Die Kornwestheimer Tagebücher 1772-1777 [Reprint 2011 ed.] 9783110863420, 9783110071153


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German Pages 520 Year 1978

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Hahns Leben
Der Mensch
Der Pfarrer
Der Pietist und die Pietisten
Der Theologe und Schriftsteller
Der Naturwissenschaftler, Erfinder, Techniker und Unternehmer
Die Überlieferung von Hahns Tagebüchern
Handschriftenbeschreibung für Bd. 1-3 der Tagebücher
Textgestaltung
Anmerkungen und Register
Ausgewählte Literatur
Die Kornwestheimer Tagebücher 1772 - 1777
Tagebuch 1772
Tagebuch 1773
Tagebuch 1774
Tagebuch 1775
Tagebuch 1776
Tagebuch 1777
Bibelstellenregister
Orts- und Personenregister
Sachregister
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Die Kornwestheimer Tagebücher 1772-1777 [Reprint 2011 ed.]
 9783110863420, 9783110071153

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TEXTE ZUR GESCHICHTE DES PIETISMUS ABT. VIII, BAND I

TEXTE ZUR GESCHICHTE DES PIETISMUS IM AUFTRAG DER HISTORISCHEN KOMMISSION ZUR ERFORSCHUNG DES PIETISMUS HERAUSGEGEBEN VON K. ALAND · E. PESCHKE · M. SCHMIDT

ABT. VIII

EINZELGESTALTEN UND SONDERGRUPPEN HERAUSGEGEBEN VON KURT ALAND UND GERHARD SCHÄFER

BANDI

W DE

G WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK

PHILIPP MATTHÄUS HAHN DIE KORNWESTHEIMER TAGEBÜCHER - 1 777

H E R A U S G E G E B E N VON

MARTIN BRECHT UND

RUDOLF F.PAULUS

W DE

G WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Kur^titekintragung der Deutschen Bibliothek Texte zur Geschichte des Pietismus / im Auftr. d. Histor. Komm, zur Erforschung d. Pietismus hrsg. von K. Aland ... - Berlin, New York : de Gruyter Abt. 8, Einzelgestalten und Sondergruppen / hrsg. von Kurt Aland u. Gerhard Schäfer. NE: Aland, Kurt [Hrsg.] ; Evangelische Kirche der Union / Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus. Bd. i -»· Hahn, Philipp Matthäus: Die Kornwestheimer Tagebücher Hahn, Philipp Matthäus: Die Kornwestheimer Tagebücher / Philipp Matthäus Hahn. Hrsg. von Martin Brecht u. Rudolf F. Paulus - Berlin, New York : de Gruyter. 1772-1777. - 1979. (Texte zur Geschichte des Pietismus: Abt. 8, Einzelgestalten und Sondergruppen; Bd.l) ISBN 3-11-007115-0

© 1978 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung - J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp., Berlin 30 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Offizin Chr. Scheufeie, Stuttgart Buchbinder: Wübben & Co., Berlin 42

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

7

Einleitung

9

Hahns Leben

10

Der Mensch

12

Der Pfarrer

17

Der Pietist und die Pietisten

19

Der Theologe und Schriftsteller

24

Der Naturwissenschaf tier, Erfinder, Techniker und Unternehmer ...

29

Die Überlieferung von Hahns Tagebüchern

35

Handschriftenbeschreibung für Bd. 1-3 der Tagebücher

37

Textgestaltung

38

Anmerkungen und Register

39

Ausgewählte Literatur

40

Die Kornwestheimer Tagebücher 1772—7777 Tagebuch 1772

45

Tagebuch 1773

86

Tagebuch 1774

223

Tagebuch 1775

299

Tagebuch 1776

388

Tagebuch 1777

443

Bibelstellenregister

481

Orts- und Personenregister

489

Sachregister

516

Vorwort

Philipp Matthäus Hahn wird bis heute nicht zu den Sternen erster Größe in der Geschichte des Pietismus gezählt. Immerhin ist er mit seiner Verbindung von praktischer Wirksamkeit, theologischem Nachdenken und erfinderischem Genie eine der merkwürdigsten Einzelgestalten dieser Frömmigkeitsbewegung. Mit seinen Tagebüchern hat er eine der reichsten und anschaulichsten Quellen für die Geschichte des späten Pietismus hinterlassen. Die Absicht, die bisher nur auszugsweise veröffentlichten Tagebücher vollständig herauszugeben, hat die beiden Bearbeiter vor Jahren zusammengeführt. Dr. Rudolf F. Paulus, selbst Nachfahre Hahns und Naturwissenschaftler, ausgewiesen durch eine Reihe von Aufsätzen über Hahn und seine Familie, leitete dabei vor allem das Interesse an Hahns Persönlichkeit und seinen Erfindungen. Mir lag daran, Hahns pietistische Wirksamkeit und sein theologisches Denken aufzuhellen. Die schwierige Arbeit einer ersten Übertragung der Tagebücher aus dem schwer zu entziffernden Manuskript in einen maschinenschriftlichen Text wurde von dem Ehepaar Rudolf und Renate Paulus geleistet. Dieser Text wurde von mir erneut mehrfach kollationiert, durchgesehen und in seine jetzige Gestalt gebracht. Die Hahns Erfindungen betreffenden Teile der Einleitung, sowie die einschlägigen Anmerkungen stammen vorwiegend von R. F. Paulus, das Übrige in Einleitung und Anmerkungen vorwiegend von mir, ebenso die Angaben in den Registern. Die Herausgeber haben von verschiedenen Seiten Unterstützung erhalten. Namentlich sei gedankt der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart für die Überlassung der Ablichtungen, der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus für finanzielle Unterstützung und für die Aufnahme der Hahnschen Tagebücher in die Reihe der Texte zur Geschichte des Pietismus und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung des Vorhabens. Mein Vater, Ephorus i. R. Alfred Brecht, Urach, hat nicht wenige Vorschläge zur Verbesserung des Textes beigetragen; mein ehemaliger Assistent Christoph Weismann hat sich um zahlreiche bibliographische und lexikographische Nachweise bemüht; Frau Dr. Dietlinde Goltz, Münster/Westf., hat freundlicherweise medizingeschichtliche Hinweise beigesteuert. Verschiedene Personen haben uns bei der Identifikation von Personen und der Erklärung von Fachausdrücken geholfen. Das Druckmanuskript wurde von Frau Gertrud Merten angefertigt. Bei den Korrekturarbeiten wurde ich von meinem Assistenten Dr. Werner-Ulrich Deetjen, cand. theol. Giselher Werschkull und cand. theol. Hartmut Burg unterstützt. Meine Frau war mir bei der Kontrolle der Register behilflich. Die Herausgeber hoffen, daß diese Ausgabe einen Beitrag zur Geschichte des Pietismus leisten kann. Darüber hinaus wünschen sie sich, daß es auch durch Hahns Tagebücher zu ei-

8

Vorwort

ner neuen Begegnung des heutigen Pietismus mit seiner eigenen Vergangenheit kommt. Die Persönlichkeit und das Denken Hahns in ihrem Reichtum und in ihren Grenzen könnten geeignet sein, eben dies zu ermöglichen. Der zweite, abschließende Band der Tagebücher, der den Zeitraum von 1780-1790, also vor allem die Echterdinger Zeit, umfassen wird, ist in Bearbeitung und soll in absehbarer Zeit folgen. Münster/Westf., im Januar 1978.

MARTIN BRECHT

Einleitung

Obwohl der Pietismus in Württemberg schon früh Fuß gefaßt hat, hat er dort erst relativ spät durch J. A. Bengel (1687-1752) und seine Schüler sein eigenes Profil gewonnen. Er war aber in Württemberg dann auch noch im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ausgesprochen lebendig, als andernorts seine Blütezeit längst vorbei war. Dieser württembergische Spätpietismus ist geprägt worden durch eine Reihe höchst origineller Persönlichkeiten wie Friedrich Christoph Oetinger, Johann Ludwig Fricker, Karl Heinrich Rieger, Johann Friedrich Flattich, Karl Friedrich Harttmann, Magnus Friedrich Roos, Christian Gottlob Pregitzer, Johann Michael Hahn und einige mehr. Eine zureichende, zusammenhängende Darstellung dieses württembergischen Spätpietismus gibt es bis heute nicht, obwohl dies eine ausgesprochen reizvolle und notwendige Aufgabe wäre, bedeutsam auch für das Fortwirken des Pietismus im 19. Jahrhundert. Erst ein solches Gesamtbild würde erkennen lassen, wie vital dieser württembergische Pietismus war, worin seine Gemeinsamkeit und Eigentümlichkeit bestand und welche Entwicklungen, Bewegungen und Spannungen ihm inne wohnten. Zu den berühmten, aber wenig gekannten württembergischen Pietisten ist auch Philipp Matthäus Hahn zu rechnen. Sein Ruhm gründet nicht nur in seiner pietistischen Existenz, Wirksamkeit und Schriftstellerei, sondern gleichzeitig in seiner technischen Erfindergabe, durch die er selbst den ebenfalls naturwissenschaftlich interessierten Oetinger oder Fricker übertrifft. Über Hahn gibt es zwar einige Lebensbeschreibungen und kleinere Arbeiten aus dem vorigen und diesem Jahrhundert1, dazu einige Nachdrucke seiner Erbauungsschriften, aber es fehlt sowohl eine Darstellung seines geschlossenen systematischen theologischen Denkens in seiner Eigenart, etwa auch gegenüber Oetinger, wie auch eine unretouchierte Biographie und eine zusammenhängende Deutung seiner interessanten Persönlichkeit. Das ist insofern merkwürdig, als wir über Hahn außerordentlich gut informiert sind, indem neben Schriften und Briefen für viele Jahre seines Lebens exakte Tagebücher vorliegen, die in gewissem Sinn innerhalb des deutschen Pietismus und der Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts eine einzigartige Quelle darstellen. Diese Tagebücher sollen in dieser Ausgabe erstmals ganz und ungekürzt ediert werden. Die Aufgabe der Einleitung kann und will es dabei nicht sein, diese Quelle selbst erschöpfend auszuwerten. Die Einleitung hat lediglich in die Tagebücher einzuführen und die Horizonte und Aspekte anzugeben, die sich in diesem Text eröffnen.

i Vgl. dazu das Literaturverzeichnis, 8.40/41. Ein kurzer Lebenslauf findet sich im Schwäbischen Magazin von gelehrten Sachen 1777, S. 950-955.

Einleitung

Hahns Leben Hahns Leben ist von ihm selbst in einem autobiographischen Abriß in wichtigen Teilen dargestellt worden2. Er ist am 25.November 1739 als Sohn des Pfarrers Georg Gottfried Hahn in Scharnhausen bei Stuttgart als das Zweitälteste von fünf Kindern aus der ersten Ehe geboren worden. Seine Mutter war Juliana Kunigunde geb. Kaufmann, die Tochter von Georg Gottfried Hahns Amtsvorgänger in Scharnhausen. Sie ist 1752 gestorben. Hahns Vater hat dann in zweiter Ehe Charlotte Dorothea geb. Maichel geheiratet. Als Hahns Vater 1766 als Pfarrer von Ostdorf bei Balingen starb, hat Philipp Matthäus nicht nur die Sorge für das Fortkommen seiner eigenen Geschwister, sondern auch für die Halbgeschwister übernehmen müssen. Die Last dieser Verantwortung macht sich in den Tagebüchern gelegentlich bemerkbar. Hahns Brüder sind später zum Teil seine wichtigsten Mitarbeiter geworden. Das Elternhaus hat Hahn nicht sehr viel Förderung geboten. Er spricht später kaum davon. Der Vater ist 1756 wegen Trunksucht nach Onstmettingen bei Baiingen strafversetzt worden. Wohl über die Verwandtschaft der mütterlichen Seite sind auf Hahn gewisse pietistische Einflüsse zugekommen. So hat ihn der Lebenslauf des Nürnberger Separatisten Tennhardt beeindruckt. Mit 15 Jahren las er JOHANN ARNDTS Wahres Christentum. Durch die ersten Kapitel des ersten Buches vom Ebenbild Gottes und vom Fall »wurde der Grund meiner innerlichen Theologie gelegt, und diese ist auch der ganze Inhalt meiner Erkenntnis.. . 3 « Der spekulative Einschlag von Hahns späterer Theologie und Anthropologie dürfte also sehr frühe Wurzeln haben. Hahns Bildungsweg war insgesamt äußerst beschwerlich, und das ist sichtlich nicht ohne nachteilige Folgen für seine Gesundheit geblieben. Er hat zunächst die Lateinschulen in Esslingen und Nürtingen besucht. Er schaffte es dann aber nicht, in eine der württembergischen Klosterschulen aufgenommen zu werden. Dies wurde insofern folgenreich, als Hahn damit auch die Möglichkeit, im Herzoglichen Theologischen Stipendium in Tübingen frei zu studieren, verbaut war. Infolgedessen mußte er sich durch sein Studium mehr schlecht als recht durchhungern, nur gelegentlich unterstützt durch kleinere Stipendien und Zuschüsse. Sehr wahrscheinlich hat er sich dabei jene gesundheitlichen Schäden (Verdauungstörungen) zugezogen, die später sein Wesen zeitlebens überschattet, seine Arbeitskraft beeinträchtigt und schließlich zu seinem frühen Ende beigetragen haben. Schon sehr früh hat sich bei Hahn ein breites mathematisch-naturwissenschaftlich-mechanisch-praktisches Interesse geregt. Hahn hatte offensichtlich in diesem Bereich eine große ursprüngliche Begabung. Dieses Interesse ist seine zweite große Leidenschaft neben der nach theologisch-religiöser Erkenntnis gewesen. Die Mechanik zu seinem Brotberuf zu machen, hat Hahn immer wieder abgelehnt. Er ging ihr aber auch später in Onstmettingen nach, und zwar damals schon mit dem gleichaltrigen Schulmeistersohn Philipp Gottfried Schaudt, der dann sein fähigster Mitarbeiter wurde. Seine mechanisch-naturwissenschaftliche Bildung hat sich Hahn im Selbststudium vor allem aus den Elementa Matheseos von CHRISTIAN WOLFF geholt und damit den Grundstock gelegt zu seiner souveränen Beherrschung physikalischer und mechanischer Probleme. Wie der Lebenslauf zeigt, ist Hahn auch während seines Studiums ständig nebenher mit technischen Problemen umgegangen. 1756 hat sich Hahn an der Universität Tü2 PH. M. HAHN, Hinterlassene Schriften, Bd. i, S. iff. 3 A.a.O., S./.

Hahns Leben

11

hingen immatrikuliert. Bereits ein Jahr später ist er (philosophischer) Magister geworden. Durch Commilitonen ist er in Tübingen erneut mit dem Pietismus in Berührung gekommen und dann auch Mitglied der Erbauungsstunde im Herzoglichen Stipendium geworden. Hahn ist dabei nicht nur dem württembergischen, sondern auch dem Herrnhutischen Pietismus begegnet, mit dem er sich freilich nicht ohne weiteres identifiziert hat. Für ihn gehörten noch mehr Wahrheiten zum ganzen Evangelium als nur »das einseitige, ewige Einerlei von Sünde und Gnade«4. Von den theologischen Professoren hat Hahn am meisten der Bengelschüler Jeremias Friedrich Reuß beeindruckt, der ihm auch in theologischen Zweifeln geholfen hat. Im Studium ist Hahn auch auf die kosmologischen Gedanken Jakob Boehmes gestoßen, die später ein wichtiges Element in seiner Theologie bilden sollten. 1760 hat Hahn das theologische Examen vor dem Konsistorium abgelegt. An das Studium schloß sich 1760/1761 eine Tätigkeit als Hauslehrer beim Oberamtmann von Lorch (bei Schwäbisch Gmünd) und als Vikar bei dem dortigen Pfarrer Moser an, der später von Schiller in den Räubern literarisch verewigt worden ist. Weitere Vikariate in Kemnat bei Esslingen und Breitenholz bei Herrenberg folgten. Neben der Vikarstätigkeit blieb immer genug Zeit für die naturwissenschaftlich-technischen Interessen. Schon 1761 ging Hahn mit dem Plan einer astronomischen Maschine um, die den Lauf der Planeten darstellen sollte. Wichtig ist für Hahn 1762 das mehrmonatige Vikariat bei dem erkrankten Friedrich Christoph Oetinger, damals Spezial in Herrenberg, geworden. Hier ist Hahn erneut mit der spekulativen Seite des württembergischen Pietismus in Berührung gekommen und mit dem Mann unter den württembergischen Pietisten, dem er trotz gewisser Unterschiede, die noch näher bestimmt werden müssen, m seiner eigenen Theologie am nächsten verwandt ist. Hahn hat damals alle chemischen und alchemistischen Schriften Oetingers gelesen und exzerpiert. Nach dem Herrenberger Vikariat hat Hahn zeitenweise seinen Vater in dessen neuer Pfarrei Ostdorf bei Baiingen unterstützt, anschließend war er ein halbes Jahr Vikar in Thieringen bei Baiingen. Nach dem Tod des Pfarrers Hensler in Onstmettingen hat sich Hahn 1764 um diese Stelle beworben, die ihm ja von der Tätigkeit seines Vaters her gut bekannt war. Zu seiner Überraschung hat er die Pfarrei dann tatsächlich erhalten, denn es war in jener Zeit ein ausgesprochener Glücksfall, daß ein Kandidat mit noch nicht 2 5 Jahren bereits zu einer Stelle kam. Damals heiratete Hahn die nicht unvermögende, noch nicht fünfzehnjährige Anna Maria Rapp, Tochter des Bürgermeisters und Zollakzisers von Schorndorf, die er in Thieringen kennen gelernt hatte. Die Beziehungen zur Familie seiner Frau in Strümpfelbach und Schorndorf spielen in den Tagebüchern eine Rolle. Aus dieser Ehe sind vier überlebende Söhne hervorgegangen. Von Hahns pastoraler Tätigkeit in Onstmettingen ist nur wenig bekannt. Anfangs machte ihm die Gegnerschaft einiger Gemeindemitglieder zu schaffen. Immerhin bestanden auch noch nach Hahns Weggang lebendige Kontakte zu den Onstmettinger Pietisten. In Onstmettingen hat Hahn dann den Plan der astronomischen Uhr gemeinsam mit dem nunmehrigen Schulmeister Schaudt verwirklicht. Ein erstes Exemplar hat er für den Fürsten Joseph Wilhelm Franz von Hohenzollern-Hechingen gebaut. Durch diesen ist Herzog Karl Eugen von Württemberg auf Hahn aufmerksam geworden. Er hat Ende 1767 eine große astronomische Maschine bei Hahn bestellt, die dieser dann bis zum Sommer 1769 hergestellt hat. Der Herzog hat Hahn daraufhin eine Professur für Mechanik in Tübingen angeboten, 4 A. a. O., S. ii.

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Einleitung

die dieser aber ablehnte. Er wollte die Theologie nicht aufgeben. Statt dessen ist Hahn dann eine gute Pfarrei bei Stuttgart oder Ludwigsburg in Aussicht gestellt worden5. Im März 1770 hat Hahn die Pfarrei Kornwestheim erhalten mit der Anwartschaft auf das noch bessere Echterdingen. Elf Jahre ist Hahn in Kornwestheim gewesen, bis er 1781 nach Echterdingen übergewechselt ist, nachdem er das erneute Angebot einer philosophischen Professur ausgeschlagen hatte. In Kornwestheim ist 1775 seine erste Frau an den Folgen eines Kindbetts gestorben. Dort hat er dann 1776 Beata Regina Flattich, die Tochter Johann Friedrich Flattichs, in zweiter Ehe geheiratet. Aus dieser Ehe sind zwei den Vater überlebende Söhne und zwei Töchter hervorgegangen6. Hahn hatte seine Beförderungen einzig dem Willen des Herzogs zu verdanken. Gleichzeitig mit der Vorrückung nach Echterdingen ist Hahn im März 1781 scharf durch das Konsistorium gemaßregelt worden wegen Verstößen gegen das Censurgebot, gegen die Symbolischen Bücher und gegen das Reskript über die Privatversammlungen von 1743; d. h. Hahn wurde seine pietistische Wirksamkeit und Schriftstellerei zum Vorwurf gemacht, insofern als sie ihn mit Ordnung und Lehre der Landeskirche in Konflikt gebracht hatten7. Die Vorwürfe bestanden formal durchaus zu recht. Hahn mußte damals versprechen, nichts mehr ohne die Zensur zu veröffentlichen, was einem Publikationsverbot gleichkam; seine pietistische Tätigkeit innerhalb und außerhalb seiner Gemeinde mußte er gleichfalls nahezu aufgeben. Insofern war die pietistische Tätigkeit Hahns in Echterdingen erheblich mehr eingeschränkt als in Kornwestheim. Am 2. Mai 1790 ist Hahn erst fünzigjährig in Echterdingen gestorben. Die wichtigste und ausführlichste Quelle für Hahns Leben, Wirken, Arbeiten und Denken in Kornwestheim sind die erhaltenen Tagebücher aus den Jahren 1772-1777, die Rapporte eines kreativen Theologen und Erfinders und eines bedeutenden Pfarrers. Sie sind darüber hinaus geschrieben als eine große, erstaunlich offene und selbstkritische Selbstverantwortung und Konfession, in der auch die Grenzen des Schreibers nicht verhüllt bleiben. Die Tagebücher gewinnen hier den Rang eines beachtlichen literarischen Dokuments, interessant bis in das Sprachliche hinein. Es wird in ihnen aber nicht nur der Innenraum einer frommen Seele und eines regen Geistes abgebildet; die Tagebücher haben unschätzbaren dokumentarischen Wert für die Geschichte der Kirche und der Frömmigkeitsbewegung in jener Zeit und vermitteln damit auch wertvolle Einblicke in die Sprach- und Sozialgeschichte und Volkskunde. Nicht oft gewinnt man derart lebendige Einblicke in den Pietismus in actu wie bei Hahn.

Der Mensch Kein geringerer als JOHANN KASPAR LAVATER hat in seinen Physiognomischen Fragmenten bereits versucht, eine Charakteristik von Hahn zu geben. Es heißt dort: »Unter allen mir bekannten Theologen, der- mit dem ich am meisten sympathisire - oder vielmehr, dessen Theologie zunächst an die meinige gränzt, und der doch so unaussprechlich 8

5 Vgl. BRECHT, Onstmettingen, 8.214-224.

6 PHILIPP PAULUS, Beate Paulus. Was eine Mutter kann, S. 8. 7 Die Akten sind unter »Zensur« im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart erhalten (Bestand A 26, Bd. 723, j). Vgl. auch Hahns eigene Darstellung in RUDOLF F. PAULUS, Die Briefe von Ph. M. Hahn an J. C. Lavater, S. 74-76. 8 Abgedruckt bei ERNST PHILIPP PAULUS, Pb. M. Hahn, S. 398 f.

Der Mensch

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von mir verschieden ist, als es ein Mensch seyn kann. Ein ganz außerordentlich mechanisches, mathematisches und astronomisches Genie, das immer erfindet, immer schafft - mit ausharrender, allüberwindender Geduld, zum letzten Ziel alles ausführt. Er schafft Welten, und freut sich einfältig seiner stillen Schöpfungskraft. Das Bild ist ähnlich, was man ähnlich heißt; aber die Stirn in der Natur ist viel verstandreicher. Die Nase ist, wie sie hier ist, lautzeugender Ausspruch von hellreiner, fester Weisheit. Güte und Dienstfertigkeit ist im Munde, der jedoch eine Tinktur von schwäbischer Blödigkeit zu haben scheint. Im Kinne viel Verstand und Dexterität. Der Tiefblick fehlt dem zu matten, untreffenden Auge. Noch ein Wort von seinen Schriften. Seme Sammlung von Betrachtungen über alle sonn- und festtäglichen Evangelien - und sein Fingerzeig — sind mir eine Goldgrube von großen, unerkannten, und wissenswürdigsten Wahrheiten. Ich schäme mich nicht, zu sagen, daß ich mir's nicht verzeihen kann, diese Höhe und Tiefe von Christuserkenntniß in der Einfalt seines hellen, edeln Gesichtes nicht bemerkt zu haben. Ich suchte, das ist wahr, nur den Mechaniker; und den fand ich im Auge. Ich sah auch den grossen Theologen — aber bei weitem nicht den großen, den ich nachher in seinen Schriften, deren unser Zeitalter kaum werth ist, gefunden habe. Ich bitte aber, nichts blühendes, colorirtes, so wenig als triviales und seelenloses drinn zu erwarten. Sie sind für sehr wenige - aber für wen sie sind, für den sind sie ganz. Ganz Thorheit, oder Weisheit.« Lavaters Skizze macht zwar den Reichtum der Persönlichkeit Hahns sichtbar, aber sie ist insgesamt doch recht statisch und deskriptiv ausgefallen. Aufgrund der Tagebücher erhält man ein weit differenzierteres, vielschichtigeres und kontrastreicheres Bild von Hahn. Angesichts der Tatsache, daß wir im Guten und im Bösen, bezüglich der Stärken und der Schwächen von Hahn mehr wissen als von den meisten Pietisten, wird man nie vergessen dürfen, daß er selbst es war, der sich, zunächst für sich selbst, in solcher Weise zu erkennen gegeben hat. Die Existenz eines Menschen selbst begegnet hier als verantwortete Gestaltung. Hahn war kein einfacher Mensch. Er lebte in vielfachen Spannungen. Er erscheint zunächst als aktive, vitale Persönlichkeit mit einer Freude an Essen und Trinken und attraktiven Frauen, mit Verlangen nach Ehre und Besitz und Aktion. Es ist an sich schon erstaunlich, daß der Pietist Hahn über Derartiges sich überhaupt äußert. Dies alles war freilich nicht ungebrochen, wurde nicht einfach ausgelebt, sondern durchaus kritisch, manchmal sogar skrupelhaft betrachtet. Kontrolle und notfalls Gegensteuerung waren durchaus vorhanden. Im allgemeinen lag Hahn freilich an einem gleichmäßigen, ruhigen und geordneten Lebensrhythmus. Dessen bedurfte er schon um seiner angeschlagenen Gesundheit willen, die ihn mit Kopfweh und Verdauungsstörungen ohnehin genug beeinträchtigte. Schon bestimmte unzuträgliche Speisen konnten ihm schwer zu schaffen machen. Er schätzte seinen Kaffee, seine Pfeife und die Ruhe seines Arbeitszimmers. Er war ein besorgter Familienvater, der mit seinen Kindern sogar gespielt hat, was für einen Pietisten keineswegs selbstverständlich ist. Bei Konflikten im Pfarramt oder gegenüber der Obrigkeit konnten Gesichtspunkte der Opportunität oder des persönlichen Vorteils durchaus seine Entscheidung beeinflussen und zu zweideutigen Lösungen führen.

14

Einleitung

Aber weder Hahns eigene Wesensstrukturen noch die äußeren Lebensumstände ließen das ruhige, ausgeglichene Leben ohne weiteres zu. Das große und wachsende Hauswesen strengte ihn an, und den zunehmenden Strom der Besucher empfand er meist als Störung. Hahn hatte sich einen Doppelberuf als Pfarrer und als Mechaniker mit einer nicht ganz kleinen Werkstatt, die der ständigen Aufsicht bedurfte, zugemutet. Dazu kamen noch die besonderen Aktivitäten für das »Reich Gottes«, d.h. das Stundenwesen in Kornwestheim selbst, die zahlreichen Besuchsreisen zu den pietistischen Brüdern im Lande und das eigene theologische Nachdenken, Produzieren und Publizieren, das eigentlich der gesammelten Stille bedurfte. Die Konflikte und Spannungen lagen dabei also keineswegs nur in der Situation, sondern in der vielseitigen, ihn nicht selten geradezu verzehrenden Interessiertheit und Engagiertheit dieses Mannes. Dabei war Hahn normalerweise ein harter Arbeiter, der das vorgenommene »Pensum« oft bis tief in die Nächte absolvierte. Die Ablenkungen und Abwechslungen, zu denen es von selbst bei dieser Vielseitigkeit immer wieder kam, bedeuteten nicht nur Irritation, sondern auch bewußten Ausgleich und Erholung. Es ist eigentlich verständlich, daß eine so aktive und kreative Persönlichkeit wie Hahn stark ichbezogen war. Die Ehefrau, das Hauswesen, die Werkstatt, die Glaubensbrüder, alles mußte sich nach ihm und seiner Rationalität und seinen Rationalisierungen richten. Er war die Autorität, und er hat sie nicht selten rechthaberisch und kleinlich zur Geltung gebracht; manchmal zeigt er sich später fähig zur kritischen Reflexion. Den Teufel sah er am Werk, wenn im Getriebe des Haushalts einmal Sand knirschte und nicht alles nach seinen Vorstellungen lief. Hahn konnte sehr schnell und hart über Menschen urteilen, mit denen er sich nicht im Einklang wußte und die ihm geistig nicht folgen konnten. Allerdings war Hahns Autoritätsanspruch nicht ungedeckt. Er war ein guter Haushalter. Innerhalb der pietistischen Gruppen war er immer ein, wenn nichtiger führende Kopf. Das wird ganz deutlich bei den Zusammenkünften der Pfarrer in der Diözese oder bei den pietistischen Konferenzen, wo meist Hahn es war, der das Thema angab und die Diskussion bestimmte. Es konnte freilich vorkommen, daß er ein ähnlich starkes Gegenüber fand, wie etwa in dem durch Oetinger bestimmten Besigheimer Kreis. In solchen Fällen war Hahn meistens willens und fähig, den Konsens zu suchen. Auch die Frömmigkeit von Hahn hatte ihre Antagonismen. Sie war geprägt von einem kindlichen Gottvertrauen und Führungsglauben, die sich im Gebet auch um höchst alltägliche Anliegen und Vorteile aussprechen konnten, in dem Wissen, daß Gott sein Kind als Glied seines Reiches nicht im Stich lassen werde. Bei bestimmten Ereignissen suchte Hahn bei sich und ändern sehr ungebrochen nach dem Zusammenhang von Strafe und Schuld. Aber insgesamt war seine Frömmigkeit nicht durch ein Sündenbewußtsein bestimmt, sondern vielmehr durch das stolze Wissen, ein »Sohn Gottes« zu sein, dem freilich gewisse irdische, »thierische« Unzulänglichkeiten noch anhafteten. Aus dieser vorgegebenen Gotteskindschaft hat er zeitenweise sogar das Beten unterlassen, es dann aber später wieder aufgenommen. Mit die bemerkenswertesten Abschnitte der Tagebücher sind die über Hahns beide Ehen. Es ist an sich schon auffallend, daß dieser Lebensbereich in einem pietistischen Tagebuch nicht übergangen oder ausgeklammert wird. Dabei waren Hahns Ehen alles andere als ein problemfreier Bereich, weshalb an dieser Stelle später mit die stärksten Tilgungen in seiner Biographie und Überlieferung erfolgten. Hahn hat es als Mensch mit seinem ganzen Wesen seinen Mitmenschen nicht immer leicht gemacht. Am stärksten zeigt sich das im Verhält-

Der Mensch

15

nis gegenüber seinen beiden nächsten Mitmenschen, nämlich seinen Ehefrauen. Die erste Ehe mit Anna Maria Rapp ist offenbar sehr rasch geschlossen worden, wobei ihre physische Anziehungskraft und ihr Vermögen eine Rolle gespielt haben. Der vielbeanspruchte Hahn ist ihr und später auch der zweiten Frau offenbar Einiges schuldig geblieben. Die erste Frau hat unter Hahns Sparsamkeit gelitten, obwohl ihr Hahn, wie später auch der zweiten Frau, beachtliche Summen zur persönlichen Verfügung überlassen hat. Anna Maria wollte gefallen und leichteren ständischen Umgang haben. Dem hat Hahn bis zu einem gewissen Grade Rechnung getragen, allerdings nicht ohne sich auch kritisch darüber zu äußern. Bei der ersten Frau ihrerseits hat es nicht an Ansätzen gefehlt, Hahns geistigen Weg mitzugehen - zeitenweise hat auch sie ein Tagebuch geführt —, aber insgesamt dürfte sie damit überfordert gewesen sein, zumals sie noch überaus jung war. Nach ihrem Tod (mit 26 Jahren) im Kindbett 1775 machte sich Hahn Gedanken darüber, aufgrund welcher Schuld sie sterben mußte. Hier kam er zu sehr selbstgerechten, nahezu unausstehlichen Urteilen, wobei aber auch immer wieder betont wird, daß er diese Frau geliebt hat und sie sich zurückwünschte. Das Tagebuch gewährt dann Einblick in die höchst komplizierte und fast skrupulöse Partnerwahl für die zweite Ehe. Disparate Interessen standen sich dabei gegenüber, solche an der physischen Anziehungskraft und solche an geistigem und religiösem Verstehen. Relativ bald war klar, daß die Wahl auf eine der Töchter des benachbarten Pfarrers Johann Friedrich Flattich in Münchingen fallen würde. Hahn konnte sich lange nicht entscheiden und ging zunächst auf die reifere, aber weniger attraktive Helena zu, die, selbst stark geprägt von Oetinger, von dem Oetingerkreis in Besigheim favorisiert wurde, was Hahn aber um seine geistige Freiheit bangen ließ. Obwohl er bei Helena schon im Wort war, löste Hahn diese Beziehung ganz am Schluß, als er erfuhr, daß Helena eigentlich dem pietistischen Vikar Motz zuneigte. So kam es zu der Eheschließung mit der erst 18jährigen Beata Regina. Selbst in der Hochzeitsnacht hat Hahn bis Mitternacht gearbeitet. Trotz allem guten Willen von beiden Seiten wurde auch diese Ehe nicht leicht. Der große Haushalt, der viel ältere, überarbeitete und kränkliche Mann, der sich wenig auf seine Frau einstellte, stellten diese mindestens zunächst vor schier unlösbare Probleme, so daß in den Kreisen der Frommen auch über diese Ehe geklatscht wurde. Nirgends ist Hahn leichter zu kritisieren als aufgrund der beiden von ihm geschilderten Eheromane, nirgends erscheint er menschlicher, und gerade darum verdient er hier in seiner Offenheit und unverkennbaren Freiheit auch allen Respekt. Gerade hier und gerade so sind die Tagebücher ein großes menschliches Zeugnis aus dem Pietismus. Sein Verhältnis zu Geld und Besitz machte Hahn immer wieder zu schaffen, und er bemühte sich ernstlich, in dieser Hinsicht freier zu werden. Hahn wußte es durchaus zu schätzen, zureichende Mittel zu haben. Von den beengten Verhältnissen seiner Jugend her ist dies durchaus verständlich. Außerdem benötigten das große Hauswesen und der Betrieb ständig einiges an baren Mitteln. Er war stolz, daß der Werkstattbetrieb etwas abwarf. Das Geldausgeben fiel Hahn nicht leicht, und das häufige Heimgesuchtwerden von den vielen Bettlern konnte ihm die Stimmung gründlich verderben. Er spricht dann von »Mord in meinen Gebeinen« . Meinte er aber, knauserig gewesen zu sein, so nahm er sich anschließend vor, künftig freudiger zu geben. Lästig konnten auch die Bitten um Darlehen werden, die oft auch von den frommen Brüdern an ihn gerichtet wurden, zumal wenn Hahn im voraus wußte, daß der Schuldner säumig sein würde. Man wird Hahn aber schwerlich als geizig bezeichnen können. Er hat nie über die zahlreichen Gäste an seinem Tisch geklagt. Er hat bei der finanziellen

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Einleitung

Abrechnung mit seinen Pfarrkindern sich ausgesprochen großzügig verhalten, und er dürfte beachtliche Summen in den Druck seiner Bücher gesteckt haben. Fast permanent war der Konflikt des Pfarrers und Theologen mit dem Erfinder und Techniker. Er wird laut in den ständigen Klagen über die »Hindernisse«, die ihm die Maschinen neben dem eigentlichen Beruf machen, über die vertane Zeit, in den immer wiederkehrenden Reflexionen, das Maschinenwesen ganz zu lassen oder allenfalls wenige, große Objekte zu bauen. Daß Hahn bei seiner erfinderischen Kreativität und technischen Neugier dazu in der Lage gewesen wäre, wird man bezweifeln müssen. Hahn hat auch diesen Konflikt eigentümlich rationalisiert. Seinen Erfindungen und Konstruktionen verdankte er seine gute Stellung, sein Ansehen und längere Zeit auch eine gewisse Unangreifbarkeit. Aber auf die Dauer hat ihn das dann doch nicht vor Maßnahmen des Konsistoriums geschützt, als Zweifel an seiner Übereinstimmung mit der kirchlichen Ordnung und Lehre aufkamen. Hahn hat sich seiner Beziehungen, die er durch seine Erfindungen etwa gerade auch zu Herzog Karl Eugen besaß, durchaus bedient. Die Mechanik konnte also als Mittel zum eigentlichen Zweck des Reichs Gottes gelten, und sie war es auch insofern, als sie zum Teil die Mittel für die Druckkosten erbrachte. Überdies hat Hahn sicher zu Recht seine mechanischen Arbeiten als Ausgleich und Erholung betrachtet. Die intensiv betriebene spekulative Theologie bedurfte notwendig des Ausgleichs, sonst drohte Gefahr auch für die geistige Gesundheit. Auf seinen astronomischen Uhren hat er das geozentrische und das copernikanische System nebeneinander dargestellt, wobei er eine Vorliebe für das biblische geozentrische Weltbild gehabt haben dürfte. Es fehlt bei ihm nicht an Versuchen, etwa das Ende der Geschichte, die eschatologische Wirklichkeit oder den Zustand nach dem Tod im Horizont des verfügbaren naturwissenschaftlichen Wissens gewissenhaft zu denken. Wie die meisten seiner Zeitgenossen war aber auch Hahn noch ganz dem naturwissenschaftlichen Weltbild des 17. und 18. Jahrhunderts verhaftet, in dem die Astrologie noch zu den Wettervorhersagen herangezogen wurde, in dem auf Erkenntnisse der Chiromantie etwas gegeben wurde und Träume als bedeutsam galten. Aus diesem Grund berichtet Hahn erstaunlich viele Träume, oft sogar mit mehreren Lösungsvorschlägen, die vielleicht einmal eine besondere fachmännische Untersuchung verdienen. Hahn hat offenbar auch positive Erfahrungen mit der Vorbedeutung von Träumen gemacht. Von seiner eigenen Anthropologie der Gotteskindschaft her hat Hahn es offenbar nicht ausgeschlossen, daß ihm übernatürliche Kräfte zur Verfügung standen. Zwar hatte er selbst Zweifel, ob er wirklich in der Lage sei, Lotteriezahlen vorauszusagen, wie es arme Leute immer wieder von ihm erwarteten, und er hat ihnen darum außer der Vorhersage auch das Geld gegeben. Ähnliche Erwartungen richteten sich an Hahns Heilkunst. Er selbst ist zweimal mit dem Gedanken umgegangen, seine Frau und sein Kind vom Tod wieder zu erwecken. Aber gerade in seiner Seelsorgepraxis hat Hahn bei psychischen Störungen nicht selten neben dem geistlichen Zuspruch auch Arzneimittel eingesetzt und ganz unbefangen einen Zusammenhang zwischen leiblichen und seelischen Leiden angenommen. Hahn in seinen Widersprüchen, in seinem mitmenschlichen Verhalten oder in seiner Frömmigkeit und seinem Denken zu kritisieren, ist nicht schwer. Die Tagebücher ermöglichen darüber hinaus, ihn zu verstehen und zu respektieren. Sie sind »Bruchstück einer großen Konfession« im besten Sinne dieser Formulierung. Hier macht ein Mensch sich durchsichtig in seinen Schwächen, seiner Menschlichkeit, Angefochtenheit, Erlösungsbedürftigkeit, Angewiesenheit auf Gottes Hilfe, und dies oft in erstaunlichem Freimut und Selbst-

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kritik, zum Teil auch befangen bleibend in den Grenzen des eigenen Wesens, so daß der Leser ihn manchmal besser zu durchschauen vermag als er selbst. Das Tagebuch gibt keinen Anlaß zu einer Heiligenverehrung, wie sie auch der Pietismus manchmal seinen Vätern angedeihen ließ, aber es ist ein erstaunlich reiches Zeugnis eines echten und bedeutenden christlichen Menschenlebens.

Der Pfarrer Aus Hahns Tagebüchern erhält man ein anschauliches Bild von den Aufgaben und der Praxis eines württembergischen Dorfpfarrers am Ende des 18. Jahrhunderts, das wirklichkeitsgetreuer ist als ganze Sammlungen von Konsistorialerlassen9. Hahn scheint insgesamt ein pflichtgetreuer Pfarrer gewesen zu sein. Das Schwergewicht der pastoralen Tätigkeit lag auf den Gottesdiensten, vorweg dem Predigtgottesdienst an den Sonn- und Feiertagen, zu denen auch noch die Aposteltage gehörten. Den Predigttext bildeten dabei jahraus jahrein die Evangelienperikopen. Weitere Gottesdienste am Sonntag waren die Kinderlehre, ein Katechismusgottesdienst für die schulpflichtigen Kinder. Die Ergebnisse der Kinderlehre wurden immer wieder im Kirchen- oder Kinderexamen überprüft. Sodann gab es die Sonntagsschule für die ledige konfirmierte Jugend, ebenfalls ein Katechismusgottesdienst, und den Vespergottesdienst, bei dem einzelne biblische Bücher kontinuierlich, wohl mit Erklärung, gelesen wurden. Sonntagsschule und Vespergottesdienst konnten gelegentlich auch ausfallen. Dazu kamen die festen Wochengottesdienste: am Mittwoch die Betstunde wohl mit einer Psalmenlesung und dem langen vorgeschriebenen Gebet, auf das Hahn sich einmal nicht konzentrieren konnte. Am Freitag fand abwechselnd entweder die Wochenpredigt oder die Wochenkinderlehre statt, einer dieser Gottesdienste im Monat wurde als »Bußtag« gehalten. Wenn es sich ergab, konnte der Freitagsgottesdienst auch mit einer Leichenpredigt oder der Ernte- und Herbstpredigt zusammengelegt werden. Seine Predigten hat Hahn mindestens zeitenweise an einem der folgenden Tage in ein besonderes Buch eingetragen. Fünf solche Bücher mit Predigtmanuskripten zu verschiedenen Anlässen aus den Jahren 1767 bis 1783 sind in der Württ. Landesbibliothek Stuttgart (Cod.theol. et phil. 8° 156) noch erhalten. Wenn Abendmahl gefeiert wurde, was allerdings nur einmal im Vierteljahr der Fall gewesen zu sein scheint—Hahn spricht einmal von der »vierteljährigen Wäsche« —, dann war am Sonntag zuvor die Anmeldung der Kommunikanten beim Pfarrer. Am Samstag vor dem Abendmahl fand der besondere Beicht- und Praeparationsgottesdienst statt. Am 25. Juni, dem Tag ihrer Übergabe, wurde jeweils die Conf essio Augustana verlesen, einmal im Jahr die Eheordnung. Zu den fixen Gottesdiensten kamen noch die Kasualien: Taufen, Beerdigungen und Hochzeiten, letztere meist am Dienstag. Mittwochs und freitags war Konfirmandenunterricht, der manchmal auch als Kinderinformation bezeichnet wird. Mit dem Konfirmandenunterricht hat sich Hahn nicht wenig Mühe gegeben. Anmerkungen zum Konfirmationsbuch hat er 1774 veröffentlicht. Handschriftliche Aufzeichnungen dazu befinden sich in der Württ. Landesbibliothek Stuttgart (Cod.theol.et phil. 8° 159). Er hat mit eigenen Katechismusentwürfen experimentiert, vermutlich um seine eigene theologische Konzep9 Aufschlußreich ist ein Vergleich der Angaben Hahns mit CHRISTOPH KOLB, Die Geschichte des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche Württembergs. Stuttgart 1913.

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tion auch im Konfirmandenunterricht zum Zug zu bringen. Er ließ die Konfirmanden schriftliche Arbeiten machen, die er dann selbst korrigierte. Dem Pfarrer oblag außerdem die Schulaufsicht. Hahn hat sie wegen seiner vielen anderen Aufgaben nicht ganz regelmäßig (wöchentlich) ausgeübt, hat aber immer wieder selbst auch in der Schule katechisiert. Da der Kornwestheimer Pfarrer zugleich die Filialgemeinde Zazenhausen zu versorgen hatte, wenn auch nicht mit dem vollen Gottesdienstprogramm, war Hahn durch die gottesdienstlichen Aufgaben erheblich in Anspruch genommen. Es wundert einen nicht, wenn er gelegentlich klagt, daß er sich innerlich und stimmlich bei den Gottesdiensten zu sehr verausgabt habe. Er versuchte immer wieder sich zurückzuhalten, was ihm aber offenbar nicht gelang. In den späteren Jahren bemerkt man, daß ihm die Routine der gottesdienstlichen Aufgaben zu einer gewissen Anfechtung wurde. Einen Teil der Aufgaben ließ er sich durch seine Vikare abnehmen, sofern er gerade welche hatte. Sie vertraten ihn auch bei seinen nicht seltenen Reisen. Daneben hatten sie seine Kinder zu unterrichten. Die Vikare waren aber nicht nur eine Hilfe, sie brauchten auch Betreuung und Überwachung. Außerdem waren sie von unterschiedlicher Begabung, Reife und Pflichtfreudigkeit. Hahn kann sich hier manchmal auch recht kritisch äußern. Manche gottesdienstliche Verpflichtungen ließ sich Hahn durch zufällig zu Besuch weilende theologische Magister und Vikare abnehmen, die diese Möglichkeit zur Praxis bei Hahn offenbar gerne wahrnahmen. Seelsorge wurde einerseits an den Besuchern Hahns geübt. Hier reichte seine Klientel weit über die eigene Gemeinde hinaus. Sodann hat Hahn meist treu Krankenbesuche gemacht, besonders wenn er spürte, daß er bei den Leuten ankam. Er konnte aber auch über unerweckte Leute klagen oder über solche, die keinen oder nur wenig Geist hatten. Aus Versäumnissen bei Krankenbesuchen machte er sich ein Gewissen. Ein weiterer Zweig der Seelsorge war die Schlichtung von Streitigkeiten in Ehen oder unter Nachbarn. Das berührt sich bereits mit dem Gebiet der Kirchenzucht, für die der Kirchenkonvent, das Sittengericht, zuständig war. Man bemerkt, daß Hahn öffentliche Anklagen wegen Ehe- oder Sexualdelikten, Trunksucht, Fluchen, Streit und Hexerei möglichst abzubiegen versuchte. Wo ihm das nicht gelang, versuchte er, den Betroffenen seinen vermittelnden Standpunkt zu erklären. Der Kirchenkonvent hatte außerdem die häufigen Schulversäumnisse abzustrafen. Hahn war als Pietist ein Gegner von Tanzveranstaltungen bei Hochzeiten oder an bestimmten Feiertagen. Bei diesen exzeptionellen Veranstaltungen kam es in der Tat auch immer wieder zu Ausschreitungen. Er mußte es allerdings hinnehmen, daß die weltliche Verwaltung auch immer wieder solche Veranstaltungen gestattete. Hahn wartete dann geradezu darauf, daß Gott selbst gegen die Veranstalter und Teilnehmer strafend eingreifen würde. Die Verwaltung machte nicht allzuviel Arbeit. Für Schreibarbeiten konnte Hahn außerdem den Schulmeister oder Provisor heranziehen. In das Reskriptenbuch mußten die obrigkeitlichen Erlasse eingetragen werden. Ferner war das Seelenregister, das auch die Funktion der Bevölkerungsstatistik hatte, zu führen. Gelegentlich mußten Eingaben, Berichte, Memoranden für das Konsistorium oder das Oberamt in Ludwigsburg gemacht werden. Der Pfarrer war auch an der Aufsicht über das örtliche Kirchenvermögen, das als der »Heilige« bezeichnet wurde, beteiligt. Einen gewissen Verwaltungsaufwand erforderte der dem Pfarrer zustehende kleine Zehnte von allen Feldfrüchten außer dem Getreide. Diese Abgabe war nicht sehr beliebt. Hahn bemühte sich hier mit Pauschalierungen seinen Gemeindegliedern entgegenzukommen, fand aber nicht immer dementsprechendes Verständnis und Großzügigkeit. In manchen Verwaltungsangelegenheiten hatte Hahn mit dem Schultheiß zusam-

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menzuwirken, z.B. hinsichtlich der Erfassung (Consignation) und Unterstützung der Armen oder bei Bausachen und gewissen Polizeidelikten, die auch die Kirchenzucht berührten. Mit den Honoratioren der Gemeinde, dem Schultheiß oder dem Vogt, wurde ein förmlicher Umgang gepflegt. Der Schultheiß war auch der Taufpate der Kinder. Hahn war sich ganz im klaren darüber, daß er hier auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen war und daß eine solche auch seiner manchmal exponierenden pietistischen Wirksamkeit nur förderlich sein konnte. Die übergeordnete kirchliche Behörde war der Spezial(superimendent) Zilling in Ludwigsburg. Hahn hat menschlich und theologisch nicht viel von ihm gehalten, war aber um ein ordentliches Verhältnis zu ihm bemüht. Gelegentlich erwies er ihm Gefälligkeiten. Er versuchte, seine theologischen Auffassungen ihm verständlich zu machen. Hahn dürfte ihm geistig überlegen gewesen sein. Die Kontakte mit dem Spezial ergaben sich relativ häufig. Der Spezial hatte die Pfarrer in ihren Gemeinden regelmäßig zu visitieren. Dabei war es Sitte, daß auch die benachbarten Pfarrer eingeladen wurden. Bei den jährlichen Disputationen der Geistlichen des Dekanats hat sich Hahn mit Thesen und Oppositionen recht rege beteiligt. Aus seinen eigenen Angaben geht immer wieder hervor, daß er im Kreis seiner Kollegen der führende Kopf war. Mit den meisten Nachbarpfarrern unterhielt Hahn persönliche Beziehungen, die zum Teil sogar recht intensiv sein konnten. Dabei dürfte es sich meistens um Gesinnungsverwandte gehandelt haben, denn es fällt auf, daß demgegenüber die Namen anderer Pfarrer aus der Umgebung selten oder nie oder nur kritisch erwähnt werden. Gelegentlich ergaben sich auch Kontakte zu den zuständigen Generalsuperintendenten (Prälaten) oder zu den Stuttgarter Konsistorialräten. Auch hier lag Hahn sehr an ordentlichen Beziehungen. Es war ihm keinesfalls recht, wenn er wegen gewagter Formulierungen oder Handlungsweisen etwas außerhalb der kirchlichen Ordnung beim Konsistorium angeschwärzt wurde, zumal er dort in dem Konsistorialrat Faber ohnehin einen Gegner hatte. Auf die Dauer aber war Hahns Konflikt mit dem Konsistorium nahezu unausbleiblich.

Der Pietist und die Pietisten Zu den interessantesten und wertvollsten Informationen, die uns die Tagebücher vermitteln, gehören die vielen hundert Angaben über das Leben und die Mitglieder des württembergischen Pietismus zu Hahns Zeit. In einzigartiger Weise wird der württembergische Pietismus hier auch in seinen regionalen und sozialen Strukturen faßbar. Hahn selbst hat sich nur bedingt als Pietist verstanden, am ehesten vielleicht als Pietist »neuer Art«. Er redet gelegentlich von den »alten« Pietisten in Kornwestheim vor seiner Zeit. Er kann die Pietisten mit den Pharisäern zur Zeit Jesu vergleichen. An der Sattheit der leiblichen Nachkommen Bengels hat er sich gestoßen. Die Herrnhuter, die mehrfach als eigene pietistische Gruppierung erscheinen, hielt er, mit ihrer Betonung der Versöhnung, für zu eng, ihre Lehre geradezu für verflucht. Er konnte die Scheu der Pietisten vor neuen geistlichen Einsichten kritisieren. Von den Spannungen mit den Anhängern Oetingers wird noch zu reden sein. Hahn hatte also ein Bewußtsein von den Schichtungen und Richtungen im Pietismus seiner Zeit, und er war sich seiner Eigenständigkeit voll bewußt. Aber insgesamt verstand er sich selbst als zugehörig zu der großen Bewegung des Pietismus, wenn auch als ein neues Glied oder ein neuer Lehrer, wobei er es aber auf eine eigene Schulbildung nicht angelegt hat und diese auch nicht erfolgt ist. Der Pietismus war für Hahn keineswegs eine

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Größe der Vergangenheit, sondern eine ausgesprochen vitale und kraftvolle Gruppe in der Kirche. Seine Sicht der pietistischen Bewegung hat Hahn in zwei interessanten Schriften dargestellt, einmal mehr rechtlich und historisch in der Belehrung für unbelehrte Christen von den Privat-Erbauungsstunden zur Beförderung wahrer Duldung und Einigkeit in den christlichen Gemeinen10, sodann in der 1779 verfaßten Erzählung vom Anfang und Fortgang der Erbauungsstunden in Kornwestheim11. Hahns Pietismus war an sich lehrhafter, systematisch-theologischer Art wie bei Bengel, Oetinger und den meisten schwäbischen Pietisten. Sein theologisches System soll erst im folgenden Abschnitt vorgeführt werden, zunächst wenden wir uns dem Pietismus als Gruppe zu, wie er in den Tagebüchern so anschaulich in Erscheinung tritt. Die Gemeinschaftsform dieses Pietismus waren abgesehen vom häufig geübten brüderlichen Gespräch vor allem die Collegia pietatis oder Erbauungsstunden, meist kurz Stunden genannt. Eine »Stunde« hatte es schon vor Hahns Zeit in Kornwestheim gegeben, aber von ihr war nicht mehr viel übrig. Hahn mußte neu beginnen. Er hat zunächst am Sonntagabend in seinem Haus Stunden gehalten. Es hat Jahre gebraucht, bis der Anhängerkreis in Kornwestheim wuchs. Die Stundenleute waren anfänglich offenbar nicht sehr angesehen. Später wurde die Stunde dann aufgeteilt in eine solche für die Männer, die zeitenweise jeden Abend zusammenkam, eine für die Frauen und eine für die ledige männliche Jugend, die sogenannte »Bubenstunde«. Als es soweit war, hat Hahn die Stunden natürlich nicht mehr ständig selbst geleitet, sondern nur noch abwechslungsweise besucht. Begonnen hat Hahn die Stunde wahrscheinlich mit einer Auslegung der Offenbarung. Die Tagebücher erwähnen dann zuerst die Behandlung des Matthäusevangeliums, die derart breit referiert wird, daß sie am Anfang faktisch eine Erklärung des Matthäusevangeliums enthalten. Die anschließende Auslegung des Markusevangeliums scheint nicht zu Ende geführt worden zu sein. Danach wurde in der Männerstunde der Epheserbrief behandelt, wobei nachgeschrieben wurde; diese Auslegung kam später dann zum Druck. Das extensive Stundenwesen wurde Hahn nachher bei seinem Weggang von Kornwestheim vom Konsistorium zum Vorwurf gemacht. In der Tat hatte er gegen das Reskript über die Privatversammlungen von 1743 verstoßen, sowohl was die Größe der Teilnehmerzahl — im Mai 1774 waren einmal mehr als hundert Leute in der Stunde — als auch was die nächtlichen Termine anbetraf. Insgesamt erwähnen die Tagebücher 33 Einzelpersonen oder Familien aus Kornwestheim als Stundengänger, wobei die Dorfhonoratioren wohl schwach vertreten waren. Aus der Filialgemeinde Zazenhausen wird nur ein Stundengänger greifbar. Unter den Kornwestheimer Stundengängern gab es immer wieder große Spannungen und Streitigkeiten. Die Fortgeschrittenen, wie Hahns Schwester und Schwager Strubel, sahen auf andere herab, etwa auf den labilen Sattler Kientzle oder den Weber Michel Schmid, die nicht zuletzt mit ihren Saufereien und Ehehändeln immer wieder zu einer Belastung der Gemeinschaft wurden. Hahn hat auch diese Brüder in der Stunde gehalten. Das geistliche Wachstum des Kornwestheimer Kreises ging nur langsam vonstatten und seine Aktivität nach außen war nicht eben groß. Viele Lasten, auch finanzielle, mußte Hahn allein tragen. Man bekommt nicht eben oft ein so ungeschminktes Bild über die Verhältnisse in einer Stunde wie hier. Hahns pietistische Tätigkeit hat zunehmend eine Ausstrahlungskraft über Kornwestheim hinaus bekommen. Dabei handelt es sich um ein eigenartiges, bisher nicht recht erkanntes io ERNST PHILIPP PAULUS, Ph. M. Hahn, S. 302-341. A.a.O., S.273-300; vgl. MÄLZER Nr.998 und 953.

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Phänomen. Zwar war es nichts Neues, daß die Pietisten sich gegenseitig besucht haben, man kann das etwa bei Oetinger beobachten, aber bei Hahn nimmt das ganz neue Dimensionen an, und nicht von ungefähr ist zunächst eigentlich nur er wegen der Breite seiner Wirksamkeit 1781 gemaßregelt worden. Wie es dazu gekommen ist, daß Hahn bald eine zentrale Rolle im Pietismus des mittleren Neckarraums gespielt hat, ist ungeklärt. Die mündliche Propaganda unter den Pietisten dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Der innere Grund muß in der Bedeutung von Hahns Persönlichkeit und seiner Rolle als pietistischer Lehrer gesehen werden. Offenbar kam ihm keiner der anderen Pietisten, weder Flattich in Münchingen, noch Seiz in Besigheim, noch Beckh in Ludwigsburg, noch Carl Heinrich Rieger in Stuttgart darin gleich. Die Anziehungskraft von Hahn läßt sich zunächst einmal an den Hunderten von Personen ablesen, die ihn aufgesucht haben. Vor allem die sonntägliche Stunde in Kornwestheim wurde bald das Ziel vieler Pietisten. Oft führen die Tagebücher gar nicht die einzelnen auswärtigen Besucher auf, sondern reden pauschal von den Leuten aus Marbach, Münchingen, Neuhausen, Vaihingen, Schorndorf, Neckargröningen, Fellbach, Stuttgart, Leonberg, Heilbronn und Onstmettingen. Aus allen diesen Orten werden mehrfache Besuche von ganzen Personengruppen erwähnt. Dazu kommen etwa 30 Orte, aus denen nur einmal eine Besuchergruppe bei Hahn erschienen ist. Umgekehrt hat Hahn seinerseits teils häufiger, teils gelegentlich auswärts Stunden gehalten in Ludwigsburg, Hegnach, Neckargröningen, Besigheim, Marbach, Stuttgart, Tübingen, Onstmettingen und in zehn weiteren Orten. Gliedert man die pietistischen Besucher Hahns nach Orten auf, so steht Stuttgart als die bevölkerungsreichste Stadt der Umgegend an der Spitze. Über Hahns eigenartige Beziehungen zum Stuttgarter Pietismus wird noch gesondert zu reden sein. Es dürfte immerhin bemerkenswert sein, daß sich bei der Besucherschaft des Dorfpfarrers Hahn keinerlei Stadt Landgefälle bemerkbar macht. Viele Kontakte bestanden zur benachbarten Amts- und Residenzstadt Ludwigsburg. Dort bildete das Waisenhaus mit dem Waisenpfarrer Beckh, den verschiedenen Waisenhausvikaren, dem Waisenhausschulmeister Israel Hartmann und dem Waisenhausverwalter ein eigenes pietistisches Zentrum. Die von Anfang an bestehenden Beziehungen Hahns zu Besigheim mit dem Diakon Seiz, dem Oberamtmann Sandberger, dem Stadtschreiber Laux und einer ganzen Reihe anderer Personen waren bestimmt durch die gemeinsame Hochschätzung Oetingers. Wie das Ludwigsburger Waisenhaus standen die Besigheimer Brüder gleichberechtigt und in manchem bewußt selbständig neben Hahn. Eine Dependance dieser Oetingeranhänger bestand in und um Gaildorf mit dem Pfarrer Preschler, dem Vikar Pregitzer und dem Hofrat Walther. Auch zu den Gaildorfer Pietisten haben sich lebhafte Beziehungen entwickelt. Nicht verwunderlich ist es, daß die Pietisten in den Kornwestheim benachbarten Dörfern auf Hahn aufmerksam geworden sind, so Münchingen mit dem Pfarrhaus Flattich und Zuffenhausen. Dazu gehören auch Neckargröningen und Marbach, deren pietistische Häupter Kontakt mit Hahn gesucht und ihn um Mitarbeit gebeten haben. Hahn hat sich übrigens über diese Leute gelegentlich auch kritisch geäußert. Aus dem weiteren Umkreis des Neckarraums sind noch Backnang, Bietigheim und Bönnigheim zu nennen. Ganz unverkennbar ist die Ausstrahlung Hahns auf das Remstal. Die Verwandtschaft von Hahns Frau in Strümpfelbach und Schorndorf hielt sich mindestens teilweise zu den Pietisten, aber darüber hinaus werden Besucher Hahns vielfach auch sonst vom Remstal erwähnt. Hahns wichtigster Kontaktmann in der Reichsstadt Esslingen war der Pfarrer Tritschler, neben dem es aber noch eine ganze Reihe fester Besucher einschließlich des

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Barons von Palm gegeben hat. Ähnlich verhielt es sich mit den regelmäßigen Beziehungen nach Heilbronn, von denen wir allerdings gar nicht wissen, wie sie zustandegekommen sind. Hahns Ausstrahlung war durch die räumliche Entfernung eine gewisse Grenze gesetzt. Die Pietisten aus dem Schwarzwald oder von der mittleren Schwäbischen Alb tauchten nur sporadisch bei ihm auf. Eine Ausnahme bildeten die alten Beziehungen zu den Pietistenkreisen in Onstmettingen und Baiingen, Hahns früherem Wirkungskreis. Eine merkwürdige Zwischenstation zwischen Onstmettingen und Kornwestheim aber war Tübingen. Dort hat Hahn auf der Durchreise meist den Pietisten im Herzoglichen Stipendium eine Erbauungsstunde gehalten, wahrscheinlich auf Veranlassung des bedeutenden Repetenten und Korrespondenten Oetingers, K. Fr. Harttmann. Hahn hatte außerdem in dem Oberdiakon Märklin einen Gesinnungsgenossen. Darüber hinaus ist Hahn mit einer ganzen Reihe von Tübinger Bürgern höheren und niedereren Standes bekannt gewesen, u. a. dem Assessor des Engeren Landschaftsausschusses Jakob Heinrich Dann. Nicht uninteressant ist es, der sozialen Gliederung von Hahns Besuchern nachzugehen, die sich aus seinen Angaben einigermaßen erkennen läßt. Sie dürfte durchaus repräsentativ sein für die soziale Schichtung des württembergischen Pietismus. Für eine große Besuchergruppe gibt Hahn allerdings keine Berufe an, ja er nennt sie oft nur mit dem Vornamen. Das müssen vorwiegend die Angehörigen der bäuerlichen Kreise gewesen sein. Allerdings nennt Hahn auch bei Besuchern aus den Städten nicht immer den Beruf. Klar erkennbar wird daneben die Gruppe der Handwerker und Gewerbetreibenden. Sie reicht vom Strumpfweber auf dem Dorf bis zum Goldarbeiter in der Hauptstadt, Kaufleute finden sich unter ihr allerdings nur ganz wenige. Erstaunt wird man gewahr, wie stark die Beamten unter Hahns Besuchern vertreten waren, wobei das Spektrum wieder vom Skribenten und Substituten über die Stadtschreiber bis zu den Stuttgarter Behördenleitern reichte. Wenn Hahn von Beamten oder Kollegen spricht, setzt er vor den Namen meist ein »Herr« und die Amtsbezeichnung. Daß die Beamtenschaft etwa doppelt so stark vertreten ist wie die Handwerker, hat freilich noch einen besonderen Grund. Hahn hat in dem Sekretär Neuffer in Stuttgart einen höchst rührigen Agenten gehabt, der es fertig gebracht hat, daß in Stuttgart eine besondere Stunde sich bildete in den Häusern der Kammerräte Nonnenmacher, Seeger, Reischer. Zu ihnen hielt sich auch die große Familie des Leibmedicus Reuß und der Goldarbeiter Hübschmann. Vermutlich war das nicht der einzige Pietistenkreis, der in Stuttgart bestand. Zeitenweise konnte diese Stunde sogar geteilt werden. Anders als die sonstigen Konventikel zeigt der Stuttgarter Kreis eine gewisse Tendenz zur ständischen Abgeschlossenheit. Immerhin wird man es festhalten müssen, daß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Pietist wie Hahn offenbar ausgesprochen attraktiv war für Teile des Beamtentums. Man begegnet diesem Phänomen auch noch an anderer Stelle. Der Pietismus ist hier keineswegs nur die Religion der kleinen Leute. Selbst einige Vertreter des Adels haben die Verbindung mit Hahn gesucht. Zu Gustav Heinrich von Mylius, dem Generaladjutanten Herzog Karl Eugens, bestanden freundschaftliche Beziehungen. Die Generalin von Harling aus Münchingen war eine regelmäßige Besucherin seiner Stunden wie auch der Flattichs. Hahn hat auch den Major von Kaltenthal seelsorgerlich betreut. Relativ häufig taucht auch der Name des Barons von Palm auf. Die lebendigste Beziehung aber entstand zu dem Regierungsrat von Seckendorf. Bei dem Stallmeister von Guntrum in Waldstein hat Hahn eigens einen Besuch gemacht. Wahrscheinlich ist die Zahl der Sympathisanten mit dem Pietismus im Adel noch erheblich größer gewesen, doch läßt sich das bis jetzt nicht mit Sicherheit nachweisen. Viel-

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leicht haben hier auch verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den einzelnen Adelsfamilien eine Rolle gespielt. Eigentlich ist es gar nicht so sehr verwunderlich, daß Hahn selbst an adlige Kreise herangekommen ist. Der Pfarrer, der sich einer unverkennbaren Reputation des Herzogs und später auch seiner Frau erfreute, war ein durchaus möglicher Partner auch in den höchsten Kreisen. Bemerkenswert ist allenfalls, daß dieser Mann sowohl zu den bäuerlichen Kreisen als auch zum Bürgertum als auch zu den Führungsschichten der Gesellschaft Zugang fand. Der Pietismus erweist sich hier fähig, das Ganze der Gesellschaft zu umspannen und zu durchdringen. Erwähnung verdient zunächst noch die relativ kleine Gruppe der zwei Dutzend Schulmeister und Provisoren unter Hahns Besuchern. Man wird ihre Bedeutung als Multiplikatoren für die pietistischen Gedanken nicht gering einschätzen dürfen, vor allem wenn man die theologisch gebildeten Praeceptoren an den Lateinschulen noch hinzurechnet. In der Tat spielten dann die frommen Schulmeister im Pietismus des beginnenden 19. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle. Die größte Gruppe aber, zu der Hahn Kontakte hatte, machen die Pfarrer, Praeceptoren, Vikare und theologischen Magister aus. Hahn hat sich intensiv um seine Kollegen in der Nachbarschaft gekümmert, und sie haben ihn aufgesucht. Es ist allerdings nur ein Teil der Pfarrerschaft gewesen, den er angesprochen hat. Es ist unverkennbar, daß es neben den Pietisten auch die unbekehrten oder gar naturalistisch gesinnten Pfarrer gab. Über die Schwachheiten und Unzulänglichkeiten mancher auch frommer Amtsbrüder wird gelegentlich geklagt. Fast gezielt erscheint das Interesse am theologischen Nachwuchs, der zum Teil offenbar sich seinerseits zu den pietistischen Pfarrern hielt. Eine gute Möglichkeit der Einflußnahme boten hier die Vikariate bei den pietistischen Pfarrern. Die Verbindung der pietistischen Pfarrer und Theologen ist dann auf eine bemerkenswerte Weise institutionalisiert worden. Offenbar von Hahns Kornwestheimer Zeit an hat sich ein Kreis von Pfarrern, Vikaren und einigen Laien regelmäßig zur sogenannten Konferenz getroffen. Tagungsort war zunächst Besigheim. Als die Konferenzen dort nach einer vom Konsistorium veranlaßten Untersuchung verboten wurden, fanden sie an wechselnden Orten in Bietigheim, Wüstenroth, Stuttgart, Heppach, Beutelsbach, Grunbach, Winnenden, Eltingen, Beinstein, Murrhardt, Korb, Mundelsheim, Oberstenfeld und Hegnach statt. Eine der treibenden Kräfte war dabei offenbar Hahn, der die Fortexistenz der Konferenz auch gegen den Widerstand älterer Kollegen durchgesetzt hat. Zeitenweise haben bis zu 30 Pfarrer und Vikare an den Konferenzen teilgenommen. Gegenstand der Konferenzen war zunächst die Behandlung jeweils eines paulinischen Briefes, über den die Teilnehmer sich vorzubereiten hatten. So erfolgte bei den Konferenzen eine Art pietistischer Fortbildung. Außerdem wurde bei den Konferenzen aus den Tagebüchern vorgelesen, die zunächst vielleicht gerade auch zu diesem Zweck geführt worden sind und wohl die Basis für eine gegenseitige brüderliche Ermahnung abgeben sollten. Dieses Sich-Hinweisen auf die gegenseitigen Fehler und Schwächen scheint manchmal auch nötig gewesen zu sein. Nach Hahns eigenen Angaben gewinnt man den Eindruck, daß er selbst mit der führende Kopf bei den Konferenzen war. Seine Ideen wurden zwar nicht immer sofort und widerspruchslos angenommen, haben sich offenbar aber in weitem Maße durchgesetzt. Neben den Besuchen, den Stunden und den Konferenzen stellten Hahns Schriften eine weitere Kommunikationsebene dar. Die pietistischen Gesinnungsgenossen, Pfarrer wie Laien, waren auch die Käufer und Abnehmer von Hahns Schriften. Gelegentlich wird in den

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Tagebüchern erwähnt, daß diese Schriften auch über Württemberg hinaus beachtet wurden. Es ist von Büchersendungen nach Zürich, Mannheim und Öhringen die Rede. Die Schriften und dazu die Briefe waren auch das Medium, durch das Hahn mit wichtigen Vertretern des Pietismus in Deutschland in Verbindung kam, so mit Hasenkamp, Lavater oder Urlsperger. Auch in diesem Austausch deutet sich etwas von dem Niveau und der Qualität an, die Hahns pietistischer Theologie sichtlich beigemessen wurde. In den Tagebüchern wird Hahns Korrespondenz nur gelegentlich erwähnt. Sie muß aber immer bedeutender geworden sein, wie der Briefwechsel mit Lavater und die vier noch erhaltenen Korrespondenzbücher aus den Jahren 1776 bis i786(Württ. Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. 103 a-d) beweisen. Das war vor allem nach der Maßregelung von 1781 der Fall, als Hahn kaum mehr andere theologische Mitteilungsmöglichkeiten hatte. Das Verhältnis der Pietisten untereinander darf man sich nicht ohne weiteres als völlig harmonisch vorstellen. Zwischen dem Oetingerkreis in Besigheim und Hahn kam es immer wieder zu erheblichen theologischen Meinungsverschiedenheiten, die nachher auch bei Hahns zweiter Eheschließung eine Rolle spielten. Ein schwieriger Partner war offenbar gerade der Diakon Seiz, der gelegentlich sogar seine Freunde öffentlich in Predigten angriff. Aber auch Oetinger hat nicht nur versteckt gegen Hahn polemisiert. Spannungen bestanden zeitenweise auch zwischen Hahn und dem Ludwigsburger Waisenhaus. Ebenso kam es zu Auseinandersetzungen, wenn Hahn auf die Theologie der Herrnhuter stieß. Einer der Stuttgarter Pietisten war es zuerst, der Hahn als Sozinianer denunziert hat. In vielen Fällen sind die Konflikte allerdings ausgetragen und immer wieder bereinigt worden. Nicht selten sind auch ausgesprochene Außenseiter bei Hahn aufgetaucht. Mehrfach bezeichnet er bestimmte Besucher als Böhmisten, d.h. Anhänger Jakob Boehmes. Ferner haben gelegentlich Separatisten den Kontakt mit Hahn gesucht, z. B. der Strumpfweber Jud aus Metzingen oder der »Fanatikus« Martin Keil aus Schlierbach. Man spürt interessanterweise keinerlei prinzipielle Distanzierung Hahns gegenüber diesen Leuten. Der Pietismus hat hier keine Grenzen gesetzt, und offenbar war ein Mann wie Hahn in der Lage, solche Geister auch wieder zu integrieren. Insgesamt bildet diese Offenheit und Integrationsfähigkeit ein interessantes ekklesiologisches Phänomen. Abgesehen von seiner Theologie liegt Hahns Bedeutung in der Geschichte des württembergischen Pietismus, gerade auch nach dem, was sich aus den Tagebüchern ergibt, in Folgendem: Durch seine Tätigkeit in Kornwestheim entstand ein wichtiges Zentrum für den württembergischen Pietismus. Sein Besuchsdienst stellt erste Ansätze einer Organisationsform des württembergischen Pietismus dar, die es vor ihm so nur bei den Herrnhutischen Gruppen gab. In der gleichen Richtung wirkten sich die Konferenzen aus, die die pietistischen Führungsschichten zusammenfaßten. Aus diesen Ansätzen ist dann wenig später vor allem auch durch K. Fr. Harttmann das geworden, was man als württembergischen Altpietismus bezeichnet.

Der Theologe und Schriftsteller Eine zureichende Darstellung und Analyse von Hahns Theologie gibt es bis jetzt nicht. Hier kann zunächst lediglich ein Werkstattbericht von Hahns theologischer Entwicklung anhand der Tagebücher vorgelegt werden. Eine umfassendere Darstellung würde Hahn

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wohl als einen der bedeutenden spekulativen Systematiker des schwäbischen Pietismus erweisen und es dann auch möglich machen, seine offenbar vorhandene Eigenständigkeit gegenüber Oetinger präzis zu bestimmen. Während seines Theologiestudiums ist es Hahn sichtlich noch nicht möglich gewesen, zu einer abgeschlossenen Theologie zu kommen. Die Vikarszeit brachte die zweifellos wichtige Begegnung mit Oetinger. Hahn erwähnt außerdem eine Beeinflussung durch die Herrnhutische Sünden- und Gnadentheologie, gegen die er sich später scharf gewandt hat. Ob und welche theologischen Anregungen Hahn in Onstmettingen empfangen und welche Entwicklungen er durchgemacht hat, ist bis jetzt völlig unbekannt. Dazu müßte neben den Predigten das theologische Notizen- und Exzerptenbuch 1766 bis i776inderWürtt. Landesbibliothek Stuttgart (Cod. theol. et phil. 8° 157) ausgewertet werden, das Hahn offenbar parallel zu seinem Tagebuch und zu seinen mechanischen Notizen geführt hat. Es hat den Anschein, daß sich Hahn in Kornwestheim planmäßig an den Ausbau seines theologischen Gebäudes gemacht hat. Nunmehr äußert er den Wunsch, zum eigenen System zu kommen. Dabei handelte es sich allerdings um ein nicht ungefährliches Unternehmen, denn Hahn folgte durchaus nicht der Kirchenlehre, sondern befand sich alsbald an vielen Stellen im kritischen Gegensatz zu ihr und betrachtete die Orthodoxie als ein Gefängnis. Es fiel ihm gar nicht leicht, die eigene Konzeption behutsam und noch einigermaßen korrekt zu formulieren. Selbst seine Gesinnungsgenossen wie Oetinger und Seiz vermochten ihn nicht immer von riskanten Äußerungen abzuhalten. Den Stellenwert von Hahns Lehren und Schriftstellerei versteht man nur dann recht, wenn man sich klar macht, welch hohen Rang er der theologischen Erkenntnis beimaß. Sie sollte zur umfassenden Einsicht in Gottes Plan und Handeln führen. Mit der Betonung der Erkenntnis, die eine ganze Kosmologie und Heilsgeschichte umschloß, eignet Hahns Theologie ein ausgesprochen gnostischer Zug, der sich nicht selten bis in seine Bilder und Vorstellungen (z. B. vom Lichtfunken) bemerkbar macht. Dieses gnostische Interesse verleiht Hahns Theologie ihre erstaunliche Geschlossenheit. Das Bewußtsein, im Besitz der Erkenntnis zu sein, bestimmte dann auch die eigene Einschätzung Hahns als Lehrer und Theologe. Mit Menschen, die nicht an der Erkenntnis interessiert waren, konnte er nichts anfangen; er hielt sie für geistlos. Die Mitteilung seiner Erkenntnis in der literarischen Tätigkeit galt ihm als Arbeit für das Reich Gottes. Vor allem die Tagebücher lassen ab 1772 die Genese von Hahns Gedanken erkennen, und zwar in einer doppelten Hinsicht. Sie informieren uns zum Teil minutiös über die Entstehung einzelner Schriften Hahns, oft von der ersten Idee bis zu der dann oft recht modifizierten endgültigen Gestalt. Bedrängt von der Fülle der Einfalle hat Hahn oft sehr um die Ausführung seiner Schriften ringen müssen, bis sich die klare Lösung ergeben hat. Außerdem berichten die Tagebücher über Hahns theologische Reflexionen vom Gedankensplitter bis zu ausgeführten theologischen Abhandlungen. Betrachtet man sie im Zusammenhang, so ergeben sich auch aus ihnen die Grundzüge von Hahns theologischem System. Aus welchen Materialien dieses System entwickelt worden ist, läßt sich erschließen aus dem, was Hahn zitiert oder gelesen hat. Vorweg ist das Bibelstudium zu nennen. Hahn hat sich zum Teil zusammen mit seinen Freunden immer wieder an das Durcharbeiten ganzer neu testamentlicher Schriften gemacht. Der Rahmen, in dem dieses Bibelstudium sich vollzog, war abgesteckt durch Johann Arndt, Johann Albrecht Bengel, Friedrich Christoph Oetinger und Jakob Boehme. Außerdem dürfte eine gewisse Kenntnis von Stephan Praetorius, Porst, Pordage und Swedenborg vorhanden gewesen sein. In Hahns Gesichtskreis tauchten auch Hasen-

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kamp, Urlsperger, Lavater und Herder auf. Während er an VOLTAIRES Roman Candide durchaus Gefallen fand, hat er Semler wegen seines »Naturalismus«, wo immer er etwa auch bei Kollegen auf ihn stieß, energisch verworfen. Hahn ging ständig mit mehreren kleineren und größeren theologischen Projekten um, die zum Teil dann in seinem theologischen Notizbuch auch schriftlich fixiert und in der Kornwestheimer Zeit vereinzelt auch publiziert wurden. Der Druck erfolgte dabei häufig auf eigene Kosten unter bewußter Umgehung der kirchlichen Zensur. Hahn hat seine Schriften dann gewöhnlich selbst verschenkt oder verkauft, wobei der Absatz gar nicht schlecht gewesen zu sein scheint12. 1781 mußte Hahn auf weitere Veröffentlichungen ausdrücklich verzichten. Er ist darum geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie schwer es selbst im späten 18. Jahrhundert noch war, abweichende religiöse Meinungen zu äußern. Die erste Veröffentlichung Hahns in Kornwestheim war die Hauptsache der Offenharungjohannis (1772), eine katechismusartige Zusammenfassung von Bengels Apokalypseauslegungen13, vermutlich die Frucht der ersten Beschäftigung mit der Apokalypse in der Erbauungsstunde in Kornwestheim. Hahn hat sich auch später mit solchen Editionsprojekten befaßt, mehrfach plante er Auszüge aus Jakob Boehme oder aus Arndt. Er hat auch Schriften seiner Freunde, z.B. Predigten Oetingers oder Harttmanns vor der Veröffentlichung mitgelesen. An eigenen Vorhaben erwähnt er 1772 eine Psalmentheologie. 1773 dachte er daran, fliegende Blätter wie Voltaire zur Förderung des Reiches Gottes herauszugeben oder kurze Piecen. Einmal taucht der Plan eines Wörterbuches auf, außerdem der eines Periodicums, das aus Auszügen aus den Tagebüchern bestritten werden sollte. Von 1774 an sind Hahns eigene theologische Arbeiten erschienen. Die oft langwierige Entstehung der einzelnen Schriften Hahns läßt sich anhand der Tagebücher gut verfolgen. Die literarische Arbeit bezeichnete er als sein »Pensum«, das er tagtäglich, oft in harter Mühe, zu erbringen suchte. 1773 hat Hahn mit der Auslegung des Epheserbriefs begonnen. Das »Epheserbüchlein«, das dann 1774 sis Fingerzeig zum Verstand des Königreichs Gottes und Christi erschien, war dann aber doch keine Auslegung des ganzen Briefes, sondern nur eine Untersuchung über das erste Kapitel, verbunden mit einer Abhandlung über das Geheimnis des Willens Gottes. Man kann behaupten, daß Hahn seine Theologie geradezu aus dem Epheserbrief entwickelt hat, denn der Ansatz seines theologischen Denkens geht ständig aus von dem ursprünglichen, vorweltlichen Liebesvorsatz Gottes. Er ist darum hier anhand der Tagebücher etwas näher auszuführen. Das Evangelium versteht Hahn als eine Erzählung von dem ewigen Liebesvorsatz Gottes, die es zu begreifen gilt. In diesem Horizont wird die Prädestination begriffen. Sie ist Gottes allmächtiger Ratschluß zu unserer Verherrlichung. Hahn meinte damit näher bei den Reformierten als bei den Lutheranern zu stehen. Gott selbst verstand er als das lieblichste, süßeste Wesen, völlig bestimmt durch seinen Liebeswillen. Das wirkte sich auf die ganze Anlage von Hahns Theologie folgenreich aus. Aus diesem Grund nämlich kam er in Schwierigkeiten mit der Trinitätslehre, denn es gab für ihn eigentlich nur eine »Selbständigkeit« in Gott. Jesus rückt dagegen sehr auf die Seite der Söhne. So geriet Hahn in den Verdacht des Socinianismus, d. h. der Leugnung der Trinitätslehre. Dem Liebesvorsatz Gottes wurde auch die Versöhnungslehre un12 Dies bildet den Hauptgrund für die Hahn betreffenden Ungenauigkeiten und Lücken in MÄLZERS Pietismus-Bibliographie, die vom Tagebuch her ergänzt werden muß. 13 MÄLZER Nr. 307 und 1022; gegen MÄLZER handelt es sich eher um eine eigene Schrift Hahns als um eine bloße Edition.

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tergeordnet. Denn die vom Liebesvorsatz isolierte Satisfaktionslehre würde Gott als einen rachedurstigen Tyrannen erscheinen lassen. Der Tod Jesu diente nicht zur Stillung von Gottes Zorn, der bei Hahn verharmlost erscheint, sondern war die von Jesus bestandene höchste Probe der Offenbarung der LiebeGottes. Die Menschheit Christi ist die Wirkungsstätte Gottes. Das inkarnierte Wort ist nichts anderes als der geoffenbarte Gott. Es führt den Plan Gottes sowohl im einzelnen Menschen als auch bis ans Ende der Geschichte durch. Auch die Lehre vom Verdienst Christi und von der Rechtfertigung muß sich dem Liebesvorsatz unterordnen. Die Durchführung des Liebesvorsatzes bedeutet nämlich nicht Gerechtsprechung des Sünders, sondern die Heiligung und Vollendung des Menschen. Dem allem entspricht selbstverständlich auch eine bestimmte Anthropologie. In jedem Menschen steckt ein Fünklein Gottes, »eine kleine Gottheit«, der Schatz, der aus den irdenen Gefäßen befreit werden muß, ein Keim Gottes, der entwickelt werden muß, um die Oberhand über das Fleisch, in das er gebunden ist, zu gewinnen. Der Wachstumsgedanke ist in diesem Zusammenhang höchst bezeichnend. Es geht nicht um eine Neuschaffung des Menschen, sondern um seine Entwicklung. Damit erscheint der Sündenbegriff gleichfalls verharmlost. Konsequent hat Hahn darum auch die Freiheit des menschlichen Willens angenommen. Die Vergöttlichung des Menschen geschieht durch das Wort als Erkenntnisvorgang. Durch die Erkenntnis des Willens Gottes verwirklicht sich das göttliche Ebenbild im Menschen. Die Reifung des Menschen kann über seinen Tod hinaus währen, bis er auferstehen kann. Diese Anthropologie geht von einem Dualismus aus, in dem das Fleisch die tierische Seite des Menschen ausmacht, von der man loskommen muß. Dadurch wird zum Teil auch Hahns Vorstellung von der Ehe mitbestimmt. Der Endzustand des Menschen ist als vergeistigte Materialität gedacht. Hahn ist es in erstaunlicher Weise gelungen, von der Konzeption vom Liebesvorsatz Gottes her eine umfassende Theologie einschließlich einer Anthropologie und Eschatologie zu entwickeln. Er ist dabei sichtlich beeinflußt von Boehme und Oetinger, ohne daß sich die Eigenständigkeit Hahns schon genau bestimmen läßt. Sichtlich ist aber wie bei Oetinger Boehmes Dualismus durch das Prinzip der Liebe Gottes aufgehoben. Es verwundert nicht, daß Hahn dann schon 1774 in den Erbauungsstunden den ganzen Epbeserbrief ausgelegt hat. Im gleichen Jahr befaßte er sich auch noch mit dem dem Epheserbrief nahestehenden Kolosserbnef. Schon 1774 hat Hahn auch Predigten im Druck herausgebracht, zuerst wohl einzeln, aber im Lauf der Zeit sind sie zu einem kompletten Jahrgang angewachsen, der 1775 abgeschlossen war. Die Predigten wurden eigens für den Druck verfaßt, sie sind also intensiv durchdachte, oft mehrfach überarbeitete literarische Produkte. In ihnen klingt ein weiteres Thema der Theologie Hahns an: das Königreich Gottes und seine Entwicklung und Vollendung in der Eschatologie, das sich aber ganz in die Konzeption vom Liebesvorsatz einpaßt. Die Predigten sind auch sonst eine ergiebige Fundgrube von Hahns Theologie. In den 1779 veröffentlichten Vermischten theologischen Schriften, die zum Teil schon in den Jahren zuvor verfaßt worden sind, ist der Gedanke des Königreichs dann für die ganze Schriftbetrachtung des Alten und Neuen Testaments beherrschend. 1772 äußert Hahn zum erstenmal den Plan einer eigenen Übersetzung des Neuen Testaments. Er ist damit dann jahrelang umgegangen und hat immer wieder Versuche angestellt, wie eine solche Übersetzung gestaltet werden sollte hinsichtlich der Überschriften, Dispositionen, Anmerkungen und dem Text, an den er sich anlehnen wollte. Eine große Liebe zum Neuen Testament stand hinter diesem Unternehmen, das Hahn sich so viele Mühe kosten

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ließ. 1777 lag die Übersetzung dann vor unter dem bezeichnenden Titel Die Heiligen Schriften der guten Botschaft vom verheißenen Königreich. Für Hahn schildert die Bibel insgesamt den Prozeß, wie wir aus dem Licht in die Finsternis gefallen sind, aber Gott sich unser erbarmt hat und sein Licht uns hat erfahren lassen, das wir wirken lassen sollen. Die großen Themen und Probleme seiner Theologie hat Hahn immer wieder auch in besonderen Aufsätzen aufgegriffen und bearbeitet. So schrieb er 1773 einen Aufsatz Vom Sohn Gottes, 1774 beschäftigte er sich mit der Trinitätslehre. Im folgenden Jahr setzte er sich mit der Trinitätslehre Urlspergers auseinander. 1775 und 1776 schrieb er an einem »Versöhnungsaufsatz«, 1776 an einem solchen über die Gottheit Jesu. Daß Hahns Gedanken sich dabei nicht selten jenseits der Kirchenlehre bewegten, wurde schon angedeutet. Nicht anders dürfte es sich mit dem Aufsatz über die Taufe von 1773 verhalten haben. Hahn sah in der Taufe eine samenhafte Teilhaftigwerdung der Auferstehungskraft Jesu und der Wiedergeburt. Aber diese Mitteilung erfolgte eigentlich über die Lehre, die ihm darum auch die Hauptsache bei der Taufe war. So verwundert es nicht, daß Hahn sich kritisch über die Kindertaufe geäußert und darüber geseufzt hat, daß er, der Lehrer, mit der Funktion des Taufens geplagt sei. Ein gebrochenes Verhältnis scheint Hahn übrigens auch zum Abendmahl gehabt zu haben. Fast reformiert bezeichnete er es immer wieder als Erinnerungsmahl, konnte aber etwas unscharf auch von einer Stärkung zum ewigen Leben, das in uns ist, oder von einer Mitteilung der Lebenskraft Jesu reden. Eine ganze Reihe von Arbeiten Hahns beschäftigten sich mit dem Katechismus, den er sichtlich seinen Auffassungen anzupassen suchte. Erstaunlich umgetrieben waren Hahn und seine Zeitgenossen offenbar von dem Problem des Zustands nach dem Tode, das nach dem Sterben von Hahns erster Frau für ihn besonders aktuell wurde. Insgesamt erwähnen die Tagebücher vier einschlägige Arbeiten. Dabei wurde um eine denkerische Verantwortung dieses dunklen Problems gerungen, wobei durchaus auch Interpretamente aus der damaligen Physik und Chemie herangezogen wurden, um die Verwandlung des Fleisches in die höhere geistliche Stofflichkeit sich vorstellen zu können. Selbstverständlich reizten Hahn auch immer wieder Auslegungsprobleme der Apokalypse, mit denen er sich in späterer Zeit noch viel beschäftigt hat. In diesem Zusammenhang dürfte der Entwurf einer Schrift über das neue Jerusalem von 1777 gehören. Der heutige Betrachter kann Hahn den Respekt vor der Kraft und Folgerichtigkeit, mit der er sein theologisches System entworfen und ausgearbeitet hat, nicht versagen. Für ihn ist es aber zugleich unübersehbar, daß Hahn an nahezu jedem Punkt, nicht zuletzt hinsichtlich der Rechtfertigung, mit der kirchlichen Lehre in Konflikt geraten ist. Die kirchliche Lehre stellte für Hahn eigentlich keine Bindung mehr dar, obwohl er die offene Konfrontation mit ihr zu vermeiden suchte; einziger Orientierungspunkt war ihm die Schrift, verstanden im Interpretationshorizont seines eigenen Systems. Leistung und Grenze dieses Systems werden noch einmal offen und kritisch zugleich gewürdigt werden müssen. Dabei wird nicht außer acht gelassen werden dürfen, daß Hahn einen großen Personenkreis mit seinen Gedanken angesprochen und ihm mehr gegeben hat, als es die normale Kirchenlehre seiner Zeit vermochte.

Der Naturwissenschaftler, Erfinder, Techniker und Unternehmer Hahns Ruhm und Nachruhm rührt vor allem von seiner Uhrmacherei, der Konstruktion astronomischer Maschinen und der Schaffung seiner Rechenmaschine her. Diese Seite in seinem Wirken ist von Max Engelmann14 in einer wertvollen Monographie gewürdigt worden, die freilich nicht mehr allen heutigen Ansprüchen genügt. Man darf sich allerdings den Blick für die Eigenart von Hahns Begabung nicht dadurch verengen lassen, daß man lediglich seine Spitzenprodukte in Betracht zieht. Er war nicht nur Konstrukteur und Erfinder. Er war ein breit interessierter Naturwissenschaftler und dazu ein kleiner Unternehmer. Mit all dem entstanden ihm eigenartige, gesellschaftliche Beziehungen. Das naturwissenschaftliche Interesse schloß die Beschäftigung mit all ihren Zweigen ein. In seinen »Werkstattbüchern« 15 finden sich neben den flüchtig hingeworfenen Berechnungen von Zahnradübersetzungen und Skizzen für mögliche Anordnungen von Zifferblättern der Uhren oder der Komponenten astronomischer Maschinen immer wieder Auszüge aus naturwissenschaftlichen Büchern. Dort sind die botanischen und zoologischen Klassifikationsschemen des Schweden Carl von Linee( 1707-1778), Gedanken des holländischen Arztes und Chemikers Hermann Boerhaave (1668—1738) sowie chemische Rezepte »aus dem Hamburger Magatzin«, ja sogar des mittelalterlichen Alchemisten Basilius Valentino zu finden. Eine Auswertung dieser »Werkstattbücher« steht noch aus. Sie wird dadurch erschwert, daß ihr Verfasser unsystematisch und ohne Gliederung seine Exzerpte, Berechnungen und Gedanken eingetragen hat, so daß nicht immer zu klären sein wird, was mit der entsprechenden Eintragung gemeint war. Soviel ist aber sicher: Hahn hat sich nicht erst 1776/1777 mit Alchemic beschäftigt. Er hat schon m seinen früheren Jahren Arzneien, Tinte, Farben, Lacke und Siegellack (»Spanisches Wachs«) nach eigenen Rezepten hergestellt. Es scheint aber, daß er infolge seiner Arbeitsüberlastung und wohl auch wegen grundsätzlichen Vorbehalten nicht zur eigenen, experimentellen Beschäftigung mit dem »großen Werk« der Alchemisten - der Herstellung der Quintessenz oder des Steines der Weisen - gekommen ist. Auch eine andere okkulte Wissenschaft - die Chiromantie oder Handlesekunst - hat er ausgeübt. In seiner Beschäftigung mit der Meteorologie steht Hahn noch in der astrologischen Tradition, die ihre klassische Ausprägung in dem zu Beginn des 18. Jahrhunderts verfaßten »Hundertjährigen Kalender« fand. Schon als Vikar hatte er für OETINGERS 2. Teil der Philosophie der Alten, wiederkommend in der güldenen Zeit16, die von dem Schotten William Cock 1665 veröffentlichte Methode der Wettervorhersage zusammengestellt. In ihr werden neben astronomischen Daten (z. B. Stand der Planeten, Kometen und Fixsterne) auch geographische Angaben (z. B. Lage des Ortes) herangezogen. Als Vikar und Pfarrer versuchte 14 Vgl. Literaturverzeichnis, 8.40. 15 Diese befinden sich in der Württ. Landesbibliothek Stuttgart: Cod. Math. 8° 24 und 26, Cod. hist. 8° 108, 6 und 7. 16 MÄLZER Nr. 2043, dort aber nicht als Arbeit Hahns kenntlich gemacht. Die Identität mit Nr. 18 ist nicht erkannt.

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Hahn durch die Erstellung eigener Vorhersagen und Verifikation anhand der eigenen Beobachtungen sich über die Richtigkeit dieser Methode klar zu werden17. Als 1771 der nunmehrige Murrhardter Prälat und Freund Oetinger um eine Wettervorhersage für das Jahr 1772 zum Einrücken in den bei J.B. Metzler erscheinenden Landwirthschaftskalender bat, kam Hahn dieser Aufforderung nur ungern nach. Immer wieder wies er in den veröffentlichten Vorhersagen darauf hin, wie wenig gesichert ihm die Methode erscheine. Außerdem ließ er seine eigenen Wetterbeobachtungen mit einrücken, damit der Leser sich kritisch zu seiner Vorhersage äußern könne. Für das Jahr 1772 glaubte er eine einigermaßen zutreffende Vorhersage erstellt zu haben, wie er in dem folgenden Kalender mitteilte. Für das Jahr 1773 bemerkte er, er habe wohl »nicht ganz gefehlet«. Für das Jahr 1774 versuchte er die Methode durch die Hereinnahme eigener Parameter zu verbessern. Vor allem lag ihm daran, die seit der Entwicklung der Astrologie erfolgte Verschiebung der Tierkreis-Sternbilder im Gange der Jahreszeiten zu berücksichtigen. Er arbeitete die Wettervorhersage für dieses Jahr besonders sorgfältig aus. Man spürt, er ging damals aufs Ganze. Die darauf folgende Vorhersage für das Jahr 1775 wurde lakonisch kurz. Selbst die Verifikation für das vergangene Jahr entfiel. Hahn hatte erkannt, daß auf diesem Wege keine einigermaßen sichere Wettervorhersage zu erzielen ist. Intern führte er seine Beobachtungen und Vorhersagen weiter. Aber als 1780 im benachbarten Mannheim die Societas Meteorologia Palatina ein systematisches, weltweites meteorologisches Beobachtungsnetz18 nach einheitlichen Beobachtungsvorschriften einrichtete und damit die moderne Meteorologie als physikalische Wissenschaft begründet wurde, war der Kornwestheimer Pfarrer nicht unter den Wetterbeobachtern. Obwohl persönliche Kontakte zum Sekretär Johann Jakob Hemmer entstanden, dürfte ihm wohl die Last der regelmäßigen Wetterbeobachtung zu festgesetzten Zeiten zu viel gewesen sein. Erfolgreicher war Hahns technisches Schaffen. Hier tritt er uns als moderner Ingenieur entgegen. Er prüft bei der Lösung einer technischen Aufgabe in oft jahrelangen, systematischen Versuchsreihen die Brauchbarkeit der vorhandenen Lösungen. Wenn er auch keine grundsätzlich neuen Wege beschreitet, liegen seine Produkte immer mit an der Spitze des technischen Fortschrittes, weil er durch diese eigenen Versuche auf Verbesserungen des Vorhandenen stößt. Astronomische Maschinen, Rechenmaschinen, den Zylindergang bei Taschenuhren, hydrostatische und andere Waagen gab es schon vor seiner Beschäftigung mit diesen Komponenten. Ihm war es darum zu tun, das Bewährte seiner Vorgänger zu übernehmen und wenn möglich noch zu verbessern. Entspricht so die Art seines technischen Schaffens in seinem Verhältnis zum wissenschaftlichen Forschen dem eines Ingenieurs unserer Tage und nicht eines reinen Wissenschaftlers, so ist auch die Abgrenzung zu dem manuellen Arbeiten seiner Werkstattgehilfen durchaus das Gegenwärtige zwischen Ingenieur und Arbeiter. Denn er richtete eine Werkstatt ein und überließ die manuelle Arbeit angeworbenen Gesellen oder seinen angelernten Brüdern und den eigenen Kindern. Lediglich die große Präzision erfordernde Einteilung von Zifferblättern und das Anmalen der Uhren scheint Hahn zum Teil selbst besorgt zu haben, sofern er sich nicht fremde Handwerker dazu holte. Der Techniker Hahn war vielfach auch sein eigener Designer, und er hatte, wie seine höchsten Ansprüchen genügenden Produkte 17 Das Folgende nach Hahns Beiträgen im Landwirthschaftskalender, 18 VAN BEBBER, i.Theil, 8.274.

1772-1775.

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ausweisen, sichtlich einen hochentwickelten Sinn für feine, nicht selten sogar preziöse Formen. Die Auslegung seiner Werkstatt entsprach allerdings nicht der einer heutigen Fertigungsstätte. Hahn arbeitete auf Bestellung und nicht auf Lager. Bei jeder neuen Bestellung wurde das Produkt entsprechend den systematischen Versuchen verbessert, so daß nur selten zwei genau gleiche Produkte seine Werkstatt verließen. Lediglich im Waagenbau ließ der Markt die Produktion einer größeren Stückzahl gleicher Geräte zu. Hahn lernte auch seine Pfarrkinder an. So wurde Onstmettingen zum Mittelpunkt der württembergischen Waagenindustrie 19 . Zu dem Zeitpunkt, in dem die Kornwestheimer Tagebücher einsetzen, hatte Hahn bereits zwei technische Meisterwerke geschaffen. Er hatte eine Neigungswaage entwickelt, die den Anforderungen eines Haushaltes gewachsen war und preiswert hergestellt werden konnte. Als Vorläufer der heutigen Briefwaage (ohne Federzug) hatte sie den großen Vorteil, daß sie ohne Gewichte direkt an einer Skala den Hebelausschlag des Waagenarms und damit das zu wiegende Gewicht anzeigte. Solange die Lager in Takt waren, zeigte sie ohne häufiges Nacheichen auch im robusten Alltagsbetrieb in den Händen ungeübter Menschen zuverlässig an. In den Jahren 1773/1774 entwickelte der Kornwestheimer Pfarrer einen hydrostatischen Waagentyp wiederum dadurch, daß er die vorhandenen Geräte verbesserte. Solche Waagen wurden zur Bestimmung des spezifischen Gewichtes nach dem archimedischen Prinzip benutzt. Das spezifische Gewicht ist bei vielen Substanzen ein Maß für beigemengte Verunreinigungen. In einer Zeit, in der der Geldverkehr weitgehend auf dem Feingehalt von Münzen beruhte, für die es aber noch keine internationalen Absprachen über ihren Feingehalt gab20, konnte eine solche, einfach zu bedienende Waage auf einen bestimmten Bedarf stoßen. Denn mit ihrer Hilfe konnte man den Edelmetallgehalt der Münzlegierung bestimmen, ohne sie zu verletzen. Außerdem hatte der Sohn des befreundeten Leibmedicus Reuß eine Skala für das spezifische Gewicht von Weinen entwickelt, die direkt den Zuckergehalt angibt. Diese Einteilung ist ein Vorläufer der heutigen Oechsle-Grade, die dem gleichen Zweck dienen. Hahn konstruierte seine hydrostatische Waage so, daß sie sowohl für feste, als auch für flüssige Substanzen einsetzbar war. Ein zweites technisches Meisterwerk war der Bau der Astronomischen Maschine für die Ludwigsburger öffentliche Bibliothek, die heute in veränderter Gestalt im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart steht. Auch die Astronomische Maschine ist keine völlige Neuschöpfung Hahns. In den Jahren 1745 bis 1753 hatte der fränkische Schreinermeister Johann Georg Neßtfell für Kaiser Franz I. eine Astronomische Maschine gebaut, die sich heute im Naturhistorischen Museum in Wien befindet. Sie stellt neben den Zeitangaben das Kopernikanische Weltbild als uhrwerkgetriebenes Modell dar. Diese Uhr wurde 1761 von dem Schüler Oetingers, Johann Ludwig Fricker, beschrieben. Hahn kannte Neßtfells Uhr. Es ist wohl kaum zutreffend, wenn er in der Beschreibung mechanischer Kunstwerke (MÄLZER Nr. 976, S. VIII) behauptet, von ähnlichen Unternehmungen nicht gewußt zu haben. In seiner Astronomischen Maschine stellte Hahn das eschatologische System von Johann Albrecht Bengel dar. Die Auslegung dieser Uhr ist ein erstes Beispiel für die ideologische 19 Für das Folgende vgl. ENGELMANN, S. 191-201 und SAUTER, S. 31-38. 20 J. KULISCHER, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. 4. Auflage, Bd. 2, Darmstadt 1971, 5.339-345.

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Grundlegung des ingenieurmäßigen Schaffens des Pfarrers. Im Jahre 174 $ hatte BENGEL seinen Cyclus2* veröffentlicht. Darin glaubte er den Beweis zu führen, daß alle heilsgeschichtlichen Vorgänge von der Erschaffung der Welt (/. Mose i), für ihn 3946 v. Chr., bis zum Herabschweben des himmlischen Jerusalems (Offenbarung 21), für ihn im Jahre 3836 n. Chr., sich in bestimmten Konstellationen der Sterne am Himmel abbildeten. Hahn präsentierte sich in seiner Ludwigsburger Astronomischen Maschine als ein gläubiger Schüler dieses Meisters. Er brachte nicht nur an den Jahreszähler eine Anzeige dieser Ereignisse an. Darüber hinaus waren den Berechnungen der Umläufe der Planeten und Fixsterne die von Bengel ermittelten Daten zu Grund gelegt. So sehr war der Pfarrer von der Richtigkeit des bengelschen Systems überzeugt, daß er die modernen Daten verwarf, sofern sie nicht mit den Angaben des Cyclus übereinstimmen 22 . Gleichsam als theologischen Kommentar stellte er 1771 m Frage und Antwort Die Hauptsache der Offenbarung Johannis oder vielmehr ]esn Christi aus den fürnehmsten Schriften des sei. Herrn D.Jo. Alb. Bengel (MÄLZER Nr. 1021) zusammen. Dieses Werk schloß er am 3. Januar 1772 ab, also zwei Jahre vor der Veröffentlichung der Beschreibung der Ludwigsburger Astronomischen Maschine (MÄLZER Nr. 976). Da aber in der technischen Beschreibung nur an einer Stelle beiläufig auf die Herkunft der zu Grunde gelegten astronomischen Daten hingewiesen wird, auf der anderen Seite die »Hauptsache der Offenbarung« auf dieses Gerät nicht hinweist, ist die gewünschte propagandistische Wirkung für die Bengelsche Zeitrechnung ausgeblieben. Selbst Lavater, dem Vischer am 19. August 1774 dieses Werk erklärte, weiß in seinem »Reisetagebuch« nichts von diesen Grundlagen zu berichten 23 . Nach Fertigstellung der Ludwigsburger Astronomischen Maschine beschäftigte den nunmehrigen Kornwestheimer Pfarrer die Konstruktion von uhrwerkgetriebenen Modellen des Weltalls weiter. Er fand neue konstruktive Möglichkeiten, die die Zahl der Zahnradübersetzungen verminderten. Er begann mit dem Bau einer zweiten Astronomischen Maschine, die trotz verbesserter Auslegung technisch einfacher werden sollte. Gegenüber der Ludwigsburger Maschine wurden die Systeme der Planeten Erde, Jupiter und Saturn mit ihren Monden in einer getrennten Komponente dargestellt. Dadurch gewann das Ganze an Übersichtlichkeit. Die Berechnung der Zahnradübersetzungen wurde erneut eine zeitraubende Nebenbeschäftigung des Pfarrers. Hatte er aber früher in dem abgelegenen Onstmettingen zu solchen umfangreichen Berechnungen genügend Zeit und vor allem Ruhe gehabt, so wurde er in Kornwestheim häufig durch Besuche und seine pfarrherrlichen Pflichten gestört. Oft mußte er angefangene Rechnungen liegen lassen, um sich durchreisenden Bekannten zu widmen. Damit war die dafür verwandte Zeit nutzlos geworden, weil die Rechnung zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden mußte24. Um schneller zum Ziel zu gelangen, begann der Kornwestheimer Pfarrer Pfingsten 1770 mit der Entwicklung einer mechanischen Rechenmaschine für alle vier Grundrechnungsarten. Bei der Genauigkeit, die er für die Berechnung der Zahnradübersetzungen brauchte, mußte er von vorneherein eine Maschine mit möglichst vielen Dezimalstellen anstreben. Und gerade hier lagen die Probleme. Eine Rechenmaschine löst die vier Grundrechnungsarten in fortdauernde Addition auf. Subtrahieren heißt für sie addieren mit der negativen Zahl. 21 MÄLZER Nr. 385.

22 PH. M.HAHN, Beschreibung mechanischer Kunstwerke (MÄLZER Nr. 976), i. Stück, S. 22. 23 Zentralbibliothek Zürich, Ms. Lavater 16. 24 PH. M.HAHN, Beschreibung einer Rechnungsmaschinc, S. 138-147. Auch das Folgende dort.

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Beim Multiplizieren addiert sie den Multiplikator so oft mit sich selbst, wie es der Multiplikand angibt. Dividieren bedeutet, die Zahl der Schritte festzuhalten, die durch Subtrahieren des Dividenden von dem Divisor notwendig sind, um eine festgelegte Genauigkeitsgrenze zu unterbieten. Leibniz hatte bereits zu Ende des 17. Jahrhunderts eine Staffelwalze entwickelt, die auf elegante Art den »Zehnerübertrag« von einer Dezimalstelle zur nächsten bei Summenbildung herstellt. Jedoch zeigte seine Maschine noch technische Mängel, die ein einwandfreies Arbeiten nicht gestatteten 25 . Hahn kannte die Arbeiten von Leibniz. Schon bald stellte sich ihm das Problem der beschränkten Kraftreserven der menschlichen Muskeln. Jede Zahnradübersetzung benötigt infolge der Reibung eine antreibende Kraft. Bei einer mechanischen, durch eine Kurbel von Hand zu bewegenden Rechenmaschine darf die aufzuwendende Kraft nur so groß werden, daß sie bequem von der menschlichen Hand bewältigt werden kann. Wollte man also eine vielstellige Maschine bauen, mußte die Zahl der Zahnräder möglichst klein gehalten werden. Zwar konnte man zusätzliche Uhrenfedern einsetzen, diese mußten aber während der Drehbewegung der Kurbel wieder selbsttätig aufgezogen werden. Die Einzelheiten der Entwicklung sind anderswo geschildert26. Im Winter 1771/1772 ging Hahn zur Einsparung von Zahnrädern von der kastenförmigen Anordnung der Leibnizschen Maschine zu der von Leupold vorgeschlagenen Trommelform über. Gleichzeitig benutzte er Uhrenfedern. Im Mai 1779 wurde die endgültig ausgeführte Form im Teutschen Merkur der Welt vorgestellt. Der Konstrukteur hat von dieser Pionierleistung nur wenig Lohn geerntet27. Der Markt erwies sich noch nicht als besonders aufnahmefähig. Die mechanische Rechenmaschine in der vorgeschlagenen Auslegung steigerte die Rechengeschwindigkeit bei geringen Ansprüchen an die Rechengenauigkeit nicht wesentlich. Die menschliche Arbeitskraft war infolge des hohen Geburtenüberschusses billig. Auch lagen größere Rechenarbeiten noch nicht vor. Die Vorteile dieser Maschine lagen aber vor allem in der sicheren Erstellung von Rechenergebnissen bei langen Kolonnen großer Zahlen. Auch für die Berechnung der Zahnradübersetzungen der Astronomischen Maschine konnte die Rechenmaschine nur bedingt eingesetzt werden. Denn sie war zu dieser Zeit noch in Entwicklung und arbeitete noch nicht zuverlässig genug. Als 1779 der Artikel erscheint, arbeitete in der Kornwestheimer Werkstatt C.F. Schoenhardt an der Herstellung von Aquarellen, die die vollendete Astronomische Maschine zeigen, die heute im Besitz des Germanischen Museums in Nürnberg ist. Die Große Astronomische Maschine war inzwischen ihrem Konstrukteur zu einem weltanschaulichen Problem geworden. Als er mit ihrer Konstruktion begann, zählte er zu den Anhängern der Bengelschen Zeitrechnung. Am 29. Dezember 1772 entlieh er sich von seinem Freund am herzoglichen Hofe, Gustav Heinrich von Mylius, DE LALANDES Astronomie - das klassische astronomische Lehrbuch der damaligen Zeit. Mitte Januar 1773 änderte er die Konstruktionszeichnungen des Jupiter-Systems ab, wohl um die zu Grunde hegenden astronomischen Daten mit den modernen Angaben des Lehrbuchs in Einklang zu bringen. Damit hatte er sich von der Bengelschen Zeitrechnung abgewandt. Die Angaben des Cyclus und die von Lalande wichen voneinander ab. 25 ENGELMANN, S. 178. 26 RUDOLF F. PAULUS, Ph. M. Hahn und die mechanische Rechenmaschine. 27 MACKENSEN, S. 95f.

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Hahn ist zunächst nicht aufgefallen, daß er sich damit von den Bengelschen heilsgeschichtlichen Erwartungen abgewandt hatte. Erst am 26. August 1777 melden sich Zweifel. Bei der Übersetzung des 21. Kapitels der Offenbarung macht er sich darüber Gedanken, ob die Erde ein Planet wie jeder andere sein könne, wenn das himmlische Jerusalem auf die Erde herabschwebe. Wie konnte ein durch nichts ausgezeichneter Planet eines Sonnensystems eine solche Sonderstellung im Weltall erhalten? Mit dieser Frage endet die Serie der erhaltenen Kornwestheimer Tagebücher. Wenn wir auch nicht mehr die Einzelheiten der inneren Auseinandersetzungen verfolgen können, so ist das Ergebnis im 4. Band der Vermischten Theologischen Schriften (MÄLZER Nr. 953) wieder faßbar: Hahn hielt an der Sonderstellung der Erde im Weltall fest, an diesem Punkte verdrängte er für sich zunächst das Wissen der modernen Astronomie. Der Konstrukteur Hahn war auf Mitarbeiter angewiesen. Der fähigste und selbständigste von ihnen war und blieb der Schulmeister Schaudt in Onstmettingen, dem Hahn die Fertigung der astronomischen Maschinen und der Rechenmaschine anvertraut hat. In der Kornwestheimer Werkstatt, in den Tagebüchern als Laboratorium bezeichnet, waren die wichtigsten Mitarbeiter die Brüder David und Gottfried, sodann der Schwager Strubel. Unter den sonstigen Mitgliedern der Werkstatt herrschte eine gewisse Fluktuation. Sie arbeiteten wohl als Gesellen eine Zeitlang schlecht und recht bei Hahn und zogen dann weiter oder wurden fortgeschickt. Lediglich Mauritius Steiner von Diesenhofen bei Winterthur wird bis jetzt von ihnen später noch als Uhrmacher greifbar. Es wird eine Aufgabe zukünftiger Forschung sein, die in den Tagebüchern auftauchenden Namen der Gesellen in die Technikgeschichte einzuordnen. Erst dann wird sich zeigen, wie die konstruktiven Ideen Hahns die weitere technische Entwicklung beeinflußt haben. Gelegentlich scheint die Uhrmacherei Hahns oder seines Bruders Gottfried auch den Konkurrenzneid der Stuttgarter Uhrmacher, etwa des Stiftsmesners Tiedemann, erregt zu haben, seltsamerweise wahrscheinlich auf eine Denunziation Strubels hin. Mit Tiedemann gab es andererseits auch Zusammenarbeit. Selbstverständlich hatte Hahns Betrieb auch eine wirtschaftliche Seite. Insgesamt scheint er mit Gewinn gearbeitet zu haben. Aber die wirtschaftlichen Gesichtspunkte waren nicht vorherrschend. Man spürt deutlich, daß Hahn in erster Linie Konstrukteur und nicht Unternehmer war. Die optimale Ausnutzung seiner Erfindungen etwa auch außerhalb der Landesgrenzen wurde ihm von ändern nahegelegt, er hatte sich auch gelegentlich darüber Gedanken gemacht, aber sie nie ernsthaft und mit Energie verfolgt. Die technischen Arbeiten waren für Hahn zunächst eine Liebhaberei, ein wichtiger Ausgleich neben der tiefsinnigen theologischen Reflexion. Sie bedeuteten dann freilich auch zusätzliche Belastung, denn der für die damalige Zeit nicht einmal kleine Betrieb stellte seine eigenen Anforderungen an Zeit und Kraft des Leiters, der die Arbeit zu verteilen und zu überwachen hatte und bei auftretenden Schwierigkeiten zur Stelle sein mußte. Außerdem hatte Hahn die Produkte am Schluß »auszufertigen« und oft mit einer handschriftlichen Beschreibung zu versehen. Das alles vollzog sich als Nebentätigkeit neben dem Pfarramt und der Schriftstellerei. Nicht selten geriet Hahn dadurch unter Stress und hat unter der Last des Laboratoriums dann gelitten. In solchen Situationen spielte er mit dem Gedanken, die mechanischen Arbeiten überhaupt aufzugeben oder nur noch wenige große Projekte zu bearbeiten. Aber bei Hahns ursprünglicher technischer Interessiertheit war dies wohl illusorisch. Andererseits wurde auch der seltene Gedanke, die Mechanik zum Hauptberuf zu machen und die pietistische Lehrtätigkeit und Schriftstellerei nebenher zu betreiben, auch nicht realisiert.

Die Überlieferung von Hahns Tagebüchern

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Der Arbeit für das »Reich Gottes« kam eben die Priorität zu. Wenn Hahn neben dem Pfarramt die manchmal lästige Mechanik weiterbetrieb, dann nicht zuletzt darum, weil er sehr genau wußte, daß er gerade seinen Erfindungen seine angesehene Position in der Gesellschaft (und in der Kirche) verdankte, die für ihn, den theologischen und kirchlichen Außenseiter, so wichtig war. Auch aus diesem Grund kam eine Aufgabe der Mechanik also nicht in Frage. Hahn hatte es mit seinen Erfindungen und Produkten zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, besonders nachdem er darüber auch eine Schrift herausgegeben hatte. Ständig und zahlreich, manchmal kutschenweise, kamen die Besucher von auswärts, etwa oft vom herzoglichen Hof, der diese Berühmtheit gerne vorführte. Das war wiederum mit Störungen verbunden, über die Hahn sehr geseufzt hat. Höhepunkt war dabei wohl das Erklären seiner Maschinen vor Kaiser Joseph II. in Stuttgart im Jahr 1777, ein Ereignis, das Hahn übrigens erstaunlich unberührt gelassen hat. Hahns große Konstruktionen, die Astronomische Maschine und die Rechenmaschine, hat vor allem Herzog Karl Eugen zunächst abgenommen, wobei schon die Zeitgenossen sich fragten, ob Hahn dabei nach Verdienst belohnt wurde. Die Erfindungen brachten Hahn selbst immer wieder mit dem Herzog in Ludwigsburg, auf Schloß Solitude oder in Stuttgart in Berührung. Normalerweise machte allerdings der Ludwigsburger Bibliothekar Vischer den Mittelsmann zwischen Hahn und dem Herzog. Herzog Karl Eugen hat Hahn auch als Naturwissenschaftler geschätzt, wie die Heranziehung zu einer Akademiedisputation zeigt. Der Umgang mit dem Hofadel und den höheren Beamtenkreisen brachte natürlich auch wertvolle Kontakte und Informationen. Gelegentlich hat Hahn diese Beziehungen für seine Freunde oder Familie in Anspruch genommen. Nicht selten waren Hahns Besucher auch seine Kunden. Dies gilt nicht nur für die auswärtigen Besucher oder die Hofkreise. In großem Umfang haben auch die pietistischen Freunde bei ihm bestellt, wie z. B. Lavater oder der Kaufmann Brenner aus Basel. Insofern bestehen auch hier gewisse Zusammenhänge zwischen dem Unternehmer und dem Pietisten Hahn.

Die Überlieferung von Hahns Tagebüchern Hahns Tagebücher sind leider nicht mehr lückenlos erhalten. Der heutige erste Band setzt ein am ^.September 1772 ohne irgendwelche Reflexionen darüber, was die Führung des Tagebuches veranlaßt hat und welchem Zweck sie dienen soll. Es ist also anzunehmen, daß mindestens ein vorhergehender Band verloren gegangen ist. Darauf weist eine ältere, aber ihrerseits wohl auch schon sekundäre Zählung der ersten drei erhaltenen Tagebuchbände als II, III und IV hin, die später dann in I, II und III korrigiert worden ist (vgl. unten die Handschriftenbeschreibung). Vermutlich hat Hahn bald nach seinem Amtsantritt in Kornwestheim im Frühjahr 1770 mit der Führung eines Tagebuches begonnen. Aus dem Eintrag vom 20. Juli 1777 (8.468) könnte man schließen, daß im Titel oder in der Präambel des i.Tagebuchs von »Aufschlüssen in meinem Amt und Christenthum« die Rede war. Zur Praxis des Tagebuchschreibens dürfte es im Zusammenhang mit den neu gegründeten Konferenzen (s. o.) in Besigheim gekommen sein, bei denen die Teilnehmer u. a. auch aus ihren Tagebüchern vorgelesen haben. Hahn bemängelt gelegentlich die Lässigkeit anderer Konferenzteilnehmer hinsichtlich der Führung eines Tagebuches. Dem jetzigen ersten Tagebuchband ist aber wohl nur ein weiterer vorangegangen, denn der erste erhaltene Band hat noch nichts von der Routine an sich, die man bei den beiden folgenden bemerkt. Er enthält etwa

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Einleitung

noch die ausführlichen Wiedergaben vor allem der Erbauungsstunden, die sich später nicht mehr finden. Erwähnt werden muß allerdings, daß Hahn schon in seiner Jugend einmal ein Tagebuch begonnen, es aber dann nicht weitergeführt hat28. Außerdem haben sich 8 Blätter eines Tagebuchfragments vom Oktober 1760 erhalten29. Die Einträge in Hahns theologischem Notizbuch haben bisweilen ebenfalls tagebuchähnlichen Charakter, so zum Beispiel im Sommer i//!30. Hahn hat sein Tagebuch recht pünktlich geführt, vor allem am Anfang. Später konnte es, wenn er im Gedränge war, vorkommen, daß er bis zu drei Wochen im Rückstand war und sich dann auch nicht mehr präzise erinnerte, was an den einzelnen Tagen vorgefallen war. Aber solche erkennbaren Nachträge sind selten. Die späteren Einträge sind für viele Tage kürzer gehalten als am Anfang, gehen dann aber auch immer wieder über in längere zusammenhängende Ausführungen. Die ersten drei Bände bilden zeitlich einen geschlossenen Block von 1772 bis 1777. Dann besteht eine Lücke von sechs Jahren, denn der heutige vierte Band umfaßt den Zeitraum vom n. Juni 1783 bis zum 17. Juli 1785. Anschließend fehlt offensichtlich wiederum ein Band, da der heutige fünfte Band am 13.September 1787 einsetzt und bis zum 30. Juni 1789 führt. Hier besteht dann eine letzte Lücke bis zu Hahns Tod im Mai 1790. Daß für die Zwischenräume ebenfalls Tagebücher vorhanden waren, beweisen die von Hahns zweiter Frau Beata Regina geb.Flattich gefertigten Auszüge in Cod. hist. 4°3 563. der Württ. Landesbibliothek Stuttgart, die Tagebuchnotizen auch aus den heute verlorenen Bänden enthalten, ebenso die Tagebuchnotizen Hahns in G.G. EARTHS Süddeutschen Originalen, 2.und 3.Heft, 1829 und 18 3 2, bei Christoph Ulrich Hahn und bei Ernst Philipp Paulus, wobei das Verhältnis der drei zuletzt genannten zu den Exzerpten der Beata Regina Hahn noch geklärt werden muß. Merkwürdig ist, daß sich überhaupt keine Tagebuchnotizen aus den Jahren 1778 und 1779 erhalten haben. Sollte Hahn in den letzten Kornwestheimer Jahren kein Tagebuch geführt haben? Die Verluste bei den Tagebüchern könnten zufällig oder aus Unachtsamkeit eingetreten sein. Es ist aber nachweisbar, daß Hahns zweite Frau auch absichtlich Teile der Tagebuchüberlieferung vernichtet hat. Dies gilt etwa für die teilweise oder ganz gewaltsam entfernten Blätter in den ersten drei erhaltenen Bänden. Das Motiv der Vernichtung ist dabei klar erkennbar, denn die Verluste treten immer da auf, wo Hahn auf seine Ehekonflikte zu sprechen kommt. Daß ähnliche Motive zur Vernichtung ganzer Tagebuchbände, die ja dann Beata Reginas eigene Ehe betrafen, geführt haben, ist zu vermuten. Nicht ganz auszuscheiden ist als weiteres Motiv die Tilgung heterodoxer Äußerungen Hahns. Spätestens nach dem Tode der Witwe Beata Regina geborene Flattich (16. April 1824) gelangten die Tagebücher in den Besitz ihrer Tochter Beate Paulus. Sie wurden von ihr in das »Paulus'sche Institut auf dem Salon bei Ludwigsburg« eingebracht, in dem sie mit ihren Kindern seit 1837 eine Internatsschule zur Vorbereitung auf das Studium betrieb. Sie lagen zumindest teilweise ihrem Sohn Philipp Paulus vor, als er 1858 die Biographie seines Großvaters schrieb. Nach der Widmung wurden die fünf Bände 1904 durch Dr. med. Paulus, Cannstatt, der Württ. Landesbibliothek in Stuttgart gestiftet. Es handelt sich um Dr. med. Franz Paulus, einen Sohn von Christoph Paulus, dem 7. Kind von Beate Paulus. Er wurde am 7. Juli 1849 28 PH. M. HAHN, Hinterlassene Schriften, Bd.i, S. 6. 29 Württ. Landesbibliothek Stuttgart, Cod. theol. et phil. 8° 159 I. 30 Württ. Landesbibliothek Stuttgart, Cod. theol. et phil. 8° 157, 8.369-371.

Handschriftenbeschreibung für Bd. /—j der Tagebücher

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auf dem Salon bei Ludwigsburg geboren. Mit seinem Vater schloß er sich den »Jerusalemfreunden« an, die sich zunächst auf dem Kirschenhardthof bei Winnenden sammelten und dann in den Jahren um 1870 nach Palästina auswanderten. Christoph Paulus gehörte zu den führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung und hatte von 188 5 bis 1890 das Amt des Vorstehers der Tempelgesellschaft inne. Franz studierte Medizin und ließ sich zunächst als praktischer Arzt in Jaffa nieder. Nach dem Tode seines Vaters kam es jedoch zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Leitung der Tempelgesellschaft. Er trennte sich von ihr und ließ sich als Arzt in Bad Cannstatt nieder. Gestorben ist er am i. Januar 1919 in seinem Alterssitz in Ascona (Schweiz)31. So ist es sehr wahrscheinlich, daß die Tagebücher nach dem Auseinandergehen der Gebrüder Paulus in den Besitz von Christoph gelangten, der sie mit ins Heilige Land nahm. Suchanzeigen sowohl innerhalb der Familie Paulus als auch in der Warte des Tempels haben keine weiteren Tagebuchbände zu Tage gefördert.

Handschriftenbeschreibung für Bd. 1-3 der Tagebücher Die drei Bände befinden sich unter der Signatur Cod. hist. 8° 108, 1-3 in der Württ. Landesbibliothek Stuttgart. Es handelt sich um einheitlich gebundene Leinenbände mit dem Format 10x17 crn· Die Bindung ist wahrscheinlich nachträglich erfolgt. Innen auf dem Einband ist in allen drei Bänden ein gedruckter Zettel eingeklebt: »Geschenk des Herrn Dr. med. Paulus Cannstatt 1904.« Es folgt jeweils ein leeres Vorsatzblatt. Auf die Vorderseite des folgenden Blatts ist jeweils ein Zettel aufgeklebt, der vielleicht aus einer älteren Bindung stammt. Ob er von Hahn selbst geschrieben ist, ist nicht sicher auszumachen: Bd. i: »Tagbuch II 14.Sept. 1772-24. Juni 1773 Ph.M.Hahn« (Eintrag mit Tinte, nur »II« mit blauem Farbstift. »II« wurde später gestrichen und mit Bleistift »I« darübergeschrieben.) Bd. 2: »Tagbuch III 25. Jan. 1773 [Jan. ist mit Bleistift richtig verbessert in Juni] -4. Mai 1775 Ph.M.Hahn« (Eintrag mit Tinte, nur »III« mit blauem Farbstift. »III« wurde später gestrichen und mit Bleistift »II« darübergeschrieben.) Bd. 3: »Tagbuch IV 4. Mai 1775 — 28.Sept. 1777 Ph. M. Hahn« (Eintrag mit Tinte, nur »IV« mit blauem Farbstift. »IV« wurde später gestrichen und mit Bleistift »III« darübergeschrieben.) Die Rückseite dieser Blätter ist jeweils leer. In Bd. i ist das folgende Blatt leer bis auf den Ortsnamen Güglingen am oberen Rand der Vorderseite. In Güglingen bei Heilbronn lebte Beata Regina Hahn bei ihrem Stiefsohn, dem Apotheker Immanuel Hahn. 31 R. PAULUS, Familienbuch der Familie Paulus. Pforzheim 1931, S. 99/100; Festschrift loojahre Tempelgesellschaft, S. 14; A. CARMEL, Die Siedlungen der Württembergischen Templer in Palästina 1868 his 1918. Stuttgart 1973.

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Einleitung

Die Blätter 3-3 57 sind mit den ungeraden Ziffern durchgezählt. Die Rückseiten enthalten also keine Seitenzählung. Die Seitenzählung ist nachträglich angebracht worden; sie berücksichtigt die fehlenden Blätter nicht. S. 3 57 ist auf ein anderes Blatt aufgeklebt, dessen Rückseite leer ist wie auch das folgende Blatt. Bd. 2 zählt in der gleichen Weise S. 1-377 durch. S. 378 und das letzte Blatt sind leer. Bd. 3 zählt in der gleichen Weise S. 1-369 durch. S. 370 und das letzte Blatt sind leer. Lücken in Bd. i: Ein herausgerissenes Blatt zwischen 8.40 und 41 (21.-26.September 1772); zwei herausgerissene Blätter zwischen 8.46 und 47 (2. November 1772); zwei herausgerissene Blätter zwischen S. 68 und 69 (13.—15. November 1772); ein herausgerissenes Blatt zwischen S. 190 und 191 (3.-7.März 1773). Bd. 2 weist keine Lücken auf. Lücken in Bd. 3: 8.21/22 ist die untere und vom folgenden, nicht gezählten Blatt die obere Hälfte weggerissen (8. Juli 1775). Nach S. 86 folgt ein zu drei Vierteln herausgerissenes Blatt, dessen Text nicht mehr herstellbar ist (i i.September 1775). Zwischen S. 220 und 221 und 8.322 und 323 ist je ein Blatt herausgerissen (26.-2S.Februar 1775 und 6.-io.März !777)· 8.367/368 ist die obere Hälfte der Seite weggerissen (n.und 12.September 1777). Außerdem sind zwischen S. 347 und 362 am Rand Wasserschäden eingetreten, die zu gelegentlichen Textverlusten geführt haben. In allen drei Bänden finden sich Randstriche und Unterstreichungen sowohl mit Tinte als auch mit Bleistift, von denen die letzteren sicher, die ersteren möglicherweise sekundär sind. Die Bleistiftmarkierungen haben vielleicht etwas zu tun mit den später von Hahns zweiter Frau gefertigten Exzerpten.

Textgestaltung Hahns Handschrift in den Tagebüchern ist schon an sich, aber dann auch wegen ihres häufig flüchtigen Duktus überaus schwierig zu lesen. Das mag mit der Grund gewesen sein, warum die Tagebücher bisher nur in Auszügen veröffentlicht worden sind, die im wesentlichen von Hahns zweiter Frau erstellt worden sind. Aber schon sie vermochte nicht mehr alles zu entziffern. Aus dieser Sachlage ergaben sich für die Textgestaltungen spezifische Probleme: Es gibt bei Hahn keine konsequente Groß- und Kleinschreibung. Hahns Orthographie unterliegt gewissen Schwankungen. Das gleiche Wort wird oft unterschiedlich geschrieben. Die Wortendungen sind oft nicht sauber ausgeschrieben. Es läßt sich darum häufig nicht entscheiden, ob ein »-en« oder das mundartlich gleichfalls mögliche offene »-e« vorliegt. Der schwäbische Dialakt, der Hahns Sprache deutlich gefärbt hat, erlaubt auch sonst manches, was in der Hochsprache nicht möglich ist, wobei aber nicht immer sicher festzustellen ist, welche Sprachform tatsächlich verwendet wird. Umlaute fehlen auch da, wo sie zweifellos stehen müßten, z.B. »Otinger« neben »Oetinger« und »ötinger«, »über« neben »über«. Zwischen ss und ß ist oft nicht eindeutig zu unterscheiden. Besondere Schwierigkeiten gibt die Lesung der Eigennamen auf, zumal sie Hahn oft einfach nach dem Gehör schreibt. Nicht nur hinsichtlich der Wortformen, sondern auch hinsichtlich

Textgestaltung - Anmerkungen und Register

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der Syntax ergeben sich Probleme, und zwar zunächst wiederum von der eigenen Syntax des Dialekts her. Sodann ist dem Tagebuch nicht selten ein substantivischer »Stichwortstil« eigentümlich. Überdies ist der Satzbau von Hahn manchmal nicht sauber durchgeführt worden, vor allem da, wo sich - oft übrigens sehr interessant - auch syntaktisch verschiedene Gedanken überlagern. Die Herausgeber meinen, daß es ihnen gelungen ist, einen nahezu einwandfrei lesbaren und verstehbaren Text zu erstellen, der die Vorlage in größtmöglicher Treue wiedergibt. Wo Zweifel am Wortlaut vorhanden sind, wurde dies mit [?] kenntlich gemacht. Ergänzungen, etwa auch die Angaben über Bibelzitate, wurden in eckige Klammern gesetzt. Runde Klammern sind dagegen aus Hahns Text übernommen. Lücken wurden mit . . . kenntlich gemacht. Redaktionelle Zusätze technischer Art sind in den eckigen Klammern kursiv gesetzt. Die Seitenzählung des Originals ist, ergänzt durch die dort ausgelassenen geraden Ziffern, in den Text in eckigen Klammern eingefügt. Die Groß- und Kleinschreibung wurde der heutigen angepaßt, ebenso die Interpunktion. Abkürzungen wurden ausgeschrieben (abgesehen von »etc.«) und zwar in heutiger Schreibweise und nicht in der von Hahn geübten (z. B. »Stuttgart« statt »Stuttgardt«, »Confirmanden« statt »Confirmanten«), ebenso wurden die Titulatoren und Berufsangaben stets ausgeschrieben, z.B. »Herr« für »H.«, »Praelat« für »Prael.« usw. Das Gleiche gilt für die Abkürzung biblischer Bücher. Entsprechend wurde auch mit Geldangaben verfahren, z.B. »Gulden« für »fl.« und »Kreuzer« für »kr.« Zeitangaben wurden ausgeschrieben, Aufzählungen und Preisangaben dagegen in Ziffern belassen. Wo Zweifel hinsichtlich der Verwendung von Umlauten oder der Wortendungen bestanden, wurde entsprechend der heutigen Hochsprache verfahren. Die Herausgeber sind sich bewußt, daß dabei unklärbare Zweifelsfälle auftreten können, z.B. »glaubig« oder »gläubig«. Aber bei Hahns inkonsistenter Schreibweise ist er gerade in diesen Fällen kein sehr zuverlässiger Zeuge für den eventuell interessierten Germanisten.

Anmerkungen und Register Die Anmerkungen wurden möglichst kurz gehalten. Erklärt werden: Ungebräuchliche Wörter (meist aus dem Dialekt stammend). Zur Erklärung ist meist HERMANN FISCHER, Schwäbisches Wörterbuch. Bd. iff., Tübingen 1904 ff. oder JAKOB und WILHELM GRIMM, Deutsches Wörterbuch. Bd. i ff., Leipzig 18541^ herangezogen worden. Undurchsichtige Satzkonstruktionen, sofern ihr Sinn sich nicht leicht aus dem Zusammenhang ergibt. Sachverhalte pfarramtlicher, theologischer, oekonomischer, technischer oder allgemein historischer Art, soweit sie aufhellbar sind. Verweise und Anspielungen innerhalb des Tagebuchs, sofern sie nicht im unmittelbaren Zusammenhang auftauchen. Zitate und Literaturangaben wurden soweit wie möglich verifiziert. Um die Anmerkungen von häufig sich wiederholenden Erklärungen oder Verweisen zu entlasten, wurden die Angaben über Orte und Personen fast durchweg in das Register verwiesen. Angesichts der großen Anzahl der auftauchenden Namen war es unmöglich, sämtli-

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ehe Personen nachzuweisen und zu identifizieren. Dies hätte zeitraubende Studien in Pfarreiarchiven erfordert, die gegebenenfalls vom an der Lokalgeschichte interessierten Forscher leicht vorgenommen werden können. Nachgewiesen wurden außer den Persönlichkeiten, die sich in allgemeinen Nachschlagewerken finden, die sicher identifizierbaren Pfarrer, und zwar anhand von CHRISTIAN BINDER, Wirtembergs Kirchen- und Lehrämter. 4Bde. Stuttgart 1798—1800. Für viele Pfarrer konnten darum nur Amtszeiten, aber keine Lebensdaten angegeben werden. Über die Vikare hat das Landeskirchliche Archiv Stuttgart einige Angaben beigesteuert. Ferner wurden die identifizierbaren Beamten und Adligen nach WALTHER PFEILSTICKER, Württembergisches Dienerbuch. 3Bde. Stuttgart 1957-1974 nachgewiesen, wobei aber die Lückenhaftigkeit dieses Werkes sich immer wieder bemerkbar macht. Zudem ist oft bei Namensgleichheit unklar, von welcher Person Hahn spricht. Einzelhinweise fanden sich in der Literatur zum württembergischen Pietismus, vor allem bei folgenden Werken: KARL CHRISTIAN EBERHARD EHMANN, Friedrich Christoph Oetingers Leben und Brief e . Stuttgart 1859; MAX ENGELMANN, Leben und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn. Berlin 1923; ERNST STAEHELIN, Die Christentumsgesellschaft in der Zeit der Aufklärung und der beginnenden Erweckung. Bd. i, Basel 1970. In beschränkter Weise wurde dem Register auch die Funktion eines Sachindex zugewiesen, z. B. für häufig auftauchende, heute nicht mehr ohne weiteres verständliche Sachverhalte, darüber hinaus für Hahns Erfindungen, für einige vielleicht breiter interessierende Stichworte und schließlich für einige theologische Hauptbegriffe Hahns, die aber nicht vollständig, sondern nur exemplarisch aufgeführt sind.

Ausgewählte Literatur VAN BEBBER, Handbuch der ausübenden Witterungskunde. i.Theil, Stuttgart 1885, S. 279. FRIEDRICH BECKER, Geschichte der Astronomie. Bonn 1947. MARTIN BRECHT, Philipp Matthäus Hahn in Onstmettingen; in Blätter für württ. Kirchengeschichte 60/61, 1960/61, S. 214-224. MARTIN BRECHT, Philipp Matthäus Hahn und der Pietismus im mittleren Neckarraum; in Blätter für württ. Kirchengeschichte 77, 1977, S. 101-131. KARL CHRISTIAN EBERHARD EHMANN, Friedrich Christoph Oetingers Lehen und Briefe. Stuttgart 1859. MAX ENGELMANN, Lehen und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn. Berlin 1923. BRUNO VON FREYTAG-LÖRINGHOFF, Die erste Rechenmaschine: Tübingen 1623; in Humanismus und Technik 9, 1964, 8.45-55. PHILIPP MATTHÄUS HAHN, Hinterlassene Schriften. Hg. von CHRISTOPH ULRICH HAHN. Bd. i, Heilbronn/Rothenburg 1828. PHILIPP MATTHÄUS HAHN, Beschreibung einer Rechnungsmaschine; in Teutscher Merkur, Mai 1779, S. 1 37-^4· A. KISTNER, Zwei bisher verschollene Werke von Philipp Matthäus Hahn; in Die Uhrmacherkunst 50, 1925, Nr. 29, 30.31. A. KISTNER, Historische Uhrensammlung Furtwangen. Furtwangen 1925, S. 55-66. KARL FRIEDRICH LEDDERHOSE, Leben und Schriften des M. Johann Friedrich Flattich. Neu bearbeitet von FR. Roos. Stuttgart 1926.

Ausgewählte Literatur

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LUDOLF VON MACKENSEN, Bedingungen für den technischen Fortschritt, dargestellt anhand der Entwicklung und ersten Verwertung der Rechenmaschinenerfindung im 19. Jahrhundert; in Technikgeschichte 36, 1969, S. 89-102 (zugleich Veröffentlichungen des Forschungsinstituts des Deutschen Museums für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Reihe A Nr. 50). GOTTFRIED MÄLZER, Die Werke derwiirttembergischen Pietisten des //. und 18. Jahrhunderts. Bibliographie zur Geschichte des Pietismus. Bd. i, Berlin 1972. HERMANN MEUTH, Philipp Matthäus Hahn. Gedenkschrift zum 200. Geburtstag. (Nachgewiesen in der Bibliothek des Württ. Landesgewerbeamtes, Stuttgart.) ALFRED MÜNZ, Philipp Matthäus Hahn, Pfarrer, Erfinder und Erbauer von Himmelsmaschinen, Waagen, Uhren und Rechenmaschinen. Sigmaringen 1977. (Enthält zahlreiche Abbildungen.) JULIUS RÖSSLE, Philipp Matthäus Hahn. Stuttgart 1929. ERNST PHILIPP PAULUS, Philipp Matthäus Hahn. Stuttgart 1858. PHILIPP PAULUS, Beate Paulus. Was eine Mutter kann. Neu hg. von R. F. PAULUS. Metzingen 1970. RUDOLF F. PAULUS, Die Briefe von Philipp Matthäus Hahn an Johann Caspar Lavater; in Blätter für württ. Kirchengeschichte 75, 1975, S. 61-84. RUDOLF F. PAULUS, Philipp Matthäus Hahn und die mechanische Rechenmaschine; in Technikgeschichte 40, 1973, 5.58-73. RUDOLF F. PAULUS, Pansophie undTechnik bei Philipp Matthäus Hahn; mTechnikgeschichte 37, 1970, S. 243-253. WERNER PAULUS, Philipp Matthäus Hahn; in Die Warte des Tempels 121, 1965, Heft 2 und Heft 3. GUSTAV SAUTER, Philipp Matthäus Hahn, der Uhrmacher und Mechanikerpfarrer; in Ein Gang durch Alt-Onstmettingen, 2. Auflage, Ebingen 1934.

Die Kornwestheimer Tagebücher 17/2-1777

[Tagebuch 1772]

[3]' Den ^.September 1772, Montag. Morgens meinem Bruder einen Riß zu seiner Uhr aufgezeichnet. Damit den Vormittag zugebracht. Mittags kam Herr Motz, mit welchem ich biß abends Zerschiedenes redete. Hatte mir vorgenommen, meine drei letzten Sonntags-Predigten aus dem Concept in die Ordnung zu schreiben, an welchem ich aber verhindert worden. Motz redete nicht viel. Hatte keinen solchen Durst und Gefühl zu hören und zu lernen als wie vor diesem. Hat weniger Demuth und Gefühl seines Nichts als vormahls. Über den ewigen Liebesvorsatz Gottes aus Gelegenheit meiner Predigt über 7.Trinitatis wie auch über S[eitzens] Schärfe in Beurtheilung anderer und Päbsteley geredt, und das man einen jeden schätzen müsse in sofern er ist, Matth. 11[,2.$] und Luc. io[,2i], und das jeder seine Gabe habe, darinnen er treu seyn soll; daß Fehler aus der Schärffe besser seyn als Fehler aus der Lauheit; daß die gute Bottschaft vom Reich oder vom Vorsatz Gottes in Christo unsere eigentliche Aufgabe seye, von der wir selber erfüllt werden und zeugen sollen; das dasjenige Worte Gottes seyen, die zu unserem und anderem Wachsthum gereichen, welche Gott uns durch Schickungen gibt und im Hertzen aufschließt; [4] das ein jeder Mensch eine Majestät sey wegen seiner Freyheit, und deßwegen nicht gebieterisch behandelt werden müsse; das ein jeder das glaube, was er gerne will, und von dem, was er nicht glauben will, nicht überzeugt werden könne; das man die Sünde Hiobs2 begehe, wenn man ein eigensinniges päbstliches Urteil von einer Sache spricht; das man bey jährlichen Disputationen 3 lieber als ein Nichtskönner und Idiot vor ändern erscheinen soll, als Dinge reden, von denen man nicht überzeugt ist. Den 15. September. Morgens Mond4 berechnet. Wurde verdrießlich und malad darüber. Mittags Kind in Zazenhausen getauft. Herr Knoderer dagewesen. Mit ihm geredet, das wir die lautere Lehre des 1 Die in eckigen Klammern nachgewiesene Seitenzahl des Originals bezieht sich bis einschließlich zum Tagebuch ei ntrag vom 24. Juni 1733 auf Band i des Cod. hist. 8° 108 der Württ. Landesbibliothek Stuttgart. 2 Vgl. Hiob 31 und 32. 3 In jedem Dekanatsbezirk fand jährlich eine Disputation der Geistlichen statt. 4 Hahn arbeitete an dem Bau einer Astronomischen Uhr (»Astronomische Maschine«), in der u. a. der Stand aller damals bekannten Planeten und Monde sowohl in ihrem Lauf um die Sonne als auch zusammen mit dem Fixsternhimmel von der Erde aus betrachtet dargestellt werden sollte (ENGELMANN, S. 166 ff.).

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i f.—18. September 1772

Worts nicht haben, weil die Predigten und gute Botschaft vom Reich oder vom ewigen Liebesvorsatz Gottes in Christo etwas Seltenes seye, welches doch die Hauptsache der Schrift ist. Gott wird gewöhnlich von den Meisten nur als ein Tyrann, der wegen der angethanen Beleydigung Rache verlange und in Christi Tod Rache und Genugthuung gefunden habe, vorgestellt, ohne weiter zu zeigen, wo alles hinauslaufe. Wenn man nun dises allein treibt ohne den[j] Vorsatz Gottes, der alles beschlossen hat unter die Sünde etc.5, so bleibt einem Gottes eigentliche, hertzliche, wahrhaftige, edle und uralte Gesinnung der Liebe verborgen. Man denckt immer, Gott seye einem feind. Wenn man also den Zorn Gottes, ohne den gantzen Plan der Liebe Gottes in seinem Umfang vorzustellen und zu übersehen, vorstellt, so kann die kurtz abgebrochene Lehre von der Versöhnung keinen Halt und Genüge geben. Aus der Ofenbahrung der Oeconomie Gottes bekomt man erst einen gründlichen, kindlichen, patriotischen Sinn. Außer diesem wird Zwang und Heucheley gebohren. Aber die Erkentnis seines gantzen Willens und Wahrheit ist der Same zum rechten eigentlichen Bild Gottes in uns. Das Exempel des Vatters macht das Kind nach ihm gestaltet, daß man ein Kind und Ebenbild des Allerhöchsten wird. Den 16. September. Hatte fast den gantzen Tag Berechnungen zur Astronomischen Maschine zu machen. Abends kam Herr Pfarrer Göhrung und Böhringer von Stuttgardt und blieb über Nacht, mit welchen ich bis zwölf Uhr discoursirt. [6] Den 17. [September]. Morgens mit Herrn Pfarrer Göhrung und Böhringer geredet bis neun Uhr. Darauf ich die Risse zum special copernicanischen System6 veränderte, aber nicht damit zu Stande kam. Auf den Abend kam Herr Knoderer von Stuttgardt her und kehrte ein. Nachts bis ein halb zwölf Uhr schrieb ich meine Predigt über Epheser, die ich vor vier Wochen abgelegt, in ein neues Buch. Den 18. September, Freitag. Morgens um sechs Uhr gepredigt über Epheser , 14 ad finem: Wie zur Botschaft des großen Heyls in Christo Gebett nöthig sey auf Seiten der Lehrer und der Zuhörer, weil man sonsten das Gute in dieser Bottschaft weder siehet noch höret, noch nach dem rechten Wehrt schätzet. Den Vormittag vollends mit Überlegungen zugebracht wegen dem in der Arbeit seyenden System7, das wegen Hindernissen und Zweifel einen dreitägigen Stillstand in der Arbeit erlitten und so auch nachmittags, biß Herr Professor Vischer gekommen. Morgens sagte man mir an, ich möchte einen krancken Menschen ins Kirchengebett einschließen. Dieser Mensch war wassersüchtig, [7] schon ein halbes Jahr her. Ich ware bey drei Mahlen um Ostern bey ihm gewesen. Weil er aber wenig Empfindung von der Wahrheit gehabt, und er wieder sich gebessert hatte, das er ausgehen konte, so dachte, es wäre nicht so gefährlich. Doch hatte mir vorgenommen, gleich mittags nach dem Essen zu ihm zu kom5 Vgl. Rom 11,32 und Gal 3,12. 6 Auf der rechten Seite der neuen Astronomischen Uhr angebrachtes Untersystem, in dem der jeweilige Stand der Planeten in ihrem Lauf um die Sonne angezeigt ist (ENGELMANN, S. 221 ff.). 7 Kopernikanisches System.

/#.—2o. September 1772

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men. Um zwei Uhr aber starb er. Das griff mich sehr an, weil ich mich durch das liederliche Maschinen-Geschäft abhalten ließ, und dachte, es hätte doch noch ein Wörtlein ihm einen Nachdruck geben können. Ich machte mir deßwegen einen neuen Vorsatz, mich los zu reißen und es in solchen Umständen nicht anstehen zu lassen. Nachts die heutige Predigt aufgeschrieben. Den 19. [September]. Morgens weiter deliberirt, wie der seit vier Tagen gefundene Anstand in Absicht der Einrichtung des speciellen Systems73 am leichtesten zu heben sey. Morgens Schule besucht. Ein gutgesinter Hafner von Bietigheim mich besucht. Mittags kam Herr Special [8] und Herr Stattschreiber von Ludwigsburg, mit welchen nichts als indifferente Dinge geredet werden konten. Morgens war mir der Hafner sehr ungeschickt gekommen. Jedoch weil er gern redete, so erhohlte ich mich bald und kam aus dem Zwang in die Willigkeit, hertzlich mit ihm zu reden. Ich sagte ihm den Unterschied der Pietisten, da er mir so viel Orte angezeigt, wo dergleichen seyen. Ich sagte, wie im Leiblichen es Bettler und Oeconomen gebe, Bettler aus Nachlässigkeit oder Liederlichkeit, und das sie es einmahl so angenommen und in keine andere Ordnung und ordentliches Geschäft und Arbeit zu bringen seyen, andere aber aus Unglück Bettler worden, und bey den Oeconomen einem sein Fleiß und Treue mehr Zunahme seines Vermögens mache als dem ändern, so seye ich gewohnt, die Pietisten zu Oeconomen zu machen, das sie auch einen eigenen Schatz und Lebensquelle kriegen in die Herzenf?] zum Samen, und gesagt: Damit es nicht nur immer heist: »Gebt uns von eurem Öhle«8; oder das man eine Weil bey andrer Lichte frölich ist9. Der Weg ist: Alle Tage mit Gott auf den Knien recht in Gemeinschaft zu beten, das man gewohnt wird, den als seinen Lehrer und seine Quelle anzusehen. Und wenn man nichts weiß, [9] nur die Empfindung seines Elendes ihm vorsagen oder durch ein Sprüchlein aus dem Schatzkästlein10 sich erwecken lasse, mit Gott darüber ernstlich zu reden. Hernach alle Tag aufschreiben, was einem wichtig worden, oder was einer gefühlt und gethan, es sey Gutes oder Schwachheit, Irdisches oder Geistliches. Jacob Böhme oder Arnd lesen oder Oetingers Schriften, damit man die Bibel und Jesu Reden einem aufgeschlossen werden, damit man ein eigenes neues Leben und Herrlichkeit bekomme. Nachts Zeitungen geleßen und meiner Predigt nachgedacht. Den 20.September 1772. Morgens gepredigt von der Reinigung unserer innerlichen Kleider durch das Blut Christi, damit wir tauglich werden vor dem Thron Gottes bey der großen Schaar zu stehen. Apoc. 7[, 14]. Dabey mir der Gedanken beygegangen, das durch den Sündenfall der allerinnerste Punct des Geistes Gottes, der in dem Menschen und in allen Creaturen ist, nicht verunreiniget sey und nicht verunreinigt werden könne, sondern nur die Sei und der Leib, Hertz und Gewissen als unser äußerliche Kleider des inneren Geistes, durch den wir immediate an Gott hingräntzen. /aKopernikanisches System. 8 Mt25,8. 9 Joh 5,35. Gemeint ist wohl das unter den württembergischen Pietisten weit verbreitete Geistliche Liederkästlein von PHILIPP FRIEDRICH HILLER (zuerst 1762 und 1767).

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2O.121. September 1772

Mittags Kinderlehr von den Schlüsseln11, da ich gelehrt, das Wort sey der Schlüssel oder der Geist des Worts. Vesperlection, Sontagsschuhl, Erbauungsstunde, da eine neue[io] ledige Person sich einfand. Über Matthäus 8[,14-27] gehalten von Petri Schwieger, vielen Krancken, die Jesus geheilt, zwei Jünger, da der eine abgewiesen, der andre mit über das Meer genommen worden, Christi Glaubensmacht über den Geist der Finsternis, der den Sturm erregt, und Christum und seine Jünger als Zerstörer seines Reichs hat ersäufen wollen. Abends kam Strubel von Winnenden, der über Nacht bliebe, und Herr Vicar. Den 2i.[September]. Morgens Herr Vicar hier und im Filial12 geprediget und hier Eheordnung13 verlesen. Morgens dem Strubel von Winnenden eine Uhr aufgerissen und wegen Kälte nichts thun können. Frau ging nach Münchmgen auf den Marckt. Wäre auch gern mitgewesen, blieb aber wegen der Stunde da, aus welcher jedoch nichts wurde, weil sehr wenige kamen, indem sie gemeint, ich seye nicht zu Haus. Denen, welche kamen, etwas zu leßen gegeben. Herr Wißhack von Stuttgart kam und hielte sich eine Stunde auf. Darauf ging ich zu einem Krancken nahmens Nast wie zur Albrechtin, wo ich mich bis in die Nacht verweilte und merckte, das es so hat seyn müssen, das ich hier geblieben und keine Stunde gehalten worden. Merckte, das es sehr nützlich ist, wenn man mit einzelen Seelen redet und zu ihnen gehet, weil die Liebe und Niedrigkeit, die sie an dem Lehrer sehen, viel nützt, [i i] ... [Ein Blatt oder mehrere fehlen. Ein Teil des Verlusts kann ergänzt werden aus den Exzerpten der Beate Regina Hahn, Württ. Landesbibliothek Stuttgart Cod. hist. 4° 3j6a S. i:] daß sie hernach sein Wort in den ofentlichen Vorträgen beßer verstehen[?], weil ihr Lehrer alsdann nicht so weit von ihnen weg ist. Ich bin aufs neue bestätiget worden, daß, wenn ich nicht gesund bin am Magen, sich ein Geist der Finsterniß dazu mischt. Auch gefunden, daß das viele Sizen mir bisher sehr ungesund war. Mus merken . . . [Fortsetzung nach dem Original Hahns:] ... hierauf 3 6 Kreuzer, wiewohl auch dieses ungern, ob es gleich ein Weniges ist, und er es nicht gefordert, sondern in meinem Inwendigen dazu gedrungen wurde. Darauf ging zum Herrn Baumeister wegen hiesigem Kirchenthurn und Herrn Professor Vischer, dem ich einen Brief zu bringen hatte, außer welchem ich keine Lust hatte, sondern mich an meinen Tisch nach Hause sehnte, meine Rechnung14 vollends in Richtigkeit zu bringen. Kam abends sechs Uhr heim. Nach dem Nachtessen fand endlich meine bisherige Rechnung ihre Richtigkeit, und ich konte es als eine Schickung Gottes, da ich ihm schon öfters meine Umstände vorgelegt, ansehen, und wurde gleich heiterer darauf.

11 Gemeint ist das letzte Lehrstück des Württembergischen Katechismus »Von den Schlüsseln des Himmelreichs«. 12 Das Dorf Zazenhausen wurde vom Kornwestheimer Pfarrer mitbetreut. 13 Einmal im Jahr mußte die Eheordnung, die ein Bestandteil der Kirchenordnung war, im Gottesdienst verlesen werden. 14 Berechnung der Planecenumläufe für die neue Astronomische Uhr.

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