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German Pages 84 [121] Year 2000
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GIORDANO BRUNO
Die Kabbala des Pegasus
Übersetzt und herausgegeben von KAI NEUBAUER Mit einer Einleitung von MICHELE CILIBERTO
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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN: 978-3-7873-1543-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2360-9 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Istituto Italiano di Cultura, Hamburg © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2000. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. www.meiner.de
INHALT
Vorwort des Herausgebers ... „„ ... „.„ .... „ ........................ „ ...... „„ VII Einleitung. Von Michele Ciliberto ........................................... XI
GIORDANO BRUNO Die Kabbala des Pegasus Widmungsschreiben zur folgenden Kabbala .........................
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Sonett zum Lob des Esels ...........................................................
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Deklamation an den gelehrigen, gläubigen und frommen Leser ...............................................................................
11
Ein sehr frommes Sonett iiber die Bedeutung der Eselin und des Füllens .......................................................... 22 Erster Dialog .....................................................................................
23
Zweiter Dialog [Erster Teil] .........................................................
39 Zweiter Teil des Dialogs ......................................................... 46 Dritter Teil des Dialogs ........................................................... 53
Dritter Dialog ..................................................................................
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An den kyllenischen Esel ............................................................ 63 Der kyllenische Esel des Nolaners ........................................... 64 Anmerkungen des Herausgebers ............................................... 73
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Mit der Kabbala des Pegasus mit der Zugabe des Kyllenischen Esels wird ein Text präsentiert, der in der Brunoforschung lange Zeit vernachlässigt worden ist, was nicht zuletzt mit seiner schwer faßbaren Form zusammenhängt, die dem Verständnis des Inhalts beträchtliche Hürden in den Weg stellt. Nicht umsonst ist es der einzige Text, den Bruno rückblickend selbst verleugnete, weil er sich bei allen Leserschichten als Mißerfolg erwiesen hatte. Deshalb sollen hier einige generelle Lesehilfen vorweggeschickt werden, was Bruno in seinen anderen Werken selbst besorgt, in diesem Text jedoch unterlassen hat; einzelne Textstellen werden in den Anmerkungen erläutert. Schon der Titel verrät die satirische Absicht des Textes, denn um die Kabbala geht es in dem Text kaum, und der Pegasus erweist sich als ein Esel. Denn vordergründig scheint der Text ein Lob auf das Eseltum zu sein und sich so in die von Agrippa von Nettesheim ausgehende Traditionslinie einzufügen, da im Widmungsschreiben mit viel Rhetorik der Esel als Gegenstand eines Buches verteidigt wird. In der folgenden Deklamation an den gelehrigen, gläubigen und frommen Leser wird mit vielen Bibelzitaten die Würde des Esels und der Unwissenheit verbürgt, spätestens an der Stelle, wo Bruno von den ihm bekanntlich so verhaßten Reformatoren spricht, die als »höchste Esel der Welt« »verfault sind in ihrer ewigen Pedanterie« (16), wird jedoch die satirische Absicht der gesamten Operation unverkennbar, nämlich das Christentum als Eseltum zu entlarven, entgegen seiner zu Beginn der Deklamation beschworenen Zurückweisung des aufgekommenen Verdachts, »daß er tatsächlich in die Fußstapfen derer treten [will], die über diesen Gegenstand demokritisieren« (12). Diese satirische Gesamtanlage des Textes muß man stets vor Augen haben, um von der sophistischen Argumentation
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Saulinos im Ersten Dialog nicht in die Irre geführt zu werden, besonders dort, wo er begründet, warum der Unwissenheit am Firmament der Platz gleich neben der Wahrheit zukomme. Diese Stelle hat einige Interpreten dazu verleitet, anzunehmen, daß Bruno neben dem konkreten Eseltum, über das er sich lustig macht, ein ideales Eseltum annehme, dessen Würde er anerkenne; eine Einschätzung, die der genauen Lektüre der Stelle nicht standhält, da es sich hier um einen Scheinschluß handelt (32). Am Ende des Dialogs wird dem christlichen Verzicht auf die Erkenntnis dann der Skeptizismus der griechischen Philosophie gleichgestellt, der zum Diskussionsgegenstand des Zweiten Dialogs wird. Im Ersten Teil wird die Figur des Onorio eingeführt, des Pegasus in Eselsgestalt, auf den die Funktion von Saulino als Sprachrohr Brunos nun übergeht, damit er von den verschiedenen Metamorphosen erzählt, die er durchgemacht hat. Hier finden sich einige der wichtigsten Stellen des Dialogs, etwa die Schilderung der Verwandlung des Menschen in eine Schlange, oder die Betonung der Wichtigkeit der Hand gegenüber dem Verstand für die menschliche Überlegenheit in der Tierwelt, die Identifizierung von Instinkt und Intellekt, womit Bruno seine eigene pythagoreische Ansicht der ewigen Verwandlung der Dinge ausspricht. Er benutzt dafür das Wort »vicissitudine«, hier übersetzt mit »Wechselspiel« bzw. »Wechselfälle«, auf dessen Zentralität Michele Ciliberto in seiner Einleitung hinweist. Im Zweiten Teil erzählt Onorio, wie er in einer seiner Verwandlungen auch einmal Aristoteles gewesen sei und gesteht, daß er mit seinen Lehren die Menschen zum Narren gehalten habe. Im Dritten Teil wird schließlich der Skeptizismus diskutiert, wobei besonders auf seine praktische Schädlichkeit abgehoben wird, während die Lehre von Onorio damit abgetan wird, daß es Geschmacksache sei, was davon zu halten ist. Im Dritten Dialog wird dann nicht, wie versprochen, weiter darüber geredet, sondern die Kabbala szenisch beendet und
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der K yllenische Esel eingeführt. Darin verlangt ein gebildeter, sprechender Esel Aufnahme in die Pythagoreische Akademie, was ihm entgegen der pythagoreischen Grundsätze verwehrt wird, worin autobiographische Züge zu erkennen sind, da Bruno sich selbst in der Komödie Il Candelaio als »Akademiker von keiner Akademie« bezeichnete. Schließlich schreitet Merkur ein, um dem Esel zu seinem Recht zu verhelfen. Brunos sechs italienische Dialoge, die er zwischen 1584 und 1585 in London veröffentlichte, wurden vom Herausgeber der kritischen Ausgabe, Giovanni Gentile, in drei metaphysische und drei moralische Dialoge unterteilt. Die Kabbala ist der fünfte und damit der zweite moralische Dialog und steht in engem Zusammenhang mit dem ersten moralischen Dialog Spaccio della bestia trionfante, da er die dort begonnene Himmelsreform zu Ende führt (siehe dazu die Einleitung von Michele Ciliberto). Da von diesem Dialog keine zuverlässige deutsche Ausgabe vorliegt, wurde der italienische Titel beibehalten, Zitate daraus habe ich aufgrund der Schwierigkeiten, die Brunos Sprache bietet, übersetzt. Wie erwähnt existiert wenig Literatur zur Kabbala, interessant sind jedoch die Einleitungen zur jüngsten italienischen Ausgabe von Nicola Badaloni, G. B., Cabala del cavallo pegaseo, Palermo 1992, sowie dessen in einzelnen Punkten davon etwas abweichende Einleitung zur französichen Ausgabe, G. B., CEuvres completes, hrsg. v. Yves Hersant u. Nuccio Ordine, Bd. VI, übers. v. Tristan Dagron, Paris 1994, die wichtige philologische Angaben von Giovanni Aquilecchia enthält, dem Herausgeber der 3. Auflage der kritischen Ausgabe, Dialoghi italiani, Firenze 1958, deren Text unserer Übersetzung zugrundelag. Daneben sei verwiesen auf die spanische Ausgabe von Miguel A. Granada, G. B., Cabala del Caballo Pegaso, Madrid 1990. Monographien zum Motiv des Esels stammen von Vincenzo Spampanato, Bruno e la letteratura dell'asino, Portici 1905, dem Autor der Brunobiographie von 1921, und von Nuccio Ordine, G. B. und die Philosophie des Esels (La cabala dell'asino. Asinita e conoscenza in G. B., Napoli 1987), Mün-
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chen 1999. Kürzlich erschienen ist von Karen Silvia De Le6nJones, G. B. and the Kabbalah: prophets, magicians, and rabbis, New Haven 1997. Daneben sei auf die Werke von Michele Ciliberto verwiesen, dem Herausgeber von dem Lessico di G. B., Rom 1979, besonders La ruota del tempo. Interpretazione di G. B., Rom 1986 und die Biographie Giordano Bruno, Bari 1990.
EINLEITUNG
Bruno nennt die Kabbala des Pegasus ein »kleines Werk«, das jedoch durchaus einen systematischen und auf seine Weise organischen Charakter hat. Im Widmungsschreiben nimmt er explizit den Vergleich zwischen dem Philosophen und dem Maler auf, der verschiedene Male in ausführlicherer Form im Aschermittwochsmahl auftaucht. Bruno schreibt, einem Maler »genügt es nicht, die Geschichte abzubilden; sondern um das Bild zu füllen und sich mit der Kunst der Natur anzunähern, malt er darin Steine, Berge, Bäume, Quellen, Flüsse und Hügel. Hier läßt er einen Königspalast erblicken, dort einen Wald oder einen Ausschnitt des Himmels, an einer Stelle eine halbe Sonne, die gerade aufgeht und je nachdem einen Vogel, ein Schwein, einen Hirsch, einen Esel oder ein Pferd [...]«. 1 Im Aschermittwochsmahl läuft der Zusammenhang Malerei-Philosophie auf das »Silenentum« heraus, das explizit auch am Beginn des Spaccio della bestia trionfante beschworen wird, einem erklärtermaßen »silenischen« Werk. Dasselbe Thema taucht in der Kabbala wieder auf, und zwar in der Beschreibung der Arbeitsweisen des Malers, der vollkommene Werke auch dadurch schaffen kann, daß er Details darstellt, extrem konzentrierte Aspekte der Realität. Vor allem in der Kabbala, mehr noch als im Aschermittwochsmahl, scheint hier mächtig die philosophische Intuition auf, was »organisches Wesen« eigentlich sei. Weder auf der subjektiven noch auf der objektiven Ebene kann es identifiziert werden mit der Darstellung des Ganzen, da für Bruno das Ganze das Unendliche bedeutet. In Hinsicht auf das »Silenische« kann für den Philosophen, der die Dimension des Unendlichen verstanden hat, die »Kleinigkeit« der eigentliche »Schlüssel« zur Realität werden. t
La cena del/e ceneri, hrsg. v. G. Aquilccchia, Turin 1955, S. 72.
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So schreibt Bruno: »daß es bei Portraits normalerweise genügt, den Kopf alleine ohne den Rest dargestellt zu haben.« Nicht nur das: »Ich lasse beiseite, daß man bisweilen ausgezeichnete Kunstfertigkeit beweist in der Ausführung nur einer Hand, eines Beines, eines Auges, eines flüchtigen Ohres, eines halben Gesichtes, das hinter einem Baum oder aus einer Fensterecke hervorlugt oder gar auf den Bauch einer Tasse gemeißelt ist, die als Basis den Fuß einer Ente, eines Adlers oder sonst eines Tieres hat, ohne daß man das Ding deswegen für gering achtet oder gar verurteilt, nein, es vielmehr dafür schätzt und annimmt« (9). Die Kabbala ist also ein »kleines Werk« »ausgezeichneter Kunstfertigkeit«, in dem mit malerischer Technik mittels eines »Details« das Ganze, die Unendlichkeit dargestellt wird. Aber diese Feststellungen erschöpfen keineswegs die Komplexität des Dialogs. Er ist das Produkt der Verschränkung von mindestens drei Ebenen: der Technik der Malerei, der Technik der Umkehrung und der Technik der Variation. Um zu sehen, wie diese drei Ebenen sich verschränken, muß man sich bei der Lektüre der Kabbala jedoch den Spaccio vergegenwärtigen, da Bruno in Wiederaufnahme und Radikalisierung von Motiven aus dem Lob der Dummheit des Erasmus ein Lob des Eseltums schreibt, das auf den ersten Blick wie die genaue Umkehrung der Werte erscheint, die im ersten der moralischen Dialoge propagiert wurden. Wo im Spaccio die Rolle der Mühe, der Kunst, der Erfindung hervorgehoben wurde, wird in der Kabbala die Unwissenheit, die Dummheit und die fromme Devotion gepriesen. Dort sprechen die guten Götterboten, hier erscheinen die »Engel des Bösen« mit offenem Visier und ohne jede Verkleidung. Einige Vergleiche mögen nützlich sein: in der Kabbala kehrt sich der Zusammenhang von Weisheit und Dummheit um (»die höchsten Esel der Welt [... ] sind jene, die mit dem Segen des Himmels den ängstlichen und verderbten Glauben reformieren, die Wunden der verletzten Religion verarzten und, indem sie den Mißbrauch des Aberglaubens beseitigen, die Risse in ihrem Kleid schließen; es sind nicht
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jene, die mit gottloser Neugier die Geheimnisse der Natur ergründen oder doch ergründeten und die Bahnen der Sterne berechneten«. 16); ebenso der Zusammenhang von Wissen und Glauben (»flüchtet die Grade der Wissenschaft, die Eure Schmerzen nur vergrößert, schwört jedem Sinn ab, werdet zu Gefangenen des heiligen Glaubens«. 18); auch der Zusammenhang von dem Goldenen Zeitalter mit der Zivilisation (»Es gibt keinen, der nicht das Goldene Zeitalter lobt, als die Menschen Esel waren, nicht das Feld zu bestellen wußten, der eine nicht über den anderen herrschte oder mehr als dieser verstand«. 19). Aufgenommen werden dagegen teilweise wörtlich die Thesen, die im Spaccio der Müßiggang aufgestellt hat, bevor er aus dem Gesichtskreis der Götter, die bereuten und sich erneuern wollten, verjagt wurde. Man beachte jedoch, daß sie hier in einer eindeutig christlich protestantisch inspirierten Wortwahl (Gnade, Prädestination) vorgebracht werden, in einem Text, der voll von Bibelzitaten ist, die nach der allegorischen Methode interpretiert werden, die Luther in De servo arbitrio so scharf kritisiert hatte. In anderen Worten: In der Kabbala wird die Allegorie so umgebogen, daß sie die Positionen desjenigen stützt, der sie frontal angegangen hat. In einem ambiguen Spiel von Spiegelungen scheint sich die theoretische Perspektive des ersten moralischen Dialogs also umzukehren. Von dem Primat der Mühe wird zu dem der Unwissenheit übergegangen. Von einem Prozess der Vergöttlichung der Menschheit im Zusammenspiel von Intellekt und Händen geht man über zu einem Prozess, der die Menschheit mittels des Eseltums der Gottheit annähern soll: »Den menschlichen Augen kann kein besserer Spiegel dargeboten werden, sage ich, als das Eseltum und der Esel, der in höchstem Maße genau zeigt, wie der sein muß, der, nachdem er sich im Weinberg des Herrn abgemüht hat, die Auszahlung des Tageslohnes, den Genuß des Abendmahls, die Ruhe, die dem Lauf dieses flüchtigen Lebens folgt, erwarten darf« (21). Das scheint die genaue Umkehrung der Positionen zu sein, die Bruno im Spaccio vertritt, aber es ist nur der erste Aspekt des
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»Spiels«, das Bruno in der Kabbala spielt. Mit einer eindeutig auf Erasmus zurückgehenden Technik wird das Eseltum gegen sich selbst gewendet und wird damit zu einer Kritik aller philosophischen Positionen, die einen Eselscharakter aufweisen (von der aristotelischen zu der skeptischen). Vor allem aber wird es auf einer ontologischen Ebene in der Umkehrung zum Ausdruck einer ausgesprochen naturalistischen Auffassung der Realität. Wenn der ideale Esel »diese Spezies selbst ist, von der nicht nur die Esel, sondern sowohl die Menschen wie auch die Sterne, Welten und weltlichen Tiere herkommen« (13), dann wird das Eseltum in paradoxer jedoch schlüssiger Weise zum Fundament und zum konkreten Ausdruck der spirituellen und materiellen Einheit der Menschen, Tiere und der leblosen Dinge. In diesem Sinn sagt Onorio, der »sich daran erinnert, ein Esel gewesen zu sein«: »So wurde ich, meines körperlichen Gefängnisses entledigt, ein umherziehender Geist ohne Glieder und verstand, daß ich nach meiner geistigen Substanz weder in Art noch Geschlecht anders als alle anderen Geister war, die nach der Auflösung anderer Tiere und zusammengesetzter Körper umherwanderten; und ich sah, wie die Parze nicht nur in der Art der körperlichen Materie den Körper des Menschen von dem des Esels ununterschieden macht und den Körper der Tiere vom Körper der für seelenlos erachteten Dinge, sondern auch in der Art der geistigen Materie die Seele des Esels ununterschieden von der des Menschen sein läßt, ebenso wie die Seele, die die besagten Tiere bildet, von der, die sich in allen Dingen befindet« (39 f.). Demnach wird das in der radikalen Trennung von Gott, Mensch und Natur verankerte christliche Eseltum zum Ausdruck der substanziellen Vereinigung der gesamten Realität. Sie kehrt sich in ihr Gegenteil um und wird dabei zu einem konstitutiven Aspekt des universellen Wechselspiels der Seelen und Körper, bestimmt vom Rhythmus der »Metemphysikose«, der »Transformation« und der »Transkorporation«. Im Bereich einer radikal naturalistischen Perspektive, die verankert ist in dem universellen Wechselspiel aller Formen
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und Schicksale, wird der Sinn des menschlichen Handelns noch einmal tief durchdacht. Während im Spaccio der Rhythmus des Wechselspiels mit der expliziten Anerkennung der Funktion des Gewissens, der Verdienste des Menschen, und im allgemeinen des Primats des spirituellen Prinzips über das materielle verknüpft ist, ist das »spezifisch Menschliche« in der Kabbala vollkommen im Rad der Verwandlungen aufgegangen. Damit erledigt sich das Problem, das im Zentrum des ersten moralischen Dialogs gestanden hatte, nämlich der Prozess der Verwandlung von Fortuna in Vorsehung und der Wechselfälle in Gerechtigkeit. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier wird also nicht von einer spezifischeren »Verantwortlichkeit« des Menschen hergeleitet, sondern von den unterschiedlichen köperlichen Strukturen, zu denen sich von Mal zu Mal der Geist »gesellt«: »Einmal vereinigt sich jener Geist nach Fatum oder Vorsehung, Ordnung oder Schicksal mit einer Art von Körper, einmal mit einer anderen und erlangt je nach Art der Verschiedenheit von Körperbau und Gliedmaßen unterschiedliche Grade und Vollkommenheiten des Geistes und der Handlungen. Weshalb der Geist, der in der Spinne war und dort diese Fähigkeit und diese Krallen und Gliedmaßen in bestimmter Anzahl, Menge und Form hatte, wenn er zur Fortpflanzung im Menschen gelangt, andere Intelligenz, andere Instrumente, Haltungen und Handlungen erwirbt« (41 ). Demnach ist das Prinzip der Individuation in der Kabbala ausdrücklich an die Körperlichkeit gebunden. Und vor diesem homogenen Hintergrund zeichnet sich für den Menschen ein organischer Zusammenhang von Körperlichkeit, Freiheit und Zivilisation ab:»[ ... ] wenn man annähme, daß der Mensch über doppelt so viel Verstand verfügte, wie er hat, und der intellectus agens noch viel heller in ihm leuchtete, als er es tut, und daß mit all diesem seine Hände sich in Form der zwei Füße umbildeten, wenn alles andere gleich bliebe, sag mir, wo die Konversation der Menschen ungestraft vonstatten gehen könnte, sich Familien und Zusammenschlüsse derselben bil-
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den, und wie sie gleich lang oder länger als die der Pferde, Hirsche, Schweine dauern könnten, ohne daß sie von unzählbaren Arten von Tieren gefressen würden und so größerem und sichererem Untergang geweiht wären? Und wo wären folglich die Institutionen der Lehre, die Erfindungen von Disziplinen, die Zusammenschlüsse von Bürgern, die Komplexe von Gebäuden und vielerlei andere Dinge, die die Größe und Exzellenz des Menschen ausmachen und den Menschen wirklich zum unbesiegten Herrscher über die anderen Arten machen? All dies geht, wenn du es aufmerksam betrachtest, nicht so sehr auf den Intellekt zurück als auf die Hand, das Organ der Organe« (42f.). Wenn der Mensch eine »Größe« hat, dann aufgrund seines Körperbaus, seiner Körperlichkeit. Im Cantus Circaeus 2 wird der Mensch der Hand beraubt und in ein Tier verwandelt, damit er die Ordnung der Welt nicht zerstöre, in der Kabbala wird die Hand als das eigentliche Instrument seiner besonderen Würde präsentiert. Die Hand ist es, die dem Menschen erlaubt, sich vor den Tieren zu verteidigen, die Zivilisation zu errichten, eben Mensch zu werden. Es handelt sich hier um eine wichtige Verlagerung. Aber sie betrifft nicht nur den Cantus, auf andere Art betrifft sie auch den Spaccio. Im ersten moralischen Dialog betont Bruno den Zusammenhang von Intellekt und Händen: und hierin siedelt er die Möglichkeit des Menschen an, innerhalb und außerhalb der Naturgesetze zu handeln: »indem er die Natur, den Gang und die Ordnung der Dinge mittels der Erfindungskraft verändert oder verändern kann, wird er durch diese Freiheit, ohne welche er besagte Ähnlichkeit nicht besäße, zum Gott der Erde (D. it., 732).« In der Kabbala verengt sich der Blickwinkel: die Hand für sich allein betrachtet ist das »Instrument« unserer Zivilisation. Es handelt sich also um eine Radikalisierung der theoretischen Perspektive Brunos zu einer naturalistischeren Sichtweise, die Iordani Bruni Nolani, Opera latine conscripta, publicis sumptibus cdita, rcccnscbat F. Fiorcntino, Ncapoli-Florcntiac 1879-1881. 2
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von den anderen hier zitierten Texten bestätigt wird. Aber auch sie muß in jene radikale Gegenposition zum christlichen Eseltum eingeordnet werden, die in unterschiedlichen Formen den ganzen zweiten Dialog kennzeichnet. Das Lob der Hand steht in direktem Gegensatz zum Lob des Gehörs, wie es die christlichen Esel von Paulus bis zu Luther (ex auditu fides) vorbringen. Es handelt sich also auch um einen bedeutungsvollen Moment in jener Technik der Umkehrung, die man kontinuierlich in diesem außergewöhnlichen »kleinen Werk« vorfindet. Wenn der technische Aspekt in jedem Fall wichtig ist für das Verständnis eines Werkes, so ist er im Fall der Kabbala von fundamentaler Bedeutung zum Verständnis der Modalitäten, die bei dem Aufweis einer positiven, dem Christentum diametral entgegengesetzten Auffassung des Menschen und der Zivilisation zur Geltung kommen. Damit soll keineswegs der Sinn der theoretischen Entscheidungen Brunos gemindert werden. Diese rühren von dem Aufscheinen und schließlichen Vorherrschen eines konstitutiven Motivs seiner Philosophie her. Es soll nur eine doppelte Eingleisigkeit vermieden werden, die von der Verkennung der Techniken Brunos herrührt: derjenigen, die die Kabbala verkennt, und sie auf ein »Capriccio« reduziert, und derjenigen, die die gesamte »neue Philosophie« auf die Kabbala reduziert. Beide Herangehensweisen sind falsch, denn im Fall Brunos ist das, was wirklich zählt, nicht das einzelne Motiv für sich betrachtet, sondern die kontinuierliche, außergewöhnliche »Variation«, der es von Mal zu Mal unterworfen ist. Eine Variation, die die Einheit nicht ausschließt, welche jedoch im Ganzen der Konzentration erfaßt werden muß, wobei Überlagerungen oder Isolierungen der fundamentalen theoretischen Motive vermieden werden müssen. Das christliche Eseltum, identisch mit dem irdischen Paradies, mit dem Müßiggang, mit dem Goldenen Zeitalter, schließt jegliche Möglichkeit der menschlichen Freiheit aus. Es ist strukturell und eigentlich Dekadenz, da die menschlichen Fähigkeiten mit »Bösartigkeiten« und »Ungerechtigkeiten« wach-
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sen und sich entwickeln. Dieses ist der Weg, auf dem der Mensch sich vom tierischen Dasein entfernt und sich an das göttliche annähert. Die christlichen Esel jedoch wollen einfach sein, »in Unkenntnis des Guten und des Bösen«. Sie sind den Tieren ähnlich, von denen es im Spaccio heißt, sie seien nicht sündig aber auch nicht tugendhaft: »denn es besteht ein großer Unterschied dazwischen, ob man nicht sündigt oder tugendhaft ist; und nicht unbedingt zieht das eine das andere nach sich, wenn man bedenkt, daß gleiche Tugenden nur dort sein können, wo das gleiche Studium, gleiche Neigungen und gleicher Körperbau sind« (D. it, 734). Das Eseltum und das Gehör der Christen sind also das Gegenteil der Zivilisation, der Weisheit und des Lichts. Saulino bemerkt: »Sie hielten ihre Schritte an, sie verschränkten die Arme und ließen sie hängen, sie schlossen die Augen, entsagten jeder Form eigener Aufmerksamkeit und eigenen Studiums, verurteilten jedweden menschlichen Gedanken, unterdrückten alles natürliche Empfinden, und schließlich hielten sie sich für Esel, und die, die es nicht waren, verwandelten sich in dieses Tier: sie erhoben, weiteten, spitzten, vergrößerten und verherrlichten die Ohren, und alle menschlichen Fähigkeiten versammelten und vereinten sie im Hören, um nur zu glauben und zu hören [„.] Indem sie so das vegetative, sensitive und geistige Vermögen gefangen und versammelt hatten, haben sie die fünf Finger in nur einem Nagel vereint, damit sie nicht wie Adam die Hände ausstrekken könnten, um die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntis zu pflücken, wodurch sie der Frucht des Lebensbaumes verlustig gingen [„.]« (35 f.). Die Zivilisation zu errichten, die »Größe« und »Außergewöhnlichkeit« des Menschen zu fördern, die Kommunikation von Wissen und Leben wiederherzustellen, bedeutet demnach in erster Linie, wieder die Finger zu bewegen, die Hand zu befreien. Es bedeutet, die spezifische Körperlichkeit des Menschen zu betonen und ihn von hier handlungsfähig zu machen. In der Kabbala ist die Hand genau das: das Fundament der »Zivilisation« und der »Freiheit« des Menschen und daher die
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Wurzel der menschlichen Praxis. Bei genauem Hinsehen ist in diesem außergewöhnlichen Spiel von Spiegelungen gerade die Praxis das wirkliche Zentrum der Kabbala. In ähnlicher Hinsicht ist in der Kabbala die Kritik an der philosophischen Tradition von besonderem Interesse - neben der an der Philosophie aristotelischer Prägung (hier werden die Einwände gegen die Pedanten von Oxford wiederholt) auch die an der Philosophie skeptischer Prägung (und hier kann man die Figur von Francisco Sanchiz ausmachen, dem Autor von Quod nihil scitur, den Bruno in Toulouse getroffen hat). In der Tat sind die eine wie die andere Momente der gleichen universalen Pedanterie. Aber es sind besonders die Skeptiker, die in systematischer Weise den Verzicht auf jegliche Vorstellung von Wissenschaft, Praxis und Gerechtigkeit fordern: »die Ephektiker [sagten), daß man nichts bestimmen könne, weil man nichts wisse« (56). Und die Pyrrhoniker »sagten, um als Urwissende zu gelten, daß man nicht einmal das wissen könne, was die Ephektiker zu wissen vermeinten, daß nämlich nichts gewußt oder bestimmt werden könne. Was nun als Nutzen für die Weisheit aus all dem folgt,« - fährt Saulino fort - »ist, daß die Pyrrhoniker nichts wußten, die Ephektiker nichts wußten und daß die Dogmatiker, die zu wissen glaubten, auch nichts wußten. Und so wächst die edle Reihe der Philosophien immer weiter an, bis man schließlich beweist, daß den letzten Grad der höchsten Philosophie und vorzüglichsten Betrachtung diejenigen erreicht haben, die nicht nur nicht behaupten noch verneinen, daß sie wissen oder nicht wissen, sondern darüberhinaus nicht einmal verneinen oder behaupten können, so daß schließlich die Esel die göttlichsten Tiere sind und das Eseltum, ihre Schwester, die Begleiterin und Kameradin der Wahrheit ist« (57 f.). Auf allen Ebenen - der philosophischen genauso wie der religiösen - ist das Eseltum die eigentliche Form der Dekadenz. In diesem universellen »Spiegel« sind Christentum und Skeptizismus deckungsgleich: sie leugnen in radikaler Weise übereinstimmend jegliche Art von Wissenschaft, Praxis und Gerechtigkeit. Im Grunde besteht zwi-
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sehen Paulus und Pyrrhon kein wirklicher Unterschied. In diesem Problemkomplex sind der Spaccio und die Kabbala angesiedelt und in umgekehrter Form stellen sie zwei Momente derselben Interpretation der historischen Zeit Brunos dar. Das führt uns zur dritten und letzten der oben angeführten Techniken, der Variation; und hierzu sind genauere Ausführungen notwendig. Die Forschung ist sich einig darüber, daß der Spaccio und die Kabbala zu den radikalsten Texten von Giordano Brunos Werk - und nicht nur dem »moralischen« Charakters - gehören. Bruno selbst lehnt die Kabbala in einer seiner letzten Schriften ab; aber nicht weniger bedeutsam ist seine Haltung gegenüber dem Spaccio, den er im Verlauf des Inquisitionsprozesses nicht erwähnt, da er sich der Tatsache bewußt war, daß er in diesem Text mit dem Christentum ein für allemal Schluß gemacht hat. Mehr noch: unter den Gründen, die ihn in der allerletzten Phase des Prozesses davon überzeugen mußten, daß es keinen Ausweg mehr gab - und daß die Alternative nur noch zwischen dem Tod einerseits und Widerruf mit lebenslanger Haft andererseits bestand - war wahrscheinlich auch die Nachricht, daß er im Santo Uffizio von Vercelli unter Bezugnahme auf den Spaccio als »Atheist« angeklagt worden war.3 Wenn man die Wirkungsgeschichte der beiden moralischen Dialoge betrachtet, stellt man einen großen Unterschied bezüglich ihrer Verbreitung fest, woran die Haltung von Bruno selbst sicher nicht unschuldig war: von der Kabbala sind in europäischen Bibliotheken nur 11 Druckexemplare aufgefunden worden, davon eines in Heidelberg; vom Spaccio - der von Anfang an wesentlich bekannter war - hat man dagegen 29 Druckexemplare und 12 Manuskripte gefunden (vom Aschermittwochsmahl hat man 39 Druckexemplare und 5 Manuskripte gefunden, während man von den Heroischen LeidenVinccnzo Spampanato, Documenti della vita di Giordano Bruno, Fircnzc 1933, S. 190. 1
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schaften 49 Druckexemplare aufgefunden hat).4 Der Spaccio hatte demnach eine weite Verbreitung, und neben der Tatsache, daß er zu hohen Preisen im Antiquariatshandel verkauft wurde, wurde er ins Französische (teilweise) und Englische übersetzt, auch wenn er immer von dem zweifelhaften Ruf begleitet war, ein mystisches Buch, heimliche Lektüre für wenige Eingeweihte zu sein, wie John Toland schreibt, der an der Verbreitung der Werke und Gedanken Brunos - besonders des ersten moralischen Dialogs - großen Anteil hat. »Dieses Werk« - bemerkt er - »ist sowohl gefährlich als auch schädlich und die Lektüre ist nur jenen möglich, die gesunden Menschenverstand und eine starke Vernunft haben, um all den Sophismen standhalten zu können«. 5 Über die Kabbala dagegen legt sich wie zur Bestätigung des Urteils von Bruno ein Mantel des Schweigens, das diesen außergewöhnlichen Text nach und nach in ein mysteriöses Objekt verwandelt. Der erste, der im 18. Jahrhundert dann davon spricht, ist Haym, der ihn symptomatischerweise als »Zugabe« oder »Fortsetzung« des Spaccio bezeichnet; Niceron dagegen erklärt, daß er nicht wisse, wovon er wirklich handle. Um genauere Auskünfte zu bekommen, muß man bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts warten, als im Nouveau dictionnaire historique ausdrücklich auf ein Exemplar dieses Geisterwerks verwiesen wird. 6 Trotz alldem sind Spaccio und Kabbala im allgemeinen nebeneinandergestellt worden, nach einem Interpretationsansatz, den Bruno selbst in seinem ersten moralischen Dialog gegeben hatte, als er die Entstehung von Kabbala und KylleVgl. Rita Sturlese, Bibliografia, censimento e storia delle antiche stampe di Giordano Bruno, Florenz 1987. 5 Vgl. lmmagini di Giordano Bruno, hrsg. u. mit einer Einleitung versehen von S. Bassi, Vorwort v. M. Ciliberto, Neapel 1996, S. 99. 6 F. Haym, Biblioteca italiana o sia notizie di libri rari italiani, Milano 1771, S. 375 Nr. 8; J. P. Niceron, Memoires pour servir a l'histoire des hommes illustres [...], Paris 1729-1745, vol. XVII, S. 201 f.; Nouveau Dictionnaire historique [...] pour M. Chaudon et F. A. Delaudine, Lyon 1804, s. 555. 4
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nischem Esel anzeigte: »Über die unbescholtene Majestät der beiden Esel, die im Bild des Krebses leuchten, wage ich nichts zu sagen, da ihnen von höchstem Recht und Vernunft wegen das Himmelreich zusteht: wie ich Euch mit vielen Gründen ein ander Mal beweisen möchte, weil ich von einem so großen Thema nicht im Vorbeigehen sprechen möchte« (D. it., 602 f.), heißt es an einer berühmten Stelle des Spaccio. In einem anderen Zusammenhang hat Bruno sich folgendermaßen über die Konstellation des Eridanus geäußert: »Sei also Eridanus am Himmel, aber nicht anders als vorübergehend und in der Einbildung, da sich an demselben Ort in Wirklichkeit etwas anderes befindet, was wir an einem dieser Tage näher bezeichnen werden; denn man muß über diesen Ort nachdenken wie über den des Großen Bären« (D. it., 809), (und schon in der Epistola esplicatoria des Dialogs hatte er sich deutlich zu dem Thema geäußert: »der Ort des Großen Bären bleibt vakant, um davon nicht hier zu sprechen« (D. it., 562). Es ist also kein Zufall, wenn auch einer der neuesten und scharfsinnigsten Herausgeber der Kabbala auf diesem Punkt insistiert hat, indem er nicht nur energisch unterstrich, wie eng die beiden Werke miteinander verstrickt sind - und daran besteht auf den ersten Blick kein Zweifel-, sondern ebenfalls die Kabbala als Vollendung des Spaccio sieht, dessen ambitioniertes Programm einer universellen »Reform« sie zu Ende bringen sollte: »[...] non e stato sufficientemente messo in chiaro ehe tale progetto riformatore non e completato nello Spaccio e ehe in quest'opera sono solo accennate e rinviate a una piu matura riflessione alcune importanti proposte. Alcune delle questione, ehe Giove e gli altri dei affermano esplicitamente di aver lasciato in sospeso, trovano la loro soluzione nella Cabala del cavallo pegaseo, ehe il nostro autore afferma di aver ritrovato con un >cartaccio< in cui aveva avvolto l'altra opera e nella quale, egli dice, non aveva esaurito tutti i suoi pensieri [... ]« 7 Badaloni in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Cabala del cavallo pegaseo, con l'aggiunta dell'»Asino cillenico«, Palermo 1992, S. 9f. 7
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Die Beziehung zwischen Spaccio und Kabbala stellt sich demnach ganz anders dar als die zwischen Spaccio und Von den heroischen Leidenschaften: Im ersten Fall hat man immer den organischen Zusammenhang zwischen den beiden Texten betont und gar eine Art Komplementarität zwischen den beiden angenommen, während man im zweiten Fall die Verschiedenheit der beiden Texte unterstrich: »nello Spaccio come nella Causa il contrasto e la legge stessa della realta, ne solo il mondo fisico ma il morale eziandio v'e sottoposto, e non e vero ehe tra i due mondi corre quella opposizione ehe vogliono gli Eroici Furori« - schrieb seinerzeit Felice Tocco; im Unterschied zu Ludovico Limentani, der dagegen polemisch auf die innere Beziehung zwischen den beiden Texten verwies und unterstrich »il nesso indissolubile ehe collega l'etica di Bruno al suo pensiero metafisico e cosmologico« 8 (nach einer Interpretationslinie, die in der jüngeren Brunoforschung wieder aufgegriffen wurde, wo der organische Zusammenhang zwischen Spaccio und Von den heroischen Leidenschaften in einer gemeinsamen ontologischen Perspektive festgemacht wurde). In jedem Fall ist die Art des Zusammenhangs von Spaccio und Von den heroischen Leidenschaften noch umstritten, während der von Spaccio und Kabbala wesentlich unproblematischer zu sein scheint. Kabbala und Spaccio sind sehr verschiedene Texte, die nicht als zwei organische Momente eines bewußt geplanten philosophischen Diskurses angesehen werden können, der sich vom ersten moralischen Dialog zum zweiten erstreckt. Außerdem ist es Bruno selbst, der uns darauf hinweist, wenn er sich im Widmungsschreiben der Kabbala mit einem Töpfer vergleicht, der am Ende seiner Arbeit »in seiner Hand etwas Glas, Holz, Wachs oder anderes hält, was nicht ausreicht, um daraus ein Gefäß herzustellen, [das er) nicht unnütz wegwerfen möchte, Vgl. S. Bassi, »Bruno secondo Bruno: le ricerche di Ludovico Limentani«, in: Rivista di storia delta filosofia, L, 1995, S. 617-644 (mit einem Anhang unveröffentlichter Dokumente). 8
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sondern vielmehr der Welt zum Trotz wünscht, daß es zu etwas gut sei, und siehe da! es sich als vorbestimmt erweist, einen dritten Henkel, einen Rand, einen Flaschendeckel, eine Einlage, ein Pflaster, einen Flicken abzugeben, um irgendeinen Riß zu schließen, ein Loch zu füllen oder eine Delle zu glätten [„.]« Genauso ist es ihm ergangen: »nachdem ich nicht all meine Gedanken, sondern nur ein bestimmtes Bündel von Schriften an die Öffentlichkeit gebracht hatte, so daß ich schließlich - da ich nichts anderes abzuschicken hatte - mehr aus Zufall denn aus Überlegung die Augen auf einen Blätterhaufen richtete, den ich andere Male als Umschlag für diese Schriften mißbraucht hatte, und es stellte sich heraus, daß er zum Teil dasjenige enthielt, was Ihr hier vorfindet« (3). Also erst nachdem er den Spaccio geschrieben hatte, in dem er »ein bestimmtes Bündel von Schriften« gesammelt hatte, kommt dem Nolaner ein »Blätterhaufen« unter, den er vorher nicht beachtet hatte und sogar als »Umschlag« für die veröffentlichten Schriften benutzt hatte: erst da hat er entschieden, ihn zu veröffentlichen. »Mehr aus Zufall denn aus Überlegung«, schreibt er, und unterstreicht so noch einmal den nicht vorbedachten Charakter der Veröffentlichung der Kabbala und damit die Außergewöhnlichkeit und Zufälligkeit des Textes, der also nicht, zumindest nicht in dieser Form, zu einem vorgefaßten Plan gehörte. Auch das ist keine Neuigkeit: wenn das Denken Brunos auch sehr kompakt und organisch ist, so ist andererseits doch wahr, daß der Rhythmus der Veröffentlichungen der italienischen Dialoge (einschließlich des Übergangs von den kosmologischen zu den moralischen) sich frei von einem vorbedachten Plan entwickelt, nur vom politischen und ethischreligiösen Kampf bestimmt, den der Nolaner auf englischem Boden ausficht, zuerst in Oxford und dann in London zwischen den Jahren 1583 und 1585. Wenn man diese Äußerungen Brunos berücksichtigt, befindet man sich in einer doppelten Perspektive, je nachdem, ob man die Seiten im Spaccio oder die der Kabbala bevorzugt: in ersteren scheinen Vorgriffe der Arbeit über den Esel auf, in
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letzteren hebt er auf die Zufälligkeit der neuen Veröffentlichung ab, wodurch die lineare Kontinuität zwischen dem ersten und dem zweiten Werk Risse bekommt. Es handelt sich um ein Problem, das man ausführlicher behandeln müßte; vorläufig läßt sich feststellen, daß die unterschiedliche Beurteilung Frucht der Tatsache ist, daß Bruno während der Arbeit am Spaccio eine Art doppeltes Register geführt hat, dessen einer Teil in den Dialog eingeflossen ist, der andere sich in dem »Blätterhaufen« abgesetzt hat, in Form von Anmerkungen, Entwürfen, Aufzeichnungen unterschiedlicher Art, von radikalerem Charakter, die im Test als Vorgriffe auf eine neue Arbeit erscheinen, deren Ausarbeitung und Veröffentlichung allerdings erst in einem zweiten Moment entschieden wird. Mit anderen Worten: es ist möglich, daß Bruno am Anfang nicht an eine konkrete Niederschrift der Kabbala dachte, und daß die »Vorgriffe« - gemäß einem bereits erprobten Modell, beispielsweise in dem Brief an den Vizekanzler von Oxford - in erster Linie die Funktion von Signalen hatten, Ermahnungen an seine Widersacher waren, deren starke Ablehnung er schon am eigenen Leib gespürt hatte: Diese Hypothese erscheint umso plausibler, wenn man sich vergegenwärtigt, welches Thema Bruno zu behandeln vorhatte - den Esel, das Eseltum: ein explosives Thema, dessen religiöse Implikationen er kannte, wie aus den verschiedenen Fassungen des Aschermittwochsmahls klar ersichtlich ist, das gerade zu diesem zentralen Punkt viele Lesarten aufweist. Es ist demnach möglich, daß Bruno sich zu der Niederschrift und Veröffentlichung der Kabbala nach den Reaktionen auf den Druck des Spaccio entschlossen hat, die sehr wahrscheinlich in Kontrast standen zu dem, was Bruno gedacht und gehofft hatte, als er einen Text schrieb, der vor allem eine Abhandlung De vera religione sein sollte, der in der Lage wäre, England und seinen Herrschern den Ausweg aus einer Krise zu weisen, in die es neben den »jesuitischen« Verschwörungen besonders die puritanischen »Extremisten« gestürzt hatten. Diese hatten nämlich gerade in diesen Monaten ihre Angriffe auf den englischen Staat und die
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Kirche intensiviert, indem sie die bürgerlichen und religiösen »Prinzipien« zerstörten, was die Gefahr einer wirklichen Auflösung des einen wie des anderen heraufbeschwor, wenn keine angemessene Reaktion erfolgte. Das wird von einer unverdächtigen Quelle bestätigt: »The experience which wee have hereof at this day in the Church of England, is more than pregnant« - schreibt 1593 eine Persönlichkeit wie Richard Bancroft, der designierte Nachfolger von John Withgift als Erzbischof von Canterbury: »partly through the devilish and traiterous practises of the Seminary Priests and lesuites and partly by reason of the lewd and obstinate course, held by our pretended refourmers, the Consistorian Puritanes: both of them labouring with all their might, by rayling, ribelling, and lying, to steale away the peoples harts from their governours, to bringe them to a dislike of the present state of our Church, and to drawe them into parts-taking; the one sort, for the embracing of such directions, as should come unto them from Rome; the other for the establishing of that counterseit and false Hierarchie, which they would obtrnde upon us by the contenance and name of the Church at Geneva [„.]«. 9 Und er fährt fort, indem er den entscheidenden Nerv der religiösen wie zivilen »Institution« bloßlegt: »[„.] For under pretence of not accusing themselves, if they finde any thing to be come to light, which may any waies touch them, they will utterly refuse for the most part to answere it, either upon oath or without oath: sayng that neiter by the Laws of God, nor man, they are bound so to answere. Under colour whereof they exempt i:hemselves from the ordinary course held in justice [„.] And as they deale for themselves, so doo they for their confederates, their favourers, relievers, abetters, and receivers: affirming it to be against the rnles of the charity, to bring their Christian brethern and friends into any daunger, for doing of those things, which 9
R. Bancroft, Dangerous positions and proceedings, published and prac-
tised within this !land of Britaine, under pretence of reformation and for the presbiteriall discipline, London, 1593, S. 2. Im weiteren S. 3f.
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both the sorts of these seducers have drawne them into, and doo themselves iudge to be religious and just [...]« So paradox es erscheinen mag, aber Bruno und der anglikanische Prälat stimmen bei der Analyse der englischen Situation jener Zeit in ihrem Urteil betreffs einiger Punkte überein: auch wenn sie natürlich gegensätzliche Ansichten über einen möglichen Ausweg aus der Krise haben, erkennen beide in den Puritanern - und der von ihnen bewirkten Auflösung des »Gelöbnisses« und des »Gesetzes« - die Hauptursache für die Krise der englischen Gesellschaft in jenem Moment (auch wenn Bancroft gleichzeitig - wenigstens prinzipiell - die Spitze seiner Polemik gegen die Jesuiten richtet, im Unterschied zum Nolaner, der in diesem Text nicht auf sie anspielt, obwohl er sie verachtet 10). »[... ] both the sorts are so setled in this seditious doctrine of Rhemes« - schreibt Bancroft - »which is as followeth, vz.: >If thou be put to an oath, to accuse Catholiks, for serving God as they ought to doo, or to utter any innocent, to Gods enemies and his; thou oughtest first to refuse such unlawfull oathes: but if thou have not constancie, and courage so to doo, yet know thou that such oathes binde not at all in conscience and law of God, but may und must be broken under paine and damnation< [...]« Es handelt sich um genau das Problemfeld, aus dem die großen Themen des Spaccio erwachsen: das Gesetz (»Alle, die natürlichen Verstand besitzen, sagte Apollo, halten Gesetze für gut, weil sie das praktische Leben zum Ziel haben; und im Vergleich sind die am besten, die die besten Folgen im praktischen Leben zeitigen[...]« (625); das Gelöbnis (»Seht, wohin es mit der Welt gekommen ist [...] den Ungläubigen und Häretikern schuldet man keinen Glauben«, 760); die gute Religion, Schutz des menschlichen Zusammenlebens, der bürgerlichen Verständigung. In anderen Worten, der Nolaner stellt - ausgehend von der Analyse der Lage in England und von der AnVinccnzo Spampanato, Documenti della vita di Giordano Bruno, a.a.O., S. 40f. 10
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nahme der Wichtigkeit der Beziehung von Religion und Zivilisation - in das Zentrum seines ersten moralischen Dialogs das Problem der »wahren Religion«, d. h. der »zivilen« und »natürlichen« Religion, von der allein die guten Gesetze, die guten Lehren und das gute Verhalten ausgehen können. Für Bruno ist das die Religion von Hermes und Machiavelli: In seinen Augen ist die Wurzel der universellen renovatio in der Verknüpfung der magischen Praktiken und des heroischen Handelns, der Erkenntnis der Natur, der Liebe zum Vaterland und in der »zivilen Verständigung« zu suchen. Genau das schlägt er im Spaccio der politischen und kulturellen Elite Englands vor - von Philip Sidney (dem der erste Dialog gewidmet ist) zur Königin Elisabeth: eine neue »zivile« und »natürliche« religio, Frucht des Asclepius von Hermes Trismegistos und der Discorsi von Machiavelli: eine religio, aus der endlich eine neue Epoche des Friedens, der Einheit, des Anwachsens der Wissenschaften und des Wissens für England und damit für die gesamte Gemeinschaft erwachsen kann. Auch wenn die Analyse der Krise, die England plagte, in einigen Aspekten übereinstimmt, ist es nicht schwer auszumachen, wo die Lösungsansätze unterschiedlich oder sogar gegensätzlich sind: Der anglikanische Bischof bewegt sich innerhalb eines gemäßigt reformierten Christentums, Bruno wählt eine Perspektive, die deutlich prä- bzw. postchristliche Züge trägt und als Bezugspunkt die antike Weisheit der Ägypter hat. Es fällt nicht schwer, sich die Reaktionen auf die Veröffentlichung eines solchen Textes vorzustellen. Ohne Zweifel trug es dazu bei, den Ruf Brunos als Mann ohne Glauben und Religion zu festigen, wie man in dem Urteilsspruch der Inquisition vom 8. Januar 1600 lesen kann: Dort wird in Erinnerung gerufen, daß Bruno in England »für einen Atheisten gehalten worden war, da er ein Buch über die triumphierende Bestie geschrieben habe«. Ein Urteil, das die Überlieferung von Giulio Cesare La Galla bekräftigt, wonach der Nolaner »es verdient habe [... ]von der Königin Elisabeth von England Ungläubiger,
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Gottloser und Atheist« genannt worden zu sein. 11 Von dieser Warte aus ereilte den Spaccio dasselbe Schicksal wie die drei kosmologischen Dialoge. In dem einen wie in dem anderen Fall handelte es sich um einen eklatanten Mißerfolg, im Fall des Spaccio war das Scheitern noch schmerzhafter, wenn man sich die doppelte Strategie vergegenwärtigt, die Bruno in dem Text bewußt verfolgt hat: auf der einen Seite eine »radikale« Perspektive, verankert in dem Abheben auf die antike Religion der Ägypter und Römer; auf der anderen Seite eine moderatere, politischere, mehr an Erasmus orientierte Linie, die auf den Schlußseiten des Dialogs in die große Lobrede auf Heinrich III. mündete, der als Beispiel eines christlichen Fürsten hervorgehoben wird. Weder die eine noch die andere Ausrichtung haben offensichtlich Zustimmung gefunden. Indem Bruno das feststellt, entschließt er sich, Die Kabbala des Pegasus, gefolgt von dem Kyllenischen Esel, zu schreiben, um den »Signalen« und »Ermahnungen«, die er im ersten Dialog eingestreut hatte, Inhalt und Form zu geben, ohne allerdings eine definitive Entscheidung über Charakter und Struktur des neuen Werks getroffen zu haben, ja, ohne entschieden zu haben, ob er es wirklich ausführen und veröffentlichen will. Daß die Dinge so stehen, beweist das Widmungsschreiben zur folgenden Kabbala an den hochwürdigen Herrn Don Sapatino, in dem, wie man schon sehen konnte, Bruno auf dem »nicht geplanten« Charakter (»mehr aus Zufall denn aus Überlegung«) des Textes besteht, den er schließlich doch zu veröffentlichen beschlossen hat. Und auch aus einem anderen Grund besteht er darauf. Nach Fertigstellung des Textes mußte die Kabbala ihm selbst radikaler erschienen sein, als er in einem ersten Moment geplant und vorausgesehen hatte. Von daher rühren auch die Asymmetrien mit den Äußerungen aus dem Spaccio. Herausgekommen war ein Text über die universelle »Dekadenz«, der an Schärfe und Härte weit über die Haltung des Spaccio hinausging. Daher zerbricht Bruno jegliche Kontinuität zwischen 11
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dem einen und dem anderen Text. Wenn man einen Beweis für die Ablehnung finden wollte, die den im Spacccio vertretenen Thesen in der englischen Kultur und Politik entgegenschlug und für Brunos Reaktion darauf-, dann müßte man ihn in der Schreibweise und Veröffentlichung der Kabbala suchen. Um diese Hypothesen zu stützen, werde ich im folgenden einige Thesen des Textes analysieren. Ich beginne mit jener, die in systematischer Hinsicht vielleicht die wichtigste ist, mit den Überlegungen, die Bruno zur Idee des Wechselspiels aller Dinge anstellt, auf die wir schon hingewiesen haben. Ohne Zweifel handelt es sich hierbei um einen der Stützpfeiler der gesamten »neuen Philosophie« - von De umbris idearum zu den lateinischen Gedichten, um den in jeder Hinsicht großen Text De immenso nicht zu vergessen. Es verwundert also nicht, wenn Bruno sich im ersten wie im zweiten moralischen Dialog lange mit dem Thema aufhält. Einige Zitate: »in einem gesamten unendlichen Wesen und der Substanz sind die unendlichen und unzähligen einzelnen Naturen (deren Individuum es ist), die genauso, wie sie in Substanz, Essenz und Natur eins sind, aufgrund ihrer Anzahl unzähligen Wechselfällen und Arten der Bewegung und Veränderungen unterliegen«, heißt es im Spaccio. Und gleich darauf:»[ ... ] wenn es in den Körpern, der Materie und dem Wesen keine Veränderung, Verschiedenartigkeit und Wechselfälle gäbe, gäbe es nichts Lohnendes, nichts Gutes, nichts Angenehmes«. Und noch einmal: »der Anfang, das Mittel und der Zweck, die Geburt, das Wachsen und die Vollendung von allem Sichtbaren kommt von Gegensätzen, durch Gegensätze, in Gegensätzen, zu Gegensätzen: und wo die Gegensätzlichkeit ist, da ist Aktion und Reaktion, ist die Bewegung, ist die Verschiedenartigkeit, ist die Menge, ist die Ordnung, sind die Grade, ist die Abfolge, sind die Wechselfälle [... ]« (D. it, 571, 573). Nicht weniger relevant ist die Präsenz desselben Motivs in der Kabbala, worauf oben schon hingewiesen wurde: »Mir scheint, daß von dieser Meinung das prophetische Dogma nicht weit entfernt ist noch gar davon abweicht, welches sagt,
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daß sich alles in der Hand des universellen Werkmeisters befinde, wie ein und dieselbe Tonmasse in der Hand ein und desselben Töpfers, weswegen auf der Scheibe des Umlaufs der Gestirne gemäß dem Wechselspiel des Entstehens und Vergehens der Dinge, einmal ein würdiges Gefäß, einmal ein schmähliches aus demselben Klumpen gemacht und wieder zerstört wird« (45), schreibt Bruno in dem zweiten Dialog. Und kurz darauf, indem er das Thema in Hinsicht auf den »Zyklus« des Wissens wieder aufnimmt, bekräftigt er es folgendermaßen: »Es gäbe keine Ignoranten, wenn es keinen Glauben gäbe; und wenn es sie nicht gäbe, gäbe es auch nicht das Wechselspiel der Wissenschaften und Tugenden einerseits, der Tierhaftigkeit und Trägheit andererseits, sowie anderer entgegengesetzter Eindrücke, wie es der Tag und die Nacht, die Inbrunst des Sommers und die Strenge des Winters sind« (48). Wie man sieht, ist das Thema auch in den beiden moralischen Dialogen, die in London zwischen der zweiten Hälfte des Jahres 1584 und den ersten Monaten 1585 in der Druckerei von ]. Charleswood erschienen, anwesend, jedoch mit einem fundamentalen Unterschied betreffs eines theoretischen Punktes von größter Wichtigkeit, auf den die erste zitierte Stelle aus der Kabbala Licht wirft, mit einem Wort: die Auffassung der Wechselfälle in Hinsicht auf die menschlichen Akzidenzien. Im Spaccio - von hier muß man ausgehen - stellt Bruno eine organische Verbindung her zwischen »Naturen« und »Verhaltensweisen«, zwischen Lebensformen und körperlichen Ausmaßen; er führt also in den Zyklus der Wechselfälle ein ethisches Prinzip ein, dem ontologischen Konzept aus De La causa, principio et uno folgend. Das »spirituelle« Prinzip kann nicht von dem »materiellen« Prinzip »bestimmt und erzwungen« werden - schreibt er in der Epistola esplicatoria des Dialogs, und präzisiert derart seine Auffassung der Metempsychose: »so geschieht es durch die hohe Gerechtigkeit, die über allen Dingen thront, daß es aufgrund der ungezügelten Affekte in den gleichen oder einen anderen schmählichen und gequälten Körper kommt, und sich nicht die Herrschaft
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und die Leitung eines besseren Raums erwarten darf, wenn die Herrschaft über den anderen schlecht geführt wurde. Wenn man dort etwa das Leben eines Pferdes oder eines Schweins geführt hat, wird (wie viele größere Philosophen verstanden haben und ich meine, daß es sehr in Betracht zu ziehen ist, wenn nicht gar geglaubt werden kann) von der unumstößlichen Gerechtigkeit verfügt, daß ihm ein dem Verbrechen oder Delikt angemessener Kerker angelegt wird, sowie Organe und Instrumente, wie sie einem solchen Arbeiter oder Handwerker zukommen [„.]« (D. it, 558 f.). Ich halte mich nicht bei der Wortwahl auf, die auch sehr interessant ist (Raum, Kerker, Verbrechen, Delikt), um dagegen zu unterstreichen, was in theoretischer Hinsicht der wesentliche Punkt in diesem Auszug aus dem Spaccio ist: Indem er die Ontologie aus De La causa sprengt, die keine irgendwie gearteten ethischen Neigungen zuläßt, führt Bruno hier eine organische Beziehung in dem Zyklus der Wechselfälle zwischen individueller »Verantwortung« und köperlichem »Schicksal« ein, in anderen Worten, zwischen persönlichem »Verdienst« und universeller »Fortuna« (mit einer Neubewertung der Idee der Fortuna selbst). Dies ist eine wichtige Neuerung, in Übereinstimmung mit der stark antilutheranischen und generell antireformatorischen Ausrichtung des ersten moralischen Dialogs. Dieselben Seiten über Fortuna, von denen hier die Rede ist, fügen sich auch vollkommen in die scharfe antipuritanische Polemik gegen die Idee der Gnade einerseits, und andererseits und noch deutlicher die des justitia sola fide, das eigentliche »rote Tuch« des gesamten Spaccio. Es handelt sich um eine Sprengung der Ontologie von »Leben-unendliche Materie«, wie sie im zweiten italienischen Dialog so konsequent ausgearbeitet worden war: Dort läßt sich weder ein Primat des Menschen noch ein Herausragen der ethischen Dimension im Zyklus der Veränderungen feststellen. Genau an diesem Punkt bemerkt man in der Kabbala eine Veränderung des Tons, wie man gut an dem oben zitierten Text sieht, in dem gesagt wird, daß alles in der Hand des »uni-
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versellen Werkmeisters« liegt, in derselben Weise, »wie ein und dieselbe Tonmasse in der Hand ein und desselben Töpfers, weswegen [...] gemäß dem Wechselspiel des Entstehens und Vergehens der Dinge, einmal ein würdiges Gefäß, einmal ein schmähliches aus demselben Klumpen gemacht und wieder zerstört wird« (45) - ein ewiger Kreislauf von Veränderungen, außerhalb jedes ethischen Prinzips. Wenn Bruno in der Kabbala mit der Figur des sprechenden Esels etwas beweisen will, dann genau das Ende jeglichen anthropozentrischen Primats, unter Ausschluß jeglicher ethischer Konditionierung der universellen Wechselfälle, und zwar indem er in völliger Übereinstimmung mit De la causa auf die Homogeneität des »materiellen« Prinzips mit dem »spirituellen« Prinzip auf jeder Stufe der Realität abhebt. An einer berühmten Stelle führt er aus, »wie die Parze nicht nur in der Art der körperlichen Materie den Körper des Menschen von dem des Esels ununterschieden macht und den Körper der Tiere vom Körper der für seelenlos erachteten Dinge, sondern auch in der Art der geistigen Materie die Seele des Esels ununterschieden von der des Menschen sein läßt, ebenso wie die Seele, die die besagten Tiere bildet, von der, die sich in allen Dingen befindet« (39 f.). Auf dieselbe Weise, »wie alle Körpersäfte in der Substanz ein Körpersaft sind, alle Teile der Luft in der Substanz eine Luft sind, alle Geister aus dem Äther eines Geistes entspringen und zu diesem zurückkehren.« Daß es sich hier um eine bewußte Wahl handelt, die mit der Bekräftigung des Prinzips der universellen Wechselfälle in konsequent natürlichen Begriffen zusammenhängt, wird durch eine Textvariante im zweiten Teil der Kabbala bestätigt, die sich im Exemplar der British Library findet. An der Stelle, wo Onorio, der Esel, von seinen Metamorphosen erzählt, weist die Lesart eine Formulierung auf, die das Prinzip der universellen Wechselfälle gegenüber dem Verdienst des Esels stärkt. Giovanni Aquilecchia hat mit zwingender logisch-syntaktischer Beweisführung gezeigt, daß die definitive Lesart der Kabbala die von den anderen 10 erhaltenen Exemplaren ab-
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weichende der British Library ist, und er bemerkte, daß in der fraglichen Variante die göttliche Bestimmung gegenüber der menschlichen Entscheidungsgewalt hervorgehoben wird. 12 Es ist möglich, daß Bruno dort, wo er das Thema des »Schicksals« unterstreicht, auch den Text in rein philosophischer Hinsicht in Ordnung bringen wollte, vor allem im Hinblick auf die Konzeption des Zyklus der Wechselfälle. Das heißt nicht, daß die Kabbala in die »Unordnung« des Candelaio zurückfällt, in die konstitutive Asymmetrie von »Verdienst« und »Fortuna«, die die Komödie auszeichnet: Im Gegenteil, in den Wechselfällen ist eine ratio am Werk, die letztendlich mit der universellen Vorsehung übereinstimmt. Das, was sich ändert, ist der Blickwinkel, aus dem man die »Metamorphosen« des Körpers betrachtet, nachdem einmal die Homogeneität des »spirituellen« und des »materiellen« Prinzips postuliert ist. Mehr als auf die ethische Verantwortung, wird in der Kabbala auf die »göttliche Bestimmung« abgehoben, d. h. auf die »Vernünftigkeit« und »Universalität« des Zyklus der Wechselfälle, wovon auch die erwähnte Variante Zeugnis ablegt. Neben den logisch-syntaktischen Gründen gibt es demnach auch einen theoretischen Grund für die Annahme, daß das Exemplar aus der British Library die endgültige Lesart des Textes enthält. So paradox es erscheinen mag, in dieser starken Bewertung der Wechselfälle - woraus sich bedeutende theoretische Optionen ableiten - liegt eines der originellsten Elemente dieses außergewöhnlichen Textes. In der Kabbala wird das »Verdienst« möglich durch die Form des Körpers - im Fall des Menschen durch die Hand; es ist also eine »Konsequenz« und kein »Grund« der körperlichen »Veränderungen« im unendlichen Zyklus der »Schicksale«. Genau hierin liegt einer der theoretischen Kernpunkte von Brunos gesamten Denken in dem zweiten moralischen Dialog: in vollkommener Übereinstimmung mit der Ontologie von »LeVgl. Note philologique von G. Aquilccchia, in G. Bruno, Oeuvres completes, VI, Cabal de cheval pegaseen, Paris 1994, S. LXIIf. 12
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ben-unendliche Materie«, die er in De la Causa ausgearbeitet hatte. Ein weiteres Grundmotiv, das die beiden moralischen Dialoge unterscheidet, motivierte Bruno dazu, in diesen Seiten das »objektive«, »universelle« Element gegenüber dem »individuellen«, »moralischen« aufzuwerten. Während der Spaccio ein Buch de vera religione ist, in dem das Thema der natürlichen, zivilen und menschlichen Gerechtigkeit hervorsticht, ist die Kabbala ein Text über die »Dekadenz« jeglicher »Ordnung« in der Welt. Von daher ist der Dialog trotz seines komischen und satirischen Tones ein wesentlich schärferer Text als der Spaccio und in einigen Aspekten dem Candelaio ähnlicher. Trotz der harschen Kritik an den reformatorischen Pedanten, die Europa verwüsten, herrscht im Spaccio ein offener, hoffnungsvoller Ton vor, der in der »zivilen« und »natürlichen« Religion den Hebel zu einer renovatio der Menschheit nach einer Epoche der Dunkelheit und Unwissenheit sieht. Trotz des Bewußtseins des Ausmaßes der Krise stehen im Spaccio die Figur des Hermes einerseits und die der antiken Römer andererseits für die Möglichkeit einer radikalen Erneuerung der Zivilisation. Nicht so in der Kabbala. Hier herrscht als Grundmotiv das kritisch-destruktive Moment vor, und zwar sowohl auf religiöser wie auch auf rein philosophischer Ebene. Während im ersten moralischen Dialog die Kritik vor allem gegen Luther und seine Anhänger gerichtet ist, wird in der Kabbala das gesamte Christentum in Frage gestellt, insgesamt identifiziert und verworfen in der Kategorie des Eseltums (was übrigens auch schon in früheren Werken Brunos gegen das Christentum angeführt wurde, jedoch nie in dieser Radikalität). Sogar Erasmus bekommt in diesem Text seinen Teil ab: jener Erasmus, den Bruno generell als seinen wahren Lehrer präsentiert. In der Kabbala wird Brunos Urteil über die griechische Philosophie, die sich hier in ihrem Grundmotiv offenbart, klarer und drastischer. Kehren wir zu dem Ausgangspunkt zurück, zu dem Motiv der Dekadenz. Fasziniert von Brunos Begeisterung für »neue
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Himmel« und »neue Welten« - oder für die hermetische »Reformation« der menschlichen Persönlichkeit 13 - hat man die Aufmerksamkeit übersehen, die er dem Thema des Niedergangs, der universellen Dekadenz widmet. Verknüpft mit dem der renovatio, bestimmt das Motiv der universellen Dekadenz sein Schreiben, wobei der Ton die berühmten Verse von Lukrez ins Gedächtnis ruft: »lamque adei fracta est aetas [...]! omnia paulatim tabescere et ire / ad capulum spatio aetatis defessa vetusto«. 14 Besonders die eigene Zeit ist es, die Bruno als Epoche höchster Dekadenz empfindet und verkündet. Im Aschermittwochsmahl zum Beispiel stellt er die »Alten« und die »Modemen« einander gegenüber, wobei er keinen Zweifel daran läßt, wem seine Sympathie gilt; in De la Causa vergleicht er das neue mit dem alten Oxford, wobei er den Wert des er• steren und das Elend des letzteren unterstreicht; Ähnliches findet sich in De immenso. In Bruno sind, wie angesichts seiner Auffassung des Zyklus der Wechselfälle leicht zu verstehen ist, Dunkelheit und Licht, Unwissenheit und Weisheit, Dekadenz und renovatio, Alter und Jugend der Welt zwei Aspekte desselben Prozesses, auf allen Ebenen der Realität. Sie müssen von daher zueinander in Beziehung gesetzt werden, um vollständig verstanden zu werden. Daran besteht kein Zweifel, wie auch kein Zweifel daran besteht, daß er ein Thema in den verschiedenen Werken und verschiedenen Momenten mehr betont als das andere, ohne allerdings jemals ihre wesentliche Verknüpfung zu vergessen. In der Kabbala ist es das Thema der Dekadenz, das auf religiösem wie philosophischem und wissenschaftlichem Gebiet vorherrscht, zusammen mit einem Bestehen auf der vollstän-
Vgl. F. A. Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, London 1964. 14 Lukrez, De rerum natura, II, V. 1150ff.: »So sehr ist unsere Zeit schon gebrochen 1... J, daß alles allmählich vergeht und dem Grabe zueilt, erschöpft durch die lange Dauer der Zeit.« Zitiert nach Bd. 32 der Reihe Schriften und Quellen der Alten Welt, Berlin 1972. 13
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digen Einheit und Homogeneität der Realität, welche konsequenterweise jegliches traditionelle »Primat« des Menschen einschränkt (mit der Folge der Aufwertung des Themas der Wechselfälle gegenüber dem des individuellen Verdienstes, neben dem des Primates der Hand im Zivilisationsprozess). Alles andere als das Entwickeln eines einzigen Themas, stellen der Spaccio und die Kabbala zwei grundsätzliche Aspekte von Brunos Nachdenken dar, die organisch miteinander verbunden, dabei jedoch unterschiedlich und unverwechselbar sind. Was jedenfalls verstanden werden muß, ist die Frage, warum Bruno es im Abstand von so wenig Zeit für richtig hielt, einen so »kritischen« Ton in der Kabbala anzuschlagen, bis zu dem Punkt, daß er die Beziehung der beiden moralischen Dialoge zueinander neu bestimmen mußte. Eines steht jedoch fest: in der »geschichtlichen« Welt eher als in der der »Geschichtsschreibung« liegt die Erklärung hierfür. Mehr werden wir erst verstehen, wenn wir uns dazu entschließen, Brunos Aufenthalt in England in jeder Hinsicht zu untersuchen. (Übersetzung von Kai Neubauer)
CABALA
DEL CAVALLO PEqASEO. Con 1, aggiunta dell' A~ fino CiOenico. Dcfcricta dal Nolano : dcdicata al Vefcouo di Cafamarcuno.
PARIGT1
Appreffo Antonio Baio, Jlnno 15 85.
Die Kabbala des Pegasus mit der Zugabe des Kyllenischen Esels beschrieben vom Nolaner gewidmet dem Bischof von Casamarciano
Paris Antonio Baio Anno 1585
WrDMUNGSSCHREIBEN
zur folgenden Kabbala. An den hochwürdigen Herrn Don Sapatino, Abt zur Nachfolge von San Quintino, Bischof von Casamarciano
*
Wie es einem Töpfer zu geschehen pflegt, der ans Ende seiner Arbeit gelangt (und zwar nicht so sehr aus Mangel an Licht als aus Mangel an Material ans Ende gelangt) und der in seiner Hand etwas Glas, Holz, Wachs oder anderes hält, was nicht ausreicht, um daraus ein Gefäß herzustellen, also ein Stück übrigbleibt, mit dem er nichts anzufangen weiß und überlegt, was er damit tun soll, da er es nicht unnütz wegwerfen möchte, sondern vielmehr der Welt zum Trotz wünscht, daß es zu etwas gut sei, und siehe da! es sich als vorbestimmt erweist, einen dritten Henkel, einen Rand, einen Flaschendeckel, eine Einlage, ein Pflaster, einen Flicken abzugeben, um irgendeinen Riß zu schließen, ein Loch zu füllen oder eine Delle zu glätten, ebenso ist es mir ergangen, nachdem ich nicht all meine Gedanken, sondern nur ein bestimmtes Bündel von Schriften an die Öffentlichkeit gebracht hatte, so daß ich schließlich da ich nichts anderes abzuschicken hatte - mehr aus Zufall denn aus Überlegung die Augen auf einen Blätterhaufen richtete, den ich andere Male als Umschlag für diese Schriften mißbraucht hatte, und es stellte sich heraus, daß er zum Teil dasjenige enthielt, was Ihr hier vorfindet. Zuerst dachte ich daran, es einem Edelmann zu schenken, der aber, nachdem er die Augen darauf gerichtet hatte, sagte, daß er nicht genügend studiert habe, um diese Mysterien verstehen zu können und es ihm aus diesem Grunde nicht gefallen könne. Darauf bot ich es einem der ministri verbi Dei an, und er sagte, daß er ein Freund des Buchstabens sei und so!- * ehe Ausführungen im Geiste eines Origenes, wie sie von Scholastikern und anderen Feinden seines Berufes gut gehei-
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Die Kabbala des Pegasus
* ßen würden, nicht schätze. Ich legte es einer Dame vor und sie sagte, daß es ihr nicht zusage, da es nicht so dick sei, wie es dem Gegenstand eines Pferdes und eines Esels angemessen sei. Ich legte es einer anderen vor, welche, obwohl es ihr bei seinem Genusse gefiel, nachdem sie genosssen hatte, sagte, daß sie darüber einige Tage nachdenken wolle. Ich sah, ob ich eine Nonne dazu ermutigen konnte; und die sagte mir: ich akzeptiere es nicht, wenn es von anderem spricht als vom Rosenkranz, von der Tugend der gebenedeiten Perlen und vom Agnus dei. * Ich hielt es einem Pedanten unter die Nase, welcher das Gesicht verzog und mir sagte, daß er alle Studien und Themen aufgegeben habe, außer einigen Anmerkungen, Scholien und * Interpretationen zu Vergil, Terenz und Marcus Tullius. Ich bekam von einem Versemacher zu hören, daß er es nicht wolle, wenn es nicht ein Band mit Oktaven oder Sonetten sei. Andere sagten, daß ich die besten Traktate Personen gewidmet hätte, welche sicher nicht besser als sie selbst seien. Wieder andere schienen aus anderen Gründen geneigt, mir wenig bis gar keinen Dank zu zollen, wenn ich es ihnen gewidmet hätte; und dies nicht von ungefähr, ist es - um die Wahrheit zu sagen - doch so, daß jede Abhandlung und jede Betrachtung jenem vorgelegt und unterbreitet und überbracht werden muß, der dem betreffenden Beruf oder Stand angehört. Da ich aber das Prinzip der enzyklopädischen Materie im Blick hatte, habe ich mich Eures enzyklopädischen Geistes erinnert, der nicht so sehr aus Fruchtbarkeit und Reichtum alles zu umfassen scheint, sondern aufgrund einer gewissen unklaren Vortrefflichkeit alles und mehr als alles zu besitzen scheint. Sicher wird niemand besser als Ihr alles verstehen, denn Ihr steht außerhalb von allem, könnt überall eintreten, da es nichts gibt, was Euch eingeschlossen hält, Ihr könnt alles haben, weil Ihr nichts habt. (Ich weiß nicht, wie ich Euren unfaßbaren Geist besser ausdrücken könnte). Ich weiß nicht, ob Ihr Theologe oder Philosoph oder Kabbalist seid; ich weiß aber sehr wohl, daß Ihr all dies seid, wenn nicht essentiell, so
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doch durch Teilhabe; wenn nicht in Wirklichkeit, so doch potentiell; wenn nicht von nahem, so doch von weitem. Jedenfalls glaube ich, daß Ihr so ausreichend in dem einen wie in dem anderen seid, und deshalb findet Ihr hier also Kabbala, Theologie und Philosophie, ich sage vielmehr: eine Kabbala philosophischer Theologie, eine Philosophie kabbalistischer Theologie, eine Theologie philosophischer Kabbala, so daß ich immer noch nicht weiß, ob Ihr diese Dinge vollkommen, teilweise oder überhaupt nicht besitzt, aber dies weiß ich sicher: daß Ihr alles von nichts teilweise, einen Teil von allem im Nichts, nichts von einem Teil in allem besitzt. Um nun aber auf uns zu kommen, werdet Ihr mich fragen: was ist das, was Ihr mir schickt? Was ist der Gegenstand dieses Buches? Welchen Geschenkes habt Ihr mich für würdig befunden? Und ich antworte, daß ich Euch einen Esel schenke, einen Esel überreiche ich Euch, der Euch zur Ehre gereichen wird, Eure Würde vergrößern wird, Euch ins Buch der Ewigkeit bringen wird; es kostet Euch nichts, ihn von mir zu bekommen und ihn als Euren zu behalten; es wird Euch nichts weiter kosten, ihn zu unterhalten, weil er nichts ißt, nichts trinkt, das Haus nicht beschmutzt und er wird ewig Euer sein und wird Euch länger halten als Eure Mitra, Euer Chorhemd, Eure Albe, Euer Maultier oder Euer Leben, wie Ihr selbst und andere ohne großes Nachdenken erkennen könnt. Dabei zweifle ich nicht (mein Hochwürdiger Monsignore), daß das Geschenk des Esels Eurer Klugheit und Frömmigkeit nicht unwillkommen ist, und dieses sage ich nicht aus dem Grund, der aus der Gewohnheit herrührt, großen Herren nicht nur eine Gemme, einen Diamanten, einen Rubin, eine Perle, ein edles Pferd, eine schöne Vase zu schenken, sondern auch einmal einen Affen, einen Papagei, eine Meerkatze, einen Esel und obwohl dies angeraten ist, ist es selten, lehrreich und keinesfalls gewöhnlich. Der indische Esel ist kostbar und ein päpstliches Geschenk in Rom, der Esel von Tarent ist kaiserliches Geschenk in Konstantinopel, der Esel von Sardinien ist ein königliches Geschenk in Neapel; soll da der kabbalistische Esel,
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der rein ideal und folglich ein himmlisches Tier ist, weniger wert sein für irgendeine hochstehende Persönlichkeit in irgendeinem Teil der Erde, wo doch, wie wir aufgrund gütiger und hoher Verkündigung wissen, im Himmel ist, was auch auf Erden ist? Ich bin daher sicher, daß er von Euch im gleichen Geist angenommen wird, in dem er Euch von mir geschenkt wird. Nehmt ihn, o Vater, wenn Ihr wollt für einen Vogel, denn er ist geflügelt und der anmutigste und fröhlichste, den man im Käfig haben kann. Nehmt ihn, wenn Ihr wollt, für ein wildes Tier, denn er ist einzigartig, selten und fremdartig, und es gibt kein mutigeres Ding, das Ihr in einem Graben oder einer Höhle gefangen halten könntet. Behandelt ihn, wenn es Euch gefällt, wie ein Haustier, denn er ist zahm, gutmütig und dienstwillig und der beste Gefährte, den Ihr im Haus haben könnt. Seht zu, daß er Euch nicht entläuft, denn er ist das beste Streitroß, das Ihr im Stall oder auf der Weide haben könnt, der beste Angehörige, der mit Euch das Heim teilen und Euch unterhalten kann. Handhabt ihn wie ein Kleinod und wie eine Kostbarkeit, denn Ihr könnt keinen kostbareren Schatz in Eurem Schrein verwahren. Berührt ihn wie einen heiligen und betrachtet ihn wie einen verehrungswürdigen Gegenstand, denn Ihr könnt kein besseres Buch, kein besseres Bild und keinen besseren Spiegel in Eurem Gemach haben. Tandem [schließlich], wenn er trotz all dieser Gründe für Euren Magen nicht geeignet ist, dann könnt Ihr ihn immer noch einem anderen schenken, der Euch dafür nicht undankbar sein darf. Wenn Ihr ihn für ein Spielzeug haltet, schenkt ihn einem Edelmann, damit der ihn seinen Pagen gebe, um ihn unter den Affen und Meerkatzen zu halten. Wenn Ihr ihn als ein Herdentier seht, schenkt ihn einem Bauern, damit er ihn unter seine Pferde und Ochsen einreihe. Wenn Ihr ihn für wild hal* tet, überlaßt ihn irgendeinem Aktaion, damit er ihn mit dem anderen Wild umherziehen lasse. Wenn es Euch scheint, daß er etwas Anmutiges habe, dann gebt ihn einer Dame zur Seite statt eines Hündchens oder eines Marders. Wenn es Euch
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schließlich scheint, daß er etwas von einem Mathematiker habe, macht einem Kosmographen eine Freude mit ihm, damit dieser ihn zwischen Nord- und Südpol einer der Himmelssphären umherstreichen und seine Sprünge vollführen lasse, wodurch er ihnen nicht weniger bequem zu ihrer ständigen Bewegung verhelfen könnte als es Archimedes durch Einflößen des Quecksilbers gelang, um so noch ausdrücklicher Sinnbild des Megakosmos zu werden, in dem von der inneren Seele die Übereinstimmung und Harmonie der geraden und kreisförmigen Bewegung abhängt. Aber wenn Ihr, wie ich * Euch einschätze, weise seid und es mit höherem Verstand betrachtet, dann behaltet Ihr ihn für Euch. Und denkt nicht, daß ich Euch eine unwürdigere Sache überreicht habe als etwa dem Papst Pius V., dem ich die Arche Noah gewidmet habe, dem König Heinrich III. von Frankreich, den ich unsterblich machte mit dem Schatten der Ideen, seinem Legaten in England, dem ich 30 Siegel überlassen habe, dem Edelmann Sidney, dem ich die triumphierende Bestie gewidmet habe, denn * hier habt Ihr nicht nur die triumphierende Bestie lebendig, sondern auch die 30 Siegel geöffnet, die Seligkeit vollendet, die Schatten erhellt und die Arche gesteuert, da der Esel (der dem Leben des Rades der Zeit, der Weite des Universums, der Glückseligkeit der Intelligenzen, dem Licht der Sonne, dem Baldachin Jupiters nichts neidet) Vermittler, Erklärer, Tröster, Eröffner und Vorsitzender ist. Er ist nicht ... , er ist weder ein Stallesel noch ein Lastesel, vielmehr einer derjenigen, die als alles erscheinen können, überall eintreten können, sich überall setzen können, alles mitteilen, verstehen, beraten, erklären und machen können. Angenommen ich sähe ihn pflügen, gießen und jäten, warum sollte ich ihn nicht Gärtner nennen? Wenn er Furchen zieht, pflanzt und sät, warum soll er kein Ackermann sein? Aus welchem Grund soll er nicht Schmied sein, wenn er Handwerker, Meister und Architekt ist? Wer verwehrt mir, ihn einen Künstler zu nennen, wenn er so erfindungsreich, aktiv und handwerklich begabt ist? Wenn er so ausgezeichnet im Argumentieren, Ausführen und Verteidigen
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ist, warum soll es Euch nicht gefallen, daß ich ihn Scholastiker nenne? Wo er solch ein hervorragender Erfinder von Bräuchen, Einrichter von Doktrinen und Reformator von Religionen ist, wer wird Skrupel haben, ihn einen Akademiker zu * nennen und als Archimandrit irgendeiner Archididaskalie zu schätzen? Warum soll er nicht klösterlich sein, wo doch feststeht, daß er choral, kapitulär und dormitorial ist? Wenn er bekanntermaßen arm, keusch und gehorsam ist, werdet Ihr mich tadeln, wenn ich ihn konventual nenne? Werdet Ihr mir verbieten, daß ich ihn konklavistisch nenne, wo doch feststeht, daß er aufgrund aktiver und passiver Stimme zum Prälaten * gewählt werden kann? Wenn er ein subtiler, unwiderlegbarer * und erleuchteter Doktor ist, warum sollte Euer Gewissen mir dann verbieten, ihn für einen würdigen Berater zu halten und ihn als solchen zu schätzen? Werdet Ihr mir die Zunge festhalten, damit ich ihn nicht zum Domestikus ausrufe, wo in diesem Kopf doch alle Moralität, Politik und Ökonomie eingepflanzt ist? Werdet Ihr die Macht der kanonischen Autorität anrufen, damit ich ihn nicht für einen Pfeiler der Kirche halte, obwohl er sich mir in solcher Weise fromm, devot und enthaltsam darstellt? Wenn ich ihn so hoch, selig und triumphierend sehe, werden sich Himmel und Erde in Bewegung setzen, daß ich ihn nicht göttlich, olympisch und himmlisch nenne? Schließlich - um mir und Euch nicht weiter den Kopf zu zerbrechen - scheint er mir die Seele der Welt selbst zu sein, alles in allem und in jedwedem Teil. Jetzt sollt Ihr aber sehen, welches und wie groß die Bedeutung dieses Gegenstandes ist, über den wir die vorliegenden Dialoge führen, in denen Ihr möglicherweise einen großen Kopf ohne Rumpf oder mit kleinem Schwanz erblicken werdet, doch erschreckt nicht, denn in der Natur finden sich viele Tierarten, die nur Kopf und keine Glieder besitzen oder allein aus dem Kopf zu bestehen scheinen, weil dieser so groß ist und die anderen Teile kaum wahrnehmbar sind, und trotzdem ändert dies nichts an der Tatsache, daß sie in ihrer Art vollendet sind. Und wenn diese Erklärung Euch nicht zufriedenstellt, zieht in Betracht,
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daß dieses Büchlein eine Beschreibung enthält, ein Bild, und daß es bei Portraits normalerweise genügt, den Kopf alleine ohne den Rest dargestellt zu haben. Ich lasse beiseite, daß man bisweilen ausgezeichnete Kunstfertigkeit beweist in der Ausführung nur einer Hand, eines Beines, eines Auges, eines flüchtigen Ohres, eines halben Gesichtes, das hinter einem Baum oder aus einer Fensterecke hervorlugt oder gar auf den Bauch einer Tasse gemeißelt ist, die als Basis den Fuß einer Ente, eines Adlers oder sonst eines Tieres hat, ohne daß man das Ding deswegen für gering achtet oder gar verurteilt, nein, es vielmehr dafür schätzt und annimmt. So rede ich mir ein, bin vielmehr sicher, daß Ihr dieses Geschenk als etwas ebenso Reines annehmen werdet, wie es die Absicht ist, die es Euch anbietet. Vale !
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Sonett zum Lob des Esels
0 heil'ges Eseltum, o heil'ge Unwissenheit, Heilige Einfalt und fromme Devotion, Die Du allein vermagst die Seelen so gut zu machen, Wie kein menschlich Geist und Streben sie voranbringt; Nicht gelangen mühevolle Achtsamkeit Irgendwelcher Kunst oder Erfindung, Noch der Weisen Kontemplation, Zum Himmel, wo Du Dir Deinen Raum errichtest. Was nützt Euch, Neugierigen, das Studieren, Wissen zu wollen, was die Natur macht, Ob auch die Sterne Erde, Feuer und Meer sind? Heiliges Eseltum sich nicht drum kümmert; Mit gefalteten Händen wollen sie knien, Auf die Ankunft Gottes wartend. Nichts dauert, Außer der Frucht der ewigen Ruhe, Die Gott schenkt nach der Bestattung.
DEKLAMATION
an den gelehrigen, gläubigen und frommen Leser Ach, mein Zuhörer, daß mein Geist nicht ohne glühende Seufzer, feuchtes Weinen und tragische Klagen mit Herz, Augen und Verstand die Gründe zu fassen und mit lauter Stimme darzulegen vermag, wie falsch der Sinn, trübe das Denken und ungeschickt die Urteilskraft ist, die in ihrer boshaften, unangemessenen und schädlichen Meinung, die reine Güte, die königliche Ehrlichkeit und erhabene Majestät der heiligen Unwissenheit, des gelehrten Schaftums und des göttlichen Eseltums nicht sehen, nicht in Betracht ziehen und nicht in jener der Natur, der Wahrheit des Verstandes und dem Recht der Gerechtigkeit entsprechenden Weise bestimmen. Ach, welch großem Unrecht seitens einiger lebender Menschen ist diese himmlische Exzellenz so schutzlos ausgeliefert, indem die einen sie mit geweiteten Nasenlöchern beschnüffeln, andere sie mit ihren Hauern bedrängen und wieder andere sich mit Hohngelächter über sie lustig machen, während überall, wo etwas geringgeschätzt, ausgelacht oder verachtet wird, man nichts anderes hört, als: Der ist ein Esel, diese Handlung ist eselig, jenes ist eine Eselei, obwohl es doch so ist, daß man dies dort sagen sollte, wo man reifere Reden, festere Vorsätze und wohlüberlegtere Urteile antrifft. Ach, mit schwerem Herzen, traurigem Geist und bedrückter Seele habe ich diese ruchlose, einfältige und profane Menge vor Augen, die so falsch denkt, so bissig spricht und so übereilt schreibt, um diese ruchlosen Reden über große Dinge zu gebären, die in die Druckereien, die Buchhandlungen und überallhin gelangen, wie außer in den erwähnten Verächtlichmachungen, Spottund Sehimpfreden, im Goldenen Esel, Dem Lob des Esels, dem Encomium asini, wo an nichts anderes gedacht wird, als sich mit ironischen Aussprüchen über das glorreiche Eseltum lustig, spöttisch und höhnisch zu machen. Wer wird da die Welt * überzeugen können, daß ich nicht dassselbe tue? Wer wird
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den Zungen Einhalt gebieten können, die mich unter diejenigen einreihen möchten, die in die Fußstapfen derer treten, die * über diesen Gegenstand demokritisieren? Wer wird sie davon abhalten können, zu glauben, zu behaupten und zu bestätigen, daß ich nicht wirklich den Esel und das Eseltum loben möchte, sondern vielmehr Öl in dies Feuer gießen möchte, das von den anderen entfacht wurde? Aber, meine hochmütigen und vorschnellen Richter, meine schlampigen und schurkischen Verleumder, meine finsteren und leidenschaftlichen Verschwörer, haltet ein, wendet die Augen um, nehmt Ziel, seht, geht in Euch und überlegt, ob die einfachen Begriffe, die simple Darlegung und die syllogistischen Reden, die ich für dies heilige * Tier, an dem nichts Verwerfliches ist und das keine Fehler hat, vorbringe, rein, wahr und schlüssig oder falsch, unmöglich und bloßer Schein sind. Wenn Ihr sie dann auf festen Fundamenten gegründet findet, wenn sie schön sind, wenn sie gut sind, so mißachtet sie nicht, lauft nicht vor ihnen fort, weist sie nicht zurück, sondern akzeptiert sie, folgt ihnen, umarmt sie und bleibt nicht von der Gewohnheit des Glaubens gefesselt, von der Selbstgefälligkeit des Denkens besiegt und von der Eitelkeit des Redens geleitet, wenn anderes Euch das Licht des Intellekts zeigt, anderes die Stimme der Lehre singt und * anderes die tätige Erfahrung bestätigt. Der ideale und kabbalistische Esel, der in den heiligen Buchstaben erwähnt wird, was glaubt Ihr, was er sei? Wofür haltet Ihr den Pegasus, der von den Poeten bildlich dargestellt wird? Was stellt Ihr Euch unter dem kyllenischen Esel vor, der wür* dig genug ist, in den ehrwürdigsten Akademien in croceis gekleidet zu werden? Lassen wir nun den Gedanken an den zweiten und den dritten beiseite und richten wir ihn auf den ersten - platonischen ebenso wie theologalen - so möchte ich, daß Ihr erfahrt, daß für ihn kein Zeugnis himmlischer und menschlicher Buchstaben fehlt, die von heiligen und profanen Doktoren diktiert wurden, welche mit dem Schatten der Wissenschaft und dem Licht des Glaubens sprechen. Jener, der noch mittelmäßig in jenen Lehren befangen ist, wird erfahren
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(sage ich), daß ich nicht lüge, wenn ich sage, daß der ideale Esel ein übernatürlich produktives, formatives und perfektives Prinzip der Spezies Esel ist, die, auch wenn man sie im überreichen Busen der Natur sieht und sie von den anderen Arten verschieden ist und, in den Gehirnen zweiter Ordnung, in Zahl und Begriff verschieden und nicht gleich wie die anderen Formen aufgefaßt wird, sie jedoch (was alles bedeutet) in den Geistern erster Art gleich der Idee der menschlichen Spezies ist, gleich der Spezies der Erde, des Mondes, der Sonne, gleich der Spezies der Intelligenzen, der Dämonen, der Götter, der Welten, des Universums ist, vielmehr diese Spezies selbst ist, von der nicht nur die Esel, sondern sowohl die Menschen wie auch die Sterne, Welten und weltlichen Tiere herkommen, diese, sage ich, in der es keinen Unterschied der Form und des Gegenstandes gibt, der Sache und der Sache, sondern die einfachst und eine ist. Seht, seht nun also, aus welchem Grund der Heiligste der Heiligen, ohne jeglichen Tadel, einmal nicht nur Löwe, Einhorn, Rhinozeros, Wind, Sturm, Adler, Pelikan genannt wird, sondern auch Nicht-Mensch, Schandfleck der Menschen, Verworfenheit des Volkes, Schaf, Lamm, Wurm, Abbild der Schuld, ja sogar Sünde und Schlimmeres. Bedenkt den Grund, aus dem Christen und Juden sich nicht erbosen, sich vielmehr untereinander mit glorreichem Triumph gratulieren, wenn sie in den metaphorischen Anspielungen der Heiligen Schrift mit dem Titel und der Bezeichnung eines Esels belegt werden, derart daß, wo immer man von diesem gebenedeiten Tier spricht, in moralischem, allegorischem und anagogischem Schriftsinn der gerechte Mensch, der heilige Mensch, der Mensch Gottes gemeint ist. Deshalb wird im Exodus dort, wo von der Erlösung und Veränderung des Menschen die Rede ist, an seiner Seite der Esel erwähnt. »Bei Eseln«, heißt es dort, »sollt ihr als Ersatz ein Schaf bringen und auch für den Erstgeborenen des Menschen sollt Ihr dem Herrn einen Ersatz geben,« Wenn in dem gleichen Buch dem Begehren des Mannes das Gesetz geschenkt wird, sich nicht auf Frau oder Magd auszustrecken,
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findest du unter der gleichen Nummer den Ochs und den Esel, als mache es nichts aus, ob man sich als Sündenmaterial das eine oder das andere Begehrenswerte vornehme. Als aber im Buch von den Richtern Debora zusammen mit Barak, dem Sohn Abinoams, sang: »Ihr Könige und Fürsten, hört mir zu! Geht in euch, die ihr auf weißen Eseln reitet,« da interpretieren die heiligen Rabbiner: Oh Herrscher der Erde, die ihr den edlen Völkern vorsteht, und mit der heiligen Peitsche über sie herrscht, indem ihr die Könige straft, die Guten belohnt und die Dinge gerecht verteilt. Wenn der Pentateuch befiehlt, daß du den irrgehenden Ochs und Esel deines Nächsten auf den rechten Weg bringen sollst, dann meinen die Doktoren moralisch, daß der uns in Gott verwandte Mensch, der in uns selbst ist, von uns darauf aufmerksam gemacht und zurechtgewiesen werden soll, wenn er vom rechten Weg abweicht. Als der Synagogenvorsteher den Herrn beiseite nahm, weil dieser am Sabbath heilte, und dieser antwortete, daß kein guter Mensch sei, wer nicht an jeglichem Tage hinzueile, um den Ochs und den Esel aus dem Brunnen zu ziehen, worein er gefallen, dann meinen die heiligen Autoren, daß der Esel der einfache Mann sei, der Ochs der natürliche, der Brunnen sei die Todsünde, das, was den Esel aus dem Brunnen ziehe, Werk der himmlischen Gnade, die ihre Erwählten aus jenem Abgrund erlöse. Deshalb nimmt also das erlöste, gelobte, begehrte, beherrschte, auf den rechten Weg gebrachte, zurechtgewiesene, befreite und schließlich vorbestimmte Volk vom Esel seinen Namen, wird Esel genannt. Und daß es die Esel sind, deretwegen die himmlische Gnade und ihr Segen auf den Menschen herabregnen, so daß denen Übles blüht, denen ihr Esel abhanden kommt, kann man sehr gut an der Wichtigkeit jener Verwünschung erkennen, die im Deuteronomium herabdonnert, als Gott droht: »Dein Esel wird vor deinen Augen weggeführt und du siehst ihn nie wieder.« Verdammt sei das Reich, unglücklich sei die Republik, wüst die Stadt, wüst das Haus, wo der Esel verbannt, entfernt und verjagt ist. Wehe dem Sinn, dem Bewußtsein und der Seele,
Deklamation an den Leser
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die nicht am Eseltum teilhat. Dabei ist es doch ein abgedroschenes Sprichwort, zu sagen Ab asino excidere [vom Esel fallen], um das Zerstört-, Zugrundegerichtet- und Vernichtetsein zu bezeichnen. Origenes Adamantius, der unter die orthodoxen und heiligen Doktoren aufgenommen ist, will, daß die Frucht der Predigt seiner 72 Schüler durch die 72.000 Esel bezeichnet wird, die das israelitische Volk gegen die Moabiter eroberte, da doch von den 72 jeder tausend eroberte, also eine perfekte Anzahl vorbestimmter Seelen, indem sie diese aus den Händen Moabs und somit aus der Tyrannei Sathans befreiten. Man füge hinzu, daß die frommsten und heiligsten Männer, Hüter und Ausführer der alten und neuen Gesetze, im allgemeinen und zur besonderen Auszeichnung Esel genannnt wurden. Und wenn Ihr es mir nicht glaubt, schaut selbst nach, was in jenem Evangelium geschrieben steht: »Bindet die Eselin und ihr Junges los und führt sie zu mir.« Denkt nach über die Reden, die die hebräischen, griechischen und lateinischen Theologen über folgenden Passus des Buches Numeri halten: Aperuit Dominus os asinae et locuta est und seht, wie viele andere Stellen der geheiligten Buchstaben übereinstimmend davon erzählen, wie der vorsehende Gott verschiedenen göttlichen und prophetischen Subjekten den Mund öffnet, wie jenem , der sagt: »Oh Oh Oh Herr, ich kann doch nicht reden« Und wo er sagt: »Es öffnete der Herr seinen Mund« Neben den vielen Malen, wo gesagt wird: Ego ero in ore tuo wird er viele Male angerufen: »Herr, öffne meine Lippen und mein Mund wird dich loben.« Daneben im neuen Testament: »Die Stummen sprechen, die Armen evangelisieren.« Alles ist dadurch versinnbildlicht, daß der Herr der Eselin den Mund öffnete und sie zu sprechen begann. Durch ihre Autorität, durch ihren Mund und ihre Stimme ist die aufgeblähte, hochmütige und voreilige säkulare Wissenschaft be-
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herrscht, besiegt zertreten und alles Hohe, was sein Haupt dem Himmel zuwandte, niedergeworfen worden, weil Gott die niederen Dinge erwählt hat und die einfältigen Dinge zu Ehren kommen ließ, um die Mächte der Welt zu verwirren, da das, was durch die Weisheit nicht mehr wiederherzustellen war, durch die heilige Einfalt und Unwissenheit wiederhergestellt wurde; die Weisheit der Weisen aber wird zurückgewiesen und die Klugheit der Klugen verworfen. Die Einfältigen der Welt sind es gewesen, die die Religionen, die Zeremonien, das Gesetz, den Glauben, die Lebensregeln gemacht haben; die höchsten Esel der Welt (welche diejenigen sind, die mangels jeder anderen Art von Sinn und Lehre, und leer von jeglicher Form des Lebens und Bürgerbrauchs, verfault sind in ihrer ewigen Pedanterie) sind jene, die mit dem Segen des Himmels den ängstlichen und verderbten Glauben reformieren, die Wunden der verletzten Religion verarzten und, indem sie den Mißbrauch des Aberglaubens beseitigen, die Risse in ihrem Kleid schließen; es sind nicht jene, die mit gottloser Neugier die Geheimnisse der Natur ergründen oder doch ergründeten und die Bahnen der Sterne berechneten. Seht, ob sie jemals von den geheimen Ursachen der Dinge angezogen waren oder sind, ob sie irgendeinem Verfall der Reiche, dem Sich-Zerstreuen der Völker, Bränden, Blutbädern, Zerstörungen, Gemetzeln ein Ende setzen, ob sie sich darum kümmern, daß die Welt an ihnen leidet, wenn nur die arme Seele sich rettet, wenn nur das Himmelsgebäude errichtet wird, wenn nur der Schatz in jene glückselige Heimat geschafft wird, ohne sich um den Ruf und die Bequemlichkeit und den Ruhm dieses unsicheren und schwachen Lebens zu kümmern wegen je* nes anderen sicheren und ewigen. Diese sind von den alten Weisen (denen der göttliche Geist zumindest soviel offenbaren wollte, daß sie nicht entschuldbar wären) allegorisch in jenem * sinnreichen Apolog der Götter bezeichnet worden, die gegen die aufrührerischen Giganten, Söhne der Erde und feurigen Himmelsstürmer kämpften und sie mit Eselsstimmen verwirrten, erschreckten, verblüfften, besiegten und beherrschten. Sel-
Deklamation an den Leser
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biges ist genügend zum Ausdruck gebracht, wo die Augen, den Schleier der heiligen Figur einmal gelüftet, sich auf den anagogischen Sinn jenes göttlichen Samson richten, der mit einem Eselskiefer tausend Philistern das Leben nahm; sagen doch die heiligen Interpreten, daß er in den Kiefer des Esels, also der Prediger des Gesetzes und Ministranten der Synagoge, sowie in den Kiefer des Eselfüllens, also der Prediger des Neuen Gesetzes und der Ministranten der streitenden Kirche, delevit eos, also jene tausend, diese vollendete Zahl dort hineintrieb und auslöschte, jene alle, von denen geschrieben steht: Es fielen auf deiner Seite tausend, und zu deiner Rechten zehntausend. Und der Ort wird Ramath-lechi genannt, das heißt Erhebung des Kiefers, aus dem nicht nur der Untergang der Feinde und verhaßten Machthaber hervorging, sondern auch das Wohlergehen der Wiedererstarkten, denn aus demselben Kiefer, also dank selbiger Predigt, sind jene Wasser hervorgeschossen, die durch Verströmen der göttlichen Weisheit die himmlische Gnade verbreiten und die aus ihnen Trinkenden zum ewigen Leben befähigen. Oh starke, siegreiche und triumphierende Kinnlade eines toten Esels! Oh göttliche, begnadete und heilige Kinnlade eines verstorbenen Füllens! Wie muß es dann um die Heiligkeit, Gnade und Göttlichkeit, um Stärke, Sieg und Triumph des ganzen, gesamten und lebendigen Esels, Eselsmutter und Eselsfüllen zusammen, bestellt sein, wenn Ruhm und Verehrung dieses Knochens und dieser heiligen Reliquie schon so groß sind? Und so wende ich mich an Euch, oh verehrte Leser meiner Schrift und Hörer meiner Stimme, zu Euch, zu Euch wende ich mich hin, und ich sage Euch, und ich warne Euch, und ich ermahne Euch, und ich beschwöre Euch, kehrt ein in Euch selbst. Verschont mich mit Euren Übeln, kehrt Euch zum Guten, laßt ab von der tödlichen Herrlichkeit des Herzens, zieht Euch zurück in die Armut des Geistes, seid bescheiden im Geiste, schwört der Vernunft ab, löscht dies glühende Licht des Intellekts, das Euch entbrennen läßt, Euch verbrennt und
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Euch aufzehrt, flüchtet die Grade der Wissenschaft, die Eure Schmerzen nur vergrößert, schwört jedem Sinn ab, werdet zu Gefangenen des heiligen Glaubens, seid jene gebenedeite Eselin, erniedrigt Euch zu jenem ruhmreichen Füllen, für die allein der Erlöser der Welt zu seinen Dienern sagte: »Geht in das Dorf dort vorn!« das heißt, durchschreitet das sinnliche und körperliche Weltenuniversum, welches zum Schein dem intelligiblen und unkörperlichen unter- und gegenübergestellt ist. »Dort werdet ihr eine Eselin und ihr Junges angebunden finden«, und ihr werdet das hebräische und christliche Volk in der Gefangenschaft Belials unterdrückt und geknechtet vorfinden. Weiter sagt er: »Bindet beide los!« Führt sie aus der Gefangenschaft, zur Verkündigung des Evangeliums und zum Vergießen des Taufwassers. »Und führt sie zu mir!« damit sie mir dienen, damit sie mein seien, damit sie, indem sie das Gewicht meines Körpers, das heißt meiner heiligen Institution und des Gesetzes auf ihren Schultern tragen, würdig und fähig werden, geführt durch die Zügel meiner göttlichen Ratschläge, mit mir in dem triumphierenden Jerusalem, der himmlischen Stadt, Einzug zu halten. Hier seht Ihr, wer die Erlösten, wer die Gerufenen, wer die Vorbestimmten, wer die Geretteten sind; die Eselin, das Füllen, die Einfachen, die Armen im Geiste, die Knäblein, diejenigen, die wie die Kinder reden, diese, diese kommen in das Himmelreich, diese treten aus Verachtung für die Welt und ihre Pracht auf ihre Kleider, haben jegliche Sorge um ihren Körper, das Fleisch, das die Seele umhüllt, aufgegeben, treten es mit Füßen, haben es zu Boden geworfen, um die Eselin und ihr liebes Eselein umso glohrreicher und triumphierender passieren zu lassen. Betet, betet zu Gott, Ihr Lieben, daß er Euch zu Eseln mache, wenn Ihr noch keine seid. Ihr müßt nur wollen und sicher, sicher wird Euch leicht die Gnade gewährt, denn, obwohl Ihr natürlicherweise Esel seid und das gewöhnliche Wissen nichts als eine Eselei ist, müßt Ihr Euch vergegenwärtigen und sehr wohl darauf achten, ob Ihr Esel nach Gott seid; ich meine, ob Ihr zu jenen Unglück-
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liehen gehört, die vor der Tür angebunden bleiben oder zu jenen Glücklichen, die eintreten dürfen. Erinnert Euch, oh Gläubige, daß unsere ersten Verwandten in jener Zeit Gott gefielen und sich in seiner Gnade befanden, in seinem Schutz, zufrieden im irdischen Paradies, in der sie Esel waren, das heißt einfach waren und nichts von Gut und Böse wußten, als sie somit angestachelt werden konnten vom Wunsch, Gut und Böse zu erkennen, und folglich keine Kunde davon haben konnten; als sie eine Lüge glauben konnten, die ihnen von der Schlange erzählt wurde; als man ihnen sogar weismachen konnte, daß trotz Gottes Warnung, sie würden sterben, das Gegenteil möglich wäre; in jenem Zustand waren sie wohlgefällig und willkommen, frei von Schmerzen, Sorge und Betrübnis. Erinnert Euch auch daran, daß Gott das jüdische Volk liebte, als es traurig, geknechtet, unterdrückt, niedrig, unwissend, bedrückt war und wie ein Esel schwere Lasten trug, so daß ihm unter der Herrschaft Ägyptens nichts als der Schwanz zum natürlichen Esel fehlte; da wurde es von Gott sein Volk, seine Leute, sein erwählter Stamm genannt. Verdorben, ruchlos, frevlerisch, falsch wurde es genannt, als es sich unter den Gesetzen, der Würde, der Größe und Ähnlichkeit der anderen Völker und Reiche, die in der Welt verehrt werden, befand. Es gibt keinen, der nicht das Goldene Zeitalter lobt, als die Menschen Esel waren, nicht das Feld zu bestellen wußten, der eine nicht über den anderen herrschte oder mehr als dieser verstand, sie als Dach nur Höhlen und Unterschlüpfe hatten, sich besprangen wie die Tiere es tun, es nicht so viele Bedeckungen und Eifersüchte und Zutaten der Lust und des Appetits gab, jede Sache allen gehörte, das Essen aus Äpfeln, Kastanien und Eicheln bestand, so wie Mutter Natur sie hervorbringt. Es gibt keinen, der nicht genauso weiß, daß nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den anderen Tierarten, die Mutter am meisten das jüngste Kind liebt, es am meisten streichelt, am meisten für seine Zufriedenheit und sein Wohlergehen sorgt, Forderungen und Mühen von ihm fernhält, es umarmt, küßt, drückt, beschützt als einen, der Gut
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und Böse nicht kennt, etwas von einem Engel und etwas von einem Tier hat; es ist ein Esel, es versteht nicht zu sprechen, kann keine langen Reden halten und wie ihm Verstand und Klugheit wächst, so wird ihm die Liebe, die Fürsorge, die fromme Zuneigung von Seiten der Verwandten weniger. Es gibt keinen Feind, der nicht mit jenem Alter Mitleid bekäme, jene Person nicht bevorzugte und liebkoste, die nichts Männliches hat, nichts vom Teufel und nichts vom Menschen hat, nichts vom Manne hat, nichts von Schläue hat, nichts von einem Bart hat, nichts Hartes hat und nichts Reifes hat. Wenn einer aber Gottes Gnade bewirken und seinen Herrn zur Nachsicht bewegen will, dann sagt er mit jenem Propheten: Ah ah ah domine, quia nescio loqui, wo er mit seinem Wiehern und Sprechen beweist, daß er ein Esel ist. Und an anderer * Stelle sagt er: Quia puer sum. Wenn man aber die Vergebung einer Schuld ersehnt, bringt man das in den göttlichen Büchern oft vor, indem man sagt: Quia stulte egimus, stulte eger* unt, quia nesciunt quid fasciant, ignoravimus, non intellexerunt. Wenn man von ihm mehr Gunst erlangen und unter den Menschen mehr Glauben, Gnade und Autorität erlangen will, sagt man an einer Stelle, daß die Apostel als betrunken angesehen wurden, da sie nicht wußten, was sie sagten, denn es waren nicht sie, die sprachen; und einer der Ausgezeichnetsten sagte, um zu beweisen, wieviel er von einem Einfachen habe, daß er in den dritten Himmel entrückt gewesen sei, wo er unbegreifliche Geheimnisse vernommen habe und nicht wisse, ob er tot oder lebendig sei, ob er in seinem Körper oder außerhalb desselben sei. Ein anderer sagte, er sehe die Himmel geöffnet und viele viele andere Dinge, die den von Gott Geliebten zur Verfügung stehen, da ihnen das offenbart wird, was dem menschlichen Wissen verborgen bleibt und es ist nur vor den Augen des rationalen Sprechens Eseltum, denn diese Verrücktheiten, Eseleien und Albernheiten sind Weisheiten, heroische Taten und Intelligenz vor unserem Gott, der die, die an ihn glauben, ihn lieben und ihm folgen, seine Flöhe, seine Herde, seine
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Schafe, seine Kinder, seine Einfältigen, seine Füllen, seine Eselin nennt. Den menschlichen Augen kann kein besserer Spiegel dargeboten werden, sage ich, als das Eseltum und der Esel, der in höchstem Maße genau zeigt, wie der sein muß, der, nachdem er sich im Weinberg des Herrn abgemüht hat, die Auszahlung des Tageslohnes, den Genuß des Abendmahls, die Ruhe, die dem Lauf dieses flüchtigen Lebens folgt, erwarten darf. Es gibt kein besseres oder ähnlicheres Muster, das geeigneter wäre, zum ewigen Heil zu führen, zu leiten und den Weg zu weisen als diese echte, durch die göttliche Stimme bestätigte Weisheit; wie es auf der anderen Seite keine Sache gibt, die sicherer in das Zentrum und in den Schlund des Tartarus führt als die philosophischen und rationalen Kontemplationen, die aus den Sinnen entstehen, in der Fähigkeit der Rede wachsen und in dem menschlichen Intellekt reifen. Bemüht Euch also, bemüht Euch, Esel zu werden, die Ihr Menschen seid; und Ihr, die Ihr schon Esel seid, studiert, bemüht Euch, strengt Euch an, immer vom Guten zum Besseren zu schreiten, damit Ihr zu dem Ziel gelangt, zu jener Würde, die man nicht durch Wissenschaft und Werke, wie groß sie auch seien, sondern durch Glauben erlangt; und die man nicht durch Unwissenheit und Untaten, wie groß sie auch seien, sondern durch Unglauben (wie man nach dem Apostel sagt), verliert. Wenn Ihr es so haltet, wenn Ihr so sein wollt und Euch so verhaltet, werdet Ihr Euch in das Buch des Lebens eingeschrieben finden, werdet Ihr die Gnade in dieser praktizierenden Kirche erflehen und die Glorie in jener triumphierenden Kirche erlangen, in welcher Gott für alle Jahrhunderte leben und herrschen wird. So sei es.
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Ein sehr frommes Sonett über die Bedeutung der Eselin und des Füllens
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Geht in das Dorf da vorn! Dort werdet Ihr eine Eselin und ihr Junges finden. Bindet beide los und, indem Ihr ihnen Stroh gebt, führt sie zu mir, meine heiligen Diener. Und wenn jemand, solch Mysterium zu verhindern, gegen Euch irgendwelche Meckereien führt, antwortet ihm mit hochgezognen Augenbrauen, der große Herr möcht' sie triumphieren lassen. So steht es in der göttlichen Schrift, um das Heil der Gläubigen zu verkünden, im Erlöser der menschlichen Natur. Die Frommen Judäas und der Völker, so einfach wie rein ihr Leben, werden ersteigen können die hohen Sitze. Devot und geduldig werden sie schließlich als Gefährten von Mutter und unter den himmlischen Heerscharen wohnen. [ Fohlen
Erster Dialog
Gesprächsteilnehmer:
Sebasto Saulino Coribante
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SEBASTo: Als schlimmstes wird man dir vorwerfen, daß du Metaphern vorschiebst, Märchen erzählst, in Parabeln denkst, Rätsel spinnst, Ähnlichkeiten zusammenstückelst, Mysterien behandelst, Allegorien zerkaust. SAULINO: Aber ich erzähle die Sache genauso, wie sie vorfällt und ich lege sie dar, wie sie wirklich ist. coRIBANTE: Jd est, sine fuco, plane, candide [Ohne Betrug, offen und ehrlich], aber ich wünschte, es wäre wirklich, wie ihr sagt. SAULINO: So wie es den Göttern gefiele, daß du anderes wärst als Trug mit deinen Gebärden, deiner Toga, deinem Bart und deinen Stirnfalten sowie deinem Geist, candide, plane et sine fuco, womit du uns die Idee der Pedanterie vor Augen führst. CORIBANTE: Hactenus haec [Nur bis hierher]? Also führte euch Sophia von Ort zu Ort, von Sitz zu Sitz? SAULINO: ja. SEBASTO: Müßt ihr anderes sagen über die Vorsehung dieser Orte? SAULINO: Im Augenblick nicht, wenn ihr nicht bereit seid, mir Gelegenheit zu geben, euch über verschiedene Punkte diesbezüglich aufzuklären, indem ihr mir mit euren Fragen die Erinnerung weckt, die mir nicht mehr als ein Drittel der Betrachtung würdiger Gegenstände eingegeben haben dürfte. * SEBASTO: Um die Wahrheit zu sagen, bin ich so gespannt darauf, zu erfahren, was der große Vater der Götter an den Orten geschehen ließ, dem Nördlichen und dem Südlichen, daß es
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mir schien, als wären tausend Jahre vergangen, bis ich endlich das Ende eures Gesprächsfadens sehen könnte, wenn dies auch interessant, nützlich und würdig sein mag, weil diese Aussicht in mir den Wunsch, davon in Kenntnis gesetzt zu werden, um so mehr geweckt hat, je mehr ihr den Zeitpunkt der Erzählung hinausgezögert habt. coRIBANTE: Spes etenim dilata affligit animum, vel animam, ut melius dicam, haec nam mage significat naturam possibilem. [Aufschub der Hoffnung betrübt das Gemüt oder, besser gesagt, die Seele, da diese die leidende Natur besser bezeichnet.] SAULINO: Gut also, damit ihr euch nicht weiter mit dem Warten auf die Lösung quält, wisset, daß an jener dem Ort, wo der Kleine Bär war und an dem, wie ihr wißt, die Wahrheit eingesetzt wurde, nächstgelegenen und unmittelbar folgenden Stelle durch Vorsehung obengenannten Rates das abstrakte Eseltum eingesetzt wurde, nachdem, wie ihr schon gehört habt, der Große Bär von dort vertrieben worden war; und wo * ihr in der Vorstellung noch den Fluß Eridanus seht, gefällt es denselben, daß sich dort das konkrete Eseltum befinde, zu dem Zweck, daß wir von allen drei Himmelsregionen das Eseltum sehen können, das in zwei Flämmchen auf den Planetenbahnen, dort wo die Schale des Krebses ist, wie versteckt war. coRIBANTE: Procul o procul este profani ! [Fern, bleibt fern Ihr Ungeweihten] Dies ist ein Sakrileg, eine Schändung, vorgeben zu wollen (da es nicht wirklich so sein kann), daß nahe dem verehrten und herausragenden Sitz der Wahrheit die Idee einer solch scheußlichen und verachtungswürdigen Art sei, die von den weisen Ägyptern in ihren Hieroglyphen als Zeichen der Unwissenheit genommen wurde, wovon Horus Apollo mehrfach Zeugnis ablegt und gleichfalls die babylonischen Priester anführt, die mit einem auf einen menschlichen Rumpf und Nacken aufgepfropften Eselskopf einen unerfahrenen und unbeherrschten Mann darstellen wollten. SEBASTo: Es ist nicht nötig, auf Zeit und Ort der Ägypter zurückzugehen, da es nie eine Generation gegeben hat, die nicht auf solche Art bestätigt hätte, was Coribante sagt.
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SAULINo: Das ist der Grund, warum ich bis zum Ende damit gewartet habe, über diese Sitze zu sprechen, da ich erwartete, daß ihr mich aufgrund der Gewohnheit des Sagens und Meinens für einen Schwätzer gehalten hättet, und mit weniger Glauben und Aufmerksamkeit hättet ihr mir zugehört bei der Beschreibung der Reform der anderen Himmelssitze, wenn ich euch nicht vorher, mit geeigneter Ordnung der Themen, von jener Wahrheit in Kenntnis gesetzt hätte, umso mehr als diese beiden Sitze, schon für sich, mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit verdienen wie vorgenannte Materie. Habt ihr nun niemals gehört, daß der Wahnsinn, die Unwissenheit und die Eselei dieser Welt, Weisheit, Wissen und Göttlichkeit in jener Welt sind? SEBASTO: So ist es von den ersten und wichtigsten Theologen berichtet worden, aber niemals ist es so weit behandelt worden wie von euch. SAULINO: Das kommt daher, daß die Angelegenheit niemals so geklärt und dargelegt wurde, wie ich sie zu klären und darzulegen nun im Begriff bin. CORIBANTE: Sprecht jetzt, denn wir werden euch aufmerksam zuhören. SAULINO: Damit ihr nicht erschreckt, wenn ihr den Namen des Esels, des Eseltums, der Tierheit, der Unwissenheit, des Wahnsinns hört, will ich euch zuerst den Ort der erleuchteten Kabbalisten vor das geistige Auge führen und in Erinnerung rufen, zu dem sie, mit anderen Lichtern als denen des Lynkeus, mit anderen Augen als denen des Argus, vordrangen ich sage nicht bis zum dritten Himmel - aber doch in den tiefen Abgrund des überweltlichen und ensophischen Universums zur Betrachtung jener zehn Sephirot eindrangen, die wir in unserer Sprache Glieder oder Kleider nennen, und dort sahen und begriffen quantum Jas est homini loqui. Dort sind die Dimensionen Keter, Hochma, Bina, Hesed, Geburach, Tipheret, Nezah, Hod, jesod, Malchuth, von denen die erste von uns Krone genannt wird; die zweite Weisheit; die dritte Vorsehung; die vierte Güte; die fünfte Stärke; die sechste Schiinheit; die
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siebte Sieg; die achte Lob; die neunte Grund und die zehnte Reich. Diesen entsprechen, wie sie sagen, zehn Intelligenzen, von denen die erste Haioth hachadosch genannt wird, die zweite Ofanim, die dritte Aralin, die vierte Hasmalin, die fünfte Choachim, die sechste Melachim, die siebte Elohim, die achte Benelohim, die neunte Meleachim und die zehnte Issim; wir nennen die erste heilige Tiere oder Seraphim, die zweite gestaltende Räder oder Cherubim, die dritte starke Engel oder Throne, die vierte Bildner, die fünfte Gewalten, die sechste Tugenden, die siebte Fürstentümer oder Gö"tter, die achte Erzengel oder Sö"hne Gottes, die neunte Engel oder Botschafter, die zehnte getrennte Seelen oder Heroen. Daher kommen in der sinnlichen Welt die zehn Sphären. 1. Der erste Beweger, 2. der gestirnte Himmel oder die achte Sphäre oder Firmament, 3. der Himmel des Saturn, 4. des Jupiter, 5. des Mars, 6. der Sonne, 7. der Venus, 8. des Merkur, 9. des Mondes, 10. des in vier Elemente unterteilten sublunaren Chaos. Jenen sind zehn Beweger zugeordnet oder zehn Seelen eingeboren. Die erste Metatron oder Fürst der Gesichter, die zweite Raziel, die dritte Zafriel, die vierte Zadkiel, die fünfte Kamael, die sechste Rajfael, die siebte Aniel, die achte Michael, die neunte Gabriel, die zehnte Samael, dem vier fürchterliche Fürsten unterstehen, von denen der erste im Feuer herrscht und von Hiob Behemoth genannt wird, der zweite herrscht in der Luft und wird von den Kabbalisten und allgemein Beelzebub genannt, also Fürst der Fliegen, idest [d.h.] der fliegenden Ungeheuer, der dritte herrscht im Wasser und wird von Hiob Leviathan genannt, der vierte ist Herrscher auf der Erde, die er durchläuft und ganz umschließt, und wird von Hiob Sathan genannt. Beachtet hier nun, daß nach der kabbalistischen Offenbarung in Hochma, der die Cherubim genannten Formen oder Räder entsprechen, die in der achten Sphäre wirken, wo die Tugend der Intelligenz Raziels ihren Platz hat, der Esel oder das Eseltum Symbol der Weisheit ist. coRIBANTE: Parturient montes [Es kreißen die Berge].
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SAULINO: Einige Talmudisten geben den moralischen Grund für diesen Einfluß oder Baum, diese Leiter oder Abhängigkeit an, wenn sie sagen, daß der Esel Symbol der Weisheit bei den göttlichen Sephirot ist, weil jener, der in die Geheimnisse und verborgenen Vorschriften derselben eindringen will, notwendigerweise nüchtern und geduldig sein müsse und Schnauze, Kopf und Rücken eines Esels haben müsse. Er muß das demütige, gebeugte und niedrige Gemüt haben, das keinen Unterschied macht zwischen Salat und Disteln. SEBASTo: Ich glaube vielmehr, daß die Hebräer diese Mysterien den Ägyptern entwendet haben, die, um eine gewisse Schande zu verdecken, auf diese Art den Esel und das Eseltum in den Himmel erheben wollten. CORIBANTE: Erkläre! SEBASTo: Ocho, König der Perser, der den Ägyptern wegen des Eselskultes bekannt war und sie später, als er siegreich über sie war, zu Gefangenen machte, zwang sie, das Eselsbild zu verehren und ihm den Ochsen zu opfern, der von ihnen sehr verehrt wurde, indem er ihnen auferlegte, daß ihr Ochse Opin oder Apin eben dem Esel geopfert werde. Diese also, * um ihren schändlichen Kult ehrbar zu machen und diesen Fleck zu verdecken, wollten Gründe für den Eselskult vorgeben, der, nachdem er ihnen zuerst ein Gegenstand des Tadels und Gelächters war, so ein Gegenstand der Ehrerbietung wurde. Und so wurde er als Gegenstand der Verehrung, Bewunderung, Betrachtung, Ehre und Würde kabbalistisch, archetypisch, sephirotisch, metaphysisch, ideal, göttlich. Darüber hinaus ist der Esel ein Tier des Saturn und des Mondes, und die Hebräer sind von Natur, Geist und Schicksal saturnisch und launisch, Menschen, die immer feig, unterwürfig, geldgie- * rig und einsam sind und mit anderen Völkern nicht sprechen und keinen Kontakt unterhalten, da sie diese als bestialisch verachten und so von ihnen mit vollem Recht verachtet werden; nun fanden sich jene in ägyptischer Gefangenschaft und Sklaverei, wo es ihr Schicksal war, daß sie Kameraden der Esel wurden und Lasten tragen und den Werkstätten dienen muß-
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ten. Und dort, teils weil sie leprös waren, teils weil die Ägypter aufgrund des Verkehrs, den sie mit ihnen hatten, verstanden, daß in diesen Pestbefallenen der saturnische und eselhafte Eindruck vorherrschte, wollten einige, daß man sie aus ihren Grenzen verjage und ihnen den Götzen des Goldenen Esels überlasse, der sich von allen Göttern für diese Leute als am geeignetsten darstellte, da sie allen Völkern genauso feindlich und widerspenstig gegenüberstanden wie Saturn allen anderen Planeten. Wodurch sie, indem sie einen eigenen Kult behielten und alle anderen ägyptischen Feste zurückließen, für ihren im Bildnis des Esels dargestellten Saturn die Sabbathe und für ihren Mond die Neumondfeste feierten, so daß nicht nur eine sondern alle Sephiroth für die jüdischen Kabbalisten Esel sein können. SAULINo: Ihr sagt viel Wahres, vieles, was nah an der Wahrheit ist, anderes, was der Wahrheit ähnlich ist, einiges, was zu den wahren und bewiesenen Geschichten in Widerspruch steht. So daß ihr einige wahre und gute Dinge sagt, aber nichts wahrhaftig und gut sagt, wenn ihr euch lustig macht und dieses heilige Volk gering schätzt, von dem das ganze Licht stammt, das bis heute über die Welt gekommen ist und noch viele Jahrhunderte zu strahlen verspricht. So trachtest du in deinen Gedanken danach, den Esel und das Eseltum als etwas Lächerliches anzusehen, die doch - was sie auch bei den Persern, Griechen und Lateinern gewesen sein mögen - nichts Niedriges bei den Ägyptern und Hebräern waren. Weshalb es denn Falschheit und Verdrehung ist, zu sagen, jener göttliche Eselskult habe seinen Ursprung in der Gewalt und im Zwang und nicht vielmehr in der Vernunft und der freien Wahl. SEBASTo: Verbi gratia [Zum Beispiel] Zwang, Gewalt, Vernunft und Wahl Ochos. SAULINo: Ich sage göttliche Eingebung, natürliche Güte und menschliche Vernunft. Aber bevor wir diesen Beweis zu Ende führen, berücksichtigt, ob diese Hebräer oder andere Teilhaber an ihrer Frömmigkeit die Idee und den Einfluß der Esel jemals gering geschätzt haben oder jemals Grund dazu
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gehabt haben. Seht, ob der Patriarch Jakob, wenn er Geburt und Blut seiner Nachkommenschaft und der Väter der zwölf Stämme mit der Figur der zwölf Tiere feiert, den Drang hatte, den Esel aufzugeben. Habt ihr nicht bemerkt, daß so wie der Hammel Ruben, der Bär Simeon, das Pferd Levi, der Löwe Judas, der Wal Sebulon, die Schlange Dan, der Fuchs Gad, der Ochse Ascher, der Hirsch Naftali, das Schaf Josef, der Wolf Benjamin, daß genau wie diese der sechste Nachfahre Esel Issachar handelte, als er ihnen diese schöne neue und mysteriöse Botschaft ins Ohr flüsterte: Issachar, der starke Esel, der zwischen den Begriffen steht, hat die gute Erholung und den fruchtbaren Boden gefunden, hat mit den starken Schultern das Gewicht getragen und sie zum niitigen Dienst bestimmt Diese zwölf heiligen Stämme * entsprechen, wie der Profet Balaam sah und erklärte, als er sie von der Höhe eines Hügels aus in der Ebene in zwölf verschiedenen Lagern angeordnet erblickte, hier unten den zwölf Zeichen des Tierkreises oben, die sich am Band des Firmaments befinden, weshalb er sagte: Seliges und gesegnetes Volk Israel, Ihr seid Sterne, Ihr die zwölf Zeichen in so schön angeordneten, zahlreichen Herden. So versprach Euer Jehova, daß er den Samen eures großen Vaters Abraham vermehren würde wie die Sterne des Himmels, das heißt nach der Ordnung der zwölf Zeichen des Zodiaks, die Ihr mit den Namen von zwölf Tieren bezeichnet. Hier seht ihr, wie der erleuchtete Prophet, als er sie auf der Erde segnen mußte, zu Ihnen auf dem Esel kam, von der Stimme des Esels vom göttlichen Willen unterrichtet wurde, mit der Kraft des Esels dorthin gelangte, auf * dem Esel sitzend die Hände gegen die Zelte ausstreckte und dies heilige und gesegnete Volk Gottes segnete, um deutlich zu machen, daß diese saturnischen Esel und andere Tiere, die von den besagten Sephiroth und über den natürlichen und prophetischen Esel vom archetypischen Esel beeinflußt werden, an solcher Segnung teilhaben sollten. CORIBANTE: Multa igitur asinorum genera [Viele Arten von Eseln gibt es], golden, archetypisch, verhüllt, himmlisch, intel-
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ligential, engelhaft, tierisch, prophetisch, menschlich, tierisch, nobel, ethisch, bürgerlich, und wirtschaftlich; vel [oder] essentiell, subsistentiell, metaphysisch, physisch, hypostatisch, begrifflich, mathematisch, logisch und moralisch; vel erhaben, mittelmäßig, und nieder; vel intelligibel, sinnlich oder fantastisch; vel ideal, natürlich oder begrifflich; vel ante multa, in multis, et post multa [vor dem Vielen, in dem vielen und nach dem Vielen]. Nun fahrt fort, denn paulatim, gradatim, atque pedetentim [allmählich, stufenweise und Schritt für Schritt] er* scheint ihr mir klarer, höher und tiefer. SAULINo: Um nun zu uns zu kommen, darf es euch nicht komisch vorkommen, daß das Eseltum bei der Verteilung der Plätze, die sich in der oberen Hälfte dieser Welt und des körperlichen Universums befinden, einen Sitz im Himmel bekommen hat, wenn man bedenkt, daß dieser der höheren Welt entsprechen und eine bestimmte Analogie mit ihr erkennen lassen muß. coRIBANTE: lta contiguus hie illi mundus ut omnis eius virtus inde gubernetur [Diese hängt mit jener Welt so zusammen, daß jede Kraft derselben von dort gelenkt wird], wie auch der Fürst der Peripatetiker am Anfang des ersten Bandes der Me* torologica contemplatione verkündet. SEBASTO: Oh welch Blasen, welch klingende Worte dies sind, oh gelehrter und einem zweiten Jupiter gleich donnernder Meister Coribante. coRIBANTE: Ut libet [Wie's beliebt]. SAULINo: Aber erlaubt, daß mit dem Gegenstande fortgefahren wird und unterbrecht nicht. coRIBANTE: Proh [Oh]. SAULINO: Der Wahrheit ist nichts näher als die Wissenschaft, die man in zwei Arten unterscheiden muß (wie sie in sich selbst unterschieden ist), in eine höhere und in eine niedere. Die erste steht über der geschaffenen Wahrheit und ist die ungeschaffene Wahrheit selbst und ist die Ursache von allem, wenn man bedenkt, daß für sie die wahren Dinge wahr sind und all das, was ist, wirklich genau das ist, was es ist.
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Die zweite ist eine niedere Wahrheit, die weder die wahren Dinge schafft, noch die wahren Dinge ist, sondern von den wahren Dingen abhängt, geschaffen, geformt und gestaltet wird und diese nicht in Wahrheit erkennt, sondern in Art und Ähnlichkeit, weil sich in unserem Geiste, wo die Wissenschaft des Goldes angesiedelt ist, das Gold nicht in Wahrheit, sondern nur in Art und Ähnlichkeit befindet. So daß es eine Art der Wahrheit ist, die Ursache der Dinge ist und über allen Dingen steht; eine andere Art diejenige, die in den Dingen ist und ihnen angehört; und eine dritte und letzte ist die, die nach den Dingen und von den Dingen kommt. Die erste trägt den Namen Ursache, die zweite den Namen Ding, die dritte den Namen Erkenntnis. Die Wahrheit im ersten Sinn befindet sich in der idealen archetypischen Welt, bezeichnet von einer der Sephiroth; im zweiten Sinn befindet sie sich im ersten Sitz, wo der Angelpunkt des für uns höheren Himmels ist; im dritten Sinn befindet sie sich in besagtem Sitz, der von diesem körperlichen Himmel unsere Gehirne beeinflußt, wo die Unwissenheit, Torheit und das Eseltum angesiedelt ist, und von dem der Große Bär verjagt wurde. Wie also die natürliche und wirkliche Wahrheit von der begrifflichen Wahrheit untersucht wird, und diese jene zum Objekt hat, und jene vermittels ihrer Art diese zum Subjekt hat, so ist es nötig, daß jener Stätte diese beigesellt und nahe sei.
SEBASTo: Ihr sagt richtig, daß nach der natürlichen Ordnung die Wahrheit und die Unwissenheit oder das Eseltum einander nahe sind, wie manchmal der Gegenstand, der Akt und die Potenz vereint sind. Aber klärt uns nun darüber auf, warum ihr lieber die Unwissenheit oder das Eseltum in der Nähe hinzufügen wollt als die Wissenschaft oder die Erkenntnis, wo doch keineswegs die Unwissenheit und Verrücktheit der Wahrheit nahe sind, gleichsam Nachbarn derselben sein dürfen, vielmehr in äußerster Entfernung von ihr stehen müssen, weil sie doch als einer anderen Ordnung zugehörige Dinge der Falschheit beigesellt werden müssen.
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SAULINO: Dies, da die geschaffene Sophia ohne die Unwissenheit und Verrücktheit und folglich ohne Eseltum, die ja diese bedeutet und eins mit ihnen ist, nicht die Wahrheit erkennen kann; es ist vielmehr nötig, daß sie Vermittlerin sei, denn wie im vermittelnden Akt die Extreme oder die Begriffe, Gegenstand und Möglichkeit zusammenkommen, so kommen im Eseltum die Wahrheit und die von uns Sophia genannte * Erkenntnis zusammen. SEBASTo: Nennt kurz den Grund. SAULINo: Weil unser Wissen Nichtwissen ist oder weil es kein Wissen von irgendeiner Sache gibt oder weil, wenn es zu jener auch irgendeinen Zugang geben sollte, dann dieser nur durch die Tür führen kann, die von der Unwissenheit geöffnet wird, die selbst Weg, Türsteher und Tür ist. Wenn Sophia die Wahrheit nun also durch die Unwissenheit entdeckt, dann entdeckt sie sie folglich durch Torheit und folglich durch Eseltum. So daß also derjenige, der einer solchen Erkenntnis teilhaftig wird, etwas von einem Esel hat und an dieser Idee teilhat. SEBASTO: Nun zeigt, daß eure Annahmen richtig sind, denn ich will alle Schlußfolgerungen gelten lassen, weil ich nicht für unpassend halte, daß wer unwissend ist, da er unwissend ist, dumm ist, und wer dumm ist, da er dumm ist, ein Esel ist, alle Unwissenheit aber Eseltum ist. SAULINO: Zur Betrachtung der Wahrheit gelangen die einen mittels Lehre und rationaler Erkenntnis kraft des intellectus * agens, der in die Seele eindringt, um dort das innere Licht zu entzünden, und diese sind selten, weshalb der Dichter sagt: Pauci qu,os ardens evexit ad aethera virtus [Wenige, die die * Tugend feurig zum Äther emporhebt]. Die anderen wenden sich ihr mittels der Unwissenheit zu und bemühen sich, sie so zu erlangen; und von diesen sind einige mit jener Unwissenheit geschlagen, die man einfache Verneinung nennt, und diese wissen nicht, noch nehmen sie an zu wissen; andere mit jener, die bösartige Veranlagung genannt wird, und diese glauben, umso mehr zu wissen, je weniger sie
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wissen und je mehr sie sich an falschen Informationen berauscht haben, so daß es für sie doppelte Mühe bedeutet, die Wahrheit zu erfahren, nämlich die eine Gewohnheit zu verlernen und die andere zu erlernen; wiederum andere sind mit jener geschlagen, die als göttliche Fähigkeit gefeiert wird, jene also, die weder denken noch behaupten, etwas zu wissen und darüberhinaus von den anderen für überaus unwissend gehalten werden, jedoch in Wirklichkeit so gelehrt sind, daß sie sich auf dieses überaus würdige Eseltum und die Verrücktheit zurückziehen. Und von ihnen sind einige natürlich, wie zum Beispiel jene, die mit ihrem rationalen Lichte einhergehen, mit dem sie - mit eben diesem Lichte des Sinnes und des Verstandes - jegliches Licht des Sinnes und Verstandes leugnen; einige andere gehen umher, oder besser: lassen sich führen von der Laterne des Glaubens, indem sie den Geist desjenigen auffangen, der sie reitet und nach Lust und Laune führt und lenkt und jene können nie irren, da sie nicht mit ihrem irrigen Verständnis fortschreiten, sondern mit unfehlbarem Licht höherer Intelligenz. Diese, diese sind wirklich ausersehen und vorherbestimmt ins Jerusalem der Glückseligkeit und zur offenen Schau der göttlichen Wahrheit zu gelangen, weil sie von jenem Reiter geritten werden, ohne welchen es keinen gäbe, der in der Lage wäre, sie dorthin zu führen. SEBASTO: So unterscheiden sich also die verschiedenen Arten der Unwissenheit und des Eseltums, und so lasse ich mich langsam herbei zuzugestehen, daß das Eseltum eine notwendige und göttliche Tugend ist, ohne die die Welt verloren wäre und dank der die ganze Welt gerettet ist. SAULINO: Höre hierzu ein Prinzip für eine andere, genauere Unterscheidung. Das, was unseren Verstand, der sich in Sophia befindet, mit der Wahrheit verbindet, die das intelligible Objekt ist, ist nach den Kabbalisten und bestimmten mystischen Theologen eine bestimmte Art von Unwissenheit. Eine andere Art nach den Pyrrhonikern, Ephektikern und ähnli- * chen. Noch eine andere nach christlichen Theologen, unter welchen sich der Tarsenser befindet, nach denen umso herrli- *
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eher ist, was nach dem Urteil der ganzen Welt für größte Verrücktheit gehalten wird. Die erste Art verneint immer, weshalb sie verneinende Unwissenheit genannt wird, denn sie wagt nie, Positives zu behaupten. Die zweite Art zweifelt immer und wagt nie, etwas festzustellen oder zu bestimmen. Die dritte Art glaubt, daß alle Prinzipien bekannt, bewiesen und mit sicherem Beweisgrund offenbar sind, ohne Beweis und Anschauung. Die erste ist gekennzeichnet durch den dunklen, flüchtigen, und irrenden Esel. Die zweite durch eine Eselin, die fest zwischen zwei Wegen steht, ohne sich entscheiden zu können, auf welchen der beiden sie ihre Schritte lenken soll. Die dritte durch eine Eselin mit ihrem Füllen, die auf ihrem Rücken den Erlöser der Welt tragen, wobei die Eselin (wie die heiligen Doktoren lehren) ein Symbol des jüdischen Volkes ist * und das Füllen ein Symbol des christlichen Volkes, das als kirchliche Tochter von der Mutter Synagoge geboren wurde, weswegen also sowohl diese als auch jene zum gleichen Stamm gehören, der auf Abraham, den Vater aller Gläubigen, zurückgeht. Diese drei Arten der Unwissenheit führen wie drei Äste auf einen Stamm zurück, in dem vom Archetyp aus das Eseltum wirkt, und der fest gepflanzt auf den Wurzeln der zehn Sephiroth steht. coRIBANTE: Oh schöner Sinn! Das sind keine rhetorischen * Überredungskünste, noch elenktische Sophismen, noch topische Wahrscheinlichkeiten sondern apodiktische Beweise, nach denen der Esel kein so niederes Tier ist, wie man allgemein annimmt, sondern von viel heroischerer und göttlicherer Art. SEBASTO: Es ist nicht nötig, daß ihr euch weiter bemüht, oh Saulino, das von mir Erfragte darzulegen, da es mir von dir schon erlärt wurde; zum einen, weil ihr Coribante zufriedengestellt habt, zum anderen, weil von den angenommenen mitt* leren Begriffen jeder gute Zuhörer leicht zufriedengestellt werden kann. Aber laßt mich nun bitte die Gründe der Weisheit verstehen, die in der Unwissenheit und dem Eseltum iuxta [sozusagen] zweiter Art besteht, aus welchen Gründen also die Pyrrhoniker, Skeptiker und andere akademische Philosophen
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am Eseltum teilhaben, denn ich zweifle nicht an der ersten und dritten Art, die so hoch und weit vor den Sinnen stehen und so klar sind, daß es kein Auge gibt, das sie nicht erkennen könnte. SAULINO: Bald werde ich auf eure Frage zurückkommen; ich will aber zuerst, daß ihr bemerkt, wie die erste und die dritte Art der Torheit und Unwissenheit in gewissem Sinn in einem zusammenkommen, jedoch selbst von einem unverständlichen und unfaßbaren Prinzip abhängen, das diese Erkenntnis ausmacht, die Disziplin der Disziplinen, Lehre der Lehren und Kunst der Künste ist. Ich möchte euch erzählen, in welcher Art, mit wenig oder gar keinem Studium und ohne irgendwelche Mühe, jeder, der wollte und will, dazu fähig sein konnte und kann. Es sahen und beachteten diese heiligen Doktoren und erleuchteten Rabbiner, daß die hochmütigen und anmaßenden Wissenden der Welt, die auf ihren eigenen Verstand vertrauten und mit vermessenem und aufgeblasenem Hochmut gewagt haben, sich zur Wissenschaft der göttlichen Geheimnisse aufzuschwingen und in jene der Gottheit einzudringen, nicht anders als die, die den Turm zu Babel erbauten, in alle Welt verstreut wurden, da sie sich selbst den Weg verstellt hatten, wehalb sie umso weniger fähig waren, die göttliche Weisheit und ewige Wahrheit zu schauen. Was machten sie? Auf welche Seite schlugen sie sich? Sie hielten ihre Schritte an, sie verschränkten die Arme und ließen sie hängen, sie schlossen die Augen, entsagten jeder Form eigener Aufmerksamkeit und eigenen Studiums, verurteilten jedweden menschlichen Gedanken, unterdrückten alles natürliche Empfinden, und schließlich hielten sie sich für Esel, und die, die es nicht waren, verwandelten sich in dieses Tier: sie erhoben, weiteten, spitzten, vergrößerten und verherrlichten die Ohren und alle menschlichen Fähigkeiten versammelten und vereinten sie im Hören, um nur zu glauben und zu hören wie jener, der sagt: In auditu auris obedivit mihi [Er gehorchte mir aufs Wort]. Indem sie so das vegetative, sensitive und intellektive Vermögen gefangen und versammelt hatten, haben sie die fünf
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Finger in nur einem Nagel vereint, damit sie nicht wie Adam die Hände ausstrecken könnten, um die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntis zu pflücken, wodurch sie der Frucht des Lebensbaumes verlustig gehen würden, oder wie Prometheus (der Metapher des gleichen Gegenstandes ist) die Hände ausstrecken könnten, um das Feuer Jupiters zu entwenden und damit das Licht in der rationalen Potenz zu entzünden. So kommt es mit unseren göttlichen Eseln, ihres eigenen Empfindens und Fühlens beraubt, soweit, daß sie nichts anderes verstehen, als was ihnen von den Offenbarungen der Götter oder deren Vikaren ins Ohr geflüstert wird, und sie sich folglich nach keinem anderen Gesetz als nach diesem verhalten. Deshalb wenden sie sich weder nach rechts noch nach links, es sei denn gemäß der Anweisung und des Verstandes, die ihnen Halfter oder Bremse, die sie beim Hals oder Maul halten, geben, und sie laufen nicht anders, als sie angetrieben werden. Sie haben die Lippen vergrößert, die Kiefer verstärkt, die Zähne gehärtet, damit das Essen, das ihnen vorgesetzt wird, ihrem Gaumen angenehm ist, wie hart, dornig, rauh und schwerverdaulich es auch sei. Sie verzehren also schwerere und derbere Speise als alle anderen Tiere, die auf dem Rücken der Erde weiden, und all das, um zu jener feigen Niedrigkeit zu gelangen, auf Grund derer sie zu umso großartigerer Erhebung fähig werden, iuxta [gleich] dem: Omnis qui se humiliat exaltatibur [Wer sich erniedrigt, soll erhöht werden]. SEBASTO: Ich möchte aber verstehen, wie diese Biester unterscheiden können, ob der, der sie besteigt, Gott oder der Teufel ist, ein Mensch oder ein anderes nicht viel höheres oder niedrigeres Tier ist, wenn die einzige Gewißheit, die sie haben können, die ist, daß sie Esel sind und Esel sein wollen und kein besseres Leben als ein Esel führen, keine besseren Sitten als ein Esel besitzen und kein besseres Ende als das eines Esels erwarten können, noch es möglich, vereinbar und würdig ist, daß sie anderen Ruhm als den eines Esels erlangen? SAULINO: Treu ist der, der nicht erlaubt, daß sie über das hinaus versucht seien, was sie leisten können; er kennt die sei-
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nen, er hält und erhält die Seinen für die Seinen, und sie können ihm nicht genommen werden. Oh heilige Unwissenheit, oh göttliche Verrücktheit, oh übermenschliches Eseltum! Jener entrückte, tiefe und kontemplative Aeropagita sagt, wenn er an Caius schreibt, daß die Unwissenheit eine vollendete Wissenschaft ist, als wollte er im gleichen Sinn sagen, daß das Eseltum eine Gottheit ist. Der gelehrte Augustinus, sehr trun- * ken von diesem göttlichen Nektar, bezeugt in seinen Soliloquii, daß die Unwissenheit und nicht das Wissen zu Gott * führt und das Wissen und nicht die Unwissenheit zur Verdammnis führt. Als Beispiel dessen will er, daß der Erlöser mit den Beinen und Füßen eines Esels in Jerusalem eingezogen sei und in dieser streitenden Stadt anagogisch bedeutet habe, was in der triumphierenden Stadt geschehen sollte, wie der psalmodierende Prophet sagt: Non in fortitudinem equi voluntatem habebit, neque in tibiis viri bene placitum erit ei [Nicht auf der Rö"sser Kraft wird sein Wille ausgeübt, noch auf des Menschen Beinen]. * coRIBANTE: Supple tu. Sed in fortitudine et tibiis asinae et pulli filii coniugalis. [Füge hinzu: Aber auf der Kraft und den Beinen der Eselin und ihres leiblichen Füllens] SAULINO: Um euch nun zu zeigen, daß es nichts anderes als das Eseltum ist, womit wir uns nach dieser hohen Geisteswelt strecken und uns ihr nähern können, möchte ich, daß ihr versteht und wißt, daß es auf der Welt keine bessere Betrachtungsweise gibt als die, die alles Wissen und alles Lernen und Urteil über das Wahre leugnet, so daß die höchste Erkenntnis eine sichere Einschätzung dessen ist, daß man nichts wissen kann und nichts weiß und folglich anerkennt, daß man nichts anderes als ein Esel sein kann und nichts anderes als ein Esel ist, zu welchem Schluß die Sokratiker, Platoniker, Skeptiker, Pyrrhoniker und andere ähnliche gelangten, die nicht so kleine Ohren und nicht so delikate Lippen und keinen so kurzen Schwanz hatten, daß sie selbst sie nicht hätten sehen können. SEBASTo: Ich bitte Dich, Saulino, fahrt für heute nicht mit anderem zur Bestätigung und Erklärung dieser Dinge fort,
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weil wir für den Moment viel vernommen haben, umso mehr als du siehst, daß es Zeit für das Abendessen ist und das Thema eines längeren Gespräches bedarf. Deshalb möge es euch gefallen (wenn Coribante einverstanden ist), uns morgen für die Erhellung dieses Gegenstandes wiederzusehen und ich werde Onorio mit mir führen, der sich erinnert, ein Esel gewesen zu sein, jedoch, (bei aller Ehrerbietung) Pythagoreer ist und darüberhinaus große Reden führen kann, mit denen er vielleicht zum Gegenstande beitragen kann. SAULINO: Das wird gut sein, und ich wünsche es, weil er mir meine Mühe erleichtern wird. coRIBANTE: Ego quoque huic adstipulor sententiae [Ich stimme dieser Ansicht zu] und es ist die Stunde gekommen, in der ich meine Schüler entlassen muß, damit propria revisant hospitia, proprios lares [sie die eigenen Heimstätten, die eigenen Hausgötter wieder aufsuchen]. Ich bin vielmehr dazu bereit, si lubet [wenn's beliebt], mich hier täglich zu diesen Stunden mit euch einzufinden, damit dieser Gegenstand zu Ende geführt werde. SAULINO: Und ich werde nicht versäumen, dasselbe zu tun. SEBASTO: So gehen wir also hinaus.
Zweiter Dialog
Gesprächsteilnehmer:
Sebasto Onorio Coribante Saulino
SEBASTo: Und du erinnerst dich, Lasten getragen zu haben? oNoRro: Lasten, Körbe und manchmal die Deichsel. Ich war zuerst im Dienst eines Gärtners, dem ich half, Gemüse von der Stadt Theben zum Garten nahe den Mauern zu tragen und Kohl, Salat, Zwiebeln, Melonen, Pastinaken, Radieschen und ähnliche Dinge vom Garten in die Stadt zu bringen. Danach bei einem Köhler, der mich kaufte und sehr wenige Tage am Leben erhielt. SEBASTo: Wie ist es möglich, daß du dich daran erinnerst? ONORIO: Ich werde es dir nun sagen. Als ich eines Tages auf einem steilen und steinigen Ufer weidete, wollte ich entgegen allen Bedenken und dem Instinkt des natürlichen Verstandes zu einer Distel klettern, die einiges zu weit unten am Abhang wuchs, als daß ich ohne Gefahr meinen Hals strecken konnte, und fiel von dem hohen Fels, so daß mein Herr feststellen mußte, mich für die Raben gekauft zu haben. So wurde ich, meines körperlichen Gefängnisses entledigt, ein umherziehender Geist ohne Glieder und verstand, daß ich nach meiner geistigen Substanz weder in Art noch Geschlecht anders als alle anderen Geister war, die nach der Auflösung anderer Tiere und zusammengesetzter Körper umherwanderten; und ich sah, wie die Parze nicht nur in der Art der körperlichen Materie den Körper des Menschen von dem des Esels ununterschieden macht und den Körper der Tiere vom Körper der für seelenlos erachteten Dinge, sondern auch in der Art der geistigen Materie die Seele des Esels ununterschieden von der des
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Menschen sein läßt, ebenso wie die Seele, die die besagten Tiere bildet, von der, die sich in allen Dingen befindet, wie alle Körpersäfte in der Substanz ein Körpersaft sind, alle Teile der Luft in der Substanz eine Luft sind, alle Geister aus dem Äther eines Geistes entspringen und zu diesem zurückkehren. Nachdem ich also einige Zeit in diesem Zustand gehalten wurde, da geschah folgendes:
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Laethum ad ftuvium Deus evocat anime magno, Scilicet immemores supera ut convexa revisant, Rursus et incipiant in corpora velle reverti.
Als ich also den glücklichen Gefilden inmitten der Menge, deren Führer Merkur war, entkam, ohne von den Wellen des schnellen Lethe genossen zu haben, tat ich so, als ob ich zusammen mit den anderen von diesem Saft tränke, tat aber nichts anderes, als meine Lippen zu nähern und ihn zu berühren, damit die Wächter getäuscht würden, denen es genügen konnte, meinen Mund und mein Kinn naß zu sehen. Ich * nahm den Weg zur reineren Luft durch die hörnerne Pforte und, indem ich die Tiefe in meinem Rücken und unter meinen Füßen ließ, fand ich mich auf dem Berg Parnaß, der, wie es von der kabbalistischen Quelle richtig gesagt wird, eine Sache ist, die vom Vater Apollo seinen Töchtern, den Musen, ge* weiht wurde. Daher wurde ich, gemäß der Macht und des Befehls des Fatums wieder Esel, allerdins ohne die intelligible Gestalt zu verlieren, deren Witwer und Waise so der tierische Geist nicht wurde und auf Grund deren Macht mir auf der einen wie auf der anderen Seite die Form und Substanz von zwei Flügeln heraustraten, die leicht dazu genügten, mein Körpergewicht zu den Sternen emporzutragen. Ich erschien dort und wurde nicht nur Esel, sondern fliegender Esel oder * wahrhaftiges Pferd Pegasus genannt. Dann wurde ich zum Ausführer vieler Befehle Jupiters gemacht, diente Bellerophon, mir wurden viele berühmte und sehr ehrenhafte Geschicke zuteil und schließlich wurde ich an den Grenzen Andromedas und des Schwans auf der einen Seite, und der Fische
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und des Wassermannes auf der anderen Seite in den Himmel aufgenommen. SEBASTo: Habt Dank, aber antwortet mir einstweilen, bevor ihr mir diese Dinge in den Einzelheiten erklärt. Also, ihr haltet aufgrund von Erfahrung und Erinnerung die Meinung der Pythagoreer, Druiden, Sadduzäer und anderen ähnlichen zur Metemphysikose, das heißt der Verwandlung und Körper- * wanderung der Seelen für wahr? Spiritus eque feris humana in corpore transit. Inque feras noster, nec tempore deperit ullo?
Ja, Meister, so ist es sicher. SEBASTo: Also beharrst du darauf, daß die Seele des Menschen und die des Tieres in der Substanz gleich seien und sich nur in der Gestalt unterscheiden? ONORIO: Die des Menschen ist in spezifischer und generischer Essenz gleich der der Fliegen, Austern, Pflanzen und jedwelchen Dinges, das belebt ist oder Seele hat, wie es keinen Körper gibt, der einen nicht mehr oder weniger lebhaften oder vollkommenen Einfluß des Geistes in sich selber hat. Einmal vereinigt sich jener Geist nach Fatum oder Vorsehung, Ordnung oder Schicksal mit einer Art von Körper, einmal mit einer anderen und erlangt je nach Art der Verschiedenheit von Körperbau und Gliedmaßen unterschiedliche Grade und Vollkommenheiten des Geistes und der Handlungen. Weshalb der Geist, der in der Spinne war und dort diese Fähigkeit und diese Krallen und Gliedmaßen in bestimmter Anzahl, Menge und Form hatte, wenn er zur Fortpflanzung im Menschen gelangt, andere Intelligenz, andere Instrumente, Haltungen und Handlungen erwirbt. Ich komme dahin, daß, wenn es möglich wäre oder sich tatsächlich ereignete, daß ein Schlangenkopf sich in Form eines Menschenkopfes bilden und winden würde und die Brust in der diesem Maß entsprechenden Größe wachsen würde, wenn die Zunge sich verlängern, die Schultern sich verbreitern, die Hände und Arme sprießen und am Schwanzende Beine wachsen würden, daß die Schlange dann nicht anONORIO:
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ders verstünde, erschiene, atmete, spräche, handelte und liefe als ein Mensch, weil sie nichts anderes wäre als ein Mensch. Wie andererseits der Mensch nichts anderes als eine Schlange wäre, wenn er Beine und Arme wie in einem Stock zusammenzöge und alle Knochen zur Bildung einer Wirbelsäule beitrügen, er sich verschlängelte und all jene Gestaltungen der Glieder und Eigenschaften des Körperbaus annähme. Dann hätte er einen mehr oder weniger lebhaften Geist, statt zu sprechen, zischelte er, statt zu laufen, schlängelte er sich, statt sich Häuser zu erbauen, gräbe er ein Loch, und dies entsprä* ehe ihm mehr als ein Zimmer; und wie er einmal unter jenen war, so wäre er jetzt unter diesen Gliedern, Instrumenten, Potenzen und Handlungen: wie vom gleichen Urheber Proben von verschiedenem Talent erscheinen und verschiedene Ausführungen abhängen, je nach dem von welchen Kontraktionen der Materie er hingerissen und mit welchen Organen er ausgestattet ist. Folglich könnt ihr verstehen, daß es möglich ist, daß viele Tiere über mehr Talent und mehr Geisteslicht verfügen als der Mensch (wie es kein Scherz ist, was Moses von der Schlange verkündet, die er die Klügste unter allen Tieren der * Erde nannte), aber durch Mangel an Werkzeugen ihm unterlegen sind, wie jener ihnen durch Reichtum und Gabe derselben so weit überlegen ist. Und daß es die Wahrheit ist, bedenke dies ein wenig feiner und untersuche in dir selbst, was wäre, wenn man annähme, daß der Mensch über doppelt so viel Verstand verfügte, wie er hat, und der intellectus agens noch viel heller in ihm leuchtete, als er es tut, und daß mit all diesem seine Hände sich in Form der zwei Füße umbildeten, wenn alles andere gleich bliebe, sag mir, wo die Konversation der Menschen ungestraft vonstatten gehen könnte, sich Familien und Zusammenschlüsse derselben bilden, und wie sie gleich lang oder länger als die der Pferde, Hirsche, Schweine dauern könnten, ohne daß sie von unzählbaren Arten von Tieren gefressen würden und so größerem und sichererem Untergang geweiht wären? Und wo wären folglich die Institutionen der Lehre, die Erfindungen von Disziplinen, die Zusammen-
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schlüsse von Bürgern, die Komplexe von Gebäuden und vielerlei andere Dinge, die die Größe und Exzellenz des Menschen ausmachen und den Menschen wirklich zum unbesiegten Herrscher über die anderen Arten machen? All dies geht, wenn du es aufmerksam betrachtest, nicht so sehr auf den In* tellekt zurück als auf die Hand, das Organ der Organe. SEBASTO: Was wirst du von den Affen und Bären sagen, die, wenn du nicht sagen willst, daß sie Hände haben, jedenfalls kein schlechteres Instrument als die Hand haben? ONORIO: Sie verfügen nicht über den Körperbau, der eines solchen Talentes fähig sein könnte, weil die universale Intelligenz in ähnlichen und vielen anderen Tieren aufgrund der Grobheit und Glitschigkeit der stofflichen Zusammensetzung nicht solch eine Empfindungskraft in solchen Geistern eindrücken kann; aber der angestellte Vergleich muß bezüglich der Art geistreicherer Tiere verstanden werden. SEBASTo: Hat der Papagei nicht ein Organ, das geeignet ist, alle möglichen Stimmen zu artikulieren? Warum kann er dann nur mit solcher Mühe so wenig sagen, ohne darüber hinaus zu verstehen, was man sagt? oNoRro: Weil er keine Lern- und Behaltensfähigkeit hat, die der des Menschen vergleichbar und ähnlich ist, sondern genau die, die seiner Art entspricht, aufgrund derer er nicht nötig hat, daß andere ihn lehren zu fliegen, Futter zu suchen, Nahrung von Gift zu unterscheiden, sich fortzupflanzen, ein Nest zu bauen, die Wohnstätte zu wechseln und sich vor den Unbilden des Wetters zu schützen und allen Erfordernissen des Lebens gerecht zu werden, nicht schlechter und manchmal auch leichter und besser als der Mensch. SEBASTo: Das beruht, wie die Gelehrten sagen, nicht auf Verstand oder Überlegung, sondern auf natürlichem Instinkt. oNoRro: Laßt euch von diesen Gelehrten sagen: ist solch natürlicher Instinkt Sinn oder Verstand? Wenn es Sinn ist, ist es innerer oder äußerer? Da er nun offensichtlich nicht äußerlich ist, sollen sie sagen, nach welchem inneren Sinn sie Voraussicht, Kunstfertigkeit, Umsicht und Fähigkeit zur Ausfüh-
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rung nicht nur bezüglich gegenwärtiger, sondern auch zukünftiger Angelegenheiten besser als der Mensch haben. SEBASTO: Sie werden von der nicht irrenden Intelligenz geführt. ONORIO: Diese, wenn sie nächstes und natürliches Prinzip ist, das auf die nächste und individuelle Handlung angewendet werden muß, kann nicht universell und äußerlich sein, sondern besonders und innerlich und folglich Potenz der Seele und Steuermann derselben. SEBASTO: So glaubt ihr nicht, daß es die universelle Intelligenz ist, die bewegt? ONORIO: Ich sage, daß die ausführende universelle Intelligenz eine für alle und die ist, die bewegt und verstehen läßt, aber darüber hinaus in allen die partikuläre Intelligenz ist, in der sie bewegt und erleuchtet werden und verstehen, und diese wird nach Anzahl der Menschen vervielfältigt. Wie die Fähigkeit zu sehen nach der Zahl der Augen vervielfältigt wird, dabei aber im allgemeinen von einem Feuer, von einem Licht, von einer Sonne bewegt und erleuchtet wird, so wird die Fähigkeit zu verstehen nach der Zahl der über eine Seele verfugenden Subjekte vervielfältigt, über denen allen eine Verstandessonne scheint. So ist also über allen Tieren ein sensus agens, der alle fühlen läßt und auf Grund dessen alle in Wirklichkeit fühlen, und ein intellectus agens, der alle verstehen läßt und auf Grund dessen alle in Wirklichkeit verstehen, und daneben gibt es so viele Sinne und so viele einzelne aktive oder mögliche Intellekte, wie es Subjekte, gibt und so viele spezielle und zahlreiche Grade des Erscheinungsbildes, wie es spezielle und zahlreiche Figuren und Komplexionen der Körper gibt. SEBASTO: Sagt, was euch gefällt und versteht es, wie ihr wollt; aber ich möchte dies in den Tieren nicht vernünftigen Instinkt, Intellekt nennen. ONORIO: Wenn du es nun nicht Sinn nennen willst, ist es nötig, daß du in den Tieren außer der Sinnes- und Verstandespotenz eine andere Verstehenspotenz annimmst.
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SEBASTo: Ich werde sagen, daß es eine Auswirkung der inneren Sinne ist. ONORIO: Wir können auch sagen, eine solche Auswirkung sei der menschliche Intellekt, über den der Mensch natürlich verfügt, und es steht uns frei, ihn zu nennen, wie wir möchten, und die Definitionen und Namen unsererseits zu beschränken, wie es Averroes tat. Und es steht mir auch frei, zu sagen, daß euer Verstehen kein Verstehen ist, und von jeglicher Sache, die ihr macht, zu denken, daß sie vom Instinkt und nicht vom Intellekt herrühre, weil Handlungen anderer Tiere, die würdiger sind als die euren (wie die der Bienen oder Ameisen), nicht den Namen Intellekt tragen, sondern den Namen Instinkt. Oder ich werde gar sagen, daß der Instinkt dieser Tierchen würdiger ist als euer Intellekt. SEBASTo: Verzichten wir für den Moment darauf, hierüber ausführlicher zu sprechen und kehren wir zu uns zurück! Willst du also sagen, daß man so, wie man aus dem gleichen Wachs oder anderer Materie verschiedene und gegensätzliche Figuren formt, aus der gleichen Körpermaterie alle Körper formt, und alle Geister aus der gleichen Geistessubstanz sind? ONORIO: Genau dies und füge hinzu, daß durch verschiedene Ordnungen, Gewohnheiten, Anordnungen, Maße und Anzahl der Körper und des Geistes verschiedene Temperamente und Komplexionen bestehen, verschiedene Organe entstehen und verschiedene Arten von Dingen erscheinen. SEBASTo: Mir scheint, daß von dieser Meinung das prophetische Dogma nicht weit entfernt ist noch gar davon abweicht, welches sagt, daß sich alles in der Hand des universellen Werkmeisters befinde, wie ein und dieselbe Tonmasse in der Hand ein und desselben Töpfers, weswegen auf der Scheibe des Umlaufs der Gestirne gemäß dem Wechselspiel des Entstehens und Vergehens der Dinge, einmal ein würdiges Gefäß, einmal ein schmähliches aus demselben Klumpen gemacht und wieder zerstört wird. ONORIO: So haben es viele der weisesten Rabbiner verstanden und erklärt. So scheint es derjenige verstanden zu haben,
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der sagt: »Deine Gerechtigkeit ragt hoch wie die ewigen Berge, * Du, Herr, rettest Menschen und Tiere.« So wird es klar in der Verwandlung von Nebukadnezzar. Danach hatten einige Sadduzäer den Verdacht, daß der Täufer Elias sei, nicht wegen des gleichen Körpers, sondern als gleicher Geist in anderem Körper. In dieser Art der Wiederauferstehung versprechen sich einige die Ausführung der göttlichen Gerechtigkeit nach Affekten und Handlungen, die sie in einem anderen Körper ausgeführt haben. SEBASTO: Bitte, sprechen wir nicht mehr davon, weil mir eure Meinung zu gefallen beginnt und mir mehr als wahr zu sein scheint; und ich möchte jenen Glauben beibehalten, der mir von meinen Vorfahren und Lehrern beigebracht wurde. So sprecht lieber von historischen oder märchenhaften oder metaphorischen Ereignissen und laßt die Beweise und Autoritäten, die, wie ich glaube, mehr von euch als von anderen verzerrt sind. ONORIO: Du hast guten Grund dazu, mein Bruder, und es ist besser, daß ich vollende, was dir zu sagen ich begonnen hatte, wenn du nicht befürchtest, daß damit dein Verstand verdreht werde und dein verängstigtes Gewissen gestört werde. SEBASTo: Nein, nein, sicher nicht; dies höre ich lieber, als ich jemals irgendeine Geschichte gehört haben kann. oNORIO: Wenn du es also nicht in der Eigenschaft von Lehre und Unterrichtung hören willst, dann höre mir aus Vergnügen zu.
Zweiter Teil des Dialogs SEBASTO: Sind dies nicht Saulino und Coribante, die dort kommen? oNORIO: Es ist höchste Zeit, daß sie kommen. Besser spät als nie, Saulino. coRIBANTE: Si tardus adventus, citior expeditio [Je später die Ankunft, umso schneller die Abfertigung].
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SEBASTO: Durch euer Zuspätkommen habt ihr schöne Darlegungen verpaßt, die ich Onorio gern nochmals vortragen lassen würde. ONORIO: Bitte nicht, ich würde vorziehen, mit unserem Gegenstande fortzufahren. Was das Versäumte anbelangt, kann ich mit ihnen darüber ein andermal bequemer privat sprechen, in diesem Moment möchte ich nicht den Gang meines Berichtes unterbrechen. SAULINo: So sei es denn. Fahrt nur fort. ONORIO: Wie ich nun, wie schon gesagt, als Pegasus in der Himmelsregion weilte, ist es durch Bestimmung des Fatums geschehen, daß ich zur Verwandlung in die niederen Dinge wegen einer bestimmten Zuneigung, die ich dort wie von Nektar trunken entwickelte (was der Platoniker Plotin sehr gut beschreibt) - einmal in einen Philosophen, einmal in einen Dichter, einmal in einen Pedanten gesperrt wurde, wobei ich mein Bild im Himmel zurückließ, zu dessen Sitz ich nach jeder Wanderung zurückkehrte und so das Gedächtnis der Arten, in deren körperlicher Behausung ich gewohnt hatte, dorthin mitbrachte; und dieselben ließ ich wie in einer Bibliothek dort, wenn ich wieder einmal in eine andere irdische Behausung zurückkehren mußte. Von diesen Arten sind die letzten * diejenigen, die ich zur Lebenszeit des Philipp von Mazedonien einzusaugen begonnen habe, nachdem ich, wie man glaubt, aus dem Samen des Nikomachos gezeugt worden war. Nachdem ich ein Schüler Aristarchs, Platons und anderer war, wurde ich mit Unterstützung meines Vaters, der Ratgeber Philipps war, zum Oberlehrer Alexander des Großen befördert, * unter dem ich mich trotz meiner großen Kenntnisse in den humanistischen Wissenschaften, worin ich alle meine Vorgänger übertraf, der Überheblichkeit schuldig machte, mich für einen Naturphilosophen zu halten, wie es denn typisch für die Pedanten ist, immer vorschnell und überheblich zu sein; da das Wissen der Philosophie untergegangen war, Sokrates tot war, Platon verbannt und andere auf andere Arten verschüttet, blieb ich allein als Einäugiger unter den Blinden. Und so war
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es leicht, daß ich nicht nur für einen Rhetoriker, Politiker und Logiker gehalten wurde, sondern auch für einen Philosophen. Indem ich schlecht und einfältig die Ansichten der frühen Philosophen in solch verunstalteter Weise vortrug, daß nicht einmal die Kinder oder unverständigen Alten verstehen oder sprechen würden, wie in meiner Darstellung diese Edelmänner verstanden oder sprachen, da kam mir die Idee, als Reformator dieser Disziplin aufzutreten, von der ich nichts verstand. Ich nannte mich Fürst der Peripatetiker, lehrte im Laubengymnasium zu Athen, wo ich gemäß dem Licht, oder besser: der Finsternis, die in mir herrschte, perverserweise über die Natur der Prinzipien und die Substanz der Dinge nachdachte und lehrte, über die Essenz der Seele schlimmer delirierte als das Delirium selbst, nichts von der Natur der Bewegung im Universum verstehen konnte und so schließlich die natürliche und göttliche Wissenschaft mit mir ihren Tiefpunkt erreichte, wie die Philosophie zu Zeiten der Chaldäer und Pythagoreer im Rad der Geschichte ihren höchsten Punkt erreicht hatte. SEBASTO: Und doch sehen wir dich für lange Zeit von der Welt verehrt, und neben anderen Wunderlichkeiten findet sich ein Araber, der gesagt hat, daß die Natur in deiner Hervorbringung die letzte Anstrengung unternommen hat, um zu zeigen, welch klaren, reinen, hohen und wahrhaftigen Geist sie prägen könne, weswegen man dich gewöhnlich Dämon der * Natur nennt. ONORIO: Es gäbe keine Ignoranten, wenn es keinen Glauben gäbe; und wenn es sie nicht gäbe, gäbe es auch nicht das Wechselspiel der Wissenschaften und Tugenden einerseits, der Tierhaftigkeit und Trägheit andererseits, sowie anderer entgegengesetzter Eindrücke, wie es der Tag und die Nacht, die Inbrunst des Sommers und die Strenge des Winters sind. SEBASTO: Um nun auf das zu sprechen zu kommen, was mit der Seelenkunde zu tun hat - anderes zunächst beiseite lassend - habe ich deine drei Bücher gelesen, in denen du schlimmer als irgendein Stotterer stammelst, wie du leicht an den vielen veschiedenen Meinungen und extravaganten Ab-
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sichten und Fragestellungen erkennen kannst, besonders dort, wo du versuchst, das, was du in diesen leichtfertigen und verworrenen Auslegungen sagen möchtest, zu entwirren und auseinanderzulegen, ohne zu mehr zu gelangen als pedantischen oder peripatetischen Luftblasen. ONORIO: Das ist kein Wunder, Bruder, angesichts der Tatsache, daß es unmöglich ist, meinen Verstand in den Dingen zu erblicken, von denen ich kein Verständnis habe, oder daß man einen roten Faden oder eine Argumentation finde in dem, was ich sage, wenn ich selbst nicht weiß, was ich sagen wollte. Welchen Unterschied seht ihr in denen, die solches versuchen und denen, die die Hörner der Katze und die Beine des Adlers suchen? Gewiß keinen. Um nun dafür zu sorgen, daß es niemand bemerkte und ich meine Reputation als Protosophos * nicht verlor, beschloß ich, daß, wer auch immer mich in meiner Naturphilosophie studierte (in der ich mich höchst unwissend fühlte und es auch war) und dort die unpassendsten und konfusesten Dinge erblickte, wenn er nicht selber etwas Geisteslicht besaß, dies für etwas halten sollte, was nicht meiner tieferen Absicht entsprach, sondern vielmehr dem bißchen, was er seinen Fähigkeiten gemäß von meinem tiefen Sinn oberflächlich verstehen konnte. Weswegen ich dafür sorgte, daß der Brief an Alexander veröffentlicht wurde, in dem ich die veröffentlichten Bücher für nicht veröffentlicht erklärte. * SEBASTo: Womit ihr, wie mir scheint, euer Gewissen erleichtert habt und die vielen Esel Unrecht haben, die sich anheischig machen, sich am Tag des Jüngsten Gerichtes über Euch zu beklagen, als einen, der sie betrogen und verführt, sowie mit sophistischen Konstruktionen vom Weg einer sicheren Wahrheit abgebracht hat, die sie mit anderen Prinzipien und Methoden hätten erlangen können. Hast du ihnen doch beigebracht, daß, wenn du veröffentlicht und nicht veröffentlicht hast, sie, nachdem sie dich gelesen haben, denken müssen, dich nicht gelesen zu haben. Wie du ebenso geschrieben hast, wie du nicht geschrieben hast, dürfen diejenigen, die deine Lehre verbreiten, nicht anders angehört werden als einer,
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der spricht, als spräche er nicht. Und schließlich darf euch nicht mehr vertraut werden als einem, der räsonniert und Urteile fällt über Dinge, die er nie verstanden hat. ONORIO: Genau so ist es, und heute denke ich ganz unschuldig, daß keiner besser verstanden werden darf, als er selbst sich zu verstehen gibt, und wir dürfen diejenigen nicht mit unserem Verstand verfolgen, die unserem Verstand davonlaufen. Mit der Art, in Rätseln oder Metaphern zu sprechen, die einige benutzen, weil sie nicht wollen, daß die Unwissenden sie verstehen, andere, um sich nicht der Verachtung der Menge auszusetzen, wieder andere, weil sie nicht wollen, daß die Margeriten von den Schweinen zertrampelt werden, sind wir an den Punkt gelangt, daß jeder Satyr, Faun, Melancholiker, an zuviel schwarzer Galle Leidender Träume erzählen und Gewäsch ohne Struktur und bar jeglichen Sinnes von sich geben kann und dabei noch den Eindruck erwecken möchte, es handle sich um große Prophetie, um verborgene Mysterien, um höchstgöttliche Geheimnisse, erlesen genug, um Tote aufzuwecken, der Stein der Weisen zu sein oder ähnlicher Unsinn, den man denen vorsetzen kann, die wenig Gehirn haben, um sie so vollends verrückt werden zu lassen, indem sie Zeit, Verstand, Ansehen, sowie Hab und Gut verlieren, wenn sie ihr Leben so erbärmlich und unwürdig verbringen. SEBASTo: Das hat einer meiner Freunde gut verstanden, der sich über einem Buch, ich weiß nicht, ob von irgendeinem enigmatischen Propheten oder von wem sonst, lange Zeit den Kopf zermartert hat, um es schließlich mit graziöser und schöner Leichtigkeit in den Abfalleimer zu werfen, und zwar mit den Worten: »Bruder, du willst nicht verstanden werden und ich will dich nicht verstehen«, und er fügte hinzu, daß er zum Teufel gehen und ihn mit seinen Angelegenheiten in Ruhe lassen solle. ONORIO: Was aber des Mitleids und Lachens würdig ist, ist die Tatsache, daß man sieht, wie Silvio darüber betroffen wird, Hortensio melancholisch, Serafino mager, Cammarato blaß,
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Ambrogio alt, Giorgio verrückt, Reginaldo abstrakt und Bonifazio aufgeblasen und der hochverehrte Don Vielfraß »voll unendlichen und edlen Staunens« in seinem Saal auf und abgeht, wo er fern des rohen und unedlen Volkes wandelt und dabei die Fransen seiner literarischen Toga einmal hierhin einmal dorthin wendet, einmal mit diesem, einmal mit jenem Fuß aufstampft, die Brust erst nach links dann nach rechts wirft, Text und Kommentar unter seiner Achsel, und mit einer Geste, als wolle er den Floh, den er zwischen Daumen und Zeigefinger hält, zu Boden schmettern, die Stirn grüblerisch in Falten gezogen, die Augen mit den Brauen weit aufgerissen, in der Haltung eines von Verwunderung erfüllten Mannes schließlich mit einem schweren und emphatischen Seufzer folgende Sentenz an das Ohr seiner Zuhörer dringen läßt: Huc usque alii philosophi non pervenerunt (Soweit sind andere Philosophen nicht vorgedrungen]. Wenn er sich aber über ein Buch ausläßt, das von irgendeinem Rasenden oder sonstwie Erleuchteten geschrieben wurde, und aus welchem man nicht mehr Sinn als aus einem Pferdegeist pressen kann, dann wird er, um zu zeigen, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen hat, ausrufen: 0 magnum misterium [Oh großes Mysterium]. Sollte sich zufällig ein Buch finden, das ... SEBASTo: Schluß bitte mit diesem Thema, über das wir nur allzu gut Bescheid wissen. Kehren wir lieber zu unserem Gegenstande zurück. CORIBANTE: Ita ita, sodes [Bitte, bitte, ohne weiteres]. Laßt uns verstehen, auf welche Art und Weise ihr das Gedächtnis wiedererlangt habt, das ihr im peripatetischen Suppositum und in anderen hypostatischen Subsistenzen verloren hattet. ONORIO: Ich glaube, Sebasto schon gesagt zu haben, daß ich, wenn ich von Körper zu Körper wanderte, bevor ich mich mit einem anderen bekleidete, immer erst zu meinem idealen Eselsgewand zurückkehrte, das aufgrund seiner Ausstattung mit Flügeln einige nicht Esel nennen wollten, da sie solch ein Tier für schändlich halten, sondern lieber Pegasus nannten, ich also, nachdem ich dort die von mir erlebten Handlungen und
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Schicksale beschrieben hatte, immer wieder eher Mensch als irgend etwas anderes wurde, aufgrund des Privilegs, das ich mir durch Schläue und Maßhaltung verschafft hatte, als ich die Lethe nicht meine Kehle hinablaufen ließ. Außerdem geschah es gemäß der Rechtsprechung jenes himmlischen Platzes, daß ich, den Körpern entstiegen, nie den Weg weiter ging bis zum Plutonischen Reich, um die Elysischen Felder wiederzusehen, sondern in das hohe und hehre Reich Jupiters zurückkehrte. coRIBANTE: Zum Zimmer des geflügelten Vierfüßers. ONORIO: So daß es dem Senat der Götter in jener Zeit sogar gefiel, mir zu erlauben, daß ich mit den anderen Tieren in die Tiefe zog, wobei ich nur das Abbild meiner Tugend oben ließ, wo ich, aufgrund der Gnade und des Wohlgefallens der Götter, von meiner Bibliothek geschmückt und umgeben bin, in die ich nicht nur das Gedächtnis der argumentierenden, sophistischen, scheinbaren, wahrscheinlichen und beweisenden Arten bringe, sondern auch das Vermögen, die Richtigen von den Falschen zu unterscheiden. Und über das hinaus, was ich in verschieden gearteten Körpern durch verschiedene Arten der Disziplinen begriffen habe, besitze ich noch das Kleid und viele andere Wahrheiten, zu denen ohne Vermittlung der Sinne, mit rein intellektuellem Auge der Weg geöffnet wird, und sie entgehen mir auch nicht, wenn ich mich in der Haut und Wand eingeschlossen finde, in der wir durch die Türen der Sinne wie durch allerkleinste Löcher normalerweise ein paar Arten von Wesen betrachten können, wie es andersherum möglich ist, den ganzen Horizont der natürlichen Formen klar und offen zu sehen, wenn wir uns außerhalb des Gefängnisses befinden. SEBASTo: So daß ihr solcherart unterrichtet bleibt, daß ihr mehr als das Kleid der vielen Philosophien, der vielen angeblichen Philosophen, die ihr der Welt vorgestellt habt, erhaltet, indem ihr darüber hinaus den Verstand erlangt, der über diesen Finsternissen und jenem Licht steht, unter denen ihr im Akt oder in der Potenz gelebt, gefühlt und verstanden habt, wenn ihr einmal auf Erden, ein andermal in der Unter-
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welt und noch ein andermal in den himmlischen Räumen wohntet. ONORIO: Und aus diesem Erinnerungsvermögen kann ich besser betrachten und verstehen, was Wahres ist in der Essenz und Substanz der Seele.
Dritter Teil des Dialogs SEBASTo: Lassen wir das für den Moment beiseite und kommen wir lieber dazu, eure Meinung betreffs des Problems zu hören, das gestern zwischen mir und dem hier anwesenden Saulino aufgeworfen wurde, der die Meinung einiger Sekten referierte, die behaupten, daß es bei uns überhaupt keine Wissenschaft gebe. SAULINO: Ich legte zunächst dar, daß wir unter der Vorzüglichkeit der Wahrheit nichts Vorzüglicheres als die Unwissenheit und das Eseltum haben, denn diese sind das Mittel, mit Hilfe dessen Sophia sich mit jener vereint und gemein tut, und es gibt keine Tugend, die das ihr benachbarte Zimmer bewohnen könnte, wenn wir zugestehen, daß der menschliche Intellekt einen gewissen Zugang zur Wahrheit hat, der, wenn nicht durch Wissenschaft und Erkenntnis, notwendigerweise durch Unwissenheit und Eseltum führen muß. coRIBANTE: Nego sequelam [Ich bestreite diese Folgerung]. SAULINo: Die Folgerung liegt auf der Hand und zwar aufgrund der Tatsache, daß es im rationalen Intellekt kein Mittelding zwischen Unwissenheit und Wissen gibt, da nur eines * der beiden sein kann, sind es doch zwei Gegensätze wie Privation und Habitus. coRIBANTE: Quid de assumptione, sive antecedente [Was sagt ihr betreffs Annahme oder Obersatz]? SAULINo: Dies wird, wie ich bereits sagte, von vielen berühmten Philosophen vorausgesetzt. CORIBANTE: Sehr schwach ist das Argument ab humana authoritate [aus menschlicher Autorität].
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SAULINO: Auch solche Behauptungen sind nicht ohne Beweiskraft. SEBASTO: Also, wenn diese Meinung wahr ist, ist sie wahr durch Beweis; der Beweis ist ein wissenschaftlicher Syllogismus; also wird von jenen selbst, die Erkenntnis und Wissen leugnen, die Erkenntnis der Wahrheit und der wissenschaftliche Diskurs vorausgesetzt und folglich werden sie durch ihre eigenen Worte und ihre eigene Absicht widerlegt. Ich füge hinzu, daß, wenn man keinerlei Wahrheit wissen kann, sie selbst nicht wissen, was sie sagen, und sie nicht sicher sein können, ob sie sprechen oder wiehern, ob sie Menschen oder Esel sind. SAULINo: Die Lösung davon könnt ihr euch von dem erwarten, was ich euch gleich hören lassen werde, denn es ist zuerst nötig, die Sache und dann die Art und Weise derselben zu verstehen. CORIBANTE: Gut Modus enim rei rem praesupponat oportet [Denn es ist nötig, daß die Sache vor ihrer Darlegung kommt]. SEBASTO: Laßt uns die Dinge also in der Reihenfolge verstehen, die euch gefällt. SAULINO: Das werde ich tun. Man findet unter den Sekten der Philosophen einige, die üblicherweise Akademiker, genauer aber Skeptiker oder Ephektiker genannt werden, welche an jeder Bestimmung zweifelten, alle Äußerungen ablehnten, nicht wagten, etwas zu bejahen oder zu verneinen, sich aber Forscher, Ergründer und Untersucher der Dinge nannten. SEBASTo: Warum erforschten, ergründeten und untersuchten diese eitlen Bestien aber, ohne Hoffnung irgendetwas finden zu können? Sie gehören wohl zu denen, die sich abmühen ohne Zweck. coRIBANTE: Um jene vulgäre Sentenz Omne agens est propter finem [Alles Tätige ist zu einem Zwecke tätig] Lügen zu strafen. Aber, edepol, mehercle [meiner Treu!], ich gelange zu der Überzeugung, daß so, wie Onorio vom Einfluß des pegaseischen Esels abhängt oder selbst der Pegasus ist, so auch diese Philosophen die Beliden selbst gewesen sind, oder diese ihnen doch zumindest den Kopf beeinflußten.
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SAULINO: Laßt es mich zu Ende bringen. Diese hatten also kein Vertrauen zu dem, was sie sahen, noch zu dem, was sie hörten, da sie die Wahrheit für eine verworrene, unverständliche Spur in der Natur ansahen, für eine aus vielem Verschiedenen bis hin zu Gegensätzen zusammengesetzte Sache und jedes Ding für eine Mischung, nicht aus sich selbst zusammengesetzt, nicht von eigener Natur und Qualität hielten und meinten, daß die Gegenstände sich den erkennenden Potenzen nicht in jener Weise präsentieren, wie sie selbst sind, sondern gemäß der Beziehung, die sie aufgrund ihrer jeweiligen Beschaffenheiten annehmen, die in gewisser Weise von dieser oder jener Materie ausgehend in unseren Sinnen zusammentreffen und neue Formen schaffen. SEBASTO: Oh, wirklich, jene können ohne allzuviel Mühe in kürzester Zeit Philosophen werden und sich als weiser als die anderen erweisen. SAULINO: Jenen folgten die Pyrrhoniker, die ihren Sinnen und ihrem Verstand wesentlich weniger Vertrauen schenkten als die Ephektiker, denn, wo diese glauben, wenigstens etwas verstanden zu haben und Teilhaber eines gewissen Urteilens * zu sein, weil sie immerhin jene Wahrheit kennen, daß nichts verstanden oder bestimmt werden kann, da sprechen jene sich auch ein solches Urteilen ab, wenn sie sagen, daß sie sich noch nicht einmal dessen sicher sein können, daß man nichts bestimmen kann. SEBASTo: Schaut euch den Erfindungsgeist dieser anderen Akademie an, die den Geist und Erfindungsreichtum derjenigen gesehen hat, die leichtfertig und feige Tritte austeilte gegen die anderen Philosophien, um selbst mit noch höherem Schafessinn und durch Hinzufügung von etwas mehr Salz ihrer Fadheit jenen allen, zusammen mit dieser einen, den Todesstoß zu versetzen, indem sie sich zur weisesten von allen aufschwingt, obwohl sich in ihrem Gehirn noch weniger Be- * mühen und Nachdenken gravitätisch die Hand reichen. Treiben wir's noch weiter voran! Was muß ich tun, der ich den Ehrgeiz habe, eine neue Sekte zu gründen und noch weiser als
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alle zu sein, ja weiser sogar als diejenigen, die jenseits von allen stehen? Ich werde hier ein drittes Tabernakel errichten und eine noch gelehrtere Akademie pflanzen, indem ich den Gürtel noch enger schnalle. Aber werde ich die Stimme mit den Ephektikern und den Atem mit den Pyrrhonikern vielleicht gar zu sehr anhalten wollen, so daß ich womöglich den Geist aushauche und sterbe? SAULINO: Was wollt ihr damit sagen? SEBASTO: Diese Feiglinge wollen, um der Mühe zu entgehen, Gründe für die Dinge anzugeben und um nicht ihre eigene Trägheit und den Neid anzuklagen, den sie auf die Erfindungsgabe anderer empfinden, besser erscheinen, und es reicht ihnen nicht, ihre eigene Feigheit zu verbergen; da sie es aber nicht vermögen, die anderen einzuholen, geschweige denn sie zu überholen, noch die Möglichkeit haben, selbst etwas beizutragen, um nicht ihre eitle Vermessenheit offenzulegen, geben sie die Dummheit des eigenen Verstandes, die Grobheit der Sinne und den Mangel an Geist zu, und um die anderen ohne Geisteslicht erscheinen zu lassen, geben sie die Schuld an der eigenen Blindheit der Natur, den Dingen, die sich schlecht darstellen und nicht etwa der mangelhaften Erkenntnis der Dogmatiker, denn, würden sie dies tun, wären sie gezwungen, die Überlegenheit ihrer Erkenntnis im Vergleich zu bewähren, die dann besseren Glauben hervorge* bracht hätte, wenn sie bessere Begriffe in den Seelen jener bereitgelegt hätte, die Genuß daran finden, die Natur zu beobachten. Da sie aber mit weniger Mühe und Geist und noch dazu, ohne ihr Ansehen aufs Spiel zu setzen, für weiser als die anderen gelten wollten, sagten die Ephektiker, daß man nichts bestimmen könne, weil man nichts wisse, weswegen diejenigen, die zu verstehen meinten und nicht nur verneinten, schlimmer delirierten als diejenigen, die nichts verstünden und nicht sprächen. Letztere, später Pyrrhoniker genannt, sagten, um als Urwissende zu gelten, daß man nicht einmal das wissen könne, was die Ephektiker zu wissen vermeinten, daß nämlich nichts gewußt oder bestimmt werden könne. So daß
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die Ephektiker verstanden, daß die anderen, welche zu verstehen meinten, nicht verstanden und die Pyrrhoniker verstanden, daß die Ephektiker nicht verstanden, ob die anderen, die zu verstehen meinten, verstanden oder eben nicht. Was nun als Nutzen für die Weisheit aus all dem folgt, ist, daß die Pyrrhoniker nichts wußten, die Ephektiker nichts wußten und daß die Dogmatiker, die zu wissen glaubten, auch nichts wußten. Und so nimmt die edle Skala der Philosophien immer weiter zu, bis man schließlich beweist, daß den letzten Grad der höchsten Philosophie und vorzüglichsten Betrachtung diejenigen erreicht haben, die nicht nur nicht behaupten noch verneinen, daß sie wissen oder nicht wissen, sondern darüber hinaus nicht einmal verneinen oder behaupten können, so daß schließlich die Esel die göttlichsten Tiere sind und das Eseltum, ihre Schwester, die Begleiterin und Kameradin der Wahrheit ist. SAULINO: Wenn du das, was du ironischerweise und voll Wut sagst, mit ruhigem Gemüt und zustimmend sagtest, würde ich sagen, daß eure Schlußfolgerung exzellent und außerordentlich göttlich ist, und daß du zu dem Ziel gelangt bist, zu dem auch die Dogmatiker und Akademiker rannten, wobei sie aber allesamt weit hinter dir zurückblieben. SEBASTO: Ich bitte euch, da wir nun einmal hierher gelangt sind, laßt mich verstehen, mit welcher Überredungskunst die Akademiker die Möglichkeit besagter Erkenntnis leugnen. SAULINo: Das würde ich lieber Onorio berichten lassen, denn da er die Hypostase so vieler und großer Anatome der Eingeweide der Natur gewesen ist, ist es nicht ausgeschlossen, daß er auch einmal Akademiker war. ONORIO: Ich war sogar jener Xenophanes von Kolophon, der sagte, daß in und von allen Dingen nur Meinungen bestehen. Aber um meine eigenen Gedanken für den Augenblick beiseite zu lassen, sage ich zu dem Thema, daß das Argument der Pyrrhoniker abgegriffen ist, wenn sie sagen, daß zum Erlernen der Wahrheit die Lehre nötig ist, und daß zu ihrer Durchführung einer, der unterrichtet, einer der unterrichtet
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wird und die Sache die unterrichtet werden soll, also der Lehrer, der Schüler und die Kunst nötig sind; aber von den dreien findet sich nichts wirklich; folglich gibt es keine Lehre und kein Erlernen der Wahrheit. SEBASTO: Aus welchem Grund sagen sie, daß es keine Sache gebe, die gelehrt werden könne? ONORIO: Aus dem folgenden. Diese Sache, sagen sie, muß wahr oder falsch sein; wenn sie falsch ist, kann sie nicht unterrichtet werden, denn vom Falschen gibt es weder Lehre noch Wissenschaft, wenn man zugibt, daß dem, was nicht ist, nichts geschehen kann und deshalb auch nicht geschehen kann, daß es gelehrt wird. Wenn sie wahr ist, kann sie erst recht nicht gelehrt werden, denn entweder ist es etwas, das allen gleichermaßen einleuchtet, und dann kann es keine Lehre davon geben und natürlich auch keinen Lehrer, wie auch nicht vom Weißen, daß es weiß sei, vom Pferd, daß es ein Pferd sei und vom Baum, daß es ein Baum sei; oder es ist eine Sache, die jedem ungleichartig und anders erscheint, und so nichts als bloßes Meinen in sich habe, weswegen über sie nichts als eben eine Meinung gebildet werden könne. Außerdem ist zum Lehren und Mitteilen desjenigen, was wahr ist, irgendein Grund oder Mittel notwendig, welche entweder bekannt oder verborgen sein müssen. Wenn sie verborgen sind, können sie nichts mitteilen, wenn sie bekannt sind, dann sind sie es durch Grund und Mittel, und so immer weiter fortschreitend werden wir bemerken, daß man nie zum Anfang des Wissens gelangt, wenn alles Wissen einen Grund hat. Weiter sagen sie, daß unter den seienden Dingen einige körperlich, andere unkörperlich sind, weswegen es nötig ist, daß von den Dingen, die gelehrt werden, einige zur einen Art und andere zur anderen gehören. Nun kann der Körper nicht gelehrt werden, da er nicht dem Urteil der Sinne und nicht dem des Verstandes unterliegt. Ganz sicher nicht dem Urteil der Sinne, da nach allen Sekten und Lehren feststeht, daß der Körper aus vielen Dimensionen, Verhältnissen, Unterschieden und Umständen besteht und nicht nur deswegen kein bestimmtes
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Akzidens ist, weil er weder einem einzelnen Sinn noch ihrer Gesamtheit entspricht, sondern vielmehr eine Zusammensetzung und Ansammlung von unzähligen Eigenschaften und Individuen ist. Und selbst wenn man zugibt, daß der Körper eine den Sinnen zngängliche Sache ist, dann ist er erst recht kein Gegenstand der Lehre, da es nicht erst nötig ist, daß Lehrer und Schüler zusammenkommen, um wissen zu lassen, daß Weiß weiß und Hitze heiß ist. Andererseits kann der Körper auch nicht dem Urteil des Verstandes unterliegen, da es unter allen Dogmatikern und Akademikern ziemlich unbestritten ist, daß der Gegenstand des Verstandes nicht anders als unkörperlich sein kann. Hieraus folgt schließlich, daß es weder einen gibt, der lehrt, noch einen, der belehrt werden kann, da, wie man sieht, dieser nichts zu lernen oder zu begreifen hat, wie jener nichts zu lehren oder zu vermitteln hat. Sie fügen ein anderes Argument hinzu. Wenn es vorkommt, daß man lehrt, dann lehrt entweder einer ohne Lehre einen anderen ohne Lehre, was unmöglich ist, da der eine nicht weniger als der andere nötig hätte, belehrt zu werden; oder ein Wissender lehrt einen Wissenden, was eine Posse wäre, da keiner von beiden Lehrer wäre; oder derjenige, der nichts weiß, belehrt denjenigen, der weiß, was das gleiche wäre, wie wenn ein Blinder einen Sehenden führen wollte. Wenn von diesen Möglichkeiten keine gilt, dann wird übrigbleiben, daß derjenige, der weiß, denjenigen belehrt, der nicht weiß, was eine noch unzutreffendere Art des Vorgaukelns als die anderen ist, da der ohne Wissen nicht zum Wissenden gemacht werden kann, wenn er die Lehre nicht schon besitzt, da doch sonst einer ein Wissender sein könnte, selbst wenn er keiner ist. (Wo dieser doch einem taub oder blind Geborenen gleicht, der nie eine Vorstellung von Tönen oder Farben haben kann. Ich lasse beiseite, was man im Memnon im Beispiel vom entlaufenen Sklaven sagt, der bei seiner Ergreifung nicht erkannt werden kann, wenn er nicht schon zuvor bekannt war, aus welchem Grund sie keine neue Erkenntnis oder Lehre von erkennbaren Sachen für möglich halten, sondern nur ein Erinnern.) Ebenso kann
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er auch nicht zum Wissenden gemacht werden, wenn er schon im Besitz des Wissens ist, denn dann kann man nicht sagen, daß man jemanden zum Wissenden mache, oder jemand zum Wissenden gemacht werden könne, sondern man muß sagen, daß jener schon ein Wissender ist. SEBASTO: Was denkt ihr, Onorio, über diese Argumente? ONORIO: Ich sage, daß es nicht nötig ist, daß wir uns mit der Untersuchung solcher Reden aufhalten; es genügt, wenn ich sage, daß sie gut sind, wie gewisse Kräuter für gewisse Geschmäcker gut sind. SEBASTO: Aber ich möchte von Saulino, der das Eseltum so verherrlicht, wie Wissenschaft und Spekulation, Lehre und Erkenntnis zusammen nicht verherrlicht werden können, wissen, ob das Eseltum in anderen als in den Eseln seinen Sitz haben kann, ob also einer, der kein Esel war, durch Lehre und Erkenntnis Esel werden kann, weil es doch nötig ist, daß dann derjenige, der lehrt oder derjenige, der belehrt wird oder beide oder keiner von beiden Esel sind: ich meine, sind derjenige, der lehrt, oder derjenige, der belehrt wird, oder beide oder keiner von beiden Esel? Denn hier kann man aus dem gleichen Gnmd sehen, daß es unmöglich ist zu verblöden. Folglich kann das Eseltum nicht gelernt werden, ebenso wenig wie die Künste oder die Wissenschaften. ONORIO: Darüber werden wir bei Tisch nach dem Abendessen nachdenken. Gehen wir also, es ist Zeit. coRIBANTE: Propere eamus [Gehen wir gleich]! SAULINo: Auf!
Dritter Dialog
Gesprächsteilnehmer:
Saulino Alvaro
SAULINO: Lang genug habe ich nun das Warten mit Auf und Abgehen verbracht und merke nun, daß die Uhrzeit des Beginns unserer Unterredungen verstrichen ist, ohne daß die anderen gekommen sind. Oh, ich sehe den Diener von Sebasto. ALVARO: Guten Tag, Saulino. Ich komme im Auftrag meines Herrn, um Sie davon zu unterrichten, daß ihr für mindestens eine Woche nicht zusammenkommen könnt. Ihm ist die Frau gestorben, und nun muß er das Testament vollstrecken lassen, um sich auch der letzten Sorge noch zu entledigen. Coribante hat die Gicht, und Onorio ist in die Bäder gegangen. Auf Wiedersehen. SAULINo: Geh in Frieden. Ich glaube, die Gelegenheit, über die Kabbala besagten Pferdes weitere Überlegungen anzustellen, ist vorbei, denn es scheint mir, die Ordnung des Universums will, daß so wie sich dies göttliche Pferd in der himmlischen Region nur bis zum Nabel zeigt (wobei darüber gestritten wird, ob der letzte Stern zum Kopf der Andromeda oder zum Rumpf dieses vorzüglichen Tieres gehört), es analog diesem beschriebenen Pferd passiert, daß es nicht vollendet werden kann: So ändert Fortuna ihre Gunst. Aber wir müssen darüber nicht verzweifeln; denn, wenn jene sich noch einmal vereinigen sollten, werde ich sie alle drei in der Konklave einsperren und sie nicht eher entlassen, als bis sie die Schaffung einer Großen Kabbala des Pegasus geliefert haben. Interim, [inzwischen] sollen diese zwei Dialoge als eine kleine, vorbereitende, propädeutische, mikrokosmische Kab-
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bala gelten, und um die mir zum Spazierengehen in diesem Hofe übrigbleibende Zeit nicht müßig zu vertun, werde ich diesen Dialog lesen, den ich in Händen halte. Ende des dritten Dialoges und der pegaseischen Kabbala.
An den kyllenischen Esel
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An den kyllenischen Esel Glücklich sind der Bauch und der Busen, Die dich zur Welt brachten und dort Milch dir gaben, Göttliches Untier, der Welt lieb, Das du nun hier wohnst und unter den Sternen. Nie wieder sollen dich Stock und Sattel drücken, Gegen der Welt Undank und der Himmel Geiz Sollen Schicksal und Natur dich schützen Mit glücklichem Geist und dicker Haut. Zeig deinen Kopf gut natürlich, Wie die Nüstern das unbestechliche Urteil, Die langen Ohren ein königliches Gehör; Die vollen Lippen, die Umgangsformen gereichen dir zum Dein Glied erweckt den Neid der Götter; [Vorteil, Dein Nacken zeugt von der Beharrlichkeit, die ich lobe. Nur wenn ich dich lobe, komme ich auf mein Teil: Aber weh, deine Beschaffenheit verlangt kein Sonett sondern tausend Lobesreden.
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Der kyllenische Esel des Nolaners Gesprächsteilnehmer:
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Der Esel Micco Pythagoras Mercurio
Nun, warum soll ich, Blitze schleudernder Zeus, dein hohes, seltenes und außergewöhnliches Geschenk mißachten? Warum soll ich solch Talent, das du, der du mich mit so besonderem Blick bedacht hast (auf die Weisung des Schicksals hin), mir verliehen hast, unter der schwarzen und finsteren Erde eines undankbaren Schweigens begraben? Werde ich noch länger dem Drängen standhalten können, dein herausragendes Dröhnen aus meinem Mund erschallen zu lassen, das deine Großzügigkeit in diesem durcheinandergeratenen Jahrhundert im Inneren meines Geistes gesät hat, damit es nach außen dringe? Es öffne sich also endlich mit dem Schlüssel der Gelegenheit der Eselsgaumen, es löse sich durch die Geschicklichkeit desselben die Zunge, gepflückt werden sollen mit der Hand der Aufmerksamkeit, ausgerichtet durch den Arm der Absicht, die Früchte der Bäume und die Blüten der Kräuter, die im Garten des Eselsgedächtnisses wachsen. M1cco: Oh, welch außergewöhnliches Ereignis, welch herausragendes Wunder, welch unglaubliches Geschehen, welch wunderbares Begebnis. Mögen die Götter Unheil abwenden! Es spricht der Esel? Der Esel spricht? Oh Musen, oh Apollo, oh Herkules, aus solchem Kopf kommen artikulierte Stimmen hervor? Schweig, Micco, du magst dich täuschen; vielleicht hat sich unter dieser Haut ein Mann versteckt, um sich über uns lustig zu machen. ESEL: Glaub es nur, Micco, daß ich kein sophistischer, sondern ein ganz natürlicher Esel bin, der spricht; und genauso erinnere ich mich, andere Male menschliche Glieder gehabt zu haben, wie du mich jetzt mit Eselsgliedern ausgestattet siehst. Micco: Gleich (oh leibhaftiger Dämon) werde ich dich fragen, wer, was und wie du seist. Im Moment und als erstes ESEL:
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möchte ich wissen: Was willst du hier? Welchen Gruß richtest du uns aus? Welchen Befehl überbringst du von den Göttern? Worin wird diese Szene münden? Zu welchem Zweck hast du die Füße ausgerechnet in diesen unseren Laubengang gelenkt, um dich stimmbegabt zu zeigen? ESEL: Zuerst will ich, daß du weißt, daß ich versuche, Mitglied irgendeiner Schule oder Akademie zu werden und mich Doktor zu nennen, damit meine Befähigung beglaubigt werde, zu dem Zweck, daß nicht mit weniger Glauben meine Ideen beachtet, meine Worte abgewägt und meine Lehren geschätzt werden, als ... M1cco: Oh Jupiter, ist es möglich, daß du ab aeterno [seit Beginn der Zeit] jemals ein ähnliches Ereignis oder Begebnis, einen diesem ähnlichen Fall verzeichnet hast? ESEL: Laß für den Moment die Verwunderung und antwortet mir sogleich, du oder einer von den anderen, die baßerstaunt zusammenlaufen, um mich anzuhören. Oh Toga, Ring und Kopfbedeckung tragende Didaskaliker, Archididaskaliker, * Helden und Halbgötter der Weisheit, wollt ihr, gefällt es euch, liegt es euch am Herzen, in eurer Vereinigung, eurer Gesellschaft, eurem Bund und unter Banner und Zeichen eurer Gemeinschaft diesen Esel, den ihr hört und seht, aufzunehmen? Warum wundern sich die einen von euch lachenderweise, während die anderen verwundert lachen und die meisten sich baßerstaunt auf die Lippen beißen, statt mir zu antworten? Micco: Siehst du nicht, daß sie vor Staunen nicht reden und alle, mir zugewandt, Zeichen machen, daß ich antworten soll, da es mir als Präsidenten, von welchem du stellvertretend für alle, die Mitteilung erwarten darfst, obliegt, dir die Entscheidung zu verkünden? ESEL: Was ist dies für eine Akademie, die über der Tür geschrieben hat Lineam ne pertransito [Nicht über diese Linie]? Micco: Es handelt sich um eine pythagoreische Schule. ESEL: Wird man dort eintreten können? Micco: Als Akademiker nicht ohne eine Vielzahl schwieriger Bedingungen.
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Welches wären nun diese Bedingungen? Mrcco: Es sind etliche. ESEL: Ich fragte welche, nicht wie viele? Mrcco: Ich werde dir am besten antworten, indem ich dir die wichtigsten vortrage. Erstens, daß, wenn einer sich vorstellt, um empfangen zu werden, bevor er eingelassen wird, die Veranlagung von Körper, Physiognomie und Geist ausgemessen wird, wegen der großen Einwirkung, die, wie wir wissen, der Körper von der Seele empfängt und auf die Seele ausübt. ESEL: Ab love principium Musae [Von Jupiter stammen die * Musen], wenn es ihn gelüstet, sich zu vermählen. Mrcco: Zweitens, einmal zugelassen, wird ihm ein Zeitraum auferlegt (nicht weniger als zwei Jahre), während dessen er schweigen muß und es ihm nicht erlaubt ist, betreffs irgendeines Punktes, den er nicht verstanden hat, Fragen zu stellen, geschweige denn zu disputieren oder Gegenstände zu erläutern, und in dieser Zeit wird er Acustico [Hörer] genannt. Drittens, nach Ablauf dieser Zeit ist es ihm erlaubt, zu sprechen, zu fragen, das Gehörte aufzuschreiben und seine eigenen Meinungen darzulegen, und in dieser Zeit wird er Mathematiker oder Chaldäer genannt. Viertens, von derlei Dingen unterrichtet und mit solchen Studien geschmückt, wendet er sich der Betrachtung der Werke der Welt und den Prinzipien der Natur zu, und hier hält er den Schritt an und nennt sich Physiker. ESEL: Weiter kommt er nicht? Mrcco: Mehr als ein Physiker kann nicht existieren, denn von den übernatürlichen Dingen kann man keinen Begriff haben, außer insofern als sie in den natürlichen Dingen erscheinen, so daß es keinem anderen Intellekt als dem gereinigten * und höheren möglich ist, sie in sich zu betrachten. ESEL: Findet sich bei euch keine Metaphysik? Mrcco: Nein, und was die anderen als Metaphysik preisen, * ist nichts anderes als ein Teil der Logik. Aber lassen wir das, denn es gehört nicht hierher. Solcherart sind also die Bedingungen und Regeln unserer Akademie. ESEL:
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Das sind alle? Mrcco: Ja, mein Herr. ESEL: Oh ehrwürdige Schule, hehre Studien, wohlgestalte Sekte, verehrte Lehranstalt, hohes Gymnasium, unbesiegte Streitrede und wichtigste aller wichtigen Akademien! Der irrende Esel, als durstiger Hirsch, wendet sich an euch wie an wunderbar klare und erfrischende Gewässer, an euch, gutmütigste Empfänger von Pilgern, wendet sich der Esel untertänig und flehentlich mit dem innigen Wunsch, in eure Gesellschaft aufgenommen zu werden. Mrcco: In unsere Gesellschaft, he? ESEL: Ja, ja Herr, in eure Gesellschaft. Mrcco: Geh durch jene Tür dort hinaus, mein Herr, diese hier ist den Eseln verboten. ESEL: Sag mir, Bruder, durch welche Tür bist du eingetreten? Mrcco: Mag der Himmel auch machen können, daß die Esel sprechen, so doch nicht, daß sie in die pythagoreische Schule eintreten. ESEL: Sei nicht so stolz, oh Micco, und erinnere dich daran, daß dein Pythagoras lehrt, nichts gering zu achten, was sich am Busen der Natur befindet. Obwohl ich mich zur Zeit in der Gestalt eines Esels befinde, kann ich doch ein großer Mann gewesen sein oder bald werden, und obwohl du ein Mensch bist, kannst du ein großer Esel gewesen sein oder es werden, je nach dem, wie es demjenigen gefällt, der die Kleider ausgibt und die Plätze anweist und über die wandernden Seelen verfügt. Mrcco: Sag mir, Bruder, hast du die Bestimmungen und Bedingungen der Akademie verstanden? ESEL: Sogar sehr gut. Mrcco: Hast du etwas zur Verteidigung vorzubringen, falls dir aufgrund irgendeines Mangels der Eintritt verwehrt werden sollte? ESEL: Recht viel, denke ich. Mrcco: Laßt also hören. ESEL:
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Die Bedingung, die mich am meisten zweifeln ließ, ist die erste. Es ist zwar wahr, daß ich nicht jenes Wesen, jenes weiche Fleisch, jene zarte, reine und vornehme Haut habe, die * nach den Physiognomisten besonders geeignet ist für die Aufnahme der Lehre, da die Härte jener selben die Behendigkeit des Intellekts abstößt. Von dieser Bedingung, meine ich allerdings, sollte der Vorsteher absehen, weil nicht einer draußen bleiben darf, wenn viele andere Eigentümlichkeiten diesen Mangel ausgleichen, wie die Offenheit der Sitten, die Schlagfertigkeit des Geistes, das Vermögen der Intelligenz und andere Bedingungen, die Gefährtinnen, Schwestern und Töchter derselben sind. Ich lasse beiseite, daß man nicht einfach davon ausgehen kann, daß die Seelen der Beschaffenheit des Körpers folgen, es vielmehr sein kann, daß ein mächtigeres geistiges Prinzip das Hindernis der Fettheit überwinden und andere Unpäßlichkeiten des Körpers besiegen kann. Diesbezüglich führe ich das Beispiel des Sokrates an, der von dem Physiognom Zopiro als aufgedunsen, dumm, töricht, verweiblicht, verliebt in Jünglinge und sprunghaft verurteilt wird, was alles von dem Philosophen zugegeben wird, wodurch aber nicht etwa jene Neigungen einfach festgeschrieben würden, ist es doch vielmehr so, daß sie durch das beständige Studium der Philosophie gemäßigt werden, die ihm das Steuer fest in die Hand gegeben hat, um dem Ansturm der Wellen der natürlichen Indisposition zu trotzen, da doch nichts besteht, was durch das Studium nicht überwunden werden könnte. Was nun die andere Hauptsache der Physiognomie anbetrifft, die nicht in der Komplexion der Temperamente, sondern in der harmonischen Proportion der Glieder besteht, mache ich euch darauf aufmerksam, daß es nicht möglich ist, in mir irgendeinen Fehler zu finden, wenn man nur gut urteilt. Ihr wißt, daß das Schwein kein schönes Pferd sein muß, noch der Esel ein schöner Mensch, sondern der Esel ein schöner Esel, das Schwein ein schönes Schwein und der Mensch ein schöner Mensch. So daß, wenn, um diese Überlegung weiterzuführen, das Pferd dem Schwein nicht schön erscheint, noch das ESEL:
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Schwein dem Pferd schön erscheint, wenn dem Menschen der Esel nicht schön erscheint, und der Mensch sich nicht in den Esel verliebt, noch andersherum dem Esel der Mensch schön erscheint, und er sich nicht in den Menschen verliebt, es dann doch so ist, will man dieser Regel folgen und die Dinge mit dem Verstand untersuchen und abwägen, daß der eine dem anderen, von den eigenen Vorlieben absehend, zugestehen wird, daß die Schönheiten unterschiedlich sind, gemäß den verschiedenen Möglichkeiten der Proportionen, und nichts wirklich und vollkommen schön ist, außer dem, was die Schönheit selbst ist oder das, was essentiell schön ist und es nicht nur durch Teilhabe ist. Ich lasse beiseite, daß selbst in der menschlichen Spezies das, was man vom Fleisch behauptet, respectu habito ad [im Bezug au~ fünfundzwanzig zu berücksichtigende Umstände und Eigentümlichkeiten verstanden werden muß, weil sonst die physikonomische Regel des weichen Fleisches * falsch ist, da doch die Kinder nicht eher zur Wissenschaft geeignet sind als die Erwachsenen, noch die Frauen besser als die Männer, außer man verstünde unter größerer Eignung die Möglichkeit, die weiter entfernt von der Wirklichkeit ist. Micco: Bisher zeigt jener, daß er recht viel weiß. Fahr fort, Meister Esel, und stärke nur deine Gründe, wie es dir gefällt, denn In den Wellen pflügst du und im Sand säest du, Und flüchtige Winde hoffst du im Netz zu fangen, Und die Hoffnung setzt du in Frauenherzen * wenn du hoffst, daß dir von den akademischen Herren dieser oder einer anderen Sekte der Eintritt gestattet werden könnte oder sollte; wenn du aber weise bist, gib dich damit zufrieden, mit deiner Lehre allein zu bleiben. * ESEL: Oh Unsinnige, glaubt ihr, daß ich euch meine Gründe nenne, um sie mir von euch für gültig erklären zu lassen? Glaubt ihr, ich hätte dies zu anderem Zweck getan, als um euch vor Jupiter anzuklagen und unentschuldbar zu machen? Hat Jupiter mich nicht gelehrt gemacht, so doch zum Lehrer. Ich wartete nur darauf, daß von der schönen Urteilskraft Eu-
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rer Zulänglichkeit dieses Urteil ausgespuckt werde: »Es ziemt sich nicht, daß die Esel mit uns Menschen in die Akademie eintreten.« Dies, wenn es auch ein Gelehrter irgendeiner anderen Sekte sagen kann, so kann es doch vernünftigerweise nicht von euch Pythagoreern gesagt werden, die ihr, indem ihr mir so den Eintritt verwehrt, zugleich die Prinzipien, Fundamente und Körper eurer Philosophie zerstört. Welchen Unterschied findet ihr nun zwischen uns Eseln und euch Menschen, wenn ihr die Dinge nicht nach Oberfläche, Aussehen und Erscheinung beurteilt? Darüberhinaus verkündet ihr unangemessene Urteile: Wie viele von euch irren in der Akademie der Esel umher? Wie viele lernen in der Akademie der Esel? Wie viele ziehen Nutzen aus der Akademie der Esel? Wie viele ließen sich aufnehmen von der Akademie der Esel und verfaulen und sterben dort? Wie viele werden ausgewählt, erhoben, verherrlicht, kanonisiert, glorifiziert und vergöttlicht in der Akademie der Esel, aus denen, wenn sie keine Esel gewesen wären und immer noch wären, ich weiß nicht was geworden wäre? Gibt es nicht so viele hochverehrte und leuchtende Studien, wo man in der Vereselung Lektionen erteilt, um nicht nur das Gut des zeitlichen Lebens sondern noch dazu das des ewigen Lebens zu erlangen? Sagt, in wie viele Fakultäten und Ehren tritt man durch die Tür des Eseltums? Sagt, wie viele werden behindert, ausgeschlossen, zurückgewiesen und der Schande anheimgegeben, weil sie nicht an der eseligen Fähigkeit und Perfektion teilhaben? Warum soll es also nicht gestattet sein, daß einige Esel, oder wenigstens ein Esel, in die Akademie der Menschen eintrete? Warum sollte ich nicht zugelassen werden, wo ich doch die meisten Stimmen für mich habe in jedweder Akademie, da doch, wenn nicht alle, so doch die allermeisten in der unsrigen Akademie eingeschrieben und in Stein gehauen sind? Wenn wir also so offen und bereit zur Aufnahme aller sind, warum solltet ihr so zögerlich sein, wenn es darum geht, wenigstens einen von uns aufzunehmen? Mrcco: Größere Schwierigkeiten macht man in würdigeren und wichtigeren Sachen, und nicht so viel Umstände macht
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man und nicht so genau sieht man hin bei Dingen geringer Tragweite. Deshalb werden ohne Zögern oder große Gewissenhaftigkeit in die Akademie der Esel alle aufgenommen, ohne daß es so auch für die Akademie der Menschen sein müßte. ESEL: Aber, oh Meister, sag mir doch und löse mir dies auf: welche der beiden Dinge ist würdiger, daß ein Mensch zum Esel oder ein Esel zum Menschen wird? Aber hier kommt tatsächlich mein Merkur, ich erkenne ihn an Stab und Flügeln. Willkommen sei der treffliche fußbeflügelte Bote Jupiters, treu- * er Übersetzer des Willens aller Götter, großzügiger Spender der Wissenschaften, Patron der Künste, beständiges Orakel der Mathematiker, bewundernswerter Rechner, eleganter Redner, schönes Antlitz, anmutige Erscheinung, wohlgestalter Anblick, liebenswürdige Person, Mensch unter Menschen, unter den Frauen Frau, unter den Glücklichen Gücklicher, unter den Elenden Elender, unter Allen Alles, der du mit denen genießt, die genießen, mit denen weinst, die weinen; wo du aber auch gehst und stehst, bist du gern gesehen und wirst du gern aufgenommen. Was bringst du Gutes? MERKUR: Warum, Esel, rechnest du darauf, dich Akademiker zu nennen und es zu sein. Ich, der ich dir andere Gaben und Reize schenkte, gegenwärtig noch mit voller Autorität ausgestattet, ich ernenne und erkläre dich zum und bestätige dich als umfassenden Akademiker und Dogmatiker, auf daß du überall eintreten und wohnen mögest, ohne daß irgendeiner dir die Tür zuhalten oder sonst eine Art Hindernis bereiten oder Beleidigung zufügen könnte, quibuscumque in oppositum non obstantibus [ohne daß sich irgendeiner dagegen auflehnen könnte]. Tritt also ein, wo es dir gefällt! Noch wollen wir, daß du zu dem zweijährigen Schweigegelübde gezwungen sein sollst, das sich in den Regeln der Pythagoreer findet, noch zu sonst einem der üblichen Gesetze, denn nobis intervenientibus causis, novae condendae sunt Leges, proque ipsis condita non intelliguntur iura: interimque ad optimi iudicium iudicis referenda est sententia, cuius intersit iuxta necessarium atque commodum providere [wenn neue Gründe
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auftreten, müssen neue Gesetze gemacht werden, womit nicht Gesetze zum Vorteil derselben gemeint sind: denn in der Zwischenzeit muß der Urteilsspruch dem Urteil eines hervorragenden Richters vorgelegt werden, der gemäß dem Nötigen und Nützlichen vorgehen möge.] Sprich also unter den Akustikern; wäge ab und betrachte unter den Mathematikern; diskutiere, frage, lehre, erkläre und bestimme unter den Physikern; treffe dich mit allen, spreche mit allen, verbrüdere, vereinige und identifiziere dich mit allen, beherrsche alle, sei alles. ESEL: Habt ihr das verstanden? Mrcco: Wir sind nicht taub. ENDE
ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS
Don Sapatino wurde identifiziert als einfacher Geistlicher, Casamarciano war nie Bischofssitz. »Kabbala« ist hier in Anlehnung an die Definition, die Raimundus Lullus in seinem Werk De auditu cabbalistico gibt, verstanden als »receptio veritatis cuius libet rei revelatae animae rationali« (Empfängnis der Wahrheit jedweden Dings, das der rationalen Seele offenbart wird). Bei dem Pegasus des Textes handelt es sich um einen Esel, und zwar den kyllenischen oder merkurischen Esel aus dem zweiten Teil des Buches, s. dort [Anm. zu 63,1]. In De imaginum compositione, das 1591 kurz vor seiner Rückkehr nach Italien entstanden ist, distanziert Bruno sich von dem Buch, da es weder dem Volk noch den Gelehrten gefallen habe (Opere Latine Conscripta, Faksimile-Neudruck der Ausgabe von Fiorentino, Tocco u.a., Neapel und Florenz 1879-1891 II, III, 237 f.), und während des lnquisitionsprozesses in Venedig sagt er, daß er darin zu sehr als Philosoph und zu wenig als guter Christ gesprochen habe. Das Werk wird im Prozeß jedoch nicht erwähnt, war den Richtern also unbekannt, vgl. A. Mercati, Il sommario del processo di Giordano Bruno, con appendice di documenti sull'eresia e l'inquisizione a Modena nel secolo XVI, Vatikan-Stadt 1942 und L. Firpo, Il processo di Giordano Bruno, Roma 1993. 3,32 Hier handelt es sich um eine Anspielung auf die Auseinandersetzung innerhalb des Christentums, ob die Bibel wörtlich oder, wie Origenes es tat, allegorisch zu verstehen sei. 4,1 Diese wie die folgende Antwort enthält einen sexuellen Doppelsinn. 4,11 Der Pedant spielt in den Texten Brunos eine herausragende Rolle als Vertreter des scholastischen Wissens- und Erkenntnisbegriffs, der laut Bruno für den Niedergang der Kultur verantwortlich ist. Dieser Topos seiner Zeit (u.a. von Montaigne verwendet) wird von Bruno zu einem gnoseologischen Muster entwickelt, dem für ihn auch Aristoteles und die Reformatoren entsprechen. Siehe hierzu M. Ciliberto, La ruota del tempo, Rom 1986. 4,14 Cicero. 6,33 Die Interpretation des Mythos von Aktaion und Diana in 3,6
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Anmerkungen des Herausgebers
dem zur gleichen Zeit wie die Kabbala entstandenen Dialog Eroici furori gehört zu den hervorragendsten Leistungen Brunos. Aktaion bildet das positive Gegenstück zu den Eseln der Kabbala, indem in seinem Schicksal das hier nur kurz erwähnte Streben nach Wahrheit mittels Erkenntnis (S. 32,25-30) ausführlich dargestellt wird. S. a. die Einleitung von Ferdinand Fellmann zur deutschen Ausgabe Von den Heroischen Leidenschaften, übers. v. Christiane Bacmeister, Hamburg: 1989 (Philosophische Bibliothek; Bd. 398). 7,10 Archimedes erscheint hier mit einem Seitenhieb auf die Alchemie als Erfinder einer auf dem Einflößen von Quecksilber beruhenden Himmelsmechanik. 7,18 Titel von Brunos Werken: De umbris idearum (1582), Explicatio triginta sigillorum (1583), beide in: Opera latine II. Spaccio della bestia trionfante (Dialoghi italiani, S. 547ff.), das 1584 erschienene Werk über die Himmelsreform, die in der Kabbala vollendet wird. Die Arca di Noe ist ein frühes Werk Brunos, das nicht erhalten ist. 8,5 Zwei Wortschöpfungen Brunos aus dem Griechischen mit der Bedeutung »Gründer einer Akademie«. 8,12 Ausdrücke aus der Kirchensprache. Bei der Wahlberechtigung in der Konklave unterschied man zwischen aktiver und passiver Stimme. 8,13 Duns Scotus, Alexander von Haies und Raimundus Lullus. 11,34 Bruno erweckt hier den Anschein, sich von der auf Apuleius' Goldenen Esel zurückgehenden Tradition des ironisch-satirischen Eselslobes abheben zu wollen, die in der Renaissance bei Machiavelli, Doni und Folengo zu ihrer Blüte gelangte und auch Erasmus das Muster zu seinem Lob der Torheit (1515) lieferte. Bruno gibt vor, die Einfachheit des Esels wirklich loben zu wollen, wie dies Agrippa von Nettesheim in seinem skeptisch-antirationalistischen Lob des Esels (1530) getan hat. Tatsächlich geht Brunos Religionskritik weit über die seiner Vorgänger hinaus, und er macht sich über die religiösskeptische Ablehnung der Wissenschaft eines Agrippa lustig, indem er dessen Methode der Ironisierung persifliert. Durch diese doppelte Brechung wird der Text allerdings sehr ambivalent und erst im Kontext des gesamten Werkes verständlich; die Deklamation könnte für sich betrachtet ein ernstgemeintes Lob des Esels darstellen, was viele Interpreten zu irrigen Schlüssen über die Kabbala verleitet hat [Anm. zu 25,25 und 32,8]. Diese Ambivalenz ist ähnlich wie bei Erasmus ein Zeichen der Meisterschaft im Umgang mit der Ironie und wird wohl
Anmerkungen des Herausgebers
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der Grund dafür gewesen sein, daß der Text beim Publikum keine gute Aufnahme gefunden hat. Der Stil des Textes weist jedoch auf die satirische Absicht hin, schon im Titel durch die Adjektive gelehrig, gläubig, fromm und etwa hier bei sich lustig, spöttisch, hiihnisch machen: Bruno wählt durchgehend Ternien (dreifache Koppelung von Begriffen), also eine scheinbar hohe Rhetorik, die sich durch ihre stilistische Holprigkeit jedoch als pseudoliterarisch erweist, weshalb die Übersetzung um ihre Nachahmung und nicht etwa sinnentstellende Glättung bemüht ist. 12,3 iroms1eren. 12,13 Hebräer 7,26 12,23 In das ironische Lob des Esels ist hier in sehr geschickter Weise Brunos Meinung eingeflochten, daß die eigene Anschauung als Maßstab der Wahrheit genommen werden soll gegen die Gewohnheit überlieferten Aberglaubens. Seine Darlegungen sind im folgenden denn auch alles andere als simpel und die Syllogismen erweisen sich tatsächlich als bloßer Schein. 12,28 goldfarbene Ehrenbekleidung (von lat. croceus =goldgelb). 13,16 Der Passus ist in seiner Umständlichkeit eine Satire auf den scholastischen Stil, wobei die Aufzählung eine Genauigkeit vortäuscht, die sich schon durch den willkürlichen Übergang von »Idee der Spezies« zu »Spezies« als reine Rhetorik erweist. 13,21 Bruno gibt vor, mit Bibel-Zitaten die Würde des Esels zu belegen: »Doch ich bin kaum noch ein Mensch, ich bin ein Wurm, von allen verhöhnt und verachtet« (Psalm 22,7); »Um die Sünde zu überwinden, die das menschliche Dasein beherrscht, sandte er seinen Sohn in dieses Dasein als leibhaftigen Menschen. Durch den Tod dieses Menschen vollstreckte er das Urteil an der Sünde in ihrem eigenen Machtbereich.« (Riimer 8,3) 13,29 Hier wird der Bezug auf Agrippa evident, denn dieser schrieb sein Encomium asini genau zu dem Zweck, die Reinheit der Apostel in der Einfalt des Esels zu symbolisieren. 13,34 Exodus 13,13 14,3 Dem zehnten Gebot aus Exodus 20,17 wird von Bruno ein zweideutiger sexueller Sinn unterlegt. 14,6 Richter 5,113110 14,15 5. Mose 22,1-4 14,19 lucas 13,14 und 14,5 14,23 lucas 14,15
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14,27 Martin Vogel hat in seinem Buch Onos Lyras, Düsseldorf 1973, die Bedeutung des Esels in der Kulturentwicklung untersucht und führt den Jahwe-Kult ebenfalls auf einen Eselskult zurück, da Hebräer ursprünglich Eselmann bedeutet habe. 14,33 5. Mose 28,31 15,11 Lucas 10,1; Numeri 31,32-35 wird hier vermischt mit Adamantii Dialogus de recta fide (Patrologia Graeca, T.II, hrsg. von J. G. Migne, Paris 1844), wobei Bruno statt Madianiten Moabiter sagt und ironischerweise Kriegsbeute als Seelenrettung interpretiert. 15,16 Matthäus 21,1-2 15,19 »Da gab der Herr der Eselin die Fähigkeit zu sprechen.« (Numeri 22,28) 15,24 Jeremias 1,6 15,26 Ezechiel 3,27 15,27 »Ich werde dir helfen und dir sagen, was du reden sollst.« (Exodus 4,12) 15,30 Psalm 51,17 15,32 In Matthäus 11,5 und Lukas 7,22 heißt es eigentlich: »[ ...] Taube hören [...] und den Armen wird die Gute Nachricht verkündet.« Bruno zitiert oft ungenau und manchmal ist nicht klar, ob es sich nicht um gewollte Entstellungen handelt. Hier mischt er beispielsweise obiges falsches Zitat mit Markus 7,37: »Den Gehörlosen gibt er das Gehör und den Stummen die Sprache.« 16,30 In diesem Angriff auf die Reformatoren, die Bruno wegen ihrer Pedanterie in der Bibelexegese und der Abwertung des Wissens und Handelns zugunsten des reinen Glaubens bekämpfte, wird die ironische Absicht des Textes offenkundig. Auch der folgende Passus bezieht sich auf diejenigen Personen, die den Menschen in seinem Streben nach Wissen unterdrücken wollen. Von Luther selbst hegte er jedoch eine hohe Meinung (vgl. Oratio Valedictoria, Op. Lat. 1,1 bzw. Abschiedsrede zu Wittenberg in: Giordano Bruno, Gesammelte Werke Bd. 6, hrsg. v. Kuhlenbeck,Jena 1909, S. 73ff.). 16,33 Bei dem Apolog handelt es sich um Arati Solensis Phaenomena et prognostica, Köln 1596. 17,12 1. Samuel 21,11 17,13 Eigentlich: Hügel des Kiefers, was Bruno aber sehr geschickt mit exaltation, Erhebung übersetzt. 17,19 Wieder sind die Reformatoren gemeint.
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20,15 »Ach mein Herr und Gott! Ich kann doch nicht reden! [Ich bin noch zu jung!]« (feremias 1,6) 20,18 1. Samuel 26,21: »Ich war im Unrecht«; 2. Samuel 24,10: »Ich habe sehr unbesonnen gehandelt«; Lukas 23,34: »Sie wissen nicht, was sie tun«; Buch der Weisheit 5,7: »aber von dem Weg, den der Herr gewiesen hatte, wollten wir nichts wissen; Jesaja 44,18: »ihr Herz ist verschlossen, so daß sie nichts begreifen«. 21,24 Ro.mer 9,30 und Hebräer 10,38-39. 22,10 Das Gedicht ist eine Parodie auf Matthäus 21,2-3. 23,2 Von den Gesprächspartnern kann nur Saulino mit einiger Wahrscheinlichkeit historisch identifiziert werden als Andrea Savolino (Spampanato, Vita di Giordano Bruno, 2 Bde., Messina 1921, S. 47- 50 u. 64). Er begegnet auch schon im Spaccio, op. it., S. 547 und ist Stellvertreter Brunos. Coribante spielt im Dialog die Rolle des Pedanten, ähnlich wie Prudencio in La Cena, Polihimnio in De la causa und Manfurio in Il Candelaio. 23,28 Bezieht sich auf die im Spaccio vorangegangene Erzählung, wo bei der Himmelsreform die zwei Plätze freigelassen wurden, deren Besetzung durch das abstrakte bzw. konkrete Eseltum im folgenden erzählt wird. 24,18 Der Fluß, in den der Mythologie nach Phaethon, der Sohn des Helios, mit dem Sonnenwagen stürzte und der dann zu einem Sternbild wurde. Im Altertum für den Fluß Po gehalten. Bruno knüpft an dieser Stelle an den Spaccio, op. it., 809 an, in dem angekündigt wurde, daß über diese Konstellation und den Ort des Großen Bären an anderer Stelle ausführlicher gesprochen werden solle. 25,25 Bruno fährt mit seiner in der Deklamation an den gelehrigen, gläubigen und frommen Leser begonnen Operation fort, unter Hinweis auf allgemein anerkannte Quellen ironisch die Würde des Esels und der Dummheit zu verbürgen; indem er hier die Kabbala anführt, macht er zugleich eine Mode der Renaissance-Philosophie lächerlich, die auf die Conclusiones Philosophicae, Cabalisticae et Philosophicae (1486) des Pico della Mirandola und De Occulta Philosophia (1531) des Agrippa von Nettesheim zurückgeht. Ein bisher kaum beachtetes parodistisches Verhältnis besteht sicher auch zwischen der Kabbala und dem anderen Hauptwerk Picos De Hominis Dignitate (1486), in dem die Würde des Menschen gerade in der Freiheit begründet wird, daß er als Mittelwesen die Wahl hat, sich zum Tier zu erniedrigen oder zu Gott zu erheben.
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25,27 Gemahl der Hypermestra, von griech. lygx =Luchs. 25,29 En-Soph ist die kabbalistische Bezeichnung für das Unendliche, aus dem durch Emanation die zehn Sefiroth, Gottes Attribute oder Dimensionen, hervorgehen. Die vielen Namen, die den verschiedenen Dimensionen in der Kabbala gegeben wurden, entspringen der Vorstellung, daß Gottes Name unaussprechlich ist, und er nur durch die Beschreibung seiner Attribute erkannt werden kann. 25,32 Anspielung auf Paulus' Aufstieg in den dritten Himmel in Korinther II, 12,2-5, wo es heißt: »Dort hörte er geheimnisvolle Worte, die kein Mensch aussprechen kann.« 27,20 Plutarch, Über Isis und Osiris, cap. XXXI. 27,30 Diese Charakterisierung der Juden findet sich bei Tacitus (Historia V, 4). 29,14 Genesis 49,14-15. Zitat ist leicht abgewandelt. 29,28 Der sprechende Esel Balaam findet sich in Numeri 22,2131, die dritte Segnung mit den Lagern der Stämme im Tal in Numeri 24,2. 30,10 Der Pedant nimmt in scholastischer Manier eine Klassifikation der Esel vor. 30,22 Aristoteles nahm in den Meteorologica 1,2,2 eine solche Verbindung von unserer und der oberen Welt an. Badaloni verbessert im italienischen Text in Metheorologica. 32,8 Dieser Scheinschluß, bei dem zunächst Sophia als Mittlerin zwischen Wahrheit und Unwissenheit erscheint, dann aber letztere die mittlere Position einnimmt, bildet die Basis für die folgenden Ausführungen, die dadurch sehr ambivalent werden. Zweifellos enthält Brunos Lehre, daß dem Menschen nur die Erkenntnis der Schatten der Ideen (De umbris idearum, 1582) möglich ist, einen Reflex der docta ignorantia des Cusaners. Daraus aber ein »positives Eseltum« abzuleiten, wie es Nuccio Ordine in La cabala dell'asino. Asinita e conoscenza in Giordano Bruno, Neapel 1987 getan hat, ist voreilig und verkennt die durchweg satirische Intention des Textes, auch wenn ihm Badaloni (Palermo 1992) und Granada ( Cabala del Caballo Pegaso, Madrid 1990) in ihren Ausgaben der Kabbala folgen. Im folgenden werden nämlich nur drei Arten der Annäherung an die Wahrheit mittels Unwissenheit diskutiert, die allesamt negativ beurteilt und lächerlich gemacht werden: die des falschen Wissens der Aristoteliker, das Nichtwissen der Skeptiker (im dritten Teil des Dialogs) und Mystiker der negativen Theologie sowie der Fideismus der Christen. Die
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einzig positive Annäherung an die Wahrheit ist die mittels rationaler Erkenntnis, welche aber erst in Eroici furori dargestellt wird, s.a. Anm. zu 11,34. 32,27 Scholastischer Terminus für die geistige Fähigkeit, die im Sinnenbild die nur geistig erfaßbaren Gehalte der gegebenen Wirklichkeit sichtbar macht. Identisch mit dem aristotelischen nous poietikos. 32,30 Vergil, Aeneis VI, V.129-130: »pauci, quos aequus amavit / Iuppitcr aut ardens evexit ad aethera virtus.« 33,34 Pyrrhoniker, Ephektiker und Akademiker sind die antiken Vertreter des Skeptizismus, wobei Skepsis ursprünglich nur »eingehende Untersuchung« bedeutete, die dann aber in einer Propagierung der Urteilsenthaltung mündet, da dem Menschen zur Wahrheit kein Zugang möglich sei. Ihnen gegenüber stehen die Dogmatiker, die beanspruchen, die Wahrheit gefunden zu haben. Brunos Quellen für die folgende Diskussion des Skeptizismus waren die Schriften von Diogenes Laertios und Sextus Empiricus, dessen Werke 1562 neu erschienen waren, was sofort zu einer weiten Verbreitung des Skeptizismus führte. Zielscheibe von Brunos Kritik ist in erster Linie der im 16. Jahrhundert weit verbreitete Fideismus, der seinen bekanntesten Ausdruck in der Apologie de Raimond Sebond (1575-76) von Montaigne fand; vgl. Anm. zu 56,25. 33,36 Paulus stammt aus Tarsus. 34,15 Kuhlenbeck übersetzt »gentile« immer mit heidnisch statt mit christlich. Der Grund dafür liegt wohl in der Tatsache, daß er diesen antichristlichen Passus nicht akzeptieren konnte, wie seine weitläufige und absurde Erklärung der Stelle beweist, a.a.O., S. 251 u. S. XIX. In der Tat kann »gentile« beides bedeuten, da es ursprünglich nur diejenigen bezeichnet, die nicht an den wahren Gott glauben, demnach von der Perspektive abhängig ist. Bruno beleidigt das Christentum hier also in sehr subtiler Weise doppelt, da er es nicht nur als Fortsetzung des Judentums darstellt, sondern auch dessen Perspektive einnimmt. 34,24 von griech. elenchos = Gegenbeweis; »Elenktik« und »Topik« sind Begriffe aus der aristotelischen Logik. 34,32 Bezieht sich auf obige Syllogismen, die aber gerade nicht zufriedenstellend sind. 35,35 Psalm 17,45 36,25 Lukas 14,11
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Anmerkungen des Herausgebers 31,7 Patrologia Graeca: Sancti Dionisii Areopagitae Epistolae, Mig-
ne, Bd. III, c. 1066. 37,9 Oeuvres V, Bibliotheque Augustinienne, 1948, S. 162. 37,18 Psalm 147,10. Coribantes Erwiderung bedeutet, daß Gottes Wille durch die Kirche ausgeübt wird. 40,10 Alle hier, wenn sie ihr Rad durch tausend Jahre hin wälzten/ Ruft zu Lethes Strom der Gott in mächtiger Heerschar: / Denn sie sollen erinnerungslos die obere Wölbung/ Wiedersehen, gewillt zurückzukehren in Körper. (Vergil, Aeneis VI, V.748-51, Übers. von Johannes und Marias Götte, München 1990) 40,18 Sind zwei Pforten dort des Traumgotts: eine, so heißt es,/ Ist aus Horn, läßt leicht die wahren Träume entschweben; / Schimmernd aus gleißendem Elfenbein ist die andere vollendet, / Falschen Traum aber senden aus ihr zum Himmel die Manen. (Vergil, Aeneis VI, V.893-896) 40,23 Ovid, Metamorphosen, V, V.254. 40,31 Im Spaccio (op. it., S. 710) findet sich die richtige Version des Mythos von Pegasus, der laut Ovids Metamorphosen (Y, V.259) aus dem Blut der Medusa geboren wird. 41,7 Für Bruno sind es nicht die Seelen, sondern die Körper sind es, die wandern, wodurch die Ewigkeit der in Ruhe befindlichen Weltseele hervorgehoben wird. 41,10 Herüber, hinüber irrt der belebende Hauch, und in andre beliebige Glieder Ziehet er ein und geht aus Tieren in menschliche Leiber / und in Getier von uns und besteht so ewige Zeiten. (Ovid, Metamorphosen XV, V.167-68, Übers. von R. Suchier, Berlin/Weimar 1992) 42,11 Hier klingt die Verwandlung des Drachentöters Kadmos und seiner Frau in Schlangen an, aus Ovids Metamorphosen, IV, V.563-603. 42,21 Genesis 3,1 43,6 Der Topos des Lobs der Hand geht auf Aristoteles zurück, De anima III, 8, 432a. Zur Bedeutung der Hand für die menschliche Kultur, s. F. Papi, Antropologia e civiltd nel pensiero di Giordano Bruno, Florenz 1968, S. 237-247; Marco Wehrmann/Martin Weinmann, Die Hand. Werkzeug des Geistes, Heidelberg /Berlin 1999. Dieser Teil des Dialogs ist die umfangreichste Darlegung der pythagoreischen Ansichten Brunos, vgl. Sigillus Sigillorum, Op. lat., II, 2, S. 174 f., wo er ebenfalls der Meinung widerspricht, die tierische Intelligenz auf bloßen Instinkt reduziert.
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Laut Blumenberg ist hier der zentrale Mythos von Brunos Denken ausgedrückt: »Im Totalmythos von der Töpferscheibe schließen sich kosmologische Spekulation und zyklische Geschichtsvorstellung wieder zusammen. Aber die Kreisbahn ist nicht mehr nur der Ausdruck seliger Erfüllung und Nachahmung der göttlichen Selbstbezogenheit. Etwas von der Vergeblichkeit eines Prozesses wird spürbar, in dem jedes je erreichte Resultat durch seine Realität immer und unvermeidlich die Negation der Möglichkeiten ist, die das in ihm aufgegangene Substrat zuvor besessen hatte.« (Vorwort zu der von Ferdinand Fellmann besorgten Übersetzung von Brunos Aschermittwochsmahl, Frankfurt 1969, S. 41). 46,2 Psalm 36,7f., Bruno zitiert diese Stelle, um die substanzielle Gleichheit von Mensch und Tier und damit deren Erlösungsfähigkeit biblisch zu belegen. Da dies jedoch höchst ketzerisch ist, vermutet Badaloni, daß hierin ein Grund für die spätere Distanzierung von dem Werk lag. Die Verwandlung Nebukadnezars findet sich in Daniel 4,28-30. 47,22 Brunos Gebrauch von »letzter« im Sinn von »in rückblikkender Abfolge Letzter«, also zeitlich Erster, ist auch bedeutungsvoll für seine Position in dem die Renaissance durchziehenden Streit, ob die antike oder die zeitgenössische Weisheit vorzuziehen sei. Auch dort kehrt er den Begriff von »alt« und »jung« um, indem er die Zeitgenossen als die Älteren sieht, da sie am Ende der Zeit stehen. Einerseits verfügen sie so über mehr Wissen, andererseits sind sie durch die dunkle Periode der christlichen Herrschaft korrumpiert - decadenza del mondo - und müssen ihr Wissen durch Rückgriff auf die unmittelbare Weisheit der Ersten verjüngen - renovatio mundi. 47,28 Bruno spielt mit der Doppelbedeutung von pedante - Lehrer/ Pedant, was auf Deutsch hier nur durch das Abwechseln der beiden Begriffe wiedergegeben werden kann. 48,25 Brunos Polemik richtet sich hauptsächlich gegen die Verherrlichung von Aristoteles' Physik und Metaphysik durch Averroes in seiner Destructio destructionum und im Kommentar zur Physica. 49,14 Allwissender. 49,24 Der Brief, in dem Aristoteles sich gegen den Vorwurf Alexanders des Großen wehrt, daß durch die Veröffentlichung seiner Bücher das Wissen Alexanders entwertet würde, weil nun alle Zugang dazu hätten, findet sich in Aulus Gellius, Noctes Atticae, B. XXX, V.11 f. Aristoteles erklärt die Bücher für sowohl veröffentlicht als auch nicht 45,34
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veröffentlicht, da sie nur für diejenigen verständlich seien, die ihn gehört hätten. 51,2 Zitat aus Petrarca, Trionfo deUa Fama, II, V.1. Bei den geschilderten Personen handelt es sich um Ordensbrüder Brunos aus dem Kloster San Domenico in Neapel, vgl. Spampanato, Vita, S. 248-50. 51,28 Die Scholastiker bezeichneten so die Einzelsubstanz, also das Individuum. 53,25 Scholastische Begriffe für Mangel, Negation bzw. Fertigkeit, Disposition. 54,33 Die Beliden oder Danaiden waren dazu verurteilt, in der Unterwelt Wasser in ein durchlöchertes Faß zu schöpfen. (Ovid, Metamorphosen, IV, V.462 und X, V.43/44) 56,25 Hier wird die ethische Dimension deutlich, die Bruno der Naturerkenntnis zuschreibt, denn sie dient letztendlich dazu, besseren Glauben hervorzubringen. Dieselbe Haltung kommt dort zum Ausdruck, wo den Reformatoren vorgeworfen wird, daß sie nichts zur Verbesserung der menschlichen Lebenswirklichkeit unternehmen, vgl. 16,30. Dies ist der gemeinsame Nenner der Kritik an ihnen, den Pedanten und den Skeptikern. So wird der Skeptizismus von Bruno im folgenden nicht auf epistemologischer Ebene angegriffen, sondern wegen seiner sozialen bzw. psychischen Schädlichkeit. Die Diskussion bricht ab mit der Feststellung, daß solche Lehren für bestimmte Geschmäcker wohl gut sein können, worauf man sich zu Tisch begibt, sich also wieder der sinnlichen Wirklichkeit zuwendet. 57,28 Gründer der Schule der Eleaten. Xenophanes bekämpfte anthropomorphe Gottesvorstellungen und sagte, daß man von der Gott-Natur keine Gewißheit haben könne, da alles durch den Sinnenschein getrübt sei. Seine Position wird nicht weiter diskutiert, was daran liegen dürfte, daß sie Brunos eigener zu nahe steht, denn in dem Sinn, daß die letzte Wahrheit unerkennbar bleibt, ist er ja selber Skeptizist, wie John Owen 1898 in Skeptics of the Italian Renaissance festgestellt hat. Im folgenden zitiert Bruno zum Teil wörtlich aus Sextus Empiricus, Pirroniae Hypotyposes, III, 27-29; Adversus mathematicos, 1,4. 61,25 Petrarca, Trionfo de!~ Morte !, 135, richtig heißt es: »Come Fortuna va cangiando stile!« 63,1 Der Esel nimmt nun die Gestalt von Merkur oder Hermes an, der u.a. der Gott der Künste und Wissenschaften ist. Der Berg Kyllene ist sein Geburtsort. In De imaginum compositione, Opera II,
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III, S. 237 f. macht Bruno deutlich, daß Esel und Merkur für ihn das Symbol der von Nikolaus Cusanus übernommenen Lehre von der Einheit der Gegensätze sind: »Eius [des Esels] qualitates Mercurii qualitatibus sunt contrariae; sed, quia sine contrariis contraria non subsistunt et contrariis contraria cognoscuntur, nutriuntur et in eodem concurrunt genere, non erit omnino indignum nec non satis commodum, ut in eadem curia tamquam in scena conspiciendus veniat.« [Des Esels Eigenschaften sind den Eigenschaften Merkurs entgegengesetzt, aber weil Gegensätze ohne Gegensätze nicht bestehen, und Gegensätze durch Gegensätze erkannt werden, sich daraus nähren und sie zur selben Gattung gehören, wird es nicht ganz unwürdig sondern vielmehr geboten sein, daß man ihn in der gleichen Gruppe wie auf der Bühne betrachtet.] 63,3 Anspielung auf Lukas 11,27: »Die Frau, die dich geboren und aufgezogen hat, wie darf die sich freuen!" 64,3 Micco ist ein toskanischer Spitzname, der so viel wie Dussel oder Langohr bedeutet. 65,18 Von griech. didaskalos »Lehrer«. 66,11 Das Zitat aus Vergils Eklogen, III, 60 wird von Bruno in dem Sinn ergänzt, daß selbst die Musen, als Töchter von Jupiter und Mnemosyne, der körperlichen Vereinigung entspringen. 66,31 Bruno betont hier noch einmal das Prinzip der wesenhaften Identität von Mensch und Welt, nach dem die Erforschung der Dinge zugleich die Erforschung des im menschlichen Geist wirksamen göttlichen Prinzips ist. Daher ist neben der Physik auch keine Metaphysik nötig. Vgl. De la causa, op. it. 226-229, wo der Mensch aufgefordert wird, Gott in seiner Hülle oder Spur (vestigio) zu erkennen, also in der Natur. 66,34 Darunter fallt für Bruno die Metaphysik des Aristoteles. 67,28 Pythagoras' Lehre von der Seelenwanderung; vgl. seine berühmte Rede in den Metamorphosen, XV, V.60, in der er u.a. zum Vegetarismus aufruft. 68,4 Bruno schreibt fisionotomisti statt fisionomisti. In diesem Abschnitt tauchen drei ungewöhnliche Schreibungen zur Benennung der Physiognomen auf, was die Vermutung nahelegt, daß Bruno sich über sie lustig macht. Allerdings war die Schreibweise des Begriffs zu Brunos Zeit noch nicht eindeutig festgelegt. 69,16 Im Original findet sich phisiconomica, was Gentile in fisiognomica ändert. Der Übersetzer nimmt mit Aquilecchia (vgl. Note
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philologique in der frz. Übersetzung von Tristan Dragon, Giordano Bruno, Cabale du cheval pegaseen, CEuvres Completes VI, Paris 1994, S. LXIX) an, daß Bruno hier eine besondere Absicht verfolgt. Tatsächlich unterstreicht die Abwandlung der Endung von gnome, Erkenntnis in -nomos, verwaltend die Tatsache, daß besagte Regel wenig Wahrheit enthält. 69,26 Jacopo Sannazaro, Arcadia, Ekloge VIII, V. 10-12. Eigentlich heißt der letzte Vers: Wenn du die Hoffnung [...] 69,30 Bruno nannte sich in seiner Komödie II Candelaio (Der Kerzenmacher) selbst Akademiker von keiner Akademie, auch genannt der Angewiderte. 71,9 So nennt Ovid den Götterboten Merkur in den Metamorphosen, XI 312. Er tritt hier als Deus ex machina auf und stellt in seiner Wandlungsfähigkeit für Bruno das Weltganze, das Eine dar. In seinem unmittelbaren Mitempfinden bildet er dabei den Gegenpol zum Pedanten.