Die Integration moderner Technologien in den Betrieb: Eine Untersuchung zum Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG [1 ed.] 9783428499144, 9783428099146

Der Autor befaßt sich mit aktuellen Fragen der Integration moderner Technologien in den Betrieb. Hierbei steht die Vorsc

139 27 22MB

German Pages 237

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Integration moderner Technologien in den Betrieb: Eine Untersuchung zum Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG [1 ed.]
 9783428499144, 9783428099146

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

DIRK ANDRES

Die Integration moderner Technologien in den Betrieb

Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehmann und Prof. Dr. Rainer Pitschas

Band 20

Die Integration moderner Technologien in den Betrieb Eine Untersuchung zum Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

Von

DirkAndres

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Andres, Dirk: Die Integration moderner Technologien in den Betrieb : eine Untersuchung zum Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG / von Dirk Andres. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik ; Bd. 20) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09914-1

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0940-1172 ISBN 3-428-09914-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Meinen Eltern

Wenn es ein Phänomen wie das absolut Böse überhaupt gibt. dann besteht es darin. einen Menschen wie ein Ding zu behandeln. John Brunner

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1998 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Sie befindet sich nunmehr auf dem Stand September 1999. Danken möchte ich zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Peter Hanau, ftlr die vielfältige Unterstützung und Förderung, die ich an seinem Lehrstuhl erfahren habe. Herrn Prof. Dr. Martin Henssler danke ich ftlr die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Durch den Dschungel der Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit haben mich mein "Zellengenosse", Herr Dr. Dirk Gilberg, sowie Herr Dr. Serge Reitze und Herr Dr. Thomas Kania begleitet, denen ich ftlr ihre Anregungen und Bereitschaft zur Diskussion dankbar bin.

Düsseldorf, im März 2000

DirkAndres

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung ................. ........................................................................ .. ...... ..... .. .... 17 A. Anlaß und Gegenstand der Abhandlung ........................................................... 17

B. Gang der Darstellung ....................................................................................... 20 C. Entstehungsgeschichte ...................................................................................... 22

D. Zweck der Mitbestimmung .............................................................................. 23 E. Gesetzessystematik ........................................................................................... 27

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 ............................................................... 29 A. Tatbestandsvoraussetzungen ............................................................................ 29 I.

Kollektiver Tatbestand .............................................................................. 29

11.

Begriffsbestimmung der "technischen Einrichtung" i. S. der Nr. 6 .......... 29

III. Der Überwachungs begriff.. ....................................................................... 31 I. Die Datenerhebung ........................ ....................................................... 3 I 2. Die Datenverwertung ........................................................................... 33 a) Erweiterung des Überwachungsbegriffs durch das BAG und Vertreter der Literatur ........................................................................... 33 b) Ablehnende Stimmen im Schrifttum ........................................ ....... 35 c) Stellungnahme ................................................................................ 38 3. Die weitere Datenverwendung (Folgeregelungen) ............................... 41 a) Aus- bzw. Verwertung .................................................................... 41 b) Nutzung ................................................................ .. ...... .. ... .. ........... 42 aa) Die überwiegende Ansicht im Schrifttum ................................. 43 bb) Die Auffassung Ehmanns ............................... .. ................ .. ...... 43 cc) Stellungnahme .......................................................................... 44 c) Zwischenergebnis ........................................... ................................ 45 4. Datenspeicherung ................................................................................. 46

10

Inhaltsverzeichnis IV. Überwachung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer .......... 46 I. Verhaltens- oder Leistungsdaten .......................................................... 48 a) Begriffsdefinition ............................................................................ 48 b) Die Erhebung von Daten ................................................................. 50 c) Die Verarbeitung von Daten ........................................................... 51 d) Betriebsdaten .................................................................................. 52 2. Aufgabe der Unterscheidung nach Datenarten? ................................... 52 3. Individualisierbarkeit der Daten ........................................................... 53 4. Überwachung von Arbeitsgruppen ...................................................... 54 a) Ansicht des BAG und eines Teils der Literatur ............................. 54 b) Weitergehende Auffassung der Literatur ......................................... 55 c) Die Auffassung von Schwarz ......................................................... 56 d) Die Gegenauffassung in der Literatur .............................................. 56 e) Stellungnahme und eigene Ansicht.. ............................................... 58 f) Zwischenergebnis .......................................................................... 60

5. Überwachung des Betriebsrats ............................................................. 60 V. Bestimmung zur Überwachung ................................................................. 62 1. Begriffsdefinition ................................................................................. 62 2. Modeme Datenverarbeitungssysteme, absolute Systeme ..................... 64 3. Hardware mitbestimmungspflichtig? ................................................... 67 4. Software mitbestimmungspflichtig? .................................................... 68 5. Heutige Bedeutung des Unmittelbarkeitserfordernisses ....................... 69 6. Ausmaß der Überwachung ................................................................... 71 VI. Einführung, Anwendung und Abschaffung technischer Überwachungseinrichtungen ............................................................................................ 71 1. Einführung ........................................................................................... 71 2. Anwendung .......................................................................................... 74 a) Veränderungen (Erweiterung) der Überwachungseinrichtung ........ 74 b) Zusätzliche Erfordernisse? .............................................................. 75 c) "Alt-Einrichtungen" ........................................................................ 76

Inhaltsverzeichnis

11

c) Auftragsdatenverarbeitung .............................................................. 77 3. Abschaffung durch den Arbeitgeber ........................................... ......... 78 VII. Umfang der Mitbestimmung bei Überwachungseinrichtungen ................. 80 B. Ausschlußgründe der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 .................................. 83 I.

Gesetzes- und Tarifvorbehait, § 87 Abs. 1 I. Hs ...................................... 83 1. Voraussetzungen und Reichweite des Ausschlusses ............................ 84 2. Ausschluß durch Verwaitungsakt oder Anordnungen .......................... 85 a) Rechtsprechung und Teil des Schrifttums ....................................... 85 b) Ansicht eines anderen Teils des Schrifttums ................................... 86 aa) Der Lösungsvorschlag von BeckfTrürnner ............................... 86 bb) Die Ansicht von DömerlWildschütz ......................................... 87 ce) Der Vorschlag Däublers ........................................................... 88 c) Stellungnahme ................................................................................ 89 d) Ergebnis zu 2 .................................. ................................................ 91 3. Ausschluß durch Richterrecht ..................................... ............... .......... 92 4. Europarecht (EG-Richtlinien) .............................................................. 93 5. § 9 BDSG (§ 6 BDSG a. F.) ................................................................. 94

II.

Tendenzbetriebe ........................................................................................ 95

c. Exkurs: Anonymisierung von Daten als Ausweg ............................................. 95 I.

Das Problem ............................................................................................. 95

II.

Die Lösung? ............................................................................................. 96 1. Begriffsdefinition ................................................................................. 97 2. Echte Anonymisierung ......................................................................... 97 3. Unechte Anonymisierung .................................................................... 98 a) Beschränkung der Erlangung von Zusatzwissen ............................. 99 b) Beschränkung der Verwendung von Zusatzwissen ................. ...... I 01 c) Unmöglichkeit der faktischen Anonymisierung ............................ 101

III. Auswirkungen der Anonymisierung auf das Mitbestimmungsverfahren 102 IV. Ergebnis .................................................................................................. 103

12

Inhaltsverzeichnis

§ 3 Grenzen der Mitbestimmung und Betriebsvereinbarung ............................... 105 A. Schranken der Mitbestimmung ....................................................................... 105 I.

Allgemeine Grenzen beim Abschluß von Betriebsvereinbarungen ......... 105

11.

Grundrechtsbindung der Parteien ............................................................ \06

HI. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) .......................................................... 106

I. Anwendbarkeit. .................................................................................. 106 2. Subsidiarität ....................................................................................... 107 3. Erlaubnisvorbehalt ............................................................................. 107 a) Die Auffassung der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur ............................................................................................... 108 b) Die überwiegende Ansicht im Schrifttum ..................................... 109 c) Die Position Ehmanns ................................................................... 111 d) Stellungnahme .............................................................................. 112 e) Zwischenergebnis zu 3 .................................................................. 114 IV. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ........................ 114 I. Funktion des Persönlichkeitsrechts im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr.6 ................................................................................................... 115 2. Verletzung des Persönlichkeitsrechts ................................................. 116 a) Interessenabwägung ...................................................................... 117 b) FolgeregeIungen ............................................................................ 120 c) Zwischenergebnis ......................................................................... 121 B. Betriebsvereinbarungen und Einigungsstellensprüche ................................... 122 I.

Betriebsvereinbarung .............................................................................. 122

11.

Entscheidungen der Einigungsstelle ....................................................... 125 1. Ermessensüberschreitung ................................................................... 127 2. Die zu berücksichtigenden Belange der Arbeitnehmer und des Betriebes ............................................................................................ 128 3. Ermessensfehlgebrauch ...................................................................... 131 4. Ermessensunterschreitung .................................................................. 131 5. Ordnungsgemäß ausgeübtes Ermessen .............................................. 132 6. Ergebnis zu 11 .................................................................................... 132

Inhaltsverzeichnis

13

§ 4 Ausübung und Durchsetzung des Mitbestimmungsrechts .............................. 134 A. Ausübungsformen der Mitbestimmung .......................................................... 134 B. Verzicht auf das Mitbestimmungsrecht ..................•....................................... 135 C. Anforderungen an den Inhalt einer Betriebsvereinbarung .............................. 135 D. Rahmenbetriebsvereinbarung ......................................................................... 136 E. Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ............................................................ 137 I.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 .............................................. 13 8

11.

Projektion dieses Ergebnisses auf den Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 6 ............................................................................................. 141

III. Die Ansicht von Keim ............................................................................ 142 IV. Zwischenergebnis ................................................................................... 143 F. Zuständigkeitskonflikt zwischen Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat ............. 144 G. Zuständigkeit des Konzembetriebsrats ........................................................... 145 H. Informationsanspruch und Hinzuziehung von Sachverständigen ................... 147 I.

Die Auffassung des BAG und eines Teils der Literatur. ......................... 148

11.

Die Gegenposition .................................................................................. 149

111. Stellungnahme ........................................................................................ 151 IV. Ergebnis .................................................................................................. 154 I.

Durchsetzung des Mitbestimmungsrechts...................................................... 154 I.

Kollektivrechtliche Mittel ....................................................................... 154 I. Die Einrichtung ist noch nicht im Betrieb eingeführt ........................ 154 2. Die Einrichtung ist bereits im Betrieb installiert ................................ 156 3. Anrufung der Einigungsstelle ............................................................ 158

11.

Individualrechtliche MitteL .................................................................... 159

1. Initiativrecht des Betriebsrats im Rahmen von Nr. 6 ...................................... 160 I.

Initiativrecht bezüglich der Einführung .................................................. 161

II.

Initiativrecht bezüglich der Änderung und Abschaffung ........................ 162

§ 5 Ausgewählte Überwachungseinrichtungen ....................................................... 164 A. Spezielle Überwachungssoftware ................................................................... 164 I.

Technische Möglichkeiten ...................................................................... 164

14

Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeine Überwachungsprogramme .............................................. 164 2. Internetüberwachungsprogramme ...................................................... 166 3. Trojanische Pferde ............................................................................. 167 II.

Mitbestimmungsrechtliche Auswirkungen ............................................. 168 1. Screen-Capture in Verbindung mit Log-File-Erstellung .................... 168 a) Vergleichbarkeit mit klassischen Kontrolleinrichtungen .............. 168 b) Eingriff in das Persönlichkeitsrecht .............................................. 170 c) Zu lässigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht .................. 171 d) Regelungsmöglichkeiten des Betriebsrats ..................................... 172 2. Alleinige Log-File-Erstellung, Internetüberwachung ......................... 173

III. Zwischenergebnis ................................................................................... 174 B. Computernetzwerke ....................................................................................... 175 I.

Technische Möglichkeiten ...................................................................... 175

11.

Mitbestimmungsrechtliche Probleme ...................................................... 178

III. Beschränkungen durch § 14 Abs. 4 BDSG ............................................. 180 IV. Ist die Installation eines Netzwerks generell mitbestimmungspflichtig? 180 V.

Sonderprobleme bei der Vernetzung im Konzern ................................... 181

C. Betriebssysteme (Microsoft Windows NT 4.0) .............................................. 183 D. Standard-Anwendungen ................................................................................. 185

I.

Technische Möglichkeiten ...................................................................... 185

II.

Mitbestimmungsrechtliche Auswirkungen ............................................. 187

III. Exkurs: Makroprogrammierung .............................................................. 189 E. ISDN-Telefonanlagen (Telefondatenerfassung) ............................................. 190 I.

Technische Möglichkeiten ...................................................................... 190

11.

Mitbestimmungsrechtliche Auswirkungen ............................................. 191 1. Inhaltskontrolle von Telefongesprächen ............................................ 192 2. Kontrolle der äußeren Umstände von Telefongesprächen ................. 194 a) Dienstgespräche und dienstlich veranlaßte Privatgespräche ......... 194 b) Erweiterte Überwachungsmöglichkeiten durch ISDN-Anlagen .... 196 c) Privatgespräche ............................................................................. 198

Inhaltsverzeichnis

15

III. Vom Telekommunikationsanbieter verfaßter Einzelgesprächsnachweis 199 IV. Kontrolle des Telefonanschlusses des Betriebsrats ................................. 202 F. Electronic-Mail-(E-Mail-)Systeme ................................................................. 202 I.

Mitbestimmungspflichtigkeit des E-Mail-Einsatzes ............................... 203

11.

Zulässiger Kontrollumfang ..................................................................... 204 I. Problem der Unterscheidung dienstlicher und privater E-Mails ........ 204 2. Die Überwachung des Inhalts der E-Mails ........................................ 205 3. Die Überwachung der äußeren Verbindungsdaten ............................. 206

111. Verschlüsse\ung ...................................................................................... 209 G. Telearbeit (Te\ecommuting) ........................................................................... 209 I.

Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes ................................... 210

11.

Überwachung der Telearbeitnehmer ....................................................... 213

H. Mobiltelefone ................................................................................................. 215

§ 6 Schluß .................................................................................................................. 217 Literaturverzeichnis ...... ............................................................................................. 220 Sachverzeichnis .. ........................................................................................................ 232

Abkürzungsverzeichnis Es wird verwiesen auf das Abkürzungsverzeichnis von Kirchner, 4. Auflage, Berlin u.a. 1993. Dort nicht aufgeführt:

CAD

Computer aided Design

cc.

carbon copy

DUZ

Deutsche Universitäts-Zeitung

E-Mail

Electronic Mail

ISDN

Integrated Services Digital Network

Kbyte

Kilobyte

kW

Kilowatt

LAN

Local Area Network

PC

Personal Computer

POP

Pretty Oood Privacy

TK

Taschenkommentar

WAN

Wide Area Network

WWW

World Wide Web

§ 1 Einführung l A. Anlaß und Gegenstand der Abhandlung Seit Beginn der neunzig er Jahre entwickeln sich Informations- und Kommunikationstechnologien mit imposanter Geschwindigkeit fort. Gegenüber den achtziger Jahren hat sich das Entwicklungstempo wesentlich erhöht. Technologien, die Anfang dieses Jahrzehnts fiir mittlere Unternehmen unerschwinglich waren, werden heute fiir den Consumer-Bereich kostengünstig angeboten2 • Die bisher existierende Trennung von Computer-, Medien- und Kommunikationstechnologie löst sich auf. Die Medien- und Kommunikationstechnologie verschmilzt mit der Computertechnologie. Dieser immer schneller voranschreitende Veränderungs- und Entwicklungsprozeß der Technologien verwandelt das Lebens- und Arbeitsumfeld. Während sich im privaten Bereich technische Neuerungen vielfach erst langsahl durchsetzen, ist diese Phase in der Arbeitswelt bereits weitgehend abgeschlossen. Die Optimierung einzelner Arbeitsprozesse durch technische Systeme (Insellösungen), die bisher im Vordergrund der Entwicklung stand, ist in den Betrieben überwiegend vollzogen. Nunmehr wird die Optimierung des Gesamtprozesses und Zusammenspiels verschiedener Systeme angestrebt. Dabei stellt der Betrieb nicht die Grenze dar. Häufig steht die Vernetzung verschiedener Systeme unterschiedlicher Betriebe oder Unternehmen im Mittelpunkt der Planungen. Die Unternehmen werden hierzu durch die gestiegenen Anforderungen des Wettbewerbs gezwungen. Ein Rationalisierungspotential besteht oftmals nur noch im Abgleich der unterschiedlichen Arbeits- oder Produktionsprozesse aufeinander. Neue betriebliche, zwischenbetriebliche oder globale Unternehmensstrategien können nur durch moderne Computertechnologie verwirklicht werden. Derartige Prozesse haben zwangsläufig vielfältige Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, selbst wenn die einzelne Maßnahme nicht die Produktivitätssteigerung oder Einsparung von Mitarbeitern zum Ziel hat. Welche Auswirkungen eine bestimmte technologische Veränderung dabei nach sich zieht, ist jedoch zum Zeitpunkt der Einfiihrung zu§§ ohne Gesetzesangaben sind solche des BetrVG 1972. Als Beispiel sei hier nur auf die Bild- und Videobearbeitung hingewiesen, die mittlerweile am heimischen PC in Studioqualität durchgeflihrt werden kann. Ein anderes Beispiel ist die Bildtelefonie, die heute jeder PC mit einer Zusatzausstattung flir wenige hundert Mark sowie einem ISDN-Anschluß beherrscht. lust-in-time-Produktion bzw. -An lieferung sind dabei aktuelle Stichworte. 2

2 Andres

18

§ 1 Einftihrung

meist nicht absehbar. Ursache Wld Wirkung fallen in der Regel zeitlich auseinander4 • Die technischen Veränderungen können sich freilich sowohl negativ als auch positiv fiir die Arbeitnehmer auswirken. Die sich durch die TechnisierWlg ergebenden Synergie- Wld RationalisierWlgseffekte werden vielfach BeschäftigWlgsrisiken zur Folge haben. Andererseits werden durch die ZWlehmende TechnisierWlg auch neue Berufsbilder Wld Formen geschaffen. Die Telearbeif beispielsweise ermöglicht es Behinderten am Berufsleben teilzuhaben, ohne auf Fortbewegungsmittel oder behindertengerechte Büros angewiesen zu sein. In Familien mit Kindern kann der erziehende Elternteil durch einen Telearbeitsplatz weiterhin am Berufsleben teilnehmen6 • Er gerät nicht mangels Berufsausübung in die Isolation7 • Viele der bestehenden Berufsbilder Wlterliegen infolge des technologischen Fortschritts einem ständigen Wandel. Entweder sind die Arbeitnehmer gezwungen, sich kontinuierlich weiterzubilden, um ihre Arbeitsaufgabe weiterhin erfüllen zu können8, oder bereits erworbene QualifIkationen werden nicht mehr benötigt. Der ständige Wandel erzeugt einen hohen Leistungsdruck auf viele Arbeitnehmer. Er gibt ihnen aber auch die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und neue Aufgabengebiete zu erschließen. Die ZWlehmende Perfektion der TechnisierWlg kann aber auch dazu führen, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber nur noch als Funktionsobjekt im Gesamtablauf

DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 126. In Deutschland sind zur Zeit etwa 150.000 Arbeitnehmer in Telearbeitsverhältnissen beschäftigt. In der EU sind es insgesamt etwa 1,25 Millionen, vgl. Forum, Heft 3 Oktober 1997, S. 20. Die Telekom schätzt das Marktpotential ftir Telearbeit bis zum Jahr 2000 auf minimal 640.000 bis zu 2.000.000 Arbeitsplätzen. IBM erhofft sich von der Telearbeit eine Produktivitätssteigerung von 7-10 %; vgl. c't Heft 11 aus 1997, S. 70. Zu den unterschiedlichen Erhebungen in bezug auf die Zahl der Telearbeitnehmer in Deutschland vgl. Klein, c't Heft 13 aus 1997, S. 150, S. 151 f. 6 Die hierbei entstehenden Vorteile hinsichtlich der Verbindung von Familie und Beruf schildert Beyer in ihrem Buch Telearbeit anschaulich. 7 Die vielfach angeftihrten Nachteile der Telearbeit (soziale Isolation, etc.) werden heute dadurch vermieden, daß Mischarbeitsplätze geschaffen werden. Ein Teil der Arbeit wird dabei im gewohnten sozialen Arbeitsumfeld erbracht. 8 Erwähnt sei hier allein das Berufsbild der Sekretärin. Eine Sekretärin muß heute in der Lage sein, ein modemes Textverarbeitungs- und Tabellenkalkulationsprogramm zu bedienen. Darüber hinaus muß sie eine modeme ISDN-Telefonanlage mit allen Sonderfunktionen bedienen können. In naher Zukunft wird sie des weiteren die Termine ihres Arbeitgeber in einem elektronischen Terminplaner koordinieren müssen. Sie wird Kenntnisse über die Bedienung des Internets sowie anderer elektronischer Informationssystem besitzen müssen. All diese Kenntnisse waren 1980 nicht erforderlich, um den Beruf der Sekretärin ausüben zu können. Computer waren zum damaligen Zeitpunkt in Büros noch nicht vorhanden, Telefonanlagen verfügten nur über die Standardmerkmale und das Internet war in seiner heutigen Form noch nicht vorhanden.

A. Anlaß und Gegenstand der Abhandlung

19

des Betriebes gesehen wird, welches die geforderte Leistung erbringen und, vergleichbar einer Maschine, überwacht werden muß. Eine solche Sichtweise kann in Verbindung mit dem Einsatz neuer Technologien zu erheblichen Gefährdungen des Persönlichkeitsrechts führen. Die modeme Technik eröffnet, wie zu zeigen sein wird, fiir eine Kontrolle des Arbeitnehmers bisher nicht dagewesene Möglichkeiten. Insbesondere die Möglichkeit der Verknüpfung von Systemen und Datenbeständen eröffnet eine neue Dimension der Überwachung. Das Überwachungsspektrum urnfaßt dabei nicht nur die eigentliche Erbringung der Arbeitsleistung, sondern auch das sonstige Verhalten im Betrieb. Arbeitnehmer können vom Zeitpunkt des Eintreffens in der Tiefgarage der Arbeitsstätte über die Erfassung der mittäglichen Bestellung in der Kantine bis hin zur Kontrolle des Gewichts bei Betreten und Verlassen des Betriebs kontrolliert werden. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Die von einzelnen Systemen erfaßten Daten können miteinander in Relation gesetzt und nahezu beliebig verknüpft werden. Das Bedrohliche an diesen Systemen ist, daß der Arbeitnehmer die Verknüpfungen nicht wahrnehmen kann. Er kann zu keinem Zeitpunkt feststellen, welche Aussagen aus den über ihn ermittelten Daten vom Arbeitgeber gewonnen werden und wie lange diese Erkenntnisse aufbewahrt werden. Im Ergebnis weiß der Arbeitgeber - bei konsequenter Ausnutzung der verrugbaren Technologien - mehr über den Arbeitnehmer und seine Verhaltensweisen, als diesem über sich selbst bewußt ist. Der Arbeitnehmer wird zum gläsernen Objekt. Zu beachten ist aber auch, daß sich der Wettbewerbs druck auf den Arbeitgeber erhöht. Der globale Wettbewerb stellt viele Unternehmen vor neue Herausforderungen. Diese können nur unter Einsatz moderner technischer Systeme beWältigt werden. Vorhandene Rationalisierungspotentiale müssen erkannt und ausgeschöpft werden. Neue Wege der Vermarktung und Logistik müssen gefunden und eingeschlagen werden, um Produkte betriebswirtschaftlich sinnvoll herzustellen und abzusetzen. Hierfiir benötigt der Arbeitgeber häufig Wissen über das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer, das ihm nur modeme technische Systeme vermitteln können. In anderen Fällen wird die Anschaffung neuer technischer Systeme allein der Modernisierung dieser Systeme dienen und eine Überwachung der Arbeitnehmer nicht beabsichtigt sein. Dennoch sind in den meisten modemen technischen Systemen Überwachungsfunktionen integriert, die der Arbeitgeber unweigerlich mitanschafft. Ob und inwieweit die technischen Veränderungen vom Arbeitgeber zur Überwachung oder im Interesse einer Förderung der Belange der Arbeitnehmer eingesetzt werden, ist rur den Einzelnen bei modemen technischen Systemen zumeist nicht mehr erkennbar, jedenfalls nicht beeinflußbar. Einer negativen Entwicklung kann nur der Betriebsrat als kollektive Arbeitnehmervertretung, im Rahmen der ihm durch das Betriebsverfassungsgesetz eingeräumten Möglichkeiten, entgegenwirken. In diesem Zusammenhang kommt dem Betriebsrat

20

§ 1 Einfiihrung

das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 zu Hilfe9• Es unterstellt die Einführung oder Anwendung einer technischen Einrichtung, die zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern bestimmt ist, der zwingenden Mitbestimmung durch den Betriebsrat. Im Gegensatz zu anderen im Rahmen der Einführung oder Anwendung technischer Einrichtungen bestehenden Rechten des Betriebsrats betrifft § 87 Abs. 1 Nr. 6 nicht nur allgemeine Vorgaben in bezug auf die Datenerhebung oder Datenverarbeitung. Die Vorschrift betrifft den konkreten Vorgang der Datenerhebung und Datenverarbeitung. Das gesamte Spektrum potentieller Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers ist hierdurch abgedeckt. Aus diesem Grunde steht § 87 Abs. 1 Nr.6 sowohl bei betrieblichen Auseinandersetzungen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion im Vordergrund lO • Die vorliegende Abhandlung möchte einen Beitrag zum Ausgleich der dabei auftretenden widerstreitenden Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber leisten. Dabei stehen aktuelle und zukünftig zu erwartende technische Veränderungen im Vordergrund. Gleichzeitig sollen allgemein anwendbare Prinzipien für den Umgang mit technischer Überwachung entwickelt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Möglichkeiten, die den Betriebspartnern im Rahmen der Ausübung des Mitbestimmungsrechts, insbesondere bei der Einführung oder Anwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, gegeben sind.

B. Gang der Darstellung Die Abhandlung beginnt mit Ausführungen zum geschichtlichen Hintergrund, der gesetzessystematischen Stellung sowie der Ratio legis (Kapitel eins). Diesen allgemeinen Ausführungen folgt in Kapitel zwei die Erörterung der Voraussetzungen, die das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 auslösen. Nicht jede Einführung oder Anwendung eines technischen Gerätes kann unter den Tatbestand der Nr.6 subsumiert werden. Demgemäß werden im ersten Abschnitt des zweiten Kapitels die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 87 Abs. 1 Nr. 6 anband emer kritischen Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung und Literatur bestimmt. Im Anschluß daran werden die

Daneben stehen dem Betriebsrat allgemeinen Informationsrechte sowie die in §§ 111 Nr. 4 und 90 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 speziell auf technische Anlagen ausgerichtete Informations- und Beratungsrechte zu. Ein echtes Mitbestimmungsrecht bei technischen Veränderungen kann sich daneben aus § 87 Abs. 1 Nr. 2-3, 7,10 und tl sowie §§ 91,94 und 95 ergeben. 10 Zur Verzahnung der informationellen Beteiligungsrechte des Betriebsrats und der Vorrangstellung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 vgl. Linnenkohl, BB 1990, S. 992 f.

B. Gang der Darstellung

21

Voraussetzungen dargestellt, bei denen ein, an sich den Tatbestandsmerkmalen des § 87 Abs. 1 Nr.6 nach gegebenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, entfällt. In diesem Zusammenhang soll insbesondere auf gesetzliche Regelungen im Sinne des § 87 Abs. 1 1. Hs. eingegangen werden. Das zweite Kapitel wird durch Überlegungen zur Anonymisierung von Datenbeständen als Ausweg aus der Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 abgeschlossen. Wenn dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 in bezug auf die Einführung oder Anwendung eines technischen Geräts zusteht, muß der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Regelung über den Einsatz des Gerätes treffen. Gelingt dies nicht, muß er einen Einigungsstellenspruch erwirken, um das Gerät im Betrieb einsetzen zu können. Im Rahmen dieser Ausübung der Mitbestimmung müssen die Betriebspartner und die Einigungsstelle rechtliche Schranken beachten. Diese Schranken werden zu Beginn von Kapitel drei bestimmt. Im Anschluß daran wird zu klären sein, ob Betriebsvereinbarungen oder Entscheidungen der Einigungsstelle darüber hinaus einer weitergehenden gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Das hierbei gefundene Ergebnis legt gleichzeitig den Regelungsspielraum der Betriebspartner im Rahmen der Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach Nr. 6 fest. Das vierte Kapitel der Abhandlung befaßt sich mit der Art und Weise der Ausübung der Mitbestimmung. Zu Beginn soll geklärt werden, inwieweit dem Betriebsrat im Rahmen der Mitbestimmung nach Nr. 6 ein Initiativrecht zusteht. Im Anschluß daran wird die Frage der Zuständigkeit bei Bestehen mehrerer Betriebsräte erörtert. Diese Frage erlangt in jüngerer Zeit häufig im Zusammenhang mit der Einführung von betriebsübergreifenden Netzwerken oder lust-in-time Produktions systemen in größeren Unternehmen oder Konzernen erhebliche Bedeutung. Solche Systeme können in größeren Unternehmen erst dann einen Rationalisierungseffekt entfalten, wenn sie in allen Betrieben eingesetzt werden. Im Rahmen der Ausübung des Mitbestimmungsrechts wird der Betriebsrat häufig nicht das notwendige Fachwissen besitzen, um die Gefahren, die von einer solchen technischen Einrichtung auf Arbeitnehmerinteressen ausgehen, zu erkennen. Insofern wird auf die Frage einzugehen sein, inwieweit der Betriebsrat berechtigt ist, einen Sachverständigen hinzuzuziehen, um sein Mitbestimmungsrecht ordnungsgemäß auszuüben. Anschließend werden die rechtlichen Mittel dargestellt, die dem Betriebsrat zur Durchsetzung des Mitbestimmungsrechts nach Nr. 6 zur Verfiigung stehen. Darüber hinaus wird im vierten Kapitel auf das Verhältnis zu anderen Mitbestimmungsrechten, den Abschluß von Rahmenbetriebsvereinbarungen sowie die Möglichkeit der Ausübung des Mitbestimmungsrechts durch eine Regelungsabrede eingegangen. Im fiinften Kapitel werden modeme technische Kontrolleinrichtungen auf ihre Mitbestimmungspflichtigkeit und die von ihnen ausgehenden Gefahren für das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer überprüft. Die "klassischen" Kon-

22

§ 1 Einfiihrung

trolleinrichtungen werden hierbei keine Beachtung fmden. Insoweit wird auf die einschlägige Rechtsprechung des RA G sowie die umfangreichen Ausführungen in der Literatur verwiesen 11. Im Vordergrund der Ausführungen sollen vor allem aktuelle Softwareanwendungen stehen. Diese ermöglichen dem Arbeitgeber im Zusammenspiel mit einer Standard-Hardwareausstattung bisher ungeahnte Möglichkeiten der Überwachung. Die Feststellung der Mitbestimmungspflichtigkeit bildet dabei freilich keinen Schwerpunkt. Ein solcher wird vielmehr auf der Untersuchung der durch diese Einrichtungen verursachten Eingriffe in den persönlichen Bereich der Arbeitnehmer und der Möglichkeit der Rechtfertigung dieser Eingriffe durch betriebliche Belange des Arbeitgebers liegen.

C. Entstehungsgeschichte Vor der Einfiihrung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 im Jahre 1972 gab es keine Vorschrift, die sich mit der Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern durch technische Einrichtungen befaßte. Einige Stimmen in der Literatur wollten in einem solchen Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 56 Abs. 1 f) BetrVG 1952 herleiten l2 , dies wurde jedoch von der Rechtsprechung nicht anerkannt. Vielmehr ging das RAG (ProduktographenEntscheidung)13 und ihm folgend ein Teil der Literatur davon aus, daß § 56 Abs. 1 f) BetrVG 1952 nur allgemeingültige, fiir alle Arbeitnehmer oder doch zumindest fiir Gruppen von diesen gültige Verhaltensregeln dem Mitbestimmungsrecht des § 56 Abs. 1 f) BetrVG 1952 unterwarf 4 • Hierunter sollte jedoch nicht die Frage der Überwachung eines einzelnen Arbeitnehmers durch eine technische Einrichtung fallen l5 • Diese Kontroverse wurde 1972 vom Gesetzgeber durch die Schaffung des § 87 Abs. 1 Nr.6 im Rahmen der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetz beigelegt. Grund fiir die Einfiihrung dieses Mitbestimmungsrechts war der immer stärker werdende Eingriff von techni-

11 Zu "klassischen" technischen Überwachungseinrichtungen vgl. DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 164 ff.; Hess/SchlochauerlGlaubitz, § 87 RdNr. 309 ff; Fitting! KaiseriHeitheriEngels, § 87 RdNr. 239 ff.; GK-Wiese, § 87 RdNr. 551 f. 12 FittinglKraegelohiAuffarth, 6. Auflage, § 56 RdNr.37a; Küchenhoff, Anmerkung zu BAG v. 27.5.1960, AP Nr. I zu § 56 BetrVG Ordnung des Betriebes, BI. 3 f.; Monjau, BB 1964, S. 887, S. 889; 0. Schmidt, AcP Bd. 162, S. 305, S. 329 f.; Musa, AuR 1961,357,359 f. 13 BAG v. 27.5.1960, AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG 1952 Ordnung des Betriebes, BI. 2. 14 Aus der Literatur: Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S.485; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. III, S. 416; kritisch zur BAG-Rechtsprechung, HuecklNipperdey, Arbeitsrecht Bd. II12., S. 1374, Fn. 24e. 15 BAG v. 27.5.1960, AP Nr. I zu § 56 BetrVG 1952 Ordnung des Betriebes, BI. 2.

D. Zweck der Mitbestimmung

23

schen Einrichtungen in den persönlichen Bereich des Arbeitnehmers und die damit verbundene Gefahr für das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers l6 • Allerdings hatte der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Schaffung der Regelung die erste Generation technischer Kontrolleinrichtungen in Form von Multimomentkameras, Produktographen sowie Fahrtenschreibern im Blickpunkt. Diese Art der Überwachung ist zum heutigen Zeitpunkt in vielen Bereichen von computergestützten Anwendungen verdrängt worden. Aufgrund dieses beträchtlichen technologischen Wandels haben sich im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Problemen bei der Anwendung der Regelung auf die modeme elektronische Datenverarbeitung ergeben. Dies konnte auch die offene Gestaltung des Wortlauts ("technische Einrichtung") durch den Gesetzgeber nicht verhindern. Infolgedessen wird inzwischen im Schrifttum vereinzelt erneut eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes gefordert l7 •

D. Zweck der Mitbestimmung Die Gesetzesbegründung führt bezüglich der Einfiihrung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 aus, daß technische Einrichtungen, die den Zweck haben, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, stark in den persönlichen Bereich der Arbeitnehmer eingreifen. Das Mitbestimmungsrecht dient dem Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers 18. Grundsätzlich wird die menschliche Überwachung der Leistung der Arbeitnehmer als solche noch nicht als Gefährdung des Persönlichkeitsrechts gesehen. Sie ist durch die schuldrechtliche Vorgabe, daß die Überwachung der Leistung Gläubigerrecht ist, gedecke 9 • Die technische Überwachung ist jedoch mit der Kontrolle durch einen Menschen nicht vergleichbar. Durch eine technische Kontrolle kann eine ungleich größere Zahl von Informationen über den Arbeitnehmer ermittelt und verarbeitet werden. Dabei kann die Kontrolle auch über einen längeren Zeitraum unterbrechungsfrei erfolgen, ohne daß Informationen verloren gehen. In vielen Fällen wird die Überwachung für den Arbeitnehmer nicht einmal wahrnehmbar sein. Infolgedessen kann er sich der Kontrolle auch nicht entziehen.

Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucksache VI/1786, S. 48 f. DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 134. 18 Dies ist nahezu unbestrittenen. Vgl. BAG v. 10.7.1979,6.12.1983,14.9.1984 u. 18.2.1986, AP Nr. 3, BI. 1, Nr.7, BI. 19, Nr. 9, BI. 5 u. Nr. 13, BI. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; Jobs, DB 1983, S. 2307, S. 2308; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 362; GK-Wiese, § 87 RdNr. 484; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 135; Wohlgemuth, AuR 1984, S.257, S. 258; Zöllner, DB 1984, S. 241, S.244; Buchner, ZfA 1988, S. 449, S. 487; Wlotzke, § 876. a). 19 Buchner, ZfA 1988, S.449, S.467, S.482; sie ist zudem Ausfluß des Leistungsprinzips, welches im BetrVG anerkannt ist, vgl. Hanau, FS Zeuner, S. 53, S. 63. 16

17

24

§ 1 Einführung

Die durch die technische Einrichtung ermittelten oder ausgewerteten Daten können beliebig lange gespeichert werden. Sie sind stets verfügbar. Hierdurch werden Einsichten über das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers ermöglicht (Stichwort: Persönlichkeitsprofil), die zum einen bei einer herkömmlichen (menschlichen) Überwachung nicht gegeben wären und zum anderen einer persönlich individuellen Beurteilung entbehren. Sie können den Arbeitnehmer zum bloßen Beurteilungsobjekt herabwürdigen. Sofern der Arbeitnehmer von einer derartigen Verarbeitung seiner Verhaltens- oder Leistungsdaten weiß, kann dies einen Anpassungsdruck erzeugen, der zu erhöhter Abhängigkeit des Arbeitnehmers führt und infolgedessen die freie Entfaltung der Persönlichkeit hinderf°. Aus diesen Gründen stellt nahezu jeder Einsatz einer technischen Einrichtung, mit der die Tätigkeit eines Arbeitnehmers überwacht wird, einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Der Eingriff resultiert dabei nicht aus der Überwachung des Verhaltens oder der Leistung an sich, sondern aus der Art und Weise, in der die Überwachung durchgeführt wird. Allerdings kann der Eingriff je nach Art und Weise der Überwachung sehr schwankende Intensitäten haben und durch überwiegende betriebliche Interessen gerechtfertigt sein. Dabei will § 87 Abs. 1 Nr. 6 dem Arbeitnehmer keinen umfassenden Persönlichkeitsschutz oder einen Schutz vor jeglichen Gefahren einer Überwachung gewähren. In den Schutzbereich von Nr. 6 fallen nur solche Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts, die spezifisch auf der Überwachung durch eine technische Einrichtung beruhen21 • Die Norm ermöglicht es, bereits im Vorfeld der Einführung technischer Einrichtungen unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verhindern, sie wirkt präventiv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 stellt damit die kollektivrechtliche Ergänzung des individualrechtlichen Persönlichkeitsschutzes da~2. Die Regelung konkretisiert § 75 Abs. 2, der die Grundnorm des kollektiven Persönlichkeitsschutzes darstellf 3• Lediglich Glaubitz und Hunold halten diese Interpretation des Schutzzwecks der Regelung in § 87 Abs. 1 Nr.6 für zu weitgehend24 • Der Begriff des "persönlichtm Bereichs" müsse anhand der vorausgegangenen höchstrichterlichen

20 BAG v. 14.9.1984 u. 8.11.1994, AP Nr. 9, BI. 6, NT. 27, BI. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung. 21 BAG v. 27.5.1986 u. 30.8.1995, AP NT. 15, BI. 8, Nr. 29, BI. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; Ehmann, FS HilgeT/Stumpf, S. 125, S. 142; Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, AP NT. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 11. 22 . GK-Wiese, § 87 RdNT. 485; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 362; Jobs, DB 1983, S. 2307, S. 2308. 23 BAG v. 10.7.1979 AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG Überwachung B1.3; DäublerlKittnerlKlebe-Berg § 75 RdNT. 35 ff.; GK-Kreutz § 75 RdNr. 73, § 87 RdNr. 484f; Däubier, Gläserne Belegschaften, RdNr. 391. 24 HessiSchlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 284 ff.; Hunold, Anm. zu BAG v. 26.7.1994, DB 1995, S. 149, S. 150;

D. Zweck der Mitbestimmung

25

Rechtsprechung zur Einführung von Produktographen in den Betrieb interpretiert werden, da diese die Regelung - als Reaktion des Gesetzgebers - ausgelöst habe 2s • Daraus ergebe sich, daß ein Eingriff nur gegeben sei, wenn die technische Einrichtung eine psychologisch belastende Einwirkung auf die Person habe 26 • Die nach bisheriger Rechtsprechung durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Rechtsgüter würden durch die Einfiihrung und Anwendung einer technischen Einrichtung kaum berührt werden können27 • Diese Auffassung ist abzulehnen. Die Beschränkung des Zwecks der Vorschrift auf die Verhinderung einer besonderen psychischen Belastung der Arbeitnehmer fmdet keine Stütze im Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte der Norm. Zwar war die zu § 56 Abs. 1 f) BetrVG 1952 ergangene Rechtsprechung Anlaß für die Einfiihrung der Regelung. Jedoch kann aus dem Anlaß nicht zugleich die Grenze der Regelung entnommen werden. Damit würde man dem Gesetzgeber eine Kurzsichtigkeit im Hinblick auf zukünftige technische Entwicklungen unterstellen, die in der Gesetzesbegründung keine Stütze fmdet. Die offene Formulierung des Begriffs "technische Einrichtung" spricht vielmehr dafür, daß der Gesetzgeber auch zukünftige technische Entwicklungen und infolgedessen die damit einhergehenden Gefahren für die Arbeitnehmer durch die Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 erfassen wollte. Zudem geht der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht in der Regel mit einer psychischen Belastung des betroffenen Arbeitnehmers einher8 • Glaubitz und Hunold führen nicht einmal aus, in welchen Fällen hieraus Einschränkungen resultieren. Im Ergebnis kann damit den Einwänden dieser Autoren gegen die Ansicht der Rechtsprechung und ganz herrschenden Meinung im Schrifttum nicht gefolgt werden. Das Mitbestimmungsrecht sichert dem Betriebsrat darüber hinaus ein Mitbeurteilungsrecht bei der Frage zu, ob ein Eingriff durch ein überwiegendes betriebliches Interesse gerechtfertigt ist. Freilich kann hierdurch die Grenze der Zulässigkeit von Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers nicht verändert werden29 • Sofern Auslegungszweifel über den Inhalt oder die Grenzen des Mitbestimmungsrechts bestehen, ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die den Persönlichkeitsschutz des einzelnen Arbeitnehmers am besten

Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 285. Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 285; Hunold, Anm. zu BAG v. 26.7.1994, OB 1995, S. 149, S. 150. 27 Hess/Sch1ochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 285. 28 GK-Wiese, § 87 RdNr. 486. 29 BAG v. 27.5.1986, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI 6; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 RdNr. 211; GK-Wiese, § 8~. RdNr. 484, 487; Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Uberwachung, B113. 2S

26

26

§ 1 Einfiihrung

sicherf°. Dies gebietet der innere Zusammenhang zwischen § 87 Abs. 1 Nr. 6 und § 75 Abs. 2. Daneben umfaßt der Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 ein Mitgestaltungsrecht des Betriebsrats im Bereich der Einfiihrung oder Anwendung rechtlich zulässiger technischer Einrichtungen31 • Im Rahmen der Ausübung dieses Rechts sind die Interessen des Betriebs und der Arbeitnehmer abzuwägen. Die mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben folgen dabei aus §§ 2 Abs. 1, 76 Abs. 5 S.3 und 432 • Die Vorgabe des Persönlichkeitsschutzes gebietet, zulässige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht auf das notwendige Maß zu beschränken oder gegebenenfalls sogar ganz auszuschließen33 • Lediglich Ehmann und Wiedemeyer/Schuster lehnen ein Mitgestaltungsrecht ab. Sie gehen davon aus, daß der Betriebsrat einer datenschutzrechtlich zulässigen Maßnahme des Arbeitgebers im Rahmen der Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr.6 zustimmen müsse, da die Interessenabwägung in beiden Bereichen im Kern übereinstimme 34 . Im Ergebnis würde sich die Tätigkeit des Betriebsrats bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach Nr. 6 dadurch auf eine Rechtskontrolle der Maßnahmen des Arbeitgebers beschränken. Eine "Regelung" wäre nicht mehr möglich. Dagegen spricht jedoch, daß die oben angeführten mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben nicht mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben (Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses, vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG) fiir die Zulässigkeit einer Maßnahmen übereinstimmen35 • Es ist jedoch nicht Aufgabe des Betriebsrats, mit Hilfe des Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6, die Einfiihrung oder Anwendung von Überwachungseinrichtungen zu verhindern36 • Das Mitbestimmungsrecht dient nicht 30 Fitting/Kaiser/HeitheriEngels, § 87 RdNr. 211; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr. 135; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 389, 397; Wohlgemuth, AuR 1984, S. 257, S. 260; a.A. GK-Wiese, § 87 RdNr. 485. 31 Zu den praktischen Durchfiihrung dieses Mitgestaltungsrechts vgl. Buchner, ZfA 1988,S. 449,S.485. 32 Buchner, ZfA 1988, S. 449, S. 484. 33 Fitting/KaiseriHeither/Engels, § 87 RdNr. 211; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 389; Münch-ArbR-Matthes, § 330 RdNr. 2. 34 Ehmann, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, SAE 1985, S. 181, S. 190; ders., ZfA 1986, S. 357, S. 388; ders., NZA 1993, S. 241, S. 245; Wiedemeyer/Schuster, BB 1991, S. 970, S. 971. 35 Buchner, ZfA 1988, S.449, S.483 f.; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 491. Auch das BAG geht nicht von einer Zustimmungspflicht des Betriebsrats aus, vgl. BAG v. 11.3.1986, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 6f.; ebenso BVerwG v. 16.12.1987, NZA 1988, S. 513, S. 514. 36 GK-Wiese, § 87 RdNr. 496; Hanau, FS Zeuner, S. 52, S. 62; Buchner, BB 1987, S. 1942, S. 1951; Ehmann, NZA 1993, S. 241, S. 245; Wlotzke, § 876. a); Hess! Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr.319; GalperinlLöwisch, § 87 RdNr. 147; Wächter, DuD 1994, S.428,S. 432.

E. Gesetzessystematik

27

dazu, dem Arbeitgeber den Anschluß an die technologische Entwicklung und die daraus resultierenden Möglichkeiten zu erschweren37 • Es soll sichergestellt werden, daß berechtigte Persönlichkeits interessen der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt werden38 • Dies kann allerdings dazu fUhren, daß Einrichtungen, die primär der Überwachung von Arbeitnehmern dienen, fiir deren Einsatz jedoch kein berechtigtes betriebliches Interesse besteht, nicht im Betrieb eingesetzt werden dürfen. Wenn der Arbeitgeber zusichert, die erhobenen arbeitnehmerrelevanten Daten nicht zu Überwachungszwecken zu gebrauchen, weiterzuverwenden oder zu speichern und dies verfahrensmäßig abgesichert ist, kann der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nicht dazu benutzen, die Einfiihrung oder Anwendung einer technischen Einrichtung zu verhindern39 •

E. Gesetzessystematik § 87 Abs. I Nr. 6 enthält eine selbständige Regelung und geht als Spezialvorschrift der Regelung in Abs. 1 Nr. 1 vor (Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer), soweit eine Verhaltens- oder Leistungskontrolle der Arbeitnehmer durch technische Einrichtungen erfolgt40 • § 87 Abs. 1 Nr. 6 erstreckt sich dabei sowohl auf den Leistungs- als auch den Ordnungsbereich. § 87 Abs. 1 Nr. 1 erfaßt demgemäß Kontrollmaßnahmen nur, wenn sie ohne eine technische Einrichtung erfolgen41 • Neben Nr. 6 können noch andere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen. Hier sind insbesondere die Rechte aus Nr. 2-3, 7, 10 und 11 sowie aus §§ 91,94 und 95 zu erwähnen. Im Vorfeld der Einfiihrung oder Anwendung einer neuen technischen Einrichtung stehen dem Betriebsrat je nach Anwendungsfall darüber hinaus umfassende Unterrichtungs- und Beratungsrechte gemäß den §§ 90, 106 Abs. 2 i.V.m. Abs.3 Nr. 5 und § 111 Nr. 5 zu. Daneben hat der Arbeitgeber bei der Einfiihrung technischer Einrichtung gegebenenfalls Arbeitsschutzvorschriften nach der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirrngeräten (BildscharbV) zu beachten. Hierbei gewährt das Arbeitsschutzgesetz dem Betriebsrat kein MitBuchner, BB 1987, S. 1942, S. 1951. BAG v. 18.12.1986, AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 3; GKWiese, § 87 RdNr. 496; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 389; Buchner, BB 1987,S. 1942,S. 1951. 39 Buchner, BB 1987, S. 1942, S. 1951. 40 BAG v. 22.11.1989, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht BI. 3; BAG v. 9.9.1975, AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2; Fitting/Kaiser/Heither/ Engels § 87 RdNr.209; Galperin/Löwisch § 87 Anrn. 59a; HesslSchlochauer/Glaubitz § 87 Rdnr. 287; Moll, DB 1982, S. 1722. 41 Ausftihrlich hierzu Moll, DB 1982, S. 1722. 37 38

28

§ 1 Einführung

spracherecht. Rechte und Pflichten werden allein den Beschäftigten in den §§ 15 ff. ArbSchG gewährt. Im Rahmen der Verarbeitung von Daten enthält darüber hinaus das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in den §§ 4, 27 ff. BDSG weitere Anforderungen. Auf diese wird im Verlauf der Arbeit eingegangen.

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezüglich der Einführung oder Anwendung technischer Überwachungseinrichtungen besteht nur unter den in § 87 Abs. 1 normierten Voraussetzungen. Demnach müssen die Tatbestandsmerkmale der Nr. 6 vorliegen und es darf kein Ausschlußtatbestand gemäß Hs. 1 gegeben sein.

A. Tatbestandsvoraussetzungen I. Kollektiver Tatbestand Bei der Einführung oder Anwendung der technischen Einrichtung muß es sich zunächst um eine kollektive Maßnahme handeln, um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auszulösen). In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wird durch die Einführung einer technischen Einrichtung 2 entweder potentiell jeder Arbeitnehmer betroffen sein oder ein bestimmter Arbeitsplatz, unabhängig von dem dort tätigen Arbeitnehmer. Ein kollektiver Bezug besteht nur dann nicht, wenn nicht ein Arbeitsplatz, sondern nur ein bestimmter Arbeitnehmer von der Überwachung durch die technische Einrichtung betroffen ist4 •

11. Begriffsbestimmung der "technischen Einrichtung" i. S. der Nr. 6 Ein die Mitbestimmung auslösender Tatbestand ist nur gegeben, wenn es sich bei der Überwachung um die Kontrolle durch eine technische Einrichtung und nicht durch einen Menschen handelf. Der Begriff der technischen EinVgl. zur Frage, wann ein kollektiver Tatbestand oder eine Individualmaßnahme vorliegt GK-Wiese, § 87 RdNr. 15 ff. m.w.N. 2 Vgl. zum Begriff der technischen Einrichtung die nachfolgenden Ausführungen. 3 GK-Wiese, § 87 RdNr. 503; Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 102. 4 Vgl. GK-Wiese, § 87 RdNr. 503; Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 102. Vgl. BAG v. 26.3.1991, AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 3. Durch die Wahl des Begriffs wird deutlich, daß der Gesetzgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht auf bestimmte Kontrollmechanismen, wie zum Beispiel einen Produktographen, beschränken wol1te. Vielmehr eröffnet die Formulierung die Möglichkeit auch bei zukünftigen technischen Neuerungen ein Mitbestimmungsrecht

30

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6

richtung wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend als unproblematisch betrachtet6 • Dennoch wird er unterschiedlich gehandhabt. Das BVerwG versteht unter einer technischen Einrichtung im Sinne des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG7 Anlagen, die, unter Verwendung nicht menschlicher, sondern anderweitig erzeugter Energie, mit den Mitteln der Technik, insbesondere der Elektronik, eine selbständige Leistung erbringen8 • Ein Teil der Literatur fordert in Übereinstimmung mit der Definition des BVerwG ebenfalls ein eigenständiges Operieren der Apparate und Geräte 9 . Hiernach stellen solche Apparate und Geräte keine technischen Einrichtungen dar, die lediglich ein Hilfsmittel bei der Beobachtung bzw. Kontrolle von Menschen sind, jedoch keine eigene Leistung erbringen lO • Dazu gehören beispielsweise Brillen, Lupen, Uhren und ähnliches ll • Dem kann nicht zugestimmt werden. Der Begriff der technischen Einrichtung ist mit der neueren Rechtsprechung des BAG I2 sowie einem Teil des Schrifttums weiter zu interpretieren\3. Eine technische Einrichtung liegt bereits dann vor, wenn es sich um ein optisches, mechanisches, akustisches oder elektronisches Gerät handelt l4 • Allerdings muß eine gewisse Vergegenständlichung gegeben sein l5 • Diese Voraussetzungen entsprechen dem normalen Sprachverständnis. Die Erbringung einer selbständigen Leistung ist danach nicht erforderlich. Eine Begrenzung der in Frage kommenden Geräte kann sachgerechter bei dem Tatbestandsmerkmal "zur Überwachung bestimmt" erfolgen l6 • Bei EDV-Anlagen handelt es sich unproblematisch um technische Einrichtungen im Sinne der Vorschrift. Dabei stellt die Hardware bereits für sich gesehen eine des Betriebsrats zu sichern. Hier sind aus der neueren Entwicklung insbesondere die Einführung von ISDN-Telefonanlagen, firmenweiten-Computernetzwerken und die Nutzung von E-Mail Diensten zu nennen. 6 BAG v. 9.9.1975,23.4.1985 u. 8.11.1994, AP Nr.2, BI. 2, Nr.12, BI. 2 u. Nr. 27, BI. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2; Wohlgemuth, AuR 1984, S. 257, S. 259; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 403. 7 Die Vorschrift ist wortgleich mit der des § 87 Abs. 1 Nr. 6. B VerwG v. 31.8.1988, AP Nr. 25 zu § 75 BPersVG, Bl.l. 9 Kraft, ZfA 1985, S.141, S.145; Münch-ArbR-Matthes, § 330 RdNr.6; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 288. 10 Münch-ArbR-Matthes, § 330 RdNr. 6; wohl auch v. Hoyningen-Huene, § 12 H. 6. a). 11 Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 288; Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 145; Schwarz, OB 1983, S. 226, S. 227 f. 12 BAG v. 8.11.1994, AP Nr. 27 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 1. \3 Däubler/Kittner/Klebe, § 87 RdNr. 137; Fitting/KaiseriHeitheriEngels, § 87 RdNr. 219; GK-Wiese, § 87 RdNr. 497; Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 90. 14 Däubler/Kittner/Klebe, § 87 RdNr. 137. 15 Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 90; GK-Wiese, § 87 RdNr. 497. 16 Däubler/Kittner/Klebe, § 87 RdNr. 137.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

31

technische Einrichtung dar 17• Software l8 wird hingegen erst in Verbindung mit der. Hardware zu einer technischen Einrichtung im Sinne der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr.6 19 • Erst durch das Aufspielen der Software auf die passende Hardware erlangt die Software eine ausreichende Vergegenständlichung20 •

IH. Der Überwachungs begriff Die technische Einrichtung muß das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer überwachen. Bezüglich der Frage, welche Vorgänge unter den Begriff der Überwachung im Sinne von Nr. 6 zu subsumieren sind, ist zwischen dem Vorgang der Datenerhebung und dem der Datenverarbeitung zu unterscheiden.

J. Die Datenerhebung

Das BAG defmiert in der Bildschirmarbeitsplatz-Entscheidung21 erstmalig den Begriff der Überwachung im Sinne von Nr. 622 • Demnach ist hierunter ein Vorgang zu verstehen, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern erhoben und in aller Regel irgendwie aufgezeichnet werden, um sie auch der menschlichen Wahrnehmung zugänglich zu machen, mithin die Datenerhebung23 • Unerheblich ist, wie die Informationen erhoben werden. Dies kann optisch, akustisch oder in sonstiger Weise erfolgen24 • Hierunter fällt vor allem die Überwachung der Arbeitnehmer durch Film- oder Fernsehkameras2s , Abhörgeräte, Stechuhr, Produktographen, Fahrtenschreiber, elektronische Datenverarbeitung und ähnliche technische Geräte. Diese Fälle subsumiert auch das Schrifttum nahezu einhellig unter das Mitbestimmungs17 Hieraus folgt jedoch nicht, daß die Einführung von Hardware isoliert betrachtet einen mitbestirnrnungspflichtigen Tatbestand darstellt, vgl. S. 67. 18 Software = Computerprograrnme. 19 Wohl auch BAG 26.7.1994, AP Nr.26 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2. 20 Ebenso Schwarz, ArbeitnehmeTÜberwachung, S. 90. 21 BAG v. 6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung. 22 In den vorhergehenden Entscheidungen ist der Begriff der Überwachung vom BAG nicht näher definiert worden; vgl. BAG v. 14.5.1974,9.9.1975, 10.7.1979, AP NT. 1, 2, 3 zu § 87 BetrVG Überwachung 23 BAG v. 6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 16; diese Definition wurde von BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 3 f. bestätigt. 24 GK-Wiese, § 87 RdNr. 500. 25 Zur Zulässigkeit der heimlichen Videoüberwachung als Grundlage für eine Kündigung siehe Röckl/Fahl, NZA 1998, S. 1035 ff.

32

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. I Nr. 6

recht des Betriebsrats nach Nr. 626 • Unerheblich ist dabei, aufweIche Weise die Überwachungsdaten dem Arbeitgeber von der technischen Einrichtung zugänglich gemacht werden. Dies wird im Regelfall durch eine Aufzeichnung geschehen27 • Möglich und ausreichend ist aber ebenso die direkte Übermittlung der Informationen28 • Mitbestimmungspflichtig ist jedoch nicht der Einsatz einer Stoppuhr9 • Das Meßergebnis wird nicht automatisch durch die Dauer des Arbeitsschritts und den Lauf des Meßwerks, sondern durch eine Handlung des Prüfers bestimmfo. Der die Stoppuhr bedienende Mensch erhebt die gemessenen Zeiten durch Betätigung der entsprechenden Tasten. Die Stoppuhr selbst nimmt keine Überwachung vor, sie ist lediglich HilfsmitteI3 !. Für das Eingreifen des Mitbestimmungsrechts ist es belanglos, ob die aufgezeichneten Informationen auch durch die technische Einrichtung ausgewertet werden können32 • Die entgegenstehende Auffassung von GOOS 33 und Ehmann 34 , die als notwendiges Merkmal des Überwachungsbegriffs einen Soll-Ist-Vergleich, also eine Bewertung der von der technischen Einrichtung erfaßten Informationen verlangen, kann nicht überzeugen. Zum einen liegt dieser Ansicht ein zu enges sprachliches Verständnis des Überwachungsbegriffs zugrunde. Dem allgemeinen Sprachgebrauch gemäß kann unter dem Begriff "Überwaehen" auch nur das Beobachten von Gegenständen oder Personen verstanden werden3s • Zum anderen führt diese Auffassung dazu, daß der eigentliche Anlaß für die Einführung von § 87 Abs. 1 Nr. 6, nämlich die Einführung und Anwendung eines Produktographen mangels Auswertung der von dem Gerät ermittelten Daten, nicht mehr unter den Tatbestand der Nr. 6 subsumiert werden kann. Der Produktograph nimmt selbst keine Auswertung der von ihm ermittelten Daten vor. Bereits durch die Beobachtung und Aufzeichnung von Infor26 GK-Wiese, § 87 RdNr. 498 ff.; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 142; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr.407; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 RdNr. 212 f., 233; Münch-Arbr-Matthes, § 330 RdNr. 12; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 297 f.; Buchner, BB 1987, S. 1942, S. 1949 f.; Denck, RdA 1982, S. 279, S. 297. 27 Vgl. BAG v. 6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG Überwachung, BI. 16. 28 B VerwG v. 31.8.1988, AP Nr. 25 zu § 75 BPersVG, BI. 2. 29 So auch BAG v. 8.11.1994, AP Nr.27 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2. 30 BAG v. 8.11.1994, AP Nr. 27 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2. 3! DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 153. 32 BAG v. 6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG Überwachung, BI. 16; GK-Wiese, § 87 RdNr. 524; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 142 m.w.N. 33 Goos, BB 1983, S. 581, S. 583. 34 Ehmann, Anm. zu BAG v. 6.12.1983 EzA Nr. I zu § 87 BetrVG 1972 Bildschirmarbeitsplatz, S.53, S.77. Ein neuerer Beitrag Ehmanns, NZA 1993, S. 241 ff., läßt jedoch erkennen (S. 244 f.), daß er nunmehr die Rechtsprechung des BAG akzeptiert. 3S Vgl. Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 150.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

33

mationen über den Arbeitnehmer, die stets verfiigbar bleiben und nicht vergessen werden, besteht die Gefahr, daß in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen wird36 • Der Arbeitnehmer kann sich einer Beobachtung und Aufzeichnung seines Verhaltens am Arbeitsplatz durch eine technische Einrichtung nicht entziehen. Infolgedessen gebietet der Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts von § 87 Abs. 1 Nr. 6, bereits die Eignung zur Aufzeichnung von Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern als Überwachung im Sinne der Vorschrift anzusehen.

2. Die Datenverwertung a) Erweiterung des Überwachungsbegriffs durch das BAG und Vertreter der Literatur Ob unter den Begriff der Überwachung daneben die bloße technische Auswertung anderweitig erlangter Informationen fällt, wurde vom BAG in der Bildschirmarbeitsplatz-Entscheidung offengelassen37 • Im Schrifttum wurde dies zum damaligen Zeitpunkt bereits kontrovers diskutierf B• In der Entscheidung vom 14.9.1984 (Technikerinformationssystem) hat das BAG sein Verständnis des in § 87 Abs. 1 Nr. 6 enthaltenen Überwachungsbegriffs über die Fälle der Datenerhebung hinaus auf die Fälle der reinen Datenauswertung ausgeweitef9. Dieser Auffassung hat sich der überwiegende Teil der Literatur angeschlossen40 • Das heißt, daß nach dieser Ansicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch dann eingreift, wenn Daten der Arbeitnehmer auf nichttechnisehern Wege gewonnen und erst in einem zweiten Arbeitsschritt von einer technischen Einrichtung ausgewertet werden41 • Eine Auswertung liegt vor, wenn verhaltens- oder leistungsbezogene Daten, gegebenenfalls zusammen mit

BAG v. 6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG ÜbelWachung, BI. 16. BAG v. 6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG ÜbelWachung, BI. 17. 38 Zum Streitstand vor der Entscheidung des BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG ÜbelWachung, siehe die Nachweise auf BI. 5 und 6 der Entscheidung. 39 Diese Rechtsprechung wurde durch die Entscheidungen vorn 23.4.1985 (TÜVBerichtsystem) und 11.3.1986 (Paisy), AP Nr. 11 und 14 zu § 87 BetrVG ÜbelWachung fortgeführt. 40 GK-Wiese, § 87 RdNr. 527 m.w.N.; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 142; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 RdNr. 213; MÜßch-ArbR-Matthes, § 330 RdNr. 13 ff.; Kilian, BB 1985, S. 403, s. 407; Simitis, NJW 1985, S. 401, S. 405 f.; ders., RDV 1989, S.49, S. 53; Klebe, NZA 1985, S. 44 ff.; Schwarz, BB 1983, S. 202, S. 203; ders., DB 1983, S. 226, S. 227; Gaul, RDV 1987, S. 109, S. 112; Linnenkohl, AuR 1984, S. 129, S. 135; Wohlgemuth, Datenschutz, RdNr. 719; Löwisch, AuR 1987, S. 96, S. 98; Schapper, AuR 1988, S. 97, S. 104. 41 BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 ÜbelWachung, BI. 4 ff. 36

37

3 Andres

34

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6

anderen Daten, programmgemäß gesichtet, sortiert, zusammengestellt oder miteinander in Beziehung gesetzt und damit zu Aussagen über Verhalten oder Leistung von Arbeitnehmern verarbeitet werden können42 . Die Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs ist dabei nicht erforderlich. Weder der Wortlaut noch der Sinn der Regelung in Nr. 6 könne es rechtfertigen, unter einer technischen Überwachung lediglich einen Vorgang zu verstehen, der entweder ausschließlich die Erhebung von Verhaltens- und Leistungsdaten erfasse oder diese zumindest beinhalte43 . Der Wortsinn des Begriffs "Überwachen" sei zumindest neutral. Als Teil einer lebenden Sprache sei der Begriff offen fiir Veränderungen44 • Der Schutzzweck der Norm bestehe in der Sicherung der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers vor technik-spezifischen Gefahren. Die modeme Datenverarbeitungstechnologie berge vielfältige eigenständige Gefahren fiir das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers45 • Zwar sei es nicht Inhalt des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6, den Arbeitnehmer schlechthin vor Gefahren der modemen Datenverarbeitung zu schützen, jedoch rechtfertigten die in der zuvor vom BVerfG in der Entscheidung zum Volkszählungsgesetz46 aufgezeigten Gefahren der technischen Datenverarbeitung fiir das Persönlichkeitsrecht die Annahme eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Auswertung nichttechnisch erlangter Verhaltens- oder Leistungsdaten durch eine technische Einrichtung. Der Vorgang der Datenverarbeitung sei dadurch gekennzeichnet, daß eine beliebige Anzahl von Informationen unter gleichzeitiger Isolierung von ihrem Entstehungszusammenhang (Kontextverlust) auf Dauer gespeichert und jederzeit beliebig mit anderen Informationen verknüpft werden könne (Multifunktionalität)47. Hierdurch könne der Arbeitnehmer zum Objekt herabgesetzt werden und sein Persönlichkeitsrecht in gleichem Maße wie bei der Datenermittlung beeinträchtigt werden, so daß auch ein solcher Eingriff dem Schutzzweck der Regelung in Nr. 6 unterfalle48 . Die Gefahren, die von einer Überwachung durch eine technische Auswertung ausgingen seien zwar zum Teil andere, als die, die durch eine technische Gewinnung von Leistungs- und Verhaltensdaten gegeben 42 DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 142; GK-Wiese, § 87 RdNr. 524; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 RdNr. 236. 43 BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 4. 44 GK-Wiese, § 87 RdNr. 528. Dies gesteht auch Zöllner, DB 1984, S. 241, S. 244 zu. 45 GK-Wiese, § 87 RdNr. 529 f. 46 BVerfG v. 15.12.1983, NJW 1984,419 ff. 47 BAG v. 14.9.1985, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI 5; GKWiese, § 87 RdNr. 530; Simitis, NJW 1985, S. 401, S. 405. 48 BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 6; GKWiese, § 87 RdNr.530; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 144; Klebe, NZA 1985, S. 44, S. 45.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

35

seien, jedoch insgesamt betrachtet von gleichem Gewicht. Das Wissen um eine derartige Verarbeitung der Verhaltens- und Leistungsdaten erzeuge zudem bei den betroffenen Arbeitnehmern einen höheren Anpassungsdruck, der eine erhöhte Abhängigkeit der Arbeitnehmer nach sich ziehe. Auch dies hindere die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer. Nur die Erfassung der Daten, nicht aber die technische Auswertung von Daten unter den Begriff "Überwachung" zu subsumieren wäre demnach inkonsequent49 • Folglich bilde die Ermittlung der Daten nur eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für die Überwachungsmöglichkeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 650 •

b) Ablehnende Stimmen im Schrifttum Eine solch extensive Auslegung des Überwachungsbegriffs wird von einigen Stimmen im Schrifttum stark kritisiert und für unzulässig gehalten51 • Eine Ausweitung des Überwachungsbegriffs auf die Fälle der alleinigen Verarbeitung von Daten stehe bereits mit der sprachlichen Bedeutung des Wortes "überwachen" nicht im Einklang52 • Entgegen den Ausführungen des BAG werde die Bedeutung des Wortes "überwachen" in deutschen Wörterbüchern mit "beobachten" bzw. "beaufsichtigen" "genau verfolgen, was jemand tut" oder auch ,jemanden durch ständiges Beobachten kontrollieren" urnschrieben53 • Mithin stünde die Interpretation, die das HAG und der zustimmende Teil des Schrifttums dem Begriff beilegen, nicht im Einklang mit dem Sprachgebrauch. Diese Hürde halten die Vertreter dieser Ansicht zwar nicht rur unüberwindbar, jedoch hätten die Rechtsprechung und die Gegenansicht für eine dem Sprachgebrauch widersprechende Auslegung besondere Argumente anfUhren müssen, was nicht geschehen sei. Unabhängig von den Bedenken, die bereits gegen die Interpretation des Wortlauts bestehen, werden weiterhin systematische Bedenken in die Diskussion eingefiihrt. Ein Teil der ablehnenden Auffassung im Schrifttum hält bereits die Interpretation des Schutzzweck der Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 6 durch das

Kilian, BB 1985, S. 403, S. 407. Kilian, BB 1985, S. 403, S. 407. 51 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 152 ff.; Hess/Sch1ochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 314 ff.; Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196; ErdmannJMager, DB 1987, S.46, S.48; Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, AP Nr.9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 8 ff.; Zöllner, DB 1984, S. 241, S. 244 f. 52 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 152; Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 314. 53 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 152; Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196. 49

50

36

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr.6

BAG für nicht mehr vertretbar4 • Vor der BAG-Entscheidung vom 14.9.1984 sei als ratio legis der Eingriff in die persönliche Sphäre des einzelnen Arbeitnehmers angenommen wordenss • Mit der Entscheidung vom 14.9.1984 habe das BAG jedoch den Schutzzweck der Regelung neu konzipierf6 • Nunmehr verstehe das Gericht als Schutzzweck der Regelung in Nr.6 den allgemeinen Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers. Bei der vQm BA G vorgenommenen Ausweitung des Schutzzwecks werde übersehen, daß die Regelung in Absatz 1 Nr. 6 den Arbeitnehmer nur vor solchen Gefahren für seine Person schützen soll, die durch das technische Überwachen entstehen könnens7 • Die Hauptbedenken werden in der Literatur jedoch gegen das Argument vorgebracht, daß eine technische Auswertung nichttechnisch ermittelter Verhaltens- oder Leistungsdaten auf technisch-spezifische Weise in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifes8 • Es mute merkwürdig an, wenn bei vom Arbeitnehmer selbst mitgeteilten oder manuell erhobenen Daten ein Mitbestimmungsrecht bejaht werde, sobald diese Daten in eine datenverarbeitende Anlage eingegeben würdens9 • Die technische Einrichtung würde, und das stelle auch das BAG fest, die Daten nur ebenso wie ein Mensch, durch Sichten, Sortieren, Zusammenstellen, Trennen und In-Bezug-Setzen auswerten60 • Die vom BA G angeführten, der technischen Einrichtung spezifisch innewohnenden technischen Gefahren des Kontextverlustes und der Herabwürdigung des Arbeitnehmers zum bloßen Beurteilungsobjekt werden von der dargestellten Ansicht im Schrifttum bestritten. Dem Argument des Kontextverlustes durch eine gezwungenermaßen notwendige Selektion der Daten wird entgegengehalten, daß der Kontextverlust nicht ein spezifisches Merkmal der Datenverarbeitung mit einer technischen Einrichtung sei61 • Auch der Mitarbeiter der manuell eine Fehlzeitenliste oder ähnliches auswerte, habe nur den "Kontext", der in der Liste enthalten ist, und keine Beschreibung der Situation, aufgrund derer die

S4 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 153; Hess/Sch1ochauer/Glaubitz, § 87 Rndr. 314 f.; Buchner, BB 1987, S. 1942, S. 1949 f. ss Hess/Sch1ochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 284. S6 Buchner, BB 1987, S. 1942, S. 1949 f.; Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 153. S7 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 153. S8 Weng, DB 1985, S. 1341, S. 1345; Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1985, AP Nr.9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BIll f.; Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196; Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 154. S9 Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1985, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwa-

chung, Bill f. 60 Weng, DB 1985, S. 1341, S. 1345; Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1985, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BIll. 61 Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196. Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 154.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

37

Fehlzeiten des jeweiligen Arbeitnehmers zustande kamen62 • Datenselektion und Kontextverlust träten folglich auch, wenn nicht sogar in verstärktem Maße, bei manueller Datenverarbeitung auf. Aus dem Aspekt des Kontextverlustes könne demnach kein Argument für die Anwendung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 auf die Fälle der technischen Datenauswertung ohne vorhergehende technische Datenermittlung abgeleitet werden. Hinzu komme, daß die direkte Kontrolle durch eine technische Einrichtung im Gegensatz zur bloßen Datenauswertung eine besondere Qualität aufweise, weil der betroffene Arbeitnehmer sich immer unmittelbar beobachtet flihle 63 • Mit einer Auswertung von Daten und deren Vergleich müsse der Arbeitnehmer hingegen auch ohne Existenz eines Personalinformationssystems rechnen64 • Darüber hinaus wird von den Vertretern dieser Ansicht auch das Argument der Herabwürdigung des Arbeitnehmers zum bloßen Beurteilungsobjekt, dadurch, daß eine Maschine auch weit zurückliegende Daten berücksichtige, nicht als Begründung für die Annahme eines Mitbestimmungsrechtes aus Absatz 1 Nr. 6 akzeptiert. Mit dem Verweis des BAG auf das zeitlich unbegrenzte Gedächtnis einer Maschine sei zum einen die "Gnade des Vergessens" angesprochen. Zum anderen aber auch die Möglichkeit, die Arbeitnehmerdaten mit einer erhöhten Efftzienz auszuwerten, so daß Einsichten erlangt würden, die bei manueller Datenverarbeitung nicht erzielbar wären. Dem sei entgegenzuhalten, daß Informationen zu "vergessen", wie das Wort bereits ausdrücke, eine Gnade, in keinem Fall aber ein Rechtsanspruch sei, auf den sich der Arbeitnehmer berufen könne6s • Auch die Tatsache, daß durch die Nutzung technischer Einrichtung aufwendigere Auswertungen der Verhaltens- und Leistungsdaten des Arbeitnehmers als durch manuelle Bearbeitung möglich sind, stelle keine technik-speziftsche Gefahr dar66 • Im Ergebnis könnten die gleichen Vorgänge, wenn auch in einer wesentlich längeren Zeitspanne, von Menschen durchgefUhrt werden. Ferner flihre das Wissen des Arbeitnehmers um die Verarbeitung seiner Verhaltens- und Leistungsdaten auch nicht - wie vom BA G behauptet - zu einem erhöhten Anpassungsdruck und erhöhter Abhängigkeit des Arbeitnehmers, welche eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts darstellen könnte67 •

Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 154. Hesse, NZA 1985, Beil. 1, S. 15, S. 17; Zöllner, DB 1984, S. 241, S. 244. 64 Hesse, NZA1985, Beil. 1, S. 15, S. 17. 65 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 154. 66 Weng, DB 1985, S. 1341, S. 1345. 67 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 155; Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196; Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 11, hält dies für eine Unterstellung. 62 63

38

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. I Nr.6

Vielmehr handele es sich bei diesen Begriffen lediglich um gesellschaftspolitische Reizworte, die nicht als juristische Argumentationskette akzeptiert werden könnten68 • Insgesamt ist dieser Auffassung zufolge die Erweiterung des Überwachungsbegriffs auf die Fälle der Verarbeitung manuell erhobener Verhaltens- oder Leistungsdaten mit einer technischen Einrichtung abzulehnen.

c) Stellungnahme Der Kritik in der Literatur an der Entscheidung des BAG vom 14.9.1984 ist zuzugeben, daß die Argumentation des Gerichts in bezug auf die Ausweitung des Überwachungsbegriffs auf die reine Datenauswertung durch eine technische Einrichtung nicht sonderlich transparent und schlüssig erfolgt. Das BA G stellt in seiner Argumentation zu sehr die allgemeinen Gefahren der modemen Datenverarbeitung in den Vordergrund, ohne auf den konkreten Normzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 und die Gefahren für den einzelnen Arbeitnehmer einzugehen. Im Ergebnis, wenn auch zum Teil nicht in der Begründung, ist der Entscheidung jedoch zuzustimmen. Um zu überprüfen, ob eine Ausweitung des Überwachungsbegriffs auf die Fälle der Datenauswertung möglich ist, ist zunächst der Zweck der Regelung in Nr. 6 heranzuziehen. Zweck der Regelung ist der Schutz der Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers vor den Gefahren, die ihr durch eine technische Überwachung drohen69 • Voraussetzung rur das Vorliegen eines mitbestimmungspflichtigen Tatbestandes ist somit, daß die Gefährdung der Persönlichkeitssphäre auf einen der technischen Einrichtung spezifisch innewohnenden Umstand ZUTÜckzufUhren ist. Daneben ist bei der Auslegung des Mitbestimmungstatbestandes zu berücksichtigen, daß die "technischen Einrichtungen" und die mit ihnen verbundenen Nutzungsmöglichkeiten durch das immer rascher fortschreitende Innovationstempo einem immerwährenden Wandel unterliegen. Vorgänge, die zunächst als nicht realisierbar galten, gehören unter Umständen fiinf Jahre später zum normalen betrieblichen Alltag. Aufgrund dieses raschen Wandels im Technologiebereich gibt es praktisch keine Möglichkeit, feste Begriffe und Werte zu definieren, die über einen längeren Zeitraum Bestand haben. Vielmehr müssen die Regelungen flexibel gehandhabt werden. Das heißt, es muß fortwährend überprüft werden, ob die bisher in Rechtsprechung und Literatur entwickelten 68 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. ISS; Hunold, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, BB 1985, S. 195, S. 196. 69 VgJ. die Ausführungen zum Schutzzweck der Regelung auf S. 23.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

39

Kriterien den Neuerungen im technischen Bereich gerecht werden, um den Schutzzweck des Tatbestandes optimal zur Geltung zu bringen. § 87 Abs. 1 Nr. 6 stellt von seinem Wortlaut her eine flexible Regelung dar. Der sprachliche Sinn des Wortes "überwachen" ist nicht auf die Beobachtung und anschließende Auswertung der erhobenen Erkenntnisse beschränkt. Vielmehr umfaßt der Begriff "überwachen" neben der Sammlung von Informationen auch die alleinige Auswertung bereits anderweitig erlangter Informationen. Dies wird schon durch die Verwendung des Begriffs "überwachen" in anderen gesetzlichen Regelungen wie etwa § 93 BNotO oder § 111 AktG deutlich. Diese Regelungen ordnen eine Überwachung nicht in Form einer Beobachtung, sondern in Form einer Überprüfung der Amtsführung bzw. Geschäftsführung an. Hierunter kann jedoch nur die Auswertung von Materialien, nicht aber die ständige Beobachtung des Vorstandes bzw. Notars verstanden werden70 • Insoweit geht die von der Gegenansicht vorgenommene Interpretation des Begriffs "überwachen" fehl. Entscheidend wird von der ablehnenden Ansicht im Schrifttum darauf abgestellt, daß sich durch die maschinelle Auswertung anderweitig erhobener Daten keine spezifische Gefahr der technischen Einrichtung fiir das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers realisiere. Eine solche liege bei der anonymen Beobachtung durch eine Maschine in der hierdurch auftretenden psychischen Belastung des Arbeitnehmers 71. Die Maschine trete hierbei an die Stelle des Menschen und ersetze seine Sinnesorgane. Hierdurch würden die möglichen Gefahren fiir die Persönlichkeit des Überwachten entstehen72 • Sofern lediglich Daten der Arbeitnehmer verarbeitet würden, entstünde im Gegensatz zu der Behauptung des BAG kein vergleichbarer Überwachungsdruck73 • Vielmehr stelle eine Auswertung der Daten nur einen Vorgang dar, der im Grunde nichts anderes als der Nachvollzug menschlicher Gedankenarbeit see4 • Gegen diese Argumentation ist zunächst einzuwenden, daß jede techni5che Einrichtung im Prinzip nur eine dem Grunde nach auch von Menschen zu verrichtende Tätigkeit - wenn auch um ein vielfaches effIzienter - vollziehfs. In diesem Sinne unterscheidet sich die optische Kontrolle eines Arbeitnehmers durch eine technische Einrichtung nicht von der Auswertung vorher auf anderem Weg ermittelter Daten über den Arbeitnehmer. Eine lückenlose optische Kontrolle könnte ebenso 70 So auch Apitzsch/Schmitz, AiB 1985, S. 165, S. 166 und Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 411; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 143. 71 HessiSchlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 314. 72 Kraft, ZfA 1985, S. 141, S. 155 ff. 73 Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 314. 74 Richardi, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 11. 7S Vgl. auch: Zöllner/Loritz, § 47 11. 6.

40

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr.6

durch eine entsprechende Anzahl von Aufsichtspersonen gewährleistet werden. Auch die Datenauswertung könnte theoretisch von Menschen vorgenommen werden. In beiden Fällen handelt es sich, vereinfacht gesagt, um reine EffIzienzerwägungen. Der technische Fortschritt versetzt den Arbeitgeber in die Lage, Vorgänge, die zuvor zu kostspielig waren, nun durch eine Maschine erledigen zu lassen. In diesem Punkt unterscheidet sich die Datenerhebung somit nicht von der Datenerfassung. Einen weiteren Unterschied sieht die ablehnende Ansicht darin, daß von der reinen Datenauswertung im Vergleich zur Datenerhebung durch eine technische Einrichtung kein vergleichbarer Überwachungsdruck ausginge, mithin kein Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers vorliege. Der Überwachungsdruck ist bei der Kontrolle durch eine Videokamera oder einen Produktographen unmittelbar und jederzeit für den Arbeitnehmer wahrnehmbar. Er rechnet z.B. im Falle einer versteckten Videokamera damit, daß sein Verhalten am Arbeitsplatz kontrolliert wird. Eine solche "Wahrnehmung" entfällt bei der Überwachung des Arbeitnehmers durch eine Datenauswertung. Jedoch tritt an die Stelle der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Auswertung seiner Verhaltens- und Leistungsdaten. Für den Arbeitnehmer ist dabei nicht nachvollziehbar, in welcher Weise und zu welchen Zwecken die über ihn ermittelten Daten vom Arbeitgeber weiterverarbeitet werden. Diese Ungewißheit kann bei den betroffenen Arbeitnehmern ebenso wie die unmittelbare Beobachtung durch eine Kamera zu einer Änderung ihrer Verhaltensweisen und einer Erhöhung des psychischen Drucks fUhren. Im Gegensatz zur Beobachtung durch eine Kamera, bei der der Arbeitnehmer sich bewußt ist, welche seiner Verhaltensweisen durch die technische Einrichtung aufgezeichnet werden, kann er bei der Datenauswertung auf das Überwachungsergebnis nahezu keinen Einfluß nehmen. Sein Einfluß beschränkt sich darauf, durch seine Angaben oder sein Verhalten zu bestimmen, welche Daten in den Datenauswertungsvorgang gelangen. Auf die sich daran anschließende Phase der Verarbeitung hat der Arbeitnehmer keinen Einfluß mehr. In welcher Weise und zu welchem Zweck die Daten verknüpft werden, bleibt ihm verborgen. Durch eine Datenauswertung können Vorgänge und Verhaltensmuster bei Arbeitnehmern oder Produktionsabläufen sichtbar gemacht werden, die bei einer unmittelbaren Beobachtung nicht ausgemacht werden können. Die Datenauswertung, auch manuell erhobener Daten, kann somit eine weiterreichende Kontrolle der Arbeitnehmer gewährleisten. Diese Situation ist zumindest ebenso geeignet, den Arbeitnehmer in eine psychologische Zwangssituation zu versetzen, wie die direkte Beobachtung durch eine Kamera. Der Arbeitnehmer muß durch diese Methode der Überwachung befürchten, daß jedes Detail seines Verhaltens am Arbeitsplatz nicht nur aufgezeichnet, sondern auch in Beziehung zu anderen Daten gesetzt und mit den Datenprofilen anderer Arbeitnehmer verglichen wird. Durch diese technische Verarbeitung und Ver-

A. Tatbestandsvoraussetzungen

41

knüpfung der Daten fmdet zwangsläufig eine Abstraktion der Sachverhalte, aus denen die Daten gewonnen wurden, statt. Infolgedessen besteht die Gefahr, daß menschliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden, die bei einer manuellen Verarbeitung von den auswertenden Personen berücksichtigt worden wären. Hierdurch besteht die Möglichkeit, daß durch eine technische Auswertung auch anderweitig erlangter Daten ebenso wie bei der Datenermittlung in den persönlichen Bereich des Arbeitnehmers eingegriffen wird. Dieser Eingriff besitzt gegenüber der Datenermittlung, wie gezeigt, keine geringere, sondern zumeist eine höhere Intensität. Auf Grund dessen kann die zum Teil vertretene Gegenansicht nicht überzeugen. Mithin unterfallt die Auswertung von Informationen ebenso dem Überwachungsbegriff des§ 87 Abs. 1 Nr. 6 wie die Datenerhebung.

3. Die weitere Datenverwendung (Folgeregelungen) Zu klären ist ferner, ob über die erstmalige elektronische Datenverwertung hinaus eine im Anschluß daran stattfmdende Verwendung der Daten eine Überwachung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 darstellt. Dies ist im Hinblick auf die Fälle von Relevanz, in denen den Tatbestandsvoraussetzungen nach zwar ein Mitbestimmungsrecht vorliegt, die Mitbestimmung aber dennoch aufgrund einer bestehenden gesetzlichen oder tariflichen Regelung gemäߧ 87 Abs. 1 Eingangssatz ausgeschlossen isf6 • Sofern die von diesen Anlagen ermittelten oder ausgewerteten Daten einer über die gesetzliche oder tarifliche Regelung hinausgehenden Verwendung zugeführt würden, könnte sich eine Mitbestimmungspflichtigkeit nach Nr. 6 ergeben.

a) Aus- bzw. Verwertung Eine weitere Verwendung der Daten kann zunächst in einer erneuten oder weitergehenden Aus- bzw. Verwertung der Daten bestehen. Diese wird in den meisten Fällen wiederum durch eine technische Einrichtung erfolgen, jedoch ist auch eine manuelle Auswertung denkbar. Sofern sie manuell erfolgt, greift das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 nicht ein. Sofern sie jedoch durch eine technische Einrichtung erfolgt, besteht gegebenenfalls ein Mitbestimmungsrecht nach Nr.6, da auch die Datenauswertung unter den Mitbestimmungstatbestand zu subsumieren ist77 • Entscheidend hierfür ist, ob die weitere

76

77

Zum Gesetzes- und Tarifvorbehalt vgl. S. 83 ff. Vgl. soeben, S. 33.

42

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. I Nr. 6

Aus- bzw. Verwertung objektiv dazu geeignet ist, neue VerhaItens- oder Leistungsdaten von Arbeitnehmern zu produzieren.

b) Nutzung Unter einer "Nutzung" ist der Vorgang zu verstehen, der sich zeitlich an die Auswertung, der durch technische Einrichtungen erlangten Infonnationen anschließt und keine weitere Verarbeitung isf8 • Eine "Nutzung" der Daten stellen zunächst diejenigen Maßnahmen dar, die der Arbeitgeber aufgrund der ennitteIten Daten vornimmt. Dies kann eine Versetzung, Abmahnung, Kündigung oder ähnliches sein79 • Diese Maßnahmen sind nicht mehr Gegenstand der Überwachung und daher rnitbestimmungsfrei im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr.680 • Sie können allerdings in einer Betriebsvereinbarung rnitgeregeIt werden, um den von § 87 Abs. 1 Nr.6 bezweckten Schutz der Persönlichkeitssphäre der Arbeitnehmer sicherzustellen8 !. Eventuell sind daneben andere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats einschlägig (z.B.: §§ 99; 102; 111, 112). Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer weiteren elektronischen Nutzung der durch Überwachungseinrichtungen erlangten Infonnationen. Diese ist zunächst von der bereits erwähnten erneuten Auswertung der Daten abzugrenzen82 • Als Nutzung, die keine Aus- bzw. Verwertung im oben genannten Sinne darstellt, kommt insbesondere die dauerhafte Speicherung der Daten im Anschluß an ihre primäre Auswertung83 , die Übennittlung der Daten in andere Systeme bei innerbetrieblicher Vernetzung, sowie die Weitergabe der Daten in Betracht84 • Ob solche Nutzungsmöglichkeiten noch eine ,,Anwendung" der

78 Die hier als Nutzung beschriebenen Vorgänge werden im Schrifttum häufig als Verwendung bezeichnet. Dabei wird der Begriff der Verwendung zum Teil fälschlich mit dem der Aus- bzw. Verwertung gleichgesetzt; vgl. nur DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr. 158. Zur besseren Unterscheidung wird deshalb im Folgenden von Nutzungen gesprochen. 79 GK-Wiese, § 87 RdNr. 535. 80 Schwarz, ArbeitnehmeTÜberwachung, S. 80; GK-Wiese, § 87 RdNr. 535; Ehmann, ZfA 1986, S. 357, S. 396. 8! BAG v.l1.3.1986, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 8 f.; Matthes, RDV 1987, S. 1, S.6; Ehmann, ZfA 1986, S.357, S.396; GK-Wiese, § 87 RdNr. 535; Zur ordnungsgemäßen Ausübung des Mitbestimmungsrechts vgl. S. 134 ff. 82 Vgl. soeben, S. 41. 83 Der hier verwendete Begriff des "Speichems" unterscheidet sich von dem im BDSG in § 3 Abs. 5 Nr. I verwendeten insoweit, als daß vorliegend nur die Aufbewahrung der Daten unter den Begriff subsumiert wird. Dies entspricht zugleich dem al1gemeinen Sprachgebrauch. 84 GK-Wiese, § 87 RdNr. 535.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

43

technischen Einrichtung und damit eine Überwachung im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 darstellen, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt.

aa) Die überwiegende Ansicht im Schrifttum

Der überwiegende Teil des Schrifttums nimmt in bezug auf die weitere Nutzung der Daten ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats an8S • Zur Begründung wird darauf verwiesen, daß der Betriebsrat bei Ablehnung eines Mitbestimmungsrechts in eine Alles-oder-Nichts-Situation hineingezwungen würde 86• Er habe keinen Einfluß mehr auf die spätere Nutzung der Daten, so daß ihm nur ein kategorisches Veto gegen jede Speicherung personenbezogener Daten bliebe. Andernfalls könne er seinem Schutzauftrag, Gefährdungen von der Persönlichkeitssphäre der Arbeitnehmer femzuhalten, nicht gerecht werden87 • Den in § 2 Abs. 1 niedergelegten Grundprinzipien widerspräche es, Mitbestimmungsrechte von vorneherein zum Gegenstand der Konfrontation zu machen. Zudem ergäbe sich das Ausmaß einer potentiellen "Verdatung" erst durch die späteren Verknüpfungsmöglichkeiten. Hinzu komme, daß dem Betriebsrat ein Initiativrecht auf Einschränkung oder Abschaffung einer Überwachungseinrichtung zustehe, sofern der Zweck der Anlage nach ihrer Einfiihrung zu Lasten der Arbeitnehmer verändert wird und infolgedessen die Beeinträchtigungen rur die Persönlichkeitssphäre größer werden als erwartet. Dieser Fall stelle aber nur die Kehrseite der obligatorischen Mitbestimmung dar. Folglich müsse sich das Mitbestimmungsrecht auch auf die verschiedenen Auswirkungen der Kontrolleinrichtung erstrecken88 •

bb) Die Auffassung Ehmanns

Dem wird von Ehmann entgegengehalten, daß es in der Praxis kaum denkbar sei, die Fülle der notwendigen Datenverwendungen im voraus abstrakt und allgemein zu regeln89 • Jedoch sei dem BAG zuzugeben, daß es als Möglichkeit 8S Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 463; Klebe/Schumann, AuR 1983, S. 40, S. 47; GK-Wiese, § 87 RdNr. 535; Wohlgemuth, AuR 1984, S. 257, S. 261; ders., Datenschutz, RdNr.707; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 141, 158; Fitting/Kaiser/ Heither/Engels, § 87 RdNr. 243; Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 128 ff. 86 Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr.463; Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 128 f. 87 Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr.463; Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 129. 88 Schwarz, Arbeitnehmerüberwachung, S. 129. 89 Ehmann, Anm. zu BAG v. 14.9.1984, SAE 1985, S. 181, S. 192 f.; ders., Beilage 1/1985 zu NZA 1985, S. 1, S. 9.

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. I Nr.6

44

des angemessenen Interessenausgleichs die Mitregelungskompetenz des Betriebsrats auch auf mögliche Reaktionen des Arbeitgebers ausweite. Hieraus folge indes keine umfassende Regelungskompetenz zur Zweckbindung90 •

ce) Stellungnahme

Im Ergebnis ist der Ansicht Ehmanns zuzustimmen. Als Hauptargument wird von der Gegenansicht angefiihrt, daß der Betriebsrat keinen Einfluß auf die künftige Nutzung der arbeitnehmerbezogenen Daten hätte, sofern man ihm ein Mitbestimmungsrecht nach Nr. 6 verwehre. Dies ist jedoch nicht richtig. Sofern der Arbeitgeber die ermittelten Daten in weiteren Datenverarbeitungsanlagen oder in anderen Programmen zur Ermittlung von Verhaltens- oder Leistungsdaten der Arbeitnehmer wiederum einsetzt, stellt dieses Verhalten erneut die Einfiihrung oder Anwendung einer technischen Überwachungseinrichtung im Sinne der BAG-Rechtsprechung und somit eine Datenauswertung, mithin einen nach Nr. 6 mitbestimmungspflichtigen Vorgang, dar. Über die Einführung einer solchen Einrichtung muß der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 2 unterrichten und sich im Anschluß daran mit ihm über den Einsatz der Anlage einigen, bzw. das Verfahren nach § 87 Abs. 2 durchführen. Unterläßt der Arbeitgeber dies und setzt er die Anlage dennoch ein, so erfolgt der Einsatz rechtsunwirksam91 • Der Betriebsrat kann die Beseitigung der Anlage bzw. die Unterlassung der Verwendung verlangen92 • Folglich hat der Betriebsrat durchaus Einfluß auf die weitere Verwendung der einmal erfaßten Daten, sofern diese zu Überwachungsdaten bezüglich des Verhaltens- oder der Leistung der Arbeitnehmer weiterverwendet werden sollen. Eine ,.Alles-oderNichts-Situation" ist nicht gegeben. Lediglich die Gefahr eines Mißbrauchs genügt nicht, um das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. I Nr. 6 auszulösen. Sofern der Arbeitgeber durch die Weiterverwendung der Daten objektiv keine neuen Aussagen über das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer

Ehmann, ZfA 1986, S. 357, S. 396; ders. RDV 1988, S. 221, S. 240. Gemäß der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung (h.M.) ist eine im Bereich des § 87 vom Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats vorgenommene, für die Arbeitnehmer nachteilige Maßnahme rechtswidrig. Vgl. BAG v. 17.12.1980,20.8.1991 u. 3.12.1991, AP Nr.4, BI. 3, Nr.50, BI. 4 u. Nr. 52 (GS), BI. 13 f. zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, BI. 14 f.; GK-Wiese, § 87 RdNr.99 m.w.N.; Fitting/KaiseriHeither/Engels, § 87 RdNr. 568; DäublerlKittner/Klebe, § 87 RdNr. 4; Löwisch, TK-BetrVG, § 87 RdNr. 10; Lieb, RdNr. 757 f.; a.A. Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 83 ff. m.w.N. 92 LAG Berlin v. 12.9.1986, LAGE § 87 BetrVG Kontrolleinrichtung NT. 8, S. 17, S. 19; GK-Wiese, § 87 RdNr. 122,579; Galperin/Löwisch, § 87 RdNr. 150. 90 91

A. Tatbestandsvoraussetzungen

45

erarbeiten kann, besteht erst recht kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6. Dem Betriebsrat würde - isoliert betrachtet - auch bei erstmaliger Erhebung oder Auswertung solcher Daten durch eine Anlage, die keine Verhaltensoder Leistungsdaten der Arbeitnehmer ermittelt, kein Mitbestimmungsrecht nach Nr. 6 zustehen. Dann kann die "Zweit-"Verwendung von Daten zu solchen Zwecken, nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach Nr.6 unterstellt werden. Restriktionen bezüglich einer weiteren Datennutzung in diesem Sinne ergeben sich aus den §§ 4, 28 BDSG. Wenn der Arbeitgeber die ermittelten Daten in der Form weiterverwendet, daß er sie ohne Einsatz einer technischen Einrichtung im Sinne von Nr. 6 auswertet, so kann eine solche Verwendung nicht dem Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 unterliegen. Überdies ist Ehmann darin zuzustimmen, daß es fiir den Betriebsrat unmöglich ist zu übersehen, zu welchen weiteren Nutzungszwecken die ermittelten Daten vom Arbeitgeber verwendet werden könnten. Deshalb ist es sachgerechter, jeden vom Arbeitgeber angestrebten Nutzungszweck in dem Augenblick, in dem er relevant wird, im Hinblick auf seine Mitbestimmungspflichtigkeit und die von ihm ausgehenden Gefahren fiir die Rechte der Arbeitnehmer zu untersuchen. Eine präventive Regelung würde ofunals zu Vereinbarungen führen, die sich später als undurchführbar oder unnötig entpuppen.

c) Zwischenergebnis Die (weitere) Nutzung der Daten untersteht nach der hier verwendeten Definition nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6. Sofern die weitere Nutzung als Auswertung anzusehen ist, kann diese Auswertung freilich erneut die Tatbestandsvoraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 erfüllen. Auch wenn eine langfristige Speicherung ermittelter oder ausgewerteter Daten bei Betriebsrat und Arbeitnehmern ein "ungutes" Gefühl verursacht, kann dies das Mitbestimmungsrecht nach Nr. 6 nicht auslösen. Gleichwohl ist es zulässig, als Möglichkeit eines angemessenen Ausgleichs der Interessen, bestimmte Zweckbindungen bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechts bezüglich einer Datenerhebung oder -verarbeitung zum Schutz des Persönlichkeitsrechts präventiv festzulegen. Zudem können andere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bzw. gesetzliche Beschränkungen, insbesondere des Bundesdatenschutzgesetzes, zu beachten sein.

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6

46

4. Datenspeicherung

Des weiteren ist fraglich, ob auch die alleinige (technische) Speicherung von nichttechnisch ennittelten Daten93 unter den Begriff der Überwachung durch eine technische Einrichtung subsumiert werden kann. Dies wird vereinzelt in der Literatur angenommen94 • Diese Ansicht geht davon aus, daß die Speicherung jeglicher Arbeitnehmerdaten der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 unterliegt, da durch entsprechende Verknüpfungen gegebenenfalls Aussagen über das Verhalten oder die Leistung ennittelt werden können. Hiergegen spricht freilich, daß durch die alleinige Speicherung von nichttechnisch erhobenen Daten keine spezifisch technische Überwachungswirkung erzielt wird, die nach dem Schutzzweck der Regelung fiir das Eingreifen des Mitbestimmungsrechts erforderlich ist95 • Die Speicherung führt zu keiner, von der technischen Einrichtung erzeugten, Aussage über das Verhalten oder die Leistung des betroffenen Arbeitnehmers. Sie stellt isoliert betrachtet keinen anderen Vorgang dar, als das Abheften vergleichbarer Unterlagen in Aktenordnern. Allein dadurch, daß der Arbeitgeber sich die Daten auf einem Computerbildschirm anzeigen lassen kann, wird noch keine von einer technischen Einrichtung ausgehende spezifische Überwachungswirkung begründet. Eine solche liegt erst vor, wenn eine technische Einrichtung nichttechnisch gewonnene Daten zu Aussagen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern weiterverarbeitet96 • Erst durch die technische Erhebung oder Weiterverarbeitung zu Aussagen über das Verhalten oder die Leistung werden spezifische technische Gefahren fiir das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer begründet. Andernfalls manifestiert die Speicherung lediglich die anderweitig ennittelten Daten auf Dauer.

IV. Überwachung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer Eine Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern durch eine technische Einrichtung ist nur möglich, wenn die Einrichtung Verhaltens- oder Leistungsdaten ennittelt. Diese Verhaltens- oder Leistungsdaten

93

Unabhängig davon, ob es sich um Verhaltens-, Leistungs- oder Statusdaten han-

delt. 94 Däubler, Anm. zu BAG v. 22.\0.1986, AP Nr. 2 zu § 23 BDSG, BI. 12 f.; Klebe, NZA 1985, S. 44, S. 46. 95 BAG v. 22.10.1986, AP Nr. 2 zu § 23 BDSG, BI. 5; GK-Wiese, § 87 RdNr. 531; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 317; Insofern kann der Betriebsrat auch kein Mitbestimmungsrecht in bezug auf digitale Personalakten geltend machen, die Daten eines Arbeitnehmers lediglich speichern. Zum Einsichtsrecht des Betriebsrats in Personalakten allgemein vgl. Fitting/KaiseriHeither/Engels, § 99 RdNr. 149. 96 Vgl. die soeben gemachten Ausfiihrungen, S. 33 ff.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

47

müssen einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können97 • Technische Einrichtungen, die ausschließlich den Lauf oder die Ausnutzung einer Maschine oder sonstige technische Vorgänge kontrollieren, werden nicht erfaßt, soweit hierdurch keine Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern gezogen werden können98 • Hierzu zählen beispielsweise Druckmesser, Wamlampen, und Drehzahlmesser. Ebenso wird der Mitbestimmungstatbestand nicht ausgelöst, wenn der Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen einen Knopf betätigen muß, um die Maschine in Gang zu halten. Anders verhält es sich aber, wenn diese Betätigung aufgezeichnet oder gemeldet wird99 . Ein die Mitbestimmung auslösender Fall liegt vor, wenn die von der technischen Einrichtung erfaßten oder verarbeiteten Daten erst unter Hinzuziehung anderer Informationen auf bestimmte Arbeitnehmer bezogen werden können und so Aussagen über das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers gewonnen werden loo • Des weiteren ist es nicht erforderlich, daß die mittels der technischen Einrichtung gewonnene Aussage für sich bereits eine abschließende, sachgerechte oder vollständige Beurteilung des Verhaltens oder der Leistung eines Arbeitnehmers ermöglichtlol • Es genügt, wenn die Einrichtung objektiv irgendeine Beurteilung ermöglicht.

97 BAG v.6.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 19; BAG v. 18.2.1986, AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2. 98 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 87 RdNr. 223; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr.146. 99 Fitting/Kaiser/HeitheriEngels, § 87 RdNr. 223 f.; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr. 146. . 100 DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr. 146. 101 BAG v. 23.4.1985, AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 2. Gebhardt/Umnuß, NZA 1995, S. 103, S. 106, halten diese Entscheidung für zu weitgehend. Sie erachten es für unzureichend, daß eine Beurteilung nur zum Teil auf Aussagen einer technischen Einrichtung beruht. Das Schwergewicht des Überwachungsvorgangs müsse auf den Aussagen der technischen Einrichtung beruhen. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß der Wortlaut und Schutzzweck der Regelung allein darauf abstellt, daß Aussagen über das Verhalten oder die Leistung ermittelt werden und diese Aussagen das Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers beeinträchtigen. Ob diese Aussagen darüber hinaus für sich betrachtet eine Beurteilung der Arbeitnehmer zulassen oder hierzu weitere Unterlagen hinzugezogen werden müssen, ist für die Mitbestimmung nach Nr. 6 unerheblich. Es kommt lediglich auf die Erarbeitung von Aussagen über das Verhalten oder die Leistung eines Arbeitnehmers an. Was im Anschluß daran mit diesen Aussagen geschieht, ob sie beispielsweise überhaupt verwendet werden oder ungenutzt bleiben, ist unerheblich. Vgl hierzu auch die Ausführungen ab S. 63.

48

§ 2 Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6

1. Verhaltens- oder Leistungsdaten a) Begriffsdefmition Prinzipiell werden unter dem Begriff Verhaltensdaten alle Daten verstanden, die eine Aussage über ein individuell steuerbares Tun oder Unterlassen (Verhalten) eines Arbeitnehmers enthalten lO2• Uneinigkeit besteht über den Bereich, in dem sich das zu überwachende Verhalten abspielen muß. Kann jegliches Tun oder Unterlassen des Arbeitnehmers sowohl in- als auch außerhalb des Betriebs unter den Verhaltensbegriff des § 87 Abs. 1 Nr. 6 subsumiert werden oder ist der Verhaltensbegriff auf Verhaltensweisen begrenzt, die auf die Erbringung der Arbeitsleistung gerichtet sind? Einige Stimmen in der Literatur begrenzen den Verhaltensbegriff auf Verhaltensweisen, die arbeitsbezogen sind oder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Arbeitserbringung stehenlO3 • Zum Teil wird für diese Begrenzung der in § 1 Abs. 2 KSchG enthaltene Verhaltensbegriff und dessen Deftnition herangezogen lO4 • Danach setzt eine verhaltensbedingte Kündigung einen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten voraus lOS. Daneben wird auf den Schutzzweck der Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 6 verwiesen l06 • Ein nennenswerter Überwachungsdruck durch eine technische Einrichtung könne nur im Hinblick auf die Erbringung der Arbeitsleistung entstehen. Dieser Ansicht ist jedoch mit dem überwiegenden Teil des Schrifttums zu widersprechen l07 • Zunächst kann eine Heranziehung des § 1 Abs. 2 KSchG zur

102 BAG v. 11.3.1986, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 4; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr. 149; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 300; Müllner, OB 1984, S. 1677; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 427; Klebe, OB 1986, S. 380; weiter GK-Wiese § 87 RdNr. 537, der jedes Tun oder Unterlassen unabhängig von der individuellen Steuerung unter den Verhaltensbegriff subsumiert. 103 Müllner, OB 1984, S. 1677, S. 1678; HessiSchlochauer/Glaubitz, § 87 RdNr. 300,303; StegeIWeinspach, § 87 RdNr. 109b; Gaul, RDV 1987, S .109, S. 113; Kraft, Anm. zu BAG v. 11.3.1986 AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 9. 104 Müllner, OB 1984, S. 1677; Kraft, Anm. zu BAG v. 11.3.1986 AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 9. Auch das BAG zieht den in § 1 Abs. 2 KSchG enthaltenen Verhaltensbegriff zur Definition des Verhaltensbegriffs in § 87 Abs. I Nr. 6 heran, vgl. BAG v. 11.3.1986, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, BI. 4. Allerdings läßt das BAG offen, ob sich hieraus eine Beschränkung auf arbeitsbezogene Verhaltensweisen ergibt, vgl. BI. 5. lOS Vgl. GK-KSchG-Etzel, § 1 KSchG, RdNr. 383. 106 Müllner, OB 1984, S. 1677, 1678. 107 FittinglKaiserlHeitheriEngels, § 87 RdNr.217; GK-Wiese, § 87 RdNr.537; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 Rndr. 149; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr.428; Ehmann, ZfA 1986, S.357, S.370 f.; Münch-ArbR-Matthes, § 330 RdNr. 18; Klebe, DB 1986, S. 380, S. 381.

A. Tatbestandsvoraussetzungen

49

näheren Abgrenzung des Verhaltensbegriffs nicht überzeugen, da die beiden Regelungen unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen lO8 • § 1 Abs. 2 KSchG liegt der Gedanke zugrunde, den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu sichern (Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips) 109. Die Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 verfolgt den Schutz der Persönlichkeitssphäre des ArbeitnehmersIlo. Aus diesem Grund verbietet sich eine Parallelwertung der in beiden Normen verwendeten Begriffe. Weiterhin· sprechen weder aus dem Wortlaut noch aus dem Normzweck Argumente fiir eine Einschränkung des Verhaltensbegriffs auf arbeitsbezogene oder unmittelbar mit der Arbeitserbringung zusammenhängende Verhaltensweisen 111 • Zweck der Regelung ist es, wie bereits festgestellt wurde, die Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers zu schützen. Warum jedoch Überwachungsmaßnahmen, die vor Beginn, in den Pausen oder nach der Arbeitszeit erfolgen, die Persönlichkeitssphäre weniger beeinträchtigen sollen, als Maßnahmen, die während der Verrichtung der Arbeit erfolgen, ist nicht einzusehen. Die Vertreter dieser Ansicht bleiben eine Begründung diesbezüglich schuldig ll2 • Vielmehr können gerade die nicht mit der Erbringung der Arbeitsleistung zusammenhängenden Überwachungsdaten fiir den Arbeitgeber aufschlußreich in Bezug auf das Arbeitsverhalten sein. In Verbindung mit anderen Daten kann der Arbeitgeber sich so ein umfassendes Bild über die Leistung und das Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers verschaffen. Beispielsweise ist der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung der Pausen in der Lage zu ermitteln, wie der Arbeitnehmer die Pausen verbringt. Diese Daten kann er mit der im Anschluß an die Pause erbrachten Arbeitsleistung in Bezug setzen. Auf diese Weise kann er ermitteln, ob der Arbeitnehmer die Pause tatsächlich zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit nutzt. Aber auch der systematische Zusammenhang des § 87 Abs. 1 spricht fiir eine weite Auslegung des Verhaltensbegriffs ll3 • In Nr. 1 werden u.a. "Fragen des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb" geregelt. Wenn nun die Regelung in Nr. 6 nur von "Verhalten der Arbeitnehmer" spricht, ist dies zumindest ein starkes Indiz dafiir, von dem Begriff in Nr. 6 nicht nur arbeitsbezogene Verhaltensweisen als umfaßt anzusehen. Für eine weite Auslegung des Verhaltensbegriffs sprechen darüber hinaus

108 GK-Wiese, § 87 RdNr.537; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 Rndr. 149; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 428. 109 GK-KSchG-Etzel, § 1 KSchG, RdNr. 203; G. Huecklv. Hoyningen-Huene, § 1 KSchG RdNr. 4; Klebe, DB 1986, S. 380, S. 381. 110 Vgl. S. 23. 111 Ehmann, ZfA 1986, S. 357, S. 370 f.; DäublerlKittnerlKlebe, § 87 RdNr. 149; GK-Wiese, § 87 RdNr. 537; Münch-ArbR-Matthes, § 330 RdNr. 18; Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr. 430; Klebe, DB 1986, S. 380, S. 381. 112 Siehe Müllner, DB 1984, S. 1677, S. 1678. 113 Däubler, Gläserne Belegschaften, RdNr.430; Däubler/KittnerlKlebe, § 87 RdNr. 149; Ehmann, ZfA 1986, S. 357, S. 371.

4 An