durch Fehlschluß zu der Meinung gebracht worden, der römische Bischof samt seinen Klerikern, den sogenannten Kardinälen, könne über die Gläubigen bestimmen, was sie t5 wollen ; dies zu befolgen, seien alle durch göttliches Gesetz verpflichtet ; wer dagegen verstoße, sei der ewigen Verdamm­ nis schuldig. Das ist jedoch - das haben wir früher und be­ sonders in I 1 2 und I 1 3 und in l i 2 1 , 8 1557 zur Gewißheit er­ hoben - nicht wahr, auch nicht annähernd wahr, sondern das offenbare Gegenteil der Wahrheit. 20 Dies ist ferner, wie in der Einleitung gesagt, die Ursache, an der Italien schon längst gelitten hat und ständig leidet, eine heftig ansteckende Krankheit, die ebenso auch dazu neigt, sich in alle anderen Städte und Staaten einzuschlei­ chen 1558 ; diese alle hat sie schon irgendwie befallen und wird 2> sie schließlich, wenn sie nicht gehemmt wird, ganz befallen wie I talien. 1559 Deshalb ist es für alle Herrscher und Völker nützlich, durch Einberufung eines allgemeinen K onzils, wie vorhin betont, dem römischen Bischof und jedem anderen zu unter­ sagen und sie schiechthin zu hindern, diesen Anspruch geltend zu machen, damit nicht durch die Gewohnheit, Falsches zu 3 0 hören, fortan das Volk verführt wird ; die Gewalt, kirchliche Ämter und zeitliche Güter oder Benefizien zu vergeben und 1554

Leges gebraucht Marsilius sonst nicht von den päpstlichen Dekre­ talen.

930 516

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

conferendi et distrihuendi ; quoniam hiis ahutitur episcopus hic in dispendium corporum et animarum dampnacionem fidelium christianorum. Ad hec enim ohligantur omnes iuris­ diccionem hahentes, precipue reges, lege divina ; quoniam 5 propter hoc constituti sunt, ut faciant iudicium et iusticiam, quod eciam negligentes facere deinceps inexcusahiles sunt, cum scandalum ex huiusmodi omissione proveniens non ignorent. Qui vero Romanus episcopus cum sihi successori­ hus in sede predicta omnesque reliqui sacerdotes atque dia1 0 coni et spirituales ministri, ad quos sermones hii sunt, non tamquam inimicos, testem invoco Deum in animam et corpus meum, sed pocius patres et fratres in Christo, studeant imi­ tari Christum et apostolos, seculares principatus et tempora­ lium dominia simpliciter ahdicando. Eos enim peccantes 1 5 coram omnihus iuxta doctrinam Christi et apostoli argui et increpavi palam et ad veritatis callem, preco veritatis existens, per divinarum et humanarum scripturarum concor­ diam temptavi reducere, ut cavere possint, maxime Roma­ nus episcopus, qui amplius deviasse videtur, eam indignaciozo nem omnipotentis Dei et apostolorum Petri et Pauli, quam ipse singulariter ceteris persepe comminatur. Unde attendat ordinem caritatis, sie ut ipsam sihi precavens alios cavere doceat consequenter. Ipse enim non ignorat vel ignorahit de cetero, quod pre­ ter, quinimo contra Christi et apostolorum consilium aut 25 preceptum Romanum aggreditur principatum et principem minus iuste prohihet atque perturhat. Neque rursum ignorat, quod propter scandalum per suos quosdam predecessores et ipsum in Ytalia concitatum hellice pugne sunt orte ; unde violenta morte tot milia fidelium sunt extincta, quos eterne dampnacionis reos extitisse verisimiliter presumi potest, eo

1561 1 5 62 1563

Marsilius will gläubiger Christ sein, vgl. 6 1 3 ,8 ff. Scholz 5 1 6 Anm. 1 . W caritas.

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zu verteilen, muR ihm wieder entzogen werden ; denn diese miRbraucht dieser Bischof zur Vernichtung der Leiber der gläubigen Christen und zum Verderben ihrer Seelen. Dazu sind nämlich alle Träger der Gerichtshoheit, besonders die Könige, durch das göttliche Gesetz verpflichtet ; denn Gericht 5 < zu halten > und Gerechtigkeit zu pflegen, dazu sind sie eingesetzt ; wenn sie das auch in Zukunft versäumen, sind sie unentschuldbar ; denn das Ärgernis, das aus einer der­ artigen Unterlassung hervorgeht, kennen sie genau. Dieser römische Bischof aber mit seinen Nachfolgern auf dem vorhin genannten Bischofsstuhl und alle übrigen Prie1 0 ster und Diakone und geistlichen Diener (an sie sind diese Ausführungen gerichtet, nicht als Feinde - Gott rufe ich zum Zeugen an bei meiner Seele und bei meinem Leibe -, sondern vielmehr als Väter und Brüder in Christus1561) sollen sich bemühen, Christus und seinen Aposteln nachzuleben und weltlichen Regierungen und dem Eigentum an zeitlichen Gütern völlig zu entsagen. Weil sie nämlich nach der Lehre 15 Christi und des Apostels vor aller Welt Sünder sind, habe ich sie offen getadelt und gescholten und als Herold der Wahrheit versucht, sie durch übereinstimmendes Zeugnis der göttlichen und menschlichen Schriften zum schmalen Weg der Wahrheit zurückzubringen, damit sie, besonders der römische Bischof, der am weitesten abgekommen zu sein scheint, vor d e m Unwillen des allzo mächtigen Gottes und der Apostel Petrus und Paulus sich hüten können, den er selbst in eigener Person den anderen sehr oft androht.t 5 62 Daher soll er künftig die Ordnung der Liebe 1 5 63 beachten, so daR er zuerst vor diesem < Unwillen > sich hütet und dann andere lehrt, sich vor ihm in acht zu nehmen. Denn er selbst weiR wohl und wird es fortan wohl wissen, daR er ohne, ja wider Christi und der Apostel Rat oder 25 Gebot nach der römischen Regierungsgewalt greift und den Herrscher ohne das mindeste Recht hemmt und stört. Ferner weiR er wohl, daR durch das Ärgernis, das manche seiner Vorgänger und er selbst in Italien erregt haben, die Kriegs­ wirren entstanden sind. Daher sind so viele Tausende von Gläubigen eines gewaltsamen Todes gestorben, die, wie sich 517 mit Wahrscheinlichkeit annehmen läßt, zu ewiger Verdamm­ nis verurteilt worden sind ; denn die meisten von ihnen hat

516

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

quod subita morte preventi sunt ipsorum plurimi, fratrum odio et malivolencia pleni, eorumque superstites infelices, 5 nisi medica divina manus adiuvet, eundem, quasi cons imilem periculosum casum et exitum miserabilem expectantes. lpsorum enim animos invasit odium, lis atque contencio, unde postmodum pugne sequuntur ; honestis quoque iam corruptis moribus et disciplinis utriusque sexus mentes et 10 corpora viciorum, dissolucionum, seelerum et errorum quasi omnia genera totaliter occuparunt. Recisa est ipsis repara­ tiva successio prolis, consumpte substancie, dirupte domus atque subverse, civitates quam magne atque famose vacue, suis incolis destitute, inculti agri et iam deserti desueverunt 15 reddere solitos fructus, et quod omnium defl.endissimum est, divinus cultus quasi omnino ibidem cessavit abolitus, et ecclesie sive templa in solitudinem destitute rectoribus seu animarum curatoribus remanserunt. Ad que omnia misera­ bilia instigavit et instigat continuo miseras incolas undecum20 que, propter odium et discordiam ipsorum invicem mente cecos, draco ille magnus, serpens antiquus, qui digne vocari debet diabolus et sathanas, quoniam omni conamine seducit et seducere temptat universum orbem. 25 § 20. Quis igitur tarn agrestis huius patrie sive matris tarn pulehre olim et nunc adeo deformis et lacerate filius hec cernens, sciens et potens adversus sie ipsam trahentes et lace­ rantes iniuste silere poterit et clamoris spiritum ad dominum continere ? Huic namque cum apostolo dicetur verissime, 3o quod fidem negavit et omni foret deterior infideli. 518 D e plenitudine quidem igitur potestatis et modis ipsius, adhuc autem de illius origine atque progressu, amplius se-

1565

Off b. 1 2,9.

156 6 1 . Tim. 5 8. ,

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in HaB und böser Gesinnung gegen die Brüder ein plötzlicher Tod überkommen, und die unglücklichen überlebenden haben 5 denselben, fast gleichen gefährlichen Sturz und dasselbe jämmerliche Ende zu erwarten, wenn nicht die heilende gött­ liche Hand hilft. Denn in ihre Seelen sind HaB, Zank- und Streitsucht eingedrungen, deren Folgen später die Kämpfe sind ; auch gute Sitte und Zucht ist bei beiden Geschlechtern schon verdorben, und so haben Laster, Sittenverfall, Ver1 0 brechen und Irrlehren fast aller Art von Geist und Körper völlig B esitz ergriffen. Abgeschnitten ist ihnen der Ausgleich < der Menschenverluste > durch Nachwuchs, verbraucht sind die Vermögen, zerstört und eingestürzt die Häuser, die Städte (wie groB und berühmt !) leer, von ihren Einwohnern ver­ lassen ; unbebaut und bereits wüst, haben die Felder auf15 gehört, die gewohnten Früchte zu liefern, und was das Aller­ beklagenswerteste ist, der Gottesdienst ist dort fast gänzlich abgeschafft und erloschen ; die Kirchen oder Tempel sind, bis zur Verödung1564 ihrer Vorsteher oder Seelsorger b eraubt, ver­ lassen geblieben. In all dieses Elend hat er die unglücklichen Einwohner auf alle Weise getrieben und treibt sie ständig 20 noch - durch BruderhaB und Bruderzwist sind sie ver­ blendet , jener große Drache, die alte Schlange, die den Namen Teufel und Satan mit Recht verdient, denn mit allen Mitteln verführt sie die gesamte Welt und sucht sie zu ver­ führen. 156 5 § 20 Welcher Sohn dieses Vaterlandes oder dieser Mutter, 25 die einst so schön war und jetzt so entstellt und zerfleischt ist, wird gefühllos schweigen und einen Hilfeschrei zum Herrn unterdrücken können, wenn er das sieht, wei.ß und K räfte < zum Kamp f > gegen d i e in sich spürt, die sie ohne jedes Recht miRhandeln und zerfleischen ! Denn diesem würde man mit dem Apostel ganz richtig entgegenhalten : Er hat den und wäre schlimmer als jeder Un­ 30 Glauben v erleugnet gläubige.1 566 518 über die Fülle der Gewalt und ihre Auffassungen, ferner über ihren Ursprung und ihre Entwicklung, weiter, in -

1564

Die Hss. T u. H führen auf die Lesung in solitudine ; dann heißt die Stelle : Die Kirche oder Tempel stehen verödet, beraubt ihrer Vor­ steher oder Seelsorger.

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cundum quos modos et qualiter eam sibi sumpserit Romanus episcopus et eadem sit usus, tarn circa ecclesiasticum ritum quam circa seculares hominum actus civiles, determinatum sit hoc modo. C A P I T UL U M XXVII

De

q u i b u s d a m i n s t a n c i i s a d d e t e r m i n a t a i n XV0 h u i u s e t i n r e l i q u i s c a p i t u l i s c o n s e q u e n t e r.

Verum de quibus diximus 15° huius, et sie in reliquis ca­ pitulis consequenter, merito quis dubitans primum ostendet ampliorem et alteram esse specie dignitatem episcopi ea que simpliciter sive tantummodo sacerdotis, nec solum humana t5 institucione, quam *separabilem* diximus, verum eciam ordi­ nacione divina, quam essencialem vocavimus prius. Videtur autem id posse convinci ex Luce 1 0°, ubi series hec habetur : Post hec autem designavit dominus et alios ?2, et misit illos binos ante faciem suam. Ubi Beda : Sicut autem 12 apostolos 20 formam episcoporum premonstrare, nemo est qui dubitet, sie et hos ?2 figuram presbyterorum secundi ordinis sacer­ dotum gessisse. Amplius ostenditur idem ex 1 a ad Timo­ theum 5°, cum dixit apostolus : Adversus presbyterum noli accipere accusacionem, nisi sub duobus aut tribus testibus. 25 Ergo Timotheus erat dignitate superior presbyteris aliis, non tarnen presbyteroruni au t fidelium multitudjnis eleccione, igitur ordinacione divina. Rursum apparet idem ex epistola 519 Clementis pape Ad Iacobum fratrem Domini super *scripta'�. Videtur autem et hec fuisse sentencia quasi omnium episco­ porum, qui beato Petro aut Paulo successisse dicuntur in episcopali sede Romana, ut ex Ysidori codice supradicto evidenter apparet. 10

1567 1568 1569 1570

Luk. 10,1 . Scholz 5 1 8 Anm. 2. 1 . Tim. 5,19. Scholz 5 1 8 Anm. 4.

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welchen Auffassungen und in welcher Form der römische Bischof sie für sich beansprucht und gebraucht hat im Hinblick auf den kirchlichen Ritus wie auf die weltlichen bürger­ lichen Handlungen, darüber mag somit < die Erörterung > ab­ geschlossen sein. KAP I T E L XXVII

E i n i g e E i n w ä n d e g e g e n d i e F e s t s t e l l u n g e n in K a p . 1 5 d i e s e s Te il s u n d dann g eg e n die der f o l g e n ­ den K apitel. 10

15

20

25

H9

§ 1 Aber a n dem, worüber wir i n I I 1 5 und dann in den folgenden Kapiteln gesprochen haben, wird mit Recht mancher Zweifel hegen und zunächst einmal darauf hin­ weisen, daß die Würde eines Bischofs umfassender und wesensmäßig anders sei als die dessen, der schlechthin oder ausschließlich Priester ist, und nicht nur hinsichtlich der menschlichen Einsetzung, die wir die abtrennbare genannt haben, sondern auch hinsichtlich der göttlichen Weihe, die wir als die wesentliche früher bezeichnet haben. (1) Anschei­ nend läßt sich das nachweisen aus Lukas Kap. 10 1567, wo sich folgende Stelle findet : Danam bestimmte der Herr aum zweiundsiebzig andere und sandte sie zu zweien vor sim her. Dazu sagt Beda1568 : Wie aber die zwölf Apostel die Würde der Bismöfe im voraus darstellen, so haben ohne jeden Zweifel diese zweiundsiebzig die Priester bedeutet, den zweiten Rang der Priester im we iteren Sinne. (2) Ferner wird dasselbe erwiesen aus dem 1 . Brief an Timotheus Kap. 51569 ; der Apostel hat nämlich gesagt : Gegen einen Priester nimm keine Klage an, es sei denn, daß zroei oder drei Zeugen gegen ihn auftreten. Also stand Timotheus an Würde über den anderen Priestern, jedoch nicht durch eine Wahl der Priester oder des gläubigen Volkes, also durch göttliche Weihe. (3) Ferner ergibt sich dasselbe aus dem Brief des Papstes Clemens mit der Überschrift An ]akobus, den Bruder des Herrn. 1570 (4) Das scheint aber auch die Meinung fast aller Bischöfe gewesen zu sein, die Nachfolger des seli­ gen P etrus oder Paulus auf dem römischen Bischofsstuhl gewesen sein sollen, wie aus dem eben erwähnten Kodex des Isidor überzeugend hervorgeht.

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§ 2. Deinde vero videtur ostendi posse, beatum Petrum potestate sive auctoritate per Christum immediate, non per hornirrem aut hornirres alios sibi tradita, superiorem fuisse ceteris apostolis, et per consequens successores ipsius succes­ soribus aliorum. Videtur autem hoc primum ex Matthei 16°, 1 0 dum ad ipsum Christus singularHer inquit : Et ego dico tibi, quia tu es Petrus, et super hanc petram edificabo ecclesiam meam, et porte inferi non prevalebunt adversus eam; et tibi dabo claves regni celorum etc. Per que verba Christus ex­ pressisse videtur, beatum Petrum futurum caput et fun15 damenturn ecclesie, presertim mortuo Christo. Ubi glossa : Specialiter eam, scilicet potestatem, Petro concessit, ut ad unitatem nos invitaret. ldeo enim eum principem apostolo­ rum constituit, ut ecclesia unum principalem Christi haberet vicarium, ad quem diversa membra ecclesie recurrerent, si 20 forte inter se dissentirent. Quod si diversa capita in ecclesia essent, unitatis vinculum rumperetur. Amplius ostenditur idem ex Luce 22°, euro ad ipsum specialiter Christus inquit : Ego autem rogavi pro te, Petre, ut non deficiat fides tua, et 25 tu aliquando conversus confirma fratres tuos. Suorum ergo fratrum, apostolorum scilicet, ac aliorum fidelium prima cura pastoralis et confirmacio beato Petro commissa fuit propter sue fidei firmitatem, pro qua, ne deficeret, singula­ riter Christus orasse videtur, ne deficeret inquam in ipso 520 neque in ipsius aliquo successore. Ubi glossa : 'Confirma fra­ tres tuos', cum te principem apostolorum constituerim. Hoc a utem non solum intelligendum de apostolis, qui tune erant, ut roborarent.ur a Petro, sed et de omnibus fidelibus. Et pa5 rum infra subdit : Per penitenciam obtinuit, Petrus scilicet, ut esset antistes mundi. Rursum ostenditur idem Johan­ nis 2 1 ° ; inquit enim ad ipsum Christus singulariter : Pasce oves meas, pasce agnos meos, pasce oves meas, ter replicans 5

1571 1572 157 3 157 4 1575 1576

Matth. 16,18-19. Scholz 519 Anm. 2. II 16, 1 0-12. Luk. 22,32. Scholz 519 Anm. 4. J oh. 21, 15-1 7 ; vgl. 1 54,22 ff.

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§ 2 Ferner, so scheint es, läRt sich nachweisen, daR der selige Petrus an Gewalt oder Autorität, die ihm Christus unmittelbar übergeben hatte, nicht ein Mensch oder andere Menschen, den übrigen Aposteln überlegen gewesen ist und folglich dessen Nachfolger den Nachfolgern der anderen. (5) Man ersieht das erstens aus Matthäus Kap. 161 571, wenn 10 Christus zu ihm allein spricht : Und ich sage dir : Du bist Petrus, und auf diesen Felsen mill ich meine Kinlw bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht übermältigen ; und ich mill dir des Himmelreichs Schlüssel geben usw. Mit diesen Worten scheint Christus zum Ausdruck gebracht zu haben, der selige Petrus werde Haupt und Grund der Kirche sein, 15 besonders nach dem Tode Christi. Dazu bemerkt die Glosse 157 2 : Im besonderen hat er sie, die Gewalt, dem Petrus zuge­ sprochen, um uns zur Einheit aufzufordern. Darum nämlich hat er ihn zum Apostelfürsten1 573 eingesetzt, daß die Kirche einen Hauptstatthalter Christi hätte, an den die verschie­ denen Glieder der Kirche sich menden könnten, menn sie etroa 20 untereinander verschiedener Meinung mären. Wenn es aber verschiedene Häupter in der Kirche gäbe, so mürde das Band der Einheit zerrissen. (6) Ferner wird dasselbe erwiesen aus Lukas Kap. 221 574 ; Christus sagt dort zu ihm besonders : Ich aber habe für dich gebetet, Petrus, daß dein Glaube nicht auf­ höre, und du, menn du dereinst dich bekehrst, stärke deine 25 Brüder. Die erste Seelsorge für seine Brüder, die Apostel, und andere Gläubige und ihre Stärkung war also dem seli­ gen Petrus anvertraut wegen der Festigkeit seines Glau­ bens ; daR sein Glaube nicht aufhöre, dafür hat Christus ganz besonders gebetet, wie man sieht - daR er nicht aufhöre, sag ich, in ihm noch in einem seiner Nachfolger. Dazu 520 erklärt die Glosse 1575 : ,Stärke deine Brüder', da ich dich zum Apostelfürsten eingesetzt habe. Daß sie von Petrus gestärkt merden sollten, das ist aber nicht nur zu verstehen von den Aposteln, die damals lebten, sondern auch von allen Gläu­ bigen. Ein wenig weiter unten fügt sie hinzu : Durch seine 5 Reue ist er, Petrus, Oberpriester der Welt gemorden. (?) Ferner wird dasselbe aus Johannes Kap. 21 1576 erwiesen ; Christus sagt nämlich zu ihm ganz persönlich : Weide meine Schafe, meide meine Lämmer, meide meine Schafe; dreimal 5

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idem verbum. Non determinatis igitur ovibus, primus et universalis omnium pastor immediate a Christo fuisse institutus videtur. Ubi Chrysostomus eeiam imluit sie : Eximius enim apostolorum erat Petrus, et os discipulorum, et vertex col­ legii; unde et negacione deleta, committit ei prelacionem fratrum. Demum eonfirmatur hoe auctoritate plurimorum 1 5 sanctorum super illud Johannis 2 1 ° : Sie eum volo manere, donec veniam, quid ad te ? Tu autem sequere me. Jnquit enim Augustinus : Duas vitas sibi divinitus predicatas novit eccle­ sia, quarum una est in fide, alia in spe. Ista, scilieet in :Eide, significata est per apostolum Petrum propter sui apostolatus 20 primatum. Rursum Theophylactus ibidem : Gunetarum fide­ lium prelaturam ei instituit. Chrysostomus autem : Si vero dixerit quis : Qualiter igitur lacob us thronum assumpsit lerosolymorum?, illud utique dicam : Quoniam Petrum orbis terrarum inthronizavit magistrum. Et infra inquit idem : 2 5 Huic, seilieet Petro, et prepositura fratrum credita est. Amplius idem : Q uia igitur ei magna predixerat Dominus, Petro videlieet, et orbem terrarum commiserat. Et rursum Theophylactus super illud Johannis 2 1 ° : Sie eum volo ma­ nere, inquit sie : Te namque nunc dimitto ad orbis pontifica5 tum, et in hoc sequere me. Amplius, quoniam si Christus eeclesie eaput non instituis­ set, in ipsius abseneia [ipsam aeephalam reliquisset] nee videretur ipsam ordinasse seeundum meliorem disposieio­ nem aut optimam ; nune autem ipsam optime dispositam w [et ordinatam] euro reliquisse credendum : ergo et illi eaput aliquod instituisse tenendum, non aliud eonvenieneius beato 10

521

1579 1580 1581 1582 1583 1584 158 5

M.v; Vulgata : sie. Scholz 520 Anm. 4. Scholz 520 Anm. 5. Scholz 520 Anm. 6. Vo (Gräzismen ; Modi) . Vgl. 520,21 instituit und 527, 5-7. Scholz 521 Anm. 1 ; J oh. 2 1 .22.

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wiederholt er denselben Ausdruck. Da nun die Schafe nicht bestimmt sind, scheint ihn Christus unmittelbar als ersten und universalen Hirten für alle eingesetzt zu haben. Dazu bemerkt auch Chrysostomus 1 577 : Petrus roar nämlich unter den Aposteln herausgehoben, roar Mund der jünger und Haupt der Zroölf; deshalb vertraut er ihm auch, nachdem die Verleugnung getilgt roar, eine Vorzugsstellung unter den Brüdern an. (8) Endlich wird das bestätigt durch die Autori­ tät der meisten Heiligen zu jener Stelle im 2 1 . Kap. des Johannes 1 578 : So 1 579 er nach meinem Willen bleiben soll, bis ich komme, roas geht es dich an ? Du aber folge mir nach. Augustin 1580 sagt nämlich : Zroei Leben, die ihr von Gott gepredigt sind, kennt die Kirche: das eine im Glauben, das andere in der Hoffnung. Das erste, das im Glauben, ist dargestellt durch den Apostel Petrus roegen des Primats seines Apostelamtes. Ferner erklärt Theophylak­ tus1 58 1 zu eben dieser Stelle : Eine Vorzugsstellung unter allen Gläubigen hat er für ihn geschaffen. Chrysostomus1 582 aber äußert : Wenn aber jemand fragt: In roelChem Sinne hat also Jakobus den Thron von ]eru salem eingenommen ?, so roürde1 583 iCh jedenfalls entgegnen : roeil < Christus > 1 584 den Petrus als Lehrer der Welt auf den Thron erhoben hat. Weiter unten sagt derselbe : Diesem, dem Petrus, ist auch die Leitung der Brüder anvertraut morden. Weiter meint er : Weil ihm nun der Herr Grolles vorausgesagt, dem Petrus, und die ganze Welt anvertraut hatte. Zu jener Stelle im 2 1 . Kap. des Johannes : So soll er naCh meinem Willen bleiben bemerkt ferner Theophylaktus 1585 : Denn diCh ent­ sende iCh jetzt zum Amt des Oberpriesters für die Welt, und darin folge mir. (9) Weiter : Wenn Christus für die Kirche nicht ein Haupt eingesetzt hätte, so hätte er sie in seiner Abwesenheit ohne Haupt gelassen, und es würde so aussehen, als hätte er sie nicht in der vollkommensten oder besten Form geordnet ; nun aber muß man glauben, er habe sie in der besten Form und Ordnung hinterlassen ; also muß man annehmen, er habe auch für sie ein Haupt eingesetzt, und kein anderes 1577 1578

Scholz 520 Anm. 2. J oh. 2 1 ,22.

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Petro. Igitur fuit ipse Christi determinacione immediate ceteris apostolis auctoritate superior. § 3. Deinde vero idem in specie convincere possumus, 1 5 ostendenies Paulum beato Petro dignitate sive auctoritate non fuisse parem. Ad Galatas enim 2° habetur hee series : Deinde, inquit Paulus, post annos tres veni Ierosolymam videre Petrum, et mansi apud eum diebus quindecim. E t parum infra eodem subdit : Deinde post annos quatuordecim 20 iterum ascendi Ierosolymam cum Barnaba, assumpto Tito. Ascendi autem secundum revelacionem, et contuli cum illis evangelium quod predico in gentibus, seorsum autem hiis, qui videbantur esse aliquid, ne forte in vacuum currerem aut cucurrissem. Ubi glossa : Ostendit, Paulus scilicet, se non 25 habuisse securitatem evangelii, nisi esset auctoritate Petri confirmatum et aliorum roboratum. Cum igitur Paulus secu­ ritatem evangelii sumpserit a Petro secundum glossam, ap­ paret ipsum non fuisse parem Petro in auctoritate. Unde per 522 necessitatem sequi videtur tarn ex hoe quam aliis supradictis, reliquos omnes episcopos mundi Romano episeopo tamquam singulari suecessori beati Petri divina ordinaeione fore sub­ iectos ; eeclesiam quoque Romanam sie aliarum omnium 5 caput et primam propter ipsius episcopum, beati Petri sue­ eessorem in ea, omnium aliorum esse iudieem et pastorem. Quod amplius exprimens Ysidorus in eodice supradicto, eapitulo eui titulus : Incipit prefacio Niceni concilii, sie ait : Sciendum est sane ab omnibus catholicis, quoniam sancta 10 ecclesia Romana nullis synodicis decretis prelata est, sed evangelica voce Domini et salvatoris nostri primaturn obti­ nuit, ubi dixit beato Petro apostolo : Tu es Petrus, et super hanc petram edificabo ecclesiam meam; et tibi dabo claves

1586 1587 1 5 88 1 589

Gal. 1 ,1 8 ; 2, 1 -2. W conferre : dvdJtf.Lr;v Scholz 521 Anm. 3 . Scholz 5 2 2 Anm. 1 .

=

ich legte vor.

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war geeigneter als der selige Petrus. Also war er durch Christi Entscheidung unmittelbar den anderen Aposteln an Autorität überlegen. § 3 Ferner können wir dasselbe im besonderen nacht5 weisen, wenn wir zeigen, daß Paulus dem seligen Petrus an Würde oder Autorität nicht gleich gewesen ist. (10) Im Galaterbrief im 2. Kap.1586 findet sich nämlich folgende Stelle : Darauf, schreibt Paulus, drei Jahre später, ging idt nadt ]erusalem, Petrus zu sehen, und v erroeilte bei ihm fünfzehn Tage. Und etwas weiter unten fügt er an der­ selben Stelle hinzu : Nadther, vierzehn ]ahre später, ging 20 idt a bermals hinauf nadt Jerusalem mit Barnabas, roobei idt audt Titus mitnahm. Im ging aber hin auf eine Offen­ barung und besprach mim158 7 mit ihnen über das Evange­ lium, das im predige unter den Heiden, b esonders aber mit denen, die etroas galten, damit im nidtt etroa v ergeblich liefe oder gelaufen roäre. Dazu bemerkt die Glosse1 588 : Er zeigt, 2:; Paulus, daß er nicht im Evangelium sicher gewesen roäre, roenn es nicht die Autorität des Petrus und der anderen bestätigt und bekräftigt hätte. Da also Paulus nach der Glosse Sicherheit im Evangelium sich von Petrus hat geben lassen, so ergibt sich, er ist dem Petrus an Autorität nicht gleich gewesen. Daraus scheint mit Notwendigkeit zu folgen, ebenso aus dieser Stelle wie aus den anderen obenerwähn­ 522 ten, alle übrigen Bischöfe der Welt seien dem römischen Bischof als dem p ersönlichen Nachfolger des seligen Petrus nach göttlicher Ordnung unterstellt ; auch die römische Kirche sei somit aller anderen Haupt und Erste, weil ihr Nachfolger und daher 5 Bischof in ihr des seligen Petrus Richter und Seelenhirt aller anderen sei. ( 1 1) Das bringt weiter Isidor in dem obengenannten Kodex stark zum Ausdruck in dem Kap. mit der über­ schrift 1 58 9 : Vorrede zum Konzil von Nikäa, indem er sagt : Allerdings müssen alle Katholiken roissen, daß die Heilige 1 0 Römische Kirche ihre Vorzugsstellung nidtt Synodalbesdtlüs­ sen verdankt, sondern durch das evangelisdte Wort unseres Herrn und Heilandes ihren Primat erhielt, als er zu dem seligen Apostel Petrus sprach : Du bist Petrus, und auf diesen Felsen roill im meine Gemeinde bauen, und idt roill dir des Himmelreims Schlüssel geben usw. Von diesem Vorrang

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regni celorum etc. Quo siquidem primatu, absque principum concessione aliqua, usi sunt hactenus omnes episcopi Romani a tempore beati Petri usque ad tempora Constantini Primi, Rarnanorum imperatoris, condendo scilicet canones et illorum observacionem per omnem precipientes ecclesiam, ut ex serie iam dicti codicis patenter apparet. 20 § 4. Hoc rursum racione confirmo, quoniam fides una est secundum apostolum ad Ephesios 4°, ergo et ecclesia una ; non autem est aliter una, nisi propter unum caput atque principium, quo nullum conveniencius aut eque conveniens 25 est episcopo Romanorum, singulari successori beati Petri, qui petra fuit, super quam Christus se dixit suam ecclesiam fundaturum. Confirmatur autem hoc ex eo, quoniam velut temporalia in unum reducuntur principium, puta in prin­ cipatum, sie et spiritualia in aliquod unum primum videntur 3 o debere reduci, puta episcopatum. Amplius ex alio, quoniam 523 sicut in unico templo vel unica diocesi oportet unicum epi­ scopum esse, ne ibidem sacerdotum unusquisque ad se tra­ hens, Christi rumpat ecclesiam, ut ex epistola leronymi Ad Evandrum induximus 1 5° huius, sie eo magis necessarium 5 est in universa Christi ecclesia unicum esse caput propter fidelium unitatem servandam. Quanto enim communius est bonum einsdem modi, tanto divinius et eligibile magis. Unde Johannis 10° : Et fiet unum ovile et unus pastor. Hic quidem pastor et hoc quidem caput aliorum convenientissimum videt o tur Romanus episcopus propter causas in prioribus as­ signatas. § 5. Ex predictis autem per necessitatem sequi videtur, Romanum episcopum solum causam effectivam primam esse institucionis secundarie omnium aliorum, tarn mediate quam immediate, propter ipsius universalem auctoritatem super t 5 reliquos omnes episcopos, presbyteros et alios ecclesiarum 15

15 92 quo ist abl. comp. zu conveniencius, episcopo Dativ der Gemeinschaft (Vo : Gräzismen) zu aeque. 1593 II 1 5 , s (333,4 ff.) . 1594 J oh. 10,16. 1595 convenientissimum ist Attribut zu pastor und caput.

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haben, ohne daß er ihnen von einem Herrscher zugesprochen worden wäre, alle römischen Bischöfe Gebrauch gemacht seit der Zeit des seligen Petrus bis zu den Zeiten des römi­ schen Kaisers Konstantin I., indem sie kanonische Ord­ nungen begründet und ihre Befolgung durch die ganze Kirche 1 59 0 angeordnet haben, wie sich aus der Stelle des eben genannten K odex deutlich ergibt. § 4 Das beweise ich wieder durch eine Überlegung : 20 ( 1 2) Der Glaube ist einer nach dem Apostels im Epheserbrief im 4. Kap. 1 59 1 , also ist auch die Kirche eine ; aber sie ist aus keinem anderen Grunde eine als wegen des einen Hauptes und Ursprungs ; als solches ist keines geeig­ neter1592 als der römische Bischof und keines ebenso wie er, 25 der einzige Nachfolger des seligen Petrus, der der Fels war, auf den Christus, wie er sagte, seine Kirche gründen wollte. ( 1 3) Das war durch folgendes bestätigt : Wie weltliche auf einen einzigen Leiter zurückgeführt werden, z. B. auf die Regierung, so müssen offenbar auch geistliche auf irgendein Erstes zurückgeführt werden, z. B. das Bischofs(14) Weiter < ergibt sich das > aus einem anderen 3 o amt. Gesichtspunkt : Wie es in einem einzigen Tempel oder einer 523 einzigen Diözese einen einzigen Bischof geben muß, damit nicht dort jeder einzelne Priester < Gläubige > an siCh zieht und so Christi KirChe sprengt, wie wir aus dem Brief des Hieronymus ,An Evander' in II 1 5 1 593 angeführt haben, so ist es um so notwendiger, daß es in der gesamten Kirche 5 Christi ein einziges Haupt gibt, um die Einheit der Gläu­ bigen zu erhalten. Je allgemeiner nämlich ein Gut dieser Art ist, um so göttlicher und erlesener ist es. (15) Daher heißt es bei Johannes im 10. Kap. 1 594 : Und es roird e i n e Herde und e i n Hirt roerden. Dieser Hirt und dieses Haupt der anderen ist, so scheint es am angemessensten1 59 5, der römische Bischof 10 aus den Gründen, die wir früher hervorgehoben haben. § 5 (16) Aus dem eben Gesagten scheint mit Notwendig­ keit zu folgen, daß der römische Bischof allein wegen seiner umfassenden Autorität über alle anderen Bischöfe, Priester und die anderen Diener der Kirchen oder Tempel die erste 15 bewirkende Ursache für die sekundäre Einsetzung aller 15

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p er ecclesiam ist Attribut zu observacionem. Eph. 4,5.

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sive templorum ministros. Cui siquidem sentencie suffraga­ tur auctoritas Ambrosii, De Tradendis Basilicis, ubi sie ait : Ecclesia Dei est, Cesari utique non debet ascribi. Jus Cesaris esse non pofest Dei templum; nec per consequens institucio 20 sacerdotum in eo, quam secundariam ipsorum auctoritatem vocavimus 1 5° huius. Quod si basilicarum tradicio ius Ce­ saris esse non potest, eo minus alterius cuiusvis principantis. Erit igitur auctoritas hec illius, qui caput est et primus om25 nium sacerdotum, Romani pontificis, auctoritate divina, si nullius principis ius esse potest. § 6. Hinc eciam necessario sequi videtur ipsius auctorita­ tem fore distribuendi seu conferendi beneficia seu ecclesi­ astica temporalia, quoniam propter exercenda of:ficia con­ feruntur huiusmodi. 30 § 7. Ex supradictis eciam inferri posse videtur, eiusdem episcopi primi fore iurisdiccionem coactivam super reliquos 524 omnes episcopos mundi et alios templorum ministros. Sunt enim ordinacione divina sibi subiecti, ut ex prioribus racio­ nibus palam. Quod eciam potest astrui ex predicto Ysidori 5 codice atque capitulo. Inter cetera namque ibidem scripsit hanc seriem : Sed in eo concilio admirabile factum principis non puto reticendum. Etenim cum ex omnibus pene locis epi­ scopi convenissent et, ut fieri solet, diversis ex causis inter se quedam iurgia detulissent, interpellabatur frequenter a sin10 g ulis, offerebantur libelli, culpe proferebantur, et magis ad hec, quam ad id pro quo ventum fuerat, animos dabant. At ille videns, quod per huiusmodi iurgia causa summi ne­ gocii frustraretur, diem certum statuit, quo unusquisque episcoporum, si quid querimonie habere videretur, deferret.

1590 Scholz 523 Anm. 3 . 1 597 institutio auctoritatis, quam. 1sos li 15, 9 und 336,26. 1 5 9 9 Scholz 524 Anm. 1.

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anderen ist, ebenso mittelbar wie unmittelbar. Diese Mei­ nung unterstützt die Autorität des Ambrosius ,über die Übergabe der Basiliken'1 596 , in der er sagt : Die Kirche ist Gottes, dem Kaiser darf sie gemiß nicht zuge­ schrieben merden. Gottes Tempel ist nicht Rechtssphäre des Kaisers; folglich hat er auch nicht das Recht, Priester in ihm 20 einzusetzen für eine Amtsgewaltt 5 9 7, die wir als ihre sekun­ däre in II 151 598 bezeichnet haben. Wenn aber die Überlas­ sung der Basiliken < an Priester > nicht Recht des Kaisers sein kann, um so weniger Recht irgendeines anderen Herrschers. Also wird diese Befugnis dem zustehen, der das Haupt und der Erste aller Priester ist, dem römischen Papst, und zwar 25 durch göttliche Autorität, wenn sie keines Herrschers Recht sein kann. § 6 (1 7) Daraus scheint auch notwendig zu folgen, seine Befugnis sei es, die B enefizien oder zeitlichen Güter der K irche zu verteilen ; sie werden ja für die Ausübung der­ artiger Ämter verliehen. § 7 Aus den oben angeführten Feststellungen scheint man 30 auch die Folgerung ziehen zu können, diesem ersten Bischof stehe die zwingende Rechtsprechung über alle anderen Bischöfe der Welt und die anderen Diener der Kirche zu. 524 Sie sind nämlich nach göttlicher Ordnung ihm unterstellt, wie sich aus den früheren Gründen ergibt. (18) Das kann auch mit dem v orhin genannten Kodex und Kapitel des Isi5 dor1 599 gestützt werden. Denn unter anderem hat er dort folgenden Abschnitt geschrieben : Aber eine bewunderns­ werte Tat des Kaisers auf diesem Konzil darf, glaube ich, nicht verschmiegen werden. Da nämlich aus fast allen Gegenden die Bischöfe zusammengekommen maren und, mie es zu geschehen pflegt, einige unter ihnen aus verschie­ denen Gründen < entstandene > Streitereien vorgebracht hat­ ten, murde er häufig von den einzelnen daraufhin angeredet, t o es murden ihm Schriftstücke überreicht, Anklagen erhoben, und sie beschäftigten sich mehr d a m i t als mit dem, mes­ megen man gekommen mar. Aber als er sah, daß durch soldte Zänkereien die Hauptsame v ereitelt würde, setzte er einen bestimmten Tag fest, an dem jeder Bischof seine Klage vorbringen sollte, menn er eine zu haben glaube. Als er Platz genommen hatte, ließ er sidt von den einzelnen die

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Cumque resedisset, suscepit a singulis libellos. Quas simul omnes in suo sinu continens nec in eis quod contineretur aperiens, ait ad episcopos : 'Deus DOS constituit sacerdotes, et potestatem Dobis dedit de nobis quoque iudicandi, et ideo nos a Dobis recte iudicamur, DOS autem non potestis ab homi20 nibus iudicari. Propier quod Dei solius inter DOS expectate iudicium, et Desfra iurgia, quecumque sunt, ad illud diDinum reserDentur examen. Vos etenim nobis a Deo dati estis dii. ConDeniens non est, ut homo iudicet deos.' Ad eum ergo, qui talium deorum deus est in terris, ut dicitur, Romanum episcopum pertinet in eos iurisdiccionis auctoritas. 25 § 8. Ex eisdem quoque videtur eiusdem episcopi auctori­ tatem fore, generalia sacerdotum concilia convocare atque precipere, in ipsis eciam proponere ac determinare, que sihi proponenda et determinanda videntur circa legem divinam 3 0 et ecclesiasticum ritum. De auctoritate siquidem congre525 gandi concilii loquens Y sidorus in prefacione operis iam dicti codicis inquit sie : Synodorum Dero congregandarum auctori­ tas apostolice sedi priData potestate commissa est, nec ullam synodum ratam esse legimus, que eius non fuerit auctoritate 5 congregata Del fulta. Hec canonica testatur auctoritas, hec ecclesiastica roborat historia, hec sancti patres confirmant. § 9. De ea vero potestate sive auctoritate determinandi sive dif:finiendi scripture sensum loquens idem, eodem codice at1 0 que capitulo ait : Deinceps diDersorum conciliorum Greco­ rum ac Latinorum, sive que antea seu que postmodum facta sunt, sub ordine numerorum ac temporum capitulis suis distincta sub huius voluminis aspectu locavimus, subicientes eciam reliqua decreta presulum Romanorum usque ad sanc1 5 tum Gregorium et quasdam epistolas ipsius, in quibus pro culmine sedis apostolice non impar conciliorum extat auc­ toritas. Potest igitur summus pontifex sui auctoritate solius id determinare, quod potest auctoritas concilii generalis, ex quo non impar est eius auctoritas ei que concilii generalis t5

16oo S cholz 525 Anm. 1 .

1601 Scholz 525 Anm. 2.

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SchriftstüCke geben. Diese alle faßte er in dem Bausch zusammen, und ohne festzustellen, was in ihnen ent­ halten roäre, sagte er zu den Bischöfen : ,Gott hat euch zu Priestern eingesetzt und eum Gemalt gegeben, aum über uns zu rimten. Darum roerden roir von eum mit Remt ge­ rimtet, ihr aber könnt nimt von Mensmen geridttet werden. 20 Deshalb erroartet allein Gottes Gerimt < im Streif > zmismen eum, und eure Streitigkeiten, roelme sie aum sein mögen, sollen jener göttlimen Prüfung vorbehalten merden. Denn ihr seid uns von Gott gegeben als Götter. Es ziemt sim nicht, daß ein Mensm Götter rimtet. ' Dem also, der solcher Götter Gott ist auf Erden, wie man sagt, dem römischen Bischof, kommt die Rechtsprechung über die Bischöfe zu. § 8 Demgemäß scheint es auch desselben Bischofs Befug25 nis zu sein, allgemeine Konzilien der Priester einzuberufen und anzuordnen, auf ihnen vorzuschlagen und zu bestim­ men, was ihm hinsichtlich des göttlichen Gesetzes und der 3o kirchlichen Praxis nötig scheint. ( 1 9 ) Von der Befugnis, ein Konzil einzuberufen, sagt Isidor in der Vorrede zu dem oben­ 525 genannten Werk, dem Kodex1600 : Die Befugnis aber, Syno­ den einzuberufen, ist dem Apostolismen Stuhl durm eine besondere Gemalt anvertraut, und keine Synode ist remis­ gültig, so lesen roir, die nimt d urm seine Autorität einberu­ fen oder gestützt ist. Das bezeugt die Autorität des kanoni5 smen Remts, bekräftigt die Cesmimte der Kirme, bestäti­ gen die heiligen Väter. § 9 (20) Von der Gewalt oder Vollmacht, den Sinn der Schrift festzulegen oder zu bestimmen, sagt Isidor in dem1 0 seihen Kodex und Kapitel1601 : Im folgenden haben mir von den versmiedenen griemismen und Iateinismen Konzilien diejenigen, die vorher oder nachher abgehalten morden sind, nach Nummer und Zeitfolge - für jedes ein Kapitel geordnet und in diesem Bande vereinigt; dabei haben mir auCh die ü brigen Dekrete der römischen Bischöfe biß zum 15 heiligen Gregor und einige Briefe von ihm gelegentlim ein­ gefügt, in denen entspremend der überragenden Stellung des Apostolischen Stuhles eine Autorität vorliegt, die der der Konzilien nimt ungleim ist. Der oberste Pontifex kann also durch seine Autorität allein dasselbe festlegen wie die Autorität des allgemeinen Konzils, weil nach Isidor seine 15

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seeund um Y sidorum. Potest autem et debet auctoritas gene­ ralis eoneilii seripture saere dubias determinare, diffinire ae interpretari senteneias, quemadmodum ostensum est 20° huius. Eadem quoque videtur in hoe fuisse senteneia Ierony­ mi in epistola intitulata De exposicione catholice fidei, ubi 25 sie inquit : Hec fides est, papa beatissime, quam in catholica ecclesia edidicimus, quam semper tenuimus; in qua si minus perite aut parum aceuZte aliquid forte positum est, emendari cupimus a te, qui Petri et fidem et sedem tenes. Sin autem hec 526 nostra confessio apostolatus tui iudicio comprobatur, qui­ cumque me macula*re Doluerit, se imperitum Del maliDolum Del eciam non catholicum, non me�· hereticum comprobabit. 5 § 10. De potestate vero statuendi, que ad eeclesiastieum ritum et eternam salutem pertinent, apparet ex oraeulo Christi Luee 10°. Inquit enim apostolis et in ipsorum persona eunctis episeopis sive presbyteris : Qui DOS audit, me audit, 1 0 et qui DOS spernit, me spernit. Qui autem me spernit, spernit eum qui me misit. Sunt ergo de neeessitate salutis saeerdo­ tum observanda statuta. § 1 1 . De hiis quidem igitur potestatibus assignatis Rarnano pontifiei et eis ampliorihus eolleeeionem faeiens beatus Ber15 nardus ad Eugenium papam De Consideraeione libro 2° sie ait : Nunc iam repetende reliquie, si que sunt, loci quem dis­ seruimus. Age, indagemus adhuc diligenter, quis sis, quam geras Didelicet pro tempore personam in ecclesia Dei. Quis es ? Sacerdos magnus, summus pontifex. Tu princeps episco20 porum, tu heres apostolorum, tu primatu Abel, gubernatu Noe, patriardwtu Abraam, ordine M elChisedem, dignitate Aaron, auctoritate Moyses, iudicatu Samuel, potestate 20

1ao2 160 3 1604 1605 1606

II 20, 4.

Scholz 525 Anm. 3. Luk. 1 0,16. Vgl. W presbyter. S cholz 526 Anm. 2.

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Autorität der des allgemeinen Konzils nicht ungleich ist. Die Autorität des allgemeinen Konzils kann aber und soll den Sinn zweifelhafter Stellen der Heiligen Schrift bestim­ men, lehrmäRig festlegen und deuten, wie in II 201 602 gezeigt worden ist. (21) Die Meinung des Hieronymus1 60 3 scheint in diesem Punkte dieselbe < wie die lsidors > gewesen zu sein in dem Briefe mit der Überschrift Auslegung des katholisdten Glaubens, wo er sagt : Dies ist der Glaube, seligster Papst, den wir in der katholisdten Kirdte gelernt, den wir immer festgehalten haben. Wenn vielleimt etwas, was idt dabei an­ genommen habe, sadtlidt nidtt ganz zutrifft oder ein wenig dunkel ist, so wünsdten wir es von dir verbessert zu sehen, der du des Petrus Glauben und Stuhl innehast. Wenn aber das Urteil deines Apostelamtes dieses unser Bekenntnis billigt, so wird jeder, der mim in den Staub ziehen will, sidt als nidtt samkundig oder übelwollend oder sogar als nidtt katholisdt, mim aber nidtt als Ketzer erweisen. § 10 (22) über die Befugnis aber festzusetzen, was die kirchliche Praxis und die ewige Seligkeit betrifft, ergibt sich aus den Worten Christi bei Lukas im 10. Kap. 180' ; er sagt nämlich zu den Aposteln und in deren Person zu allen Bischöfen oder Priestern1 60 5 : Wer eudt hört, hört mim, und wer eudt verwirft, verwirft mim. Wer aber mim ver­ wirft, verwirft den, der mim gesandt hat. Was die Priester festsetzen, muß also befolgt werden als notwendig für die ewige Seligkeit. § 1 1 (23) In einem überblick über die Gewalten, die dem römischen Pontifex zugewiesen sind, und zwar die höch­ sten, sagt nun der selige Bernhard < in der Schrift > ,An den Papst Eugenius zur Erwägung' B. 21 606 : jetzt müssen nun die restZielten Fragen des Gebietes, das wir erörtert haben, wieder aufgenommen werden, wenn solChe vorhanden sind. Wohlan, wir wollen nodt sorgfältig untersuChen, wer du bist, d. h. weldte Rolle du in der Zeit in der Kirdte Gottes spielst. Wer bist du ? Der gro{le Priester, der hödtsfe Pontifex; du bist der Erste der Bisdtöfe, der Erbe der Apostel, an Primat Abel, an leitender Stellung Noah, an Patriardtenwürde Abraham, an Rang Meldtisedek, an Würde < des Amtes > Aaron, an MaChtvollkommenheit Moses, an Höhe des Ridtteramtes

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Petrus, uneeione Christus. Et subdit infra eodem continuata sentencia : N ee modo ovium, sed et pastarum tu unus om25 nium pastor. Unde id probem, queris ? Ex verbo Domini. Cui enim, non dieo episeoporum, sed eciam apostolorum, sie absolute et indiserete tote eommisse sunt oves ? 'Si me amas, 52? Petre, pasee oves meas'. Et parum infra subiungit : Cui non planum, non designasse aliquas, sed assignasse oves ? Nihil exeipitur, ubi distinguitur nihil. Et infra rursum eodem : 5 Inde est quod alii singuli singulas sortiti sunt plebes, seientes saeramentum. Denique Iaeobus, 'qui videbatur eolumpna' una eeclesie, una eontentus est Ierosolyma, Petro universi­ tatem eedens. Deinde vero concludens ait : Ergo iuxta eano­ nes tuos alii in parfern sollieitudinis, tu in plenitudinem pote1 0 statis voeatus es. Aliorum potestas eertis artatur limitibus; tua extenditur et in ipsos, qui potestatem super alias aeeepe­ runt. Nonne si eausa extiterit, tu episeopo eelum claudere, tu ipsum ab episeopatu deponere, eeiam et tradere Sathane potes ? Stat ergo ineoneussum privilegium tuum tibi, tarn in 1 5 datis clavibus, quam in ovibus eommendatis. § 1 2. Nec solum in ecclesiasticos ministros, ut episcopos, sacerdotes et inferiores ordine reliquos, auctoritatem dixit Bernardus habere Romanum pontificem, verum eciam et coactivam iurisdiccionem super omnes principantes, quam 20 temporalem gladium idem Bernardus sub metaphora vocat, eidem episcopo videtur ascribere. Unde idem ad eundem Eugenium libro et capitulo 4° sie ait : Quid tu denuo usurpare gladium temptes, quem semel iussus es reponere in vaginam ? 25 Quem tarnen, qui tuum negat, non satis mihi videtur atten­ dere verbum Domini dieentis sie : 'Converte gladium tuum in vaginam'. Tuus ergo et ipse, forsitan tuo nutu, etsi non tua manu evaginandus. Alioquin, si nullo modo ad te pertine-

1607 561, 1 9-23. 1608 Scholz 527 Anm. 1. 1609 Dagegen ist 563, 1 0-13 im gleichen Zitat usurpare

=

sich aneignen.

Teil II, Kapitel XXVII

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n

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Samuel, an Gewalt Petrus, an Salbung Christus. Und er fügt unten an derselben Stelle in Weiterführung des Gedankens hinzu : NiCht nur für die SChafe, sondern auCh für die Hirten bist du der einzige Hirt aller. Woher iCh das beweise, fragst du ? Aus einem Wort des Herrn. Denn wem, iCh sage niCht: von den BisChöfen, sondern auCh von den Aposteln, sind so absolut und untersChiedslos alle SChafe anvertraut worden ? ,Wenn du miCh liebst, Petrus, weide meine SChafe.' Etwas weiter unten setzt er hinzu : Wem ist niCht klar, daß er niCht einige bezeiChnet, sondern < dir alle > SChafe zugewiesen hat? NiChts wird ausgenommen, wo niChts untersChieden wird. Weiter unten wieder an derselben Stelle : Daraus ergibt siCh, daß von den übrigen, die das Sakrament kennen, der eine dieses, der andere jenes Volk bekommen hat. SChließliCh ist }akobus, der als eine Säule der KirChe ersChien, mit }erusa­ lem allein zufrieden und überläßt dem Petrus die Gesamt­ heit. Dann aber sagt er abschließend : Also naCh deinen Canones 1 601 sind die einen zu einem Teil der Seelsorge, du zur Fülle der Gewalt berufen. Die Gewalt der anderen ist fest umgrenzt, deine dehnt siCh auCh auf d i e aus, die Gewalt über andere erhalten haben. Kannst du niCht, wenn ein Grund vorliegt, einem BisChof den Himmel versChließen, ihn absetzen, auCh ihn sogar dem Satan überliefern ? Es steht also unersChütterliCh für diCh dein VorreCht fest: Dir sind die SChlüssel gegeben, dir die SChafe anvertraut. § 1 2 (24) Nicht nur über die Diener der Kirche, z. B. die Bischöfe, die Priester und die Träger der niederen Weihen, hat Bernhard gesagt, besitzt der römische Pontifex die Ober­ gewalt ; sondern sogar auch eine zwingende Rechtsprechung über alle Herrscher, die derselbe Bernhard mit einem Bilde zeitlidws SChwert nennt, scheint er diesem Bischof zuzu­ schreiben. Daher sagt er ehenfalls zu Eugenius in B. 4 und Kap. 4 1 608 : Warum solltest du von neuem versuChen, das SChwert zu gebrauChen160 9, das in die SCheide zurückzustecken dir einmal befohlen worden ist? Wer jedoCh behauptet, es sei niCht dein, sCheint mir niCht genug das Wort des Herrn zu beaChten: ,Stecke dein SChwert in die SCheide.' Dein ist also auCh das SChwert, damit es vielleiCht auf deinen Wink, wenn auCh niCht von deiner Hand, gezogen werde. Sonst, wenn es diCh in keiner Weise anginge, hätte der Herr auCh

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ret, et hiis dicentibus apostolis : Et 'ecce gladii duo hic', non respondisset Dominus : 'Satis est', sed 'nimis est'. Uterque ergo ecclesie, et spiritalis scilicet gladius et materialis; sed is qui­ dem pro ecclesia, ille vero et ab ecclesia exerendus; ille sacer5 dotis, is militis manu, sed sane ad nutum sacerdotis et ius­ sum imperatoris. Sunt autem ad supradicta firmanda sanetarum alie auc­ toritates quamplures. Harum tarnen seriem inducere omisi propter eandem aut consimilem earum esse cum inductis vir1 0 tutem et eundem aut consimilem modum solvendi, et propter ahhreviacionem sermonis. Amplius videretur hoc passe fir­ mari per decretales et decreta quedam pontificum Romano­ rum. Hiis enim cavetur omnia officia ecclesiastica et propter hec instituta heneficia per episcopum Romanum et alias, ne15 quaquam vero per humanum legislatorem aut eius auctori­ tate principantem statui vel conferri debere. Cavetur et rur­ sum eisdem decretalibus et decretis, sacerdotes et clericos non dehere subire iudicium coactivum iam dicti legislatoris aut principantis, sed pocius econverso. Eisdem quoque zo astruitur omnes potestates convenire Rarnano pontifici, quas eidem in suis sermonibus ascribit Bernardus.

C A P I T U L U M XXVIII

D e re s p o n s i o n i b u s a d p r e d i c t a s i n s t a n c i a s . 25

Residuum autem huius diccionis est, scripture sive canonis auctoritates convenienter exponere ac humanas raciones dis­ solvere, que 3° huius et capitulo precedente inducte nostris determinacionibus contrarie videbantur. Ante tarnen bene se habet reminisci, quod diximus 1 9 ° huius iuxta sentenciam

1 6 10 1 6 11 1612

Dieser Satz deutet den Inhalt von II 28-II 30 an ; II 28 antwortet auf die Einwände von II 27, II 29 auf II 3, 1-9, II 30 auf II 3, 10-1 5. II 3, 1-9. II 19, 5.

Teil ll, Kapitel XXVIII 528

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den Aposteln, als sie sagten: ,Und hier sind zroei Smroerter', nimt geantwortet: ,Es ist genug', sondern : ,Es ist zuviel'! Beide also gehören der Kirme, das geistlime Smroert und das materielle; aber das zroeite muß f ü r die Kirme, das erste aber aum v on der Kirme gezogen werden, das erste von der Hand des Priesters, das zroeite von der Hand des Sol5 daten, aber freilim auf den Wink des Priesters und auf Be­ fehl des Kaisers. (25) Es gibt aber, um die oben angeführten Thesen zu sichern, sehr viele andere autoritative Äußerungen der Heiligen. Deren Wortlaut anzuführen, habe ich jedoch unter­ lassen ; ihr Sinn ist gleich oder ganz ähnlich dem der ange1 0 führten und gleich oder ganz ähnlich die Art der Entkräftung, und ich möchte die Darstellung abkürzen. (26) Ferner könnte es scheinen, als ließe sich dieses Er­ gebnis durch gewisse Dekretalen oder Dekrete der römi­ schen Päpste bestätigen. Durch diese wird nämlich verfügt, daß alle kirchlichen Ämter und alle dafür gespendeten Bene­ fizien der römische Bischof und andere Bischöfe, keineswegs 15 aber der menschliche Gesetzgeber oder wer kraft Ermächti­ gung durch ihn regiert, besetzen oder verleihen darf. Ferner wird auch durch dieselben Dekretalen und Dekrete verfügt, daß Priester und Kleriker sich nicht unter das zwingende Gericht des eben erwähnten Gesetzgebers oder Regenten stellen dürfen, sondern vielmehr umgekehrt. Durch diese wird auch die Meinung gestützt, daR alle Gewalten dem römi20 sehen Pontifex zukommen, die ihm Bernhard in seinen Aus­ führungen zuschreibt. KA P I T E L XXVIII

E n t g e g n u n g e n a u f d i e e b e n a n g e f ü h r t e n E i n w ä n d e.

25

§ 1 Die Restaufgabe1610 dieses Teiles ist es, die autorita­ tiven Äußerungen der Schrift oder des Kanons richtig auszulegen und die menschlichen Vernunftgründe zu entkräften, die in II 31611 und im vorausgehenden Kapitel angeführt worden sind und unseren Feststellungen zu widersprechen schienen. Zuvor jedoch ist es gut, uns dessen zu erinnern, was wir in II 191 612 gesagt haben in Übereinstimmung mit

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heati Augustini et infallihilem racionem in scriptura firmatarn, videlicet, quod nulli sermoni vel scripture fidem sive credulitatem certarn aut confessionem veritatis prestare 529 tenemur de necessitate salutis, nisi eis que canonice appel­ lantur, id est, que in volumine Bihlie continentur, et eis que ad has per necessitatem sequuntur, et scripturarum sacra­ rum duhium sensum hahencium eis interpretacionihus, que per generale fidelium seu catholicorum concilium essent 5 fade, presertim in hiis clausulis, in quihus error dampnaci­ onem eternam induceret, quales sunt articuli fidei christiane euro suis interpretacionihus factis in conciliis generalihus racionahiliter convocatis, celehratis et consummatis. Propter quod auctoritates canonis sacri sive scripture, que mistica 1 0 exposicione non egent, secundum ipsarum sensum literalern manifestum sequemur omnino ; in quihus vero mistica exposi­ cione indigent, sanetarum prohahiliori adhereho sentencie. Quas vero ipsorum auctoritate propria preter scripturam 1 5 protulerunt sentencias, scripture sive canoni consonas reci­ piam ; quas vero dissonas, reverenter ahiciam, non tarnen aliter quam auctoritate scripture, cui semper innitar. Quon­ iam et ipsi quandoque circa scripturam et preter scripturam sentenciis ad invicem dissident, ut I eronymus et Augustinus 2 0 super illud 2i ad Galatas : Cum autem v enisset Cephas Anti­ oChiam, in faciem ei restiti, quia reprehensibilis erat. Et rur­ sum Amhrosius euro Ieronymo de virginitate loseph ; amplius et idem ipsi sihi sanetarum aliquis quandoque dissona pro­ fert, ut ex sequentihus manifeste patehit. § 2. Hinc ergo primum ad instancias, que inducte sunt 25 capitulo precedenti. Cum enim ex Luce 10° sumehatur, epi3o

161 4 1615 1616 1617 1618 1619 1s2o 1621

II 19, 1 -3 . Scholz 5 2 9 Anm. 2. Gal. 2,1 1 . Vgl . Anm. 837. Schol z 529 Anm. 3 . Bernhard 563,6 und 566,26 ; 569,5. II 28. Luk. 1 0,1 ; vgl. 518, 1 6-21 .

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der Meinung des seligen Augustin und einen unfehlbaren, in der Schrift gesicherten Vernunftgrund1 6 1 3 , nämlich daR wir keiner Rede oder Schrift fest zu glauben oder festen Glauben zu schenken und keine als wahr zu bekennen bei unserem Seelenheil verpflichtet sind außer denen, die kanonisch heißen, d. h. die im Bibelband enthalten sind, den Folgerungen, die sich aus ihnen mit Notwendig­ keit ergeben, und, soweit der Sinn zweifelhaft ist, den Deutungen der Heiligen Schriften, die von einem allgemeinen Konzil der Christen oder Katholiken gegeben sind, besonders in den Sätzen, in denen ein Irrtum ewige Verdamm­ nis nach sich ziehen würde, wie den Artikeln des christlichen Glaubens samt ihren Deutungen, die auf den ordnungs­ gemäß berufenen, durchgeführten und abgeschlossenen all­ gemeinen Konzilen festgestellt worden sind.1 614 Deshalb werden wir den autoritativen Stellen des heiligen Kanons oder der Schrift, die einer mystischen Auslegung nicht bedürfen, in ihrem klaren, buchstäblichen Sinn in allen Stücken folgen ; wo sie aber einer mystischen Auslegung bedürfen, werde ich mich der wahrscheinlicheren Meinung der Hei­ ligen anschließen. Die Meinungen aber, die sie aus eigener Machtvollkommenheit über die Schrift hinaus vorgebracht haben, werde ich übernehmen, soweit sie mit der Schrift oder dem Kanon in Einklang stehen ; die aber dem Kanon widersprechen, werde ich ehrerbietig ablehnen, jedoch nur kraft der Autorität der Schrift, auf die ich mich immer stützen werde. Denn auch die < Heiligen > sind manchmal in d en Meinungen über die Schrift und über Dinge außerhalb der Schrift untereinander uneinig, z. B. Hieronymus und Augustin1615 über jene Stelle im 2. Kap. des Galaterbriefes1616 : Als aber Kephas nach Antiochien kam, trat ich ihm Auge in Auge entgegen, weil er Tadel verdiente161 7 , und ferner Am­ hrosius mit Hieronymus über die Keuschheit Josephs1 6 18 ; end­ lich widerspricht auch derselbe Heilige manchmal sich selbst, wie aus dem Folgenden deutlich werden wird.1 619 § 2 Von diesem Standpunkt aus < äußere ich mich > zu­ nächst 1 620 zu den Einwänden, die im vorausgehenden Kapitel angeführt worden sind. ( 1 ) Wenn aus Lukas Kap. 101621 ent161 3

II 1 9, 3 (Unfehlbarkeit der Konzilsbeschlüsse) .

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scopos esse maioris dignitatis quam simplices sacerdotes, ex eo quod ibidem habetur : Post hec autem designavit Dominus et alios ?2, per quos secundum Bedam figuratur ordo presby­ terorum, quem secundum appellat, post episcoporum ordi­ nem scilicet ; dicendum, quod iuxta sentenciam apostoli et ea que de sanctis inducta sunt 1 5° huius conveniencius figuratur 5 per 72 diaconorum ordo, quam sacerdotum ; vel potest dici convenienter, quod non propter hoc sequitur, episcopum ordinem essencialem ampliorem habere presbytero. Unde illa missio, qua Christus eos misit in mundum, significavit eleccionem sive institucionem humanam, qua unus eorum 10 ceteris prefertur in ecclesiastica yconomia. Non enim contu­ lit Christus eis, cum dixit : Euntes ergo docete omnes gentes, dignitatem essencialem, sed prius tradiderat. Et esto, quod simul tempore utramque tradidisset, dico, quod illa missio non addidit intrinsecam perfeccionem, quam prius non ha1 5 buissent, cum sacerdocium per spiritum sanctum receperunt. Fuit autem de apostolis super reliquos futuros sacerdotes facta per Christum hec institucio secundaria, quoniam nulla tune erat multitudo fidelium, per quam posset eleccio huius­ modi celebrari, nec si fuisset, adhuc eque convenienter fieri 20 potuisset per aliquam multitudinem, sicu t per Christum. Unde apostoli eciam post Christi passionem et resurreccionem ad eleccionem in dividendis provinciis se reduxerunt. Nam ad Galatas 2° legitur : Dexteras dederunt mihi et Barnabe socie­ tatis, ut nos quidem in gentes, ipsi vero in circumcisionem, 25 lacobus, Cephas et Iohannes. Et ideo esto, quod figura fuis­ set, qualem dixit Beda, de statu sacerdotum, dico, quod in­ trinsecam dignitatem sive perfeccionem aut caracterem a Deo immediate non habet ampliorem episcopus quam sacer­ dos, et horum racio sufficiens assignata est 15° huius.

1622 162 3 162 4 1s2s

II 15, 5. W se reducere und W eleccio ; zur Sache vgl. 359, 1 6-23. Gal. 2,9. II 15, 7-8.

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nommen wurde, die Bischöfe besäßen höhere Würde als die einfachen Priester, weil es dort heißt : Danadz. bestimmte 530 aber der Herr nodz. zweiundsiebzig andere, durch die nach Beda der Rang der Priester dargestellt wird, den er den zroeiten nennt, nach dem Rang der Bischöfe nämlich - so ist zu sagen : Nach der Meinung des Apostels und dem, was aus den Heiligen in II 1 5 1 622 angeführt worden ist, stellen die zweiundsiebzig passender den Rang der Diakonen dar ; als den der Priester, oder man kann mit Recht sagen, daraus folgt nicht, daR der Bischof einen höheren wesenhaften Rang hätte als der Priester. Wenn daher Christus sie in die Welt sandte, so bedeutete jene Mission die menschliche Wahl oder Einsetzung, durch die einer von ihnen in der Kirchenver1 0 waltung über die anderen gestellt wird. Denn Christus hat mit den Worten : Gehet also hin und lehret alle Völker, ihnen nicht die wesentliche Würde verliehen, sondern die hatte er ihnen schon früher gegeben ; und angenommen, er hätte beide zu gleicher Zeit gegeben, so sage ich : Jene Sendung hat nicht eine innere Vollkommenheit hinzugefügt, die sie früher nicht gehabt hätten, als sie das Priestertum durch den n heiligen Geist empfingen. Diese s ekundäre Einsetzung nahm Christus an den Aposteln im Hinblick auf die künftigen anderen Priester vor, weil es damals kein Volk der Gläubigen gab, das eine derartige Wahl hätte vollziehen können, und wäre es vorhanden gewesen, so hätte sie obendrein durch 20 kein Volk ebenso zweckmäßig erfolgen können wie durch Christus. Daher haben die Apostel auch nach Christi Leiden und Auferstehung zu einer Wahl bei der Teilung der Pro­ vinzen Zuflucht genommen.162 3 Denn im Galaterbrief im 2. Kap.1624 liest man : Die Redz.te gaben sie mir und dem Barnabas zum Zeidz.en der Gemeinsdz.aft, roir sollten zu den Heiden, sie aber zu den Besdz.nittenen gehen: ]akobus, 25 Kephas und ]ohannes. Und darum, angenommen, die zwei­ undsiebzig wären, wie Beda behauptet hat, ein Sinnbild für den Stand der Priester gewesen, so sage ich : Die innere Würde oder Vollkommenheit oder den Charakter hat der Bischof von Gott unmittelbar nicht in weiterem Umfang als 53 1 der Priester ; ein hinreichender Vernunftbeweis dafür ist in li 1 5 1 625 herausgestellt worden.

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§ 3. Ad reliquam vero instanciam ex 1 a ad Timotheum 5° : Adversus presbyterum etc., dico, quod secundam instituci5 onem non essencialem acceperat ab apostolo super presbyte­ ros alias in illa provincia, cuius siquidem apostoli voluntas et institucio eleccioni equivalebat propter defectum et insuf­ ficienciam sive ruditatem multitudinis fidelium. Unde apo10 stolus 1 • ad Corinthios 3° : Et ego, fratres, non potui vobis loqui quasi spiritualibus, sed quasi carnalibus. T amquam parvulis in Christo vobis lac potum dedi, non escam. Nondum enim poteratis, sed nec nunc quidem potestis ; adhuc enim estis carnales. Hoc autem explicavimus amplius 1 ?0 huius, ?• parte. 15 § 4. Quod autem inducebatur de Clementis epistola, que intitulatur Ad lacobum fratrem Domini, non recipio tam­ quam certum ; nam epistolam fuisse Clementis valde suspec­ tum est propter plura in ipsa contenta. Rursum suspecti sunt 20 hii canones seu epistole, quoniam in ea que De sacratis vesti­ b us et vasis ad lacobum fratrem Domini, et in ea que De communi apostolorum vita intitulantur, scribitur, ac si Cle­ mens Iacobo narret ea que Christus cum apostolis egit. Hec autem fuisset magna ignorancia, non modo dicam presump25 cio Clementis, quod ea que tantum audiverat significar· e vel­ let, quasi per modum doctrine, illi qui presens interfuerat et Christum cum apostolis, quarum unus fuerat, ipse viderat. Quis enim discipulos, qui Ierosolymis erant, melius instruere paterat de vita Christi et apostolorum, quis de ritu ecclesia­ stico plus nasse debuit, an apostolus aut successor apostoli, nemo est qui dubitet. Propter quod ipse sunt cum apocrifis 5 computande. Sed esto, quod Clementis fuerint, ut quidam asserunt fabularibus innisi sermonibus, eciam prorumpentes

1626 1. Tim . 5, 1 9 ; Paulus meint Presbyter, Marsilius denkt aber zugleich

an den Priester ; vgl. 51 8 , 21-26.

1627 1. Kor . 3, 1-2. 1a2s V�l . 5 1 8,26 ff. 162 9 Sc1, � 1 z 53 1 Anm . 5.

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§ 3 (2) Auf den zweiten Einwand aus dem 1. Brief an Tim otheus Ka p. 51626 : Gegen einen Presbyter usw. entgegne 5 ich : Die sekundäre Einsetzung als Vorsteher der anderen Priester in jener Provinz, nicht die wesentliche, hat er vom Apostel empfangen. Daß der Apostel ihn wollte und ein­ setzte, kam natürlich einer Wahl gleich, < die unmöglich ge­ wesen wäre > wegen der geringen Zahl und der Unzuläng­ lichkeit oder Unbildung der Menge der Gläubigen. Daher sagt der Apostel im 1 . Korintherbrief im 3. Kap.1627 : Und 10 idt konnte, liebe Brüder, zu euch nicht reden rvie zu geist­ lichen Menschen, sondern nur rvie zu fleischliChen; rvie kleinen Kindern in Christus gab im euch Milch zu trinken, nicht feste Speise ; denn ihr konntet das nodt nicht. Aber auch jetzt könnt ihr es noch nicht; denn noch immer seid ihr fleischlich. Das haben wir aber in Kap. 1 7, 7 dieses Teiles ganz ausfüht lich entwickelt. t5 § 4 (3) Was aber aus dem Brief des Clemens mit der Über­ schrift An ]akobus, den Bruder des Herrn1 6 28 angeführt wurde, nehme ich nicht als sicher an ; denn daß der Brief von Clemens stammt, ist sehr zweifelhaft wegen mehrerer in ihm enthaltener Angaben. Ferner sind diese kanonischen Schriften oder Briefe < Überhaupt > verdächtig ; denn in dem 20 mit der Überschrift Ober die geheiligten Kleider und Gefäße an Jakobus, den Bruder des Herrn und in dem Ober das gemeinsame Leben der Apostel1629 ist die Darstellung so, als wenn < der historische > Clemens dem Jakobus erzählte, was Christus mit den Aposteln geredet und getan hat. Das wäre aber eine grobe Unwissenheit, um nicht zu sagen, An25 maßung des Clemens gewesen, weil er das, was er nur gehört hatte, gleichsam in Form einer Belehrung einem schildern wollte, der persönlich dabeigewesen war und Christus samt den Aposteln, von denen er einer gewesen war, selbst gesehen 532 hatte. Wer hätte nämlich die Jünger, die in Jerusalem leb­ ten, über das Leben Christi und der Apostel besser unter­ richten können ? Wer hätte vom kirchlichen Ritus mehr wissen müssen ? Der Apostel oder ein Nachfolger des Apostels ? Dar­ über wird wohl niemand im Zweifel sein. Deshalb sind diese 5 Briefe unter die Apokryphen zu rechnen. Aber es sei ange­ nommen, sie stammten von Clemens, wie manche versichern, gestützt auf märchenhafte Darstellungen, die sogar so weit

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in tantum, ut Clementem dicant, quia Romanus erat episeo­ pus, maioris auctoritatis in eeclesia Dei apostolo Iaeobo. A quibus querendum eonvenienter, eur epistole Clementis in 1 0 eontextu sacri eanonis posite non sunt, sieut ea que Iacobi ? Dieemus tarnen ad ea que in dictis epistolis eontraria vide­ buntur Christi et apostolorum senteneie, eum auctoritates seripture tractabimus, quibus inniti videntur. 15 Ad id autem quod dicebatur, hane fuisse senteneiam om­ nium episcoporum, qui beato Petro sueeesserunt in episeo­ pali sede Romana, dieendum est, quemadmodum diximus ad primam instanciam, sie eos intellexisse ; si vero aliter, ipsis relictis, sequor apostolum et Ieronymum 15° et 16° huius. 20 § 5. Ad eas vero eanonis auctoritates, quibus videtur osten­ di, beatum Petrum superiorem dignitate ceteris apostolis, non solum humana eleceione, verum eciam immediate Christi ordinacione, cum prima inducebatur ex Matthei 16° : T u es Petrus, et super hanc petram edificabo ecclesiam 25 [meam]; et tibi dabo claves regni celorum ete. ; per que verba Christus ipsum videtur instituisse in sui saltem absencia caput et fundamenturn eeclesie : dieo eaput et fundamenturn ecclesie unieum esse et fuisse ordinaeione immediata Dei, et hoc Christum, apostolorum vero neminem, eeiam in absencia 30 Christi, quemadmodum per seripturam indubie eonvicimus 533 16° et 22° huius. Ad canonem ergo, eum dieitur : Super hanc petram etc., dieo secundum glossam : 'Super hanc petram', id est super Christum, in quem credis. Ubi glossa interlinearis 5 addit : 'Tu es Petrus' id est, a me petra, ita tamen, ut mihi retineam fundamenti dignitaiem. Petrum autem voeavit eum Christus, id est : constantem in fide, quod non negamus. Esto enim, quod aliis eonstaneior et merito perfeccior, non propter

163o Vgl. 5 1 9 1-4. 1631 II 15, 5 ; II 16, 6 ,

u. 9. Matth. 16, 1 8-19 ; vgl. 519, 9-15. 16 33 II 1 6 , 6 (342,23) ; II 22, 5. 1634 Scholz 533 Anm. 1 . 16 35 S cholz 533 Anm. 2 . t 8 32

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gehen zu behaupten, Clemens habe als römischer Bischof höhere Autorität in der K irche Gottes als der Apostel Jako­ bus ; diese Leute müflte man doch mit Recht fragen, warum die Briefe des Clemens nicht in den Text des heiligen Kanons 10 aufgenommen worden sind wie der des Jakobus. Wir werden jedoch Stellung nehmen zu dem, was in den genannten Briefen offenbar der Meinung Christi und der Apostel widerspricht, wenn wir die autoritativen Stellen der Schrift behandeln, auf die sie sich zu stützen scheinen. (4) Auf die Behauptung aber, das sei die Meinung aller n Nachfolger des seligen Petrus auf dem römischen Bischofs­ stuhl gewesen1630 , ist zu entgegnen, daR diese < das Verhältnis von Bischof und Priester> so verstanden haben, wie wir bei dem ersten Einwand gesagt haben, wenn aber anders, lasse ich sie und folge dem Apostel und Hieronymus nach II 15 und II 16.1631 20 § 5 < Wir kommen > zu d e n autoritativen Stellen des Kanons, die zu beweisen scheinen, der selige Petrus sei an Würde den übrigen Aposteln überlegen gewesen, nicht nur infolge einer menschlichen Wahl, sondern auch unmittelbar infolge der Bestimmung durch Christus ; dafür wurde erstens (5) aus Matthäus Kap. 161632 angeführt : Du bist Petrus, und auf diesen Felsen roill iCh meine KirChe bauen; und iCh 25 roill dir des HimmelreiChs SChlüssel geben usw., Worte, durch die Christus ihn wenigstens in seiner Abwesenheit zum Haupt und Grund der Kirche eingesetzt zu haben scheint. Dazu erkläre ich : Ein einziges Haupt und einen einzigen Grund der Kirche gibt es und hat es gegeben nach unmittel­ barer göttlicher Bestimmung, und das war Christus, kein Apostel, auch nicht in Abwesenheit Christi, wie wir aus der 3 0 Schrift in II 16 und II 221633 unzweifelhaft nachgewiesen 533 haben. Zu der Stelle des Kanons nun, wo es hei.fit : Auf die­ sen Felsen usw., sage ich nach der Glosse1634 : Auf diesen Felsen, d. h. auf Christus, an den du glaubst. Dort fügt die Interlinearglosse1 635 hinzu : Du bist Petrus, d. h. Fels, 5 von mir gemaCht, so jedoCh, daß iCh mir die Würde des Grundes vorbehalte. Petrus aber hat ihn Christus genannt, d. h. fest im Glauben, was wir nicht bestreiten. Angenommen nämlich, er war fester als die anderen und an Verdienst

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hoc dignitate prior, nisi tempore forte, ut evidenter per scripturam probavimus ubi supra. Eum autem quem diximus fuisse scripture sensum, adiuvat exposicio beati Augustini super hunc locum ; inquit enim Augustinus, et sumptum est ex Libro Retractacionum : Dixi in quodam loco de apostolo Petro, quod in illo tamquam in petra edificata sit ecclesia. 1 5 Sed scio me postea sepissime sie exposuisse, quod a Domino dictum est: 'Tu es Petrus, et super hanc petram edificabo ec­ clesiam meam', ut super hunc intelligeretur, quem confessus est Petrus, dicens : 'Tu es Christus filius Dei vivi' ; ac si Petrus ab hac petra appellatus personam ecclesie figuraret, que super 20 hanc petram edificatur. Non enim dictum est illi: tu es petra, sed 'tu es Petrus' ; petra autem erat Christus quem confessus Simon, sicut ei, Christo scilicet, tota ecclesia confitetur, dictus est Petrus. Et potest huius racio assignari secundum scriptu­ ram, quoniam Petrus, quamdiu viator extitit, errare potuit 25 et peccare per sui arbitrii libertatem ; unde Christum negasse legitur et quandoque ad veritatem evangelii ambulasse non recte. Tale autem non paterat esse fundamenturn ecclesie, sed ille solus fuit Christus, ut apparet 1 • ad Corinthios 3°, qui 534 aberrare non potuit, eo quod ab instanti sue concepcionis im­ peccabilis fuerit confirmatus. Unde apostolus ubi supra : Fundamenturn enim aliud nemo ponere pofest, preter id quod positum est, quod est Christus I esus. § 6. Et quod addebatur : Tibi dabo claves regni celorum 5 etc., nullam Petro super reliquos apostolos auctoritatem tri­ buit, quoniam hanc eandem iudiciariam potestatem ceteris apostolis tribuit secundum leronymum et Rabanum, quarum glossas induximus 6° huius, parte 3•. Amplius, quoniam Chri1 0 stus potestatem clavium illi non videtur tradidisse per hec verba ; inquit enim : Tibi dabo, '�quod sonae futurum, non dixit : do. Sed Iohannis 20° indifferenter omnibus dixit : 10

1636 1 . Kor. 3 , 1 1 . 1637 I I 6, 3 (1 99-200) ; Rahanus ist dort nicht zitiert, der bei Thomas Catena ad 1 .c. vorkommt (Scholz 534 Anm. 2 u. 200 Anm. 1 ) .

1638 J oh. 20, 22-23.

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vollkommener, so steht er deswegen nicht höher an Würde, außer vielleicht wegen der Dauer < seiner Jüngerschaft > , wie wir aus der Schrift an der oben angeführten Stelle überzeugend bewiesen haben. Daß aber das, was wir angegeben haben, Sinn der Schrift ist, wird durch die Auslegung des seligen Augustirr zu dieser Stelle gestützt ; Augustirr sagt nämlich, und das ist entnommen aus dem ,Buche der Über­ arbeitungen' : Ich habe an einer Stelle von dem Apostel Petrus gesagt, auf ihm sei roie auf einem Felsen die Kirche erbaut, doch ich roeifl, dafl ich später das Wort des Herrn : ,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen roill im meine Kirche bauen', sehr oft so ausgelegt habe, dafl darunter d e r ver­ standen rourde, den Petrus mit den Worten bekannt hat: ,Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes', als roenn Petrus nach diesem Felsen genannt, die Kirme darstelle, die auf diesem Felsen erbaut roird. Denn zu ihm ist nimt gesagt morden : Du bist der Fels, sondern : ,du bist Petrus', der Fels aber roar Christus, und roeil Sirnon ihn bekannt hatte, roie sich zu ihm, Christus, die ganze Kirche bekennt, ist er Petrus genannt morden. Ein Vernunftgrund dafür läßt sich nach der Schrift feststellen ; denn solange Petrus auf der Erde weilte, konnte er irren und sündigen irrfolge seiner Willens­ freiheit ; deshalb hat er Christus, so liest man, verleugnet und ist manchmal nicht richtig nach der Wahrheit des Evan­ geliums gewandelt. So beschaffen aber konnte der Grund der Kirche nicht sein, sondern, wie sich aus dem 1 . Korintherbrief Kap. 3 ergibt, war d e r allein Christus, der nicht irren konnte, weil er vom Augenblick der Empfängnis an gegen jede Sünde gefeit war. Daher sagt der Apostel an der oben ange­ führten Stelle1636 : Denn einen anderen Grund kann niemand legen au/ler dem, der gelegt ist, welcher ist ]esus Christus. § 6 Was hinzugefügt wurde : Im roill dir des Himmelreichs Smlüssel geben usw., das hat dem Petrus keine Autorität über die anderen Apostel erteilt ; denn diese seihe richterliche Gewalt hat er den übrigen Aposteln zugesprochen nach Hieronymus und Rabanus, deren Glossen wir in II 6, 31 6 37 angeführt haben. Ferner, Christus scheint ihm mit diesen Worten die Schlüsselgewalt nicht übergeben zu haben ; er sagt nämlich : Ich roill dir geben, was die Zukunft bezeichnet, er hat nicht gesagt : Ich gebe. Aber bei Johannes im 20. Kap.1638

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Accipite spiritum sanctum, et quarum remiseritis peccata etc. Esto tarnen, quod Petrus hiis verbis potestatem hane reeepis1 5 set, non eoncluditur ex hoe, nisi quod tempore prius fuerit pastor institutus ; et quod illi singulariter has tradiderit Chri­ stus claves, signare voluit eeclesie unitatem in :Eide, ad quam fideles invitavit Christus per singularem clavium tradiei­ onem sive promissionem, ut glossa dieit ; vel fortasse, quia 20 Christum Dei filium esse primum eonstanter et manifeste eonfessus est, primum tempore dotatur clavibus et honoratur aut honorari promittitur, ut sie eeiam eonfitendi Christum palam et eonstanter per huius premium vel promissum eete­ ris preberetur exemplum. Non tarnen propter hoc eonvinei25 tur, ipsum fuisse eeteris dignitate sive auctoritate priorem, quamvis hoc plures glossatorum dieere videantur a se, non habentes hoe ex seriptura. Signifieat autem infallibiliter nos verum dieere sequens evangelii series, que habetur einsdem Matthei 20° et Luee 22°, ubi Christus quesitum hoc aperte dif­ 535 finiens dixit, nullum ipsorum esse superiorem aliis. Facta enim erat contencio inter eos, quis eorum esset maior; idem­ que Matthei 2 3 °, ad quos sie inquit Christus : Vos autem, in5 vieem supple, nolite vocari Rabi; unus est enim magister vester, omnes autem vo� Fratres estis. 'Omnes autem Fratres', id est equales, non ergo exeepit aliquem. Et est mirandum, si magis eredere debeamus auctoritati glossatoris quam Christi, quieumque fuerit ille glossator eciam sanctus, et maxime, 1 0 eum hoe non dieat tamquam glossator, sed proprio sensu. Series enim scripture tarn manifesta est, quod glossatore non eget in hoc. Amplius, quoniam et ipsi glossatores oppositum dieunt ad Galatas exponentes 2m, sieut aperturn est 16° huius. 15 Tractavimus autem istud suffieienter et seriose 4° et 16° huius,

1641 Matth. 23,8 . 1642 Wo in II 1 6 ? Von Gal. 2 ist II 1 6,3-10 die Rede. 1643 II 4, 1 ; II 16, 6-10.

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hat er zu allen ohne Unterschied gesagt : Nehmet hin den heiligen Geist, und denen ihr die Sünden erlaßt usw. Ange­ nommen jedoch, Petrus hätte durch diese Worte diese Gewalt empfangen, so dürfte man daraus nur schließen, daß er früher zum Hirten eingesetzt worden sei ; und wenn Chri­ stus ihm gesondert diese Schlüssel übergeben hat, so wollte er damit auf die Einheit der Kirche im Glauben hinweisen, zu der Christus die Gläubigen aufgefordert hat dadurch, daß er einem einzelnen die Schlüssel gab oder versprach, wie die Glosse1639 sagt ; oder vielleicht, weil er zuerst fest und offen bekannt hat, Christus sei Gottes Sohn, wird er zuerst mit den Schlüsseln bedacht und geehrt oder erhält das Ver­ sprechen einer solchen Ehrung, damit auf diese Weise durch Belohnung oder Versprechen den anderen ein Vorbild ge­ geben würde für ein ebenso offenes und festes Bekenntnis zu Christus. Jedoch wird dadurch nicht bewiesen, er habe an Würde oder Ansehen höher gestanden als die übrigen, obwohl dies sehr viele . Erklärer von sich aus zu behaupten scheinen, ohne es aus der Schrift zu haben. Die Wahrheit unserer Behauptung beweist aber unfehlbar folgende Stelle aus dem Evangelium, die bei demselben Matthäus im 20. Kap. und bei Lukas im 22. Kap.1640 steht ; dort entschied Christus diese Frage eindeutig und erklärte, keiner von ihnen stehe über den anderen. Es war nämlich ein Streit unter ihnen erd­ standen, roer von ihnen der Größte sei; dasselbe sagt Chri­ stus zu den Aposteln bei Matthäus im 23. Kap.1641 : Ihr aber sollt eudt, ergänze : untereinander, nidtt Rabbi nennen las­ sen; denn einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. ,Ihr alle aber Brüder', d. h. gleich ; er hat also keinen heraus­ gehoben. Und es wäre sonderbar, wenn wir mehr der Autori­ tät des Glossators glauben müßten als der Christi, wer auch immer jener Glossator gewesen sein mag - vielleicht sogar ein Heiliger -, und besonders da er das nicht sagt als Glossa­ tor, sondern nach eigener Deutung. Denn der Wortlaut der Schrift ist so klar, daß sie hierin eines Glossators nicht bedarf. überdies widersprechen sich die Glossatoren selbst in der Auslegung von Galaterbrief Kap. 2, wie in II 161642 gezeigt ist. Wir haben aber diese Frage in II 4 und Il 16 1643 zur 16 39 V gl. 5 1 9, 15-2 1 . 1640 Matth. 20, 24-28 ; Luk. 22, 24-30.

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nec reiteravimus omnes probaciones propter rei noticiam et abbreviacionem sermonis. § 7. Ad aliam vero canonis auctoritatem sumptam ex Luce 22° ; dixit enim Christus beato Petro : Ego autem rogavi 20 pro te, Petre, ut non deficiat fides tua; et tu aliquando con­ versus, confirma fratres tuos; ex qua quidem serie inferunt aliqui duo, unum, quod solius ecclesie Romane :Eides deficere nequit, eo quod de fide Petri Christus intellexit eciam :Eidern successorum, et consequenter episcopum sibi successorem 2 , aliorum primum ; secundum vero, quod ex hoc Christus ipsum reliquorum apostolorum prelatum fecerit : dico neu­ trum sequi ex verbis Christi per virtutem sermonis. In hac enim consequencia stat oppositum consequentis cum antece­ 536 dente. Secundo probo per scripturam neutrum sequi, et per verba Christi, non alia. Primum quidem iam dictorum non sequitur, propterea quod omnibus dixit Christus Matthei 5 ultimo : Euntes ergo docete omnes gentes etc. Et ecce ego vobiscum sum omnibus diebus usque ad consummacionem seculi. Sie Christus ergo spopondit se cum aliis futurum, usque in seculi consummacionem omnibus diebus, ergo intel­ lexit de aliorum successoribus eciam, si de Petri successoribus 10 hoc debet intendi. Amplius, quoniam si successor beati Petri singulariter dicatur Romanus episcopus, constat hereticum quendam aut quosdam in sede illa tamquam episcopum fuisse prefectum, ut de Liberio et quibusdam aliis ostensum 15 est 20° huius. Rursum, quia 16° huius monstraturn est, Roma­ rrum episcopum non esse singulariter successorem beati Petri ':· propter':· causas secundum scripturam assignatas ibidem, reliqua consequencia similiter nulla est. Quod probo eciam per scripturam. Contulit enim Paulus Petro in evangelio, non

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Matth. 28, 1 9-20. Zweiter Gegenbeweis zur ersten Folgerung. II 20, 6-12. II 16, 15-19. Vgl. 343, 4-1 0 und W conferre.

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Genüge und gründlich behandelt und haben nicht alle Beweise wiederholt ; die Sache ist bekannt und wir wollen die Darstellung abkürzen. § 7 (6) Eine andere Beweisstelle des Kanons ist entnommen aus Lukas Kap. 221644 ; Christus hat nämlich zu dem seligen Petrus gesagt : ICh aber habe für diCh gebeten, Petrus, daß dein Glaube niCht aufhöre, und du, roenn du dereinst diCh bekehrst, stärke deine Brüder. Aus dieser Stelle folgern manche zweierlei : erstens, dafl allein der Glaube der römi­ schen Kirche nicht aufhören kann, weil Christus unter dem Glauben des Petrus auch den Glauben seiner Nachfolger verstanden hat und folglich den Nachfolge-Bischof des Petrus als den Ersten von allen ; zweitens, dafl damit Christus ihm unter den übrigen Aposteln eine Vorzugsstellung gegeben habe. Dazu sage ich : Keins von beiden folgt aus den Worten Christi dem Sinn seiner Rede nach. In dieser Schluflfolgerung nämlich besteht ein Widerspruch zwischen dem Gefol­ gerten und dem Beweisgrund.1645 Zweitens beweise ich aus der Schrift, dafl keine < von beiden Folgerungen > stimmt, und zwar durch Worte Christi, nicht andere. Die erste von den eben erwähnten Folgerungen ist falsch, weil Christus bei Matthäus im letzten Kapitel 1 646 zu allen gesagt hat : Gehet also hin und lehret alle Völker usw. Und siehe, iCh bin bei euCh alle Tage bis an der Welt Ende. Mit diesen Worten nun hat sich Christus verbürgt, er werde bei den anderen alle Tage sein bis an der Welt Ende ; also hat er es auch von den Nachfolgern der anderen verstanden, wenn das von den Nachfolgern des Petrus gemeint sein soll. Ferner 1647, wenn der römische Bischof im besonderen Nachfolger des seligen Petrus genannt wird, so steht fest, dafl ein Ketzer oder einige auf jenem Stuhl als Bischof eingesetzt gewesen sind, wie von Liberius und einigen anderen in II 20164 8 gezeigt worden ist. Weiter, weil wir in II 161649 nachgewiesen haben, der römi­ sche Bischof sei nicht für seine Person Nachfolger des seligen Petrus aus den Gründen, die aus der Schrift ebenda beige­ bracht worden sind, ist die zweite Folgerung genauso nich­ tig. Das beweise ich auch aus der Schrift. Paulus hat näm­ lich dem Petrus im Evangelium etwas auferlegf1650, nicht 1 644 Luk. 22,32 ; vgl. 519, 21-29. 1645 d. h. der Bibelstelle.

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econtra, ut ex 2° ad Galatas induximus satis 16° huius. ':· Et quod evidencius est huius consequencie destructivum, est sermo Christi pridem inductus ex Matthei 20°'� et Luce 22°, per quem ex aperto sui sensu determinavit et diffinivit op­ positum. Unde glossa exponens hunc locum inquit : Sicut ego 25 te orando protexi, ne deficeres, sie tu infirmiores fratres exemplo tue penitencie conforta, ne de v enia desperent, in­ telligens per fratres indifferenter fideles. Quod eciam dicens 53? Petro fecit alios apostolos irrteiligere facturos. Unde Mar­ ci 1 3° : Quod uni dico, Y.· veP secundum aliam literam, sensum tarnen eundem : quod vobis dico, omnibus dico. Aut fortasse id Petro singulariter dixit, sicut eciam glossa sentire videtur, 5 quoniam presciebat Christus Petrum se negaturum. Unde tu conversus aliquando, id est exemplo tue penitencie, eo quod verbo et sui exemplo, qui veniam meruerat, infirmos in fide singularins confortare seu confirmare valebat, ne scilicet de venia desperarent. § 8. Ad reliquam autem canonis auctoritatem sumptam 1 0 Johannis 2 1 °, per quam idem quod prius quidam nituntur convincere, ex eo quod Christus beato Petro dixit : Pasce oves meas, pasce agnos meos etc., dicendum primo secundum glossam hunc esse sensum huius s eriei, quod 'pascere oves' 1 5 est credentes ne deficiant confortare, terrena subsidia, si necesse est, subditis providere, exempla virtutum prebere, adversariis obsistere, fidei scilicet, peccantes corrigere. Et subditur in glossa : Et cum tercio audit a Petro se diligi, iubet pascere oves. Trine negacioni redditur trina confessio, ne 20 minus amori lingua serviat, quam timori. Ex hoc autem non aliud convincitur, nisi quod ipsum pastorem ovium Christus 20

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11 16, 6. 534,28 ; Matth. 20, 24-28 ; Luk. 22, 24-30. Luk. 22,32 und Interlinearglosse dazu. Mark. 13,3?. J oh. 21, 1 5-1 ? ; vgl. 520, 5-10. 11 28, ?. Scholz 53? Anm. 3.

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u mgekehrt, wie wir aus dem 2. Kap. des Galaterbriefes in II 1 61651 zur Genüge angeführt haben. Und was noch über­ zeugender diese Folgerung zunichte macht, ist das eben1 652 an­ geführte Wort Christi aus Matthäus Kap. 20 und aus Lukas Kap. 22, durch das er nach dem offenkundigen Sinn das Gegenteil entschieden und bestimmt hat. Daher sagt die Glosse bei der Auslegung unserer Stelle1653 : Wie im didL durdt mein Gebet davor behütet habe, nachzulassen < im 25 Glauben > , so tröste du die schwächeren Brüder durdt das Vorbild deiner Reue, damit sie nidtt die Hoffnung auf Ver­ gebung verlieren, wobei sie unter Brüdern ohne Unterschied die Gläubigen versteht. Indem Christus diese Worte an Petrus richtete, so gab er den anderen Aposteln zu verstehen, 537 sie sollten das tun. Daher heißt es bei Markus im 1 3 . Kap.16 54 : Was im e i n e m sage - oder nach einer anderen Lesart, aber gleichem Sinn - : was im zu e u c h sage, sage im zu allen. Oder vielleicht hat das Christus zu Petrus für seine Person gesagt, wie auch die Glosse zu meinen scheint, da er ja im voraus 5 wußte, Petrus werde ihn verleugnen. Daher fügt Christus hinzu : Du, wenn du dereinst didt bekehrt hast - d. h. durCh das Vorbild deiner Reue, weil er, der Vergebung erhalten hatte, durch sein Wort und Vorbild die Schwachen im Glau­ ben ganz besonders zu trösten oder zu stärken vermochte, damit sie nämlich nicht die Hoffnung auf Vergebung verlören. § 8 ('?) Zu einer anderen Beweisstelle des Kanons aus 1 0 Johannes Kap. 2 1 1655, mittels derer manche dasselbe wie oben1656 nachzuweisen suchen, und zwar daraus, daß Christus zu dem seligen Petrus gesagt hat : Weide meine Schafe, weide meine Lämmer usw., ist zunächst zu bemerken : Nach der Glosse ist das der Sinn dieser Stelle : Die Schafe meiden 15 heißt die Gläubigen stärken, daß sie nidtt nachlassen < im Glauben > , irdische Hilfen, wenn notwendig, UnterdrüCkten verschaffen, Vorbilder der Tugenden liefern, den Gegnern, des Glaubens nämlich, Widerstand leisten, Sünder zurecht­ weisen. In der Glosse1657 wird hinzugefügt : Und als er zum dritten Male hört, daß Petrus ihn liebe, befiehlt er ihm, die Schafe zu meiden. Der dreifadten Verleugnung entspricht ein dreifaches Bekenntnis, damit die Zunge nidtt weniger diene als der Angst. Damit wird aber nichts 20 der Liebe anderes nachgewiesen, als daß ihn Christus zum Hirten 2o

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instituit. Non tarnen ex hoc sequitur, quod ipsum super reli­ quos apostolos auctoritate vel dignitate priorem ; nec rursum sequitur ex hoc, alios apostolos non fuisse institutos pastores. 25 Oppositum enim utriusque consequentis iam dicti stat cum antecedente, videlicet cum sermone Christi predicto. Testa­ tur autem dictis, quod ecclesia catholica cantat de omnibus apostolis indifferenter : Vere dignum et iustum est, equum et salutare, te quidem omni tempore suppliciter exorare, ut 538 gregem tuum, pastor eterne, non deseras, sed per beatos apostolos tuos continua proteccione custodias; ut eisdem rectoribus gubernetur, quos operis tui vicarios eidem contu5 listi preesse pastores. Ecce apostolos in plurali, rectores, vi­ carios et pastores, per Christi collacionem immediatam, non autem solum aliquem rectorem, vicarium aut pastorem con­ stitutum per Christum. § 9 . Interraganti vero, cur Christus hoc Petro singulariter 10 dixerit, dicendum utique, quod Christus quandoque sermo­ nem dirigebat ad hominem in persona propria, ut in remis­ sione peccatorum, sanacione infirmorum et suscitacione mortuorum ; quandoque vero dirigebat sermonem ad alte­ rum in persona omnium aut plurium, ut in Iohanne 5° : Vade t5 et amplius noli peccare, ne deterius tibi contingat. Unde id officium Christus committendo Petro, illi loquebatur in per­ sona omnium apostolorum, sicut met testatur hunc modum loquendi suum Marci 1 3°, cum dixit : Quod autem uni vel vobis dico, omnibus dico. Specialiter tarnen ad Petrum serzo monem direxit, quia senior erat, vel quia caritate ardencior, vel ut significaret ecclesie future, quales debeant pastores institui, quoniam etate maturi, ex qua significatur pruden­ cia seu sciencia, et caritate pleni, ex qua significatur cura et diligencia quas debent h abere pastores ; aut fortasse ne 165 9 Satzstücke werden zitiert, die Akkusative stehen im AnschluR an

apostolos ; allerdings kann ecce den Akk. bei sich haben (Vo : Par­ tikeln) . 1660 J oh. 5,14 und 8, 1 1 . 1662 Mark. 13,3 ? ; vgl. 53?, 1-3. 1663 Vgl. 538, 22-23 .

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seiner Schafe eingesetzt hat. Jedoch folgt daraus nicht, daß er ihn an Ansehen oder Würde über die anderen Apostel gestellt habe, und ferner folgt nicht daraus, andere Apostel seien nicht als Hirten eingesetzt worden. Denn das G eg e n 2 5 t e i l der beiden eben erwähnten Folgerungen stimmt mit dem Vorangehenden, mit den vorhin angeführten Worten Christi, überein. Für das Gesagte zeugt aber, daß die katholische Kirche von allen Aposteln ohne Unterschied siilgt 1 6 58 : Wahr­ haft würdig und recht, billig und heilsam ist es, dich zu jeder Zeit flehentlich zu bitten, du möchtest deine Herde, ewiger 538 Hirt, nicht verlassen, sondern durch deine seligen Apostel beständig schützen und bemachen, damit sie von d e n Leitern regiert roerde, die du ihr als Statthalter deines Werkes ver­ liehen hast, ihr vorzustehen als Hirten. 5 Beachte : d ie Apostel in der Mehrzahl, die Leiter, Statt­ halter und Hirten durch Christi unmittelbare Verleihung, und nicht einen einzigen Leiter, Statthalter oder Hirten, den Christus eingesetzt hätte. 16 59 § 9 Wenn aber einer fragt, warum Christus das dem 10 Petrus für s eine Person gesagt hat, so ist ihm jedenfalls zu entgegnen : Christus richtete manchmal das Wort an einen Menschen in dessen eigener Person, wie bei Vergebung von Sünden, der Krankenheilung oder der Totenerweckung, manchmal an einen anderen als Vertreter aller oder mehre­ rer, wie bei Johannes im 5. Kap. 1 660 : Gehe hin und sündige t5 hinfort nicht mehr, damit dir nichts Schlimmeres widerfahre. Als daher Christus dieses Amt dem Petrus anvertraute, sprach er zu ihm als dem Vertreter aller Apostel, wie er selbst diese seine Art zu reden bei Markus im 13. Kap. 1 662 bezeugt mit den Worten : Was ich aber einem oder euch sage, sage ich allen. An Petrus insbesondere hat er aber das Wort 20 gerichtet, weil er der Älteste war und von leidenschaftlichster Nächstenliebe1663 erfüllt, oder um der künftigen Kirche anzudeuten, was für Hirten eingesetzt werden müßten : Männer reifen Alters, womit auf Klugheit oder Wissen, und voll Nächstenliebe, womit auf Fürsorge und Umsicht hingewiesen wird, welche Hirten haben müssen, oder viel­ leicht, damit er nicht ganz verworfen erschiene, weil er 1 658

Scholz 537 Anm. 4.

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videretur abieccior, quia Christum negaverat, quod sapere videtur glossa, cum dixit : Trine negacioni redditur trina confessio, ne minus amori lingua serviat, quam timori. Hoc enim certissime constat, quod omnibus Matthei ultimo die­ turn est indifferenter : Euntes ergo docete omnes gentes, nec 539 dixit Petro : vade et alios mitte ; in quo significavit omnibus auctoritatis equalitatem, sicut eciam ex Matthei 1 3° pridem induximus, dum ad eos inquit Christus : Nolite vocari Rabi, supple invicem aut unus super reliquum vel reliquos ; unus autem omnes fratres estis. 5 enim est magister vester, vos Aut dicendum et valde probabiliter atque secundum verita­ tem mihi videtur, quod pro tanto dixit Petro : Pasce oves meas, 'ruf' sibi specialHer propter sui constanciamcommitteret populum Israel,' qui dure cervicis populus fuit versus Deum, 1 0 ut apparet Exodi 33° et inducit apostolus p er Ysaiam Actuum ultimo, et quoniam propter hunc populum convertendum et salvandum principaliter venerat Christus. Unde Mat­ thei 1 5° : Non sum missus, nisi ad oves que perierunt domus Israel. 'Non sum missus' principaliter supple. Ideoque huius 15 populi curam beato Petro specialHer commisisse videtur, cum dixit : Pasce oves meas. Et videtur hec fuisse apostoli aperta sentencia, cum ad Galatas 2° dixit : Cum vidissent, quod creditum est mihi evangelium prepucii, sicut Petro circumcisionis etc. Ubi glossa secundum Augustinum : 'Cum 20 vidissent, quod evangelium prepucii ' a Domino 'creditum est mihi ' ut fideli, ita principaliter 'sicut et Petro' evangelium 'circumcisionis'. Christus enim dedit Paulo, ut ministraret gentibus, qui eciam Petro dederat, ut ministraret ludeis. Ita tamen dispensacio distributa est illis, ut et Petrus gen25 tibus predicaret, si causa fecisset, et Paulus ludeis. Nec video, 25

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Maith. 23,8 ; vgl. 535, 3-7. 2. Mos . 33,5. Acta 28, 25-28. Mat th. 15,24. Gal. 2,7. Scholz 539 Anm. 6.

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Christus verleugnet hatte ; das ist aus den Worten der Glosse herauszuhören : Der dreifaChen Verleugnung ent­ spriCht das dreifaChe Bekenntnis, damit die Zunge nidli weniger der Liebe diene als der Angst. Denn das steht ganz sicher fest, daß zu allen ohne Unterschied bei Matthäus im letzten Kapitel gesagt worden ist : Gehet also hin und lehret alle Völker, und nicht zu Petrus hat der Herr gesagt : Geh und schicke die anderen ; damit hat er zu verstehen gegeben, alle seien an Autorität gleich, wie wir auch aus Matthäus Kap. 1 31 664 früher die Worte angeführt haben, die Christus an sie gerichtet hat : Laßt euCh niCht Rabbi nennen - ergänze : in engerem Kreise oder als wenn einer vor dem oder den anderen einen Vorrang hätte ; denn einer ist euer 5. Meist er, ihr aber seid alle Brüder. Oder man muß sagen, und das scheint mir sehr wahrscheinlich und wahr : in­ sofern hat er dem Petrus gesagt : Weide meine SChafe, als er ihm wegen seiner Festigkeit besonders das Volk Israel anvertraute, ein halsstarriges Volk Gott gegenüber, wie to sich aus dem Exodus Kap. 33 1665 ergibt und der Apostel nach Jesaja in der Apostelgeschichte im letzten Kapitel166 6 an­ führt, und da Christus vorzugsweise gekommen war, dieses Volk zu bekehren und zu retten. Daher sagt er bei Matthäus im 15. Kap.1 66 7 : ICh bin nur gesandt zu den verlorenen Sdw­ fen vom Hause Israel. ,ldt bin nur gesandt' - ergänze : vort5 zugsweise. Darum scheint er die Sorge für dieses Volk dem seligen Petrus im besonderen anvertraut zu haben mit den Worten : Weide meine SChafe. Das scheint des Apostels klar ausgesprochene Meinung gewesen zu sein, als er im Galater­ brief im 2. Kap.166 8 sagte : Als sie sahen, daß mir das Evan­ gelium für die UnbesChnittenen anvertraut ist wie dem Petrus für die Besmnittenen. Dazu erklärt die Glosse1869 20 nach Augustirr : Als sie sahen, daß das Evangelium für die Unbesmnittenen mir von Gott anvertraut ist als einem Gläubigen so vorzugsweise wie auCh dem Petrus das Evan­ gelium für die BesChnittenen. Christus gab nämliCh dem Paulus den Auftrag, den Heiden zu dienen, wie er auCh dem Petrus den Auftrag gegeben hatte, den Juden zu dienen. Mit d e r Einsmränkung jedoCh sind die Aufgaben unter ihnen verteilt worden, daß auCh Petrus den Heiden predigen 25 sollte und Paulus den Juden, wenn ein Anlaß es mit siCh

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quod aliunde Paulus vel alter sanctus assumere potuerit, populum Iudaicum specialiter et prineipaliter fuisse Petro commissum, nisi ex eo quod Christus illi dixit : Pasce oves meas. Cum dicat Paulus ad Galatas 2°, sibi creditum evan­ gelium prepucii, quemadmodum Petro circumcisionis. Si 5 namque creditum erat evangelium universaliter Petro plus­ quam Paulo vel aliis apostolis, inconvenienter utique dixis­ set Paulus verba predicta, quinimo totus eius sermo pre­ dictus fuisset inanis et eomparaeio quam feeit in eo. 10 Ad glossas sive interpretaeiones sanctorum et reliquorum doctorum super hee tria puncta scripture iam dicta dicemus in fine capituli huius, ne idem sepius iterare eontingat. § 10. Ad dieturn vero apostoli ad Galatas 2°, per quod vide15 batur ipsum auctoritate fuisse minorem apostolo Petro per id quod dixit : Contuli cum illis evangelium quod predico in gentibus, ne {orte in vacuum currerem aut cucurrissem ete., dieendum primo seeundum glossam Augustini super hune loeum. Inquit enim : Et non didici ab illis tamquam maioribus, sed contuli cum eis tamquam amicis et paribus. 20 Quod autem secundum Ieronymum glossa indueit super id : Ne in vacuum currerem etc. : Ostendit, inquit glossa seeun­ dum Ieronymum, se non habuisse securitatem evangelii, nisi esset auctoritate Petri confirmatum et aliorum robora­ tum, dieo cum reverencia, quod hee glossa vel sibi contra25 dieeret in eo quod infra dicitur secundum eundem Ierony­ mum, si sie intelligatur, quemadmodum qui adversatur sen­ tencie, quam dieimus, videtur intendere ; vel oportet glossam haue secundum Ieronymum intelligi seeundum id quod in ea subditur secundum Augustinum. Non enim fuit ista eau sa eollacionis, quia ipse dubitaret se non habere ''vel nonhaberet'' eertitudinem evangelii, sed hoc ut magis ab audientibus 5 crederetur, eum dicebat se contulisse eum illis qui eum 16 70 540, 3-4. 16 7 1 II 28, 2?-28 ; das Wichtigste ist an den Schluf! gesetzt. 1672 Gal. 1 , 1 8 ; 2, 1-2 ; vgl. 52 1,16. 1 6 7 3 W conferre u. Anm. 1 58?. 1674 Scholz 540 Anm. 3. 1675 Scholz 540 Anm. 4.

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brächte. Und ich sehe nicht, daR Paulus oder ein anderer Heiliger anderswoher hätte entnehmen können, das jüdische Volk sei besonders und vorzugsweise dem Petrus anvertraut gewesen, auRer daraus, daR Christus zu ihm gesagt hat : Weide meine Schafe. Paulus versichert doch im Galaterbrief im 2. K ap., ihm sei das Evangelium für die Unbesdmittenen anvertraut wie dem Petrus für die Besdmittenen. Denn wenn das Evangelium ganz umfassend dem Petrus anvertraut gewesen wäre, mehr als dem Paulus oder anderen Aposteln, so wären die vorhin angeführten Worte des Paulus durch­ aus unangemessen gewesen, ja seine ganze angeführte Aus­ führung und der Vergleich, den er darin gezogen hat 16 70, wären nichtig gewesen. über die Glossen oder die Erläuterungen der Heiligen und der übrigen Kirchenlehrer zu den drei schon erwähnten Punkten der Schrift (8/9) werden wir uns am Ende167 1 dieses Kapitels äußern, damit nicht dasselbe sich zu oft wiederholt. § 10 (10) Zu dem Wort aber des Apostels im Galaterbrief im 2. Kap.1672, nach dem es schien, als habe er an Autorität hinter dem Apostel Petrus zurückgestanden wegen seiner Äußerung : Ich besprach mich mit ihnen1 6 13 über das Evan­ gelium, das ich unter den Heiden predige, damit ich nicht vergebens liefe oder gelaufen rväre usw., ist erstens zu sagen nach der Glosse Augustins zu dieser Stelle1674 : Ich habe nicht von ihnen gelernt rvie von Höherstehenden, sondern habe mich mit ihnen besprochen rvie mit Freunden und Gleichgestellten. Was aber die Glosse nach Hieronymus anführt zu der Stelle : daß ich nicht vergebens liefe usw. Er zeigt, sagt die Glosse 1 675 nach Hieronymus, daß er im Evangelium nicht sicher gervesen rväre, rvenn die Autorität des Petrus und der anderen ihn nicht bestätigt und ihn darin bestärkt hätten -, dazu sage ich mit Ehrerbietung : Diese Glosse würde entweder sich selbst widersprechen in dem, was unten nach demselben Hieronymus angeführt wird, wenn sie so ver­ standen würde, wie sie der Gegner unserer Ansicht zu meinen scheint, oder diese Glosse nach Hieronymus muß verstanden werden im Sinne dessen, was ihr nach Augustirr hinzugefügt wird. Denn das war nicht die Ursache der Besprechung, daR er an seiner Sicherheit im Evangelium zweifelte oder sie nicht hatte, sondern dies, damit es bei den Hörern mehr Glauben ·

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Christo fuerant conversati, quorum testimonium probabilius erat. Unde verbum illud : Ne in vacuum currerem aut cucur­ rissem, non debet referri ad defectum apostoli secundum se, JO nec ad dubitacionem quam haberet in evangelio, quoniam hoc neque ab homine neque per hominem accepit aut didicit, sed per Dei revelacionem immediatam, ut met dicit ad Ga­ latas 1°. Amplius ad Galatas 2° de hac collacione faciens memoriam inquit apostolus : Mihi autem qui videbantur esse t5 aliquid nihil contulerunt, sed econtra. Ubi glossa secundum Augustinum : 'Mihi enim', vel 'autem', quasi : ideo ad priora non recurro, quia que modo fiunt, sufficiunt mihi ad com­ mendacionem, scilicet quod illi qui v idebantur esse aliquid, scilicet Petrus et alii qui fuerunt cum Domino, 'nihil con20 tulerunt', id est addiderunt, 'mihi'. In quo patet quod non illis inferior sum, qui a Domino adeo perfectus sum, ut nihil esset quod in collacione mee perfeccioni adderent. Qui enim illis tribus imperitis tribuit sensum, dedit et mihi. Et infra dicit glossa secundum Ieronymum : Ipsi mihi 'nihil contule25 runt', sed ego 'contuli' Petro. Et infra rursum : Ego 'restiti ei' tamquam par. Hoc enim non auderet facere, nisi sciret se non imparem fore. Debet igitur illud verbum : Ne in vacuum 542 currerem etc. referri ad audientes qui forte sibi non credi­ dissent aut non tantum, et inde vacui remansissent ; et ipse similiter in eis vacuus fuisset, id est propositum frustratum 5 habuisset in eis, quoniam non generasset in eis fidem, quam sue predicacionis cursu generare intendebat. Et hoc est eciam quod in glossa secundum Augustinum subditur infra : Apostolus enim Paulus, post Christi ascensionem de celo vocatus, si non cum apostolis communicaret et cum eis evan-

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Gal. 1 , 1 . 1 1-12. Gal. 2, 6-7 : dno •wv �o"ovv•wv eivat Tt. contulerunt für neoaavNhvTo wird 541 ,19 durch addiderunt erklärt. Scholz 541 Anm. 3 . Scholz 5 4 1 Anm. 4. Petrus Lombardus Coll. (PL 192, 108) . Scholz 542 Anm. 1 .

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finde, wenn er sagte, er habe sich mit denen besprochen, die mit Christus zusammen gewesen waren und deren Zeugnis glaubhafter war. Daher darf jenes Wort : daß idt niCht vergebens liefe oder gelaufen rväre, nicht auf einen Mangel des Apostels in seiner Person bezogen werden, noch 10 auf einen Zweifel am Evangeliums, den er gehabt hätte; denn das hat er weder von einem Mensmen nom durm einen Mensmen erhalten oder gelernt, son­ dern durm Gottes unmittelbare Offenbarung, wie er selbst im Galaterbrief im 1 . Kap. 1 6 76 versichert. Zweitens, als er im Galaterbrief im 2. Kap. an diese Besprechung erinnert, sagt der Apostel : Mir aber haben die, die An15 sehen hatten1 6 77, nimts dazugetan1 6 78, sondern im Gegen­ teil. Dazu sagt die Glosse nach Augustin1679 : ,Mir näm­ lim' oder mir ,aber' < heißi > soviel rvie : Darum komme im auf das Frühere nimt zurüCk, rveil das, rvas jetzt gesmieht, mir als Bezeugung genügt, nämlim daß die, die Ansehen hatten, Petrus und die anderen, die mit dem Herrn zusam­ men gewesen sind, ,mir nimts dazugetan', d. h. mir dazu20 gegeben, haben. Darin zeigt sim, daß im nimt unter ihnen stehe; denn im bin vom Herrn so vollkommen < erleumtei > morden, daß es nimts gab, rvas sie bei der Bespremung meiner Vollkommenheit hätten hinzufügen können. Der nämlim, der diesen drei < einst > Unerfahrenen das Verständ­ nis gab, gab es aum mir. Unten sagt die Glosse nach Hierony­ mus1 680 : Sie haben mir ,nimts dazugetan', sondern im habe 25 dem Petrus ,dazugetan'. Unten ferner : ,ICh bin ihm entgegen­ getreten' als Ebenbürtiger. Das hätte er nämlim niCht zu tun gewagt, rvenn er nimt gemußt hätte, daß er niCht unebenbürtig rvar.1 681 Also muß jenes Wort : Daß iCh nimt vergebens 542 liefe usw. bezogen werden auf Hörer, die ihm vielleicht nicht geglaubt hätten oder nicht n u r ihm und deren Heilsverlangen daher vergebens geblieben wäre, und er selbst hätte ebenso an ihnen vergebens gearbeitet, d. h. der Vorsatz, den er gehabt hätte, wäre an ihnen vereitelt wor5 den ; er hätte ja in ihnen nicht den Glauben erzeugt, den er im Laufe seiner Predigt zu erzeugen strebte. Das ist es auch, was in der Glosse nach Augustin1682 unten hinzugefügt wird : Wenn nämlim der Apostel Paulus, nam Christi Himmelfahrt vom Himmel herab berufen, nimt mit den Aposteln sim

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gelium non conferret, quo eiusdem societatis esse appareret, ecclesia illi omnino non crederet. Sed cum cognovisset eum hoc annunciare quod illi, et in eorum communione et unitate viventem, accedentibus eciam per eum talibus signis, qualia et illi operabaniur, ita eum Domino commendante 1 5 auctoritatem meruit, ut verba illius sie audiantur in ecclesia, tamquam in illo Christus, sicut ipse verissime dixit, locutus audiatur. Meruit ergo Paulus auctoritatem Christo commen­ dante ipsum sive approbante simpliciter; non dixit : Petro vel aliis apostolis ipsum commendantibus. Et subditur infra 20 parum in glossa secundum eundem : Unde et contulit cum illis evangelium et dextras accepit, quia idem verbum cwn eis, etsi non per eos, habuit. Ipsa enim collacio unam doctrine speciem, excussa omni lepre varietate, monstravit. Hec igitur fuit causa collacionis, ut varietatis doctrine scrupulus tol25 leretur ab auditoribus. Et hoc est quod supra dixerat glossa secundum Augustinum. lnquit enim : 'Iterum ascendi Iero­ solymam' etc. Ascendi, dico, 'cum Barnaba', qui de Iudeis erat, 'assumpto Tito', qui de gentibus ; quasi: hinc inde festes habui, quibus pateret fals um esse me aliud gentibus, aliud Iudeis predicare. 'Ascendi autem' non solum ea disposicione, sed 'secundum revelacionem' Dei, et non didici ab illis tam­ quam maioribus, sed 'contuli cum eis' tamquam amicis et pa­ ribus 'evangelium' Christi, 'quod predico in gentibus'. Hoc 5 fecit pro assercione predicacionis, quia multis erat scrupulus in doctrina apostoli perturbantibus I udeis; quem scilicet scru­ pulum Deus voluit tollere, et ideo non humana deliberacione, [sed Dei revelacione] apostolus ad conferendum cum illis 1 0 evangelium ascendisse se dixit, non quidem propter dubita10

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1683 Scholz 542 Anm. 2. 1 68 4 Vgl. 542,24 varietas doctrine. 1 685 Scholz 542 Anm. 3 .

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;msgetausmt und sich mit ihnen nicht über das Evangelium besprochen hätte, roodurm er sich als Angehörigen derselben Gemeinschaft erroies, so roürde die Kirche ihm überhaupt nicht glauben. Aber als sie erkannte, er verkünde dasselbe roie sie und lebe in Gemeinschaft und Einheit mit ihnen, als auch von ihm solche Zeichen geschahen, roie auch .iene sie taten, und Gott so für ihn zeugte, da erroarb er ein Ansehen, 15 daß seine Worte in der Kirche so < andächtig > gehört roerden, als ob man in ihm, roie er selbst sehr richtig gesagt hat, Chri­ stus reden häre. Paulus hat also Ansehen erworben, weil Christus für ihn zeugte oder ihn schlechthin anerkannte ; er hat nicht gesagt : weil Petrus oder andere Apostel für ihn zeugten. Etwas .weiter unten wird in der Glosse nach 20 Augustin 168 3 hinzugefügt : Daher hat er sich auch mit ihnen über das Evangelium besprochen und hat den Handsdtlag < zum Zeichen des Bundes > erhalten, roeil er dieselbe Lehre roie sie hatte, roenn auch nicht d u r c h sie. Denn die Be­ sprechung ergab eine einheitliche Art der Lehre ohne .iede un­ gesunde Verschiedenheit < in der Auffassung > .l 684 Der Zweck der Besprechung war also, den Hörern die Gewissensnot wegen 25 der Verschiedenheit der Lehre zu nehmen. Das ist es, was oben die Glosse nach Augustin gesagt hat1685 : ,Abermals ging im hinauf nach Jerusalem' usw. lm ging hinauf, sag im, ,mit Barnabas', der zu den Juden gehörte, ,roobei im Titus mit­ nahm', der zu den Heiden gehörte, das heißt soviel roie : Dadurch hatte i m Zeugen, durch die offenbar roerden sollte, daß < die Behauptung > falsch ist, im predigte den Heiden etroas anderes als den Juden. ,Im ging aber hinauf' nicht nur in dieser Absicht, sondern auch ,nach einer Offenbarung' Gottes, und im habe nicht von ihnen gelernt roie von Höher­ stehenden, sondern ,habe mim mit ihnen besprochen' roie mit Freunden und Gleichgestellten über ,das Evangelium' Christi, 5 ,das im unter den Heiden predige'. Das tat er zur Sicherung seiner Predigt; denn viele hatten bei der Lehre des Apostels Gewissensnot, roeil die Juden sie irremadden. Diese Gewis­ sensnot wollte Gott beheben, und darum erklärte der Apostel, er sei nicht aus menschlicher Überlegung, sondern infolge einer Offenbarung Gottes hinaufgegangen, um sich mit ihnen über das Evangelium zu besprechen - nicht wegen eines 1 0 Zweifels, den der Apostel betreffs des Evangeliums gehabt 10

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cionem quam in evangelio haberet apostolus, sed ut ab audi­ toribus iam dietus scrupulus tolleretur. § 1 1 . Quod vero inducebatur ex glossatore ad Galatas 2°, quod posterior pastor fuit Paulus beato Petro apostolo, 15 dicendum, glossatorem fuisse locutum proprie, quoniam beatus Paulus posterins tempore vocatus fuit ad apostola­ tum, et ideo posterior tempore, sed non propter hoc inferior auetoritate ; nec id glossa expressit, sed oppositum magis. Sie igitur ex predietis apparet, neque Petrum aut aposto20 lorum alium fuisse maiorem Paulo, sed amieuro et parem auetoritate per Christum illis immediate collata. Si qua vero fuerit inter eos prioritas, attendeuda est ex ipsorum invicem eleccione fortasse, aut secundum quem modum beatum Petrum ceteris priorem apostolis diximus 16° huius. 25 § 12. Ad dieturn vero sumptum ex codice Ysidori, capitulo cui titulus : Incipit prefacio Niceni concilii, cum inquit : Sciendum est sane ab omnibus catholicis, quoniam sancta Romana ecclesia nullis synodicis decretis prelata est, sed evangelica voce Domini et salvatoris nostri primaturn ob544 tinuit, sie quoque intelligendo de ipsius episcopo : negandum est Y sidori et cuiuslibet alterins extra canonem sie dicentis sermonem. Nam Romana ecclesia ex decretis Rarnanorum principum est aliarum principalior instituta, et ex aliarum 5 ecclesiarum consensu, quasi eleccione quadam, secundum quem modum diximus 1 8° et 22° huius. Amplius ex premissa canonis auetmitate non sequitur quod inferit Y sidorus, sed repelli potest eius illacio et cuiuslibet sie dicentis per deter10 minata nobis 15° huius, parte sa, et 16°, parte 1 38 et 14a. Ad id vero per quod hoc astruere nititur ex Matthei 16° : Tu es Petrus, et super hanc petram etc. iam dieturn est prius,

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Gal. 2, 1 -2 ; vgl. 521,16-522,6. II 16, 4 (Ende) , 10, 12. 522, 'Z'-19. ohne dem Kanon anzugehören. W eleccio. II 18, 5�7 ; II 22, 16.

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hätte, sondern um den Hörern die eben genannte Gewissens­ not zu nehmen. § 1 1 Was aber aus dem Glossator zum Galaterbrief Kap. 2168 6 angeführt wurde, daß Paulus später Apostel war als der selige Petrus, dazu ist zu sagen : Der Glossator hat 15 im eigentlichen Sinne gesprochen ; denn < tatsächlich > wurde der selige Paulus der Zeit nach später zum Apostelamt be­ rufen und war darum der Zeit nach später Apostel, aber d eswegen stand er nicht tiefer an Ansehen ; freilich hat das die Glosse nicht zum Ausdruck gebracht, sondern eher das Gegenteil. So ergibt sich nun aus dem Vorstehenden : Weder Petrus zo noch ein anderer Apostel war größer als Paulus, sondern sie waren alle Freunde und gleich in der Maclitvollkommen­ heit, die Christus ihnen unmittelbar erteilt hatte. Sollte unter ihnen irgendein Vorrang besta� den haben, so wäre er vielleicht auf Grund einer Wahl innerhalb der Zwölf zu erwarten oder in der Art, wie wir ihn für den seligen Petrus in II 16 1 687 angenommen haben. 25 § 1 2 (1 1) Was aber die Stelle betrifft, die aus dem Kodex des Isidor, dem Kapitel mit der überschrift 16 88 : Vorrede zum Konzil von Nikäa, entnommen ist : Allerdings müssen alle Katholiken missen, daß die Heilige RömisChe Kirdte ihre Vorzugsstellung nidtt Synodalbesdtlüssen verdankt, sondern durdt das evangelisdte Wort unseres Herrn und Heilandes ihren Vorrang erhalten hat, wobei er das auch von ihrem 544 Bischof versteht - so muß man diese Aussage des Isidor und ,j edes anderen ablehnen, der außerhalb des Kanons1689 solche Behauptungen aufstellt. Denn die römische Kirche ist durch Dekrete der römischen Kaiser und durch die Zustimmung 5 der anderen Kirchen, gewissermaßen eine Art Wahl1690, als führende Kirche eingesetzt worden in der Weise, wie wir das in II 18 und II 22 1691 geschildert haben. Ferner, aus der vorausgeschickten autoritativen Stelle des Kanons folgt nicht, was Isidor daraus schließt, sondern die Folgerung, die er und Gleichdenkende ziehen, kann durch unsere Ergebnisse 10 in II 1 5, 8 und II 16, 13 u. 14 zurückgewiesen werden. Die Stelle aber, in der er diese < B ehauptung > mit Matthäus Kap. 16 : Du bist Petrus, und auf diesen Felsen usw., zu stützen sucht, haben wir schon früher besprochen und die

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et manifestata fuit huius Ysidori senteneie debilitas 22° huius. § 1 3. Ad eam vero racionem, qua dedueebatur, eeclesiam 1 5 unam esse et unum esse primum episcopum propter :fidei unitatem seeundum apostolum ad Ephesios 4°, dieendum, sumendo ecclesiam in propria signifieaeione pro fidelium multitudine, sie esse unam eeclesiam, sieut fides est una. Et quoniam fides non est una numero in omnibus fidelibus, 20 sed speeie vel genere, idcireo non eoncludit argumentum, eeclesiam aliter unam. Et eum additur, eeclesiam non esse unam, nisi per unitatem numeralem alieuius episeopi eeteris superiorem, hane nego ; et si eoneederem ipsam ad aliam illaeionem, quod hoe principium sive eaput est Romanus 25 episeopus institueione divina immediate, nego illaeionem hane cum suis probaeionibus. Quoniam nee Petrus apostolus fuit petra, super quam fundata est ecclesia, sed Christu s, 545 sicut pri Apostels im Epheserbrief im 4. Kap.16 83, ist zu sagen : Wenn man Kirche in eigentlicher Bedeutung für Volk der Gläubigen nimmt, < dann > ist die Kirche in d e m Sinne eine, wie der Glaube einer ist. Da der Glaube nicht eine Individual-Einheit16 94 ist in allen Gläubigen, sondern < Einheit > der Art oder Gattung nach, darum erlaubt das Argument nicht den Schluß, die Kirche sei in anderem Sinne eine. Wenn man hinzufügt, die Kirche sei eine nur durch die individuelle Ein­ heit in einem Bischof, der über den anderen stünde, so be­ streite ich diese < Art Einheit > , und wenn ich sie zugäbe bis auf die weitere Folgerung, der römische Bischof sei dieses Grundprinzip oder dieses Haupt durch göttlime Einsetzung unmittelbar, so bestreite ich doch diese Folgerung samt ihren Beweisen. Denn weder war der Apostel Petrus der Fels, auf den die Kirche gegründet ist, sondern Christus, wie soeben 18 85 und in II 16 1m mit Hilfe der Schrift gezeigt worden ist, noch ist der römische Bischof durch göttliche Einsetzung unmittel­ bar in d e m Sinn für seine Person Nachfolger des seligen Petrus oder anderer Apostel, daß ihm deswegen gegenüber den anderen eine höhere Autorität zustünde, wie an der oben angeführten Stelle nachgewiesen worden ist ; sondern wenn ihm eine einzigartige Stellung eigen ist, so kommt sie ihm zu durch.menschliche Einsetzung oder Wahl, wie wir in II 22 1887 zur Genüge gezeigt haben. § 14 (13) Was die Behauptung angeht, es müsse ebenso e i n e n Bischof oder e i n Bischofsamt geben als Grundprin­ zip1 6 98 im Geistlichen wie e i n e n Herrscher oder e i n e Regierung als Grundprinzip in allem Zeitlichen, so kann Vergleichs bestritten werden ; denn die Indi­ vidual-Einheit des ersten Herrschers oder der ersten Re­ gierung ist n o t w e n d i g wegen der Streitsamen der Men­ schen, wie in I 1 71699 namgewiesen worden ist. Diese Einheit 1 69 2 II 22, 1-5. 169 3 Eph. 4,5 ; vgl. 522, 20-26. 1694 W unitas.

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unitas non est necessaria in aliquo reliquorum officiorum civitatis aut regni. Amplius concessa comparacione secun­ dum similitudinem seu proporcionem, que primum assumi­ tur ad id quod subiungitur, unum esse primum principem aut principatum, dici potest, quod verum est humana institu­ cione, non tarnen aliqua Dei sive legis divine ordinacione seu zo statuto immediate. Quomodo conclusimus eciam 22° huius, expediens fore unum episcopum aliquem et unam ecclesiam secundum certarn formam et ad certurn opus instituere om­ nium aliarum principaliorem et caput. § 15. Ad aliam vero raciocinacionem, quoniam ut in unico 25 templo est unus episcopus, sie in orbe universo fidelium , dicendum primo, quod in unico templo neque de necessitate salutis neque legis divine precepto est unus episcopus, imo possent esse plures, sicut 15° huius ex Actuum 20° et aliis plerisque locis per apostolum et ex epistola Ieronymi ad 546 Evandrum monstravimus. Quod vero unicus in unico templo .vel diocesi posteriori tempore instituatur episcopus antono­ masice in yconomia templi preferendo illum, provenit ex 5 humana institucione immediate, non quidem, ut diximus, ex necessitate imposita per Iegern divinam. Neque si esset talis imposita necessitas lege divina, tenet simile. Non enim eadem necessitas est unius yconomi numero in unica domo et in tota civitate aut provinciis pluribus, quoniam non exi1 0 stentes in eadem familia domestica non egent unitate nume­ rali cuiusquam yconomi, eo quod sibi invicem cihos et reliqua victui necessaria, mansionem, accubitum et reliqua, non invicem participant, nec in tali unitate, sicut qui surrt 15

1702 11oa 1 704 t 7os nos 1707

559, 6-9. n 22, 1 8. Vgl. 522,29-523,10. II 15, 5 (330, 14) . Act a 20,2 8. episcopus heif!t eigentlich nur Aufseher, wird aber tatsächlich für den Leiter der Kirchenverwaltung in der Diözese gebraucht.

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ist aber nicht notwendig in einem der anderen Berufsstände der Stadt oder des Staates.17°° Ferner, wenn man den Ver­ gleich zugibt hinsichtlich der Ähnlichkeit oder der Be­ ziehung170 t , die als Grundprinzip angenommen wird, daR nämlich für das Untergeordnete e i n Regent oder e i n e Regierung das Grundprinzip ist, so kann man sagen : Das < Prinzip > ist richtig nach menschlicher Einrichtung, nichf 1 702 nach göttlicher Ordnung oder Festsetzung durch Gott oder das göttliche Gesetz unmittelbar. In dieser Weise haben wir auch in II 22170 3 geschlossen, es sei z w e c k m ä R i g , einen Bischof oder eine Kirche in einer bestimmten Form und für eine bestimmte Aufgabe einzusetzen als aller anderen Füh­ rung ·und Haupt. § 15 (14) Zu einer anderen SchluRfolgerung1704 : wie es in einer einzigen Kirche einen einzigen Bischof gibt, so einen in der ganzen Welt der Gläubigen, ist zu sagen : Erstens ist es weder für die ewige Seligkeit notwendig noch durch gött­ liches Gesetz geboten, daR es in einer einzigen Kirche einen einzigen Bischof gibt, vielmehr könnten es mehrere sein, wie wir in II 1 51 705 aus der Apostelgeschichte Kap. 20 1 708 und aus sehr vielen anderen Stellen beim Apostel und aus dem Brief des Hieronymus ,An Evander' gezeigt haben. DaR aber ein einziger Bischof in einer einzigen Kirche oder Diözese in späterer Zeit eingesetzt wird, indem man ihn mit einer Ver­ tauschung des Ausdrucks 1 707 in der Kirchenverwaltung mit der Leitung betraut, stammt aus menschlicher Einrichtung unmittelbar, nicht, wie gesagt, aus einer Notwendigkeit, die durch das göttliche Gesetz gefordert wäre. Aber auch wenn durch göttliches Gesetz eine solche Notwendigkeit bestünde, ist der Vergleich nicht zwingend. Denn daR es einen einzigen Verwalter gibt, ist in einem ganzen Staate oder in mehreren Provinzen nicht ebenso notwendig wie in einem einzigen Hause ; denn diejenigen, die nicht in demselben Haushalt leben, bedürfen der Individual-Einheit eines Verwalters nicht, weil sie die Speisen und was sonst für das Leben notwendig ist, Wohnraum, Schlafraum usw., nicht unter­ einander teilen und nicht in einer solchen Einheit zusammen 11oo Vgl. I 1 7, 12.

1701

Vgl. 546,5 : Beziehung zwischen dem Untergeordneten und dem übergeordneten.

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eiusdem domestice familie, �·insimul conversantur�·. Concluderet enim racio hec, pariter oportere unum numero esse yco­ nomum in orbe universo, quod non est expediens neque verum. Suf:ficiunt enim ad convictum humanum quietum unitates numerales principatuum secundum provincias, quemadmodum diximus 1 "!0 prime. Unum autem esse iudicem 20 coactivum omnium, nondum demonstratum videtur esse de necessitate salutis eterne, cum tarnen huius amplior videatur necessitas inter fideles, quam [unius] universalis episcopi, eo quod universalis princeps magis in unitate potest conser­ vare fideles, quam universalis episcopus. Antiquis namque 25 temporibus per principes coacti sunt scismatici ad fidei veri­ tatem et unitatem servandam, quemadmodum ostensum est 2 1° huius ; per episcopos autem cogi non poterant, eo quod auctoritate coactiva carebant, que nec ipsis debetur, inquan30 turn huiusmodi, quemadmodum demonstratum est 15° prime, et per scripturam et sanetarum auctoritates et alias raciones 54? amplius confirmatum 4°, 5°, 8°, 9° et 10° huius. Unitatern vero numeralem atque principalitatem episcopi et ecclesie sive collegii clericorum, et secundum quem modum instituendam expedire, monstravimus 22° huius ; quamvis, ut diximus, 5 determinatus sacerdos nullus neque collegium ad hoc insti­ tutum sit lege divina, sed humana eleccione seu institucione talis determinacio facta fuerit, quemadmodum 22° huius veraciter et evidenter ostendimus. § 16. Quod vero addebatur ex Iohannis 10° : Et {iet unum 1 0 ovile et unus pastor, dicendum, quod loquebatur Christus de se ipso. Ipse enim solus fuit universalis pastor et princeps pastorum, non alius post ipsum, sicut ipse solus fuit caput et fundamenturn ecclesie, quemadmodum 16° huius monstra15

111a II 4-5 (Christus und die Apostel unterwerfen sich der weltlichen 171 4 111s 1716 1111 171 8

Obrigkeit) ; II 8, ?-9, Abs. 1 ; II 9, 1-1 1 ; II 10, 8-12. Acl im indirekten Fragesatz. II 22, 1-6. J oh. 10, 1 6 ; vgl. 523, ?-8. II 22, 1 (420, 23-2?) . I I 16, 2-?, 9-14 (Petrus hatte keinen Vorrang vor den anderen Aposteln) .

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leben wie die Angehörigen desselben Haushalts. Dieser Ge­ danke17 08 würde nämlich zu dem Schluf! führen, in gleicher Weise müsse e i n Verwalter in der gesamten Welt vorhanden sein 1 709 ; das ist aber weder zweCk.mäf!ig noch richtig. Zum ruhigen Zusammenleben der Menschen genügen nämlich Individual-Einheiten der Regierung in den einzelnen Län­ dern, wie wir in I 1 '2' 1710 gesagt haben. Daf! aber e i n zwin­ gender Richter für die ganze Menschheit vorhanden sei, ist wohl noch nicht als notwendig für das ewige Heil nach­ gewiesen worden, obwohl doch dieser unter den Gläubigen notwendiger zu sein scheint als ein Welt-Bischof ; denn ein Welt-Herrscher kann die Gläubigen eher in der Einheit erhalten als ein Welt-Bischof. In alter Zeit wurden ja die Schismatiker von den Herrschern gezwungen, die Wahrheit und Einheit des Glaubens zu wahren, wie in ll 2 1 1711 gezeigt worden ist ; die Bischöfe aber vermochten das nicht, weil sie keine zwingende Machtvollkommenheit hatten, die ihnen auch als solchen nicht zusteht, wie in I 151712 nachgewiesen und durch die Schrift und die autoritativen Äuf!erungen der Heiligen und Vernunftgründe in II 4, II 5, II 8, II 9 und II 1 01713 weiter gesichert worden ist. Daf! aber die Individual­ Einheit und die führende Stellung eines Bischofs und einer Kirche oder eines Kollegiums von Klerikern zweckmäf!ig ist und wie diese Einheit zu schaffen istt7 14 , haben wir in II 221715 gezeigt ; indessen ist, wie gesagt, kein Priester und kein K ollegium dafür durch das göttliche Gesetz eingesetzt worden, sondern eine solche Festlegung ist durch menschliche Wahl oder Einrichtung erfolgt, wie wir in II 22171 6 wahrhaftig und überzeugend gezeigt haben. § 16 (15) Wenn aus Johannes Kap. 101717 hinzugefügt wurde : Und es roird e i n e Herde und e i n Hirt werden, so ist zu sagen : Christus sprach von sich selbst. Er nämlich war allein Hirt für die gesamte Menschheit und Oberhirte, kein anderer nach ihm, wie er selbst allein Haupt und Grund der Kirche war ; das haben wir in II 1 617 1 8 gezeigt und an sehr 11o s in jedem Staat müsse es einen einzigen Verwalter geben.

1 709

Skepsis gegen die Universalmonarchie wie I 1 7, 10.

1 1 11 171 2

I I 2 1 , 1 (402, 27-3 1) u . 6 (408, 18-22) . I 1 5 (Richter ist der principans) .

mo I 1 7, 1 .

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vimus et aliis plerisque locis repetivimus. Et fuit hec aperta et literalis sentencia beati Petri. Inquit enim sua canonica prima, capitulo 5° : Cum venerit princeps pastorum, de Christo loquens, percipietis immarcessibilem gloriam. Hec eciam est sentencia sanetarum super hunc locum. Inquit enim glossa secundum Gregorium : Quasi ex duobus gregibus 20 unum ovile efficit, quia ludaicum et gentilem populum in sua fide coniungit. Ecce qualiter ovile fit unum, quoniam in fidei unitate. Non dixit Gregorius unum ovile fieri, quia sub episcopo Romano vel alio unico, preter Christum, omnes fideles sint positi. Adhuc secundum Theophylactum : ldem 25 namque omnibus est baptismi signaculum, unus pastor, ver­ bum Dei. Attendant ergo Manimei, quoniam unum ovile et unus pastor est Novi et Veteris Testamenti. Nusquam enim nominatus est ad hanc unitatem ovilis Petrus aut Paulus vel alter apostolus, sed sola fidei unitas et Christi so persona, qui solus ordinacione immediata Dei caput est et fundamenturn et omnium princeps pastorum, ut ex premissis 548 diximus et per certitudinem ostendimus 16° huius. § 1 7. Ad aliam quidem illacionem qua concludebatur, Ro5 manum episcopum solum aut cum suorum clericorum col­ legio solo esse primam causam effectivam institucionis se­ cundarie omnium aliorum ministrorum ecclesie, et eisdem assignare seu determinare templa in ipsius potestate mediata vel immediata vel utraque fore, negando respondeo. Et dum 1 0 confirmatur per Ambrosium, De Tradendis Basilicis, qui sacerdotes ad templa sive basilicas determinare sive insti­ tuere dicit ius Cesaris esse non posse, quoniam ecclesia Dei est: dicendum sane, quod hoc propterea dixit Ambrosius, quoniam temporibus illis non erat tutum, talia officia, scili15 cet animarum curas, permittere Romanis principibus confe15

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Scholz 547 Anm. 4. Die Manichäer lehnten das Alte Testament ab. Vgl. Anm. 1718. 523, 1 1-25. Scholz 548 Anm. 2.

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vielen anderen Stellen wiederholt. Dies war die klar aus­ gesprochene und buchstäbliche Meinung des seligen Petrus ; t5 er sagt nämlich in seinem ersten kanonischen Brief im 5. Kap.17 19 : Wenn der Oberhirt ersdteint, er spricht von Christus, werdet ihr unverwelkliChen Ruhm empfangen. Das ist auch die Meinung der Heiligen über diese Stelle. Die Glosse nach Gregorius 1720 bemerkt nämlich : GleiChsam maCht er aus zwei Herden ein Gehege, weil er das jüdisChe 20 und das heidnisChe Volk in seinem Glauben vereinigt. Be­ achte, in welchem Sinne e i n e Herde wird1721 : in der Einheit des Glaubens. Gregorius hat nicht behauptet, es werde e i n e Herde, weil alle Gläubigen dem römischen Bischof oder einem einzigen anderen außer Christus unterstellt wären. Ferner heißt es nach Theophylaktus1722 : Denn alle haben 25 dasselbe Siegel der Taufe, e i n e n Hirten, das Wort Gottes. Die ManiChäer1123 sollen also beaChten, daß es e i n e Herde und e i n e n Hirten für das Neue und das Alte Testament gibt. Nirgends ist bei der Einheit der Herde Petrus oder Paulus oder ein anderer Apostel genannt, sondern allein die Einheit des Glaubens und die Person Christi, der allein 30 durch unmittelbare göttliche Ordnung Haupt ist und Grund 548 und aller Hirten Erster, wie wir im vorstehenden gesagt und mit Sicherheit in II 161724 bewiesen haben. § 1 7 (16) Auf die andere Folgerung 1725 , der römische 5 Bischof allein oder allein mit dem Kollegium seiner Kleriker sei die erste bewirkende Ursache für die sekundäre Ein­ setzung aller anderen Diener der Kirche, und ihnen die Kirchen zuzuweisen oder zu bestimmen, liege in seiner mittelbaren oder unmittelbaren Gewalt oder in beiden, ant­ worte ich mit Nein. Wenn das Ambrosius in der Schrift ,über 1 0 die Übergabe der Basiliken' bestätigt - er erklärt, die Priester für die K irchen oder Basiliken 1726 zu bestimmen oder dort ein­ zusetzen, könne niCht ReCht des Kaisers sein, weil die KirChe Gottes ist -, so muß man allerdings entgegnen : Das hat Ambrosius deswegen gesagt, weil in jenen Zeiten es unsicher war, die Verleihung solcher Ämter, nämlich der Seelsorge, 15 den römischen Kaisern zu überlassen ; denn sie waren noch 1 1 10 1 1 20 1 1 21

1 . Petr, 5,4. S ch olz 547 Anm. 3 . · quoniam nämlich V o (Konjunktionen) .

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rendas, eo quod nondum erant in fide confirmati sufficienter, quinimo ipsorum principum quidam magis favebant quan� doque sacerdotibus hereticis, quam vere fidelibus, velut idem Valentinianus imperator, ad quem epistolam dirigebat Am� 20 brosius. Verumtamen fide radicata et firmata tarn in subditis quam in principantibus et tali existente communitate, tucius et utilius et magis conformiter legi divine fit episcoporum et aliorum anime curatorum eleccio sive institucio per auctori� tatem universitatis fidelium, quam per unieuro et parciale 25 civitatis seu communitatis collegium vel [per] unius solius hominis voluntatem, quam prece aut precio, amore vel odio aut alia quavis affeccione sinistra leviter et quasi cotidie videmus perverti. Convenimus ergo cum Ambrosio in hoc, quod curatores animarum, episcopos aut sacerdotes reliquos� que [templorum] ministros instituere, non sit ius Cesaris, 549 inquantum persona talis, aut alterius singularis persone, sed universitatis fidelium aut illius vel illorum cui fidelium uni� versitas auctoritatem huiusmodi sponte tradiderit ; neque 5 hoc negavit ipse. Unde adversus imperatores semper recur� rebat ad plebem fidelem, per quam eciam idem ipse fuerat institutus episcopus, secundum quem modum determina� vimus 1 7° huius. Nec dixit auctoritatem hanc fuisse Romani aut alterius cuiusquam pontificis, sed propter causam pre� t o dietarn dixit, ecclesiam sive templum solius Dei esse ac ipsius fidelium multitudinis tamquam ecclesie principaliter et primo dicte, cuius caput est Christus, et ius, id est posses� sionem de iure, Cesaris esse non posse. Omnia enim quecum� que sint illa temporalia, possessio Cesaris sive fidelis sive t 5 infidelis esse possunt. Sed templum seu institucio sacerdotum in eo ad solius multitudinis fidelium auctoritatem pertinet, quemadmodum ostensum est 1 7° huius ; nec eius oppositum dixit aut sensit Ambrosius. Huius autem signum propterea solum contendisse Ambrosium, tamquam [pastorem] fide� 20 lium, ut scilicet malo seu heretico sacerdoti grex fidelium 1121 II 1 7, 8 (Abs. 1) , 9-1 5. 1728 144, 25 ff. 1 7 29 Vgl. Anm. 1 727.

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nicht genügend im Glauben gefestigt, vielmehr neigten einige Herrscher manchmal mehr ketzerischen Priestern zu als wahrhaft gläubigen, z. B. gerade Kaiser Valentinian, an den Ambrosius seinen Brief richtete. Nachdem jedoch der Glaube bei den Untertanen wie bei den Herrschern festgewurzelt und gesichert ist und eine solche Gemeinschaft besteht, dann ist es sicherer und nützlicher und entspricht mehr dem gött­ lichen Gesetz, wenn die Wahl oder Einsetzung der Bischöfe und anderer Seelsorger durch die Gesamtheit der Gläubigen erfolgt als durch einen einzigen und ein Sonderkollegium des Staates oder der Gemeinschaft oder durch den Willen eines einzigen Menschen allein, der, wie wir fast täglich sehen, durch Fürsprache oder Geld, durch Liebe oder Haft oder irgendeine andere verhängnisvolle Neigung leicht in falsche Bahn gelenkt wird. Wir stimmen also mit Ambrosius darin überein, daß Seelsorger, Bischöfe oder Priester und die übrigen Diener der Kirchen einzusetzen, nicht Recht des Kaisers als solchen ist oder einer anderen Einzelperson, sondern Recht der Gesamtheit der Gläubigen oder dessen, dem die Gesamtheit der Gläubigen eine derartige Befugnis freiwillig übertragen hat. Das hat Ambrosius auch selbst nicht bestritten. Daher griff er gegen die Kaiser immer auf das gläubige Volk zurück, von dem er auch selbst zum Bischof eingesetzt worden war in der Weise, wie wir sie in II 1 ?' 1727 festgestellt haben. Auch hat er nicht behauptet, das sei die Befugnis des römischen oder irgendeines anderen Pontifex, sondern aus dem oben angeführten Grunde hat er gesagt, die Kirche oder der Tempel gehöre Gott allein und dem Volke der Gläubigen selbst als der Kirche im haupt­ sächlichen und ursprünglichen Sinn1 7 28 , deren Haupt Chri­ stus ist ; das Verfügungsredd, d. h. Besitz von Rechts wegen, könne dem Kaiser nidtt zustehen. Denn alle zeitlichen Güter, welche sie auch sein mögen, können Besitz des Kaisers sein, eines gläubigen oder ungläubigen, aber die Kirche oder die Einsetzung der Priester in ihr kommt allein dem Volk der Gläubigen zu, wie in I I 1 ?' 1729 gezeigt worden ist. Das Gegen­ teil davon hat Ambrosius nicht gesagt oder gedacht. Ein Beweis aber dafür, daß Ambrosius als Seelenhirt der Gläu­ bigen sich allein darum bemüht hat, daß die Herde der Gläubigen keinem bösen oder ketzerischen Priester zur

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non committeretur regendus. Quod dixit ad Valentinianum epistola prima ; inquit enim : Atque utinam liquido mihi pa­ teret, quod Arianis ecclesia minime traderetur! Sponte me offerrem tue pietatis arbitrio. Quod autem sie ipsum intel2> lexisse oporteat circa basilicarum tradicionem, ut nunc dixi­ mus et 1 ?0 huius, manifes te demonstrat. Quoniam si basili­ cam occuparet in communitate fidelium [qui] heresi labefactus existeret episcopus aut sacerdos cedere nolens, constat 550 huiusmodi iuste compelli posse per iudicem coactivum et armatam potenciam secundum Ieges humanas. Hoc autem coactivum iudicium atque potencia nullius est sacerdotis 5 auctoritas, ut idem et vere testatur Ambrosius epistola, que intitulatur Ad Plebem; inquit enim : Adversus Gothos, mili­ tes quoque, lacrime mee arma mea sunt; talia enim muni­ menta sunt sacerdotis, aliter nec debeo nec possum resistere; quamvis hoc eciam demonstracione conclusum sit 15° et 1 ?0 10 prime, et auctoritate scripture atque sanctorum cum aliis quoque probacionibus confirmatum 4°, 5° , 8° et 9° huius. Et ideo sane tenendum sie sensisse Ambrosium, ut diximus. Nam et apostolus Cesarem appellavit, ut ex Actuum 25° in­ duximus prius. Unde vel sie dicendum in communitatibus 15 fidelium aut singulos . permittendum de fide docere quod volunt, sicut videtur sensisse Ylarius ad Constancium epi­ stola quadam. Sie igitur ad fidelis universitatis auctoritatem vel principantis secundum eius ordinacionem p ertinere vide­ tur, basilicas sive templa disponenda tradere ac sacerdotes zo in illis statuere. Quod eciam catholici Franeorum reges faci­ unt in quibusdam ecclesiis, nullum sacerdotem seu episco­ pum recognoscentes, a quo derivetur ad eos auctoritas hec. 1732 Scholz 550 Anm. 1 ; vgl. 1 88,25 ; 237,5 ; 471,19. 1733 I 1 5 (Richter ist nur der principans) ; I 1 7 (Die Einheit des Staats­

willens schlief!t Richteramt des Priesters aus) .

1734 V gl. Anm. 1713. 1735 wie Ambrosius, um gegen die Einsetzung von arianischen Priestern

zu protestieren.

1736 Acta 25, 1 1 . 1737 196,12 ff. 1 738 Scholz 550 Anm. 2 ; vgl. 235,25-236,4.

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Leitung anvertraut würde, ist das17 30 , was er im 1. Briefe ,An Valentinian' 1 731 geäußert hat : Wen n im dom Gewißheit hätte, daß auf keinen Fall eine Kirme den Arianern über­ geben würde! Freiwillig würde im mim der Entscheidung deiner Frömmigkeit fügen. Daß er es aber hinsichtlich der

Übergabe der Basiliken so gemeint haben muß, wie wir jetzt und in II 1 71729 behauptet haben, beweist er offensichtlich. Denn wenn ein Bischof oder Priester eine Basilika in der Gemeinschaft der Gläubigen in Besitz nähme, der der Ketzerei verfallen wäre und nicht weichen wollte, so steht fest, daß nach staatlichen Gesetzen ein solcher Mensch mit Recht von einem zwingenden Richter oder einer bewaffneten Macht dazu gezwungen werden könnte. Dieses zwingende Gericht aber und diese zwingende Gewalt kommt keinem 5 Priester zu, wie Ambrosius gleichfalls, und < zwar > der Wahrheit gemäß in dem Briefe ,An das Volk' 1732 bezeugt. Er sagt nämlich : Gegen die Goten, aum gegen Soldaten, sind meine Tränen meine Waffen; solCherart sind nämlich die Bollwerke des Priesters; in anderer Weise darf im weder nom kann im Widerstand leisten! Indessen ist das in I 15 und I 1 ?'17 33 auch durch Beweis gewonnen und durch die Autorität 1 0 der Schrift und der Heiligen wie auch durch andere Beweise in II 4, II 5, II 8 und II 91734 gesichert worden. Darum muß man allerdings festhalten, daß Ambrosius so gedacht hat, wie wir gesagt haben ; denn auch 1735 der Apostel hat an den Kaiser appelliert, wie wir aus der Apostel­ geschichte Kap. 25 1736 früher 1737 angeführt haben. Daher muß man entweder in den Gemeinschaften der Gläubigen diese 15 < unsere > Auffassung vertreten oder den einzelnen erlauben, über den Glauben zu lehren, was sie wollen, wie Hilarius in einem Briefe an Konstantin 1738 gedacht zu haben scheint. So steht es demnach, wie man sieht, der gläubigen Gemein­ schaft zu oder dem, der nach ihrer Anordnung regiert, die Basiliken oder Kirchen < den Priestern > zur Verwaltung zu übergeben und die Priester in ihnen einzusetzen. Das tun 20 auch die katholischen Könige der Franzosen in gewissen Kirchen, ohne einen Priester oder Bischof anzuerkennen, von dem diese Befugnis sich für sie herleitete. So hat das 1 1ao Bei Pr.-0. u. Scholz steht Punkt hinter regendus.

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1731

Scholz 549 Anm. 1 .

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Sie eeiam beatum Ambrosium intellexisse et, si vere, intel­ ligere oportuisse credimus ; et si eontrarie huie, quam eano25 nis scimus et credimus esse sentenciam, senserit, eius opini­ one relicta, quam eredere non compellimur ad salutem, cum ipsius scriptura eanonica non sit, seripturis canonicis inhe­ rentes eam quam diximus tamquam veram tenemus senten­ eiam. § 18. Et eum ab eadem auctoritate Ambrosii videbatur 551 30 inferri, ad Romanum episcopum pertinere auctoritate divina immediate supremam iurisdiccionem eeclesiasticorum tem­ poralium, que propter officia ministris evangelicis eonferun­ tur ; apparet ex dictis illacionem invalidam fore, sieut eciam 5 1 ?0 huius sufficienter conclusimus. Quam in hoc eciam sen­ tenciam confirmat Ambrosius iam dicta epistola De Traden­ dis Basilicis, ubi sie inquit : Si tributum petit, imperator sei­ licet, non negamus; agri ecclesie solvunt tributum. Si agros desiderat imperator, pofestatem habet vindicandorum; nemo 1 0 nostrum intervenit; pofest pauperibus collacio populi redun­ dare. Non faciant de agris invidiam; tollai eos, si libitum est; imperatori non dono, sed non nego. Sed forte obieiet qui semper agros defendere querit, dicens hos esse iura sponse Christi, parum curans de vera sponsa, :fide scilicet catholica 1 5 defendenda, ut rex et regnum Armenie sibi manifeste testi­ ficari potest, quod beatus Ambrosius dixit hee, non quia agri eeclesie debeant de iure tributum, sed quia per vim et op­ pressionem imperatorum exigebatur ab ipsis. Hec profecto falsa exposieio est, qua quidam eciam Romani episeopi cum 20 suis eomplieibus ad effugiendam et declinandam eoactivam principum iurisdiccionem frequenter utuntur, dieentes de facto violenter, non iure [se] in seeularium deductos

1 739 1 740 1m t 742 1 743 1744

523, 26-29 ; vgl. 523,17. Vgl. II 27,6. II 17, 1 6-19. Vgl. 169, 1 9-23 ; 304, 16-1 7 ; 322, 25-323,4 ; 374, 1 2-16. 32 3 , 2 steht faciat. Scholz 551 Anm. 2.

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auch, glauben wir, der selige Ambrosius verstanden und, wenn richtig, verstehen müssen. Sollte aber seine Meinung im Widerspruch stehen zu der des Kanons, wie wir sie 25 kennen und auffassen, so kümmern wir uns nicht um seine Ansicht, die anzunehmen wir des Seelenheils wegen nicht gezwungen sind, da seine Schrift nicht kanonisch ist, halten uns an die kanonischen Schriften und bleiben bei der Mei­ nung, die wir als richtig bezeichnet haben. § 18 (1'7) Wenn aus derselben autoritativen Äußerung des 3 0 Ambrosius1739 zu folgen schien, dem römischen Bischof komme durch göttliche Autorität 1740 unmittelbar die höchste Verfügungsgewalt über die zeitlichen Güter der Kirche zu, die wegen der Ämter den Dienern des Evangeliums ver­ liehen werden, so ergibt sich aus dem Gesagten, daß die Folgerung schwach sein muß, wie wir auch in I I 1 '71 741 5 zwingend bewiesen haben. Unsere Meinung hierüber be­ stätigt auch Ambrosius in dem obengenannten Briefe ,über die Übergabe der Basiliken' 1742 , in dem er sagt : Wenn er Steuern verlangt, der Kaiser, so v erweigern roir sie nicht. Die Ländereien der Kirche zahlen Steuern. Wenn der Kaiser die Felder roünschf, so hat er die Gemalt, sie in Anspruch zu nehmen; niemand von uns erhebt Einsprudt. Was das Volk 1 0 aufbringt, kann den Armen zufließen. Wegen der Ländereien soll keine Mißgunst aufkommen 1 743; er soll sie roegnehmen, roenn es ihm beliebt; dem Kaiser schenke ich sie nicht, aber ich verweigere sie auch nicht. Der freilich, der immer die Ländereien zu verteidigen sucht und behauptet, dies seien Rechte der Braut Christi - um die Verteidigung der wahren Braut, nämlich des katholischen Glaubens, kümmert 15 er sich wenig, wie der König von Armenien und sein Reich ihm deutlich bezeugen kann 1744 -, der wird vielleicht einwerfen, der selige Ambrosius habe das gesagt, nicht weil die Ländereien der Kirche von Rechts wegen Steuern schuldeten, sondern weil die Kaiser sie mit Gewalt und unter Druck von den Priestern forderten. wahrhaftig, diese Auslegung ist falsch, die sogar manche römische Bischöfe samt ihren Mitschuldigen häufig heranziehen, um 20 der zwingenden Rechtsprechung der Herrscher zu entgehen und ihr auszuweichen, wobei sie behaupten, tatsächlich mit Gewalt, nicht mit Recht vor das Gericht der weltlichen

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iudicium ; quoniam oppositum dixit Christus Johannis 19°, et supra induximus 4° huius ; et hoc est quod iuxta sentenciam, 552 quam secundum canonem tenemus, subdit Ambrosius : Sol­ vimus, inquit, que Cesaris sunt Cesari, et que sunt Dei, Deo. Tributum Cesaris est, non negatur. Ecclesia Dei est, Cesari utique non debet ascribi, sed fideli supple sacerdoti secun5 dum iudicium fidelis multitudinis, quemadmodum pridem diximus et 1?'0 huius evidenter astruximus. Est igitur tribu­ tum et iurisdiccio principantis super ecclesiastica temporalia non violenter, sed de iure. § 19. Ad aliam vero illacionem qua videbatur concludi, omne collegium clericorum Rarnano episcopo coactiva iuris1 0 diccione subiectum, eo quod divina ordinacione sit omnium princeps, negandum est antecedens. Ostensum enim est prius, quod nullus episcopus aut sacerdos immediata Dei ordinacione seu lege divina inferior est aut subditus episcopo Rarnanorum auctoritate aliqua essencialiter aut accidenta15 Iiter debita sacerdoti. Et quod inducitur consequenter ex Ysidori codice de verbis Constantini, dieendum, quod ver­ bum fuit exortacionis et monicionis, quo siquidem devotus Constantinus ostendit, quales esse deberent episcopi et sacer­ dotes. Tales enim esse deberent invicem et ad alias, quod in 20 seculari iudicio non oporteret ipsos contendere, secundum doctrinam apostoli 1a ad Corinthios 6° : Quare, inquit, non magis iniuriam accipitis ? Quare non magis fraudem pali­ mini? quam inter vos habere iudicia ? Et quod additur ex dicto Constantini : Pofestatem vobis Deus dedit de nobis iu25 dicandi etc., dicendum, quod verum est iudicio prime signi­ ficacionis, nullius in hoc seculo coactivo, de quo siquidem dieturn est sufficienter 6°, '7°, 8° et 9° huius. Nec tarnen ex 1746 1747 1748 174 9 1750 1751 1752 1 1sa

II 4, 12 ( 1 7 2,2 3) Scholz 55 2 Anm. 1 ; vgl. 1 69, 1 7-23 ; 3 74, 1 2-16. 550, 1 7. II 1 7, 8 (Abs. 1 ) , 9-15 . II 22, 4-5. 524, 19-22. 1 . Kor. 6,7. II 6, 1 2-1 3 ; II 7 ganz ; II 8, 7-9 (Abs. 1) ; II 9, 1-1 1. .

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Herrscher gestellt worden zu sein ; denn das Gegenteil hat Christus bei J ohannes im 19. Ka p. 1745 gesagt - wir haben es in II 4174 6 oben angeführt -, und das ist es, was entsprechend der Meinung, die wir in Übereinstimmung mit dem Kanon 552 festhalten, Ambrosius1747 hinzufügt : Wir zahlen, sagt er, roas des Kaisers ist, dem Kaiser, und roas Gottes ist, Gott. Die Steuern sind des Kaisers, sie roerden nicht verweigert. Die Kirche ist Gottes, dem Kaiser darf sie auf keinen Fall zu­ gesdtrieben roerden, sondern - ergänze - : einem gläubigen 5 Priester nach der Entscheidung des gläubigen Volkes, wie wir soeben gesagf 1748 und in II 1 71749 überzeugend bewiesen haben. Steuern und Verfügungsgewalt über die zeitlichen Güter der Kirche besitzt der Herrscher nicht durch Gewalt, sondern von Rechts wegen. § 19 Was aber die andere Folgerung angeht, die zu ergeben schien, der ganze Klerus sei dem römischen Bischof in zwin10 gender Rechtsprechung untergeordnet, weil dieser nach gött­ licher Ordnung der Erste von allen sei, so ist die Voraus­ setzung abzulehnen. Früher1750 ist nämlich gezeigt worden, daß kein Bischof oder Priester durch unmittelbare göttliche Ordnung oder durch das göttliche Gesetz unter dem römi­ schen Bischof steht oder ihm untergeordnet ist in irgendeiner wesentlichen oder zusätzlichen Machtvollkommenheit, die 15 dem Priester zukommt. (18) Was dann aus dem Kodex des Isidor von den Worten Konstantins 1 751 angeführt wird, dazu ist zu sagen : Es war ein Wort der Mahnung und der Warnung, durch das der fromme Konstantin darauf hinwies, wie Bischöfe und Priester sein müßten. So nämlich müßten sie untereinander und gegenüber anderen sich verhalten, daß sie es nicht nötig hätten, vor einem weltlichen Gericht 20 zu prozessieren, getreu der Lehre des Apostels im 1 . Ko­ rintherbrief im 6. Kap. 1 752 : Warum, sagt er, leidet ihr nicht lieber Unrecht? Warum laßt ihr euch nicht lieber betrügen als unter euch Prozesse zu führen ? Wenn aus der Rede Kon­ stantins hinzugefügt wird : Gott hat euch Geroalt gegeben, 25 über uns zu ridd en usw., so ist zu entgegnen : Das stimmt für ein Urteil in der ersten Bedeutung, das für niemand in dieser Welt verbindlich ist und über das wir in Kap. II 6, II 7, II 8 und II 91753 zur Genüge gesprochen haben. Aus den 174 5 J oh. 19, 9-1 1 ; vgl. 1 ?'2,23 ff.

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predieta serie, quam inducit Ysidorus sive dietarn a Constan­ tino sive non dietam, sequitur, reliquos episcopos Romano 30 fore iurisdiccione subieetos. Inquit enim Constantinus : Dei 553 solius inter vos expectate iudicium, et vestra iurgia quecum­ que sunt ad illud divinum reserventur examen; non dixit : ad iudicium vel examen Romani pontificis. Et quod additur, Romanum episcopum esse vicem Dei 5 gerentern in terris, dicendum, quod ordinacione divina im­ mediate non plus ipse vicem Dei gerit, quam alter episcopus, ut sepe dieturn et ostensum est prius. Neque, si vicem Dei gereret in terris quantum ad spiritualia docenda et mini1 0 stranda, propter hoc Dei vicem gerit quantum ad iudicium coactivum super quemquam clericum aut laicum, ut ex 4° et 5° huius et aliis plerisque locis ostensum est prius ; sed in hoc ministri Dei sunt principes, quemadmodum dixit aposto­ lus Paulus ad Romanos 13° et beatus Petrus prima canonica 15 sua, capitulo 2°. Adhuc esto, quod Constantinus hoc asserendo aperte dixisset esse verum, negarem ipsius dictum, quoniam neque canonicum est nec ad canonicum consequens. Quod si hoc per modum statuisset edicti, id observari expediret sicut reliquas humanas leges, non tamquam Dei ordinacione 20 immediate statutum. Verum ex ipsa Y sidori serie liquet aperte, cunctos episcopos Romano principi coactiva iurisdic­ cione subiectos. Ad ipsius enim iudicium, non autem Romani pontificls, spontanei, non coacti, suas contenciones et iurgia detulerunt, ipsius irrterpellautes examen atque iudicium, ut 25 Y sidorus narrat ibidem. § 20. Et cum infertur ulterius ex eisdem antecedentibus, ad solius Romani episcopi aut eius cum suo solo collegio sacerdotum auctoritatem pertinere, generalia convocare 1754 524, 1 9-22. 1 755 Dieser Einwand fehlt oben 524 ; vgl. aber Bernhard 526, 15 ff. ; 1 756 1757 1 75 8 17 5 9 1 760

Christi vicarius wird 153,12 und 401 ,23 für den Papst gebraucht. II 4, 9--'1 3 ; li 5, 1-'5. Vgl. Vo (Praepositionen) Röm. 13, 1-7 ; . 1 . Pe.tr. 2, 13-15. 552, 15-16 u. 524,5 ff. 524, 3-22. .

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vorhin erwähnten Worten, die Isidor anführt, mögen sie von K onstantirr gesagt sein oder nicht, folgt jedoch keineswegs : die anderen Bischöfe seien dem römischen in der Rechtsprechung untergeordnet. Konstantirr sagt nämlich 1 754 : Erwartet allein Gottes Gericht < im Streit > zwischen euch, und eure Streitig­ keiten, roeldte sie auch sein mögen, sollen jener göttliChen Prüfung vorbehalten roerden; er hat nicht gesagt : der gerichtlichen Entscheidung oder Prüfung durch den römi­ schen Pontifex. Wenn hinzugefügt wird, der römische Bischof sei es, der Gottes Stelle auf Erden einnehme1 755, so ist zu sagen : Nach göttlicher Ordnung unmittelbar nimmt er nicht m e h r Gottes Stelle ein als ein anderer Bischof, wie früher oft gesagt und nachgewiesen worden ist, und nähme er die Stelle Gottes auf E rden für geistliche Lehre und geistlichen Dienst ein, so wäre er deswegen nicht Gottes Stellvertreter bezüglich des zwingenden Gerichts über einen Kleriker oder Laien, wie früher1756 in1757 II 4 und II 5 und an sehr vielen anderen Stellen gezeigt worden ist ; sondern hierin sind Diener Gottes die Herrscher, wie der Apostel Paulus im Römerbrief im 1 3 . Kap. und der selige Petrus in seinem 1 . kanonischen Brief im 2. Kap.175 8 gesagt haben. Ferner angenommen, was Konstantirr mit jener Behauptung deutlich gesagt habe, sei historisch 1759 , so würde ich seine Äußerung ablehnen ; denn sie ist weder kanonisch noch Folgerung aus einem kanonischen Satz. Wenn er dies also in Form eines Ediktes festgesetzt hätte, so wäre es nützlich, das zu beobachten wie die anderen menschlichen Gesetze, aber nicht als etwas durch göttliche Ordnung unmittelbar Festgesetztes. Aber aus dem Wortlaut des Isidor 1760 selbst ist vollkommen klar, dafl alle Bischöfe dem römischen Kaiser in einer zwingenden Rechtsprechung unter­ stellt sind. Denn vor s e i n Gericht, nicht das des römischen Pontifex, haben sie freiwillig, ohne jeden Zwang, ihre Streitigkeiten und Zänkereien gebracht und seine Prüfung und sein Gericht angerufen, wie Isidor ebenda erzählt. § 20 Wenn weiter aus denselben Voraussetzungen gefol­ gert wird, dem römischen Bischof allein oder ihm allein zusammen mit seinem Priesterkollegium stehe das Recht zu, allgemeine Konzilien der Priester und der anderen

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concilia sacerdotum et aliorum fidelium et reliqua ordinare in eisdem, de quibus in argumentacione prediximus, neganda est illacio cum suo antecedente. Nam antecedentis et conse­ quencie ac consequentis oppositum demonstratum est 16° et 5 2 1 ° huius. Ad confirmaciones horum innisas auctoritati sive sentencie Y sidori, quoniam interpretacionem non paciuntur, eo quod hanc expressit sentenciam, dico negando eas omnes tamquam canoni sacro et demonstracioni super hunc firmate dissonas, quemadmodum 20°, 21° et 22° huius seriose ac mani10 feste deduximus, et ex hiis eciam que met inducit codice supradicto. Ad id autem quod dixit Ieronymus in Exposicione Catho­ lice Fidei, in qua sermonem dirigens ad Romanum episco­ pum inquit : Emendari cupimus a te, qui Petri fidem et sedem 15 tenes, in quibus videtur innuere Romanum episcopum singu­ lariter beati Petri successorem : dicendum, pro tanto dixisse Ieronymum Romanum episcopum tenere fidem et seclern Petri, quia in Romana ecclesia beatus Petrus legitur pre­ fuisse tamquam episcopus. Et quoniam ecclesia hec statuto 20 humano aliarum est caput, ipsam et suum episcopum deno­ minat successorem ab apostolo digniori sive perfecciori, quamvis immediata Dei ordinacione non sit aut fuerit aucto­ ritate aliqua sibi per Christum immediate collata superior reliquis apostolis, ut supra induximus et plene probavimus 25 16° huius. Et quod addit Ieronymus : Sin autem hec nostra confessio apostolatus tui iudicio comprobatur etc., in quo videtur innuere Ieronymus, ad solius Romani pontificis auctoritatem pertinere legis divine, eciam in articulis fidei, dubias diffinire seu determinare sentendas : dieendum, nec

1763 176 4 176 5 1766 1767 1768

524,25-525,19. II 20, 4-1 2 ; II 2 1 ganz ; II 22, 1 -5 525,22-526,4. Vgl. II 27,9. II 16, 7-12. 526, 1-4.

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Gläubigen einzuberufen und sonst Anordnungen zu treffen in den F ragen, über die wir bei der Beweisführung früher ge­ sprochen haben, so ist die Folgerung samt ihrer Voraus­ setzung abzulehnen. Denn das Gegenteil der Voraussetzung, der Folgerung und des Gefolgerten, ist in li 16 und li 21 1 76 1 nachgewiesen worden. (19, 20) Was 1 762 die Bestätigungen dies ser Sätze angeht, die sich auf die Autorität oder die Meinung Isidors 1 7 6 3 stützen - einer Ausdeutung bedürfen sie nicht, weil er es war, der diese Meinung klar zum Ausdruck gebracht hat -, so sage ich : Ich lehne sie alle ab als mit dem heiligen Kanon und dem auf ihm sicher aufgebauten logischen Beweis nicht im Einklang, wie wir in li 20, li 21 und li 22 1 764 gründ10 lieh und klar bewiesen haben und auch aus dem, was er selbst in dem obengenannten Kodex anführt. (2 1) Auf die Bemerkung des Hieronymus in der ,Auslegung des katholischen Glaubens' 1 7 65, in der er das Wort an den römischen Bischof richtet und sagt : Wir roünsdwn, von dir gebessert zu roerden, der du des Petrus Glauben und Stuhl t5 innehast, womit er darauf hinzudeuten scheint, der römische Bischof sei allein des seligen Petrus Nachfolger 1 766 - < auf sie > ist zu entgegnen : Insofern hat nach Hieronymus der römische Bischof den Glauben und den Stuhl des Petrus inne, als nach der Überlieferung der selige Petrus die römische Kirche als Bischof geleitet hat ; und da diese Kirche nach 20 menschlicher Festsetzung Haupt der anderen ist, bezeichnet er sie und ihren Bischof als Nachfolger des würdigsten oder vollkommensten Apostels, obwohl er nach unmittelbarer göttlicher Ordnung in keiner Machtvollkommenheit, die ihm Christus unmittelbar verliehen hätte, den übrigen Aposteln überlegen ist oder war, wie wir oben angeführt und in li 16 1 767 ausführlich bewiesen haben. 25 Wenn Hieronymus hinzufügt 1 7 68 : Falls aber dieses unser Bekenntnis vom Urteil deines Apostolats gebilligt roird usw., womit Hieronymus darauf hinzudeuten scheint, der Autori­ tät des römischen Pontifex allein komme das Recht zu, im göttlichen Gesetz, auch in den Glaubensartikeln, den Sinn 555 zweifelhafter Stellen lehrmäRig festzulegen oder zu bestim­ men, so ist zu sagen : Das hat Hieronymus nicht gemeint, 554

1761 1 7 62

II 16, 5-6 ; II 2 1 , 3. ad Vo (Praepositi onen) .

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556

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

istud sensisse Ieronymum, sed hoc pro tanto dixit, quoniam ad Romanum episcopum p ertinebat dare responsum de hiis que circa fidem catholicam dubia et circa ritum ecclesiasti5 cum diffinita seu determinata erant per concilium generale. Nam Romanus episcopus et ipsius ecclesia propter hoc insti­ tuta erat caput sive principalior aliarum, secundum quem modum diximus 22° huius. Signat autem, quod diximus, in­ tellexisse Ieronymum, quoniam in epistola ad Evandrum, 1 0 ubi reprehendens quosdam ritus circa diaconos ecclesie Ro­ mane dixit expresse : Si auctoritas queritur, orbis maior est urbe, id est auctoritas omnium ecclesiarum orbis maior est ea, que urbis Romane. Per illam ergo solam auctoritatem, que aliarum maxima est et certissima, debent circa fidem dubia 15 diffiniri, quemadmodum ostensum est 20° huius. Unde et idem Ieronymus in Exposicione Catholice Fidei plane sequi­ tur que sunt approbata per generalia concilia, ea vero decli­ nat et reprobat, que sunt per eadem concilia reprobata. Quod si tamen sensisset Ieronymus solius Romani pontificis aucto20 ritatem esse iam dictam, ipsius declino sentenciam, tamquam non canonicam neque per canonicam ex necessitate deduc­ tam. Non enim, ut in prioribus diximus atque probavimus nec repetere piget, beatus Petrus aut alter apostolus per se solum sibi auctoritatem assumpsit, que dubia circa fidem 25 esse poterant diffinire. Sed pro talibus convenerunt apostoli et seniores, ut Actuum 1 5° inspicienti se offert. § 2 1 . Quod vero inducebatur ex Luce 10° : Q ui DOS audit, me audit etc., [dicendum : Qui DOS audit etc.] verum est, Dos, id est generale concilium, quod solum representat Christum legis eterne latorem vel apostolorum et ipsorum ecclesie con­ gregacionem. Divisim vero, Qui DOS audit etc. verum est, loquentes secundum Iegern [divinam] , non blasphemantes 1771 1 77 � 1 773 1 774 1 775

dixit ist ebenso zu quoniam wie II 20, 4� 12. 341 , 4 ff. Acta 1 5,6. Luk. 1 0, 1 6 ; vgl. 526, 7-1 1 .

zu

ubi konstruiert ; vgl. Vo (Stilistik) .

Teil 1I, Kapitel XXVIII

556

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sondern das hat er nur insofern gesagt, als es dem römischen Bischof zukam, Auskunft zu geben über Zweifelsfragen hin­ sichtlich des katholischen Glaubens und des kirchlichen Ritus, 5 die ein allgemeines Konzil lehrmäßig festgelegt oder bestimmt hatte. Denn der römische Bischof und seine Kirche war dazu als Haupt oder Führung der anderen eingesetzt in der Form, wie wir das in II 22 1 769 angegeben haben. Daß aber Hierony­ mus unsere Auffassung gemeint hat, dafür ist Beweis, daß er in dem Briefe ,An Evander' 1 770 , wo er 1771 gewisse Riten bei 1 0 der < Weihe der > Diakonen der römismen Kirme tadelt, aus­ drücklich gesagt hat : Wenn man nach Autorität fragt, so ist die Welt größer als die Stadt < Rom > , d. h. die Autorität aller Kirchen der Welt ist größer als die der Stadt Rom. Durch diese Autorität also allein, die die größte und simerste von allen ist, müssen Zweifel im Glauben entsmieden werden, wie in 1> II 20 1 772 gezeigt worden ist. Daher folgt aum Hieronymus in der ,Auslegung des katholischen Glaubens' deutlich dem, was die allgemeinen Konzilien gebilligt haben ; das aber lehnt er ab und verwirft er, was diese Konzilien verworfen haben. Wenn jedoch Hieronymus der Meinung gewesen wäre, dem römischen Pontifex allein käme die genannte Vollmacht zu, 20 so müßte ich seine Meinung ablehnen als nicht kanonisch und nicht aus der kanonischen Lehre mit Notwendigkeit ab­ geleitet. Denn wie wir früher1773 gesagt und bewiesen haben (und wir wiederholen es nimt ungern) , hat weder der selige Petrus noch ein anderer Apostel allein für seine Person das Recht beansprumt, lehrmäßig festzulegen, was im Glauben 25 zweifelhaft sein konnte, sondern dazu kamen die Apostel und die Altesten zusammen, wie jedem, der namschlägt, in der Apostelgeschichte im 15. Kap. 1 774 vor Augen liegt. § 2 1 (22) Wenn aber aus Lukas Kap. 101775 angeführt wurde : Wer euch hört, hört mich usw., so ist zu sagen : Wer euch hört usw. ist richtig : Euch, d. h. das allgemeine Konzil, durch das allein Christus repräsentiert wird als Gesetzgeber des ewigen Gesetzes oder die Versammlung der Apostel und ihrer Gemeinde. Besonders aber ist < das Worb : Wer euch hört usw. wahr, wenn < die Priester > im Sinne des göttlichen Gesetzes reden, nicht, wenn sie ungerecht lästern. In diesem 1 7 6 9 II 22, 6 (425, 8-9) . 1110

334, 1 8-24 ; vgl. Scholz 555 Anm. 1 .

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55?

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

; iniuste. Quomodo dixit de phariseis : Que dicunt, facite, que dieunt seilieet seeundum Iegern divinam, ut inquit Ierony­ mus Matthei 23° super immediate premissum Christi oraeu­ lum. Rursum : Qui vos audit ete. in preeeptis aut prohibitis [lege divina] , obligatur. In eonsiliis [vero] , qualia surrt 1 0 ieiunia, non obligatur fortasse, nisi fidelium omnium aut valeneioris partis in generali eoneilio de hiis interveniente eonsensu. § 22. Ad oraeiones autem Bernardi, et primum ad eam que ad Eugenium est De Consideraeione libro 2° : Q uis es, inquit 1 5 Bernardus, et idem respondens ait : Sacerdos magnus, sum­ mus pontifex : [dieendum] , quod si intellexerit hoe imme­ diata Dei ordinaeione aut legis divine preeepto, neganda est eius responsio, quoniam sie non esset saero eanoni eonsona nee deductis per neeessitatem ex ipso 16° et 22° huius. Si vero 20 intellexerit hune primaturn illi eonvenire humana eleeeione sive institueione, eoneedenda est sua responsio, seeundum quem modum dieturn est 22° huius. Et eum addit : Tu prin­ ceps episcoporum, verum est aeeipiendo prineipem large, id est prineipaliorem institucione predicta. Stricte vero aeeipiendo principem, non est eoneedenda Bernardi oraeio. Nam et ipse idem ab eodem Eugenio et eonsequenter a quolibet alio episeopo prineipatum negat expressius, ut ab eodem [Bernardo] ad eundem Eugenium libro primo, eapitulo 5°, 5 supra induximus 5° huius. Tu heres apostolorum : sie et alii episeopi, quamvis hie prineipalius, seeundum modum die­ turn 16° et 22° huius. Tu primatu Abel: verum est assumptus pro illo, tarnen humana eleeeione, vel propter illius reveren­ eiam, qui tempore fuit primus apostolus. Gubernatu Noe: ve1 0 rum est humana institueione inter clerieos et super clerieos. 1 778 1 779 1 780 11s1 1 782 1 783 1 784 1 7 85

Vgl. dagegen Th. 34 (Dictio 111) . Subjekt von obligatur ist : qui vos audit. 526, 18 ff. II 16, 2-8 ; II 22, 1 6. 11 22, 6. wie Marsilius ; vgl. auch Vo (Pronomina) . 11 5, 2-3. Vgl. Anm. 1 ?8 1 .

Teil Il, Kapitel XXVIII

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Sinne hat Christus von den Pharisäern gesagt : Was sie sagen, das tut, hämlich soweit ihre Worte zu dem göttliChen Gesetz stimmen, wie Hieronymus zu Matthäus Kap. � 3 1 776 über den unmittelbar vorher angeführten Ausspruch Christi äußert. Weiter : Wer euch hört usw. 1 777 in dem, was das göttliche Gesetz gebietet oder verbietet, ist zum Gehorsam verpflichtet ; bei RatsChlägen aber, z. B. dem Fasten, besteht vielleicht1 77 8 10 eine Verpflichtung1779 nur, wenn hierin die Zustimmung aller Gläubigen oder ihres bedeutsameren Teiles auf einem allge­ meinen Konzil dazutritt. § 22 (23) Zu den Äußerungen Bernhards und zunächst zu der in der Schrift an Eugenius ,Zur Erwägung' in B. 2 1 780 : t3 Wer bist du? fragt Bernhard und gibt sich selbst die Ant­ wort : Der gr oße Priester, der höchste Pontifex - ist zu sagen : Wenn er das verstanden haben sollte durch unmittelbare göttliche Ordnung oder durch Gebot des göttlichen Gesetzes, so wäre seine Antwort abzulehnen ; denn dann stünde sie nicht im Einklang mit dem heiligen Kanon und dem, was mit Notwendigkeit in II 16 und II 22 1 781 daraus abgeleitet worden ist. Wenn er aber gemeint haben sollte, dieser Vor20 rang käme ihm zu durch menschliche Wahl oder Einsetzung, so müßte man seine Antwort gelten lassen in dem Sinn, wie das in II 22 1 782 dargestellt worden ist. Wenn er hinzufügt : Du bist der Erste der BisChöfe, so ist das wahr, wenn man den E r s t e n in weiterem Sinne nimmt, d. h. als führend durch die vorhin erwähnte Einsetzung. Wenn man aber den E r s t e n im engeren Sinne nimmt, < d. h. als Herrscher > , so 557 darf man die Äußerung Bernhards niCht gelten lassen ; denn er bestreitet gleichfalls 1 783 dem Eugenius und folglich jedem Bischof die Herrschaft, wie wir aus desselben Bernhards < Schrift > ,An Eugenius' B. 1 , Kap. 5 oben angeführt haben 3 in II 5. 1 7 84 Du bist Erbe der Apostel; das sind auch die anderen Bischöfe, obwohl es der römische vorzugsweise ist in dem Sinn, den wir in II 16 und II 22 1 785 angegeben haben. Du bist an Primat Abel; wahr ist : dazu erhoben, jedoch durch menschliehe Wahl oder aus Ehrerbietung für den, der der Zeit nach der erste Apostel war. An leitender Stellung Noah : 10 wahr ist : durch menschliche Einsetzung unter Klerikern und 1 776 Matth. 23,3 ; vgl. 190, 1-12. 1 777 etc. stört den Zusammenhang und ist daher in Hs. L weggelassen. 5

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

Patriarchatu Abraam : verum est in ministrandis spirituali­ bus tauturn et humana institucione, tarnen omnium patrum spiritualium pater. Ordine Melchisedech : verum est quantum 1 5 ad saeerdoeium, quod figuraturn est per illum de Christo, quomodo et eeteri saeerdotes omnes, non autem quantum ad regnum, quoniam seeundum hoe solum Christum et nullum alium saeerdotem figuravit Melehisedeeh, qui rex simul et saeerdos erat. Nee tarnen Christum figuravit hie quantum ad 20 regnum mundanum, quia nee Christus sie regnare venit aut voluit, ut in 4° huius ostenditur ; sed ille Melchisedech, simul saeerdos et mundanus rex, Christi saeerdocium et celeste regnum, non mundanum, figuravit, et eo minus in aliquo sacerdote vel episcopo ; tale enim regnum negat ab episeopo 2s Romano Bernardus ubi supra et magis expresse. Neque eeiam quantum ad primaturn saeerdocii quemquam alium a Christo figuravit Melchisedech, sed hie primatus in aliis est, ut diximus, ab humana institueione. Dignitate Aaron : 558 verum est quantum ad similitudinem primatus inter saeer­ dotes, differenter tarnen, ut diximus, quoniam Aaron imme­ diata institueione Dei, sed non sie quisquam Romanus aut alter episcopus apostolorum successor. Auctoritate Moyses : s huius oppositum aperte dixit idem ubi supra De Considera­ cione libro 1 °, eapitulo 5°, et libro 3°, eapitulo 1 °. Moyses enim princeps fuit seeundum Iegern eoactivam, ut apparet Actu­ um '7° ; quod Bernardus negavit a quolibet apostolorum suc­ eessore ubi supra. Rursum, Moyses hoe habuit Dei ordina10 eione immediata et super omnem Israel ; Romanus autem epi­ scopus hoe immediate habet humana eoneessione solum et super solos evangelieos sive templorum ministros. ludicatu Samuel: verum est ad similitudinem, differenter tarnen duplieiter : primo quidem, quoniam non immediata D ei ordi1 5 naeione, quemadmodum Samuel ; seeundo, quoniam super solos saeerdotes et reliquos evangelieos inferiores ministros,

11s1 II 4 , 4-7.

1 78 9

Scholz 5 68 Anm. 1 .

Teil li, Kapitel XXVIII

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über Kleriker. An Patriarmenroürde Abraham; wahr ist : nur bei der Spende des Geistlichen, und zwar durch menschliche Einsetzung, doch aller geistlichen Väter Vater. An Rang Melmisedek; wahr ist es, was das Priestertum angeht, in dem 15 er Christus vorbildete, wie auch die anderen Priester alle ; nicht aber, was das Königtum betrifft : denn Melchisedek, d er K önig und Priester zugleich war, hat in dieser Hinsicht Christus allein und keinen anderen Priester versinnbildlicht. Doch hat er hier Christus nicht als weltlichen König versinnbildlicht ; denn Christus ist weder gekommen, in 20 diesem Sinne König zu sein, noch hat er es gewollt, wie in II 4 1 787 gezeigt wird, sondern jener Melchisedek, Priester und weltlicher König zugleich, hat Chri_sti Priester­ tum und h i m m 1 i s c h e s Reich, nicht ein weltliches versinnbildlicht, um so weniger ist es in einem Priester oder Bischof dargestellt ; denn ein solches Reich spricht 25 Bernhard dem römischen Bischof an der oben angeführten Stelle ganz ausdrücklich ab. Denn auch was den Vorrang im Priestertum anlangt, hat Melchisedek niemand anderes als Christus versinnbildlicht, aber dieser Vorrang kommt, wie gesagt, bei anderen aus menschlicher Einsetzung. An Würde < des Amtes > Aaron ; wahr ist das, was die Ähnlich558 keit des Primats unter Priestern anlangt ; in verschiedenem Sinne jedoch, wie gesagt ; denn Aaron < besaß den Vorrang > aus unmittelbarer Einsetzung durch Gott, aber kein rö­ mischer oder anderer Bischof als Nachfolger der Apostel. An Mamtvollkommenheit Moses ; das Gegenteil davon hat < Bernhard > am angeführten Ort ,Zur Erwägung' B. 1, Kap. 5 und B. 3, Kap. 1 1789 gesagt. Denn Moses war Herrscher im Sinne eines zwingenden Gesetzes, wie sich aus der Apostel­ geschichte Kap. 'l ergibt. Das hat Bernhard jedem Nachfolger der Apostel an der oben angeführten Stelle abgesprochen. Ferner, Moses hatte das nach unmittelbarer göttlicher Ord1 0 nung und über ganz Israel ; der römische Bischof aber besitzt das unmittelbar nur durch menschliche Übertragung und allein über die Diener des Evangeliums oder der Kirchen. Dem Rimteramt nam Samuel; wahr ist das, was die Ähnlich­ keit angeht, verschieden jedoch in doppeltem Sinne : erstens : 15 nicht durch unmittelbare göttliche Ordnung wie Samuel ; zweitens : allein über Priester und die anderen niederen

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Samuel autem super omnem populum Israel indifferenter. Potestate Petrus : verum est essenciali et immediate Dei ac­ cione, et sie eeiam quilihet alter episeopus et saeerdos ; pri20 matum tarnen super alias sola humana institueione imme­ diate obtinet quilihet Romanus episeopus, sive hune heatus Petrus hahuerit immediata institueione Dei sive non, sed apostolorum eleeeione, quod eredimus seeundum seripturam, si tarnen hune eeiam sie hahuerit, quemadmodum ostensum 25 est 16° huius. Uneeione Christus : si uneeionem intendat gracie vel spiritus sancti, que datur cum saeerdotali carac­ tere, verum est, quam quilihet saeerdos eeiam suseipit. Si vero per unceionem intelligit primaturn super omnem eccle­ siam immediata Dei, non hominum, institueione, quem Chri559 stus solus hahuit super omnes sacerdotes, ipsius declino sen­ teneiam propter apostolum dieentern oppositum in plerisque seripture locis, quemadmodum ostensum est 16° huius. Quod vero suhdit : Non modo ovium, sed et pastorum tu 5 unus omnium pastor, si intelligeret humana institucione im­ mediate, coneederem ; si autem Dei ordinaeione seu legis divine statuto, quemadmodum videtur intendere, ipsius de­ elino senteneiam, quoniam non est canoniea nec ex eanone 10 per neeessitatem deducta, sed opposita magis. Et eum eam ex canone nititur astruere, suhiungens : Unde id probem queris ? Ex verbo Domini: 'Si me amas, Petre, pasee oves meas'. Cui enim, inquit, non dico episcoporum, sed eciam apostolorum, sie absolute et indiscrete tote eommisse sunt 1 5 oves ? Cui non planum, non designasse aliquas, sed assignasse oves ? Nihil exeipitur, ubi distinguitur nihil: dicendum, et eum revereneia semper, quod miranda est interrogacio hec, qua querit, eui apostolorum, non modo dieit episeoporum, sie

1790 1791 1792 1 793 1 794

W eleccio.

Vo (Konjunktionen ; si tarnen) . II 16, 10 (346,8 ff.) ; vgl. II 22, 14. II 16, 3-4. Oben 526,24 ff. stehen die Sätze in der richtigen Reihenfolge.

Teil II, Kapitel XXVIII

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Diener des Evangeliums ; Samuel aber über das ganze Volk Israel ohne Unterschied. An Gemalt Petrus; wahr ist : an wesentlicher Gewalt und unmittelbar durch Einwirkung Gottes, und so auch jeder andere Bischof oder Priester. Einen Vorrang über die anderen hat aber jeder rö20 mische Bischof inne allein durch menschliche Einsetzung unmittelbar, mag ihn der selige Petrus gehabt haben infolge unmittelbarer Einsetzung durch Gott oder nicht, vielmehr durch Entscheidung1790 der Apostel, was wir nach der Schrift glauben, doch nur dann1 791, wenn er ihn in dem Sinne gehabt 25 haben sollte, wie in II 16 1 792 gezeigt worden ist. An Salbung Christus; wenn er darunter verstehen sollte : Salbung mit < göttlicher > Gnade oder dem heiligen Geist, die mit dem Priestercharakter erteilt wird, so wäre das wahr; diese Salbung erhält freilich jeder Priester auch. Wenn er aber unter Salbung versteht einen Primat über die ganze Kirche infolge unmittelbarer Einsetzung durch Gott, nicht durch 559 Menschen, den Christus allein über alle Priester besessen hat, so lehne ich seine Meinung ab unter Berufung auf den Apostel, der das Gegenteil an sehr vielen Stellen der Schrift sagt, wie in II 1 6179 3 gezeigt worden ist. Er fügt nun hinzu : Nimt nur für die Smafe, sondern 5 aum für die Hirten bist du der einzige Hirt aller; wenn er meinte : in folge menschlicher Einsetzung unmittelbar, so würde ich es zugeben ; wenn aber : infolge göttlicher An­ ordnung oder einer Festsetzung im göttlichen Gesetz, wie er anscheinend meint, so würde ich seine Ansieht ablehnen ; sie ist nicht kanonisch noch aus dem Kanon mit Notwendigkeit 10 abgeleitet, sondern widerspricht ihm vielmehr. Wenn er sie mit dem Kanon zu stützen sucht und hinzufügt1794 : Woher im das beweise, fragst du ? Aus einem Wort des Herrn : ,Wenn du mim liebst, Petrus, meide meine Smafe. ' Denn roem, fährt er fort, iCh sage nimt : von den Bismöfen, sondern aum von den Aposteln, sind so absolut· und untersmiedslos alle Smafe anvertraut morden? Wem ist nimt klar, daß er nimt einige 15 bezeimnet, sondern < alle > Smafe ihm zugemiesen hat ? NiChts roird ausgenommen, roo nimts untersmieden roird ­ so ist zu sagen, und < zwar> immer mit Ehrerbietung : Selt­ sam ist diese Frage, roem von den Aposteln, nimt nur, fügt er hinzu, von den BisChöfen, so absolut und ohne Unterschied

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absolute et indistincte tote commisse sunt oves. Dico, quod omnibus apostolis communiter et divisim. Unde id probem queritis ? Ex verbo Domini evidencius quam ipse. Nam Mat­ thei ultimo et omnium quasi preceptorum novissime dixit Christus ad apostolos omnes : Euntes ergo docete omnes gentes etc. Evidencius autem dico, quoniam Iohannis 2 1 ° 2 5 dixit : Pasce oves, nec addidit : omnes. Certurn est autem, quod plures comprehendit oves, qui omnes tradit universa­ liter, quam qui solum indiffinite dicens : Pasce oves. Propter quod, rursum cum reverencia, videtur scriptura, quam in560 ducit Bernardus, aliam et magis scripture convenientem interpretacionem recipere, quam supra tetigimus parte nona, nec repetere piget. Nam Christus Matthei 1 5° dixisse legitur : Non sum missus, nisi ad oves que perierunt domus Israel. 5 Quod siquidem oraculum iuxta sanetarum interpretaciones debet intelligi : Non quidem, ut inquit Ieronymus, quin et ad gentes missus, sed quod primum ad Israel missus est etc. Remigius vero et magis ad propositum et litere consonum : Specialiter missus est ad salutem Iudeorum, ut eciam cor1 0 porali presencia eos doceret. Quamvis ergo secundum sane­ tarum exposicionem Christus missus fuerit ad salutem omni­ um, specialiter tarnen et primum ad salutem Iudeorum, sicut eciam sonant verba Christi secundum Mattheum, dum dixit : 15 Non sum missus, nisi ad oves etc. Has igitur oves inter ceteras sibi appropriavit, cum subdit : Que perierunt domus israel; et quoniam hic populus semper fuit dure cervicis, ut apparet Exodi 32°, et prophetarum occisor, ut veritas met dixit Luce 1 3°. Petrum vero quoniam Christus noverat constanci20 orem fide ac caritate sui et proximi fervenciorem, eidem sin­ gulariter has oves recommendavit, dum dixit : Si amas me, pasce oves meas, id est : insiste specialiter ad docendum populum Israel. Signat autem hoc verum esse, quod scribitur 20

1 795 1 797 1 799 1801

Matth. 28, 19. 539, 12-16. Scholz 560 Anm. 2. 2. Mos. 32,9.

1 796 1 798 18oo 1802

Joh. 21, 15-17. Matth. 15,24. Scholz 560 Anm . 3. Luk. 1 3,34.

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alle SChafe anvertraut morden seien. Ich antworte : allen Aposteln gemeinsam und im einzelnen. Woher ich das be­ weise, fragt ihr ? Aus einem Wort Gottes, und zwar ein­ leuchtender als er. Denn bei Matthäus im letzten Kapitel 1 795 und fast ganz zuletzt von allen Geboten hat Christus zu allen Aposteln gesagt : Gehet also hin und lehret alle Völker usw. ; einleuchtender aber ist, was ich sage ; denn bei Johan­ nes im 2 1 . Kap.1796 hat er < nur > gesagt : Weide die Schafe, und hat nicht hinzugefügt : alle. Sicherlich aber meint die gröBere Zahl, wer alle ganz allgemein übergibt, als wer nur unbestimmt sagt : Weide die Schafe. Deswegen - wieder mit Ehrerbietung - scheint die Schriftstelle, die Bernhard heranzieht, eine andere und der Schrift angemes­ senere Deutung zuzulassen, die wir oben in § 91797 berührt haben und nicht ungern wiederholen. Denn Christus hat bei Matthäus im 1 5 . Kap. 1798, so liest man, gesagt : Im bin nur ge­ sandt zu den v erlorenen Schafen vom Hause Israel. Dieser Ausspruch ist nach den Erklärungen der Heiligen zu ver­ stehen : nicht so, daß er nicht auch zu den Heiden gesandt märe, sondern < nun , daß er zuerst zu Israel gesandt ist usw., wie Hieronymus1799 äu.flert. Remigius1 800 aber bemerkt in engerer Beziehung zum Thema und mit dem Buchstaben in Einklang : Im besonderen ist er gesandt zum Heil der Juden, um auch durch seine leibliehe Gegenmart sie zu belehren. Mag also Christus nach der Auslegung der Heiligen zum Heil aller gesandt sein, so doch im besonderen und in erster Linie zum Heil der Juden, und so lauten auch die Worte Christi bei Matthäus ; er hat nämlich gesagt : Im bin gesandt nur zu den Schafen usw. Diese Schafe hat er also unter den anderen sich zum Eigentum erwählt ; denn er fügt hinzu : den ver­ lorenen vom Hause Israel. Nun war dieses Volk immer hals­ starrig, wie aus dem Exodus Kap. 32 1801 hervorgeht, und war Mörder der Propheten, wie die Wahrheit bei Lukas im 1 3. Kap. 1802 selbst gesagt hat ; Christus aber kannte den Petrus als den Standhaftesten im Glauben und den Leiden­ schaftlichsten in der Liebe zu ihm und zum Nächsten. hat er ihm besonders diese Schafe anvertraut mit den Worten : Wenn du miCh liebst, meide meine Schafe, d. h., setze dich besonders dafür ein, das Volk Israel zu belehren. DaR diese Auffassung richtig ist, beweist, was im Galaterbrief

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ad Galatas 2° : Cum vidissent, quod creditum est mihi evangelium prepucii, sicut Petro circumcisionis etc. Nec aliunde per evangelium posset dieturn apostoli confirmari. Et rursum : Dextras dederunt mihi et Barnabe societatis, ut nos in gen­ tes, ipsi vero in circumcisionem, id est ad Iudeos. Non igitur ex hoc quod dixit Christus : Pasce oves meas, beato Petro gene­ 561 raliorem curam commisit, imo specialiorem alicuius populi. Ea enim, quam •:· dedit'' omnibus apostolis Matthei ultimo et Iohannis 20°, dum dixit : Euntes ergo docete omnes gentes etc., et : Accipite spiritum sanctum, et quarum remiseritis pec­ 5 cata, remittuntur etc., nulla generalior esse potest. Hiis enim verbis auctoritatem et curam pastoralem acceperunt omnes apostoli et ad omnes indifferenter, quemadmodum eciam 1 0 dixit Augustinus, De Questionibus Novi Testamenti, que­ stione 94•, et supra induximus 1 6° huius. Quam eciam, dicat Bernardus, generaliorem curam commisit Christus alicui ea quam Paulo Actuum 9°, dum dixit : Vas eleccionis est mihi ille, ut portet nomen meum coram gentibus et regibus et filiis Israel ? 15 Et quod infra suhdit Bernardus : Inde est, quod alii sin­ guli singulas sortiti sunt plebes, apparet scripture dissonum, nec id consentit series epistolarum Pauli, neque posset ex scriptura convinci, sed oppositum, ut pridem ostendimus. Et 20 quod infra subiungit : Ergo iuxta canones tuos, alii in partem sollicitudinis etc., si intellexerint immediata institucione Dei, ipsorum dicta declino, tarn scilicet Eugenii scripturam, quam sibi consencientis Bernardi, eo quod canonice non sunt nec vocari debent, nisi scripture de quibus diximus 19° huius, et 25 quoniam oppositum eius quod dicunt sepe probavimus per 25

1803 1804 180 5 18o o 1 8o1 1808 180 9 1810 1811

Gal. 2, 7. Gal. 2,9. Matth. 28, 1 9 ; J oh. 20, 22-23. Scholz 561 Anm. 2. II 16, 8 (344, 2 1 -26) . Acta 9,15. Scholz 561 Anm. 4; vgl. 446, 8-1 1 und Scholz 446 Anm. 1. 527,8. II 19, 1-7.

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im 2. K ap. 1803 geschrieben steht : Als sie sahen, daß mir das Evangelium für die Unbesdmittenen anvertraut ist roie dem Petrus für die Beschnittenen usw., und aus keiner anderen Stelle könnte das Wort des Apostels durch das Evangelium bestätigt werden. Ferner1 804 : Die Remte gaben sie mir und dem Barnabas < zum Zeidten > der Gemeinsmaft, roir sollten zu den Heiden < gehen > , sie aber zu den Be­ schnittenen, d. h. zu den Juden. Also hat Christus mit den Worten : Weide meine Smafe dem seligen Petrus nicht die Seelsorge für ein weiteres Gebiet anvertraut, sondern viel­ mehr für ein engeres, für ein bestimmtes Volk. Denn keine kann umfassender sein als die, die er allen Aposteln bei Matthäus im letzten Kapitel und bei Johannes im 20. Kap. 180 5 gegeben hat mit den Worten : Gehet also hin und lehret alle Völker usw. und N ehmef hin den heiligen Geist, und deren Sünden ihr erlaßt, denen sind sie erlassen usw. Durch diese Worte haben nämlich alle Apostel die Machtvollkommenheit und die Seelsorge erhalten, und das gegenüber allen Men­ schen ohne Unterschied ; so hat auch Augustin sich geäußert < in der Schrift > ,Fragen des N euen Testamentes', Frage 941806 ; wir haben das oben in II 16 1807 angeführt. Welche noch um­ fassendere Seelsorge, soll Bernhard sagen, hat Christus einem anvertraut als dem Paulus in der Apostelgeschichte im 9 . Kap. 1808 mit den Worten : Dieser ist mir ein auserwähltes Gefäß, zu tragen meinen Namen vor die Heiden und vor die Könige und die Söhne Israels ? Was Bernhard weiter hinzufügt1 809 : Daraus ergibt sim, daß der eine dieses, der andere jenes Volk bekommen hat, erweist sich als nicht im Einklang mit der Schrift : Weder stimmt damit der Wortlaut der Briefe des Paulus überein, noch könnte es aus der Schrift bewiesen werden, sondern das Gegenteil, wie wir oben gezeigt haben. Unten fügt er hinzu : Also nach deinen Canones1810 sind die einen zum Anteil an der Sorge < berufen > usw. ; wenn damit beide gemeint haben sollten : infolge unmittelbarer Einsetzung durch Gott, so müßte ich ihre Äußerung ablehnen, die Schrift des Eugenius wie die des ihm zustimmenden Bernhard ; denn sie sind nicht kanonisch - so dürfen nur d i e Schriften heißen, von denen wir in II 191811 gesprochen haben -, und wir haben ja das Gegenteil dessen, was sie behaupten, oft aus der

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scripturam. Si vero intellexerint humana institucione immediate plenam illam potestatem, id est ecclesiarum curam universalem, secundum quem modum diximus 22° huius, concedimus eius dictum. Et rursum quod addit : Aliorum potestas certis artatur limitibus; tua extenditur et in ipsos qui potestatem super 5 alios acceperunt. Nonne si causa extiterit, tu episcopo celum claudere, tu ipsum etc., dicendum, ut prius, quod Dei ordi­ nacione immediata non plus habet Romanus episcopus aut quivis alter auctoritatis in reliquos, quam econverso. Non 10 enim ex crimine potest Romanus episcopus alium episcopum excommunicare vel deponere auctoritate sibi per Christum immediate collata magis quam econverso, ut 15° et 16° huius per scripturam ostensum est et pridem eciam repetitum. Si vero intelligat Bernardus hunc primaturn ab humana con15 cessione immediate, tune illum habet super reliquos epi­ scopos in spiritualibus ministrandis et ordinandis, qui sibi per generale concilium concessus fuerit, et in temporalibus eum qui eidem super reliquos per mortalem legislatorem con­ cessus extiterit. 20 Et quod additur ultimo quantum ad hanc oracionem : Stat ergo inconcussum privilegium tuum tibi etc., dicendum, quod verum est ; nam potestatem ligandi et solvendi homines a peccatis ipsosque docendi et sacramenta legis eterne salutis ministran di potestatem habet Romanus episcopus, et sie lege 25, divina quilibet alter episcopus et sacerdos. Si vero per privi­ legium intelligat Bernardus primaturn aliquem Romano epi­ scopo lege divina seu Dei ordinacione immediata super reli­ quos episcopos debitum, eius velu t prius et propter assignatas causas declino sentenciam. 30 § 23. Ad aliam vero eiusdem Bernardi oracionem, qua libro et capitulo 4° ad eundem Eugenium innuere videtur, ad Romanum episcopum pertinere iurisdiccionem coactivam, 18 12 II 22, 4-6. t 81a 18 15 I1 15, 7- 1 0 ; I1 16, 18 1 7 18 1 6 52 7 , 13-15.

1 81 4 56 1 , 1 9-25. 527, 9-13. 8 ; vgl. I 1 22, 4-5. 527,21 ff.

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Schrift bewiesen. Wenn sie aber jene Vollgewalt, d. h. die universale Sorge für die Kirchen, als aus menschlicher Ein­ setzung unmittelbar verstanden haben sollten, wie wir in II 22 1812 angegeben haben, so lassen wir ihr Wort gelten. Ferner, wenn er hinzufügt : Die Gemalt der anderen ist durch bestimmte Grenzlinien eingeschränkt, die deine dehnt sich 5 auch auf die aus, die Gemalt über andere erhalten haben. Kannst du nicht, menn ein Grund vorliegt, einem Bischof den Himmel verschließen usw. ? 1813, so ist zu sagen wie vorhin 1814 : Nach unmittelbarer göttlicher Ordnung hat der römische Bischof oder jeder andere nicht mehr Machtvollkommenheit den anderen gegenüber als umgekehrt. Denn der römische 10 Bischof hat nicht mehr Recht, wegen eines Verbrechens einen anderen Bischof zu exkommunizieren oder seiner Macht­ vollkommenheit zu entkleiden, die ihm Christus unmittelbar verliehen hat, als umgekehrt, wie in II 15 und II 16 181 5 aus der Schrift nachgewiesen und soeben auch wiederholt worden ist. Wenn aber Bernhard meinen sollte, dieser Vorrang stamme aus menschlicher Übertragung unmittelbar, dann besitzt der t5 römische Bischof einen Primat über die anderen Bischöfe im geistlichen Bereich, in dessen Verwaltung und Leitung, wie ihn ein allgemeines Konzil, und im weltlichen einen, wie ihn der menschliche Gesetzgeher ihm über die anderen zu­ gesprochen hat. Wenn letztens 1816 , was diese Darlegung angeht, hinzuge­ 20 fügt wird : Es steht also unersChütterlich für diCh dein Privi­ leg fest usw., so ist zu sagen : Das ist wahr ; denn die Gewalt, die Menschen zu hinden und von ihren Sünden zu lösen und sie zu belehren, und die Gewalt, die Sakramente des Gesetzes des ewigen Heils zu spenden, hat der römische Bischof und ebenso nach göttlichem Gesetz jeder andere Bischof und 2 5 Priester. Wenn aber Bernhard unter Privileg einen Vorrang versteht, der dem römischen Bischof nach göttlichem Gesetz oder unmittelbarer göttlicher Ordnung über die anderen Bischöfe zustehe, so lehne ich wie früher aus den fest­ gestellten Gründen seine Ansicht ab. 30 § 23 (24) Auf die andere Äußerung Bernhards in derselben Schrift ,An Eugenius' in B. 4, Kap. 4181 7, mit der er nahezulegen scheint, dem römischen Bischof komme eine zwingende

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quam sub metaphora temporalem gladium appellavit, non modo super clericos, verum eciam super laicos, cum dixit : Quem tamen, gladium scilicet, qui tuum negat, non satis mihi videtur attendere verbum Domini etc., et in fine con­ 5 cludens inquit : Uterque ergo ecclesie et spiritalis scilicet gladius et materialis etc. : cum reverencia nec minus cum admiracione dicendum, quod idem ipse Bernardus sibi de hac materia dissone, quinimo contrarie pronunciavit aperte ; 10 inquit enim de hac auctoritate seu potestate loquens ubi supra immediate : Quid tu denuo, papa scilicet, usurpare gladium temptes, quem semel iussus es reponere in vaginam ? Constat autem, quod quis usurpat, ad suam auctoritatem minime pertinere. 15 § 24. Sed dicet Bernardus aut eius interpres, iuxta id quod [dixit] in fine sermonis huius, quod quamvis auctoritas iam dicta ad sacerdotem pertineat, tarnen execucio per ipsum fieri non debet, quod exerere materialem gladium dixit. Verum responsio hec non est ad intencionem scripture. Non 20 solum enim hanc gladii materialis extraccionem Christus a se negavit, verum eciam et iudicium illud atque preceptum de illo exerendo, dum dixit Luce 1 2° petenti ab ipso tale iudi­ cium : Homo, quis me constituit iudicem aut divisorem super vos ? Quod verbum cum quibusdam aliis tarn Christi, quam 25 apostolorum tractans Bernardus ad Eugenium De Consi­ deracione libro 1°, capitulo 5°, et supra induximus 5° huius, sie ipsum exponentis in hoc loco interpretacionem interimit. Inquit enim ad eundem papam : Audi apostolum, quid de huiusmodi, auctoritate scilicet temporalia iudicandi, senciat, et est 1• ad Corinthios 6° : 'Sie non est sapiens inter vos', ait 564 563

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Luk. 12,14. Scholz 563 Anm. 2. II 5 , 2-3 ( 1 ?9,18 ff. und 1 8 1 , 1 0 ff.) . § 23. 563,14. 1 8 1 , 1 0 ff. 1 . Kor. 6, 4-5.

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Rechtsprechung zu, die er mit einem Bilde zeitliChes SChwert genannt hat, nicht nur über Kleriker, sondern auch über Laien, als er erklärt hat : Wer jedoCh behauptet, es, dieses Schwert, 5 sei niCht dein, sCheint mir niCht genügend das Wort des Herrn zu beaChten usw., und am Ende daraus schließend : Also ge­ hören beide der KirChe, das geistliChe SChwert und das mate­ rielle 1818 - darauf ist mit Ehrerbietung und nicht weniger mit Befremden zu entgegnen : Dieser seihe Bernhard hat sich über diese Frage ganz anders, ja vielmehr in klar entgegengesetztem Sinne ausgesprochen ; von dieser Vollmacht oder Gewalt sagt 10 er nämlich an der oben angeführten Stelle unmittelbar darauf : Warum solltest du, der Papst, von neuem das SChwert dir anzueignen 1819 versuChen, das in die SCheide zurückzu­ stecken dir einmal befohlen morden ist ? Es steht aber fest : Was einer sich aneignet, untersteht durchaus nicht seiner Befugnis. § 24 Aber Bernhard oder sein Erklärer wird einwenden, 15 nach der Bemerkung am Schluß dieser Ausführungen stehe zwar dem Priester die eben erwähnte Befugnis zu, aber er dürfe das Urteil nicht vollstrecken, < d. h. > das materielle Schwert nicht ziehen, wie er das nennt ; aber diese Antwort entspricht nicht der Ansicht 1820 der Schrift. Denn nicht nur 20 das materielle Schwert zu ziehen, hat Christus von sich ge­ wiesen, sondern auch jenes Urteil und den Befehl dazu ; er hat nämlich zu einem, der von ihm ein solches Urteil erbat, bei Lukas im 12 Kap.1 821 gesagt : MensCh, roer hat miCh zum RiChter oder Erbteiler über euCh gesetzt ? Als B ernhard dieses Wort mit einigen anderen Worten Christi wie der Apostel 25 behandelt in der Schrift an Eugenius ,Zur Erwägung' B. 1, Kap 51822 - wir haben < seine Äußerung > oben in li 51 823 ange­ führt -, macht er eine Auslegung unmöglich, die ihn an unse­ rer Stelle1824 so auffaßt < wie der obengenannte Interpret > . 182 5 Er sagt nämlich1 826 zu demselben Papst : Häre den Apostel, roas er über derartige < Fragen > denkt - die Befugnis, in zeit­ lichen Dingen zu richten ; es steht im 1. Korintherbrief im 564 6. K ap.182 7 : ,So gibt es also < wirkliCh > keinen klugen Mann unter 563

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V gl. II 27, 12. Vgl. dagegen usurpare 527,23. W intencio.

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ille, 'qui iudicet inter fratrem et fratrem'. Et infert: 'Ad ignominiam vobis dico, contemptibiliores qui sunt in ecclesia, illos constituite ad iudicium.' ltaque secundum apostolum indigne tibi usurpas tu apostolicus officium vile, gradum contemptibilium ; attende, quod de officio loquitur, non de execucione. Unde et dicebat episcopus, Paulus scilicet, epi­ scopum instruens, Timotheum videlicet : 'Nemo militans Deo, implicat se negociis secularibus.' Ego autem parco tibi. Non enim forcia loquor, sed possibilia. Putasne hec tempora sustinerent, si hominibus litigantibus pro terrena hereditate et /lagitantibus abs te iudicium, voce Domini responderes : 0 homines, quis me constituit iudicem super vos ? In quale mox iudicium tu venires ? Quid diceret homo rusticanus et imperitus ? lgnoras primaturn tuum, inhonoras summam et preexcelsam sedem, derogas apostolice dignitati. Et tarnen non monstrabunt, puto, qui hoc dicerent, ubi aliquando quispiam apostolorum iudex sederit hominum, aut divisor terminorum, aut distributor terrarum. Stetisse denique lego apostolos iudicandos, sedisse iudicantes non lego. Erit illud, non fuit. Itane imminutor est dignitatis servus, si non vult esse maior domino suo, aut discipulus, si non v ult esse maior eo, qui se misit, aut filius, si non transgreditur terminos quos posuerunt patres sui? 'Quis me constituit iudicem', ait ille magister et dominus, et erit iniuria servo discipuloque, nisi iudicet universos ? Non solum ergo removet Bernardus, qui­ nimo verius Christus et apostoli, a suis successoribus, sacer­ dotibus et episcopis, execucionem secularis iudicii, verum eciam officium sive auctoritatem de talibus iudicandi. Propter quod infra subiungit idem : Habent hec infima et terrena iudices suos, reges et principes terre. [Quid fines alienos invaditis ?] Quid falcem vestram in alienam messem exten­ ditis ? 1828 Vgl. Anm. 144. 182 9 528, 4-5 war dem Priester die richterliche Entscheidung zugestan­

den, nicht die Vollstreckung. Nach dieser Stelle kommt dem Priester auch die richterliche Entscheidung nicht zu ; vgl. 563, 1 6 ; 564,25-565,2. 18 3 0 beim J üngsten Gericht, vgl. 238,19. 18 3 1 1 80, 1-4.

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euCh', sagt er, ,der riChten könnte zwisChen Bruder und Bru­ der ?' Und er fährt fort: ,Zur BesChämung sage iCh euCh das ; die in der Gemeinde gering geaChtet sind, die setzt ihr als RiChter ein. ' 1828 Daher verlangst du für dich - naCh der Meinung des Apostels zu deiner Unehre -, du Nachfolger des Apostels, ein minderwertiges Amt, den Rang der gering Ge­ addeten. Beachte, daR er von einem Amt spricht, nicht von der Vollstreckung. 1829 Daher hat auCh ein Bischof, Paulus, bei der Vntenveisung eines BisChofs, des Timotheus, gesagt: ,Kein Streiter für Gott verwickelt siCh in weltliChe GesChäfte.' ICh aber sdwne dich; denn niCht große Töne rede iCh, sandem von dem, was mögliCh ist. Glaubst du, diese Zeiten würden es er­ tragen, wenn du MensChen, die wegen eines irdisChen Erbes prozessieren und von dir ein Urteil verlangen, mit dem Wort des Herrn antwortetest : Ihr MensChen, wer hat miCh zum RiChter über euCh gesetzt? In was für einen Ruf würdest du bald kommen/ Was würde ein ungebildeter Bauer sagen ? Du verkennst deinen hohen Rang, du entehrst deinen hohen und erhabenen Stuhl, du tust der apostolisChen Würde Ab­ bruCh. Und doCh wird, wer so reden sollte, niCht naChweisen, wo einmal ein Apostel zu GeriCht gesessen hat über MensChen wegen Feststellung von Grenzen oder wegen Teilung von Land. EndliCh, daß Apostel vor GeriCht gestanden haben, lese idt; daß sie zu GeriCht gesessen hätten, davon lese iCh niChts. Das wird einmal sein1 830, aber gewesen ist es niCht. SChmälert denn ein KneCht seine Würde, wenn er niCht größer sein will als sein Herr, oder ein jünger, wenn er niCht größer sein will als der, der ihn gesandt hat, oder ein Sohn, wenn er die Gren­ zen niCht übersChreitet, die seine Väter gesetzt haben ? ,Wer hat miCh zum Richter gesetzt ?' sagt der Meister und Herr. Und dem KneCht und dem jünger sollte UnreCht gesChehen, wenn er niCht die ganze MensChheit richtete ? Bernhard, .Ta richtiger Christus und die Apostel, verbieten also ihren Nach­ folgern, den Priestern und Bischöfen, nicht nur die Voll­ streckung eines weltlichen Urteils, sondern auch das Amt oder die Befugnis, über dergleichen zu richten. Deswegen fügt Bernhard unten hinzu 18 3 1 : Diese niedrigsten und irdisChen < Dinge > haben ihre RiChter: die Könige und Fürsten der Erde. Warum dringt ihr in fremdes Gebiet ein ? Warum legt ihr eure SiChel an eine fremde Ernte ?

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Hane rursum senteneiam repetit et eonfirmat libro 2°, eapitulo 4°, et supra induximus 5°, 1 1° et 24° huius. Ubi ad propositam intencionem sie inquit : N umquid dominaeionem, supple : reliquit apostolus Petrus suceessoribus suis ? Audi ipsum, Petrum videlieet : 'Non dominantes', ait, 'de clero, sed forma fa.cti gregis'. Et ne dieturn sola humilitate putes, ne 1 0 eeiam veritate, vox Domini est in evangelio : 'Reges geneium dominantur eorum, et qui potestatem habent super eos, benefiei voeantur'. Et infert: 'Vos autem non sie'. Planum est: apostolis interdieitur dominatus. I ergo tu, et tibi usur­ pare aude aut dominus apostolaturn aut apostolieus domi15 natum. Plane ab utroque prohiberis, supple : simul habendo ; et hoc est quod subdit idem Bernardus : Si utrumque [simul] habere voles, perdes utrumque. Alioquin non te exeeptum illorum numero putes, de quibus queritur Deus sie : 'lpsi regnaverunt et non per me: prineipes extiterunt, et non eognovi eos.' 20 Amplius eandem profert sentenciam in epistola quadam Ad Archiepiseopum Senonensem, ubi sie inquit : Hee isti, suggestores inobedieneie seilicet, Christus aliter et iussit et gessit. 'Reddite', ait, 'que sunt Cesaris Cesari, et que sunt 25 Dei, Deo'. Quod ore loeutus est, mox opere implere euravit. 566 Conditor Cesaris Cesari non eunetatus est reddere eensum. Exemplum enim dedit vobis, ut et vos ita faciatis. Quando vero Dei saeerdotibus debitam negaret revereneiam, qui hane quoque seeularibus potestatibus exibere euravit? Noluit ergo Christus prineipibus huius seeuli temporaliter 5 dominari, sed subiei et debitum illis eensum atque reveren­ ciam reddere, id faeiendi eunctis eius successoribus, apo­ stolis primum, deinde saeerdotibus et episeopis, prebens exemplum. 5

1834 vgl. Anm. 142. 183s Vgl. II 4, 1 3 ; 9, ?; 24,8. 18 36 Scholz 565 Anm. 2 ; vgl . 1 69,25-1 ?0,?.

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Diese Meinung wiederholt und bestätigt er ferner in B. 2, Kap. 4 1 83 2 - wir haben < die Stellen > oben in I I 5, II 1 1 und II 24 1 833 angeführt. Dort sagt er zu unserem Thema : Etroa Herrschaft - ergänze : hinterließ der Apostel Petrus seinen Nachfolgern ? Höre ihn selbst, den Petrus : ,Nicht als Herren über den Klerus' 1834 , sagt er, ,sondern als Vorbilder für die Herde.' Damit du nicht glaubst, es sei aus bloßer Demut 1 0 gesagt, nicht auch im Ernst, so steht im Evangelium das Wort des Herrn : ,Die Könige der Völker herrschen über sie, und die Gemalt haben über sie, lassen sich ihre Wohltäter nennen', und er fährt fort: ,Ihr aber nicht so.' Es ist offenbar : Den Aposteln roird die Herrschaft untersagt. Geh also und roage, dir entweder als Herrscher das Apostolat oder als Nachfolger des Apostels die Herrschaft anzumaßen. Klar wirst du an 15 beidem gehindert - ergänze : sie zugleich zu haben ; und das ist es, was Bernhard hinzufügt : Wenn du beides zugleich haben willst, so wirst du beides verlieren. Sonst glaube nicht, du seiest ausgenommen aus der Zahl derer, über die Gott klagt: ,Sie haben als Könige geherrscht und nicht durch mich; sie sind als Fürsten aufgetreten, und ich habe sie nicht gekannt.' 1835 20 Weiter äußert er dieselbe Meinung in einem Brief ,An den Erzbischof von Sens' mit den Worten1836 : Das tun diese - die mit ihren Einflüsterungen zum Ungehorsam verführen, Chri­ stus hat anders geboten und gehandelt. , Gebt, sagt er, dem Kaiser, roas des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. ' Sein 25 Wort hat er alsbald zur Tat werden lassen. Der Begründer < der Macht > des Kaisers hat dem Kaiser ohne Zögern Steuer 566 gezahlt. Ein Vorbild hat er euch gegeben, daß auch ihr so handeln sollt. Wann aber hätte er den Priestern Gottes die schuldige Ehrfurcht verweigert, der sie auch den weltlichen Mächten hat erweisen lassen ? Christus wollte also nicht über die Fürsten dieser Welt im zeitlichen Sinne herrschen, son5 dern sich unterordnen, ihnen die schuldige Steuer und Ehr­ erbietung leisten ; damit gab er allen seinen Nachfolgern, den Aposteln zuerst, dann den Priestern und Bischöfen, ein Vor­ bild, es ihm nachzutun. 5

1 83 2 1 833

Scholz 565 Anm. 1 .

II 4, 13 (1 77,4) , nicht II 5 ; II 1 1 , 7 (262,8) ; II 24,8 (456,26 ff.) .

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Adhuc expressius eandem sentenciam infra subiungens ait : Quid igitur vos, o monadä, sacerdotum gravat auc­ toritas ? Metuitis infestacionem ? Sed si quid patimini propter iusticiam, beati. Secularitatem contempnitis ? id est prin­ cipantes in seculo. Sed secularior nemo Pilato, cui Dominus astitit iudicandus. 'Non haberes', inquit, 'in me potestatem, 1 5 nisi tibi data esset desuper'. I am tune per se loquebatur et in se experiebatur, quod post per apostolos clamavit in eccle­ siis : 'Non est potestas nisi a Deo', et: 'Qui resistit potestati, Dei ordinacioni resistit'. Ite nunc ergo resistere Christi vicario, 20 cum nec suo adversario Christus restiterit; aut dicite, si aude­ tis, sui presulis Deum ordinacionem nescire, cum Romani presidis potestatem Christus quoque super se fateatur fuisse celitus ordinatam. Usurpat ergo episcopus alienum officium, et in alienam messem falcem extendit, dum se iudicio secu25 larium actuum ingerit inter homines, cuiuscumque condi­ cionis existant. Et quod addit Bernardus in premissa instancia : Quem tamen qui tuum negat, non saiis mihi videtur attendere ver­ bum Domini etc., dico, quod nullus quem viderim aut audiverim id negavit aut negare pofest expressius, ut ex ipsius preinductis oracionibus liquet. Quibus eciam adiungendum, cum reverencia semper, convenienciorem esse aliorum sane­ tarum exposicionem super hunc locum. Fuit enim, ut omnes 5 concordant, locucio Christi metaphorica, dum dicentibus discipulis : Ecce duo gladii, respondit Dominus : Satis est. Unde Chrysostomus : Et quidem si humano volebat eos uti presidio, nec centum sufficerent gladii. Quod si nolebat eos uti humano subsidio, eciam duo supervacui sunt. Unde ap1 0 paret verbarum Christi sensum fuisse misticum, quod eciam signat manifeste ipsius sermo, dum Matthei 26° et lohannis 18° 10

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1837 18 38 18 3D 1840

Vgl. 184,9 ff. u. Scholz 566 Anm. 1 .

d . h. der Obrigkeit. wie Paulus. Scholz 567 Anm. 1 .

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Noch nachdrücklicher bringt er dieselbe Meinung später und sagt 18 37 : Warum bedrüCkt euCh also, ihr MönChe, die Autorität der Priester ? Fürchtetihr Anfeindung ? Aber roenn ihr etroas leidet um der GereChtigkeit roillen, so seid ihr selig. WeltliChe MaCht veraddet ihr, d. h. die Fürsten in der Welt ? Aber weltliCher roar niemand als Pilatus, vor dessen Gericht der Herr trat. ,Du hättest keine MaCht über miCh', sagt er, 15 ,roenn sie dir niCht roäre gegeben von oben her.' Schon damals erklärte er für seine Person und zeigte an seinem Vorbild, roas er naChher durCh die Apostel in den Gemeinden laut v erkünden ließ : ,Es gibt keine Gemalt außer von Gott ­ roer der Gemalt sieh widersetzt, roidersetzt sieh Gottes Ord­ nung. ' Geht also jetzt, euCh Christi Stellvertreter 1838 zu wider­ setzen, roährend Christus sieh niCht einmal seinem Gegner 20 roidersetzt hat; oder, roenn ihr den Mut habt, so behauptet, Gott misse von der Einsetzung seines Bischofs niChts, roäh­ rend doCh aueh1839 Christus bekennt, die Gemalt des römi­ sChen Statthalters über ihn sei vom Himmel verordnet. Der Bischof maflt sich also ein fremdes Amt an und legt seine Siehel an eine fremde Ernte, wenn er sich zum Richteramt 2 5 über weltliche Streitsachen unter Menschen drängt, welchem Stande sie auch angehören mögen. Wenn Bernhard in dem vorausgeschickten Ein wand hinzu­ setzt : Wer jedoCh behauptet, dieses < Sehroert > sei niCht dein, sCheint mir nicht genug das Wort des Herrn zu beaChten usw., so sage ich : keiner von allen, die ich gesehen oder gehört habe, 567 hat das nachdrücklicher bestritten oder kann es nachdrück­ licher bestreiten < als Bernhard selbsb , wie aus seinen vorhin zitierten Ausführungen hervorgeht. Dem ist noch hinzuzu­ fügen (immer mit Ehrerbietung) , die Auslegung der anderen Heiligen zu dieser Stelle sei angemessener. Es war nämlich 5 darüber sind alle einig - eine bildliehe Redeweise, wenn Christus seinen Jüngern auf die Worte : Hier sind zroei Sehroerter, erwiderte : Es ist genug. Daher sagt Chrysosto­ mus 1840 : Wenn er sie zu mensChliChem SChutz hätte gebrau­ Chen roollen, so hätten auCh hundert Schroerter nicht genügt. Wenn er sie aber niCht für einen mensChliehen ZroeCk zu Hilfe nehmen roollte, so roaren auCh zroei überflüssig. Daraus 10 ergibt sich, daß der Sinn der Worte Christi mystisch gewesen ist ; das beweist auch deutlich ein Ausspruch Christi, wenn er 10

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tempore defensionis, si qua per illos gladios fieri debuisset, inquit Petro : Converte gladium tuum in locum suum, vel in vaginam, in quo significavit se non precepisse muni15 cionem fieri per apostolos huiusmodi gladiorum, sed mistice fuisse locutum. Secundum quem sensum sufficienter atten­ dens verbum Domini heatus Ambrosius exponit verba pre­ dicta, sie inquiens : Duo gladii permittuntur, unus Novi, alter 20 V eteris Testamenti, quibus adversus diaboli munimur insi­ dias. Et dicitur : 'Satis est', quia nihil deest ei, quem utriusque T estamenti doctrina munierit. Verum, qui ad usurpandos principatus sacerdotes anhelant et toto exteriori conamine, licet indebite, tendunt, peregrinas exposiciones scripture, que 25 ipsorum opinionem corruptam et affeccionem perversam sapere videantur, libenter recipiunt. Quod si tarnen Iitera­ liter verba Christi sumantur, nihil sunt contra nostram sen568 tenciam, quoniam gladius materialis non est principatus neque iudicium secularium actuum, neque eciam secundum metaphoram iuxta Christi sentenciam principatum sive offi­ cium secularis iudicii, quod Christus Petro aut alteri apo5 stolo commiserit, significare potest, ut idem Bernardus pro­ bavit alibi manifeste, ubi supra induximus, et eciam per scripturam indubie monstravimus 4° huius et 5°. Et quod subiungit : Forsitan tuus et tuo nutu exerendus, dico, quod dixit forsitan, quamvis non debuisset in hoc dubi1 0 tare, nisi fortasse hoc sane intelligat, quod princeps in exe­ rendo gladium ad nutum sacerdotis, id est ad consilium sacerdotis in generali vel speciali concilio secundum exigen­ ciam facti emergentis attendere debet : ut in movendo bel­ lum, dubitans utrum iuste secundum Iegern divinam, debet 15 uti consilio sacerdotum, ne mortale peccatum incurrat, sicut et in reliquis suis actibus monasticis et civilibus eciam, pre­ sertim in quibus dubitat per ignoranciam mortale peccatum 1841 1843 1845 184 7

Matth. 26,5 2 ; J oh. 1 8, 1 1 . Scholz 567 Anm. 4. I I 4-5 ganz. Das Schwert ist sicherlich

1842 Scholz 567 Anm. 3. 1844 II 28, 24. 1846 527,26-528,5.

nicht sein !

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bei Matthäus im 26. Kap. und bei Johannes im 18. Kap.1 841 in dem Augenblick < der Gefahr > , wo überhaupt diese Schwerter ihn hätten verteidigen sollen, dem Petrus zuruft : SteCke dein SChroert an seinen Ort oder in die SCheide; damit 15 wies er darauf hin, er habe den Aposteln nicht geboten, mit solchen Schwertern ihn zu schützen, sondern habe mystis 1846 hinzufügt : vielleimt ist es dein und auf deinen Wink zu ziehen, so betone ich, daß er gesagt hat : vielleiCht, obwohl er hierin nicht hätte zweifeln dürfen1 847 : er 10 müßte denn etwa damit meinen : Wenn der Herrscher das Schwert zieht, soll er auf den Wink des Priesters, d. h. auf den Rat des Priesters achten - in einer allgemeinen oder engeren Versammlung je nach dem Erfordernis der gegebe­ nen Lage - ; wenn er z. B. bei Eröffnung eines Krieges Zweifel hat, ob dieser im Sinne des göttlichen Gesetzes gerecht ist, soll er, um nicht in eine Todsünde zu verfallen, den Rat von Prie1 5 stern einholen, wie auch bei seinen anderen persönlichen und staatlichen Handlungen, zumal bei denen er fürchtet, aus Unwissenheit eine Todsünde auf sich zu laden, freilich nicht,

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incurrere, non quidem quod propterea sacerdoti subiciatur in tali officio. Sie enim in conferendis disciplinarum licenciis 20 et expellendis a civitate leprosis uti debet consilio peritorum, quibus in iurisdiccione non subicitur, quemadmodum dixi­ mus 1 0° huius. Unde Bernardus in fine sermonis iam dicti ait, quod nutu sacerdotis et iussu imperatoris hic gladius exeri debet ; non ergo per nutum intellexit imperium sive auctori25 tatem coactivam, [sed] consilium, quoniam hanc ad impera­ torem sive principem expressit pertinere, quamvis Romanus episcopus hunc gladium exeri persepe eciam inter Christi fideles adversus invicem minus iuste precipiat. Et ad unum 569 dicere, si Bernardus ex hiis verbis intelligat tale officium sive iudicium ad sacerdotis seu episcopi cuiusquam auctoritatem pertinere tamquam in hoc superiorem alicui principanti, secundum tercie significacionis iudicium in hoc seculo, dico, 5 quod in manifesto tarn sibi quam scripture sacre, quam indu­ cit, contradicit aperte, ut ex predictis apparet ; propter quod simpliciter eius in hoc loco, si talis fuerit, declino sentenciam tamquam non canonicam, sed canoni dissonam atque contra­ rmm. 10 § 25. Ad dicta vero sanetarum atque doctorum, et precipue super scripturam irrductarn ex Matthei 16° : Tu es Petrus, et super hanc petram etc. ; et rursum super illud Luce 22° : Ego autem rogavi pro te, Petre etc. ; amplius et super illud Iohan15 nis 21° : Si amas me, pasce oves meas; quibus siquidem dictis videntur intendere, beato Petro per Christum immediate super reliquos apostolos traditam potestatem seu auctori­ tatem, ipsum vocantes apostolorum principem et universa­ lem pastorem et ipsorum quidam caput ecclesie; dicendum, 20 cum reverencia tarnen, quod auctoritatem nullam essencia­ lem, quam sacerdotalem diximus, neque accidentalem ali­ quam pastoratus preexcellenciam super reliquos apostolos 1848 1849 185o 1851

W disciplina.

249, 1-3. II 10, 5-10. Matth . 16, 1 8-1 9 ; Luk. 22,3 2 ; Joh. 21, 1 5-1 7 ; vgl. 5 1 9,9 ff. 520,6 ff.

u.

22 ff. ;

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1 02?

als ob er sich deshalb dem Priester in einem solchen Amte unterordnete. Ebenso muß er doch, wenn Männer zu aka­ demischen Würden und Ämtern1848 zuzulassen oder Aus20 sätzige aus der Bürgerschaft auszuschließen sind1 849 , den Rat von Sachverständigen einholen, de:q. en er bei der Recht­ sprechung nicht unterworfen ist, wie wir in II 101850 gesagt haben. Daher erklärt Bernhard am Ende der eben erwähnten Ausführungen, auf den Wink des Priesters und auf den Befehl des Kaisers müsse dieses Schwert gezogen werden ; er verstand also unter Wink nicht einen Befehl oder eine 25 zwingende Gewalt, sondern einen Rat ; denn die Befehls­ gewalt, so hat er ausdrücklich hervorgehoben, kommt dem Kaiser oder dem Herrscher zu ; freilich läßt der römische Bischof dieses Schwert sehr oft auch unter den Christusgläu­ bigen gegen ihresgleichen ziehen - ohne das geringste Recht ! Um es mit einem Wort zu sagen : Wenn Bernhard mit diesen 569 Worten meinen sollte, ein solches Amt oder Gericht komme dem Priester oder Bischof zu, als wenn er hierin über dem Herrscher stünde : in einem Gericht auf dieser Welt in der dritten Bedeutung, so würde ich entgegnen : Ganz deutlich 5 und klar widerspricht er damit sich selbst wie der Heiligen Schrift, die er anführt ; das ergibt sich aus dem Vorstehenden ; deshalb lehne ich seine hier geäußerte Ansicht, wenn sie dahin geht, schlechthin ab als nicht kanonisch, sondern als mit dem K anon nicht übereinstimmend und ihm widersprechend. 10 § 25 (5, 6, 7, 25) Zu den Bemerkungen der Heiligen und der Kirchenlehrer und besonders der Stelle aus Matthäus Kap. 16 : Du bist Petrus, und auf diesen Felsen usw., ferner zu dem 1Nort bei Lukas im 22. Kap. : ICh aber habe für diCh gebeten, Petrus usw., ferner auch zu dem Wort bei Johannes im 15 21 . Kap. 1851 : Wenn du miCh liebst, meide meine SChafe, womit sie die Auffassung zu vertreten scheinen, Christus habe dem seligen Petrus unmittelbar Gewalt oder Machtvollkom­ menheit über die anderen Apostel übertragen - dabei nennen sie ihn Apostelfürsten und Seelsorger für die gesamte MensCh­ heit, und manche von ihnen Haupt der KirChe -, < dazu > ist zu 20 sagen (doch mit Ehrerbietung) : Keine wesentliche Machtvoll­ kommenheit, die wir die priesterliche genannt haben, und keinen zusätzlichen höheren Rang im Hirtenamt über die der anderen Apostel hinaus hat Christus dem seligen Petrus

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Christus immediate beato Petro tradidit, sed ab illo et ceteris in invicem removit, ut 16° huius per scripturam et sanctorum 25 atque doctorum exposicionem evidenter ostendimus, et modo quodam repetivimus circa principium capituli huius. Unde Christum et apostolum et ipsorum quorundam alibi dicta sequens, quam super inducta iam scripture loca et alia que­ cumque similia dicere videntur sentenciam de tali primatu seu principalitate, aliter quam 16° et 22° huius diximus, 570 declino ; quoniam canonica nec est, nec canonicam sequitur, quinimo ipsorum aliqui oppositum dixerunt alibi exponendo scripturam. fHic autem talia proferunt extra scripturam] ex 5 propria sentencia, sequentes consuetudinem et magis atten­ dentes quedam dicta famosa, quam verba scripture. § 26. Quis enim non admirabitur, contendentibus apostolis quis eorum esset maior, Christum respondisse semper inter 1 0 ipsos equalitatem et prioritatem auctoritatis ab ipsorum quo­ cumque negasse, si intendebat beatum Petrum inter ipsos principaliorem et caput ? Quid eciam Christus non dabat reliquis mandatum, ut Petro subessent in officio pastorali, ne tantum ministerium lateret eos et ipsorum successores, quant5 turn erat caput ecclesie ? Nusquam enim legitur in scriptura tale mandatum fuisse datum apostolis. Quomodo eciam dex­ tras dedit Petrus Paulo societatis ? Imo mandatum dare de­ buit tamquam superior. Et ad unum dicere, tota scriptura, ubi tangitur materia hec, huius sentencie oppositum clamat aperte. 20 Esto amplius, quod tarnen secundum s cripturam negavi­ mus, beato Petro per Christum immediate fuisse commissam curam pastoralem aliorum apostolorum, non tarnen propter­ ea per s cripturam convinci posset, Romanum aut alium 25 quemvis episcopum post mortem beati Petri esse pastorem

1 s 52 1853 1854 1s5s 1856

II 16, 2-12. II 28, 5-6. II 16, 2-1 2 ; II 22, 2-5. § 25 Anf. II 16, 12; II 22, 20 ?

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unmittelbar übertragen, sondern ihm und den übrigen verboten, wie wir in li 16 18 52 aus der Schrift und den Auslegungen der Heiligen und Kirchenlehrer einleuchtend gezeigt und am Anfang dieses Kapitels1853 in gewisser Weise wiederholt haben. Daher folge ich Christus und dem Apostel und den anderswo angeführten Worten einiger < Erklärer > und lehne die Meinung ab, die die eben dafür angeführten Stellen der Schrift und alle anderen ähn­ lichen über einen solchen Primat oder Führungsanspruch in anderem Sinne zu äußern scheinen, als wir in li 16 und li 22 1854 gesagt haben ; denn < diese Meinung > ist weder kano­ nisch noch eine Folgerung aus einer kanonischen < Schrift­ stelle > , ja es haben sogar einige von den < Erklärern> anders­ wo bei Auslegung der Schrift das Gegenteil gesagt. Zu unseren Stellen1 8 55 aber tragen sie solche < Anschauungen > vor ohne Begründung durch die Schrift aus eigener Meinung, sie folgen < damit > der Gewohnheit und achten mehr auf gewisse berühmte Aussprüche18 56 als auf die Worte der Schrift. § 26 Denn wer wird sich nicht wundern, daß bei dem Streit der Apostel, wer von ihnen der größte sei, Christus geantwortet hat, sie seien immer gleich, und jedem von ihnen einen Vorrang abgesprochen hat, wenn er im Sinne hatte, den seligen Petrus unter ihnen als Führer und Haupt < einzusetzen > ! Warum hat auch Christus nicht den anderen die Weisung gegeben, sich dem Petrus im Hirtenamt unter­ zuordnen, damit ein so hohes Amt, wie es das des Hauptes der Kirche war, ihnen und ihren Nachfolgern nicht unbekannt wäre ? Nirgends liest man doch in der Schrift, eine solche Wei­ sung sei den Aposteln gegeben worden. Wieso hat sogar Petrus dem Paulus die Hand < zum Zeichen > der Gemein­ schaft gegeben ? Vielmehr hätte er ihm eine Weisung geben müssen als der Ranghöhere. Um es mit einem Wort zu sagen : Wo dieser Gegenstand berührt wird, verkündet die ganze Schrift mit klaren Worten das Gegenteil von jener Meinung. Ferner angenommen, was wir jedoch gemäß der Schrift bestritten haben, Christus hätte dem seligen Petrus unmittel­ bar die Seelsorge für die anderen Apostel anvertraut, so könnte trotzdem aus der Schrift nicht nachgewiesen werden, der römische oder irgendein anderer Bischof sei nach dem Tode des seligen Petrus durch unmittelbare Anordnung Christi

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omnium aliorum immediata Christi ordinacione, sed con­ venit alicui talis auctoritas per eleccionem humanam imme­ diate, quemadmodum 16°, 1 7° et 22° huius ostendimus prius. 5?1 § 27. Et cum inducebatur, ecclesiam [acephalam esse] , neque fuisse ordinatam a Christo secundum optimam disposi­ cionem, si eam absque capite in sui absencia reliquisset, pos­ sumus dicere secundum apostolum ut prius, quod Christus semper caput remansit ecclesie omnesque apostoli et eccle5 siastici ministri membra [reliqua] , ut plane patet ad Ephe­ sios 4° et aliis plerisque locis, de quibus sufficienter induximus 22° h uius, parte 5•. Et hoc eciam Christus ipse manifeste signi­ ficavit Matthei ultimo, dum dixit : Ego autem vobiscum sum 1 0 usque in seculi consummacionem. [Et dicat adversarius, numquid ecclesia sit acephala mortali capite, vacante ab epi­ scopo Romana sede plerumque ? Et constat quod sie. N ec tarnen propterea concedendum eam inordinatam aut prave dispositam a Christo relictam. Propter quod redire oportet 1 5 ad predicta et ea que in solucione sequentis instancie dicturi sumus.] Racioni vero que apparens est, ut amplius satisfiat, dicamus in forma. Cum enim ex ipsa deducitur et infertur, Christum non ordinasse ecclesiam secundum optimam disposicionem, si caput mortale determinatum in sui absencia non reliquisset 20 eidem : neganda est illacio. Et cum videtur id astrui, prop­ terea quod ecclesia est in meliori disposicione per huius capi­ tis institucionem, concedendum utique credo, meliorem ec­ clesiastici ritus et observande fidei disposicionem per huius25 modi capitis mortalis institucionem ; [sed puto adiciendum 572 non propter hoc sequi huiusmodi caput esse determinatum 1861 Matth. 28,20. 1862 Der Gegner wird zugeben müssen, daß der römische Bischofsstuhl 186 3 186 4 1865 1866

oft unbesetzt ist und daß das gegen eine Einsetzung durch Christus im Sinne der kirchlichen Tradition spricht. Denn Christus hat eine andere Ordnung gewollt, als die kirchliche Tradition behauptet. 571,3. 57 1 , 1 7-572, 14. ipsa racione. =

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5

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Seelsorger für alle anderen, sondern eine solche Autorität kommt jemandem durch menschliche Wahl unmittelbar zu, wie wir in li 16, li 1 ? und li 221857 früher gezeigt haben. § 2? ( 9) Wenn angeführt wurde1 858 , die Kirche wäre führerlos und Christus hätte sie nicht nach der besten Verfassung geordnet, wenn er sie in seiner Abwesenheit ohne Haupt gelassen hätte, so können wir unter Berufung auf den Apostel wie früher entgegnen : Christus ist immer Haupt der Kirche geblieben und alle Apostel und Diener der Kirche ihre Glieder, wie aus dem Epheserbrief Kap. 4 185� und sehr vielen anderen Stellen hervorgeht, aus denen wir das Nötige zur Genüge in li 22, 5 1860 angeführt haben. Darauf hat auch Christus selbst bei Matthäus im letzten Kapitel18 61 deutlich hingewiesen mit den Worten : ICh aber bin bei euCh bis an der Welt Ende.

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5 72

Laßt den Gegner sagen : Ist nicht die Kirche ohne sterbliches Haupt1 8 62, da doch der römische Bischofsstuhl sehr oft un­ besetzt ist ? Ganz gewiß, es ist so. Dennoch darf man nicht zu­ geben, C h r i s t u s1 8 63 habe sie ohne Ordnung oder in schlechter Verfassung hinterlassen. Deshalb muß man zu dem eben Ge­ sagten1864 zurückkehren und < sich halten an das > , was wir bei der Entkräftung des folgenden Einwandes1 8 65 sagen werden. Auf den Einwand, der gegenwärtig vorliegt, wollen wir in aller Form antworten, um mehr zu überzeugen. Wird nämlich durch Vernunftschlufl 18 86 abgeleitet und ge­ folgert, Christus hätte die Kirche nicht entsprechend der besten Verfassung geordnet, wenn er ihr nicht ein bestimmtes sterb­ liches Haupt in seiner Abwesenheit hinterlassen hätte, so muß die Folgerung abgelehnt werden. Wenn das gestützt zu werden scheint dadurch, daR die Kirche infolge der Ein­ setzung dieses Hauptes in besserer Verfassung ist, so muß man, glaube ich, gewiß zugeben, daR für die Wahrung des kirchlichen Ritus und des Glaubens die Verfassung besser ist, wenn ein solches sterbliches Haupt eingesetzt wird ; aber, glaube ich, man muß hinzufügen, daraus folgt nicht, daR 1 8 5 7 II 16, 2-1 2 ; II 1 7, 8-1 5 ; II 22, 9- 1 1 .

185 8

5 2 1 , 6-13.

1 8 60

423 f.

1 s 5 u Eph. 4, 1 1-13 u. 15-1 6 ; Eph. 5, 23-24.

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aliquem a Christo immediate, sed melius fuisse] determinan­ dum et eligendum per fidelium institucionem, et hanc fuisse optimam disposicionem a Christo traditam ecclesie militanti, 5 [ut hic ad exemplum traheretur imposterum et scandali materia tolleretur, tam ab apostolis quam -reliquis eorum suc­ cessoribus atque fidelibus.] Quoniam Romane urbis aut cuiusvis alterins fortasse non semper sunt clerici sacra scrip­ tura et vita prestanciores ceteris mundi collegiis, ut in ipsorum 1 0 comparacione ad Parisiensis universitatis et cleri collegium satis apparet. Propter quod relinquendo fidelibus institucio­ nem talis capitis ecclesie, quemadmodum diximus 22° huius, parte sa et ga, Christus eam in optima conveniencium humane conversacioni disposicione reliquit, quomodo fortasse apostoli 15 Petrum [caput] instituerunt ecclesie, quemadmodum ex Anacleti decreto induximus 1 6° huius, parte 1 2a. § 28. Quod autem dixit Augustinus super illud lohannis 2 1 ° : Sie eum volo manere, quod vita que est in fide significata zo est per apostolum Petrum propter sui apostolatus primatum; dico ipsum intellexisse tempore, quoniam inter ceteros ad apostolaturn per Christum vocatus est prius, sicut eciam cla­ vium promissionem tempore primus accepit secundum eun­ dem Matthei 1 6° super illud : Tibi dabo claves regni celorum. 573 [Vita enim que est in fide, videlicet corruptibilis huius seculi, precedit tempore illam, que est in spe, incorruptibilem alte­ rins seculi.] Ad eam vero confirmacionem obieccionum, que induce­ batur ex decretis sive decretalibus pontificum Romanorum, ; dicendum generaliter ad omnes huiusmodi scripturas atque sermones, non quales diximus 19° huius, quod ipsis veritatis credulitatem non teuernur prestare, neque in quibus senten1869 1870 1871 1872 187 3 1874 1875 1s1a

Scholz 572 Anm. 1 . 427 ff. 348. 520, 1 3-1 9 ; J oh. 2 1 ,22. 1 30, 1 7-21 ; Matth. 16,19. Scholz 573 Anm. 1. 528, 1 0-20. II 19, 1-7.

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Christus jemand zu einem solchen Haupt bestimmt hätte un­ mittelbar, sondern daß es besser ist, wenn es von den Gläu­ bigen bestimmt und erwählt werden soll, und daß hiermit Christus der kämpfenden Kirche die beste Verfassung gegeben hat, damit dieser < Gewählte > als Vorbild für künftig genom5 men werden sollte und Anlaß zum Ärgernis1 8 6 7 beseitigt würde, ebenso bei den Aposteln 1868 wie bei ihren Nachfolgern und den Gläubigen. Denn die Kleriker Roms oder jeder anderen Stadt sind vielleicht nicht immer in < Kenntnis > der Heiligen Schrift und im Lebenswandel vortrefflicher als die übrigen Kollegien der Welt, wie sich bei einem Vergleich < der römi10 sehen Kleriker > mit dem Kollegium der Universität und Geistlichkeit in Paris zur Genüge ergibf. 1869 Wenn daher Christus den Gläubigen die Einsetzung eines solchen Haup­ tes der Kirche überließ, wie wir in II 22, 8 und 91870 gesagt haben, so hat er sie in der besten Verfassung hinterlassen, die dem menschlichen Zusammenleben angemessen ist ; so haben 15 vielleicht die Apostel den Petrus als Haupt der Kirche ein­ gesetzt, wie wir aus dem Dekret des Anakletus in II 16, 12187 1 angeführt haben. § 28 (8) Was aber Augustin zu jener Stelle bei J ohannes im 2 1 . Kap.1 872 gesagt hat : Wenn im roill, daß er bleibe, daß < nämlich > das Leben im Glauben durch den Apostel Petrus zo dargestellt ist roegen des Primats seines Apostelamtes, < dazu > erkläre ich : Er hat diesen Primat zeitlich verstanden ; denn ihn hat Christus zuerst von allen zum Apostel berufen, wie er auch das Versprechen der Schlüssel zeitlich zuerst erhalten hat nach < der Bemerkung > Augustins zu Matthäus Kap. 1 61 873 : Im roill dir des Himmelreims Schlüssel geben. Denn das Leben im Glauben, das vergängliche dieser Welt, geht zeitlich voran dem in der Hoffnung, dem unver­ gänglichen der anderen Welt. 1874 (26) Was die Bestätigung der Einwürfe durch die Dekrete oder Dekretalen der römischen Päpste 1 875 angeht, so ist 5 grundsätzlich zu allen derartigen Äußerungen in Schrift und Wort zu sagen - nicht zu solchen, wie wir sie in II 1 91 876 ange­ führt haben - : Wir sind nicht verpflichtet, an ihre Wahrheit zu glauben, und wo sie das Gegenteil der vorhin angeführten 1867 durch Streit um den Vorrang. t868 etwa durch Bevorzugung des Petrus, vgl. 572 , 14.

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ciarum predictarum, quas cum scriptura tenemus, oppositum continent, fidem adhibemus, sed eas, quamvis cum reveren­ cia, declinamus et aperte negamus. Et quod singulariter concludere volunt, ad Romanum epi­ scopum solum aut cum suo solo clericorum collegio pertinere auctoritatem instituendi personas ad ecclesiastica officia et 1 5 pro illis temporalia sive beneficia conferendi, dicendum, quod si per officia ecclesiastica intelligantur sacri ordines et caracteres, qui cum hiis imprimuntur in anima velut habitus quidam, hec inquam officia per solos episcopos sive presbyte­ ros posse conferri sive a Deo per ministerium eorum tantum20 modo et nullins alterins collegii vel singularis persone ; et hoc credendum de necessitate salutis vel non ipsius oppositum, quia sie ordinatum reperitur lege divina, non quidem quon­ iam sie statutum est per humanas aliquas decretales sive decreta ; quamvis tarnen, ut diximus 1 ?0 huius, personarum 25 habilitatis ad hec suscipienda officia examen et determina­ cio non sine legislatoris fidelis auctoritate vel eius principan­ tis fieri debeat, ut ubi supra monstravimus et 15° prime. Si vero per officia ecclesiastica intelligantur determinaciones seu instituciones presbyterorum et aliorum iam dictorum 574 officialium ad curas animarum maiores aut minores, in certis locis et ad certos populos gubernandos, talia instituere officia sive personarum ad hec determinaciones facere ac pro hiis ecclesiastica temporalia distribuere seu conferre, ad fidelem 5 legislatorem pertinet, secund um quem modum diximus 1 ?0 lmius, idque generaliter et ubique nullins unici episcopi aut collegii sacerdotum auctoritatis esse nec expedire, quemad­ modum 1 ?0 et 21° huius ostensum est. [§ 29 .] Quod ergo obicitur nobis oppositum horum ex de10 cretis et decretalibus Rarnanorum pontificum, dicendum, 10

18 79 188o 1s81 1882 1883

II 1 7, 8 (Abs. I 15, 8. II 1 7, 9.

2)-14.

Der Hauptsatz geht in den Acl über. II 17, 9 ; II 21, 1 1 .

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Meinungen bieten, an denen wir < in Übereinstimmung > mit der Schrift festhalten, schenken wir ihnen keinen Glauben, 10 sondern lehnen sie ab, wenn auch mit Ehrerbietung, und bestreiten sie offen. Wenn < diese Dekretah�n> insbesondere den Schluß ziehen wollen, dem römischen Bischof allein oder allein mit seinem Klerikerkollegium stehe die Befugnis zu, Personen in die kirchlichen Ämter einzusetzen und zu ihren Gunsten weltliche 15 Güter oder Benefizien zu verleihen, so ist zu sagen : Wenn unter kirchlichen Ämtern die heiligen Weihen und der Cha­ rakter verstanden werden, der damit der Seele als ein Habitus eingeprägt wird, so können, sag ich, allein die Bischöfe oder Priester diese Ämter verleihen1877 oder Gott ausschließlich durch deren Amtshandlung und nicht durch die eines anderen 20 Kollegiums oder einer Einzelperson ; und das ist zu glauben als heilsnotwendig und1878 nicht das Gegenteil davon, weil es sich im göttlichen Gesetz so angeordnet findet, nicht, weil es durch menschliche Dekretalen oder Dekrete so festgesetzt ist ; indessen darf doch nach II 1 '7 187u die Prüfung der Perso25 nen, ob sie zur Übernahme dieser Ämter geeignet sind, und deren Auswahl nicht ohne die entscheidende Mitwirkung des gläubigen Gesetzgebers oder seines Herrschers erfolgen, wie wir an der oben angeführten Stelle und in I 1 5 1880 gezeigt haben. Wenn aber unter kirchlicher Ämter die 574 Einsetzung der Priester und der anderen eben genannten Amtsträger in bestimmte höhere oder niedere geistliche Stel­ len an bestimmten Orten oder zur Leitung bestimmter Völ­ ker verstanden wird, so kommt < die Befugnis > , solche Ämter einzurichten oder Personen dafür zu bestimmen und an diese zeitliche Güter zu verteilen oder zu verleihen, dem 5 gläubigen Gesetzgeher zu in der Form, wie wir sie in II 1 '7 1881 angegeben haben ; das gehört1882 also grundsätzlich nirgends zur Befugnis eines Bischofs oder Priesterkollegiums, noch wäre das zweckmäßig, wie in II 1 '7 und II 21 188 3 gezeigt wor­ den ist. § 29 Wenn uns nun das Gegenteil davon aus den Dekreten 10 und Dekretalen der römischen Päpste entgegengehalten 1 sn 1878

Aci nach quod . Vo (Partikeln : vel) .

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quod quamvis huiusmodi decretales sive decreta et quecum­ que alie scripture sive sermones consimiles, non quales dixi­ mus 1 9° huius, possint continere plurima documenta et con15 silia eciam utilia, tarn pro statu presentis seculi quam ven­ turi, inquantum tarnen ab episcopo Romano, eciam cum suo collegio clericorum, preter licenciam fidelis legislatoris aut principis aut aliter seu contra formam dietarn 2 1 ° huius sta­ tuta huiusmodi neminem obligare ad culpam vel penam et precipue temporalem. Sie namque disponuntur eiusmodi 20 ferentes tradiciones, quemadmodum pharisei et scribe, ad quos Christus Marci '7° inquit : In vanum autem me colunt, docentes doctrinas et precepta hominum. Relinquentes enim mandatum Dei, tenetis tradiciones hominum; et parum in­ fra : Bene irritum facitis preceptum Dei, ut tradicionem 25 vestram se r vetis, decretales scilicet atque decreta [de] tempo­ ralibus usurpandis. Non enim sunt decretales inquantum huiusmodi Ieges divine aut humane, sed narraciones aut documenta et in pluribus oligarchica quedam statuta. Prop5 ?5 ter quod talium ordinatores contra formam et preter auctori­ tatem iam dictam, ad ipsorum quoque observacionem quem­ quam inducentes verbis subrepticiis, quasi cogentes commi­ nando simplicibus eorum transgressoribus dampnacionem 5 eternam, aut blasphemias sive anathemata vel alias maledic­ ciones inferentes in quemquam verbo vel scripto, Corpora­ liter sunt extremo puniendi supplicio, tamquam conspira­ tores et civilis scismatis concitatores. Est enim hec gravis­ sima species criminis lese maiestatis, quoniam in principa10 turn directe committitur, ad eins eciam supremi pluralitatem et consequenter per necessitatem ad solucionem cuiuslibet policie perducens.

188 6 Mark. 7, 7-9 ; vgl. Anm. 8 5 9-861 . 1887 45 1 , 5. 1888 I 1 7 (Einheit der Regierung und des Staates) .

Teil II, Kapitel XXVIII

1037

wird, so ist zu erwidern : Derartige Dekretalen oder Dekrete und alle anderen ähnlichen Äußerungen in Schrift oder Wort - nicht solche, wie wir sie in II 1 91884 angeführt haben - kön­ nen zwar sehr viele Lehren und Ratschläge enthalten, die 15 sogar für die gegenwärtige Welt wie die künftige nützlich sind; soweit jedoch der römische Bischof, auch mit seinem Klerikerkollegium, ohne die Genehmigung des gläubigen Gesetzgebers oder des Herrschers oder in anderer Weise oder unter Verletzung der in II 2 1 1 885 angegebenen Form solche Vorschriften erlassen hat, können diese niemand binden oder mit Strafe bedrohen, besonders nicht mit einer welt2o liehen. Denn wer solche Traditionen weitergibt, mit dem steht es so wie mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, zu denen Christus bei Markus im 7. Kap.1 886 sagt : Vergeblich ehren sie mich, denn sie Zehren Menschenweisheiten und Men­ schengebote. Denn Gottes Gebot laßt ihr beiseite und haltet euch an die Tradition der Menschen. Und etwas weiter unten : Trefflich wersteht ihr es > , Gottes Gebot wirkungslos zu 25 machen, um eure eigne Tradition zu halten : Dekretalen und Dekrete nämlich über die Anmaßung von zeitlichen Gütern. Denn Dekretalen als solche sind keine göttlichen oder mensch­ lichen Gesetze, sondern Berichte oder Darstellungen und mei­ stens Anordnungen eines kleinen herrschsüchtigen Klüngels. Wer daher dergleichen Anordnungen unter Nichtachtung der 575 < rechtlichen > Form und ohne die eben erwähnte Autori­ sierung erläfit und jemand durch betrügerische Behauptungen verleitet, sie zu befolgen, geradezu einen Zwang ausübt, in­ dem er schlichten Menschen bei ihrer Übertretung die ewige Verdammnis androht oder Schmähungen oder Verfluchungen 5 oder andere Verwünschungen in Rede oder Schrift gegen jemand schleudert, der muß an seinem Leibe aufs schärfste gestraft werden wegen Verschwörung und Erregung von Zwiespalt im Volk. Dies ist ja die schwerste Art des Hoch­ verrats 188 7 ; denn dieses Verbrechen wird gegen die Regie10 rungsgewalt unmittelbar begangen und führt zu deren Zer­ splitterung, auch der obersten, und folglich mit Notwendig­ keit zur Auflösung jedes Staates. 1888 1884 1885

li 19, 1-7. li 21 , 8, 9 (Abs. 1) , 10.

1 038

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens C A P I T U L U M XXIX

15

D e s o l u c i o n e i n s t a n c i a r u m ex s c r i p t u r a i n d u c t a r u m 1 1 1° h u i u s a d o s t e n d e n d u m i u r i s d i c c i onem c o a ctivam episcopis et s u p remam Romano e p i ­ scopo inquantum huiusmodi convenire.

A d reliquas vero instancias ex scriptura inductas 3 ° huius, propter quas fortassis alicui videretur posse convinci, Ro­ manum papam vel alium quemvis episcopum iudicem esse 20 secundum terciam significacionem super omnes clericos aut indifferenter super reliquos omnes absque tarnen humani legislatoris institucione, sed Dei ordinacione immediata : dicendum, et primo ad eam que sumebatur ex Matthei 1 6°, 25 dum dixit Christus beato Petro : Tibi dabo claves regni celo­ rum etc., [quod] ex hiis verbis non aliam potestatem beato Petro aut alteri apostolo tradidit Christus, quam ligandi et solvendi homines a peccatis, sicut expresse dicit beatus Ber­ nardus ad Eugenium, De Consideracione libro 1 °, capitulo 5°, ;o et supra induximus 5° huius, parte 2a, de qua eciam seriose 576 dieturn est 6° huius et 7° ; nec illius plenitudinem aliter, quam dieturn sit 23° huius. Unde propter hec verba Romanus aut alter episcopus vel sacerdos in apostoli vel apostolorum per­ sona coactivam in hoc seculo auctoritatem sive iurisdicci5 onem in quemquam clericum aut laieuro non accepit a Chri­ sto. Dictum enim est : Tibi dabo claves regni celorum, ad dif­ ferenciam regni mundani. Ab huiusmodi namque regimine sui exemplo Christus unumquemque apostolum et eorum successorem episcopum sive presbyterum significavit exclu10 sum, dum dixit Luce 1 2° : Homo, quis me constituit iudicem ?

18 9 2 Scholz 575 A nm 3. 18 93 1 79, 1 8-25. 18 94 II 6-7 (Rolle des Priesters beim Sakrament der Buße und beim .

Ketzergericht) .

1895 li 23, 4 Ende (445, 6-9) . 18 96 Lnk. 1 2,14.

Teil ll, Kapitel XXIX

1039

KA P I T E L XXIX

15

Die Entkräftung der Einwände, die aus der Schrift in K a p . 3 d i e s e s Teils ange führt worden sind und zeigen s ollten, den B i s c h ö fen stehe die zwingende R e c h t s p r e c h u n g u n d d e m r ö m i s ch e n B i s c h o f a l s s o l c h em d i e o b e r s t e z u .

§ 1 Auf die übrigen Einwände, die aus der Schrift in li 31889 angeführt worden sind und - so könnte vielleicht mancher glauben - den Nachweis zu liefern schienen, der römische Papst oder jeder andere Bischof sei Richter in der dritten 20 Bedeutung über alle Kleriker oder ohne Unterschied über alle übrigen Menschen, und zwar ohne Einsetzung1890 durch den menschlichen Gesetzgeber, vielmehr durch unmittelbare göttliche Ordnung, ist zu entgegnen, und zwar zunächst auf den aus Matthäus Kap. 161 891 (1) ; Christus hat näm25 lieh zum seligen Petrus gesagt : Idt roill dir des Himmelreidts Sdtlüssel geben usw. Mit diesen Worten hat Christus dem seligen Petrus oder einem der übrigen Apostel keine andere Gewalt übergeben als die, die Menschen zu binden und von den Sünden zu lösen, wie der selige Bernhard ausdrückliro in der an Eugenius gerichteten Schrift ,Zur Erwägung' B. 1, J o Kap. 5 1892 sagt, was wir oben in II 5, 2 1893 angeführt haben ; über diese Gewalt haben wir auch in li 6 und li ?1894 gründ576 lieh gesprochen ; und ihre Fülle nicht anders < ge­ meint > , als in li 231 895 gesagt worden ist. Daher hat durch diese Worte der römische Bischof oder ein anderer oder ein Priester in der Person des Apostels oder der Apostel keine zwingende Macht oder Rechtsprechung in dieser Welt gegenüber einem 5 K leriker oder Laien von Christus erhalten. Idt roill dir des Himmelreidts Sdtlüssel geben ist nämlich gemeint zum Unter­ schied von einem weltlichen Reich. Denn daß jeder Apostel und deren Nachfolger, Bischof oder Priester, von einer solchen Regierung ausgeschlossen ist, darauf hat Christus durch sein Vorbild hingewiesen in den Worten bei Lukas im 1 2. Kap.1896 : 10 Mensdt, roer hat midt zum Ridtter gesetzt?, d. h. über irdische

1 889 1890 1 8 91

Beachte die Nummern in II 3 . Das steht nicht i n II 3 bei Angabe der Thesen. Matth. 16, 1 9 ; vgl. II 3, 2 und li 28, 5-6.

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terrenorum videlicet, idemque per alia preindueta 4° et 5° huius. Eodem quoque sive consimili modo dicendum est ad auc­ toritates sumptas ex canone, Matthei 18° et Johannis 20°, dum dixit Christus apostolis : Quemcumque alligaveritis n super terram etc., et : Quorum remiseritis peccata etc. Non enim ex hiis verbis aliam, quam iam dietarn et secundum quem modum diximus, Christus illis tradidit potestatem. § 2. Ad aliam que sumebatur ex Matthei 1 1°, dum dixit Christus : Omnia mihi tradita sunt a patre meo, dieend um, 20 quod non sequitur : Omnia mihi tradita sunt a patre meo, ergo potestatem omnium apostolo vel apostolis tradidi, sicut eciam diximus 4° huius. Non enim ex hac inquisicione dubi­ tatur, quid Christus tradere potuerit potestatis et auetori25 tatis apostolo vel apostolis et ipsorum successoribus, sed quid tradere voluerit et de faeto tradiderit, et a qua ipsos prohi­ buerit consilio vel precepto. Hec enim ostensa sunt sufficien­ ter 4°, 5° et 6° ac 9° huius. Unde Bernardus eciam hoc inten­ dens ad Eugenium De Consideracione libro 3°, capitulo 1 °, sie inquit : Non enim reor omnem modum, sed sane quodamte­ nus, ut mihi videtur, dispensacio tibi super illum credita est, videlicet super orbem, non data possessio. Si pergis usurpare hunc, contradicit tibi, qui dicit: 'Meus est orbis terre et pleni5 tudo eius'. Non tu ille de quo propheta : 'Et erit omnis terra possessio eius'. Christus hic est, qui possessionem sibi vendi­ cat et iure creacionis et merito redempcionis. Et plura sub­ iungit ad propositum, que omisi propter sufficienciam pre­ missorum et abbreviacionem sermonis. Non igitur Christus 1 0 omnia et secundum omnem modum sibi tradita tradidit apo­ stolo vel apostolis, sed certa solum et secundum certurn mo­ dum. Amplius, secundum glossas omnium sanetarum super 1808 1809 1ooo 1001 190� 1903

Matth. 1 8 , 1 8 ; J oh. 20,23. Matth. 1 1 ,27; Matth. 28, 1 8 ; vgl. II 3 3. 11 4, 2. Vgl. Anm. 1713. Scholz 576 Anm. 6. Erg. creditum esse aus dem Folgenden ; sed . . . credita est hängt dem Sinn nach von reor ab. ,

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Streitfragen. Dasselbe < wird bewiesen > durch andere Stel­ len, die früher in II 4 und II 5 189 7 angeführt worden sind. In derselben oder in ganz ähnlicher Weise mufl man auch entgegnen auf Beweisstellen aus dem Kanon, aus Matthäus Kap. 18 und aus Johannes Kap. 20 1898 , wo Christus zu den Aposteln gesagt hat : Wen ihr auf Erden bindet usw. und : n Deren Sünden ihr erlaßt usw. Denn mit diesen Worten hat Christus ihnen keine andere Gewalt als die eben erwähnte erteilt und < nur > in dem Sinne, den wir angegeben haben. § 2 Zu dem anderen Einwand aus Matthäus Kap. 1 1 1899 (2a) , aus den Worten Christi : Alles ist mir übergeben von meinem 20 Vater, ist zu sagen : Es ist falsch, zu schlieRen : Alles ist mir übergeben von meinem Vater, also habe ich die Gewalt über alles dem Apostel oder den Aposteln übergeben ; das haben wir schon in II 4 1900 festgestellt. Denn bei unserer Unter­ suchung geht es nicht darum : Was hat Christus an Gewalt und Autorität dem Apostel oder den Aposteln und deren 25 Nachfolgern übergeben k ö nn e n , sondern : Was hat er über­ geben w o l l e n und tatsächlich übergeben, und von welcher Gewalt hat er sie durch Rat oder Gebot ferngehalten ? Das ist nämlich zur Genüge in II 4, II 5, II 6 und II 91901 gezeigt worden. Daher bemerkt auch Bernhard im Hinblick darauf in der Schrift an Eugenius ,Zur Erwägung' B. 3, Kap. 1 19 02 : 57? Denn iCh glaube niCht, daß jede Form < Don Gemalt dir über­ lassen isi > 19 03; allerdings ist dir bis zu einem geroissen Grade, roie mir sCheint, ihre Ve r w a l t u n g anvertraut, die der Welt, niCht ihr B e s i t z gegeben. Reißt du sie weiterhin an diCh, so widerspriCht dir der, der sagt: ,Mein ist die Welt und ihre s Fülle. ' Du bist niCht der, von dem der Prophet kündet: ,Die ganze Erde roird sein Besitz sein.' Christus ist es, der ihren Besitz für siCh beanspruCht naCh dem ReCht der SChöpfung und naCh dem Verdienst der Erlösung. Sehr vieles fügt er noch hinzu, was zu unserem Thema gehört, aber ich habe es weg­ gelassen ; das früher Angeführte genügt, und ich will die Dar­ stellung abkürzen. Also hat Christus nicht alles, was ihm ohne 10 Einscluänkung übergeben war, an den Apostel oder die Apostel weitergegeben, sondern nur bestimmte Dinge und mit bestimmten Einschränkungen. Ferner, nach den Glossen 189 7 II 4, 3 bis 1 60,25 Thema von II 4-5 (Christus und die Apostel =

unterwerfen sich der weltlichen Obrigkeit) .

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hune loeum intendebat Christus haue tradieionem sibi fae­ tam seeundum divinitatem, qua Dei :filius eternus erat ; quod 15 nulli apostolorum aut sueeessorum eonvenire potuit. Propter quod hie sermo Christi nee eeiam apparenter aliquid infert eontra senteneiam quam tenemus. § 3. Ad eam vero que sumebatur Ma-tthei 28° et ultimo, dum 20 dixit Christus : Data est mihi omnis potestas in celo et in terra, dieendum, sieut diximus [ad] immediate premissam. Non enim propter hoe sequitur, esto eeiam quod seeundum humanitatem omnem potestatem suseeperit in terris, quod omnem potestatem apostolo vel apostolis tradiderit, sed so25 lum eam, de qua dieturn est Matthei ultimo et Iohannis 20°, quam eeiam explieavimus 6° huius et 7° ; quoniam et seeun­ dum haue solum regnare venit Christus. Unde Ieronymus super hune loeum : In celo autem et in terra potestas data est, ut qui ante regnabat in celo, per fidem credencium regnet in terris. 5?8 § 4. Quod autem ex Matthei 8° et Marei 5° sumebatur : Demones autem rogabant eum dicentes ete., dieendum, nee id dieturn obviare senteneie, quam tenemus. Esto namque, sieut 5 verum est, Christum habuisse si voluisset eeiam seeundum humanitatem dominium et omnem potestatem temporalium, non ex hoe per neeessitatem potest inferri, eum tradidisse apostolo vel apostolis aut ipsorum sueeessori vel sueeessori­ bus eonsimilem potestatem, quinimo tarn opere quam ser1 0 mone Christus illis monstravit temporalium fugere posses­ sionem atque dominium, sie eeiam iurisdieeionem eoaetivam euiusquam in hoe seeulo sive iudieium, ut 4° huius et 5° mon­ stratum est et repetitum eapitulo preeedente. Quod si tarnen Christus aliquando usus fuerit talium potestate sive dominio, 1 5 non tarnen humani prineipantis seu iudieis modo, sed mira1 906 1907 1908 1 909 1910 191 1

Matth. 28, 1 9-20 ; J oh. 20,23 ; vgl. 1 98, 2 1 -2?. V gl. Anm. 1 894. Scholz 5i'i' Anm . 4. Matth. 8, 3 1-32 ; Mark. 5, 1 2-1 3 ; vgl. II 3, 4. V gl. Anm. 1 ?13. II 28, 18 u . 29.

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aller Heiligen zu dieser Stelle hat Christus gemeint, dies sei ihm übergeben worden als Gott, als Gottes ewigem Sohn 1904 ; 15 das konnte für keinen der Apostel oder Nachfolger gelten. Deshalb besagt diese Äußerung Christi sogar dem ersten An­ schein nach nichts gegen die Meinung, die wir vertreten. § 3 Auf den < Einwand > aus dem 28. und letzten Kapitel des Matthäus (2b) 1905, aus den Worten Christi : Mir ist gegeben 20 alle Gemalt im Himmel und auf Erden, ist zu entgegnen wie auf den unmittelbar vorher behandelten < Einwand > . Denn daraus folgt nicht - angenommen auch, er habe als Mensch alle Gewalt auf Erden erhalten -, daR er alle Gewalt an den Apostel oder die Apostel weitergegeben habe, sondern nur die, von der bei Matthäus im letzten Kap. und bei Johannes 25 im 20. Kap. 1 0 06 die Rede ist und die wir auch in II 6 und II 71907 erläutert haben ; denn Christus ist auch nur gekommen, Herr­ schaft im Sinne dieser Gewalt auszuüben. Daher sagt Hiero­ nymus 1 9 08 über diese Stelle : Im Himmel aber und auf Erden ist ihm die Gemalt gegeben, damit er, der vorher im Him­ mel herrschte, durch den Glauben der Gläubigen herrsche auf Erden. 5 2' 8 § 4 (3) Was aber aus Matthäus Kap. 8 und aus Markus Kap. 5 1909 entnommen wurde : Die bösen Geister aber baten ihn und sagten usw., darauf ist zu erwidern : Auch dieses Wort steht nicht der Meinung entgegen, die wir vertreten. Denn angenommen - und so ist es auch wahr -, Christus 5 hätte, wenn er gewollt hätte, auch als Mensch alles Eigenturn und alle Gewalt über die zeitlichen Güter gehabt, so kann man daraus nicht mit Notwendigkeit folgern, er habe dem Apostel oder den Aposteln oder ihren Nachfolgern eine ähn­ liche Gewalt übergeben ; nein vielmehr, durch Tat wie durch 1 0 Wort hat ihnen Christus gezeigt, Besitz und Eigentum an zeitlichen: Gütern zu meiden, ebenso auch eine zwingende Rechtsprechung über jemand in dieser Welt oder ein zwin­ gendes Gericht, wie wir in II 4 und II 51910 nachgewiesen und im vorausgehenden Kapitel 1911 wiederholt haben. Wenn aber Christus doch einmal Gewalt oder Eigentumsrecht an solchen Gütern ausgeübt hat, so doch nicht in der Art eines mensch15 liehen Herrschers oder Richters, sondern in Form eines 1904 1905

Scholz 577 Anm. 1 . Matth. 28, 1 8 ; vgl. 1 5 3 , 9-1 5.

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culose ac raro valde, divina potestate pocius quam humana, ut in proposito et in arefaccione ficulnee, suis apostolis ex hoc significare volens sui divinitatis naturam, unde ipsos amplius in fide firmaret ; vel eciam propter aliquid melius, occultum 20 homini et inoccultum sibi, sicut dicunt ibidem Chrysostomus et Ieronymus. Ut sit, inquit Ieronymus, salutis hominum occasio per porcorum interfeccionem. Et ideo Christus nec ipsos miracula facere docuit, ut ex Augustino, De Verbis Do2 5 mini Super Mattheum, sermone 1 0°, supra induximus 4° huius. Eoque minus ipsos voluit exercere potestatem in alie­ nam iacturam et scandalum. Propter quod talia non exercuit, ut ipsi talia exercere deberent, sed ut illis se verum Deum ostenderet esse. 5'79 § 5. Ei vero instancie que inducebatur ex Matthei 22°, Marci 1 1 ° et Luce 19° : Tune misit duos discipulos, dicens eis lesus: lte in castellum quod contra vos est, et invenietis asi5 nam alligatam etc., similiter dicendum est, quemadmodum instancie immediate premisse. Ea vero que de duobus gladiis sumpta Luce 22° et que de pastu ovium ex Iohannis 21° nil contradicunt aut contradi­ cens inferunt necessario sentencie, quam tenemus, sicut 1 0 seriose monstravimus precedenti capitulo. Non enim ex hiis beato Petro vel alteri apostolo aut ipsorum successori cui­ quam coactivam in hoc seculo cuiusquam iurisdiccionem tra­ didit sive iudicium, sed officium pastoratus, de quo traditum est sufficienter 9° huius. 15 § 6. Quod autem inquit apostolus 1a ad Corinthios 6° : Ne­ scitis, quoniam angelos iudicabimus, quanto magis secularia ? nec contradictorium est sentencie quam sequimur, nec con­ tradictorium infert. Non enim sermone seu scriptura predicta 1 0 14 Scholz 5?8 Anm. 4. 1915 Scholz 5?8 Anm. 5. 19 16 II 4, 2 Ende (160,3) . 1917 Matth. 2 1 , 1-2 ; Mark. 1 1 , 1 -2 ; Luk. 19, 29-3 0 ; 1918 .Luk. 22,38 ; vgl. II 3, 6. 1919 J oh. 21, 15-1 ? ; vgl. II 3 , ?. 1920 II 28, 8-9, 22 (von 559,4 an) , 23-24. 1o 22 1. Kor. 6,3 ; vgl. II 3, 8 . 1 92 1 II 9, 3 .

vgl. II 3, 5.

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·wunders und sehr selten und mehr durch göttliche denn menschliche Gewalt, wie im vorliegenden Fall und als er den Feigenbaum vertrocknen ließ1 912 ; er wollte damit seinen Apo­ steln seine göttliche Natur beweisen, um sie so im Glauben zu stärken, oder er tat es auch zu einem höheren Zweck, der dem 20 Menschen verborgen, ihm selbst unverborgen war, wie zu eben dieser Stelle Chrysostomus1913 und Hieronymus1 914 be­ merken. Damit, sagt Hieronymus, durch die Tötung der Schweine Gelegenheit sei, MensChen Heil < zu bringen > . Darum hat Christus sie auch nicht gelehrt, Wunder zu tun, wie wir aus Augustins Schrift ,über die Worte des Herrn 25 bei Matthäus', Predigt 1 0 1915 , oben in II 41916 angeführt haben ; um so weniger wollte er, daß sie zum Schaden und zum Ärgernis für andere Gewalt ausübten. Nicht deshalb hat er solche getan, damit sie selbst dergleichen tun soll­ ten, sondern um sich ihnen als wahren Gott zu erweisen. § 5 Auf den Einwand aus Matthäus Kap. 2 1 , aus Markus 579 Kap. 1 1 und aus Lukas Kap. 19 (4) 1917 : Dann schickte ]esus zwei jünger ab und sprach zu ihnen : Geht hin in den Flek­ ken, der euch gegenüberliegt, und ihr werdet eine Eselin 5 angebunden finden usw. - ist ebenso zu entgegnen wie auf den unmittelbar vorher erwähnten Einwand. Der < Einwand > wegen der zwei Schwerter aus Lukas Kap. 22 (5) 1 918 und der wegen des Wortes : Weide meine Schafe, aus Johannes Kap. 2 1 1 9 1 0 (6) widersprechen durch­ aus nicht der Meinung, die wir vertreten, oder bringen nichts, was ihr notwendig widerspräche, wie wir im vorausgehenden 10 Kapitel1920 gründlich gezeigt haben. Denn er hat damit dem seligen Petrus oder einem anderen Apostel oder einem ihrer Nachfolger keine zwingende Rechtsprechung und kein zwin­ gendes Gericht über jemand in dieser Welt übergeben, son­ dern das Hirtenamt, über das in II 91921 zur Genüge gehandelt worden ist. t5 § 6 Was der Apostel im 1. Korintherbrief im 6. Kap. 1922 sagt (?a) : Wißt ihr nicht, daß wir über Engel richten werden ? Wieviel mehr über irdische Güter!, steht weder im Wider­ spruch zu der Meinung, der wir uns anschließen, noch enthält es Widersprechendes. Denn mit der eben erwähnten Rede 1 9 1 2 Matth. 2 1 , 1 1-21 ; Mark. 1 1 , 1 2-14 u . 20-21 . 1 u 1 a Scholz 5 7 8 Anm . 3.

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monebat seu alloquebatur apostolus sacerdotes tantummodo, sed generaliter omnes fideles de Corintho. Nam iisdem gene­ raliter, ut ex salutacione patet, scripsit epistolam. Contende­ bant enim invicem de secularibus et civilibus coram infideli­ bus iudicibus se trahentes. Propter quod monebat ipsos apo­ stolus, tamquam pastor ipsis consulendo, ut ex cetu fidelium 25 sibi iudices constituerent, non quidem sacerdotes aut episco­ pos, sed alias ab hiis. Propter quod immediate subdit aposto­ lus : Seeularia igitur iudieia, si habueritis, eontemptibiles qui sunt in eeclesia, illos eonstituite ad iudieandum. Ad Dereeun580 diam Destram dieo. Sie non est inter DOS sapiens quisquam, qui possit iudieare inter fratrem suum ? Sed frater eum fratre eontendit iudieio apud infideles. Quam siquidem apostoli seriem exponens glossa secundum Augustinum, Ambrosium 5 et Gregorium inquit sie : 'Seeularia igitur' ete. Sieut iam re­ prehendit eos, quia eausas agebant apud infideles eontemptis fidelibus, ita nune reprehendit eos, quod eontemptibiles iudi­ ees, lieet fideles, eonstituebant; quasi : et quia debetis iudi­ eare. 'lgitur si habueritis seeularia iudicia', ideo dicit: 'si 10 habueritis', quia nee habenda sunt, sed poeius sunt eontemp­ nenda. 'Si', inquam, 'hab ueritis, eonstituite ad iudieandum illos eontemptibiles', id est indiseretos et Diles, 'qui sunt in eeelesia' ; quasi: hoe est, quod DOS feeistis. Unde eoacti fratres recurrerunt ad illos, id est ad infideles. Hoc redarguit in eis 1 5 apostolus, ironiee eis loquens; et quia non debet fieri, adieeit: 'Ad Dereeundiam' Del 'ad reDereneiam Destram dieo' ; quasi : non impero, sed memoro, ut Dereeundemini, et debetis erubeseere, quia 'non est inter DOS quisquam sie', id est adeo 'sapiens, quod possit iudieare inter frairem' et frairem 20 'suum', ut ita neeesse sit, ut stultos statuatis iudiees. Et hii tarnen poeius statuendi sunt, quam ad infideles iudiees eatur, si desint sapientes. 'Sie', inquam, 'non est sapiens, sed fraier eum fratre eoniendit' in 'iudieio', quod malum est; ei eeiam 20

1923 1. Kor. 6, 4-6 ; vgl. II 5, 2 und 1 8 1 , 2-6. 1924 Vgl. Anm. 144 und II 5, 2-3.

Teil Il, Kapitel XXIX

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oder Schrift hat der Apostel nicht ausschließlich die Priester ermahnt und angesprochen, sondern überhaupt alle Gläu20 bigen von Korinth. Denn an diese überhaupt schrieb er den Brief, wie aus dem Gruß hervorgeht. Sie führten nämlich untereinander über weltliche und bürgerliche Streitsachen Prozesse und zogen sich vor ungläubige Richter. Deshalb mahnte sie der Apostel und riet ihnen als Seelsorger, sich Richter aus dem Kreise der Gläubigen einzusetzen, freilich 25 nicht Priester oder Bischöfe, sondern andere als diese. Er fügt daher unmittelbar darauf hinzu1 92 3 : Wenn ihr nun welt­ liche Rechtshändel habt, so setzt < ihr > die, die in der Gemeinde minder geamtet sind, zu Ridttern ein. Zu eurer Besdtämung 580 sage. idt das. So gibt es also < wirklidt > keinen klugen Mann unter eudt, der seinem Bruder gegenüber ridtten könnte ( 1924, sondern Bruder prozessiert mit Bruder vor Ungläubigen. Diese Stelle des Apostels legt die Glosse nach Augustin, ; Ambrosius und Gregorius aus und sagt : ,Wenn ihr nun' usw. Wie er sie sdton getadelt hat, daß sie Prozesse führten vor Ungläubigen unter Zurücksetzung der Gläubigen, so tadelt er sie jetzt, daß sie Mindergeadttete, wenn audt Gläubige, als Ridtter eingesetzt haben; d. h. : und daß ihr Prozesse führen müßt. ,Wenn ihr nun weltlidte Redttshändel habt' : darum sagt er : ,wenn ihr sdton welche habt', weil sie Prozesse 10 nicht haben dürfen, sonde r n vielmehr verachten sollen. ,Wenn', sag üh, ,ihr schon welChe habt, so setzt < ihn jene Mindergeachteten als Richter ein', d. h. Beschränkte und Minderwertige, ,die es in der Gemeinde gibt' ; d. h. : das ist es, was ihr getan habt. Dadurch gezwungen, haben sidt die Brüder an jene gewandt, d. h. an Ungläubige. Das tadelt 15 der Apostel an ihnen in ironisdter Ausdrucksweise; und weil es niCht vorkommen soll, hat er hinzugefügt: ,zu eurer SChande' oder ,zu eurer BesChämung sage üh das'; d. h. : iCh befehle es niCht, sondern bringe es in Erinnerung, damit ihr eudt sChämt, und ihr sollt sChamrot werden, daß ,unter euCh keiner so', d. h. so ,klug ist, um richten zu können zwi­ sChen dem Bruder' und ,seinem' Bruder; infolgedessen ist es 20 notwendig, Toren zu Ridttern einzusetzen. Immerhin ist das besser, als zu ungläubigen Ridttern zu laufen, wenn es an Klugen fehlt. ,So gibt es also' < wirklidt > , sag idt, ,keinen klugen Mann, sondern Bruder streitet mit Bruder' vor

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von

Padua, Verteidiger des Friedens

'apud infideles', quod peius est. Vel ita : 'Secularia igitur', quia dixerat apostolus, eos posse 'de' hiis 'minimis' iudicare, determinat, qui ad huiusmodi diffinienda negocia sunt con­ stituendi, scilicet 'contemptibiles qui sunf in ecclesia' ; mai­ ores enim spiritualibus intendere debent. Quasi : et quia 581 iudicare debetis, igitur hoc modo facite : 'si secularia' negocia 'habueritis, illos constituite ad iudicandum, qui sunt in ecclesia contemptibiles', id est aliquos sapientes, qui tarnen sunt minoris meriti; apostoli enim predicando circueuntes 5 talibus non oacabant. Sapientes ergo qui in locis consistebant fideles et sancti, non qui hac atque illac propter eoangelium discurrebant, talium negociorum examinatores esse ooluit. A quibus nos excusare non possumus, etsi velimus. Chri­ stum enim festem inooco, quoniam maUem per singulos 10 dies certis horis manibus illiquid operari et ceteras horas habere liberas ad legendum et orandum, oel ad agendum aliquid de dioinis literis, quam tumultuosas perplexitates causarum pati de negociis secularibus, oel iudicando diri­ mendis oel interveniendo precidendis. 'Dico, contemptibiles 15 constituite', hoc autem 'ad reoerenciam oestram dico', ut videlicet hii terrenas causas examinent, qui exteriorum rerum sapienciam perceperunt. Qui autem spiritualibus donis ditati sunt, terrenis non debent negociis implicari, ut dum non coguntur inferiora bona disponere, oaleant boni:� 20 superioribus deseroire. Sed tarnen curandum magno opere est, ut hii qui donis spiritualibus emicant, nequaquam proxi­ morum infirmancium negocia funditus deserant, sed hec aliis, quibus dignum est, tractanda committant oel per se gerant. § 7. Sunt autem hec apostoli et sanetarum scripta notanda. 25 Apparet enim ex ipsis primo, quod omnes contenciones inter 25

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,GeriCht', mas sChlimm ist, und noCh dazu ,vor Ungläubigen', mas < noCh > sChlimmer ist. Oder so : ,Wenn ihn nun' . . . : Weil 2 5 der Apostel gesagt hatte, sie. könnten über die ,geringfügigsten' Dinge riChten, bestimmt er, mer zur Erledigung derartiger GesChäfte einzusetzen ist, nämliCh ,die MindergeaChteten, die es in der Gemeinde gibt' ; die Höherstehenden müssen siCh dem GeistliChen midmen. Das heißt: und meil ihr < nun einmal > 581 Prozesse führen müßt, so tut es also < menigstens > auf folgende Weise: ,Wenn ihr meltlidte ReChtshändel habt, so setzt di e zu RiChtern ein, die in der Gemeinde minder geaChtet sind', d. h. kluge Leute, die jedoCh meniger Verdienst haben; die Apostel reisten ja als Prediger umher und hatten für der5 gleidwn keine Zeit. Kluge, gläubige und heilige Männer also, die an den Orten seßhaft maren, die niCht hier und dort megen des Evangeliums umhermanderten, sollten in solChen ReChtshändeln naCh seinem Willen die UntersuChung führen. Diesen können mir uns niCht entziehen, auCh menn mir mallten. Denn Christus rufe iCh als Zeugen an, daß iCh lieber 1 0 Tag für Tag an bestimmten Stunden Handarbeit leisten und die übrigen Stunden frei haben möChte zum Lesen oder zum Beten oder um etmas zu tun megen der göttliChen. SChrift, als die lärmenden Wirrungen von Prozessen megen meZfliCher GesChäfte über miCh ergehen zu lassen, um sie durCh ein Urteil beizulegen oder durCh mein Dazmisdten­ treten abzubreChen. ,ICh sage, setzt MindergeaChtete ein', da. der eben erwähnten Heiligen haben die gläubigen Gesetzgeher und die Herrscher aus Achtung vor dem Priesterstande, im Ver­ trauen auf ihre sittliche Tugend und aus anderen Gründen, von denen wir in II 251 936 gesprochen haben, den Bischöfen und den führenden Seelsorgern das Richteramt in der dritten 25 Bedeutung über die Personen und zeitlichen Güter der Kleriker zugestanden, damit sie durch Schikanen oder Störungen von ihren göttlichen Pflichten nicht abgehalten und in den weltlichen Angelegenheiten mit mehr Achtung behandelt würden. Da einige von den eben erwähnten Hei­ ligen als Bischöfe in Provinzen oder Orten eingesetzt waren, deren Herrscher oder Bewohner ihnen das obenerwähnte Richteramt übertragen hatten, so hätten sie nur unter Ver5 zieht auf den Bischofsstuhl sich einer solchen Übernahme der weltlichen Prozesse unter Klerikern entziehen können. § 10 Ferner wird mancher im Zweifel sein und mit Recht fragen, warum heilige Männer, z. B. der selige Sylvester und sehr viele andere, Gericht, weltliche Gewalt, Besitz und Ver­ waltung von zeitlichen Gütern übernommen haben, wenn to derartiges dem Amt der Priester, Bischöfe und der übrigen Verkünder des Evangeliums nicht angemessen ist und ge­ wesen ist. 1934

vielmehr Augustin ; vgl. 58 1 , 7-8.

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von

Padua, Verteidiger des Friedens

§ 1 1 . Dicendum arhitror secundum veritates inductas prius, presertim 1 '2'0 et 25° huius, quod fidelium ecclesia seu multitudo modica existens circa principium et consequenter 15 eciam tempore multo, a principantihus et subditis infidelihus persecuciones plurimas usque ad mortalia martiria pacie­ batur frequenter et in multa paupertate vivebat. Propter quod sancti episcopi, veri pastores, propter gregis salutem, augmentum, conservacionem et sustentacionem ab impera20 toribus fidelibus aliisque principibus, devotis et sibi pro­ piciis, gracias et favores, concessiones seu privilegia impe­ trabant aut oblatas suscipiebant, non quidem, ut preessent, sed ut prodesse possent et fidelem protegere populum atque 23 fovere. Sie ergo iudicia secularium actuum inter clericos precipue propter iam dictas causas sancti episcopi suscepe­ runt. Sie eciam quorundam temporalium administracionem absque possessione sive dominio seu auctoritate vendicandi curam acceperunt, ut posset hoc in fideles pauperes redun30 dare. Unde Ambrosius, De Tradendis Basilicis, ubi supra : Si agros desiderat imperator, potestatem habet vendicando­ rum; nemo nostrum intervenit; pofest pauperibus collacio populi redundare. Nemo ergo sacerdotum seu episcoporum interveniebat pro agris, quoniam Christum et apostolos , imitantes horum abdicahant dominium, pro fide vero agoni­ zahant constanter usque ad martern ; quamvis moderni epi­ scopi et precipue Rarnanorum pro agris et secularibus domi­ niis fortissime pugnent et pugnas undique inter Christi fideles concitent, dicentes se in hoc iura sponse Christi defen10 dere, cum tarnen ipsius iura non sint, sed iniurie ; veram sponsam, fidem videlicet, doctrinam et mores defendere, ne per pravos usus aut actus vel infidelium impetum corrumpa­ tur, quasi totaliter negligentes, quemadmodum diximus 26° huius. 19 3 8

cura administratio ; wenn diesen Bischöfen jemand das Recht Verwaltung bestreitet, dann verzichten sie. 1 9 3 9 Scholz 585 Anm. 1 ; vgl. 322,25 ff. und 551,4 ff. 1D40 Scholz 5 86 Anm. 1 ; vgl. 488,15. 1 9 4 1 II 26, 2 . =

zur

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§ 1 1 Darauf ist, glaube ich, nach den früher, zumal in II 1'71 937 und 25 angeführten Wahrheiten zu entgegnen : Die Gemeinde oder das Volk der Gläubigen war im Anfang 15 klein ; dann hatte es, sogar lange Zeit, von den ungläubigen Herrschern und deren Untertanen häufig sehr viele Ver­ folgungen bis zur Todesmarter zu erleiden und lebte in tiefer Armut. Deswegen haben die heiligen Bischöfe, wahre Hirten, um ihre Herde zu retten, zu mehren, zu erhalten und zu verzo sorgen, von den gläubigen Kaisern und anderen Fürsten, frommen und ihnen freundlich gesinnten Männern, Gnade und Gunst, Zugeständnisse oder Vorrechte erbeten oder dar­ gebotene angenommen, nicht um an der Spitze zu stehen, sondern um Nutzen zu stiften und das gläubige Volk schützen und betreuen zu können. So haben also die heiligen Bischöfe 25 die Rechtsprechung in weltlichen Streitsachen, unter Klerikern vor allem, aus den eben angeführten Gründen übernommen ; so haben sie sich auch der Verwaltung gewisser zeitlicher Güter - ohne Besitz- oder Eigentumsrecht oder Befugnis, die Sorge1 938 dafür < vor Gerichb in Anspruch zu nehmen - unter­ zogen, damit dieser < Segen > den armen Gläubigen zugute kommen könnte. Daher sagt Ambrosius1 939 in der Schrift ,über 30 die Übergabe der Basiliken' an der oben angeführten Stelle : Wenn der Kaiser Ländereien wünsCht, so hat er die Gewalt, sie 586 zu nehmen; niemand von uns widerspriCht. Was das Volk auf­ bringt, kann den Armen zufließen. Niemand also von den Priestern oder Bischöfen erhob Einspruch wegen der Län­ dereien ; denn in der Nachfolge Christi und der Apostel lehn; ten sie Eigentum an ihnen ab ; für den Glauben aber stritten sie standhaft bis zum Tode ; indessen die Bischöfe unserer Zeit, und besonders die römischen, setzen sich heldenhaft für Ländereien und weltliche Eigen turnsrechte ein, erregen darum überall Kämpfe unter den Christusgläubigen und behaup­ ten, damit die ReChte der Braut Christi zu verteidigen 1940 ; 10 aber das sind doch nicht ihre Rechte, sondern ihr Unrecht ; die wahre Braut, den Glauben, die Lehre und die guten Sitten, zu verteidigen, damit sie nicht durch schlimme Gewohnheiten oder Taten oder den Ansturm der Ungläubigen zugrunde ge­ richtet werde, das vernachlässigen sie fast ganz, wie wir in II 261 941 gesagt haben. 1937 II 1 7, 16, bes. 371 , 7 ; II 25, 2 (468 , 13) .

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Hiis ergo de causis antiquis temporibus huiusmodi officia et beneficia susceperunt sanctorum aliqui, [quibus siquidem] convenienter renunciare possent moderni, ad minus in com­ munitatibus fidelium. Sufficienter enim per principantes ab oppressionibus defenditur clerus, quinimo vix ab offensioni20 bus in alios reprimi potest. Verum talibus renunciare secula­ ribus officiis, possessionibus atque dominio temporalium non est propositum modernorum pastorum, sed pro huiusmodi eciam armata pugnare potencia non solum habitis conser­ vandis, verum eciam pro reliquis usurpandis, sicut quilibet 25 quantumcumque rudis sensu, si non alio, doceri potest ; uni­ versitatem fidelium eciam quamplurimum scandalizantes ex hoc ambicionis exemplo, non attendentes Christi commina­ cionem Matthei 1 8°, dum dixit : Qui scandalizaverit unurn de pusillis istis etc. Ubi glossa secundum Ieronymum : Et 58? quarnquarn generalis possit esse sentencia adversus ornnes, qui aliquern scandalizant, tarnen iuxta consequenciarn ser­ rnonis eciarn contra apostolos dieturn intelligi pofest, qui 5 interrogando, quis rnaior esset, videbantur inter se de digni­ tate contendere. Et si in hoc vicio perrnansissent, poferant eos, quos ad fidern vocabant, per suurn scandalurn perdere, durn apostolos viderent inter s e de honore pugnare. Quod autem de apostolis Ieronymus dixit, intelligendum est eciam 10 de ipsorum successoribus omnibus, episcopis sive presby­ teris. Quod si tarnen sponte huiusmodi officia iudicialia et auctoritatem distribuendi temporalia relinquere nolint ipsis­ que abutantur, secundum divinam et humanam Iegern licite possunt et debent principantes aut fideles legislatores eadem 1 5 ab ipsis revocare, quemadmodum demonstratum 1 5° prime, 1 7° et 2 1 ° huius. § 12. Quod autem obiciebatur ex apostolo 1a ad Corin­ thios 9° et 2a ad Thessalonicenses 3° : N urnquid non habernus 15

1944 Scholz 58? 1945 I 1 5 . 1 1-12

Anm. 1 . (Aufsicht der Regierung über die anderen Berufsstände) ; II 1 ?, 1 6-19 (bes. 375 , 1 ff.) ; II 2 1 , 14 (4 1 7,28 ff.) .

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Aus diesen Gründen haben nun in alter Zeit manche Heilige derartige Ämter und Benefizien übernommen, auf die doch die Heutigen mit Leichtigkeit verzichten könnten, zu­ mindest in den Gemeinschaften der Gläubigen ; denn die Herrscher schützen die Geistlichkeit hinreichend vor Be­ drückung, ja sie läßt sich kaum mit Gewalt von Angriffen gegen andere zurückhalten. Aber auf solche weltliche Ämter, auf Besitzungen und auf Eigentum an zeitlichen Gütern zu verzichten liegt nicht in der Absicht der heutigen Seel­ sorger, sondern für dergleichen sogar mit bewaffneter Macht zu kämpfen, nicht nur um das bereits Gewonnene zu er­ halten, sondern auch um sich anderes anzumaßen, wie jeder, mag er noch so ungebildet sein, wenn er nicht von Sinnen 194 2 ist, durch den Augenschein sich unterrichten kann. Durch dieses Beispiel von Begehrlichkeit erregen sie bei der Gesamtheit der Gläubigen auch schwerstes Ärgernis und achten nicht auf Christi Drohung bei Matthäus im 18. Kap.1 943 : Wer einen von diesen Kleinen ärgert usw. Dort erklärt die Glosse nach Hieronymus1 944 : Obwohl der allgemeine Sinn gegen alle ge­ richtet sein kann, die jemandem Argernis geben, kann das Wort doch nach dem Zusammenhang sogar als gegen die Apostel gerichtet verstanden werden, die mit der Frage, rver der Größte sei, untereinander rvegen der Würde zu streiten sdüenen. Wären sie bei diesem Fehler geblieben, so hätten sie diejenigen, die sie zum Glauben riefen, durch ihr Arger­ nis v erderben können, rvenn diese sahen, daß die Apostel untereinander um die Ehre kämpften. Was aber Hieronymus von den Aposteln gesagt hat, muß man auch von allen ihren Nachfolgern verstehen, den Bischöfen oder Priestern. Wenn sie jedoch derartige Richterämter und die Befugnis, zeitliche Güter zu verteilen, freiwillig nicht aufgeben wollen und sie mißbrauchen, dann können und müssen die Herrscher oder die gläubigen Gesetzgeber nach dem göttlichen und mensch­ lichen Gesetz - mit vollem Recht - sie ihnen wieder entziehen, wie in I 151945, in II 1? und II 21 gezeigt worden ist. § 12 Der Einwurf aus < den Worten > des Apostels im 1 . Korintherbrief im 9. Kap. und im 2. Thessalonicherbrief im 3. Kap. (?b) : Haben rvir nicht etrva Gemalt usw., ist in 1942 si non alio, sc. sensu verrückt. 1943 Matth. 18,6. =

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potestatem etc., dissolutum fuit 14° huius. Talis enim potestas, ut ibi dicebatur, non est iurisdiccionis, sed licite petendi secundum Iegern divinam, quamvis tarnen non in iudicio coactivo, alimentum et tegmentum sibi debitum propter evangelii ministracionem a potentibus exibere. Ei vero que inducebatur ex 1 • ad Timotheum 5°, dum dixit apostolus : Adversus presbyterum noli accipere accusacionem etc., dicendum, hoc apostolum intellexisse, si de­ beat sacerdos publice increpari a suo superiori, pastore sive doctore ; non enim iurisdiccionem coactivam alicui sacerdoti vel episcopo in quemquam exercere mandavit, quoniam et hoc ad suam et cuiuslibet sui successoris auctoritatem non pertinere novit apostolus. Significavit [autem] apostolus correpcionem que ad pastorem pertinet solum esse verbalem in eo quod subdit : Peccantes coram omnibus argue, ut ceteri timorem habeant; nec dixit : Cape vel incarcera, sed incor­ rigibiles sermone docuit evitari. Unde ad Titum 3° : Hereti­ cum hominem post primam et secundam correpcionem de­ vita, cum sit proprio iudicio condempnatus. C A P I T U L U M XXX

10

D e s o l u c i o n e r a c i o n u m e o d e m I I I 0 a d i de m e c i a m inductarum, et imperii Romani ac alterins cuius ­ l i b e t p ri n c i p a t u s t r a n s l a ci o n e , q u a n t u m s e c u n d u m r e ct a m r a c i o n e m f i e r i d e b e t e t p of e s t . 15

20

Reliquum vero et ultimum huius diccionis est solvere raciones, quas eciam 3° huius induximus ad astruendum errorem dicencium, iurisdicciones coactivas ad presbyteros aut episcopos ipsarumque supremam omnium in hoc seculo ad Roman um episcopum, inquantum huiusmodi, pertinere. 1 94 6 1 947 1 948 1 949 195o 1951

1. Kor. 9,4 ; 2. Thess. 3,9 ; vgl. II 14, 6-7 1 . Tim. 5 , 1 9 ; vgl. II 3, 9. 1 . Tim. 5,20. Vo (Partikeln : vel) . Tit. 3 , 1 0-1 1 . II 3 , 10-15.

u.

II 3, 8 .

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li 141946 entkräftet worden. Eine solche Gewalt, wie sie dort gemeint war, bedeutet ja nicht Rechtsprechung, sondern < die Erlaubnis > , mit Recht nach dem göttlichen Gesetz (aller­ dings nicht vor einem zwingenden Gericht) Nahrung und Kleidung zu verlangen, die für den Dienst am Evangelium ihnen zu reichen verpflichtet ist, wer dazu die Mittel hat. Auf den Einwand (8) aus dem 1 . Brief des Apostels an Timotheus Kap. 51947 : Gegen einen Altesten nimm keine Klage 25 an usw., ist zu entgegnen : Das hat der Apostel gemeint für den Fall, daß ein Priester von seinem Oberen, einem Seel­ sorger oder Kirchenlehrer, vor aller Öffentlichkeit gescholten 588 werden müßte. Denn eine zwingende Rechtsprechung gegen jemand auszuüben, hat er keinem Priester oder Bischof auf­ getragen ; der Apostel weiß ja, daß das ihm und jedem seiner Nachfolger nicht zukommt. Daß der Tadel, der dem Seel5 sorger erlaubt ist, allein in Worten besteht, hat der Apostel , angedeutet in dem, was er hinzufügt1 948 : Die Sünder weise in Gegenwart aller zureCht, damit die anderen FurCht be­ kommen, er hat nicht gesagt : Nimm sie gefangen und1 949 führe sie ins Gefängnis, sondern hat gelehrt, denen, die mit Worten nicht zu b essern sind, aus dem Wege zu gehen. Daher schreibt er im Brief an Titus im 3. Kap.1 950 : Einen ketzerisChen MensChen meide, wenn du ihn einmal und ein zweites Mal gerügt hast; er ist durCh sein eigenes Urteil ver­ dammt. 20

10

KA P I T E L XXX

D i e E n t k r ä f t u n g d e r V e r n u n f t g r ü n d e , die e b e n f a l l s i m 3. K a p i t e l z u d e m s e l b e n T h e m a a n g e f ü h r t w o r ­ d e n s i n d , u n d v o n d e r Üb e r t r a g u n g d e s r ö m i s ch e n K a isertu m s und j e d e r anderen Regi erun gsgewalt, s o w e i t s i e n a c h d e m r ich t i g e n v e r n ü n f t i g en D e n k e n e r f o l g e n m u ß u n d e r f o l g e n k a n n. 15

20

§ 1 Für diesen Teil bleibt als letztes noch übrig, die Ver­ nunftgründe zu entkräften, die wir ebenfalls in li 3195 1 an­ geführt haben und die den Irrtum derer stützen sollten, die behaupten, den Priestern oder Bischöfen komme eine zwingende Rechtsprechung zu und die allerhöchste in dieser Welt dem römischen Bischof als solchem.

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Ad earum ergo primam, cum dicebatur : Sicut se habet corpus ad animam, sie princeps corporis ad principem anime : hec proposicio falsa est [universaliter sumpta] . Nam quamvis anima distinguatur a corpore, quoniam anima non 25 est corpus, nullus tarnen est corporis princeps, quin sit eciam anime aliquo modo princeps, et econverso, sumendo prin­ cipem proprie, quemadmodum apparet 8° et 9° huius. 589 Si vero per principem corporis secundum metaphoram intelligatur medicus, qui eius curam gerit tamquam doctor operativus et quantum ad actus qui sunt particule irracio­ nalis et nutritive ; per principem autem anime eum qui 5 medicus est et doctor sive preceptor operativus quantum ad actus partis racionalis et appetitive tarn in statu et pro statu presentis seculi, quales sunt humanarum seiendarum sive disciplinarum doctores, quam pro statu futuri seculi, quales 10 sunt pastores et sacerdotes, possei iam dicta proposicio indif­ finite sumpta concedi, quoniam universaliter sumpta semper instanciam multiplicem pateretur. Anima enim ad corpus, et rursum racionalis ad irracionalem, multas habet differen­ cias, quas doctor aut curator secundum unam non habet ad 15 doctorem seu curatorem secundum aliam. Etenim racionalis ad imaginem trinitatis est sillogizans, irracionalis vero minime, nec tarnen inter harum curatores seu doctores est huiusmodi differencia ; sie et in aliis. Ea ergo in aliquo sensu concessa, ut videlicet sicut anima racionalis et appetitiva 20 nobilior est corpore, id est animato secundum nutritivam, ita doctor vel curator anime racionalis etc. dignior est eo qui curator et doctor est irracionalis ; sive eciam :fiat compa­ racio hec inter doctorem anime racionalis pro statu seu fine presentis seculi tauturn ad eum qui eiusdem doctor est prin25 cipaliter pro statu seu fine futuri seculi ; esto sie inquam alterum altero perfecciorem esse, non ex hoc sequitur, ipsorum 1 952 195 3 19 54 1955

II 3 , 10 (1 56, 1 -2) . I I 8 , 1-3, bes. 223, 7-9

(Das göttliche Gesetz gibt der Seele Weisungen und damit auch dem Körper, der die Befehle der Seele aus führt) . Vo (Konjunktionen : quoniam) . d. h. Punkt für Punkt durchgeführt.

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( 1 ) Auf den ersten < Einwand > also : Wie sich der Körper zur Seele1 952 verhält, so der Beherrscher des Körpers zum Beherrscher der Seele, < ist zu entgegnen > : Dieser Satz ist falsch, wenn er ganz allgemein genommen wird. Denn die Seele unterscheidet sich zwar vom Körper - Seele ist ja nicht Körper -, doch gibt es keinen Beherrscher des Körpers, der nicht auch irgendwie Beherrscher der Seele wäre, und umge­ kehrt, wenn man Beherrscher im eigentlichen Sinne nimmt ; das ergibt sich aus II 8 und I1 9 .1 95 3 Wenn man aber unter dem Beherrscher des Körpers in bildlichem Sinne den Arzt verstünde, der für ihn Sorge trägt als praktischer Lehrer, und zwar hinsichtlich der Akte des unvernünftigen und ernährenden Teils, unter Beherrscher der Seele den Arzt und praktischen Lehrer für die Akte des vernünftigen und begehrenden Teils sowohl im Stande und für den Stand der gegenwärtigen Welt, wie es die Lehrer der menschlichen Wissenschaften oder Disziplinen sind, als auch für den Stand der künftigen Welt, wie es Seelsorger und Priester sind - so könnte man den eben erwähnten Satz, unbestimmt genommen, gelten lassen ; doch1954 ganz um­ fassend19 55 genommen, würde er in jedem Falle vielfache Ein­ wände erfahren. Denn die Seele zeigt gegenüber dem Kör­ per und wieder der vernünftige Teil < der Seele > gegenüber dem unvernünftigen viele Unterschiede, die der Lehrer oder Betreuer des einen nicht hat gegenüber dem Lehrer oder Betreuer des anderen. Denn der vernünftige Teil schließt logisch nach dem Bilde der Dreieinigkeit, der unvernünftige keineswegs, und doch besteht zwischen deren Betreuern oder Lehrern kein derartiger Unterschied ; so ist es auch sonst. Wenn man also diesen Unterschied in gewissem Sinne zugibt, z. B. : wie die vernünftige und begehrende Seele edler ist als der Körper, d. h. als das nur vom Ernährungstrieb Belebte, so besitzt der Lehrer oder Betreuer der vernünftigen usw. Seele höhere Würde als der Betreuer und Lehrer des unver­ nünftigen Teiles - wenn man < dann > auch diesen Vergleich zieht zwischen dem Lehrer der vernünftigen Seele nur für den Stand oder Zweck der gegenwärtigen Welt und ihrem Lehrer vorzugsweise für den Stand oder den Zweck der künf­ tigen Welt ; nimmt man also, sag ich, unter diesem Gesichts­ punkt an, der eine sei vollkommener als der andere - so

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perfeeeiorem iudieem esse super imperfeeeiorem iudieio eoactivo ; sie enim metaphysieus prineeps esset eoactivus mediei, et plurima manifeste ineonvenieneia sequerentur ex hoe. Quod si per prineipem eorporum intelligatur prineipans 30 590 sive iudex hominum eoactivus seu tereie signifieaeionis in statu et pro statu sive fine presentis seeuli tantum aut prin­ eipaliter, per prineipem vero animarum eum qui iudex est seeundum tereiam significacionem principaliter pro statu 5 seu fine venturi seculi, sicut videtur intendere disputans : posset eoncedi comparaeio sive proporeio secundum ali­ quem sensum seu indiffinite sumpta, quoniam universaliter, ut prediximus, multas pateretur instancias. Et cum assumi1 0 tur, corpus subest anime vel irraeionale omnino aut seeun­ dum aliquem modum subest anime, id est raeionali, simpli­ eiter eoneesso seeundum perfeeeionem subesse, non ex hoe sequitur subesse seeundum iurisdieeionem ; sie enim inferens peeearet seeundum eonsequens. Esto tarnen, quamvis non 15 propter argumentaeionem hane, prineipem eorporum, id est hominum iudieem eoactivum pro statu presentis seeuli tau­ turn, subesse seeundum iurisdieeionem iudiei animarum eo­ activo pro statu venturi, non propter hoe sequitur, quem­ quam huius seeuli prineipem sive iudieem eoactivum subesse zo seeundum iurisdieeionem alieui episeopo vel saeerdoti. Quon­ iam nullus episeopus aut saeerdos, inquantum huiusmodi, est prineeps seu iudex eoactivus euiusquam pro statu pre­ sentis seeuli [vel venturi] , quemadmodum 4°, 5° et 9° huius ostensum est. Iudex enim coactivus animarum sive pro stahl 25 futuri seculi Christus est solus. Unde Iaeobi 4°, quod nee repetere piget : Unus est legislator et iudex, qui pofest per­ dere et liberare. Hie autem neminem mortalem statuit 1 956 1 957 1 958 1 959 1 9 60

d. h. als Untersatz. Subjekt ist corpus vel irrationale. daR der Körper unter der Seele stehe in der Rechtsprechung. über II 4-5 u. II 9 vgl. Anm. 1 713. Jak. 4, 1 2 ; vgl. 219, 14-15 ; 23 1 , 1 5-1 6 ; 246, 3-5.

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folgt daraus nicht, daß der Vollkommenere über den Unvoll­ ko lfl meneren Richter sei in einem zwingenden Gericht ; dann wäre nämlich der Metaphysiker zwingender Beherrscher des Arztes, und sehr viele Sinnlosigkeiten würden offensichtlich daraus folgen. 30 Wenn man aber unter Beherrscher der Körper den Beherr590 scher oder Richter der Menschen verstünde, einen zwingen­ den oder einen in der dritten Bedeutung im Stande und für den Stand oder den Zweck der gegenwärtigen Welt aus­ schließlich oder vorzugsweise, unter dem Beherrscher der Seelen einen Richter in der dritten Bedeutung vorzugsweise 5 für den Stand oder den Zweck der künftigen Welt, wie es der Diskussionsgegner offenbar meint, < dann > könnte man den Vergleich oder das Verhältnis in gewissem Sinne, d. h. in unbestimmtem Sinne, gelten lassen ; doch in umfassendem Sinne genommen, wie wir vorher gesagt haben, würde < der Satz > sehr viele Einwände erfahren. Wenn man nun im Unter­ satz annimmt 1 956 : Der Körper ist der Seele untergeordnet, oder 10 das Unvernünftige ist überhaupt oder in einem bestimmten Sinne der Seele, d. h. dem Vernünftigen, untergeordnet ; wenn man < weiter > schlechthin zugibt, an Vollkommenheit sei < der Körper > untergeordnet, so folgt daraus nicht, die Unterordnung 19 57 gelte in der Rechtsprechung ; wer nämlich so folgern wollte, würde einen logischen Fehler begehen. Angenommen ,jedoch - freilich nicht auf Grund dieser Argu15 mentation -1958 , der Beherrscher der Körper, d. h. der zwin­ gende Richter über Menschen nur für den Stand der gegen­ wärtigen Welt, stehe in seiner Rechtsprechung unter d em zwingenden Richter über die Seelen für den Stand der künf­ tigen Welt, so folgt deswegen nicht, ein Herrscher oder der zwingende Richter dieser Welt unterstehe in der Recht20 sprechung irgendeinem Bischof oder Priester. Denn kein Bischof oder Priester als solcher ist Herrscher oder zwingen­ der Richter über ,jemand für den Stand der gegenwärtigen Welt oder der künftigen, wie in II 4, II 5 und II 91959 gezeigt worden ist. Zwingender Richter über die Seelen oder für den Stand der künftigen Welt ist doch Christus allein. Daher 25 heißt es bei Jakobus im 4. Kap.1 960, und wir wiederholen es nicht ungern : Einer ist Gesetzgeber und Richter, der verder­ ben und retten kann. Dieser aber hat beschlossen, in dieser

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iudicare irrevocabiliter, neminemque punire aut premiare in hoc seculo, sed punire aut premiare in venturo tantummodo statuit, ut diximus et per scripturam probavimus 9° huius. Romanus autem episcopus cum reliquis eeiam pastoribus est animarum doctor, quemadmodum medieus, non iudex 5 eoactivus aut prineeps, ut ubi supra monstravimus per se­ riem evangelieam, per apostolum, Ylarium atque Chrysosto­ mum, et raeione eogente. § 2. Que vero amplius indueebatur raeio, quoniam sieut eorporalia spiritualibus eomparantur, sie prineeps eorpora! O lium ad eum qui spiritualium, quia eidem quasi radiei eum priore innititur, quasi eodem aut eonsimili modo repellenda est. Maior enim instancias patitur plurimas ; ad minorem, qua dieitur, eorporalia subdi spiritualibus, si aeeipiatur subdi pro esse minus perfecto, debet eoneedi iuxta proprias 1 5 signifieaeiones horum nominum temporale et spirituale. Cum vero subiungebatur, Romanum episeopum esse prineipem sive iudieem spiritualium, si iudex sumatur secundum pri­ mam iudicis significacionem, ut quia horum iudicator speeu­ lativus aut operativus, verum est, Romanum episcopum et 2 0 alium quemlibet huiusmodi iudicem esse vel esse debere ; et ex hoc eoncluditur, quod perfeceior est eo qui iudicat tali iudicio de eorporalibus tantum, presertim propter ''di:ffe ren­ ciam':· iudicatarum rerum. Sed propter hoe non sequitur, iudi­ cem spiritualium talem superiorem esse altero iurisdiccione zs seu iudicio coactivo. Sie enim qui animalia speculatur prin­ ceps esset sive iudex coactivus astrologi vel geometre vel econverso, eum tarnen neutrum sit neque neeessarium neque verum. Si vero intendatur, Romanum aut quemvis alium episeopum iudicem esse spiritualium secundum terciam sig;o nifieaeionem, videlieet eoactivum, neganda est tamquam manifeste falsa, ut ex Iacobi 4° pridem induximus et 9° huius. 592 59 1

196 3 W spiritualis u . II 3, 1 1 . 1964 Vgl. Gewirth I 228. 1965 J ak. 4,12 in II 9, 1 .

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Welt keinen Sterblichen unwiderruflich zu richten, zu hestrafen oder zu belohnen, sondern nur in der künftigen, wie wir gesagt und aus der Schrift in II 9196 1 bewiesen haben. Der römische Bischof ist aber auch mit den übrigen Seelsorgern Lehrer der Seelen wie der Arzt Lehrer < im Körperlichem , nicht zwingender Richter oder Herrscher, wie wir unter Be­ 5 rufung auf den Wortlaut des Evangeliums, den Apostel, Hilarius und Chrysostomus und durch einen zwingenden VernunHbeweis oben am angeführten Ort19 62 gezeigt haben. § 2 (2) Ein weiterer Vernunftbeweis : Wie das Körper­ liche zum Spiritualen 1 9 63, so steht der Beherrscher des Körper10 liehen zu dem des Spiritualen - entspringt fast aus derselben Wurzel wie der erste und muß daher auf dieselbe oder eine ganz ähnliche Weise zurückgewiesen werden. Denn gegen den Obersatz erheben sich sehr viele Einwände. Den Unter­ satz, das Körperliche sei dem Spiritualen untergeordnet, muß man bei eigentlicher Bedeutung der Worte zeitlich und spiri15 tual gelten lassen, wenn man untergeordnet-sein nimmt für : weniger-vollkommen-sein. Nun wurde hinzugefügt, der römische Bischof sei Herrscher oder Richter im Spiritualen ; falls dabei Richter genommen wird in der ersten Bedeu­ tung von Richter, d. h. als theoretischer oder praktischer Beurteiler des < Spiritualen > , so ist das wahr. Der römische 20 Bischof und jeder andere ist ein solcher Richter oder soll es sein. Daraus wird der Schluß gezogen, er sei vollkommener als der, der mit einem solchen Gericht nur über Körperliches entscheidet, zumal wegen der Verschiedenheit der Dinge, über die sie richten. Aber daraus folgt nicht, an zwingender Rechtsprechung oder zwingendem Gericht stehe ein solcher Richter über Spirituales höher als der andere. Dann wäre 25 nämlich der Zoologe Herrscher oder zwingender Richter des Astronomen oder Geometers oder umgekehrt, obwohl doch keines von beiden notwendig oder wahr isf.1 964 Sollte aber gemeint sein, der römische oder jeder andere Bischof sei R ichter über das Spirituale in der dritten Bedeutung, d. h. 3 0 mit Vollstreckungsgewalt, so wäre < der Satz > als offensicht­ lich falsch abzulehnen, wie wir früher aus Jakobus Kap. 4, 592 und < zwar > in II 91965 , bewiesen haben. Denn Christus allein 1 96 1 II 9, 1 . 19 62 II 9, 2-9. 591

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Solus enim Christus huiusmodi iudex est, eui iudieem huius seeuli quantum ad eoactivam iurisdieeionem ''pro statu futuri seeuli':· nusquam negavimus neque negamus subesse. Unde 5 apostolus ad Ephesios 6° ''et Colassenses ultimo'' : lilarum et vester dominus in celis est; ubi tune nullus erat apostolus aut saeerdos Nove Legis alter a Christo. Propter quod ab hoe iudiee solo, iudieio eoactivo iudieabuntur huius seeuli iudiees, et qui demeruerint, areebuntur per poteneiam eo1 0 activam, in alio seeulo tarnen, seeundum suam Iegern, ut apparuit 9° huius. Per equivoeaeionem ergo huius nominis iudex fallebat iam dictus paralogismus. § 3. Ei aufem argumentaeioni, quoniam sieut finis ad finem, 15 Iex ad Iegern ete., sie iudex ad iudieem, negari posset univer­ saliter sumpta. Ea tarnen indiffinite eoneessa eum minore adiuncta, eoncluditur fortasse propter materiam, iudieem eoactivum seeundum Iegern divinam superiorem esse ad iudieem eoactivum seeundum humanam Iegern, quod eonees20 simus prius. Quod si assumatur, Romanum aut alium quem­ vis episeopum iudieem esse seeundum Iegern divinam, distin­ guenda est oraeio seeundum equivoeaeionem huius dieeionis iudex et interimenda in sensu, seeundum quem disputans eoncludere querit, Romanum aut alium quemquam episeo25 pum iudieem esse eoactivum in hoe seeulo vel futuro seeun­ dum Iegern divinam. § 4. Que vero raeio aeeipit, eum euius aeeio nobilior est 593 sive perfeecior non debere illi subiei seeundum iurisdieeio­ nem eoactivam, euius aeeio minus nobilis est sive minus per­ fecta : hoe autem sustinet episeopi seu presbyteri aeeio ad eam que prineipantis. Est enim nobilius et perfeeeins eueha5 ristiam eonseerare, eetera quoque mirristrare sacramenta ecclesie, quod est opus episcopi sive sacerdotis, quam de 1968 1969 1970 197 1 19 72 19 73

Der Dativ ist anakoluthisch. II 3, 12. Nun steht Zweck und Gesetz des weltlichen Richters unter . . . d. h. der drei Begriffe des Schlusses. Der Satz wird 593,9 weitergeführt. II 3, 13.

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ist Richter dieser Art ; ihm ist - das haben wir nirgends bestritten, noch bestreiten wir es - der Richter dieser WeH hinsichtlich der zwingenden Rechtsprechung für den Stand der künftigen Welt untergeordnet. Daher sagt der Apostel 5 im Epheserbrief im 6. Kap. und im Kolosserbrief im letzten Kap. 1966 : Ihr Herr und der eurige ist im Himmel; dort war damals kein Apostel oder Priester des Neuen Gesetzes, nur Christus. Deswegen wird dieser Richter allein in einem zwin­ genden Gericht die Richter dieser Welt richten und die sich vergangen haben mit zwingender Gewalt strafen, doch in 1 0 der anderen WeH nach deren Gesetz, wie sich in II 919 6 7 ergeben hat. Durch den Doppelsinn des Wortes Ridtter hat also der eben erwähnte Fehlschluß in die Irre geführt. § 3 (3) Die Beweisführung1 968 : Wie Zweck zum Zweck, t 5 Gesetz zum Gesetz usw., so < verhält sich > Richter zu Rich­ ter1969, könnte abgelehnt werden, wenn man sie in ganz um­ fassendem Sinne nähme. Wenn man sie aber in unbestimm­ ter Anwendung mit Hinzufügung des Untersatzes1 9 70 zugibt, so wird vielleicht auf Grund der Materie1 971 des Syllogismus der Schluß gezogen, der zwingende Richter nach dem gött­ lichen Gesetz stehe höher als der zwingende Richter nach dem menschlichen Gesetz ; das haben wir vorhin· zugegeben. Wenn 20 aber dazugenommen würde, der römische oder jeder andere Bischof sei Richter nach dem göttlichen Gesetz, so ist ein Unter­ schied zu machen wegen des Doppelsinns des Ausdrucks Ridt­ ter und der Einwand zunichte zu machen in dem Sinn, aus dem der Diskussionsgegner den Schluß zu ziehen sucht, nach dem 25 göttlichen Gesetz sei der römische oder irgendein anderer Bischof zwingender Richter in dieser oder der künftigen WeH. § 4 (4) Der nächste Vernunftschluß1 972 nimmt an : Der1 9 73, dessen Tätigkeit edler oder vollkommener ist, darf nicht in 593 einer zwingenden Rechtsprechung d e m untergeordnet wer­ den, dessen Tätigkeit weniger edel oder wenig·er vollkommen ist ; nun behauptet die Tätigkeit des Bischofs oder Priesters gegenüber der des Herrschers diesen Vorrang ; es ist doch edler und vollkommener, das Sakrament des Altars zu voll5 ziehen und die übrigen Sakramente der Kirche zu spenden, was Aufgabe des Bischofs oder Priesters ist, als wegen 196 & Eph. 6 , 9 ; Kol. 4 , 1 . 1967 li 9. 1-9.

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civilibus seu contenciosis actibus humanis iudicare atque precipere, quod opus est principantis seu iurisdiccionem coactivam habentis solummodo inquantum huiusmodi. Pri1 0 mam proposicionem falsam recipit et negandam universali­ ter sumptam, quoniam nec aliter raciocinacio formam con­ venientem haberet. Minor eciam universaliter sumpta simi­ liter, pro quocumque [seilieet] saeerdoeio vel saeerdote, pa­ teretu r instaneiam. Non enim aeeio saeerdotum in aliis legi15 bus nobilior est aeeione prineipantis ; eius enim oppositum ostensum est 1 5° prime ; sed in sola lege Christianorum aeeio saeerdotum est aliarum perfectissima, quod tarnen sola fide tenemus. Est igitur huius argumentaeionis prima proposieio falsa ; nihil enim prohibet, nobiliorem seu perfeeciorem simplieiter 20 habens aeeionem quantum ad aliquid dependere ab habenie minus perfectam, et sie quantum ad quid esse imperfeeeius. Corpus enim humanum, quod est perfeeeius simplieiter omni eorpore simpliei aut mixto, generabili saltem, quantum ad 25 aliquid poteneia est et minus perfeeturn multis mixtis atque simplieibus. Est eeiam hoe videre in partibus eiusdem toeius. Nam quamvis oeulus sit membrum sive pars perfeeeior manu vel pede, quoniam perfeeeiorem ef:fieit aeeionem, nil minus ab ipsis pendet et reeipit aliquam aecionem aut 594 motum ; e quoque eonverso hee ipsa dependent ab oeulo, quoniam in finem, ad quem movent aut moventur, diriguntur per ipsum. •:· Sie eeiam dicebat apostolus 1a ad Corinthios 12° : Non pofest autem oculus dicere manui: opera tua non in­ digeo.·� 5 Quo siquidem igitur seu proporcionali modo prineipatus eciam dependet ae recipit aliqua per aeeiones aliquarum et inferiorum parcium civitatis, de quibus diximus 5° prime, quamvis non secundum iudicium coactivum ; cum tarnen ipse 10 secundum aliquid melius et perfeccius a principatu depen1974 I 15, 7 u. 13-14. 1975 1 . Kor. 12,21. t9 7 6 II 5, 4.

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bürgerlicher Streitsachen der Menschen Gericht zu halten und Vorschriften zu erlassen, was Aufgabe der Regierung oder dessen ist, der eine zwingende Rechtsprechung aus­ schlieRlieh als solcher hat. < Dieser Vernunftschluß > enthält einen falschen Obersatz, der abgelehnt werden müßte, wenn 10 er ganz allgemein genommen würde, freilich auch sonst hätte die Schlußfolgerung nicht die geforderte Form. Auch der Untersatz, ebenso allgemein genommen, d. h. auf die ganze Priesterschaft oder jeden Priester, würde einen Einwand erfahren. Denn die Tätigkeit des Priesters ist, wenn sie unter anderen < nicht christlichen > Gesetzen steht, t5 nicht edler als die des Herrschers ; das Gegenteil davon ist in I 151 974 gezeigt worden ; sondern allein unter dem Gesetz der Christen ist die Tätigkeit der Priester die allervollkommenste ; diese Überzeugung haben wir jedoch allein im Glauben. Der Obersatz dieser Beweisführung ist also falsch. Nichts hindert nämlich, daR das, was die edlere oder vollkommenere 20 Tätigkeit schlechthin hat, in mancher Hinsicht abhängt von dem, was eine weniger vollkommene hat, und so in gewisser Hinsicht unvollkommener ist. Denn der menschliche Körper, der schlechthin vollkommener ist als jeder einfache oder gemischte Körper, wenigstens als ein erschaffener, ist in man25 eher Hinsicht in seiner Leistungsfähigkeit auch weniger voll­ kommen als viele gemischte und einfache. Das ist auch an den Teilen dieses Ganzen zu sehen. Denn das Auge ist zwar ein vollkommeneres Glied oder Teil als Hand oder Fuf! - es übt ja eine vollkommenere Tätigkeit aus -, trotzdem hängt es von ihnen ab und empfängt von ihnen Tätigkeit oder Be594 wegung ; umgekehrt hängen diese vom Auge ab ; denn nach dem Ziel, auf das hin sie bewegen oder sich bewegen, werden sie von ihm gelenkt. So hat auch der Apostel im 1. Korinther­ brief im 1 2. Kap.1 975 gesagt : Das Auge darf niCht zur Hand sagen : ICh bedarf deiner niCht. 5 In dieser oder entsprechender Weise ist nun auch die Re­ gierung abhängig und empfängt < Einwirkungen > durch die Tätigkeiten einiger niederer Bestandteile des Staates, wovon wir in I 51 976 gesprochen haben, wenn auch nicht im zwingen­ den Gericht, und doch hängen diese < Bestandteile > unter 1 0 einem besseren und vollkommeneren < Gesichtspunkt > von

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deant, ut coactivum iudicium, ut ostensum est 15° prime. Sie ergo sacerdocium a principatu dependet ac recipit, et principatus a sacerdocio. Recipit enim sacerdocium a prin­ cipatu iustificacionem suorum civilium actuum et custodiam 13 ab iniuria, ne siquidem hanc inferat alteri nec illi ab altero inferatur in statu et pro statu presentis seculi ; quoniam hoc est officium principantis et nullius alterius partis civitatis, quemadmodum demonstratum est 15° prime. Quod eciam expressit apostolus ad Romanos 1 3°, et prius induximus 20 5° huius. Hoc eciam ad Timotheum 1 a, 2° capitulo sensit, cum dixit : Obsecro igitur primum fieri obsecraciones etc. pro regibus et omnibus qui in sublimitate sunt, ut quietam et tranquillam vitam agamus, id est habeamus. Conversa vice indiget ac pendet principatus ab accione sacerdocii ; recipit 25 enim ab hoc doctrinam videlicet cum sacramentis disponen­ tibus hornirres in hoc seculo et contraria removentibus ad salutem seu beatitudinem eternam pro statu venturi seculi. 595 Verum differenter invicem has agunt et recipiunt acciones, quoniam princeps iudex coactivus existens in hoc seculo Dei ordinacione, quamvis immediate humani legislatoris aut 5 alterius cuiusvis humane voluntatis institucione, suam ac­ cionem per coactivam potenciam, supplicium vel penam inferendo, imprimere potest licite in sacerdotem, eciam non volentem, si legis humane, non contrarie divine legi, trans­ gressor extiterit, ut demonstratum est 5° et 8° huius et 15° 10 prime. Episcopus autem sive sacerdos, quoniam secundum legem divinam non est iudex coactivus cuiusquam in hoc seculo, ut 15° prime, 4°, 5° et 9° huius ostensum est, sed iudex est secundum primam iudicis significacionem, quasi doctor 1 983 1 . Tim. 2, 1 -2 ; vgl. 192 , 10 ff. 198 4 :n:avrwv TWV Sv v:n:eeoxfi OVTWV. 198 5 genauer : der Befehl des Herrschers. 1986 II 5 (Die Apostel unterwerfen sich

der weltlichen Obrigkeit) ; II 8, 7-9. 1987 I 15, 1 1 . 1988 I 1 5 (Nur der Herrscher ist zwingender Richter) ; über I I 5 s. Anm. 1 686 ; II 9, 1 (Ein zwingendes Gericht m i ch dem göttlichen Gesetz erfolgt erst im J enseits) .

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der Regierung ab, nämlich 1977 im1 978 zwingenden Gericht, wie in I 1 51 979 gezeigt worden ist. So ist also die Priesterschaft von der Regierung abhängig und empfängt , die Regierung von der Priesterschaft. Die Priesterschaft empfängt nämlich von der Regierung die rechtliche Sicherung ihrer bürgerlichen Verhältnisse und Schutz vor Unrecht : daß 1> sie einem anderen keins zufügt noch von einem anderen erleidet im Stande und für den Stand der gegenwärtigen Welt ; denn das ist Amt des Herrschers und keines anderen Bestandteiles des Staates, wie in I 151980 gezeigt worden ist. Das hat auch der Apostel im Römerbrief im 1 3. Kap.l 98 1 zum Ausdruck gebracht ; wir haben die Stelle früher in l i 5 198 2 angeführt. Das hat er auch im 1 . Brief an Timotheus im zo 2. Kap. 1983 gemeint mit den Worten : So ermahne iCh did� also, zuerst Bitte zu tun usw. für die Könige und alle, die in hoher Stellung sindt 9 84, damit mir ein stilles und ruhiges Leben führen mögen, d. h. haben. Umgekehrt braucht die Regierung die Tätigkeit der Priesterschaft und hängt von ihr ab ; sie empfängt nämlich von ihr Belehrung und die 2; Sakramente, die die Menschen auf dieser Welt für das ewige Heil oder für die ewige Seligkeit in der künftigen Welt vor­ bereiten und das Hemmende beseitigen. Aber verschieden voneinander ist es, wie sie diese Tätigkeiten ausüben und erfahren : Der Herrscher, zwingender Richter in dieser Welt nach Gottes Ordnung, obwohl un­ mittelbar infolge Einsetzung durch den menschlichen Gesetz; geber oder einen anderen menschlichen Willen, kann seine Tätigkeit durch eine zwingende Gewalt, indem er Strafe oder Buße verhängt, zulässigerweise auf den Priester wirken lassen, auch gegen dessen Willen, falls er das menschliche Gesetz übertreten hat, soweit dieses 198 5 nicht dem göttlichen Gesetz widerspricht ; das ist in II 5 und II 8 1986 und I 1 5 1987 10 gezeigt worden. Der Bischof aber oder Priester, der doch nach dem göttlichen Gesetz nicht zwingender Richter über jemand in dieser Welt ist, wie in I 15, in II 5 und II 91988 nachgewiesen worden ist, sondern Richter in der ersten Bedeutung von 1m

19 79 1981

Vo (Partikeln : ut) . I 15, 1 1 . R öm. 13, 1-i' ; vgl. 182,18 ff.

19 78 198 o t 982

abh. von secundum. I 15, 1 1-12. II 5, 4.

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operativus ut medieus, per suam aeeionem sive preeeptum neminem eogere potest nee debet pena vel supplieio reali aut personali, seeundum vitam presentem. Sie igitur falsa fuit prima proposieio iam dicte argumen­ taeionis, qua sumebatur, omne quod perfeeeiorem effieit ae20 eionem seeundum iurisdieeionem non debere subesse minus perfeetarn aeeionem agenti. Cum dictis enim ad ipsam sequi­ tur per neeessitatem aliud manifestum ineonveniens, falsum videlieet, nullum speeulativum artifieem aut saltem primum ph ilosophum seu metaphysieum subesse iurisdieeioni prin25 eipantis seeundum Iegern humanam ; eum nullus habituum operativorum, aliorum a fide, in prineipante vel alio aut aeeio proveniens ab hiis sint eque perfecti habitui philosophi primi aut aeeioni provenienti per illum ; quo tarnen earere eon­ tingit prineipantem suffleientern et recte eeiam institutum. 3o § 5. Quod autem posterins obieiebatur, ineonveniens vi­ deri, viearium Christi singularem, Romanum episeopum aut quemvis apostolorum sueeessorem alium, subesse debere 596 iudieio eoactivo prineipantis seeundum Iegern humanam, di­ eendum, nullum ineonveniens, viearium alieuius illi vel eonsimili subesse iudiei, eui dominus einsdem viearii sponte subesse deerevit propter eonvenientem seculi huius ordinem s observandum. Christus enim, Deus et homo, sub Pilati Poneii, prineipantis seeundum Iegern humanam, [viearii Ce­ saris] , iudieium eoactivum sponte subivit ; sie eeiam et apo­ stoli saneti feeerunt et alios faeere preeeperunt seeundum 1 0 Iegern divinam, quemadmodum liquide ostensum est per seripturam et dicta sanetarum atque aliorum doctorum 4° et 5° huius, et in 28° eeiam repetitum. Unde eum servus non sit maior domino, neque apostolus eo qui misit illum, ut ex seriptura per Bernardum induximus 28° huius, nullum 15

1989 199o 1991 1 992 19 9 3 1994

Vo (Stilistik) . V gl. I 1 5 , 1 . II 3, 1 5 ; vgl. Scholz 5 9 6 Anrn. 1 . über II 4 - 5 vgl. Anrn. 1 7 1 3. II 28, 19 (Abs. 2) . J oh. 13,16. 199s II 28, 24 (564, 20-25) .

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Richter als praktischer Lehrer wie der Arzt, kann oder darf durch seine Tätigkeit oder Vorschrift niemand unter An1 5 drohung einer Geldbuße oder Leibesstrafe 1989 für das gegen­ wärtige Leben zwingen. Demnach war also der Obersatz der eben genannten Be­ weisführung falsch : alles, was eine vollkommenere Tätigkeit 20 ausübt, darf in der Rechtsprechung nicht untergeordnet sein dem, was eine weniger vollkommene Tätigkeit leistet. Denn außer dem, was dazu < schon > gesagt worden ist, folgt mit Notwendigkeit eine andere offensichtliche Sinnwidrigkeit, etwas Falsches, daß kein theoretischer Geist oder wenigstens kein erster Philosoph oder Metaphysiker der Rechtsprechung des Herrschers nach dem menschlichen Gesetz untersteht ; 25 denn kein praktischer Habitus - außer dem des Glaubens im Herrscher oder einem anderen und keine Tätigkeit, die aus diesem < Habitus > hervorgeht, ist ebenso vollkommen wie der Habitus des ersten Philosophen oder die Tätigkeit, die aus ihm hervorgeht. Diesen < Habitus > hat doch kein tüchtiger und auch in richtiger Form eingesetzter Herrscher.1 990 30 § 5 (6) Wenn aber später der Einwurf gemacht wurde, es erscheine sinnwidrig 1 991, daß der alleinige Statthalter Christi, der römische Bischof, oder irgendein anderer Nachfolger der 596 Apostel dem zwingenden Gericht dessen, der nach dem menschlichen Gesetz regiert, unterstellt sein solle, so ist zu entgegnen : Es ist keine Sinnwidrigkeit, daß ein Statthalter jemandes jenem Richter oder einem ähnlichen unterstellt ist, dem sich freiwillig unterzuordnen der Oberherr dieses Statt­ halters beschlossen hat, um die sinnvolle Ordnung dieser 5 Welt zu wahren. Denn Christus, Gott und Mensch, hat sich freiwillig unter das zwingende Gericht des Pontius Pilatus gestellt, der nach dem menschlichen Gesetz regierte, des Statthalters des Kaisers ; so haben auch die heiligen Apostel gehandelt, so haben sie nach dem göttlichen Gesetz anderen 1 0 zu handeln geboten, wie aus der Schrift und durch Worte von Heiligen und anderen Kirchenlehrern in II 4 und II 5 1 99 2 überzeugend nachgewiesen und in II 28 1 993 obendrein wieder­ holt worden ist. Da nun der KneCht1 994 niCht größer ist als sein Herr und der Apostel niCht größer als der, der ihn gesandt hat, wie wir aus der Schrift in einem Zitat aus Bernhard in II 28 1 995 angeführt haben, so ist es nichts

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inconveniens, sed valde conveniens, quinimo necessarium est ad civilitatis seu policie quietem, omnem episcopum atque presbyterum et clericum subesse iudicio coactivo principan­ cium secundum Iegern humanam. Huius vero contrarium inconveniens omnino est et importabile, sicut demonstratum 20 est 1 7° prime, et ubi supra in hac et pridem confirmatum testamentis eternis. Adhuc, quoniam Romanus aut quivis episcopus non est Christi vicarius seu minister ad omne officium exercendum in hoc seculo, sed secundum determinatum, verbi causa, 597 sacerdocium, in quo siquidem inquantum huiusmodi non attenditur coactivum iudicium inferius aut superius, secun­ dum ipsum, ut ex Aristotele induximus palam 9° huius, parte Sa ; principans vero secundum Iegern humanam Dei vicarius 5 seu minister est, secundum principatus officium, in quo superius et subiectum attenditur quantum ad coactivam potestatem. Unde ad Romanos 1 3° neminem excipiens aposto­ lus, episcopum aut presbyterum, inquit : Omnis anima sub10 dita sit potestatib us sublimioribus, causam subiungens : Dei enim minister est. Ecce vicarium Dei, non qualemcumque, sed coactivum malorum in hoc seculo. Unde subdit : Vindex in iram et qui malum agit. Sed malum agere potest episcopus aut sacerdos, quibus numquam Christus aut apostolus ali1 5 quis opere seu exemplo vel sermone alium iudicem assigna­ vit, ut in hac ubi supra monstravimus. § 6. Ei vero, que per modum questionis proponitur, in­ stancie, quod si expediat principantes secundum auctori­ tatem humanam corrigere, dum delinquunt in divinam aut hominum Iegern, non videri hos corrigi posse convenienter, 20 cum superiore careant in policia primi saltem aut primus ipsorum ; et propterea eos subici debere sacerdotum aut 15

1 0 99

2ooo 2001 2002 2oos 2004

Vgl. 239,6 ff. u. 199 Anm. 3. W attendere. Röm. 13,1 u . 4; vgl. 182, 19-20 s. Anm. 1 999. II 3, 15 (1 57,20 ff.) . W convenienter.

u.

25-28.

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Sinnwidriges, sondern sehr sinnvoll, ja notwendig für die Ruhe des Gemeinwesens oder Staates, daß jeder Bischof und Priester und Kleriker dem zwingenden Gericht der Herr­ scher nach dem menschlichen Gesetz unterstellt ist. Das Gegenteil davon ist ganz sinnlos und unerträglich, wie in I 1 7 1996 und an den oben angeführten Stellen1 99 7 dieses Teils gezeigt und soeben 1998 durch ewige Zeugnisse bestätigt wor­ den ist. Ferner : der römische Bischof oder jeder andere ist nicht d a z u Christi Statthalter oder Diener, um j e d e s Amt in die­ ser Welt auszuüben, sondern nur für ein bestimmtes Amt, das Priesteramt, bei dem als solchem ein zwingendes Gericht, ein niederes oder höheres, seinem Wesen nach nicht in Be­ tracht kommt, wie wir aus Aristoteles in II 9, 8 1999 über­ zeugend bewiesen haben. Wer aber nach dem menschlichen Gesetz herrscht, ist Gottes Statthalter oder Diener im Amt der Regierung, bei dem ein Höheres und Untergeordnetes hinsichtlich der zwingenden Gewalt gemeint ist.2 000 Daher sagt der Apostel im Römerbrief im 13. Kap.200\ ohne jemand auszunehmen, Bischof oder Priester : jedermann sei untertan den obrigkeitZielten Gemalten, und fügt als Grund hinzu : denn die Obrigkeit ist Gottes Dienerin. Beachte : Statthalter Gottes, nicht unbestimmter Art, sondern Strafvollstrecker gegen die Bösen in dieser Welt. Daher fügt der Apostel hin­ zu : Eine Rädterin zum ZorngeriCht für den, der Böses tut. Aber Böses tun kann ein Bischof oder Priester ; ihnen hat Christus oder ein Apostel niemals durch Tat oder Vorbild oder Wort einen anderen Richter zugewiesen, wie wir in diesem Teil an der oben angeführten Stelle2002 gezeigt haben. § 6 Nun zu dem Einwand ( 7) 2003 , der in Form einer Unter­ suchung vorgelegt wird : Falls es zweckmäßig wäre, die Herr­ scher bei Vergehen gegen das göttliche oder das menschliche Gesetz von einer menschlichen Autorität zurechtweisen zu lassen, so wäre das, scheint es, nicht leicht2004 möglich, da sie keinen Höheren im Staate über sich haben, wenigstens nicht die Ersten oder der Erste von ihnen, und deswegen müßten sie einem zwingenden Gericht von Priestern oder Bischöfen 1996 1 uu1 19 9 8

I 12', 1 -9. II 4-5. 596, 1 1 - 1 3 und J oh. 13,16.

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episcoporum iudicio coactivo ; dicendum, quod principans delinquens in divinam aut humanam Iegern corrigi potest et 25 debet convenienter per ministrum ecclesiasticum, episcopum sive presbyterum per sermonem exortatorium aut increpatorium, modestum tarnen iuxta doctrinam apostoli, 2a ad 598 Timotheum 2° et 4° et Chrysostomi explicacionem, quam induximus 9° huius, per coactivam vero potestatem nequa­ quam, quoniam hec ad episcopum vel sacerdotem inquantum huiusmodi super quemquam in hoc seculo minime pertinet, s ut sepe probatum et repetitum est in prioribus dictis. Corri­ gere vero principantem propter excessum in Ieges et inquan­ tum [in] Iegern humanam, ut in 10° diximus, secundum Iegern tarnen humanam, et arcere quoque si oporteat pena vel 10 supplicio temporali, ad solins humani legislatoris auctori­ tatem pertinet, vel ad hec statutorum ab illo, ut 18° prime sufficienter ostensum putamus. § 7. Que autem finaliter addebatur deduccio, quoniam secundum iurisdiccionem ille superior est ad Romanum im15 peratorem ipsumque de iure instituere atque deponere potest, qui iransiulit imperium a Grecis in Germanos in persona Magni Karoli, hic autem est papa Romanus ; ergo ad im­ peratorem superior, ipsumque instituere atque deponere de iure potest ; dicendum, quod si maior indiffinite sumatur, 20 ex ipsa cum minore nihil infertur, propter non fieri sillogis­ mum ex indiffinita cum particulari. Si vero sumatur uni­ versaliter, ut dicatur : Omnis translator imperii Romani a Grecis in Germanos superior est etc., nisi determinetur 25 subiectum, quamplures haberet hec proposicio veras instan­ cias. Si enim quis de facto et non de iure transtulisset �oos II 8, 7-9.

2oo9 Vergehen gegen das göttliche Gesetz werden im Diesseits nicht bestraft, vgl. II 9, 1 . 2010 I 1 0 (Wesen des Gesetzes ; die Bedeutungen des Wortes) . 2011 I 1 8 ganz. 2o1 2 II 3, 1 4 ; finaliter, weil II 3, 15 bereits in II 30, 6 erledigt worden ist ;

zur Sache vgl. II 26, 6.

201 3 Vgl. Alexander von Roes (übers. von Grundmann und Heimpel) ,

Weimar 1 949, 27.

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unterstellt werden ; darauf ist zu entgegnen : Wenn der Herr­ scher sich gegen das göttliche oder menschliche Gesetz vergeht, kann und muß er zweckmäßigerweise von einem Diener der K irche, einem Bischof oder Priester, durch ein mahnendes oder scheltendes Wort, ein bescheidenes jedoch, zurechtgewiesen werden nach der Lehre des Apostels im 2. Brief an Timotheus im 2. und 4. Kap. 200 5 und der Erläuterung des Chrysostomus 2008, die wir in II 9200 7 angeführt haben, durm eine zwingende Gewalt aber keineswegs ; denn diese kommt dem Bischof oder Priester als solchem über jemand in dieser Welt überhaupt nicht zu, wie früher2 008 oft bewiesen und wiederholt worden ist. Den Herrscher aber wegen eines Ver­ stoß es gegen die Gesetze zurechtzuweisen, und zwar , soweit e r sich gegen das menschliche Gesetz 2000 vergangen hat, wie wir in Kap. I 10201 0 gesagt haben, jedoch nach dem menschlichen Gesetz, und nötigenfalls ihn auch mit einer weltlichen Buße oder Strafe zu treffen, kommt allein dem menschlichen Gesetzgeber zu oder denen, die dieser dafür eingesetzt hat, wie in I 18 2011 unserer Meinung nach zur Genüge gezeigt worden ist. § 7 (5) Auf die Beweisführung, die schließlich 2012 noch hinzugefügt wurde : In der Rechtsprechung steht derjenige über dem römischen Kaiser und kann ihn von Rechts wegen einsetzen und absetzen, der das Kaisertum in der Person Karls des Großen von den Griechen auf die Germanen über­ tragen hat; nun ist dieser aber der römische Papst ; also steht er über dem Kaiser und kann ihn von Rechts wegen einsetzen und absetzen2013 , ist zu entgegnen : Wird der Obersatz unbestimmt genommen, so läßt sich aus ihm zusammen mit dem Untersatz nichts folgern ; denn aus einem unbestimmten Satz zusammen mit einem partikularen ist kein Schluß möglich. Würde der Obersatz aber ganz allgemein genommen in dem Sinn : Jeder, der das römische Kaisertum von den Griechen auf die Germanen übertragen hat, steht über usw., so würden sich gegen diesen Satz ohne genaue Begrenzung des Subjekts sehr viele berechtigte Einwände erheben. Hätte nämlich jemand tatsächlich, aber ohne Berechtigung das 2oos

2 00ß 200 1

2. Tim. 2,25 ; 4,2. Scholz 598 Anm. 1 . II 9 , 4 (234,25) .

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imperium, aut si aliena seu sibi ab altero tune data potestate ad hoe, tamquam proeuratori vel quasi, qui sie inquam transtulisset, non propter hoe solus superiorem iuris­ dieeionem haberet neque potestatem iustam Romanum prin5 cipem instituendi aut deponendi. Sie vero determinata iam dicta priori proposieione, ut omnis mortalis qui transtulit aut transferre potest Romanum imperium a Greeis in Ger­ manos iuste, auctoritate proptia, non sibi eoneessa per alterum, superior est seeundum eoactivam iurisdiecionem 1 0 ad Romanum prineipem ipsumque iuste instituere atque deponere potest, sie ipsa eoneessa ; que huie annectitur seeunda, videlieet : Romanus episeopus sive papa est qui transtulit imperium, ut dieturn est, neganda est tamquam omnino falsa. Nam eius opposita clemonstrata est 15° prime, 1 5 et rursum tarn ipsius quam ex ipsa illate eonclusionis oppo­ situm per seripturam et dicta sanetorum atque eatholieorum doctorum eertifieatum est 4° huius et 5° et repetitum in aliis plerisque loeis ; sieque observatum de facto sine reclama­ cione fuisse per antiquos patres et pastores, Romanos epi­ seopos, persuasimus 2 1 ° huius ex approbatis historiis. Quod autem seribitur in 7° quarundam narraeionum, quas zo deeretales appellant, De Iureiurando et in epistola quadam [voeati] pape Romani ad inelitum Ludovieum ex Bavarie dueibus Romanorum regem assumptum, per sedem apostoli­ cam sive Romanum papam, vel solum aut cum suorum 25 eollegio clerieorum, Romanum imperium a Grecis ad Ger­ manos in persona Magni Karoli fuisse translatum [racionabiliter sive iuste] , supponatur ad presens ; de hae enim trans­ 600 laeione, quantum de facto proeesserit, dieturi sumus in altero quodam ab hoc tractatu seorsum. Esto igitur imperii trans-

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2 0 14 201s 201s 2011 20 18 2o19 20 2 0

594, 10. Bei Scholz steht Semikolon nach concessa. I 15, 2 (Nur der Gesetzgeber wählt die Regierung) . über li 4-5 vgl. Anm. 1 713. li 2 1 , 1-7. Scholz 599 Anm. 1 . Scholz 600 Anm. 1 .

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Kaisertum übertragen, oder kraft einer fremden oder ihm von einem anderen damals dafür verliehenen Gewalt - ihm als Verweser oder als einem Manne in ganz ähnlicher Stel­ lung -, wer das Kaisertum unter solchen Voraussetzungen, sag ich, übertragen hätte, würde nicht deswegen < für seine Person > allein eine übergeordnete Rechtsprechung haben noch die Berechtigung, den römischen Kaiser einzusetzen 5 oder abzusetzen. Ist aber der eben erwähnte Obersatz auf d e n Sinn festgelegt201 4 : Jeder Sterbliche, der das römische Kaisertum von den Griechen auf die Germanen mit Recht aus eigener, ihm nicht von einem anderen verliehener Machtvoll­ kommenheit übertragen hat oder übertragen kann, steht in einer zwingenden Rechtsprechung über dem römischen Kai10 ser und kann ihn mit Recht einsetzen und absetzen - wenn man den Obersatz in diesem Sinne zugibt2015, so ist doch der Untersatz, der diesem angeschlossen wird : Nun ist es der römische Bischof oder Papst, der das Kaisertum übertragen ' hat, wie gesagt, abzulehnen als völlig falsch. Denn das Gegenteil davon ist in I 1 52016 bewiesen worden, ferner ist das 15 Gegenteil davon wie des aus ihm gezogenen Schlusses aus der Schrift und durch Worte der Heiligen und der katholischen Kirchenlehrer in II 4 und II 5201 7 gesichert und an sehr vielen anderen Stellen wiederholt worden. Daß die alten Väter und Hirten, die römischen Bischöfe, tatsächlich das Gegenteil ohne Einspruch beobachtet haben, ist in II 2 1 2018 auf Grund an­ erkannter geschichtlicher Überlieferungen überzeugend dar­ getan worden. 20 Was aber in Teil 7 gewisser Darstellungen2019 steht, die man Dekretalen nennt : ,Vom Schwur', und in einem Briefe des sogenannten römischen Papstes an den ruhmreichen Ludwig, Herzog vonBayern, den auf den Thron erhobenen römischen König : vom Apostolischen Stuhl oder dem römischen Papst, 25 entweder allein oder mit dem Kollegium seiner Kleriker, sei, wie es der Vernunft oder dem Recht entsprach, das römische Kaisertum von den Griechen auf die Germanen in der Person Karls des Großen übertragen worden - das soll für den Augenblick unterstellt werden ; über diese Übertragung nämlich, soweit sie tatsächlich vor sich gegangen ist, wollen wir in einer besonderen Abhandlung2020 sprechen. Angenom­ men also, die Übertragung des Kaisertums von den Griech en

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lacionem a Grecis in Germanos iuste factam, dico tarnen, quod non auctoritate Romani pape solius aut cum suo solo collegio clericorum, ut pridem diximus. § 8. Et propterea oportet attendere secundum demon­ straciones inductas 1 2°, 1 3° et 1 5° prime, quod eiusdem est auctoritas prima, secundum racionem rectam intendentibus, statuendi, principatum instituendi, prin­ 1 0 leges humanas cipem assumendi, auctoritatem illi concedendi, et hec omnia mutandi, destruendi, augendi vel minuendi, suspendendi, corrigendi, deponendi, transferendi, revocandi et reliqua faciendi circa ea, que iam dietarn auctoritatem habenti prin1 5 cipaliter, non ab altero, expedire videntur et per suam ex­ presserit voluntatem. Cuius autem sit auctoritas supradicta, determinatum est 1 2° et 13° prime. Propter quod ubicumque legatur et a quocumque dicatur translatum fuisse imperium, aut alter quicumque principatus vel princeps aliquis, qui zo per eleccionem assumitur, institutus per papam vel aliam personam singularem aut per collegium singulare aliquod provincie sive regni : si vera debeat esse scriptura vel sermo et valida seu iusta institucio sive translacio talis, oportet fieri aut factam esse auctoritate legislatoris primi in pro25 vincia vel provinciis, super quas, a quibus et ad quas debet institucio aut translacio fieri aut facta fore. Ideoque si trans­ lacio imperii Romani vel imperatoris alicuius institucio dicatur aut scribatur rite facta fuisse per papam Romanum solum aut per ipsum cum suo solo collegio clericorum, et verum sit huiusmodi dieturn aut scriptum, oportet trans­ lacionem aut institucionem iam dietarn per ipsos intelligere 5 factam propter auctoritatem illis concessam ad hoc a Ro­ mani imperii legislatore humano supremo, per medium aut sine medio, vel ab eis quidem non factam simpliciter, sed modo quodam, ut publicatam vel pronunciatam, auctoritate s

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2021 2022 202 s 2o24

599, 1 1 ff. I 12, 2-9 ; I 13, 1 -8 ; I 15, 2. I 12-13 (Dem Gesamtvolk steht die Machtvollkommenheit zu) . Vgl. 601 ,5.

Teil Il, Kapitel XXX

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auf die Germanen sei in remtlicher Form erfolgt, so entgegne ich dennoch : nicht durch die Machtvollkommenheit des römi5 smen Papstes allein oder mit seinem Klerikerkollegium allein, wie wir soeben2021 gesagt haben. § 8 Deshalb muß man gemäß den in I 12, I 13 und I 15 2022 angeführten Beweisen beachten : Für den, der < die Same > vernünftig überlegt, hat ein und derselbe die oberste Machtto vollkommenheit, menschlime Gesetze zu geben, die Staats­ form einzusetzen, die Regierung zu bestellen, ihr die Regierungsgewalt zu übertragen und in alledem Ände­ rungen zu treffen : aufheben, Zusätze oder Streichungen machen, suspendieren, zurechtweisen, absetzen, versetzen, abberufen und sonst regeln, was dem förderlich scheint, der die eben erwähnte Machtvollkommenheit ganz urt 5 sprünglich, nimt durch Übertragung besitzt, und was er durch seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat. Wem die obenerwähnte Machtvollkommenheit zusteht, ist in I 1 2 und I 1 3 2023 festgelegt. Mag man daher irgendwo lesen, mag jemand behaupten, der Papst oder eine andere Einzel­ person oder ein Einzelkollegium eines Landes oder eines Reiches habe das Kaisertum übertragen oder eine andere oder einen Herrscher, der durch Wahl 20 Reg ierungsform bestellt wird, eingesetzt - wenn diese Behauptung in Rede oder Schrift wahr, wenn eine solche Einsetzung oder Über­ tragung gültig oder rechtskräftig sein soll, < dann > muß sie geschehen oder geschehen sein durch den ersten2024 Gesetz25 geber in dem Lande oder den Ländern, über die, von denen und auf die die Einsetzung oder Übertragung erfolgen oder erfolgt sein soll. Wenn man daher in Rede oder Schrift behauptete, der römische Papst allein oder er mit seinem Klerikerkollegium allein habe rechtmäßig das römische Kaisertum übertragen oder einen Kaiser eingesetzt, und wenn eine derartige Behauptung in Rede oder Schrift wahr sein sollte, so müßte man verstehen : sie hätten die eben erwähnte Übertragung oder Einsetzung vollzogen auf Grund 5 einer Vollmacht, die ihnen der oberste menschliche Gesetz­ geber des Römischen Reiches dafür mittelbar oder unmittelbar zugestanden hätte, oder sie hätten diese nicht schlechthin voll­ zogen, sondern < nur > in gewissem Sinne, nämlich sie ver­ öffentlicht oder verkündet, doch kraft der vorhin genannten

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

tarnen predicta. Transtulit enim fortasse aut instituit circa imperium aliquid legislator predictus, quod postmodum soli pape Romano tamquam reverenciori persone universitatis humane, vel sibi cum suis sacerdotibus velut venerabiliori clericorum collegio, pronunciandum et publicandum com­ misit, non quidem propter facti vel fiendi necessitatem, sed 1 5 sollempnitatem tantummodo, quoniam translaciones princi­ patus, legum et principancium instituciones, similiter et officia civilia reliqua inquantum huiusmodi, quantum ad eorum robur, ex sola legislatoris iam dicti eleccione seu ordinacione dependent, ut demonstratum est 1 2° et 1 3° prime 20 ac 26° huius, parte 5a, cum declaracione quadam nec in­ utiliter repetitum. Sie quoque per omnia senciendum de institucione officii principum eligencium imperatorem Romanum ; non enim aliam in hoc neque ab alio habent auctoritatem, neque ab 25 ipsis per alterum suspendi vel revocari potest, quam a su­ premo imperii Romani humano legislatore predicto. De propositis quidem igitur dubitacionibus 3° et 2'7° huius sie pertransisse sufficiat et :finem imposuisse quesitis. 10

2 o2 s I 1 2, 3 (64, 7-9) ; I 13, 8.

Teil Il, Kapitel XXX

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Vollmacht. Vielleicht hat nämlich der obengenannte Gesetz­ geber bei der Übertragung des K aisertums oder Einsetzung 1 0 des Kaisers einen Akt < vollzogen > , dessen Verkündigung und Veröffentlichung er später allein dem römischen Papst als der ehrwürdigsten Person der gesamten Menschheit oder ihm mit seinen Priestern als dem geachtetsten Kollegium von Kleri­ kern übertragen hat, nicht weil es unbedingt notwendig ge­ wesen wäre, daß dieser Akt erfolgte oder erfolgt war, sondern 1 5 nur um die Feierlichkeit < des Vorgangs zu erhöhen > ; denn tatsächlich hängen die Übertragung einer Regierung, die Gesetzgebung und die Einsetzung von Herrschern, ebenso auch die der staatlichen Ämter als solche, was ihre Rechtskraft angeht, allein von der Wahl oder Bestellung durch den er­ wähnten Gesetzgeber ab, wie in I 1 2 und I 13 2 02 5 gezeigt und 20 in II 26, 5 mit einer Erläuterung nicht ohne Nutzen wieder­ holt worden ist. So muß man auch in allen Stücken über die Einsetzung des Amtes der Fürsten denken, die den römischen Kaiser wählen ; denn sie besitzen hierbei keine andere Vollmacht und von keinem anderen ; und niemand sonst kann < diese 25 Vollmacht > suspendieren oder sie ihnen wieder entziehen als der genannte oberste menschliche Gesetzgeber des römischen Reiches. Es mag genügen, die in II 3 und II 2'7 aufgeworfenen Zwei­ fel in dieser Weise kurz behandelt und < damit > die Unter­ suchung abgeschlossen zu haben.

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

DICCIO TERCIA

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C A P I TULUM I

D e rememoracione principaliter int entorum e t d e t e r mi n a to r u m d i c c i o n e J a e t I I a , et d i c fo r u m c u m d i c e n d i s c o n s e q u e n c i a q u a d a m. Quoniam autem in prioribus regnorum et communitatum quarundam singularem civilis discordie seu intranquillitatis iam existentem assignavimus causam, omniumque reli­ quarum, nisi prohibeatur, futuram : extimacionem, deside­ rium atque conatum, quibus Romanus episcopus et sriorum 10 cetus clericorum singu i ariter ad seculares tendunt princi­ patus et temporalia possidenda superflue. Quorum eciam supremum omnium sibi vendicare nititur memoratus epi­ scopus ex eidem precipue, ut asserit, concessa per Christum, in persona beati Petri, plenitudine potestatis, ut in ultimo 15 prime diximus, et in plerisque diccionis 2• capitulis non incon ­ venienter extitit repetitum. Cum tarnen nullus principatus seu cuiusquam coactivum iudicium in hoc seculo, nedum supremus omnium, illi conveniat neque alteri cuiquam epi20 scopo, sacerdoti vel clerico, inquantum huiusmodi, commu­ niter aut divisim, veluti viis certis humanis demonstravimus 1 2°, 1 3° et 15° prime, idque 4° et 5° secunde firmavimus testimoniis veritatis eterne necnon sanetarum eins inter­ pretum exposicionibus ac plurimorum approbatorum eius25 dem doctorum ; postque eciam 6° et 7° diccionis secunde assi­ gnavimus ex scripturis et racionibus certis, que quantave 5

3 I 1 2-13 (Das Gesamtvolk gibt die Gesetze) ; I 15, 11 (Die Regierung allein hält Gericht) . 4 über II 4-5 vgl. Anm. 1 7 1 3 . - 5 • I I 6-7 : Sakrament der BuRe.

Teil lll, Kapitel I

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TE I L 1 1 1

60::!

KAP I T E L I

R ü c k b l i ck a u f d i e Ha u p t t h e s e n u n d H a u p t e r g e b n i s se d e s e r s t e n u n d z w e i t e n T e i l s ; O b e r l e i t u n g zu d e n Schlußkap iteln. I m vorstehenden1 haben wir die einzige Ursache der Zerrissenheit oder Unruhe im Leben der Staaten festgestellt, die bereits bestimmte Staaten und Gemeinwesen heimsucht, und wenn man ihr nicht Einhalt gebietet, alle anderen heimsu ch en wir d : der Wahn, das Verlangen, das Bemühen besonders des römis ch en Bis ch ofs und seines Klerikerkreises 1 0 mit dem Ziel, weltliche Herrschaft und zeitliche Güter im Ubermaß zu besitzen. Sogar die allerhöchste Herrschaft sucht der erwähnte Bischof für sich in Anspruch zu nehmen auf Grund der Fülle der Gewalt, die Christus vor­ nehmlich ihm, so versichert er, in der Person des seligen Petrus zugesprochen hat, wie wir das im letzten Kap. des 15 1. Teils gesagt und zweckentsprechend in sehr vielen Kapiteln des 2. Teils wiederholt haben. Und doch2 kommt dem römi­ scl:ten Bischof überhaupt keine Herrschaft oder zwingende Gericl:ttshoheit über jemand in dieser Welt zu, geschweige denn die allerhöchste, ebensowenig einem anderen Bischof, 20 Priester oder Kleriker als solchem - weder allen gemeinsam nocl:t dem einzelnen -, wie wir das mit sicheren menschlichen Methoden in I 1 2, I 13 und I 1 53 bewiesen und in II 4 und II 54 durch Zeugnisse der ewigen Wahrheit, ferner durch Auslegungen ihrer heiligen Erklärer und sehr vieler aner­ kannter Lehrer der Schrift gesichert haben ; dann haben wir 23 aucl:t in II 6 und II 75 aus Worten der Schrift und mit sicheren 5

t !

Vo (Konjunktionen : quoniam) ; der Hauptsatz beginnt mit nunc 603,2. Drei Punkte : a) 1 6-24-, b) 24-26, c) 27-30 potestatis. Vgl. II 1, 4-5 : Der beherrschende Begriff ist potestas coactiva ; der zweite Punkt 1 1 4 1 1 -; H i i � Pnn �Pm1Pn fp,.\ i�t , s o wird e s mit ihrer Hilfe ohne Schwierigkeit < gelingen > , die 1 0 obengenannte Pest und deren verlogene Ursache aus den Reichen auszuschließen und ihr für alle Zukunft den Zutritt zu ihnen und den anderen Gemeinwesen zu sperren.

KA P I T E L II

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20

25

E i n e R e i h e v o n d e u t l i c h f o r m u l i e rt e n F o l g e r u n g e n a u s d e n F e s t s t el l u n g e n d e r e r s t e n b e i d e n T e i l e , d i e s i c h m i t N o t w e n d i g k e i t e r g e b e n . S ch e n k e n i h n e n d i e H e r r s c h e r u n d U n t e r t a n e n B ea c h t u n g , s o k ö n n en s i e l e i c h t e r d a s m i t d i e s e m B u ch e a n g e s t r e b t e Z i e l erreichen. A n den Anfang dieser Folgerungen wollen wir setzen : 1 . Allein die göttlime oder kanonisme Schrift und jede aus ihr mit Notwendigkeit gefolgerte Deutung und die durch ein allgemeines Konzil gegebene ist wahr ; diese zu glauben ist filr d{e ewige S eligkeit notwendig, wenn sie einem in richtiger Weise vorgelegt wird. Hierüber besteht Gewißheit ; sie kann entnommen werden aus li 19, 2-5.

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

[§ 2.] Legis divine dubias diffinire sentencias, in hiis pre­ sertim, qui Christiaue fidei vocantur articuli, reliquisque credendis de necessitate salutis, solum generale concilium 30 fidelium aut illius valenciorem multitudinem sive partem 604 determinare debere, nullumque aliud parciale collegium aut personam singularem cuiuscumque condicionis existat, iam dicte determinacionis auctoritatem habere. Huius autem certitudo habetur [20° secunde, ex � in 1 3 am .] 5 [ § 3.] Ad observanda precepta divine legis, pena vel supplicio temporali nemo evangelica scriptura compelli precipitur : [9° secunde, ex 3a in 10 am .] [ § 4.] Solius evangelice legis precepta vel ad ipsa per neces1 0 sitatem sequencia, et que secundum rectam racionem fieri aut omitti convenit, propter eternam salutem necesse ser­ vari ; Antique vero Legis nequaquam omnia : [9° secunde, ex 1 0• in finem.] [§ 5.] In divinis seu evangelice legis preceptis aut prohihi1 5 tis neminem mortalem dispensare posse, permissa vero prohi­ bere, obligando ad culpam aut penam pro statu presentis seculi vel venturi, solum posse generale concilium aut fide­ lem legislatorem humanum, nullumque aliud parciale colle­ giu,m vel singularem personam cuiuscumque condicionis existat : [ 1 2° prime, 9•, et 9• secunde, 1•, et 2 1 ° secunde, 8•.] 20 [§ 6.] Legislatorem humanum solam civium universitatem esse aut valenciorem illius partem : 1 2° et 1 3° prime. [§ '7.] Decretales vel decreta Romanorum aut aliorum quorumlibet pontificum communiter aut divisim absque con25 cessione legislatoris humani ''vel generalis concilii'' constituta, neminem obligare pena vel supplicio temporali ''nec spiritu­ ali* : [ 1 2° prime, et 28° secunde, 29a.] 605 [§ 8.] In humanis legibus solum legislatorem vel illius auctoritate alterum dispensare posse : [ 1 2° prime 9•.] [§ 9.] Principatum electum aut alterum qualecumque offi5 cium a sola eleccione auctoritatem habentis ad illam, nulla­ que alia confirmacione seu approbacione pendere : [ 1 2° prime 9•, et 26° secunde, ex 4• in 7•m.]

Teil III, Kapitel II

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2. Den Sinn zweifelhafter Stellen im göttlichen Gesetz darf allein ein allgemeines K onzil der Gläubigen oder die bedeut­ samere Mehrheit oder der bedeutsamere Teil davon lehr­ mäßig festlegen8, besonders in den sogenannten Artikeln des ch ristlichen Glaubens und in allem anderen, was man als heilsnotwendig glauben muß ; kein Teilkollegium, keine Einzelperson, welches Standes auch immer, hat das Recht zu der eben erwähnten Entscheidung. Darüber wird Sicherheit gewonnen II 20, 4--- 13. 3. Die Gebote des göttlichen Gesetzes zu befolgen, wird niemand durch weltliche Buße oder Strafe genötigt ; so for­ dert es die Heilige Schrift : I I 9, 3-1 0. 4. Allein die Gebote des evangelischen Gesetzes oder was aus ihnen mit Notwendigkeit folgt und was nach dem rich­ tigen Denken zu tun oder zu lassen sinnvoll ist, muß man unbedingt wegen der ewigen Seligkeit befolgen, die des Alten Testaments aber keineswegs alle : II 9, 10 bis Schluß. 5. Von den Geboten oder Verboten Gottes oder des evangelischen Gesetzes kann kein Sterblicher entbin den : Erlaubtes aber kann unter < Androhung > einer Schuld oder Strafe für die gegenwärtige oder künftige Welt allein ein allgemeines K onzil oder der gläubige menschliche Gesetz­ geber verbieten, kein Teilkollegium, keine Einzelperson wel­ ches Standes auch immer : I 1 2, 9, II 9, 1 und II 2 1 , 8. 6. Menschlicher Gesetzgeber ist allein die Gesamtheit der Staatsbürger oder deren bedeutsamerer Teil : I 1 2 und I 1 3 . 7. Die Dekretalen oder Dekrete der römischen oder aller anderen hohen Geistlichen, von allen gemeinsam oder von einzelnen ohne Genehmigung des menschlichen Gesetzgebers oder des allgemeinen K onzils erlassen, verpflichten niemand unter < Androhung > einer weltlichen oder geistlichen Buße oder Strafe : I 12 und I I 28, 29. 8. Von menschl. Gesetzen kann allein der Gesetzgeber oder ein anderer kraft Ermächtigung durch ihn entbinden : I 1 2, 9. 9. Eine gewählte Regierung oder irgendein anderes Amt, das allein aus einer Wahl seine Machtvollkommenheit erhält, hängt < nur> von der Wahl ab, von keiner anderen Bestäti­ gung oder Anerkennung : I 1 2, 9 und I I 26, 4---7 . s d ; ffi n i re

determi nare stehen unverbunden nebeneinander ; di ffinire wird vergessen. -

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

[§ 10.] Cuiuslibet prineipatus aut alterins offieii per elee­ eionem instituendi, preeipue vim eoaetivam habentis, eleeei10 onem a solius legislatoris expressa voluntate pendere : [ 1 2° et 1 5° prime, ex 2• in 4•m.] [ § 1 1 .] Solum unum numero supremum prineipatum esse debere in eivitate vel regno : [ 1 '? 0 prime.] [ § 1 2.] Personas et ipsarum qualitatem ae numerum ad of15 fieia eivitatis, sie quoque eivilia omnia determinare, ad prinei­ pantis fidelis auctoritatem seeundum Ieges aut probata eon­ suetudines tantummodo pertinere : [ 1 2° prime et 1 5°, 4• et 1 0•.] [ § 1 3.] Nullum prineipantem, eoque minus eollegium par20 eiale vel singularem personam euiuseumque eondieionis exi­ stat, alienorum actuum monastieorum aut eivilium absque mortalis legislatoris determinaeione imperii plenitudinem seu potestatis habere : [ 1 1 ° prime et 23° seeunde, ex 3• in 5•m.] [§ 14.] Principatum seu iurisdieeionem eoactivam supra 25 quemquam clerieum aut laieum, eeiam si heretieus extet, episeopum vel saeerdotem inquantum huiusmodi nullam habere : [ 1 5 prime, ex 2• in 4•m, 4°, 5° et 9° seeunde ae 10°, ?•.] [ § 15.] Super omnem singularem personam mortalem euiuseumque eondieionis existat, atque eollegium laieorum 606 aut clerieorum, auctoritate legislatoris solummodo prinei­ Pll:ntem iurisdieeionem, tarn realem quam personalem, eoae­ tivam habere : [ 1 5° et 1 '?0 prime, 4°, 5° ae 8° seeunde.] [ § 16.] Exeommunieare quemquam absque :fidelis legis­ s latoris auctoritate ulli episeopo vel presbytero aut ipsorum eollegio non Heere : [6° seeunde, ex 1 1• in 14•m, et 21° se­ eunde, 9•.] [ § 1 '?.] Omnes episeopos equalis auctoritatis esse imme­ diate per Christum, neque seeundum Iegern divinam eon10 vinei posse, in spiritualibus aut temporalibus preesse invieem vel subesse : [ 1 5° et 16° seeunde.] [§ 18.] Auctoritate divina, legislatoris humani :fidelis inter­ veniente eonsensu seu eoneessione, sie alios episeopos eom15 muniter aut divisim exeommunieare posse Romanum episeo­ pum et in ipsum auctoritatem aliam exereere, quemadmodum

Teil lll, Kapitel Il

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10. Die Wahl jeder Regierung oder < die Besetzung > eines anderen Wahlamtes, zumal eines mit zwingender Gewalt, 1 0 hängt allein von dem ausdrücklichen Willen des Gesetz­ gebers ab : I 12 und I 15, 2-4. 1 1 . In jeder Stadt oder jedem Staat darf es nur e i n e oberste Regierungsgewalt geben : I 1 ?. 12. Personen für die Staatsämter < zu bestellen > , deren Eignung < zu prüfen > und ihre Zahl < zu bestimmen > , ebenso 1 5 auch alle politischen Entscheidungen zu treffen kommt aus­ schlieBlich dem gläubigen Herrscher9 zu nach Maßgabe der Gesetze und erprobter Gewohnheitsrechte : I 12 und I 15, 4 u. 10. 13. Kein Herrscher und noch weniger ein Teilkollegium 20 oder eine Einzelperson, welches Standes auch immer, hat über fremde persönliche oder staatliche Akte ohne Anweisung des sterblichen Gesetzgebers Fülle der Befehlsgewalt oder der Macht : I 1 1 und II 23, 3-5. 14. Regierungsgewalt oder zwingende Rechtsprechung 25 über einen Kleriker oder Laien, auch einen Ketzer, hat kein Bischof oder Priester als solcher : I 1 5, 2-4, I I 4, I I 5, II 9 und I I Io, ?. 15. über jede sterbliche Einzelperson, welches Standes auch immer, und jedes Kollegium von Laien oder Klerikern hat kraft Ermächtigung durch den Gesetzgeber ausschlieBlich der 606 Herrscher zwingende Rechtsprechung im Sachenrecht wie im Personenrecht : I 15 und I 1 ? ; II 4, II 5, II 8. 16. Jemand zu exkommunizieren ist einem Bischof oder 5 Priester oder deren Kollegium nur kraft Ermächtigung durch den gläubigen Gesetzgeber erlaubt : II 6, 1 1-14 und II 2 1 , 9. 1 ?. Alle Bischöfe haben unmittelbar von Christus gleiche Machtvollkommenheit < erhalten > ; aus dem göttlichen Gesetz 1 0 läßt sich nicht nachweisen, daß im Geistlichen oder Zeitlichen einer dem anderen untergeordnet oder übergeordnet sei : rr 1 5 und I I 16. 18. Das göttliche Gesetz gibt den anderen Bischöfen, allen gemeinsam oder nur einigen, die Ermächtigung - Ein1 5 willigung oder Zustimmung des gläubigen menschlichen Ge­ setzgebers vorausgesetzt -, den römischen Bischof zu 9

principans ist hier immer Mask. und meint den Kaiser.

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

e converso : [6° secunde, ex 1 1a in 14am, et 15° et 16° se­ cunde.] [§ 19.] Coniugia seu matrimonia divina lege prohibita per 20 mortalem neminem dispensari posse, humana vero lege pro­ hibita ad solius legislatoris vel per ipsum principantis auc­ toritatem pertinere : [ 1 2° prime, 9•, et 2 1 ° secunde, 8•.] [ § 20.] Natos non ex legitimo thoro seu matrimonio legiti­ mos facere sie, ut hereditarie succedere possint aliaque suscipere civilia et ecclesiastica officia et beneficia, ad solum fide­ 607 lem legislatorem noscitur pertinere : ubi supra [immediate.] [§ 2 1 . ] Ad ecclesiasticos ordines promovendos ipsorumque sufficienciam iudicare iudicio coactivo ad solum legislatorem 5 fidelem spectare, ac sine ipsius auctoritate quemquam p romo­ vere ad hec cuiquam sacerdoti vel episcopo non Heere : [ 1 5° prime, 2•, 3•, 4•, et 1 ?0 secunde, ex 8• in 16•m.] [§ 22.] Numerum ecclesiarum sive templorum ac in ipsis ministrare debencium sacerdotum, diaconorum et reliquo­ t o rum officialium, ad solum principantem secundum leges fide­ lium pertinet mensurare : ubi supra [immediate] . [§ 23.] Ecclesiastica officia separabilia solius fidelis legis­ latoris auctoritate debere conferri et similiter auferri posse, 1 5 sie quoque beneficia et propter pias causas reliqua consti­ tuta : [ 1 5° prime, 2• et 4•, et 1 ?0 secunde, ex 16• in 18•m, et 2 1 ° secunde, e x 1 1• i n 1 5•m.] [ § 24.] Notarios aut alios officiales publicos civiles statu­ ere ad nullum episcopum pertinere inquantum huiusmodi, communiter aut divisim : [ 1 5° prime, 2a, 3• et 10•, et 2 1 ° se20 cunde, 1 5•.] [ § 25.] Docendi aut operandi publice secundum artem aut disciplinam aliquam neminem episcopum, communiter aut divisim, inquantum huiusmodi, licenciam concedere posse ; sed hoc ad legislatorem saltem fidelem aut eins auctoritate tantummodo pertinere : ubi supra [imme­ 25 principantem diate.] 11 In Wahrheit II 1 7, 1 7 (373, 2-7) ; von Kirchen ist nicht die Rede. 12 Vo (Stilistik) . 1a I 15, 1 0 ; II 2 1 , 15.

Teil Ill, Kapitel II

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exkommunizieren oder sonst zu maßregeln, wie umgekehrt : I I 6, 1 1-14 und I I 15 und I I 1 6.1 0 1 9. Von Ehe- oder Heiratsverboten des göttlichen Gesetzes 2o kann kein Sterblicher entbinden ; Verbote des menschlichen Gesetzes aufzuheben steht allein dem menschlichen Gesetz­ geher zu oder dem, der in seinem Namen regiert : I 1 2, 9 und II 2 1 , 8. 20. Uneheliche Kinder legitim zu machen, so daß sie erb­ berechtigt sind und Ämter und Benefizien des Staates und 60? der Kirche übernehmen können, steht allein dem gläubigen Gesetzgeber zu, wie aus den oben angeführten Stellen un­ mittelbar hervorgeht. 2 1 . Die Kandidaten für die kirchlichen Weihen und deren Eignung durch ein zwingendes Gericht zu beurteilen kommt 5 allein dem gläubigen Gesetzgeber zu ; ohne seine Ermächti­ gung jemand dazu zu erheben ist keinem Priester oder Bischof erlaubt : I 15, 2-4 und II 1 7, 8-16. 22. Die Zahl der Kirchen oder Tempel und der Priester, Diakonen und der anderen Amtsträger, die in ihnen amtieren 10 sollen, zu bemessen steht allein dem Herrscher zu nach Maß­ gabe der Gesetze der Gläubigen : an der < zweiten > oben ange­ führten Stelle unmittelbar ersichtlich.U 23. Abtrennbare kirchliche Ämter dürfen allein kraft Er­ mächtigung durch den gläubigen Gesetzgeber verliehen und 1 5 ebenso entzogen werden, wie auch Benefizien und sonstige Stiftungen für fromme Zwecke : I 1 5, 2 u. 4 ; II 1 7, 16-18 und II 2 1 , 1 1-15. 24. Notare oder andere öffentliche Amtsträger des Staates einzusetzen steht keinem Bischof als solchem zu, weder allen 20 gemeinsam noch einem einzelnen : I 1 5, 2. 3. 10 und I I 21, 1 5. 25. Zulassung für ein öffentliches Lehramt in einer wissen­ schaftlichen Disziplin oder für die öffentliche Ausübung eines Berufes12 kann kein Bischof als solcher, weder alle ge­ meinsam noch ein einzelner, gewähren ; sondern das steht ausschließlich dem Gesetzgeber zu, wenigstens dem gläuhi25 gen, oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert : an den oben angeführten Stellen unmittelbar ersichtlich. 13 to Gemeint ist das Verfahren bei jedem Ketzer, wie es li 6, 1 1-13 geschildert wird ; li 1 5 , 4 und II 16, 1 3 zeigen : Alle Bischöfe sind gleich.

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

[§ 26.] Promotos ad diaconatum aut sacerdocium, reli­ quosque Deo irrevocabiliter consecratos in ecclesiasticis officiis et beneficiis, ceteris non sie consecratis debere pre­ 608 ferri : [14° secunde, ex 6• in 8•m.] [§ 2'?.] Ecclesiasticis temporalibus, expleta sacerdotum et aliorum evangelii ministrorum, et hiis que ad cultum divi5 num pertinent, ac impotentum pauperum necessitate, licite ac secundum legem divinam pro communibus seu publicis utilitatibus aut defensionibus uti posse legislatorem simpli­ citer et in parte : [ 15° prime, 10•, et 1 '?0 secunde, 16•, et 2 1 ° secunde, 14B-.] 10 [§ 28.] Cuncta temporalia que ad pias causas seu misericordie opera statuta sunt, ut que testamentis legantur pro ultramarino transitu ad resistendum infidelibus, aut pro captivorum ab ipsis redempcione vel pauperum impotentum sustentacione, ceterisque similibus, ad solum principantem t5 secundum legislatoris determinacionem ac legantis vel aliter largientis intencionem disponere pertinet : ubi supra [imme­ diate.] [ § 2 9 .] Collegii cuiuscumque vel religionis vacacionem con20 cedere, ipsamque approbare vel instituere, ad auctoritatem pertinet solius legislatoris fidelis : [ 1 5° prime, 2•, 3•, 4• et 10•, et 1 '?0 secunde, ex 8• in 16•m, et 2 1 ° secunde, 8• et 1 5•.] [ § 30.] Hereticos omnesque delinquentes et arcendos pena vel supplicio temporali iudicare iudicio coactivo, penasque 25 personales infligere ac reales exigere, ipsasque applicare, ad solius principantis auctoritatem pertinet secundum deter­ minacionem legislatoris humani : [ 15° prime, ex 6• in 9am, et 8° secunde, 2• et 3•, et 10° secunde.] 609 [§ 3 1 .] Neminem subditum et per iuramentum licitum alteri obligatum, absque causa racionabili per fidelem legis­ latorem tercie significacionis iudicio iudicanda, per episco5 pum aut presbyterum aliquem solvi posse, huiusque opposi­ tum adversari sane doctrine : [6° et '? 0 secunde et 26° secunde, ex 1 3• in 16•m.]

Teil 111, Kapitel 11

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26. Wer als Diakon oder Priester und sonst Gott un wider­ ruflich geweiht ist, muß bei < Besetzung der > Ämter und 608 Pfründen der Kirche den Vorzug haben vor den übrigen, die nicht in dieser Weise geweiht sind : II 14, 6-8. 27. Die zeitlichen Güter der Kirche kann der Gesetzgeber, wenn der notwendige Bedarf der Priester und der anderen Diener des Evangeliums einschließlich der Kosten des Gottes5 dienstes und < der Bedarf > der hilflosen Armen befriedigt ist, mit vollem Recht und in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz für allgemeine oder öffentliche Zwecke oder für die Verteidigung ganz oder teilweise verwenden : I 15, 1 0 ; I I 1 7, 16 und I I 2 1 , 14. 10 28. Alle Stiftungen für fromme Zwecke oder Werke der Barmherzigkeit - z. B. Vermächtnisse für den überseever­ kehr < nach dem heiligen Lande > , zum Widerstand gegen die Ungläubigen oder für den Loskauf der von ihnen Gefangenen oder für den Unterhalt von hilflosen Armen und dergleichen mehr - zu verwalten kommt allein dem Herrscher zu, < aller15 dings > nach den Richtlinien des Gesetzgebers und den Wün­ schen des Erblassers oder eines anderen Stifters : an der letzten oben angeführten Stelle unmittelbar ersichtlich. 2 9 . Eine freie Stelle in einem Kollegium oder einer reli­ giösen Gemeinschaft jemandem zu übertragen und < die Ein20 setzung > 14 zu bestätigen oder zu vollziehen kommt allein dem gläubigen Gesetzgeber zu : I 1 5, 2-4 u. 1 0 ; II 1 7, 8-16 und II 2 1 , 8 u. 1 5. 30. Ketzer und alle Verbrecher, die mit einer zeitlichen Buße oder Strafe getroffen werden müssen, durch ein 25 zwingendes Gericht abzuurteilen, Leibesstrafen zu ver­ hängen und Vermögensstrafen einzuziehen und < das Geld > zu verwenden kommt allein dem Herrscher zu nach der An­ weisung des Gesetzgebers : I 15, 6-9 ; II 8, 2 u. 3 und II 10. 609 3 1 . Einen Untertan, der einem anderen durch einen rechtmäßigen Eid verpflichtet ist, kann kein Bischof oder Priester davon entbinden ohne einen vernünftigen Grund, über den 5 der gläubige Gesetzgeber durch ein Gericht in der dritten Bedeutung zu urteilen hätte ; das Gegenteil davon wider­ spricht der gesunden Lehre : II 6 und II 7 und II 26, 1 3-16. 1 4 ipsam 608,19 bezieht sich grammatisch auf vacacionem, sachlich auf institucionem.

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

[§ 32.] Episcopum aut ecclesiam aliquam metropolitanam simpliciter omnium statuere atque privare seu deponere ab huiusmodi officio, ad solum generale concilium fidelium 1 0 omnium pertinere : [22° secunde, ex 9• in 1 2•m.] [ § 33.] Generale concilium aut parciale sacerdotum et epi­ scoporum ac rehquarum fidelium per coactivam potestatem congregare, ad fidelem legislatorem aut eius auctoritate prin­ cipantem in communitatibus fidelium tantummodo pertinere, 1 5 nec in aliter congregato determinata vim aut roh ur habere, ad observacionem quoque neminem ohligare temporali aut spiri­ tuali pena vel culpa : [ 1 5° prime, 2•, 3• et 4•, et 1 7° prime et 8° secunde, ex 6• in finem, et 2 1 ° secunde, ex 2• in S•m.] 20 [ § 34.] leiunia et aliquorum cihorum prohibiciones solius generalis concilii fidelium [seu fidelis legislatoris] auctoritate fieri debere. Opera quoque mechanicarum arcium ac doctri­ nas disciplinarum, que lege divina nulla dierum exerceri pro25 hibita fuerint, solum predictum concilium [seu legislatorem] predictum interdicere passe ; ad observacionem quoque ta­ lium arcere pena vel supplicio temporali solum legislatorem fidelem aut eius auctoritate principantem : [ 1 5° prime, 2•, 3•, 4• et 8•, et 2 1 ° secunde, 8•.] [§ 35.] Canonizari aut tamquam sanctum adorari quempiam, per solum generale concilium statui et ordinari debere : 610 [21° secunde, s•.] [§ 36.] Episcopis aut presbyteris aliisque templorum mini5 stris si uxores interdicere convenit, reliqua quoque circa ec­ clesiasticum ritum, per generale solum fidelium concilium id statui et ordinari, ac eum solum collegium aut personam in hoc cum predictis dispensare passe, cui data fuerit eius auctoritas per concilium supradictum : ubi supra [imme­ diate.] to [§ 3?.] A iudicio coactivo episcopo vel sacerdoti concesso semper ad legislatorem cantendentern liceat appellare, [vel ad eius auctoritate principantem] : [ 1 5° prime, 2• et 3•, et 22° secunde, 1 1•.]

Teil III, Kapitel 11

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32. Einen Bischof oder eine Kirche als Führung für die gesamte Christenheit schlechthin einzusetzen, sie eines solchen Amtes zu entkleiden oder sie abzusetzen steht allein dem allgemeinen Konzil aller Gläubigen zu : II 22, 9-12. 33. Ein allgemeines Konzil oder ein Teilkonzil der Priester und Bischöfe und der übrigen Gläubigen durch zwingende Gewalt zu versammeln steht in den Gemeinschaften der Gläubigen ausschließlich dem gläubigen Gesetzgeber zu oder dem, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert ; was auf einem in anderer Form einberufenen Konzil festgelegt ist, hat keine Gültigkeit oder Rechtskraft und verpflichtet nie­ mand unter < Androhung > einer weltlichen oder geistlichen Strafe oder Schuld zur Befolgung : I 1 5, 2-4 ; I 1 7 ; II 8, 6 bis SchluR und II 2 1 , 2-8. 34. Fastengebote und Verbote irgendwelcher Speisen darf allein ein allgemeines Konzil der Gläubigen oder der gläu­ bige Gesetzgeber aussprechen ; auch handwerklich-technische Arbeiten und wissenschaftlichen Unterricht, die das göttliche Gesetz an keinem Tage verbietet, kann allein das obenerwähnte Konzil oder der obenerwähnte Gesetzgeber unter­ sagen ; zur Befolgung solcher < Vorschriften > kann allein der gläubige Gesetzgeber durch eine weltliche BuRe oder Strafe nötigen oder wer kraft Ermächtigung durch ihn regiert : I 1 5, 2-4 u. 8 und II 2 1 , 8. 35. Heiligsprechung oder Heiligenverehrung darf allein das ·a llgemeine Konzil bestimmen und anordnen : II 21, 8. 36. Ob das Eheverbot für Bischöfe, Priester und andere Diener der Kirche richtig ist und über andere Fragen der kirchlichen Praxis, kann allein das allgemeine Konzil der Gläubigen Bestimmungen und Anordnungen treffen ; nur d e r , ein Kollegium oder eine Einzelperson, kann hierin wie auch in den obenerwähnten < Punkten > 15 Dispens erteilen, dem dazu das obengenannte Konzil Vollmacht gegeben hat : An der oben angeführten Stelle unmittelbar ersichtlich. 37. Von dem zwingenden Gericht, das einem Bischof oder Priester zugestanden ist, soll der Rechtsuchende immer an den Gesetzgeber appellieren dürfen oder an den, der kraft Ermächtigung durch ihn regiert1 6 : I 1 5, 2 u. 3 und II 22, 1 1 . 1 s V gl. Th. 34. 1 6 214, 1 4-1 5 schwebt dieser Fall offenbar vor.

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Marsilius

von

Padua, Verteidiger des Friedens

[§ 38.] Perfeccionem evangelicam summe paupertatis servare debentem nihil immobilium in sua potestate habere posse absque determinato proposito, quodlibet tale habitum vendendi, cum primum potuerit, preciumque pauperibus tri­ buendi ; mobilis autem aut immobilis rei nullins habere do­ minium seu potestatem, cum proposito scilicet vendicandi 20 eam coram iudice coactivo ab auferente vel auferre volente : [ 1 3° secunde, 22• et 30•, et 14°, 14•.] [ § 3 9.] Episcopis reliquisque ministris evangelicis, que ad ahmenturn et tegmentum necessaria fuerint, saltem cotidi25 ana vice, cui ministrant evangelium, multitudo vel persona singularis secundum legem divinam et suam possibilitatem exibere tenetur, decimas vero vel alterum quid aliud, si superfuerit dictarum ministrorum necessitati supplende, nequaquam : [14° secunde, ex 6• in H•m.] [ § 40.] Legislatorem fidelem aut eius auctoritate princi6 1 1 30 pantem in subiecta sibi provincia compellere posse tarn epi­ scopos quam reliquos evangelicos ministros, quibus de suf­ ficiencia victus et tegmenti provisum est ad divina officia celebranda et sacramenta ecclesiastica ministranda : [ 1 5° 5 prime, 2•, 3• et 4•, et 8° secunde, ex 6• in finem, et 1 7° secunde, 1 2•.] [ § 41.] Episcopum Romanum et alium quemlibet ecclesi­ asticum seu templi mirristrum secundum legem divinam per solum fidelem legislatorem aut eius auctoritate principantem 10 vel fidelium generale concilium ad officium ecclesiasticum separabile promoveri debere, ab eodem quoque suspendi atque privari exigente delicto : [ 1 5° prime, 2•, 3•, 4• et 10•, et 1 7 ° secunde, ex 8• in 16•m et 22° secunde, ex 9• in 1 3•m.] [§ 42.] Possent autem alie quamplures et utiles conclut5 siones ex prioribus diccionibus per necessitatem inferri quas tarnen deduximus, contenti sumus, quoniam ad predictam pestem cum ipsius causa succidendam facilem atque suf­ fleientern prebent ingressum, et propter abbreviacionem ser­ monis. 15

Teil lll, Kapitel ll

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38. Wer die evangelische Vollkommenheit der höchsten Armut wahren muß, kann Liegenschaften in seiner Ver­ fügungsgewalt nur mit dem festen Vorsatz haben, jedes solche Gut so bald als möglich zu verkaufen und den Erlös an die Armen zu verteilen ; an keiner beweglichen oder un­ beweglichen Sache darf er Eigentumsrecht oder Gewalt haben, d. h. nicht mit dem Vorsatz, die Sache vor einem 20 zwingenden Richter gegenüber jemand, der sie wegnimmt oder wegnehmen will, zu beanspruchen : II 1 3, 22 u. 30 und II 14, 14. 39. Den Bischöfen und den übrigen Dienern des Evange­ liums ist die Gemeinde oder die Einzelperson, der sie das 25 Evangelium spenden, soweit es in ihrer Macht steht, nach göttlichem Gesetz verpflichtet, das Notwendige an Nahrung und K leidung, wenigstens Tag für Tag, zu liefern ; -� eh;nten aber oder etwas anderes, was über die Befriedigung des not­ wendigen Bedarfs der genannten Diener hinausgeht, auf keinen Fall : II 14, 6-1 1 . 40. Der gläubige Gesetzgeber oder wer kraft Ermächti6 1 1 3 0 gung durch ihn regiert, kann in seinem Lande die Bischöfe wie die übrigen Diener des Evangeliums, die mit Nahrung und Kleidung ausreichend versorgt sind, dazu nötigen, Gottesdienst zu halten und die kirchlichen Sakramente zu 5 spenden : I 15, 2-4 ; II 8, 6 bis Schluß und II 1 7, 1 2. 4 1 . Den römischen Bischof und jeden anderen Diener der Kirche oder eines Tempels darf nach dem göttlichen Gesetz allein der gläubige Gesetzgeber oder wer kraft Ermächti­ gung durch ihn regiert oder ein allgemeines Konzil der 10 Gläubigen zu einem abtrennbaren kirchlichen Amt erheben, ebenso sie suspendieren oder des Amtes entkleiden, wenn ein Vergehen es erforderlich macht : I 15, 2-4 u. 1 0 ; II 1 7, 8-16 und II 22, 9-13. 42. Noch sehr viele andere nützlicheFolgerungen ließen sich 15 aus den ersten beiden Teilen mit Notwendigkeit ziehen ; doch mit diesen begnügen wir uns ; denn die obengenannte Pest samt ihrer Ursache auszurotten, dazu geben sie eine be­ queme und ausreichende Handhabe, und wir wollen die Darstellung abkürzen. 15

· ·-

1 1 02 20

Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens C A P I T U L U M III

De titulo huius libri. Vocabitur autem tractatus iste Defensor Pacis, quoniam in ipso tractantur et explicantur precipue cause quibus con­ servatur et extat civilis pax sive tranquil litas et hee eciam 25 propter quas opposita lis oritur, prohibetur et tollitur. Per 612 ipsum enim scitur auctoritas, causa e t concordancia divi­ narum et humanarum legum et coactivi cuiuslibet princi­ patus, que regule sunt actuum humanorum, in quorum con5 venienti mensura non impedita pax seu tranquillitas civilis consistit. Amplius per ipsum comprehendere potest tarn principans quam subiectum que sunt elementa prima civilitatis cuius­ libet, quid observare oporteat propter conservacionem pacis 1 0 et proprie libertatis. Primus namque civis vel civilis regimi­ nis pars, principans scilicet, sit unicus homo vel plures, cam­ prehendet per eas que in hoc libro scripte sunt humane veritates atque divine, soli sibi convenire auctoritatem pre­ cipiendi subiecte multitudini communiter aut divisim ; et unumquemque arcere, si expediat, secundum positas Ieges 1 5 et nil preter has, arduum presertim, agere absque multitu­ dinis subiecte seu legislatoris consensu ; nec iniuria provo­ candam esse multitudinem seu legislatorem, quoniam in ipsius expressa voluntate consistit virtus et auctoritas prin­ cipatus. Subiecta vero multitudo et ipsius singulum quod20 l ibet ex hoc libro addiscere potest, qualem aut quales insti­ tuere oporteat principantes ; et quoniam solius principantis partis p receptis velut coactivis pro statu et in statu presen­ tis seculi obedire tenetur, [solummodoJ tarnen secundum positas Ieges in quibus determinant, in quibus vero minime 25 secundum tradita 1 5° et 18° ""prime'' ; et quantum possibile fuerit observare, ne p rincipans aut altera quevis communi­ tatis particula contra vel preter Ieges iudicandi aut aliud quid civile agendi sibi sumat arbitrium. 1 7 Pr.-0.

hat 14, Scholz 15, beide ohne v. I . ; gemeint ist I 14, 3-7 und I 1 8 (Verantwortlichkeit der Regierung) .

Teil lll, Kapitel lll 20

1 1 03

KAP I T E L I I 1

Vo m Ti t e l d i e s e s B u c h e s . D ieses Werk soll V e r t e i d i g e r d e s F r i e d e n s heißen ; denn es behandelt aus führl ich d i e wichtig sten Ursachen, d i e Frieden o d e r R u h e i m Staate erhalten u n d bewahren , w i e 25 d i ej eni g en , die das Gegenteil d avon, den Streit, hervorrufen, 612 verhindern und beseitigen. A u s ihm kennt < der L es e r > die A u torität, die Ursache u n d das Zusammenwirken d e r g ö t t ­ l ich e n u n d m e nsch li ch e n Gesetz e u n d j ede r zwin gende n R egierun g sg e wal t , die die Handl u n g en der Menschen regeln, au f deren h armonis ch e Ausgeglich enhe i t der u ngest ö rt e > < Bestan d von > Ru h e oder Fried e im Staate sich gr ü ndet Ferner k önnen Regierung u nd Volk, die primären Ele­ mente j e des Gemeinwesens, darau s entnehmen, was z u be­ achten ist, um Frieden und F reiheit im eigen en Lande zu 10 erha lten : Der e rst e Bürger oder de r e rst e B estandteil der S t aatsverwa l t u n g , d. h . der regi erend e ein ei n ziger Mensch oder meh rere -, soll mit H i l fe der menschlichen u n d göt t ­ l i ch e n Wah rheiten, d i e in d i esem B u ch e n i edergesch rieben sind , begrei fen : Er allein hat die B e fugnis , für das Volk i m ganzen oder i m einzelnen Vorsch r i ften z u erlassen u n d ge­ gebene n fal l s jeden n ach den besteh enden Gesetzen zu be­ s t ra fen, aber er darf nichts Un g esetzliches t u n , z u ma l nichts 15 W i ch t i g es, oh n e Z u sti m m u ng des Vol k e s d . h . des Gesetz ­ gebers ; er d a r f a u ch das Volk oder den Geset zgeber nicht du rch Obergriffe herau sfordern ; denn auf dem k l a r au sge­ s p rochenen Vol k swill en ruht K ra ft u n d Au torität der Regie­ rung. - Das Volk aber u n d jeder e i n ze l n e B ü rger k a n n aus 20 diesem Buche lernen, was fü r Männer mit der Leitung des Staates bet rau t werden m ü ssen - daß jeder < n u r > den A n ­ ord n u n gen der R egieru ng als z w i n gend fü r den S t a n d u n d in dem Stand des gegenwärt igen Lebens zu geh orchen verp fl i ch ­ t e t ist, doch auss ch l i e ß li ch nach Maßgabe der bestehenden Ge­ setze, soweit sie Best i m m u n gen t reffen ; wo nich t , nach den Aus2 3 f ü h ru ngen i n I 14 u n d I 1 817 -, d a ß soviel als möglich d a rau f zu achten ist, daß d i e R egieru ng oder ein an derer Bestandteil des Gemeinwesens sich n ich t d i e F reiheit nimmt, widergesetz­ lich oder oh n e gesetzliche G r u n d l age gerich t l i ch e Urteile zu fällen oder einen anderen staatl ichen Akt zu vollziehen. .

-

,

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Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens

Hiis enim comprehensis memoriterque retentis et diligen­ ter custoditis sive servatis, salvabitur regnum et quevis altera quecumque temperata civilis communitas in esse paci­ fico seu tranquillo ; per quod vivenies civiliter adipiscuntur, et sine ipso de necessitate privantur sufficiencia vite mun­ dane, ad eternam quoque beatitudinem prave disponuntur. 5 Quas tarnen velut fines et optima desideratorum humano­ rum, secundum diversum tarnen et alterum seculum, in prioribus sermonibus, tamquam omnibus per se manifestum, suscepimus ; supradictis a nobis adicientes, quod, si quid in ipsis reperiri contingat determinatum, diffinitum aut aliter 1 0 quomodolibet pronunciatum *vel scriptum�· minus catholice, id non pertinaciter dieturn esse ; ipsumque corrigendum atque determinandum supponimus auctoritati ecclesie ca­ tholice seu generalis concilii fidelium Christianorum.

3o

613

Anno trecenteno milleno quarto vigeno Defensor est iste perfeeins festo baptiste. Tibi laus et gloria, Christe !

18 Vo ( P artikeln: velut) .

Teil lll , Kapitel III

1 1 05

Begreift j e d e r d ies u n d vergißt es n iema ls, sondern h ält es fest und beachtet es sorgfältig, so wird ein Reich und jede andere gutgeordnete staatliche Gemeinschaft wohlbehalten 613 bleiben in einem friedlichen oder ruhigen Dasein. Hierdurch erlangen die Staatsbürger ein glückliches Leben i n dieser Welt ; ohn e es gehen sie notwendig eines solchen Lebens ver­ lustig und werden auch auf die ewige Seligkeit schlech t ; vorbereitet. D a ß dies beides18 die Ziele u n d d i e h öchsten W ü nsche der Menschheit sind - j edoch das eine für diese, das andere für jene Welt -, haben wir in den früheren Aus­ führungen als allen unmittelbar einleuchtend angenommen . Zum Schluß noch eins : Sol l t e i n diesen Feststellungen, Defi1 0 nitionen oder sonstigen Auslassungen und Au fzeichnungen etwas nicht ganz dem katholischen Glauben entsprechen, so wäre das keine hartnäckig < au frechterhaltene > Behauptung; sie zu berichtigen und genau festzu legen, stellen wir der Autorität der katholischen K irch e oder eines allgemei nen Konzils der gläubigen C h risten anheim. Im Jahre eintausenddreihundertvierundzwanzig ist dieser t5 Ve r t e i d i g e r abgeschlossen worden, am Fest Johannes des Täufers. D i r sei Lob u n d P reis, C hristus ! ;o

ANHANG

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Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen von R . Scholz L eser u n d Benutzer der vorliegenden A usgabe könnten sich v o n jenen Anmerkungen frustriert fühlen, die auf eine (inhaltlich nicht erschlossene) Kommentierung durch den Hrsg. R ichard Scholz hinweisen (z. B. S. 2231: " S cholz 8 Anm. 1 "). Diese Hinweise setzen nämlich eigentlich voraus, dass die MGH-Ausgabe jedem zur Hand ist. Darum wird im Folgenden jede dieser Anmerkungen eigens erläutert (benannt mit Seitenzahl und hoch­ gestellter Anmerkungsziffer unserer Sonderausgabe). Dass die R eihe der An­ merkungen (und der Seitenzahlen) nicht immer nach der Zahlenfolge voran­ schreitet, liegt vor allem an der graphischen Platzierung der Anmerkungen in der A usgabe von 1958. Niemand sollte seine Suche also zu früh einstellen! Es kam dabei nicht auf die vollständige Wiederholung sämtlicher von Scholz gegebener Informationen an: nur die wichtigsten und heute noch aktuellen Daten werden aufgegriffen. Ältere Literaturhinweise wurden daher nicht immer wiederholt, nur selten wurde die Literatur jedoch aktualisiert, da nicht eine fortlaufende Kommentierung des " Defensor pacis" beabsichtigt war (die eine ungleich größeren Umfang erfordert hätte). Von Ockham wur­ den einige unmittelbare Zitate aus dem " Defensor pacis" zusätzlich benannt, da sie bisher selten Beachtung gefunden haben. Es wurde - mit wenigen A us­ nahmen - darauf verzichtet, die neueren, heute maßgeblichen kritischen A usgaben der von Marsilius zitierten Quellen an die Stelle der im Jahre 1932/1933 mitgeteilten Fundstellen zu setzen (die bereits damals nicht immer die kritischen Ausgaben (etwa des Wiener Kirchenväter- Corpus [CSEL]) herangezogen hatten, sondern sich meist mit einer Fundstelle in Mignes Patrologie begnügten). In Fällen allgemein bekannter Quellen (wie der Schriften des Aristoteles oder der Sentenzen des Petrus Lombardus) wurde überhaupt darauf verzichtet, eine A usgabe zu benennen. In der R egel lässt sich damit jetzt jedoch das Zitat, auf das sich Marsilius gestützt hat, mit geringer Mühe identifizieren. Die gebrauchten Abkürzungen wurden in das A bkürzungsverzeichnis [S. CXXXIXJ aufgenommen, soweit sie sich nicht von selbst verstehen. Es ist zu hoffe n, dass dieser " A nhang" die vorliegende Ausgabe leichter (weil im Prinzip von R. Scholz unabhängig) benutzbar macht. ]. Mt.

Bd. I Diccio I 2231 : Der Kaisertitel Ludwigs d.Bayern nur hier, vgl. dagegen I l . 3 . 14; 11.2 1 . 1 3 ; 11.24 . 8 ; 11.26 . 1 1 , 15, 16, 1 7; 1 1 . 3 0 . 7. 2840: Aristoteles, Politik 1 . 5 6 (1254a31 -39); VIII.3 (13 02b33 -13 03a2); vgl. Politik Vl.4 (1290b34 ff.). 3859: Aristoteles, De animalium generatione 1 . 1 8 ; De anima 1.4; 111 . 1 3 .

1110

Anhang

4471 : Eine verständlichere Übersetzung könnte etwa lauten: "Wiederum kann jede dieser beiden Arten in doppelter Weise aufgefasst werden, weil das Leben Sein ist entweder in einem einzelnen Individuum oder auch in einem artverwandten, was man dann das , L eben der Art' nennt." 6096: etwa Aristoteles, Politik I.2 (1253a9); De anima III.9; III. 1 2 . 68104: etwa Aristoteles, De partibus animalium III. l O , IV. l O . 741 2 0 : (Früher) Politik I I I u. IV entsprechen heute (meist) Politik I I I und V I . 761 2 3: Vgl. d i e Differenzierung i n : DP I I . 1 2 . 3 (Scholz S . 63, 2 ). 3 7813 2 : Augustinus, De civitate Dei V.2 1 . 88156: Nach Scholz z u vergleichen etwa die Einsetzung der Prioren i n Flo­ renz nach 1 324, dazu. R. Davidsohn, Geschichte von Florenz, III (Berlin 1 9 1 2) 122 f., 698, 7 1 8 , 862 ff. 94172 : Aristoteles, Metaphysik I I . S . 99176: Hinweis auf (späten) Einschub der Hs ,K' (Wien, cvp 5369 [XV. s .]) nach barbarorum quorundam [Variante Scholz S . 51"] : ,sicut etiam in partibus uallie modernis temporibus observatur'. Das macht es für Scholz zweifelhaft, ob hier wirklich germanisches Wergeldstrafrecht gemeint war. 1 0 0185: Hier weist Previte- O rton hin auf die arbiträre Gerichtsgewalt von Podesra und Stadttyrann. 1 0519 2 : Auch hier sind als Vorbild italienische Kommunen und ihre oft plötz­ lichen Reformationen und Statutenänderungen zu vermuten. 1 0 6 2 01: Averroes, Comm. zur Metaphysik des Aristoteles I l . l (Opera, Vene­ dig 1 562, VIII, fol. 29'-v). 1 2 0 2 31: Vgl. oben bei 761 2 3 ! Diese Differenzierung wird in späten Mss.-Ver­ sionen mehrfach weggelassen, was den Gedanken des Marsilius, so meint Scholz, verfälscht. 1 6 0318: Insbes. Galen, De foetuum formatione c. IV. 1 6732 7: Aristoteles, De gen. et corrupt. II. 9; cf De anima II. 7. 1 74349: Aristoteles, Metaphysik I I . 3 . 1 86369: Aristoteles, Politik I . 8 ( 1 2 5 6 a l ff.); I.9 (1 256b40); I . l O (1258a27 ff.). 2 1 0417: Erneut Verweis auf Previte- O rton, der (p. 921) die Umstände in oberitalienischen Kommunen als Hintergrund vermutet. 2 1 3419: Aristoteles, De motu animalium 1 , 6 . 2 1 4 429: Hier wird der Gegensatz z u Dantes Universalismus unterstrichen so­ wie auf Johannes Quidort von Paris hingewiesen und die internationale Debatte um die Politik des Luxemburgers Heinrich VII. aufgerufen, die die Aktualität der Überlegungen des Marsilius zeigte. 230473: Dieser Bezug auf Italien weist nach Scholz auf Marsilius als den (ein­ zigen) Autor des Buches. 236485 : Glossa ordinaria zu Matth . 1 6 : 19; dazu Beda Venerabilis, Homi­ liae I I . 1 6 (Migne PL 94,222), sowie auch Hrabanus Maurus (nach der Catena A urea des Thomas von Aquin z. St.). 236487: Scholz stützt sich auf die Nachweise Previte- Ortons (p. 503 sowie

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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pp. 2793, 2861), der als Quellen Pseudo-Clemens, Recogniciones X.71 und Martin von Troppau ermittelt. ,Petrus in Rom' beschäftigte heute die Polemik der historischen Kritik im 2 0 . Jh. (Das ist hier nicht auszubreiten). 240493: Drucknachweis in den "Extravag. comm." (XV. s .), 1 . 8 . 1 [Fried­ berg II, 1 245 -1246] : Marsilius weist (in DP II.20 . 8 , Scholz 398, ) aus­ 4 drücklich auf " Unam sanctam" als auf ein decretum quoddam (also als eine ,freie' ,Extravagante') hin. 241492 : Marsilius zitiert die Bulle Clemens' V. " Pastarafis cura" ersichtlich nach Clem. II.1 1 . 2 [Friedberg II. l 1 51 -1 1 53] . 242498: Scholz verweist global und exemplarisch auf eine Dekretale und die "Prozesse" Johannes' XXII. gegen Ludwig d. Bayern hin, ediert durch J. Schwalm in MGH Const. V (1909 -1 9 1 3) 367 f., 616 -9, 693 - 699 (nrr. 443; 792; 8 8 1), die als Beispiele für weitere Texte gleicher Art stehen müssen. Augerdem deutet der Text auf DP II.26 voraus. Zur kurialen "Approbationstheorie" vgl. zusammmenfassend (mit weiterer Literatur) J. Miethke, Kaiser und Papst im 14. Jh., Die Debatte um die kuriale Ap­ probationstheorie", in: Politische Schriften des Lupold von Bebenburg, hrsg. J. Miethke / C . Flüeler, Hannover 20 04, 61-97. Zu den Prozessen Johannes' XXII. gegen Ludwig auch knapp J. Miethke, "Der Kampf Lud­ wigs des Bayern mit Papst und avignonesischer Kurie in seiner Bedeu­ tung für die deutsche Geschichte", in: Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrneh mung seiner Herrschaft, hrsg. H. Nehl­ sen, H . - G . Hermann, Faderborn-München (usw.) 2002, 39 -74, bes. 54 ff. Diccio II 2503: Aristoteles, Metaphysik I l . 3 . 2537: Nach Previte- O rton ( p . 1 1 2) stammt das nicht aus d e n (einem Huguc­ cio zugeschriebenen) " Derivaciones" und ist daher wohl aus der (weit­ gehend ungedruckten) wichtigen " Summa" des Huguccio von Pisa zum "Decretum Gratiani " genommen. Doch ist die Stelle dort bisher nicht aufgefunden. 261 27: Petrus Lombardus, Collectanea in epp. S. Pauli (Migne PL 1 9 1 , 1 639 C). 26331: Petrus Lombardus, Collect. in epp. S. Pauli (Migne PL 1 9 1 , 1 535 A). 26850: Petrus Lombardus, Collect. in epp. S. Pauli (Migne PL 1 9 1 , 1609 B). 27256: Previte- O rton verweist hier auf die Florentiner Zunft der Giudici e notai. Auch die Notare in Padua mussten gelehrte Kenntnisse des Römi­ schen Rechts nachweisen. Zu den Verhältnissen in Padua vgl. J. K. Hyde, Padua in the Age of Dante, Manchester 1966. 28371 : Clem. II.9.1 " Romani principes" [Friedberg II.1 147-1 1 5 0] . 28572 : D e r "I. Prozess", Johannes' XXII. i n MGH Const. V, 616 - 619 (nr. 792) [vgl. oben zu 242498] . 28878 a : Scholz verweist auf die Bedeutung der Bibel gegenüber der ,Tradi­ tion' nach DP Il.28 . 1 . 28879: Augustinus, Sermo LXIX i n Math., c . 1 § 2, (Migne, PL 3 8 , 441).

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29080: Scholz weist ein Zitat aus dieser Passage bei Dietrich von Nieheim, De Modis, nach [vgl. unten zu 7881 22 1] . 29284•85 • 29490 •91 •93, 29698, 29899 •100•102 : Thomas v. Aquin, Catena A urea z. St. 3 0 0107: Glossa ordinaria zu Math. 22:20. 3 0 0108: Thomas v. Aquin, Catena A urea z. St. 3 03109 •116 b : Ambrosius, Sermo contra A uxentium c. 33 - 5 (Migne PL 16, 1 0 6 0 -1 061). 3 0 6117, 3 1 21 2 8: Bernhard v. Clairvaux, ep. 42, VII I . 3 1 u. 36, ed. J. Leclercq, H. M . Rochais in: S. Bernardi Opera, Bd. VII (Rom 1974), S. 126 bzw. 1 3 0 . 3 1 01 26 :Augustinus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea z u Röm 1 3 : 1 -7. 3 1 2131: Erneut weist Scholz auf ein Zitat dieser Stelle in den Avisamenta Dietrichs von Nieheim (auf dem Konstanzer Konzil) hin. 314133 • 13\ 3 1 7135, 3 1 6138 • 139: Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 20:25 - 8 bzw. zu Luk. 22:24 -7. 322148: Bernhard v. Clairvaux, De consideratione, Il.vi . 1 0 , ed. J. Leclercq, H. M . Rochais in: S. Bernardi Opera, B d . III (Rom 1963), S. 4 1 8 . 320146: Ambrosius und Augustinus nach Petrus Lombardus, Collectanea i n epp. S . Pauli (Migne P L 1 9 1 , 1 577B/C). 320147: Gregor d. Gr., Moralia in Job XIX.25 (Migne PL 76 , 1 25C), zitiert wohl nach Petrus Lombardus, Collectanea in epp. S. Pauli (Migne PL 1 9 1 , 1 577C/D). 322148: Bernhard v. Clairvaux, De consideratione, I.vi . 7, edd. Leclercq, Ro­ chais in: S . Bernardi Opera, III (Rom 1963), S . 402. 324154: Bernhard v. Clairvaux, De consideratione, I .vi . 7, ed. Leclercq, Ro­ chais in: S . Bernardi Opera, III, S . 4 0 1 f. 328161 : Ambrosius und Augustinus nach Petrus Lombardus, Collectanea in epp. S. Pauli (Migne PL 1 9 1 , 1 503D-1 504A/B). 330164: Bernhard v. Clairvaux, ep. 42, VIII . 3 5 -3 6 , edd. Leclercq, Rochais in: S . Bernardi Opera, VII (Rom 1974), S . 1 3 0 . 330165•168: (nach Previte- Orton) Komposit vor allem aus Augustin u. Gregor d. Gr., zitiert offenbar nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne, PL 1 9 1 , 1 504D-1 5 0 5 C u. 1 5 05C-1 5 06C). 338 Ambrosius, Sermo contra A uxentium, c. 2 (Migne PL 1 6 , 1 050). 342179: I I. Kor. 1 :23 zus. mit Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 192,16D1 7A). 342180: Chrysostomus, De sacerdotio I I . 8 (cf. Migne PG 48, 634, c. 3). 344184: Haimo nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 192, 335D-336A). 344185 • 186• 188: Augustin nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 192, 336C/D bzw. 337A). 346191 • 193: Ambrosius nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 192 , 392C bzw. 357C). 358 2 13: Hieronymus nach Glossa ord. zu Matth. 1 6 : 1 9 - vgl. Petrus Lombar­ dus, Sent. IV. 1 9 . 3 [Hieronymus] u. Thomas v. Aquin, Catena aurea z. St. [Hrabanus Maurus] .

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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358 2 15: vgl. Glossa ord. z u Matth. 1 6 : 1 9 u . Petrus Lombardus, Sent. IV. 1 8 . 2 [ohne Hinweis auf Augustin]); s. auch Thomas v. Aquin, Catena aurea z. St. [Hrabanus Maurus] . 360 2 18: Hieronymus nach Glossa ord. zu Matth. 1 6 : 19; vgl. Petrus Lombar­ dus, Sent. IV. 1 9 . 3 [Hieronymus] u. Thomas v. Aquin, Catena aurea z. St. [Hrabanus Maurus] . 360 2 19: Richard v. S t . Victor, De potestate ligandi et solvendi (Migne PL 196, 1 1 59 -1 1 78). 362 22 3 •224•225•22 7, 363 22 0: Petrus Lomb., Sent. IV. 1 8 . 36422 8 : Petrus Lomb., Sent. IV. 1 7. 3 . 36422 9 •230•2 37: Richard v . S t . Victor, De potestate ligandi et solvendi, 6 - 8 . 366 2 31a , 2 32 , 234 , 2 38, 368 241 , 372 244 , 247, 249 , 2 50 , 2 51 , 25 2 : Vgl. i m Einzelnen Petrus Lomb., Sent. IV. 1 8 . 5 -9. 372 243•244: Thomas v. Aquin, Catena Aurea zu Joh. 20 :22 f. 374252 : Scholz zieht zum Vergleich die Abendmahlslehre von Jan Hus heran. Eine gerrauere Analyse der Rolle des Marsilius im Rahmen der spätmit­ telalterlichen Diskussion über das Abendmahl würde sich wohl lohnen. 378 26 0: Scholz hält - anders als Previte- O rton, der von einer später gestri­ chenen Autorglosse ausgeht - einen Zusatz [Variante Scholz S. 2 1 1 g] in nicht weniger als 9 Hss mit größerer Wahrscheinlichkeit für eine späte Fremdglosse, die in die Tradition Eingang gefunden habe (In ,T' ist der Zusatz nicht zu finden). 3 8 0 264 : nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 1 9 1 , 1 57 1 D), wo Augus­ tirr aber nicht genannt ist. 3 8 8 282 , 390 2 85: Petrus Lomb., Sent. IV. 1 8 . 8 . Dazu vgl. DP I I . 6 . 6 . 408322 : D P II. 8 .9-II.9.2 (Scholz 228,r232 , u) wörtlich zitiert und dann bis 233 , inhaltlich benutzt von [Evrart de Tremaugon] , in Somnium virida­ 17 rii, cap. ! . 1 02 §§ 35 -46, ed. Marion Schnerb-Lievre, Paris 1993, vol. I, 1 1 2-1 1 5 [Übersicht über die Entlehnungen aus dem DP: vol. II, 535 f.] . 4 1 0325 : VI 3 . 2 . 1 [Friedberg II, 1 0 19] . 4123 26 : Alte Lit. z u den ,Frati Gaudenti' von Altopascio, dazu R . Manselli in: Lex. d. MAs I (19 8 0) 486 f. - die hier aber wohl von Marsilius nicht gemeint sind, der vielmehr unter diesem Namen anscheinend auf die Beguinen blickt. 4123 2 9 a : Hinweis auf C. W. Previte- O rton, " Marsilius of Padua, Doctrines", in: EHR 149 (1923) 1-1 8 . 420345 : Vgl. Chrysostomus, De sacerdotio II.3 -4, cf. Migne PG 48, 6 3 4 f. 422350: Th. v. Aquin, Catena A urea zu Luk. 9:23. 422351 : Hilarius v. Poitiers, Ep. A d Constantium Augustum, I . 6 (Migne PL 1 0 , 561). 422352 , 424353: Hilarius, Contra A uxentium, c. 3 u. 4 (Migne PL 10, 610 bzw. 61 1). 424355: Ambrosius, Sermo contra A uxentium, c. 2 (Migne PL 1 6 , 1 0 5 0). 426357• 358• 359: Glossa ord. zu Matth. 19:28.

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430370: Hieronymus, ep. 1 1 2 . 14, dazu Antwort Augustins. Cf. Petr. Lombar­ dus, Collect. zu Gal. 2 u. 5 (Migne PL 192, 1 1 0 -1 14, 1 53, 1 58) und zu Hebr. 7 (ebd. 454). 434375 : Offenbar aus dem Gedächtnis (oder ungenau) zitiert aus Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Luk. 1 2 : 14. 438380: Ambrosius, ep. 2 1 (Migne PL 1 6 , 1 045-1 049. 440387: Petrus Lomb., Sent. IV. 1 8 .9. 447395: Nach Previte- Orton (S . 2 0 1 1) der Stellung eines kommunalen Podesra entsprechend. 460419: Seneca, ep. 98 ( lib. XVI . 3) § 1 7. 463424 : Chrysostomus, De compunctione I . l O (Migne PG 47, 4 1 0). 470440 : Lit. zur breiten mittelalterlichen Rezeption der karolingerzeitlichen Großfälschung jetzt etwa bei J. Miethke, "Die ,Konstantinische Schen­ kung' in der mittelalterl. Diskussion, Ausgew. Kapitel einer verschlunge­ nen Rezeptionsgeschichte", in: Konstantin der Große, Das Bild des Kaisers im Wandel der Zeiten, hrsg. A. Goltz, H. Schlange-Schöningen, Köln-Wien 2 0 0 8 , 3 5 - 1 0 8 . 472441 : Bernhard v . Clairvaux, De consideratione, IV.iii.6, edd. J. Leclercq, H. Rochais in: S. Bernardi Opera, III (Rom 1969), 453. 484469• 4 94: Zum Verhältnis des Marsilius zum sog. "Theoretischen Armut­ streit" und den dortigen Begriffsdistinktionen vgl. die Hinweise oben in der Einleitung u. in der Bibliographie (unter R. Lambertini). 5 0 0501 : Augustirr nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 5:40. 502503 • 505: Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 191, 1 578C). 5 1 0526 : Vgl. Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Luk. 6:20. 5 1 252 9: Hieronymus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 514533: Ob sich das auf Johannes' XXII ., " A d conditorem canonum", in: Ex­ travag. Joann. XXII, XIV. 3 [Friedbg II, 1 225 -1 229] bezieht, erscheint fraglich. 520550: Hieronymus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 52055 2 : Beda nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 520553•556: Theophylakt nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 520554:Hraban und Hieronymus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 522567: Petrus Lombardus, Collect. (Migne PL 192 , 1 1). 523560: Glossa ord. zu Prov. 1 5 : 1 5 . 524572 : Scholz weist auf d a s kanonische Alter für die Ablegung von Mönchs­ gelübden hin, doch hat das mit dem Argument des Marsilius wenig zu tun. 528584: Glossa ord. zu Matth. 1 7:27, vgl. Thomas v. Aquin, Catena A urea z. St. [Hieronymus] . 528586: Previte- O rton sieht [p. 2372] hier Thomas v. Aquin, Summa theo­ logiae, 2-II, qu. 8 6 , art. 3 und qu. 84 art. 3 von Marsilius bekämpft. 528588: Glossa ord. zu Joh. 2 1 : 1 5 -1 7; vgl. Alcuin in Thomas v. Aquin, Catena A urea, z. St. =

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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528590: Ein altes Problem franziskanischer Armutsverwaltung, dazu die Literatur zum Armutstreit. 532599: Scholz charakterisiert die Armut Christi als Vorbild der franziskani­ schen Armut mit einigen Belegen. 53661 1 : Glossa ord. zu Matth. 1 7:26. 538617: Zur Geschichte des Arguments (etwa des Bonaventura), Christi Ar­ mut sei von seiner Kondeszendenz her zu erklären. 543624 : (Nach Previte- Orton [p. 243 2]) "vielleicht" nach Cicero, De officiis III.4 (16). Bd. II Diccio II. cap. 14 sqq. 546631: Die Erörterung DP II.l4-16 spielt eine Rolle bei den Auseinander­ setzungen der Böhmischen Brüder mit den Hussiten im 1 5 . Jh. - Glossa ord. zu Joh. 1 3 :29. 546632 : Glossa ord. zu Matth. 6:34. 549633: Glossa ord. zu Matth. 6:26. 552641 : Ambrosius, Sermo contra Auxentium, c. 33 (Migne PL 1 6 , 1 060). 552642 : Inst. 1 . 3 . 3 ; Dig. 1 . 5.4. 558655 : Scholz hält es für möglich, dass die Zeilen DP II.l4.8 (3 07, _ 2 ), die in 15 1 Ms. ,T' am Rand eingetragen sind, ein später von Marsilius selbst stam­ mender Zusatz sind, der Stellung nimmt gegen die gegen die Franziska­ nerrebellen um Michael von Cesena und Wilhelm von Ockham gerich­ tete Bulle Papst Johannes' XXII. " Quia vir reprobus ". Das würde bedeuten, dass diese Bemerkung erst geschrieben wurde, nachdem die (auf den 1 6 . Nov. 1 329 datierte) päpstliche Erklärung am Hofe Ludwigs des Bayern bekannt wurde. 562663: Augustinus nach Petrus Lombard., Collect. (Migne PL 192, 367D368A). 566674: Augustinus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 566676: Hieronymus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 56868 2 : Beda Venerabilis nach Thomas v. Aquin, Catena A urea. 571688: Glossa ord. z. Matth. 6:34. Vgl. zu 528584 • 588722 : oben 528 , vgl. die Anmerkung 528588 • 588724 : Ambrosius, Sermo contra A uxentium c. 33 (Migne PL 1 6 , 1 060). 59172 7: Scholz sieht darin einen Seitenhieb auf kurialistische Publizisten am Hof Johannes' XXII. (wie z. B . Kardinal Bereugar Fredoli). Sicherlich aber meint Marsilius auch Kollegen in Paris. 592738 : Die Bearbeitung des Textes der Glosse (Textvarianten S . 324i u. 325 a) "ändert und mildert" nach Scholz den Sinn der Erläuterung - hier meint Kusch zu Recht, dass in Wahrheit wohl nur eine Klärung des Wortlauts vorliegt. 598753: Petrus Lombardus, Sententiae, IV. 8 . 19.24, bzw. Thomas v. Aquin, Summa theol. , Suppl. qu. 17 u. III, qu. 82.

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6 0 0758: Hieronymus nach Gl. ord. zu Matth. 16:19. 600761 : z. B . Bernhard v. Clairvaux, De consideratione 11.8, oder etwa auch Au­ gustinus Triumphus, Summa de ecclesiastica potestate, qu. 1 . 1 .4 oder qu. 20. 603762• 778, 6 1 078 2 : Hieronymus, Ep. (ad Evangelum) 146,2 bzw. 1 (Migne PL 22, 1 195 bzw. 1 1 94); in Scholz 334, 2 lies richtig Tanis [nicht: Rathanis] 1 (offensichtlich ein Fehler im Archetyp !). 606775: Überlegungen zum Gebrauch des Titels imperator unter Beiziehung Ciceros, De officiis 11 . 1 1 .40 111. 1 . 1 3 , cf. auch die Titel praeceptor u. prae­ tor, sowie entsprechende Belege aus DuCange, Glossarium mediae et in­ fimae Latinitatis. 608780: Scholz vermutet hier eine andere Quelle als Martin von Troppau, der sonst Marsilius mit kirchengeschichtlichen Nachrichten versorgt, also eine (nicht identifizierte) Heiligenlegende, vergleichbar der Vita anonymi Gregors d. Gr. in: AASS Mart. 1 2 (Bd. März II, S. 1 3 1 D). 608781 : yconomus reverendissimus in: Cod . 1 . 3 . 2 5 - Marsilius verwechselt den episcopus mit dem für die Güterverwaltung zuständigen oeconomus I yconomus. Zu letzteren vgl. bereits Du Cange. 61 6803: Zusatz: Die gesamte Passage DP 1 1 . 1 6 . 2 - 1 0 wird von Ockham in 111.1 Dialogus IV. 1 nicht wörtlich zitiert, aber unter einem wörtlichen Auf­ greifen von DP 11.27.2 und 11.28 . 5 - 6 diskutiert, vgl. nur Amtsvollmacht, s. 6 1 8 - 623. 618811 • 81 2 : Augustinus nach Petrus Lombardus, Collect. zu Gal.2:7-1 3 (Migne PL 192,1 07D-1 08A). 620818: Augustinus nach Petrus Lombardus, Coll. z. St. (Migne PL 192,95C) 621816, 6208 2 1 : Ambrosius (bzw. - wie bei Marsilius - auch Augustin) nach Petrus Lombard., Collect. z. St. (Migne PL 192, 95C; 99C/D). 6248 2 8 : A l s Vertreter dieser Ualsum aperturn und "schriftwidrig" genannten] These nennt Scholz Augustinus Triumphus, Summa de ecclesiastica po­ testate, qu. 10 u. 11 u. Aegidius Romanus, De potestate ecclesiastica 1 . 1 . 626838, 627835: Hieronymus bzw. Augustinus nach Petrus Lombard., Collect. z. St. (Migne PL 192, 1 0 8D bzw. 1 03C). 628841 : Glossa ordinaria zu Cod. 6 .43 . 7. cf. A uthent. Coll. 4 . 1 (de nuptiis) [= Nov. 22] . 2 . 628843: [Ps.]Augustinus, Quaestiones veteris et novi testamenti, q u . 95 (Migne PL 35,2292). 628844: Auch hier ist vermutlich nicht Martin von Troppau die Quelle, sondern eine andere heute verschollene Petruslegende, die sich nach Pre­ vite-Orton [p. 503 Additional Note, nr.24, zu page 279, note 3] auf Ps. Clemens, Recognitiones X.7l bezogen haben könnte. 630845: Einer der wichtigsten Punkte der in der Karolingerzeit gefälschten "Donatio Constantini", vgl. dazu die MGH-Ausgabe [Das "Constitutum Constantini", ed. H. Fuhrmann (MGH Leges, Fontes iuris Germanici antiqui, 1 0), Hannover 1968], die auf der Hornepage der MGH im Inter­ net steht, hier S. 8 0 - 8 6 (§§ 1 1 -1 3).

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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630847: Ga!. 2 : 6 - 9 sowie Augustin nach Petrus Lombard., Collect. (Migne PL 192,1 07BIC). Vgl. oben zu 618811 · 81 2• 63 0848 : vgl. oben zu 618 811 · 81 2 · · 630850: Hieronymus, De viris illustribus 1 (Migne PL 23,607B) 632854: Augustin [bei Mars .: Ambrosius] nach Petr. Lombardus, Collect. [Migne, PL 192, l O SE). 634863: Anaclet II. nach Ps.Isidor, Decretales, ed. P. Hinschius, Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, Leipzig 1863, S. 79 [maßgeb­ lich wäre heute das Ps.Isidor-Projekt von Karl- Georg Schon, publiziert auf der Hornepage der MGH, doch sind hier die Stellennachweise der alten Ausgabe von Hinschius beibehalten, da sie sich einfacher identifi­ zieren lassen. Die von Scholz angeführten Varianten zu Marsilius werden dagegen nicht wiederholt] . 636864: Petrus Lombardus, Collect. z. S t . (Migne, PL 1 9 1 , 1 564A). 640871 : Scholz zieht zum Vergleich die Apologia Gregors von Heimburg (t 1472) heran, gedruckt in M. Goldast, Monarchia S. Romani Imperii, B d . II, Frankfurt/Main 1614 (insbes. S. 1 620). 640876: Augustin nach Petrus Lombardus, Collect. z. St. (Migne PL 192 , 1 0 8). 644888: Wiederum werden von Scholz die Nachrichten über Petrus in Rom geprüft. Eine Petruslegende aus den Acta Sanctorum, Ps.Isidor und Mar­ tin von Troppau wird angesprochen. Einen sicheren Nachweis gibt es naturgemäß nicht. (Vgl. oben bei 236 487). 648901 : Hieronymus, Ep. 146 (ad Evangelum), c. l (Migne, PL 22, 1 1 94), cf. oben zu 6 1 078 2 . 650909: Wohl Glossa ordin. zu Matth. 1 6 : 1 8 . 65091 2 : nach Petrus Lombardus, Collect. z u Ga!. 2:7 (Migne, P L 192 , 1 0 8A). 650914: Röm. 1 1 : 1 3 -14 u. Glosse nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne, PL 1 9 1 , 1495D). 65391 5: wie oben bei 640871 zieht auch hier Scholz Gregor v. Heimburg (a. a. 0.) zum Vergleich heran. 664939, 667941 ,942 ,943: Glossa ord. zu Apg. 6 : 1 . 666945: Hieronymus nach Petrus Lombard., Collect. (Migne P L 192,345B). 670956: Petrus Lombardus, Sententiae IV. 1 7. 5 . 672963: Heiligenlegenden sind a l s Quelle z u vermuten, doch nicht z u identifizieren. 678975: Ambrosius, Sermo contra A uxentium c. 33 (Migne, PL 1 6 , 1 0 60). 680979: Cod. 1 . 3.41 u. Cod. 1 2 . 2 6 . Cf oben DP 1 1 . 1 7. 1 1-12. 68 098 2 : Cod. l .2-4. 682984: Ambrosius, Sermo contra A uxentium c. 33 ff. (Migne PL 1 6 , 1 060 f.), cf. oben DP 11.4. 1 1 (bei 3 03109 · 116 b). 684986: Hugo v. St. Victor, De sacramentis 1 1 . 2 . 7, ed. R. Berndt, Münster 2 0 0 8 , s. 341 , - 2 · 11 1 690998: Scholz macht darauf aufmerksam, dass DP Il. 1 8 . 5 - 6 (Scholz, 378, 14 3 8 0 , ) von Johannes Rokycana (als dem Sprecher der Hussiten) in der 5

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Debatte mit Johannes von Ragusa (Wortführer der Konzilsväter) auf dem Basler Konzil 1433 wörtlich zitiert wird. 692100 2 : vgl. D. 7 c. 1 [Friedberg I . 1 2] (aus Isidor v. Sevilla, Etymologien V. 1). 6921004: Die Darstellung bei Previte- O rton (p. 3 0 83) und (danach) bei Scholz (S . 3 8 01), fußend offensichtlich etwa auf H. Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1 8 8 5 [Reprint Graz 1956] , S . 257-268, entspricht nicht ganz den heute etwas weniger dramatisch ge­ sehenen Umständen: der Bericht bezieht sich sicherlich weiterhin auf die Amtszeit des Marsilius als Rektor der Universität Paris (vgl. oben in der Einleitung S. XVII sq.), als die (1 3 0 6) vom Papst bestätigte [dazu Ch. Vulliez, "Les bulles constitutives de l 'universite d 'Orleans du pape Cle­ ment V (27 janvier 1 3 0 6): un evenement?", in: Bulletin de la Societe arche­ ologique et historique de l'Orleanais, nouvelle serie, vol. XVIII, n° 1 5 0 (octobre 2 0 0 6), p. 5 -32] und durch eigene Statuten (13 07) befestigte Uni­ versität Orleans auf heftigen Widerstand der Stadteinwohner stieß, die die energische Unterstützung Philipss des Schönen fanden, der die vom Papst gewährten Privilegien kurzerhand für nichtig erklärte. Daraufhin ersuchte - also wohl ca. 1 3 1 2 / 1 3 - die Universität Orleans die Universität Paris um Überlassung der dem König Frankreichs ja offensichtlich ge­ nehmen dortigen Privilegien und Statuten, um doch noch dessen Unter­ stützung zu erlangen. Die Universität wurde dann schliemich von Papst Johannes XXII. (1 319), und wenig später (1 320) auch von König Philipp V. erneut privilegiert: vgl. Les statuts et privileges des universites fram;aises depuis leur fondation jusqu 'en 1789, ed. Marcel Fournier: t. I-li, Paris 1 8 9 0 -1 8 9 1 [Reprint Aalen 1970] : vor allem t. I, S . l l b -13 a nr. 19 (Grün­ dungsprivileg Clemens V.); S. 40b-41 b nr. 40 b (Verbot Philipps des Schö­ nen, 1 3 1 2 Dezember 1 2) sowie 46 a-48 b nr. 55 (1 319 Nov 1 5, Joh. XXII. erneuert die päpstlichen Privilegien); S. 56"-57" nr. 64 (Reformationspri­ vileg Philipps V. 1 320) - und dazu die knappen Regesten in: M. H. Jullien de Pommerol, Sources de l 'histoire des universites franc;aises au Moyen Age - Universite d 'Orleans, Paris 1978, bes. für die päpstlichen Akte nrr. 14. 0 1 - 07, 14.16 -19 (S . 1 6 1 -166); für Urkunden des französischen Königs nrr. 1 5 . 1 . 0 5 -19 (S . 1 73 -1 77), Statuten und Erklärungen der Uni­ versität und der Fakultäten: nrr. 1 7. 0 1 - 03 (S . 2 1 3). 6931000: Ps.Isidor, Decretales, ed. Hinschius, S . 3 0 ff. 6941007•1010: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 248 : Ep. Melchiadis Il, De primitiva ecclesia et synodo Nicaena, c. 1 0 -1 1 . 69810 2 1 : Scholz hat aus einer späten Variante der deutschen Gruppe (Scholz S. 3 82h) geschlossen, durch die Streichung (der drei Worte: legem divinam aut) habe Marsilius einen Widerspruch in seinem Gedankengang beseiti­ gen wollen. Dass erst in ,T' der supremus legislator fidelis als Alternative zum Allgemeinen Konzil (Variante S. 382e) explizit auftritt, empfand er zusätzlich als "merkwürdig". Dem widerspricht Kusch. Wenngleich kein "Widerspruch " durch die Textänderung aufgehoben wurde, wird man

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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doch von einer Glättung des Gedankengangs sprechen dürfen, der nun die Alternative eines neu offenbarten Gottesgesetzes neben einem De­ kret eines (nicht irrtumsfähigen !) Konzils nicht mehr mitbedenkt und der zudem nunmehr den supremus legislator fidelis ausdrücklich anführt, der zuvor nur implicite gegenwärtig war. 70210 2 7: Hrabanus Maurus nach Thomas von Aquin, Catena A urea. - Die Passage DP II.19.1-3 wird von Ockham in III.l Dialogus III.l wörtlich (ohne Nennung des Marsilius) zitiert und diskutiert, vgl. Amtsvollmacht, s. 392-395. 70210 2 8 : Hieronymus ebenfalls nach Thomas, Catena A urea. 7061034: Augustin Epp., ed. Goldbacher (CSEL 34/2) nr. 82 (S . 354) [unter Hieronymus' Epp. 1 1 6, c. 8 in Migne PL 22, 937] . In der kanonistischen Tradition (Ivo v. Chartres, Decretum IV. 74, bzw. Panormia II. 1 1 9 [Migne PL 161 ,284, bzw. 1 1 1 1] ; Gratian D. 9 c. 5 [Friedberg I . l 7] ist der Anfang des Zitats von dem Text verschieden, den Mars. gebraucht, auch hier ist also bei Marsilius eine Distanz zu Gratian zu bemerken. - Die Passage DP II. l9.4 -7 wird von Ockham in III.1 Dialogus III.21 wörtlich (ohne Nennung des Marsilius) zitiert und diskutiert, vgl. Amtsvollmacht, s. 705 -71 0 . 7061035: Augustin, De trin. III, prooem., c. 2 (Migne PL 42, 8 69). 7061036: Augustin, Contra Fortunaturn (Migne PL 42, 1 1 1 sqq.) - in der kano­ nistischen Tradition zit. nach einer anderen Überlieferung: Ps.Hierony­ mus, vgl. Gratian D. 9 c. 10 [Friedberg I . l 8] . 7061037: Ps.Hieronymus, Symboli explanatio a d Damasum, in: Hieronymus, Opera, B d . V (Paris 1 706), c. 3 0 1 bzw. p. 1 24 [Nachweis Previte- Orton] . 7081041 : Ps.Isidor, Concilium Carthag. III, can. 47, i n : Decretales, e d . Hin­ schius, S. 297, 3 0 1 . 7081042 : Augustin, Contra ep. Fundamenti, c. 5 (Migne, PL 42, 1 76), eine im Mittelalter vieldiskutierte Autorität, die die Bedeutung der "Tradition" in der Kirche unterstreicht. 7121048: Breviarium Romanum, pars aestiva, proprium de tempore, domi­ nica Trinitatis, lect. V, im Druck Antwerpen 1 6 04, S. 1 22). 7221072: Zu Papst Liberius stützt sich Mars. auf Martin v. Troppau, Chroni­ con Pontificum et Imperatorum, jetzt zu benutzen: hrsg. A.-D. von den Brincken, [im Internet auf der Hornepage der MGH (Datenbanken), fol. 8v (Päpste) [zum Jahr 354] . 7241074: Decretale PapstJohannes' XXII . " Cum inter nonnullos" (1 2 . 1 1 . 1 323), cf. Extrav. Ioann. XXII ., XIV.4 [Friedberg I I . l 2 19sq.] . 7241076: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 1 8 , c . 4 (Isidori praefatio). 7241077: Bonifaz VIII. " Unam sanctam", vgl. oben zu 240493. 726108 2 : Clemens V. Decretale " Meruit", jetzt in: Extravag. comm. 5 . 8 . 2 [Friedberg II. 1 3 0 0] . 7281084: Augustin, De civitate Dei, VII.l9. 7281086: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 22.

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7341094•109 2 : Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 2 5 6 . 7341095: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 383 [= VIII. Conc. Toledo] . 7341097, 7381108: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 41 1 . 7341098: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 424. 7361100 • 1101: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 608 f. 7361102 : Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 582. 73i099: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 6 0 0 f. 7381109: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 288 f. 7401113: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 289 ff. 7401114: Kgl. Bestätigung des III. Konzils. von Toledo, Ps.Isidor, ed. Hin­ schius, S . 361 f. 7401116: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 419 [statt explicit liest Mars. fälschlich: implicit] . 7401117: nach Previte- O rton: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S . 2 8 8 . 7401118•11 20 : Ps.Isidor, e d . Hinschius, S . 5 5 4 f. 74211 2 3: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 582. 74411 26 : Entgegen allen Erwartungen aus der Serie der Belege bei Marsilius so nicht bei Ps.Isidor, ed. Hinschius, auch nicht bei Schon (wie oben 634863), gedruckt jedoch in J. D. Mansi, Conciliorum amplissima collectio, B d . VI, 587- 5 9 0 . 7501142 : Anmerkung z u rerum experiencia magistra. 7521146: Previte- Orton und Scholz beziehen das darauf, dass die päpstliche Bestätigung von Universitätsgründungen im Falle von Orleans vom König Philipp IV. zunächst annulliert wurde [vgl. oben zu 6921004] . 754115 2 : Papstprozesse hatte es gegen Liberius [cf. oben zu 7221072] , vor allem zuletzt gegen das A ndenken B onifaz' V I I I . gegeben, d azu vor allem Tilmann Schmidt, Der Bonifaz-Prozess, Verfahren der Papstan­ klage in der Zeit Bonifaz ' VIII. und Clemens' V , Köln-Wien 1989; eine weitergespannte Übersicht bei: 0. C oncorelli, "I! papa desposto tra storia e diritto", in: Ephemerides iuris canonici, nuova serie 56 (20 1 6) 5 -3 0 . 7541157: nach DP 11.20.6 ff. sind hier insbes. Bonifaz VIII. u. Johannes XXII. gemeint. 7551149: Scholz weist auf die ,späte' Zuordnung des Adjektivs universalis zu dem legislator fidelis hin. Das lasse nicht auf den Römischen Kaiser als frühen Widmungsempfänger des DP schliessen. Es fragt sich jedoch, ob hier nicht die Textentwicklung allzu gewaltsam interpretiert wird. 7561161 : Scholz trägt eine Marginalnotiz des Ms. Paris lat. 14 503 [XV. s . in.] nach, die er im Variantenapparat nicht verzeichnet hatte: sie fit hodie ut cuilibet quamquam modice intelligentie clare patet. Hier wird der alte Simonie-Vorwurf kräftig unterstrichen, den Marsilius auch sonst immer wieder gegen die Päpste erhebt (z. B. DP 11. 1 1 . 5). 7581164: Gemeint sind die "Prozesse" Johannes' XXII. gegen Ludwig d . B . (alle ediert in MGH Const. V, vgl. oben z u 242498).

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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7621174: Schon Previte- O rton verwies auf Martin von Troppau, Chronicon [wie 7221072] , fol. 1r (Päpste) [zu 829] . 7621176: Beide Hrsg. verweisen auf das Corpus Iuris Civilis, ohne allerdings eine Stelle zu allegieren. 7631171 : Wieder geht es um die Universität Orleans, vgl. oben zu 6921004. 7631173: Mit Previte- O rton ist das auf die Kanonisation des Thomas von Aquin durch Johannes XXII. (1 8 . 07. 1 323) zu beziehen. 7661178: Äußerungen von Johannes XXII. im Verlauf des "Theoretischen Armutstreits" mit den Franziskanern. Dazu vgl. etwa J. Miethke, Papst Johannes XXII. und der Armutstreit, in: Angelo Clareno Francescano, Atti del XXXIV Convegno internazianale 2 0 0 6 , Spoleto 2007, 263 -31 3 . 7681185: Nach Petrus Lombardus, Collect. (Migne, PL 1 9 1 , 1 564) [cf. oben bei 636864] . 7721198: Eine Randglosse i n M s . Paris lat. 14503 vermerkt bestätigend: vide hic quale est officium pape vel esse debet [cf. oben zu 7561161] . 7821 2 14: Wiederum nach Martin von Troppau, Chronicon [wie 7221072] , fol. 1 Y (Päpste) [zu 608] . 7861 2 18: Auch hier verweist Previte- O rton auf die oberitalienischen Kom­ munen als Vorbilder. 7881 22 1 : Scholz verweist auf die Benutzung dieses Textabschnitts durch Dietrich von Nieheim, Circa convocacionem generalium conciliorum, ed. H . Heimpel, Studien zur Kirchen- u. Reichsreform des 15. jhs. (SB Hei­ delberg, phil.-hist. Kl. 1929 /30, S . 32-35). Allgemein ist auf die rege Be­ nutzung des DP durch Dietrich von Nieheim hinzuweisen, zusammen­ fassend dazu bereits etwa H . Heimpel, Dietrich von Niem (c. 1340 -1418), (Westfälische Biographien), Münster 1932 [Register unter Padua] , weiter­ hin die Marsiliuszitate in Dietrich von Nieheim: Dialog über Union und Reform der Kirche 141 0 (De modis uniendi et reformandi ecclesiam in concilio universali), ed. Hermann Heimpel (Veröff. der Forschungsin­ stitute an der Univ. Leipzig, Quellen zur Geistesgesch. des Mittelalters u. der Renaissance, 3), Leipzig-Berlin 1933, vor allem die Nachweise bzw. die ,marsilianische Sprache' etwa: S. 21 f.; 23; 43 ff.; 60 ff., 68; 79; etc., so­ wie in den MGH-Editionen: Dietrich von Nieheim, Viridarium impera­ torum et regum Romanorum, edd. A. Lhotsky, K. Pivec (MGH Staats­ schriften, V /1) [vgl. das Register unter: , Marsilius' in: Dietrich von Nieheim, Chronica, hrsg. Katharina Colberg, Joachim Leuschner t (MGH Staatschr. V /2), Stuttgart 1 9 8 0 , S. 197 u. 199 ist offenbar Mar­ silius, De translatione benutzt. 7881 226 : Chrysostomus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Joh. 2 1 . 7901 22 9: cf. DP 1 . 3 . 3 ; 1.4.3; 1 . 7.2; ! . 1 3 . 2 (Scholz 1 3 ; 1 8 ; 2 6 ; 7 0 f.). 7901 2 31: Hrabanus Maurus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 28:20. 79 1 1 22 8: Der praeses populi könnte nach Previte- O rton dem capitano del popolo oberitalienischer Kommunen nachempfunden sein.

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7961 243: Ps.Isidor, ed. Hinschius, S. 247 ff. 7961 244 : Constitutum Constantini [cf. oben 630845] . 8 0 01 2 53: D e r Mißbrauch der Obligation d e necessitate salutis durch die Päpste Bonifaz VIII., Clemens V. , Johannes XXII. 8 041 262 : Wiederum ist die Passage DP II.23 . 3 -1 3 in Auswahl von Evrart de Tremaugon in sein Somnium viridarii übernommen worden, [cf. oben 4 0 83 22] . 8 1 21 2 8 2 : Bernhard v. Clairvaux, De consideratione II.viii . 1 5 , ed. J . Leclercq, H. M. Rochais in: S. Bernardi Opera, Bd. III [cf. oben 4 0 8322] , hier S. 423 f. Zur Entwicklung der Formel von der plenitudo potestatis des Papstes vgl. R. L. Benson, "Plenitudo potestatis, Evolution of a formula from Gre­ gory IV to Gratian", in: Studia Gratiana 14 (1967) 1 9 3 - 2 1 7. 8141 2 88: Erneut eine (nicht identifizierte) Vita Gregorii Magni (wie z. B . die oben zu 608780 zitierte: dort S. 1 3 1 E-1 32A), vgl. auch die Vita alia auctore johanne Diacono I . 5 , ebendort, S . 142 f. 8 1 61 2 90: Beispiele für solche mit weltlichen Sanktionen bewehrte päpstliche Dekretalen: C . 1 6 q. 7 c. 5; X 1 .29.26; X 3 . 3 0 . 5 & 26; Clem. 3 . 8 . 1 ; Extrav. comm. 3. 7. 1 . 8 1 61 2 91: Bestimmungen aus dem Corpus Iuris Canonici zur Zahlung des Zehnten. 8 1 8 1 2 98 : Die Decretale Clemens' V. Pastoralis cura (14.-19. 03 1 3 14) sowie Romani principes (14. 03. 1 3 14) in: Clem. 11 . 1 1 .2 bzw. 11.9.1 [Fried­ berg I I . l 1 51-1 1 54 bzw. I I . l 147-1 1 50] . 8 1 8 1 2 99: Spielt an auf Johannes' XXII. Decretale Ad conditorem canonum (wie oben 514533). 8221303: DP II.24.2-7 wird zitiert von Evrart de Tremaugon, Somnium viri­ darii I c. 24 [cf. oben 4 0 83 22] . 824131 2· 1313: Entscheidung Papst Johannes' XXII., der aus der Stadt Cahors im Quercy stammte, aber seit 1 3 07 als Bischof, Kardinal und Papst in Avignon gelebt hatte, über die Ernennung des Reginald Asser zum Bi­ schof von Wirrchester (1 320) und die Erhebung des Isarn Morlane zum Erzbischof von Lund durch Bonifaz VIII. (1 3 02). 8281319: Zitat aus Johannes' XXII. sog. ,Erstem Prozess' gegen Ludwig d. B . , vgl. MGH Const V, 6 1 7, § 1 . 3 . 82813 2 0 : Bernhard v. Clairvaux, De consideratione, II.vi . l O , e d . Leclercq, Rochais in: S. Bernardi Opera, Bd. III, 41 7 f. 8321326 : Hieronymus, Ep. 146, c. 2 (Migne, PL 22, 1 195. 8341333: Die zunehmende Führung von "Kreuzzügen" gegen Gegner des Papstes wird exemplifiziert an Kriegen des 1 3 . u. frühen 14. Jhs. 8361337: Bernhard v. Clairvaux, De consideratione III.iv. 14 (edd. Leclercq, Rochais in: S. Bernardi Opera, Bd. III, 441 f.). 8381340: Zur Entwicklung des Kardinalars gibt es ganze Bibliotheken von Literatur, auf die in jedem neueren Lexikon hingewiesen wird.

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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8381343: Zur Finanzverfassung von Kirche und Kurie gilt dasselbe (wie vo­ rige Anm.). 8481373: Martin von Troppau, Chronicon [wie 7221072] , fol. 5v (Päpste). 8561387, 8591388•1389: Martin von Troppau, Chronicon [wie 7221072] wohl be­ nutzt zu Symmachus: fol. 1 1v (Päpste); Gregor I . : fol. l 2v(Päpste); Vitalia­ nus: fol. 14v (Päpste); Constantinus: fol. 1 5v (Päpste); Johannes XII: fol. 20v (Päpste); Benedikt IX.: fol. 21v (Päpste). Evtl. hat Marsilius daneben an­ dere Quellen benutzt, wie zu Benedikt IX. den Liber pontificalis [ed. Du­ chesne, Bd. II, 246] oder Liutprand v. Cremona, Historia Ottonis, ed. Jos. Bekker, Hannover-Leipzig 1 9 1 5 , 1 7 1 . 858139\ 8591396, 860140 2• 140\ 8611397: Martin v. Troppau, Chronicon [ed. v. d . Brincken] , z u Simplicius: fol. 1 0v (Päpste); z u Pelagius I . : fol . l r (Päpste); zu Hadrian III.: (im ]. 883) fol. 1 8v (Päpste); zu Leo X. [= IX. ! ] : fol. 22v (Päpste) im j. 1 058. 8601398: Cod. 1 . 5 .4, 5, 1 1 , 12, 15, 16, 18, 20, 22. 8601401: Bernhard v. Clairvaux, De consideratione I.vi . l O (S . 4 1 8). 8621408: Zusammenfassend zu Martin v. Troppau: K. Schnith, in: Lexikon des Mittelalters, VII (1993) 347- 8 . 8621409: Regelung des Dauerstreits zwischen Mendikanten und Weltklerus um Seelsorgeeinkünfte durch Bonifaz VIII. in Super cathedram, bestätigt durch Clemens V. auf dem Konzil von Vienne durch Dudum (= Clem. 3 . 7.2 [Friedberg II.1161- 64] = Concilium Viennense, can. 10, ed. R. Saccenti in: COGC II.l (Turnhout 2013), S . 414-419 [mit weiteren Nachweisen]). 8621410: Hier benutzt Marsilius die Fälschungen der sogenannten "Investi­ turprivilegien". Dazu maggehlich jetzt: Die falschen Investiturprivile­ gien, hrsg. Clandia Märtl (MGH Leges, Fontes iuris Germanici antiqui, 1 3), Hannover 1 9 8 6 . Dort finden sich alle nötigen Nachweise. 8661417: Unter den approbatae historiae dürfte auch Martin v. Troppau, zu Paschalis II. (ed. v. d. Brincken, fol. 22v [Päpste]) zu verstehen sein, je­ doch hat Marsilius offenbar auch eine weitere (bisher noch nicht identi­ fizierte) Quelle benutzt. 8681418: Martin v. Troppau, zu Heinrich V. [ed. von den Brincken, fol. 24 (Kaiser) zum Jahr 1 1 1 8] . 8681419: Dies nicht nach Martin v. Troppau. Woher Marsilius diese Nach­ richten bezogen hat, ist ungeklärt. Beteiligt dürfte nach Previte- O rton auch das bekannte Absetzungsurteil Papst Innozenz' IV. gegen Kaiser Friedrich II. sein (A d apostolicae dignitatis, in VI.2.14.2 [Fried­ berg I I . 1 0 0 8 -1 0 1 2] , auch in: Concilium Lugdunense I, Bulla depositionis, edd. A. Larson, K. Pennington in: C O GD I I . l (20 1 3), 2 1 5 -222 . 8731422 : Außer der Absetzung Friedrichs II. durch Innozenz IV. (wie unter 8681419) könnte hier auch (nach Previte- Orton) die Bulle Bonifaz' VIII. gegen König Philipp d. Schönen von Frankreich " Clericis laicos" (VI 3 . 2 3 . 3 [Friedberg I I . l 0 62-1063]) zugrunde gelegen haben. 873142 3: hier steht im Hintergrund die Abtretung der Romagna an den Apo'

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stolischen Stuhl durch Rudolf von Habsburg (im Jahr 1278), vgl. J. Schwalm (Hrsg.), MGH Const. III (Leipzig 1904-1906), 1 77-1 8 9 (nrr. 192-202), d i e dann durch d i e Italienpolitik Ludwigs d e s Bayern wie­ der aktuell wurde: vgl. die Belehnung der Este mit Perrara bzw. den ,Dritten Prozess' Johannes' XXII. gegen Ludwig, in: MGH Const. V (Hannover-Leipzig 1 9 0 9 -19 1 3), 629 - 631 (nr. 8 0 6) bzw. 696 § 5 (nr. 8 8 1). 8751430: Die Betonung des Angriffs auf den Kaiser der Römer u. auf Italien kann kaum die Auseinandersetzung mit König Philipp d. Schönen von Frankreich verdecken. 8741433: Gemeint wohl die vom Papst anerkannte "Exemtion" insbesondere Frankreichs und des Königreichs Neapel aus dem universalen Anspruch des deutschen Herrschers Heinrichs VII. 8761439: Vgl. Pastarafis cura (wie 241492 und 8 1 8 1 2 98). 8 841450 : Bernhard v. Clairvaux, De consideratione, IV.iii.6 (edd. Lec­ lercq/Rochais, S. 453). 8881459: So im ,Ersten Prozess' Johannes' XXII. gegen Ludwig d. Bayern, ed. J. Schalm in: MGH Const. V, 617 (nr. 792 § 2). 8891457: Zur kurialen Approbationstheorie vgl. oben zu 242498. 890146\ 8931466: Scholz weist auf Argumente und deren Wortlaut hin, die Jo­ hannes XXII. in seinen Prozessen gegen Ludwig d. Bayern gebraucht hat. 8961475: Scholz vermutet mit gutem Grund, Marsilius beziehe sich auf die italienische Politik Papst Johannes' XXII ., insbes. gegen die Visconti und die Este. Was die Verurteilung von Gegnern durch die Päpste betrifft, so weist Previte- O rton auf die Verurteilung der Colonna-Kardinäle durch Bonifaz VIII. hin, gedruckt etwa in Vl . 5 . 3 . 1 [Friedberg I l . 1 0 78 - 8 0] . 8961476: Marsilius behandelt gezielt ein Argument aus der Dekretale Inno­ zenz' III. Venerabilem (X 1 . 6 . 3 4 [Friedberg I I . 8 0]), wo der Papst fragt: numquid enim si principes . . . sacrilegum quemcumque vel exccommuni­ catum in regem, tyrannum vel fatuum hereticum elegerint aut paganum, nos iniungere consecrare ac coronare hominem huiusmodi deberemus ? 8981491: Scholz vermutet eine Anspielung auf das Verhältnis der Kurie zum aragonesischen König Friedrich von Sizilien, der als Gegner Roberts von Neapel die ,spiritualen' Franziskaner begünstigte. Man wird das aber nicht eindeutig auflösen können. 8981493: Ein Argument, diesmal wieder aus den Prozessen Johannes' XXII. gegen Ludwig d. B. 9001486•1488: Argumente aus dem ,Ersten Prozess' Johannes' XXII. gegen Ludwig. 9001487: Lies statt apologiam richtig apologum: vgl. Phaedrus, Fabulae IV. 1 9, ed. L . Müller, Leipzig 1903, S . 4 0 . 9 021493: Argument aus d e m ,Dritten Prozess' gegen Ludwig d. Bayern (MGH. Const V, 698 , 337 u. 8). 9 041500: Übliche päpstliche Strafandrohungen, wie sie auch dem ,Dritten Prozess' gegen Ludwig angefügt worden waren, vgl. MGH Const. V,

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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692 ff. (nr. 8 8 1), und die in dem Rundbrief an die Bischöfe (ebendort 70 0 1 , nr. 883) noch einmal bekannt gemacht wurden. 9 0 51497: Hintergrund ist Matth. 1 8 : 9 bzw.. 1 5 :14. 9091505: Glossa ord. zu I. Petr. 2 sowie Petrus Lombardus, Collect. zu Titus 2:9 bzw 3 : 1 (Migne PL 192,391-2). 9 1 615 22 : Die italienische Politik Johannes' XXII. kann hier nicht kompri­ miert vorgestellt werden. 9 1 81 535: Wiederum geht es um Kreuzzugsprivilegien beim Kampf gegen zu Häretikern erklärte päpstliche Gegner. 9201540 : Bezug auf die ,Prozesse' Johannes' XXII. gegen Ludwig d. B . 9211588: Gemeint ist der Neffe Johannes' XXII. Kardinal Benrand du Pou­ jet, der als Legat des Papstes vergeblich versuchte, Oberitalien dem Papst militärisch zurückzugewinnen. Erst mehr als zwei Jahrzehnte später wird das dem Kardinallegaten Papst Benedikts XII. Gil Albornoz durch eine ganz neue Taktik und Strategie gelingen. 9221543: Zitate aus dem Kampf gegen die Visconti von Mailand. 9241 546 · 1 547: Petrus Lombardus, Sententiae, IV. 1 8 . 6 . 9261553: Anspielung auf Bonifaz' VIII. Unam sanctam (dazu oben z u 240493) und die Rhetorik der päpstlichen plenitudo potestatis. Zur Redaktionsge­ schichte der Bulle vgl. K. Ubl, "Die Genese der Bulle " Unam sanctam", Anlass, Vorlagen, Intention," in: Politische R eflexion in der Welt des spä­ ten Mittelalters, hrsg. M. Kaufhold, Leiden-Boston, 20 04, 129 -149. 9301562 : Übliche Verwünschung am Ende päpstlicher Urkunden; Beachtung verdient unmittelbar darauf die erneute Klage über Italien. 9341568: Beda Venerabilis nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Luc. 1 0 : 1 . 9341570: Ps.Isidor, Decretales, ed. Hinschius, 30 ff. 9361572 : nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 1 6 : 1 8 f. aus der Glossa ord. , doch in Wahrheit aus Anselm. 9361575: Theophylakt nach Thomas, Catena A urea zu Luc. 22:32. 9381580: Augustin nach Thomas, Catena Aurea zu Joh. 2 1 :22. 9381581: Theophylakt nach Thomas, Catena A urea zu Joh. 21 :22. 9391577, 938158 2· 1585 : Chrysostomus nach Thomas, Catena A urea zu Joh. 2 1 :22. 9401588: Hieronymus nach Petrus Lombardus, Collect. zu Gal. 2:1-2. Zu­ satz: Die Passagen DP II.27. 2; II.28 . 5 - 6 werden von Ockham in Ill.l Dialogus IV. 1 2 wörtlich (ohne Nennung des Marsilius) als Fremdzitat angeführt und später diskutiert: Amtsvollmacht, S. 6 1 8 - 623. 9401589· 1 599: Ps.Isidor, ed. Hinschius, 255 bzw. 2 5 6 . 9441 596: Ambrosius, Sermo contra A uxentium, c. 35 (Migne P L 1 6 , 1 061 . 9461600 · 1601: Ps.Isidor, in Prefatione operis, c. 8, ed. Hinschius, p. 19 bzw. 1 7- 8 . 9481603: Ps.Hieronymus, Symboli explanatio ad Damasum [wie oben zu 7061037] . 9481606: [in Auswahl aus] Bernhard v. Clairvaux, De consideratione II.vii14viii . 1 6 , ed. Leclercq, Rochais, S . 423 - 4.

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Anhang

9501608: Bernhard v. Clairvaux, De consideratione IV.iii. 7, ed. Leclercq, Ro­ chais, S . 454, _ - es handelt sich hier um die berühmte Hauptquelle der 5 14 spätmittelalterlichen Zweischwerterlehre, die Marsilius geschickt auf seine Zwecke appliziert. Dazu etwa Volker Mantey, Zwei Schwerter Zwei Reiche; Martin Luthers Zwei-R eiche-L ehre vor ihrem spätmittel­ alterlichen Hintergrund, Tübingen 2 0 0 5 . 9541615 : Gal. 2 : 1 1 u n d d i e Glossen von Hieronymus u n d Augustirr nach Petrus Lombardus, Collect. z. St. (Migne, PL 192, 1 1 0A- 1 14A). 9541618: Ambrosius und Hieronymus nach Petrus Lombardus, Collect. zu Gal. 1 :1 9 (Migne, PL 192, 1 0 1 D-1 02C). 958162 9: " 1 ." u. "5. Clemens-Brief" bei Ps.Isidor, Decretales, ed. Hinschius, 46 ff., 65 ff. [Titel im Ps.Isidor-Projekt auf der Hornepage der MGH (un­ ter: ,Datenbanken'): Epistola Clementis ad Jacobum fratrem da mini bzw. Epistola Sancti Clementis papae de communi vita et reliquis causis suis discipulis scripta Hierosolimisque directa [das entspricht den Inscriptio­ nen bei Marsilius] . 9601634: Glossa ordinaria z u Matth. 1 6 : 1 8 f. - Zusatz: Die Passagen D P Il.27.2; II.28 . 8 ; 28.25 sowie DP II.28 . 5 - 6; Il.28,8; Il.28.25 werden von Ockham in Ill.l Dialogus IV. 3 bzw. IV. 1 2 wörtlich (ohne ausdrückliche Nennung des Marsilius) zitiert und diskutiert, vgl. Amtsvollmacht, S. 564 -573; 6 1 8 - 623. 9601635: Augustinus, Retractationes 1 . 2 1 nach Thomas v. Aquin, Catena Au­ rea zu Matth. 16:18 f. 9681657: Glossa ord. zu 2 1 : 1 5 -7 - vgl. Alcuin und Augustirr bei Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 1 6 : 1 8 f. 9721669: Augustirr u. Ambrosius nach Petrus Lomb., Collect. zu Gal. 2:7 (Migne, PL 192 , 1 0 8A). 9741679 •1675•1682 : Augustinus bzw. Hieronymus (2x) nach Petrus Lombard ., Collect. zu Gal. 2 : 6 -7 (Migne PL 192,1 07D bzw. 1 08D-1 04A). 9781683 •1685 : Augustinus bzw. Hieronymus nach Petrus Lombard., Collect. zu Gal. 2 : 6 -7 (Migne, PL 192, 1 04B bzw. 1 03 C /C). 989172 0, 9881722 : Gregor d. Gr. bzw. Theophylakt nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Joh. 1 0 : 1 6 . 9881726 : Ambrosius, Sermo contra A uxentium, c. 35 (Migne, PL 1 6 , 1 061). 9931731, 992178 2 , 993173\ 992173 2 : Ambrosius, Ep. 21, c. 19 (Migne, PL 1 6 , 1 049 1050. 9921738: Hilarius, Ad Constantium A ugustum, 1 . 6 (Migne, PL 1 0 , 561). 9941744: Nach Scholz ist gemeint Johannes XXII. Zu den von ihm unbeachtet gelassenen Hilfeersuchen des von Mameluken und Mongolen bedrohten Königs von Klein-Armenien vgl. Acta Aragonensia, Bd. I-li, hrsg. H . Finke (Berlin-Leipzig 1 9 0 8), S. 488 f. (nr. 325) bzw. S. 59 1 , 742 f. (nrr. 378, 459). 9961747: Ambrosius, Sermo contra Auxentium, c. 35 (Migne, PL 16, 1 0 6 0 f.). 1 0 0 61789: Bernhard v. Clairvaux (oben zu 9501608).

Hinweise auf die kommentierenden Anmerkungen

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1 0 1 01799 • 1800: Hieronymus bzw. Remigius nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 1 5 :24. 1 0 1 21806: [Ps.]Augustin, Quaestiones novi et veteris testamenti, qu. 95 (Migne PL 35, 2292), cf. oben bei 6288 43• 1 0 1 21809, 1 02118 22 : Bernhard v. Clairvaux, De consideratione II.viii . 1 5 , ed. Le­ clercq, Rochais S . 423 (cf. 8 1 21 2 8 2). 1 0 1 618 22 : Bernhard v. Clairvaux, De consideratione I .vi . 7, ed. Leclercq, Ro­ chais (cf. zu 324154) S . 401 f. [cf. oben 9501608] . 1 0201836: Bernhard v. Clairvaux, ep. 42, VII I . 3 1 u. 36, ed. Leclercq, Rochais in: S. Bernardi Opera, VII (Rom 1974), S. 126, _ [cf. 3 0 6117] . 5 10 1 0221840 : Chrysostomus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea z u Luc. 22:38. 1 0241842 : Glossa ord. z. St.; vgl. Ambrosius nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Luc. 22. 1 0241843: Die Passage [Scholz 567, -568, ] ist wörtlich zitiert in: Dietrich v. 21 18 Nieheim. De modis uniendi ac reformandi' auf dem Konzil von Konstanz. 1 0321869: Die Translatio studii von Rom nach Paris durch Karl d. Gr. wurde offenbar damals an der Univ. Paris besprochen: vgl. allgemein Serge Lusignan, ' Verite garde le R oy ', La Construction d 'une identite univer­ sitaire en France (XI!e-xve siele), Paris 1999, 225 -247; auch Alexander v. Roes (der in Paris studiert hatte), Memoriale de praerogativa imperii Romani, c. 24, ed. H. Grundmann, in: Alex. v. Roes, Schriften (MGH Staatschriften 1), Stuttgart 1958, S. 126: [Karl] huic regi [d.i. d. König von Frankreich] . . . adiecit studium philosophie et liberalium artium, quod ipse de urbe Romana in civitatem Parisiensem transplantavit. Marsilius konnte die Nachricht aber auch bei Martin v. Troppau, Chronicon, finden [zu Papst Hadrian I., ed. A. D. von den Brincken, fol. 16v (Päpste)] : [Karolus] Qui et studium de urbe Parisius transtulit, quod de Grecia illuc translatum fuerat a Romanis. 1 0321874: Augustinus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Joh. 21 :22. 1 038189 2 : Bernhard v. Clairvaux, De consideratione I.vi . 7 [cf. oben zu 322148] . 1 0401902 :Bernhard v. Clairvaux, De consideratione III.i. 1 , edd., Leclercq, Rochais, S. 431 . 1 0421908: Hieronymus [bzw. Hraban] nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 28:19. 1 0431904: cf. insbes. Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 1 1 :27. 1 0451913, 1 0441914: Chrysostomus [bzw. Hieronymus] nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 8 : 3 1 . 1 0441915 : Augustinus, Sermo 6 9 z u Matth. 1 1 ,28 f . (Migne, PL 3 8 ,441) [cf. oben 28879] . 1 05119 25 : Scholz verweist auf Aristoteles' [Nikomachische] Ethik III.2. 1 0561939: Ambrosius, Sermo contra A uxentium, c. 33 (Migne, PL 1 6 , 1 060). 1 0561940 : Belege dafür anzuführen erübrigt sich. Scholz verweist auf den ,Ersten Prozess' Papst Johannes' XXII. gegen Ludwig d . B .

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Anhang

1 0581944: Hieronymus nach Thomas v. Aquin, Catena A urea zu Matth. 1 8 : 6 . 1 079 2006: Chrysostomus, De sacerdotio 11. 3 - 4 [wie oben z u 420345] . 1 0 8 0 2 019: Decretale Clemens' V. , R omani principes, i n Clem. II.9.1 [Fried­ berg II, 1 147- 5 0] , vgl. auch Johannes' XXII. ,Ersten Prozess' gegen Lud­ wig d. Bayern. 1 0 8 0 2 02 0 : Gemeint ist offenbar die Schrift des Marsilius: De translatione im­ perii, ed. Colette Jeudy, transl. Jeannine Quillet, in: Marsile de Padoue, CEuvres mineures, Paris 1979, 372-433. Dazu vgl. oben die ,Einleitung' (S . LXXX bei Anm. 1 5 6).

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Namenregister Seite, Zeile und Schreibweise nach Scholz. A aron 40, 1 526, 2 1 557, 28 558, 2 Abel 1 5, 3 526, 20 557, 7 Abraam 1 5, 22 f. 30, 20 526, 20 557, 1 1 Adam 15, 3 29, 5 367, 1 9 Adrianus I . (III.) papa 474, 1 7 476, 1 4 s . Anm. 1 41 0 Africa 334, 1 6 Agamemnon 4 1 , 1 3 Alamania 508, 7 Alexandria 333, 7 334, 21 392 , 24 429, 7 Alkibiades 1 05, 1 3 f. Altopassu, fratres de 229, 1 2 Ambrosius 2 1 8, 29 220, 2 0 22 1 , 1 4 228, 1 3 233, 1 9 251 , 26 255, 2 1 5 1 1 , 1 5 529, 2 1 548-552 passim 580, 4 582, 1 4 584, 6 v. Autoren­ zitate Anacletus papa 348, 8 572, 1 5 Ananias 288, 1 5 339, 22 Anastasius Thessalonic. 466 s. Anm. 1 282 Anchona, mardlia 5 1 0, 20 512, 5 Anglia 453, 1 9 454, 1 1 Anthenorides ( = Patavinus = Mar­ silius) 7, 1 7 Antiorhia 1 30, 23 331 , 23 341 , 1 5. 1 8 343, 6 344, 26 348, 20 349, 1 7 351 , 8 354, 27 429, 7 529, 20 Apollo (s) 349, 2 422, 16. 23 Apollinarii 405, 27 Aristoteles 5, 8. 12 8, 19. 2 1 1 1 , 5. 1 8 1 6, 1 0. 1 4 24, 7 ff. 25, 9. 1 4 43, 5. 1 4 44, 1 4 59, 4 f . 1 6 597, 3 v . Autoren­ zitate Arius 392, 24 403, 1 2 Ariani 236, 1 4 374, 1 9 549, 22 Armenia 551 , 1 4

Asia 41 , 1 9 409, 1 7 Asser, Reginald, legatus 453, 1 6 ff. s. Anm. 1 3 1 3 Augustinus, Aurelius 1 73, 1 1 . 22 1 85, 18. 2 1 1 89, 5. 1 7 1 97, 7 206, 1 2 2 1 3, 22 2 1 5, 6 f . 240, 1 4. 27 241 , 4 345, 1 9 366, 27 388, 3. 10 f. 28 390, 25 39 1 , 4. 25 392, 1 528, 28 529, 18 580, 4 v. Autorenzitate Aureliani universitas 379, 28 s. Anm. 1 004 u. 1 1 7 1 Averroys 5 6 , 1 2 1 1 8, 1 3 ff . s. Anm. 429 v. Autorenzitate Avignon 453, 1 8 s. Anm. 1 3 1 2 454 s. Anm. 1 3 1 3 B abyion 1 93, 8 Barbari 50, 24 s. Anm. 176 Barnabas 335, 3 1 339, 2 341 , 10 345, 1 6 352, 1 2 358, 2 521 , 20 530, 23 542, 27 560, 27 Begini 229, 8 Benedictus IX. papa 473, 1 Bernardus Clarevallensis abbas 1 70, 8 1 80, 9 1 97, 9 527, 18. 20 528, 20 556-568 passim 596, 13 v. Autorenzitate Bertrand de Poyet oder Pouget 459 s. Anm. 1 333 510, 16 s. Anm. 1 538 Bonifacius I. papa 407, 7 Bonifacius IV. papa 430, 4 Bonifacius VIII. papa 1 33, 17. 19 f. 229, 3 398, 3. 14 ff. 412, 6. 1 7 4 1 4 s . Anm. 1 1 52 416, 1 3 42 1 , 1 440, 1 454 s. Anm. 1 3 1 3 482 s. Anm. 1 430 486, 7 v. Autorenzitate Bononia (Bologna) 229, 8 s. Anm. 326 481 , 1 5 Britannia 334, 1 6

·

Anhang

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Cahors 453, 18 s. Anm. 1 3 1 2 Calixtus II. papa 479, 1 4 Karolus Magnus imperator 476, 9. 1 5 492, 1 7 598, 1 7 599, 26 Carthago 388, 20 Cassiodorus 2 , 2 3, 1 3 10, 1 8 1 1 , 14 1 26, 19 v. Autorenzitate Catilina 79, 5 f. Cato 300, 23 Caym 1 5, 3 Cephas v. Petrus Cesar ( Tiberius) 1 28, 1 1 1 96, 1 4 ff. Chalcedon 8 1 , 1 6 f. 393, 8 Christus passim, cf. 1 27, 26-1 28 294-300 (paupertas) 302 ff. 3 1 8 ff. p otestas tradita Petro : 1 59 f. 486 575 ff. iudex coactivus : 2 1 9, 8 231 , 1 0 f. 246, 1 ff. 590, 2 1 ff. iudica­ tus : 1 6 1 ff. 1 72 ff. medicus : 232, 1 5 Christus caput e t petra, funda­ menturn ecclesie : 356, 1 7 ff . 423 ff. 467 ff. 532 , 27 ff. 547, 30 571 , 4 Cicero (Tullius) 79, 4 ff. v. Autoren­ zitate Cilicia 341 , 1 8 551 , 1 5 s . Anm . 1 744 Clemens I. papa 333, 27 379, 1 9 5 1 8 , 27 531 , 1 7 ff. Clemens IV. papa 493 s. Anm. 1 466 Clemens V. papa 1 32, 20 380 s. Anm. 1 004 440, 4 f. 459 s. Anm. 1 333 484, 1 7 500 s. Anm. 1 497 v. Autorenzitate Colonna 495 s. Anm. 1 475 Constantinus I. imp. 1 31 , 1 0. 21 f. 262, 1 9. 26 263, 9 f. 345, 11 378, 1 1 -381 , 1 ff. 400, 20 403, 12 429, 2 ff., 23 430, 1 ff. 435, 20 437, 1 6. 2 1 . 27 438, 6 468, 8-470, 32 489, 5. 29 522, 16 552 f . donacio, pri­ vilegium : 1 3 1 , 2 1 s. Anm. 489 b 262, 19 ff. s. Anm. 440 38 1 , 4 ff. 429, 2 ff. 23 437, 2 1 ff. 438, 6 ff. Constantinus papa 472, 1 9 Constantinopolis 334, 20 393, 7 429, 7 430, 7 Corinthus, Corinthii 1 45, 2 1 80, 1 6 1 90, 1 3 ff . 233, 1 7 ff . 579, 1 4 . 1 9 583, 1 2 Creta 1 29, 2 4 330, 8 583, 8 =

Dacia (Dänemark) 453,20.22 454, 1 5 David 1 68, 1 1 Dionysius I. Syracusanus 1 05, 1 3 f. Dionysius, episc. Alexandrinus 333, 8 Dominikaner 475 s. Anm. 1 408 u. 1 409 E phesus, Ephesii 1 45, 7 330, 1 5. 1 8 393, 8 409, 1 6 Ervig rex 406 s. Anm. 1 1 1 6 Esiodus 26, 5 Esopus 498, 8 Este 495 s. Anm. 1 475 Eugenius III. papa 561 , 2 1 Eugobium 334, 20 Eutyches 405, 26 f. 406, 2 Fabricius 300, 24 Ferraria 481 , 1 4 Festus 253, 1 4 f. s . Anm. 409 Florenz 45 s. Anm. 1 56 1 5 1 , 16 s. Anm. 56 Focas imperator 430, 2. 6 Franci 476, 1 6 Francia 372, 1 9 f. 398, 23 483 s. Anm. 1 433 reges catholici : 372, 19 f. 399, 1 3 . 20 f. 400, 1 . 6 490, 1 1 550, 20 Franziskaner 307, 1 5 s. Anm. 655 388, 29 s. Anm. 1 042 475, 2 1 ff. s. Anm. 1 409 Fredoli, Berengarius, cardinalis 323, 10 s. Anm. 727 Fridericus II. imp. 479, 24 s. Anm. 1 41 9 480, 1 481 s. Anm. 1 422 Fridericus III. rex Sicilie 497 s. Anm. 1481 Fridericus de Montefeltro 500 s. Anm. 1 497 Gaius 331 , 6 Galenus (Galienus) 87, 30 torenzitate Gallia 334, 1 6 Gaudentes, fratres 229, 8 Gehenna 207, 1 0

v.

Au-

Namenregister Germani 1 34, 20 1 57, 1 5 492, 1 8 598, 1 6-600, 3 Gothi 1 88, 26 237, 6 471 , 20 550, 6 Grand, J ohannes, ep. Lundensis 454 s. Anm. 1 3 1 3 Greci 4 1 , 1 4 1 43, 1 9 1 57, 1 5 1 87, 1 4 379, 2 2 . 26 492, 1 7 598, 1 6-600, 3 Gregorius I. Magnus papa 333, 27 368, 26 447, 1 6 472, 1 4 525, 14 547, 1 8 580, 4 584, 1 0 v. Autoren­ zitate Gregorius IV. papa 419, 2 v. Autorenzitate Gregorius IX. papa 475 s. Anm. 1 409 v. Autorenzitate Guintonia (Winchester) 453, 1 9 H ebrei 1 94, 1 8 Henricus III. imp. 473, 3 Henricus (IV.) V. imp. 479, 2 ff. Henricus VII. imp. 1 33, 3. 5 450, 1 0 f. 459 s. Anm. 1 333 484, 20. 23 485, 21 Hereidas 333, 8 Hesiodus v. Esiodus Hippocrates 389, 24 f. Hohenstaufen 459 s. Anm. 1 333 Honorius I. imp. 407, 8. 1 1 . 1 4 Hospitalarii fratres 229, 1 0 f. lacobus 335, 31 339, 1 341 , 1 2 345, 1 6 346, 1 5 351 , 1 7 352 , 1 0 358, 2 446, 1 0 486, 1 4 527, 5 530, 24 53 1 , 1 6. 20 532, 8 v. Bibelzitate Ieremias 1 93, 7 v. Bibelzitate Ieronymus 1 70, 20 1 7 1 , 10 1 90, 2 205, 4 240, 26 331 , 7 333, 1 7. 24 336, 20 423, 4 529, 18 554-556 passim 587, 1 . 8 v . Autorenzitate Ierosolyma, -me, Ierusalem 1 93, 1 2 1 96, 22. 2 8 342, 1 0 348, 20 357, 2 1 429, 7 f. 446, 1 1 521 , 20 531 , 27 532, 1 542, 26 f. Ylarius 251 , 27 51 1 , 1 5 591 , 5 v. Autorenzitate lndia 334, 1 7 Innocencius III. papa 449 s. Anm. 1 291 509 s. Anm. 1 535 v. Autoren­ zitate

1131

Innocencius IV. papa 459 s. Anm. 1 333 479 s. Anm. 1 41 9 48 1 s. Anm. 1 422 Iohannes, St. 336, 1 339, 1 342, 1 2 345, 1 7 346, 1 6 35 1 , 1 7 352, 1 0 f. 358, 3 530, 25 v. Bibelzitate lohannes de Ianduno 1 1 8 s. Anm. 429 lohannes XII. papa 472, 24 f. lohannes XXII. papa 270 s. Anm. 469 323 s. Anm. 727 380 s. Anm. 1 004 4 1 4 s. Anm. 1 1 52 418 s. Anm. 1 1 73 453 s. Anm. 1 3 1 2 459 s. Anm. 1 333 462 s. Anm. 1 343 484 s. Anm. 1 439 495 s. Anm. 1 475 500 s. Anm. 1 497 508 s. Anm. 1 532 S09 s. Anm. 1 535 55 1 s. Anm. 1 744 v. Autoren­ zitate Ioseph, St. 257, 17 529, 2 1 Isaias 539, 1 0 v. Bibelzitate Ps . - Isidorus 544, 2. 7. 12 552-554 passim v. Autorenzitate Israel, domus, populus 30, 26 39, 26 238, 2 323, 9 341 , 25 35 1 , 1 3 539, 8. 13 558, 10. 17 560, 4 ff. Ytalia Ytalicum regnum 1 27, 17 f. 1 34, 5. 1 9 1 35, 8 1 5 1 , 1 6 229, 8 449, 17 476, 22 482, 19 495 s. Anm. 1 475 508, 5 510, 20 5 1 2, 8 5 1 5, 2 1 5 16, 28 Städte : 53 s. Anm. 1 85 54 s. Anm. 1 92 1 1 6 s. Anm. 4 1 7 1 5 1 s. Anm. 56 249 s. Anm. 395 43 1 s. Anm. 1 2 1 8 433 s. Anm. 1 228 Judas 292, 2 1 296, 20. 27 297, 2 3 1 3 , 28 Iudea, Iudei 1 28, 10 1 6 1 , 16 162, 7. 9 f. 1 70, 22 1 87, 1 4 1 93, 8 239, 20 240, 20 247, 18 253, 1 6 35 1 , 1 5. 23. 28 354, 2 357, 1 . 3. 6 377, 8 539, 25 542, 27 543, 1. 6 560, 9. 28 Iugurtha 4,7 Iulius Caesar 46, 25 lustinianus I. imp. 334, 9 474, 1 0 L acedemonii 367, 2 7 Lajazzo 5 5 1 s. Anm. 1 744 Laureneins papa 472, 1 1 f. Lautrec, Amele de 510, 1 6 s. Anm. 1 538

1 1 32

Anhang

Lazarus 204, 27 Leo I. papa 404, 4. 6. 7 408, 9. 1 2 v . Autorenzitate Leo VIII. papa 476 s. Anm. 1 4 1 0 Leo IX. papa 474, 25 f . 476, 1 3 . 1 8 477, 1 5 Liberius papa 396, 24 4 1 4 s. Anm. 1 1 52 536, 1 3 Lombardia 459 s . Anm. 1 333 5 1 0, 1 8 512, 5 Londa (Lund) 453, 20. 22 454 s. Anm. 1 3 1 3 Longobardi 476, 1 6 Ludovicus I . Pius imp. 4 1 9, 3 Ludovicus Bavarus, imp., Rex Rom., dux Bavarie 8, 4 f. 1 57, 18 f . 4 1 6 , 1 6 f. 456, 1 4 f. 466 s. Anm. 1 365 481 s. Anm. 1 423 498, 20 500 s . Anm. 1 497 5 1 0, 24 5 1 2, 3 599, 22 Lucas evangelista 353, 9 v. Bibel­ zitate Lucca 229 s . Anm. 326 Machometus 49, 1 7 Maguncia 1 1 9, 1 7 Mameluken 551 s . Anm. 1 744 Manichei 474 s. Anm. 1 398 547, 25 Marcianus imp. 403, 19 404, 7. 9 405, 1 1 . 23 406, 1 2 408, 7. 9 Marcus evangelista 333, 7 v. Bibelzitate Maria, Beata Virgo 29, 30 257, 1 6 Marsus 430, 5 Martinus Oppaviensis 475, 19 476, 7 v. Autorenzitate Mauricins imp. 472, 1 5 Mediolanum 5 1 2 , 1 0 Melchisedech 526, 20 f . 557, 1 3. 1 7. 26 Michael de Cesena 307, 1 5 s. Anm. 655 Morlane (Tacconi) , Isarn 453, 16 ff. s. Anm. 1 3 1 3 Moyses, Mosaicus 30, 25. 3 0 39, 27 49, 9 . 19 62, 1 6 239, 19 241 , 1 2 504, 1 9 526, 2 1 558, 4 Nabuchodonosor 1 93, 9 statua in sompnio vis a : 464, 1 5-466 Nevers 380 s. Anm. 1 004

Nicea 392, 23 Nicolaus, beatus 333, 27 368, 26 Nicolaus II. papa 476 s. Anm. 1 4 1 0 477, 1 5 Nicolaus III. papa 48 1 s. Anm. 1 423 v. Autorenzitate Noe 526, 20 557, 9 Occitana (Lingua) Oriens 334, 1 7 Origenes 1 70, 1 8 f. torenzitate Otto I . imperator 21 Otto IV. imperator

453, 1 8 1 7 1 , 22

v.

Au­

472, 25 476, 9 f. 479, 2 6

Padua 230 s. Anm. 329a Parisii, universitas 380, 1 . 3 572, 9 f. Paschalis II. papa 479, 2 Paulus, St. 1 3 1 , 2 1 95, 24 1 96, 1 2 1 97, 1 8 1 98, 5 297, 2 6 339 passim 340, 1 7 341 , 1 0 343, 1 1 351 --354 356, 31 357, 3. 27 361 , 10 377 pas­ sim 379, 20 422, 16 427, 27 428, 27 435, 24 486, 1 4 5 1 9, 3 521 passim 536, 1 8 539, 22 ff. 540, 3 ff. 542, 8. 1 7 543, 1 3 ff. 547, 28 561 , 1 2 564, 7 570, 1 6 v. Bibelzitate Pelagius I. papa 474, 7 Perse, Persis 49, 1 7 f. 268, 1 9 . 334, 1 7 Perugia : capitulum generale fratr. S. Francisci 388 s. Anm. 1 042 Petrus, Simon, Cephas 1 30, 16 1 32, 6. 15 1 42, 1 2 . 15 1 53--154 passim 1 68, 3. 5. 29 1 69, 2. 1 3 1 70, 23 1 7 1 , 9. 12. 1 6 f . 1 77, 7 1 95, 15. 24 1 96, 9 1 97, 1 8 1 98, 5. 1 9 1 99, 28 200, 9. 1 3. 22 263, 3. 9 329, 4 336, 1 338, 2--355, 9 passim 357, 1 f. 358, 3 360, 7 f. 364, 24 377, 19. 25 378, 2 . 24 379, 2 0 395, 2 9 422, 1 7 427, 2 7 428, 27 433, 1 . 1 8 435, 24 445, 1 8. 25 f. 446, 7. 1 1 479, 1 9 483, 1 6 486, 1 4. 1 7 489, 5 5 1 9-522 526, 22 527, 1. 7 529, 19 530, 25 532--545 547, 14. 28 554, 13 ff. 555, 23 558-561 565, 6 f. 567, 13 568--570 572, 1 4. 1 9 575, 24. 26 579, 1 0 602, 1 4 V. Bibelzitate

Namenregister Pharisei 208, 1 232, 1 7 (bei Scholz nicht als Eigenname) : 504, 14. 1 9 556, 4 574, 20 Philippi 330, 3 Philippus, St. 364, 1 4 Philippus IV. Pulcher, rex Fran­ eorum 1 33, 17 f. 380 s. Anm. 1 004 398, 23 399 412, 7 4 1 4 s. Anm. 1 1 52 41 8 s. Anm. 1 1 71 482 s. Anm. 1 430 Phocas v. Focas imp. Phrynes 56, 1 0 . 1 2 Pilatus, Poncius 1 28, 1 0 1 6 1 , 1 4 ff. 1 62 , 6 ff. 1 63, 7 ff. 1 72, 15 ff. 1 73 passim 1 74, 6. 9 1 84, 7. 1 0 566, 1 3 596, 5 f . Plato 5, 25 Pythagoras 26, 5 R athane (Tanis) 334, 2 1 Recanati 509 s. Anm. 1 535 Reccared rex 406 s. Anm. 1 1 1 4 Receswinthus rex 403, 22 Remensis archiepiscopus 490, 1 0 f. Regium 334, 2 1 Robertus rex 483 s . Anm. 1 433 497 s. Anm. 1 48 1 Rolandinus Patavinus 479 s. Anm. 1419 Roma 1 1 9, 1 6 1 44, 1 6 f . 334, 2 0 349, 1 0 . 1 7 f. 350 passim 351 -354 pas­ sim 378 f. 407, 3 ff. 427, 30 428, 1 4. 25 476, 5. 13 572, 7 Romandiola 481 , 1 4 Romani, populus Romanus 47, 1 79, 6 334, 9 379, 23 ff. 476, 8. 1 0 479, 5 Rudolfus rex Rom. 48 1 s. Anm. 1 423 S alerno 454 s. Anm. 1 3 1 3 Samaria 342, 9. 1 1 Sarnuel 526, 2 1 558, 12. 1 5 Sapphira 288, 1 5 Sardus 472, 1 1 Sathanas 2 1 2, 25 2 1 3 , 3 527, 1 3 Scipio 300, 23

1 1 33

Signenus 472, 1 9 Silvester I . papa 1 3 1 , 2 2 262, 20 38 1 , 1 f. 585, 7 Sirnon Magus 260, 15 353, 4 Sirnplicius papa 473, 25 474, 1 5 Stephanus, S t . 364, 1 3 Stephanus IX. papa 476 s. Anm. 1 4 1 0 477, 14 f. Susanna 59, 20 Symmachus papa 472, 1 1 Syria 34 1 , 1 8 410, 5 Syrus : 472, 1 9 Tantalus 2 7 , 4 Tartarus 27, 7 Templarii, fratres 229, 1 0 Theodectus 97, 3 Theodoretus episcopus 410, 4 Theodoricus rex 472, 1 2 Theodosius II. imp. 404, 6 409, 1 Theopompus 6 1 , 6. 1 1 . 2 1 Theutonici 476, 1 0. 2 1 479, 3 Thomas Aquinas 4 1 8 s. Anm. 1 1 73 v. Autorenzitate Tirnotheus 1 78, 7 f. 1 95, 5 309, 25 ff. 3 1 0, 3 329, 25 36 1 , 12 564, 7 f. Y. Bibelzitate Titus 195, 5 329, 25 361 , 12 52 1 , 20 542, 28 v. Bibelzitate Tullianum, carcer 79, 1 5 Tuscia 479, 6 5 1 2 , 5 Ubertino da Casale 466 s. Anm. 1 365 v. Autorenzitate Urbanus I. papa 468. 10. 1 4 Valentinianus III. imp. 1 67, 23 f. 403, 1 9 405, 23 409, 1 548, 18 549, 21 Vallia (Wales) 51 s. Anm. 1 76 Venedig 500 s. Anrn. 1 497 Vicecomes (Visconti) Matheus 459 s . Anm. 1 333 495 s. Anm. 1 475 500 s. Anm. 1 497 509 s. Anm. 1 535 5 1 2, 9 ff. Vienna, concilium 46 1 s. Anm. 1 340 Vitalianus papa 472, 1 8

1134

Bibelzitate Acta apostolorum III 6 : 456 s. Anm . 1 320 III 1 5 : 354, 7 IV 32 : 272, 9 292, 1 0 297, 5 IV 34, 35 : 292, 1 0 293, 22 3 1 2 , 1 1 343, 17 VI 1 : 364, 1 VI 2 : 301 , 17 3 1 0, 15 432, 21 VI 2-6 : 452, 14 VI 6 : 328, 1 3 360, 5 VII 35 : 239, 2 1 558, 7 VIII 1 4 : 342, 9 IX 1 5 : 351 , 12 377, 5 561 , 1 2 XV 6 : 555, 26 XV 6, 22-25, 28 : 341 , 7 ff. 395, 28 432, 20 XV 28 : 385, 19 XX 28 : 1 45, 8 330, 1 5 545, 2 9 XX 33, 34 : 306, 1 1 XXI 1 3 : 1 96, 21 XXII 1 7-18, 2 1 : 357, 20 XXII 1 7, 2 1 : 351 , 26 XXV : 253, 1 5 XXV 1 0, 1 1 : 1 96, 1 4 XXVIII 1 4 : 351 , 27 XXVIII 1 9, 2 1 , 22 : 353, 16 XXVIII 25-28 : 539, 1 0 XXVIII 28-30 : 352, 1 Apocalypsis XII 9 : 5 1 7, 20 XIX 1 3 : 324, 1 7 XIX 1 6 : 1 32, 8 304, 2 7 324, 15 439, 18 485, 28 Colassenses I 1 8 : 424, 6 IV 1 : 592, s IV 1 5-1 6 : 1 46, 9 1 . Corinth. I 2 : 1 45, 2 III 1 -2 : 36 1 , 31 53 1 , 9 III 1 -3 : 1 64, 3 III 3 : 1 50, 7 III 6: 422, 23 III 1 1 : 356 s. Anm . 908 424, 1 2 534, 2 III 1 9 : 74, 1 1 III 2 1 -23 : 349, 2 422, 15 III 22 : 354, 1 5 IV 1 7 : 2 1 4, 3 V 3-5 : 2 1 2 , 22 449, 6 VI 3 : 1 55, 4 579, 1 5 VI 4 : 1 78, 24 244, 2 436, 22 VI 4-6 : 579, 26 VI 7 : 1 72, 4 278, 20 294, 2 552, 2 1 VI 7-9 : 480, 1 8 I X 4 : 1 55, 9 587, 1 7 IX 7 : 305, 26 IX 9-1 0 : 305, 1 6 IX 1 1 : 1 47, 27 1 49, 3 1 66, 26 IX 1 4 : 305, 26 IX 1 6 : 370, 28 394, 20 435, s IX 2 1 bis 22 : 449, 6 X 4 : 356, 1 9 424, 1 5 X 1 1 : 3 2 s. Anm. 9 9 X I 22 : 1 43, 28 XII 2 1 : 594, 3 XVI 1 , 1 9 : 1 46, 9 2. Corinth. I 7 : 289, 28 I 23 : 1 90, 1 4 220, 2 1 233, 1 8 VIII 7 , 8 , 1 0 : 3 1 0 , 7 f. VIII 1 2 : 284, 5 VIII/IX : 293, 2 f. IX 7 : 310, 8

D aniel II 3 1 -33 : 464, 15 II 34, 45 : 465, 26 II 35 : 466, 22 XIII 28 : 59, 1 9 Deuteronomium VII 9 : 505, 2 2 XXIII 25 : 474 s. Anm. 1 401 XXV 4 : 305, 1 3 E cclesiastes I 1 5 : 69, 27 X 1 9 : 289, 6 f. Ephesii II 240, 25 IV 5 : 381 , 27 IV 5, 1 3 : 399, 1 8 IV 5 : 522, 2 1 544, 1 6 I V 1 1 -1 3 : 423, 1 5 I V 1 3 : 381 , 30 IV: 571 , 6 IV 1 5 : 356, 1 9 IV 1 5, 1 6 : 423, 20 460, 1 7 V 23, 24 : 356, 1 9 423, 25 V 25 : 1 45, 26 V 29, 30 : 424, 3 VI 5-7 : 503, 9 VI 9 : 592, 5 Exodus XVIII 1 3-26 : 240, 3 XXI 2 : 1 94 s. Anm. 1 93 XXXII 9 : 560, 1 6 XXXIII 5 : 539, 9 Ezechiel XLIII 1 2, 1 3 : 49, 5 XLV 8 : 576 s. Anm . 1 902 Galatae I : 391 , 6 I 1 : 339, 18 541 , 7 I 8 : 391 , 1 2 I 1 1 , 1 2 : 340, 5 541 , 1 0 I 1 8 : 52 1 , 1 7 II : 240, 25 378, 3 II 1 -2 : 521 , 1 9 II 2 : 342, 26 536, 1 9 I I 6 , 7 : 541 , 1 3 I I 6-9 : 338, 28 345, 1 5 II 7 : 35 1 , 1 7 539, 1 7 560 , 2 3 Il 8, 9 : 356, 29 II 9 : 2 1 9, 1 7 335, 3 1 346, 1 5 352, 1 0 358, 2 530, 23 560, 26 II 1 1 : 343, s 529, 19 II 1 1 bis 1 4 : 354, 1 5 f. IV 4: 1 74, 1 4 V 240, 25 Genesis III : 367, 1 8 VIII 2 1 : 97, 20 XIII 2: 272, 1 XVII 8: 272, 2 f. H ebraei 32, 6 IV 1 3 : 2 1 9, 1 0 VII : 240, 25 VII 1 2 : 49, 1 2 X : 240, 25 lacobus I 1 7 : 7, 20 I 2 5 : 49, 1 4 IV 1 2 : 2 1 9, 14 23 1 , 15 246, 4 590, 25 IV 1 7 : 7, 8 394, 25 43 1 , 7 Ieremias XXIX 7 : 1 93 s . Anm. 1 88 Lamentationes III 1 2 : 459, 2 2. Johannis Epistola I 1 : 33 1 , 5 3. Iohannis Epistola I 1 : 33 1 , 6

Bibelzitate Iohannes Ev. III 1 0 : 323, 9 III 20 : 458, 1 5 V 1 4 : 538, 1 4 VI 5-1 2, 1 3 : 31 4, s VI 1 2 , 1 3 : 292, 1 6 VI 1 5 : 261 , 1 6 f. 1 64, 27 VIII 1 1 : 538, 1 4 X 1 -1 3 : 453, 1 6 X 1 1 : 456, 6 X 1 6 : 523, 7 547, 8 XII 6 : 296, 20 XIII 1 6 : 596, 12 XIII 29 : 296, 26 302, 6 3 1 0, 24 3 1 4, 1 2 XIV 2 7 : 3, 8 XVIII 1 1 : 445, 2 1 567, 11 XVIII 34 : 1 63, 6 XVIII 35 : 1 62, 2 1 XVIII 36 : 1 6 1 , 1 8 XVIII 37 : 6, 22 1 63, 22 1 99, 3 XIX 9 ff. : 1 72, 23 f. 1 73, 3 55 1 , 23 XIX 1 1 : 40, 9 1 97, 4 XIX 1 3 , 1 6 : 1 74, 9 XIX 23 : 296, s XX 1 9 : 2, 16 XX 2 1 -23 : 338, 9 XX 22, 2 3 : 207, 22 327, 19 359, 23 376, 27 534, 12 561 , s XX 23 : 1 98, 23 576, 1 4 577, 25 XXI 1 5 bis 1 7 : 1 54, 24 520, 7 539, 7 540, 2 569, 1 4 579, 7 XXI 1 7 : 263, 7 293, 4 322, 9 445, 1 8 537, 1 2 559, 24 XXI 22 : 520, 1 5 52 1 , 3 572, 1 8 Isaias V 20 : 506, 1 3 XLIII 25 : 202, 12 Job X 22 : 464, 1 2 XXII 2 1 : 2, 1 0 Iudith VIII 23 : 1 64, 1 7 Lucas I I 7 : 257, 1 3 I I 1 4 : 2, 1 4 III 1 1 : 292, 1 V 3 1 : 220, 28 232, 1 7 VI 20 : 282, 24 V I 2 1 : 289, 1 5 VI 27 : 292, 1 2 VI 29 : 278, 14 310, 6 VI 41-44 : 498, 26 IX 1 3 : 302, 1 6 3 1 4, 1 4 I X 2 3 : 235, 2 2 291 , 2 IX 58 : 257, 1 9 299, 16 324, 8 X 1 : 5 1 8, 1 7 529, 25 X 1 6 : 526, 8 sss, 27 XII 1 3, 1 4 : 1 65, 27 2 2 1 , 3 XII 1 4 : 242, 25 563, 22 576, 9 J(III 34 : 560, 1 8 XIV 33 : 258, 7 287, 29 290, 28 297, 2 1 XVIII 1 8-22 : 257, 26 266, 1 7 298, 27 XVIII 20 : 279, 24 JlVIII 22 : 288, 12 293, 1 6 295, 1 0 XI)( 29, 30 : 1 54, 3 579, 2 XXI 8 : 393, 1 0 XXII 1 9 : 1 45, 1 5 2 1 5, 2 1 327, 1 2 337, 27 XXII 24 bis 26 : 347, 16 360, 24 XJlii 24 bis 27 : 174, 22 176, 2 1 s. Anm. 1 39 XJlii 2 5 : 456 s. Anm. 1 320 XJlii 24-30 : 535, 2 J(J(II 25-26 : 346, 7 XJlll 32 : 5 1 9, 23 535, 1 8 569, 1 3

1135

XJlll 35 : 3 1 2 , 1 8 XJlll 36 : 302, 27 3 1 4, 22 XXII 38 : 1 54, 1 1 445, 22 579, 6 XXIII 34: 296, 2 M alachia II 7 : 2 1 1 , 1 1 249, 1 5 366, 1 6 400, 22 �arcus I I 1 5, 1 6 : 295, 25 IV 1 9 : 288, 8 V 1 2 , 1 3 : 1 53, 1 7 578, 2 VI 35-44 : 3 1 4, s VI 38 : 302, 1 6 3 1 4, 1 5 VII 7 , 8 , 9 : 347, 23 574, 2 1 VIII 1-8 : 3 1 4, s. 15 IX 49 : 3, 3 X 1 7 bis 2 1 : 257, 26 X 1 9 : 279, 24 X 1 9-2 1 : 298, 27 J( 2 1 : 293, 1 5 XI 1, 2: 1 54, 3 579, 2 XI 1 2 : 296, 1 5 X I 13, 20 f. : 578, 1 7 XII 1 7 : 240, 9 XII 43 : 282, 20 Jllll 37 : 537, 1 538, 1 7 XIV 22 : 2 1 5, 2 1 XIV 22 bis 24 : 327, 1 3 XV 20 : 296, 9 �atthaeus V 3 : 283, 3 V 3-4 : 283, 3. 10 V 3, s, 1 0 : 289, 15 V 7: 313, 1 9 V 1 6 : 259, 4 459, 3 V 40 : 278, 1 4 3 1 0, 6 VI 2 1 : 288, 5 VI 26, 31 , 32 : 291 , 1 5 302, 1 1 VI 34 : 291 , 9 302, 1 VII 3-5 : 498, 26 VII 1 4 : 300, 20 VII 15, 16: 506, 1 VIII 20 : 257, 1 9 299, 1 6 321 , 27 324, 8 VIII 3 1 , 32 : 1 53, 1 7 578, 2 IX 6 : 1 79, 24 X 9 : 259, 9 297, 22 312, 1 0 X 1 0 : 305, 1 9 3 1 1 , 7 . 2 1 J( 1 2 : 3 , 5 J( 1 8 : 238, 30 X 24 : 239, 2 Jll 27 : 1 53, 9 576, 1 9 XII 35 : 512, 1 5 f. Jlii 47-50 : 350, 2 Jliii 22 : 288, 8 JliV 1 4-1 9 : 296, 24 XIV 1 6-22 : 3 1 4, 5 JliV 1 7 : 302, 1 5 X V 3 , 6 : 347, 2 3 X V 1 4 : 459, 6 502, 22 504, 1 9 . 28 X V 24: 539, 1 2 560, 3 XVI 18, 19: 51 9, 10 532, 23 533, 1 534, 4 544, 1 1 569, 1 1 JlVI : 433 s. Anm. 1 226 JlVI 1 9 : 1 30, 1 8 1 52, 27 1 98, 20 200,4 205, 5 207, 28 327, 23 332, 23 445, 1 9 513, 8 572, 23 575, 24 XVII 23, 26 : 1 68, 2 JlVII 24 : 1 70, 23 JlVII 26 : 292, 1 9 297, 1 299, 2 1 313, 26 XVIII 6, 7 : 512, 20 586, 27 JlVIII 7 : 89, 16 XVIII 9 : 502, 22 JlVIII 1 5-1 7 : 212, 3 XVIII 18: 1 98, 22 327, 25 576, 14 XIX 1 6-2 1 : 257, 26 298, 27 XIX 1 7 : 266, 1 7 JlU 1 8 : 279, 24 XIX 2 1 : 293, 1 6 299, 2

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Anhang

307, 14 3 1 2 , 10 XIX 2 1 -24, 29 : 283, 3 XIX 24 : 288, 22 XIX 28 : 237, 27 XIX 29 : 278, 1 2 284, 9 289, 1 9 XX 24-26 : 360, 24 XX 24 bis 28 : 535, 2 XX 25-28 : 1 74, 22 346, 6 347, 1 4 XX 28 : 1 76, 7 XXI 1, 2 : 1 54, 3 579, 1 XXI 1 3 : 463, 25 XXI 1 8 : 296, 14 XXI 1 9-2 1 : 578, 17 XXII 1 7, 20-2 1 : 1 67, 7 XXIII 3: 1 90, 1 556, 4 XXIII 8: 342, 22 347, 8 535, 4 539, 3 XXIII 8-1 1 : 360, 24 XXV 24 : 474 s. Anm. 1 401 XXVI 26 : 2 1 5, 20 XXVI 26-28 : 327, 1 1 XXVI 52 : 567, 1 1 XXVII 1 : 1 12, 13 XXVII 3 1 : 296, 6 XXVIII 1 8 : 1 53, 1 0 442, 7 577, 1 9 XXVIII 1 9 : 349, 1 6 357, 1 7 394, 1 7 435, 4 538, 28 559, 23 561 , 3 f. XXVIII 1 9, 20 : 1 28, 18 1 99, 1 4 249, 1 9 335, 26 338, 1 9 377, 2 536, 4 559, 23 577, 24 XXVIII 20 : 385, 8 434, 23 571 , 8 Numeri XXIV 1 8 : 576 s. Anm. 1 902

0 sea VIII 4: 1 77 s . Anm. 1 40 1 . P etri I 1 4 : 468, 5 II 1 3-1 5 : 1 95, 1 6 553, 1 4 II 1 4 : 225, 1 4 II 1 8 : 503, 1 3 V 1 : 331 , 3 V 3 : 1 7 7 s . Anm. 1 40 456 s. Anm. 1 320 Philemon I 2: 1 46, 10 Philipp. I 1 : 330, 3 Proverbia XV 1 5 : 289, 8 XIX 4 : 289, 1 0 Psalmi V 7 : 510, 1 5 XXXII 1 : 202, 2 1 L 1 2 : 576 s. Anm. 1 902 CXVI 1 1 : 386, 25 XXCVIII 1 0 : 246 s. Anm. 387

R omani 32, 7 III : 240, 24 VI 23 : 1 99, 25 VII : 240, 24 VII 23 : 48, 29 VIII 1 8 : 289, 24 XI : 378, 3 XI 1 3 , 1 4 : 352, 5 357, 4 XIII 1 : 40, 1 0 197, 7 225, 25 505, 7 XIII 1 -4 : 597, 8 XIII 1 -7 : 1 73, 1 4 1 82, 1 9 503, 9 553, 1 3 594, 1 8 XIII 2 : 505, 1 2 XIII 4 : 225, 1 2 XIII 6 : 1 7 1 , 4 230, 7 XV 27 : 1 47, 27 1 48, 31 XIII 1-7 : 2 1 5, 6 1 . Thessalon. I 1 : 1 46. 0 2. Thessalon. I 1 : 1 46, 9 III 8 : 306, 1 4 III 8, 9 : 1 55, 1 0 587, 1 7 1 . Timoth. I I 1 -2 : 1 26, 27 1 92, 1 1 594, 20 I I 7 : 352, 1 5 I I 1 4 : 367, 1 9 III : 1 80, 27 2 1 4, 6 500, 2 III 2 : 249, 2 1 304, 1 2 321 , 5 363, 6 400, 25 455, 1 3 III 7 : 365, 3 III 7, 8, 10: 260, 1 8 III 8: 363, 9 III 1 0 : 365, 7 III 1 2 : 228, 1 9 I V 1 -3 : 393, 1 1 505, 1 5 IV 1 4 : 1 29, 22 328, 9 330, 29 V 8 : 5 1 7, 29 V 1 9 : 1 55, 1 5 5 1 8, 22 531 , 4 587, 24 V 20 : 588, 5 VI 1 : 1 88, 9 1 94, 1 2 2 1 5, 6 241 , 4 463, 1 3 VI 1 , 2 : 503, 9 VI 8 : 260, 7 305, 9 37 1 , 30 417, 25 2 . Timoth. I 7, 8 : 6, 15 I 1 1 : 352, 1 5 II 4 : 1 78, 1 0 1 94, 4 309, 25 564, 8 583, 23 II 25 : 598, 1 III 1-5 : 505, 1 5 III 2-9, 1 3 : 393, 1 1 III 5 : 506, 5 III 1 6 : 233, 1 4 I V 2 : 598, 1 IV 8 : 221 , 5 Titus I 5 : 1 29, 24 1 80, 28 214, 6 583, 8 I 5-7 : 330, 8 I 7 : 304, 1 2 321 , 6 363, 6 I 7-1 1 : 249, 2 2 I 9 : 400, 25 455, 1 6 I1 9 : 503, 1 0 III 1 : 1 93, 23 228, 1 3 503, 1 0 III 10, 1 1 : 588, 8 Tobias III 2 : 2 1 9, 1 3

1137

A utorenzitate A cta S. Petri 352, 24 ff. s. Anm. 888 Aegidius Romanus De ecclesiastica potestate 342 s. Anm. 828 514 s. Anm. 1 553 Alcuin, glossa 537 s. Anm. 1 657 Alexander de Roes De translatione imperii 572 s. Anm. 1 869 Ambrosius Epistola ad Valentinianum 245, 20 549, 2 1 Sermo contra Auxentium 1 67, 23 1 69, 1 9 1 88, 24 237, 3 304, 1 6 322, 25 37 1 , 1 7 374, 1 2 47 1 , 1 8 523, 1 7 548, 9 551 5 552, 1 585, ' 29 Glossae 1 45, 4 1 47, 28 1 49, 5 1 66, 14 1 67, 1 1 1 78, 1 1 1 83, 8 1 90, 1 7 1 94, 5 202, 1 4 2 1 7, 1 8 2 1 8, 28 220, 20 22 1 , 1 4 290, 1 339, 20 340 s. Anm. 82 1 539 s. Anm. 1 669 567, 1 7 580, 4 v. Gerbert Anacletus 348, 8 572, 1 5 Anselmus 5 1 9, 1 6 s. Anm. 1 572 Aristoteles De anima I 4: 18 s. Anm. 59 II 7 : 2 1 , 7 90, 1 9 III 9 : 3 0 s. Anm. 96 III 1 3 : 1 8 s. Anm. 59 De animalium generatione I 1 8 : 1 8 s. Anm. 59 De caelo et mundo III 6 : 99, 1 0 111, 5 De generatione et corruptione I 6 : 274, 25 II 9 : 90 s. Anm. 327 De motu animalium I 6 : 1 1 7, 1 0 De partibus animalium III 4 : 87, 30 III 1 0 : 35 s. Anm. 1 04 IV 1 0 : 3 5 s. Anm. 1 04 Ethica I 1 I 3 : 80, 2 1 5 1 , 1 0 I 2 : 76, 8 91 , 1 4 I I 2 : 93, 1 1 II. III : 283, 9 III 1 : 582 s . Anm. 1 925 IV 8 : 1 09, 29 V 4: 225, 6 V 7 : 268, 9 V 1 0 : 15, 5 78, 24 V 1 1 : 57, 22 V 1 4 : 8 1 , 24 VI 5 : 79, 1 8 VI 7 : 55, 8 VI 1 3 : 84, 1 0 VIII 1 : 56, 2 2 X 1 : 258, 22 X 1 4 : 50, 9 =

Metaphysica II 1 : 55, 20 56, 9 II 3 II 5 : 95, 27 1 39, 3 II 5 : 49, 2 1 XII 1 0 : 49, 22 XII 1 2 : 99, 22 1 1 8, 3 Oeconomica I 2 : 368, 2 I 3 : 1 3 , 22 Physica I 1 : 13, 1 1 I 2 : 463, 5 I 5 : 463 s. Anm. 1 349 II 1 : 99, 1 2 1 1 1 , 5 II 4 : 86, 5 II 1 3 : 1 1 7, 25 226, 1 IV 1 9-22 : 1 46, 22 Politica I 2 : 1 3, 20 1 6, 1 1 1 8, 1 30 s. Anm. 96 70, 20 I 5 : 1 1 , 1 8 87, 24 I 6 : 97, 3 I 8, 9, 1 0 , 1 1 : 1 03, 1 I 1 2 : 1 0 1 , 1 9 II 3 : 95, 6 II 4 : 95, 9 II 5 : 54, 25 95, 1 2 II 8 : 96, 1 1 04, 23 1 24, 6. 1 5 I I 1 0 : 1 43, 22 I I 1 1 : 8 1 , 1 5 83, 14 1 0 1 , 19 III 6: 37, 15 67, 6 III 7 : 37, 1 4 III 1 1 : 57, 26 63, 1 6 64, 1 9 72, 2 3 73, 7 73, 2 7 80, 20 85, 8 III 1 2 , 1 3 : 64, 1 9 92, 25 III 1 3 : 65, 26 III 1 4 : 15, 1 4 4 1 , 9 4 2 s. Anm. 1 43 u. 1 44 45, 1 1 46, 16 96, 10 III 1 5 : 1 5 , 1 4 53, 1 3 60, 1 8 83, 1 1 01 , 1 9 III 1 6 : 56, 2 6 58, 2 80, 9. 2 4 III 1 7 : 96, 16 1 04, 28 IV 8 : 20, 13 23, 1 4 24, 27 82, 1 7 89, 9 I V 9 : 28, 6 IV 1 4 : 7 1 , 2 89, 26 91 , 1 9 1 0 1 , 1 9 I V 1 7 : 36, 5 V 1 : 9 1 , 22 VI 4 : 1 1 s . Anm. 40 2 0 s . Anm. 6 4 23, 21 24, 2 1 58, 17 VI 8: 66, 26 7 1 , 12 VI 1 0 : 44, 9 VI 1 2 : 70, 24 VI 1 5 : 1 36, 5 239, 7 597 s. Anm. 1 999 VII 3-4 : 65, 2 VII 8 : 66, 27, VIII : 1 27, 8 VIII 3 : 1 1 , 1 9 87, 24 92, 1 7 VIII 8 : 3, 1 5 1 24, 24 VIII 9 : 84, 5 VIII 1 0 : 43, 4 59, 4 96, 21 VIII 1 1 : 61 , 1 . 1 1 Posteriora Analytica I 6 : 1 03, 1 8 1 46 s. Anm. 38 389, 3 II 1 3 : 284 s. Anm. 532 II 1 6 : 251 s. Anm. 401 Problemata X 51 : 458 s. Anm. 1 324 =

Anhang

1138

Rhetorica I 1 : 53, 20 55, 2 58, 1 0 1 5 1 , 25 I 2 : 54, 6 I 8 : 367, 25 I 9 I 1 3 : 97, 10 I 11 I 8: 98, 8 1 09, 1 II 1 5 : 1 05, 5 II 24 : 95, 20 Sophistici ElendJ.i I 1 : 1 43, 8 II : 56, 1 7 II 3 : 3 1 5, 23 II 8 : 75, 26 Topica I 5: 273 s. Anm. 483 Augustinus Acta seu disputatio contra For­ tunaturn ManidJ.aeum 387, 1 7 Contra epistolam ManidJ.aei 388, 29 De civitate Dei V 2 1 : 40, 1 0 VII 1 9 : 399, 26 X V 1 6 : 41 1 , 31 XIX 1 1 : 2, 27 De trinitate 387, 13 De natura honi 1 84 s. Anm. 1 65 De vera et falsa poenitencia 367 s. Anm. 956 Epistola ad Ieronymum 241, 1 387, 1 Liher retractationum 533, 1 2 Quaestiones Veteris e t Novi Testamenti 344, 22 561 , 1 0 Sermo LXIX : 1 60, 5 578, 23 (;Iossae 1 30, 1 9 1 62, 6. 23 1 65, 2. 6 1 73, 1 1 1 78, 30 1 83, 8 1 84, 1 1 86, 2 1 92,17 1 93, 5 1 94, 1 4 200, 20 202, 18 2 1 2 , 27 2 1 3, 22 215, 7 238, 9 240, 1 4 241 , 5 278, 1 7. 25 279, 3 283, 1 4 294, 2 298 s. Anm. 6 1 7 309, 25 3 1 1 , 10 339, 6 . 2 4 340, 9 343, 1 345, 1 8 346 s. Anm. 854 351 , 24 463, 1 3 520, 1 6 529, 1 9 537, 17 539, 1 9 540, 1 8 541 , 1 5 542, 7. 26 572, 1 8 573, 2 s. Anm. 1 874 580, 5 582 s. Anm. 1 926 584 s. Anm. 1 934 Augustinus Triumphus (de Anco­ na) , Summa de ecclesiastica potestate 329 s. Anm. 761 342 s. Anm. 828 A verroes, Commentarius 55, 24 56, 13 87 s. Anm. 3 1 7 =

=

Basilius, (;Iossae 1 76, 2 1 283, 21 Beda Homiliae II 1 6 : 1 30 s. Anm. 485

(;Iossae 288, 1 3 312, 19 518, 18 529, 28 530, 26 Bernhardus Claraevallensis De consideratione 1 77, 6 1 79. 2 1 1 81 , 1 0 262, 1 0 263, 3 329 s. Anm. 761 446, 3 456, 1 8 460 s. Anm. 1 337 474 s. Anm. 1 401 488. 24 514 s. Anm. 1 553 526, 15 527, 22 553 s. Anm. 1 755 556, 1 3-559, 28 561 , 1 1-565, 1 5 568, 7. 22 575, 28 576, 29 584, 5 596, 1 2 D e morihus e t officio episco­ porum (Ad ardJ.iepiscopum Senonensem) 1 69, 26 1 73, 23 1 84, 1 0 565, 2 1 566, 1 0 Bonifacius VIII. papa Apostolica sedes 490 s. Anm. 1 457 Clericis laicos 448 s. Anm. 1290 48 1 s. Anm. 1 422 Declaraciones, quas 449 s. Anm. 1 291 Felicis recordationis 46 1 s. Anm. 1 340 Romano pontifici 490 s. Anm . 1 457 Super cathedram 475 s. Anm. 1 409 Unam sanctam 1 33 s. Anm. 493 398, 4 ff. 399, 9 412, 1 1 416,16 440, 3 5 1 4 s. Anm. 1 553 Liher VI 229, 3 263 s. Anm. 440 270 s. Anm. 469 277 s. Anm. 494 293 s. Anm. 590 298 s. Anm. 6 1 7 448 s. Anm. 1 290 461 s. Anm. 1 340 495 s. Anm. 1475 Breviarium Romanum 391 , 1 9 Cassiodorus, Variae I 1 : 1 f. Cato v. Pseudo-Cato Chrysostomus De compunctione I 1 0 : 258, 1 8 D e sacerdotio 1 91 , 1 4 234, 25 251 , 2 7 51 1 , 1 5 598, 1 (;lossae 1 63, 1 8 1 65, 22 1 67, 1 5 1 75, 1 8 1 90 s. Anm. 1 75 h 207, 2 1 220, 22 235, 23 283 s. Anm. 523 433 s. Anm. 1 226 520, 2 1 567, 7 578, 20 591 , 6 Cicero, De officiis I 4 : 17, 6 I 7 : 5 , 2 6 1 36, 23 504, 5 I 8 : 98, 1 9 1 1 0, 8 I 1 7 : 505, 1 9 II;III: 332

Bibelzitate s.

Anm. 775 1 1 1 4 : 300 s . Anm. 624 Clemens V. papa Clementinae (Liber VII) 1 57 s. Anm. 71 440 s. Anm. 1 253 448 s. Anm. 1 290 450 s. Anm. 1 298 475 s. Anm. 1 409 484, 16 599 s. Anm. 2019 Meruit 398, 22 Pastoralis cura 440 s. Anm. 1 253 450 s. Anm. 1 298 484, 16 485 s. Anm. 1 440 494 s . Anm. 1 474 Romani principes 1 57 s. Anm. 71 450 s. Anm. 1 298 490 s. Anm. 1 457 599 s. Anm. 2019 v. Pseudo-Clemens Corpus iuris canonici v. Decretum Gratiani ; Gregorius IX., Decretales ; Bonifacius VIII., Liber VI ; Clemens V. ; lohannes XXII. Extravagantes communes, Extravagantes loh. XXII. Corpus iuris civilis, Codex Iustiniani 334 s. Anm. 781 344 s. Anm. 841 373 s . Anm . 979 u. 982 4 1 9 s. Anm. 1 1 76 474 s. Anm. 1 398 Institutiones 304 s. Anm. 642 Digesta 304 s. Anm. 642 Novellae 344 s. Anm. 841

1139

G alenus, De foetuum formatione 88, 1 Gelasius papa 353 s. Anm. 888 Gerbert v. Aurillac (Pseudo-Am­ brosius) , De dignitate sacerdotali 500 s. Anm. 1 494 Glossa interlinearis 1 62, 1 1 65, 2 1 67, 1 0 1 80 s. Anm. 1 5 1 1 96, 1 6 238, 5 304 s . Anm. 643 324, 1 8 . 26 364, 5. 24 f. 533, 4 536, 24 577 s. Anm. 1 904 Glossa ordinaria 1 30, 1 9 1 67, 1 1 1 90, 1 200, 5 238, 6. 9 259, 7. 1 0 289, 1 0 291 , 1 1 292, 20 293, 4 297, 1 299, 1 8 301 , 23 302, 1 . 1 2 3 1 1 , 8 3 1 3, 2 1 . 27 321 , 28 322, 9 329. 2 344, 4 356, 20 364, 27 5 1 9 s. Anm . 1 572 52 1 s. Anm. 1 588 533, 2 537, 17 567, 1 8 Gratianus, Decretum 263 s. Anm. 440 298 s. Anm. 6 1 7 379 s. Anm. 1 002 387 s. Anm . 1 034-1 036 446 s. Anm. 1 282 Gregorius Magnus papa Moralia 1 79, 1 1 244, 2 Glossae 1 79 s. Anm. 1 47 244 s. Anm. 377 547 s. Anm. 1 720 580, 5 Gregorius IV., Epist. I : 446 s. Anm. 1 282 Gregorius IX., Decretales 448 s. Anm. 1 290

D ante, Monarchia 1 1 8 s. Anm. 429 Decretales Gregorii IX. v. Grego­ rius IX. Decretum Gratiani v. Gratianus Dietrich v. Niem, Avisamenta 1 74 s. Anm. 1 3 1 432 s. Anm. 1221 De modis 567 s. Anm. 1 843 Dioscorus Alexandrinus 409, 2 s. Anm. 1 1 26 v. Pseudo-lsidorus Dnranti, Guillelmus, De modo con­ cilii generalis celebrandi 461 s. Anm. 1 340

H aimo 1 92 s. Anm. 1 84 Heimburg, Gregor v., Apologia 350 s. Anm. 871 357 s. Anm. 9 1 5 Hieronymus v. leronymus Hilarius v. Ylarius Honorius imp. epist. 407, 1 1 Hugo v. St. Victor 374, 22 Hus, Hussitische Tractate 209 s. Anm. 252 301 s. Anm. 631

E xtravagantes communes 398 s. Anm. 1 077 449 s. Anm. 1 291 Extravagantes Johannis XXII. 279 s. Anm. 508 294 s. Anm. 599 440 s . Anm. 1 253

lacobellus 209 s. Anm. 252 leronymus Ad Augustinum 241 s. Anm. 370 529, 1 9

1 140

Anhang

Ad Evangelum 329, 23 333, 4 334, 1 5 345, 22 355, 2 1 458, 22 523, 3 546, 1 555, 1 0 D e viris illustribus 346 s . Anm. 849 Glossae 74, 8 1 67 s. Anm. 1 07 1 68, 1 0 1 90, 2 200, 5 205, 6 207, 29 284, 10 288, 9. 25 299 s. Anm. 620 31 1 , 22 329, 2 343, 8 365, 5 385, 1 4 52 1 , 24 529, 1 9 540, 22 541 , 24 542, 7. 20. 26 556, 6 560, 6 577, 27 578, 21 587, 1 v. Pseudo-Ieronymus Ylarius Ad Constantium Augustum 236, 1 550, 1 6 Contra Auxentium 236, 1 7 Innocentius III. papa, Venerabilem 492 s. Anm. 1 464 496 s. Anm. 1 476 Iohannes Diaconus, Vita Gregorii Magni 447 s . Anm. 1 288 Iohannes Parisiensis, De potestate regia et papali 46 s. Anm . 1 58 1 1 8 s. Anm. 429 Iohannes XXII. papa Ad conditorem canonum 279 s. Anm. 508 285 s. Anm. 533 303 s. Anm. 641 41 2 s. Anm. 1 1 42 42 1 s. Anm. 1 1 78 450, 1 7 Cum inter nonnullos 294 s. Anm. 599 397 s. Anm. 1 074 421 s. Anm. 1 1 78 Si fratrum et coepiscoporum 440 s. Anm. 1 253 Quia nonnumquam 388 s. Anm. 1 042 Quia quorundam 294 s. Anm. 599 298 s. Anm. 6 1 7 Quia vir reprobus 307 s. Anm. 655 1 . Prozefl (Monitorium) 1 57 s. Anm. 71 416 s. Anm. 1 1 64 440 s. Anm. 1 253 456, 1 5 490 s. Anm. 1 457 492 s. Anm . 1 464 497 s. Anm. 1 483 498 s. Anm. 1 486 5 1 0 s. Anm. 1 539 586 s. Anm. 1 940 599 s. Anm. 201 9

3. Prozefl (Excommunications­ bulle vom 23. März 1 324) 1 34 s. Anm . 498 493 s . Anm. 1 466 499 s. Anm. 1 493 502 s. Anm . 1 500 508 s. Anm. 1 532 4. Prozefl 493 s. Anm. 1 466 Bullen von April und Oktober 1 327 500 s. Anm. 1 497 Bulle an Erzbischof von Köln ( 1 324) 493 s. Anm. 1 466 Isidorus v. Pseudo-Isidorus Ivo von Chartres 387 s. Anm. 1 034 - 1 036 446 s. Anm. 1 282 L anduHus Colonna 600 s . Anm. 2020 Leo I. papa, Decretales epistolae 404, 4 408, 9 446 s. Anm. 1 282 Liber pontificalis 473 s. Anm. 1 388 Liutprand, Historia Ottonis 473 s. Anm. 1 388 Marcianus imp. 405, 1 1 406, 1 2 Marsilius Patavinus 159 s. Anm. 78 a 380 s. Anm. 1 004 390 s. Anm. 1 044 452 s. Anm. 1 304 493 s. Anm. 1 466 Defensor Pacis : 1 27 s. Anm. 473 493 s. Anm. 1 466 61 1 , 22 De translatione imperii : 600 s. Anm. 2020 Martinus Oppaviensis (Polonus) 1 31 s. Anm . 487 396 s. Anm. 1 072 4 1 9 s. Anm. 1 1 74 430, 4 468 s. Anm. 1 373 472, 14 473, 1 474, 19 f. 478, 20 479, 1 4 572 s. Anm. 1 869 Missale Romanum, Praefatio solem­ nis de apostolis 537, 27 Nicolaus III., Exiit q ui seminat 270 s. Anm. 469 277 s. Anm. 494 293 s. Anm. 590 298 s. Anm. 6 1 7 Fundamenta militantis ecclesiae 263 s. Anm. 440 O laus, Petrus, Annales 454 s. Anm. 1313 Origines, Glossae 1 68, 1 7 1 75, 9 1 76, 8

Bibelzitate Petrus Lombardus (Magister [sen­ tentiarum] ) Libri sententiarum 200 s . Anm. 2 1 3 u. 2 1 5 201 , 20 202, 1 0. 21 ff. 203 passim 204, 10 205, 23 206, 6 207, 29 208, 4. 29 2 1 6, 27 2 1 7, 1 2 . 1 8 246, 25 328 s. Anm. 753 367, 2 ff. 5 1 3, 7 ff. Collectanea in epistolas S. Pauli 1 44 s. Anm . 27 1 45 s. Anm. 3 1 1 47, 29 1 49, 5 1 78, 1 1 . 30 1 79, 1 1 1 83 s. Anm. 1 6 1 1 84-188 1 90,17 1 92, 15 1 93, 5 1 94, 5. 1 4 2 1 2, 27 244, 2 278, 26 279, 3 290 s. Anm. 567 309, 26 339, 7 ff. 340, 9 343, 18 346, 1 7 349, 5 351 , 24 356, 3 1 357, 4 365, 5 422, 1 7 521 , 24 529, 1 9. 2 1 539, 1 9 540, 18. 22 541 , 15. 24 542, 7 ff. 580, 4 583, 27 f. Phaedrus, Fabulae 466 s. Anm. 1 363 498 s. Anm. 1 487 Philippe de Meziere, Somnium viridarii 228 s. Anm. 322 422 s. Anm. 1 262 452 s. Anm. 1 303 Pseudo-Cato, Disticha 466 s. Anm. 1 363 Pseudo-Clemens, Epistola 518, 27 531 , 1 5 Recognitiones 345 s . Anm. 844 Pseudo-Ieronymus, Symboli expla­ natio ad Damasum 387, 20 525, 24 554, 1 1 Pseudo-Isidorus, Decretales 263 s. Anm. 440 345 s . Anm. 845 348, 9 353 s. Anm. 888 376, 20 378, 1 2 379 s. Anm. 1 000 380, 18 381 s. Anm. 1 0 1 0 388, 24, 392, 23 396, 5 397, 25 400, 14 403, 1 1 ff. 404, 1 ff. 405, 1 3 ff. 406, 1 2 ff. 407, 7 ff. 408, 7 ff. 409, 2 ff. 429, 4 437, 20 5 1 8, 27 522, 8 524, 5 525, 1. 9 446 s. Anm. 1 282 470, 25 53 1 , 20 543, 26 552, 16 553, 20 554, 5 572, 1 6 R ahanus Maurus, Glossae 1 30 s . Anm. 485 200 s. Anm. 2 1 3 288 s . Anm. 554 364, 27 385, 1 0 434, 25 534, 7 577 s. Anm. 1 908

1 141

Ragusanus v. Stojkovic Remigius 560, 8 Richardus de S. Victore, De pot­ estate ligandi et solvendi 20 1 , 23 203, 26 204 s. Anm . 230 205, 1 7 Rokycana, Iohannes 378 s. Anm. 998 S allustius Catilina 79, 5 Iugurtha 4, 8 Seneca, Epist. 257, 9 Stojkovic, Iohannes episc. Ragu­ sanus 378 s. Anm. 998 Theodosius II . imp. 408-409 Theophylactes 1 63, 7 288, 1 6. 26 5 1 9, 29 520, 20 521 , 3 547, 24 Thomas Aquinas Summa theologiae 292 s. Anm. 586 328 s. Anm. 753 Catena aurea 1 62, 6. 23 1 63, 7 ff. 1 65, 6 ff. 1 66, 15 ff. 1 67, 15 1 68, 1 0 ff. 1 73, 1 1 1 75, 9 ff. 1 76, 4 ff. 1 90 s. Anm. 1 75 b 200 s. Anm. 2 1 3 u. 2 1 5 207, 23 ff. 235 s. Anm . 350 243 s. Anm. 375 278 s . Anm. 501 283 s. Anm. 523 u. 526 284, 10 288, 9 ff. 31 1 , 10 ff. 312, 1 9 385, 1 0 433 s. Anm. 1 226 434 s . Anm. 1 23 1 518, 1 8 5 1 9, 1 6. 29 520, 1 1 ff. 521 , 3 ff. 533, 13 534 s. Anm. 1 637 537, 17 547, 1 8 ff. 560, 6 ff. 567, 7 ff. 573, 2 577, 1 4. 27 578, 20 f. 587, 1 Commentarius in Aristotelem 274, 27 389, 4 582, 1 2 Ubertino da Casale, Responsio 270 s. Anm. 469 305 s. Anm . 647 Uguccio Pisanus 1 39, 23 Valentinianus III. irup. 405, 23 408, 31 409, 1 Vergilius, Aeneis 7 s. Anm. 25 Vita Gregorii Magni 333 s. Anm. 780 447, 1 6

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Wort- und Sachregister Bei der Zusammenstellung wurden die Register in den Ausgaben von R. Scholz und C. W. Previte-Orton herangezogen. Das Bezeichnungs­ reservoir des Defensor pacis ist im folgenden von zwei Gesichtspunkten aus verzeichnet und entsprechend behandelt : 1. Die philosophischen, staatstheoretischen, kirchenrechtlichen und ähnlichen wichtigen Termini und Begriffe werden jeweils nach Text- und Erörterungszusammenhang geordnet und kurz erläutert. 2. Bei semasiologisch, d. h. wegen ihrer Ab­ weichung vom 'klassisch'-normativen Sprachgebrauch interessanten Wör­ tern ist die deutsche Übersetzung der einzelnen Bedeutungsnuancen bei­ gefügt. In beiden Gruppen erwies sich irrfolge der Häufigkeit und stän­ digen Wiederkehr bestimmter Ausdrücke ein lückenloses Erfassen sämt­ licher Belegstellen als nicht erstrebenswert, unnötig und unpraktisch. abbas 433, 23 455, 17 460, 27. abdicacio (dominii) 278, 8. 1 1 abdicare 277, 28 u. ö. abstinencia 1 48, 7 410, 30 447, 1 3 . abundans 1 ) überflüssig 8, 2 0 2 ) übermäßig 1 04 , 20. accepcio Auffassung 49, 1 6 s. accipere annehmen, auffassen 2 1 , 6. 8 u. ö. accidere Akzidens sein 53, 1 226, 13. 1 7 . accio 1 ) acciones - passiones die aktiven (von innen) und passiven (von außen hervorgerufenen) Vorgänge im Menschen 1 8 , 6 2 1 , 9. 20 bis 24, 9 33, 2 1 1 46, 24-1 47, 18 2 ) Tätigkeit 3 ) Freiheit des Handeins 452, 7 4) Wirkung, Einwirkung, Wirksamkeit 5, 14 1 29, 28 1 47, 1 2 5) a . honorabilior, nobilior, perfectior des Priesters (bei Eucharistie) als Argument für Vorrang der Kirche auf allen (d. h. auch polit.) Gebieten 1 56, 3 1 -1 57, 8 592, 26 ff., widerlegt : 593, 9 ff. actualis in einer konkreten Handlung sich betätigend, Gegensatz : habitualis, habituatus 270, 1 8 282, 29 285, 4 ; daher : betätigt, aktualisiert, wirklich, tatsächlich 272, 5; culpa actualis die aktuelle persönliche Schuld des einzelnen im Gegensatz zur culpa originalis = Erbsünde 3 1 , 2 1 29, 1 . actus 1 ) secundum actum, in actu in Wirklichkeit ; Gegensatz : in potencia (Möglichkeit) 85, 2 2 ) Betätigung ; Gegensatz : habitus 270, 7 285, 3 ; vgl. actualis 3) Einteilung in : actus immanentes - transeuntes 29, 2 33, 1 f. u. ö. nach Definition 22, 1 7 f. 4) a. imperatus vom freien Willen bestimmte Handlung 49, 7 22 1 , 20-222, 3 1 5 ) actus conten­ ciosi, seculares Streitsachen, Prozesse 1 94, 1 6) actus humani das Handeln der Menschen 48, 3 5 1 , 17 225, 1 u . ö. affeccio, -iones erklärt 58, 8 : . (absque) appetitu, id est affeccione aliqua ; also Affiziertsein von einer inneren Regung oder einem äußeren Eindruck ( Willensregung, Wollen, Streben, Verlangen) Gemütsverfassung, Einstellung ; 222, 1 1 ff. verwandt zur Inter­ pretation der actus humani absque mentis imperio provenientes ; a. perversa 9, 1 2 52, 23. 25 (Unterschied : recta . . . et p. a., bei dem iudicans) 59, 13 ( sinistra a., praezisiert als carnalis concupiscen­ cia) 60, 1 (ersetzt durch passio perversa) 8 1 , 13 (als Gefahr bei dem principans) ; a. perv. bei den Romani episcopi 1 37, 1 4 =

. .

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Wort- und Sachregister

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207, 1. 4 f. 397, 6 f. ; vernünftiger Urteiler, quem sinistra non per­ turbat a. 503, 1 514, 1 3 . agricultura 20, 1 4 2 3 , 3 f . 3 5 , 7 454, 1 . amor ad policiam 82, 9 84, 1 . 6 f. (Ar. : cpt).ta neo-; -c�v nokcstav)o analogia 1 2 , 1 1 87, 22. anima 1 ) seelisch-geistige Struktur d. Menschen 33, 3 59, 1 7 ; psycholog. Funktionen : 22-23 acciones et passiones ; typolog. Aufgliederung in anime ('Lebensarten' arist. ßlot ) sowie partes (particule) anime : 1 6, 19 a. practice et speculative ; 23, 1 f. nutritiva pars a. ; 589, 1 ff. irracionales et nutritive p., racionales et appetitive p. a. (als metaphor. Bild verwertet) ; zum Erkenntnisvorgang s. 1 47, 1 5 ; z u den Willensvorgängen, zur Willensfreiheit s . 2 2 1 ff. 2 ) 'Lebens­ kraft ', Wachstumsvorgang in Botanik : 422, 26 anima vegetans der Pflanze (Vergleich) 3 ) zur Metempsychose 26, 26 ff. 4) a. vita 2 1 , 8 im Anschluß an vivere-Definition (nach Arist.- Thomo) 5) anima universitatis (civium) 89, 1 90, 7 (bildliche Bezeichnung des principatus (pars principans) als principium factivum civitatis nach arist. Vergleich : 1 1 , 20 civitatem esse velut animatarn . . . naturam quandam) ; im Zusammenhang damit auch 2 1 1 , 2 f. Metapher : anime morbus 6) ähnl. 224, 3 1 fo anima gleichgesetzt mit movens principium, im folgenden (225, 1 ) variiert in sub­ iectum . . . aliquod animaturn ( iudex) 7 ) Verhältnis : anima corpus Metapher in Argumentation für den Vorran g der pontifi­ kalen iurisdiccio : 1 56, 1 ff. sed corpus anime subest . . ; Gleichnis auch 590, 8 ff. (corpus subest anime) , aber anderes Resultat der Beweisführung : 590, 23 iudex coactivus animarum . . . Christus est solus, hingegen : 591 , 2 f. Romanus episcopus . . . est animarum doctor, quemadmodum medicus 8) anima interpretiert in Pau lus­ Zitaten (Röm. 13 omnis anima subdita sit . . . u. 2. Kor. 1, 23 in animam meam) : 1 82, 1 9 1 83, 1 4 ( omnis homo nach Ambrosius) 1 89, 6 1 90, 14 mit der Tendenz, die ausnahmslose Geltung der staatlichen iurisdiccio (d. h. auch über die Geistlichkeit) zu be­ weisen ; s . auch 225, 25 u. ö. 9) 'Seele' in theologischer Sicht : 30, 3 1 99, 2 1 200, 24 f. 204, 1 9 in bezug auf Sündenfall, salus eterna, BuRe etc . ; 1 29, 27 forma anime des Priesters, von Gott eingeprägt. animal 1 ) allg. 'Lebewesen' 1 1 , 2 1 -1 2 , 19 Bau und 1 7 , 4 Lebensweise des a. als Vergleichs- und Erläuterungsmaterial, s . auch 23, 2 37, 3 1 1 7, 8 ff. u. ö. 2 ) spez. 'Tier' 23, 5 J agd auf terrestria, aquatilia et volatilia a. 26, 26 bruta (sc. animalia) . animalis seelisch, belebt 1 1 , 20 ( animatus Ar. lp!pvxo-;). Annaten 462, 7 ff. antecedens das Vorausgehende 1 ) Bedingungs-Vordersatz im Verhältnis zum Nachsatz 2 ) logische Voraussetzung 1 1 4, 5. apocrypha 354, 22 437, 15 532, 4. apologia apologus Fabel 498, 9. apostoli Erben u. Nachfolger Christi : 3, 9 ff. 1 28, 14 ff. (collcgae) ; Auftrag (Matth. 28) : 1 28 1 99, 40 ff. 335, 26 530, 1 0 u. Ö o : Lehramt und Sakramentsverwaltung : 1 29 1 99 ; ap . zur Charakterisierung der frühesten Zeitstufe in der Geschichte d. ecclesia Christi : 1 45, 1 0 0 0

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Anhang

212, 13 ( . . . et ecclesia primitiva) ; Eigentumsfrage diskutiert am exemplum Christi et apostolorum ; s. paupertas, dominium, tem­ poralia, usus, necessaria etc. : 293, 19 ( Güterverteilung an pauperes) 302, 1 0-325, 8 335 u. ö. ; Ranggleichheit (equalitas) der ap. 1 74, 20 337-355 ; gemeinsames Vorgehen a) in Verwaltungsangelegen­ heiten der Gemeinde : 341 , 4 359, 4. 19 ff. (communis deliberacio, voluntas . . . omnium ap.-orum) 360, 20 ff. Streitschlichtung, 364, 2 ff. Diakonenwahl ; b) bei Differenzen in Schriftauslegung (congre­ gacio ap.-orum als Vorbild f. Generalkonzil) : 395, 26 ff. 432, 15 bis 433, 24; Frage des Primats Petri unter den apostoli 5 1 9, 5 ff. bis 523, 10 530, 3 ff. 569, 10 ff. u. ö . ; Christus spricht den apostoli und ihren Nachfolgern weltliche Machtbefugnis ab 1 97, 28 ff. u. ö . ; Abweichen der episcopi Romani v. Praxis der apostoli 449, 3 ff. 467, 20 ff. ; Übertragung der auctoritas episcopalis auf ap. 356, 22 u. ö. appellacio Anspruch der Kurie, als Berufungsinstanz für communitates, collegia etc. zu gelten 495, 1 1 f. ; dagegen 610, 10 legislator (hu­ manus) als höchste Appellationsinstanz (mit Rückverweisen auf I 15 u. Il 22 ) , s. auch iudicium, legislator. appetitus = Ar. oes�u; 1 ) neben cognicio (als Konträrbegriff ; Ar. ouivota ) Motiv für actus humani : 23, 27 29, 1 33, 2 222, 1 0 (neben intellec­ tus ; 222, 6 durch desiderium ersetzt) ; 58, 8 unter affecciones klassifiziert 2 ) in polit. Beziehung : Streben, Einstellung : 72, 7 rectus appetitus ad policiam u. ö. apprehendere lernen 1 46, 8 (ital. appri'mdere ; frz. : apprendre) . approbare, approbacio 1) Bestätigung 490, 26 f. = confirmacio 490, 1 9 2 ) Bestätigung der formalen Korrektheit eines Gesetzes, zugleich endgültige Annahme in der Volksversammlung 64, 6 69, 4 76, 27 3 ) endgültige Formulierung und Inkraftsetzung des vom Volke beratenen Gesetzentwurfs durch das Volk selbst oder eine von ihm beauftragte Kommission 77, 1 0-20 Bestätigung eines in der Volksversammlung angenommenen Gesetzes durch eine andere Instanz gibt es nicht, vgl. 492, 2-8 4) Zulassung (eleccio seu ap­ probacio) zur Ausübung eines Berufs 365, 1 1 . 27 5) approbatus erprobt, bewährt 369, 20 376, 1 9. arbitrium 1 ) richterliche u. polit. Entscheidung (Willensbekundung) nach freiem Ermessen : 53-58 (a. iudicantis dem Begriff 'lex' gegen­ übergestellt) 60, 9 74, 19 80, 15 8 1 , 12 (Risiko des proprium a . principantis bzw. pauciorum für legislacio etc.) s. auch lex, iudex, iudicium 2 ) 'Menschenwille ' : 62, 15. 20 (humanum a. gegen­ über dem opus Dei = lex Mosaica) . arcere 1 ) zwingen 236, 1 6 365, 1 8 vgl. 368, 1 6 f. 2 ) bestrafen 225, 3. 1 1 . archidiaconus 332, 1 4 333, 1 4. archiepiscopus 1 89, 1 9 a. Remensis 490, 10. argentarius Silberschmied 249, 4. aristocracia 37, 1 9 46, 1 ff. (in Aufzählung d. Verfassungsformen) 38, 5 ff. (definiert als gemäßigt. Regime d. honorabilitas) 83, 22 ff. 1 1 3, 1 0 (Beispielfall für plures principantes) ; civitas aristocratizans 71 , 1 3 ( = Ar. n6Ät!;' deun:oxea-rovf.UW1J) hier nicht als verfassungstheoreti-

Wort- und Sachregister

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scher t. t., sondern im eigentlichen Wortsinne interpretiert : (civi­ tas . . .) secundum virtutem gubernata. armati, armata potencia 82, 1 4-83, 17. 23 ff. (notwendiges Organ des principans z. Aufrechterhaltung d. öffentl. Ordnung) 1 88, 22 (zur Vaterlandsverteidigung, doch Klerus dafür nicht zuständig) 465, 12 ff. (Dan . 1 1 , Deutung der ferrea pars des Standbildes) 471 , 1 4 f. (Geistlichkeit des frühen Christentums verfügte nicht über a. p.) 508, 2 (Ansteigen der päpstl. Machtfülle) . ars 1) das vom Menschen künstlich Geschaffene, Gegensatz : natura (rexv'TJ - rp'l5at�) 7 1 , 17 1 1 4, 24 2) menschliche Schöpferkraft 1 3, 1 8 ; Technik 1 1 7, 25, Gegensatz : natura ; vgl. das Aristoteleszitat 1 1 7, 25 3) unter der Rubrik 'Aufgliederung der civitas in partes' zur Bezeichnung bestimmter Berufsklassen : Handwerk, Technik, meist neben : disciplina 1 5, 19. 26 34, 26 55, 19 ff. 56, 7 248, 27-249, 1 607, 2 1 609, 22 4) Praxis, gegenübergestellt : racio bzw. doctrina " 1 1 6, 16 1 1 8, 5 306, 7 (ars operativa) 5) Befähigung, Fähigkeit 18, 1 0 2 2 , 4 9 1 , 6 f . 6) Kunst, Spezialfach : a. pictoria (Malerei) 23, 20 musica 56, 8 (Beispiel nach Arist.) rhetorica, loyca (= logica) 56, 18 ff. (Erfindung) a. sophistica 316, 3. artifex 1) Meister 595, 22 2) Künstler, Techniker, Handwerker 73, 1 5 ; artificium Technik, Handwerk 22, 26. assignare 1 ) zuweisen 27, 3 2) hervorheben, betonen, (endgültig) fest­ stellen, angeben 24, 20 58, 26 66, 17 278, 26 290, 1 3. assumere 1 ) als Prämisse aufstellen 68, 8 2) als Untersatz dazunehmen 590, 8 f. 592, 19 3) übernehmen 308, 30 4) ad principatum ass. auf den Thron erheben 94, 29 ff. 5) in eine Gesellschaft aufnehmen 229, 19 6) beanspruchen 446, 22 451 , 24 7) heranziehen 397, 1 f. astrologia 56, 4. astrologus 591 , 25. attendere 1 ) beachten, achten auf 46, 1 7 ; mit Abi. 54, 27 2) bemerken, be­ obachten 1 09, 16 3) attenditur ist gemeint, kommt in Betracht, ist zu beachten 1 04, 4 f. 1 1 2 , 3 2 1 3, 6 427, 1 597, 2. 6 4) erwarten 82, 6 1 0 1 , 13 5) intendere erstreben 1 02, 1 0. auctoritas 1) Vollmacht, Ermächtigung 2) Autorität 3) autoritatives Bibel-(bzw. Kirchenschriftsteller-) zitat (in Argumentation) 9, 1 4 1 40, 2 1 42, 1 6 1 52, 1 8 202, 1 1 256, 9 5 1 4, 1 2 532, 20 4 ) Befugnis, Machtvollkommenheit 375, 13 ff. 383, 3 f. 5) Instanz 64, 5 6) Rechts­ kraft 62, 1 0. aurifaber 252, 1 auch : aurifex 249, 4 ( Goldschmiedberuf als Erläuterungs­ material, wie medicus) . avaricia meist im Gegensatz zur exemplarischen paupertas Christi : 284, 1 6 ff. 415, 22 (insaciabilis a. des Papstes) 473, 1 7 f. 5 1 4, 1 ff. (Lasterkatalog) u. ö. =

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baptismus z. Taufgebot Christi (Matth . 28) : 1 99, 1 5 ff. ; z. Taufakt im fremden Amtsbereich (provincia) : 358, 15 ff. ; über staatl. Zwang (des legislator oder principans) zum Sakramentsdienst, z. B. Taufe : 368, 1 9 370, 1 0. basi] ica Kirchenbau ohne Zustimmung des legislator : 372, 1 4 f.

Anhang

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begini (in Italien) fratres gaudentes genannt 229, 8. bellum iustum 44, 1 (als licitus modus des Landerwerbs) 568, 1 3 (in Er­ klärung des Bernhard-Wortes vom Gebrauch des gladius tempo­ ralis 'ad nutum sacerdotis' von Marsilius verstanden als geist­ liches Gutachten 'utrum iuste' bei Kriegsanlässen) ; sonst necessitas bellorum 481 , 3 (Steuererhöhungen u. a.) . beneficium, -ia 1 ) Wohltaten : 42, 2 1 4. Art der Monarchie : Kulturtaten der heroes dargelegt ( Arist. newrot svseyirat) 2 ) beneficia eccle­ siastica : Stiftungen, Pfründen ; als 'moderner Sprachgebrauch' für temporalia bezeichnet : 335, 17 356, 4 365, 20 413, 24 u. ö . ; Frage der distribucio : 260, 1 1 (im Frühchristentum) 37 1 , 5-375, 9 : 372, 25 (Maß­ nahmen d. franz. Könige) 373, 1 0 (Verordnung d. röm. Kaiser lex Romana) ; Obliegenheit des universalis legislator fidelis Ge­ neralkonzil : 383, 5 ff. 413, 24 607, 1 4 ; Mißbrauch der röm. Kurie : 40 1 , 6 415, 25 42 1 , 22 ff. 462, 2 (Testierverbot für ecclesiasticum b. obtinentes) 462, 9 (Einkünfte bei Vakanz) 50 1 , 1 2 506, 1 7 (päpstl. Finanzpolitik, Einmischung in Belange d. princeps Romanus 508, 9 (Unruhestiftung in Alamania) 528, 1 3 u. ö. biblia Bezeichnungen der Hl. Schrift : Biblia, volumen Biblie : 28, 1 2 1 5 1 , 23 388, 4 390, 6 529, 1 ; (sacra) scriptura 1 52, 1 8 ff. 1 98, 1 7 2 1 2 , 2 244, 7 253, 1 4 272, 22 ; evangelica scriptura : 1 90, 6 ; divina scriptura : 603, 2 1 ; canonica scriptura, canon sacer 1 40, 2 ff. 1 42, 1 5 ff. 237, 1 1 376, 1 8 ff. 381 , 22 384, 23 ff. 386, 26 (nicht menschliche Erfindung, sondern göttliche Inspiration) 388, 4 5 1 4, 1 2 528, 23 ff. 529, 9 550, 24 ff. 559, 8 603, 2 1 ff. ; Methoden und Kategorien d. Bibel­ erklärung : sensus literalis, mysticus, allegoricus, metaphoricus : 1 58, 30 1 64, 9 1 66, 1 1 vgl. 400, 1 4 1 3, 2 439, 27 529, 9 ff. ; exposicio, interpretacio : Konsultierung u. Exegese d. Hl. Schrift in versch. Zu­ sammenhang: 283, 15 :ff. (paupertas-Frage, vgl. 298, 25 ff.) 375, 21 :ff . (Belegbarkeit der päpstl. potestas) 443, 9 :ff . (Heilsnotwendigkeit) 560, 1 :ff. 561 , 1 6 (Stellung d. Petrus) 567, 4. 23 ff. (Zwei-Schwerter­ Theorie) ; interpretacio et determinacio : Beschlüsse d. Konzilien zur Deutung unklarer Schriftstellen : 384, 27 469, 29 603, 21 :ff. bladum Getreide 25, 1 0. boatus b. poetici verbarum s chwülstige, geräuschvolle Erdichtungen, WOrtverdrehungen 482, 26. =

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calor, caliditas spiritus ("Lebensglut" bei Entstehung der Lebewesen) 88, 7 f. 90, 1 1 . 15. 1 7. 20. calumpnia 1 ) (geistiger) Angriff 350, 16 2 ) Verdrehung, Rechtsbeugung 483, 1 1 3 ) Verleumdung 464, 27. canon regula, mensura (Richtschnur) 388, 8 400, 1 3. canonici 452, 1 9 . 23. capitaneus, -eatus "moderne" Bezeichnung für dux exercitus, impe­ rator 4 1 , 15 332 , 9 :ff. 333, 1 1 . caracter s acerdotalis erklärt als besonderer habitus anime (oder forma anime) des Priesters : von Gott eingeprägt 1 29, 27 326, 23 336, 5 362, 29 422, 28 f. 573, 16 :ff . ; wird evident in Verwaltung des Sakraments der Eucharistie 2 1 5, 14 327, 3 :ff. und in potestas sol=

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vendi 327, 19 ff. 328, 1 6 ; Weitergabe durch Handauflegung (impo­ sicio manuum) 328, 1 1 ff. ; kennt keine Abstufung nach Amtsgraden 328 ff. 334, 3 530, 27 ; Verhalten der weltlichen legislatores gegen­ über car. sacerd. 47 1 , 4 ; wichtig hi erbei die Unterscheidung einer essencialis und accidentalis dignitas des Priesters, dargelegt II 1 5, bes. 326, 1 7-328. cardinales, cardinalatus Stellung in Amtshierarchie der ecclesia : 1 44, 1 7 ff. institucio ist durch Generalkonzil einzuschränken : 457, 1 0. 20 ; Teilnahme und Unterstützung päpstlicher Macht­ ansprüche : 450, 22 ; häufig in Zusammenhang mit Papst genannt (s. papa) als dessen collegium clericorum : 388, 6 ; cetus : 396, 1 7 . 25 397, 1 0 412, 1 3 456, 2 u. ö. ; fratres : 490, 30 ; complices : 5 1 0, 1 7 ; clerici : 515, 1 3 mensarum ministri diaconi 461 , 1 9. caritas 1 ) Gottesliebe: 5, 24 (superna c.) 203, 3 f. 285 ff. 294, 20 ff. 2) Näch­ stenlieb e : 432, 5 f. 447, 4 538, 22 f. 3) Bruder- und Vaterlandsliebe: 7, 23 4) Liebe : 435, 25 560, 1 9 (wie 1. Kor. 1 3) , vgl. lex, ordo, ordinacio caritatis 508, 26 5 1 6, 2 1 . causa 1) afnov Grund, Ursache : a ) efficiens, agens, factiva, effec­ tiva, movens b) formalis c) materialis d) finalis ; vgl. 33-36 e) prima 1 3, 1 1 87, 8 (im Staate der legislator) 250, 2 1 25 1 , 8 f) causae naturales : 2 1 , 1 4. 26 22, 6 g) causa (occulta, primitiva, singularis) civilis discordie 4, 20 ff. 8, 1 7 1 27, 1 0 ff. 1 35, 4 ff. 61 1 , 23 (oft als pestis bezeichnet z . B. 6, 12 7, 1 1 36, 1 1 u. ö.) 2) Zweck : propter pias causas 374, 3. 5 462, 19 607, 1 4. causalitas Wirkursächlichkeif 88, 9 89, 6 90, 8 . .causaliter wirkursächlich 391 , 8. 1 0 . causidici päpstliche Juristen, die die Ansprüche des Papstes vertreten 401 , 7 454, 14 455, 25 ff. 457, 16 u. ö. circumcisio Beschneidung als Beispiel eines vormosaischen preceptum Dei : 30, 2 1 ff. als Streitfrage unter den Aposteln : 341 , 7 ff. 356, 27 u. ö. s. Petrus. dvis, cives 9, 2 1 (aufgegliedert in principantes und subiecti) 64, 1 9 (abge­ grenzt v. pueri, servi, advene, mulieres nach Arist.' noA.tT1],-Defini­ tion) 98, 3 (in Monarchie : Möglichkeit zum principatus zu gelan­ gen, Prüfung der mores) 1 09, 1 1 ff. (Streben nach principatus) 1 26, 1 2 (Verkehr untereinander, gegenseitige Hilfeleistung vgl. communi­ cacio civilis 68, 3 70, 1 7 f.) ; rangmäflige Abstufung (gradus) : 38, 1 4 (in gemäßigt. Demokratie) 64, 22 ; Gesamtheit (universitas civium, universa multitudo) od. ausschlaggebende Majorität (valencior pars) polit. wirksam in c. congregacio generalis (Volksversamm­ lung) als legislator : c. universitas : 63, 18. 25 65, 6 66, 2 70, 2 ff. 7 1 , 24 73, 6 85, 10 ff. 2 1 1 , 1 604, 2 1 u. ö. c. valencior (sanior) pars : an den gleichen Textstellen, bes. 64, 25 ff. (nähere Bestimmung nach Arist. �es'inov ftS(!ot;) ; das Generalkonzil als Verkörperung der valencior pars :fidelium : 393, 15 396, 10 556, 10 603, 30 vgl. conci­ lium ; c. congregacio : 63, 19 76, 20 (congregati cives) 77, 1 ff. (uni­ versitas congregata) 1 1 5, 22 433, 1 1 (civilis congregacio) ; congre­ gacio populi : 1 43, 20 (in der Definition der e��A.17ata) ; congr. homi­ num : 226, 6 ; Repräsentanten der universitas civ. : Wahl 76, 20 77, 1 5 . =

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civilitas eig. 'Verhalten vom Bürger zum Mitbürger'; bei Marsilius iden­ tisch mit civitas (oft Variante in Mss.) oder mit deren Oberbegriff civilis communitas 'bürgerl. Gemeinschaft', 'staatl. Gemeinwesen' : häufige Verbindung : civilitas et (seu) regnum : 5, 6 9, 1 504, 1 5 1 5, 23 ; auch policia s eu civilitas : 73, 1 1 1 06, 26 f. 1 35, 1 6 ; civilitas ac patria 5, 1 6 ; claustra et civilitates : 433, 5 ; dagegen im grundcivitas 1) Stadt (in geogr. Sinne) : 481 , 14 517, 1 2 ; Ar. Zitat : 81 , 1 6 ; Bibel­ zitate : Tit. 1 , 5 : 1 8 1 , 2 330, 9 583, 10 u. ö. ; Paraphrase von Jerem. 29 (nach Augustin) : 1 93, 9 (c. = Babylon) ; im Edikt Constantins (nach Ps. Isidor) : 407, 13 2) Bischofstadt (s. Du Cange s. v. 'civitas') : 330, 6 401 , 16 3) Stadt als staatstheoret. Kategorie : = Ar. :n6J.t