Die historische Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vom Reichspersonenstandsgesetz bis zum Eheschließungsrechtsgesetz (1875 bis 1998) [1 ed.] 9783428587414, 9783428187416

Der Autor untersucht die historische Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft, Schwägerschaft und Geschlechtsgeme

125 52 2MB

German Pages 388 [389] Year 2023

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Die historische Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vom Reichspersonenstandsgesetz bis zum Eheschließungsrechtsgesetz (1875 bis 1998) [1 ed.]
 9783428587414, 9783428187416

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 210

Die historische Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vom Reichspersonenstandsgesetz bis zum Eheschließungsrechtsgesetz (1875 bis 1998)

Von

Christoph Schmiegelt

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTOPH SCHMIEGELT

Die historische Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vom Reichspersonenstandsgesetz bis zum Eheschließungsrechtsgesetz (1875 bis 1998)

Schriften zur Rechtsgeschichte Band 210

Die historische Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vom Reichspersonenstandsgesetz bis zum Eheschließungsrechtsgesetz (1875 bis 1998)

Von

Christoph Schmiegelt

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-18741-6 (Print) ISBN 978-3-428-58741-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2021/2022 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation zugelassen worden. Von Anfang an hatte es nahegelegen, die beiden Forschungsgebiete meines Doktorvaters Herrn Professor Dr. Andreas Roth, die deutsche Rechtsgeschichte und das Familienrecht, miteinander zu kombinieren; auch gab es zu Beginn des Jahres 2015, als ich mit der Arbeit begann, einen aktuellen Anlass, das Inzestverbot zu thematisieren, da der Ethikrat im September des Vorjahres mehrheitlich für eine Abschaffung der entsprechenden Regelung des Strafgesetzbuches votiert hatte. Für eine Untersuchung in der gebotenen Tiefe war allerdings die Beschränkung auf eine klar umrissene historische Epoche unabdingbar. In dieser Hinsicht boten sich die frühen Hochkulturen Vorderasiens und des östlichen Mittelmeerraumes bis zum antiken griechischen und römischen Recht, das Mittelalter sowie das 19. und das 20. Jahrhundert seit Gründung des Deutschen Reiches an. Den Ausschlag für die letztgenannte Option gab schließlich, dass sich der Untersuchungszeitraum durch das Reichspersonenstandsgesetz von 1875 und das Eheschließungsrechtsgesetz von 1998 klar umgrenzen ließ und dass abschließend der Frage nachgegangen werden konnte, ob und gegebenenfalls inwiefern das geltende Eheverbotsrecht mittlerweile der Reform bedarf. Die eingearbeitete Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Oktober 2021. Herrn Professor Dr. Andreas Roth danke ich herzlich für die intensive und geduldige Betreuung des Dissertationsvorhabens. Ich danke Herrn Professor Dr. Peter Gröschler für die Literaturempfehlungen zum römischen Eherecht und die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Professor Dr. Josef Ruthig, der den Vorsitz beim Rigorosum führte. Herrn Professor Dr. Matthias Pulte danke ich für die Literaturempfehlungen zum mittelalterlichen Kirchenrecht. Dem Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main danke ich für die Möglichkeit der Nutzung seiner Bibliothek. Dem Verlag Duncker & Humblot in Berlin, namentlich Frau Diana Güssow sowie, für die redaktionelle Betreuung, Frau Larissa Szews, danke ich für die Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit. Ich danke meinen Eltern, die mich bei deren Erstellung stets unterstützt haben, sowie meiner übrigen Familie und meinen Freunden für ihr neugieriges Interesse. Meiner Lebensgefährtin Lisa danke ich dafür, dass sie mir in der Schlussphase eine kritische und hilfreiche Partnerin war. Mainz, im Oktober 2022

Christoph Schmiegelt

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1. Kapitel Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert im Überblick

23

A. Das antike Recht der Römer und Germanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das römische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das germanische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 24

B. Das Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

C. Reformation und Konfessionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die protestantischen Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die katholischen Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 29 30

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Emanzipation des Eherechts von Religion und Tradition durch die Erkenntnisphilosophie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beispiele staatlicher Gesetzgebung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

33 35 35 37 40

E. Die Gesetzgebung deutscher Staaten im 19. Jahrhundert bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

31

2. Kapitel Das Kaiserreich (1871 bis 1918) A. Das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 6. Februar 1875 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgeschichte und Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Forderung des Liberalismus nach Einführung der obligatorischen Zivilehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Kulturkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Die Entwicklung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

46 47 47 48 50

10

Inhaltsverzeichnis II. Die Entstehungsgeschichte des RPStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von der „Resolution zu dem Gesetze betreffend die Beschränkung des Rechtes zum Aufenthalt der Jesuiten im Deutschen Reich“ bis zur Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der „Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“ vom 2. März 1874 und seine Beratung und Verabschiedung im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ablehnung des Gesetzentwurfes im Bundesrat und die Verabschiedung des neuen „Entwurfs eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ durch den Bundesrat . . . . . . . . . 4. Die Beratung und Annahme des neuen Gesetzentwurfes durch den Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf und das Inkrafttreten des RPStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die fortgeltenden landesrechtlichen Bestimmungen über die rechtlichen Folgen von Verstößen gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nach dem RPStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

B. Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Von den Richtlinien der Vorkommission für ein bürgerliches Gesetzbuch bis zur Wahl der Ersten Kommission durch den Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . II. Der „Entwurf eines Familienrechts für das Deutsche Reich“ von Gottlieb Planck (sogenannter Vorentwurf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der „Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung“ (sogenannter Erster Entwurf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beratungen der Ersten Kommission über den Vorentwurf zum Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die redaktionelle Überarbeitung der gefassten Beschlüsse und die Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen des Familienrechts nach den Beschlüssen des Redaktionsausschusses der 1. Kommission . . . . 3. Die Beratungen der Ersten Kommission über die „Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen“ und der sogenannte Kommissionsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die erste und zweite Beratung des Kommissionsentwurfes . . . . . . . . . . . . 5. Die Veröffentlichung des Ersten Entwurfes und der dazugehörenden Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Zweite Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einsetzung der Zweiten Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arbeit der Zweiten Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Gesetzesberatungen in Bundesrat und Reichstag und das Inkrafttreten des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beratung im Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von den Beratungen im Reichstag bis zum Inkrafttreten des BGB . . . . . .

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72 78 91

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127

131 134 137 153 153 161 174 176 182

Inhaltsverzeichnis a) Die erste Beratung im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Arbeit der XII. Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Von der zweiten Beratung im Reichstag bis zum Inkrafttreten des BGB VI. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 182 188 191 197

3. Kapitel Weimarer Republik, nationalsozialistische Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung (1919 bis 1949)

204

A. Ausbleibende Reformen in der Weimarer Republik und nationalsozialistische Ehegesetzgebung bis zum Jahr 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938: „Liberalisierung“ durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das „Gesetz über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ vom 12. April 1938 nebst Durchführungsverordnung vom 23. April 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet“ vom 6. Juli 1938 nebst Durchführungsverordnung vom 27. Juli 1938 . . . . . . . . . . III. Die Gründe für die Gesetzgebung des Jahres 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die amtlichen Begründungen zu den Gesetzen des Jahres 1938 . . . . . . . . 2. Die „nationalsozialistische Weltanschauung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Nationalsozialismus als „politische Religion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Kirchenpolitik des nationalsozialistischen Staates bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Verhältnis des Nationalsozialismus zu den christlichen Kirchen während der Weimarer Republik und unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Politik gegenüber der katholischen Kirche bis 1937 . . . . . . . . . . . c) Die Politik gegenüber den evangelischen Landeskirchen bis 1937 . . . d) „Entkonfessionalisierung“ in den letzten beiden Vorkriegsjahren . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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211 218 219 221 225 229

230 232 233 236 240

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946 . . . . . . 241 4. Kapitel Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

250

A. Das marxistisch-sozialistische Rechtsverständnis: Recht als Mittel zur Durchsetzung sozialistischer Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 B. Die gesetzgeberische Praxis zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

12

Inhaltsverzeichnis I. Fortgeltung des Ehegesetzes von 1946 während der „antifaschistischen Umwälzung“ und Gründung der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Der Erlass der „Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung“ vom 24. November 1955 während der „Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“ 256 III. Der Erlass des „Familiengesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 20. Dezember 1965 während des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

C. Ideologische Grundlagen für die Eheverbotsgesetzgebung in der DDR . . . . . I. Marxistische Grundannahmen über die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ablehnung des antiken römischen Rechts und des Kirchenrechts . . . . . . III. Marxismus-Leninismus als „politische Religion“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

260 261 264 267

D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 5. Kapitel Die Bundesrepublik Deutschland bis zum Erlass des Eheschließungsrechtsgesetzes (1949 bis 1998)

271

A. Der „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts (Familienrechtsgesetz)“ vom 23. Oktober 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 B. Der „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts“ der FDPBundestagsfraktion vom 2. Dezember 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 C. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften“ vom 9. Juli 1955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 D. Das „Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz)“ vom 11. August 1961 . . . . . . . . . 280 E. Das „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder“ vom 19. August 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 F. Das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)“ vom 14. Juni 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum zum Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft bis zu den frühen siebziger Jahren . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das rechtswissenschaftliche Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Eherechtskommission des Bundesjustizministeriums . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 286 286 288 295 296 296

Inhaltsverzeichnis

13

III. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1973 . . . 297 IV. Der weitere Gang des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 V. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 G. Das „Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz)“ vom 2. Juli 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 H. Das „Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG)“ vom 4. Mai 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die rechtswissenschaftliche Kontroverse um das Eheverbot wegen Schwägerschaft seit den fünfziger Jahren bis zum Eheschließungsrechtsgesetz . . . II. Das Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Übertragung der Befugnis zur Einleitung des Aufhebungsverfahrens auf die Verwaltungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abschaffung der Ehenichtigkeit und die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen Eheverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308 309 317 320 320 321 322 327

6. Kapitel Legitimation der verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft und etwaiger Reformbedarf A. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sittlich-religiöse Tabus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder für Familie und Gesellschaft sowie die Verhinderung von Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie und der Zwang zu exogamem Heiratsverhalten . . . III. Die Gefahr sexuellen Missbrauchs und seiner nachträglichen Legitimation durch das Versprechen einer späteren Eheschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Verhinderung von Erbkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Frage nach etwaigem Reformbedarf des geltenden Eheverbotsrechts . . I. § 1307 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 1308 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

334 334

335 340 345 348 348 352 353

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. ABGB ABl. KR Abs. AcP AG ALR Anm. Art. Aufl. BayJMBl. Bd. Beiträge

am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Absatz Archiv für die civilistische Praxis Amtsgericht Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anmerkung Artikel Auflage Bayerisches Justizministerialblatt Band Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, in besonderer Beziehung auf das Preußische Recht mit Einschluß des Handels- und Wechselrechts BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. I Bundesgesetzblatt Teil I BGBl. II Bundesgesetzblatt Teil II BGB-RGRK Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Kommentar, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern BR-Drs. Bundesratsdrucksache BrVOBl. Verordnungsblatt für die Britische Zone BT-Drs. Bundestagsdrucksache Bundesratsprotokolle Protokolle über die Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs Bundesratsverhandlungen Verhandlungen des Bundesrates. Stenographische Berichte Bundesr.-Drucks. Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs Bundestagsverhandlungen Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht CDU Christlich-Demokratische Union Deutschlands CSU Christlich-Soziale Union in Bayern DAVorm. Der Amtsvormund

Abkürzungsverzeichnis DDR DEK Der Standesbeamte

d. h. DJ DR DRZ EGMR EheG EheschlRG EMRK Erster Entwurf

f. FamRÄndG FamRZ FDP Festschr. f. ff. FGB FGG FGG-RG

Fn. GA GBl. I Gen GG H. d. A. Heft 1

HRG i.V. m. Jahrbücher

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Deutsche Demokratische Republik Deutsche Evangelische Kirche Der Standesbeamte. Fachschrift für das Personenstandsund Eherecht. Amtliches Mitteilungsblatt des Bundes der Standesbeamten Deutschlands e.V. das heißt Deutsche Justiz Deutsches Recht Deutsche Rechts-Zeitschrift Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Ehegesetz Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG) Europäische Menschenrechtskonvention Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrathe berufene Kommission. Amtliche Ausgabe, Berlin 1888 folgende (Paragraph, Seite etc.) Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Freie Demokratische Partei Festschrift für folgende (Paragraphen, Seiten etc.) Familiengesetzbuch Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) Fußnote Germanistische Abteilung Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Teil I Genesis Grundgesetz Handbuch der Altertumswissenschaft Kritische Erörterungen zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Erstes Heft: Die formalen Mängel des Entwurfs Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte in Verbindung mit Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts

16 Jg. Jura JW JZ Kap. Kor Lev LG medgen m. N. Motive MüKo m.w. N. NJ NJW Nr. Nrn. NSDAP OLG OVG PDS Reichstagsverhandlungen RGBl. RGBl. I RGBl. II RJM Rn. RPStG RStGB S. SED Sp. SPD StAZ StGB Teilbd. u. vgl. VK-Drs.

Abkürzungsverzeichnis Jahrgang Juristische Ausbildung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Korintherbrief Levitikus Landgericht medizinischegenetik mit Nachweisen Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nummern Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Partei des Demokratischen Sozialismus Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages Reichsgesetzblatt Reichsgesetzblatt Teil I Reichsgesetzblatt Teil II Reichsjustizministerium Randnummer Reichspersonenstandsgesetz Reichsstrafgesetzbuch Seite Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Das Standesamt. Zeitschrift für Standesamtswesen, Eheund Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht Strafgesetzbuch Teilband und vergleiche Volkskammer-Drucksache

Abkürzungsverzeichnis Volkswirthschaftliche Zeitfragen

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Volkswirthschaftliche Zeitfragen, Vorträge und Abhandlungen, herausgegeben von der Volkwirthschaftlichen Gesellschaft in Berlin und der ständigen Deputation des Kongresses Deutscher Volkswirthe Vorb v Vorbemerkung vor WRV Weimarer Reichsverfassung WZHU GSR Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe z. B. zum Beispiel Ziff. Ziffer ZNR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte ZRG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zusammenstellung der gut- Zusammenstellung der gutachtlichen Aeußerungen zu dem achtlichen Äußerungen Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamt

Einleitung Das Inzestverbot entspricht, wie Friedhelm Hufen in seinem Lehrbuch über die Grundrechte wohl zutreffend schreibt, einem der ältesten Tabus der Menschheitsgeschichte, auch wenn es heutzutage bei weitem nicht in allen europäischen Staaten gilt.1 In Deutschland besteht diesbezüglich eine vergleichsweise umfassende gesetzliche Regelung. Das Inzestverbot findet sich nach wie vor nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Eheschließungsrecht. Nach § 1307 BGB darf eine Ehe nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen Voll- und Halbgeschwistern, und zwar selbst dann nicht, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist. Als Rechtsfolge von Verstößen gegen diese Vorschrift legt § 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB fest, dass die Ehe aufgehoben werden kann. § 1308 Abs. 1 BGB bestimmt, dass eine Ehe nicht geschlossen werden soll zwischen Personen, deren entsprechende Verwandtschaft durch Annahme als Kind begründet worden ist, was jedoch nach Auflösung des Annahmeverhältnisses nicht gilt; Abs. 2 legt die Möglichkeit der Befreiung fest. Eine entgegen diesem Verbot geschlossene Ehe ist nicht aufhebbar. § 1766 BGB bestimmt nur, dass mit der Eheschließung des Annehmenden mit dem Angenommenen oder einem seiner Abkömmlinge das durch die Annahme als Kind zwischen ihnen begründete Rechtsverhältnis aufgehoben ist. Das Verbot der Ehe zwischen leiblichen Verwandten ist ein trennendes Verbot, während es sich beim Verbot der Ehe zwischen Adoptivverwandten lediglich um ein aufschiebendes Verbot handelt; eine entgegen diesem Verbot geschlossene Ehe ist vollgültig.2 Über die Eheverbote hinaus droht § 173 Abs. 1 StGB demjenigen, der mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe an, Abs. 2 Satz 1 sieht Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe für denjenigen vor, der mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Die gleiche Strafe legt Satz 2 für Geschwister fest, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Einschränkend bestimmt Abs. 3, dass Abkömmlinge und Geschwister nicht bestraft werden, wenn sie zur Tatzeit noch nicht 18 Jahre alt waren. Die vorliegende Arbeit widmet sich der historischen Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft, Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft3 1

Hufen, § 11 Rn. 32. Palandt/Siede, Vorb v § 1306, Rn. 2. 3 Hinweis zur verwendeten Terminologie: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden als Oberbegriff grundsätzlich die Formulierung „Eheverbote wegen Ver2

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Einleitung

(„illegitimer Schwägerschaft“) zwischen 1875 und 1998. Dieser Zeitrahmen bietet sich an, da mit dem Reichspersonenstandsgesetz (RPStG) von 1875 kurz nach der Gründung des Deutschen Reiches erstmals das Eheverbotsrecht seinem Umfang nach für ganz Deutschland vereinheitlicht und mit dem Eheschließungsrechtsgesetz (EheschlRG) von 1998 hinsichtlich der verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft die noch heute geltende Rechtslage geschaffen wurde. Auf den ersten Blick scheint sich auf diesem Gebiet in über 120 Jahren nicht viel geändert zu haben. So verbot das RPStG in seinem § 33 Nrn. 1 bis 4 die Ehe zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, „zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern jeden Grades, ohne Unterschied, ob das Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältniß auf ehelicher oder außerehelicher Geburt beruht und ob die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet wird, noch besteht oder nicht“

sowie „zwischen Personen, deren eine die andere an Kindesstatt angenommen hat, so lange dieses Rechtsverhältniß besteht“. Lediglich das Verbot der Ehe zwischen Stiefeltern und Stiefkindern sowie zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern scheint in der Zwischenzeit abgeschafft worden zu sein und das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft seinen trennenden Charakter verloren zu haben. Dass ein solcher Eindruck täuscht, zeigt sich jedoch an der zwischenzeitlichen Geltung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft, das 1896/1900 mit dem BGB (wieder-)eingeführt, 1938 von den Nationalsozialisten abgeschafft, 1946 vom Alliierten Kontrollrat erneut eingeführt, 1955 in der DDR und 1976 schließlich auch in der Bundesrepublik endgültig aufgehoben wurde. Die Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft ist also wechselhafter verlaufen als es vordergründig scheint. Dabei sind neben der Gesetzgebung als solcher auch die politischen, religiösen, rechtstheoretischen, gesellschaftlichen und weltanschaulichen beziehungsweise ideologischen Umstände, kurzum der jeweilige Zeitgeist zu berücksichtigen. Die Ehe und damit das für sie geltende Recht scheinen in besonderer Weise dafür prädestiniert zu sein, diesen widerzuspiegeln. Hans Hattenhauer betont diesbezüglich die herausragende Bedeutung der Ehe für die Aufgabe der Sicherung des Nachwuchses – eine Aufgabe, die man niemals alleine dem privaten Ermessen überlassen habe.4 Er bringt diesen Zusammenhang prägnant auf den Punkt: „Die Ehe strebt nach ihrem natürlichen Auftrage die Erzeugung von Nachkommen und damit ihre Erweiterung zur Familie an. Sie wird damit zur Grundlage der Familie. Ehe und Familie sind eine Versorgungsanstalt. (. . .) Bei gleichbleibendem Auftrag zur Erzeugung und Erziehung von Nachwuchs hat die Ehe in der Kulturgeschichte

wandtschaft und Schwägerschaft“ verwendet, sofern nicht von einem bestimmten dieser Verbote die Rede ist. 4 Hattenhauer, S. 154.

Einleitung

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unterschiedliche rechtliche Gestalt gehabt. Sie war und ist wesentlich bestimmt von ihrer Einordnung in den Rahmen der Familie und von deren Ordnung.“ 5

Dies bestätigt die überblicksartige Darstellung der Geschichte der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft von der Antike bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 (Kap. 1) ebenso wie die ausführlichere Behandlung der weiteren Entwicklung bis 1998, als Deutschland mit einer spätabsolutistischen Monarchie, dem ersten, gescheiterten Versuch einer parlamentarischen Demokratie, dem Nationalsozialismus, alliierter Besatzung, real existierendem Sozialismus und dem zweiten, geglückten Versuch einer parlamentarischen Demokratie die unterschiedlichsten Formen politischer Machtausübung erlebte (Kap. 2 bis 5). Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und real existierender Sozialismus sind abgeschlossene historische Epochen. Die Bundesrepublik ist Gegenwart und ihrem Wesen als demokratischer Rechtsstaat nach für neue Entwicklungen auch auf dem Gebiet des Eheschließungsrechts offen. Die Arbeit muss deswegen den Blick nicht nur in die Vergangenheit richten, sondern auch für die Zukunft der Frage nachgehen, ob das geltende Eheverbotsrecht vor dem Hintergrund seiner historischen Entwicklung und der durch das Grundgesetz bestimmten verfassungsrechtlichen Lage noch zeitgemäß ist (Kap. 6). Anlass scheint geboten, seit das Bundesverfassungsgericht sich mit der Frage der Vereinbarkeit von § 173 StGB mit dem Grundgesetz zu befassen hatte und diese in seinem Beschluss vom 26. Februar 2008 entgegen einem abweichenden Sondervotum Winfried Hassemers bestätigt hat.6 Eine gegen diese Entscheidung eingelegte Menschenrechtsbeschwerde hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Urteil vom 12. April 2012 zurückgewiesen und § 173 StGB für vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) erklärt.7 Dagegen bestehen nicht nur in der strafrechtlichen Fachliteratur Zweifel an der Legitimation von § 173 StGB8, auch der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme vom 24. September 2014 mehrheitlich für dessen Revision plädiert.9 Diese Stellungnahme bezog sich zwar ausdrücklich nicht auf die noch geltenden Eheverbote wegen Verwandtschaft10 und eine tiefgehende Diskussion über eine Aufhebung des Inzestverbotes hat es in der Öffentlichkeit offenbar nicht bewirkt. Dies ist kaum verwunderlich: Eine entsprechende Liberalisierung des Sexualstrafrechts oder Eheverbotsrechts ist sicherlich kein politisches „Gewinnerthema“ und so scheint eine entsprechende Debatte über Für und Wider des Inzestverbotes zumindest vorerst nicht opportun zu sein. Da zwischen den vorgebrachten Be5

Hattenhauer, S. 155. BVerfGE 120, 224. 7 NJW 2013, S. 215. 8 Siehe etwa Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm, § 173 Rn. 1 (m.w. N.). 9 Siehe Deutscher Ethikrat, Stellungnahme, S. 74 ff. 10 Deutscher Ethikrat, Stellungnahme, S. 25. 6

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Einleitung

gründungen für die verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft gemäß § 1307 BGB und denjenigen für die Straftatbestände gemäß § 173 StGB Übereinstimmungen bestehen11 und in der zivilrechtlichen Literatur zumindest vereinzelt auch das Eheverbot wegen Verwandtschaft für zweifelhaft gehalten wird12, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Diskussion über das Inzestverbot zumindest in der akademischen Fachwelt wieder auf die Tagesordnung rücken und das geltende Eheverbotsrecht miterfassen könnte. Alleine das soziale Tabu wird kein Ergebnis vorfestlegen können. Ebenso wenig wird neben einer weiteren Reduzierung der verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft auch eine abermalige Verschärfung von vornherein ausgeschlossen werden können.

11 Vgl. Palandt/Siede, § 1307 Rn. 1 einerseits, Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm, § 173 Rn. 1 andererseits. 12 Palandt/Siede, § 1307 Rn. 1; Dethloff, § 3 Rn. 36.

1. Kapitel

Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert im Überblick A. Das antike Recht der Römer und Germanen I. Das römische Recht Im Gegensatz zur neuzeitlichen, maßgeblich durch das Christentum geprägten Auffassung, wonach Voraussetzungen, Eingehung und Auflösung der Ehe umfassend rechtlich geregelt und Bestand und Scheidung der Prüfung in einem gerichtlichen Verfahren unterliegen, betrachteten die Römer die Ehe zunächst weniger als ein Rechtsverhältnis, sondern eher als sozialen Tatbestand mit rechtlichen Folgen. Ehe war danach ein vom dem Willen der Ehegatten zu lebenslanger, monogamer häuslicher Gemeinschaft getragenes Zusammenleben von Mann und Frau mit dem Ziel der Erzeugung legitimer Nachkommen. Eingehung, Auflösung und Schutz der Ehe richteten sich in erster Linie nach den Sitten, während rechtliche Folgen an deren Einhaltung beziehungsweise Nichteinhaltung anknüpften.1 Auch wenn es im klassischen römischen Recht feste Regeln über die Voraussetzungen von Zulässigkeit, Schließung und Auflösung der Ehe gab, blieb diese bis zur Spätantike lediglich ein faktisches Verhältnis mit rechtlichen Wirkungen. Eine staatliche Eheaufsicht gab es kaum, Eheschließung und Ehescheidung waren private Angelegenheiten. Bei Fehlen von Voraussetzungen für eine Eheschließung wurde die Ehe rechtlich zwar als nichtbestehend angesehen, eine entsprechende Feststellung und eine Trennung der Ehegatten von Staats wegen erfolgten aber nicht.2 Erst unter dem Einfluss des Christentums, das die Ehe als eine heilige und unauflösbare Verbindung ansah, wurde diese als ein rechtliches Verhältnis aufgefasst, allerdings ohne dass das überkommene Verständnis einer auf dem entsprechenden Willen der Ehegatten beruhenden dauerhaften Lebensgemeinschaft grundsätzlich aufgegeben worden wäre.3 Die kaiserliche Gesetzgebung konnte zwar einerseits die sich allmählich entwickelnden Grundsätze des kirchlichen Eherechts nicht einfach ignorieren, beabsichtigte andererseits aber auch keine vollständige Übereinstimmung mit diesen. Unter anderem das staatliche 1 2 3

Kaser/Knütel/Lohsse, § 58 Rn. 1 ff.; Kaser, H. d. A. X.3.3.1, § 17 I. (S. 71 ff.). Kaser, H. d. A. X.3.3.1, § 73 I. (S. 310 f.). Kaser/Knütel/Lohsse, § 58 Rn. 5; Kaser, H. d. A. X.3.3.2, § 215 I. f. (S. 158 f.).

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

Recht der Ehevoraussetzungen und Ehehindernisse blieb hinter den kirchlichen Grundsätzen zurück.4 Hinsichtlich der Reichweite der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft verlief die Geschichte des römischen Rechts wechselhaft. Verwandtschaft in auf- und absteigender Linie war zu allen Zeiten ein Ehenichtigkeitsgrund. Für Verwandtschaft in der Seitenlinie galt dies zunächst bis einschließlich zum 6. Grad. In vorklassischer Zeit waren noch Ehen zwischen Verwandten 4. Grades, also zwischen Cousins und Cousinen verboten. In klassischer Zeit betraf das Ehehindernis allgemein nur noch Verwandte 3. Grades, also Geschwister sowie Onkel und Nichte beziehungsweise Tante und Neffe. Unter Kaiser Theodosius I. (Regierungszeit 379 bis 394) wurde das Verbot der Ehe zwischen Cousins und Cousinen wieder eingeführt, später im oströmischen Reich allerdings aufgehoben. Beseitigt hat es Kaiser Justinian (Regierungszeit 527 bis 565).5 Adoptivverwandtschaft stellte in gleichem Umfang wie leibliche Verwandtschaft ein Ehehindernis dar, in der Seitenlinie entfiel es jedoch bei Aufhebung des Adoptionsverhältnisses.6 Schwägerschaft hinderte die Ehe zunächst nur in gerader Linie, also zwischen Stiefeltern und Stiefkindern sowie Schwiegereltern und Schwiegerkindern. Erst in nachklassischer Zeit wurde es auch auf die früheren Ehegatten von Geschwistern ausgeweitet.7

II. Das germanische Recht Im Vergleich zum römischen Recht ist eine Darstellung des germanischen Rechts sehr viel schwieriger. Es existiert keine germanische schriftliche Überlieferung, sondern die Forschung ist auf Berichte römischer Schriftsteller (Cäsar, Tacitus) über Kultur und Gesellschaften der Germanen angewiesen; daneben liefern Archäologie und Sprachwissenschaft Erkenntnisse über das germanische Rechtsleben.8 Hinzu kommt, dass die Vorstellung von „den“ Germanen als ein geschlossenes Volk mittlerweile überholt ist; bei ihnen handelte es sich um eine Vielzahl von in Mittel- und Nordeuropa siedelnden Stämmen, die ihre Eigenschaften während der vorchristlichen Jahrhunderte ausbildeten, dabei aber zu keinem gemeinsamen Identitätsbewusstsein gelangten und folglich auch kein einheitliches Recht schufen.9 Entsprechend sieht die moderne Forschung ihre Aufgabe auch eher darin, im frühmittelalterlichen Recht Spuren einer germanischen 4

Kaser, H. d. A. X.3.3.2, § 215 I. (S. 159). Kaser/Knütel/Lohsse, § 58 Rn. 18; Kaser, H. d. A. X.3.3.1, § 17 III.3. (S.75) u. § 74 II.5. (S. 316); Kaser, H. d. A. X.3.3.2, § 217 II.5. (S.166). 6 Kaser/Knütel/Lohsse, § 58 Rn. 19; Kaser, H. d. A. X.3.3.1, § 74 II.5. (S. 316). 7 Kaser/Knütel/Lohsse, § 58 Rn. 20; Kaser, H. d. A. X.3.3.1, § 74 II.5. (S. 316); Kaser, H. d. A. X.3.3.2, § 217 II.5. (S. 166). 8 Gmür/Roth, Rn. 19 ff. 9 Krause, S. 16 u. 22; Gmür/Roth, Rn. 21. 5

B. Das Mittelalter

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Rechtskultur nachzuweisen als ein germanisches Recht zu rekonstruieren.10 Als wahrscheinlich anzunehmen ist bei den Germanen schon vor der Völkerwanderungszeit ein auf den engsten Verwandtenkreis beschränktes, religiöses Inzesttabu.11 Dafür spricht, dass sich die germanischen Stämme in doppelter Hinsicht durch Fluktuation auszeichneten: Einerseits waren sie in ihrer Geschichte immer vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt und übernahmen häufig fremde Sitten und Bräuche, etwa von Kelten, Römern, östlichen Steppenvölkern oder dem Christentum, entweder unverändert oder zumindest in modifizierter Form.12 Zum anderen handelte es sich bei ihnen nicht um uralte homogene Gemeinschaften, sondern sie fanden sich regelmäßig neu zusammen.13 Bei der antiken politischen Geschichte handelt es sich grundsätzlich um diejenige eines stetigen Vereinigens, Neubildens und Verschwindens von Stämmen und Völkern, und dies trifft eben auch auf die Germanen, zumindest in der frühen römischen Kaiserzeit, in besonderer Weise zu, war geradezu ihr Hauptcharakteristikum.14 Zu einer solchen Völkerschaft passt eine endogame Heiratspraxis schlecht, und tatsächlich grenzten sich die verschiedenen germanischen Stämme ethnisch nicht streng voneinander ab, sondern Eheschließungen über Sippen-, Stammes- und Völkergrenzen hinweg waren bei ihnen offenbar alles andere als unüblich.15

B. Das Mittelalter Die mittelalterliche Auffassung von der Ehe unterschied sich von der antiken römischen und germanischen grundsätzlich. Bereits die Kirchenväter hatten sie als eine von Gott bewirkte Verbindung und damit eine geheiligte Institution angesehen.16 Im Gegensatz zum römischen und jüdischen Recht, die die Ehescheidung zuließen, wurde die Ehe dementsprechend als unauflöslich betrachtet.17 Spätestens seit dem Zweiten Laterankonzil im Jahr 1139 wurde die Ehe als Sakrament aufgefasst.18 Hatte sich die Kirche seit ihrer Frühzeit an der Eheschließung zunächst rituell beteiligt, unterlag diese seit dem Hochmittelalter ausschließlich der kirchlichen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit.19 Die Unauflöslichkeit der Ehe brachte es mit sich, dass die Kirche die Schließung fehlerhafter 10

Gmür/Roth, Rn. 21. Roth, HRG Bd. 2, Sp. 1297 (1297). 12 Krause, S. 21. 13 Krause, S. 22. 14 Bleckmann, S. 90 f. 15 Krause, S. 21. 16 Schwab, Geschichtliches Recht und moderne Zeiten, S. 257 (259); Buchholz, HRG Bd. 1, Sp. 1192 (1192). 17 Buchholz, HRG Bd. 1, Sp. 1192 (1192 f.); Plöchl, Bd. 1, S. 84. 18 Link, § 6 Rn. 24 (S. 58). 19 Schwab, Geschichtliches Recht und moderne Zeiten, S. 257 (259 f.); Link, § 6 Rn. 24 (S. 58); Hattenhauer, S. 158. 11

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

Ehen durch umfangreiche Eheverbote möglichst zu vermeiden suchte.20 So wurde das Eheverbot wegen Verwandtschaft im Laufe des Mittelalters allmählich bis zum 7. Grad erweitert.21 Ebenfalls sehr weitreichend und unübersichtlich gestaltet waren die kirchenrechtlichen Eheverbote wegen Schwägerschaft. Beruhend auf Gen 2, 24 hatten bereits einzelne Kirchenväter die Ansicht vertreten, dass Mann und Frau durch den Vollzug der Ehe „ein Fleisch“ („una caro“) würden. Dies hatte zur Konsequenz, dass das Kirchenrecht Verschwägerte als mit den leiblichen Verwandten des jeweils anderen ebenfalls „verwandt“ ansah.22 Es dehnte aber den „una-caro“-Grundsatz insofern noch aus, dass nicht nur der Vollzug der Ehe, sondern bereits der außereheliche Geschlechtsverkehr eine „illegitime Schwägerschaft“ („affinitas illegitima“) zwischen den Beteiligten bewirkte, wobei man sich diesbezüglich ebenfalls auf die Bibel berufen konnte, nämlich auf 1. Kor 6,16.23 Diese Gleichstellung von legitimer und illegitimer Schwägerschaft durch das mittelalterliche Kirchenrecht bedeutete praktisch die „Erfindung“ des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft, das bis in das 20. Jahrhundert hinein Bestand haben sollte. Im Laufe des Mittelalters wurden die Eheverbote wegen Schwägerschaft so weit ausgedehnt, bis sich schließlich ein sehr kompliziertes System mehrerer Ordnungen ergab. In erster Ordnung verschwägert waren die Konkubenten mit den Verwandten des jeweils anderen. Diese Schwägerschaft wurde wie leibliche Verwandtschaft behandelt und hinderte daher eine Ehe bis zum 7. Grad. In zweiter Ordnung verschwägert war ein Konkubent mit den Verschwägerten des anderen, das entsprechende Ehehindernis reichte bis zum 3. Grad. Schwägerschaft dritter Ordnung schließlich bestand zwischen einem Konkubenten und den mit dem anderen in zweiter Ordnung Verschwägerten und hinderte die Eheschließung bis zum 2. Grad.24 Wegen ihrer Ausdehnung beziehungsweise Komplexität stießen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in der Praxis natürlich auf Umsetzungsschwierigkeiten, und so kam es schließlich auf dem Vierten Laterankonzil im Jahr 1215 zu einer weniger weit gehenden Regelung: Das Eheverbot wegen Verwandtschaft wurde auf den 4. Grad der Seitenlinie beschränkt, die zweite und dritte Ordnung der Schwägerschaft beseitigt und das Eheverbot wegen Schwägerschaft auf den 4. Grad der Seitenlinie der ersten Ordnung beschränkt.25 Keine klare Aussage lässt sich über den Umfang des Eheverbotes wegen Adoptivverwandtschaft im mittelalterlichen Kirchenrecht treffen. Es bestand in direkter Linie und wohl unstreitig zwischen leiblichen ehelichen Kindern und Adoptivkindern, solange das Adoptivverhältnis andauerte, zwischen der Ehefrau des Adoptivvaters und dem 20 21 22 23 24 25

Hattenhauer, S. 159. Hattenhauer, S. 159; Plöchl, Bd. 1, S. 366 f.; Freisen, S. 374 ff. Plöchl, Bd. 1, S. 367; Freisen, S. 439 ff. Plöchl, Bd. 1, S. 367; Freisen, S. 449 ff. Plöchl, Bd. 2, S. 282 f. Plöchl, Bd. 2, S. 281 ff.

B. Das Mittelalter

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Adoptivsohn sowie umgekehrt zwischen der Frau des Adoptivsohns und dem Adoptivvater.26 In der Forschung ist umstritten, warum ausgerechnet das Verbot der Ehe zwischen Verwandten zwischenzeitlich derart exzessiv, bis zum 7. Grad, ausgedehnt wurde. Nach einer Ansicht sei es der Kirche darum gegangen, Eheschließungen unter Angehörigen derselben Sippe zu verhindern, wie sie bei den Germanen beliebt gewesen seien.27 Dadurch habe sie gegen erbitterten germanischen Widerstand diese alten Personen- und Kultverbände zerschlagen, um den verbreiteten Ahnenkult zu schwächen und das Heidentum zu verdrängen.28 Nach anderer Ansicht war die Ausweitung des Inzestverbotes im Frühmittelalter Irritation und Stabilisierung der Gesellschaft zugleich. Einerseits hätten die Bischöfe durch die Erweiterung des Inzestverbotes ihren Platz in der neuen frühmittelalterlichen Hierarchie als Bewahrer der göttlichen Ordnung und damit als neben den Königen für die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung Verantwortliche zum Ausdruck bringen wollen.29 Andererseits habe sich nach dem Zusammenbruch der antiken Staatlichkeit und ihrer Institutionen ein überregionaler Heiratsmarkt etabliert und auf diese Weise einer Regionalisierung der Aristokratie und der Ausbildung lokaler Herrschaftsstrukturen entgegengewirkt werden sollen.30 Neben der Zerschlagung der germanischen Sippen zur Zurückdrängung heidnischer Bräuche, der Festigung der bischöflichen Position in der frühmittelalterlichen Gesellschaftshierarchie einerseits und der Stärkung der Königsherrschaft andererseits werden auch die Errichtung von über die alten Sippen hinausgehenden Friedensverbänden vor Entstehung des frühmodernen Territorialstaates31, die Verhinderung von Kapitalanhäufung innerhalb von Familien sowie die Vermeidung kranken Nachwuchses32 als Begründungen angeführt. Die erstgenannte Ansicht, wonach es der Kirche auf die Zurückdrängung der überkommenen germanischen Religion gegangen sei, kann sich darauf stützen, dass die Franken auch noch Jahrzehnte nach der Konversion ihres Herrschers Chlodwig zum Christentum im Jahr 496 nicht sämtliche heidnischen Bräuche abgelegt hatten, sondern zunächst einen Synkretismus des neuen Glaubens mit der angestammten germanischen Religion lebten und sich das Christentum erst allmählich durchsetzen konnte.33 Die oben genannte sowohl kulturelle als auch ethnische Durchlässigkeit der germanischen Stämme lässt diese Begründung allein jedoch als nicht ausreichend erscheinen. Für die zweite Auffassung, die Verhinderung lokaler Herrschaft, 26 27 28 29 30 31 32 33

Plöchl, Bd. 2, S. 285. Plöchl, Bd. 1, S. 366. Hattenhauer, S. 159; Mikat, S. 58 ff.; vgl. auch Ubl, S. 493. Ubl, S. 213 u. 494. Ubl, S. 213 ff. u. 495 ff. Hattenhauer, S. 159; Roth, HRG Bd. 2, Sp. 1297 (1298). Roth, HRG Bd. 2, Sp. 1297 (1298). Krause, S. 197 ff.

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

spricht dagegen, dass die „Sippe“ im alltäglichen Leben der Germanen nur eine geringe Bedeutung gehabt haben dürfte. Zwar stellte sie eine Rechtsgemeinschaft unter Verwandten dar, eine bedingungslose Unterstützung war damit aber nicht verbunden.34 Auch ein Vergleich des Frankenreiches mit den ostgermanischen Reichen der Völkerwanderungszeit, etwa der Vandalen in Nordafrika oder der Ostgoten in Italien, stützt die These von der Ausdehnung des Inzestverbotes als Mittel zur Herrschaftskonsolidierung. So waren die Ostgermanen zwar Christen geworden, außer den Franken folgten sie im Unterschied zur eingesessenen romanischen Bevölkerung allerdings nicht dem katholischen, sondern dem sogenannten arianischen Bekenntnis. Dieser konfessionelle Gegensatz verhinderte ein Zusammenwachsen der Minderheit der zugewanderten Germanen mit der großen romanischen Bevölkerungsmehrheit, und dies war ein Grund dafür, dass außer dem Frankenreich die ostgermanischen Reiche, sieht man einmal vom westgotischen Reich auf der iberischen Halbinsel ab, nach kurzer Zeit allesamt wieder untergingen.35 Es scheint daher naheliegend, die zwischenzeitliche Ausweitung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft im Mittelalter nicht nur auf eine oder zwei Ursachen zurückzuführen, sondern das Zusammentreffen einer Vielzahl von Gründen anzunehmen.

C. Reformation und Konfessionalismus Das mittelelterliche Verständnis von der Ehe erfuhr eine tiefgreifende Veränderung durch die Reformation im 16. Jahrhundert. Martin Luther sah in der Ehe nur noch ein „weltlich ding . . . weltlicher Obrigkeit unterworfen“. Wenn er dennoch die Ehe als „heiligen Orden und Stand“, „Gottes Werk und Schöpfung“, „edelsten Stand, so durch den ganzen Christenstand, ja durch alle Welt gehet und reichet“ oder als „allergeistlichsten Stand“ bezeichnete, so war damit keine Sakramentalität nach katholischem Verständnis gemeint, sondern dass die gläubigen Christen ihre Ehe im praktischen alltäglichen Leben nach Gottes Geboten zu führen hatten.36 Der Protestantismus verwarf einerseits die katholische Unterscheidung zwischen weltlich und profan, wertete gleichzeitig aber das alltägliche weltliche Leben nach christlichen Maßstäben auf, so dass unter anderem das Führen einer Ehe nach christlichen Regeln nunmehr im wahrsten Sinne des Wortes Gottesdienst war.37 Verbunden damit war die Ablehnung von Einschränkungen der Freiheit zur Eheschließung durch vom Menschen aufgestellte Gesetze und 34 Krause, S. 59; vgl. ausführlich zur Kritik an der früher herrschenden Ansicht über die germanischen Sippenverbände Genzmer, ZRG GA 67, S. 34 und Kroeschell, ZRG GA 77, S. 1. 35 Krause, S. 161, 176 u. 180. 36 Schwab, Geschichtliches Recht und moderne Zeiten, S. 257 (261 f.); Hattenhauer, S. 159 f. 37 Graf, S. 80 f.

C. Reformation und Konfessionalismus

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damit der Eheverbote des kanonischen Rechts. Erst später akzeptierte Luther eine Erweiterung der Eheverbote wegen Verwandtschaft über diejenigen in Lev 18 genannten hinaus, allerdings unter der Bedingung, dass entsprechende menschliche Verbote den Bestand der Ehe als solchen nicht beeinträchtigten. 38 Aufgrund der konfessionellen Unterschiede entwickelten sich die territorialen Bestimmungen zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft je nach Bekenntnisstand zumindest auf lange Sicht unterschiedlich.

I. Die protestantischen Territorien Dass sie sich der Reformation angeschlossen hatten, bedeutete für die protestantisch gewordenen Territorien bei ihrer Gesetzgebung keineswegs, dass sie sich auch an Luthers Vorgabe gebunden fühlten, vom Menschen aufgestellte Eheverbote dürften keine trennenden sein.39 Vielmehr lag die Behandlung von Eheangelegenheiten vor weltlichen Gerichten nach weltlichem Recht in der Logik der reformatorischen Postulate, dass die Ehe kein Sakrament, sondern ein „weltlich ding“ sei.40 Die Frage, ob den Landesherren die Kompetenz zur Ehegesetzgebung aufgrund ihrer weltlichen Herrschaft oder aufgrund ihrer Kirchenhoheit zustand, war zwar umstritten, spielte praktisch aber keine Rolle, da ausschließlich ihnen als Rechtsnachfolger der katholischen Bischöfe die Rechtssetzungsmacht zur Neugestaltung auch kirchlicher Angelegenheiten zustand.41 Der Umsetzung des protestantischen Verständnisses der Ehe in verbindliches Recht dienten die im 16. Jahrhundert erlassenen Kirchen- und Konsistorialordnungen sowie Eheordnungen und Ehegerichtsordnungen.42 Da die Schaffung neuen Rechts einerseits auf Vorbehalte stieß, andererseits durch das reformatorische Eheverständnis jedoch ein rechtliches Vakuum entstanden war, bot einerseits der Rückgriff auf das römische Recht, das im Heiligen Römischen Reich (wegen der bereits genannten Zuständigkeit der Kirche für das Recht der Eheangelegenheiten allerdings mit Ausnahme dessen) seit dem 15. Jahrhundert rezipiert worden war und daher als einheitliches weltliches Recht galt, einen Ausweg; zudem stand es auch in hohem Ansehen bei den Humanisten.43 Die Kirchenordnungen rekurrierten allerdings für ihre eherechtlichen Bestimmungen nicht nur auf das göttliche biblische und das kaiserliche römische Recht, sondern zur Schließung von Rege38 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen S. 225. 39 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen S. 225 u. 228. 40 Sprengler-Ruppenthal, S. 202 (205). 41 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen S. 221 f.; Link, § 13, Rn. 1 (S. 108 f.). 42 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen S. 222; Link, § 13, Rn. 2 ff. (S. 109 ff.). 43 Sprengler-Ruppenthal, S. 202 (204 f.).

Ehegesetzgebung in der Neuzeit, Ehegesetzgebung in der Neuzeit,

Ehegesetzgebung in der Neuzeit, Ehegesetzgebung in der Neuzeit,

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

lungslücken oder subsidiär auch mit Einschränkungen auf das überkommene kanonische Recht.44 Daher beließen es nur die wenigsten Kirchenordnungen bei den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft gemäß Lev 18, sondern dehnten sie meistens unter Bezug auf das kaiserliche römische Recht auf den 3. Grad in der Seitenlinie aus oder beließen es sogar entsprechend dem kanonischen Recht beim 4. Grad.45 Auch die Adoption stellte weiterhin ein Ehehindernis dar.46 Die Auffassung, dass das römische Recht für das protestantische Eherecht eine Absicherung bei der Einschränkung der nach dem kanonischen Recht verbotenen Verwandtschaftsgrade gegeben hat47, ist also zutreffend, kann für die reformatorische Ehegesetzgebung aber wohl nicht verallgemeinert werden. Vielmehr wirkte die Rezeption des römischen Rechts offenbar genauso in entgegengesetzter Richtung, indem sie es ermöglichte, über das göttliche Recht hinausgehende Eheverbote aufzustellen.

II. Die katholischen Territorien Die katholische Kirche lehnte das Verständnis Luthers und anderer Reformatoren von der Ehe entschieden ab. Das zwischen 1545 und 1563 tagende Konzil von Trient bestätigte den sakramentalen Charakter der Ehe und verurteilte die entgegenstehende reformatorische Lehre.48 Zudem beließ es das Konzil trotz Diskussionen über eine Einschränkung dabei, dass die Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie immer und in der Seitenlinie bis zum 4. Grad verboten war.49 Auch das Eheverbot wegen Schwägerschaft galt in gerader Linie uneingeschränkt und in der Seitenlinie grundsätzlich bis zum 4. Grad, während dasjenige wegen Geschlechtsgemeinschaft auf den 2. Grad in der Seitenlinie beschränkt wurde.50 Die katholischen Reichsstände nahmen auf dem Reichstag in Augsburg 1566 gegen den Widerstand der Protestanten das Tridentinum geschlossen an, bestätigten aber gleichzeitig mit ihnen den Religionsfrieden von 1555, wonach der jeweilige Landesherr das Recht hatte, über die Konfession seiner Untertanen zu entscheiden. So beschränkten sich die Dekrete des Konzils in ihrer Geltung zwar einerseits auf die katholischen Territorien, erlangten dort jedoch kirchliche Verbindlichkeit und verhinderten so zusammen mit dem älteren kanonischen Recht eine Ausweitung der landesherrlichen Kirchenhoheit.51 In den Territorien, 44

Ausführlich dazu Sprengler-Ruppenthal, S. 202 (216 ff.) u. S. 298 (354 ff.). Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 229 f. 46 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 234. 47 Sprengler-Ruppenthal, S. 202 (250). 48 Hattenhauer, S. 162; Plöchl, Bd. 4, S. 199. 49 Plöchl, Bd. 4, S. 238. 50 Plöchl, Bd. 4, S. 238. 51 Link, § 14, Rn. 4 (S. 115 f.). 45

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung

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die die Reformation nicht übernommen hatten, sondern sich weiterhin an die Lehre der katholischen Kirche gebunden und als deren Beschützer sahen, war eine eigenständige staatliche Ehegesetzgebung also nicht ohne weiteres möglich, da die Kirche auf der mittelalterlichen Ansicht beharrte, dass diese Gesetzgebung nur ihr und einer anderen Instanz allenfalls aufgrund kirchlicher Ermächtigung zustand.52 Allerdings konnte selbstverständlich auch in katholischen Territorien die Situation eintreten, dass Ehen geschlossen wurden, die gesellschaftlich unerwünscht, aber nach kirchlichem Recht dennoch gültig waren. Da die Unauflöslichkeit der Ehe aber hier nicht zur Disposition stand, bot zunächst nur eine bereits im Mittelalter praktizierte Methode einen Ausweg aus dieser Situation, nämlich einzelne indirekte Eingriffe in das kirchliche Eherecht, ohne dessen Geltung insgesamt in Zweifel zu ziehen oder staatlicherseits die Gültigkeit der Ehe berührende Hindernisse einzuführen. So wurde etwa die nach kirchlichem Recht erlaubte Eheschließung ohne elterliche Einwilligung mit vermögensrechtlichen Nachteilen oder mit Strafen geahndet oder ganzen Personen- oder Berufsgruppen die Eheschließung entweder untersagt oder unter obrigkeitlichen Erlaubnisvorbehalt gestellt.53

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung I. Die Emanzipation des Eherechts von Religion und Tradition durch die Erkenntnisphilosophie der Aufklärung Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann mit der Erkenntnisphilosophie der Aufklärung und entgegen sowohl dem katholischen, als auch dem protestantischen Rechtsverständnis allmählich die Lösung des Eherechts von den religiösen beziehungsweise biblischen Grundlagen.54 Nicht mehr überkommene religiöse und rechtliche Traditionen sollten normative Bedeutung haben, sondern zur Erkenntnis der Wahrheit sollten eine unvoreingenommene Betrachtung der Welt und kritische Vernunft sowie logische Schlussfolgerungen aus bereits gefundenen Grundeinsichten führen.55 Dies hatte weitreichende Auswirkungen auf die bereits seit langem und in verschiedener Gestalt bestehende Idee von einem nicht zur menschlichen Disposition stehenden Naturrecht. Gedanken über eine Unterscheidung zwischen einem von menschlicher Zustimmung unabhängigen, natürlichen und gerechten sowie einem vom Menschen aufgestellten, beliebigen und damit 52 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 194. 53 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 195 ff. 54 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 172 f. 55 Simon, HRG Bd. 1, Sp. 332 (332 f.); Köbler, S. 138 f.; Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 173.

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

möglicherwiese nicht gerechten Recht haben zwar bereits die griechischen Philosophen der Antike angestellt, später fanden sich entsprechende Überlegungen bei römischen Schriftstellern, dem Kirchenvater Augustinus, im Mittelalter bei den Scholastikern und in der Frühen Neuzeit sowohl bei den Reformatoren Luther und Johannes Calvin, als auch bei den spanischen Spätscholastikern Francisco de Vitoria und Fernando Vazquez.56 Die Aufklärung verweltlichte nun einerseits das auf der christlichen Offenbarung beruhende Naturrecht, wandte sich andererseits von der Lehre eines für das menschliche Recht verbindlichen göttlichen Gesetzes ab und führte damit langfristig zu einer vollständigen Trennung des Eherechts von den religiösen Grundlagen.57 Die frühaufklärerischen Juristen Hugo Grotius (1583 bis 1645) und Samuel von Pufendorf (1632 bis 1694) gingen davon aus, dass zur Erkenntnis des Naturrechts grundsätzlich weder die Existenz Gottes, noch die Zuhilfenahme der Bibel erforderlich seien. Sie erkannten aber durchaus an, dass aus der Bibel naturrechtliche Schlüsse gezogen werden könnten. Dies bedeutete also noch keine völlige Emanzipation des Naturrechts von religiösen Aussagen, sondern lediglich eine Absage an deren Gleichsetzung.58 Auf längere Sicht jedoch bewirkte die grundsätzliche Abneigung der Aufklärer dagegen, das Naturrecht aus überkommenen Grundannahmen abzuleiten, dass sie nahezu alle bisherigen naturrechtlichen Ergebnisse aufgaben oder zumindest hinterfragten. Damit wurden die zwingenden naturrechtlichen Normen auf ein Minimum reduziert.59 Konsequenz war ein völlig neues, säkulares Verständnis von der Ehe als solcher. Sie wurde nicht mehr als Sakrament oder „christlicher Stand“, sondern nur noch als Vertrag angesehen, dessen Zustandekommen und Gültigkeit sich ausschließlich nach bürgerlichen Gesetzen richtete und der damit zur ausschließlichen Disposition des staatlichen Souveräns stand.60 Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts bekämpften die Aufklärer die positive Geltung des göttlichen Rechts und drängten dieses in den Bereich einer lediglich moralisch verbindlichen Anweisung ab.61 In der deutschen Naturrechtslehre am wirksamsten vertrat in dieser Hinsicht Christian Thomasius (1655 bis 1728) die Auffassung, dass es ein positives göttliches Gesetz nicht gebe, sondern alles positive Recht menschlich sei. Die weltlichen Herrscher hätten daher göttliches Recht bei der Ehegesetzgebung auch nicht zu beachten, sondern sich ausschließlich an der natürlichen Beschaffenheit der Ehe zu orientieren, die die Aufklärung ausschließlich als Vertrag an56

Köbler, S. 149; Gmür/Roth, Rn. 307. Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 172 f. 58 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 175. 59 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 177; siehe auch Buchholz, HRG Bd. 1, Sp. 1192 (1203 f.). 60 Hattenhauer, S. 162. 61 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 181 f. u. 187. 57

in der Neuzeit, in der Neuzeit, in der Neuzeit,

in der Neuzeit,

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung

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sah. Damit wurde auch die Bindung der staatlichen Ehegesetzgebung an biblische Inzestverbote in Lev 18 und 20 als Maßstab obsolet.62 Im Bereich der Ehevoraussetzungen und Ehehindernisse befassten sich die Naturrechtler des 17. Jahrhunderts sehr eingehend mit der Frage, ob und in welchen Graden Verwandte und Verschwägerte nach dem Naturrecht die Ehe miteinander eingehen dürften. Gründe für das Verbot solcher Ehen sahen sie in der Ehrerbietung der Kinder den Eltern und der Frau dem Mann gegenüber, in einem natürlichen Schamgefühl oder kumulativ in beidem.63 Pufendorf etwa sah lediglich in dem natürlichem Schamgefühl den Grund für das Verbot von Ehen zwischen Vorund Nachfahren, nicht dagegen in der Ehrerbietung. Ehen zwischen Geschwistern sah er lediglich als positivrechtlich verboten, jedoch als naturrechtlich erlaubt an, weil sie zwischen den Kindern Adams und Evas notwendig gewesen seien und das Schamgefühl in solchen Fällen nicht so stark ausgeprägt sei wie zwischen Vor- und Nachfahren. Für das Verbot von Ehen zwischen entfernteren Verwandten sowie Verschwägerten stelle ein natürliches Schamgefühl keinen naturrechtlichen Verbotsgrund dar, weil es graduell abnehme. Eine Ausdehnung der positivrechtlichen Eheverbote auf weitere Grade sei jedoch vernünftig, damit nach dem Naturrecht und dem göttlichen Recht verbotene Ehen sicherer verhindert würden.64 Thomasius sah sogar sämtliche inzestuösen Verbindungen nicht als vom Naturrecht verboten an.65 Scham alleine würde jeder Eheschließung entgegenstehen und die Ehrerbietung stehe zur menschlichen Disposition und könne daher erlassen werden. Verbinde man beides miteinander, könne wiederum der Einwand erhoben werden, dass Eltern ihren Kindern die Ehrerbietung erlassen könnten. Ehen zwischen Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie ließen sich somit nicht vernünftig erklären und seien nur nach göttlichem Gesetz verboten. Ehen zwischen Geschwistern seien ebenfalls nicht nach dem Naturrecht, sondern nur nach dem Völkergemeinrecht verboten, weil Geschwister bei allen Völkern gemeinsam erzogen würden. Es sei Sache des zivilen Gesetzgebers, die Grenzen dieses Verbotes festzulegen, weil Sitten und Gewohnheiten sich stark voneinander unterschieden.66

II. Beispiele staatlicher Gesetzgebung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Die Naturrechtler des späten 17. und frühen 18. Jahrhundert beabsichtigten zwar nicht die Umsetzung ihrer rechtstheoretischen Schlussfolgerungen und die 62 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 187 ff. 63 Erle, S. 279 f. 64 Erle, S. 280 f. und S. 135 ff. 65 Buchholz, HRG Bd. 1, Sp. 1192 (1204); ausführlicher dazu Erle, S. 281 u. 240 ff. 66 Erle, S. 281 u. S. 240 ff.

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

Legalisierung von Inzest.67 Wegen der Trennung von Recht und (religiöser) Moral musste für die weltlichen eherechtlichen Bestimmungen aber eine neue theoretische Grundlage gefunden werden. Die aufklärerische Tendenz zur Reduzierung zwingender naturrechtlicher Normen ermöglichte einerseits, das Eherecht ausschließlich am Staatswohl auszurichten; es konnte aber auch jegliche rechtliche Regelung über Ehe und Geschlechtsbeziehungen mit dem Argument abgelehnt werden, die Menschen wieder zu ihrem ursprünglichen Naturzustand zurückzuführen.68 Wie sich eine staatliche Eheverbotsgesetzgebung im 17. und frühen 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der Aufklärung entwickelte, hing davon ab, ob ein Staat sich lediglich als säkulare Rechtsgemeinschaft betrachtete oder ob die Herrschenden sich in der Rolle einer „christlichen Obrigkeit“ sahen; in letzterem Fall spielte auch die jeweilige Konfession des Staates eine Rolle.69 Da die katholische Kirche nach wie vor an der überkommenen mittelalterlichen Auffassung festhielt, dass nur ihr die Rechtssetzung in Ehesachen zustehe, konnten katholische Herrscher erst zu einer staatlichen Gesetzgebung übergehen, als ihr Staatskirchentum so gefestigt war, dass von Klerus und Gläubigen kein Widerstand mehr zu befürchten war. Vorher mussten sie sich nach wie vor auf einzelne indirekte Eingriffe wie vermögens- oder strafrechtliche Sanktionen für zwar kirchenrechtlich erlaubte, aber von ihnen ungewollte Eheschließungen beschränken.70 In protestantischen Territorien, deren Landesherren die Kompetenz zur Ehegesetzgebung seit jeher beansprucht und zunächst in den Kirchenordnungen realisiert hatten, wurde das Eherecht seit dem 17. Jahrhundert verstärkt in die Stadt- und Landrechte übernommen, was allerdings noch keine Abkehr von der protestantischen Ehelehre bedeutete, sondern wie die Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts deren Kodifikation diente.71 Erst im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert kam es verstärkt zu einer staatlichen Ehegesetzgebung nach Nützlichkeitsgesichtspunkten, zur Eingliederung des Eherechts in das Gesamtsystem der bürgerlichen Rechtsordnung und damit auch in der Praxis zu einer Emanzipation von der Verbindlichkeit des göttlichen Rechts.72

67

Buchholz, HRG Bd. 1, Sp. 1192 (1204); Hattenhauer, S. 163. Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 181. 69 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 193. 70 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 194 f. 71 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 223 f. 72 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung S. 224; siehe auch S. 234 ff. 68

in der Neuzeit, in der Neuzeit, in der Neuzeit, in der Neuzeit, in der Neuzeit,

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung

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1. Bayern Der 1756 in Kraft gesetzte Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis war noch keine Gesetzeskodifikation im modernen Sinn, sondern stellte eine Zusammenfassung des in Bayern geltenden Landesrechts, im Wesentlichen des gemeinen Privatrechts dar.73 Die Bestimmungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft fanden sich in Teil 1, Kap. 6, § 9. Danach war eine Ehe zwischen Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie grundsätzlich untersagt, in der Seitenlinie „bis auf den vierten Grad inclusive nach Geistlichen Rechten gerechnet“. Verboten war im Falle der Annahme als Kind weiterhin die Ehe zwischen Adoptivvater und Adoptivkindern sowie deren leiblichen Nachfahren und Ehefrauen und zwischen dem Adoptivkind und den Ehefrauen des Adoptivvaters. Solange das Annahmeverhältnis bestand, durfte auch zwischen dem Angenommenen und denjenigen, die unter der väterlichen Gewalt des Annehmenden „würklich stehen“ keine Ehe geschlossen werden. Verboten war die Ehe schließlich „zwischen Verschwägerten bis in den vierten Grad der Schwagerschaft, oder da selbe etwan aus unehelichen Beyschlaf entstanden ist, bis in den zweyten Grad derselben inclusive nach Ausrechnung der Geistlichen Rechten.“ 74

2. Österreich Das erste Gesetz eines katholischen Staates, mit dem ein eigenständiges und umfassendes sowie das kanonische Recht verdrängendes, gleichwohl immer noch christliches staatliches Eherecht geschaffen wurde, war das Patent des österreichischen Herrschers Josephs II. vom 16. Januar 1783, das vor allem für das Eheverbotsrecht grundlegende Veränderungen gegenüber dem Kirchenrecht mit sich brachte.75 Gemäß seinem § 2 konnte jeder eine Ehe schließen (wörtlich hieß es, ganz im Sinne der Aufklärung, „einen Ehevertrag eingehen“), der durch die folgenden Bestimmungen nicht für unfähig dazu erklärt wurde. Nach § 13 konnten Blutsverwandte in auf- und absteigender Linie keine Ehe schließen. In der Seitenlinie betraf das Verbot Ehen mit Geschwistern sowie mit Kindern der Geschwister und zwischen Geschwisterkindern (nach heutiger Terminologie Neffen und Nichten). § 14 stellte bezüglich der Eheverbote wegen Verwandtschaft klar, dass diese gleichermaßen für Voll- und Halbgeschwister und für eheliche und uneheliche Verwandte galten. Nach § 15 stand auch Schwägerschaft dem Abschluss einer Ehe entgegen, allerdings beschränkte die Vorschrift dieses Ehever73

Dölemeyer, HRG Bd. 1, Sp. 478 (479 f.). Der Gesetzestext findet sich in dem Werk „Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. Oder Neu Verbessert – und Ergänzt – Chur-Bayrisches Land-Recht“, erschienen 1759, S. 42 f. 75 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 208, 212 u. 216 f. 74

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

bot auf die in den beiden vorangehenden Bestimmungen aufgeführten Verwandten des jeweils anderen Ehegatten. Eine Dispensmöglichkeit sah § 16 vor. Danach musste in denjenigen besonderen Fällen, in denen „sehr wichtige Ursachen vorhanden wären, welche eine Ehe zwischen Personen räthlich machen, deren Verwandtschaft oder Schwägerschaft die Verbindung hindert“, eine vorläufige Anzeige beim Landesfürsten gemacht werden, und nur nach seiner Erlaubnis durften sich die Heiratswilligen diesbezüglich an das geistliche Gericht wenden. Bezüglich der nicht verbotenen Verwandtschafts- und Schwägerschaftsgrade konnten sie sich lediglich an ihren Bischof wenden.76 Diese Regelung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Patent einerseits in § 1 Entscheidungen über eherechtliche Streitigkeiten den landesfürstlichen Gerichten übertrug, andererseits die kirchliche Trauung die einzige zulässige Form der Eheschließung blieb, indem § 29 die Gegenwart eines Geistlichen und das Beisein zweier Zeugen als „unumgängliche Bedingniß“ festlegte. Damit konnte jedoch die Situation eintreten, dass Priester an der Schließung von Ehen mitzuwirken hatten, die kirchenrechtlich nicht gültig waren. Die Auffassung, dass nicht nur eine bürgerliche Ehe zustande komme, sondern auch das Sakrament der Ehe gespendet werde, wenn eine kirchenrechtlich unerlaubte Ehe nach staatlichem Recht geschlossen werde, ließ sich in der Folgezeit nicht durchsetzen. Aber man scheute auch vor der Einführung der reinen Zivilehe zurück. Der österreichische Staat behalf sich daher schließlich damit, Priester mit staatlichen Sanktionen zur Mitwirkung bei der Eheschließung zu zwingen, wenn nach kirchlichem Recht eine gültige Ehe nicht eingegangen werden konnte.77 Die 1783 geschaffene Rechtslage übernahm das mit Patent vom 1. November 1786 bekannt gemachte und zum 1. Januar 1787 in Kraft gesetzte so genannte „Josephinische Gesetzbuch“ 78 in seinem dritten Hauptstück. Die Zuständigkeit der landesfürstlichen Gerichte für eherechtliche Streitigkeiten war in § 3 festgeschrieben, die §§ 17 bis 20 enthielten die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft sowie die Dispensationsmöglichkeit. Die kirchliche Trauung als Bedingung für eine gültige Eheschließung war in § 33 geregelt. Auch das auf das Josephinische Gesetzbuch folgende, mit Patent vom 1. Juni 1811 bekannt gemachte und zum 1. Januar 1812 in Kraft gesetzte Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (AGBG)79 schrieb diese Rechtslage fort. Die Regelungen über das Eherecht fanden sich in dessen zweitem Hauptstück. Wegen Verwandtschaft in dem bereits dargestellten Umfang konnte gemäß 76 Der Gesetzestext findet sich in Justizgesetzsammlung 1780–1784, Nr. 117 (S. 192 ff.). 77 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 214 f. 78 Justizgesetzsammlung 1785–1786, 2. Fortsetzung (1786), Nr. 591 (S. 71 ff.). Das Gesetz wurde als „allgemeines bürgerliches Gesetzbuch“ kundgemacht. Die Bezeichnung „Josephinisches Gesetzbuch“ wird hier gewählt, um eine Verwechslung mit dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 zu vermeiden. 79 Justizgesetzsammlung 1804–1811, Nr. 946 (S. 275 ff.).

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung

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§ 65 keine gültige Ehe geschlossen werden. Schwägerschaft mit den entsprechenden Verwandten des anderen Ehegatten stellte nach § 66 ein Ehehindernis dar. Nach § 75 war zur gültigen Schließung einer Ehe die feierliche Erklärung der Einwilligung vor dem ordentlichen Seelsorger der Brautleute oder vor dessen Stellvertreter in Gegenwart zweier Zeugen vorgeschrieben. Grundsätzlich konnte nach § 83 um Nachsicht von Ehehindernissen bei derjenigen Landesstelle nachgesucht werden, „welche nach Beschaffenheit der Umstände sich in das weitere Vernehmen zu setzen hat“. Die Ungültigkeit einer unter anderem gegen die §§ 65 und 66 verstoßenden Ehe war nach § 94 von Amts wegen zu untersuchen. Über die Ungültigkeit hatte gemäß § 97 das Landgericht („Landrecht“) zu verhandeln, in dessen Bezirk die Ehegatten ihren ordentlichen Wohnsitz hatten. Konnte das Ehehindernis behoben werden, sollte das Gericht dies nach § 98 zu erreichen versuchen, war dies nicht möglich, sollte es über die Ungültigkeit der Ehe entschieden. 3. Preußen In Preußen schaffte König Friedrich II. (Regierungszeit 1740 bis 1786) bereits im Jahr seiner Thronbesteigung alle über das göttliche Recht hinausgehenden Eheverbote ab, indem er per Kabinettsordre vom 3. Juni 1740 verfügte, es sei „jedermann frey zu geben, sich in denen Casibus wo die Ehe nicht klahr in Gottes Wort verbothen, sonder Dispensation und Kosten, nach Gefallen zu verheyrathen“.80 Dass der König bald darauf dazu überging, in Einzelfällen die Erlaubnis zu nach Lev 18 verbotenen Eheschließungen zu erteilen, widersprach der bisherigen Überzeugung von der Verbindlichkeit des durch göttliches Recht bestimmten Ehehindernisrechts.81 Mit Konzession vom 18. Januar 1748 erteilte er einem Bauern die Erlaubnis, die Witwe seines verstorbenen Bruders zu heiraten82; mit Dispensation vom 9. Januar 1749 gestattet er einem Bürger die Ehe mit der Tochter seiner Schwester.83 Das schließlich unter seinem Neffen und Nachfolger, Friedrich Wilhelm II. (Regierungszeit 1786 bis 1797), mit Patent vom 5. Februar 1794 zum 1. Juni 1794 in Kraft gesetzte Allgemeine Landrecht für die Preußi80 „Rescript, daß die bisherigen Dispensationes der Ehen für Geld gänzlich abrogiret, und frey gegeben werden solle, sich in denen Casibus, so Gott nicht klar verbothen, mit denen Anverwandten zu verheyrathen, nebst Cabinets-Ordre vom 3ten Jun. a. c., in: Corpus Constitutionum Marchicarum, Continuatio 1, 1740, Nr. 21 (Sp. 341 f.). Mit dem „Circulare wegen der Dispensation in Ehe-Sachen. Vom 20. Aug. 1740“ erging der Befehl an die Inspektoren, diese Bestimmungen „zu jedermanns Nachricht von den Cantzeln publiciren zu lassen“, Corpus Constitutionum Marchicarum, Continuatio 1, 1740, Nr. 44 (Sp. 371 f.). 81 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 240. 82 „Concession, seines Bruders Wittib zu heyrathen, vom 18. Jan. 1748.“, in: Corpus Constitutionum Marchicarum, Continuatio 4, 1748, Nr. 6 (Sp. 23 f.). 83 „Dispensation, für Gottfried Büngern, seiner Schwester Tochter Elisabeth Herterin zu heyrathen, vom 9. Jan. 1749.“, in: Corpus Constitutionum Marchicarum, Continuatio 4, 1749, Nr. 42 (Sp. 133 f.).

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

schen Staaten (ALR)84 regelte die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in seinem Teil II Titel 1. Verboten waren gemäß §§ 3 bis 6 Ehen zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern unabhängig davon, ob sie ehelich oder unehelich waren, und von Stief- und Schwiegereltern mit Stief- oder Schwiegerkindern, auch wenn die das Stief- oder Schwiegerverhältnis begründende Ehe durch Tod oder richterlichen Ausspruch wieder getrennt worden war. Nach § 10 fand in diesen Graden keinerlei rechtlich wirksame Dispensation statt. § 7 stellte ausdrücklich fest, dass in allen übrigen Graden der Verwandtschaft und Schwägerschaft die Ehe erlaubt war und es keiner Dispensation bedurfte. Eine staatliche Erlaubnis war jedoch nach § 8 erforderlich, wenn jemand die Schwester eines Elternteils oder eines weiter entfernten Verwandten in aufsteigender Linie heiraten wollte, die bereits älter war. Gemäß § 13 konnte zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern keine gültige Ehe geschlossen werden, solange die Adoption nicht wieder auf gesetzliche Weise aufgehoben worden war. Bezüglich der Rechtsfolgen gesetzwidrig geschlossener Ehen differenzierte das ALR zwischen nichtigen und ungültigen Ehen. Nichtig hießen gemäß § 945 solche Ehen, „welche wegen obwaltender Verbotsgesetze niemals bestehen können“; ungültig wurden gemäß § 946 Ehen genannt, „welchen zwar von Anfang an gesetzliche Hindernisse im Wege stehen, die aber doch in der Folge, durch Hebung dieser Hindernisse, verbindliche Kraft erlangen können“. Innerhalb der gesetzlich verbotenen Grade der Verwandtschaft oder Schwägerschaft geschlossene Ehen waren nach § 947 nichtig. § 960 erklärte Ehen, die ohne die gemäß § 8 erforderliche Dispensation geschlossen wurden, ausdrücklich nicht für nichtig, sondern nur für ungültig und in dem Fall, dass die Dispensation nachträglich erteilt wurde, für von Anfang an wirksam. Allerdings war auch dann gemäß § 961 die Übertretung des Gesetzes strafbewehrt. Die Fortsetzung nichtiger Ehen durfte der Richter gemäß § 962 nicht dulden, sondern er musste nach § 963 bei Kenntniserlangung die Verbundenen von Amts wegen trennen und einen fiskalischen Bedienten anweisen, auf die förmliche Nichtigkeitserklärung anzutragen, §§ 962 und 963. Ehen mit einer an Kindes statt angenommenen Person ohne vorherige Aufhebung der Adoption waren gemäß § 981 ungültig. Ungültige Ehen konnten nach § 985 nur auf das Anrufen desjenigen, der nach den Gesetzen das Ehehindernis zu rügen berechtigt war, als nichtig aufgehoben werden. Wenn jemand ein von ihm angenommenes minderjähriges Kind entgegen den Gesetzen geheiratet hatte, musste dem Kind gemäß § 997 i.V. m. den für Ehen zwischen Vormündern und Pflegebefohlenen geltenden §§ 990 und 991 ein Kurator bestellt werden und dieser unter Aufsicht des vormundschaftlichen Gerichts genau prüfen, ob das minderjährige Kind die Ehe fortsetzen 84 „Patent, wegen Publication des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten“, in: Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, Bd. 9, Sp. 1873 ff. Zum Gesetzestext siehe Hattenhauer/Bernert, ALR, S. 57 ff.

D. Das Vernunftrecht der Aufklärung

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wollte und die Fortsetzung ihm zuträglich war. Bei einer „wirklichen Abneigung“ des Kindes oder einem sonstigen überwiegenden Nachteil für dieses musste auf die förmliche Nichtigkeitserklärung bei dem Richter angetragen werden. War die an Kindes statt angenommene Person bereits volljährig, konnte sie gemäß § 998 die Ungültigkeit der Ehe nur innerhalb von sechs Monaten nach deren Vollziehung rügen. In allen Fällen, in denen eine solche Ehe für nichtig erklärt wurde, verlor der Mann nach § 999 alle aus der Annahme an Kindes statt über die Person und das Vermögen der Adoptierten entstandenen Rechte. Dagegen blieben der Adoptierten gemäß § 1000 die ihr auf das Vermögen des annehmenden Vaters sowohl unter Lebenden, als auch von Todes wegen zukommenden Ansprüche erhalten. Nach § 1001 wurden alle aus der Annahme an Kindes statt wechselseitig entstandenen Rechte und Verbindlichkeiten für erloschen angesehen, wenn eine solche Ehe in der Folge gültig wurde. Die §§ 1020 bis 1026 enthielten Strafbestimmungen für die wissentliche Übertretung von Ehegesetzen. Der Reduzierung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft unter Friedrich II. lag wohl vor allem die ökonomische Erwägung zugrunde, dass dadurch wirtschaftliche Nachteile vermieden werden sollten, wenn ein Hofinhaber im Kriegseinsatz sein Leben verlor.85 Die Maßnahmen dürften aber auch bevölkerungspolitische Beweggründe gehabt haben. So standen die preußischen Justizreformer des späten 18. Jahrhunderts auf dem Standpunkt, dass Macht und Stärke des Staates wesentlich von einem starken Bevölkerungswachstum abhänge und die Ehegesetzgebung betrachteten sie ganz utilitaristisch als Mittel zur Erreichung dieses Ziels.86 In erster Linie hatte die Ehe also einen Nutzen für die Gesellschaft zu erfüllen. Allerdings war dieses rein staatliche Interesse nur eine, wenn auch die wichtigste Priorität der Reformer. So hing für Carl Gottlieb Svarez auch „das Glück und der innere Wohlstand der Familien“ von der Ehe „wesentlich mit ab“ und Johann Heinrich Gottlob von Justi sah in der Erzeugung von Kindern nur den Haupt-, aber eben nicht den einzigen Zweck der Ehe, was immerhin dazu führte, dass das ALR auch Ehen, die wegen Alters oder Sterilisierung der Eheleute ohne Aussicht auf Nachkommen waren, als existenzberechtigt anerkannte, denn Svarez nahm als Nebenzweck der Ehe die Beistandspflicht der Ehegatten in das Gesetz auf.87 Die preußische Gesetzgebung zu den Eheverboten (beziehungsweise die hoheitliche Dispenserteilung von diesen) folgte also vor allem, aber nicht ausschließlich utilitaristischen Gesichtspunkten. Das ALR entsprach der Tendenz am Ende des 18. Jahrhunderts, die Eheschließung nicht durch Hindernisse und Voraussetzungen zu behindern, die nicht für notwendig gehalten wurden. Der Idee des „aufgeklärten Absolutismus“ entsprechend sollte den Untertanen zumindest soweit Freiheit gewährt werden, wie es sich mit den Interes85 86 87

Roth, HRG Bd. 2, Sp. 1297 (1298). Buchholz, S. 10 ff. Buchholz, S. 10 ff.; Hattenhauer, S. 164; siehe ALR Teil II, Titel 1, §§ 1 und 2.

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

sen des Staates vertrug.88 Auch wendete sich das ALR nicht vom christlichen Charakter des Eherechts ab, sondern übernahm die Grundstruktur der christlichen, protestantischen Ehe etwa dadurch, dass es an der kirchlichen Trauung als einziger Form der Eheschließung festhielt.89 Dies mag seinen Grund im Thronwechsel des Jahres 1786 haben. Der neue König Friedrich Wilhelm II. war eine ganz andere Persönlichkeit als sein streng rationalistischer Vorgänger. Unter ihm kam es wieder zu einer stärkeren Hinwendung zur Religion in ihrer Bedeutung als Faktor zur Stabilisierung der öffentlichen Ordnung.90 Es ist daher sicherlich zutreffend, das ALR als Versuch einer Synthese zwischen protestantisch-patriarchalischem und aufgeklärtem Eheverständnis beziehungsweise als einen Kompromiss zwischen aufgeklärter Freiheits- und Gleichheitsidee und altständischer Ordnung zu bezeichnen.91 4. Frankreich In Frankreich kam es im Zuge der Revolution Ende des 18. Jahrhunderts zu einer radikalen Abkehr von der christlichen Ehe. Der revolutionäre Staat verstand sich nicht mehr als eine „christliche Obrigkeit“. Religiöse Wertvorstellungen konnten daher für das staatliche Recht keine Bedeutung mehr beanspruchen, sondern ausschließlich die von der Bibel vollkommen unabhängig zu gewinnende natürliche Erkenntnis. Für die Ehegesetzgebung in Frankreich wurde auch keine in erster Linie am Staatswohl orientierte utilitaristische Sichtweise wie etwa in Preußen grundlegend, sondern die Forderung nach maximaler Freiheit der Ehe von gesetzlichen Beschränkungen.92 Die revolutionäre Gesetzgebung lief daher nicht nur auf eine Trennung von christlicher Ehemoral und staatlichem Eherecht hinaus, sondern beabsichtigte den Bruch mit bestehenden Traditionen, indem sie jeglichen christlichen Einfluss auch in Einzelpunkten ablehnte.93 Das „Décret qui détermine le mode de constater l’état civil des citoyens“ vom 20. September 179294 regelte im ersten Abschnitt seines vierten Titels die zur Eingehung einer Ehe erforderlichen Befugnisse und Voraussetzungen. Gemäß Art. 11 war die Ehe nur noch zwischen nichtehelichen und ehelichen Verwandten sowie Verschwägerten in gerader Linie und zwischen Geschwistern verboten („Le mariage est 88

Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 239. 89 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 244. 90 Clark, Preußen, S. 316 ff. 91 Hattenhauer, S. 164; Eckert, HRG Bd. 1, Sp. 155 (160). 92 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 218 f. 93 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 220. 94 Der Gesetzestext ist abgedruckt bei Duvergier, Lois, décrets, ordonnances, réglemens, et avis du Conseil d’État, Bd. 4, S. 562 ff.

E. Die Gesetzgebung deutscher Staaten im 19. Jahrhundert

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prohibé entre les parens naturels et légitimes en ligne directe, entre les alliés dans cette ligne, et entre le frère et la soeur.“). Nach Art. 13 waren Ehen, die entgegen den Bestimmungen der voranstehenden Artikel geschlossen wurden, ungültig und ohne Wirkung („Les mariages faits contre la disposition des articles précédens, seront nul et de nul effet.“). Die exzessiv betriebene Befreiung der Ehe von rechtlichen Bindungen blieb jedoch nur revolutionäre Episode. Um Anarchie zu verhindern, wollte der bereits unter der Herrschaft Napoleon Bonapartes eingeführte Code Civil von 1804 die den Ehepartnern durch die revolutionäre Gesetzgebung eingeräumte Ungebundenheit wieder rückgängig machen und schränkte daher die Gründe für die Ehescheidung ein.95 Aber auch die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft waren geringfügig strenger geregelt als in der Verordnung von 1792. Verboten war gemäß Art. 161 in gerader Linie die Ehe zwischen allen ehelichen beziehungsweise gesetzmäßigen oder nichtehelichen beziehungsweise natürlichen Vor- und Nachfahren („entre tous les ascendans et descendans légitimes ou naturels“) sowie zwischen Verschwägerten, gemäß Art. 162 in der Seitenlinie zwischen ehelichen beziehungsweise gesetzmäßigen oder nichtehelichen beziehungsweise natürlichen Geschwistern und den Verschwägerten im selben Grad. Darüber hinaus verbot Art. 163 die Ehe zwischen Onkel und Nichte sowie Tante und Neffe, wobei die Regierung von diesen Verboten nach Art. 164 aus wichtigen Gründen dispensieren konnte. Art. 348 bestimmte, dass Adoptierte zwar in ihrer leiblichen Familie blieben, verbot aber dennoch die Ehe zwischen Adoptierendem und Adoptiertem sowie dessen Nachkommen, zwischen Adoptivkindern derselben Person, zwischen Adoptiertem und späteren Kindern des Adoptierenden, und zwischen dem Adoptierten und dem Ehegatten des Adoptierenden sowie zwischen dem Adoptierenden und dem Ehegatten des Adoptierten. Eine entgegen den Verboten der Art. 161, 162 und 163 geschlossene Ehe konnte gemäß Art. 184 durch die Ehegatten selbst, durch jeden, der daran ein Interesse hatte, oder durch die Staatsanwaltschaft („le ministère public“) mittels der Klage auf Ungültigkeit beziehungsweise Nichtigkeit („nullité“) angefochten werden.96

E. Die Gesetzgebung deutscher Staaten im 19. Jahrhundert bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 Der Code Civil und mit ihm sein Eherecht gelangten zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch in Teilen Deutschlands zur Geltung. So wurde er Ende des 18. Jahrhunderts im von Frankreich annektierten Rheinland eingeführt. Sein Ziel, 95 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, S. 220. 96 Zum Gesetzestext siehe Lassaulx, Kodex Napoleon sowie „Napoleons Gesetzbuch/„Code Napoléon“; im erstgenannten Werk wird der Begriff „ministère public“ wörtlich mit „öffentliches Ministerium“, im zweitgenannten mit „großherzoglicher Procurator“ übersetzt.

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

den Code Civil als gemeines Recht in Europa zu etablieren, erreichte Napoleon darüber hinaus in Westphalen, dem Herzogtum Berg und in Frankfurt, nicht dagegen in Mitteldeutschland. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurde das Gesetz im Rheinland beibehalten.97 Einen Sonderfall der Rezeption des französischen Rechts in Deutschland war die Gesetzgebung des Großherzogtums Baden. Dort kam wegen der feudal geprägten Grund- und Eigentumsordnung die wörtliche Übernahme des bürgerlich-revolutionären Code Civil nicht in Frage. Deshalb wurde mit dem Badischen Landrecht vom 1. Januar 1810 ein eigenständiges Gesetzbuch geschaffen. Dabei handelte es sich um eine deutsche Übersetzung des Code Civil, die mit modifizierenden Ergänzungen versehen wurde, die insgesamt etwa ein Fünftel des gesamten Textes ausmachten.98 Sachlich seinem Vorbild entsprechend verbot das Badische Landrecht in Satz 161 die Ehe in grader Linie „unter allen Vor-Eltern und ihren Abkömmlingen, sie seyen ehelich oder unehelich, leiblich oder angeheyrathet“, in Satz 162 in der Seitenlinie „unter Schwester und Bruder, ohne Unterschied der ehelichen oder unehelichen Abstammung, so wie unter Verschwägerten desselben Grads“ und in Satz 163 „zwischen Oheim und Nichte, auch zwischen Muhme und Neffen“. Von den Eheverboten dieses Satzes konnte der Staatsherrscher allerdings gemäß Satz 164 aus wichtigen Ursachen dispensieren. Modifikationen gegenüber dem Code Civil bedeuteten die Sätze 164a und 164b. Nach ersterem konnten auch die Verbote der Ehe zwischen Verschwägerten in grader Linie erlassen werden, wenn die vorherige Ehe durch den Tod und nicht durch Ehescheidung getrennt worden war. Gemäß letzterem konnte „in keinem Fall Nachsicht erlangt werden, wenn vor der Nachsichtsbitte eine unziemliche Geschlechts-Vertraulichkeit zwischen beeden beweislich eingetreten ist“. Satz 348 bestimmte unter Verwendung der Begriffe „Anwünschender“ und „Angewünschter“ wie der Code Civil die Eheverbote wegen Annahme als Kind. Wurde eine Ehe entgegen den Verboten der Sätze 161, 162 und 163 geschlossen, konnte nach Satz 184 diese von den Ehegatten, „jedem, der dabey betheiligt ist“ und dem „Kron-Anwalt“ mittels der Klage auf Ungültigkeit der Ehe angefochten werden. Ausgenommen davon waren jedoch unter Satz 139 fallende Personen, bei denen es sich um nicht geschiedene Verschollene handelte, deren zurückgebliebene Ehegatten eine neue Ehe geschlossen hatten. Anders verhielt es sich mit den in Satz 348 Genannten, also denjenigen, zwischen denen ein Verhältnis der Annahme als Kind bestand.99 Im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vollzog sich erneut ein Wandel in der Auffassung von der Ehe. Im Zuge der nach dem Ende der französischen Herrschaft in Europa einsetzenden politischen und gesellschaftlichen Restauration wurden sie und die Familie als Grundlagen der staatlichen und gesellschaft97 98 99

Halpérin, HRG Bd. 1, Sp. 861 (865). Deutsch, HRG Bd. 1, Sp. 405 (406). Zum Gesetzestext siehe Code Napoléon (Baden).

E. Die Gesetzgebung deutscher Staaten im 19. Jahrhundert

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lichen Ordnung angesehen und die Ehe in den Rang einer Institution erhoben, die nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers stand. Es fand also in gewissem Sinne eine Resakralisierung statt und es bildete sich eine wieder verstärkt an der christlichen Tradition orientierte konservative Ehedoktrin heraus.100 Diese fand in den im 19. Jahrhundert in deutschen Staaten erlassenen Gesetzen einen von Fall zu Fall stärker oder schwächer ausgeprägten Niederschlag. Durchgehend verboten war die Ehe zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie und zwischen ehelichen und nichtehelichen voll- und halbbürtigen Geschwistern, so in §§ 2 und 3 der „Verordnung wegen des Aufgebots, der Trauung und der Eheverbote“ vom 27. Juni 1823 des Herzogtums Anhalt-Dessau101, § 2 b) und c) des Ehegesetzes des Herzogtums Gotha vom 15. August 1834102, § 4 Nr. 2) der „Ehe-Ordnung“ vom 12. Mai 1837 des Herzogtums Altenburg103, § 2 A 1) und 2) des „Gesetzes über die in Betreff der Verheirathungen festzustellenden Beschränkungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen“ vom 28. März 1850104, § 1608 des sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs vom 2. Januar 1863105, § 7 des Lübecker „Gesetzes, die Erfordernisse und rechtlichen Wirkungen von Eheverlöbnissen, sowie die Eheverbote wegen zu naher Verwandtschaft, betreffend“ vom 26. Oktober 1863106 und § 19 Nr. 1) des Hamburger „Gesetzes, betreffend Civilstandsregister und Eheschließung“ vom 17. November 1865.107 Einzelne Gesetze gingen auch weiter. So musste gemäß § 6 des anhaltdessauischen Verordnung von 1823 um die herzogliche Erlaubnis nachsuchen, „wenn jemand die Schwester seines Vaters, oder seiner Mutter, oder eines entferntern Verwandten in aufsteigender Linie, oder die Tochter, oder eine entferntere Descendentin seines Bruders oder seiner Schwester heirathen will“. Eine fast wortgleiche Regelung traf das Ehegesetz Gothas in § 2, der denjenigen, der „die Schwester seines Vaters oder seiner Mutter oder eines weiteren Verwandten in aufsteigender Linie, die an Jahren älter ist, heirathen will“, dazu verpflichtete, die Erlaubnis der Landesregierung nachzusuchen. Der in der Formulierung „die an Jahren älter ist“ liegende Unterschied zur anhalt-dessauischen Verordnung legt nahe, dass es bei dieser Regelung nicht nur darum ging, moralisch zu miss100 Buchholz, HRG Bd. 1, Sp. 1192 (1207); Hattenhauer, S. 173 f.; Schwab, Geschichtliches Recht und moderne Zeiten, S. 257 (264). 101 Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Deßau, Bd. 1 Nr. 25 (S. 149 ff.). 102 „Patent, die Promulgation eines neuen Ehegesetzes betreffend“, Gesetzsammlung für das Herzogthum Gotha, Bd. 2 Nr. 112 (S. 593 ff.). 103 Gesetz-Sammlung für das Herzogthum Altenburg 1837, Nr. 20 (S. 81 ff.). 104 Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Fünfter Band, Nr. 305 (S. 1743 ff.). 105 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1863, 1. Stück, Nr. 1 (S. 1). 106 Sammlung der lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, Bd. 30, S. 201 ff. 107 Sammlung der Verordnungen der Freyen Hansestadt Hamburg, Bd. 33, S. 377 ff.

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1. Kap.: Die Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

billigende Ehen, sondern auch Erbkrankheiten bei den Nachkommen zu verhindern. Das Gesetz Gothas war also wohl vermutlich stärker an eugenischen Zielen orientiert, während bei anderen zeitgenössischen Gesetzen ein entsprechend deutlicher Hinweis fehlt. Die Erlaubnis sollte „nur aus erheblichen Gründen, und wenn eine solche Ehe beiden Theilen augenscheinlich vortheilhaft ist, gegen ein angemessenes Dispensationsquantum, welches für milde Zwecke zu verwenden ist“ erteilt werden. Ebenfalls einen Dispensationsvorbehalt sah § 9 der altenburgischen Ehe-Ordnung von 1837 vor, nämlich für Ehen mit den Stief-Schwiegereltern (Nr. 1), mit den voll- und halbbürtigen Geschwistern der Eltern, Groß- oder Stiefeltern (Nr. 2), mit den gewesenen Ehegatten vollbürtiger Geschwister der Eltern, Großeltern oder Stiefeltern sowie mit den vollbürtigen Geschwistern der Eltern, Großeltern oder Stiefeltern des gewesenen Ehegatten (Nr. 3), mit den vollbürtigen Geschwistern des verstorbenen Ehegatten (Nr. 4) und für Ehen zwischen Geschwisterkindern (Nr. 5). Für die Dispensation war in den Fällen der Nrn. 1 bis 3 der Landesherr, für die Nrn. 4 und 5 das Konsistorium, also eine kirchliche Behörde, zuständig. Das sächsische bürgerliche Gesetzbuch verbot in § 1609 die Ehe zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe, Großonkel und Großnichte sowie Großtante und Großneffe unabhängig davon, ob dieses Verwandtschaftsverhältnis ein eheliches oder ein nichteheliches war, in § 1610 zwischen Geschwisterkindern sowie in § 1612 zwischen einem geschiedenen Ehegatten und den voll- und halbbürtigen Geschwistern des anderen geschiedenen Ehegatten. In allen Fällen war allerdings die Möglichkeit der „Nachsichtserteilung“ vorgesehen. Diese gehörte gemäß § 15 der „Verordnung, die Ein- und Ausführung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen betreffend“ vom 9. Januar 1865108 in den Kompetenzbereich der kirchlichen Behörden. Soweit die Gesetze des 19. Jahrhunderts das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft aufnahmen, beschränkten sie es häufig auf Ehen zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern, solange das Adoptivverhältnis nicht aufgehoben worden war, so § 8 der Verordnung Anhalt-Dessaus von 1823, § 2 e) des Ehegesetzes Gothas von 1824, § 35 der altenburgischen Ehe-Ordnung von 1837, § 1 A Nr. 4) des Gesetzes über die Heiratsbeschränkungen für die Herzogtümer AnhaltDessau und Anhalt-Köthen von 1850 oder § 19 Nr. 3) des Hamburger Gesetzes von 1865. Weiter ging auch hier das sächsische bürgerliche Gesetzbuch in seinem § 1614, wonach außerdem „zwischen dem Annehmenden und den Abkömmlingen des Angenommenen, zwischen den Eltern des Annehmenden und dem Angenommenen oder den Abkömmlingen desselben, zwischen Personen, welche durch Annahme an Kindesstatt in das Verhältniß von Geschwistern zueinander gekommen sind“

108

(S. 1).

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1865, 1. Stück, Nr. 1

E. Die Gesetzgebung deutscher Staaten im 19. Jahrhundert

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die Ehe verboten war. Nach Beendigung des Adoptivverhältnisses durch Auflösung oder Tod konnte eine entsprechende Eheschließung jedoch durch „Nachsichterteilung“ gestattet werden. Was das Eheverbot wegen Schwägerschaft, abgesehen von den bereits oben im Zusammenhang mit den verbotenen Verwandtschaftsgraden genannten Regelungen, im Allgemeinen anging, war die Ehe in auf- und absteigender Linie, also zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern sowie zwischen Stiefeltern und Stiefkindern jedes Grades durchgängig verboten, oft auch für den Fall der Trennung der die Schwägerschaft begründenden Ehe. Entsprechende Regelungen fanden sich in § 4 der Verordnung Anhalt-Dessaus von 1823, § 2d) des Ehegesetzes Gothas von 1834, § 4 Nr. 2) und § 11 der altenburgischen Ehe-Ordnung von 1837, § 1 A Nr. 3) des Gesetzes für Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen von 1850, § 1611 des sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs, § 7 des Lübecker Gesetzes von 1863 und § 19 Nr. 2) des Hamburger Gesetzes von 1865. In Preußen schlug sich die konservative Eheauffassung des 19. Jahrhunderts darin nieder, dass mit der „Verordnung, das Verbot der Ehe zwischen Stief- oder Schwiegereltern und Stief- oder Schwiegerkindern betreffend“ vom 22. Dezember 1843109 Teil I Titel 2 § 5 des ALR dergestalt ergänzt wurde, dass die Wiederheirat einer Person, deren Ehe durch Tod oder richterlichen Ausspruch aufgelöst worden war, mit Vor- oder Nachfahren des früheren Ehegatten auch dann verboten war, wenn diese Verwandtschaft eine nichteheliche war. Eine Dispensation von diesem Verbot fand nicht statt. Letzteres ging auf den Wunsch König Friedrich Wilhelms IV. (Regierungszeit 1840 bis 1861) zurück.110 Ebenfalls der konservativen Eheauffassung des 19. Jahrhunderts dürfte die Aufnahme des Eheverbotes wegen außerehelicher Geschlechtsgemeinschaft in § 1613 des sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs geschuldet gewesen sein, wonach niemand eine Person heiraten konnte, der „mit deren Abkömmlingen, Eltern oder Voreltern, oder mit welcher eines von seinen Abkömmlingen, Eltern oder Voreltern außer der Ehe den Beischlaf ausgeübt hat“. Eine Dispensationsmöglichkeit war nicht vorgesehen.

109 Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1844, Nr. 2417 (S. 47). 110 Roth, HRG Bd. 2, Sp. 1297 (1298).

2. Kapitel

Das Kaiserreich (1871 bis 1918) Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 bedeutete noch nicht, dass nunmehr ohne weiteres auch die Möglichkeit bestanden hätte, die Vielzahl an gesetzlichen Bestimmungen über das Eherecht und damit auch über die Eheverbote in den Gliedstaaten durch ein einheitliches Recht abzulösen. Die „Verfassung des Deutschen Reichs“ 1 sah in ihrem Art. 4 Nr. 13 die gemeinsame Gesetzgebung des Reiches neben dem Straf-, Handels- und Wechselrecht sowie dem gerichtlichen Verfahren nämlich nur auf dem Gebiet des Obligationenrechts vor. Erst mit dem „Gesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 20. Dezember 18732 wurde die Gesetzgebungskompetenz des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht erweitert. Nunmehr konnte der Reichsgesetzgeber daran gehen, die Rechtseinheit auch auf dem Gebiet des Eheschließungsrechts herbeizuführen. Von dieser Kompetenz machte er bis zur Jahrhundertwende durch zwei Gesetze Gebrauch, nämlich das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 6. Februar 1875 und das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896. Erst mit Inkrafttreten des letzteren am 1. Januar 1900, also knapp 30 Jahre nach der Reichsgründung, galt erstmals für Gesamtdeutschland ein einheitliches Eheschließungsrecht.

A. Das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 6. Februar 1875 Das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 6. Februar 18753 (Reichspersonenstandsgesetz – RPStG) war ein erster Schritt zu einem einheitlichen deutschen Eheschließungsrecht, indem es das Eheverbotsrecht seinem Umfang nach abschließend regelte. In seinem § 33 Nrn. 1 bis 3 verbot es die Ehe zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern und zwischen Stiefeltern und Stiefkindern sowie zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern jedes Grades, und zwar unabhängig davon, ob das Verwandtschafts- oder Schwäger1 Verabschiedet mit dem „Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 16. April 1871, Bundes-Gesetzblatt des Deutschen Bundes Nr. 16/1871. 2 RGBl. 1873, S. 379. 3 RGBl. 1875, S. 23 ff.

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 47

schaftsverhältnis auf ehelicher oder außerehelicher Geburt beruhte und ob die Ehe, die die Stief- oder Schwiegerverbindung begründete, noch bestand oder nicht. Nach Nr. 4 verboten war die Ehe zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern für die Dauer des Adoptivverhältnisses. Gemäß § 36 Satz 1 waren hinsichtlich der rechtlichen Folgen einer gegen die im RPStG festgelegten Verbote geschlossenen Ehe allerdings die Vorschriften des Landesrechts maßgebend. Aufgehoben wurden durch § 39 alle Vorschriften, die das Recht zur Eheschließung weiter beschränkten als durch das RPStG geschehen. Ein Standesbeamter hatte nach § 48 die Eheschließung abzulehnen, wenn Ehehindernisse zu seiner Kenntnis kamen. Für den Fall, dass er unter Missachtung der im Gesetz festgelegten Vorschriften die Eheschließung vollzog, drohte § 69 ihm eine Geldstrafe von bis zu 600 Mark an.

I. Vorgeschichte und Hintergründe Für die Verabschiedung des RPStG waren zwei miteinander in Zusammenhang stehende Begleitumstände ausschlaggebend, nämlich einerseits die liberale Forderung nach Einführung der obligatorischen, also von der kirchlichen Mitwirkung gänzlich unabhängigen und dieser zwingend vorausgehenden Zivilehe, andererseits der sogenannte Kulturkampf.4 Beider Wurzeln reichten weiter zurück als in die Phase der Reichsgründung und beide waren nicht auf das Deutsche Reich beschränkt, sondern betrafen weite Teile Europas. 1. Die Forderung des Liberalismus nach Einführung der obligatorischen Zivilehe Die Einführung der obligatorischen Zivilehe, geistig vorbereitet durch die Aufklärung, war zunächst im revolutionären Frankreich durch die Verfassung vom 3. September 1791 sowie per Dekret vom 20. September 1792 erfolgt und später im Code Civil von 1804 übernommen worden. Wegen dessen Einführung in einigen deutschen Gebieten im Zuge der napoleonischen Herrschaft und seiner späteren Beibehaltung über deren Ende hinaus existierten im Deutschen Reich verschiedene eherechtliche Systeme nebeneinander. Zwar hatte durch die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung vom 28. März 1849 die obligatorische Zivilehe für ganz Deutschland eingeführt werden sollen, dies war jedoch von konservativer Seite auf energischen Widerspruch gestoßen. So hatte ausgerechnet Otto von Bismarck, unter dessen Ägide als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident genau diese Forderung in den siebziger Jahren eingelöst werden sollte, in einer Rede im preußischen Herrenhaus vom 15. November 1849 heftig dagegen polemisiert.5 Infolge des Scheiterns der Verfassung 4 5

Vgl. Conrad, Festschr. f. Lehmann, Bd. 1, S. 113 (113 ff.). Conrad, Festschr. f. Lehmann, Bd. 1, S. 113 (113 f.); Hattenhauer, S. 168 ff.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

von 18496 war vor der Reichsgründung 1871 an die flächendeckende Einführung der obligatorischen Zivilehe in den deutschen Staaten also kaum zu denken gewesen. Vielmehr war die Kompetenz zur Ehegesetzgebung auf deren Ebene verblieben, wobei einige nach 1849 der Forderung der gescheiterten Reichsverfassung gefolgt waren.7 Die Frage nach der Einführung der obligatorischen Zivilehe hatte zwar für sich genommen nicht auch die Frage nach Art und Umfang von Eheverboten betroffen. Wie Hermann Conrad feststellt, hatte der deutsche Liberalismus des 19. Jahrhunderts unter dem Postulat der Trennung von Kirche und Staat jedoch neben der der kirchlichen zeitlich zwingend vorauszugehenden zivilen Eheschließung auch das Ziel verfolgt, kirchenrechtlich begründete Ehehindernisse, und hier vor allem dasjenige wegen Religionsverschiedenheit, abzuschaffen.8 In einem religiös weitgehend homogenen und zentralistischen Land wie Frankreich hätte es, die antikirchlichen revolutionären Maßnahmen seit 1789 einmal ausgeblendet, möglicherweise gerade noch vertretbar erscheinen können, ohne Abstriche an der zwingenden Ziviltrauung die kirchlichen Eheverbote ihrem Umfang nach als für die bürgerliche Ehe verbindlich zu erklären und durch weltliches Gesetz lediglich die Rechtsfolgen von Verstößen festzulegen, dem Staat also nur eine vollziehende Funktion zukommen zu lassen. Für ein seit der Frühen Neuzeit konfessionell gespaltenes und traditionell föderales Land wie Deutschland, wo in manchen Gebieten noch das Kirchenrecht für die die Eheschließung verbindlich war, wäre ein solches Vorgehen vollkommen undenkbar gewesen. Es hätte sich etwa die Frage danach gestellt, wie man Ehegatten behandeln sollte, die unterschiedlichen Konfessionen angehörten oder die nach der Eheschließung von einem Rechtsgebiet in das andere umgezogen wären. Derartige Konstellationen hätten ein übergeordnetes Regelwerk zwingend erforderlich gemacht. Einheitliche gesetzliche Bestimmungen zu den materiellen Voraussetzungen, unter denen eine Eheschließung überhaupt vorgenommen werden durfte, lagen also in der Logik der Entwicklung hin zur Einführung der obligatorischen Zivilehe. Mit der Forderung nach dieser war also gleichzeitig auch eine ausschließliche staatliche Regelung des materiellen Eheverbotsrechts zu erwarten, die die Einhaltung darüber hinausgehender kirchlicher oder religiöser Bestimmungen in den Bereich des Gewissens jedes Einzelnen abdrängte. 2. Der Kulturkampf Gelegenheit zur Umsetzung ihrer Forderung nach Einführung der obligatorischen Zivilehe, zunächst in Preußen und bald darauf auch im gesamten Deutschen Reich, bot den Liberalen der sogenannte Kulturkampf.9 Mit diesem Begriff 6 7 8 9

Dazu Willoweit/Schlinker, § 31, Rn. 19 ff. Conrad, Festschr. f. Lehmann, Bd. 1, S. 113 (114). Conrad, Festschr. f. Lehmann, Bd. 1, S. 113 (129). Conrad, Festschr. f. Lehmann, Bd. 1, S. 113 (114 f.).

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 49

bezeichnete der Mediziner und liberale Politiker Rudolf Virchow am 17. Januar 1873 in einer Rede im preußischen Abgeordnetenhaus die Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über den jeweiligen Einfluss etwa im Bereich des Schulwesens, die sich nicht auf Deutschland beschränkte, sondern weite Teile Europas erfasste und besonders hart in mehrheitlich katholischen Ländern wie Frankreich und Italien geführt wurde.10 1864 hatte Papst Pius IX. in der Enzyklika „Quanta cura“ die Autorität der katholischen Kirche über Staat und wissenschaftliche Forschung beansprucht, und im beigefügten „Syllabus errorum“ unter anderem Forderungen nach staatlicher Schulaufsicht, der Trennung von Staat und Kirche oder der rechtlichen Gleichstellung von Katholiken und Nichtkatholiken als Irrlehren aufgeführt; am 18. Juli 1870 hatte das Erste Vatikanische Konzil das so genannte Unfehlbarkeitsdogma beschlossen, wonach der Papst bei „ex cathedra“ verkündeten Lehrentscheidungen nicht irren könne.11 Im Deutschen Reich betrachteten demgegenüber Nationalliberale und -konservative die protestantische Prägung von Staat, Gesellschaft und Kultur als geradezu identitätsstiftend.12 Bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die damals etwa 25 Millionen Protestanten und etwa 15 Millionen Katholiken zählte, stießen die Maßnahmen der katholischen Kirche daher auf entschiedene Ablehnung, vor allem beim kulturprotestantisch geprägten liberalen Bürgertum. Dem sich auf Rom fixierenden „ultramontanen“ deutschen Katholizismus wurde Antimodernismus, Fortschrittsfeindlichkeit, Internationalismus und nationale Unzuverlässigkeit vorgeworfen.13 Nach der ersten Reichstagswahl im März 1871 trat diese politische Konfliktlinie klar zutage: Auf der einen Seite standen die Reichsregierung unter Kanzler Otto von Bismarck und die sie unterstützenden Parteien (dies waren eine Minderheit der Konservativen, die Freikonservativen, die Nationalliberalen, die Mehrheit der Fortschrittspartei und die Liberale Reichspartei14), auf der anderen die katholische Kirche und das 1870 gegründete Zentrum als Partei des politischen Katholizismus, das bei der Wahl 63 Mandate gewonnen hatte und damit nach den Nationalliberalen die zweitstärkste Fraktion stellte.15 Zu den in den folgenden Jahren im Deutschen Reich und in Preußen erlassenen Kulturkampfgesetzen gehörte auch das RPStG mit der Einführung der obligatorischen Zivilehe.16

10 Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 222; Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 825 ff. 11 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 825 f. 12 Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 221; Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 835 f. 13 Kolb, S. 135. 14 Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 224. 15 Kolb, S. 135 f. 16 Gmür/Roth, Rn. 396; Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 836 f.; Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 224 f.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

3. Exkurs: Die Entwicklung in Österreich Im Gegensatz zum Deutschen Reich kam es in Österreich wegen der versöhnlicheren Haltung der Regierung und aufgrund von Bemühungen Kaiser Franz Josephs um Verständigung zwar nicht zu einer ernsten Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche.17 Früher als in Deutschland hatten sich dort allerdings die Differenzen zwischen Staat und Kirche bereits auf das Eheverbotsrecht ausgewirkt. Die Kirche hatte sowohl das Ehepatent Josephs II. von 1783, als auch das Eherecht des ABGB von 1811 abgelehnt. Nach dem Sturz des Staatskanzlers Clemens von Metternich im März 1848 und dem Regierungsantritt Kaiser Franz Josephs im Dezember desselben Jahres wurde der Anspruch der Kirche auf absolute Freiheit in ihren Angelegenheiten für ihr Verhältnis zum Staat bestimmend. Im Januar 1849 forderten die Bischöfe dazu den Abschluss eines Konkordates.18 Da die Ehe als Sakrament nach katholischer Lehre eine genuin kirchliche Angelegenheit darstellte, stand ab diesem Zeitpunkt die Forderung einer Revision des geltenden staatlichen Eherechts auf der Tagesordnung. Der Wunsch der Kirche nach Selbständigkeit und Freiheit von staatlichen Eingriffen in ihren Angelegenheiten fiel bei der neoabsolutistischen Wiener Hofgesellschaft auf fruchtbaren Boden, die nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 ihre frühere Machtstellung wiedererlangt und nunmehr ihrerseits ein Interesse daran hatte, im Bündnis von Thron und Altar eine sittlich-religiöse Erneuerung des Volkes herbeizuführen und das Gefüge des Vielvölkerstaates zu festigen. Nach mehrjährigen Verhandlungen, die im April 1855 zum Abschluss kamen, wurde das angestrebte Konkordat schließlich am 18. August 1855 in Wien unterzeichnet und von päpstlicher Seite am 3. November sowie staatlicherseits am 5. November publiziert.19 Sein Art. 1 versprach, dass „die heilige römisch-katholische Religion . . . mit allen Befugnissen und Vorrechten, deren dieselbe nach der Anordnung Gottes und den Bestimmungen der Kirchengesetze genießen soll, im ganzen Kaiserthume Österreich und allen Ländern, aus welchen dasselbe besteht, immerdar aufrecht erhalten“

werde. Nach Art. 10 gehörten „alle kirchlichen Rechtsfälle und insbesondere jene, welche den Glauben, die Sacramente, die geistlichen Verrichtungen und die mit dem geistlichen Amte verbundenen Pflichten und Rechte betreffen, einzig und allein vor das kirchliche Gericht“

und so werde „über dieselben der kirchliche Richter erkennen, und es hat somit dieser auch über die Ehesachen nach Vorschrift der heiligen Kirchengesetze und namentlich der Verordnungen von Trient zu urtheilen und nur die bürgerlichen Wirkungen der Ehe an den weltlichen Richter zu überweisen“. 17 18 19

Baltl, S. 255; Feine, S. 681. Feine, S. 644. Baltl, S. 252; Feine, S. 644 f.

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 51

Bezüglich der Eheverlöbnisse werde „die Kirchengewalt über deren Vorhandensein und ihren Einfluß auf die Begründung von Ehehindernissen entscheiden und sich dabei an die Bestimmungen halten, welche dasselbe Concilium von Trient und das apostolische Schreiben, welches mit ,auctorem fidei‘ beginnt, erlassen hat“.

In Art. 35 war festgelegt, dass „alle im Kaiserthume Österreich und den einzelnen Ländern, aus welchen dasselbe besteht, bis gegenwärtig in was immer für einer Weise und Gestalt erlassenen Gesetze, Anordnungen und Verfügungen (. . .), in soweit sie diesem feierlichen Vertrage widerstreiten, für durch denselben aufgehoben anzusehen“

seien und „der Vertrag selbst (. . .) in denselben Ländern von nun an immerdar die Geltung eines Staatsgesetzes haben“ werde. Deshalb verhießen „beide vertragschließenden Theile, daß Sie und Ihre Nachfolger Alles und Jedes, worüber man sich vereinbart hat, gewissenhaft beobachten werden. Woferne sich aber in Zukunft eine Schwierigkeit ergeben sollte, werden Seine Heiligkeit und Seine kaiserliche Majestät Sich zu freundschaftlicher Beilegung der Sache ins Einvernehmen setzen.“ 20

Gemäß Art. II des kaiserlichen Patents vom 5. November 185521 sollten „die bischöflichen Ehegerichte auch in jenen Ländern, wo dieselben nicht bestehen, sobald als möglich in Wirksamkeit treten, um über die Eheangelegenheiten Unserer katholischen Unterthanen gemäß Artikel X. des Concordates zu erkennen“.

Der Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Tätigkeit sollte nach Einvernehmung der Bischöfe bekanntgegeben und in der Zwischenzeit auch die nötigen Änderungen der bürgerlichen Gesetze über Eheangelegenheiten kundgemacht werden. Bis dahin sollten die bestehenden Gesetze für die Ehen der katholischen Untertanen in Kraft bleiben und die Gerichte über die bürgerliche Geltung dieser Ehen und die daraus hervorgehenden Rechtswirkungen zu entscheiden haben. Das dem kaiserlichem Patent vom 8. Oktober 185622 als Anhang I. angefügte „Gesetz über die

20

Der Text des Konkordates ist abgedruckt bei Weinzierl-Fischer, S. 250 ff. „Kaiserliches Patent vom 5. November 1855, wirksam für den ganzen Umfang des Reiches, womit das zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius IX. und Seiner kaiserlichköniglichen Apostolischen Majestät Franz Joseph I, Kaiser von Oesterreich, am 18. August 1855 zu Wien abgeschlossene Uebereinkommen (Concordat) kundgemacht und angeordnet wird, daß die Bestimmungen desselben, mit Vorbehalt der in den Artikeln I und II dieses Patentes angedeuteten Anordnungen im ganzen Umfange des Reiches von dem Zeitpuncte der Kundmachung dieses Patentes an in volle Gesetzeskraft zu treten haben.“, Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1855, Nr. 195 (S. 635). 22 „Kaiserliches Patent vom 8. Oktober 1856, wirksam für den gesamten Umfang des Reiches, womit, in Ausführung des Artikels X des Concordates, über die Eheangelegenheiten der Katholiken im Kaiserthume Oesterreich, in soweit sie dem Bereiche der bürgerlichen Gesetzgebung angehören, ein neues Gesetz erlassen, und festgesetzt wird, daß dasselbe mit dem 1. Jänner 1857 seinem vollen Inhalte nach in Wirksamkeit zu treten 21

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

Ehen der Katholiken im Kaiserthume Oesterreich“ 23 verbot in seinem § 3 Katholiken, sich anders zu verehelichen als unter Beachtung aller Vorschriften des Kirchengesetzes über die Gültigkeit der Ehe. Diese waren dem Patent als Anhang II. in der „Anweisung für die geistlichen Gerichte des Kaiserthumes Oesterreich in Betreff der Ehesachen“ 24 beigefügt. Nach deren § 26 war die Ehe zwischen leiblichen Verwandten in grader Linie bis einschließlich zum vierten Grad verboten, unabhängig davon, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder nichtehelicher Geburt beruhte. Nach § 28 hinderte eine Annahme als Kind, die der Arrogation oder vollständigen Adoption nach römischem Recht im Wesentlichen entsprach, auch dann, wenn sie aufgehoben war, das Zustandekommen der Ehe zwischen dem Adoptierenden und dem Adoptierten sowie den Nachkommen des letzteren, die zur Zeit der Adoption unter dessen väterlicher Gewalt standen, außerdem zwischen dem Adoptierenden und der Gattin des Adoptierten sowie dem Adoptierten und der Gattin des Adoptierenden. Zudem konnte für die Dauer der Adoption zwischen dem Adoptierten und den leiblichen, rechtmäßig unter seiner väterlichen Gewalt stehenden Kindern des Adoptierenden keine gültige Ehe geschlossen werden. Im Falle einer Annahme als Kind nach österreichischem Gesetz bestand nach § 29 nur dann ein Ehehindernis, wenn das Kind unter der väterlichen Gewalt des Adoptierenden stand oder in dessen Haus aufgenommen war, um wie mit den Eltern zusammen zu leben. Gemäß § 30 bewirkte eine vollzogene Ehe die Schwägerschaft mit den leiblichen Verwandten des anderen Ehegatten bis einschließlich zum vierten Grad, was eine Eheschließung mit diesen nichtig machte. Eine „außereheliche Geschlechtsvermischung“ hinderte nach § 31 das Zustandekommen einer Ehe eines daran Beteiligten mit den leiblichen Verwandten ersten und zweiten Grades des anderen. § 32 bestimmte, dass ein Ehegatte, der mit leiblichen Verwandten ersten oder zweiten Grades des anderen „unerlaubten Umgang“ pflegte, das Recht verlor, die eheliche Pflicht zu fordern, bis ihm Nachsicht gewährt worden war. Obwohl das Konkordat laut seinen Bestimmungen dauerhaft gelten sollte, war es aufgrund seines Inhalts im Grunde von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nicht nur der öffentlichen Meinung, katholischen Liberalen und Protestanten, sondern selbst überzeugten Anhängern des neoabsolutistischen Systems erschien es nicht mehr zeitgemäß, insbesondere die kirchliche Gerichtsbarkeit über die Sakramente und hier vor allem über die Ehe stieß auf Ablehnung.25 Nachdem sich Österreich seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts allmählich von habe.“, Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1856, Nr. 185 (S. 605). 23 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1856, Nr. 185 (S. 609). 24 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1856, Nr. 185 (S. 622). 25 Baltl, S. 252 f.; Feine, S. 646.

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 53

einem neoabsolutistischen zu einem Verfassungsstaat zu entwickeln begonnen hatte, verlangte der Reichsrat 1867 die Revision des Konkordates. Mit der Kirche aufgenommene Verhandlungen darüber scheiterten jedoch an deren unnachgiebiger Haltung, so dass trotz des im Konkordat vorgesehenen Sich-ins-Einvernehmen-Setzens zur freundschaftlichen Beilegung von Schwierigkeiten nur der Weg einer einseitigen staatlichen Gesetzgebung blieb, um es schrittweise wieder abzubauen.26 Mit Art. I des Gesetzes vom 25. Mai 186827 wurden das Patent vom 5. November 1855 und dasjenige vom 8. Oktober 1856 nebst seiner Anhänge außer Kraft gesetzt, und an ihre Stelle trat auch für Katholiken wieder das Eherecht des ABGB und der dazu nachträglich erlassenen Gesetze und Verordnungen, die bei Inkrafttreten des Patents von 1856 bestanden hatten und nicht durch dieses Gesetz abgeändert wurden. Nach der Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas durch das Erste Vatikanische Konzil und dem Scheitern von neuerlichen Verhandlungen mit der Kurie wurde das Konkordat im Juli 1870 mit der Begründung gekündigt, seine Voraussetzungen seien durch einseitiges Vorgehen der Kurie weggefallen und durch die Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas sei der Vertragspartner ein anderer geworden.28

II. Die Entstehungsgeschichte des RPStG 1. Von der „Resolution zu dem Gesetze betreffend die Beschränkung des Rechtes zum Aufenthalt der Jesuiten im Deutschen Reich“ bis zur Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches Den Auftakt zu dem Prozess, der in den Erlass des RPStG mündete, markierte die „Resolution zu dem Gesetze betreffend die Beschränkung des Rechtes zum Aufenthalt der Jesuiten im Deutschen Reich“ des Reichstagsabgeordneten der Liberalen Reichspartei Joseph Völk vom 15. Juni 1872, mit der der Reichstag aufgefordert wurde, gegenüber dem Reichskanzler die Erwartung auszusprechen, dass ihm bei seinem nächsten Zusammentritt Gesetzentwürfe über die Einführung der obligatorischen Zivilehe und über die Ordnung der Zivilstandsregister vorgelegt würden.29 Der Reichstag debattierte über diese Resolution am 19. Juni 1872.30 Gegenüber entsprechenden Vorwürfen beteuerte Völk, dass es ihm mit 26

Baltl, S. 253 f.; Feine, S. 646. „Gesetz vom 25. Mai 1868, wodurch die Vorschriften des zweiten Hauptstückes des allg. bürgerl. Gesetzbuches über das Eherecht für Katholiken wieder hergestellt, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen der Katholiken den weltlichen Gerichtsbehörden überwiesen und Bestimmungen über die bedingte Zulässigkeit der Eheschließung vor weltlichen Behörden erlassen werden. Wirksam für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.“, Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1868, Nr. 47 (S. 93). 28 Baltl, S. 254 f.; Feine, S. 681. 29 Anlage Nr. 188, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 26, S. 702. 30 Reichstagsverhandlungen, Bd. 25, S. 1151 ff. 27

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

seiner Initiative für die obligatorische Zivilehe nicht um einen Angriff gegen die katholische Kirche oder gegen die Religion als solche gehe. Stattdessen agierten er und seine Unterstützer in einem gewissen Stande der Notwehr, da es für Katholiken, die aus der Kirche ausgetreten seien oder nicht an das Unfehlbarkeitsdogma glaubten und deren Verheiratung Priester daher ablehnten, in seinem Heimatland Bayern unmöglich sei, wirksam eine Ehe zu schließen. Darum sowie wegen der Lehre der katholischen Kirche, dass eine nach staatlichem Recht geschlossene Ehe keine Ehe, sondern nur ein Konkubinat sei, müsse die obligatorische Zivilehe eingeführt werden. Damit sei auch kein Eingriff in die Rechte der Kirchen verbunden, sondern es liege vielmehr auch im Interesse der Geistlichen, und zwar sowohl der katholischen als auch der protestantischen, dass sie durch die obligatorische Zivilehe davor bewahrt würden, Ehen schließen zu müssen, denen nach ihrer Überzeugung Hindernisse entgegenstünden.31 Bereits diese Ausführungen ließen kaum einen anderen Schluss zu, als dass mit Einführung der obligatorischen Zivilehe keine Übernahme kirchlicher Eheverbote verbunden sein, sondern eine erschöpfende staatliche Regelung zumindest über deren Umfang notwendig werden würde. Der Abgeordnete des Zentrums Ludwig Windthorst äußerte sich in seiner Erwiderung auf Völk ablehnend gegenüber der Resolution. Die Einführung der obligatorischen Zivilehe und eine Regelung über die Ordnung der Zivilstandsregister fielen nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Reiches und man müsse diese Frage klären, bevor der Reichstag entsprechende Gesetze verabschieden könne. Als Angriff auf die katholische Kirche betrachte er die Einführung der Zivilehe jedoch nicht, vielmehr könne die Kirche dies im Gegensatz zu den protestantischen Konfessionen ertragen. Mit seiner Wortmeldung vertrete er neben den Interessen der Katholiken also mit demselben Nachdruck auch diejenigen der Protestanten und deren Kirchen. Die Ehe sei nach den Entwicklungen in Deutschland und den christlichen Auffassungen eine kirchliche Institution und es sei von wesentlicher und großer Bedeutung für die sittliche Entwicklung des Volkes, sie als solche zu erhalten. Es müsse sorgfältig geprüft werden, ob ein Allgemeinbedürfnis für die Einführung der obligatorischen Zivilehe bestehe, was nicht der Fall sei. Stattdessen begebe man sich damit in Widerspruch zu den Gefühlen und Anschauungen der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes.32 Obwohl Windthorst mit dem Hinweis auf die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Reiches den wunden Punkt der Resolution getroffen hatte, über den sich auch noch so überzeugte Anhänger der obligatorischen Zivilehe eigentlich nicht hinwegsetzen konnten, nahmen die anwesenden Abgeordneten die Resolution mit 151 gegenüber 100 Stimmen bei vier Enthaltungen an.33 Das Reichskanzleramt reagierte auf die Aufforderung des Reichstags mit dem Entwurf eines „Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes“, der die 31 32 33

Reichstagsverhandlungen, Bd. 25, S. 1151 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 25, S. 1153. Reichstagsverhandlungen, Bd. 25, S. 1153 f.

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 55

Einführung der obligatorischen Zivilehe der Gesetzgebung der Bundesstaaten überließ.34 Eine einheitliche Regelung der Eheverbote hätte dieser Entwurf im Fall seiner Annahme also nicht bedeutet, stattdessen wären entsprechende Bestimmungen weiterhin Sache der einzelnen Bundesstaaten geblieben. Der Entwurf entfaltete aber ohnehin keine praktische Wirkung, da er weder bei seiner Vorlage am 7. März, noch am 3. April 1873 im preußischen Staatsministerium die Zustimmung der preußischen Minister fand. In der letztgenannten Sitzung wurde nicht einmal eine Detailberatung vorgenommen, da man die Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches als vorrangig ansah.35 Bereits am 14. März 1873 hatte Reichskanzler Bismarck dem Präsidenten des Reichstags mitgeteilt, dass die vom Reichstag beschlossene Resolution dem Ausschuss für Justizwesen des Bunderates überwiesen und im Reichskanzleramt der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Beurkundung des Personenstandes ausgearbeitet worden war.36 Daraufhin hatten Völk und der Abgeordnete der Liberalen Reichspartei Gustav von Bonin am 27. März an den Reichskanzler die Anfrage gestellt, worin nach Zweck und Plan der nähere Inhalt des fraglichen Entwurfes bestehe und ob derselbe demnächst, und zwar noch in der gegenwärtigen Sitzungsperiode dem Reichstag zur Beschlussfassung unterbreitet werde.37 Der Präsident des Reichskanzleramtes hatte darauf vor dem Reichstag am 29. März geantwortet, es werde beim Kaiser der Antrag gestellt werden, den Entwurf dem Bundesrat und demnächst dem Reichstag zur verfassungsmäßigen Beschlussnahme vorzulegen. Dies rechtfertige es, sich über den Inhalt des Entwurfes, der zur Zeit noch nichts anderes sei als eine im Reichskanzleramt gemachte Vorarbeit, nicht näher auszulassen.38 Offensichtlich unzufrieden mit dieser Antwort und nach wie vor unbeeindruckt von der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Reiches verfolgten Völk und sein nationalliberaler Abgeordnetenkollege Paul Hinschius daraufhin die Ziele der Resolution vom 15. Juni 1872 mit dem „Antrag, betreffend den Erlaß eines Reichsgesetzes über die bürgerliche Form der Eheschließung“ vom 2. April 187339 weiter, dass der Reichstag dem entsprechenden beigefügten Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen solle. Die dem Entwurf vorangestellten Motive hoben hervor, dass eine baldige Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Einführung der Zivilehe nicht zu erwarten sei, da die Resolution des Reichstages in dieser Hinsicht lediglich an den Ausschuss für Justizwesen des Bundesrates überwiesen worden und nach Auskunft des Präsidenten des Reichskanzleramtes nur ein Gesetzentwurf über die Zivilstands34

Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (64). Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (65 f.); zur Sitzung des Staatsministeriums vom 3. April 1873 dort Fn. 57. 36 Anlage Nr. 14, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 29, S. 60 (S. 68 f.). 37 Anlage Nr. 27, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 29, S. 150. 38 Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 136. 39 Anlage Nr. 37, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 29, S. 165. 35

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register ausgearbeitet worden war. Daher werde der anliegende Gesetzentwurf nunmehr dem Reichstag unterbreitet. Der Antrag auf Vorlage eines Gesetzentwurfes über die Zivilstandsregister in der Resolution vom 15. Juni 1872 sei lediglich im Zusammenhang mit demjenigen auf Einführung der obligatorischen Zivilehe angenommen und als sekundär aufgefasst worden. In erster Linie sei die Einführung der obligatorischen Zivilehe geboten. Es werde immer notwendiger, die Selbständigkeit des Staates und seiner Gesetzgebung vor Übergriffen der einzelnen Kirchen zu bewahren und die Geltung der staatlichen Ehegesetze dadurch zu sichern, dass für die Eheschließung lediglich die Mitwirkung staatlich angestellter Beamter erfordert werde.40 Der beigefügte Gesetzentwurf bestand aus 25 Paragraphen, wobei hinsichtlich der Eheverbote lediglich an bestehende landesrechtliche Vorschriften angeknüpft werden sollte. So war in § 7 Abs. 1 vorgesehen, dass der für den Erlass des Aufgebotes zuständige Ehestandsbeamte vorher die Zulässigkeit der Ehe nach Maßgabe der bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften zu prüfen habe, und nach § 21 Nr. 3 sollte Ehestandsbeamten eine Geldstrafe von bis zu 1.000 Talern angedroht werden, wenn sie die Erklärung der Eheschließung entgegennahmen, ohne dass ihnen der Nachweis vorgelegt worden war, dass die Ehe nach den bestehenden Landesgesetzen gültig geschlossen werden konnte. Der Reichstag nahm die erste Beratung des Gesetzentwurfs am 23. April 1873 vor.41 Auch wenn Völk betonte, dass mit dem Gesetzentwurf natürlich kein erschöpfendes Eherecht gegeben, sondern, wie schon der Titel zeige, nur die Form der Eheschließung geregelt werden solle42, fielen in dieser Sitzung nicht nur seitens der Initiatoren des Entwurfes verschiedene Äußerungen, die erkennen ließen, dass es nicht bei der Einführung der obligatorischen Zivilehe bleiben, sondern früher oder später auch ein rein staatliches Eheverbotsrecht aufgestellt werden würde. In dieser Hinsicht bemerkenswert erscheint bereits die Aussage Völks zu Beginn seiner Begründung des Gesetzentwurfes, dass der Erlass eines Gesetzes über die bürgerliche Form der Eheschließung eine Notwendigkeit sei, da der Staat die Familiengründung nicht von Gewalten abhängig machen dürfe, die außerhalb von und teilweise in Gegensatz zu ihm stünden, wenn die Familie als die Grundlage eines geordneten Staatswesens angesehen werde.43 Damit hätte sich die Frage gestellt, was eine ausschließlich bürgerliche Form der Eheschließung hätte bewirken sollen, wenn in Teilen des Deutschen Reiches weiterhin kirchenrechtliche oder sich am Kirchenrecht orientierende Ehehindernisse verbindlich geblieben wären. In seiner Begründung des Gesetzentwurfes erklärte Hinschius, dass durch eine Behandlung der Ehehindernisse in dem Entwurf dieser unendlich weitläufig geworden wäre und zu einer ganzen Reihe von Diskussionen Veranlassung gegeben hätte. Sein Zweck, schleu40 41 42 43

Anlage Nr. 37, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 29, S. 165 (165). Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 265 ff. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 266. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 265.

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nige Abhilfe zu schaffen, wäre infrage gestellt worden. Um nicht die Wohltat der Zivilehe hinterher wieder rückgängig zu machen, habe allerdings hinsichtlich der Befugnis zur Dispensation von Ehehindernissen Vorsorge getroffen werden müssen, da kirchliche Behörden bei einer entsprechenden Befugnis die Dispensation einfach verweigern könnten. Dazu gebe der Entwurf den Landesregierungen auf, für die Dispensation zuständige Behörden zu bestellen, und räume im Falle eines Zögerns seitens der Landesregierungen diese Befugnis dem Bundesrat ein.44 Angesichts der späteren recht zügigen Verabschiedung des RPStG unter Aufnahme von Eheverboten wirkt Hinschius’ Äußerung vorgeschoben. Zudem stellt sich die Frage, ob es nicht einfacher gewesen wäre, bereits in dem Gesetzentwurf Eheverbote aufzustellen statt die relativ komplizierte Regelung zu treffen, zunächst die einzelnen Bundesstaaten und im Falle von deren Zögern den Bundesrat mit der Bestellung von Behörden für die Dispensation zu beauftragen. Offenbar waren die Initiatoren des Gesetzentwurfes bereit, auch ein lückenhaftes und damit handwerklich schlechtes Gesetz in Kauf zu nehmen, um ihr Hauptziel, die Einführung der obligatorischen Zivilehe, möglichst schnell zu erreichen. Auch wenn er damit nicht die konfessionsübergreifend akzeptierten Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft gemeint haben dürfte, ist auch die Äußerung des die Zivilehe befürwortenden Abgeordneten der Deutschen Fortschrittspartei Carl Herz in seinem Debattenbeitrag erwähnenswert, dass der Staat bisher so schwach gewesen sei, den Despotismus und Gewissenszwang insbesondere der katholischen Kirche nicht zu verhindern, ihren Mitgliedern vorzuschreiben, ob und mit wem sie die Ehe eingehen dürften.45 Es ist offensichtlich, dass ein ausschließlich staatliches Eheverbotsrecht geeignet gewesen wäre, an diesem behaupteten Zustand etwas zu ändern. Im weiteren Verlauf der Debatte hob Völk hervor, dass der Gesetzentwurf nicht entgegenstehe, dass Pfarrer als Zivilstandsbeamte fungieren könnten, der Staat aber Beamte haben wolle, die in seinem Auftrag die Ehe für vollzogen erklärten. Wenn jedoch zu erwarten sei, dass er andere Hindernisse erkenne als die vom Staat anerkannten oder solche aufstelle, welche die Bürger staatlich nicht binden, sei er eben nicht als Zivilstandsbeamter qualifiziert und der Staat müsse dann einen anderen an seine Stelle setzen.46 Dass die Betrauung von Geistlichen mit der Eheschließung als staatliche Beamte nach dem Gesetzentwurf nicht ausgeschlossen war, betonte auch Hinschius, bevor er kurz darauf erklärte, dass die Kirche nicht mehr die Herrschaft über das materielle Eherecht habe, sondern die staatliche Gesetzgebung diesen Punkt vielfach geregelt und diese Seite des Eherechts in ihre Hand genommen habe. Durch die Hintertür der kirchlichen Trauung wolle man noch teilweise das kirchliche Eherecht aufrechterhalten. Daran entzünde sich die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 267. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 271. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 277.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

und gerade deshalb hätten er und Völk ihren Antrag gestellt.47 Auch diese Äußerungen legen nahe, dass es ausschließlich und ohne Rücksicht auf damit einhergehende Schwierigkeiten darum ging, so schnellstmöglich die Zivilehe im gesamten Deutschen Reich einzuführen. Die Vorstellung, keine einheitlichen materiellen Eheverbote festzulegen, gleichzeitig aber Geistliche staatlicherseits mit einer rein zivilen Eheschließung zu beauftragen, bei der kirchliche Ehehindernisse unbeachtet bleiben sollten, war, zumal in der Atmosphäre des Kulturkampfes, allerdings vollkommen unrealistisch. Es erscheint schwer vorstellbar, dass Völk und Hinschius selber ernsthaft an eine solche Möglichkeit glaubten. Ludwig Windthorst seinerseits sprach sich jedenfalls vehement dagegen aus, die Eheschließung von der Kirche auf den Staat zu übertragen und die Geistlichen dann als Staatsdiener mit der Durchführung zu beauftragen.48 Darauf, ob der Gesetzentwurf richtig und konsequent durchgeführt sei und wie er sich zum materiellen Eherecht und zu den Ehehindernissen verhalte, wollte Windthorst ausdrücklich nicht eingehen, sondern er erklärte, dass man diese Fragen zweckmäßigerweise entweder in der bereits in Aussicht genommenen Kommission oder, wenn es dazu nicht kommen sollte, in der zweiten Beratung im Reichstagsplenum erörtern werde.49 Im Übrigen wurden im Verlauf der ersten Beratung an der Kompetenz des Reichstages zur Behandlung des Gesetzentwurfes von verschiedener Seite Zweifel geäußert, so von Windthorst und seinem Fraktionskollegen Peter Franz Reichensperger50 sowie von Ewald Graf von Kleist und Otto von Helldorf von der Konservativen Fraktion51, während Völk und Hinschius diese Zweifel für unbegründet hielten.52 Der Gesetzentwurf wurde schließlich auf Vorschlag der Abgeordneten Herz, Georg Martin Thomas, Graf von Kleist, Carl Schmidt und Windthorst mit der Mehrheit des Plenums an eine Kommission zur weiteren Beratung überwiesen.53 Das zweite Ziel der Resolution vom 19. Juni 1872, ein Gesetz über die Ordnung der Zivilstandsregister, verfolgten Völk und Hinschius mit ihrem „Antrag, betreffend den Erlaß eines Reichsgesetzes über die Beurkundung des bürgerlichen Standes“ vom 1. Mai 1873, dem ebenfalls ein entsprechender Gesetzentwurf beigefügt war.54 Der Reichstag überwies den Gesetzentwurf in der ersten Lesung am 6. Mai ohne Debatte ebenfalls zur weiteren Beratung an die bereits mit dem Entwurf über die Form der bürgerlichen Eheschließung befasste

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 280 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 278. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 279. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 267 u. 278. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 274 u. 276. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 276 u. 280. Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 281. Anlage Nr. 77, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 29, S. 403.

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 59

VIII. Kommission.55 Diese erstattete über die ihr vorgelegten Gesetzentwürfe am 30. Mai Bericht und legte den von ihr erarbeiteten „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes“ vor.56 Auch dieser enthielt selber keine Eheverbote, sondern knüpfte an bestehende Regelungen auf Ebene der Bundesstaaten an. So sah etwa § 18 Abs. 1 vor, dass der zum Erlass des Aufgebots zuständige Standesbeamte vorher die Zulässigkeit der Ehe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu prüfen habe. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 sollte jeder Standesbeamte, der ein Aufgebot verkündet hatte, auf dem Aushang bescheinigen, ob und welche beziehungsweise dass keine Ehehindernisse bekannt geworden waren. Den Beteiligten sollte gemäß § 24 Abs. 1 über die Vollziehung des Aufgebotes auf Verlangen eine schriftliche Beurkundung durch den Standesbeamten erteilt werden, der das Aufgebot erlassen hatte. Diese Beurkundung sollte nach Abs. 2 Nr. 3 die Bescheinigung enthalten, ob und welche beziehungsweise dass keine Ehehindernisse bekannt geworden waren. Nach § 25 Abs. 2 sollte der Standesbeamte die Eheschließung abzulehnen haben, wenn Ehehindernisse zu seiner Kenntnis gelangt waren. Die Kommission war laut ihrem Bericht bezüglich dieser Vorschriften mehrheitlich der Meinung, dass es zur Vermeidung von Irrungen zweckmäßiger sei, wenn der Erlass des Aufgebotes nur in einer Hand liege. Die Selbständigkeit der weiter in Anspruch zu nehmenden Standesbeamten sei dadurch aufrechtzuerhalten, dass man ihnen nicht nur die Bekanntmachung des Aufgebotes, sondern mit der Ermittlung etwaiger Ehehindernisse eine selbständige Sachuntersuchung innerhalb ihres Amtsbezirkes auftrage.57 Nach § 51 sollte ein Standesbeamter, der eine Ehe in dem Wissen für geschlossen erklärte, dass ihr ein Ehehindernis entgegenstand, mit bis zu 500 Talern (1.500 Mark) oder Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden, sofern nicht eine höhere Strafe nach dem Reichsstrafgesetzbuch verwirkt worden war. Gemäß § 53 Abs. 1 sollte die Befugnis zur Erteilung der Dispensation von Ehehindernissen und von dem Aufgebot den staatlichen Behörden zustehen, nach Abs. 2 für Streitigkeiten über die Nichtigkeit einer Ehe oder ihre Scheidung die bürgerlichen Gerichte zuständig sein. Nach § 54 Abs. 1 sollten die zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bestimmungen von den einzelnen Landesregierungen im Verordnungswege erlassen werden, sofern sie nicht durch eine vom Bundesrat erlassene Ausführungsverordnung getroffen wurden. Nach Abs. 2 sollten die Landesregierungen insbesondere verpflichtet sein, unter anderem diejenigen entsprechenden Behörden zu bestimmen, die die Dispensation von Ehehindernissen regeln sollten. § 55 Abs. 1 schließlich sah vor, dass sämtliche genannten Vorschriften jedoch in denjenigen Teilen des Bundesgebietes, in denen eine allgemeine bürgerliche Standesregisterführung und die bürgerliche 55

Reichstagsverhandlungen, Bd. 27, S. 521. Anlage Nr. 142, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 30, S. 682. Der Gesetzentwurf findet sich auf den S. 691 ff. 57 Reichstagsverhandlungen, Bd. 30, S. 689. 56

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

Eheschließung als allgemein und ausschließlich rechtsgültige Form der Eingehung der Ehe durch Landesgesetze bereits vorgeschrieben waren, keine Anwendung finden sollten. In der Generaldebatte in der Kommission war die Gesetzgebungskompetenz wiederum Thema gewesen, die Skeptiker hatten sich mit drei gegenüber acht Stimmen jedoch nicht durchsetzen können.58 Im Übrigen bestätigen die Beratungen in der Kommission, dass ihren Mitgliedern bewusst war, dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe grundsätzlich auch eine Regelung über die Eheverbote als solche nach sich ziehen musste, sie diese Konsequenz jedoch zunächst vermeiden wollten, um das Zustandekommen des Gesetzes nicht zu verzögern. So heißt es in dem Bericht, dass die Mehrheit der Kommission mit den Antragstellern Völk und Hinschius übereinstimme, dass in dem zu erlassenden Gesetz von weiteren als den darin aufgenommenen Bestimmungen über das Familien- und Eherecht abzusehen sei und dass insbesondere unter anderem über Ehehindernisse keine Vorschriften aufgenommen werden sollten, sondern dass diesbezüglich in das bestehende Recht vorerst nicht eingegriffen werde. Eine dringende Veranlassung zu einer Anordnung in dieser Beziehung habe die Kommission für den Augenblick nicht erkannt, während die enge Verbindung dieser Fragen mit dem übrigen Zivilrecht Schwierigkeiten biete, die nur eine Verzögerung beim Erlass des Gesetzes veranlassen würden.59 Der Reichstag nahm die zweite Beratung der Gesetzentwürfe von Völk und Hinschius auf der Grundlage des Berichts der VIII. Kommission am 4. Juni 1873 vor.60 Dabei kam er allerdings nicht über die Debatte zu § 1 hinaus, da der Zentrumsabgeordnete Freiherr von Ketteler wegen der Wichtigkeit des zu beratenden Gesetzes und der großen Zahl abwesender Abgeordneter im Anschluss den Antrag auf Auszählung des Hauses stellte.61 Diese ergab, dass lediglich 131 Abgeordnete anwesend waren, so dass der Präsident feststellen musste, dass der Reichstag nicht beschlussfähig war.62 Damit kam es nicht mehr zur Verabschiedung des Gesetzes in der ersten Legislaturperiode. Das von Völk und Hinschius initiierte, vorerst erfolglose Gesetzgebungsverfahren ließ für die weitere Entwicklung zu einem einheitlichen Eheverbotsrecht bereits erkennen, dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe für das gesamte Deutsche Reich früher oder später auch ein einheitliches materielles Eheverbotsrecht bedeuten würde. Ein solches Gesetz hätte angesichts der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen in verfassungskonformer Weise zwar kaum verabschiedet werden können. Allerdings kann man aufgrund der wiedergegebenen Äußerungen der Initiatoren des Gesetzentwurfes mit großer Sicherheit davon aus-

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Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd.

30, S. 30, S. 28, S. 28, S. 28, S.

682 f. 686. 950 ff. 955. 956.

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 61

gehen, dass sie sich von diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht von ihrem Vorhaben hätten abbringen lassen. Ihre Entschlossenheit mussten sie aber nicht mehr unter Beweis stellen. Mit der bereits genannten Verfassungsänderung vom 20. Dezember 1873 war diese Hürde genommen. Nunmehr konnte ein erneuter Versuch unternommen werden, das Personenstands- und Eheschließungsrecht, und damit verbunden auch die Eheverbote, zu vereinheitlichen. 2. Der „Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“ vom 2. März 1874 und seine Beratung und Verabschiedung im Reichstag Um die obligatorische Zivilehe im gesamten Deutschen Reich einzuführen, stellten Völk und Hinschius in der zweiten Legislaturperiode des Reichstages am 2. März 1874 den „Antrag, betreffend den Erlaß eines Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“, dem ein entsprechender Gesetzentwurf beigefügt war.63 Zwar griffen die Initiatoren ausweislich der im Antrag dargelegten Motive bei diesem Entwurf bewusst nicht auf den genannten Kommissionentwurf vom 30. Mai 1873 zurück, sondern orientierten sich zwecks leichterer Herstellung der Rechtseinheit auf den Gebieten der obligatorischen Zivilehe und der Zivilstandsregister an einem zwischenzeitlich vorgelegten landesgesetzlichen preußischen Entwurf 64, die im Untersuchungszusammenhang interessierenden Bestimmungen entsprachen allerdings inhaltlich und teilweise auch wörtlich dem Entwurf der VIII. Kommission. So beinhaltete auch der Entwurf vom 2. März 1874 selber keine Regelungen über Eheverbote, sondern knüpfte an landesgesetzliche Regelungen an. Der Standesbeamte sollte gemäß § 25 Abs. 1 die Eheschließung abzulehnen haben, wenn ihm Ehehindernisse zur Kenntnis kamen. Darüber, dass ihm keine Ehehindernisse zur Kenntnis gekommen seien, sollte der Standesbeamte, der das Aufgebot angeordnet hatte, gemäß § 26 eine entsprechende Bescheinigung ausstellen, wenn die Eheschließung von einem anderen Standesbeamten vorgenommen wurde. Nach § 44 Abs. 1 sollte die Befugnis zur Erteilung der Dispensation von Ehehindernissen und dem Aufgebot den staatlichen Behörden zustehen, nach Abs. 2 sollten für Streitigkeiten über die Nichtigkeit von Ehen die bürgerlichen Gerichte zuständig sein. Gemäß § 45 Abs. 1 sollten die zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bestimmungen von den einzelnen Landesregierungen im Verordnungswege erlassen werden, soweit sie nicht durch eine vom Bundesrat erlassene Ausführungsverordnung getroffen wurden. Nach Abs. 2 sollten die Landesregierungen unter anderem insbesondere dazu verpflichtet sein, diejenigen staatlichen Behörden zu be-

63 Anlage Nr. 52, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 204. Der Gesetzentwurf findet sich auf den S. 205 ff. 64 Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 204 f.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

stimmen, denen die Dispensation von Ehehindernissen und die Verhandlung und Entscheidung von Streitigkeiten über die Nichtigkeit von Ehen zustehen sollte, und auch das in solchen Fällen zu beobachtende Verfahren regeln. Keine Anwendung sollte das Gesetz gemäß § 49 Abs. 1 jedoch in den Teilen des Bundesgebietes finden, in denen eine allgemeine bürgerliche Standesregisterführung und die bürgerliche Eheschließung als allgemeine und ausschließlich rechtsgültige Form der Eingehung der Ehe bereits durch die Landesgesetze vorgeschrieben waren. Nach § 51 S. 1 sollten alle dem Gesetz entgegenstehenden Vorschriften außer Kraft treten. Der Reichstag nahm die erste Beratung des Gesetzentwurfes am 24. März 1874 vor.65 In dieser wurde wiederum deutlich, wie eng die Form der Eheschließung mit den Eheverboten zusammenhing und dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe ohne die gleichzeitige Aufstellung einheitlicher verbindlicher staatlicher Eheverbote kaum durchführbar sein würde, ohne dass der Staat in kirchliche Belange würde übergreifen müssen. Dass dies für die katholische Kirche in keinem Fall akzeptabel gewesen wäre, zeigt der Debattenbeitrag des Zentrumsabgeordneten und katholischen Priesters Anton Westermayer, der für die Kirche eine umfassende Zuständigkeit für die Ehesachen ihrer Gläubigen gegenüber dem Staat geltend machte. Er bemängelte, dass der zur Diskussion stehende Antrag das Sakrament von dem die Ehe begründenden Vertrag trenne, und erläuterte unter Zitierung von Äußerungen Papst Pius’ IX. den Standpunkt der katholischen Kirche, dass die Gültigkeit der Ehe sich nach kirchlichem Recht zu richten habe und der Staat davon ausgehend nur die bürgerlichen Wirkungen der Ehe regeln könne.66 Zur Bekräftigung dieses Standpunktes zitierte Westermayer auch das Lehrbuch von 1863 über das katholische Kirchenrecht von Johann Friedrich von Schulte, Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn, nach dem Ersten Vatikanischen Konzil an der Gründung der alt-katholischen Kirche beteiligt gewesen und als nationalliberaler Abgeordneter ebenfalls Mitglied des Reichstages, worin es hieß, dass es unmöglich und dem (Kirchen-)Recht völlig widersprechend sei, in der Ehe eine Trennung zwischen Ehevertrag und Sakrament anzunehmen. Der Staat könne kein kirchliches Ehehindernis aufstellen und keine nach den Grundsätzen der Kirche gültige Ehe für ungültig erklären. Die Kirche alleine könne darüber entscheiden, ob eine Ehe gültig oder ungültig sei.67 Der zitierte Johann Friedrich von Schulte erklärte in seiner Erwiderung auf Westermayer, er vertrete seit dem Jahr 1855 die Ansicht, dass es für das Eherecht die Alternativen gebe, es entweder konfessionell zu regeln oder die obligatorische Zivilehe einzuführen. Er sei der Erste, der im Falle der Möglichkeit und Zulässig-

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 537 ff. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 539 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 540 f.

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keit für ersteres eintreten würde, seit es verschiedene Kirchen gebe und die bürgerliche Gleichberechtigung nicht mehr von der konfessionellen Zugehörigkeit abhänge, sei dieser Standpunkt jedoch einfach nicht mehr möglich. Man könne nicht den Grundsatz einer Kirche zur Grundlage für den Erwerb der bürgerliche Berechtigung der ganzen Gesellschaft machen.68 Um den Standpunkt der katholischen Kirche über die Gültigkeit von Ehen zu erläutern, führte von Schulte aus, dass die Kirche Ehen zwischen Protestanten als nichtig ansehe, deren Eingehung nach kanonischem Recht ein Ehehindernis entgegenstehe, von dem der Papst oder der zuständige Bischof keinen Dispens erteilt habe, und nannte beispielhaft eine Ehe zwischen protestantischen Seitenverwandten im vierten Grad nach kanonischem Recht.69 Weiterhin verwies er darauf, dass es massenhaft Ehen gebe, die zwar nach den jeweiligen staatlichen Gesetzen, aber nicht nach dem Kirchenrecht gültig seien. Da sich ohne die Zivilehe die staatliche Gerichtsbarkeit über die Ehe nicht von selbst verstehe, bringe der Staat seine Gesetzgebung in die juristisch unsinnige Lage, dass das Gesetz in bestimmten Fällen eine Ehe für zulässig erkläre, sie aufgrund dieses Gesetzes geschlossen werde und ein kirchlicher Richter sie hinterher mit Wirkung für den Staat für ungültig erkläre. Dies sei ein solch juristischer Nonsens, wie er nicht ärger gedacht werden könne.70 Da durch die Zivilehe wie im Gesetzentwurf vorgesehen zwar die Zuständigkeit kirchlicher Gerichte für die Beurteilung der Gültigkeit von Ehen ausgeschlossen, aber das Kirchenrecht unter Umständen nach wie vor Entscheidungsgrundlage geblieben wäre, stellt sich allerdings die Frage, warum von Schulte mit seiner Beschreibung der Situation nicht die Forderung nach der Aufstellung verbindlicher staatlicher Eheverbote verband, zumal er sich kurz darauf entschieden gegen die Vermengung von Kirchlichem und Staatlichem aussprach.71 Gegen Ende der ersten Beratung äußerte Hinschius, dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe deshalb so vehement bekämpft werde, weil die kirchliche Eingehungsform ein Mittel sei, das Kirchenrecht durch die Hintertür im Staat zur Geltung zu bringen. Es gehe darum, zu entscheiden, ob der Staat die Befugnis, die rechtliche Seite der Ehe zu regeln, haben und der Kirche die religiöse Seite überlassen solle.72 Damit dürfte er zwar durchaus richtig gelegen haben, die naheliegende Konsequenz, verbindliche staatliche Eheverbote aufzustellen und damit durch eine klare Trennung von zivilem und kirchlichem Eherecht einen Kompetenzkonflikt zwischen Staat und Kirche auszuschließen, zog er daraus jedoch nicht. Vermutlich stand auch hier das Ziel der möglichst schnellen Einführung der obligatorischen Zivilehe im Hintergrund.

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Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd. Reichstagsverhandlungen, Bd.

31, S. 31, S. 31, S. 31, S. 31, S.

545. 545. 546. 548. 554.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

Die zweite Beratung begann der Reichstag in seiner Sitzung am 26. März 1874.73 Erwähnenswert ist der Abänderungsantrag des Zentrumsabgeordneten Christoph Moufang, wie sein Fraktionskollege Westermayer katholischer Priester, § 18 des Gesetzentwurfes folgendermaßen zu fassen: „Innerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches muss jede Ehe, damit sie in ihren bürgerlichen Wirkungen anerkannt werde, durch die Ehegatten in Person dem Standesbeamten angezeigt werden. Auf Grund dieser Anzeige erfolgt die Eintragung in das Heiratsregister.“ 74

In der Debatte im Reichstag erklärte Moufang zu seinem Antrag, dass ein Zivilgesetz über die Ehe notwendig die Gewissenfreiheit verletze, vor allem wenn es in seinem Geltungsbereich mehrere Religionsgemeinschaften gebe. Würde eine dieser religiösen Anschauungen über die Ehe gesetzlich festgelegt, würden Freiheit und Gewissen der jeweils anderen belästigt. Ein Staat mit Untertanen verschiedener Religionszugehörigkeit könne gar nichts anderes tun als die Ehe nach der jeweiligen konfessionellen Auffassung schließen zu lassen und die geschlossene Ehe dann als Tatsache und Rechtsverhältnis in das Standesregister einzutragen.75 Moufang ging es mit seinem Antrag offensichtlich darum, die verpflichtende zivile Eheschließung als solche zu verhindern. Mit seiner Erwiderung dürfte Hinschius, sieht man von der antikatholischen Polemik einmal ab, also durchaus richtig gelegen haben, als er erklärte, Moufangs Antrag heiße nichts weiter als „absolute Herrschaft des kirchlichen Eherechts über den Staat und Erniedrigung des Staates zum Büttel der Kirche“. Die Annahme des Antrages werde dazu führen, dass Geistliche nur Ehen schließen würden, denen kein kirchliches Ehehindernis entgegenstehe. Diese müsse der Standesbeamte eintragen, wenn jedoch ein kirchliches Ehehindernis entgegenstehe und die kirchliche Eheschließung nicht möglich sei, könne er nichts machen.76 Auch diese Auseinandersetzung während der zweiten Beratung zeigte deutlich, dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe ohne ein zugehöriges Eheverbotsrecht kaum befriedigend würde gelingen können. Dass der Antrag Moufangs die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten nicht überzeugen konnte und schließlich verworfen wurde77, war allerdings von vornherein zu erwarten gewesen, denn von dem liberalen Vorhaben der obligatorischen Zivilehe wäre bei Annahme des Antrags so gut 73

Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 578 ff. Anlage Nr. 112, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 389. Im Gesetzentwurf lautete § 18 folgendermaßen: „§ 18. Innerhalb des Gebietes des Deutschen Reichs kann eine rechtsgültige Ehe nur vor dem Standesbeamten geschlossen werden. Die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung dürfen erst nach Schließung der Ehe vor dem Standesbeamten stattfinden (§ 337 des Strafgesetzbuchs).“ 75 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 588. 76 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 589 f. 77 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 590. 74

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wie nichts übrig geblieben. Die §§ 25 und 26 des Gesetzentwurfes78 nahm der Reichstag ohne Diskussion an.79 Fortgesetzt wurde die zweite Beratung des Gesetzentwurfes im Reichstag am 27. März 1874.80 Die dabei parteiübergreifend geäußerte Kritik an den §§ 44 und 45 des Gesetzentwurfes81 zeigte wiederum, dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe ohne eine gleichzeitige Regelung des materiellen Eheschließungsrecht im Grunde nicht zufriedenstellend gelingen konnte. So erklärte Ludwig Windthorst, die in § 44 Abs. 1 vorgesehene Befugnis zur Dispensation von Ehehindernissen müsse solange den momentan zuständigen Behörden vorbehalten bleiben, bis es, die Zivilehe im Prinzip zugegeben, der weltlichen Gesetzgebung gefallen habe, die Materie der Ehehindernisse vollständig von sich aus zu ordnen, und bezog sich dazu ausdrücklich auf das entsprechende preußische Gesetz zur Zivilehe, das nur die Dispensation vom Aufgebot den staatlichen Behörden übertragen hatte, aber nicht diejenige zur Dispensation von Ehehindernissen. Bevor die Frage der Ehehindernisse nicht staatlich geordnet sei, könne die Dispensation von ihnen nicht von staatlichen Behörden erteilt werden. Die in Abs. 2 vorgesehene Zuständigkeit der bürgerlichen Gerichte für Streitigkeiten über die Nichtigkeit oder Scheidung von Ehen bedeute zwar nicht für Preußen, aber für andere deutsche Bundesstaaten, exemplarisch für das in Bayern geltende Kirchen-Staats78

„§ 25. Kommen Ehehindernisse zur Kenntniß des Standesbeamten, so hat er die Schließung der Ehe abzulehnen. Einsprachen, welche sich auf andere Gründe stützen, hemmen die Schließung der Ehe nicht. § 26. Soll die Ehe vor einem anderen Standesbeamten als demjenigen geschlossen werden, welcher das Aufgebot angeordnet hat, so hat der letztere eine Bescheinigung dahin auszustellen, daß und wann das Aufgebot vorschriftsmäßig erfolgt ist und daß Ehehindernisse nicht zu seiner Kenntniß gekommen sind.“ 79 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 591. 80 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 597 ff. 81 „§ 44. Die Befugniß zur Ertheilung der Dispensation von dem Aufgebote und von Ehehindernissen steht den staatlichen Behörden (§ 45 Abs. 2) zu. Für Streitigkeiten, welche die Nichtigkeit einer Ehe oder die Scheidung einer solchen betreffen, sind die bürgerlichen Gerichte zuständig. § 45. Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen werden, soweit dieselben nicht durch eine vom Bundesrath erlassene Ausführungs-Verordnung getroffen werden, von den einzelnen Landes-Regierungen im Wege der Verordnung erlassen. Die Landesregierungen sind insbesondere verpflichtet, diejenigen staatlichen Behörden zu bestimmen, welchen die Aufsicht über die Standesbeamten und deren Geschäftsführung, die Dispensation vom Aufgebot und von den Ehehindernissen, die Verhandlung und Entscheidung über die Berichtigung von Eintragungen in den Standesregistern, sowie die Verhandlung und Entscheidung der Streitigkeiten über Nichtigkeit oder Scheidung einer Ehe zusteht, auch das in den letztern Fällen zu beobachtende Verfahren zu regeln.“

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

recht, eine tiefe Erschütterung. Das beabsichtigte Vorgehen sei weder ratsam noch zulässig. Bevor in Bayern die Zivilehe durchgeführt werden könne, müssten die angesprochenen Fragen dort näher geregelt werden, bevor bei der geltenden Sachlage versucht werde, von Reichswegen in die Kirchenhoheitsverhältnisse in Bayern einzugreifen.82 Geradezu unerfindlich erschien es Windthorst, wie die Antragsteller in § 45 des Gesetzentwurfes die Verhandlung und Entscheidung von Streitigkeiten über die Nichtigkeit oder Scheidung von Ehen und das dabei zu beachtende Verfahren regeln lassen wollten. Dies sei eine Verleugnung des konstitutionellen Prinzips, das die Ordnung derartiger der Legislative unterworfenen Materien an die Mitwirkung von Legislativorganen knüpfe, und bei entsprechenden Vorschlägen auf anderen Gebieten wäre der ganze Reichstag voll Entrüstung gewesen.83 Im Anschluss daran ging Windthorst auf einen Antrag von Schultes ein, der für § 44 Satz 2 vorsah, dass die Dispensation von Ehehindernissen „auch der obersten Landesbehörde nach dem geltenden Recht“ zustehen sollte. Zudem sollte in § 45 Abs. 2 die Verpflichtung der Landesregierungen, diejenigen Behörden zu bestimmen, denen die Verhandlung und Entscheidung bei Streitigkeiten über die Nichtigkeit und Scheidung von Ehen zustehen sollte, sowie das dabei zu beachtende Verfahren zu regeln, gestrichen werden.84 Unter Verwahrung gegen die bereits dargestellte Kritik von Schultes, dass das kanonische Recht Ehehindernisse kenne, die für Protestanten unfreundlich seien, bemängelte Windthorst, dass nach dem Antrag unter allen Umständen bestehen bleiben solle, dass Ehehindernisse durch staatliche Behörden nach dem bestehenden Recht beseitigt werden können, und erklärte, dass diese Erörterung im Ganzen zeige, dass man die Frage der Zivilehe in Wirklichkeit nicht ordentlich und vollständig ordnen könne ohne gleichzeitig von Staatswegen für die bürgerliche Ehe auch das materielle, dann aber auch lediglich bürgerliche Eherecht zu regeln. Eine vollständige Monstrosität sei es jedoch, ein Zivileherecht, wie es in dem Entwurf enthalten sei, auf das kanonische Recht aufpfropfen zu wollen. Dies sei in Preußen eher möglich gewesen, weil das in dessen Gebiet in weiten Teilen geltende Landrecht die nötigen Regelungen enthalte.85 Auf Windhorsts Kritik an seinem Antrag reagierte Johann Friedrich von Schulte mit der Feststellung, dass das kanonische Recht seine Wirkung etwa in Bayern auf dem Gebiet des Eherechts nicht daraus beziehe, dass Päpste oder Konzilien es aufgestellt hätten, sondern nur daraus, dass es als Zivilrecht staatlicherseits anerkannt sei. Damit seien die von der Kirche aufgestellten Ehehindernisse gleichzeitig Ehehindernisse für das bürgerliche Gebiet. Daran habe aber in Ländern, in denen der Protestantismus gleichberechtigt war, nicht festgehalten werden können, weil nach der katholischen Auffassung jeder Getaufte dem positiven Kirchenrecht unterstehe. 82 83 84 85

Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 598. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 598 f. Anlage Nr. 124, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 401. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 599.

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Da dies nicht durchführbar sei, habe man vom kanonischen Recht als Zivilrecht für die Protestanten absehen müssen. Es sei daher richtig, dass in denjenigen Ländern, wo das kanonische Recht gelte, die Kirche für ihr Gebiet den Dispens erteile, der Staat für sein Gebiet. Genau dies bezwecke er mit seinem Antrag.86 Mit der beantragten Fassung, dass die Dispensierung von Ehehindernissen auch der obersten Landesbehörde nach geltendem Recht zustehe, sei kein Eingriff in das kanonische Recht beabsichtigt, aber für das Gebiet des Staates müssten dessen Behörden berechtigt sein, von denjenigen Bestimmungen, von denen dispensiert werden könne, unter den vorgesehenen Formen und Bedingungen den Dispens für das bürgerliche Gebiet, also für die Eingehung einer bürgerlichen Ehe zu erteilen. Mehr wolle er mit seinem Antrag nicht erreichen, er habe nicht einmal etwas dagegen, wenn auch in Zukunft der kirchliche Dispens auch in zivilrechtlicher Hinsicht als genügend angesehen werde.87 Die gleiche Zielsetzung verfolge er mit der beantragten Bestimmung über die Zuständigkeit der bürgerlichen Gerichte für Streitigkeiten über die Nichtigkeit oder Scheidung von Ehen.88 Ausdrücklich auf das Verbot der Ehe zwischen Verwandten ging im Anschluss Christoph Moufang ein, der einen Antrag auf vollständige Streichung von § 44 gestellt hatte.89 Gewalttätiger und diktatorischer als mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sei mit Rechtszuständen kaum jemals verfahren worden. Die ganze Ehegesetzgebung und das ganze Ehegerichtswesen würden in vier Zeilen über den Haufen geworfen und derart verändert, dass es dem bisherigen in keiner Weise mehr ähnele. Wenn Änderungen auf dem unaussprechlich wichtigen Gebiet des Eherechts notwendig seien, müsse jeder einzelne Punkt genau und ernsthaft erwogen werden und daher erscheine es ihm nicht statthaft, jetzt ein Prinzip anzuerkennen und auszusprechen, dessen Folgen für die einzelnen Länder nicht absehbar seien. Auch in seinem Heimatland, dem Großherzogtum Hessen, gelte wie in Bayern noch das kirchliche Eherecht und Ehegerichtswesen. Über Nichtigkeit und Trennung von Ehen entscheide das kirchliche Ehegericht, die weltlichen Gerichte erst dann über diejenigen Angelegenheiten, die tatsächlich in ihren Bereich fielen. Wenn in Zukunft staatliche Behörden von allen Ehehindernissen dispensieren könnten, gebe das eine heillose Verwirrung. Die kirchliche Ehegesetzgebung sei das Resultat der Weisheit und Umsicht von Jahrhunderten und es sei für den Kenner des kanonischen Rechts eine ganz irrige und falsche Anschauung, wenn viele in den bestehenden Ehehindernissen und Dispensregelungen nur unliebsame Schranken oder eine Erwerbsquelle für kirchliche Behörden sähen. Die kirchlichen Ehegesetze und Ehehindernisse seien im Laufe der Jahrhunderte aufgestellte Schutzmittel, um die Ehe in ihrer Würde, die Brautleute in der Freiheit

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 601 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 602. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 602. Anlage Nr. 112, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 389.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

ihrer Wahl, das leibliche und geistliche Wohl der Kinder und die Reinheit des Familienlebens zu schützen. Die Medizinalstatistik beginne einzusehen, dass schon das mosaische Recht ein tiefes Verständnis dafür gehabt habe, was zur Fortpflanzung und Wohlfahrt des Nachwuchses notwendig sei, da Erbkrankheiten zu einem nicht geringen Teil von der Vernachlässigung der kirchlichen Ehegebote kämen. Die Statistik weise nach, dass ein großer Teil dieser Gebrechen aus Verwandtschaftsehen resultierten. Ob bei den zukünftig für die Dispenserteilung zuständigen staatlichen Behörden das richtige Verständnis vorhanden sei, sei die große Frage.90 Zu den Nichtigkeits- und Scheidungsklagen erklärte Moufang, dass es sich bei der Ehe ganz und gar um ein Verhältnis handele, das seinem Wesen nach ein sittlich-religiöses sei, worüber der Staat und bürgerliche Gerichte also gar nicht kompetent entschieden könnten. Was die Herzen verbinde und worauf die ganze Gemeinschaft in der Ehe beruhe, sei nicht äußeres Recht oder eine erzwingbare Sache, sondern Sache des Gewissens und ein sittlicher, tief religiöser Gegenstand, und darum gehöre dergleichen der Natur der Sache nach weit mehr vor die kirchlichen als vor die bürgerlichen Gerichte. Zumindest nach katholischer Auffassung sei die Ehe Sakrament und die Katholiken müssten das Recht haben, im Reich nach ihren Grundsätzen zu leben und behandelt zu werden, und zwar so, wie sie selber diese auffassten, und nicht so, wie die Protestanten sie auffassten. Es anders zu machen sei die härteste Tyrannei, ja eine Verfolgung auf diesem Gebiet unter dem Schein des Rechts.91 Der Beitrag des nächsten Redners, des nationalliberalen Abgeordneten Johannes Miquél, zeigte, dass auch in den Reihen derjenigen, die im Kulturkampf am entschiedensten auf der Seite der Reichsregierung standen, Zweifel an dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung bestanden und dass die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche auch in einer vernünftigeren Weise hätte geführt werden können. Miquél betonte, dass ihm die §§ 44 und 45 so, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen waren, unannehmbar gewesen seien, seine Bedenken aber durch den Änderungsantrag von Schultes nunmehr ausgeräumt seien. Dass die Dispensation von Ehehindernissen auch den obersten Landesbehörden nach dem geltenden Recht zustehen sollte, zeige, dass keineswegs die Absicht bestehe, den bisher zuständigen geistlichen Behörden diese Kompetenz zu entziehen, sondern dass nur die zusätzliche Möglichkeit durch die obersten Landesbehörden gegeben werden solle. Jeder sei damit berechtigt, die Dispensation dort zu erwirken, wo er es nach seinem Gewissen wolle, so dass eine Gewissensbedrückung völlig ausgeschlossen sei. Ein Katholik könne sich also an die geistliche Behörde wenden, wenn er glaube, dass nur diese rechtsgültig dispensieren könne, und nach dem Antrag von Schultes sei dies ebenso wirksam für die zivile Eheschließung wie die Dispenserteilung von einer weltlichen Behörde. Ausdrücklich stellte Miquél allerdings klar, dass er nur

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 603. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 603 f.

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deshalb für die Dispenserteilung durch die weltliche Behörde stimme, weil er ebenso wie Windthorst auf dem Standpunkt stehe, dass ein einseitiger Eingriff in das bestehende materielle Eherecht grundsätzlich höchst bedenklich sei, und er zugeben müsse, dass ein großer Teil der dispensablen Ehehindernisse kirchlichreligiöser Art seien und es daher konsequent sei, die Dispensation von diesen auch den ursprünglich dafür eingesetzten Behörden zu lassen. Ebenso wie Windthorst sei ihm auch alles willkommen, was mit Einführung der Zivilehe geistliches und weltliches Gebiet scharf voneinander trenne, und daher sei es zu bedauern, dass nicht die Bezeichnung als „bürgerlich gültige Ehe“ aus dem preußischen Recht übernommen worden sei. Das ganze Gebiet der kirchlichen Ehe sei unberührt zu lassen und eine Einmischung des Staates in deren Bedingungen und Voraussetzungen und deren Aufhebung absolut zurückzuweisen. Der im Gesetzentwurf verwendete Ausdruck „rechtsgültige Ehe“ sei jedoch in demselben Sinn zu interpretieren wie das preußische Recht und daher sei er bezüglich der Dispensation von Ehehindernissen beruhigt und der Ansicht, dass selbst das feinste kirchliche Gewissen eine Beschränkung seiner Gewissensfreiheit und einen Eingriff in sein Glaubensgebiet nicht entdecken könne.92 Zu der beabsichtigten Übertragung der Entscheidung über Nichtigkeit und Scheidung von Ehen auf die bürgerlichen Gerichte bemerkte Miquél, dass dies im Deutschen Reich bereits weitgehend der Zustand sei und die von Moufang geäußerten Befürchtungen nicht eingetreten seien. Niemand könne behaupten, dass dadurch das religiöse Leben irgendeiner Konfession gefährdet sei, wobei zu bemerken sei, dass sich diese Kompetenz nur auf Wirkung, Bestand und Scheidung der bürgerlichen Ehe beziehen könne und es Katholiken unbenommen bleibe, über den Wegfall des Sakraments der Ehe das geistliche Urteil einzuholen. Es sei also auch diesbezüglich keine Schwierigkeit in Bezug auf die Gewissen und den Glauben zu finden.93 Im Anschluss an die Ausführungen Miquéls stellte Paul Hinschius einen Änderungsantrag, nach dem die Landesregierungen gemäß § 45 Abs. 2 nur noch verpflichtet sein sollten, insbesondere „diejenigen staatlichen Behörden zu bestimmen, welchen die Aufsicht über die Standesbeamten und deren Geschäftsführung, die Verhandlung und Entscheidung über die Berichtigung von Eintragungen in den Standesregistern zusteht.“ 94

Damit war in dieser Vorschrift zwar nicht mehr von der Dispensation von Ehehindernissen die Rede und die Kritik an der bisher vorgesehenen Fassung schien erledigt. Dennoch benannte der im Anschluss sprechende Passauer Zentrumsabgeordnete Adolph Krätzer mehrfach die offenkundige Schwachstelle des vorliegenden Gesetzentwurfes, als er erklärte, dass die Zivilehe, zumindest in Bayern, wo nach wie vor das katholische Kirchenrecht in Geltung war, nicht ohne ein 92 93 94

Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 604 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 605. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 605.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

materielles weltliches Eherecht eingeführt werden könne.95 Werde § 45 wie im Gesetzentwurf vorgesehen angenommen, würden Bestimmungen über trennende Ehehindernisse im Verordnungswege erlassen werden können. Derartige Bestimmungen dürften nach der bayerischen Verfassung allerdings nicht im Verordnungswege, sondern nur im Wege der Gesetzgebung entschieden werden. Deshalb habe er auch gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Max Theodor Mayer den Antrag gestellt, anstelle der im Entwurf vorgesehenen Regelung in § 45 festzulegen, dass die zur Ausführung erforderlichen Bestimmungen von den einzelnen Landesregierungen auf dem landesverfassungsgesetzlichen Wege erlassen werden.96 Beispielhaft führte Krätzer an, dass bei Annahme des Gesetzentwurfes in Bayern weltliche Beamte nach kanonischem Recht auch darüber entscheiden würden, ob etwa ein Schwager seine Schwägerin oder die Tante den Neffen heiraten könnte, beziehungsweise von diesen Ehehindernissen dispensieren. Es müsse geregelt werden, wann und wie sie dies täten, was im Verordnungswege allerdings nicht zulässig sei.97 Etwas hilflos wirkte die von Völk im weiteren Verlauf der Beratung vorgebrachte Betonung in Bezug auf die Kritik Krätzers, dass es nicht entfernt in der Absicht der Antragsteller des Gesetzentwurfes liege, an dem Vorhandensein der nach den geltenden Rechten bestehenden Ehehindernisse irgendetwas zu ändern. Bei Annahme des Gesetzentwurfes würden keine Ehehindernisse als solche im Verordnungswege beseitigt werden können. Es gehe nur um die Dispense von den gesetzlich vorgeschriebenen Ehehindernissen.98 Was die gerichtlichen Streitigkeiten über die Ehe angehe, so habe der Gesetzentwurf mit der sakramentalen Eigenschaft der Ehe gar nichts zu tun. Für das Gewissen blieben sämtliche Ehehindernisse, die Befugnis zur Dispenserteilung, die ganze Eheschließung, ja die Ehe überhaupt vollkommen intakt.99 Dass der Gesetzentwurf allerdings zumindest in diesem Punkt mit heißer Nadel gestrickt war, räumte Völk implizit ein, als er erklärte, einerseits sei ja bekannt, dass dieser nicht das vollständige materielle Eherecht erschöpfe, und er wisse andererseits nicht, welche Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern bei der Regelung dieses Gegenstandes bestünden.100 Trotz der an den §§ 44 und 45 des Gesetzentwurfes geäußerten Kritik stimmte die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten im Ergebnis diesen Vorschriften zu, wenn auch mit Abänderungen. In § 44 Abs. 1 S. 1 hieß es in der vom Reichstag verabschiedeten Fassung dem Antrag von Schultes entsprechend nunmehr, dass die Dispensation von Ehehindernissen „auch der obersten

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 605 u. 607. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 606; der Antrag findet sich als Anlage Nr. 123 in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 400. 97 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 606. 98 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 609 f. 99 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 610. 100 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 610. 96

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Landesbehörde nach dem geltenden Rechte“ zustehe. § 45 Abs. 1 wurde in der genannten von Hinschius während der Debatte beantragten Fassung angenommen.101 Ohne Änderung wurde § 49 angenommen.102 Zu § 51 hatten Mayer und Moufang jeweils die Streichung beantragt103, wobei es ihnen allerdings wohl vor allem um die darin vorgesehene Aufhebung von landesrechtlichen Vorschriften ging, die das Ehehindernis wegen Religionsverschiedenheit aufstellten.104 Die Mehrheit des Reichstages nahm § 51 in unveränderter Fassung an.105 Über den in der zweiten Beratung geänderten Gesetzentwurf 106 nahm der Reichstag die dritte Beratung am folgenden Tag, dem 28. März 1874, vor.107 Auch in dieser wurde das Fehlen von Bestimmungen über das materielle Eheschließungsrecht noch einmal beanstandet. So begründete es der konservative Abgeordnete Léonce Robert von Könneritz, der in der Diskussion über § 18 als einziger das Wort ergriff, nicht etwa mit der beabsichtigten Einführung der obligatorischen Zivilehe, dass er und einige seiner politischen Freunde momentan nicht für den Entwurf stimmen könnten. Im Gegenteil hob er hervor, dass sie darin keinen Eingriff des Staates in die Rechte der Kirche erkennen könnten, sondern den Staat vielmehr für vollkommen berechtigt hielten, Bestimmungen darüber zu treffen, in welcher Form eine bürgerliche rechtsgültige Ehe abzuschließen sei. Bei Einführung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs sei die allgemeine Einführung der Zivilehe in Deutschland auch schwer zu umgehen und daher würden sie in der Beratung darüber und bei Aufnahme von Bestimmungen wie in dem vorliegenden Gesetzentwurf wahrscheinlich auch für diese stimmen. Es werde ihnen jedoch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zugemutet, aus dem Zivilrecht eine einzelne Materie herauszugreifen und für sich zu 101

Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 611 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 617. „§ 49. Die Vorschriften der §§ 2 bis 17, 19 bis 37, 42, 43 Abs. 1 und 3, §§ 44, 45, 47, 48 dieses Gesetzes finden in denjenigen Theilen des Bundesgebietes, in welchen eine allgemeine bürgerliche Standesregisterführung und die bürgerliche Eheschließung als allgemein und ausschließlich rechtsgültige Form der Eheeingehung durch die Landesgesetze vorgeschrieben ist, keine Anwendung. Auch werden diejenigen landesgesetzlichen Vorschriften, welche bestimmten Personen die Pflicht zu periodischen Anzeigen von Geburts- und Todesfällen auferlegen, durch dieses Gesetz nicht berührt.“ 103 Anlagen Nr. 112 u. 115, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 389 u. 390. 104 Vgl. die kurze Begründung von Moufang zu seinem Antrag in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 618. 105 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 618. „§ 51. Alle diesem Gesetze entgegenstehenden Vorschriften treten außer Kraft. Ein Gleiches gilt von den Bestimmungen, welche die Schließung einer Ehe wegen Verschiedenheit des Religionsbekenntnisses verbieten.“ 106 Anlage Nr. 126, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 33, S. 402 ff. 107 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 641 ff. 102

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

regeln, und dies auch nicht vollständig, sondern nur zum Teil, weil der Entwurf beispielsweise nichts über Ehehindernisse und die Ehescheidung enthalte.108 Die §§ 19 bis 48 des Gesetzentwurfes wurden ohne Diskussion angenommen und auch § 49 fand die Mehrheit unter Hinzufügung eines die Anordnung des Aufgebotes betreffenden dritten Absatzes.109 Auch der Redebeitrag des Zentrumsabgeordneten Matthias Merkle bestätigte noch einmal die mit dem Gesetzentwurf verbundene Gefahr der Überschneidung staatlicher und kirchlicher Kompetenzfelder und wechselseitiger Eingriffe, wobei Merkle sich beispielhaft nicht auf die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft bezog, sondern auf das von sämtlichen christlichen Kirchen anerkannte wegen Religionsverschiedenheit. Er erklärte zu § 51 des Gesetzesentwurfs, dass dieser nicht mit dem ausgesprochenen Zweck des Gesetzes im Einklang stehe. Schon dessen Überschrift sage klar und bestimmt, dass es um die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung gehe. Dagegen greife § 51 mitten in das materielle Eherecht ein. Materie und Form seien jedoch gewiss verschieden und ebenso gewiss gehöre in ein Gesetz über die Form der Eheschließung nicht das, was in das Innerste des materiellen Eherechts hineingehöre.110 Dennoch nahm die Mehrheit des Reichstages sowohl § 51, als auch den Gesetzentwurf insgesamt an.111 Für ihn stimmten 180, dagegen 81 Abgeordnete.112 3. Die Ablehnung des Gesetzentwurfes im Bundesrat und die Verabschiedung des neuen „Entwurfs eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ durch den Bundesrat Dem Bundesrat legte dessen Vorsitzender in der Sitzung am 29. März 1874 ein Schreiben vor, in welchem der Präsident des Reichstages die Zustimmung zum Gesetzentwurf mitgeteilt hatte, worauf der Bundesrat den Entwurf dem Ausschuss für Justizwesen überwies.113 Der Ausschuss legte am 16. Mai 1874 den „Bericht des Ausschusses für Justizwesen, betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“ vor.114 Laut diesem hatten die Beratungen im Ausschuss zu dem Ergebnis geführt, dass die Einführung eines Gesetzes über die obligatorische Zivilehe ohne gleichzeitige Regelung des materiellen Eheschließungsrechts nicht durchführbar war. Die bereits im Reichstag diesbezüglich vorgebrachten Bedenken hatten also 108

Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 647. Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 648. 110 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 649. 111 Reichstagsverhandlungen, Bd. 31, S. 650 f. 112 Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (76). 113 Bundesratsprotokolle 1874, § 202 (S. 139); der Gesetzentwurf findet sich in der Anlage zum Protokoll vom 29. März (S. 145 ff.). 114 Bundesr.-Drucks. Nr. 68/1874. 109

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nunmehr endgültig durchgeschlagen, was im Ergebnis ein Scheitern des vom Reichstag beschlossenen Gesetzentwurfes bedeutete. Die Mehrheit im Justizausschuss des Bundesrates hatte für alle Bundesstaaten geltende Regelungen über die Form der Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes zwar für wünschenswert gehalten, da die Fortdauer der bestehenden Ungleichheit des Rechts in Bezug auf die Eheschließung zu einer Quelle von Verwicklungen und Übelständen werden müsse, je mehr sich die Grundsätze der gemeinsamen Staatsbürgerschaft und der Freizügigkeit im Deutschen Reich auswirkten. Eine völlige Rechtsgleichheit auf diesem Gebiet könne jedoch erst durch eine übereinstimmende Regelung auch des materiellen Eherechts verwirklicht werden. Von den zur Zeit noch auf Landesrecht beruhenden Bedingungen der Eingehung einer rechtsgültigen Ehe, den Vorschriften über Verlöbnisse, Ehehindernisse und Scheidung lasse sich jedoch die Form der Eheschließung trennen und den staatlichen Interessen entsprechend regeln, ohne dadurch in das berechtigte Gebiet der Kirche hinüberzugreifen.115 Obwohl der Ausschuss mehrheitlich eine einheitliche Regelung über die Form der Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes im Wege der Reichsgesetzgebung befürwortete, war er übereinstimmend der Ansicht, dem Bundesrat die Zustimmung zu dem vom Reichstag beschlossenen Gesetzentwurf nicht empfehlen zu können. Bedenken hatte er einerseits gegen die Regelung in § 49, wonach die meisten seiner Bestimmungen in etwa zwei Dritteln des Reichsgebietes keine Anwendung finden sollten. Es sei nicht zweckmäßig, auf demselben Rechtsgebiet Reichsgesetz und Landesrecht nur mit örtlicher Trennung in gleicher Geltung nebeneinander fortbestehen zu lassen. Bedenklich sei andererseits die Bestimmung in § 45, dass alle zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Vorschriften durch die Regierungen der Bundesstaaten im Verordnungswege zu erlassen sein sollten. Diese Verpflichtung würde ohne Beeinträchtigung der konstitutionellen Rechte der Landesvertretung nicht auszuführen sein. Überhaupt bedürfe das Verhältnis des vom Reichstag beschlossenen Gesetzes insbesondere zu den in den Bundesstaaten bestehenden Vorschriften des materiellen Eherechts einer näheren Untersuchung und Feststellung, die zu mehrfachen Abänderungen und Ergänzungen führen werde.116 Die einstimmige Ablehnung des Gesetzentwurfes wollte der Ausschuss jedoch nicht als grundsätzliches Votum gegen ein Gesetz zur Einführung der obligatorischen Zivilehe und der Beurkundung des Personenstandes verstanden wissen und so folgte er dem Antrag Württembergs, dass der Bundesrat dem vom Reichstag beschlossenen Gesetzentwurf die Zustimmung nicht erteilen und stattdessen den Reichskanzler ersuchen solle, unter Beteiligung der Bundesregierungen einen Gesetzentwurf über die Einführung der obligatorischen Zivilehe und die Beurkundung des Personenstandes aufstellen zu lassen und diesen so bald wie möglich dem Bundesrat zur

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Bundesr.-Drucks. Nr. 68/1874, S. 3 f. Bundesr.-Drucks. Nr. 68/1874, S. 5 f.

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Beschlussnahme vorzulegen (allerdings mit Ausnahme des bayerischen Bevollmächtigten, der sich verpflichtet sah, der bayerischen Regierung die endgültige Entscheidung über ihre Stellung zu dem Antrag vorzubehalten, und sich daher außer Stande wähnte, diesem Antrag sofort zuzustimmen).117 In seiner Sitzung am 11. Juni 1874 folgte der Bundesrat dem Antrag des Ausschusses mit 42 gegenüber 16 Stimmen. Dass keine Einstimmigkeit erzielt wurde, lag an dem zweiten Punkt des Antrages, für den nur Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Anhalt, Waldeck, Reuß jüngerer Linie, Lübeck und Bremen stimmten. Zur Ausführung des Beschlusses zu 2., also die Aufstellung eines neuen Gesetzentwurfes, wurde darüber hinaus beschlossen, die Bundesregierungen zu ersuchen, ihre Bemerkungen zur Sache durch formulierte, mit Motiven versehenen Abänderungsvorschläge zu dem vom Reichstag angenommenen Gesetzentwurf dem Reichskanzleramt so bald wie möglich mitzuteilen sowie demnächst kommissarische Beratungen in der Sache eintreten zu lassen.118 Am 16. Oktober 1874 teilte der Vorsitzende des Bundesrates dem Plenum mit, dass die Regierungen von Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß jüngerer Linie, Lippe, Lübeck, Bremen, Hamburg und Lauenburg sowie die Zentralverwaltung von Elsass-Lothringen Änderungsvorschläge zu dem vom Reichstag beschlossenen Gesetzentwurf an das Reichskanzleramt übersandt hatten. Dieses wiederum habe die eingegangenen Vorschläge gemeinsam mit dem Gesetzentwurf des Reichstages übersichtlich zusammengestellt, so dass nunmehr die vom Bundesrat beschlossenen kommissarischen Beratungen zur Aufstellung eines neuen Gesetzentwurfes über die Einführung der obligatorischen Zivilehe und die Beurkundung des Personenstandes begonnen werden könnten. Auf Antrag des Vorsitzenden beschloss der Bundesrat daraufhin, den Justizausschuss um Abgabe von Vorschlägen über die Zusammensetzung der Kommission für die Aufstellung des gedachten Entwurfes zu ersuchen.119 Rund eineinhalb Monate später, am 28. November 1874, verwarf der Bundesrat diese Vorgehensweise jedoch wieder. Der Vorsitzende teilte in der Sitzung an diesem Tag mit, dass der Justizausschuss sich nach einer Mitteilung seines Vorsitzenden in der Lage sehe, in der Angelegenheit zu berichten, also selber den beabsichtigten Gesetzentwurf auszuarbeiten, und schlug daher vor, diesen Bericht sofort entgegenzunehmen. Dagegen wurde kein Widerspruch erhoben, und so beschloss der Bundesrat mehrheitlich, von der Berufung einer besonderen Kommission zur Aufstellung eines Gesetzentwurfes über die Einführung der obligatorischen Zivilehe und

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Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (78 f.); Bundesr.-Drucks. Nr. 68/1874, S. 6. Bundesratsprotokolle 1874, § 301 (S. 198 f.); Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (79). 119 Bundesratsprotokolle 1874, § 376 (S. 270 f.); siehe auch Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (80). 118

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 75

die Beurkundung des Personenstandes abzusehen, stattdessen den Justizausschuss mit der Aufstellung dieses Gesetzentwurfes zu beauftragen und ihn zu ermächtigen, nach seinem Ermessen Sachverständige mit beratender Stimme hinzuzuziehen, von deren Mitwirkung er eine Förderung dieser Aufgabe erwarte.120 In acht Sitzungen zwischen dem 10. und dem 20. Dezember 1874 wurde daraufhin auf der Grundlage eines im preußischen Justizministerium abgefassten und sich stark am preußischen Personenstandsgesetz orientierenden Entwurfes ein neuer Gesetzentwurf erarbeitet.121 Dieser „Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ 122 entsprach in seinen Regelungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft bereits dem späteren RPStG. Nach § 32 Nrn. 1 bis 3 des Entwurfes sollte die Ehe verboten sein zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern jedes Grades, ohne Unterschied, ob das Verwandtschaftsoder Schwägerschaftsverhältnis auf ehelicher oder außerehelicher Geburt beruhte und ob die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet wurde, noch bestand oder nicht. Nach Nr. 4 sollte die Ehe verboten sein zwischen Personen, deren eine die andere an Kindes statt angenommen hatte, solange dieses Rechtsverhältnis bestand. Dass die Eheverbote wegen Verwandtschaft nicht strenger ausfielen, lag am Einfluss Preußens: Wäre es nach mehreren anderen Bundesstaaten, darunter Bayern, gegangen, wäre das Verbot der Ehe zwischen Onkel und Nichte sowie Tante und Neffe mit der Möglichkeit der Dispenserteilung beibehalten worden. Sie hatten in der Sitzung am 12. Dezember 1874 für ihre entsprechenden Anträge jedoch keine Mehrheit gefunden, nachdem Preußen geltend gemacht hatte, dass sich alle seine Appellationsgerichte dagegen ausgesprochen hatten.123 In § 35 des Entwurfes war vorgesehen, dass hinsichtlich der rechtlichen Folgen einer gegen die Verbotsnormen des Entwurfes geschlossenen Ehe – dies waren die §§ 27 bis 34 – die Vorschriften des Landesrechts maßgebend sein sollten. Nach § 37 Abs. 1 und 2 sollten nur diejenigen Vorschriften durch den Gesetzentwurf nicht berührt werden, die die Ehe der Militärpersonen, der Landesbeamten und der Ausländer von einer Erlaubnis abhängig machten beziehungsweise die vor der Eheschließung eine Vermögensnachweisung oder -auseinandersetzung erforderten. Nach Abs. 3 sollten hingegen alle übrigen Vorschriften, die das Recht zur Eheschließung weiter als durch den Gesetzentwurf beschränkten, aufgehoben werden. Gemäß § 46 sollte der Standesbeamte die Eheschließung abzulehnen haben, wenn Ehehindernisse zu seiner Kenntnis ka120 Bundesratsprotokolle 1874, § 517 (S. 355); siehe auch Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (80). 121 Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (80); zu den Terminen und den Teilnehmern der Sitzungen siehe dort Fn. 93. 122 Siehe Bundesr.-Drucks. Nr. 170/1874, S. 3 ff. 123 Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (83 f.).

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men. § 67 sah für den Standesbeamten, der unter Außerachtlassung der in dem Entwurf vorgesehenen Vorschriften eine Eheschließung vollzog, eine Geldstrafe bis zu 600 Mark vor (nach dem in dieser Form wohl unbeabsichtigten Wortlaut drohte der Gesetzentwurf diese Sanktion einem Standesbeamten an, „welcher unter Außerachtlassung der in diesem Gesetze gegebenen Vorschriften eine Ehe vollzieht“). Der Justizausschuss legte dem Bundesrat den Gesetzentwurf am 20. Dezember 1874 vor und stellte den Antrag auf Erteilung der Genehmigung.124 Die Frage, wie sich der mit Abstand größte deutsche Bundesstaat, Preußen, im Bundesrat zu dem Entwurf stellen sollte, beschäftigte dessen Staatsministerium auf seiner Sitzung am 31. Dezember 1874. In dieser hob Justizminister Adolph Leonhardt nicht nur das politische Interesse am Zustandekommen des Gesetzes hervor, sondern auch eine zu erwartende Verbesserung des preußischen Rechtszustandes. Insbesondere die Bestimmungen über das materielle Eherecht seien sehr willkommen, da diesbezüglich im Geltungsbereich des Gemeinen Rechts völlige Verwirrung herrsche, die ansonsten durch die Landesgesetzgebung zu beseitigen sein würde. Mit seinen materiellen eherechtlichen Bestimmungen entspreche der Entwurf auch fast genau dem Allgemeinen Landrecht.125 Der noch am selben Tag an den Preußischen König und Deutschen Kaiser ergangene Bericht hob dementsprechend nicht nur hervor, dass die obligatorische Zivilehe nicht nur eine preußische Einrichtung bleibe, sondern für das gesamte Deutsche Reich verbindlich werden solle, sondern auch, dass die materiell-rechtlichen Bestimmungen über die Eheschließung Preußen auf diesem Gebiet die immer wieder angestrebte Rechtseinheit brächten. Der Kaiser genehmigte die Zustimmung Preußens zu dem Entwurf schließlich am 4. Januar 1875, wobei er allerdings die Einfügung einer Bestimmung zur Bedingung machte, dass die kirchlichen Pflichten zur Trauung und Taufe bestehen bleiben sollten.126 Die abschließende Beratung des Gesetzentwurfes im Bundesrat erfolgte einen Tag später, am 5. Januar 1875.127 Nachdem der großherzoglich-oldenburgische Bevollmächtigte erklärt hatte, dass er beauftragt sei, gegen den Entwurf zu stimmen, da die Großherzoglichen Regierungen der Ansicht seien, dass die Einführung der obligatorischen Zivilehe mit ihrem tiefen Eingriff in das gesamte, insbesondere kirchliche Leben des Volkes prinzipiell bedenklich sei und ohne die allerdringlichste Notwendigkeit nicht gerechtfertigt werden könne, und für den Wunsch einer Verschiebung der Beschlussfassung um einige Tage keine Unterstützung gefunden hatte, wurde in die Beratung der einzelnen Paragraphen eingetreten.128 Zu § 32 stellte der großherzoglich-mecklenburgische Bevollmächtigte 124 125 126 127 128

Bundesr.-Drucks. Nr. 170/1874. Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (85). Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (85). Bundesratsprotokolle 1875, § 6 (S. 2 ff.). Bundesratsprotokolle 1875, § 6 (S. 2 f.).

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in der Beratung den Antrag, hinter dessen Nr. 3 als Nr. 4 die Bestimmung einzufügen, dass die Ehe verboten sein sollte „zwischen dem Oheim und der Nichte, der Tante und dem Neffen, dem Großoheim und der Großnichte, der Großtante und dem Großneffen“. Der Schlusssatz sollte die Fassung „Dispensation ist zulässig im Fall der Nr. 4, insoweit nicht die Ehe zwischen der Tante und dem Neffen, oder der Großtante und dem Großneffen bei vollbürtiger Verwandtschaft zur Frage steht und im Fall der Nr. 6“

erhalten. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt.129 Ebenfalls abgelehnt wurde der vom Großherzoglich oldenburgischen Vertreter vor dem Eintritt in die Beratung des § 35 gestellte Antrag, „daß die sämmtlichen, die Ehehindernisse betreffenden Grundsätze, insbesondere aber diejenigen, welche sich auf die rechtlichen Folgen der verbotwidrigen Eingehung einer Ehe und den Einfluß des Zwanges, Irrthums und Betruges auf die Gültigkeit der Ehe beziehen, in das Gesetz aufgenommen und zu dem Ende der Entwurf zur Vervollständigung desselben an den Justizausschuß zurückgewiesen werden.“ 130

Abgelehnt wurde auch der Antrag des substituierten Bevollmächtigten für Bremen, der zu den §§ 35 und 36 unter anderem vorsah, dass § 36 Abs. 1 die Fassung erhalten sollte, dass eine gegen die Bestimmungen der §§ 27, 32 Nrn. 1 bis 4 und 33 geschlossene Ehe nichtig sei, der also unter anderem eine reichseinheitliche Regelung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft herbeiführen wollte.131 Erfolg hatte dagegen der Antrag des königlich-bayerischen Bevollmächtigten, § 37 Abs. 3 unter Streichung des Wortes „übrigen“ als § 38 einzustellen.132 Der Bundesrat nahm die einzelnen Paragraphen mit den beschlossenen Änderungen an und beschloss daraufhin, dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung die Zustimmung zu erteilen. Dagegen stimmten Sachsen, die beiden Mecklenburgs, Oldenburg, Braunschweig, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer Linie, Lippe und SchaumburgLippe.133 Der königlich-sächsische Bevollmächtigte begründete die Ablehnung des Gesetzentwurfes in einer von ihm abgegebenen Erklärung einerseits mit der Rücksicht auf die aus verschiedensten Kreisen der sächsischen Bevölkerung an die Regierung gelangten Kundgebungen gegen die Einführung der Zivilehe, andererseits damit, dass der neue dritte Abschnitt des Gesetzentwurfes nicht nur durch seine partielle Regelung des materiellen Eherechts den künftigen Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs vorgreife, sondern auch durch die Einreihung seiner Vorschriften in das im Übrigen unberührt bleibende partikulare Recht der Einzelstaaten erhebliche Schwierigkeiten und neue Notstände herbei129 130 131 132 133

Bundesratsprotokolle 1875, § Bundesratsprotokolle 1875, § Bundesratsprotokolle 1875, § Bundesratsprotokolle 1875, § Bundesratsprotokolle 1875, §

6 (S. 6 (S. 6 (S. 6 (S. 6 (S.

5 f.). 6). 6). 6 f.). 8 f.).

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

zuführen drohe.134 Abgesehen von den genannten Änderungen variierten in dem vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwurf 135 die Nummern der übrigen Vorschriften mit Bedeutung für das Eheverbotsrecht. So fand sich die Bestimmung, dass der Standesbeamte eine Eheschließung abzulehnen hatte, wenn Ehehindernisse zu seiner Kenntnis kämen, nunmehr in § 47, die Strafandrohung von 600 Mark für den Fall, dass er unter Außerachtlassung der in dem Gesetz gegebenen Vorschriften die Eheschließung vollzog, in § 68 (wobei der missglückte Wortlaut „. . ., welcher unter Außerachtlassung der in diesem Gesetze gegebenen Vorschriften eine Ehe vollzieht . . .“ nach wie vor nicht bereinigt worden war). 4. Die Beratung und Annahme des neuen Gesetzentwurfes durch den Reichstag Den vom Bundesrat beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ legte der Reichskanzler zusammen mit einer Begründung am 6. Januar 1875 dem Reichstag zur Beschlussfassung vor.136 Die beigefügte Begründung erwähnte zu Beginn noch einmal die Einschätzung des Justizausschusses des Bundesrates, dass der vom Reichstag am 28. März 1874 verabschiedete Gesetzentwurf in mehrfacher Hinsicht einer Änderung und Vervollständigung bedurft habe und es Aufgabe des zu verabschiedenden Gesetzes sei, in der von ihm umfassten Materie ein einheitliches, in allen Bundesstaaten gleichmäßig zur Anwendung gelangendes Recht herzustellen. Zur Erreichung dieses Ziels müsse sein Inhalt über die Grenzen des Reichstagsentwurfes hinaus erweitert werden und auch das materielle Eheschließungsrecht umfassen. Die Aufgabe, dem Bedürfnis nach einem einheitlichen materiellen Eheschließungsrecht gerecht zu werden, falle im Zeitpunkt der allgemeinen Einführung der bürgerlichen Form der Eheschließung naturgemäß der Reichsgesetzgebung zu, da sie die Beseitigung von Hindernissen dagegen nicht der Landesgesetzgebung überlassen dürfe und auch nur sie im Stande sei, ein sich über die Grenzen der Bundesstaaten erstreckendes einheitliches Recht herzustellen. Ein noch bedeutenderer Grund für die Vereinheitlichung des materiellen Eheschließungsrechts als die bestehende rechtliche Vielfalt sei die Tatsache, dass diesbezüglich teilweise noch kirchliches Recht gelte. Außerhalb des Geltungsbereichs von Kodifikationen wie dem Preußischen Allgemeinen Landrecht, dem Code Civil oder dem Badischen Landrecht sei für Katholiken das kanonische Recht, für Protestanten das protestantische Kirchenrecht und für Juden das mosaische Recht Hauptgrundlage des geltenden Eheschließungsrechts oder zumindest die maßgebende Norm für einzelne Ehehindernisse und das Recht zur Dispensation liege häufig in den Händen kirchlicher Behörden. Dies sei mit der Einführung 134 135 136

Bundesratsprotokolle 1875, § 6 (S. 9). Siehe Anlage Nr. 153, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1041 ff. Anlage Nr. 153, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1041 ff.

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der bürgerlichen Form der Eheschließung, aber auch mit den kirchlichen Ehesatzungen unvereinbar. Diese seien teilweise wegen ihres konfessionellen Charakters zur Anwendung durch den Standesbeamten ungeeignet und teilweise stünden die von ihnen aufgestellten Ehehindernisse in so untrennbarem Zusammenhang mit dogmatischen Lehrsätzen, dass es einem bürgerlichen Beamten nicht zugemutet werden dürfe, ihr Vorhandensein zu erforschen und festzustellen. Ein nur stückweises Eingreifen in das bestehende Recht sei daher nicht zielführend. Stattdessen sei es unerlässlich, mit dem zu verabschiedenden Gesetz einen vollständigen Ersatz für das bisherige Eheschließungsrecht zu schaffen und dieses außer Kraft zu setzen, soweit es nicht in einzelnen Bestimmungen ausdrücklich aufrechterhalten werde.137 Zu den in § 32 Nrn. 1 bis 3 vorgesehenen Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft erklärte die Begründung, dass diese sich von selbst verstünden. Ihre eigentliche Bedeutung für den Entwurf liege in Zusammenhang mit dessen § 38 darin, dass alle die Ehe darüber hinaus verbietenden Vorschriften des geltenden Rechts außer Kraft treten. Abgesehen davon, dass dieses noch das Verbot der Ehe zwischen der älteren Tante und dem Neffen kenne, entspreche diese Beschränkung dem Preußischen Allgemeinen Landrecht. Die durch die viel umfangreicheren Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft im Gemeinen Recht und der Partikulargesetzgebung herbeigeführte Mannigfaltigkeit habe keine innere Berechtigung. Sie sei im Verhältnis der einzelnen Bundesstaaten zueinander eine natürliche Folge der Selbständigkeiten dieser Staaten und im Verhältnis der einzelnen Teile desselben Bundesstaates zueinander eine Folge der einstigen staatlichen Selbständigkeit dieser Teile und des Strebens ihrer früheren Gesetzgebung, sich von Eheverboten des auf den Grundsätzen der katholischen Kirche beruhenden Eherechts zu befreien, die dem protestantischen Eherecht widersprechen. Erfahrungen, dass das preußische Recht zu lax sei, seien nicht gemacht worden, stattdessen hätten sich sämtliche Appellationsgerichte im Gebiet des Allgemeinen Landrechts entschieden für die Aufhebung der Verbotes der Ehe zwischen der älteren Tante und dem Neffen, ansonsten aber für die Beibehaltung der geltenden Eheverbote ausgesprochen. Diesbezüglich werde mit Recht geltend gemacht, dass eine entsprechende Ehe kaum anstößiger sei als eine solche zwischen einem jüngeren Mann und einer älteren Frau. Wolle man das preußische Eheverbot aufrecht erhalten und auf das gesamte Reich ausdehnen, müsse zumindest auch die Ehe zwischen Onkel und Nichte sowie zwischen Neffe und jüngerer Tante hinzukommen, da für alle diese Fälle der sogenannte „respectus parentelae“ zutreffe. Es sei jedoch einerseits bedenklich, für ein so großes Rechtsgebiet wie das des Preußischen Allgemeinen Landrechts ohne zwingende Notwendigkeit, die sich in keiner Weise geltend gemacht habe, neue Eheverbote wegen Verwandtschaft einzuführen, andererseits nicht empfehlenswert, die Ehe zwischen Personen zivilrechtlich zu verbieten, zwischen

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

denen eine außereheliche Geschlechtsgemeinschaft strafrechtlich nicht verboten sei. Zudem würde die Aufnahme von Eheverboten, die für einige Teile des Bundesgebietes neu seien, nicht in das System des Gesetzentwurfes passen, weil dieser hinsichtlich der rechtlichen Folgen einer dennoch geschlossenen Ehe die Vorschriften des bisherigen Rechts maßgeblich sein lasse. An solchen fehle es aber für jedes neu eingeführte Eheverbot.138 Auch hinsichtlich des in § 33 Nr. 4 vorgesehenen Eheverbotes wegen Adoptivverwandtschaft habe der Entwurf die preußische Regelung als passend erscheinenden Mittelweg übernommen zwischen Gemeinem Recht, dem diesem folgenden Bayerischen Landrecht, Allgemeinem Preußischem Landrecht, Code Civil, Sächsischem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, die dieses Verbot in unterschiedlichem Umfang – beziehungsweise im Falle des österreichischen Gesetzbuches gar nicht – kannten. Es errege Anstoß, wenn Personen, zwischen denen ein dem natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis möglichst entsprechendes Verhältnis bestehe, während der Dauer dieses Verhältnisses die Ehe gestattet werde. Das Mittel zur Ermöglichung der Ehe in solchen Fällen sie die Zulässigkeit der Auflösung des Adoptivverhältnisses. Schon deshalb könne die Dispensation unbedenklich ausgeschlossen werden. Eine Änderung des Zustandes im Rheinischen Recht, wonach die Adoption für unwiderruflich und das daraus hergeleitete Ehehindernis für indispensabel gelte, erscheine nicht geboten.139 Zu der Bestimmung in § 35 hieß es in der Begründung, dass sich die Frage, welche Folge eine unter Nichtbeachtung der Vorschriften des Gesetzentwurfes geschlossene Ehe sowohl bezüglich ihrer Gültigkeit als auch in vermögensrechtlicher Hinsicht habe, in dem Gesetzentwurf einheitlich für das ganze Reich nur äußerst schwierig entscheiden lasse. Dafür seien einerseits die in den Gebieten der großen drei Rechtssysteme (damit waren wohl die Geltungsbereiche des Gemeinen Rechts, des Preußischen Allgemeinen Landrechts und des französischen Rechts gemeint) sehr verschiedenen allgemeinen Theorien von Nichtigkeit, Ungültigkeit und Anfechtbarkeit von Verträgen, andererseits das bestehende Güterrecht bestimmend. Ebenfalls zu berücksichtigen seien prozessrechtliche Einrichtungen wie die Beteiligung der Staatsanwaltschaft bei Ehestreitigkeiten. Gegenwärtig sei nicht der geeignete Zeitpunkt, die wichtige Theorie des Preußischen Allgemeinen Landrechts von nichtigen und ungültigen Ehen zu reformieren oder sie auf das Reich auszudehnen. Daher schlage der Entwurf vor, es in allen diesen Punkten bei dem bestehenden Recht zu belassen. Weil alle in den Gesetzentwurf aufgenommenen Verbote bereits geltendes Recht seien und dieses daher auch über die Folgen der Missachtung der einzelnen Verbote entschieden haben müsse, sei dieses Vorgehen unbedenklich.140 Die in § 38 vorgesehene Aufhebung aller Vorschriften, die

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1051. Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1051. Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1052.

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das Recht zur Eheschließung in weiterem Umfang als der Entwurf beschränkten, bezeichnete die Begründung als eine von dessen wichtigsten Bestimmungen und verwies bezüglich ihrer Bedeutung hinsichtlich der einzelnen Eheverbote auf die Erläuterungen der Begründung zu den jeweiligen Einzelnormen, wegen der Eheverbote bei Verwandtschaft, Schwägerschaft und Adoptivverwandtschaft also auf diejenigen zu § 32.141 § 47 wurde in der Begründung gar nicht einzeln erläutert, und ihre kurzen Ausführungen zu § 68 nahmen keinen Bezug zum Eheverbot wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft.142 Der Reichstag beriet den vom Bundesrat erarbeiteten Gesetzentwurf in erster Lesung am 12. Januar 1875.143 Dabei kamen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nicht zur Sprache. Auch zu einer weiteren Beratung des Gesetzentwurfes oder einzelner Abschnitte in einer Kommission kam es nicht. Der Abgeordnete der Deutschen Reichspartei Carl Ferdinand Freiherr von Stumm stellte im Verlauf der Beratung zwar den Antrag, den dritten Abschnitt des Gesetzentwurfes, denjenigen über die Erfordernisse der Eheschließung, an eine Kommission zu überweisen144, der Zentrumsabgeordnete Thomas Hauck beantragte dies sogar für den gesamten Gesetzentwurf.145 Beide Anträge verfehlten jedoch die Mehrheit.146 Die zweite Beratung nahm der Reichstag zwischen dem 14. und dem 19. Januar 1875 vor.147 Mit dem dritten Abschnitt des Gesetzentwurfes befassten sich die Abgeordneten am 15. Januar.148 Der erste Redner, der dabei das Wort ergriff, der Zentrumsabgeordnete Matthias Merkle, stellte zu Beginn der Diskussion über § 27, nach dessen Abs. 1 zur Eheschließung die Einwilligung und die Ehemündigkeit der Eheschließenden erforderlich sein sollte, die Frage, wie auf einmal Vorschriften über die Eheverbote in den Gesetzentwurf hineinkämen. Wenn der erste Satz die Erfordernisse der Eheschließung in Einwilligung und Ehemündigkeit zusammenfasse, erschienen solche Punkte im weiteren Verlauf wie der Pontius im Credo – also als Fremdkörper. Es fehle jede logische Ordnung und jeder innere Zusammenhang. Das Ganze mache den Eindruck eines unfertigen Werkes, mit dem der Bundesrat den Reichstag beehre. Er, Merkle, wolle die Unlogik klar machen, in einem Augenblick nur die freie Einwilligung als erforderlich für die Ehe anzusehen, wie von liberaler Seite im Reichstag bereits geschehen, und in einem anderen Augenblick noch weitere Dinge, und damit aufzeigen, dass es 141 142 143 144 145 146 147 148

Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1053. Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1053. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 960 ff. Siehe Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 968 ff. Siehe Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 974. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 977. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 987 ff., 1011 ff., 1047 ff., 1067 ff. u. 1091 ff. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1011 ff.

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

dem vorliegenden Gesetzentwurf auch an dem mangele, was ihm am wenigsten fehlen sollte.149 Kritik an dem Eheverbotsrecht des Gesetzentwurfes äußerte Ludwig Windthorst während der Diskussion über § 28, der das Erfordernis der Einwilligung zur Eheschließung für eheliche Kinder betraf. Er bemängelte, dass man ein vollständig aus dem ganzen Zusammenhang des Familienrechts gerissenes Gesetz machen wolle, in dem nicht einmal klar sei, wie aufgestellte und zugelassene Hindernisse wirksam seien und welche rechtlichen Folgen deren Nichtbeachtung hätte, weil man dies wiederum den bestehenden landesrechtlichen Bestimmungen überlasse. Wolle man die Zivilehe haben, könne man nur der preußischen Gesetzgebung folgen, solange man kein vollständiges Zivilrecht habe. Der vorliegende Gesetzentwurf dagegen sei vom Bösen und werde sich bestrafen.150 In der Diskussion über § 32 des Gesetzentwurfes151 war Christof Moufang erster Redner. Er erinnerte zunächst daran, dass es noch nicht lange her sei, dass der Staat durch polizeiliche Vorschriften und bürgerliche Anforderungen (gemeint gewesen sein dürfte die oben im ersten Kapitel beschriebene Eheverbotspraxis in den Territorialstaaten der Frühen Neuzeit) für viele die Eheschließung sehr erschwert oder sogar ganz verhindert habe. Da die Kirche solche Erschwerungen nie gekannt oder gehabt habe, könne die Beseitigung solcher Hindernisse, die gegen jedes individuelle Recht und zur Benachteiligung der öffentlichen Sitten stattgefunden hätten, ohne dass sie den Wohlstand der Gemeinden auch nur irgendwie geschützt hätten, nur begrüßt werden. Nunmehr scheine der Staat jedoch in das andere Extrem zu fallen, indem die bisher überall geltenden Eheverbote eine Minderung wie kaum zuvor in einer Zivilgesetzgebung erfahren würden. Die Begründung zu dem Gesetzentwurf habe mit dem Argument, die kanonische und biblische Gesetzgebung sei zu schwierig, als dass der Standesbeamte sie überblicken könne, solche Beamten im Auge, die vom Eherecht als solchem wenig verstünden. Die Mannigfaltigkeit der bestehenden Regelungen habe, wie in der Begründung hervorgehoben, tatsächlich keine Berechtigung, die vom kanonischen Recht und den strengeren Landesgesetzen aufgestellten Ehehindernisse hätten dagegen eine innerliche Berechtigung, erst recht solche, die mit dem 149

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1011 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1021 f. 151 § 32. Die Ehe ist verboten: 1. zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, 2. zwischen voll-und halbbürtigen Geschwistern, 3. zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern jeden Grades, ohne Unterschied, ob das Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältniß auf ehelicher oder außerehelicher Geburt beruht und ob die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet wird, noch besteht oder nicht, 4. zwischen Personen, deren eine die andere an Kindesstatt angenommen hat, so lange dieses Rechtsverhältniß besteht, 5. zwischen einem wegen Ehebruchs Geschiedenen und seinem Mitschuldigen. Im Falle der Nr. 5 ist Dispensation zulässig. 150

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 83

Gesetzentwurf nun für immer in Deutschland beseitigt werden sollten. Eine solche Reduzierung der Eheverbote sei kein das Wohl des deutschen Volkes fördernder Schritt. Das Wohl der Nachkommenschaft, die Aufrechterhaltung der guten Sitten in den Familien, die Wahrung der Freiheit bei der Wahl des Lebensgefährten und der Schutz des Glückes und des Lebens der Ehegatten sei wesentlich bedingt durch solche Eheverbote, deren Abschaffung der Gesetzentwurf vorsehe. Falsch sei auch die Ansicht mancher, die in der Heiligen Schrift begründeten oder von der Kirche im Lauf der Jahrhunderte aufgestellten Eheverbote dienten nur der Aufrechterhaltung der kirchlichen Autorität. Dass der vorliegende Gesetzentwurf die Ehe zwischen leiblichen Verwandten im zweiten Grad oder vom ersten in den zweiten Grad erlaube, sei eine Maßregel, die sehr schlimme Folgen haben könne.152 Im Folgenden führte Moufang näher aus, warum er die Reduzierung der Eheverbote wegen Verwandtschaft ablehnte. Das Verbot der Ehe zwischen nahen Verwandten beruhe nicht nur auf positiven Gesetzen, sondern finde seine Begründung in der Natur selber. Die Übertretung eines derart auf der Natur beruhenden göttlichen oder kirchlichen Sittengebotes finde ihre Strafe durch die Natur selber. Was die Heilige Schrift und die Kirche festgestellt hätten, werde durch die moderne Statistik und Medizin bestätigt. Um dies zu belegen, zitierte Moufang aus der 7. Auflage des „Handbuchs der vergleichenden Statistik der Völkerzustands- und Staatenkunde“ von Georg Friedrich Kolb Daten aus Frankreich über das häufige Auftreten von Gehörlosigkeit – der damaligen Zeit entsprechend sprach Moufang von „Taubstummen“ – bei Kindern, die aus Ehen zwischen nahen Verwandten stammten. Wenn dies schon unter der Geltung von Verboten, die Eheschließungen im zweiten Grad erschwert hätten, der Fall sei, so würden bei Annahme des vorliegenden Gesetzentwurfes weit schlimmere Folgen zu befürchten sein. Weiterhin zitierte Moufang aus Kolbs Werk, dass nach der Bemerkung eines Dr. Karl Majer in München in der protestantischen und jüdischen Bevölkerung Bayerns Gehörlosigkeit häufiger auftrete als in der katholischen, was wohl auf häufigere Ehen unter Verwandten zurückgeführt werde, und dass eine neue Untersuchung eines Dr. Mitchell aus Edinburgh einen Zusammenhang zwischen geistigen Behinderungen und Ehen zwischen Verwandten herstellte, was zwar nicht unumstritten, aber einer genaueren Prüfung wert sei. Moufang beklagte, dass der Reichstag daran gehen wolle, ein Schutzgesetz für die Gesundheit und das Wohl der Familie zu beseitigen und in Zukunft nur die Ehen zwischen Voll- und Halbgeschwistern zu verbieten, obwohl diese Prüfung noch nicht stattgefunden habe.153 Die damit verbundene zweite große Gefahr sei, dass die guten Sitten sehr notleiden würden. Innerhalb von Familien sei gar nichts anderes möglich, als dass die jungen Leute in innigster Beziehung zueinander stünden und frei untereinander verkehrten. Nur das heilige Gesetz, das Ehen und

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1036. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1036 f.

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geschlechtliche Beziehungen zwischen so nahen Verwandten wie Nichten und Neffen verbiete, werde die sichernde Schranke sein, dass der vertrauliche Verkehr nicht zu Unglücksfällen führe. Wenn aber das Gesetz zukünftig nur noch die Ehe zwischen Brüdern und Schwestern verbiete, werde das Familienleben von großer Gefahr bedroht sein und eine besorgte Mutter müsse fürchten, dass ihre Neffen und Töchter nicht mehr in geschwisterlicher Freundschaft und Vertraulichkeit miteinander verkehrten, weil nunmehr eine Eheschließung zwischen ihnen vom Gesetz erlaubt sei. Dies gelte auch hinsichtlich der Schwägerschaft, da ja auch das Verbot der Ehe zwischen Schwager und Schwägerin aufgehoben werden solle. Auch dadurch werde eine nicht zu unterschätzende Gefahr in die Familie hineingebracht. Der vertraute und unbeobachtete Familienumgang werde wiederum sehr erschwert. Es sei traurig, wenn etwa die sterbende Ehegattin in ihrer noch lebenden und sie pflegenden Schwester schon die Rivalin und Nachfolgerin in der Ehe erblicke oder eine solche Rücksichtslosigkeit eintrete, dass die Sterbende schon die ersten Anknüpfungen ihres Ehemannes mit der sie pflegenden Schwester ansehen müsse. Derartige Dinge müssten ferngehalten werden. Die guten Sitten, der Friede, die Eintracht und das Glück in den Familien seien durch die Aufhebung der genannten Eheverbote auf das Äußerste bedroht.154 Ein dritter Grund gegen die Erlaubnis von Ehen zwischen nahen Verwandten sei die Verhinderung oder zumindest Beeinflussung oder Beeinträchtigung der notwendigen freien Wahl des Ehegatten. Aus Eigennutz, etwa um das Familiengut oder -vermögen beisammen zu halten, würden Nichten und Neffen häufig schon im Kindesalter als Mann und Frau füreinander ausgewählt, ohne Rücksicht darauf, ob sie auch zueinander passten. Der bestimmende Einfluss der Eltern könne mit der Zeit so groß sein, dass die Nachkommen sich nicht mehr frei und stark genug fühlten, sich einem derartigen Familienbeschluss zu entziehen, so dass sie Opfer des Familieninteresses würden, anstatt sich als Lebensgefährten jemanden wählen zu können, von dem sie sich eine Sicherung oder Erhöhung ihres Glücks erwarteten. Die freie Einwilligung sei für die Ehe wesentlich und bei der Eheschließung sollten möglichst alle Einflüsse beseitigt sein, die der freien Wahl des Ehegatten hindernd im Wege stünden.155 Angesichts dieser deutlichen Kritik ist es erstaunlich, dass Moufang und seine Fraktionskollegen Thomas Hauck, Philipp Ernst Lieber und Joseph Anton Schmid in einem gemeinsamen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf 156 bezüglich § 32 nur die Streichung von Abs. 2 verlangten, also den Wegfall der Möglichkeit der Dispensation vom Eheverbot wegen Ehebruchs. Die Begründung, die Moufang dazu in seinem Redebeitrag gab, zeugt von realpolitischer Einsicht. So habe er sich nicht dazu entschließen können, einen Änderungsantrag zu stellen, weil sein Standpunkt vom demjenigen des Entwurfes sehr weit entfernt sei und ein Antrag, wie er ihn für notwendig hielte, 154 155 156

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1037. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1037. Anlage Nr. 179, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1138.

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keine Aussicht auf Berücksichtigung oder Annahme habe. Dennoch richte er an den Reichstag die Bitte um Verbesserungen des Paragraphen, auch wenn er sich der Einbringung von eigenen Verbesserungsanträgen enthalten müsse.157 Auf Moufang antwortete Johann Friedrich von Schulte. Er räumte zunächst ein, dass auch er die Ehe zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe sowie zwischen Geschwisterkindern für absolut indispensabel erklären würde, wenn er allein nach seiner Auffassung zu bestimmen hätte. Er wisse allerdings sehr gut, dass in der katholischen Kirche in allen Fällen von diesen Verboten dispensiert werde, wo nur irgendein, auch der entfernteste Grund bestehe, wobei er in diesem Zusammenhang auf seine umfassenden praktischen Kenntnisse verwies. Ebenso kenne er Fälle, wo sogar dispensiert worden sei, ohne dass ein Grund vorgelegen habe. Auch da werde der Dispens niemals verweigert, wenn man es nur richtig in die Hand nehme, und bei Personen, die nicht arm seien, fehle es nicht an der erforderlichen Dispenstaxe. Dort, wo die Ehehindernisse zivilrechtlich in großem Umfang eingeschränkt worden seien, wie etwa in Frankreich, habe man den Bischöfen größere Befugnisse eingeräumt, um den Dispens in jedem Einzelfall zu erleichtern. Daher glaube er, dass die Annahme von § 32 des Gesetzentwurfes dazu führen werde, dass man in manchen katholischen Gegenden Deutschlands die Bischöfe zur Dispenserteilung ermächtigen werde, da man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollen werde, dass eine bloße Zivilehe eingegangen werde (die auch von Schulte für ein Unglück hielt, wie er ausdrücklich betonte). Da bisher in der Praxis immer dispensiert worden sei, sei auch vom Standpunkt des inneren katholischen Kirchenrechts die Annahme des Paragraphen umso weniger ein Unglück, weil niemand wegen seines Gewissens dazu verpflichtet werde, eine solche Ehe einzugehen. Die Vorschrift sage niemandem, dass er eine nahe Verwandte oder Verschwägerte heiraten solle, sondern gebe bloß ein Recht dazu.158 Kurz darauf reichte Windthorst den Antrag ein, in § 32 zwischen die Nrn. 2 und 3 als Nr. 3 einzufügen, dass die Ehe zwischen Geschwisterkindern verboten sein sollte, die folgenden Nummern demgemäß zu ändern und den Schluss des Paragraphen so zu fassen, dass im Fall der neuen Nr. 3 Dispensation zulässig sein solle.159 Ohne auf diesen Antrag einzugehen, sprach im Anschluss daran der konservative Abgeordnete Helmuth Freiherr von Maltzahn zu den ersten drei Nummern von § 32 des Gesetzentwurfes. Der Kreis der Eheverbote wegen Verwandtschaft sei in dieser Vorschrift nicht nur enger gezogen als in anderen Gesetzen bisher, sondern enger als es ihm persönlich lieb sei. Außer der Hoffnungslosigkeit eines entsprechenden Antrages hätten ihn jedoch zwei Erwägungen davon abgehalten, eine Änderung zu beantragen. Einerseits falle die Rücksicht auf kirchliche Verpflichtungen für ihn fort, weil man es mit einem reinen Staatsgesetz zu tun habe, das dazu führen müsse, die Kirche auf diesem Gebiet ganz frei157 158 159

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1037 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1038. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1039.

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zustellen, so dass sie den Begriff der kirchlich unerlaubten Ehe nicht nach diesem Gesetz, sondern nach ihren eigenen Bestimmungen und in erster Linie nach denjenigen der göttlichen Offenbarung handhaben könne. Andererseits sei auch ihm bekannt, dass bei weitergehenden Eheverboten seit jeher eine weitgehende Dispensation üblich gewesen sei, und er nehme lieber eine Bestimmung auf, deren Durchführbarkeit er voraussetze.160 Kurz darauf änderte Windthorst seinen Antrag noch einmal dahingehend ab, in § 32 zwischen Nr. 2 und 3 als Nr. 3 einzufügen, dass die Ehe verboten sein sollte zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe sowie zwischen Kindern voll- und halbbürtiger Geschwister, die folgenden Nummern dementsprechend zu ändern und den Schluss des Paragraphen so zu fassen, dass im Fall der neuen Nr. 3 Dispensation zulässig sei.161 Zur Begründung dieses Antrages erklärte er, dass sein Fraktionskollege Moufang in seinem Redebeitrag die Notwendigkeit, zumindest aber die Nützlichkeit der beantragten Ehehindernisse umfassend gerechtfertigt habe. Dem habe auch der Kollege von Schulte zugestimmt. Die Gründe für die Nichtaufnahme der von ihm beantragten Ehehindernisse in den Gesetzentwurf seien ihm, Windthorst, dagegen nicht verständlich geworden. Er erkenne an, dass es besondere Fälle geben könne, in denen eine Dispensation einzutreten habe, daher habe er deren Zulässigkeit auch ausdrücklich in seinen Antrag aufgenommen. Da die in Rede stehenden Ehehindernisse nur für den zivilrechtlichen Bereich aufgehoben würden, im kirchlichen Bereich jedoch nach Maßgabe des jeweiligen Kirchenrechts vollständig bestehen blieben und es sich von selbst verstehe, dass etwa katholische Eheleute, die nach den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen eine Ehe eingehen könnten, dies kirchlich nicht könnten, solange sie nicht die von der Kirche aufgestellten Ehehindernisse beseitigt hätten, brauche er von seinem Standpunkt aus vielleicht kein so großes Gewicht auf einen Änderungsantrag wie den von ihm gestellten zu legen. Es sei jedoch nicht zu verkennen, dass die Zahl der Konflikte zwischen der Auffassung der Kirche und derjenigen des Staates in erheblicher Weise wachsen werde, wenn die staatliche Gesetzgebung die von ihm beantragten Ehehindernisse beseitige und entsprechende Ehen ohne weiteres zulasse. Selbst die eifrigsten Anhänger der Zivilehe dürften aber möglichst wenige solcher Konflikte haben wollen. Wenn aber aus allgemeinen oder natürlichen Gründen die von ihm beantragten Ehehindernisse berücksichtigt werden sollten, dann sollten sie auch bei der Zivilehe Berücksichtigung finden.162 Letzter Redner in der Diskussion über § 32 des Gesetzentwurfes war Joseph Völk, der sich in seinem Redebeitrag bezüglich des im Gesetzentwurf nicht vorgesehenen Verbotes der Ehe zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe sowie zwischen Geschwisterkindern über die katholische Kirche in ähnlich abfälliger Weise äußerte, wie es bereits Johann Friedrich von Schulte getan hatte. Was diese Eheverbote angehe, so finde er 160 161 162

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1039 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1040. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1040 f.

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darin nur eine kanonisch-rechtliche Reminiszenz. Geschwisterkindern werde für die Eheschließung von der katholischen Kirche beinahe regelmäßig der Dispens erteilt. Was der Dispens von diesem Ehehindernis koste, das wüssten diejenigen Cousins und Cousinen ganz genau, die da hätten durchgehen müssen. Er sei der Ansicht, dass man gar keinen Grund habe, auf diese Eheverbote zurückzugreifen, wenn man ohnehin wie der Papst regelmäßig dispensiere, ohne dafür besondere Gründe anzuführen. Daher bitte er darum, diese kanonische Reminiszenz zu streichen. „Große Heiterkeit“ verzeichnete das Protokoll anlässlich Völks Bemerkung, dass Eheschließungen zwischen Geschwisterkindern vielleicht in einigen Fällen zur Degeneration der Familien stark beitrügen, es aber auch andere Beispiele gebe, die wenigstens von sich glaubten, nicht degeneriert zu sein, und er könne in seiner Person den Abgeordneten das Produkt einer Ehe zwischen Geschwisterkindern vorstellen. Wenn solche Produkte nicht schlechter würden als er, gebe es auch keinen Grund, lediglich die Dispensation von einem Ehehindernis zuzulassen.163 § 32 des Gesetzentwurfes wurde schließlich ohne Änderung von der Mehrheit der Abgeordneten angenommen164, ebenso die §§ 35165, 38 und 39.166 Bezüglich dieser Bestimmungen hatte Ludwig Windthorst zwar erklärt, sie hätten hier und da Zweifel geweckt, ob damit in das kirchliche Gebiet eingegriffen werden solle. Er sei jedoch der Ansicht, dass ein spezieller Eingriff nicht in Frage stehe. Das Gesetz solle überhaupt nur auf dem bürgerlichen Gebiet und für die Zivilehe zur Anwendung kommen. Das kirchliche Eherecht aller Konfessionen bleibe aufrechterhalten und sämtliche kirchenrechtlichen Ehehindernisse nach wie vor kirchlich gültig. Es sei daher nicht notwendig, einen Antrag auf Bestimmungen zu stellen, die sichern würden, was sich von selbst verstehe.167 Offenbar wollte Windthorst für seine zweifelnden Kollegen eine Klarstellung erreichen, dass in Zukunft nicht von staatlichen Stellen Dispens etwa für das kirchenrechtliche Verbot der Ehe zwischen Onkel und Nichte, Tante 163

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1041 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1042. 165 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1043. Die Vorschrift des Gesetzentwurfes lautete: „§ 35. Hinsichtlich der rechtlichen Folgen einer gegen die Bestimmungen der §§. 27. bis 34. geschlossenen Ehe sind die Vorschriften des Landesrechts maßgebend. Dasselbe gilt von dem Einflusse des Zwangs, Irrthums und Betrugs auf die Gültigkeit der Ehe.“ 166 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1046. Die Vorschriften des Gesetzentwurfes lauteten: „§ 38. Alle Vorschriften, welche das Recht zur Eheschließung weiter beschränken, als es durch dieses Gesetz geschieht, werden aufgehoben. § 39. Die Befugniß zur Dispensation von Ehehindernissen steht nur dem Staate zu. Ueber die Ausübung dieser Befugniß haben die Landesregierungen zu bestimmen.“ 167 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1045 u. 1046. 164

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und Neffe oder zwischen Geschwisterkindern erteilt werden könne. Daraufhin erklärte der Bundesratskommissar Adolf Stölzel, dass es sich um ein Staatsgesetz handele und es als solches andere Verbote als die in ihm enthaltenen nicht anerkenne. Die Frage der kirchlichen Verbote sei von ihm überhaupt nicht berührt.168 Nachdem sich auch Joseph Völk im selben Sinne kurz zur Wort gemeldet hatte – wobei er sich allerdings auf die kirchlichen Eheverbote der Weihe und des Ordensgelübdes bezog –, erklärte Windthorst noch einmal, dass er alle bisherigen kirchlichen Ehehindernisse auch nach Erlass des Gesetzes als kirchlich fortdauernd ansehe und dass die Kirche sie mit den ihr zustehenden Mitteln geltend machen könne, auch wenn sie bedauerlicherweise nach Annahme des Gesetzes dabei keine Hilfe des Staates mehr erwarten könne. Ihm sei es nur darauf angekommen zu konstatieren, wie man das Gesetz aufzufassen habe.169 Als die zweite Beratung des Gesetzentwurfes am 16. Januar 1875 mit der Diskussion über dessen § 40170 fortgesetzt wurde, kritisierte der erste Redner, der Zentrumsabgeordnete Anton Westermayer, dass der Staat nicht die mindeste Notiz von den Dogmen und Gesetzen der Kirche nehme, sondern sie übertrete und dabei helfe, sie zu übertreten, sobald nur ein Katholik gewissenlos genug sei, sich von der Kirche weg an ihn zu wenden. Wer beispielsweise keine Dispensation von einem Ehehindernis erhalten könne und gewissenlos genug sei, gehe zur staatlichen Behörde. Diese kümmere, da sie konfessionslos sei, das kirchlich Ehehindernis nicht, wenn sich der Eheschließungswillige über sein Gewissen als Katholik hinwegsetzen könne.171 Nach den Ausführungen Moufangs und dem Änderungsantrag Windthorsts vom Vortag dürfte Westermayer bei dieser Äußerung wohl vor allem die nicht in den Gesetzentwurf aufgenommenen Verbote der Eheschließung zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe sowie zwischen Cousin und Cousine im Sinn gehabt haben. Von den sich an der Abstimmung über § 40 beteiligenden Abgeordneten stimmten schließlich 184 für und 91 gegen den Paragraphen.172 Ohne Diskussion angenommen wurde § 47.173 Am 18. Januar 1875 nahm der Reichstag § 68 des Gesetzentwurfes nach kurzer Diskussion an, nachdem der Bevollmächtigte zum Bundesrat für das König168

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1045. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1045 f. 170 „§ 40. Innerhalb des Gebietes des Deutschen Reichs kann eine Ehe rechtsgültig nur vor dem Standesbeamten geschlossen werden.“ 171 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1050. 172 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1057. 173 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1061. Der Paragraph lautete im Gesetzentwurf: „§ 47. Kommen Ehehindernisse zur Kenntniß des Standesbeamten, so hat er die Eheschließung abzulehnen.“ 169

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reich Preußen, der Unterstaatssekretär im preußischen Justizministerium Heinrich Friedberg, erklärt hatte, dass es sich bei dem Wortlaut des dem Reichstag vorliegenden Gesetzentwurfes um einen Druck- beziehungsweise einen Schreibfehler handele, und der Präsident des Reichstages unwidersprochen konstatiert hatte, dass die zur Abstimmung vorliegende Vorschrift „Ein Standesbeamter, welcher unter Außerachtlassung der in diesem Gesetze gegebenen Vorschriften eine Eheschließung vollzieht, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft“ laute.174 § 75 des Gesetzentwurfes, wonach in streitigen Ehe- und Verlöbnissachen die bürgerlichen Gerichte ausschließlich zuständig sein und eine geistliche oder durch die Zugehörigkeit zu einem Glaubensbekenntnis bedingte Gerichtsbarkeit nicht stattfinden sollte, wurde angenommen, nachdem Windthorst sich von Friedberg hatte bestätigen lassen, dass die Vorschrift nur für das bürgerliche Gebiet Bedeutung habe und für dasjenige der Kirche deren Jurisdiktion unberührt lasse.175 Auch bei dieser Nachfrage hatte Windthorst wohl unter anderem an kirchenrechtliche Eheverbote wegen Verwandtschaft gedacht, die in ihrem Umfang über die Bestimmungen des Gesetzentwurfes hinausgingen. Die dritte Beratung des Gesetzentwurfes nahm der Reichstag am 23. Januar 1875 vor.176 In der Generaldiskussion zu Beginn lieferten sich der Zentrumsabgeordnete August Reichensperger und Joseph Völk einen verbalen Schlagabtausch über den im Gesetzentwurf vorgesehenen Umfang der Eheverbote wegen Verwandtschaft. Zunächst ging Reichensperger noch einmal sehr knapp auf diese ein, als er sich gegen die obligatorische Zivilehe aussprach. Die Befürworter der Zivilehe hätten darauf hingewiesen, dass man sich wie in denjenigen Ländern, in welchen sie bereits eingeführt sei, nämlich Frankreich, Belgien, Italien und dem Rheinland, auch im Deutschen Reich mit dieser abfinden würde, wenn sich aktuelle Missverständnisse erst einmal gelegt hätten. Allerdings gingen die Eheverbote wegen Verwandtschaft in der französischen Gesetzgebung, ob mit oder ohne Möglichkeit der Dispenserteilung, viel weiter als der vorliegende Entwurf. Wiederum „große Heiterkeit“ verzeichnet das Reichstagsprotokoll hinsichtlich der Äußerung Reichenspergers, Völk habe zwar Bedenken gegen die entsprechenden Bestimmungen des Entwurfes dadurch niederschlagen zu können geglaubt, dass er sich als Produkt einer Ehe zwischen Geschwisterkindern vorgestellt habe, jedoch mache erstens eine Schwalbe noch keinen Sommer und Völk sei auch nicht gerade in jeder Beziehung sein Ideal.177 Völk erwiderte darauf, dass es seines Wissens im Reichstag noch weitere Exemplare wie ihn gebe, die nach seiner Anschauung ganz gut geraten seien. Zudem gab er die Einschätzung ab, dass die 174

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1081. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1083 f. 176 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1216 ff.; die Zusammenstellung des Gesetzentwurfes mit den in zweiter Beratung im Reichstag gefassten Beschlüssen findet sich als Anlage Nr. 197 in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1222 ff. 177 Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1220 f. 175

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guten Sitten durch den Gesetzentwurf nicht beeinträchtigt würden, forderte dazu auf, das religiöse Moment vom Zwang abzulösen, und stellte die Frage, was es denn helfe, auf jemanden dadurch Zwang auszuüben, dass er sonst eine Ehe nicht mit derjenigen Person schließen könne, mit der er vereint sein Leben verbringen wolle. Zwang sei etwas Verderbliches und wahre Religiosität müsse aus dem Herzen des Menschen quellen, wenn sie befruchtend für das Leben sein solle. Wenn die katholische und die protestantische Kirche nicht im Stande gewesen seien, ihre Angehörigen so zu erziehen, dass sie freiwillig und nicht gezwungenermaßen ihr religiöses Bedürfnis befriedigen wollten, dann hätten beide Kirchen die ihnen gestellte Aufgabe sehr schlecht erfüllt und es wäre wohl an der Zeit, nach etwas Besserem zu suchen.178 In einer persönlichen Bemerkung kurz darauf stellte Reichensperger seinerseits klar, dass die Pointe seiner Äußerung keineswegs gegen Völk gegangen sei, wie dieser es wohl aufgefasst habe, sondern dahin, dass der vorliegende Gesetzentwurf im Gegensatz zum französischen Recht solche Ehen erlaube. Das habe er diesem zum Vorwurf gemacht.179 Hitzig wurde die dritte Beratung noch einmal in der Diskussion über § 32 des Gesetzentwurfes. Anton Westermayer monierte „teils unbillige, teils gehässige Urteile“ über die römischen Dispenstaxen während der Debatte über die Vorschrift in der zweiten Beratung. Unter Zitierung von dessen Lehrbuch über das Kirchenrecht warf er Johann Friedrich von Schulte vor, dieser habe früher in den Dispenstaxen nichts Anstößiges gefunden. Erst seitdem sich seine Stellung zu Rom geändert habe, komme bei ihm die unbillige Beurteilung des Taxwesens vor, und daraus seien seine zwar nicht gehässigen, aber harten Urteile in der zweiten Beratung entstanden. Zu der Äußerung Joseph Völks, zwischen Geschwisterkindern werde in der Kirche beinahe regelmäßig dispensiert, und was der Dispens koste, wüssten diejenigen Cousins und Cousinen ganz genau, die da hätten durchgehen müssen, erklärte Westermayer, natürlich würden die Eheschließungswilligen die Kosten genau kennen, weil man sie ihnen sage. Wenn sie arm seien und die Armut konstatiert sei, werde ihnen auch gesagt, dass die Taxen gewiss ermäßigt würden. Es sei also nicht einzusehen, warum ein so gehässiges Urteil gefällt werde. Auch die Behauptung, die schwerwiegendsten Gründe für die Dispenserteilung seien die „klingenden“, sei eine sehr gehässige, unwahre und ganz ungerechtfertigte Beschuldigung, solange Völk dafür keine Beweise beibringe. Es lasse sich daraus erkennen, dass er sofort von Hass erfüllt werde, sobald von „Rom“ die Rede sei.180 In seiner Erwiderung erklärte von Schulte, er habe nicht gegen Dispense als solche gesprochen, sondern ausgeführt, dass kein Motiv für das Beibehalten von dispensablen Ehehindernissen bestehe, wenn man ohnehin regelmäßig den Dispens erteile, sobald irgendein Grund vorliege. Zu der Zitierung seines Lehr-

178 179 180

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1224. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1225. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1243 f.

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buches über das Eherecht bemerkte er, dieses sei im Jahre 1854 erschienen und aufgrund seiner seither gemachten Erfahrungen, vor allem als Richter, werde ihm jeder zugestehen, dass sich seine juristischen Anschauungen völlig ändern könnten. Im Übrigen habe er in seinem Buch auch geschrieben, dass der Weg eines konfessionellen Eherechts auf Dauer nicht einzuhalten sein und daher nur der Weg der reinen Zivilehe übrig bleiben werde.181 Völk bemerkte zu der Kritik Westermayers, dieser habe selbst zugeben müssen, dass die Tatsachen, die er angeführt habe, richtig seien. Er könne nichts dafür, wenn in solchen Tatsachen etwas Gehässiges liege, was er nicht glaube. Ob die Geschichte beweise, dass in Rom die „klingenden“ Gründe zögen oder nicht, müsse er den Abgeordnetenkollegen überlassen.182 Daraufhin entgegnete Westermayer wiederum, er habe Völk nicht wegen von ihm vorgebrachter Tatsachen kritisiert. Die Behauptung, die „klingenden“ Gründe seien die in Rom am stärksten wiegenden, sei einfach eine Unwahrheit.183 Im Anschluss wurde § 32 des Gesetzentwurfes mehrheitlich angenommen.184 Ohne Diskussion zur Annahme gelangten die §§ 33 bis 39 und 40 bis 50185 sowie die §§ 68 bis 75.186 Über den gesamten Entwurf nach den Beschlüssen in dritter Beratung187 stimmte der Reichstag endgültig am 25. Januar 1875 ab.188 An der namentlichen Abstimmung beteiligten sich insgesamt 279 Abgeordnete. 207 stimmten für das Gesetz, 72 dagegen, zwei enthielten sich.189 5. Die Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf und das Inkrafttreten des RPStG Dem Bundesrat legte dessen Vorsitzender in der Sitzung am 31. Januar 1875 neben anderen ein Schreiben des Präsidenten des Reichstages vor, in dem dieser die Annahme des Gesetzentwurfes durch den Reichstag mitteilte, woraufhin der Bundesrat beschloss, die Vorlage nicht einem Ausschuss zu überweisen, sondern über die Annahme des Gesetzentwurfes in einer der nächsten Sitzungen abzustimmen.190 Bereits in der nächsten Sitzung, am 4. Februar 1875, beschloss der Bundesrat, dem Gesetzentwurf in der vom Reichstag angenommenen Fassung die Zustimmung zu erteilen. Gegen die Annahme votierten die Bevollmächtigten des Königreichs Sachsen, der Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin, Meck181 182 183 184 185 186 187 188 189 190

Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1244. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1244. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1244. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1244 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1245. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1252. Anlage Nr. 220, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1278 ff. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1261 ff. Reichstagsverhandlungen, Bd. 35, S. 1264. Bundesratsprotokolle 1875, §§ 45 und 50, (S. 50 f.).

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lenburg-Strelitz und Oldenburg, des Herzogtums Braunschweig sowie der Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer Linie, Schaumburg-Lippe und Lippe.191 Das Gesetz wurde am 6. Februar durch Kaiser Wilhelm I. unterschriftlich vollzogen und am 9. Februar im Reichsgesetzblatt veröffentlicht. Gemäß seinem § 79 trat es am 1. Januar 1876 in Kraft.

III. Die fortgeltenden landesrechtlichen Bestimmungen über die rechtlichen Folgen von Verstößen gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nach dem RPStG Zwar blieben hinsichtlich der rechtlichen Folgen von Verstößen gegen die im RPStG festgelegten Eheverbote gemäß seinem § 36 Abs. 1 die landesrechtlichen Vorschriften maßgebend. Unterschiede ergaben sich jedoch nur hinsichtlich des Eheverbotes wegen Adoptivverwandtschaft.192 Sowohl das katholische, als auch das protestantische Gemeine Recht behandelten leibliche und Adoptivverwandtschaft sowie Schwägerschaft als trennende Ehehindernisse.193 Während in der damals zum Königreich Bayern gehörenden Pfalz nach wie vor französisches Recht galt, bestimmte für die rechtsrheinischen bayerischen Gebiete das „Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt“ vom 16. April 1868194 in seinem Art. 33 Abs.1, dass die Verehelichung nur erfolgen dürfe aufgrund eines von der zuständigen Behörde ausgestellten Zeugnisses, dass gegen die beabsichtigte Eheschließung kein im gegenwärtigen Gesetze begründetes Hindernis bestehe. Gemäß Abs. 2 war eine im Widerspruch mit dieser Bestimmung eingegangene Ehe solange bürgerlich ungültig, wie die Ausstellung des Zeugnisses nicht nachträglich erwirkt wurde. Zuständig zur Ausstellung des Zeugnisses war gemäß Abs. 3 die Distriktsverwaltungsbehörde derjenigen Gemeinde, in der der Mann seine Heimat hatte. Nach württembergischen Recht war eine unter Verstoß gegen § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG geschlossene Ehe nichtig, was nach § 586 der Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 sowohl die Ehegatten, als auch die Staatsanwaltschaft im Wege der Nichtigkeitsklage geltend machen konnten. In den Fällen der sogenannten „adoptio minus plena“, wenn also der Angenommene nicht vollständig in die Familie des Annehmenden aufgenommen, sondern die Beziehungen zu seiner ursprünglichen Familie lediglich teilweise überlagert wurden, aber aufrechterhalten blieben, war Adoptivverwandt191

Bundesratsprotokolle 1875, § 90, (S. 73). Zusammenfassend zu den im Deutschen Reich geltenden Bestimmungen siehe Hinschius (3. Aufl.), § 36 Fn. 29 (S. 128 f.). 193 Schulte, S. 168 f., 176, 185; Scheurl, S. 201. 194 Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern 1866–1869, Nr. 25, Sp. 357 ff.; Roth, Bayrisches Civilrecht Bd. 1, S. 283 ff.; zu den Voraussetzungen einer gültigen Eheschließung vor Erlass des RPStG dort S. 285 ff. Zur bayerischen Rechtslage siehe Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1055 ff. 192

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schaft allerdings lediglich ein aufschiebendes Ehehindernis, eine dennoch geschlossene Ehe war gültig.195 Das nassauische Recht behandelte Verwandtschaft und Schwägerschaft in dem in § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG festgelegten Umfang als trennende Ehehindernisse.196 Nach kurhessischem Recht waren Verwandtschaft und Schwägerschaft in denjenigen Graden, in denen Dispensation vom entsprechenden Eheverbot nicht zulässig war, trennende Ehehindernisse und hatten die Nichtigkeit dennoch geschlossener Ehen zur Folge.197 Wegen der fehlenden Dispensationsmöglichkeit betraf dies sämtliche Verbote gemäß § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG. In der preußischen Provinz Hannover betrachtete das dort geltende katholische Gemeine Recht leibliche Verwandtschaft, Schwägerschaft und Adoptivverwandtschaft als trennende Ehehindernisse und sah als Rechtsfolge die Nichtigkeit vor, ebenso das protestantische Gemeine Recht, sofern es diese Verbote überhaupt anerkannte. Wenn sie die Nichtigkeit als Rechtsfolge nicht ausdrücklich ablehnten, waren wohl auch die dortigen Partikularrechte entsprechend zu interpretieren.198 Auch nach schleswig-holsteinischem Recht bewirkten Verwandtschaft und Schwägerschaft in den verbotenen Graden als trennende oder vernichtende Ehehindernisse die Nichtigkeit dennoch geschlossener Ehen.199 Eine Bestimmung über die Adoptivverwandtschaft als Ehehindernis hatte dort seit jeher gefehlt beziehungsweise war nicht nachweisbar und deswegen kam, der Ablehnung des Verbotes durch die protestantische Theologie entsprechend, die Anerkennung eines entsprechenden Verbotes auch nicht in Betracht.200 Erst das RPStG legte es für Schleswig-Holstein unzweifelhaft fest.201 Wegen der vorher nicht nachweisbaren Anerkennung wurde Adoptivverwandtschaft aber nur als ein aufschiebendes Ehehindernis angesehen, das die dennoch geschlossene Ehe in ihrer Wirksamkeit nicht beeinträchtigte.202 Im preußischen ALR fanden sich die Bestimmungen zu den Rechtsfolgen von Eheverboten geltenden Bestimmungen nach wie vor in Teil II Titel 1.203 Sie entsprachen den Regelungen von 1794 wörtlich, lediglich die Nummerierung hatte sich geändert. Wann Ehen nichtig beziehungsweise ungültig waren, war nunmehr in den §§ 933 und 934 festgelegt. Die Nichtigkeit von Ehen, die innerhalb der gesetzlich verbotenen Grade geschlossen worden waren, legte § 935 fest. Dass der Richter nicht befugt war, die Fortsetzung nichtiger Ehen zu dulden, sondern bei Kenntniserlangung die Ver-

195 Lang, S. 267 ff., 450; zur Zivilprozessordnung siehe RGBl. 1877, S. 83 ff.; zur „adoptio minus plena“ siehe Kaser/Knütel/Lohsse, § 60 Rn. 34 f. 196 Bertram, S. 72 f. 197 Roth/Meibom, Bd. 1, S. 350 ff. 198 Bartels, S. 158 f., 287. 199 Falck, Bd. 4, S. 349 f.; siehe auch Esmarch, S. 22 ff., 79 f. 200 Falck, Bd. 4, S. 344 f. 201 Hinschius (3. Aufl.), § 33 Fn. 18 (S. 117). 202 Hinschius (3. Aufl.), § 36 Fn. 29 (S. 129). 203 Zum Gesetzestext siehe Landé, Preußisches Landrecht.

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bundenen von Amts wegen trennen und einen fiskalischen Bedienten anweisen musste, auf die förmliche Nichtigkeitserklärung anzutragen, bestimmten die §§ 950 und 951. Unter dem genannten Antrag war die Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß § 586 der Zivilprozessordnung zu verstehen.204 Die Ungültigkeit von Ehen mit einer an Kindes statt angenommenen Person ohne vorherige Aufhebung der Adoption war in § 969 vorgesehen. Dass ungültige Ehen nur auf das Anrufen desjenigen, der nach den Gesetzen das Ehehindernis zu rügen berechtigt war, als nichtig aufgehoben werden konnten, bestimmte § 973. Dass bei einer Eheschließung mit einem minderjährigen angenommenen Kind diesem ein Kurator zu bestellen und sodann wie bei der gesetzwidrigen Heirat eines Vormundes mit seiner Pflegebefohlenen zu verfahren sei, war in § 985 festgelegt. Dass bei Volljährigkeit der an Kindes statt angenommenen Person diese die Ungültigkeit der Ehe nur innerhalb von sechs Monaten nach deren Vollziehung rügen konnte, sah § 986 vor. § 987 bestimmte, dass der Mann in allen Fällen, in denen eine solche Ehe für nichtig erklärt wurde, alle aus der Annahme an Kindes statt über die Person und das Vermögen der Adoptierten entstandenen Rechte verlor. Dagegen legte § 988 fest, dass der Adoptierten die ihr auf das Vermögen des angenommenen Vaters sowohl unter Lebendigen, als auch von Todeswegen zukommenden Ansprüche vorbehalten blieben. Nach § 989 wurden alle aus der Annahme an Kindes statt wechselseitig entstandenen Rechte und Verbindlichkeiten für erloschen angesehen, wenn die Ehe in der Folge gültig wurde. Die vorher in den §§ 1008 bis 1013 vorgesehenen Strafbestimmungen für die wissentliche Übertretung von Ehegesetzen waren bereits durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch aufgehoben worden.205 Nach französischem Recht waren trennende Ehehindernisse nur solche, für deren Nichtbeachtung das Gesetz ausdrücklich die Rechtsfolge der Nichtigkeit vorsah.206 Eine entgegen einem trennenden Ehehindernis geschlossene Ehe war allerdings nicht von Rechtswegen nichtig, sondern konnte nur im Wege der Nichtigkeitsklage durch richterliches Urteil für nichtig erklärt werden. Dies hatte zur Folge, dass die Ehe rechtlich als niemals bestehend angesehen wurde.207 Der Code Civil enthielt in seinen Art. 180 ff. die Bestimmungen über die Klagen auf Nichtigkeit beziehungsweise Ungültigkeit von Ehen.208 Nach Art. 184 konnten bei Verstoß gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft die Ehegatten selbst, jeder, der diesbezüg-

204

Landé, Preußisches Landrecht, S. 335, dort Fn. 2. Landé, Preußisches Landrecht, S. 337, dort Fn. 1. 206 Zachariä von Lingenthal/Crome, Bd. 3, S. 31. 207 Zachariä von Lingenthal/Crome, Bd. 3, S. 41. 208 Zum Gesetzestext siehe „Der Code civil französisch und deutsch“. Für die Übersetzung verantwortlich war der Bonner Rechtshistoriker Hugo Loersch. Die Begrifflichkeiten lassen sich nicht näher präzisieren: Die Überschrift über den Regelungen lautet im französischen Original „Des demandes en nullité de mariage“. Das Wort „nullité“ kann im Deutschen sowohl Nichtigkeit, als auch Ungültigkeit bedeuten. 205

A. „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung‘‘ 95

lich ein Interesse hatte, sowie die Staatsanwaltschaft209 die geschlossene Ehe angreifen. Keine Bestimmung über Rechtsfolgen enthielt dagegen Art. 348, der die Ehe zwischen Adoptivverwandten verbot. Die Rechtsnatur dieses Eheverbotes war daher umstritten. Während Adoptivverwandtschaft im früheren Schrifttum analog zur leiblichen Verwandtschaft teilweise als trennendes Ehehindernis angesehen worden war, verwies die im späten 19. Jahrhundert wohl herrschende Auffassung darauf, dass der Code Civil aus diesem Grund niemandem die Nichtigkeitsklage gewährte, und betrachtete Adoptivverwandtschaft als ein aufschiebendes Ehehindernis.210 Das „Ehegesetze für das Herzogthum Gotha“, das mit Patent vom 15. August 1834 verkündet worden war211, bestimmte in seinem § 23 Satz 1, dass Ehen, die entgegen solchen Verboten geschlossen worden waren, wie sie nunmehr in § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG zusammengefasst waren, „von der stattgehabten Vollziehung an als null und nichtig anzusehen und von dem Justiz-Collegium nach vorgängiger Untersuchung selbst von richterlichem Amtswegen zu trennen“ seien. Im Herzogtum Sachsen-Altenburg erklärte die Ehe-Ordnung vom 13. Mai 1837212 in ihrem § 6 Ehen zwischen in gerader Linie auf- und absteigenden Verwandten, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern und zwischen Stiefeltern und -kindern sowie Schwiegereltern und -kindern für nichtig und von Amtswegen zu trennen. Nach § 35 musste die Annahme an Kindes statt aufgehoben werden, wenn ein Adoptivkind seinen Adoptivvater oder seine Adoptivmutter heiraten wollte.213 Für das Fürstentum Reuß älterer Linie legte das „Gesetz vom 3. Mai 1879, Bestimmungen zur Ausführung der Reichscivilprozeßordnung und des dazu bestehenden Einführungs-Gesetzes betr.“ 214 die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Eheverbote des RPStG wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft fest. Die Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 regelte in ihrem sechsten Buch die Ehe- und Entmündigungssachen und in dessen erstem Abschnitt das Verfahren in Ehesachen. In ihrem § 592 definierte sie die Nichtigkeitsklage im Sinne dieses Abschnitts als „Klage auf Anfechtung einer Ehe aus einem Grunde, 209 Loersch übersetzt den vom Gesetz verwendeten Begriff „ministère public“ wörtlich mit „öffentliches Ministerium“. 210 Zachariä von Lingenthal/Crome, Bd. 3, S. 64; zum Meinungsstreit dort Fn. 2 (m.w. N.). 211 Gesetzsammlung für das Herzogthum Gotha, Zweiter Theil, Nr. 112 (S. 593 ff.). 212 Gesetz-Sammlung für das Herzogthum Altenburg 1837, S. 81 ff. 213 Der Charakter des Ehehindernisses der Adoptivverwandtschaft gemäß der altenburgischen Ehe-Ordnung war entweder nicht vollkommen geklärt oder hat im Laufe der Jahre variiert. Nach Hinschius (2. Aufl.), § 36 Fn. 14 (S. 126) soll es sich wie im preußischen Recht um ein trennendes, von den Beteiligten geltend zu machendes Ehehindernis handeln. Dagegen heißt es bei Hinschius (3. Aufl.), § 36 Fn. 29 (S. 129), das Ehehindernis gelte wie im französischen Recht als aufschiebendes Eheverbot, das die Wirkung der geschlossenen Ehe nicht berühre. Da die Ehe-Ordnung selber keine Regelungen für den Fall vorsah, dass das Adoptionsverhältnis vor der Eheschließung nicht gelöst wurde, liegt Letzteres nahe. 214 Gesetzsammlung für das Fürstenthum Reuß Aelterer Linie 1879, S. 93 ff.

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welcher auch von Amtswegen geltend gemacht werden kann“. Das Reußsche Gesetz bestimmte in seinem § 14, dass diese Ehenichtigkeitsklage in den Fällen stattfinde, in denen eine Ehe entgegen den Verboten des § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG eingegangen worden war. Im Allgemeinen war die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen zur Erhebung der Klage berechtigt und verpflichtet. § 15 räumte auch den in einer solchen verbotenen Ehe lebenden Ehegatten das Recht ein, durch die Klage die Erklärung der Nichtigkeit zu ersuchen. § 16 schloss die Nichtigkeitsklage in den Fällen von Verstößen gegen § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG für dritte Personen außer dem Staatsanwalt aus. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft war gemäß § 18 die im Fall dringender Wahrscheinlichkeit des Nichtigkeitsgrundes schon vor der Nichtigkeitserklärung der Ehe zulässige Trennung der Ehegatten durch einstweilige Verfügung anzuordnen. Das Königreich Sachsen und das Großherzogtum Baden erließen anlässlich der Verabschiedung des RPStG Änderungsgesetze zu ihren Kodifikationen. Das sächsische „Gesetz, einige Abänderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und damit in Zusammenhang stehende Bestimmungen enthaltend“ vom 5. November 1875215 bestimmte in seinem § 3, dass Ehen, die entgegen § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG geschlossen wurden, nichtig waren, wenn der Richter sie dafür erklärte. Dieser hatte von Amtswegen einzuschreiten und konnte bei dringender Wahrscheinlichkeit des Nichtigkeitsgrundes bereits vor der Nichtigerklärung die Trennung der Ehegatten verfügen. Diesen wurde auch die Möglichkeit gegeben, das eheliche Zusammenleben einzustellen, nachdem sie Kenntnis von dem Ehehindernis erlangt hatten. Das badische „Gesetz zum Vollzuge der Einführung des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 9. Dezember 1875 216 legte in § 1 Nr. 2 fest, dass mit Einführung des RPStG unter anderen die Sätze 161 bis 164 b des dem Code Civil nachempfundenen Badischen Landrechts, in denen bisher die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft geregelt waren, außer Wirksamkeit traten. Satz 184, der die Befugnis zur Anfechtung einer entgegen diesen Verboten geschlossenen Ehe regelte, wurde durch § 2 c umformuliert und verwies nunmehr unter anderem auf § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG. Eine den Verboten entgegenstehende Ehe konnte von den Ehegatten selbst, von jedem, der dabei beteiligt war sowie von dem Staatsanwalt angefochten werden. Verschollene, jedoch nicht geschiedene Ehegatten waren von dieser Befugnis allerdings ausgenommen.

IV. Würdigung Von den Kulturkampfgesetzen überdauerte die Einführung der obligatorischen Zivilehe durch das RPStG die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche als

215 216

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1875, S. 349 ff. Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogthum Baden 1875, S. 355 ff.

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einzige.217 Dezidiert negativ hat es der Rechtshistoriker Hermann Conrad kritisiert und der Zivilehegesetzgebung der Kulturkampfzeit „geistige und politische Mängel“ attestiert. Das begründete staatliche Interesse an einer auch die Eheschließung bestreffenden umfassenden bürgerlichen Standesregisterführung sei von antikirchlichen Tendenzen zu stark überlagert worden. Sachliche Versuche, zu einem Ausgleich staatlicher und kirchlicher Interessen zu gelangen, seien dadurch zum Scheitern verurteilt gewesen. Schließlich hafte der ganzen gesetzgeberischen Bewegung zur Einführung der obligatorischen Zivilehe der „Makel des Epigonenhaften“ an. Was die Revolution in Frankreich im Geist der Aufklärung des 18. Jahrhunderts geschaffen habe, habe in Deutschland zum Instrument der Schwächung oder gar Ausschaltung der Kirche, vor allem der katholischen Kirche, im Dienst einer verspäteten Nationalstaatsidee dienen sollen. Die vom Liberalismus ausgehende deutsche Zivilehegesetzgebung habe mit dem Geist der von der Aufklärungsphilosophie Frankreichs getragenen Zivilehegesetzgebung nicht mehr gemein als die äußere Form. Die liberale Forderung nach der Freiheit von kirchlichem Dogma und Zwang hätte ebenso durch Einführung der fakultativen Zivilehe oder eine erweiterte Anwendung der Notzivilehe erreicht werden können, was aus antikirchlichen Tendenzen aber unterblieben sei.218 Dass das RPStG auch gegen die katholische Kirche gerichtet war, ist nicht zu bestreiten. Abgesehen davon, dass Conrad die kirchenfeindlichen revolutionären Exzesse in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts offensichtlich ausblendet, hat seine Kritik mit Blick auf die im neugegründeten, mehrheitlich protestantischen Deutschen Reich gegenüber der katholischen Kirche vorherrschende ablehnende bis feindliche Einstellung, die im Kulturkampf legislatorische Wirkung entfaltete, also einiges für sich. Dass der Kulturkampf, selbstverständlich abgesehen vom Zentrum, im Zuge der Reichsgründung 1871 parteiübergreifend geradezu als unausweichlich angesehen wurde, beschreibt der Historiker Heinrich August Winkler folgendermaßen: „Hinter dem Kulturkampf standen aber nicht nur parteitaktische Überlegungen. Für große Teile des evangelischen Deutschland bedeutete die Reichsgründung unter preußischer Führung den Sieg des Protestantismus über den Katholizismus und damit die politische Vollendung der Reformation. Die kulturelle Hegemonie des Protestantismus sollte die politische Hegemonie Preußens ergänzen und untermauern: Das war die Quintessenz der nationalliberalen und freikonservativen Vorstellungen von der Nationsbildung. Die seit Jahrhunderten bestehende Kulturnation war großdeutsch; sie schloss nach verbreiteter Meinung das gesamte deutsche Sprachgebiet ein. Nachdem sich Österreich seit langem aus Deutschland hinausentwickelt hatte, sollte sich nun aus der größeren deutschen Kulturnation eine kleindeutsche Staatsnation herausentwickeln. Das protestantische Profil, das ihr Nationalliberale und Freikonservative, aber auch viele Anhänger der Fortschrittspartei und der Konservativen geben woll217 218

Gmür/Roth, Rn. 396; Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 248. Conrad, Festschr. f. Lehmann, Bd. 1, S. 113 (129 f.).

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918) ten, war aber von Anfang an mit einer Ausgrenzung verbunden: Die Katholiken mussten, wenn sie als gute Deutsche gelten wollten, glaubwürdig zum Ausdruck bringen, dass ihre Loyalität gegenüber dem deutschen Nationalstaat größer war als die gegenüber der übernationalen römischen Kirche; sie mussten überdies neben dem politischen Vorrang Preußens auch den kulturellen Vorrang des Protestantismus anerkennen. Der Kulturkampf war aus liberaler und protestantischer Sicht also ein notwendiger Teil der Nationsbildung, ja grundlegend für das Nationalbewusstsein der Deutschen im Kaiserreich von 1871.“ 219

Zwar trug auch das Zentrum eine Mitverantwortung für den Ausbruch des Konfliktes zwischen Staat und Kirche, indem es im Februar und März 1871, also unmittelbar nach der Reichsgründung, ein deutsches Engagement zur Wiederherstellung der im Zuge der Einigung Italiens verlorengegangenen weltlichen Herrschaft des Papstes über den Kirchenstaat forderte, was mit hoher Wahrscheinlichkeit Krieg mit Italien bedeutet hätte, sowie eine Aufnahme der in der Verfassung Preußens enthaltenen, die Kirche betreffenden Grundrechte in die Reichsverfassung, lieferte es damit für Diffamierungen durch Staat und Liberalismus doch geradezu eine Steilvorlage.220 Sicher trug auch die oben kurz dargestellte Haltung der Kurie während des Pontifikates Pius’ IX. zur Eskalation bei. Ob nun Staat oder Kirche in ihrer Auseinandersetzung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rolle des „Aggressors“ zukommt, spielt allerdings keine entscheidende Rolle. Auch dies stellt Winkler heraus: „Es ist müßig zu fragen, ob die liberale beziehungsweise weltliche oder die katholische Seite den Konflikt begonnen hat: Der Gegensatz war um 1870 längst ein historischer, die Auseinandersetzungen zwischen beiden ,Lagern‘ nicht vermeidbar, wenn die Liberalen liberal, die Nationalstaaten souverän und die katholische Kirche päpstlich bleiben wollten.“ 221

Dass ein solcher Konflikt sich auch in der Ehegesetzgebung niederschlagen würde, hatte sich bereits angedeutet, als die Frankfurter Nationalversammlung im Zuge der Revolution von 1848 mit der von ihr ausgearbeiteten Reichsverfassung wie dargestellt einen letztlich erfolglosen Versuch zur Einführung der obligatorischen Zivilehe unternahm. Bei der Reichsgründung 1871 war also damit zu rechnen, dass dieses Vorhaben in absehbarer Zeit erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt werden würde. Ebenso absehbar war, dass die Kirche dies als Übergriff auf ein von ihr traditionell beanspruchtes Kompetenzfeld betrachten würde. Auch eine konziliantere und weniger kulturkämpferische Reichsleitung wäre also in dieser Angelegenheit, und damit untrennbar verbunden auch hinsichtlich der Frage, welche Eheverbote noch rechtliche Relevanz besitzen sollten, in einen Konflikt mit der katholischen Kirche geraten, der nach Lage der Dinge

219 220 221

Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 835 f. Kolb, S. 136 f.; Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 223. Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 829.

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nur durch ein staatliches Gesetz hätte gelöst werden können. Vorzuwerfen ist der Regierung unter Reichskanzler Otto von Bismarck und den sie unterstützenden Parteien allerdings die Heftigkeit, mit der sie die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts führten. Auch wenn der Konflikt als solcher unausweichlich gewesen sein mag, hätte es nicht der Härte bedurfte, in der er ausgetragen wurde.222 Die den deutschen Katholiken von staatlicher und liberaler Seite gemachten Vorwürfe nationaler Unzuverlässigkeit und Reichsfeindlichkeit hinterließen ein tiefsitzendes Gefühl der Benachteiligung und Herabsetzung, das auch die Entschärfung beziehungsweise Aufhebung der meisten Kulturkampfgesetze in den achtziger Jahren überdauerte.223 Allerdings eignet sich gerade das RPStG von allen Kulturkampfgesetzen am wenigsten als Ansatzpunkt für berechtigte Kritik am Vorgehen der Reichsleitung und der sie unterstützenden Parteien. Auch in dieser Hinsicht stellt Winkler zurecht fest, dass es mit der Einführung der obligatorischen Zivilehe dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität des modernen Staates entsprach, ein unzeitgemäßes kirchliches Vorrecht beseitigte und damit als einziges Kulturkampfgesetz unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unbedenklich war, während alle übrigen in unterschiedlichem Maß illiberal, repressiv und diskriminierend waren.224 Zusammenfassend ist Conrads Kritik also nur einschränkend zuzustimmen: Eine gewisse antikirchliche Tendenz des Gesetzes ließ sich angesichts der gegenläufigen Positionen von Staat und Kirche nicht vermeiden. Und dem von Conrad gerade im Vergleich zu Frankreich konstatierten „Makel des Epigonenhaften“ ist entgegenzuhalten, dass vor der Reichsgründung 1871 an eine flächendeckende Einführung der obligatorischen Zivilehe und damit an eine Vereinheitlichung der Eheverbote mittels eines einzigen Gesetzes politisch nicht zu denken gewesen war. Hinsichtlich der Bestimmungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft ist Conrads Kritik, das RPStG sei nur der äußeren Form nach von der Aufklärung getragen, gänzlich unberechtigt. Es ist nicht ersichtlich, wie entsprechende Regelungen im Geist der Aufklärung sonst hätten beschaffen sein sollen. Die §§ 33 und 39 bedeuteten für das gesamte Deutsche Reich die Abschaffung traditioneller, aber nicht mehr zeitgemäßer Eheverbote wie desjenigen zwischen Onkel und Nichte sowie Tante und Neffe oder wegen Geschlechtsgemeinschaft und damit eine Reduzierung auf ein für einen liberalen Rechtsstaat angemessenes Maß. Allenfalls die Beibehaltung der Eheverbote für Stiefeltern und Stiefkinder sowie Schwiegereltern und Schwiegerkinder in §§ 33 Nr. 3 erscheint diesbezüglich aus heutiger Sicht zweifelhaft. Die Aufnahme dieser Be-

222

Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 222. Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 838; Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 248. 224 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1, S. 837. 223

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

stimmungen in das RPStG kann man dem damaligen Gesetzgeber aber wohl kaum zum Vorwurf machen: Der Zeitgeist war einfach ein anderer. Diesbezüglich dürfte der Verweis darauf genügen, dass das Eheverbot wegen Schwägerschaft in der Bundesrepublik endgültig erst 1998, also über 120 Jahre später abgeschafft wurde. Indem das RPStG also Recht und Moral in weit größerem Umfang trennte, als dies vorher der Fall gewesen war, stand es ohne Frage in der Tradition der Aufklärung. Die in § 33 Nrn. 1 bis 4 festgelegten Eheverbote waren darüber hinaus übersichtlich gestaltet und ohne weiteres verständlich. In welchen Fällen Eheschließungen untersagt waren, wussten die Normadressaten genau. Damit dürfte das RPStG nicht nur bürgerfreundlich gewesen sein, sondern auch die Rechtsanwendung für die Standesbeamten erleichtert haben. Letzteres war offenbar auch das ausdrückliche Ziel der Bundesstaaten, zumindest hatte Bayern im Justizausschuss des Bundesrates bei der Überarbeitung des vom Reichstag verabschiedeten Gesetzentwurfes vom 2. März 1874 verlangt, dass das Recht der Ehehindernisse auf einfache Prinzipien zurückgeführt werden müsse, damit die Gemeindebeamten in der Lage seien, deren Vorliegen zu beurteilen, und nicht ihrerseits Geistliche konsultieren müssten, da sonst die Ausführung des Gesetzes wieder den Kirchen zufalle.225 Stichhaltiger ist die bereits während des Gesetzgebungsprozesses vorgebrachte Kritik daran, dass es der Landesgesetzgebung überlassen blieb, die rechtlichen Folgen von Verstößen gegen die im Gesetz festgelegten Eheverbote zu regeln. So hatten wie dargestellt die Bevollmächtigten Oldenburgs und Bremens am 5. Januar 1875 im Bundesrat Anträge gestellt, die rechtlichen Folgen ebenfalls im RPStG zu regeln, waren damit jedoch erfolglos geblieben. Demgegenüber ist jedoch die Einschätzung derjenigen Bundesstaaten nachvollziehbar, die wegen der bestehenden Unterschiede in den großen Rechtsgebieten des Deutschen Reiches nicht mehr als eine Regelung der Eheverbote ihrem Umfang nach wollten, wie sie in der Begründung zum Gesetzentwurf vom 6. Januar 1875 zum Ausdruck kommt: Da durch das RPStG keine neuen Eheverbote eingeführt, sondern nur solche zusammengefasst wurden, die nach allen Landesgesetzen auch schon bestanden, hatten sie auch keine Bedenken, es bezüglich der Rechtsfolgen bei den bestehenden landesrechtlichen Regelungen zu belassen.226 Angesichts der dargestellten, mitunter großen Unterschiede in den verschiedenen Rechtsgebieten im Deutschen Reich bezüglich der Behandlung von Verstößen gegen einzelne Eheverbote hätte eine reichseinheitliche Regelung auch über die Rechtsfolgen wohl großen Beratungsbedarf in Reichstag und Bundesrat erfordert und damit das Zustandekommen des Gesetzes wesentlich verzögert. Da sich spätestens mit der Erweiterung der Reichsgesetzgebungskompetenz 1873 eine Kodifikation des gesamten bürgerlichen Rechts abzeichnete, konnte auf eine einheitliche Regelung 225 226

Schubert, ZRG GA 97, S. 43 (82 f.). Reichstagsverhandlungen, Bd. 37, S. 1052.

B. Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896

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über die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Eheverbote im RPStG auch umso leichter verzichtet werden und dies dem künftigen Bürgerlichen Gesetzbuch vorbehalten bleiben. Dies führt abschließend zu der Frage, ob die Regelungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft im RPStG angesichts der bevorstehenden Kodifikation überhaupt notwendig waren, oder ob man eine entsprechende Regelung nicht ebenfalls dem Bürgerlichen Gesetzbuch hätte überlassen können. Es war bereits die Rede davon, dass der Bevollmächtigte Sachsens am 5. Januar 1875 im Bundesrat erklärt hatte, dass der dritte Abschnitt des Gesetzes mit seiner partiellen Regelung des materiellen Eherechts den künftigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgreife und die Einordnung seiner Vorschriften in das im Übrigen unberührt bleibende partikulare Recht der Einzelstaaten erhebliche Schwierigkeiten und neue Notstände herbeizuführen drohe. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich die befürchtete Gefahr erheblicher Schwierigkeiten oder neuer Notstände realisiert hätte, und die mit der Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches befassten Kommissionen und der Gesetzgeber konnten so einerseits an die inhaltlich nicht zu beanstandenden Regelungen des RPStG anknüpfen, was die Arbeit an dem Gesetzbuch sogar erleichtert haben dürfte, andererseits waren sie aber auch nicht an die bisherige Rechtslage gebunden, sondern konnten durchaus auch anderweitige Bestimmungen vorschlagen beziehungsweise erlassen (was im Übrigen auch eintreten sollte, da das BGB das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft aufnahm und damit sogar strenger war als das RPStG). Dass durch das materielle Eheschließungsrecht des RPStG dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorgegriffen wurde, war entgegen der Ansicht des sächsischen Bevollmächtigten im Bundesrat zumindest rückblickend auch insofern von Vorteil, da das BGB erst am 1. Januar 1900 in Kraft trat. Auch wenn dies zu Beginn des Prozesses, der zu seinem Erlass führte, so nicht abzusehen gewesen sein mag, hätte die Nichtaufnahme materiell-rechtlicher Bestimmungen über die Eheschließung in das RPStG bedeutet, es noch für ein Vierteljahrhundert bei der Vielzahl der landesrechtlichen Regelungen zu belassen. Dies wäre ein kaum tragbarer Zustand gewesen. Auch wenn ihre Aufnahme in das Gesetz von den Initiatoren ursprünglich nicht beabsichtigt war, stellen die Bestimmungen des RPStG über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft insgesamt einen inhaltlich gelungenen, wichtigen Beitrag zur Vereinheitlichung des materiellen Eheschließungsrechts in Deutschland dar.

B. Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896 Eine auch die rechtlichen Folgen von Verstößen umfassende Regelung des Eheverbotsrechts für das gesamte Deutsche Reich erfolgte mit dem am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

(BGB).227 Im Gegensatz zum RPStG, bei dessen Zustandekommen der Gesetzgeber große Eile an den Tag gelegt und das ganz im Zeichen des Kulturkampfes gestanden hatte, war der zum Erlass des BGB führende Gesetzgebungsprozess sehr viel langwierigerer und komplexer, was angesichts dessen, dass es um eine Kodifikation des gesamten Zivilrechts und eben nicht nur eines Teilabschnitts wie des Ehe- oder Familienrechts ging, nicht überrascht. Über das RPStG hinausgehend verbot das BGB in seinem § 1310 nicht nur gemäß Abs. 1 die Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern sowie Verschwägerten in gerader Linie, sondern gemäß Abs. 2 auch zwischen Personen, von denen eine mit Vor- oder Nachfahren der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hatte, stellte also das Eheverbot wegen sogenannter „illegitimer Schwägerschaft“ (wieder) auf, das vor Erlass des RPStG noch in einigen deutschen Staaten beziehungsweise Gebieten gegolten hatte.228 Im Sinne dieser Vorschriften bestand nach Abs. 3 Verwandtschaft auch zwischen einem „unehelichen“ Kind sowie dessen Nachfahren und dem Vater sowie dessen Verwandten. § 1327 erklärte eine entgegen dem Verbot aus § 1310 Abs. 1 geschlossene Ehe zwischen Verwandten oder Verschwägerten für nichtig. Gemäß § 1329 Satz 1 konnte die Nichtigkeit nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden, solange die Ehe nicht für nichtig erklärt oder aufgelöst war. Das Verbot der Ehe von Adoptiveltern mit Adoptivkindern sowie deren Nachkommen für die Dauer des Adoptivverhältnisses war in § 1311 geregelt. Wurde eine Ehe entgegen diesem Verbot dennoch geschlossen, war sie aus diesem Grunde zwar weder nichtig, noch anfechtbar, es trat aber nach § 1771 Abs. 1 die Aufhebung des Adoptionsverhältnisses ein. War die Ehe jedoch aus einem anderen Grunde nichtig, so wurde gemäß Abs. 2 die elterliche Gewalt des einen Ehegatten über den anderen mit der Eheschließung verwirkt, es sei denn, die Nichtigkeit beruhte auf einem Formmangel und die Ehe war nicht in das Heiratsregister eingetragen worden. Es erscheint erstaunlich und erklärungsbedürftig, dass das BGB mit der Einführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft, das schon vor der Reichsgründung längst nicht in allen deutschen Territorien gegolten hatte, wieder für eine Rechtsverschärfung sorgte, obwohl dieses Verbot gerade einmal ein Vierteljahrhundert vorher und unter dem energischen Widerspruch des politischen Katholizismus im Rahmen des Kulturkampfes mit dem RPStG für das gesamte Deutsche Reich abgeschafft worden war, der Gesetzgeber also ausgerechnet bei der Umsetzung des nationalen Prestigeobjekts einer Gesamtkodifikation des Zivilrechts gewissermaßen eine Rolle rückwärts machte. Ein Hinweis darauf findet sich in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 227

RGBl. 1896, S. 195. Hinweis zur verwendeten Terminologie: Im Folgenden wird für dieses Eheverbot, dem Gesetzestext entsprechend, die Formulierung „Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft“ verwendet. 228

B. Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896

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1973, in welchem es das zum damaligen Zeitpunkt immer noch beziehungsweise wieder geltende Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärte. Das Gericht stellte unter Verweis auf die von Benno Mugdan herausgegebenen Materialien zum BGB fest, dass das Verbot mit Rücksicht auf kirchliche Anschauungen auf Anregung der Zentrumspartei von der Kommission für die zweite Lesung als aufschiebendes Ehehindernis ohne Befreiungsmöglichkeit in das BGB aufgenommen worden sei.229 So betrachtet liegt es nahe, in der (Wieder-)Einführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft eine Konzession an die von der Regierung unter Otto von Bismarck und vor allem den Nationalliberalen einst heftig bekämpfte Partei des politischen Katholizismus zu sehen, um deren Zustimmung im Reichstag zu erreichen und dadurch das Zustandekommen des BGB abzusichern. Noch während des Kulturkampfes in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wäre selbst ein solch minimaler Kompromiss zwischen Reichsregierung und Zentrumspartei wohl kaum denkbar erschienen. Die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts von 1973 erscheint allerdings insofern plausibel, da das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft einer langen, kirchenrechtlich begründeten Tradition entsprach, seine Aufnahme in das BGB für eine konfessionelle Partei wie das Zentrum somit ein Anliegen gewesen sein dürfte.

I. Von den Richtlinien der Vorkommission für ein bürgerliches Gesetzbuch bis zur Wahl der Ersten Kommission durch den Bundesrat Dass mit der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für das gesamte bürgerliche Recht auf das Reich das Vorhaben einer einheitlichen Kodifikation verbunden war, wurde deutlich, als der Vorsitzende des Bundesrates in dessen Sitzung am 2. April 1873 mitteilte, dass die Ausschüsse für die Verfassung und für das Justizwesen über die einzunehmende Stellung zu dem im Reichstag eingebrachten Gesetzesantrag zur Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches vertraulich beraten hatten. Die in den Ausschüssen vertretenen Regierungen hatten ihre Auffassungen in einer Erklärung zusammengefasst, deren Abgabe bei den Beratungen des Antrags im Reichstag sie sich vorbehielten. Darin hieß es, dass die Regierungen für den Fall einer Zustimmung zu der in Aussicht stehenden Verfassungsänderung beabsichtigten, mit der Publikation der Verfassungsänderung eine Kommission einzusetzen, die den Entwurf eines allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches aufstellen sollte, da sie die Herstellung der Einheit des bürgerlichen Rechts in einem Gesetzbuch als das zu erstrebende Ziel dieser Verfassungsänderung ansähen. Als der Vorsitzende des Bundesrates aus Rücksicht auf dieses beabsichtigte weitere Vorgehen die Zustimmung der Regie229

BVerfGE 36, 146 (149).

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rungen zu der Erklärung erfragte, hielten sich die Bevollmächtigten Mecklenburgs, des Großherzogtums Sachsen, Oldenburgs und Hamburgs mangels Instruktionen das Protokoll offen. Die Bevollmächtigten der übrigen Regierungen stimmten der Erklärung zu.230 Als der Bundesrat schließlich am 12. Dezember 1873 die Zustimmung zu der Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches beschloss, stimmte der substituierte Bevollmächtigte des Großherzogtums Sachsen unter der Voraussetzung zu, dass gleichzeitig die Ausarbeitung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs bezweckt und demnächst in Angriff genommen werde. Dem schloss sich der substituierte Bevollmächtigte Oldenburgs mit dem Wunsch an, dass zu Spezialgesetzen nur im Falle dringender Notwendigkeit gegriffen werde. Dazu erklärte der Vorsitzende, dass der Präsident des Reichskanzleramtes entsprechend der Erklärung des Bundesrates vom 2. April 1873 im Reichstag erklärt habe, dass im Fall der Zustimmung des Bundesrates zu der Verfassungsänderung die Regierungen mit deren Publikation die Einsetzung einer Kommission zur Aufstellung des Entwurfs eines allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs beabsichtigten. Im Hinblick darauf und auf die soeben erteilte Zustimmung des Bundesrates zu der Verfassungsänderung beantragte der Vorsitzende, den Ausschuss für Justizwesen zu ersuchen, über die Einsetzung einer solchen Kommission und über die sonst zur Aufstellung des Entwurfs eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zu treffenden Einleitungen schnellstmöglich Vorschläge zu machen. Das Plenum fasste einen entsprechenden Beschluss.231 Am 8. Februar 1874 beantragte der Ausschuss für Justizwesen, der Bundesrat wolle beschließen, fünf angesehene deutsche Juristen zu berufen, mit der Aufgabe, über Plan und Methode zur Aufstellung des Entwurfs eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs gutachtliche Vorschläge zu machen.232 Mit einer personellen Abweichung hinsichtlich der vom Ausschuss vorgeschlagenen Kommissionsmitglieder beschloss der Bundesrat am 28. Februar 1874 die Zustimmung zu diesem Antrag.233 Wegen eines Krankheitsfalles beschloss der Bundesrat am 19. März 1874 auf Vorschlag seines Vorsitzenden noch einmal eine personelle Änderung.234 Der in die Vorkommission gewählte Levin Goldschmidt, ab 1870 für fünf Jahre Rat am norddeutschen Bundesoberhandelsgericht (beziehungsweise seit 1871 am Reichsoberhandelsgericht) in Leipzig, 1875 auf den für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Handelsrecht der Universität Berlin berufen und von 1875 bis 1877 nationalliberaler Reichstagsabgeordneter für die Stadt Leipzig235, warf

230 231 232 233 234 235

Bundesratsprotokolle 1873, § 159 (S. 104 f.). Bundesratsprotokolle 1873, § 601 (S. 440 f.). Bundesr.-Drucks. Nr. 27/1874. Bundesratsprotokolle 1874, § 130 (S. 90). Bundesratsprotokolle 1874, § 174 (S. 122). Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 69 f.

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in seinem Exposé „Ueber Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines Deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs“ vom 19. März 1874 unter dem Punkt „II. Plan und Umfang“ unter anderem die Fragen auf, ob das zu erarbeitende Gesetzbuch ein prinzipales oder nur ein subsidiäres sein und ob alle Teile des bürgerlichen Rechts darin aufgenommen werden sollten.236 In seinen „Vorschlägen“ für die von der Vorkommission zu fassenden Beschlüsse vom 28. März 1874 regte er unter anderem an, dass das Gesetzbuch das gesamte Familienrecht aufzunehmen habe, einschließlich des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts.237 Entsprechende Empfehlungen fanden sich auch in dem abschließenden, von Goldschmidt als Referenten vorbereiteten und entworfenen238 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, das nebst als Anlage beigefügten „Vorschlägen“ dem Bundesrat einen Tag später vorgelegt wurde.239 Demzufolge sollte das BGB kein bloßes Provisorium sein und die verschiedenen Rechtssysteme innerhalb des Deutschen Reiches (aber auch auswärtige Gesetze) berücksichtigen, ohne dass die zur Ausarbeitung des Gesetzentwurfes zu berufende Kommission dabei jedoch an diese gebunden sein sollte: „Darf auch dem zu schaffenden Gesetzbuch nicht die unerreichbare Aufgabe beständiger Dauer gestellt werden, so gilt es doch keineswegs, nur ein vorläufiges Nothdach über den verschiedenen Rechtssystemen und seit einem Jahrtausend auseinandergehenden Sonder-Rechtsbildungen aufzurichten, vielmehr soll eine feste gemeinschaftliche Grundlage des deutschen bürgerlichen Rechts gewonnen werden, hergestellt in derjenigen Vollkommenheit, welche dem Maße der in der Nation vorhandenen rechtsschöpferischen Kraft entspricht und so vor alsbaldiger Aenderung bewahrt. (. . .) Hiernach untersagt es sich, dem künftigen Gesetzbuch oder einem Haupttheile desselben eines der innerhalb des Deutschen Reichs bestehenden Civil-Gesetzbücher, oder einen der für einen deutschen Einzelstaat oder für den Bereich des ehemaligen Deutschen Bundes ausgearbeiteten Gesetzentwürfe unmittelbar zu Grunde zu legen.240 (. . .) Sonach wird zwar die Gesetzgebungs-Kommission die innerhalb des Reichs bestehenden Gesetzbücher und Einzelgesetze, desgleichen die Entwürfe, insoweit solche als Zeugnisse der Praxis in Betracht kommen, neben der Theorie und Uebung des gemeinen Rechts als Bausteine des deutschen Gesetzbuchs verwerthen; (. . .); sie hat jedoch ihre Aufgabe als eine selbständige, an keine bestimmte Vorlage gebundene zu erfassen und durchzuführen.“ 241

Für eine auch die rechtlichen Folgen von Verstößen umfassende Regelung des Eheverbotsrechts sah auch die Vorkommission die Zeit reif: „Schon im gegenwärtigen Zeitpunkte ist die Ausgleichung der Sinnesweise und der wirthschaftlichen Zustände innerhalb des Deutschen Reichs, soweit solche überall für 236 237 238 239 240 241

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 163 (165). Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 165 (166). Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB. S. 70. Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874; die „Vorschläge“ finden sich auf den S. 14 ff. Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874, S. 4. Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874, S. 5.

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eine gemeinsame Gesetzgebung erforderlich ist, genugsam vorgeschritten, um innerhalb des bezeichneten Rahmens sogar in den mehr geschichtlich gebundenen Rechtszweigen die Assimilirung durchführen zu können. So hat das bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen das gesammte Familienrecht einschließlich des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts, das Vormundschaftsrecht, das Erbrecht, das eheliche Güterrecht, das Immobiliarsachenrecht, das Recht der juristischen Personen, vornehmlich der Korporationen und der Genossenschaften.“ 242

Die beigefügten „Vorschläge“ fassten das Ziel des auszuarbeitenden Gesetzentwurfes folgendermaßen zusammen: „II. Der Entwurf soll, unter Berücksichtigung der geltenden Gesetzbücher und der von den Einzelstaaten sowie im Auftrage des ehemaligen Deutschen Bundes über einzelne Rechtstheile ausgearbeiteten Gesetzentwürfe, das den Gesammtzuständen des Deutschen Reichs entsprechende bürgerliche Recht in einer den Anforderungen der heutigen Wissenschaft gemäßen Form kodifizirend zusammenfassen.“ 243

Auch wenn weder mit Goldschmidts Exposé, noch mit dem Gutachten und den Vorschlägen der Vorkommission bereits Festlegungen über den Inhalt der neu aufzustellenden Regelungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft getroffen worden waren, deuteten sich mit ihnen also bereits die späteren Unterschiede des BGB gegenüber dem, zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht verabschiedeten, RPStG an. Dessen Eheverbote würde das BGB dem Umfang nach nicht einfach nur übernehmen müssen, sondern durchaus auch strengere aufstellen können; es würde auch die Folgen von Verstößen gegen diese Verbote festlegen, damit die gesamte Materie des Eheverbotsrechts der Landesgesetzgebung vollständig entziehen und diesbezüglich eine reichsweite Regelung herbeiführen. Der Bundesrat überwies die Vorschläge der Vorkommission am 19. April 1874 dem Justizausschuss.244 In seinem Bericht vom 9. Juni 1874245 schloss dieser sich der Vorkommission an. Im Ganzen habe er der Kommission nur beipflichten und anerkennen können, dass diese die ihr gestellte Aufgabe gelöst habe. Daher komme es für den Ausschuss nicht darauf an, neue und abweichende Vorschläge zu machen und neben der Arbeit der Kommission eine zweite vorzulegen, sondern es entspreche vielmehr der Sachlage, die Ansichten der Kommission zu resümieren und nochmals in ihrem Zusammenhang darzulegen.246 Entschieden sprach sich der Justizausschuss für eine umfassende Kodifikation und gegen eine Beschränkung auf einzelne Rechtsinstitute oder -materien aus und erwähnte in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich das Eheschließungsrecht:

242 243 244 245 246

Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874, S. 7. Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874, S. 14. Bundesratsprotokolle 1874, § 213 (S. 156). Bundesr.-Drucks. Nr. 78/1874. Bundesr.-Drucks. Nr. 78/1874, S. 2.

B. Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896

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„In der That hat hier nun das Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 einen wichtigen Schritt gethan, indem es die Kompetenz des Reichs zur Gesetzgebung über das Obligationenrecht auf das gesammte Civilrecht ausdehnte. Soll das Civilrecht überhaupt kodifiziert werden, und diese Frage steht nicht mehr zur Entscheidung, so läßt sich die Kodifikation nicht auf das Obligationenrecht beschränken. Die einzelnen Rechtsinstitute fügen sich im Systeme zu Rechtsmaterien und ganzen Rechtsgebieten zusammen, und die Beschränkung der Kodifikation auf einzelne Institute oder selbst Materien würde zum Entstehen eines aus dem Zusammenhange gerissenen Bruchstücks führen. Die einzelnen Institute haben mannigfache Berührungspunkte mit einander, und bei einer Scheidung derselben nach Reichs- und Landesrecht würden ohne Zweifel Unsicherheiten und neue Verschiedenheiten sich ergeben. Theils würde der Rechtszustand dadurch nicht gebessert und der Wissenschaft eher geschadet als genützt, ganz besonders aber würde eine solche Einzelarbeit in einem großen Kontraste zu der dem Deutschen Reiche gewordenen Aufgabe stehen, nach welcher ein ganzes Civilgesetzbuch erwarten (sic!) werden darf. Wollte man diejenigen Institute ausnehmen, für welche eine Ueberweisung an das Landesrecht gewünscht werden könnte, so würde man nach und nach Eherecht, Vormundschaftsrecht, Familienrecht, Hypothekenrecht, und endlich sämmtliche dingliche Rechte auszusondern in der Lage sein, so daß schließlich nichts übrig bliebe als das Obligationenrecht, womit dann die Absicht des Gesetzes vom 20. Dezember 1873 wieder vereitelt wäre. Wird einmal der Schritt zu einer Rechtseinheit in Deutschland gemacht, so muß er in der That vollständig gemacht werden, und eine halbe und unvollständige Lösung der Aufgabe wäre ein Mißerfolg, den man mit allen Kräften abzuwenden bemüht sein muß. Die Kulturzustände, die Lebensverhältnisse sind im Ganzen im Deutschen Reiche gleich, und dem Zustande von Mannigfaltigkeit und Ungewißheit, der Geltung eines internationalen Privatrechts zwischen den einzelnen deutschen Staaten, kann sehr wohl ein Ende gemacht werden. Soll durch ganz Deutschland ein jius connubii und ein jus commercii gelten, soll innerhalb Deutschland die Lehre von der räumlichen Beschränkung der Geltung des Rechts wirklich abgethan werden, so wird man nicht von vorn herein Ausnahmen zulassen dürfen. Es mag sich empfehlen, bei manchen der von der Kommission beispielsweise angeführten Institute, Familienrecht, einschließlich des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts, Vormundschaftsrechts, Erbrechts, Immobiliarsachenrechts, Rechts der juristischen Personen, Korporationen und Genossenschaften bei der Schaffung eines neuen Gesetzbuch, mit Vorsicht und Schonung zu verfahren. Diese Vorsicht und Schonung wird sich indeß der Nothwendigkeit gleicher Prinzipien unterordnen müssen. Die Handlungsfähigkeit, die Statusrechte, das Recht juristischer Personen werden nicht von Land zu Land verschieden bleiben dürfen. Ob Vorbehalte für das Landesrecht, z. B. bei Grundbuchseinrichtungen, zu machen sind, die mehr als die partikulare Ordnung blos reglementärer Dinge zulassen, wird demnächst die mit dem Werke selbst betraute Kommission ermessen. Hier läßt sich nicht mehr sagen, als daß theils das Verhältniß zwischen Reichsrecht und Landesrecht wohl zu beachten, theils

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

aber die Verweisung auf Landesrecht niemals ein Ausweg wird sein dürfen, auf welchem man suchen könnte, um Schwierigkeiten hinwegzukommen.“ 247

Ebenso stimmte der Ausschuss der Vorkommission darin zu, dass die mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes zu betrauende Kommission nicht an überkommenes Recht gebunden sein solle: „Mit Recht bemerkt die Kommission, daß keines der vorhandenen Gesetzbücher und keiner der vorhandenen Entwürfe schlechthin zur Grundlage zu nehmen sei. Allen haften mehr oder weniger Mängel an, alle werden freilich als Vorarbeiten zu berücksichtigen sein, die Arbeit soll aber eine neue und eigenartige sein.“ 248

Entsprechend beantragte der Ausschuss, dass der Bundesrat unter anderem beschließen solle, die in dem Gutachten der Vorkommission enthaltenen Ansichten und Vorschläge im Allgemeinen zu billigen.249 Dem stimmte der Bundesrat am 22. Juni 1874 zu250. Am 2. Juli 1874 wählte er die elfköpfige Kommission zur Ausarbeitung des Gesetzentwurfes (im Folgenden Erste Kommission).251

II. Der „Entwurf eines Familienrechts für das Deutsche Reich“ von Gottlieb Planck (sogenannter Vorentwurf) Den Umfang der Redaktionsarbeiten zum Familienrecht legte die Erste Kommission auf ihrer fünften Sitzung am 24. September 1874 fest. Unter Modifizierung des Antrags ihres Mitglieds Anton von Weber, Präsident des Oberappellationsgerichts Dresden, bestimmte sie, dass ein Redaktor „das Familienrecht, insbesondere das Eherecht mit Einschluß des ehelichen Güterrechts, das Verhältniß zwischen Eltern und Kindern, ferner die Rechtsverhältnisse aus außerehelichem Beischlafe und das Vormundschaftsrecht zu bearbeiten“

habe.252 Auf ihrer siebten Sitzung am 28. September 1874 beschloss sie unter Erweiterung eines Antrags ihres Mitglieds Franz von Kübel, dass „jeder Redaktor den ihm zugewiesenen Haupttheil des von der Kommission zu entwerfenden

247

Bundesr.-Drucks. Nr. 78/1874, S. 3 f. Bundesr.-Drucks. Nr. 78/1874, S. 5. 249 Bundesr.-Drucks. Nr. 78/1874, S. 13. 250 Bundesratsprotokolle 1874, § 328 (S. 230). 251 Bundesratsprotokolle 1874, § 346 (S. 243 f.). 252 Protokoll der 5. Sitzung vom 24. September 1874, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 217 f.; von Webers Antrag hatte vorgesehen, dass der Redaktor des Familienrechts das Eherecht, mit Ausschluss des ehelichen Güterrechts, das Verhältnis zwischen Eltern und (sowohl ehelichen, als auch nichtehelichen) Kindern und die Vormundschaft zu behandeln habe, siehe Antrag zu 6. in der Anlage Nr. 5: II. „Anträge das System des bürgerlichen Gesetzbuchs und die Vertheilung der Redaktionsarbeiten betreffend“, von Weber, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 216 f. 248

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bürgerlichen Gesetzbuches auszuarbeiten und mit Motiven zu versehen“ habe.253 Zum Redaktor für das Familienrecht bestimmte die Kommission auf ihrer achten Sitzung am 29. September 1874 den in Göttingen geborenen, nationalliberal eingestellten Gottlieb Planck254, der von 1868 bis zu seinem Ruhestand 1879 Appellationsgerichtsrat in Celle, von 1867 bis 1868 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und von 1867 bis 1873 Mitglied des Reichstags war.255 Planck widmete sich zunächst dem ehelichen Güterrecht, kam jedoch mit der ihm übertragenen Aufgabe nur langsam voran.256 Über den Fortgang seiner Arbeiten geben zunächst seine Berichte an die Erste Kommission Auskunft.257 Nach demjenigen in der Sitzung am 18. September 1876 hatte Planck sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft befasst, denn darin heißt es, dass im ersten Jahr außer den Vorarbeiten für das eheliche Güterrecht unter anderem auch die Lehren von der Eheschließung bearbeitet seien, so dass nunmehr das ganze Familienrecht außer den Abschnitten über das Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder, die Vormundschaft über Volljährige, über Adoption und Einkindschaft durchgearbeitet sei. Allerdings bedürfe der aufgestellte vorläufige Entwurf in allen seinen Teilen noch einer gründlichen Revision. Das Material für die Motive sei beinahe vollständig gesammelt, die Ausarbeitung allerdings erst in einzelnen Partien vollendet.258 Ein Jahr später hatte Planck die Regelungen seines Vorentwurfes über die Eheverbote zumindest in einer noch nicht revidierten Fassung fertiggestellt, denn am 17. September 1877 erklärte er gegenüber der Ersten Kommission, dass die Ausarbeitung der Abschnitte über den Einkindschaftsvertrag und das Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder sowie der Motive zu den Abschnitten von der Eingehung und Auflösung der Ehe, von dem vertragsmäßigen ehelichen Güterrecht und von dem Elternrecht rückständig sei.259 Wie aus Plancks Bericht gegenüber der Ersten Kommission in deren Sitzung am 4. Oktober 1878 hervorgeht, war

253 Protokoll der 7. Sitzung vom 28. September 1874, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 220; von Kübel hatte lediglich die Ausarbeitung des jeweiligen Hauptteils durch den zuständigen Redaktor, aber nicht diejenige von Motiven beantragt, siehe Anlage Nr. 7: „Anträge zu einer Instruktion für die Redaktoren“ von Kübel, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 221 f. 254 Protokoll der 8. Sitzung vom 29. September 1874, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 222. 255 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 80 ff.; Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. XXVII ff. 256 Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. XII f. 257 Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. XIII f. 258 Protokoll der 1. Sitzung von 1876 vom 18. September 1876, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 224 ff. (226). 259 Protokoll der 1. Sitzung von 1877 vom 17. September 1877, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 227 (229).

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

er mit der Erarbeitung des Rechts der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft allerdings krankheitsbedingt auch ein Jahr später nicht weitergekommen. Auch darin hieß es, dass die Ausarbeitung der Motive für die Abschnitte über Eingehung und Auflösung der Ehe und über die elterliche Gewalt sowie die Vollendung der Motive zu dem Abschnitt über das eheliche Güterrecht rückständig sei und dass dann noch der ganze Entwurf nebst Motiven im Zusammenhang einer Revision unterzogen werden müsse. Er hoffe, im Laufe des nächsten Jahres, vielleicht abgesehen von dem Einführungsgesetz, fertig zu werden.260 Der Vorsitzende der Ersten Kommission, der Präsident des Reichsoberhandelsgerichts Heinrich Pape, informierte den Reichskanzler regelmäßig über den Fortgang der Arbeit der Kommission, beginnend mit seinem Bericht vom 2. Oktober 1874.261 Seinem Bericht vom 12. November 1879262 waren als Anlagen auch Auskünfte der für die einzelnen Gebiete zuständigen Redaktoren über den Stand ihrer Arbeit beigefügt. Planck teilte in seiner Auskunft mit, dass im Entwurf und in den Motiven von dem ersten Abschnitt über die Ehe unter anderem die Titel über die materiellen Erfordernisse der Ehe, die Eheschließung und die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe vollendet seien. Noch nicht völlig fertig seien die Abschnitte über die Auflösung der Ehe durch Scheidung und infolge einer Todeserklärung, sowie über Errungenschaftsgemeinschaft, Mobiliargemeinschaft und die allgemeinen Bestimmungen in Betreff der Eheverträge. Der Entwurf und die Motive dieser drei Abschnitte seien zwar ausgearbeitet, bedürften jedoch einer Revision und teilweisen Umarbeitung, um sie in Einklang mit dem bereits überarbeiteten Abschnitt über die allgemeine Gütergemeinschaft zu bringen. Im Anschluss daran würden der Entwurf und die Motive noch einmal im Zusammenhang durchgesehen und dabei noch einige Nebenpunkte von geringerer Erheblichkeit erledigt werden müssen, ehe sie zum Druck gelangen könnten. Die ganze Arbeit werde voraussichtlich bis Ostern 1880 soweit vollendet sein, dass der Druck beginnen könne.263 In seinem Bericht vom 30. Dezember 1880 teilt Pape dem Reichskanzler schließlich mit, dass mit der Drucklegung des Entwurfes des Familienrechts (sowie desjenigen des Sachenrechts) nebst Motiven bereits im April 1880 begonnen worden sei. Der Druck des Entwurfes sei jedoch erst im Juli und derjenige der Motive und zugehörigen Anlagen im November abgeschlossen worden.264 260 Protokoll der 1. Sitzung von 1878 vom 4. Oktober 1878, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 230 (232). 261 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 273 ff.; zur Biographie Papes siehe dort S. 79 f. 262 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 288 ff. 263 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 295 f. 264 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 296 ff. (297).

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Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 von Plancks „Entwurf eines Familienrechts für das Deutsche Reich“ 265 sollte eine Ehe nicht geschlossen werden können zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie sowie zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, unabhängig davon, ob das Verwandtschaftsverhältnis auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte, nach Nr. 2 zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie. In Abs. 2 war vorgesehen, dass ein Schwägerschaftsverhältnis im Sinne dieses Paragraphen auch durch eine für nichtig oder ungültig erklärte Ehe begründet werden sollte. Nach Abs. 3 sollte das Schwägerschaftsverhältnis im Sinne dieses Paragraphen nicht nur die ehelichen, sondern auch die unehelichen Vorfahren und Abkömmlinge des anderen Ehegatten umfassen. Wenn ein Eheschließungsvertrag gegen § 10 verstieß, sollte er nach § 41 Nr. 4 des Entwurfes nichtig sein. Allerdings sollte die Ehe, solange sie nicht durch Tod oder Scheidung aufgelöst war, gemäß § 43 für gültig angesehen werden, bis der Eheschließungsvertrag auf Grund einer Nichtigkeitsklage durch richterliches Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden war. Die Nichtigkeitsklage sollte gemäß § 44 nur den Ehegatten selbst, dem Staatsanwalt und jedem zustehen, der einen von der Nichtigkeit beziehungsweise der Gültigkeit der Ehe abhängenden Anspruch hatte oder einer entsprechenden Verpflichtung ausgesetzt war. § 48 sah vor, dass das Verhältnis so angesehen werden sollte, als habe die Ehe niemals bestanden, wenn sie rechtskräftig für nichtig erklärt war. Nach § 11 sollte eine Ehe nicht geschlossen werden dürfen zwischen Personen, deren eine die andere an Kindes statt angenommen hatte sowie zwischen der ersteren und den Abkömmlingen der letzteren, ohne Unterschied, ob diese durch die Annahme an Kindes statt mitbetroffen waren oder nicht, solange dieses Rechtsverhältnis bestand. Eine entgegen diesem Verbot geschlossene Ehe sollte zwar weder nichtig, noch anfechtbar sein, aber § 64 Abs. 1 Nr. 5 sah für denjenigen, der wissentlich entgegen § 11 eine Ehe schloss, eine Geldstrafe bis zu 1.000 Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr vor, sofern er zur Zeit der Eheschließung volljährig oder für volljährig erklärt war. Gemäß § 65 sollte ein Standesbeamter, der unter Außerachtlassung der vorgesehenen Vorschriften eine Eheschließung vollzog, mit Geldstrafe bis zu 600 Mark bestraft werden. Gemäß § 440 Abs. 1 sollte zwischen zwei durch Annahme an Kindes statt verbundenen Personen, die entgegen § 11 eine Ehe schlossen, mit dem Zeitpunkt der Eheschließung das durch die Annahme an Kindestatt begründete Rechtsverhältnis kraft Gesetzes aufgelöst werden. Nach Abs. 2 sollte eine bis zur Eheschließung einem der Eheschließenden über den anderen zustehende elterliche Gewalt oder gesetzliche Vormundschaft mit dem Zeitpunkt der Eheschließung als verwirkt anzusehen sein, wenn die Ehe später für nichtig oder ungültig erklärt werden sollte.

265

S. 1 ff.

Der Text des Entwurfes findet sich bei Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1,

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2. Kap.: Das Kaiserreich (1871 bis 1918)

Zu § 10 seines Entwurfes wies Planck in seiner „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“ 266 zunächst auf die (offenkundige) Tatsache hin, dass der Entwurf sich abgesehen von einigen geringfügigen Änderungen den Bestimmungen des RPStG angeschlossen habe und deshalb allgemein auf die Motive zu § 32 des damaligen Bundesratsentwurfes Bezug genommen werden könne.267 Dass auch das auf unehelicher Geburt beruhende Verwandtschafts- und Schwägerschaftsverhältnis selbst nach der väterlichen Seite hin ein Ehehindernis begründe, sei eine Ausnahme von dem ansonsten im Entwurf anerkannten Grundsatz, dass zwischen einem unehelichen Kind und seinem Erzeuger beziehungsweise dessen Familie keine rechtlichen Bindungen entstünden. Diese Ausnahme finde sich in allen deutschen und ausländischen Rechten. Da der Grund des Eheverbotes nicht das durch die Anerkennung hervorgerufene juristische, sondern das durch die Erzeugung begründete natürliche Verhältnis sei, könne es zur Begründung des Ehehindernisses nicht auf die Anerkennung des unehelichen Kindes ankommen. Das sittliche Gefühl, die Erhaltung der Sittenreinheit in den Familien und das Interesse an einer gesunden Nachkommenschaft forderten den Ausschluss der Ehe unter Personen, die durch Einheit des Blutes beziehungsweise durch eine in der Mitte liegende Ehe naher Blutsverwandter nahe verbunden seien. Diese Gründe träfen wenigstens teilweise auch auf die durch außereheliche Geburt vermittelte natürliche Verwandtschaft oder Schwägerschaft zu. Das vorgesehene Eheverbot entspreche auch dem gemäß § 173 RStGB mit Zuchthaus beziehungsweise Gefängnis zu ahndenden Verbot des Beischlafs zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie und zwischen Geschwistern ohne Unterschied, ob das Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis durch eheliche oder uneheliche Geburt vermittelt war. Eine Verbindung, die das Strafrecht mit schwerer Strafe bedrohe, könne auch im Eherecht nicht anerkannt werden.268 Gegen die Aufnahme des Eheverbotes in den Entwurf könne auch nicht eingewendet werden, dass die uneheliche Vaterschaft durch Beweis nicht festzustellen sei. In vielen Fällen könne der Beweis durch Schlussfolgerungen in einer für die freie richterliche Überzeugung völlig ausreichenden Weise geführt werden. Dies werde durch die Rechtsprechung in Strafverfahren bei Anwendung von § 173 RStGB auf die durch uneheliche Geburt vermittelte Verwandtschaft oder Schwägerschaft bestätigt. Im Gegensatz zu den Bestimmungen über den Unterhaltsanspruch eines Kindes gegen den unehelichen Vater, aber im Anschluss an die Art und Weise der Ermittlung der unehelichen Vaterschaft im Strafverfahren habe der

266

Die Begründung ist abgedruckt bei Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 131 ff. „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 99, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 251. 268 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 99 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 251 f. 267

B. Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896

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Entwurf das entsprechende Eheverbot nicht an die mögliche, sondern an die wirkliche Vaterschaft geknüpft. Das Vorliegen des Verbotes werde durch eine nach den Bestimmungen des Entwurfes begründete Verbindlichkeit zum Unterhalt also nicht präjudiziert. Darüber habe der Richter vielmehr nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften Beweis zu erheben, ohne durch Präsumtionen gebunden zu sein. Daher verstehe es sich von selbst, dass der Beweis des Ehehindernisses regelmäßig durch den Nachweis unmöglich werde, dass die Mutter des Kindes während der Konzeptionszeit mit mehreren Männern den Beischlaf vollzogen habe.269 Es sei zwar infrage gekommen, das Eheverbot wie den Unterhaltanspruch bereits an die mögliche Vaterschaft zu knüpfen oder wenigstens zu bestimmen, dass der die Vaterschaft Anerkennende oder zum Unterhalt des unehelichen Kindes Verurteilte bezüglich des Ehehindernisses als Vater gelten solle, da es das sittliche Gefühl verletze, wenn beispielsweise jemand eine Frau heirate, mit deren Mutter er in einer der Geburt entsprechenden Zeit den Beischlaf vollzogen habe, auch wenn feststehe, dass diese sich in derselben Zeit mehreren Männern hingegeben habe. Mit Rücksicht darauf, dass die Mehrzahl der Rechte, so insbesondere auch § 33 RPStG, das Ehehindernis auf die wirkliche Vaterschaft stütze und dies dem § 173 RStGB entspreche, und dass es bedenklich erscheinen müsse, lediglich auf Grund der möglichen Verwandtschaft beziehungsweise Schwägerschaft vielleicht Jahre nach dem außerehelichen Geschlechtsverkehr eine Ehe zwischen Personen für nichtig zu erklären, die das das Ehehindernis begründende Rechtsverhältnis vielleicht gar nicht kannten oder zu erkennen vermocht hätten, erachte der Entwurf die mögliche Vaterschaft nicht als ausreichend zur Begründung eines solchen Verbotes. Dieses Bedenken spreche für die Beschränkung des Eheverbotes auf die wirkliche Vaterschaft. Sei die natürliche Verwandtschaft nicht nur möglich, sondern erwiesen, werde dieses Bedenken durch die für das Eheverbot angeführten Gründe überwogen. Die praktischen Erwägungen dafür, dass der Entwurf die mögliche Vaterschaft zur Begründung der Unterhaltspflicht für ausreichend ansehe, fielen hier weniger ins Gewicht, weil Fälle, in denen mit Rücksicht auf das Eheverbot die Vaterschaft durch Urteil festzustellen sei, nur selten vorkommen würden.270 Hinsichtlich der Nichtaufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in seinen Entwurf führte Planck aus, dass sich zwar nicht verkennen lasse, dass beispielsweise eine Ehe zwischen einem Mann und der von einem anderen Mann erzeugten Tochter seiner Beischläferin zu Ärgernis Veranlassung geben könne, sich die Wiedereinführung des Eheverbotes angesichts des bestehenden Rechtszustandes des RPStG aber umso weniger empfehlen dürfte, als dann der

269 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 100 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 252 f. 270 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 101, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 253.

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Grund dieses Ehehindernisses dahin führen müsste, eine entgegen diesem geschlossene Ehe für nichtig zu erklären, was jedoch praktisch in hohem Grade bedenklich sein dürfte. Dies gelte auch, wenn man es als aufschiebendes Ehehindernis wiedereinführen würde. Eine Ausnahme mache der Entwurf im Gegensatz zum RPStG für den Fall, dass die frühere Ehe für nichtig oder ungültig erklärt worden sei. Da nach den allgemeinen Grundsätzen ein Schwägerschaftverhältnis nur durch eine Ehe begründet werde, bei deren Nichtigkeits- oder Ungültigkeitserklärung es so anzusehen sei, als ob sie niemals bestanden hätte, würde grundsätzlich in einem solchen Fall das Eheverbot wegen Schwägerschaft nicht bestehen. Somit würde man die in die Ehe mitgebrachten Kinder eines früheren Ehegatten oder deren Vorfahren heiraten dürfen. Der Entwurf gehe in solchen Fällen jedoch davon aus, dass die Zulassung der Ehe in solchen Fällen gegen das natürliche und sittliche Gefühl verstoße. Dies trete ganz besonders dann hervor, wenn die frühere Ehe eine Putativehe gewesen sei und daher die in dieser erzeugten Kinder die rechtliche Stellung ehelicher Kinder auch dem Vater und dessen Verwandten gegenüber hätten. Man könne nicht gestatten, dass eine Frau mit dem Vater oder mit dem in die Ehe mitgebrachten Sohn ihres früheren Mannes diejenige Person heirate, die rechtlich der Großvater beziehungsweise der Halbbruder ihres eigenen Kindes sei. Da der Entwurf einen allgemeinen Grundsatz, dass die Putativehe alle Wirkungen einer gültigen Ehe begründe, soweit nicht etwas anderes bestimmt sei, nicht aufgenommen habe, würde nach seinen allgemeinen Grundsätzen aber in den gedachten Fällen auch bei einer Putativehe die Ehe nicht verboten sein. Da in den in Frage kommenden Fällen die Voraussetzungen des Eheverbotes wegen Schwägerschaft immer klar erkennbar seien, dürften auch praktische Bedenken einer Ausdehnung dieses Ehehindernisses auf jene Fälle nicht entgegenstehen.271 § 33 RPStG habe die Streitfrage hervorgerufen, ob die Stiefverbindung sich auch auf eheliche oder außereheliche Nachfahren des anderen Ehegatten erstrecke, die erst nach Auflösung der vermittelnden Ehe erzeugt seien, ob das Gesetz also die Ehe eines Mannes mit der ehelichen oder außerehelichen Tochter seiner geschiedenen Frau verbiete, die nach der Trennung der Ehe aus einer anderweitigen Beziehung geboren werde, oder mit der Tochter seiner Stieftochter, die erst nach dem Tod seiner Frau geboren sei. Diese Streitfrage werde im Ergebnis zu verneinen sein, wozu auch der Entwurf gelange, der davon ausgehe, dass nach dem im allgemeinen Teil aufzustellenden Begriff der Schwägerschaft eine aufgelöste Ehe die Wirkung der Schwägerschaft nicht mehr begründe, wie sie überhaupt die Wirkungen einer Ehe nicht mehr erzeuge. Es sei zwar nicht zu verkennen, dass die Zulassung der Ehe in solchen Fällen dem natürlichen Gefühl nicht entspreche, der Entwurf sehe von einer besonderen Bestimmung jedoch ab, 271 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 102 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 254 f.

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da entsprechende Fälle sehr selten seien und das Bedürfnis eines derartigen Eheverbotes bislang nicht hervorgetreten sei.272 Zu der von ihm in § 11 seines Entwurfes vorgesehenen Regelung des Eheverbotes wegen Adoptivverwandtschaft führte Planck aus, dass sich zwar gewichtige Gründe dafür geltend machen ließen, das Ehehindernis der Adoption weiter auszudehnen, insbesondere die Ehe zwischen Adoptivvater und der Witwe des Adoptivsohnes sowie umgekehrt zwischen Adoptivsohn und der Witwe des Adoptivvaters zu verbieten, da in solchen Fällen bereits die Möglichkeit der Ehe dazu beitragen könne, das Eltern-Kind-Verhältnis zu untergraben und die Sittenreinheit zu stören. In dieser Beziehung wolle der Entwurf jedoch nicht wieder von der Regelung des RPStG abweichen. Er gehe diesem gegenüber jedoch insofern weiter, dass er auch die Ehe zwischen Adoptiveltern und den Nachkommen der Adoptivkinder ohne Unterschied, ob diese im Übrigen vom Adoptivverhältnis mit umfasst seien oder nicht, verbiete. In solchen Fällen widerspreche die Zulassung der Ehe zu sehr dem natürlichen Gefühl und könne zu Verhältnissen führen, die mit einem gedeihlichen Familienleben nicht vereinbar seien. Gestatte man die Ehe zwischen dem Adoptivvater und der Tochter seines Adoptivsohnes, würde sich das unnatürliche Verhältnis ergeben, dass der Adoptivsohn der Schwiegervater seines Adoptivvaters sein könne.273 Hinsichtlich der in § 41 Nr. 4 seines Entwurfes vorgesehenen Nichtigkeit der Ehe wegen natürlicher Verwandtschaft und Schwägerschaft beschränkte sich Planck auf die Feststellung, dass es keinem Zweifel unterliegen könne, dass der Entwurf sich den geltenden deutschen und ausländischen Rechten anzuschließen habe, die dieselbe Rechtsfolge vorsahen, zumal die absolute Nichtigkeit der Ehe in diesen Fällen den Vorschriften des § 173 RStGB entspräche. Die gegenüber dem RPStG im Entwurf vorgesehene Erweiterung des Ehehindernisses der Schwägerschaft, dass dieses auch dann begründet sein und die absolute Nichtigkeit der Ehe zur Folge haben solle, wenn die das Verhältnis begründende Ehe für nichtig oder aufgelöst erklärt worden war, dürfte dem Zweck dieses Eheverbotes entsprechen.274 Bezüglich der vorgesehenen Rechtsfolgen des Eheverbotes wegen Adoptivverwandtschaft führte Planck zunächst aus, dass die Regelung des preußischen Rechts, wonach dieses Ehehindernis nur ein Anfechtungsrecht des Adoptierten begründe, aus Rücksicht auf den Grund dieses Hindernisses nicht zu billigen sein dürfte. Dass durch die Adoption ein Eltern-Kind-Verhältnis geschaffen werden 272 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 103 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 255 f. 273 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 106, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 258. 274 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 177, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 329.

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solle, führe konsequent dahin, dem Ehehindernis der Adoptivverwandtschaft wie demjenigen der natürlichen Verwandtschaft die Wirkung der absoluten Nichtigkeit beizulegen. Dafür ließen sich auch Rücksichten des Anstands und der Schicklichkeit und der Aufrechterhaltung der Sittenreinheit in dem durch die Adoption begründeten Familienleben anführen. Dann bleibe aber durch die Eingehung der Ehe das Adoptivverhältnis an sich unberührt, da die Ehe nicht ipso iure nichtig sei. Wenn man nicht positiv bestimmen würde, dass durch die Eingehung der Ehe die Adoption aufgehoben sein solle, entstehe die notwendig zu Konflikten führende Unzuträglichkeit, dass neben der Adoption zugleich die Ehe bestehe, bis diese rechtskräftig für nichtig erklärt sei. Diese Unzuträglichkeit werde durch die nur aufschiebende Wirkung des Ehehindernisses der Adoptivverwandtschaft und die Bestimmung vermieden, dass mit Eingehung der Ehe das durch die Adoption begründete Rechtsverhältnis kraft Gesetzes beseitigt werde. Dem dürften auch keine Bedenken entgegenstehen, da der Entwurf davon ausgehe, dass die Adoption ein künstlich geschaffenes Rechtsverhältnis sei und unter Umständen auch sonst gelöst werden könne. Zudem sprächen überwiegende Gründe dafür, auch rechtlich die Aufhebung des Adoptivverhältnisses anzuerkennen, die Ehe aber bestehen zu lassen, wenn durch deren Eingehung das ElternKind-Verhältnis einmal faktisch zerstört sei. Dies dürfte sich umso mehr empfehlen, da unter Umständen gerade die Heiratsabsicht der Adoptivverwandten ein erheblicher Grund sein könne, die Aufhebung des Adoptivverhältnisses auf beiderseitigen Antrag gerichtlich zu genehmigen. Das öffentliche Interesse am Ehehindernis der Adoptivverwandtschaft werde durch die aufschiebende Wirkung, die vorgesehenen Strafbestimmungen in § 64 Nr. 5 und § 65 sowie die Bestimmung, dass das Adoptivverhältnis mit Eingehung der Ehe kraft Gesetzes gelöst sei, ausreichend geschützt. An sich sei es wünschenswert, letztere Wirkung nicht nur wie vorgesehen auf das Verhältnis der Eheschließenden zu beschränken, sondern auf alle von der Adoption Betroffenen zu erstrecken. Es erscheine allerdings bedenklich, an die einseitige Handlung der Eheschließenden für Dritte den Verlust ihrer durch die Adoption begründeten Rechte zu knüpfen.275 Dass das Ehehindernis der Adoptivverwandtschaft ein aufschiebendes sei, solle nach dem Entwurf auch dann gelten, wenn das Adoptivkind bei Eingehung der Ehe noch minderjährig sei, allerdings würde das Kind in einem solchen Fall die Ehe unter Umständen wegen mangelnder Einwilligung des gesetzlichen Vertreters anfechten können, insbesondere dann, wenn der Annehmende das unter seiner elterlichen Gewalt stehende Kind ohne Zustimmung eines ad hoc bestellten Pflegers heirate, da der Annehmende als Inhaber der elterlichen Gewalt die erforderliche Genehmigung nicht erteilen könne. Fechte das Kind die Eheschließung in einem solchen Fall an, würde das Adoptivverhältnis nach dem Entwurf 275 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 178 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 330 f.

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grundsätzlich in vollem Umfang wieder aufleben. Da jedoch durch die Eingehung der Ehe das Eltern-Kind-Verhältnis in seiner sittlichen Grundlage zerstört sei und das minderjährige Kind unter dem Missbrauch des Elternrechts nicht leiden solle, sehe § 440 des Entwurfs nach dem Vorbild des preußischen Rechts die Verwirkung der elterlichen Gewalt über das angenommene Kind kraft Gesetzes vor. Dies sei konsequent auch auf solche Fälle auszudehnen gewesen, in denen die zwischen dem Annehmenden und dem angenommenen minderjährigen Kind eingegangene Ehe für nichtig oder ungültig erklärt worden sei. Die Verwirkung ziehe den Verlust der elterlichen Nutznießung und des elterlichen Einwilligungsrechts zur Verheiratung des Kindes nach sich. Es scheine aber kein Bedürfnis dafür vorzuliegen, darüber hinaus wie das preußische Recht zu bestimmen, dass der Adoptierende alle Rechte über die Person und das Vermögen des Adoptierten aus der Annahme an Kindes statt verlieren, der Adoptierte dagegen seine Ansprüche auf das Vermögen des Adoptierenden unter Lebenden und von Todeswegen behalten solle. Da der Adoptierende nach dem Entwurf ohnehin kein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht gegenüber dem Adoptierten habe, würde eine derartige allgemeine Bestimmung im Wesentlichen nur die praktische Bedeutung haben, dass der Adoptierende den Anspruch auf Unterhalt und die ihm bei der Adoption möglicherweise vertraglich zugesicherten Vermögensrechte verlieren würde. Wenn in den fraglichen Fällen das Adoptivverhältnis nicht überhaupt aufgehoben werden solle, sondern die durch die Adoption begründeten vermögensrechtlichen Beziehungen für den Adoptierten fortdauerten, sei es ungerechtfertigt, für den Adoptierenden einen weiteren Verlust der Vermögensrechte eintreten zu lassen, als dies durch die Verwirkung der elterlichen Gewalt geschehe. Die Verwirkung der übrigen Vermögensrechte hätte nur den Charakter einer Strafe.276 Die in § 64 seines Entwurfes vorgesehenen Strafandrohungen von bis zu 1.000 Mark Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnisstrafe begründete Planck damit, dass das Maximum der Strafe nicht zu niedrig angesetzt werden dürfe, um den Zweck zu erreichen, den Eheverboten den nötigen Nachdruck zu verleihen. Die einzelnen Strafbestimmungen bedürften keiner näheren Erläuterung und Begründung. Es sei nur darauf hinzuweisen, dass § 64 Abs. 1 Nr. 2, wonach bestraft werden sollte, wer wissentlich mit einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person ohne die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters eine Ehe schloss oder als Vormund seine Genehmigung zur Eheschließung zwischen seinem Abkömmling und dem Mündel gab, auch die Fälle umfasse, in denen zwischen dem Vormund und seinem Mündel oder zwischen diesem und einem Abkömmling des Vormunds oder zwischen dem Annehmenden und dem unter dessen elterlicher Gewalt stehenden angenommenen Kind ohne Einwilligung eines ad hoc bestellten Pflegers eine Ehe geschlossen sei, da in solchen Fällen der Vormund bezie276 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 179 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 331 f.

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hungsweise der Annehmende als Inhaber der elterlichen Gewalt an der Erteilung der Genehmigung gehindert sei. Die letztgenannte Variante falle auch unter § 64 Abs. 1 Nr. 5. Dies sei mit Rücksicht darauf von Bedeutung, dass es in deren Fällen, im Gegensatz zu den Nrn. 2 und 3, keines Strafantrags bedürfe.277 In § 440 seines Entwurfes schließlich sah Planck die notwendige Folge der Bestimmung, dass Adoptivverwandtschaft nur ein aufschiebendes Ehehindernis begründe, und verwies im Übrigen auf die Begründung zu § 41.278 Insgesamt kamen in Plancks Begründung mehrere, teilweise konträr erscheinende Argumentationsmuster zusammen. So führte er einerseits stellenweise rationale, pragmatische Gründe für die von ihm erarbeiteten Regelungen an, etwa die Beweisschwierigkeiten für den Verzicht auf das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft. An anderer Stelle, bezüglich der vorgesehenen Eheverbote wegen leiblicher Verwandtschaft, bediente er sich mit der Erbgesundheit einer eugenischen Argumentation. Immer wieder berief er sich jedoch auch auf die überkommenen Sitten und herrschenden moralischen Anschauungen zur Legitimierung des von ihm vorgesehenen Eheverbotsrechts. Sein Entwurf war somit um eine Synthese aus säkularen, aufklärerischen sowie naturwissenschaftlich-utilitaristischen Einflüssen und sozialem Konservativismus.

III. Der „Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung“ (sogenannter Erster Entwurf) Nachdem die Teilentwürfe bis auf denjenigen für das Schuldrecht fertiggestellt waren, begann die Erste Kommission am 1. Oktober 1881 mit ihren Hauptberatungen.279 Nach § 1 der für diese geltenden Geschäftsordnung vom 4. Oktober 1881280 zerfiel die erste Lesung des Entwurfes für das BGB in zwei Beratungen, nämlich die vorläufige Feststellung der einzelnen Teilentwürfe (erste Beratung) sowie die sachlich und formell vollständige Feststellung des Gesamtentwurfes, der vom Hauptreferenten herzustellen war, die Ergebnisse der ersten Beratung umfassen und nach Form und Inhalt harmonisch sein sollte (zweite Beratung). § 12 bestimmte, dass das über die Sitzungen der Kommission zu führende Protokoll nur die Bezeichnung der in der Sitzung anwesenden Kommissionsmitglieder und des Schriftführers, die geschäftlichen Mitteilungen, den Gang der Verhand-

277 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 248 f., in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. 400 f. 278 „Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich“, S. 1868, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 2, S. 882 f. 279 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 45. 280 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 270 ff.

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lungen im Allgemeinen, die gestellten Anträge und die Ergebnisse der Abstimmungen enthalten sollte. Die Namen der Redner, der Antragsteller und die Abstimmungen wurden nicht vermerkt, auf Antrag jedoch das Stimmenverhältnis einer Beschlussfassung angegeben. Nach § 13 sollte die Aufzeichnung über den Gang der Verhandlungen im Allgemeinen in tunlichster Kürze erfolgen, den wesentlichen Inhalt der erfolgten Beratung jedoch, soweit es zum besseren Verständnis der gefassten Beschlüsse erforderlich war, darlegen. Die Protokolle geben den Inhalt der Hauptberatungen somit nicht vollumfänglich wieder. Entsprechend der Geschäftsordnung wurde grundsätzlich nur das Beratungsergebnis mit den für die schließlich angenommenen Anträge vorgebrachten Gründen aufgeführt, während für Gegenmeinungen vorgebrachte Gründe nicht immer vollständig überschaubar sind.281 Die Erwähnung einer Mehrheitsentscheidung in den Protokollen bedeutet eine vorangegangene längere Sachdiskussion.282 1. Die Beratungen der Ersten Kommission über den Vorentwurf zum Familienrecht Ob das Eheprivatrecht überhaupt im BGB geregelt werden sollte, war lange Zeit innerhalb der Ersten Kommission umstritten gewesen. Bereits während der Vorberatungen der Kommission, auf ihrer Sitzung am 11. Oktober 1875, war es zu einer Diskussion darüber gekommen, ob das gesamte persönliche Eherecht überhaupt im BGB zu regeln sei. Laut dem Protokoll dieser Sitzung wurden von einer Seite Zweifel geäußert, ob es nicht aus dem BGB auszuschließen sei, weil die Ehe kein vorzugsweise oder sogar ausschließlich privatrechtliches Verhältnis sei. Dem wurde von anderer Seite entgegengehalten, dass diese Zweifel bereits dadurch erledigt seien, dass die Ehe im RPStG als ein der staatlichen Gesetzgebung unterliegendes, zum bürgerlichen Recht gehörendes Institut behandelt werde. Daraus ergebe sich, dass sich der Auftrag der Kommission für den Entwurf eines Gesetzbuches für das bürgerliche Recht auch auf das persönliche Eherecht erstrecke. Dem wurde andererseits mit der Erwägung widersprochen, dass die Ehe auch dann nicht in das BGB gehöre, wenn sie der staatlichen Gesetzgebung unterliege, weil es sich bei ihr um Unterordnung und nicht um das Recht des Individuums handele. Dies wurde wiederum von anderer Seite als nicht zutreffend angesehen. Im Ergebnis sah sich die Kommission weit überwiegend als beauftragt an, die privatrechtliche Seite der Ehe zu regeln, insbesondere die Voraussetzungen der gültigen Ehe, die Natur der ungültigen Ehen und das rechtliche Verhältnis der Ehegatten.283

281 282

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 46. Fn. 86 bei Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB,

S. 46. 283

Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 136 f.

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Ihre Beratungen über Plancks Entwurf zum Familienrecht begann die Erste Kommission auf ihrer Sitzung am 22. April 1885.284 Dem in den §§ 4 bis 18 des Teilentwurfs vorgesehenen Ehehindernisrecht widmete sich die Kommission ab ihrer Sitzung am 25. April 1885.285 Auch zu deren Beginn war noch nicht endgültig ausgemacht, ob die Eheverbote überhaupt Aufnahme in das BGB finden sollten. Zwei Anträge warfen die Frage auf, ob nicht der dritte Abschnitt des RPStG über die Erfordernisse der Eheschließung zumindest teilweise aufrechtzuerhalten sei. Bereits zuvor war zu den §§ 19 bis 33 des Familienrechtsentwurfes der Antrag gestellt worden, die in ihm enthaltenen Bestimmungen über die formellen Erfordernisse sowie die Beurkundung der Eheschließung nicht in das BGB aufzunehmen, sondern den vierten Abschnitt des RPStG über die Form und die Beurkundung der Eheschließung aufrechtzuerhalten und die in ihm sowie außerdem erforderlichen Änderungen des Gesetzes dem Einführungsgesetz zum BGB vorzubehalten. Daran schloss sich der erste der genannten Anträge an. Nach ihm sollte das vorgeschlagene Verfahren auch auf die §§ 4 bis 18 des Familienrechtsentwurfes ausgedehnt, also auch der dritte Abschnitt des RPStG vorbehaltlich der zu beschließenden Änderungen einzelner Bestimmungen aufrechterhalten und auch die letzteren in das Einführungsgesetz eingestellt werden. Als Ersatz für die §§ 4 bis 33 des Familienrechtsentwurfes sah der Antrag die Verweisungsnorm eines § 3a vor, demzufolge sich die Erfordernisse der Eheschließung sowie die Form und Beurkundung derselben nach den im RPStG getroffenen Bestimmungen richten sollten. Der zweite Antrag beabsichtigte eine prinzipielle Trennung zwischen dem Entwurf für das BGB einerseits sowie dem RPStG und dem Einführungsgesetz zum BGB andererseits. Dabei ging er von der Erwägung aus, dass das BGB nur diejenigen Bestimmungen mit unmittelbarer privatrechtlicher Bedeutung enthalten sollte, also die für die Gültigkeit der Ehe maßgebenden. Nicht in das BGB aufgenommen werden sollten dagegen namentlich diejenigen Bestimmungen, die unmittelbar nur die Tätigkeit der Standesbeamten oder das prozessuale Verfahren betrafen. Aus dem BGB würden daher die Bestimmungen über nur aufschiebende Ehehindernisse herauszunehmen sein, soweit ihre Nichtbeachtung keine weiteren privatrechtlichen Wirkungen hervorrufe, da sie nur die Bedeutung von Anweisungen an den Standesbeamten hätten.286 Die Kommission lehnte beide Anträge laut dem Protokoll nach einer eingehenden Debatte hinsichtlich der §§ 4 bis 18 des Familienrechtsentwurfes mehrheitlich ab und beschloss stattdessen, im BGB eine vollständige Regelung über die Ehehindernisse zu treffen (ob die Bestimmungen über die formellen Er284 Protokoll der 427. Sitzung vom 22. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 2 ff. 285 Protokoll der 428. Sitzung vom 25. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 26 ff. 286 Protokoll der 428. Sitzung vom 25. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 26 (26).

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fordernisse und die Beurkundung der Eheschließung in das BGB aufgenommen oder es in dieser Hinsicht beim RPStG belassen und auf dieses verwiesen werden sollte, blieb dagegen späterer Beschlussfassung vorbehalten).287 Das Protokoll gibt relativ ausführlich die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen wieder. So liege kein hinreichender Grund vor, von dem Vorbeschluss der Kommission vom 11. Oktober 1875, im BGB die privatrechtliche Seite der Ehe, insbesondere die Voraussetzungen von deren Gültigkeit und die Natur der ungültigen Ehe festzulegen, hinsichtlich der Ehehindernisse deshalb abzuweichen, weil diese bereits durch das RPStG geregelt seien. Zwar sei davon auszugehen, dass der privatrechtliche Inhalt der bestehenden Reichsgesetze gegenüber dem BGB aufrechterhalten und nur im Bedarfsfall geändert, ergänzt oder deklariert werden solle. Dies sei bezüglich des Eherechts jedoch nicht durchführbar, da das RPStG dieses, und insbesondere das Eheschließungsrecht nur unvollständig geregelt habe. Bestimmungen über das materielle Eheschließungsrecht gehörten an sich überhaupt nicht in das RPStG und seien nur deshalb in dieses aufgenommen worden, weil man die Standesbeamten diesbezüglich nicht auf das vor seinem Inkrafttreten geltende materielle Recht habe verweisen können, da dieses teilweise dunkel, teilweise in den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedlich gewesen sei. Der dritte Abschnitt über die Erfordernisse der Eheschließung des RPStG habe die Durchführung der Zivilehe ermöglichen sollen, weswegen man im Übrigen von einer einheitlichen Regelung des persönlichen Eherechts abgesehen habe. Wenn man es hinsichtlich der Erfordernisse der Eheschließung einfach beim RPStG belasse, würde das BGB, das das persönliche Eherecht vollumfänglich regeln solle, eine wesentliche Lücke erhalten. Ein solches Auseinanderreißen der Vorschriften über das persönliche Eherecht sei aus systematischen Rücksichten nicht wünschenswert und umso misslicher, da sie als Grundlage der im BGB einheitlich zu regelnden Bestimmungen über die Folgen ihrer Nichtbeachtung, insbesondere über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe, mit diesen in engster Verbindung stünden. Verweise das BGB bei den Bestimmungen über die Folgen einer gesetzwidrig eingegangenen Ehe auf das RPStG oder sein dessen notwendige Änderungen und Ergänzungen enthaltendes Einführungsgesetz, würde es an Übersichtlichkeit und Einfachheit schwere Einbußen erleiden.288 Der Urheber des ersten Antrags hatte als Grund für die Aufrechterhaltung des dritten Abschnitts des RPStG geltend gemacht, dass es für den Fall des Ausscheidens der Vorschriften über die Förmlichkeit der Eheschließung im Interesse der Erleichterung der Geschäftsführung der Standesbeamten wünschenswert sei, die dafür geltenden Bestimmungen des Eheschließungsrechts in diesem Gesetz zu vereinigen, und eine solche Vereinigung der die Eheschließung betreffenden Vor287 Protokoll der 428. Sitzung vom 25. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 26 (27). 288 Protokoll der 428. Sitzung vom 25. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 26 (27).

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schriften auch die Verbreitung von deren Kenntnis fördere. Dies sah die Kommission allerdings gegenüber den erwähnten Nachteilen als nicht durchschlagend an, zumal diesem formalen Bedenken gegen eine Ausscheidung der Bestimmungen über die materiellen Erfordernisse über die Eheschließung aus dem RPStG erforderlichenfalls auch anderweitig, beispielsweise durch eine dem Gesetz anzufügende Instruktion für die Standesbeamten, abgeholfen werden könne. Zudem werde das von dem Antrag verfolgte Ziel auch auf die in ihm vorgeschlagene Weise nur unvollkommen erreicht, da einerseits eine Ergänzung der Vorschriften des RPStG erforderlich sei, soweit es auf das Landesrecht verwiese und erst dadurch eine Vervollständigung finde, sich andererseits aber auch eine sachliche Änderung jener Vorschriften mit Rücksicht auf neue Prinzipien des BGB nicht vermeiden lasse.289 Zur Ablehnung des zweiten Antrages heißt es in den Kommissionsprotokollen, dass auch die Vorschriften über die sogenannten aufschiebenden Ehehindernisse Bestandteile des materiellen Eheschließungsrechts seien, da sie sich nicht in erster Linie an den Standesbeamten, sondern an die Eheschließenden wendeten. Mit ihrer Nichtbeachtung handelten diese widerrechtlich, was abgesehen von etwaigen sie treffenden Strafbestimmungen unter Umständen eine Verpflichtung zum Schadensersatz nach sich ziehen könne. Auch auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts zeige sich der materiell-rechtliche Charakter der Vorschriften, da die Frage, ob einer Ehe sogenannte aufschiebende Ehehindernisse entgegenstehen, nicht wie die Förmlichkeiten der Eheschließung nach dem Recht des Eheschließungsortes, sondern demjenigen der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes der Beteiligten zu beurteilen sein würde. Auch mit dem geltenden Recht, das die sogenannten aufschiebenden Ehehindernisse als materielle Eheverbote auffasse, stehe der Standpunkt des zweiten Antrages nicht in Einklang.290 Damit die Erste Kommission den Entwurf zum Familienrecht mit den bereits gefassten Beschlüssen zum Allgemeinen Teil, dem Schuldrecht (Obligationenrecht) und dem Sachenrecht in Einklang bringen konnte, hatte Planck ihr für die Beratungen über ihn umfangreiche Abänderungsanträge vorgelegt.291 Plancks Abänderungsantrag zu § 10 seines Entwurfes292 sah keine inhaltliche Änderung 289 Protokoll der 428. Sitzung vom 25. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 26 (27 f.). 290 Protokoll der 428. Sitzung vom 25. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 26 (28). 291 Schubert, Vorlagen, Familienrecht 1, S. XVI; „Bemerkungen zu den Aenderungsanträgen des Referenten und zu verschiedenen Bestimmungen des Entwurfs des Familienrechts“, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 359 ff. (359). 292 „§. 10. Eine Ehe kann nicht geschlossen werden: 1. zwischen Verwandten in auf-und absteigender Linie, sowie zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, und zwar ohne Unterschied, ob das Verwandtschaftsverhältniß auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruht,

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des Paragraphen, sondern lediglich eine vom bisherigen Wortlaut abweichende Fassung mit nunmehr vier statt drei Absätzen vor. Eine Ehe sollte gemäß Abs. 1 Nr. 1 nicht geschlossen werden können zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, gemäß Nr. 2 zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Nach Abs. 2 sollte ein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne des Paragraphen auch zwischen dem unehelichen Erzeuger und dessen Verwandten einerseits und dem unehelichen Kind und dessen Verwandten andererseits bestehen. Der neue Abs. 3 übernahm inhaltlich den bisherigen Abs. 2, sprach aber nicht mehr davon, dass ein Schwägerschaftsverhältnis im Sinne des Paragraphen auch durch eine Ehe begründet werde, die für nichtig oder ungültig erklärt war, sondern beließ es bei den Worten für ungültig. Auch der neue Abs. 4 sah gegenüber dem bisherigen Abs. 3 keine inhaltliche Abweichung vor, verwendete aber statt des Begriffs „Vorfahren“ denjenigen der „Voreltern“. Zu § 11 seines Entwurfes293 hatte Planck hingegen keinen Abänderungsantrag gestellt.294 Die von ihm beantragte neue Fassung begründete er mit den bereits beschlossenen Bestimmungen des Kommissionsentwurfes. In seinen „Bemerkungen zu den Aenderungsanträgen des Referenten und zu verschiedenen Bestimmungen des Entwurfs des Familienrechts“ führte Planck hinsichtlich der Neufassung von § 10 Abs. 1 und 2 aus, dass diese auf § 31 Abs. 3 des Kommissionsentwurfes beruhe, nach dem durch uneheliche Abstammung ein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne des Gesetzbuches nur zwischen dem unehelichen Kind und seiner Mutter sowie deren Verwandten begründet wurde. Die Verwendung des Ausdrucks „in gerader Linie“ entspreche der Fassung des § 31 Abs. 1 des Kommissionsentwurfes. Die Streichung der Worte „für nichtig“ in Abs. 3 sei korrekter, weil die Kommission sich verständigt habe, unter dem Ausdruck „Ungültigkeit“ sowohl die Nichtigkeit als auch die Anfechtbarkeit zu begreifen. Der Begriff „Voreltern“ statt „Vorfahren“ in § 10 Abs. 4 sei nach dem Vorbild von Art. 748 Abs. 2 des Kommissionsentwurfes verwendet worden.295

2. zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie. Ein Schwägerschaftsverhältniß im Sinne dieses Paragraphen wird auch durch eine solche Ehe begründet, welche für nichtig oder ungültig erklärt ist. Das Schwägerschaftsverhältniß im Sinne dieses Paragraphen umfaßt nicht nur die ehelichen, sondern auch die unehelcihen Vorfahren und Abkömmlinge des anderen Ehegatten.“ 293 „§. 11. Zwischen Personen, deren eine die andere an Kindesstatt angenommen hat, sowie zwischen der ersteren und den Abkömmlingen der letzteren ohne Unterschied, ob diese durch die Annahme an Kindesstatt mitbetroffen sind oder nicht, darf, so lange dieses Rechtsverhältniß besteht, eine Ehe nicht geschlossen werden.“ 294 „Abänderungsanträge des Referenten zu dem Entwurfe des Familienrechts“, S. 2, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 293 ff. (294). 295 „Bemerkungen zu den Aenderungsanträgen des Referenten und zu verschiedenen Bestimmungen des Entwurfs des Familienrechts“, S. 5, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 359 (363).

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Mit den §§ 10 und 11 des Familienrechtsentwurfes beschäftigte sich die Erste Kommission auf ihrer Sitzung am 27. April 1885.296 Sie stimmte dem Abänderungsantrag durch Genehmigung von Plancks Ausführungen in seinen Motiven und in den Bemerkungen zu seinen Abänderungsanträgen zu. Die sich noch in § 33 des RPStG findende Formulierung „ohne Unterschied, ob (. . .) die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet wird, noch besteht oder nicht“ sah die Kommission insbesondere wegen § 34 des Kommissionsentwurfes für § 10 des Familienrechtsentwurfes als entbehrlich an. Zudem herrschte Einverständnis darüber, dass sich aus den §§ 33 und 34 des Kommissionsentwurfes ergebe, dass das Schwägerschaftsverhältnis sich nicht auch auf diejenigen Nachfahren des anderen Ehegatten erstrecke, die erst nach Auflösung der dieses Verhältnis begründenden Ehe erzeugt seien.297 Ebenfalls unter Bezugnahme auf die von Planck in seinen Motiven gegebene Begründung billigte die Kommission § 11 des Teilentwurfes. Wegen der Seltenheit der in Betracht kommenden Fälle hielt sie es dagegen für entbehrlich, das Ehehindernis der Adoptivverwandtschaft auch auf die Voreltern des Annehmenden auszudehnen, auch wenn nicht verkannt worden sei, dass dafür dieselben Gründe geltend gemacht werden könnten, aus denen der Familienrechtsentwurf unter Abweichung von § 33 RPStG das Ehehindernis auch auf die durch die Adoption nicht mitbetroffenen Abkömmlinge des Angenommenen erstrecke.298 Plancks Abänderungsantrag zu § 41 seines Familienrechtsentwurfes betraf nicht dessen Bestimmung der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die beabsichtigten Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in Nr. 4; zu den §§ 43, 44 und 48 seines Entwurfes hatte Planck keinen Abänderungsantrag gestellt.299 Über § 41 des Familienrechtsentwurfes beriet die Erste Kommission am 296 Protokoll der 429. Sitzung vom 27. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 37 ff. 297 Protokoll der 429. Sitzung vom 27. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 37 (42);der Text der §§ 33 und 34 des Kommissionentwurfes findet sich bei Jakobs/Schubert, Allgemeiner Teil, 2. Teilbd., S. 1203 f.: „§ 33. Ein Ehegatte ist mit den Verwandten des anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grade der sie begründenden Verwandtschaft.“ „§ 34. Die an das Schwägerschaftsverhältniß geknüpften rechtlichen Wirkungen bestehen, soweit nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt, auch nach Auflösung der Ehe fort, durch welche das Verhältniß begründet ist.“ 298 Protokoll der 429. Sitzung vom 27. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 37 (43). 299 Protokoll der 429. Sitzung vom 27. April 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 37 (43). „Abänderungsanträge des Referenten zu dem Entwurfe des Familienrechts“, S. 3, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 293 (295); die Bestimmungen des Entwurfes lauteten:

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6. Mai 1885.300 Die neben dem Abänderungsantrag von Planck vorliegenden Anträge richteten sich allesamt nicht gegen die im Entwurf vorgesehene Rechtsfolge der Nichtigkeit der Ehe bei Verstoß gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft. Lediglich beabsichtigte ein Antrag Anton von Webers, in einem neuen § 42a zu bestimmen, dass eine Ehe nichtig sein sollte, wenn sie gegen die Bestimmungen der §§ 9 und 10 verstieß.301 Eine sachliche Änderung wäre aber auch damit nicht verbunden gewesen. Dass Ehen zwischen Verwandten oder Verschwägerten nichtig sein sollten, war für die Kommissionsmitglieder auch derart selbstverständlich, dass darüber in der Beratung über die gestellten Anträge nicht einmal diskutiert wurde.302 Die von der Ersten Kommission auf ihrer Sitzung am 8. Mai 1885 gefassten Beschlüsse zu den §§ 42 bis 49 hatten keinen Bezug zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft.303 Zu § 64 seines Familienrechtsentwurfes304 hatte Planck lediglich den Abänderungsantrag gestellt, in Nr. 5 die Worte „oder für volljährig erklärt“ zu strei„§. 41. Ein Eheschließungsvertrag ist nur nichtig: 1. (. . .); 2. (. . .); 3. (. . .); 4. wenn die Ehe gegen die Bestimmungen der §§. 9, 10 und 12 verstößt; 5. (. . .).“ „§. 43. Eine Ehe, welche nicht nach Maßgabe des §. 41 Nr. 5 nichtig ist, wird, so lange sie nicht durch Tod oder Scheidung aufgelöst ist, für gültig angesehen, bis der Eheschließungsvertrag auf Grund einer Nichtigkeitsklage durch richterliches Urtheil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist.“ „§. 44. Die Nichtigkeitsklage steht nur den Ehegatten selbst, dem Staatsanwalte und, wenn die Ehe gegen die Bestimmung des §.9 abgeschlossen worden, dem dadurch verletzten Gatten der anderen Ehe, außerdem Jedem zu, dessen Anspruch oder Verpflichtung von der Nichtigkeit bezw. der Gültigkeit der Ehe abhängt.“ „§. 48. Ist die Ehe rechtskräftig für nichtig erklärt, so wird das Verhältniß so angesehen, als habe die Ehe niemals bestanden.“ 300 Protokoll der 433. Sitzung vom 6. Mai 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 145 ff. 301 Protokoll der 433. Sitzung vom 6. Mai 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 147. 302 Protokoll der 433. Sitzung vom 6. Mai 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 145 (150). 303 Protokoll der 434. Sitzung vom 8. Mai 1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 152 ff. 304 „§. 64. Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnißstrafe bis zu einem Jahre wird bestraft: 1. (. . .), 2. (. . .), 3. (. . .),

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chen305, was er damit begründete, dass im Hinblick auf § 27 des Kommissionsentwurfes und einen bereits gefassten Beschluss bei Verwendung des Begriffs der Volljährigkeit im Gesetz im Zweifel auch die für volljährig Erklärten verstanden werden sollten.306 Zu § 65307 hatte Planck keinen Abänderungsantrag gestellt.308 Die Erste Kommission beschloss in ihrer Sitzung am 18. Mai 1885 die Ablehnung der Nummern 1 bis 3, 5 und 6 des § 64 und damit unter anderem auch der vorgesehenen Strafe für Verstöße gegen das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft gemäß § 11 des Familienrechtsentwurfes, da sie kein Bedürfnis dafür sah, die aufgestellten Verbote durch Strafbestimmungen zu schützen, da entweder die sonstigen gesetzlichen Bestimmungen zu ihrer Durchführung genügten, oder kein ausreichendes öffentliches Interesse zur Rechtfertigung der Verhängung einer Strafe vorhanden sei. Die Vorschrift des § 65 des Familienrechtsentwurfes verwies die Kommission zum RPStG beziehungsweise zum Einführungsgesetz, wobei darauf hingewiesen wurde, dass nach der Aufnahme eines Teils der im RPStG enthaltenen Vorschriften dessen § 69 (welchem § 65 des Familienrechtsentwurfes nahezu wörtlich nachgebildet war) entsprechend zu ändern sein würde.309 Zu § 440 seines Familienrechtsentwurfes310 hatte Planck beantragt, in Abs. 2 die Worte „oder die gesetzliche Vormundschaft“ und die Worte „bezw. die ge-

4. (. . .), 5. wer wissentlich entgegen der Vorschrift des §. 11 eine Ehe schließt, sofern er zur Zeit der Eheschließung volljährig oder für volljährig erklärt war, 6. (. . .). In den Fällen der Nr. 2 und 3 tritt die Bestrafung nur auf Antrag desjenigen gesetzlichen Vertreters bezw. desjenigen Elterntheils ein, dessen Genehmigung zu der Ehe erforderlich war. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung, wenn die Ehe zwischen dem Vormunde und seinem Mündel oder zwischen dem letzteren und einem Abkömmlinge des ersteren geschlossen worden ist.“ 305 „Abänderungsanträge des Referenten zu dem Entwurfe des Familienrechts“, S. 5, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 293 (297). 306 „Bemerkungen zu den Aenderungsanträgen des Referenten und zu verschiedenen Bestimmungen des Entwurfs des Familienrechts.“, S. 4 u. 14, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 359 (362 u. 372). 307 „§.65. Ein Standesbeamter, welcher unter Außerachtlassung der in diesem Titel gegebenen Vorschriften eine Eheschließung vollzieht, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft.“ 308 „Abänderungsanträge des Referenten zu dem Entwurfe des Familienrechts“, S. 5, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 293 (297). 309 Protokoll der 438. Sitzung vom 18.5.1885, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 187 ff. (194 f.). 310 „§. 440. Wenn zwei durch Annahme an Kindesstatt mit einander verbundene Personen der Vorschrift des §. 11 zuwider eine Ehe schließen, so wird mit dem Zeitpunkte der Eheschließung zwischen ihnen das durch die Annahme an Kindesstatt begründete Rechtsverhältnis kraft Gesetzes aufgelöst.

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setzliche Vormundschaft“ zu streichen311, was laut seiner Begründung die Konsequenzen des zu § 379 gestellten Antrages war, die gesetzliche Vormundschaft der Eltern zu beseitigen.312 Die Erste Kommission beriet über § 440 in ihrer Sitzung am 26. Februar 1886.313 Den ersten Absatz nahm sie in unveränderter Form an, wobei sie die Prüfung, ob darin, einem Antrag Karl Kurlbaums entsprechend, zum Ausdruck zu bringen sei, dass die Voraussetzung für diese Bestimmung eine formgültige Ehe war, der Redaktion überließ. Hinsichtlich des zweiten Absatzes folgte die Kommission zunächst Plancks Abänderungsantrag und beschloss daraufhin unter Erweiterung des Antrags Kurlbaums, die Voraussetzung einer formgültigen Ehe durch die Fassung zum Ausdruck zu bringen, dass die dem einen Ehegatten über den anderen etwa zustehende elterliche Gewalt als mit der Eheschließung verwirkt anzusehen sei, wenn die Ehe aus einem anderen Grund als wegen eines Formmangels bei der Eheschließung nichtig sei, und das Gleiche gelte, wenn die Ehe anfechtbar sei und angefochten werde. Dadurch sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass Abs. 2 nicht galt, wenn die Ehe wegen eines Formmangels absolut nichtig und darum keine Nichtigerklärung erforderlich war.314 2. Die redaktionelle Überarbeitung der gefassten Beschlüsse und die Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen des Familienrechts nach den Beschlüssen des Redaktionsausschusses der 1. Kommission Wie bereits erwähnt, sah die Geschäftsordnung für die Kommissionsberatungen vom 4. Oktober 1881315 in ihrem § 1 eigentlich vor, dass sich der ersten Beratung als zweite die sachlich und formell vollständige Feststellung des Gesamtentwurfes anschließen sollte, der von einem Hauptreferenten herzustellen sein,

Stand bis zur Eheschließung dem einen der Eheschließenden die elterliche Gewalt oder die gesetzliche Vormundschaft über den anderen zu, so ist, wenn die Ehe später für nichtig oder ungültig erklärt werden sollte, die elterliche Gewalt bezw. die gesetzliche Vormundschaft mit dem Zeitpunkte der Eheschließung als verwirkt anzusehen.“ 311 „Abänderungsanträge des Referenten zu dem Entwurfe des Familienrechts“, S. 44, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 293 (336). Dass an dieser Stelle der Antrag mit dem Wortlaut wiedergegeben ist, die Worte „nur die gesetzliche Vormundschaft“ zu streichen, dürfte ein Druckfehler sein. Die genannte Fassung des Antrages findet sich im Protokoll der 525. Sitzung vom 26.2.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 756 ff. (759). 312 „Bemerkungen zu den Aenderungsanträgen des Referenten und zu verschiedenen Bestimmungen des Entwurfs des Familienrechts“, S. 152, in: Schubert, Vorlagen, Familienrecht 3, S. 359 (510). 313 Protokoll der 525. Sitzung vom 26.2.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 756 ff. 314 Protokoll der 525. Sitzung vom 26.2.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 756 (759). 315 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 270 ff.

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die Ergebnisse der ersten Beratung umfassen und nach Form und Inhalt harmonisch sein sollte. Die Erste Kommission sah jedoch von der Bestellung eines Hauptreferenten ab und übertrug dessen Aufgaben gemäß § 17 der Geschäftsordnung dem Protokollausschuss, dem damit auch die Funktion eines Redaktionsausschusses zukam.316 Der Ausschuss bestand entsprechend § 14 Abs. 1 der Geschäftsordnung aus dem Kommissionvorsitzenden Heinrich Pape, Anton von Weber als auf dessen Vorschlag zu bestimmenden dritten ständigen Mitglied und dem Redaktor des jeweiligen Teilentwurfes.317 Der Redaktionsausschuss erarbeitete zu jedem Teilentwurf eine „Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen“ 318, die allerdings eine über eine bloße Zusammenfassung hinausgehende durchgängige Neufassung der Teilentwürfe auf Grundlage der von der Kommission bisher gefassten Beschlüsse bedeutete.319 Für das Familienrecht hatten sowohl Pape als auch Planck320 jeweils Redaktionsvorlagen erstellt, wobei Pape die Vorschriften abschnittsweise nummerierte, Planck hingegen durchgehend und im Anschluss an den bereits festgestellten Kommissionsentwurf. Nach den drei Nummern des § 9 Abs. 1 im Abschnitt über die Eheschließung in Papes Redaktionsvorlage sollte eine Ehe nicht geschlossen werden können zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen „vollblütigen“ und „halbblütigen“ Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Gemäß Abs. 2 sollte es keinen Unterschied machen, ob die bezeichneten Verwandtschaftsverhältnisse auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhten. Hinsichtlich der bezeichneten Schwägerschaftsverhältnisse sollte es keinen Unterschied machen, ob die Vorfahren und Abkömmlinge des einen Ehegatten ehelich oder unehelich waren. Nach Abs. 3 sollte ein unter Abs. 1 Nr. 3 bezeichnetes Schwägerschaftsverhältnis auch dann als vorhanden anzusehen sein, wenn die Ehe, durch welche es begründet sein würde, für ungültig erklärt war. Aus der Bemerkung zu der von ihm vorgeschlagenen Fassung geht hervor, dass es Pape darum ging, angesichts der Bestimmungen in den §§ 31 bis 34 des Kommissionsentwurfes neben der gesetzlichen auch die leibliche Verwandtschaft und Schwägerschaft vom Eheverbot zu erfassen. Bei § 9 Abs. 2 sei zu beachten, dass nach § 31 Abs. 3 und § 33 des Kommissionsentwurfes Verwandtschaft oder Schwägerschaft bestehen könnten, es sich aber auch umgekehrt verhalten könne. In Abs. 3 werde ein eigentlich nicht bestehendes Schwägerschaftsverhältnis fingiert. Ohne die entsprechenden Zusätze seien die Eheverbote zweifellos zu eng. Die mit den Zu316 Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, S. 30; Mertens, S. 120. 317 Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, S. 30; Mertens, S. 120, dort Fn. 455. 318 Mertens, S. 120. 319 Mertens, S. 120, dort Fn. 455. 320 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 54 ff. u. 206 ff.; Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 765 ff.

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sätzen beabsichtigte Erweiterung wie im Entwurf mit „im Sinne“ auszudrücken, sei aber kaum korrekt. Misslich sei die apodiktische und kategorische Fassung des § 31 Abs. 3 des Kommissionsentwurfes.321 Das Verbot der Ehe zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern sowie zwischen Adoptiveltern und Nachkommen der Adoptivkinder sah Pape in § 13 seiner Redaktionsvorlage in einer gegenüber dem von der Kommission gebilligten § 11 von Plancks Teilentwurf lediglich sprachlich minimal geänderten Fassung vor.322 Dass eine entgegen den in § 9 aufgeführten Verboten geschlossene Ehe nichtig sein sollte, war in § 23 vorgesehen. Nach § 25 sollte eine nichtige Ehe, deren Nichtigkeit nicht auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruhte, solange sie nicht aufgelöst war, als gültig anzusehen sein, bis sie rechtskräftig für ungültig erklärt war. Nach § 26 sollte eine nichtige Ehe so anzusehen sein, als ob sie niemals bestanden hätte, soweit das Gesetz nicht ein Anderes bestimmte. Dies sollte auch für die nach § 25 bis zur rechtskräftigen Feststellung der Nichtigkeit als gültig anzusehenden Ehen gelten.323 Im Abschnitt über die Verwandtschaft unter dem Titel über die Annahme an Kindes statt übernahm Papes Redaktionsvorlage in § 28 unter minimaler sprachlicher Abweichung den Beschluss der Kommission zu der Bestimmung über die Rechtsfolgen einer Eheschließung zwischen Personen, die durch Annahme an Kindes statt miteinander verbunden waren. Er stellte allerdings die Frage, ob Abs. 2 mit seiner Regelung der Verwirkung der elterlichen Gewalt nicht besser in den Abschnitt über die elterliche Gewalt gehören solle.324 Plancks Redaktionsvorlage wich mit ihrer Bestimmung über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in § 1208 sprachlich von derjenigen Papes ab, indem in Abs. 1 Nr. 1 von „vollbürtigen“ und „halbbürtigen“ Geschwistern die Rede war. In den Abs. 2 und 3 war vorgesehen, dass als Verwandtschaftsverhältnis „im Sinne der Nr. 1, 2 dieses §.“ auch das durch uneheliche Abstammung zwischen dem unehelichen Kind und dessen Erzeuger begründete Verhältnis gelte beziehungsweise dass das Schwägerschaftsverhältnis „im Sinne der Nr. 3 dieses §.“ nicht nur die ehelichen, sondern auch die unehelichen Voreltern und Abkömmlinge des anderen Ehegatten umfasse und auch dann als vorhanden anzusehen sei, wenn die Ehe, durch die es begründet sein würde, für ungültig erklärt sei.325 Dass damit aber kein inhaltlicher Unterschied zu Papes Vorlage beabsichtigt war, geht aus Plancks Bemerkungen zu seiner Redaktionsvorlage hervor. Darin heißt es zu § 1208 Abs. 2, es komme darauf an, auszusprechen, dass und inwieweit der Begriff der Verwandtschaft an dieser Stelle in einem anderen Sinne genommen werde als in § 31 Abs. 3 des Kommissionent321 322 323 324 325

Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht

I, S. 52. I, S. 53. I, S. 199 f. II, S. 764 f. I, S. 54.

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wurfes, nach dem die uneheliche Abstammung nur zwischen dem Kind und der Mutter eine Verwandtschaft begründe. An § 1208 der Vorlage sei also nur neu, dass auch der uneheliche Vater als Verwandter des Kindes angesehen werde. Es sei daher zweckmäßig erschienen, nur diesen Punkt in Abs. 2 hervorzuheben. Der Ausdruck „des Verwandtschaftsverhältnisses im Sinne dieses §.“ dürfte zutreffend den Gedanken ausdrücken, dass der Begriff der Verwandtschaft in einem anderen Sinn gebraucht werde als im Sinne des § 31 des Kommissionsentwurfes.326 Das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft fand sich bei Planck in § 1212 und entsprach wörtlich der Vorschrift in Papes Vorlage.327 Das galt auch für die Bestimmung des § 1222 in Plancks Redaktionsvorlage, dass die gegen die Verbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft verstoßende Ehe nichtig sein sollte. Anders als Pape fasste Planck mit § 1224 die Bestimmungen, dass eine nichtige Ehe, deren Nichtigkeit nicht auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruhte, solange als gültig anzusehen sein sollte, bis sie aufgelöst oder für ungültig erklärt war, und dass es so anzusehen sei, als ob die Ehe nicht geschlossen worden wäre, wenn die Nichtigkeit auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruhte oder eine aus anderen Gründen nichtige Ehe aufgelöst oder für ungültig erklärt war, in einer Vorschrift zusammen.328 Dies erschien ihm laut seinen Bemerkungen zweckmäßig, um sofort zum Ausdruck zu bringen, dass es insbesondere nach Auflösung oder Ungültigkeitserklärung der Ehe in keinem Fall mehr in Frage komme, sie als gültig zu betrachten, sondern sie dann auch für die Zeit zwischen verbotswidriger Schließung und der rechtskräftigen Ungültigkeitserklärung als nichtig anzusehen sei.329 Die Bestimmung des § 1592 in Plancks Redaktionsvorlage über die Rechtsfolgen einer verbotswidrigen Eheschließung zwischen Adoptivverwandten stimmte mit der entsprechenden Vorschrift bei Pape überein.330 Wie dieser meinte Planck zwar in seinen Bemerkungen, dass der zweite Absatz mit seiner Bestimmung der Verwirkung der elterlichen Gewalt des einen über den anderen Ehegatten systematisch wohl richtiger in den Abschnitt über die elterliche Gewalt gehörte, er werde aber leichter verstanden, wenn er an dieser Stelle stehen bleibe.331 Die „Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen“ übernahm das Verbot der Ehe zwischen Verwandten und Verschwägerten in ihrem § 1208.332 Abgesehen davon, dass darin von „vollbürtigen“ und „halbbürtigen“ Geschwistern die Rede war, durchgängig der Begriff „unehelich“ verwendet wurde und in Abs. 3 nicht nur die Vorfahren und Abkömmlinge des einen Ehe326 327 328 329 330 331 332

Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht Jakobs/Schubert, Familienrecht

I, S. 58. I, S. 55. I, S. 206. I, S. 211. II, S. 768. II, S. 771. I, S. 61 f.

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gatten, sondern Eltern, Voreltern und Abkömmlinge aufgeführt wurden, folgte die Bestimmung Papes Redaktionsvorlage. § 1212 enthielt in gegenüber den Redaktionsvorlagen unveränderter Form das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft.333 Die Rechtsfolge der Nichtigkeit der Ehe bei einem Verstoß gegen die Verbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft gemäß § 1208 sah die Zusammenstellung wie Planck in seiner Redaktionsvorlage in § 1222 vor.334 Zu der Frage, wie eine nichtige Ehe bis zu ihrer Auflösung oder gerichtlichen Ungültigerklärung anzusehen sei, übernahm die Zusammenstellung in § 1224 Abs. 1 wörtlich Plancks Vorlage. Auch die Bestimmung des Abs. 2, dass es so anzusehen sei, als ob die Ehe nicht geschlossen worden sei, wenn ihre Nichtigkeit auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruhte oder eine aus anderen Gründen nichtige Ehe aufgelöst oder für ungültig erklärt war, entsprach dieser, lediglich waren noch die Worte „soweit nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt“ eingefügt worden.335 § 1593 der Zusammenstellung übernahm wörtlich die in den Redaktionsvorlagen vorgesehenen Bestimmungen über die Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft.336 3. Die Beratungen der Ersten Kommission über die „Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen“ und der sogenannte Kommissionsentwurf Auf der Grundlage der „Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen“ erarbeitete die Erste Kommission den „Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der ersten Beratung der 1. Kommission“, den sogenannten Kommissionsentwurf, von dem bereits mehrfach die Rede war. Über § 1208 der Zusammenstellung beriet sie auf ihrer Sitzung am 10. Mai 1886.337 In dieser stellte Karl Kurlbaum den Antrag, in Abs. 2 kurz zu bestimmen, dass im Sinne der Vorschriften des ersten Absatzes eine Verwandtschaft oder Schwägerschaft auch durch uneheliche Abstammung begründet werde.338 Planck beantragte, Abs. 2 so zu fassen, dass ein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne der Nrn. 1 und 2 des ersten Absatzes auch zwischen dem unehelichen Kind und dessen Vater sowie den Verwandten desselben, ein Schwägerschaftsverhältnis im Sinne der Nr. 3 des ersten Absatzes auch zwischen dem einen Ehegatten und denjenigen Personen, welche im Sinne der Nr. 1 des ersten Absatzes Verwandte 333

Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 67. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 223. 335 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 224. 336 Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 784. 337 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 ff. 338 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1197); dass in der Quellenedition von § 1288 die Rede ist, dürfte ein Druckfehler sein. 334

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des anderen Ehegatten waren, bestehe.339 Die Erste Kommission beschloss unter dem Eindruck dieser Anträge die von der bisherigen sachlich nicht abweichende Fassung, dass gemäß Abs. 2 ein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne der Nrn. 1 und 2 des ersten Absatzes auch zwischen dem unehelichen Kind und dessen Vater sowie den Verwandten des letzteren und ein Schwägerschaftverhältnis im Sinne der Nr. 3 des ersten Absatzes auch zwischen dem einen Ehegatten und denjenigen Personen, welche nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmung Verwandte des anderen Ehegatten seien, bestehe. Nach Abs. 3 sollte ein Schwägerschaftsverhältnis im Sinne des ersten Absatzes auch dann als vorhanden anzusehen sein, wenn die Ehe, durch welches es begründet sein würde, für ungültig erklärt war.340 Diese Fassung erschien der Kommission als vorzugswürdig einerseits gegenüber derjenigen in der Zusammenstellung, weil sie die Erweiterung der Begriffe der Verwandtschaft und Schwägerschaft gegenüber den Bestimmungen in §§ 31 Abs. 3 und 33 des Kommissionsentwurfes klarer hervortreten lasse, andererseits auch gegenüber Kurlbaums Antrag, weil Schwägerschaft genau betrachtet nicht durch Abstammung, sondern durch eine Ehe begründet werde. Auch wenn möglicherweise im Hinblick auf § 33 des Kommissionsentwurfes entbehrlich, sei die ausdrückliche Hervorhebung in der Bestimmung des Abs. 2 Satz 2 zum Bestehen der Schwägerschaft im Hinblick auf die Wichtigkeit der Sache und, im Anschluss an § 33 RPStG, das Interesse der Erleichterung der Geschäftsführung der Standesbeamten ratsam.341 Im Zusammenhang mit der Beratung über § 1532 der Zusammenstellung, wonach zwischen einem unehelichen Kind einerseits und dessen Mutter sowie den Verwandten der letzteren andererseits dieselben Rechte und Verbindlichkeiten bestehen sollten wie wenn das Kind ein eheliches wäre, soweit nicht das Gesetz ein anderes bestimmte, fasste die Kommission § 1208 Abs. 2 Satz 1 dergestalt, dass ein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne der Nrn. 1 und 2 des ersten Absatzes auch zwischen dem unehelichen Kind sowie dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater des Kindes sowie den Verwandten des Vaters andererseits bestehe.342 Auch das in § 1212 der Zusammenstellung vorgesehene Verbot der Ehe zwischen Adoptivverwandten war Gegenstand der Kommissionsberatungen am 10. Mai 1886. Karl Kurlbaum beantragte hierzu einerseits die Formulierung „den ehelichen und unehelichen Abkömmlingen“ statt lediglich „den Abkömmlingen“, und andererseits, entweder als Abs. 1 voranzustellen, dass die Vorschriften des 339 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1199). 340 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1204). 341 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1204). 342 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 62; § 1532 der Zusammenstellung findet sich bei Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 628.

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§ 1208 auf Personen, deren Verwandtschaft durch eine Annahme an Kindes statt begründet war, keine Anwendung finde, oder dem § 1208 Abs. 2 noch hinzuzusetzen, dass eine durch Annahme an Kindes statt begründete Verwandtschaft nicht in Betracht komme.343 Anton von Weber beantragte für den Fall der Voranstellung eines neuen Abs. 1 gemäß Kurlbaums Antrag, in dem dann zweiten Absatz hinter das Wort „darf“ „jedoch“ einzufügen oder den Satzbau unter Hinzufügung des Wortes „jedoch“ umzustellen.344 Die Erste Kommission lehnte die Anträge Kurlbaums ab, womit auch Webers Antrag als erledigt galt. Es liege weder ein Bedürfnis dafür vor, die Bestimmung des § 1212 auf alle unehelichen Abkömmlinge auszudehnen, also auch auf solche, die nach § 31 des Kommissionsentwurfes nicht zugleich verwandt waren, noch für die von Kurlbaum beantragten Zusätze, da § 1212 genügend klarstelle, dass § 1208 keine entsprechende Anwendung auf die an Kindes statt angenommenen Personen finde, auch wenn nach § 1565 der Zusammenstellung der an Kindes statt Angenommene die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden erlangte, soweit sich aus dem Gesetz nichts anderes ergebe.345 Die Regelung des § 1222 Nr. 3 der Zusammenstellung über die Nichtigkeit der Ehe bei Verstoß gegen die Verbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft wurde nahezu wörtlich in den Kommissionsentwurf übernommen, einem Antrag Kurlbaums folgend lautete die Vorschrift statt „3. wenn die Ehe gegen das Verbot des § 1207 oder des § 1208 verstößt“ nunmehr „3. wenn die Ehe gegen eines der Verbote der §§ 1207, 1208 verstößt“.346 In § 1224 Abs. 1 der Zusammenstellung wurden lediglich die Worte „durch Urteil“ und in Abs. 2 die Worte „soweit nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt“ gestrichen. Die Änderung in Abs. 1 ging auf einen Antrag von Kurlbaum, diejenige in Abs. 2 auf einen Antrag Gustav von Mandrys zurück. Die von Kurlbaum beantragte Fassung von § 1224 Abs. 1, dass die Nichtigkeit einer in Ansehung der Form der Eheschließung gültigen Ehe mit einer Klage geltend gemacht werden könne, durch welche beantragt werde, die Ehe für ungültig zu erklären, solange die Ehe nicht aufgelöst sei, lehnte die Erste Kommission mehrheitlich ab. Damit habe zum Ausdruck gebracht werden sollen, dass auch eine aus einem anderen Grund als wegen eines Formmangels nichtige Ehe tatsächlich nichtig sei und nur die Eigentümlichkeit bestehe, dass die Nichtigkeit bis zur Auflösung oder Ungültigerklärung nicht inzident geltend gemacht werden könne. Die beantragte Fassungsänderung sei jedoch nicht als Verbes343 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1197 f.). 344 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1200). 345 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1204); § 1565 der Zusammenstellung findet sich bei Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 771. 346 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 223.

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serung zu betrachten. Ebenfalls abgelehnt wurde der Antrag Albert Gebhards, in beiden Absätzen statt „Formmangel bei der Eheschließung“ den Ausdruck „Formmangel“ zu verwenden. Geändert wurde Abs. 2 jedoch insofern, dass es statt „aus anderen Gründen“ im Kommissionsentwurf „aus einem anderen Grunde“ hieß.347 Ohne sachliche Änderung gegenüber der Zusammenstellung wurde auch deren § 1593 in den Kommissionsentwurf übernommen. Kurlbaum hatte in der Sitzung der Ersten Kommission am 10. Mai 1886 den Antrag gestellt, dass in Abs. 1 statt von durch Annahme an Kindes statt „verbundenen“ von durch Annahme an Kindes statt „in gerader Linie verwandten“ Personen die Rede sein sollte.348 Demgegenüber entschied die Kommission, dass gemäß § 1593 Abs. 1 des Kommissionsentwurfes mit der Schließung der Ehe zwischen durch Annahme an Kindes statt verbundenen Personen entgegen dem Verbot des § 1212 die Aufhebung des „zwischen ihnen begründeten“ Verhältnisses eintreten solle, um klarer herauszustellen, dass die Bestimmung sich einerseits nur auf den Fall beziehe, dass zwischen den Eheschließenden ein Adoptivverhältnis bestand, und dass andererseits im Falle des § 1593 Abs. 1 das durch die Annahme an Kindes statt begründete Verhältnis nur zwischen den Eheschließenden selbst, aber nicht auch bezüglich anderer Personen aufgehoben werde, auf die sich die Wirkungen der Annahme erstreckt haben.349 Albert Gebhard stellte während der Beratungen über § 1593 den Antrag, in dessen Abs. 1 das Wort „zwei“ wegzulassen und den ersten Halbsatz allgemeiner „Wenn durch Annahme an Kindesstatt verbundene Personen eine der Vorschrift des § 1212 zuwiderlaufende Ehe schließen, (. . .)“ zu formulieren. Die Kommission entschied sich demgegenüber für die Fassung „Wenn Personen, welche durch Annahme an Kindesstatt verbunden sind, eine gegen das Verbot des § 1212 verstoßenden Ehe schließen, (. . .)“. Zudem beschloss sie, in Abs. 2 hinter dem Wort „Formmangels“ noch die Worte „bei der Eheschließung“ hinzuzufügen.350 4. Die erste und zweite Beratung des Kommissionsentwurfes Die in den Beratungen über § 1208 des Kommissionsentwurfes351 gestellten Anträge zu dessen ersten Absatz beabsichtigten keine inhaltlichen Änderungen, 347

Dazu Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 224 f. Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1198). 349 Protokoll der 546. Sitzung vom 10.5.1886, in: Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 1197 (1206). 350 Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 785. 351 „§ 1208. Eine Ehe kann nicht geschlossen werden: 1. zwischen Verwandten in gerader Linie; 2. zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern; 3. zwischen Verschwägerten in gerader Linie. 348

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sondern betrafen lediglich den Wortlaut. Anton von Weber beantragte die Fassung „zwischen Geschwistern, ohne Unterschied der Vollbürtigkeit oder Halbbürtigkeit“, Karl Kurlbaum „zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern“, Planck wollte die Worte „zwischen vollbürtigen und halbbürtigen“ streichen und zudem in Abs. 3 die Schlussworte „für ungültig erklärt“ durch die Formulierung „ungültig ist, die Gültigkeit aber nicht auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruht“ ersetzen. Mit Letzterem bezweckte er, auch die zu berücksichtigenden Fälle zu erfassen, wenn eine formgültige, aber nichtige oder eine anfechtbare und angefochtene Ehe vor Erledigung des Rechtsstreits aufgelöst oder eine anfechtbare Ehe erst nach ihrer Auflösung angefochten wurde. Angenommen wurden schließlich der Antrag von Webers sowie derjenige Plancks zu Abs. 3. Eine Streichung der an anderen, ebenfalls Geschwister betreffenden Stellen des Entwurfes nicht verwendeten Worte „vollbürtigen und halbbürtigen“ hielt die Kommission aus Rücksicht auf die Geschäftsführung der Standesbeamten für bedenklich.352 Im Ersten Entwurf fand sich die Bestimmung über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft schließlich als § 1236 mit folgenden Wortlaut: „§ 1236. Eine Ehe kann nicht geschlossen werden: 1. zwischen Verwandten in gerader Linie; 2. zwischen Geschwistern, ohne Unterschied der Vollbürtigkeit oder Halbbürtigkeit; 3. zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Ein Verwandtschaftsverhältniß im Sinne des ersten Absatzes Nr. 1, 2 besteht auch zwischen dem unehelichen Kinde sowie dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater des Kindes sowie den Verwandten des Vaters andererseits. Ein Schwägerschaftsverhältniß im Sinne des ersten Absatzes Nr. 3 besteht auch zwischen dem einen Ehegatten und denjenigen Personen, welche nach Maßgabe der vorstehenden Vorschrift Verwandte des anderen Ehegatten sind. Ein Schwägerschaftsverhältniß im Sinne des ersten Absatzes ist auch dann als vorhanden anzusehen, wenn die Ehe, durch welche es begründet sein würde, ungültig ist, die Ungültigkeit aber nicht auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruht.“ 353

Ein Verwandtschaftsverhältniß im Sinne des ersten Absatzes Nr. 1, 2 besteht auch zwischen dem unehelichen Kinde sowie dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater des Kindes sowie den Verwandten des Vaters andererseits. Ein Schwägerschaftsverhältniß im Sinne des ersten Absatzes Nr. 3 besteht auch zwischen dem einen Ehegatten und denjenigen Personen, welche nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmung Verwandte des anderen Ehegatten sind. Ein Schwägerschaftsverhältniß im Sinne des ersten Absatzes ist auch dann als vorhanden anzusehen, wenn die Ehe, durch welche es begründet sein würde, für ungültig erklärt ist.“ 352 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 62 f. 353 Erster Entwurf, S. 281.

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Zu § 1212 des Kommissionsentwurfes354 genehmigte die Kommission einen Antrag Plancks, die Vorschrift so zu fassen, dass nach ihrem Satz 1 auf Personen, die die rechtliche Stellung von Verwandten durch Adoption erlangt haben, die Vorschrift über das Verbot der Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie keine Anwendung finden sollte. Die Eheverbote wegen Adoptivverwandtschaft sollten demgegenüber unverändert in Satz 2 übernommen werden. Planck begründete diesen Antrag damit, dass ein ähnlicher Antrag zwar im Verlauf der Beratungen abgelehnt worden war – dabei handelte es sich um den oben genannten Antrag Anton von Webers in der Sitzung vom 10. Mai 1886 –, der für die Ablehnung geltend gemachte Grund, dass § 1212 klar genug ergebe, dass die Bestimmung über das Verbot der Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie auf Adoptivverwandte keine Anwendung finde, aber nicht durchschlagend sein dürfte, da es auf die Klarstellung ankomme, dass die Vorschriften über die Eheverbote wegen Adoptivverwandtschaft und leiblicher Verwandtschaft nicht als miteinander verträglich nebeneinander bestehen, sondern erstere eine Ausnahme von der letzteren enthalte. Alle Vorschriften des Gesetzbuches über Verwandte fänden auch auf diejenigen Personen Anwendung, die durch Annahme an Kindes statt die rechtliche Stellung von Verwandten erlangt hätten, soweit nicht etwas Anderes bestimmt sei. Dies sei aber nirgendwo im Gesetzbuch ausdrücklich ausgesprochen, und bei der Wichtigkeit dieses Grundsatzes sei es empfehlenswert, jede Fassung zu vermeiden, die diesbezüglich Zweifel wecken könnte.355 Der Erste Entwurf sah dementsprechend in seinem § 1240 das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft mit folgendem Wortlaut vor: „§ 1240. Auf Personen, welche die rechtliche Stellung von Verwandten durch die Annahme an Kindesstatt erlangt haben, findet die Vorschrift des § 1236 Abs. 1 Nr. 1 keine Anwendung. Es darf jedoch zwischen Personen, von welchen die eine die andere an Kindesstatt angenommen hat, sowie zwischen der ersteren und den Abkömmlingen der letzteren, auch wenn auf diese Abkömmlinge die Annahme an Kindesstatt sich nicht erstreckt hat, solange die Annahme an Kindesstatt besteht, eine Ehe nicht geschlossen werden.“ 356

Keine inhaltlichen Änderungen nahm die Kommission an der Bestimmung des § 1222 Nr. 3 des Kommissionsentwurfes über die Nichtigkeit der Ehe bei Verstoß gegen die Verbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vor. Der Erste Entwurf traf diese Regelung in seinem § 1250: „§ 1250. Die Ehe ist nur dann nichtig: 1. (. . .) 354 „§ 1212. Zwischen Personen, von welchen die eine die andere an Kindesstatt angenommen hat, sowie zwischen der ersteren und den Abkömmlingen der letzteren, auch wenn auf diese Abkömmlinge die Annahme an Kindesstatt sich nicht erstreckt hat, darf, solange die Annahme an Kindesstatt besteht, eine Ehe nicht geschlossen werden.“ 355 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 67 f. 356 Erster Entwurf, S. 282.

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2. (. . .) 3. wenn die Ehe gegen eines der Verbote der §§ 1234, 1236 verstößt.“ 357

Ebenso unverändert übernahm die Kommission § 1224 des Kommissionsentwurfes als § 1252 in den Ersten Entwurf: „§ 1252. Eine nichtige Ehe, deren Nichtigkeit nicht auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruht, ist so lange als gültig anzusehen, bis sie aufgelöst oder für ungültig erklärt ist. Wenn die Nichtigkeit einer Ehe auf einem Formmangel bei der Eheschließung beruht oder eine aus einem anderen Grunde nichtige Ehe aufgelöst oder für ungültig erklärt ist, so ist es so anzusehen, als ob die Ehe . . .“

Auch hinsichtlich der Folgen eines Verstoßes gegen das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft beließ die Kommission es bei der bisher vorgesehenen Regelung in § 1593 des Kommissionsentwurfes, den sie als § 1631 in den Ersten Entwurf übernahm: „§ 1631. Wenn Personen, welche durch Annahme an Kindesstatt verbunden sind, eine gegen das Verbot des § 1240 verstoßende Ehe schließen, so tritt mit Schließung der Ehe die Aufhebung des durch die Annahme an Kindesstatt zwischen ihnen begründeten Verhältnisses kraft des Gesetzes ein. Ist die Ehe aus einem anderen Grunde als wegen eines Formmangels bei der Eheschließung nichtig, so wird die dem einen Ehegatten über den anderen Ehegatten etwa zustehende elterliche Gewalt mit Schließung der Ehe verwirkt. Das Gleiche gilt, wenn die Ehe anfechtbar ist und angefochten wird.“ 358

5. Die Veröffentlichung des Ersten Entwurfes und der dazugehörenden Motive Dass die Erste Kommission für die Erstellung des Ersten Entwurfes deutlich mehr Zeit als ursprünglich erwartet benötigt hatte, dürfte unter anderem daran liegen, dass sie bei der Reichsverwaltung unbeliebt war. Das für die Vorbereitung des BGB sachlich zuständige, 1877 gegründete Reichsjustizamt sah sich von dieser Aufgabe durch die Existenz der Kommission ausgeschlossen, bewilligte ihren Mitgliedern daher auch nur eine äußerst geringe Aufwandsentschädigung und diskreditierte so ihre Arbeit.359 In den Beratungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft scheint sich die Kommission allerdings auch gewissermaßen selbst im Weg gestanden zu haben. Bis zur Veröffentlichung des Ersten Entwurfes im Jahre 1888 waren die Kommissionsarbeiten geheim gehalten worden360, so dass keine Rücksicht auf die Interessen etwa von politischen 357 358 359 360

Erster Entwurf, S. 285. Erster Entwurf, S. 386. Schulte-Nölke, NJW 1996, S. 1705 (1705). Schulte-Nölke, NJW 1996, S. 1705 (1706).

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Parteien oder Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften hatte genommen werden müssen. Wie dargestellt gab es dennoch eine Vielzahl an Anträgen zu anderweitigen Fassungen der zur Diskussion stehenden Bestimmungen, die keine Änderungen in der Sache beabsichtigten. So waren vor allem die §§ 1236 und 1240 des Ersten Entwurfes im Vergleich zu den späteren Bestimmungen des BGB viel ausführlicher und umständlicher formuliert. Im Gegensatz dazu war die Veröffentlichung des Entwurfes und der dazugehörenden Motive von Eile und der Abweichung vom eigentlich beabsichtigten Verfahren geprägt. Die von der Vorkommission am 15. April 1874 unterbreiteten und vom Bundesrat am 22. Juni 1874 gebilligten Vorschläge hatten vorgesehen, dass der Erste Entwurf nebst Motiven veröffentlicht und den Bundesregierungen mitgeteilt werden sollte.361 Als Heinrich von Pape dem Reichskanzler Otto von Bismarck den Entwurf am 27. Dezember 1887 überreichte, bemerkte er in seinem beigefügten Bericht jedoch, dass die Motive vollständig in den von den Redaktoren ausgearbeiteten Motiven zu den Vorentwürfen, vor allem jedoch in den über die Kommissionsberatungen geführten Protokollen enthalten seien. Letztere seien besonders wichtig, da sie sich nicht nur auf die Mitteilung der Debatten und gefassten Beschlüsse beschränkten, sondern in ihnen durchgehend die Gründe aufgezeichnet seien, auf denen die einzelnen beschlossenen Bestimmungen sowie die Ablehnung von vorgeschlagenen, aber nicht angenommenen Bestimmungen beruhten. Diese Gründe seien als von der Kommission gebilligt anzusehen, da die Protokolle alsbald nach Abfassung verlesen und festgestellt worden seien. Da das die Motive des Ersten Entwurfes umfassende Material ungewöhnlich umfangreich und von einer die Orientierung erschwerenden Beschaffenheit sei, sei die Ausarbeitung von gedrängteren, die Übersicht und Aufklärung erleichternden Motiven als sachgemäß angesehen. Diese kürzeren, als Auszug aus dem vollständigen Motivmaterial anzusehenden Motive seien von den Hilfsarbeitern der Kommission beschafft. Darauf, diese Motive der Prüfung und Genehmigung der Kommission zu unterziehen, habe verzichtet werden müssen, da ein solches Vorgehen voraussichtlich zu einer Art von neuer Lesung oder wiederholten Beratung des ganzen Entwurfs oder sogar darüber hinaus geführt und ohne wesentlichen Nutzen außerordentlich viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Deshalb seien sie auch nicht unmittelbar, sondern nur in beschränktem Sinne als Werk der Kommission anzusehen.362 Bismarck leitete den Entwurf am 5. Januar 1888 an den Bundesrat zur Kenntnisnahme und weiteren Beschlussfassung weiter.363 Der Bundesrat überwies ihn am 12. Januar 1888 dem Ausschuss für Justizwesen.364 Dieser bemängelte zwar das Fehlen von durch die Kommission genehmigten Motiven, akzeptierte jedoch, wie später auch der Bundesrat, Papes Vorschlag der 361 362 363 364

Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874, S. 15. Bundesr.-Drucks. Nr. 2/1888, S. 3 f. Bundesr.-Drucks. Nr. 2/1888. Bundesratsprotokolle 1888, § 6 (S. 2).

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Veröffentlichung des Entwurfes gemeinsam mit von den Hilfsarbeitern zusammengestellten Motiven, um eine weitere Verzögerung bei der Erarbeitung des BGB zu verhindern.365 Für das Familienrecht hatte die Motive der 1839 in Osnabrück geborene Hermann Struckmann ausgearbeitet, der seit dem 1. Juli 1877 als Hilfsarbeiter Gottlieb Plancks in der Ersten Kommission war, später der Zweiten Kommission zunächst als Reichskommissar und später als Ständiges Mitglied angehörte und das BGB in den Verhandlungen im Reichstag vertrat.366 In den Vorbemerkungen zu den §§ 1231 bis 1249 des Entwurfes erläuterte Struckmann die Gründe dafür, warum trotz des allgemein verfolgten Grundsatzes, dass der privatrechtliche Inhalt der bestehenden Reichsgesetze aufrechterhalten und nur im Bedarfsfall geändert oder ergänzt werden sollte, Bestimmungen über das Eheschließungsrecht in das BGB aufzunehmen seien, die bereits das RPStG in seinen §§ 28 ff. aufgestellt hatte. Dieses habe das Eheschließungsrecht nur unvollständig geregelt, weil es sich mit diesem Teil auf den Zweck beschränkt habe, die Durchführung der Zivilehe zu ermöglichen. An sich gehörten die Vorschriften über die materiellen Erfordernisse der Eheschließung überhaupt nicht in das RPStG. Die Aufnahme sei lediglich deshalb erfolgt, weil man die Standesbeamten nicht auf das bereits bestehende Recht habe verweisen können, da dieses teilweise dunkel, teilweise in den einzelnen Bundesstaaten verschieden gewesen war.367 Da es die Aufgabe des bürgerlichen Gesetzbuchs sei, das persönliche Eherecht in seinem ganzen Umfang zu regeln, würde es in wichtigen Punkten eine wesentliche Lücke enthalten, wenn es über die materiellen Erfordernisse und die Form der Eheschließung ganz schweigen oder diesbezüglich lediglich auf das RPStG verweisen würde. Vorschriften über die Ehehindernisse und über die Form der Eheschließung nicht in das Gesetzbuch aufzunehmen, sei aber auch deswegen nicht zu empfehlen, weil sie die Grundlage der im RPStG nicht enthaltenen und deshalb im BGB zu treffenden Bestimmungen über die Folgen ihrer Nichtbeachtung, insbesondere über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe, bildeten und deshalb mit diesen auf das Engste in Verbindung stünden. Es würde eine schwere Einbuße an Übersichtlichkeit und Einfachheit bedeuten, wenn das Gesetzbuch hinsichtlich der Folgen einer gesetzwidrig eingegangenen Ehe auf das RPStG beziehungsweise das dessen nötig werdende Ergänzungen und Abänderungen enthaltende Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch Bezug würde nehmen müssen.368 Die Aufnahme der Vorschriften über die Ehehindernisse in das bürgerliche Gesetzbuch sei auch im Interesse der Erleichterung der Geschäftsführung der Standesbeamten und im Interesse der Förderung der 365 366 367 368

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 49. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 107 f. Motive, Bd. 4, S. 8. Motive, Bd. 4, S. 8 f.

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Verbreitung ihrer Kenntnis in den beteiligten Kreisen des Publikums vorzuziehen. Denn selbst wenn man es diesbezüglich im Übrigen beim RPStG belassen wollte, würde doch insofern dessen Ergänzung erforderlich, soweit es auf das Landesrecht verweise und in diesem die nötige Vervollständigung finde, und auch eine sachliche Änderung jener Vorschriften würde mit Rücksicht auf neue Prinzipien des Gesetzbuches nicht zu vermeiden sein. Somit würde sich das Eheschließungsrecht teilweise im RPStG, teilweise im Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch finden.369 Zu den in § 1236 des Entwurfes vorgesehenen Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft betonte Struckmann zunächst die Kontinuität zu den Bestimmungen in § 33 Nrn. 1 bis 3 RPStG. Der zweite Satz des Abs. 2 könne zwar wegen § 32 des Entwurfes in Verbindung mit dem ersten Satz möglicherweise als entbehrlich anzusehen sein, wegen der Wichtigkeit der Sache und im Interesse der Erleichterung der Geschäftsführung der Standesbeamten sei es jedoch als ratsam erachtet worden, im Anschluss an § 33 RPStG die Bestimmung in § 1236 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich hervorzuheben.370 Wie § 33 RPStG mache auch § 1236 des Entwurfes das Eheverbot wegen einer auf unehelicher Abstammung beruhenden Verwandtschaft oder Schwägerschaft nicht von der Anerkennung des unehelichen Kindes, insbesondere durch den unehelichen Vater, abhängig. Da der Grund des Verbotes das durch die Zeugung begründete natürliche Verhältnis sei, könne es zur Begründung des Ehehindernisses nicht auf die Anerkennung des unehelichen Kindes ankommen. Dies gelte umso weniger, da der Entwurf nicht den Grundsatz des französischen Rechts, dass Nachforschungen über die Vaterschaft verboten seien („la recherche de la paternité est interdite“, Art. 340 Code Civil), nicht übernommen habe. Es könne nicht als richtig angesehen werden, dass mangels Anerkennung des unehelichen Kindes durch den unehelichen Vater die uneheliche Vaterschaft durch Beweis überhaupt nicht festzustellen sei. In den seltenen Fällen, in denen eine solche Feststellung wegen der betreffenden Eheverbote notwendig werde, bestehe auch kein praktisches Bedürfnis, diesbezüglich ebenso wie beim Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes und beim Anspruch der unehelichen Mutter auf Ersatz der Entbindungs- und Wochenbettkosten gegen den unehelichen Vater zur Erleichterung der Beweisführung eine besondere Rechtsvermutung der unehelichen Vaterschaft aufzustellen. Vorzugswürdig sei es, den Richter wie im Strafrecht nicht an Rechtsvermutungen zu binden, sondern es in dieser Hinsicht bei den allgemeinen Grundsätzen zu belassen.371 Zur Nichtaufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in den Entwurf räumte Struckmann ein, es sei nicht zu verkennen, dass eine entsprechende Eheschließung geeignet sei, das Schamgefühl zu verletzen 369 370 371

Motive, Bd. 4, S. 9. Motive, Bd. 4, S. 21. Motive, Bd. 4, S. 21.

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und Veranlassung zu Ärgernis zu geben. Soweit bekannt, sei jedoch kein praktisches Bedürfnis für die Wiedereinführung des Eheverbotes hervorgetreten. In Ermangelung dessen sei es aber bedenklich, das bestehende Reichsrecht in dieser Hinsicht zu ändern, umso mehr, da das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft schon vor Inkrafttreten des RPStG in großen Rechtsgebieten, namentlich im ALR, beseitigt gewesen sei und auch neuere Gesetzgebungen wie etwa diejenige der Schweiz es nicht aufgenommen hätten. Zudem würde die Feststellung der faktischen Voraussetzungen des Eheverbotes regelmäßig mit großen praktischen Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten für den Standesbeamten verbunden sein.372 Zu der Frage, ob das Ehehindernis der Schwägerschaft auch bei Ungültigkeit der die Schwägerschaft begründenden Ehe vorliegen solle, hob Struckmann zunächst hervor, dass dies nach herrschender Ansicht zu § 33 RPStG nicht der Fall sei. Auch nach den allgemeinen Grundsätzen des Entwurfes würde man mangels einer besonderen Bestimmung zu diesem Ergebnis gelangen müssen, da ein Schwägerschaftsverhältnis nur durch eine Ehe begründet werde, im Falle von deren Ungültigkeitserklärung es aber so anzusehen sei, also ob sie nicht geschlossen worden wäre. Selbst bei einer sogenannten Putativehe würde das Eheverbot wegen Schwägerschaft nicht begründet sein, da der Entwurf nicht den allgemeinen Grundsatz kenne, dass mit einer solchen alle Wirkungen einer gültigen Ehe verbunden seien. Diesem Resultat trete § 1236 Abs. 3 des Entwurfes mit seiner Bestimmung entgegen, dass eine ungültige, aber in richtiger Form geschlossene Ehe bezüglich des Ehehindernisses der Schwägerschaft dennoch als gültig behandelt werden sollte. Es widerspreche dem natürlichen und sittlichen Gefühl, eine Ehe zwischen Personen zuzulassen, zwischen denen die Eheschließung wegen Schwägerschaft verboten sein würde, wenn die frühere die Schwägerschaft vermittelnde und formgerecht geschlossene Ehe gültig gewesen wäre. Ohne die Bestimmung in § 1236 Abs. 3 des Entwurfes könnte etwa die Ehefrau den in die Ehe mitgebrachten Sohn ihres früheren Ehemannes oder dessen Vater oder umgekehrt der Ehemann die mitgebrachte Tochter seiner früheren Ehefrau oder deren Mutter heiraten. Dies sei vor allem dann besonders anstößig, wenn die Kinder aus der früheren Ehe auch gegenüber den Verwandten des Vaters als eheliche Kinder gelten würden. Es dürfe nicht gestattet werden, dass die Ehefrau den mitgebrachten Sohn ihres früheren Ehemannes, also eine Person, die rechtlich als Halbbruder ihres eigenen Kindes gelte, oder den Vater ihres früheren Ehemannes, also eine Person, die rechtlich als Großvater ihres eigenen Kindes gelte, heirate. Da in den Fällen von § 1236 Abs. 3 des Entwurfes die Voraussetzungen des Ehehindernisses wegen Schwägerschaft hinsichtlich des Vorhandenseins einer formgültigen Ehe immer klar erkennbar seien, stünden der Anerkennung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft bei Fällen dieser Art auch die genannten praktischen Bedenken zum Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht ent-

372

Motive, Bd. 4, S. 22.

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gegen.373 Bezüglich des Eheverbotes wegen Schwägerschaft nach Auflösung der sie begründenden Ehe hebe § 1236 im Gegensatz zu § 33 RPStG nicht ausdrücklich hervor, dass das Verbot ohne Unterschied eintrete, ob die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet werde, noch bestehe oder nicht, da dieser Zusatz wegen der Bestimmung in § 33 des Entwurfes entbehrlich sei. Ob das Schwägerschaftsverhältnis sich auch auf diejenigen Abkömmlinge des anderen Ehegatten erstrecke, die erst nach Auflösung der dieses Verhältnis vermittelnden Ehe gezeugt sind, ob also etwa die Ehe zwischen dem geschiedenen Ehemann und der nach Auflösung der Ehe aus einer anderen Verbindung hervorgegangenen Tochter seiner geschiedenen Ehefrau oder zwischen dem Ehemann und der nach dem Tod seiner Frau geborenen Tochter seiner Stieftochter verboten sei, sei eine andere Frage. Diesbezüglich sei die Reichweite von § 33 RPStG umstritten gewesen, nach dem Entwurf sei diese Frage mangels einer besonderen Bestimmung unzweifelhaft zu verneinen. Aus seinen allgemeinen Bestimmungen über die Schwägerschaft in den §§ 32 und 33 folge, dass eine aufgelöste Ehe nicht mehr die Wirkung der Schwägerschaft hervorbringen könne. Zwar sei nicht zu bestreiten, dass die Zulassung der Ehe in den genannten Fällen dem natürlichen Gefühl widerspreche, dennoch sei von einer entsprechenden Bestimmung im Entwurf Abstand genommen worden, weil die in Betracht kommenden Fälle sehr selten seien und das Fehlen einer solchen Regelung, soweit bekannt, sich in der Praxis nicht fühlbar gemacht habe.374 Schließlich widmete sich Struckmann noch der Frage, welche Personen unter § 1236 Abs. 1 des Entwurfes fielen. Nach dessen Sprachgebrauch seien unter Verwandten und Verschwägerten zunächst nur solche Personen zu verstehen, die nach Maßgabe seiner §§ 30 und 32 verwandt oder verschwägert seien, deren Verwandtschaft oder Schwägerschaft also durch eheliche Abstammung oder nach Maßgabe des § 30 Abs. 3 durch uneheliche Abstammung vermittel sei. Aus den §§ 1579, 1583 und 1596 ergebe sich jedoch, dass § 1236 Abs. 1 auch auf diejenigen Personen Anwendung finde, die infolge einer Legitimation durch nachfolgende Ehe die rechtliche Stellung von Verwandten oder Verschwägerten oder infolge einer Legitimation durch Ehelichkeitserklärung die rechtliche Stellung von Verwandten erlangt hätten. Dies sei neben § 1236 Abs. 2 insofern praktisch bedeutsam, da jene Bestimmung den Nachweis der wirklichen unehelichen Abstammung voraussetze, während nach den Bestimmungen über Legitimation durch nachfolgende Ehe und über Legitimation durch Ehelichkeitserklärung ein Kind gegenüber dem Ehemann oder dem Legitimierenden unter Umständen auch dann die Stellung eines ehelichen Kindes erlange, wenn es tatsächlich nicht von ihm abstamme. § 1236 Abs. 1 Nr. 1 würde an sich auch auf diejenigen Personen Anwendung finden, deren Verwandtschaft durch Annahme an Kindes statt begründet ist. Es ergebe sich jedoch aus der besonderen

373 374

Motive, Bd. 4, S. 22 f. Motive, Bd. 4, S. 23.

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Bestimmung des § 1240, dass § 1236 Abs. 1 Nr. 1 für diese abweichend von § 1601 nicht gelte.375 Zu § 1240 des Entwurfes ging Struckmann in den Motiven hauptsächlich auf die Frage ein, warum die Bestimmung nur geringfügig von § 33 Nr. 4 RPStG abwich. Auch wenn sich gewichtige Gründe dafür geltend machen ließen, wie das gemeine Recht, Art. 348 des Code Civil oder § 1614 des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft weiter auszudehnen und insbesondere die Ehe zwischen dem Annehmenden und der Witwe des Angenommenen sowie die Ehe zwischen dem Angenommenen und der Witwe des Annehmenden zu verbieten und das Verbot auch nach Aufhebung des Adoptivverhältnisses fortbestehen zu lassen, sei es als bedenklich erachtet worden, von dem bestehenden Reichsrecht in größerem Umfang abzuweichen. § 1240 des Entwurfes gehe nur insofern über dieses hinaus, dass es nach dem Vorbild des französischen Rechts oder des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs auch die Ehe zwischen dem Annehmenden und den Abkömmlingen des Angenommenen verbiete, auch wenn sich die Annahme an Kindes statt nicht auf diese erstreckt hat. Eine solche Ehe zuzulassen widerspreche zu sehr dem natürlichen Gefühl und könne zu Verhältnissen führen, die mit einem gedeihlichen Familienleben nicht vereinbar seien. Die Gründe für die Erweiterung des Eheverbotes könnten zwar auch für eine Ausdehnung auf die Ehe zwischen dem Angenommenen und den Voreltern des Annehmenden geltend gemacht werden, dies sei wegen der Seltenheit der in Betracht kommenden Fälle jedoch entbehrlich.376 Nach dem Sprachgebrauch des Entwurfes seien unter „Abkömmlingen“ solche unehelichen Abkömmlinge nicht zu verstehen, die nicht nach Maßgabe seines § 30 mit dem Angenommenen verwandt seien. Es liege kein Bedürfnis vor, das Eheverbot gemäß § 1240 analog § 1236 Abs. 2 auch auf solche unehelichen Abkömmlinge auszudehnen.377 Einleitend zu den Bestimmungen über die Ungültigkeit der Ehe in den §§ 1250 bis 1270 des Entwurfes führte Struckmann aus, dass dieser wie bei seinen allgemeinen Grundsätzen über die Ungültigkeit von Rechtsgeschäften auch bei der Ehe zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit unterscheide. Da die Eheschließung, die das Rechtsverhältnis der Ehe begründe, rechtlich betrachtet ein Rechtsgeschäft sei, würden ohne besondere Bestimmungen auch auf sie die allgemeinen Grundsätze über die Ungültigkeit von Rechtsgeschäften Anwendung finden müssen. Aus Rücksicht auf das Wesen der Ehe, insbesondere ihren sittlichen Charakter, und auf das an das Institut der Ehe sich knüpfende öffentliche Interesse seien jedoch mit den Bestimmungen der §§ 1250 bis 1270 des Entwurfes tiefgreifende Abweichungen von diesen allgemeinen Grundsätzen erforderlich. Diese Rege375 376 377

Motive, Bd. 4, S. 23 f. Motive, Bd. 4, S. 31. Motive, Bd. 4, S. 31 f.

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lung sei so erschöpfend, dass neben ihr nur wenig Raum für die Anwendung der allgemeinen Grundsätze über die Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte bleibe.378 Beruhe die Nichtigkeit der Ehe nicht auf einem Formmangel – sondern etwa gemäß § 1250 Nr. 3 des Entwurfes auf dem Eheverbot wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft –, könne sie nicht inzident, sondern nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden, bis die Ehe aufgelöst oder für ungültig erklärt sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei sie deshalb als gültig anzusehen. Dem Gedanken, dass die Ehe materiell nichtig sei, werde jedoch durch die Bestimmung des § 1253 Rechnung getragen, dass die Nichtigkeitsklage nicht nur von den Ehegatten und dem Staatsanwalt erhoben werden könne, sondern auch von jedem Dritten, dem im Falle der Nichtigkeit ein Anspruch zustehe oder im Falle ihrer Gültigkeit eine Verbindlichkeit obliege.379 Zu der Bestimmung in § 1250 Nr. 3 des Entwurfes, dass eine gegen die in seinem § 1236 vorgesehenen Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft verstoßende Ehe nichtig sein sollte, begnügte sich Struckmann mit dem Hinweis darauf, dass dies mit dem katholischen und dem protestantischen Eherecht sowie allen neueren Gesetzgebungen im Einklang stehe.380 Mehrheitlich behandelten die bestehenden Rechte im Gegensatz zum Entwurf auch das Ehehindernis der Adoptivverwandtschaft als ein öffentliches trennendes (sahen also die Folge der Nichtigkeit vor). Die Lösung des ALR, dass das Ehehindernis lediglich ein Anfechtungsrecht des Angenommenen begründe, sei im Hinblick auf die dem Ehehindernis zugrundeliegende Ratio nicht zu billigen. Nach dem Prinzip der Adoption, dass der Angenommene die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden erhalte, müsse konsequenterweise das Ehehindernis der Adoptivverwandtschaft dieselbe Wirkung haben wie das wegen leiblicher Verwandtschaft. Dafür ließen sich auch Rücksichten des Anstandes und der Aufrechterhaltung der Sittenreinheit in dem durch die Adoption begründeten Familienleben anführen. Bei dieser Lösung bleibe jedoch trotz der Eheschließung das durch die Annahme an Kindes statt begründete Verhältnis an sich unberührt, während die Ehe nicht kraft Gesetzes als nichtig behandelt werde. Dadurch entstehe die notwendig zu Konflikten führende Unzuträglichkeit, dass neben dem Adoptivverhältnis zugleich die Ehe solange fortbestehe, bis sie für nichtig erklärt sei. Diese Unzuträglichkeit werde durch die lediglich aufschiebende Wirkung des Ehehindernisses und die gleichzeitige Bestimmung in § 1631 Abs. 1 des Entwurfes vermieden, dass mit der Eheschließung kraft Gesetzes die Aufhebung des durch die Adoption zwischen den Eheschließenden begründeten Verhältnisses eintrete. Da das Adoptionsverhältnis lediglich ein künstlich geschaffenes und gemäß § 1629 des Entwurfes auch seine vertragliche Aufhebung zugelassen sei, stünden dieser Regelung keine prinzipiellen Bedenken entgegen. Andererseits sprächen überwiegende Gründe dafür, auch 378 379 380

Motive, Bd. 4, S. 43 f. Motive, Bd. 4, S. 44. Motive, Bd. 4, S. 53.

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rechtlich die Aufhebung des Adoptivverhältnisses anzuerkennen und gleichzeitig die Ehe aufrechtzuerhalten, wenn einmal das durch die Annahme an Kindes statt begründete Eltern-Kind-Verhältnis wegen einer Eheschließung zwischen den durch die Adoption verbundenen Personen faktisch zerstört sei. Das öffentliche Interesse an dem Ehehindernis werde durch seine aufschiebende Wirkung und die Regelung des § 1631 Abs. 1 des Entwurfes hinreichend geschützt. Auch liege kein Bedürfnis dafür vor, die Durchführung des Ehehindernisses außerdem noch durch eine besondere Strafvorschrift zu schützen.381 Zu der Bestimmung des § 1252, dass die Ehe außer bei einem Formmangel und damit unter anderem bei Verstößen gegen die vorgesehenen Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft zwar nichtig, aber bis zur Aufhebung als wirksam anzusehen sei, hieß es in den Motiven, dass aus dem Prinzip der Nichtigkeit eigentlich folgen würde, dass sich jeder, auf dessen Rechtsverhältnisse die Ehe im Falle ihrer Gültigkeit von Einfluss sein würde, entweder durch Geltendmachung eines Anspruchs, dessen Gültigkeit durch die Nichtigkeit der Ehe bedingt sei, oder mittels Einrede durch Bestreiten eines Anspruchs, dessen Gültigkeit von der Rechtsbeständigkeit der Ehe abhänge, auf ihre Nichtigkeit berufen könnte. Der Entwurf folge jedoch dem katholischen und protestantischen Eherecht und den neueren Partikularrechten sowie der Vorschrift des § 588 der Zivilprozessordnung, indem er davon ausgehe, dass eine nichtige Ehe regelmäßig nicht ohne weiteres als nichtig behandelt werden solle, sondern ihre Nichtigkeit auf Grund einer Nichtigkeitsklage in einem besonderen Verfahren durch richterliches Urteil festgestellt werden müsse und bis zu dieser Feststellung in einem anderen Verfahren nicht inzident über die Nichtigkeit verhandelt und entschieden werden dürfe. Konsequenterweise sei die nichtige Ehe bis zur Nichtigkeitserklärung gemäß § 1252 Abs. 1 einstweilen als gültig anzusehen. Die Ehe werde aber nicht erst durch die Nichtigkeitserklärung zu einer nichtigen, sondern das Urteil habe lediglich deklaratorische Wirkung. Die Eigentümlichkeit des Verhältnisses bestehe nur darin, dass die bereits vorhandene Nichtigkeit der Ehe nicht inzident geltend gemacht werden könne.382 Dies sei durch den Ausschluss der Privatdisposition über das Rechtsverhältnis der Ehe und das Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung gültiger Ehen, die Rücksicht auf die öffentliche Ordnung und die Sicherheit des Verkehrs sowie die Erwägung gerechtfertigt, dass es zur Vermeidung widersprechender Urteile ratsam sei, das die Nichtigkeit der Ehe gemäß § 1256 des Entwurfes möglichst in einem besonderen Verfahren einheitlich mit Wirkung für und gegen alle festgestellt werde. Da das materielle Recht unter dem Grundsatz von § 1252 Abs. 1 jedoch nicht leiden dürfe, dürfe die Berufung auf die Nichtigkeit der Ehe in einem anderen Rechtsstreit nicht vollständig ausgeschlossen werden, wenn dessen Entscheidung von der Nichtigkeit abhänge. Die 381 382

Motive, Bd. 4, S. 53 f. Motive, Bd. 4, S. 56.

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materielle Gerechtigkeit erfordere es, dass in einem solchen Fall das Verfahren in dem anderen Rechtsstreit bis zur Erledigung desjenigen über die Nichtigkeitsklage ausgesetzt oder, wenn letztere noch nicht erhoben sei, gemäß § 1253 des Entwurfes auf Antrag derjenigen Partei, die auf die Nichtigkeit ein Angriffsoder Verteidigungsmittel gründe, unter Aussetzung des Verfahrens eine Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage gesetzt werde.383 Zu § 1631 des Entwurfes schließlich führte Struckmann aus, dass die Regelung in dessen Abs. 1 die notwendige Folge davon sei, dass Adoptivverwandtschaft nach dem Entwurf nur ein aufschiebendes Ehehindernis begründe. Sei zwischen durch Annahme an Kindes statt verbundenen Personen eine gegen das Verbot des § 1240 versstoßende Ehe geschlossen und diese gültig, könne daneben das durch die Annahme an Kindes statt zwischen ihnen begründete Verhältnis nicht fortbestehen. Grundsätzlich würde es angemessen sein, in einem solchen Fall das durch die Annahme begründete Verhältnis nicht nur zwischen den Eheschließenden selbst, sondern auch bezüglich der anderen Personen, auf die sich die Wirkungen der Annahme erstreckt haben, kraft Gesetzes eintreten zu lassen, andererseits sei es aber bedenklich, an die einseitige Handlung der Eheschießenden für die anderen Personen den Verlust der durch die Annahme für sie begründeten Rechte zu knüpfen.384 Sei die Ehe in einem Fall des § 1631 Abs. 1 nichtig oder anfechtbar und angefochten, bleibe das durch die Annahme an Kindes statt begründete Verhältnis grundsätzlich bestehen. § 1631 Abs. 2 nehme mit seiner Regelung nach dem Vorbild des ALR Rücksicht darauf, dass durch die Eingehung einer formgültigen, wenn auch im Übrigen ungültigen Ehe das durch die Adoption zwischen den Eheschließenden begründete Eltern-Kind-Verhältnis in seiner sittlichen Grundlage zerstört sei, das minderjährige angenommene Kind aber unter dem Missbrauch des dem Annehmenden zustehen Elternrechts nicht leiden solle. Dafür, wie das preußische Recht noch weiter zu gehen und zu bestimmen, dass der Annehmende alle durch die Annahme an Kindes statt über die Person und das Vermögen des Angenommenen entstandenen Rechte verlieren, der Angenommene dagegen alle für ihn dadurch begründeten Rechte behalten solle, bestehe weder ein Bedürfnis, noch sei es angemessen, da eine solche Regelung für den Annehmenden den Charakter einer Strafbestimmung haben würde.385 Es ist unbestritten, dass der Erste Entwurf nach seiner Veröffentlichung 1888 teilweise harte Kritik aus der juristischen Wissenschaft und Praxis auf sich zog.386 Die Meinungen darüber, ob er aus damaliger Sicht für das weitere gesetzgeberische Vorgehen überhaupt noch eine Rolle würde spielen können, gehen dagegen auseinander. Sie reichen von der Einschätzung, dass ein Scheitern nach 383 384 385 386

Motive, Bd. 4, S. 56 f. Motive, Bd. 4, S. 1001 f. Motive, Bd. 4, S. 1002. Wagner, Jura 1999, S. 505 (506).

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seiner katastrophal schlechten Aufnahme in der Öffentlichkeit wahrscheinlicher als der Erfolg gewesen sei387, bis zu der Ansicht, dass er trotz der an ihm geübten Kritik als taugliche Grundlage für das BGB oder zumindest für die weitere Bearbeitung gegolten habe.388 Was die Bestimmungen des Entwurfes über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft anging, war die Kritik allerdings offenbar durchgängig negativ.389 Bemängelt wurde bereits die Unverständlichkeit des Ersten Entwurfes. Diese veranschaulichte der Berliner Historiker und Privatdozent Ignaz Jastrow beispielhaft an der Vorschrift des § 1236. Weit gefährlicher als Fälle offenbarer Unverständlichkeit seien andere, in denen der unbefangene Leser glauben müsse, den klaren Sinn erfasst zu haben und auch nicht entfernt auf den Gedanken kommen könne, es mit schwierigen Ausdrücken zu tun zu haben. Er glaube, die Entscheidung ablesen zu können und werde hinterher darüber aufgeklärt, dass die Entscheidung des Gesetzes genau die gegenteilige sei.390 Während das Verbot der Ehe zwischen nahen Verwandten bekannt sei, könnte man jedoch zweifeln, wie das Gesetz Ehen zwischen Stiefvater und Stieftochter behandele. Die Lösung dieses Zweifels müsse § 1236 bieten, der aber außer den Verwandten nur die Verschwägerten nenne. Wer nun glauben möge, die Ehe zwischen Stiefvater und Stieftochter sei erlaubt, würde sich irren, da beide nach dem Entwurf miteinander „verschwägert“ seien, und wenn man die Ehe zwischen Schwiegervater und Schwiegertochter als eine Ehe „zwischen Verschwägerten in gerader Linie“ verboten habe, so sei nach dieser Familienanschauung die besondere Nennung von Stiefvater und Stieftochter nicht mehr nötig, da es sich dabei eben auch um eine verbotene Ehe „zwischen Verschwägerten“ handele. Diese Ausdrucksweise sei nicht etwa eine neue Erfindung, sondern man finde derartige Auseinandersetzungen in den juristischen Lehrbüchern. Wenn ein Mann eine Frau heirate, werde er mit deren Verwandten verschwägert, also auch mit seinen Stiefkindern. Dies sei eine höchst scharfsinnige Auseinandersetzung und mache den Geistesgaben desjenigen, der sie sich ausgedacht habe, sehr viel Ehre. Es sei aber ein Unterschied, ob man so etwa in einem Lehrbuch oder in einem Gesetzestext auseinanderzusetzen habe. Die Verfasser früherer Gesetze seien auch sehr gelehrte und scharfsinnige Juristen gewesen, aber nicht auf den Gedanken gekommen, eine so sonderbare Ausdrucksweise in die Gesetzessprache einzuführen.391 Da die Motive ausdrücklich erklärten, § 1236 schließe sich von Fassungsänderungen abgesehen im Wesentlichen den Bestimmungen des RPStG an, sei der Paragraph also in der Weise entstanden, dass der Bearbeiter die deutliche Fassung des RPStG vor sich liegen gehabt und absicht387

Schulte-Nölke, NJW 1996, S. 1705 (1707). Wagner, Jura 1999, S. 505 (506). 389 Einen zusammenfassenden Überblick enthält die im Reichsjustizamt gefertigte Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, Bd. 4, S. 22 ff. und 28. 390 Jastrow, Volkswirthschaftliche Zeitfragen 87/88, S. 24. 391 Jastrow, Volkswirthschaftliche Zeitfragen 87/88, S. 24 f. 388

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lich die einfache deutsche Ausdrucksweise in eine Art internationale Juristensprache umgesetzt habe. Dass die Motive kurz darauf die Aufnahme eines Satzes, den man vielleicht für entbehrlich halten könne, damit entschuldigten, dass eine ausdrückliche Hervorhebung wichtiger Dinge im Interesse der Erleichterung der Geschäftsführung der Standesbeamten ratsam sei, zeige die Absicht der Verfasser, einem Publikum wie den Standesbeamten verständlich zu bleiben. Es habe ihnen aber jedes Bewusstsein davon gefehlt, dass diese gute Absicht vereitelt werde, wenn sie statt der gewöhnlichen Ausdrücke des Familienlebens andere, im Volk unbekannte wählten. Indem sie Stiefeltern und Stiefkinder wie Schwiegereltern und Schwiegerkinder zusammen unter den Begriff der „Verschwägerten“ gebracht hätten, seien sie von der Kürze des Ausdrucks und der darin liegenden Logik des Systems so entzückt, dass sie alles andere darüber vergessen hätten.392 Dies sei für die Sprache des Gesetzbuches allerdings bezeichnend. Sie sei geformt mit einer gewissen Freude daran, dass man es sich viel Mühe habe kosten lassen, den Ausdruck zustande zu bringen und dass nun der Leser es sich auch Mühe kosten lassen könne, sie zu enträtseln. Auch wo die Sätze klar und einfach schienen, sei in ihnen noch irgendein geheimer Sinn verborgen. Dies gehe so weit, dass selbst die gelehrtesten und scharfsinnigsten Juristen dem nicht mehr folgen wollten.393 Der Göttinger Privatdozent und Gerichtsassessor Ludwig Goldschmidt mutmaßte, dass bei der Fassung von § 1236 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfes sicher, wenn auch vielleicht nicht klar bewusst, die Neigung zur Erteilung von Anweisungen und Belehrungen gewirkt habe. Dass zwischen einem Ehegatten und gewissen im Sinne des Eherechts als Verwandte des anderen geltenden Personen ein Schwägerschaftsverhältnis bestehe, ergebe sich bereits aus dem unmittelbar vorhergehenden Satz in Verbindung mit § 32 des Entwurfes.394 Paul Hinschius bemängelte die Übersichtlichkeit der Regelungen über die Eheverbote. Sie würde gewonnen haben, wenn der Entwurf im Abschnitt über die Ehehindernisse diese gesondert nach den Rechtsfolgen der Nichtigkeit beziehungsweise Anfechtbarkeit behandelt hätte. Diese Fälle seien nunmehr durcheinandergeworfen. Sodann sei die Vorschrift, dass das Ehehindernis der Verwandtschaft gemäß § 1236 nicht auch die Adoptivverwandtschaft umfasse, die jetzt § 1240 einleite, hier nicht am Platz. Vielmehr würde, wenn man aus übergroßer Ängstlichkeit, dass jemand unter den Verwandten gemäß § 1236 trotz des § 1240 Satz 2 auch Adoptivverwandte verstehen könnte, eine ausdrückliche Regelung für 392

Jastrow, Volkswirthschaftliche Zeitfragen 87/88, S. 25. Jastrow, Volkswirthschaftliche Zeitfragen 87/88, S. 25 f. 394 Goldschmidt, Heft 1, S. 184 f. „§ 32. Ein Ehegatte ist mit den Verwandten des anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grade der sie begründenden Verwandtschaft.“ Siehe Erster Entwurf, S. 7. 393

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nötig halte, diese in § 1236 zu treffen sein, dessen Abs. 2 das Verwandtschaftsverhältnis näher definiere.395 Allerdings sei aus den in den Motiven aufgeführten zutreffenden Gründen der Adoptivverwandtschaft der ihr bisher zum Teil noch beigelegte Charakter eines trennenden Ehehindernisses nunmehr genommen.396 Deutliche Kritik zog auch der Umfang der Eheverbote des Entwurfes, und hier insbesondere das Fehlen desjenigen wegen Geschlechtsgemeinschaft, sowie die Bestimmungen über die Rechtsfolgen auf sich. So forderte der emeritierte Erlanger Rechtsprofessor Adolf von Scheurl, in das BGB das Verbot der Ehe zwischen sämtlichen Personen aufzunehmen, von denen eine mit den Vor- oder Nachfahren der anderen nachweislich außereheliche Geschlechtsgemeinschaft gepflogen habe, und verwies darauf, dass die Motive selbst anerkannten, dass solche Ehen das Schamgefühl verletzten und Anlass zu Ärgernis geben könnten. Dass laut den Motiven ein praktisches Bedürfnis für die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht hervorgetreten sei, solle lediglich heißen, dass seit der Einführung des RPStG kein Fall vorgekommen sei, in dem jemand eine entsprechende Ehe habe eingehen wollen.397 Demgegenüber fragte Scheurl, ob daraus geschlossen werden dürfe, dass auch zukünftig ein solcher Fall nicht vorkommen werde, ob das Verbot einer schlechthin verabscheuungswürdigen Handlung aufhöre, ein praktisches Bedürfnis zu sein, wenn etwa zufällig während eines Jahrzehnts kein Versuch ihrer Begehung unternommen worden sei, und ob es kein praktisches Bedürfnis sei, dass das Gesetz Standesbeamte davor schütze, bei der Schließung solcher zwar nicht im strafrechtlichen, aber im tatsächlichen Sinne blutschänderischer Ehen helfen zu müssen, sowie Personen, die unbewusst solche Ehen geschlossen hätten, wenn es ihnen bekannt werde, die Befreiung davon zu ermöglichen, wenn doch nicht geleugnet werden könne, dass fortwährend solche Fälle nur allzu leicht vorkommen könnten.398 Scheinbar am überzeugendsten sei der ebenfalls in den Motiven geäußerte Einwand, dass die Feststellung der faktischen Voraussetzungen des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft regelmäßig mit großen praktischen Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten für den Standesbeamten verbunden sein würde. Dem liege aber die falsche Voraussetzung zugrunde, dass die gesetzliche Anerkennung des Ehehindernisses den Standesbeamten verpflichte, in jedem Einzelfall zu untersuchen, ob es vorliege. Tatsächlich würde er aber nur dann zur Verweigerung seiner Mitwirkung bei der Eheschließung berechtigt und verpflichtet, wenn die Geschlechtsgemeinschaft eine notorische oder nachgewiesen sei. Dies könne jedoch auch durch eine Vollzugsverordnung geregelt werden. Bei Streit über das Vorhandensein des Ehehindernisses würden die Streitenden ohnehin an das Ehegericht zu verweisen 395 396 397 398

Hinschius, AcP 74, S. 55 (65 f.). Hinschius, AcP 74, S. 55 (72 f.). Scheurl, AcP 74, S. 387 (390). Scheurl, AcP 74, S. 387 (390 f.).

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sein. Zudem könnte es genügen, dass Ehehindernis als ein privates trennendes zu behandeln, so dass eine dennoch geschlossene Ehe nicht von Amtswegen angefochten werden könne, sondern nur von demjenigen, der sie ohne Wissen um sein Vorliegen geschlossen habe. Auch dann würden die schlimmsten Ärgernisse und sehr leicht mögliche Gewissensbeschwerungen vermieden werden.399 Neben dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft entbehrlich sei ein besonderes Verbot der Ehe mit einem Nachkommen des anderen Ehegatten aus einer zweiten Ehe. Ein solches müsste mit der Folge der Nichtigkeit der Ehe nur gefordert werden, wenn das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft unberücksichtigt bleibe. Es wäre allerdings richtiger, dem § 1236 als vierten Absatz die Bestimmung hinzuzufügen, dass ein Schwägerschaftsverhältnis im Sinne des ersten Absatzes auch je zwischen einem Ehegatten und den Abkömmlingen des anderen aus einer folgenden Ehe anzusehen sei. Es werde sich wohl nicht in Abrede stellen lassen, dass das gesunde Volksgewissen die Eingehung auch solcher Ehen als unbedingt verwerflich ansehen müsste.400 Dies werde regelmäßig auch zu behaupten sein von Ehen zwischen Personen, von denen die eine mit einem leiblichen Verwandten in gerader Linie des anderen ehemals gültig verlobt gewesen sei. Ein strafbewehrtes Verbot solcher Ehen mit Zulassung der Dispensation für besondere Fälle könnte jedoch ausreichen. Möglicherweise ließe sich die gleiche Behandlung auch rechtfertigen für die Ehe mit der Schwester eines Elternteils. Da auch eine solche vom gesunden Volksgewissen im Regelfall stets verabscheut werden würden, lasse es sich nicht billigen, wenn die Gesetzgebung sie schlechthin freigebe. Denn unter regelmäßigen Umständen stünde sie mit der natürlichen Empfindung, die mit dem Verhältnis zu Geschwistern der Eltern verbunden sei, in allzu grellem Widerspruch.401 Der Berliner Rechtsprofessor Otto von Gierke kritisierte, dass der Entwurf das bestehende Recht durch die Bestimmung ergänze, dass auch die durch eine ungültige Ehe begründete Schwägerschaft ein Ehehindernis darstellen solle, sofern die Ungültigkeit nicht auf einem Formmangel beruhte. Wenn dementsprechend der Stiefvater die Stieftochter heiraten könne, falls sich nachträglich die Unzuständigkeit des bei der Trauung mit der Mutter fungierenden Standesbeamten ergebe, dagegen die Ehe zwischen Verlobten für immer unmöglich werde, sobald der Sohn oder Vater des Bräutigams durch Betrug oder Drohung eine formgerechte Trauung mit der Braut erwirkt habe, sei dies ein wenig befriedigendes Ergebnis. Wenn die Frage überhaupt gesetzgeberisch entschieden werden solle, würde dem natürlichen Gefühl in beiden Fällen entsprechen, das Eheverbot von der tatsächlichen Vollziehung der Ehe abhängig zu machen.402 In diesem Sinne würde die Sache ohne weiteres erledigt, wenn der Entwurf das allgemeine Eheverbot zwischen Personen, von denen die 399 400 401 402

Scheurl, AcP 74, S. 387 (391). Scheurl, AcP 74, S. 387 (391 f.). Scheurl, AcP 74, S. 387 (392). Gierke, S. 397.

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eine mit Vor- oder Nachfahren der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen habe, aufnehmen würde, wie Scheurl mit schwer widerleglicher Begründung fordere.403 Die Vorschriften über die Ungültigkeit der Ehe zeichneten sich durch eine ganz besonders künstliche und schwerfällige Fassung aus. Der Entwurf unterscheide hier wie bei Rechtsgeschäften überhaupt mit der „Nichtigkeit“ und der „Anfechtbarkeit“ zwei Arten von „Ungültigkeit“. Mit diesen Begriffen verbinde er jedoch hier insofern einen abweichenden Sinn, indem er die Geltendmachung der Ungültigkeit der Ehe regelmäßig nur im Wege einer besonderen Klage gestatte, wovon er nur bei der Nichtigkeit wegen Formmangels dadurch eine durchgreifende Ausnahme mache, indem er eine aus diesem Grund ungültige Ehe den gewöhnlichen Regeln über nichtige Rechtsgeschäfte unterwerfe. Diese bei einer schlechthin formlosen Ehe gerechtfertigte Ausnahme verstoße in ihrer Erstreckung auf eine äußerlich in standesamtlicher Form geschlossene, aber wegen innerer Formmängel nur scheinbar formgerechten Ehe gegen alle Billigkeit. Wenn etwa der Standesbeamte außerhalb seines Amtsbezirkes fungiert habe, in Wahrheit nicht mehr Standesbeamter gewesen oder durch eine hierzu nicht befähigte Person vertreten worden sei, Zeugen nicht zugezogen seien oder die abschließende Erklärung des Standesbeamten unterblieben sei, so sei es eine unerträgliche Konsequenz, dass nun etwa die Heirat mit der Schwiegermutter oder dem Schwiegerkind und mit dem Stiefkind zulässig sei.404 Ein Berliner Gerichtsassessor Neumann dagegen hielt Gierke in einer Abhandlung über Literatur zum Ersten Entwurf, in der er auch dessen Werk „Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht“ besprach405, zwar vor, dieser entnehme den Regelungen des Entwurfes in § 1236 über das Eheverbot wegen Schwägerschaft zu Unrecht, dass der Stiefvater die Stieftochter heiraten könne, wenn sich nachträglich die Unzuständigkeit des bei der Trauung mit der Mutter fungierenden Standesbeamten herausstelle. Wie sich aus den §§ 1245 und 1246 des Entwurfes406 403

Gierke, S. 397, dort Fn. 3. Gierke, S. 399. 405 Die Abhandlung ist aufgeteilt auf Beiträge, Jg. 33, S. 93 ff. und 383 ff. und Jg. 34, S. 103 ff. 406 „§. 1245. Die Ehe kann nur vor einem Standesbeamten geschlossen werden. Wenn ein Standesbeamter außerhalb seines Amtsbezirkes oder bei der Schließung seiner eigenen Ehe als Standesbeamter handelt, so gilt er nicht als Standesbeamter.“ „§. 1246. Die Eheschließung soll vor dem zuständigen Standesbeamten erfolgen. Zuständig ist derjenige Standesbeamte, in dessen Bezirke einer der Verlobten seinen Wohnsitz hat oder sich gewöhnlich aufhält. In Ermangelung eines solchen Standesbeamten wird, wenn beide Verlobte oder auch nur einer derselben Deutsche sind, der zuständige Standesbeamte von der obersten Aufsichtsbehörde des Bundesstaates bestimmt, welchem im ersten Falle einer der Verlobten und im letzten Falle der Deutsche Verlobte angehört. Unter mehreren zuständigen Standesbeamten haben die Verlobten die Wahl.“ Siehe Erster Entwurf, S. 283 f. 404

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ergebe, sei die Unzuständigkeit des Standesbeamten an sich für die Gültigkeit der Ehe selbstverständlich ohne Belang, wenn der Standesbeamte nur innerhalb seines Amtsbezirkes gehandelt habe. Trotzdem könne man Gierke nicht widersprechen, wenn dieser bei Ungültigkeit der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe ohne Rücksicht auf den Grund der Ungültigkeit das Eheverbot von der tatsächlichen Vollziehung der Ehe abhängig machen wolle.407 Auch für Gierkes Greifswalder Kollegen Otto Fischer war es ganz unerträglich, dass das Ehehindernis der Schwägerschaft zwar durch materiell nichtige Ehen, aber nicht durch Ehen mit Formfehlern begründet werde. Der von den Motiven betonte Widerstreit mit dem natürlichen und sittlichen Gefühl sei nicht von der dauernden Anwesenheit des zweiten Zeugen bei der Eheschließung oder dem Vorhandensein der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde für den fungierenden Standesbeamten abhängig, und mit der billigen Wendung, dass bei formell mangelhaften Ehen die Voraussetzungen des Hindernisses nicht immer klar erkennbar seien, könne man sich der Verpflichtung, diesen Widerstreit zu beseitigen, nicht entziehen. Es würde am besten sein, den Vorschlägen Scheurls und Gierkes nach der Anerkennung der Geschlechtsgemeinschaft mit Aszendenten und Deszendenten als Ehehindernis zu folgen. Fälle, in denen der Vater eine Frau heirate, mit der sein Sohn öffentlich im Konkubinat gelebt und Kinder gezeugt hatte, seien praktisch vorgekommen und erregten stets großen Anstoß. Bloße Feststellungsschwierigkeiten, die übrigens keineswegs unüberwindlich seien, dürften nicht davon abhalten, den Anforderungen der Ethik zu genügen.408 Fischer schlug deshalb unter anderem vor, § 1236 Abs. 3 auf Geschlechtsverbindungen aller Art zu erstrecken, eventuell die Ausnahme für den Fall der formellen Nichtigkeit zu streichen, § 1250 Abs. 3 die Fassung „wenn die Eheschließenden miteinander in verbotenen Graden verwandt sind, oder wenn einer derselben mit einer anderen Person gültig verheiratet ist“ zu geben sowie § 1252 zu streichen.409 Was den Umfang der Eheverbote des Ersten Entwurfes anging, war die Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft offenbar das Hauptanliegen derjenigen Kritiker, denen der Entwurf nicht weit genug ging. Mit dieser Forderung sollten sie schließlich auch Erfolg haben. Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft war zu dieser Zeit allerdings bereits längst ein Anachronismus, hatte es doch schon lange vor 1875 nicht in allen deutschen Ländern gegolten und war auch nicht in das RPStG aufgenommen worden. Auch konnten die Kritiker des Ersten Entwurfes außer den überkommenen sittlichen und moralischen Anschauungen kein überzeugendes Argument für die Wiedereinführung geltend machen. Zu der entsprechenden Forderung hatten die Motive zum Ersten Entwurf jedoch ihrerseits geradezu eine Steilvorlage geliefert, denn sie rechtfer407 408 409

Neumann, Beiträge, Jg. 34, S. 103 (107 f.). Fischer, Jahrbücher, Bd. 29, S. 248 (318 f.). Fischer, Jahrbücher, Bd. 29, S. 248 (333 f.).

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tigten den Verzicht auf das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft zwar einerseits mit der praktischen Erwägung der Beweisschwierigkeiten, stellten andererseits aber so häufig auf Kriterien wie Sitte, Moral und Anstandsgefühl ab, dass es nicht schwerfiel, aus denselben Erwägungen ein strengeres Eheverbotsrecht zu fordern. Bis dahin hatte alles darauf hingedeutet, dass das BGB einfach die im RPStG aufgestellten Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft ihrem Umfang nach übernehmen und darüber hinaus die Rechtsfolgen vereinheitlichen würde. Nunmehr konnte, wer etwa die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft forderte, nicht nur darauf verweisen, dass die Motive ihrerseits häufig auf Sitte und Moral rekurrierten, sondern auch auf prominente Stimmen aus der juristischen Fachwelt. Vor diesem Hintergrund war die reichsweite (Wieder-)Einführung dieses Verbotes durch das BGB also nicht so unerwartet, wie es auf den ersten Blick erscheint. Zu klären bleibt die Frage, ob es im weiteren Verlauf des Geschehens tatsächlich vor allem das Zentrum war, das auf diese Gesetzesverschärfung drängte, und auf welche Weise es deren Befürwortern gelang, ihre Forderung zu realisieren.

IV. Der Zweite Entwurf 1. Die Einsetzung der Zweiten Kommission Die vom Bundesrat allgemein gebilligten Vorschläge der Vorkommission vom 15. April 1874 hatten eigentlich vorgesehen, dass die Erste Kommission im Anschluss an die erste Lesung einen oder mehrere Referenten für die Aufgabe ernennen sollte, die von den Regierungen oder anderweitig gegen den Ersten Entwurf vorgebrachten Bedenken und Änderungsvorschläge zusammenzustellen und zu prüfen. Auf Vortrag des oder der Referenten und unter Berücksichtigung der etwa aus der Mitte der Kommission selber hervorgebrachten Abänderungs- und Ergänzungsvorschläge sollte die zweite Lesung des Gesamtentwurfes durch die Kommission stattfinden. Daran sollte sich in gleicher Weise wie bei der ersten Lesung die formelle Schlussredaktion anschließen. Der so festgestellte Entwurf sollte mit Motiven dem Bundesrat überreicht werden.410 Noch bevor der Erste Entwurf veröffentlicht wurde, ergriff jedoch das Reichsjustizamt ab Ende 1887 die Initiative und übernahm unter Verdrängung des Bundesrates immer mehr die Rolle als maßgebender Akteur.411 Dadurch sollte die Zentrumspartei, lange bevor der Gesetzentwurf an den Reichstag gelangte, eine Möglichkeit erhalten, auf das Gesetzbuch Einfluss zu nehmen, wie es in den siebziger Jahren nicht nur wegen des sich damals in vollem Gang befindenden Kulturkampfes, sondern auch wegen der dominanten Rolle des Bundesrates und der Bundesregierungen kaum möglich erschienen wäre. Dass das Reichsjustizamt die Federführung in den Arbeiten am BGB immer stärker an sich zog, erklärt Hans Schulte-Nölke in seiner 410 411

Bundesr.-Drucks. Nr. 53/1874, S. 15 f. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 50 ff.

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Arbeit über das Amt und die Entstehung des BGB mit der Behörden offenbar häufiger innewohnenden Tendenz, den eigenen Kompetenzbereich durch Hinzugewinn neuer Tätigkeitsfelder zu erweitern, die durch die Sorge um das eigene Überleben noch gesteigert worden sei. Dadurch habe sich die Begehrlichkeit des Reichsjustizamtes mit den Vorbereitungsarbeiten zum BGB nahezu zwangsläufig auf das bei weitem größte Gesetzgebungsprojekt des Reiches richten müssen.412 Als Gründe für die Sorge des Reichsjustizamtes um die eigene Existenz führt Schulte-Nölke an, dass es für seine Errichtung 1877 weder Sachzwänge, noch ein dringendes Bedürfnis gegeben und es daher auch nur ein schmales Aufgabenfeld und eine bescheidene Ausstattung erhalten hatte. Außerdem sei das Amt in den ersten Jahren seines Bestehens wohl nicht vollständig ausgelastet gewesen. Nachdem mit Erlass der Reichsjustizgesetze die große Justizreform 1879 abgeschlossen war, sei die Notwendigkeit eines eigenständigen Justizressorts sogar ernsthaft infrage gestellt worden.413 Als das Reichsjustizamt Ende 1887 Preußen und Bayern seine Bedenken gegen die in den Vorschlägen der Vorkommission beabsichtigte Vorgehensweise mitteilte und stattdessen eine weitgehend von ihm vorzubereitende Verschmelzung der zweiten Lesung des Gesetzentwurfes mit den Ausschussberatungen im Bundesrat anregte414, ging es ihm offenbar auch entscheidend darum, die Arbeiten am BGB möglichst schnell zum Abschluss zu bringen. So hieß es in einem Schreiben an Bayern vom 6. Dezember 1887, es lasse sich nicht verkennen, dass eine Verschmelzung der zweiten Lesung mit der Ausschussberatung des Bundesrates einen erheblichen Zeitgewinn bedeuten würde. Für das Zustandekommen des Gesetzbuches sei auch die in Aussicht stehende Verlängerung der Legislaturperioden des Reichstages günstig. Um dies auszunutzen, werde man die Vorlage an den Reichstag bereits im ersten, spätestens aber im zweiten Jahr der 1889/ 1890 beginnenden Legislaturperiode bewirken müssen, was sich nicht erreichen lassen werde, wenn die zweite Lesung in der Kommission und die Beratung des Bundesrates als voneinander getrennte Akte vorausgehen würden. Verschmelze man dagegen beide, würde die Beratung vielleicht schon im Winter 1888/1889 beginnen können, zumindest würde es möglich sein, sie bis zum Frühjahr 1890 und damit so rechtzeitig zu Ende zu führen, dass der Reichstag mit der Vorlage befasst werden und zu ihrer Beratung eine ständige Kommission wählen könnte, ohne die der Entwurf im Reichstag nicht durchzubringen sein würde.415 Bayern erklärte sich in seiner Antwort vom 24. Dezember 1887 damit einverstanden, dass die Beratung des Entwurfes in einem Bundesratsausschuss unter Hinzuziehung von Mitgliedern der Ersten Kommission einerseits den Regierungen den 412 413 414 415

Schulte-Nölke, S. 352. Schulte-Nölke, S. 351 f. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 51. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 318 (319).

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ihnen gebührenden Einfluss sichere und andererseits den Kommissionsmitgliedern neben der Gelegenheit zur Anregung der von ihnen selbst gewünschten Verbesserungen die Möglichkeit biete, auf die Wahrung der Einheitlichkeit des Gesetzgebungswerkes hinzuwirken.416 In einem Schreiben an Reichskanzler Otto von Bismarck vom 12. Januar 1888 erklärte der Staatssekretär im Reichsjustizamt Hermann von Schelling unter Bezugnahme auf die gegenüber Bayern geäußerten Bedenken, das praktische Bedürfnis, den Einfluss der Regierungen zu wahren, den Interessentenkreisen aus der Wirtschaft die angemessene Berücksichtigung ihrer Wünsche und dem Gesetzbuch den ungehemmten Fortgang zu sichern, spreche dafür, die zweite Lesung als unmittelbare Grundlage für die Beschlussfassung des Bundesrates und in Verbindung mit ihr, entweder im Justizausschuss oder in einer besonderen Konferenz von Vertretern der Regierungen vornehmen zu lassen. Durch Hinzuziehung einzelner Mitglieder der Ersten Kommission könnte den Verfassern des Ersten Entwurfes die Gelegenheit gegeben werden, sich ihrerseits auf die Kritiken an und Änderungsvorschlägen zu diesem zu erklären und die Einheitlichkeit des Gesetzgebungswerkes zu wahren. Über die genaue Ausgestaltung dieser Einrichtung könne später Beschluss gefasst werden, die Entscheidung über Beibehaltung oder Auflösung der Ersten Kommission dränge jedoch. Mit dem Abschluss der Arbeiten an den Einführungsbestimmungen sei deren Aufgabe als erledigt anzusehen, da die Sammlung und Zusammenstellung der für die zweite Lesung bestimmten Äußerungen und Vorschläge durch das Reichsjustizamt erfolgen könne. Wegen der Auflösung der Kommission müsse man sich zunächst mit den Regierungen der größeren Bundesstaaten abstimmen. Hierzu bitte er, Schelling, um Ermächtigung. Nach vertraulichen Äußerungen der Justizminister Preußens und Bayerns nehme er an, dass diese seine Auffassung teilten.417 In dem Antwortschreiben vom 25. Januar 1888 an Schelling teilte die Reichskanzlei ihm das Einverständnis Bismarcks mit, die Erste Kommission aufzulösen und sich zu diesem Zweck mit den betreffenden Bundesregierungen in Verbindung zu setzen.418 Nachdem die Justizminister Preußens und Bayerns in einem vertraulichen Gespräch am 27. Januar 1888 mit Schelling dessen Vorstellungen geteilt hatten, bat er den preußischen Minister nochmals explizit um Zustimmung zu den Plänen des Reichsjustizamtes und drängte insbesondere darauf, die Ausführungsgesetze zum BGB nicht mehr von der Ersten Kommission ausarbeiten zu lassen. Der preußische Justizminister Heinrich von Friedberg erklärte sich am 13. Februar 1888 zwar grundsätzlich mit den Vorschlägen des Reichsjustizamtes einverstanden, äußerte aber Bedenken dagegen, die Erste Kommission bereits nach Erarbeitung des Einführungsgesetzes und der Änderung der Reichsjustizgesetze aufzulösen, wobei für ihn entscheidend war, 416 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 319 (319 f.). 417 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 320 (321). 418 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 322.

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dass die Kommission das Aufstellen von Ausführungsgesetzen als erforderlich ansah. Daher sei der Zeitpunkt wichtig, zu dem die Kommission die entsprechenden Entwürfe fertigstellen könne. Sei der Zeitraum angemessen, würden die Bundesregierungen bereit sein, bis zum Vorliegen der Entwürfe die Auflösung der Kommission zurückzustellen.419 Daraufhin setzte sich Schelling mit dem Kommissionsvorsitzenden Pape in Verbindung und schlug ihm den 1. Oktober 1888 als Termin zur Fertigstellung der Ausführungsgesetze vor. Pape ging dagegen vom 1. April 1889 aus, womit sich Friedberg einverstanden erklärte. Nun setzte das Reichsjustizamt die im Justizausschuss des Bundesrates vertretenen Regierungen über die Pläne darüber, wie mit der Ersten Kommission weiterhin verfahren werden sollte, in Kenntnis, und zwar ohne sie über ihr Einverständnis mit der Auflösung noch ausdrücklich zu fragen.420 Am 14. Juni 1888 beschloss der Bundesrat, der Ersten Kommission neben der Ausarbeitung eines Einführungsgesetzes auch diejenige von Entwürfen einer Grundbuchordnung, eines Gesetzes über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen und, soweit ihr bis zum 31. März 1889 Zeit verbleibe, auch von zur einheitlichen Durchführung der Bestimmungen des BGB für das Verfahren in den Angelegenheiten der nichtstreitigen Rechtspflege erforderlichen Vorschriften zu übertragen.421 Friedberg äußerte im Oktober 1888 nach einer längeren Unterredung gegenüber dem hanseatischen Bundesratsgesandten, dass der Erste Entwurf nach einigen Änderungen Gesetz werden müsse, damit die Rechtseinheit nicht für lange Zeit frommer Wunsch bleibe.422 Das Anliegen, den Gesetzgebungsprozess möglichst schnell zu einem Ende zu bringen, blieb für das Reichsjustizamt auch ein wichtiges Kriterium, als Schellings Pläne für das weitere Vorgehen wegen eines durch seine Berufung zum preußischen Justizminister Anfang 1889 bedingten Personalwechsels obsolet wurden. Der neue, seit dem 19. Februar 1889 amtierende Staatssekretär im Reichsjustizamt Otto Karl von Oehlschläger verfolgte wegen der negativen Kritik am Ersten Entwurf vermutlich von Anfang an die Absicht, die Durchsetzung des BGB im Reichstag dadurch zu ermöglichen, dass die zweite Lesung des Entwurfes nicht mit einer Beratung im Bundesrat verschmolzen wurde, sondern der Bundesrat für sie eine unabhängige Kommission einsetzte. Dafür spricht zumindest ein nicht mit Schelling abgesprochenes Rundschreiben des Reichskanzlers an alle Bundesregierungen vom 27. Juni 1889.423 Darin wurden die Regierungen dazu aufgefordert, sich zu einer Reihe von in einer beigefügten Anlage genannten Punkten allgemeiner Bedeutung zu äußern, die der Beurteilung vorwiegend bedürften und vielleicht die Grundlage für eine

419 420 421 422 423

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte Bundesratsprotokolle 1888, § 361 (S. 207 f.). Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte

des BGB, S. 51 f. des BGB, S. 52. des BGB, S. 52. des BGB, S. 53.

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einheitliche Behandlung böten.424 Die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft entbehrten aus Sicht der Reichsleitung einer solchen allgemeinen Bedeutung jedoch offenbar. Zumindest war von ihnen in den für das Familienrecht aufgeführten Punkten nicht die Rede.425 Auch unter Oehlschläger blieb der Abschluss des Gesetzgebungsprozesses möglichst ohne Verzögerung eine Priorität des Reichsjustizamtes. Als Schelling in einem Schreiben an den neuen Reichskanzler Leo von Caprivi vom 4. Juli 1890 vorschlug, von der Einholung schriftlicher Äußerungen der Bundesregierungen zu den im Rundschreiben vom 27. Juni 1889 aufgeführten Punkten Abstand zu nehmen und stattdessen eine mündliche Beratung innerhalb des Bundesrates zu setzen, dabei alle minder wesentlichen Punkte auszuscheiden und dadurch die Besprechungen in den mit der Berichterstattung zu beauftragenden Ausschüssen auf die Dauer weniger Wochen zu beschränken426, reagierte das Reichsjustizamt mit den vom Oberregierungsrat Carl von Hagens verfassten „Promemoria betreffend die weitere Behandlung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs“ vom 11. Juli 1890.427 Darin beanspruchte es die Vorbereitung der zweiten Lesung unter Berücksichtigung der Wünsche der Bundesregierungen als seine Aufgabe, für die Kommissare zu bestellen seien. Der Stoff sei für Ausschüsse des Bundesrates ein zu gewaltiger und seine Verringerung nicht möglich. Eine Beschränkung auf Fragen von allgemeiner Bedeutung bringe wenig Nutzen. Für solche Fragen trete die Beschlussfassung der zweiten Kommission und die spätere verfassungsmäßige Beschlussfassung des Bundesrates ein. Die für beides erforderliche Vorbereitung bestehe aber gerade in der Vorbereitung des ganzen Stoffes.428 Der zweiten Kommission seien mit dem Ersten Entwurf die im Reichsjustizamt erarbeiteten Vorschläge und die Zusammenstellung der Kritiken zu ihm vorzulegen. Dadurch werde sie befähigt, die zweite Lesung in verhältnismäßig kurzer Zeit vorzunehmen und sich in ihren Beratungen und Beschlüssen auf Fragen von allgemeiner Wichtigkeit zu beschränken, für die sie nach ihrer Zusammensetzung kompetent sei.429 Interessant ist die in den „Promemoria“ beabsichtigte Zusammensetzung der zweiten Kommission. Dieser sollten nicht nur Mitglieder der Ersten Kommission, aus den Kreisen der Regierungen, aus landwirtschaftlichen und gewerblichen Interessenvertretungen sowie angesehene Juristen, die sich mit Kritik hervorgetan hatten, angehören, sondern auch Mitglieder der verschiedenen zu berücksichtigenden politischen Parteien.430 424

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 329 (329). Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 329 (332 f.). 426 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 333 (334). 427 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 334 ff. 428 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 334 (336). 429 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 334 (337). 430 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 334 (337). 425

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Zu einer vollumfänglichen Beratung des Ersten Entwurfes im Reichsjustizamt sollte es allerdings nicht kommen. Ohne dass dabei bereits konkrete Festlegungen über die Vorberatung im Reichsjustizamt getroffen wurden, konnte sich Oehlschläger in einer Besprechung mit dem Reichskanzler und Schelling am 17. Juli 1890 mit seinen Vorstellungen zwar im Wesentlichen durchsetzen. Die Kompetenzen zwischen der Kommission des Reichsjustizamtes und der vom Bundesrat zu wählenden Kommission wurden jedoch im weiteren Verlauf nicht klar voneinander abgegrenzt, vor allem wurde gerade nicht festgelegt, ob letztere nur Fragen von allgemeiner Bedeutung beraten sollte. Die Konsequenz war, dass es schließlich sowohl durch die „Vorkommission des Reichsjustizamtes“, als auch im Anschluss durch die Zweite Kommission zu einer Revision des Ersten Entwurfes kam.431 Die Vorkommission des Reichsjustizamtes behandelte das Familien- und Erbrecht, vermutlich aus Zeitmangel, allerdings überhaupt nicht, lediglich von internen Beratungen darüber im Reichsjustizamt kann ausgegangen werden, da die Reichskommissare in den Beratungen der Zweiten Kommission auch dazu Anträge stellten.432 Das in den „Promemoria“ vorgeschlagene weitere Verfahren ließ dennoch eine doppelte Schlussfolgerung zu: Die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft konnten auch im Detail durchaus noch einmal Gegenstand der Beratungen in der zweiten Kommission werden. Und in dieser würde das Zentrum als „zu berücksichtigende politische Partei“ wohl vertreten sein und so, anders als während der Arbeiten der Ersten Kommission, auf den Gesetzentwurf Einfluss nehmen können. In einem ausführlichen Vortrag vor dem Justizausschuss des Bundesrates setzte Oehlschläger dessen Mitglieder am 16. Oktober 1890 über die Pläne für die Einsetzung der zweiten Kommission in Kenntnis, wobei er die Notwendigkeit der Einsetzung als solche allerdings nicht einmal mehr begründete. Die Grundzüge der zu bildenden Kommission enthielt ein von Hermann Struckmann verfasstes Exposé „Plan und Methode für die weitere Behandlung des in erster Lesung festgesellten Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich“, das den Teilnehmern der Sitzung überreicht wurde. Da die Bevollmächtigten im Justizausschuss nicht darauf vorbereitet waren, diese Angelegenheit zu behandeln, äußerten sie sich zu grundsätzlichen Fragen des vorgeschlagenen Verfahrens nicht, und auch im weiteren Verlauf der Beratungen im Bundesrat zur Einsetzung der Zweiten Kommission blieb der Widerstand der Bundesstaaten schwach ausgeprägt.433 Insgesamt beriet der Justizausschuss in vier Sitzungen am 16. und

431

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 53 f. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 54. 433 Schulte-Nölke, S. 160; die Berichte über die Sitzung im Justizausschuss des Bundesrates und das Exposé über Plan und Methode für die weitere Behandlung des Gesetzentwurfes finden sich bei Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 340 ff. 432

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30. Oktober, am 25. November und am 3. Dezember 1890 über die Einsetzung der Zweiten Kommission.434 Oehlschläger hatte am 16. Oktober 1890 gegenüber den Ausschussmitgliedern betont, dass zweckmäßigerweise solche Personen in die zweite Kommission zu wählen seien, die auch in den weiteren Stadien, die der Gesetzentwurf zu durchlaufen habe, zur Mitarbeit an dem Werk berufen seien, also Mitglieder des Bundesrates und der Hauptfraktionen des Reichstages. Hinsichtlich der Mitglieder des Reichstages werde er sich sofort, wenn dessen VIII. Kommission wieder zusammentrete, am 5. November 1890 mit den Führern der Hauptfraktionen in Verbindung setzen. Im Gegensatz zur nationalliberalen und zur deutsch-freisinnigen Partei hatte Oehlschläger allerdings noch keine Abgeordneten des Zentrums in Aussicht genommen.435 Bei der Auswahl der in die Kommission zu wählenden Reichstagsabgeordneten sei auf Persönlichkeiten zu achten, von denen angenommen werden dürfe, dass sie den erforderlichen Einfluss in ihrer jeweiligen Fraktion ausüben könnten.436 In der Sitzung am 30. Oktober 1890 erklärte Oehlschläger, dass vom Zentrum, insbesondere auch als Vertreter der süddeutschen Landwirtschaft, der bayerische Gutsbesitzer Friedrich Balduin Freiherr von Gagern in Frage komme und ihm als weiteres Zentrumsmitglied Karl Freiherr von Hoiningen-Huene, Offizier und ebenfalls Gutsbesitzer, am erwünschtesten sei. Vor Mitteilung endgültiger Vorschläge müsse er sich jedoch vorbehalten, mit den Vorständen der verschiedenen Fraktionen ins Benehmen zu treten.437 Als der Justizausschuss sich am 25. November 1890 erneut mit den Personalvorschlägen für die zweite Kommission befasste, war anstelle von Hoiningen-Huene der Bonner Landgerichtsrat Peter Spahn vorgesehen. Dieser war ein Gegner des Eherechts des Ersten Entwurfes und auf dringenden Wunsch Ludwig Windthorsts vorgeschlagen worden, der Vorbehalte gegen Freiherr von Gagern hatte und stattdessen zwei dem Zentrum angehörende Juristen in der Kommission wollte, wohl um dort eine starke Vertretung des katholischkirchlichen Standpunktes zum Eherecht zu gewährleisten. Während Oehlschläger

434

Schulte-Nölke, S. 161, dort Fn. 55. Bericht des württembergischen Vertreters Wilhelm von Stieglitz vom 16. Oktober 1890 über eine vertrauliche Besprechung im Justizausschuss des Bundesrates am selben Tag, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 340 (340 f.); siehe auch den Bericht des stellvertretenden bayerischen Bevollmächtigten beim Bundesrat Hermann Freiherr von Stengel vom 18. Oktober 1890 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates am 16. Oktober 1890, a. a. O., S. 341 (342). 436 Bericht von Stengel vom 18. Oktober 1890 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates am 16. Oktober 1890, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 341 (342). 437 Bericht des bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrat Wilhelm von Heller vom 30. Oktober 1890 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates am selben Tag, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 344 (346); zur Biographie Gagerns siehe a. a. O., S. 98; zu Hoiningen-Huene, siehe S. 348, dort Fn. 51. 435

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Spahn akzeptierte, hielt er an Gagern fest.438 Insgesamt berücksichtigte Oehlschläger außer den Randparteien und den Sozialdemokraten bei den in die Kommission zu wählenden Reichstagsabgeordneten ein breites Spektrum, das alle maßgebenden Gruppierungen umfasste, so neben dem Zentrum auch die linksliberale Deutsch-Freisinnige Partei, die Nationalliberalen, die Deutschkonservative Partei und die Reichspartei.439 Der Bundesrat übernahm mit seinem Beschluss vom 4. Dezember 1890 die größtenteils auf Oehlschläger zurückgehenden Personalvorschläge fast unverändert.440 Er berief neben zehn ständigen zwölf nichtständige Kommissionsmitglieder, darunter für das Zentrum von Gagern und Spahn.441 Zum Generalreferenten wurde, wie bereits in den Sitzungen des Justizausschusses mehrfach in Aussicht gestellt, Gottlieb Planck bestimmt.442 Das Reichsjustizamt versprach sich gerade von der Einbeziehung potentieller Gegner des Ersten Entwurfes in der zweiten Kommission, den im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu erwartenden Widerstand zumindest abschwächen zu können.443 Für das Zentrum bedeutete dies eine günstige Ausgangslage, wollte es dem Eherecht des BGB eine stärker katholische beziehungsweise christliche Prägung geben, als dies noch im Ersten Entwurf der Fall gewesen war. Es konnte durch seine beiden Mitglieder, insbesondere durch den dem Eherecht des Ersten Entwurfes kritisch gegenüberstehenden Juristen Peter Spahn, Anliegen des politischen Katholizismus bereits in die Beratungen der Zweiten Kommission einbringen. Da die Reichsleitung daran interessiert war, die Gesetzgebungsarbeiten möglichst ohne unnötige Verzögerung zum Abschluss zu bringen, konnte es zumindest dann mit Entgegenkommen rechnen, wenn es seinerseits konstruktiv am Zustandekommen des BGB mitarbeitete und kompromissbereit war. Unter der Voraussetzung einer so großen Stärke im Reichstag, dass seine Zustimmung für die Verabschiedung des BGB faktisch unverzichtbar war, würde das Zentrum im Bedarfsfall aber auch Verhandlungsdruck auf die Reichsleitung ausüben können. Im Rückblick deutete sich also bereits mit der Einsetzung der Zweiten Kommission Ende 1890 eine Verschärfung des im Ersten Entwurf vorgesehenen Eheverbotsrechts an.

438 Bericht von Heller vom 25. November 1890 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates am selben Tag, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 347 (348); siehe auch den Bericht von Stieglitz vom 26. November 1890 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates am 25. November 1890, a. a. O., S. 347; zur Biographie Spahns siehe a. a. O., S. 106 f. 439 Schulte-Nölke, S. 162. 440 Schulte-Nölke, S. 164. 441 Bundesratsprotokolle 1890, § 612 (S. 305 ff.). 442 Gmür/Roth, Rn. 416; siehe Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 341 u. 346. 443 Schulte-Nölke, S. 165.

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2. Die Arbeit der Zweiten Kommission Die Arbeit der Zweiten Kommission erstreckte sich über insgesamt 456 Sitzungen zwischen dem 1. April 1891 und dem 8. Februar 1896.444 Gleich zu Beginn der Beratungen der Zweiten Kommission über das Eheverbotsrecht des Ersten Entwurfes unternahmen die beiden dem Zentrum angehörenden Mitglieder den Versuch, das kirchliche Recht wieder verbindlich zu machen, also die mit dem RPStG geschaffene Rechtslage praktisch rückabzuwickeln. Als die Kommission am Ende ihrer 265. Sitzung zur Beratung des Abschnitts über die Ehehindernisse überging, begann sie mit der Erörterung des von Spahn gestellten Antrags, an die Spitze des Abschnitts den Satz zu stellen, dass über das Vorhandensein von Ehehindernissen und die Befreiung von ihnen für die Angehörigen der staatlich anerkannten Religionsgesellschaften deren kirchliches Recht maßgebend sei. Zum Abschluss gelangte die Erörterung auf dieser Sitzung allerdings nicht mehr.445 Fortgesetzt wurde sie in der nächsten Sitzung unter Miteinbeziehung des Antrags Friedrich von Gagerns, für den Fall der Ablehnung des Antrags Spahns (sowie „einiger, hier nicht in Betracht kommender, von derselben Seite herrührender Anträge“; gemeint waren damit offenbar die weiteren Anträge Spahns zu einzelnen Bestimmungen des Eheschließungsrechts) die §§ 1227 bis 1271 des Ersten Entwurfes zu streichen.446 Die Begründungen zu den Anträgen zeigten, dass die Konflikte aus der Zeit des Kulturkampfes nach wie vor nicht überwunden waren, das Zentrum jedoch um seine nunmehrige Verhandlungsmacht wusste. So erklärte Spahn, dass nach der für die große Mehrheit der 17,5 Millionen deutschen Katholiken maßgebenden kirchlichen Lehre die gesetzgebende Gewalt über die Ehe unter Katholiken allein der Kirche zustehe. Da die deutschen Katholiken an diesem Dogma nichts ändern könnten, müsse das BGB versuchen, ihren Anschauungen gerecht zu werden. Die kirchliche Lehre von der Ehe als Sakrament mache sie für Katholiken zu einem von der Ehe der Angehörigen anderer Religionsgesellschaften innerlich verschiedenen Gegenstand der Gesetzgebung. Die eherechtlichen Vorschriften des Gesetzentwurfes würden daher für sie eine andere Bedeutung als für Andersgläubige gewinnen. Es sei nicht richtig, dass der Gesetzentwurf ein staatliches Eherecht schaffe und das kirchliche unberührt lasse, stattdessen greife er vielmehr in das kirchliche Gebiet ein. Indem er das Recht zur ausschließlichen Regelung des Ehewesens in Anspruch nehme, diesem die religiöse Grundlage entziehe, die nur kirchlich geschlossene Ehe als Konkubinat verwerfe und die kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Eheschließung verbiete, stelle sich der Gesetzentwurf dem katholischen Dogma grundsätzlich entgegen. Er lasse Ehen von Katholiken zu, die nach kirchlichem Recht nicht gestattet seien, löse die Ehen unter Katholiken durch staat444 445 446

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 58. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 11; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 72. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 11; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 73.

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liche Gerichte mit seinen Vorschriften dem Bande nach auf, nachdem sie im Anschluss an die staatliche Eheschließung kirchlich gültig geschlossen seien, und gestatte geschiedenen Katholiken die Wiederverheiratung zu Lebzeiten des anderen Ehegatten. Er greife auch in die religiösen Anschauungen der einzelnen Katholiken ein, indem er sie zu einer Eheschließungsform zwinge, sie unter Umständen nötige, in einer Ehe zu bleiben, die für sie ein unerlaubtes Verhältnis sei, und die Ehe der Katholiken gegen ihren Willen dem Bande nach auflöse. Der Uniformität willen werde der Gesetzentwurf gegen die Katholiken auf einem Gebiet ungerecht, auf dem Ungerechtigkeit am wenigsten zu ertragen sei, nämlich dem des Gewissens. Eingriffe in das Gewissengebiet vermiede man am sichersten, wenn man sich unter Wiederanerkennung der kirchlichen Eheschließungsform auf die Regelung der Notzivilehe beschränke.447 Sollte sich die Kommission für die Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe entscheiden, bezweckten die zu den §§ 1231 ff. gestellten Anträge, die Vorschriften über die Ehehindernisse so zu gestalten, dass in gewissem Umfang die Eingehung einer nach katholischem Kirchenrecht unzulässigen Ehe vor dem Standesbeamten ausgeschlossen und dadurch der in der Zulassung solcher Ehen durch das bürgerliche Recht liegende Anreiz zu ihrer Eingehung beseitigt werde.448 Gagern machte für seinen Eventualantrag geltend, dass das Eheschließungsrecht des Ersten Entwurfes an dem Standpunkt des RPStG festhalte. Durch dieses habe der Staat ohne die erforderliche Berücksichtigung der Interessen der Katholiken und gläubigen Protestanten das Eheschließungsrecht geregelt und damit seine Grenzen überschritten. Da man seitdem erkannt habe, dass dadurch der innere Frieden schwer geschädigt worden sei, müsse die Kommission den schweren Fehler der Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe durch den Ersten Entwurf beseitigen. Spahns Antrag schlage eine befriedigende Regelung vor. Werde diese abgelehnt, bleibe nur die Ablehnung der gesamten Vorschriften des Ersten Entwurfes über das persönliche Eherecht übrig. Durch die Ausscheidung dieser Vorschriften würde die Durchbringung im Reichstag insofern wesentlich erleichtert, als auch denjenigen Abgeordneten die Annahme ermöglicht werden würde, die einen diese Vorschriften umfassenden Entwurf abzulehnen gezwungen wären. Die notwendigen Änderungen und Ergänzungen des RPStG könnten dann durch seine Novelle unabhängig vom BGB vorgenommen werden.449 Zur Abstimmung gelangte nur der Antrag Spahns, der schließlich mit 15 zu vier Stimmen abgelehnt wurde.450 Für ihn stimmten neben den beiden Zentrumspolitikern nur der ebenfalls katholische Bernhard Danckelmann sowie der Konservative Otto Freiherr von ManteuffelCrossen.451 Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder begründete ihre Ableh447 448 449 450 451

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 11 f. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 13. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 13. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 11; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 73. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 73, dort Fn. 5.

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nung des Antrags zwar sehr ausführlich. Ihre Erwägungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass sie ein rein staatliches Eheschließungsrecht als unabdingbar ansahen und eine Rückkehr zu dem Rechtszustand, wie er vor Erlass des RPStG bestanden hatte, für sie nicht vorstellbar war. Spahns Antrag hatte also von Anfang an keinerlei Erfolgsaussichten. So würde die Annahme des Antrags eine tief einschneidende Änderung des geltenden, durch das RPStG begründeten Reichsrechts bedeuten, zu der man sich nur aus gewichtigsten Gründen entschließen dürfe. Das RPStG habe zwar mit kirchenpolitischen Vorkommnissen und Zuständen in Zusammenhang gestanden, die zumindest teilweise verschwunden seien, und das kirchliche und konfessionelle Recht sei bis zu seinem Erlass hinsichtlich des Eheschließungsrechts in einem nicht kleinen Teil Deutschlands wie Sachsen und dem Geltungsgebiet des Gemeinen Rechts mittelbar oder unmittelbar in Geltung gewesen. Die Rechtsentwicklung der letzten 100 Jahre in Deutschland zeige jedoch, dass in den genannten vorübergehenden Verhältnissen nur der Anstoß und nicht der Grund für das RPStG gelegen habe und dass die durch dieses vorgenommene Lösung des staatlichen Rechts vom kirchlichen Recht der Abschluss einer sich lange vorbereitenden und langsam vollziehenden Entwicklung gewesen sei. Diesbezüglich sei auf das ALR und den Code Civil hinzuweisen, sowie darauf, dass in manchen Staaten wie Bayern und Württemberg, in denen das kirchliche Eherecht Bedeutung behalten habe, diese auf staatliche Anerkennung gegründet worden sei, schließlich darauf, dass schon zwei bis drei Jahrzehnte vor dem RPStG die bürgerliche Eheschließungsform und damit das staatliche Eheschließungsrecht teilweise neben, teilweise unter Ausschluss der kirchlichen Trauung entweder als Notzivilehe oder als obligatorische Zivilehe durchgesetzt worden sei. Auch außerhalb Deutschlands und selbst in vorwiegend katholischen Ländern habe sich eine ähnliche Entwicklung am Ende des letzten und im Laufe dieses Jahrhunderts vollzogen.452 Die Trennung von Staat und Kirche auf dem Gebiet der Ehe sei eine innere Notwendigkeit geworden, seit innerhalb desselben Staates mehrere Religionsgesellschaften bestünden, die zu Eheschließung und Eheauflösung verschiedene Normen zu den wichtigsten Punkten hätten, diese Religionsgesellschaften staatlicherseits volle Gleichberechtigung beanspruchen könnten, die gleiche Wertung auch auf dem Gebiet des sozialen und Familienlebens in weiten Volkskreisen in den immer häufiger werdenden gemischten Ehen hervortrete und der Schutz des Einzelnen in seiner individuellen Freiheit auch gegenüber den Anforderungen der einzelnen Religionsgesellschaft als eine nicht abzuweisende Forderung an den Staat anerkannt worden sei. Die Versuche, dem auf andere Weise als durch die Trennung von Staat und Kirche auf dem Gebiet der Ehegesetzgebung oder durch nur teilweise Trennung gerecht zu werden, seien gescheitert und nicht in der Lage, schwere Konflikte zwischen Staat und Kirche zu verhindern. Auch nach dem vorliegenden Antrag müsste eine Beschei-

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Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 13 f.

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nigung der kirchlichen Behörde über die Verweigerung der kirchlichen Eheschließung und die Gründe dafür als Voraussetzung der Notzivilehe verlangt werden, wenn diese nicht auf ganz unsichere Grundlagen gestellt sein solle. Auch dies könne jedoch auf Schwierigkeiten stoßen. Die Notzivilehe sei nur auf Grund einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche durchführbar, mit der jedoch nicht gerechnet werden könne. Die Trennung von Staat und Kirche auf dem Gebiet des Eheschließungsrechts ermögliche es einerseits dem Staat, Normen ohne weitere Berücksichtigung kirchlicher Anschauungen und Einrichtungen aufzustellen, andererseits der Kirche unter Beschränkung auf ihr Gebiet, ihre Anschauungen festzuhalten und zur Geltung zu bringen. Anders würde zu entscheiden sein, wenn durch die Trennung das religiöse Leben schwer geschädigt worden wäre, was allerdings nicht angenommen werden könne. Die Statistik über die evangelischen Taufen und Trauungen beweise das Gegenteil. Ein ungünstigerer Einfluss des RPStG werde auch für die katholische Kirche nicht anzunehmen sein.453 Die Behauptung, die Zivilehe und das bürgerliche Eheschließungsrecht stünden in grundsätzlichem Widerspruch zu den Anschauungen der katholischen Bevölkerung, könne nur sehr beschränkt als richtig anerkannt werden. Zuzugeben sei, dass der überwiegende Teil der katholischen Bevölkerung an der Statthaftigkeit bestimmter nach kirchlichem Recht unerlaubter Ehen Anstoß nehme, nämlich an der Zulässigkeit der Wiederverheiratung eines Katholiken nach erfolgter Scheidung oder der Ehe eines Klerikers. Dies gelte jedoch nur für einzelne kirchliche Eheverbote. Es könne keine Rede davon sein, solche Verbote als auch Nichtkatholiken bindende aufzustellen.454 Schließlich erscheine es als Begründung für die Anerkennung des kirchlichen Eheschließungsrechts auch nicht stichhaltig, dass der Staat mit der Anerkennung der Religionsgesellschaften auch deren eigentümliche Einrichtungen anerkennen müsse. Staat und Kirche hätten auf dem Gebiet der Ehe seit jeher ihre besonderen Interessen vertreten. Je nach den sozialen, politischen und kulturellen Verhältnissen habe mal der Staat und mal die Kirche die Normierung des Eherechts für sich in Anspruch genommen.455 Von einer Seite wurde sogar bemerkt, es sei keine Rechts-, sondern eine Machtfrage, inwieweit der Anspruch des jeweils anderen anerkannt werde.456 Zum Eventualantrag von Gagerns auf Streichung der §§ 1227 bis 1271 des Ersten Entwurfes wurde kurz auf die Begründung in den Motiven verwiesen, warum Form und materielle Erfordernisse der Eheschließung im BGB zu regeln seien. Es sei nicht die Aufgabe der Kommission, darüber zu entscheiden, ob und inwieweit politische Erwägungen eine Abweichung von diesem an sich sachgemäßesten Verfahren ratsam erscheinen ließen.457 453 454 455 456 457

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd.

4, S. 14 f. 4, S. 15. 4, S. 15 f. 4, S. 16. 4, S. 16.

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Nachdem sie sich mit deutlicher Mehrheit auf ein verbindliches staatliches, vom religiösen Bekenntnis der Normadressaten unabhängiges Eheverbotsrecht festgelegt hatte, wandte sich die Zweite Kommission den einzelnen Ehehindernissen zu.458 Die Erörterung von § 1236 des Ersten Entwurfes erstreckte sich über die 266. und die 267. Sitzung. Struckmann und Spahn beantragten jeweils Neufassungen der Vorschrift. Der erste Absatz sollte nach Struckmanns Antrag in vier Nummern bestimmen, dass die Ehe nicht geschlossen werden dürfe zwischen Verwandten in gerader Linie (Nr. 1), zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern (Nr. 2), zwischen Verschwägerten in gerader Linie (Nr. 3) und zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hatte (Nr. 4). Gemäß Abs. 2 sollte Verwandtschaft im Sinne des Abs. 1 auch zwischen einem unehelichen Kind und dessen Vater bestehen.459 Spahn beantragte für Abs. 1 eine Fassung mit sechs Nummern. Eine Ehe sollte nicht geschlossen werden können zwischen Verwandten in gerader Linie (Nr. 1), „zwischen Geschwistern ohne Unterschied der Voll- und Halbbürtigkeit sowie zwischen Geschwisterkindern, zwischen Oheim und Nichte, Tante und Neffe, gleichviel ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruht“ (Nr. 2), „zwischen Verschwägerten in gerader Linie und dem ersten Grade der Seitenlinie“ (Nr. 3), „zwischen einem Verlobten und den Verwandten des anderen in gerader Linie“ (Nr. 4), „zwischen demjenigen, der einen anderen an Kindestatt angenommen hat, und dem an Kindestatt Angenommenen oder dessen Abkömmlingen, sowie zwischen einer dieser Personen und der Wittwe der anderen“ (Nr. 5) und „zwischen Personen, deren eine mit einem Verwandten der anderen in gerader Linie außerehelich den Beischlaf vollzogen hat“ (Nr. 6). Nach Abs. 2 sollte Verwandtschaft im Sinne des vorstehenden Absatzes auch zwischen einem unehelichen Kind und dessen Vater, Schwägerschaft auch zwischen einem Ehegatten und den Abkömmlingen des anderen aus einer weiteren Ehe bestehen.460 Hierzu lagen zwei Unteranträge vor. Nach dem ersten sollte dem Eheverbot der illegitimen Schwägerschaft nur aufschiebende Wirkung beizulegen sein. Der zweite, sich auf den Antrag Struckmanns beziehende Unterantrag lautete, zusätzlich zu § 1253 zu bestimmen, dass die Nichtigkeitsklage nicht von dem Staatsanwalt, sondern nur von demjenigen Ehegatten erhoben werden könne, welcher die Ehe in Unkenntnis der die Klage begründenden Tatsache geschlossen hatte, wenn sie gegen das Verbot des § 1236 Abs. 1 Nr. 4 verstieß.461 Die Kommission entschied sich mehrheitlich dafür, nach dem ersten Antrag, demjenigen Struckmanns, die Ehe zwischen Personen, von denen die eine mit Verwandten gerader Linie der anderen Geschlechtsgemein-

458 459 460 461

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 16 ff. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 75 f.; Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 23 f. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 76; Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 24. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 76; Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 24.

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schaft gepflogen hatte, zu untersagen, dem Ehehindernis gemäß dem dritten Antrag jedoch nur aufschiebende Wirkung beizulegen. Damit war der vierte Antrag erledigt. Der zweite Antrag, derjenige Spahns, wurde abgelehnt.462 Da einige Kommissionsmitglieder hervorgehoben hatten, dass ihre Stellungnahme zum Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft im wesentlichen von seiner Behandlung als aufschiebendes oder trennendes abhänge, hatte die Kommission diese Frage vorab entschieden. Die Minderheit hatte dafür plädiert, das Ehehindernis der sogenannten „affinitas illegitima“ als ein trennendes zu gestalten, wenn man sich überhaupt dazu entschließe, es in das BGB aufzunehmen. Dafür könnten nur die moralischen Bedenken sprechen, die dem Abschluss der Ehe entgegenstünden. Wenn man diese für schwerwiegend genug halte, um die „affinitas illegitima“ überhaupt zu berücksichtigen, müssten sie auch dazu führen, die Ehe für ungültig zu erklären, wenn sich später herausstelle, dass eine Ehe entgegen diesem Verbot geschlossen worden sei. Zu denken sei etwa an den Fall, dass der Mann nach der Eheschließung erfahre, dass seine Frau vor der Ehe mit einem seiner Söhne aus erster Ehe den Beischlaf vollzogen habe. Die Fortsetzung einer Ehe, deren Bestand mit den moralischen Anschauungen nicht vereinbar sei, sei dem Mann nicht zuzumuten.463 Demgegenüber hatte die Kommissionsmehrheit geltend gemacht, dass durch das Aufgebot sowohl den Vertretern der Staatsgewalt, als auch Dritten Gelegenheit geboten werde, innerhalb der Aufgebotsfrist beim Standesamt geltend zu machen, dass der Eheschließung das Bestehen einer „affinitas illegitima“ zwischen den Eheschließenden entgegenstehe. Wenn dies nicht geschehen und die Ehe geschlossen worden sei, sei es nicht angezeigt, die Frage zum Gegenstand einer erneuten Erörterung zu machen, ob der eine Ehegatte mit Verwandten des anderen in auf- oder absteigender Linie vor der Ehe den Beischlaf vollzogen habe. Das durch die Auflösung der Ehe hervorgerufene öffentliche Ärgernis sei größer als die Verletzung des öffentlichen moralischen Bewusstseins durch den Fortbestand der Ehe. Ganz anstößig müsse es insbesondere erscheinen, wenn der Ehegatte, der bei der Eheschließung die „affinitas illegitima“ gekannt habe, sich nachträglich nur deshalb auf sie berufe, um die Auflösung der ihm aus einem anderen Grund nicht zusagenden Ehe zu erwirken. Daher sei es angemessener, der „affinitas illegitima“ nur die Bedeutung eines aufschiebenden Ehehindernisses beizulegen.464 Hinsichtlich der Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in den Gesetzentwurf nahm die Zweite Kommission einen gegenüber den Motiven zum Ersten Entwurf entgegenstehenden Standpunkt ein. Das Eheverbot wegen ehelicher und nichtehelicher Verwandtschaft gemäß § 1236 des Ersten Entwurfes habe seinen Grund darin, dass der Gesetzgeber keine Ehe dulden 462 463 464

Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 76; Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 24 f. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 26. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 26.

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dürfe, die dem § 173 RStGB zuwiderlaufe, und das Verbot müsse sich damit auch auf die Fälle lediglich außerehelicher Verwandtschaft erstrecken. Der nach den Motiven zum Ersten Entwurf für die Anwendung des Verbotes erforderliche Nachweis sei häufig schwer zu führen und insbesondere dann geradezu ausgeschlossen, wenn die Mutter des außerehelichen Kindes innerhalb der Konzeptionszeit auch mit einer anderen Person als dem angeblichen Erzeuger den Beischlaf vollzogen habe. Bei Ungewissheit über die Vaterschaft in einem solchen Fall sei zumindest die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass das uneheliche Kind von demjenigen Mann abstamme, der in der kritischen Zeit mit der Mutter den Beischlaf vollzogen habe. Diese bloße Möglichkeit müsse den Gesetzgeber veranlassen, eine Ehe zwischen der außerehelich Geborenen beziehungsweise deren Aszendenten und Deszendenten einerseits und dem der Vaterschaft Verdächtigen andererseits zu untersagen. Es genüge jedoch nicht, das Eheverbot der „affinitas illegitima“ auf die Verdachtsfälle eines außerehelichen Verwandtschaftsverhältnisses zu beschränken. Es verletze das Schamgefühl und die Grundsätze der Sittlichkeit überhaupt, wenn jemand die Ehe mit einer Person eingehe, obwohl er mit einem ihrer Verwandten in auf- oder absteigender Linie den Beischlaf vollzogen habe. Dementsprechend seien diese Fälle vom kanonischen und vom gemeinen protestantischen Kirchenrecht als Fälle der „affinitas illegitima“ unter die Eheverbote aufgenommen worden. Das Verbot sei in das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch und mehrere andere Partikulargesetze, nicht jedoch in das RPStG übernommen worden, allerdings habe sich in neuerer Zeit eine berechtigte Strömung zugunsten seiner Aufnahme in das BGB geltend gemacht, so nicht nur Kritiker des Ersten Entwurfes, sondern daneben auch der Königlich preußische Minister der geistlichen Angelegenheiten und die Königlich sächsische Regierung. Demgegenüber seien die in den Motiven zum Ersten Entwurf geltend gemachten Bedenken nicht ausschlaggebend. Die Schwierigkeiten der Feststellung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs seien für den Standesbeamten keineswegs unüberwindlich, zumal er nicht von Amts wegen danach zu forschen habe, ob ein außerehelicher Geschlechtsverkehr zwischen der Eheschließenden und den Verwandten des anderen stattgefunden habe, sondern seine Prüfungspflicht erst dann eintrete, wenn der Geschlechtsverkehr entweder notorisch sei oder von Dritten behauptet werde. Es könne den Gesetzgeber nicht abhalten, dem Abschluss einer mit der moralischen Auffassung nicht zu vereinbarenden Ehe entgegenzutreten, dass unter Umständen hierdurch eine für die Beteiligten peinliche Erörterung hervorgerufen werde.465 Interessant ist an diesen Ausführungen insbesondere, dass nunmehr gerade das Argument der schwierigen Beweisbarkeit zur Berücksichtigung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft herangezogen wurde, das bisher ja gerade dagegen angeführt worden war.

465

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 25 f.

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Zur Begründung der in Spahns Antrag vorgesehenen Verbote der Ehe zwischen Geschwisterkindern, zwischen Onkel und Nichte sowie Tante und Neffe wurde darauf verwiesen, dass die österreichische und die schweizerische Gesetzgebung sowie der Code Civil auf dem Standpunkt des Antrags ständen und dass der Papst zwar von diesem Verbot dispensiere, jedoch meist nur, weil die Zivilehe bereits geschlossen sei. Es bestehe kein Bedürfnis für die Zulassung einer Ehe zwischen den genannten Verwandtschaftsgeraden. Da in Preußen zwischen 1886 und 1890 5,7 Prozent aller Ehen zwischen Geschwisterkindern geschlossen worden seien, sei eine entsprechende Zulassung vielleicht gerechtfertigt. Dagegen seien im selben Zeitraum aber nur 0,48 Prozent der Ehen zwischen Onkel und Nichte und 0,09 Prozent zwischen Tante und Neffe geschlossen worden. Abgesehen von dem mangelnden Bedürfnis mehrten sich auch die sanitären Bedenken medizinischer Kreise gegen die Ehen zwischen nahen Verwandten. Namentlich sei darauf hinzuweisen, dass solche Ehen häufig ohne Nachkommen blieben. In der Dynastie Holstein, die 15,4 Prozent kinderlose Ehen aufweise, bestünden 15 Ehen unter leiblichen Verwandten, von denen mit sieben beinahe die Hälfte kinderlos geblieben und zwei nur mit je einem Kind gesegnet gewesen seien.466 Der Antrag wurde von der Mehrheit der Kommission demgegenüber mit dem knappen Hinweis abgelehnt, dass für eine Rückkehr zum früheren Rechtszustand unter Abweichung vom RPStG keine Veranlassung vorliege. Daraufhin wurde § 1236 Abs. 1 mit der beschlossenen Erweiterung angenommen.467 Die Erörterungen zu § 1236 des Ersten Entwurfes in der 266. Sitzung der Zweiten Kommission machen deutlich, wie sehr es bereits in diesem Stadium um eine Kompromissfindung im Hinblick auf die späteren Beratungen im Reichstag ging. Der im Interesse des politischen Katholizismus liegende Antrag Spahns, das Eheschließungsrecht nicht im BGB zu regeln, war abgesehen vom Zentrum für die übrigen Parteien unannehmbar, weil dies letztlich die Aufgabe der obligatorischen Zivilehe und damit eines liberalen Kernanliegens des 19. Jahrhunderts bedeutet hätte. Die Zweite Kommission war sich allerdings bewusst, dass sie dem Zentrum im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag entgegenkommen musste. Daran hatte sie spätestens der Hinweis Spahns auf eine erleichterte Durchsetzung des Gesetzentwurfes im Parlament in der Begründung zu seinem Antrag erinnert. Es erscheint deshalb plausibel, dass sie, nachdem sie es abgelehnt hatte, auf den Grundsatz eines verbindlichen staatlichen Eheschließungsrechts zu verzichten, daher das Eheverbotsrecht des Gesetzentwurfes im direkten Anschluss daran durch die Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft punktuell im Sinne des politischen Katholizismus verschärfte, gleichzeitig aber darauf achten musste, dass dies für ein breiteres politisches Spektrum akzeptabel war, das neben dem Zentrum auch die Liberalen und Konservativen 466 467

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 26 f. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 27.

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aller Richtungen und damit auch dezidiert protestantisch, national und monarchistisch gesinnte Kräfte umfasste. Genau diesem Ziel dürfte der Bezug auf das katholische und protestantische Eherecht sowie auf die herrschenden Moralvorstellungen zur Begründung der Berücksichtigung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft gedient haben. Anders als die Erste musste die Zweite Kommission die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag in ihre Beratungen einkalkulieren und daher Möglichkeiten nutzen, Forderungen des Zentrums im Bereich des Eherechts entgegenzukommen, wenn dadurch gleichzeitig andere Parteien nicht verprellt wurden, deren Kooperation ebenfalls erforderlich für die Zustimmung zum BGB war. Die Alternative hätte darin bestanden, eine Verzögerung oder sogar das Scheitern des Gesetzgebungsprozesses und damit genau das Gegenteil dessen zu riskieren, was die Reichsleitung von den Kommissionsberatungen erwartete. Auf ihrer 267. Sitzung nahm die Zweite Kommission den Antrag zu § 1236 an, dessen Abs. 2 so zu fassen, dass Verwandtschaft im Sinne des Abs. 1 auch zwischen einem unehelichen Kind und dessen Vater bestehe. Darin sah die Kommission eine unbedenkliche, an § 15 Abs. 2 des Zweiten Entwurfes sich anschließende Abkürzung von Abs. 2 Satz 1. § 1236 Abs. 2 Satz 2 des Ersten Entwurfes hielt sie neben Satz 1 und § 16 des Zweiten Entwurfes für entbehrlich. Zudem wurde § 1236 Abs. 3 gestrichen. Dazu hatte die Kommission erwogen, dass in dem in Abs. 3 vorausgesetzten Fall zwischen Eltern, Voreltern und Abkömmlingen des einen Ehegatten und dem anderen Ehegatten regelmäßig das neu aufgenommene Ehehindernis wegen Geschlechtsgemeinschaft bestehen werde. Dieses sei abweichend von § 1236 Abs. 3 allerdings nur ein aufschiebendes und kein trennendes Hindernis. Die Änderung erscheine indes unbedenklich. Nicht abgedeckt davon seien zwar die seltenen Fälle, in denen die in einer ungültigen Ehe verbundenen Personen nicht Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hätten. Von der Berücksichtigung dieser Fälle könne jedoch abgesehen werden.468 Ebenfalls auf ihrer 267. Sitzung befasste sich die Zweite Kommission mit der Vorschrift des § 1240 des Ersten Entwurfs über das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft. Hierzu lag lediglich der (letztlich angenommene469) Antrag Struckmanns vor, den Paragraphen in derjenigen Fassung hinter § 1236 zu setzen, dass, wer jemanden an Kindes statt angenommen habe, mit ihm oder dessen Abkömmlingen eine Ehe nicht schließen dürfe, solange die Annahme an Kindes statt bestehe, und im Übrigen die Annahme an Kindes statt kein die Eheschließung hinderndes Verwandtschaftsverhältnis begründe. Fallengelassen wurde der oben genannte Antrag Spahns, in § 1236 Abs. 1 Nr. 5 zu bestimmen, dass die Ehe nicht geschlossen werden könne zwischen demjenigen, der einen anderen an Kindes statt angenom-

468

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 27. Vgl. die Redaktionsvorlage von Planck bei Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 80 (82). 469

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men habe, und dem an Kindes statt Angenommenen oder dessen Abkömmlingen sowie zwischen einer dieser Personen und der Witwe des anderen.470 Die Beratung über die Vorschrift des § 1250 des Ersten Entwurfes zu den Ehenichtigkeitsgründen verband die Zweite Kommission auf ihrer 269. Sitzung mit derjenigen über § 1252.471 Betreffend die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft stellte Struckmann den Antrag, § 1250 durch eine Vorschrift mit vier Nummern zu ersetzen, nach deren letzter die Ehe nichtig sein sollte, wenn sie gegen das Verbot des § 1236 verstoße, sowie § 1252 dergestalt zu fassen, dass eine nichtige Ehe solange als gültig anzusehen sein sollte, bis sie aufgelöst oder für nichtig erklärt sei und nach erfolgter Auflösung oder Nichtigkeitserklärung es so anzusehen sei, als ob die Ehe nicht geschlossen worden wäre. Nach einem Antrag Spahns sollte § 1250 Abs. 1 nur aus zwei Nummern bestehen. In Nr. 2 sollte bestimmt werden, dass die Ehe nichtig sei, wenn sie gegen eines der Verbote der §§ 1231, 1234, 1236, 1237, 1237a verstieß. Am ausführlichsten war der Antrag Gustav von Mandrys, die §§ 1250 und 1251 zu ersetzen. In einem neuen § 1250 sollte zunächst deklaratorisch bestimmt werden, dass eine Ehe nur unter den in den §§ 1251 bis 1251c bestimmten Voraussetzungen nichtig sei. § 1251c sah dann vor, dass eine Ehe nichtig sei, welche zwischen Verwandten und Verschwägerten geschlossen werde, zwischen denen nach Vorschrift des § 1226 (sic!) eine Ehe nicht geschlossen werden könne. In § 1252 Abs. 2 solle gesagt werden, dass eine vor einem Standesbeamten geschlossene Ehe, auch wenn sie nichtig sei, solange als bestehend zu erachten sei, als sie nicht auf dem Wege der Nichtigkeitsklage für ungültig erklärt sei. Sei letzteres der Fall oder habe die Ehe aus einem anderen Grund zu bestehen aufgehört, so werde sie so angesehen, als ob sie nicht geschlossen worden wäre. Nach einem vierten Antrag sollte § 1252 hinzugefügt werden, dass es der Nichtigkeitsklage nicht bedürfe, wenn die Nichtigkeit der Ehe auf einer Nichtbeachtung der in § 1248 vorgeschriebenen Formen beruhe, es sein denn, die Eheschließung sei in das Heiratsregister eines Standesbeamten eingetragen.472 Ohne Beanstandung blieb in den sich anschließenden Beratungen zunächst die Festlegung des § 1250, dass die Ehe nur in den vom Gesetz ausdrücklich hervorgehobenen Fällen nichtig sein sollte.473 Daraufhin widmete sich die Kommission der Erörterung von § 1250 Nr. 1 im Zusammenhang mit § 1252. Sie einigte sich auf das Prinzip, dass der Mangel einer der in § 1248

470 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 79; Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 34. Das Protokoll lässt nicht erkennen, ob dem Antrag Struckmanns stattgegeben wurde. Auf die letztlich beschlossene Fassung wird unten eingegangen. 471 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 53 ff.; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 249 ff. 472 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 53 ff.; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 249 ff. Zu § 1251c in Mandrys Antrag ist bei der Abfassung der Protokolle offenbar ein Fehler unterlaufen. Tatsächlich war wohl § 1236, und nicht § 1226 gemeint. 473 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 56.

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vorgeschriebenen wesentlichen Formen die Eheschließung nichtig mache. Habe jedoch eine Eintragung einer nach der Beurkundung des Standesbeamten formell gemäß § 1248 geschlossenen Ehe in das Heiratsregister stattgefunden, werde die Ehe als gültig behandelt, bis sie aufgelöst oder für ungültig erklärt sei. Einstimmig wurde daher der vierte Antrag angenommen.474 Zur Erörterung von § 1250 Nr. 3 des Ersten Entwurfes, soweit die Vorschrift die Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 1236 betraf, gelangte die Zweite Kommission erst zu Beginn ihrer 270. Sitzung. Die drei erstgenannten Anträge hatten nicht berücksichtigt, dass die Kommission die Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in § 1236 nur als aufschiebendes Ehehindernis gebilligt hatte. Es bestand in der Kommission allerdings Einverständnis darüber, dass eine entgegen der neu beschlossenen Fassung von § 1236 geschlossene Ehe nur insoweit für nichtig zu erklären sei, als es sich nicht um einen Verstoß gegen das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft handelte.475 Über die Vorschrift des § 1631 des Ersten Entwurfes zu den Rechtsfolgen einer Eheschließung zwischen Adoptivverwandten schließlich beriet die Zweite Kommission auf ihrer 319. Sitzung am 24. April 1894.476 Struckmann hatte für Abs. 1 die Fassung beantragt, dass, wenn der Vorschrift des § 1240 zuwider zwischen solchen Personen, die durch Annahme an Kindes statt verbunden seien, eine Ehe geschlossen werde, mit der Eheschließung die Aufhebung des durch die Annahme zwischen ihnen begründeten Rechtsverhältnisses eintrete. Sei die Ehe nichtig oder anfechtbar und angefochten, sollte, wenn dem einen Ehegatten die elterliche Gewalt über den anderen zustehe, diese nach Abs. 2 mit der Eheschließung verwirkt werden. Diese Vorschrift sollte aber keine Anwendung finden, wenn die Ehe wegen eines Formmangels nichtig und nicht in das Heiratsregister eingetragen sei. Der Antrag wurde von der Kommission gebilligt, da er vom Entwurf nur redaktionell abweiche und bezüglich der Fassung des Ausnahmefalls, in dem die Vorschrift des Abs. 2 keine Anwendung finden solle, den bereits zur Nichtigkeit der Ehe gefassten Beschlüssen entspreche.477 Nach den Beschlüssen des Bundesrates vom 4. Dezember 1890 kam Gottlieb Planck als Generalreferenten der Zweiten Kommission die Aufgabe zu, den Entwurf auf der Grundlage der von der Kommission gefassten sachlichen Beschlüsse und unter Berücksichtigung der aus der Mitte der Kommission und anderweitig erhobenen Fassungsbedenken einer redaktionellen Revision zu unterziehen. Die definitive Feststellung der Redaktion sollte auf seinen Vortrag durch eine besondere, durch den stellvertretenden Vorsitzenden der Gesamtkommission als Vorsit474

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 57. Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 59; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 252. 476 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 726 ff.; Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 789 ff. 477 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 740. 475

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zenden, den Generalreferenten und den Referenten des jeweiligen Buches gebildete Redaktionskommission erfolgen.478 Abweichend von den in den Beratungen gefassten Beschlüssen der Kommission entschied sich die Redaktionskommission dafür, die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in einer Bestimmung mit drei Absätzen zu regeln, sachlich aber, abgesehen von einer weiteren Fassung des Begriffs der „Verwandtschaft“, unverändert zu lassen. Die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft wurden in Abs. 1 zusammengefasst, dasjenige wegen Geschlechtsgemeinschaft separat in Abs. 2 festgelegt. In Abs. 3 war vorgesehen, dass Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften auch zwischen einem unehelichen Kind und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits bestehe. In den Zweiten Entwurf wurde die Vorschrift als § 1216 aufgenommen.479 Die von der Zweiten Kommission beschlossene Bestimmung des § 1240 Satz 1 über das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft übernahm die Redaktionskommission sachlich, modifizierte sie jedoch geringfügig und sah vor, dass, wer einen anderen an Kindes statt angenommen hatte, mit ihm oder dessen Abkömmlingen eine Ehe nicht eingehen dürfe, solange das durch die Annahme an Kindes statt begründete Verhältnis bestehe. Den zweiten Satz, wonach die Annahme an Kindes statt im Übrigen kein die Eheschließung hinderndes Verwandtschaftsverhältnis begründe, wurde ersatzlos gestrichen. Zudem wurde die Vorschrift in der Zusammenstellung der Beschlüsse der Redaktionskommission als § 1236a hinter der Vorschrift über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft eingefügt. Mit der weiteren sprachlichen Änderung, dass anstatt von „Verhältniß“ von „Rechtsverhältniß“ die Rede war, fand die Bestimmung als § 1217 Eingang in den Zweiten Entwurf.480 Mit seiner Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse zu den §§ 1250 ff. des Ersten Entwurfes muss Planck zwischen der 269. und 270. Sitzung der Kommission begonnen haben, denn aus ihr ergibt sich, dass über § 1250 Nr. 3 noch nicht Beschluss gefasst sei, soweit sich die Vorschrift auf die Eheverbote gemäß § 1236 beziehe. Erst in einem Nachtrag erhielt die Vorschrift in der Zusammenstellung unter anderem eine zusätzliche Nr. 4, nach der die Ehe nichtig sein sollte, wenn sie gegen das Verbot des § 1236 Ziff. 1 bis 3 geschlossen war. § 1252 fiel in Plancks Redaktionsvorlage sehr lang und umständlich aus. Die Vorschrift sah vor, dass eine Ehe, welches nicht in der durch § 1248 vorgeschriebenen Form geschlossen sei, so angesehen werde, wie wenn sie nicht geschlossen worden wäre, es sei denn, dass sie in das Heiratsregister des (oder: eines) Standesbeamten eingetragen sei. Sei eine solche Eintragung erfolgt, so sei die Ehe solange als gültig anzusehen, bis sie aufgelöst oder für nichtig erklärt sei. Das Gleiche gelte für eine nichtige Ehe, wenn die Nichtigkeit auf einem anderen 478 Bundesratsprotokolle 1890, § 612 (S. 307); die §§ 1231 bis 1244 der Redaktionsvorlage von Planck finden sich bei Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 80 ff. 479 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 83 u. 85. 480 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 83 u. 85.

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Grund als dem Mangel der vorgeschriebenen Form beruhe. Nach erfolgter Auflösung oder Nichtigkeitserklärung sei es (auch wenn die Eintragung in das Heiratsregister erfolgt sei oder die Nichtigkeit auf einem anderen Grund als dem Mangel der vorgeschriebenen Form beruhe,) so anzusehen, als ob die Ehe nicht geschlossen wäre.481 Die Redaktionskommission gestaltete die Bestimmungen über die Nichtigkeit verbotswidrig geschlossener Ehen dagegen insofern um, als sie in § 1250 vorsah, dass eine Ehe nur in den in den §§ 1250a bis 1250e nichtig sein sollte. Nach § 1250d sollte eine Ehe nichtig sein, wenn sie zwischen Verwandten und Verschwägerten dem Verbot des § 1236 Abs. 1 zuwider geschlossen worden war. § 1252 sah vor, dass eine nach den §§ 1250b bis 1250e nichtige Ehe als gültig anzusehen sein sollte, bis sie aufgelöst oder für nichtig erklärt worden war. Erfolgte die Auflösung oder Nichtigkeitserklärung, sollte die Ehe als nicht geschlossen gelten.482 Im Zweiten Entwurf fanden sich die entsprechenden Vorschriften in § 1229, der auf die Nichtigkeitstatbestände in den §§ 1230 bis 1234 verwies, und in § 1233, wonach die entgegen dem Verbot gemäß § 1216 Abs. 1 geschlossene Ehe nichtig war. In § 1235 S. 1 war vorgesehen, dass die Nichtigkeit einer nach den §§ 1231 bis 1234 nichtigen Ehe nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden können sollte, solange sie nicht aufgelöst war.483 Die Bestimmung des § 1631 über die Rechtsfolgen einer Eheschließung zwischen Adoptivverwandten fand nach einer von der Redaktionskommission vorgenommenen geringfügigen sprachlichen Modifikation als § 1653 Eingang in den Zweiten Entwurf.484 Auf ihrer 410. Sitzung begann die Zweite Kommission mit der Beratung der für die Revision des Zweiten Entwurfes vorliegenden Anträge.485 Zur Revision des Familienrechts ging sie während ihrer 422. Sitzung über. Bevor sie zur Beratung der einzelnen Anträge kam, wurde noch von einer Seite die Erklärung abgegeben, dass die vom Standpunkt des katholischen Kirchenrechts aus früher gestellten Anträge mit Rücksicht auf die Geschäftslage bei der gegenwärtigen Durchsicht des Entwurfes nicht wiederholt werden sollten.486 Auf der 425. Sitzung lehnte die Kommission den vorliegenden Antrag ab, § 1216 Abs. 2 zu streichen, also das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft aus dem Gesetzentwurf wieder herauszunehmen. Im Gegensatz zur ersten Beratung dieser Bestimmung in der 266. Sitzung fand diesmal allerdings keine ausführlichere Erörterung statt. Befürworter und Gegner hielten an ihren Meinungen fest. Die Minderheit bekräftigte ihren früheren Standpunkt, während die Mehrheit die Vor481

Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 265 f. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 270. 483 Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 275 f. 484 Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 799 u. 803; zur Redaktionsvorlage von Planck siehe S. 798. 485 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 106 ff. 486 Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 251 ff. (265 ff.). 482

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schrift namentlich deshalb weiterhin als gerechtfertigt ansah, weil das Verbot dem katholischen und protestantischen Kirchenrecht entspreche und in der Praxis zu keinen bedeutenden Schwierigkeiten führen werde.487 Im revidierten Zweiten Entwurf waren die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft schließlich in den §§ 1295 und 1296 geregelt (in der letzteren Vorschrift waren lediglich noch die Worte „an Kindesstatt“ gestrichen worden).488 Die Bestimmungen über die Nichtigkeit von zwischen leiblichen Verwandten oder Verschwägerten geschlossenen Ehen fanden sich im revidierten Zweiten Entwurf in §§ 1308, 1312 und § 1314 (in der letztgenannten Vorschrift hieß es nunmehr, dass die Nichtigkeit nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden könne, „solange nicht die Ehe für nichtig erklärt oder aufgelöst ist“).489 Die Rechtsfolgen einer Eheschließung zwischen Adoptivverwandten sah der revidierte Zweite Entwurf in seinem § 1749 vor, in dessen Abs. 2 die Worte „oder ist sie anfechtbar und angefochten“ gestrichen worden waren, so dass die dem einen Ehegatten über den anderen zustehende elterliche Gewalt mit der Eheschließung nur noch verwirkt werden sollte, wenn die Ehe nichtig war.490

V. Die Gesetzesberatungen in Bundesrat und Reichstag und das Inkrafttreten des BGB Noch während der Beratungen der Zweiten Kommission über das Familienrecht teilte der Reichskanzler in einem Schreiben an alle Bundesregierungen zur Vorbereitung der Beratung des Zweiten Entwurfes im Bundesrat vom 19. Dezember 1893491 mit, dass nun der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Bundesrates näherkomme und daher die Erwägung der Frage, wie diese Beschlussfassung zweckmäßig erfolgen solle, schon jetzt angezeigt erscheine. Er gehe davon aus, dass es sich sowohl für den Bundesrat, als auch für den Reichstag bei der Beurteilung des von der Kommission festgestellten Gesetzbuchs wesentlich um ein politisches Votum handeln werde. Wolle man den Entwurf wie sonstige Gesetzesvorlagen in beiden Kammern einer Durchberatung in allen Einzelheiten unterziehen, würde dies für die Vollendung des Gesetzgebungswerkes, dessen Abschluss wohl im allseitigen Interesse liege, mindestens einen Aufschub von Jahren bedeuten. Da infolgedessen die Teilnahme des Volkes sich von dem Gesetzgebungswerk immer mehr abwenden müsse, würde mit der Gefahr zu rechnen sein, dass die abschließenden Erörterungen in den gesetzgebenden Organen unter dem Einfluss der einer so großen Aufgabe naturgemäß entgegentretenden Schwierigkeiten ins Stocken gerieten. Dieser Gefährdung des ganzen Gesetzgebungswerkes 487 488 489 490 491

Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4, S. 314 f. Siehe Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 86 f. u. 24. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 280 i.V. m. S. 125 ff. Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 804 u. 721. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 360 f.

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müsse mit allen Mitteln vorgebeugt werden.492 Zur Beschlussfassung im Bundesrat schlug der Reichskanzler vor, die dortigen Ausschussberatungen nicht nur auf das Notwendige zu beschränken, sondern auch so vorzubereiten, dass sie ohne großen Zeitverlust zu einer Entscheidung führen könnten. Bei einer von großen Gesichtspunkten geleiteten Behandlung im Bundesrat werde auch vom Reichstag erwartet werden dürfen, dass er sich bei seiner verfassungsmäßigen Mitwirkung eine dem Interesse des nationale Werkes entsprechende Selbstbeschränkung auferlegen werde. Zur Beschleunigung der Beratungen im Bundesrat könne es besonders dienen, wenn die Bundesregierungen schon demnächst in der Weise Stellung zum Zweiten Entwurf nähmen, dass sie die von der Kommission jeweils festgestellten Teile prüften, sich dabei aber auf solche Punkte beschränkten, die von hervorragender wirtschaftlicher und sozialpolitischer Bedeutung seien oder besondere Interessen des einzelnen Landesgebietes berührten.493 Wenn die Bundesregierungen ihre Erinnerungen und Wünsche mitteilten, vermöge auch die Reichsjustizverwaltung zur Beschleunigung der Arbeit mitzuwirken. Die Bundesregierungen seien wohl in der Lage, ihre Äußerungen nach den einzelnen Büchern des Entwurfes getrennt dem Reichsjustizamt zugehen zu lassen, für das erste Buch etwa zum 1. Juli 1894, für die folgenden jeweils ein Vierteljahr später. Wenn dies geschehe, könnte eine Zusammenstellung der Erinnerungen und Wünsche mit der Begutachtung der Reichsverwaltung in entsprechenden Terminen den Regierungen mitgeteilt und so auf schnellstem Weg eine Unterlage für die dann voraussichtlich nur kurzen Beratungen im Bundesrat gewonnen werden.494 Das vom Reichskanzler vorgeschlagene Verfahren fand die Unterstützung der Bundesregierungen mit der Ausnahme von Mecklenburg-Schwerin, das von jeglicher Mitwirkung an der Ausarbeitung des BGB ausgeschlossen war und mit Schreiben vom 22. Januar 1894 geltend machte, dass es darauf ankomme, ein gutes und praktisch brauchbares Werk zu schaffen, dessen Regelungen ein in sich geschlossenes harmonisches Ganzes bildeten, und es daher keine Rolle spiele, ob das BGB ein Jahr früher oder später in Kraft trete. Eine Beschränkung der Kritik auf prinzipielle Fragen sei abzulehnen, stattdessen müsse auch die „juristische Gestaltung“ zur Diskussion stehen.495 Der Staatssekretär im Reichsjustizamt Arnold Nieberding wies dies in seiner Antwort vom 19. Februar 1894 zurück, da ein solches Verfahren zwar nicht zu grundlegenden Änderungen, aber einer erheblichen Verzögerung führen würde, woraufhin Mecklenburg-Schwerin in einer Replik erklärte, dass die Kritik sich nicht auf rein politische Gesichtspunkte

492

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 360. Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 360. 494 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 361. 495 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 61; dort auch Fn. 149. 493

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beschränken dürfe, es die juristischen Bedenken aber auf Fragen von erheblicher Bedeutung beziehungsweise auf Fragen beschränken wolle, deren Prüfung und Berücksichtigung ohne besondere Schwierigkeiten möglich seien.496 Demgegenüber bestand das Reichsjustizamt in seiner Antwort vom 6. April 1894 jedoch auf Fragen grundsätzlicher Bedeutung, deren Prüfung und eventuelle Berücksichtigung ohne Schwierigkeiten möglich sein müssten.497 Im Ergebnis hatte sich die Reichsleitung mit ihren Vorstellungen zum weiteren Vorgehen somit durchgesetzt. 1. Die Beratung im Bundesrat Am 27. Juni 1895 teilte der Vorsitzende des Bundesrates dem Plenum mit, dass der Zweite Entwurf des BGB voraussichtlich Anfang Herbst und damit zu einem Zeitpunkt an den Bundesrat gelangen werde, zu welchem regelmäßige Plenarsitzungen mit Sicherheit nicht vorauszusehen seien. Daher sei unter dem Vorbehalt der nachträglichen Genehmigung des Bundesrates beabsichtigt, den Entwurf alsbald nach seinem Eingang dem Justizausschuss zu überweisen, um diesen in die Lage zu versetzen, noch vor Zusammentritt der Plenarversammlung unverzüglich in die Beratung des Entwurfes einzutreten. Für die Beratung selbst sei vorgesehen, die Berichterstattung über die einzelnen Bücher nach näherer Verständigung im Ausschuss an verschiedene Berichterstatter zu verteilen, um dadurch die Beratung möglichst zu fördern. Im Reichsjustizamt werde eine für den Reichstag bestimmte Denkschrift zu dem Entwurf vorbereitet, deren einzelne Teile dem Bundesrat so zeitig zugehen sollten, dass in den Ausschussberatungen bei jedem Buch des Entwurfes auch der zugehörige Abschnitt der Denkschrift berücksichtigt werden könne.498 Diese Mitteilung hatte Arnold Nieberding in der dem Plenum vorangegangenen Sitzung des Justizausschusses bereits angekündigt.499 Vertraulich hatte er darüber hinaus erklärt, dass durch die Mitteilung ein doppelter Zweck verfolgt werde. Zum einen erfolge sie schon jetzt, damit die im Justizausschuss vertretenen Regierungen die für die dortigen Beratungen noch erforderlichen Vorbereitungen rechtzeitig treffen, insbesondere jede von ihnen zu den von den anderen Regierungen zu dem Zweiten Entwurf eingebrachten Abänderungsanträgen und Vorschlägen Stellung nehmen könnten. Zum anderen sollten die im Justizausschuss nicht vertretenen Regierungen dazu veranlasst werden,

496 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 61, dort Fn. 149 a. 497 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 61, dort Fn. 149. 498 Bundesratsprotokolle 1895, § 407 (S. 288). 499 Bericht des bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrat Wilhelm von Heller vom 27. Juni 1895 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates und des Plenums vom selben Tag, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 362 (362).

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sich darüber schlüssig zu machen, ob sie Kommissare zu den Ausschussberatungen abordnen wollten.500 Nieberding hatte weiterhin auf einen Beschluss über das weitere Verfahren hinsichtlich der Berichterstattung über den Entwurf im Ausschuss gedrängt. Diese solle nach den einzelnen Büchern verteilt werden und im Falle des Einverständnisses mit diesem Vorschlag werde man die Verteilung zweckmäßigerweise sofort vornehmen. Das für die Berichterstattung notwendige Material werde den Ausschussmitgliedern so bald wie möglich zur Verfügung gestellt und Anfang Herbst werde man dann mit der Beratung im Ausschuss beginnen können. Er gehe von wöchentlich drei Sitzungen sowie davon aus, dass man für jedes Buch etwa zwei Wochen brauchen werde, so dass die Beratungen im Ausschuss voraussichtlich bis Weihnachten 1895 abgeschlossen seien.501 Da die einzelnen Regierungen dem Inhalt des jeweiligen Buches, über das ihr Vertreter zu referieren habe, möglichst unbefangen gegenüberstehen sollten, hatte Nieberding für die Berichterstattung über das Familienrecht Sachsen vorgeschlagen. Dieses Rechtsgebiet enthalte eine Vielzahl von Fragen, die es zweckmäßig erscheinen ließen, die Berichterstattung einer Regierung zu übertragen, von der anzunehmen sei, dass sie weder auf einem einseitig protestantischen, noch auf einem einseitig katholischen Standpunkt stehe. Dies sei vorzugsweise von Sachsen anzunehmen, das einen katholischen König und eine protestantische Regierung habe. Nach Beginn der Ausschussberatungen zwischen dem 3. und dem 7. Oktober würde Sachsen in der zweiten Novemberhälfte Bericht zu erstatten haben.502 Gegenüber Nieberdings Bemerkung, dass das Einführungsgesetz wohl erst im Lauf des Januar 1896 zur Beratung im Ausschuss gelangen könne, war auf dessen inneren Zusammenhang mit dem BGB hingewiesen worden sowie auf die Schwierigkeiten, zu einzelnen Materien und Bestimmungen des Gesetzbuchs Stellung nehmen zu müssen, bevor sich übersehen lasse, wie die Zweite Kommission die dazu in Beziehung stehenden Bestimmungen des Entwurfes des Einführungsgesetzes gestaltet haben werde. Nach der Erledigung des Einführungsgesetzes müsse zumindest eine zweite Lesung stattfinden. Darauf hatte Nieberding erwidert, dass er es als selbstverständlich ansehe, dass eine solche nach Erledigung des Einführungsgesetzes vorbehalten bleiben müsse. Schließlich hatte er erklärt, dass der Justizausschuss sich bei Abänderungsbeschlüssen auf den materiellen Inhalt werde beschränken müssen. Diese Beschlüsse würden dann den Kommissaren zur Redaktion überwiesen, die Redaktion bei der zweiten Lesung 500 Bericht von Heller vom 27. Juni 1895 über Bundesrates und des Plenums vom selben Tag, Entstehungsgeschichte des BGB, S. 362 (362 f.). 501 Bericht von Heller vom 27. Juni 1895 über Bundesrates und des Plenums vom selben Tag, Entstehungsgeschichte des BGB, S. 362 (363). 502 Bericht von Heller vom 27. Juni 1895 über Bundesrates und des Plenums vom selben Tag, Entstehungsgeschichte des BGB, S. 362 (363 f.).

die Sitzung des Justizausschusses des in: Jakobs/Schubert, Materialien zur die Sitzung des Justizausschusses des in: Jakobs/Schubert, Materialien zur die Sitzung des Justizausschusses des in: Jakobs/Schubert, Materialien zur

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der Beschlussfassung des Ausschusses unterstellt werden.503 Endgültig festgelegt wurde das Vorgehen im Justizausschuss des Bundesrates auf dessen Sitzung vom 8. Juli 1895 mit der Genehmigung des „Geschäftsplans für die Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Justizausschuß“ 504, der den Vorschlägen Nieberdings über den Beginn der Beratungen und die Verteilung der jeweiligen Bücher des Gesetzentwurfes auf einzelne Bundesstaaten vom 27. Juni folgte. In der Sitzung erklärte der bayerische Vertreter sich damit unter der Voraussetzung einverstanden, dass eine zweite Lesung stattfinde und dass durch geschäftsordnungsmäßige Bestimmung weitere Anträge nicht grundsätzlich ausgeschlossen seien, auch wenn im Allgemeinen nur die bisher mitgeteilten Anregungen Gegenstand der Verhandlungen sein sollten. Nieberding erwiderte darauf, dass neue, sich im Lauf der Verhandlungen als notwendig herausstellende Anträge nicht ausgeschlossen sein sollten und könnten, mit solchen allerdings äußerste Beschränkung sehr zu wünschen sei. Dahingestellt bleiben könne, ob die zweite Lesung durch den Inhalt des Einführungsgesetzes notwendig werde, jedenfalls könne nicht wieder alles im Einzelnen durchgegangen werden. Stattdessen erwarte man Anträge, die sich aus dem Inhalt des Einführungsgesetzes ergäben.505 Entsprechend war in Punkt 4. des Geschäftsplans vorgesehen, dass der Berichterstattung für die einzelnen Bücher des BGB die im Reichsjustizamt gefertigte Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen zum Zweiten Entwurf zugrundegelegt werden sollten und es sich für die Ausschussberatungen vornehmlich darum handele, die darin enthaltenen Erinnerungen zu erledigen. Den Ausschussmitgliedern bleibe es jedoch unbenommen, neue Anträge zu stellen, soweit sich für ihre Regierungen dazu nachträglich ein Anlass ergeben sollte. Unter Punkt 8. hieß es, dass eine Revision der zum Gesetzbuch bereits gefassten Beschlüsse vorbehalten bleibe, soweit der Inhalt des Einführungsgesetzes nachträglich zu Abänderungsanträgen von Bestimmungen des Gesetzbuches selbst Anlass geben sollte.506 Noch bevor der Zweite Entwurf an den Bundesrat überwiesen wurde, begann der Justizausschuss am 7. Oktober 1895 mit seinen Beratungen.507 Auch auf dieser Sitzung betonte Nieberding noch einmal die Notwendigkeit einer wohlwol503 Bericht von Heller vom 27. Juni 1895 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates und des Plenums vom selben Tag, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 362 (364). 504 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 62; der Geschäftsplan ist auf den Seiten 365 f. abgedruckt. 505 Bericht des württembergischen Vertreters im Bundesrat Karl von Schicker vom 9. Juli 1895 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates am 8. Juli 1895, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 365. 506 „Geschäftsplan für die Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Justizausschuß“, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 365 (366). 507 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 62.

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lenden Behandlung des Entwurfes und verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag und die Situationen der jeweiligen politischen Parteien. Die Größe der Aufgabe lege es nah, bei der Beratung im Ausschuss Zurückhaltung zu üben und darauf zu vertrauen, dass die beiden Kommissionen ein annehmbares Werk geschaffen hätten. Andernfalls würde sich der Reichstag verhängnisvollerweise ebenfalls für berechtigt halten, den Entwurf abermals durchzurevidieren, was das Ende des gesamten Gesetzgebungsunternehmens bedeuten würde. Ein Scheitern würde jedoch so gravierende politische Folgen haben, dass der Bundesrat alles aufbieten müsse, dies zu verhindern. Er müsse deshalb den Entwurf so ansehen, als sei er sein eigener, und lediglich etwaige Irrtümer und Unklarheiten beseitigen. Er, Nieberding, hoffe, dass es möglich sein werde, die Beratung in verhältnismäßig kurzer Zeit zu Ende zu bringen und glaube, wie wohl auch der Reichskanzler, dass man Wert darauf legen müsse, dass die Vorlage noch in der bevorstehenden Session rechtzeitig genug an den Reichstag gelange, dass dieser aus dem Zeitpunkt der Einbringung keinen Grund entnehmen könne, die Erledigung in die nächste Session zu vertagen. Nach Meinung des Kanzlers werde eine so günstige Konstellation wie gegenwärtig für das Zustandekommen des Gesetzes in absehbarer Zeit nicht wiederkommen. Man könne im Gegensatz zur vorigen Session auf ein Entgegenkommen bei allen denjenigen Parteien hoffen, die für diese nationale Aufgabe Verständnis hätten. So stehe die konservative Partei unter dem Eindruck einer Katastrophe, die alle Elemente zurücktreten lasse, die dem Zustandekommen des Gesetzbuchs erheblich Schwierigkeiten bereiten könnten (um welche Katastrophe es sich handeln sollte, blieb an dieser Stelle offen). Die nationalliberale Partei habe sich in ihrer Presse so stark für das Zustandekommen des Gesetzbuchs eingesetzt, dass sie sich wohl für verpflichtet halten dürfte, auch im Reichstag für ein möglichst schnelles Zustandekommen einzutreten. Bei den linken Parteien bestehe die Einsicht, dass sie ihre gesunkene Stellung nur durch ein energisches Eintreten für das Gesetzbuch wieder heben könnten, und sie hätten die Empfindung, dass sie damit rechnen müssten, später einen Entwurf zu bekommen, der noch viel weiter von ihren politischen Zielen entfernt sei als der gegenwärtige, wenn sie den jetzigen Zeitpunkt verpassten. Ihre Parteiführer gelangten mehr und mehr zu der Einsicht, dass es ein Fehler wäre, die ausgestreckte Hand der Regierungen nicht zu ergreifen. Das Zentrum schließlich leide erheblich unter dem Eindruck seiner ungeschickten Leitung der Beratung der Umsturz- und der Strafprozessordnungsvorlage und fühle das Bedürfnis, die große Aufgabe zu erledigen, solange es die geschäftliche Leitung des Reichstages noch beherrsche. Dies alles dränge dazu, alles aufzubieten, um den Entwurf in der bevorstehenden Session des Reichstages von diesem erledigen zu lassen.508 Schließlich verständigte sich der Ausschuss nicht nur, wie 508 Bericht von Heller vom 7. Oktober 1895 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 366 (368 f.); zur Umsturz- und zur Strafprozessvorlage siehe S. 369, Fn. 25: Mit ers-

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ursprünglich in Aussicht genommen, auf wöchentlich drei, sondern stattdessen auf vier Sitzungen.509 Am 22. Oktober 1895 übersandte Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst dem Bundesrat den „Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich – Zweite Lesung“ zusammen mit der im Reichsjustizamt ausgearbeiteten, für den Reichstag bestimmten „Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich“ (deren Einleitung sowie die Teile zu den Büchern IV bis VI jedoch erst später nachfolgten).510 Um dem Reichstag möglichst wenig Angriffsfläche für Kritik am Gesetzentwurf zu geben, war die Denkschrift absichtlich nur knapp und allgemein gehalten.511 Entsprechend betonte sie zu den Bestimmungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft, dass der Entwurf in der Hauptsache dem § 33 Nrn. 1 bis 4 RPStG folge. Die Erweiterung um das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft durch § 1295 Abs. 2 rechtfertigte die Denkschrift damit, dass eine Ehe zwischen den in dieser Vorschrift genannten Personen das Sittlichkeitsgefühl in so hohem Grad verletze, dass ihre Zulassung ein öffentliches Ärgernis darstellen würde. Im Übrigen habe das Eheverbot nur aufschiebende Wirkung, die Gültigkeit einer dennoch geschlossenen Ehe werde durch einen Verstoß nicht berührt. Über § 33 Nr. 4 RPStG hinausgehend bringe der Entwurf das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft im Interesse eines gedeihlichen Familienlebens auch gegenüber Abkömmlingen des Angenommenen unabhängig davon zur Geltung, ob sich die Wirkungen der Annahme an Kindes statt auf sie erstreckten oder nicht. Im Übrigen dauere das Ehehindernis nur so lange, wie das durch die Annahme an Kindes statt begründete Rechtsverhältnis bestehe.512 Auch bezüglich der Rechtsfolgen von Verstößen gegen die im Entwurf vorgesehenen Eheverbote hob die Denkschrift zunächst die Kontinuität mit den bestehenden landes- beziehungsweise partikularrechtlichen Bestimmungen hervor. Die im Entwurf vorgesehene Regelung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit sei durch die Verschiedenartigkeit der Gründe, auf denen die einzelnen Ehehindernisse beruhten, geboten und schließe sich dem geltenden Recht an. Nichtigkeit trete im Allgemeinen ein, wenn die Aufrechterhaltung der Ehe mit dem Wesen der Ehe und der öffentlichen Ordnung nicht vereinbar sein würde, Anfechtbarkeit dagegen, wenn es sich um einen Mangel handele, bei dem wesentlich das Interesse des verletzten Ehegatten

terer sollten umstürzlerische Bestrebungen unter Strafe gestellt werden, sie scheiterte jedoch am 11. Mai 1895 daran, dass Zentrum und Konservative sie durch weitere Beschränkungen belasteten. Letztere war unerledigt geblieben. 509 Bericht von Heller vom 7. Oktober 1895 über die Sitzung des Justizausschusses des Bundesrates, in: Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 366 (369). 510 Bundesr.-Drucks. Nr. 103/1895 u. zu Nr. 103/1895. 511 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 62. 512 Bundesr.-Drucks. zu Nr. 103/1895, S. 159.

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über das Bestehenbleiben der Ehe entscheiden müsse.513 Zu der Vorschrift des § 1312 des Entwurfes, dass eine Ehe zwischen Verwandten oder Verschwägerten entgegen dem in § 1295 Abs. 1 vorgesehenen Verbot nichtig sei, begnügte sich die Denkschrift mit dem Hinweis, dass dies mit allen geltenden Rechten übereinstimme. Dagegen entspreche es der französischen Gesetzgebung, dass nach § 1296 das durch Annahme an Kindes statt begründete Rechtsverhältnis nur ein aufschiebendes Ehehindernis darstelle. Da in § 1749 vorgesehen sei, dass dieses Rechtsverhältnis mit Schließung der Ehe kraft Gesetzes aufgehoben werde, könnten sich daraus auch keine Unzuträglichkeiten ergeben.514 Am 24. Oktober 1895 überwies der Bundesrat den Gesetzentwurf schließlich an den Justizausschuss, der für seine bisherigen Beratungen zunächst vorläufige Druckabzüge verwendet hatte.515 Insgesamt beriet der Ausschuss den Entwurf in erster Lesung auf elf Sitzungen zwischen dem 7. Oktober und dem 13. November und in zweiter Lesung am 10. und 11. Dezember 1895, die abschließende Beratung fand am 11. Januar 1896 statt.516 Vom selben Tag datiert der Antrag des Justizausschusses, dass der Bundesrat dem Gesetzentwurf mit den vom Ausschuss beschlossenen Abänderungen die Zustimmung erteilen solle.517 Am 16. Januar 1896 erläuterte Nieberding den Antrag des Justizausschusses mündlich im Bundesratsplenum und berichtete über die dazu eingegangenen Eingaben, woraufhin der Bundesrat beschloss, dem Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschussantrags in erster und zweiter Lesung die Zustimmung zu erteilen, die im Reichsjustizamt ausgearbeitete Denkschrift dem Reichstag mit vorzulegen und die einschlägigen Eingaben durch seine Zustimmung zum Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.518 Im sogenannten Dritten Entwurf waren die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in den §§ 1293 und 1294 vorgesehen. Nach § 1310 sollte eine zwischen leiblichen Verwandten sowie Verschwägerten geschlossene Ehe nichtig sein, nach § 1312 Satz 1 die Nichtigkeit nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden können, solange die Ehe nicht für nichtig erklärt oder aufgelöst war. Gemäß § 1747 Abs. 1 sollte durch eine verbotswidrige Eheschließung zwischen durch Annahme an Kindes statt verbundenen Personen die Aufhebung des durch die Annahme zwischen ihnen begründeten Rechtsverhältnisses eintreten. Abs. 2 Satz 1 sah mit der Eheschließung die Verwirkung der dem einen über den anderen Ehegatten zustehenden elterlichen Gewalt vor, wenn die Ehe nichtig war, nach Satz 2 sollte die Verwirkung aller513

Bundesr.-Drucks. zu Nr. 103/1895, S. 161. Bundesr.-Drucks. zu Nr. 103/1895, S. 163. 515 Bundesratsprotokolle 1895, § 560 (S. 416). 516 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 62. 517 Bundesr.-Drucks. Nr. 9/1896; die vom Ausschuss beschlossenen Abänderungen finden sich in der beigefügten Anlage (ab S. 3 der Drucksache); die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft betrafen sie nicht. 518 Bundesratsprotokolle 1896, § 26 (S. 13 ff.). 514

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dings nicht eintreten, wenn die Nichtigkeit der Ehe auf einem Formmangel beruhte und die Ehe nicht in das Heiratsregister eingetragen worden war. Die Großherzoglich mecklenburgischen Regierungen ließen durch ihren Gesandten die Erklärung abgeben, dass sie gegen mehrfache Vorschriften des Entwurfs schwerwiegende Bedenken hegten und insbesondere in der Regelung des Hypotheken- und des Eherechts keine Verbesserung des bisherigen mecklenburgischen Rechtszustandes erblicken könnten, jedoch glaubten, im Interesse der Förderung der nationalen Rechtseinheit ihre Bedenken gegenüber dem Entwurf zurückdrängen und für ihn stimmen zu sollen.519 Es muss an dieser Stelle offenbleiben, ob sich die geäußerten Bedenken auch auf die Bestimmungen des Entwurfes über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft bezogen. In jedem Fall entsprachen die mecklenburgischen Regierungen mit ihrer Zustimmung jedoch den Vorstellungen der Reichsleitung, die Nieberding während der Beratungen im Bundesrat wiederholt vorgetragen hatte. Seit das Reichsjustizamt die Initiative ergriffen und die Rolle des maßgebenden Akteurs im Gesetzgebungsprozess übernommen hatte, waren die Arbeiten an dem Entwurf für das BGB forciert worden. Mit der Zustimmung des Bundesrates zum Gesetzentwurf hatte dieser eine wichtige Hürde im verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren genommen. Bis dahin war der Plan des Reichsjustizamtes also aufgegangen. Nunmehr musste sich in der Beschlussfassung im Reichstag zeigen, ob sich die Berufung von Politikern aller maßgeblichen Parteien mit Ausnahme der Sozialdemokraten in die Zweite Kommission ebenfalls im Sinne einer Beschleunigung des Verfahrens auswirken würde. 2. Von den Beratungen im Reichstag bis zum Inkrafttreten des BGB a) Die erste Beratung im Reichstag Den vom Bundesrat verabschiedeten Entwurf legte der Reichskanzler zusammen mit der Denkschrift des Reichsjustizamtes am 17. Januar 1896 dem Reichstag vor.520 Dort fand die erste Beratung vom 3. bis zum 6. Februar 1896 statt.521 Dabei kamen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft zwar nicht zur Sprache, es zeigte sich jedoch, dass die Zentrumspartei nach wie vor grundlegende Vorbehalte gegenüber einem staatlichen Eherecht hatte, andererseits aber auch unter den Abgeordneten des Reichstages selber das ernsthafte Bestreben vorhanden war, das BGB nicht an fehlendem Willen zur Einigung scheitern zu lassen. Ob allerdings Korrekturen gegenüber dem Ersten Entwurf wie die Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft ausreichten, um dem Gesetzentwurf die Zustimmung der Mehrheit der Reichstagsabgeordneten zu si519

Bundesratsprotokolle 1896, § 26 (S. 15). Anlagen Nr. 87 u. zu Nr. 87, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 151, S. 446 u. S. 602. 521 Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 705 ff., 727 ff., 751 ff. u. Bd. 144, S. 775 ff. 520

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chern, war noch keineswegs ausgemacht. So erklärte der Zentrumsabgeordnete Victor Rintelen am 3. Februar, dass der Entwurf Vorschriften über das persönliche Eherecht enthalte, die mit Glaubenssätzen der katholischen Kirche in Widerspruch stünden, und die Kirche das Recht des Staates zur Ehegesetzgebung für Katholiken überhaupt nicht anerkenne. Wenn es nicht gelinge, diese Vorschriften aus dem Gesetzbuch zu entfernen oder so umzugestalten, dass die Gewissensbedenken der Katholiken beseitigt seien, sei das Zentrum genötigt, nicht nur gegen diese Vorschriften, sondern gegen den Entwurf im ganzen zu stimmen.522 Weniger grundsätzlich fiel die Kritik des deutsch-konservativen Abgeordneten Gerhard von Buchka aus, der erklärte, dass an der aus dem RPStG übernommenen Zivilehe zwar nicht mehr gerüttelt werden solle, aber zugab, dass im Ehehindernis- und Ehescheidungsrecht einzelne Punkte geändert werden müssten – wobei er wohl nicht an die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft dachte, sondern unter anderem für die Wiedereinführung der Trennung von Tisch und Bett auf Zeit plädierte.523 Als Antwort auf Rintelen hielt der Abgeordnete der Freisinnigen Vereinigung Hugo Schröder ein leidenschaftliches und mit viel nationalem Pathos aufgeladenes Plädoyer für politischen Realismus und Kompromissfähigkeit über die Parteigrenzen hinweg. Er sei parlamentarisch zu abgebrüht, um unter dem Eindruck der von Rintelen vorgebrachten Bedenken gleich über das weitere Schicksal des Gesetzentwurfes besorgt zu sein und hoffe, dass die Erklärung Rintelens nicht so verhängnisvoll wirken werde, wie es auf den ersten Blick erscheinen möge, da es nur darum gehe, dass das bestehende Recht erhalten bleiben solle. Es werde jedoch niemand ernsthaft die Hoffnung haben können, das bürgerliche Recht auf den Standpunkt zurückzuschrauben, wie es Rintelen als wünschenswert erklären wolle. Der Staat habe sich schon lange das Recht genommen, auch auf dem Gebiet des Eherechts zu bestimmen, so dass es ihm in dieser Beziehung nicht mehr verkümmert werden könne. Es wolle ihm, Schröder, als kein ganz ungünstiger Umstand erscheinen, dass gerade der gegenwärtige Reichstag in seiner aktuellen Zusammensetzung, wo er in so viele Gruppen zerfalle und so scharfe Gegensätze so hart miteinander ringen, vor die Aufgabe gestellt sei, letzte Hand an die Schaffung eines einheitlichen bürgerlichen Rechts zu legen. Darin liege etwas wirklich Versöhnendes und Erhebendes, indem darin zum Ausdruck komme, dass trotz allem, was die Abgeordneten trenne, doch diejenige Kraft nach wie vor lebendig im deutschen Volk geblieben sei, die niemals aufgehört habe, das Einheits- und Gemeinschaftsgefühl in ihm aufrecht zu erhalten, zu beleben und zu kräftigen, und die über alle Hindernisse der geschichtlichen Entwicklung zu Kaiser und Reich zurückgeführt habe. Da sollten doch alle Parteien ohne Unterschied mit Befriedigung die Gelegenheit ergreifen, in der bereitesten Mitwirkung zu einem so großen Werk sich über die

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Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 717. Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 721 f.

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sie trennenden Gegensätze zu erheben und damit den berechtigten Kern derselben zu adeln, da sämtliche im Reichstag vertretenen Parteien doch wirklich nicht glauben könnten, dem berechtigten Inhalt ihrer Ziele näher zu kommen, wenn es ihnen nicht gelinge und sie nicht die Kraft bewiesen, das Gemeinschaftsgefühl in der Nation dafür zu erfüllen. Dazu gebe es kein geeigneteres Mittel als die Herstellung eines einheitlichen bürgerlichen Rechts. Schon von allen Seiten sei hervorgehoben worden, dass die Erfüllung einer solchen Aufgabe natürlich allseits einer großen Resignation bedürfe, habe doch die Entwicklung in Deutschland gerade auf dem Gebiet des Rechts einen Verlauf genommen, dass die Zurückführung auf die Einheit nur mittels großer Kompromisse möglich sei.524 Gleichzeitig mahnte Schröder aber auch an, die parlamentarischen Beratungen nicht zu sehr zu überfrachten. Der Reichstag habe sich darauf zu beschränken, den Entwurf im Wesentlichen unter den großen politischen und sozialpolitischen Gesichtspunkten zu prüfen. Religiöse seien eigentlich ganz auszuscheiden, da man auf Gegensätze stoßen würde, die im Reichstag unausgleichbar seien, wenn man sich in dieser Beziehung zu sehr in die Erörterung der Dinge vertiefe.525 Der Abgeordnete der Reichspartei Ernst Leuschner, der bereits als nichtständiges Mitglied der Zeiten Kommission angehört hatte, gab seiner Meinung Ausdruck, dass der Entwurf im Großen und Ganzen allen denjenigen Anforderungen entspreche, die man überhaupt zur Geltung bringen könne und es unmöglich sei, mit ihm allen Wünschen Genüge zu tun. Es handele sich nur darum, im Großen und Ganzen den nationalen Wünschen und den Bedürfnissen des deutsches Volkes Genüge zu leisten und er glaube, dies sei in vollem Maße der Fall.526 Als Gottlieb Planck am 4. Februar den Gesetzentwurf vor dem Reichstag verteidigte, bemühte er sich unter anderem darum, einerseits die Kritik am Eherecht des Gesetzentwurfes als unbegründet darzustellen, andererseits darum, die Kontinuität mit dem bestehenden Eheverbotsecht zu betonen. Zunächst müsse er darauf hinweisen, dass das bürgerliche Gesetzbuch nicht die Aufgabe habe, die Ehe überhaupt zu regeln, sondern nur die rechtliche Seite derselben. Es sei nicht zu verkennen, dass die Hauptbedeutung der Ehe nicht auf rechtlichem, sondern auf sittlich-religiösem Gebiet liege. Diese Seite der Ehe gehöre aber nicht vor das Forum des bürgerlichen Rechts, hier dürfe es nicht eingreifen. Die Ehe habe aber auch eine rechtliche Seite, was sich in den überaus wichtigen Folgen zeige, die sich an sie knüpften. Daher sei das bürgerliche Gesetzbuch berechtigt und verpflichtet, diese rechtliche Seite, aber auch nur diese zu ordnen und auch die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen der Staat eine Ehe rechtlich als existierend annehme, und unter welchen Umständen er sie als aufgelöst ansehe. Dass bei den Vorschriften über die rechtliche Seite der Ehe darauf zu achten sei, dass 524 525 526

Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 723. Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 724. Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 725.

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die Hauptsache bei der Ehe, die sittliche und religiöse Bedeutung, nicht leide, sei allerdings ein Postulat, das an das bürgerliche Recht zu stellen sei. Dieses habe sich der Entwurf im allerweitesten Umfang immer vergegenwärtigt, es sei grundlegend für alle seine rechtlichen Bestimmungen gewesen, dass sie nie das sittliche Wesen der Ehe gefährdeten. Sollte nachgewiesen werden, dass im bürgerlichen Gesetzbuch eine Bestimmung existiere, die dem sittlichen Wesen der Ehe oder dem Gewissen zu nahe trete, so würde er, Planck, der Erste sein, der damit einverstanden wäre, diese Bestimmung zu ändern. Er glaube aber nicht, dass dieser Nachweis geführt werden könne. Bei dem Recht der Eheschließung halte sich der Entwurf, seiner Aufgabe entsprechend, lediglich an das bestehende Recht. Hier seien die Grundsätze, die das RPStG bereits aufgestellt habe, zusammengestellt und einzelne Zweifel und einzelne Härten, die sich aus übertriebener Formalität ergäben, beseitigt. Sodann seien die Lücken ausgefüllt, die in Betreff der Wirkung der Ehehindernisse vorhanden gewesen seien.527 Ähnlich wie Planck äußerte sich am 5. Februar auch der Abgeordnete der Deutschen Reformpartei Paul Förster. Er verstehe es wohl, dass die ganze katholische Partei im Reichstag sich auf den von Rintelen erläuterten Standpunkt stelle. Dies verstehe jeder, der die Lehren der katholischen Kirche und das kanonische Recht auch nur oberflächlich kenne, und die von anderer Seite in dieser Angelegenheit gemachten Witzeleien seien wirklich sehr wenig am Platze gewesen. Er weise Rintelen und seine Partei jedoch daraufhin, dass es nur darauf ankomme, für etwas schon Vorhandenes einen Ersatz in dem bürgerlichen Gesetzbuch zu finden. Für etwas in dem RPStG Vorhandenes solle ein entsprechender Wortlaut eingefügt werden. Ein Kampf bis aufs Messer würde gar nicht zu verwundern sein, wenn es gälte, etwas Neues festzusetzen. Dies würde er begreifen, er verstehe aber wirklich nicht ganz, warum in einer so schroffen Gegenstellung gesagt worden sei, dass entweder die Abschnitte über die Ehe verschwinden oder das Zentrum sich überhaupt gegen den ganzen Entwurf erkläre. Im Namen seiner Partei erklärte Förster demgegenüber, dass sie in Bezug auf das Eherecht auf dem Standpunkt des Entwurfs stehe. Dass dieser überhaupt das Eherecht berücksichtige, sei rechtmäßig, da die Ehe nicht nur eine religiöse und sittliche, sondern auch eine rechtliche Seite habe, mit der sie in den Bereich des bürgerlichen Rechts trete.528 Gegenüber Plancks Ausführungen zum Eherecht des Gesetzentwurfes zeigte sich Peter Spahn grundsätzlich skeptisch und erwiderte, die Ehe sei nur eine Einheit, die sich nicht in eine juristische, eine sittliche und eine religiöse Einheit zerlegen lasse. Die in dem Gesetzentwurf geregelte Zivilehe habe alle drei Wirkungen. Es gebe neben der standesamtlichen Ehe nach dem Begriff des Gesetzbuchs nicht noch eine religiöse Ehe als solche, und darauf komme es ausschließlich an. Deshalb dürfe man die drei Seiten der Ehe nicht in der Weise, wie 527 528

Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 738 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 768.

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man es tue, getrennt behandeln, sondern müsse alle Seiten bei dieser staatlichen Gesetzgebung ins Auge fassen.529 Spahn machte in seinem Redebeitrag zwar auch deutlich, dass damit keine prinzipielle Absage an die Vereinheitlichung des Zivilrechts verbunden sei, sondern er die Annahme der Gesetzesvorlage aus sozialpolitischen Gründen für notwendig halte. Mit der Rechtseinheit würde auch ein starker Wall gegen den Ansturm der Sozialdemokratie gegen die gegenwärtige Gesellschaftsordnung geschaffen. Dies tue man schon dadurch, dass man durch die Annahme eines auf den Ideen des Privateigentums, der Familie und des Erbrechts aufgebauten Gesetzbuchs einmütig bekenne, dass man diese Gesellschaftsordnung gegenüber den Sozialdemokraten aufrecht erhalten wolle. Gerade in den Reihen des Zentrums sei eine große Anzahl von Vertretern solcher Kreise, die unter der Rechtszersplitterung ganz besonders litten. Bei den jetzigen Rechtsverhältnissen und der jetzigen Freizügigkeit leide unter der Zersplitterung das erwerbende Volk bis ins innerste Mark, und deshalb habe der Reichstag alle Kräfte daran zu setzen, um zu einer Einigung und Verständigung über die Vorlage zu gelangen.530 Im weiteren Verlauf seines Redebeitrages kam Spahn jedoch noch einmal ausdrücklich auf die Frage von Eheschließung und Ehescheidung zu sprechen und betonte die ablehnende Haltung seiner Partei gegenüber der bürgerlichrechtlichen Ehe. Er halte die Frage der persönlichen Ehegesetzgebung, namentlich diejenige der Ehescheidung, für eine solche, bei der die politischen Gesichtspunkte wesentlich mit herein spielten und die Zentrumsabgeordneten wüssten bestimmt, dass in diesen Fragen die Katholiken im Reich genau auf ihrem Standpunkt stünden und in dieser Gesetzgebung eine Verletzung ihres Gewissens und ihrer religiösen Anschauung fänden. Daher solle man, wenn man dazu übergehe, dem deutschen Volk sein Recht zu bringen, sich dieses Gesichtspunktes nicht entschlagen und von dem Werk als solchem alles fernhalten, was den Katholiken die Annahme und die Liebgewinnung eines solchen Buches unmöglich mache oder doch sehr erschwere. Katholische Geistliche seien verpflichtet, immer wieder auf den Kanzeln die Gläubigen darauf aufmerksam zu machen, dass die Beobachtung der Vorschriften des RPStG den kirchlichen Pflichten nicht genüge. Darin liege ein Tadel gegen das Gesetz, auch wenn er nicht ausgesprochen werde, und dieser unausgesprochene Tadel mit seiner unangenehmen Empfindung richte sich in Zukunft gegen das ganze bürgerliche Gesetzbuch, wenn die Belehrung nicht mehr gegen das RPStG als solches gerichtet werden könne. Die übrigen Abgeordneten müssten dem Zentrum nachfühlen, wie ernst es ihm mit dieser Frage sein müsse.531 Am 6. Februar bezeichnete der nationalliberale Abgeordnete Ludwig Enneccerus in seinem Redebeitrag das Eherecht als denjenigen Punkt, der unzweifelbar 529 530 531

Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 770. Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 771. Reichstagsverhandlungen, Bd. 143, S. 772.

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die größten Schwierigkeiten machen werde. Trotz mancher sympathischer Wendung der Rede Spahns sei leider auch nach dieser nicht zu bezweifeln, dass der Kampf um die obligatorische Zivilehe wieder eröffnet werden solle. Er, Enneccerus, glaube nicht, dass ihre Beseitigung zu befürchten sei. Die konservative Partei habe sich dagegen erklärt und dass bei den Freikonservativen und den Nationalliberalen ein solcher Antrag des Zentrums keinen Boden finde, sei wohl von vornherein gewiss. Auch die weiter links sitzenden Parteien könnten dem Antrag unmöglich zustimmen. In einem konfessionell gemischten und paritätischen Staat, in dem die eine Konfession als Vorbedingung der kirchlichen Trauung gewisse bindende Erklärungen über die Religion, in der die Kinder erzogen werden sollen, verlange, könne unmöglich die obligatorische Zivilehe aufgehoben werden, sie sei im Interesse des religiösen Friedens ein unabweisbares Bedürfnis. Auch mit der fakultativen Zivilehe sei unter solchen Verhältnissen nicht gedient, weil unduldsame Gesinnung solche dann nur ganz selten geschlossene Zivilehen nicht als eigentliche Ehen anerkennen würde. Man stehe also hier in der Tat vor einer den anderen Parteien völlig unmöglichen Forderung des Zentrums.532 Er glaube aber, dass die Erfahrungen der 20 Jahre, während der die Zivilehe bestanden habe, auch das Zentrum selbst überzeugen müssten, dass seine Forderung keine praktische Notwendigkeit sei. Sowohl die katholische als auch die protestantische Kirche hätten es in dieser langen Zeit wohl verstanden, die Mitglieder ihrer religiösen Vereinigungen an der Sitte der kirchlichen Einsegnung der Ehe festzuhalten. Man habe gesehen, dass die bei der Einführung der obligatorischen Zivilehe vom Zentrum erhobenen Befürchtungen sich nicht erfüllt hätten. Soviel er wisse, hätten auch die katholischen Bischöfe selbst erklärt, dass die vorgängige standesamtliche Eheschließung vor der kirchlichen Trauung nicht als eine Gewissensbeschwerung erscheinen könne. Aus allen diesen Gründen könne er nicht glauben, dass die Zentrumsfraktion aus der Beibehaltung der nun seit 20 Jahren bestehenden Zivilehe einen Grund entnehmen könnte, dem ganzen Gesetzbuch feindlich gegenüberzutreten. In diesem Glauben habe ihn der warme Ton, in dem Spahn von dem Gesetzbuch gesprochen habe, und die unverkennbare Absicht des Zentrums, zum Zustandekommen des Gesetzbuches mitzuwirken, bestärkt. Die Nationalliberalen wünschten es wahrhaftig nicht, dass das bürgerliche Gesetzbuch gegen die Stimmen des Zentrums zustande komme, sie wünschten, dass es mit ihm votiert werde. Nur wenn es nicht anders gehe, würden sie selbst gegen seine Stimmen mit allem Eifer für das Gesetzbuch eintreten. Das Zentrum selbst aber habe noch viel weniger Grund, zu wünschen, dass dieses große Gesetzeswerk gegen seine Stimmen zur Annahme komme, und wenn er die Politik der Herren vom Zentrum verstehe, hätten sie auch keineswegs diese Absicht. Er könne daher die schweren Bedenken, die hier und da aus den Erklärungen Rintelens und Spahns für das Zustandekommen des Gesetzes entnommen

532

Reichstagsverhandlungen, Bd. 144, S. 778.

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seien, nicht teilen.533 Der Reichstag stimmte schließlich auf Antrag der bereits erwähnten Abgeordneten von Buchka und Schröder mehrheitlich dafür, die Entwürfe des bürgerlichen Gesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen und diese zu ermächtigen, einzelne Abschnitte der Gesetzentwürfe durch Mehrheitsbeschlüsse unverändert anzunehmen, ohne in eine Beratung über sie einzutreten.534 Die Wahl der Kommission setzte der Reichstagspräsident auf den 7. Februar im unmittelbaren Anschluss an die Plenarsitzung fest.535 Mit dem Ende der ersten Beratung des Gesetzentwurfes im Reichstag lagen die Interessen der verschiedenen Parteien offen zutage. Das Zentrum befürwortete die Vereinheitlichung des Zivilrechts grundsätzlich, lehnte jedoch nach wie vor die obligatorische Zivilehe ab und hätte das Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht wohl am liebsten vollständig aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass die Zentrumsabgeordneten selber ernsthaft mit der Möglichkeit rechneten, dass eine entsprechende Forderung Erfolg haben würde. Möglicherweise ging es ihnen eher darum, den Preis für ihre Zustimmung zum BGB in die Höhe zu treiben. Der Verzicht auf ein staatliches Eherecht war für die liberalen und konservativen Parteien, die im Übrigen, sei es aus Überzeugung oder aus der realpolitischen Einsicht in die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag, den Kompromiss mit dem Zentrum suchten, nicht akzeptabel. Die Sozialdemokraten standen mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Gesetzentwurfes abseits und die übrigen Parteien versuchten wohl auch gar nicht erst, sie für eine konstruktive Zusammenarbeit zu gewinnen. Nach Lage der Dinge führte also kaum ein Weg an einer Verständigung von Konservativen und Liberalen mit dem Zentrum vorbei. Für das Eheverbotsrecht des BGB war somit faktisch entschieden, dass es, dem vorliegenden Entwurf entsprechend, strenger ausfallen würde als dasjenige des RPStG, denn wenn die obligatorische Zivilehe schon nicht mehr zu revidieren war, mussten die Interessen des Zentrums im Familienrecht in anderer Hinsicht ihren Niederschlag finden. Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft, das die Zweite Kommission in den Entwurf aufgenommen und dem der Bundesrat bereits zugestimmt hatte, würde also auch in den Beratungen im Reichstag nicht mehr abgeschwächt oder sogar vollständig aus dem Gesetzentwurf entfernt werden. b) Die Arbeit der XII. Kommission Die sogenannte XII. Kommission konstituierte sich am 7. Februar 1896, wählte Peter Spahn zu ihrem Vorsitzenden sowie den Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei Gustav Kauffmann zum stellvertretenden Vorsitzenden und be533 534 535

Reichstagsverhandlungen, Bd. 144, S. 778 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 144, S. 793. Reichstagsverhandlungen, Bd. 144, S. 794.

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riet die an sie überwiesenen Gesetzentwürfe bis zum 12. Juni 1896 auf 53 Sitzungen in zwei Lesungen. Von der ihr vom Reichstag am 6. Februar eingeräumten Befugnis, ganze Abschnitte ohne Beratung durch Mehrheitsbeschluss unverändert anzunehmen, machte sie dabei keinen Gebrauch.536 Von den 21 Mitgliedern der Kommission gehörten sechs dem Zentrum an (Carl Bachem, Peter Spahn, Adolf Gröber, Franz Xaver Lerno, Ernst Lieber, Ludwig August Marbe), jeweils drei der Reichskonservativen Partei (Ernst Himburg, Waldemar von Roon, Heinrich von Salisch) und den Nationalliberalen (Rudolf von Bennigsen, Ludwig von Cuny, Ludwig Enneccerus), jeweils zwei der Reichspartei (Moritz Pauli, Karl Ferdinand von Stumm-Halberg), der Freisinnigen Volkspartei (Gustav Kauffmann, Julius Lenzmann) und der Sozialdemokratischen Partei (Karl Franz Egon Frohme, Arthur Stadthagen) und jeweils einer der Deutsch-Sozialen Reformpartei (Carl Friedrich Wilhelm Jskraut), der Fraktion der Polen (Sigismund Dziembowski-Pomian) und der Freisinnigen Vereinigung (Hugo Schröder). Außerdem nahmen an den Sitzungen auch die meisten Mitglieder des Justizausschusses des Bundesrates regelmäßig teil.537 Die Redaktionsarbeiten übertrug die Kommission einem Ausschuss, dem Spahn, Enneccerus und Kauffmann angehörten, dessen Redaktionsvorlagen und Unterlagen über die Redaktionsarbeiten allerdings nicht mehr auffindbar sind.538 Änderungen nahm die Kommission an den Bestimmungen des Gesetzentwurfes zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nicht mehr vor. Über deren Umfang herrschte in den Beratungen jedoch keineswegs Einigkeit. Abgelehnt wurde während der Kommissionsberatungen in erster Lesung der Antrag zu § 1293, mit dessen Abs. 2 das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft aus dem Entwurf zu streichen. Er war damit begründet worden, dass das Kriterium dieser Bestimmung äußerlich nicht erkennbar sei und der Standesbeamte daher fast niemals Kenntnis davon erlangen werde. Wenn es aber zur Sprache gebracht werde, könnte es selten oder niemals bewiesen werden. Zudem sehe das geltende Recht eine solche Bestimmung nicht vor, ohne dass sich Missstände ergeben hätten. Demgegenüber wurde darauf hingewiesen, dass eine Ehe, wie sie § 1293 Abs. 2 verhindern wolle, ein öffentlicher Skandal sei, sobald dieses illegitime Verhältnis bekannt geworden sei. Es gebe allen Grund, die sich daraus ergebende Verletzung des sittlichen Gefühls zu vermeiden. Wenn das illegitime Verhältnis nicht öffentlich sei, erfahre der Standesbeamte nichts davon und es

536 „Bericht über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit dem Entwurfe eines Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche – Nr. 87 und 87a der Drucksachen –.“, Anlage Nr. 440, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 1935 ff. (1935). 537 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 65; Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 ff. (2094). 538 Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 65 f., dort auch Fn. 172.

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ergebe sich auch kein öffentliches Ärgernis. Zudem sei das Ehehindernis nur ein aufschiebendes, weswegen eine weitere Untersuchung und Verhandlung nach der Eheschließung ausgeschlossen sei.539 Zu § 1293 Abs. 3 lag der Antrag vor, die Worte „im Sinne dieser Vorschriften“ zu streichen. Seine Annahme hätte jedoch zur Folge gehabt, dass § 1567 Abs. 2, wonach zwischen einem unehelichen Kind und dessen Vater keine Verwandtschaft bestehen sollte, hätte wegfallen müssen. Aus Rücksicht darauf, dass die damit angeregte Frage besser bei § 1567 zu erledigen sei, wurde der Antrag einstweilen zurückgezogen.540 Weiterhin wurde beantragt, § 1293 einen vierten Absatz hinzuzufügen, nach dem Schwägerschaft im Sinne dieser Vorschriften auch zwischen dem Ehegatten und den nach Abs. 3 mit dem anderen Ehegatten verwandten Personen bestehen sollte. Dagegen wurde darauf hingewiesen, dass diese Hinzufügung überflüssig sei, da sich dies direkt aus § 1568 ableiten lasse. Der Antrag wurde aber zur Erörterung an die Redaktionskommission verwiesen, ob eine solche Erweiterung wegen größerer Deutlichkeit erwünscht wäre. Die Redaktionskommission hielt sie allerdings nicht nur nicht für notwendig, sondern sogar für unerwünscht, weil aus einer solchen Erweiterung ein Gegensatz zu anderen Paragraphen, namentlich § 1568 konstruiert werden könne, der weder beabsichtigt sei noch vorliegen könne, und folgte daher dieser Anregung nicht.541 In zweiter Lesung wurden noch einmal die Anträge gestellt, § 1293 Abs. 2 ganz und in Abs. 3 die Worte „im Sinne dieser Vorschriften“ zu streichen. Die Argumente dafür und dagegen waren ähnliche wie in der ersten Lesung. Die Anträge wurden wiederum abgelehnt.542 Weiterhin wurde der Antrag abgelehnt, einen § 1293a einzufügen, nach dessen Abs. 1 eine Ehe nicht geschlossen werden dürfe zwischen Oheim und Nichte, Neffe und Tante, zwischen Geschwisterkindern sowie zwischen einem Verlobten und den Verwandten des anderen in gerader Linie, unabhängig davon, ob die Verwandtschaft auf ehe-

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Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 (2010). Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 (2010). 541 Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 (2010); die §§ 1567 und 1568 des Gesetzentwurfes lauteten (siehe Anlage Nr. 87, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 151, S. 446 (549)): „§ 1567 Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft. § 1568 Die Verwandten eines Ehegatten sind mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grade der sie vermittelnden Verwandtschaft. Die Schwägerschaft dauert fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, aufgelöst ist.“ 542 Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 (2010). 540

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licher oder unehelicher Geburt beruhte. Nach Abs. 2 sollte von dieser Vorschrift Befreiung bewilligt werden können. Für den Antrag wurde angeführt, dass das Verbot der Ehe zwischen Onkel und Nichte sowie Neffe und Tante in vielen Staaten bestehe und auch ein Verbot der Ehe zwischen Geschwisterkindern aus Gründen der Volkshygiene zu empfehlen sei. Es sei wegen der vorgesehenen Möglichkeit zur Befreiung auch unbedenklich. Dagegen wurde darauf hingewiesen, dass bereits das RPStG in § 33 Nrn. 1 bis 3 eine Beschränkung des Ehehindernisses der Verwandtschaft in dem Umfang wie der vorliegende Entwurf vorgesehen habe. Die Einschränkung entspreche der seit Jahrhunderten konstanten Entwicklung und habe nicht zu üblen Folgen geführt. Zudem sei es bedenklich, Ehehindernisse aufzustellen, die man nicht streng durchführen könne oder wolle und für die man deshalb von vornherein die Möglichkeit der Befreiung vorsehe und deren häufigere Erteilung erwarten müsse, was für das Verbot von Ehen zwischen Geschwisterkindern außer Zweifel sei. Besser sei es, die Ehehindernisse zu beschränken und dann auch streng durchzuführen, da nur so ihr ethischer Zweck erreicht werden könne.543 Ohne Debatte nahm die Kommission die §§ 1294, 1309 bis 1313 und 1737 bis 1748, also sämtliche übrigen Vorschriften des Gesetzentwurfes zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft an.544 c) Von der zweiten Beratung im Reichstag bis zum Inkrafttreten des BGB Die zweite Beratung des Entwurfes des BGB und des Einführungsgesetzes zu diesem nahm der Reichstag vom 19. bis zum 27. Juni 1896 vor.545 Am 24. Juni begann er mit der Beratung des Familienrechts.546 Der Reichstagspräsident stellte wegen dessen präjudizieller Wirkung zunächst den Antrag der deutsch-konservativen Abgeordneten Waldemar Graf Roon und Martin Schall vom 20. Juni zu Diskussion, hinter § 1299 drei neue Bestimmungen einzufügen.547 Nach dem vorgesehenen § 1299a sollte die Ehe vor einem Geistlichen in Form der kirchlichen Trauung oder standesamtlich geschlossen werden. Die kirchliche Trauung sollte nach § 1299b Abs. 2 nur erfolgen dürfen, nachdem ein zuständiger Standesbeamter die Bescheinigung ausgestellt hatte, dass Ehehindernisse nicht vorlagen. Nach § 1299c Abs. 1 Satz 1 sollte die Ehe in Form der kirchlichen Trauung staatliche Gültigkeit dadurch erlangen, dass die Verlobten vor dem Geistlichen und mindestens zwei Zeugen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklärten, die Ehe miteinander einzugehen. Nach Abs. 3 sollte der Geistliche nach 543

Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 (2010). Anlage Nr. 440 b, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2006 (2010, 2033, 2088). 545 Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2717 ff., 2755 ff., 2791 ff., 2821 ff., 2855 ff., 2901 ff., 2945 ff. und 2991 ff. 546 Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2870 ff. 547 Anlage Nr. 473, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2258. 544

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vollzogener Trauung demjenigen Standesbeamten, der die in § 1299b Abs. 2 vorgeschriebene Bescheinigung erteilt hatte, sofort eine schriftliche Anzeige von der erfolgten Eheschließung erstatten. Darauf sollte der Standesbeamte nach Abs. 4 die erfolgte Eheschließung in das Heiratsregister eintragen. Für den Fall der Ablehnung dieses Antrags stellten Roon und Schall den Eventualantrag, im vierten Buch des Gesetzentwurfes die §§ 1280 bis 1330 zu streichen. Der Antrag lief also darauf hinaus, die fakultative Zivilehe einzuführen oder aber das Eheschließungsrecht vollständig aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen. Er blieb jedoch ohne Erfolg, da der Reichstag den beantragten § 1299a mit 196 gegenüber 33 Stimmen bei vier Enthaltungen ablehnte und der Antrag daraufhin im Übrigen zurückgezogen wurde.548 Die der Abstimmung vorangegangene Diskussion zeigte, dass das Zentrum spätestens während der Beratungen in der XII. Kommission seinen Widerstand gegen die obligatorische Zivilehe offenbar endgültig aufgegeben hatte und nunmehr trotz prinzipieller Bedenken bereit war, sie als Gegenleistung für Entgegenkommen an anderer Stelle zu akzeptieren. So beklagte Roon in seiner Begründung zu dem von ihm gestellten Antrag, er befinde sich einem abgeschlossenen Kompromiss gegenüber, und warf dem Zentrum vor, dieses habe ausweislich des vorliegenden Kommissionsberichts in einem noch nie dagewesenen Kartell mit anderen Parteien am Prinzip der obligatorischen Zivilehe festgehalten und damit seine bisherige Zusage, dieser nicht zuzustimmen, nicht eingehalten.549 Auch der Abgeordnete der Deutschen Reichspartei Andreas Graf von Bernstorff hielt den Zentrumsabgeordneten vor, ihren Standpunkt in der Kommission aufgegeben zu haben und nun mit der Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe einverstanden zu sein.550 Schall bedauerte, dass es hinsichtlich der fakultativen Zivilehe nicht zu einem gemeinsamen Antrag mit den katholischen Mitchristen im Reichstag gekommen war. Von Seiten einflussreicher Zentrumspolitiker seien ihm und seinen Mitstreitern die Freude über den gestellten Antrag ausgesprochen und ausdrücklich Unterstützung zugesichert worden. Hinterher sei die Stimmung eine andere geworden und man habe gesagt, dass die Verhältnisse sich geändert hätten.551 Gegenüber diesen Vorwürfen sah sich der Zentrumsabgeordnete Ernst Lieber zu der Feststellung genötigt, dass er und seine politischen Freunde sowohl die obligatorische als auch die fakultative Zivilehe niemals mit ihrem Einverständnis begleiten, sie zwar über sich ergehen lassen, aber niemals dazu mitwirken könnten und würden, und verwahrte sich unter Bezugnahme auf die Beratungen in der XII. Kommission gegen die Behauptung, das Zentrum habe seinen früheren Standpunkt aufgegeben.552 Aber auch in der Sache bemän-

548 549 550 551 552

Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S.

2898 ff. 2870 f. 2876. 2884 f. 2887 f.

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gelte Lieber den zur Debatte stehenden Antrag. Zu der darin vorgesehenen Bestimmung, dass die kirchliche Trauung nur erfolgen dürfe, nachdem ein zuständiger Standesbeamter die Bescheinigung ausgestellt habe, dass Ehehindernisse nicht vorlägen, erklärte Lieber, dass man katholische Priester an kirchenrechtlich vollständig unzulässige staatliche Fesseln binde, wenn man dafür eintrete. Unter anderem deswegen könne das Zentrum niemals für den Antrag stimmen, auch wenn und soweit es die fakultative Zivilehe im Verhältnis zur obligatorischen als das kleinere Übel ansehe. Zwar könne es sich weder mit der einen noch mit der anderen jemals einverstanden erklären, aber auf der anderen Seite handele es sich hier nicht um den Erlass eines neuen Gesetzes wegen Einführung der obligatorischen Zivilehe, sondern lediglich darum, das bestehende Recht zu kodifizieren. In dieser Zwangslage müssten die Abgeordneten des Zentrums ihrerseits hohen Wert darauf legen, dass diese Kodifizierung im Verhältnis zu dem bestehenden Rechtszustand ein wesentliches Entgegenkommen gegenüber ihren kirchlichen und Gewissensbedenken enthalte.553 Zum Schluss seiner Rede ging Lieber mit den Antragstellern und deren Unterstützern noch einmal hart ins Gericht. Nachdem diese bisher keinen Schritt getan hätten, um dem Zentrum die Möglichkeit einer Formulierung zu schaffen, mit der man hätte zusammengehen könne, und ihm die alte Formulierung im Wesentlichen immer wieder von Neuem vorgelegt hätten, sei es ein völlig unbilliges, für das Zentrum unerträgliches Verlangen, als weitaus stärkere und geschlossene Partei einfach die Anträge, die ein kleiner Bruchteil der schwächeren Partei vorbringe, in der Kommission und im Plenum in der sicheren Voraussicht zu unterstützen, damit keine Mehrheit zu bekommen und dafür diejenigen Erleichterungen, die es in der Kommission errungen habe, wieder zu verlieren. Alle Bemühungen, die Mitglieder des Zentrums noch in dieser letzten Stunde auf ihre Seite zu ziehen, seien eitle Bemühungen. Das Zentrum habe seinen Weg ohne die Antragsteller gefunden und werde diesen Weg zu Ende gehen.554 Die Ausführungen Liebers ließen also keinen Raum für Zweifel mehr. Das Zentrum sah die im Eherecht erreichten Änderungen offenbar als Maximum dessen an, was es hatte erreichen können, und würde den Gesetzentwurf trotz der Festschreibung der obligatorischen Zivilehe unterstützen. Damit stand das neue, gegenüber dem RPStG in geringem Umfang verschärfte Eheverbotsrecht faktisch bereits vor der Beratung der einzelnen Paragraphen wohl fest. Zu dieser Beratung ging der Reichstag am 25. Juni über.555 Bezüglich der Bestimmungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft wiederholten sich im Plenum die Debatten, die bereits in der XII. Kommission geführt worden waren. Zu § 1293 hatte der sozialdemokratische Abgeordnete Ignaz Auer gemeinsam mit weiteren Fraktionskollegen am 18. Juni den Abände553 554 555

Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2888 f. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2890. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2901 ff.

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rungsantrag gestellt, Abs. 2 vollständig und in Abs. 3 die Worte „im Sinne dieser Vorschriften“ zu streichen.556 Der zu den Antragstellern zählende Arthur Stadthagen kritisierte in der Debatte über § 1293 zunächst, dass mit dessen Abs. 2 und 3 neues Rechts geschaffen sei. Man habe hier ein neues Eheverbot, das in ganz Deutschland heute nicht gelte, jedoch dem kanonischen Recht entspreche. Sodann verwies er auf die bereits bekannten und häufig benannten Probleme bei der parktischen Durchsetzung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft. Gegen den im Ersten Entwurf noch nicht vorhandenen Vorschlag seiner Wiedereinführung hätten sich ganz erheblich Stimmen auch von der rechten Seite, insbesondere von denjenigen, die mit standesamtlichen Geschäften zu tun hätten, geltend gemacht. Stadthagen stellte die Frage, wie man es sich denn in der Praxis vorstelle, dass der Standesbeamte bei Bestellung des Aufgebotes feststellen solle, ob zwischen einer der aufgebotenen Personen und den Eltern, Voreltern und Abkömmlingen der anderen außereheliche Geschlechtsgemeinschaft gepflogen worden sei. Dies sei ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst bei der Zulassung freien Beweises komme man im praktischen Resultat entweder zu nichts oder zu außerordentlichen Schikanen. Es werde lediglich hier und da derjenige, der ein Mädchen hätte haben wollen und nicht bekommen können, Einspruch erheben und dem Standesbeamten mitteilen, es sei irgendwie mit den Voreltern oder sonstigen Verwandten eine außereheliche geschlechtliche Gemeinschaft gepflogen worden, es sei also eine Art Verwandtschaft zwischen dem Bräutigam und dem Mädchen, eine außereheliche Verwandtschaft, also „affinitas illegitima“. Zu den selbst gestellten Fragen, wie der Standesbeamte dies erkennen und was er in einem solchen Fall tun solle, verwies Stadthagen auf die Motive zum Ersten Entwurf, wonach ein praktisches Bedürfnis für die Wiedereinführung des Eheverbotes nicht hervorgetreten sei.557 Im Anschluss kam er auf das bei der Beratung der zweiten Lesung in der Vorkommission vorgebrachte Argument zu sprechen, es sei von Medizinern häufig behauptet worden, dass die Schließung von Ehen zwischen Verwandten, auch bei außerehelicher Verwandtschaft, leicht zu Degenerationen führe. Er wolle darauf zwar nicht näher eingehen, wenn man diesem Gedanken aber beitrete, müsse man konsequenterweise auch die Art. 55 und 56 des Einführungsgesetzes streichen, nach denen die Haus- und Sondergesetze aufrechterhalten seien, denen zufolge beim hohen Adel und den Hohenzollern nur innerhalb eines ganz bestimmten kleinen, miteinander verwandten Grades geheiratet werden dürfe. Man dürfe nicht, wie die Kommission es getan habe, ausdrücklich diese Haus- und Sondergesetze für den hohen Adel aufrecht erhalten, wenn man die Befürchtung habe, es könnten durch solche Blutsvermischung zwischen natürlich Verwandten psychiatrische Erkrankungen gefördert werden. Entweder messe man diesem medizinischen Standpunkt so viel Bedeutung bei, dass man

556 557

Anlage Nr. 471, in: Reichstagsverhandlungen, Bd. 153, S. 2256 ff. (Nr. 48). Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2906.

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gesetzgeberisch dagegen vorgehen müsse, was er, Stadthagen, allerdings nicht so sehe. Insbesondere, was die außereheliche Geschlechtsgemeinschaft angehe, sei darüber in medizinischen Kreisen noch nicht das geringste Material vorhanden und die Herren, die das Gegenteil behaupteten, ließen sich von einigen „Irrenärzten“, die nach allem Möglichen Recherchen angestellt hätten und die weit hinausgingen über die statistischen Nachweise, die sie bisher vorgelegt hätten, irre leiten. Die ganze Frage bezüglich der Möglichkeit psychiatrischer Erkrankungen habe überhaupt nur etwas tatsächlichen Untergrund da, wo es sich um eheliche Verwandtschaft handele. Bezüglich der außerehelichen Geschlechtsgemeinschaft und -verwandtschaft habe man keinerlei Material. Wenn man aber meine, medizinische Gründe lägen vor, müsse man auch konsequent sein.558 Wenn man aber tatsächlich § 1293 Abs. 2 nicht streichen wolle, so müssten die Antragsteller doch darum bitten, in Abs. 3 nicht die wunderlichen Worte „im Sinne dieser Vorschriften“ anzunehmen. Wenn man eine Verwandtschaft des außerehelichen Kindes nicht leugnen könne, müsse man auch diesen wunderbaren Zusatz „Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften“ streichen. Verwandtschaft bestehe zwischen dem Erzeuger des außerehelichen Kindes und dem außerehelichen Kind ebenfalls. Aber nur hier, wo es sich um ein Hindernis für die Ehe handele, plötzlich eine Verwandtschaft zu konstruieren, diese aber nur so weit gelten zu lassen, als es sich um ein Ehehindernis handele, gehe so weit in das juristische Konstruktionsfieber hinein, dass man auf die Nichtjuristen unter den Abgeordneten vertrauen dürfe, dass sie nicht von diesem juristischen Konstruktionsfieber befallen seien, sondern diese Worte ohne weiteres streichen würden. Aus all den genannten Gründen bat Stadthagen abschließend dingend um die Annahme des auch von ihm gestellten Antrages.559 Der Zentrumsabgeordnete und Berichterstatter für das Familienrecht Carl Bachem erwiderte auf Stadthagens Rede, wie alle vorhergehenden Fragen sei auch diese in der XII. Kommission sehr eingehend nach allen Seiten hin besprochen worden. Eine solche Frage lasse sich auch besser eingehend in der Kommission als im vollen Reichstag verhandeln. Er wolle nicht tiefer in diese Materie eindringen, da sie etwas delikater Natur sei, sondern die Abgeordneten vielmehr einfach auf den Bericht verweisen. Im Sinne

558 Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2906 f. Stadthagens Einwände blieben im Ergebnis nicht nur hinsichtlich des § 1293 BGB, sondern auch bezüglich der von ihm kritisierten Bestimmungen des Einführungsgesetzes folgenlos. Dieses bestimmte schließlich in seinem Artikel 57: „In Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien sowie der Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur insoweit Anwendung, als nicht besondere Vorschriften der Hausverfassungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten. Das Gleiche gilt in Ansehung der Mitglieder des vormaligen Hannoverschen Königshauses, des vormaligen Kurhessischen und des vormaligen Herzoglich Nassauischen Fürstenhauses.“ Siehe RGBl. 1896, S. 604 (621). 559 Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2907.

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der Kommission aber müsse er dringend darum bitten, dem Antrag der Sozialdemokraten nicht zuzustimmen, sondern die Kommissionsfassung beizubehalten.560 Erwartungsgemäß entsprach der Reichstag dieser Bitte in der anschließenden Abstimmung und nahm § 1293 in der bisherigen Fassung an, desgleichen und ohne Debatte auch die §§ 1294 bis 1297.561 Ebenfalls ohne Debatte stimmte der Reichstag mehrheitlich für die §§ 1306 bis 1330562, sowie am 27. Juni für die §§ 1717 bis 1748.563 Damit waren sämtliche Bestimmungen des Gesetzentwurfes über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft in zweiter Lesung angenommen. Die dritte Beratung fand am 30. Juni und 1. Juli 1896 statt.564 Die die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft betreffenden Bestimmungen wurden dabei allesamt ohne Debatte angenommen.565 In der Gesamtabstimmung über das BGB und das Einführungsgesetz stimmten von den 288 anwesenden Abgeordneten 222 für und 48 gegen den Gesetzentwurf, 18 enthielten sich; Ablehnung erfuhr das BGB insbesondere aus den Reihen der Sozialdemokraten.566 Der Präsident des Reichstages teilte die Zustimmung mit Schreiben noch am 1. Juli dem Bundesrat mit, worüber dessen Vorsitzender das Plenum am 9. Juli in Kenntnis setzte. Daraufhin beschloss der Bundesrat, den Gegenstand auf die nächste Tagesordnung zu setzen.567 Am 14. Juli erteilte er den Entwürfen des BGB und des Einführungsgesetzes seine Zustimmung. Dagegen stimmte das Fürstentum Reuß älterer Linie. Dazu erklärte dessen Bevollmächtigter, dass die Fürstliche Regierung nicht in der Lage sei, dem Gesetzbuch zuzustimmen, weil abgesehen von Bedenken gegen andere Bestimmungen wie diejenigen über Wildschadenersatzpflicht, deren Regelung der Landesgesetzgebung nicht hätte entzogen werden sollen, die obligatorische Zivilehe in das Gesetzbuch aufgenommen worden war und dadurch zu einer dauernden Einrichtung gemacht werde.568 Am 18. August wurde das Gesetz durch Kaiser Wilhelm II. unterschriftlich vollzogen und am 24. August erfolgte die Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt.569 Gemäß Art. 1 des Einführungsgesetzes570 trat das BGB am 1. Januar 1900 in Kraft.

560 561 562 563 564 565 566 567 568 569 570

Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2907. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2907. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 2909. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3000. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3040 ff. und 3071 ff. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3083 und 3095. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3104 ff.; Gmür/Roth, Rn. 418. Bundesratsprotokolle 1896, § 451 (S. 293 f.). Bundesratsprotokolle 1896, § 478 (S. 309). Gmür/Roth, Rn. 418. RGBl. 1896, S. 604.

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VI. Würdigung Die verfügbaren Quellen bestätigen die Richtigkeit der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner eingangs zitierten Entscheidung vom 14. November 1973. Die (Wieder-)Einführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft durch das BGB war eine politische Konzession gegenüber der Zentrumspartei, um im Gegenzug deren Zustimmung zum Gesetzbuch zu erhalten. Dass das Zentrum sich mit dem fortgeschriebenen Prinzip der obligatorischen Zivilehe abfand oder, wie es der Abgeordnete Ernst Lieber ausdrückte, dieses Prinzip über sich ergehen ließ, erforderte ein solches Entgegenkommen in Einzelfragen des Eherechts. Dazu zählte ein gegenüber der bestehenden Rechtslage strengeres, am Kirchenrecht orientiertes Eheverbotsrecht. Abschließend bleibt zu klären, wie die im BGB gefundene Regelung historisch zu bewerten ist. Dazu ist zunächst ist festzuhalten, dass die umfassende Vereinheitlichung des Eheverbotsrechts durch das BGB einerseits eine gesetzgeberische Notwendigkeit war. Selbst für einen traditionell föderalen und konfessionell heterogenen Staat wie das Deutsche Reich wäre es auf Dauer ein unhaltbarer Zustand gewesen, dass die Eheverbote als solche einheitlich geregelt waren, die Rechtsfolgen von Verstößen gegen sie sich dagegen nach Landes- beziehungsweise Partikularrecht bestimmten. Auch wenn es sich dabei nur um einen vergleichsweise kleinen Teil des Gesamtwerkes handelte, war das Eheverbotsrecht des BGB doch eine gesetzgeberische Leistung, die gerade auch vor dem Hintergrund der rechtshistorischen Entwicklung seit dem späteren 18. Jahrhundert mit ihrer Vielzahl an Einzelgesetzen in den deutschen Ländern beziehungsweise Territorien uneingeschränkt anzuerkennen ist. Seine Verschärfung gegenüber dem bestehenden Recht durch die (Wieder-)Einführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft, das bereits vor Inkrafttreten des RPStG längst nicht überall im Deutschen Reich gegolten hatte, war demgegenüber die negative Kehrseite. Dadurch wurde das Eheschließungsrecht in einer Weise moralisch (weiter) aufgeladen, die schon damals nicht mehr zeitgemäß war, wie sich bereits daran zeigt, dass dieses Eheverbot in das RPStG gerade nicht aufgenommen worden und ursprünglich auch nicht für das BGB vorgesehen war. Sowohl Plancks Vorentwurf, als auch der Erste Entwurf hatten zunächst einfach die bestehenden Eheverbote des RPStG ihrem Umfang nach unverändert übernehmen wollen, was nüchtern betrachtet auch naheliegend gewesen wäre. Die im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses mehrfach und von unterschiedlicher Seite geäußerte Kritik an der Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in das BGB (praktische Undurchführbarkeit, Möglichkeit der Denunziation) war bereits damals berechtigt und wurde auch nicht überzeugend widerlegt. Dennoch ist das Eheverbotsrecht des BGB von 1896/1900 insgesamt positiv zu bewerten. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass die Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in das BGB lediglich eine überschaubare

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Veränderung gegenüber der überkommenen Rechtslage bedeutete. Andererseits war seine Einführung zum damaligen Zeitpunkt keine ganz abseitige Forderung. Wie gezeigt hatten diese auch einige Kritiker des Ersten Entwurfes nach dessen Veröffentlichung aufgestellt, so dass sich die für das Zustandekommen des BGB maßgeblichen Akteure – die Reichsleitung, der Bundesrat und der Reichstag – zumindest mit Teilen der juristischen Fachwelt in Einklang wähnen durften. Am wichtigsten erscheint allerdings der Umstand, dass das Gesetzbuch ohne Rücksicht auf die politischen Gesamtumstände Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts kaum hätte verabschiedet werden können, die sich gegenüber denjenigen zur Zeit des Erlasses des RPStG gründlich gewandelt hatten. Dieses war zustande gekommen während des heftig ausgetragenen Kulturkampfes zwischen Staat und Liberalen auf der einen und katholischer Kirche und Zentrumspartei auf der anderen Seite. Diese Auseinandersetzung hatte das Gesetz von Anfang an zu einer konfrontativen und dessen Gegner ausschließenden Angelegenheit werden lassen. Die Reichsleitung unter Kanzler Otto von Bismarck hatte sich diesen kompromisslosen Kurs angesichts der damaligen Mehrheitsverhältnisse im Reichstag allerdings leisten können. In der Legislaturperiode des Reichstages von 1874 bis 1877 entfielen von den insgesamt 397 Mandaten auf die Nationalliberalen 155, auf die Freikonservativen 33.571 Diese beiden Parteien, die bis 1878 quasi als „Regierungsparteien“ fungierten und damit für Bismarck die entscheidenden Stützen waren572, kamen somit der absoluten Mehrheit von 199 Mandaten mit ihren zusammengenommen 188 Sitzen bereits sehr nahe, und wegen der fehlenden Stimmen konnte, je nach dem Gegenstand der Gesetzgebung, etwa mit den Konservativen (22 Mandate), den Liberalen (drei Mandate) oder der Fortschrittspartei (49 Mandate) eine Verständigung erzielt werden. Solange eine solche Verständigung gelang – und dass die Aussichten darauf relativ günstig waren, erkennt man bereits daran, dass zur Mehrheit lediglich elf Mandate fehlten und immerhin drei Parteien zur Verfügung standen, von denen wiederum zwei jeweils über deutlich mehr Sitze im Parlament verfügten –, wurde das Zentrum also für die Gesetzgebung gar nicht benötigt, auch wenn es mit 91 Mandaten im Reichstag schon damals die zweitgrößte Fraktion stellte. In einer solchen Situation war die Suche nach einem Kompromiss mit dem politischen Katholizismus einfach keine Notwendigkeit. Im Gegenteil konnte seine Diffamierung als „reichsfeindlich“ den aus Sicht der Reichsleitung durchaus gewünschten Effekt haben, dass die übrigen „reichsfreundlichen“ Parteien enger zusammenrückten und damit die Zusammenarbeit mit dem Parlament einen reibungslosen Verlauf nahm, da die Mehrheit stets sicher war. Ganz anders stellte sich dagegen die Situation beim Zustandekommen des BGB dar. Einerseits sollte das Gesetzbuch, entsprechend beispielsweise den Vorgaben der Reichsleitung, wie 571 572

Zu den Zahlen siehe Tormin, S. 282 ff. Willoweit/Schlinker, § 35, Rn. 9.

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Nieberding sie gegenüber dem Bundesrat dargestellt hatte, das gesamte Zivilrecht vereinheitlichen. Es war also angelegt als ein Projekt von großem nationalen Prestige und hatte damit anders als das RPStG einen grundsätzlich stark integrativen Charakter. Das BGB gegen eine, noch dazu verhältnismäßig große, Minderheit im Reich wie die Katholiken durchzusetzen, hätte die Identifikation mit ihm mit Sicherheit stark beeinträchtigt und für das gesamte Vorhaben eine große Hypothek bedeutet. Nicht zuletzt dies mag Nieberding dazu bewogen haben, im Rechtsausschuss des Bundesrates mit der Berichterstattung über das seit Jahrhunderten unter religiösem beziehungsweise konfessionellem Einfluss stehende Familienrecht Sachsen mit seiner katholischen Herrscherdynastie einerseits und seiner protestantischen Regierung andererseits zu betrauen. Weiterhin hatten sich sowohl die außen-, als auch die innenpolitischen Rahmenbedingungen gegenüber denjenigen in der ersten Hälfte der siebziger Jahre so verändert, dass die Gelegenheit für ein konstruktives Zusammenwirken von Reichsleitung und Zentrumspartei günstig war. Schon Bismarck hatte den Kulturkampf allmählich aufgegeben, seit mit Leo XIII. ab 1878 ein Papst an der Spitze der katholischen Kirche stand, der sehr viel kompromissbereiter war als seinerzeit Pius IX.573 Durch die Entspannung der Beziehungen zwischen Deutschem Reich und katholischer Kirche fiel also für die Reichsleitung die Motivation weg, dem BGB wie vorher dem RPStG eine antikatholische Spitze aufzusetzen, und damit stieß die Beteiligung der Zentrumspartei am Zustandekommen des Gesetzbuches auf keine grundsätzlichen Hindernisse mehr. Entscheidend dürften jedoch die gegenüber der Zeit unmittelbar nach der Reichsgründung grundlegend veränderten Mehrheitsverhältnisse im Reichstag gewesen sein. Nach Lage der Dinge war das BGB Mitte der neunziger Jahre ohne die Stimmen des Zentrums kaum noch zu verabschieden. Aus den Reichstagswahlen von 1893 war das Zentrum mit 96 Mandaten als deutlich stärkste Kraft hervorgegangen, während die Nationalliberalen nur noch 53 und die Freikonservativen 28 Mandate auf sich vereinigen konnten. Die dem BGB ablehnend gegenüberstehenden Sozialdemokraten hatten 44 Mandate errungen. Ein zwar bürgerliches, aber keinerlei Rücksicht auf Belange des politischen Katholizismus nehmendes Gesetzesvorhaben wäre mit Sicherheit auf den geschlossenen Widerstand des Zentrums gestoßen und hätte somit zum Zeitpunkt der Beratungen im Reichstag eine Opposition von mindestens 140 Stimmen bedeutet. Damit wäre die Verabschiedung des BGB insgesamt in großer Gefahr gewesen, denn in einem solchen Fall hätten für die Mehrheit von 199 Mandaten nur 257 überhaupt zur Verfügung gestanden, die sich noch dazu auf so unterschiedliche Parteien wie etwa Konservative und Liberale aller Richtungen sowie Vertreter von Minderheiten wie Polen, Dänen und Elsaß-Lothringer verteilten. Es ist anzunehmen, dass unter solchen Umständen eine Mehrheit jenseits von Zentrum und Sozialdemokratie kaum zustande gekommen wäre ohne eine langwierige

573

Gmür/Roth, Rn. 399.

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Suche nach Kompromissen auch für kleinste Detailfragen, die unterschiedlichste Interessen hätten berücksichtigen müssen – ein Szenario wie jenes, vor dem Nieberding im Rechtsausschuss des Bundesrates eindringlich gewarnt hatte. Die dem Zentrum zukommende Schlüsselstellung war auch den Reichstagsabgeordneten der anderen Fraktionen bewusst, wie folgende Äußerung des Abgeordneten Wilhelm von Kardorff von der Deutschen Reichspartei in der Generaldiskussion während der dritten Beratung des BGB-Entwurfes am 30. Juni 1896 zeigt: „Das Zentrum ist die ausschlaggebende Partei im Reichstag und wird es bleiben, solange sowohl die Rechte Fragen hat, in denen sie sich mit dem Zentrum viel leichter verständigen kann als mit der Linken, und solange die Linke Fragen hat, in denen sie sich mit uns nicht verständigen kann und leichter mit dem Zentrum sich verständigt. Das ist eine Situation, die ja vorläufig bleiben wird.“ 574

Um das BGB, an dem bereits seit rund zwei Jahrzehnten gearbeitet worden war, möglichst zügig zu verabschieden, musste das Zentrum also unbedingt gewonnen werden, und um eine solche Verständigung zu erzielen, bot sich wegen des konfessionellen Charakters des Zentrums vor allem das Ehe- und Familienrecht geradezu an. Der Historiker Christopher Clark hat diese Besonderheit des Zentrums in seiner Biographie Wilhelms II. unter der Überschrift „Die konfessionelle Kluft“ bezüglich der Schulpolitik der neunziger Jahre folgendermaßen beschrieben: „Die Frage, welche Rolle die Religion in der Bildung, und insbesondere die Kirche bei der Verwaltung von Schulen spielen sollte, war in allen Staatswesen im Europa des 19. Jahrhunderts außerordentlich umstritten. Besonders komplex und heikle wurde das Thema in Deutschland durch die Tatsache, dass quer durch das politische Spektrum (von den Sozialdemokraten über Links- und Rechtsliberale bis zu den Konservativen) die konfessionelle Trennlinie zwischen Protestanten und Katholiken verlief. Als Partei der katholischen Arbeiter, Bauern, Handwerker und Stadtbewohner war die Zentrumspartei in sozialer Hinsicht heterogen. Folglich waren die Parteimitglieder in sozialen und wirtschaftlichen Fragen häufig gespalten, rein konfessionelle Themen stärkten allerdings tendenziell die Geschlossenheit des Zentrums; deshalb spielten diese auch bei der politischen Linie der Parteiführung eine wichtige Rolle.“ 575

Dass das Eheschließungsrecht zu den konfessionellen Themen zählte, kann wegen des sakramentalen katholischen Eheverständnisses keinem Zweifel unterliegen. Die zitierten Quellen liefern zwar keinen entsprechenden Hinweis, aber sollte die Reichsleitung mit dem Gedanken gespielt haben, einen Keil in die Zentrumsfraktion zu treiben und auf diese Weise eine Mehrheit im Parlament herbeizuführen, wäre dies also ohne realistische Aussicht auf Erfolg geblieben. Von Begeisterung innerhalb der Reichsleitung über ein Zugehen auf das Zentrum konnte aber auch nach Ende der Kanzlerschaft Bismarcks unter Kaiser Wilhelm II. keine Rede sein. Vielmehr agierte sie pragmatisch, indem sie sich notgedrungen ins Unvermeidliche fügte. Hierzu schreibt wiederum Clark: 574 575

Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3042. Clark, Wilhelm II., S. 93.

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„Für den Kreis aus Beratern und hohen Beamten um Wilhelm kamen Zugeständnisse an das Zentrum in kulturell-konfessionellen Fragen einem Verrat am ,nationalen‘ Interesse gleich. Eine Politik der ,Unparteilichkeit‘ bestehe darin, erklärte Philipp Eulenburg Wilhelm, dass sie die Unterstützung der (weitgehend protestantischen) Nationalliberalen und Konservativen habe. Es sei entscheidend, an der Seite der ,Mittelparteien‘ zu bleiben, teilte er Friedrich von Holstein mit; und wenn man schon Zugeständnisse machen müsse, so solle man sie eher den oppositionellen, aber protestantischen Linksliberalen als der ,römischen‘ Seite machen. Wilhelm neigte zur selben Ansicht; auch wenn er durch symbolische Gesten wie wiederholte Treffen mit dem Papst unbedingt die Sympathie der deutschen Katholiken gewinnen wollte, traute er dem Zentrum nicht über den Weg und blieb überzeugt, dass eine handlungsfähige Regierung ,unabhängig‘ vom Einfluss des Zentrums bleiben müsse. Allerdings konnte es sich keine Regierung, die den Auftrag hatte, Gesetzesvorlagen durch den Reichstag zu bringen, leisten, sich so dogmatisch zu verhalten.“ 576

Dieses sich aus den Mehrheitsverhältnissen im Reichstag einerseits und der Abneigung der protestantisch geprägten Reichsleitung gegenüber dem politischen Katholizismus andererseits ergebende Dilemma brachte der preußische Kultusminister der Jahre 1891/1892, Robert von Zedlitz-Trützschler, noch Jahre nach Inkrafttreten des BGB, in einem Tagebucheintrag vom 14. November 1904 auf den Punkt: „In der letzten Zeit sprach der Kaiser, im Anschluß an das Ergebnis der italienischen Wahlen, viel über innere Politik. Er denke sich, daß bei uns ein Zusammenschluß aller nichtsozialdemokratischen Elemente für die Regierung eine Möglichkeit bringen müsse, in gedeihlicher und vom Zentrum unabhängiger Weise vorwärts zu kommen. Ich finde, daß, wenn man sich die Verteilung der Abgeordneten ansieht, eine Mehrheit rechts von den Sozialdemokraten doch nur dann möglich ist, wenn das Zentrum auch dabei ist. Folglich behält das Zentrum seine ausschlaggebende Bedeutung. Eine Leitung wie seinerzeit mit den Nationalliberalen, unabhängig vom Zentrum, ist dem heutigen Zahlenverhältnis nach einfach ausgeschlossen. Daß aber die Sozialdemokraten bei unserer Wahl so zurückgedrängt werden sollten, daß die Liberalen an Zahl soviel stärker werden, scheint mir sehr unwahrscheinlich. Ich glaube, daß die Sozialdemokraten eher noch an Terrain gewinnen. Will man sich daher, was ich sehr wünschen würde, vom Zentrum unabhängig machen, so muß man, man mag es drehen wie man will, mit den Sozialdemokraten rechnen und mit ihnen arbeiten.“ 577

Eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, die den Kompromiss mit dem Zentrum überflüssig gemacht hätte, war allerdings zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Reichstages über das BGB einerseits offenbar nicht gewollt und andererseits wohl auch unrealistisch gewesen, wollte man nicht ein qualitativ anderes Gesetz als das schließlich verabschiedete BGB schaffen. Dies zeigen nicht nur der Gang der Beratungen und die geschlossene Ablehnung des Gesetzbuches durch die Sozialdemokraten bei der Schlussabstimmung, sondern auch ein

576 577

Clark, Wilhelm II, S. 94. Zedlitz-Trützschler, S. 92 f.

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weiteres Detail aus dem langen Prozess, der schließlich zum Erlass des BGB führte: Als der Justizausschuss des Bundesrates im November 1890 über die Mitglieder der Zweiten Kommission debattierte, war als Vertreter der wirtschaftlichen Interessen zunächst der mit den Sozialdemokraten sympathisierende Karl Flesch vorgesehen. Gegen ihn bestanden jedoch derartig große Bedenken, dass man von seiner Berufung in die Zweite Kommission schließlich Abstand nahm.578 Für die Reichsleitung gab es also zum damaligen Zeitpunkt keine Alternative zu einem pragmatischen und kompromissbereiten Kurs gegenüber dem Zentrum, wenn sie Gesetzesvorhaben erfolgreich durch das Parlament bringen und keine Blockade riskieren wollte. Dies galt nicht nur für das BGB, wie folgende Äußerung des damaligen Reichskanzlers Leo von Caprivi gegenüber dem preußischen Diplomaten Philipp zu Eulenburg vor allem bezüglich einer Gesetzesvorlage Anfang der neunziger Jahre zur Anhebung der Friedensstärke des Heeres zeigt: „Ziehen wir die Parteienverhältnisse im Reichstag in Betracht, vergegenwärtigen wir uns, dass Deutschkonservative, Reichspartei und Nationalliberale zusammen für die notwendige Mehrheit von 199 Stimmen nur 132 Vertreter stellen können, so folgt, dass für wichtige Aufgaben, welche uns voraussichtlich im nächsten Jahr beschäftigen werden und für welche die weiter nach links stehenden Parteien kaum zu haben sein würden, die Mitwirkung des Zentrums mit seinen über 100 Stimmen nicht zu entbehren ist.“ 579

Dass die Militärvorlage in der entscheidenden Abstimmung im Reichstag am 6. Mai 1893 durchfiel, führte im Übrigen zur Auflösung des Parlaments und zu Neuwahlen, aus denen die oben genannte Sitzverteilung hervorging, was wiederum bedeutete, dass die Vorlage nur mit den Stimmen von Splittergruppen wie Polen, Elsässer, Welfen und Dänen verabschiedet werden konnte580 – wie bereits gesagt eine für die Reichsleitung sicherlich abschreckende Aussicht für die parlamentarischen Beratungen des BGB. Die Aufnahme des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft in das BGB war somit ein realpolitisch schlicht notwendiges Zugeständnis an das Zentrum. Es wäre nicht darstellbar gewesen, das gesamte Gesetzbuch an fehlender Kompromissbereitschaft in derartigen Fragen scheitern zu lassen. Ein gegenüber dem bestehenden verschärftes und moralisch weiter aufgeladenes Eheverbotsrecht dürfte im Übrigen die überwiegend protestantischen Liberalen und Konservativen ohnehin nicht vor allzu große Schwierigkeiten gestellt haben. Laut Friedrich Wilhelm Graf stellt es trotz dessen extrem großer Spannbreite ein spezifisches Strukturmuster des politischen Protestantismus dar, dass er als Konsequenz der reformatorischen theologischen Abwertung der Institution Kir578 579 580

Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 56. Clark, Wilhelm II., S. 94; Röhl, S. 78. Röhl, S. 107.

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che zu einer religiös-moralischen Überlegitimierung des Politischen neigt. Diese Entklerikalisierung habe Energien zur religiösen Aufladung des Politischen freigesetzt. Seither neigten Protestanten dazu, den Staat mit extrem hohen sittlichen Erwartungen zu verbinden.581 Mit der (Wieder-)Einführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft aus moralisch-sittlichen Gründen konnten sich also protestantische, katholische, liberale und konservative Politiker jeglicher Richtung wohl zumindest abfinden, und wer nur widerstrebend dafür stimmte, konnte seine Hoffnungen wenigstens auf spätere Gesetzesänderungen richten. So erklärte der bereits genannte Abgeordnete der Freisinnigen Volkspartei Gustav Kauffmann, damals Rechtsanwalt und Notar in Berlin, ebenfalls in der Generaldiskussion der dritten Beratung des BGB-Entwurfes am 30. Juni 1896: „Auf den sonstigen Privatrechtsgebieten, z. B. auf dem Gebiet des Familienrechts und der Sicherung der Rechte der Frau, mögen die errungenen Vorteile nur gering erscheinen; es darf aber nicht vergessen werden, dass das Privatrecht zu allen Zeiten sich Veränderungen gegenüber besonders zähe erwiesen hat, und dass die Fortschritte auf diesen Gebieten nach Jahrhunderten zu messen sind. Überall aber sind im Entwurf die Keime der Weiterentwicklung vorhanden.“ 582

In ähnlicher Weise äußerte sich auch der Abgeordnete der Deutsch-freisinnigen Partei Heinrich Rickert: „Gesetze sollen der Ausdruck der tatsächlich vorhandenen Kulturzustände sein; und wenn das bürgerliche Gesetzbuch in diesem Ausdruck geirrt hat, so wird es das Werk der nächsten Jahre sein, diese Irrtümer zu beseitigen; und sie werden beseitigt werden, wenn die Zustände in der Tat so sind, wie die mit dem Gesetz Unzufriedenen meinen. (. . .) Gerade das Zusammenfassen des bürgerlichen Rechts zu einem einheitlichen ist der große Fortschritt neben den vielen weiteren Fortschritten im Einzelnen, die es bringt. Es fehlt noch viel, viel haben wir noch zu wünschen, viel zu hoffen. Aber, meine Herren, das, was fehlt, wird die Kulturarbeit der nächsten Jahre zu leisten haben, und sie wird es leisten.“ 583

Schon bei seiner Verabschiedung durch den Reichstag war also klar, dass das gegenüber dem RPStG verschärfte Eheverbotsrecht des BGB nicht das „letzte Wort“ des Gesetzgebers bleiben musste, sondern zukünftige Liberalisierungen durchaus erwartet werden konnten. Dafür sprach wiederum nicht zuletzt, dass das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft bereits mit dem RPStG abgeschafft worden war und weder Plancks Vorentwurf noch der Erste Entwurf daran etwas hatten ändern wollen.

581

Graf, S. 97. Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3041; zur Person Kauffmanns siehe Amtliches Reichstags-Handbuch. Neunte Legislaturperiode. 1893/98, S. 190. 583 Reichstagsverhandlungen, Bd. 146, S. 3044 f. 582

3. Kapitel

Weimarer Republik, nationalsozialistische Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung (1919 bis 1949) A. Ausbleibende Reformen in der Weimarer Republik und nationalsozialistische Ehegesetzgebung bis zum Jahr 1938 In ihrem mit „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ überschriebenen Zweiten Hauptteil stellte die „Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 11. August 19191 (Weimarer Reichsverfassung – WRV) in Art. 119 bis 122 Ehe und Familie erstmals unter grundrechtlichen Schutz. Mit Bestimmungen der Art. 119 und 121 fand die Verfassung einen Kompromiss zwischen dem Schutz der traditionellen Ehe und Familie einerseits sowie den sozialdemokratischen Anliegen des Schutzes der Mutterschaft, der Gleichstellung der nichtehelichen Kinder und der Gleichberechtigung der Geschlechter andererseits.2 So lautete Art. 119 WRV: „Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.“

Und Art. 121 WRV bestimmte: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“

Dieser verfassungsrechtliche Kompromiss steht exemplarisch für die Behandlung des Eherechts während der Weimarer Republik. Zwar wurden Standesungleichheiten beseitigt und das Sonderprivatrecht für die Fürsten und den hohen Adel abgeschafft, was der neuen republikanischen Staatsform entsprach und daher alternativlos war. Grundlegende Veränderungen ließen die politischen Verhältnisse zwischen 1919 und 1933 allerdings nicht zu. So widersetzte sich das 1 2

RGBl. 1919, S. 1383. Hufen, § 16 Rn. 1.

A. Ausbleibende Reformen bis 1938

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Zentrum etwa entschieden einer Reform des Ehescheidungsrechts und hatte damit wegen der ihm zukommenden Schlüsselrolle bei den Regierungsbildungen Erfolg. Insgesamt war die Weimarer Republik eine Zeit der Stagnation auf dem Gebiet des Eherechts.3 Dass auch die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft unverändert blieben, ist also nicht erstaunlich, war ihr im BGB festgelegter Umfang doch wie gezeigt ein Zugeständnis an das Zentrum gewesen. Die 1933 an die Macht gelangten Nationalsozialisten entfalteten auf dem Gebiet des Eherechts dagegen eine rege Gesetzgebungstätigkeit. Auch dies ist angesichts des ideologischen Stellenwertes, den sie der Ehe zumaßen, nicht erstaunlich. Ihr „Führer“ Adolf Hitler hatte in seiner Hetzschrift „Mein Kampf“ die Bedeutung der Ehe für den nationalsozialistischen Staat in drastischen Worten beschrieben: „Nein, es gibt nur ein heiligstes Menschenrecht, und dieses Recht ist zugleich die heiligste Verpflichtung, nämlich: dafür zu sorgen, daß das Blut rein erhalten bleibt, um durch die Bewahrung des besten Menschentums einer edleren Entwicklung dieser Wesen die Möglichkeit zu geben. Ein völkischer Staat wird damit in erster Linie die Ehe aus dem Niveau einer dauernden Rassenschande herauszuheben haben, um ihr die Weihe jener Institution zu geben, die berufen ist, Ebenbilder des Herrn zu zeugen und nicht Mißgeburten zwischen Mensch und Affe.“ 4

Was hier anklang, nämlich auch mithilfe einer im Vergleich zum bisherigen Recht sehr viel strengeren Ehegesetzgebung eine „Höherzüchtung“ von Menschen zu erreichen, war zwar weder genuin nationalsozialistisch, noch zu Beginn der dreißiger Jahre neu. Bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Sozialdarwinisten, Eugeniker und „Rassenhygieniker“ wie Alexander Tille (1866 bis 1912), Alfred Ploetz (1860 bis 1940) und Wilhelm Schallmayer (1857 bis 1919) als Mittel einer „künstlichen Auslese“ unter anderem über die bestehenden weit hinausgehende Eheverbote gefordert.5 Mit Hitler betrat jedoch nunmehr ein politischer Akteur die Bühne, der keinen Zweifel am Willen zur tatsächlichen Umsetzung einer Ehegesetzgebung ließ, die zur Verwirklichung eines staatlich vorgegebenen eugenischen Interesses dienen würde, dem der Einzelne sich bedingungslos unterzuordnen hatte. Die Ehe stellte nach dieser Sichtweise keine Institution mehr dar, die auch der individuellen persönlichen Entfaltung diente, oder gar ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Stattdessen war eine grundsätzliche Abkehr von einer liberal-rechtsstaatlichen Eheauffassung, die von den Nationalsozialisten als geradezu krankhaft empfunden wurde, beabsichtigt. Entsprechend erklärte der Reichsleiter der NSDAP Walter Buch in einem Beitrag für die Zeitschrift „Deutsches Recht“ vom 10. April 1934, dass es für die Volks3 Ramm, Festschr. f. Fraenkel, S. 151 (153); Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (63); siehe auch Hattenhauer, S. 179. 4 Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel, Bd. 2, S. 1027 ff. 5 Tille, Volksdienst, S. 139 f.; Tille, Von Darwin bis Nietzsche, S. 115 f., 140; Ploetz, S. 143 ff.; Schallmayer, S. 337, 354 ff.

206 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

gemeinschaft darauf ankomme, den menschlichen Fortpflanzungstrieb in Kanäle zu leiten, die dem Allgemeinwohl am dienlichsten seien, es also im Interesse der Volksgemeinschaft liege, dass sich in der Ehe die passenden Menschen paarten.6 Im 19. und 20. Jahrhundert sei dagegen das durch Jahrtausende fest gegründete Familiengefüge einem Prozess der Zersetzung ausgesetzt gewesen. Im Sinne der Gesundheit des Volkes müsse dessen Urzelle, die Familie, gefördert werden.7 Genauso deutlich formulierte der Amtsgerichtsrat Kurt Borst aus Neustadt bei Coburg, ebenfalls in einem Beitrag in der Zeitschrift „Deutsches Recht“ vom 10. April 1934, den Anspruch des nationalsozialistischen Staates auf umfassende Reglementierung der individuellen Lebensgestaltung, verbunden mit tiefen Eingriffen, wo dies aus Sicht der Machthaber notwendig war: „Eine der wesentlichsten Grundlagen des Volkes überhaupt ist Ehe und Familie. Ehe ist nicht bloß die Geschlechtsgemeinschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts. Das ist eine der ganz trivialen Definitionen einer liberalistischen Zeit. Die Ehe im nationalsozialistischen Sinne ist die körperliche und seelische Gemeinschaft zweier Menschen im Dienste der über sie hinausgehenden Ordnung der völkischen Gemeinschaft. Aus diesem Grunde ist die Ehe kein Zustand, sondern eine Aufgabe, die Pflichten gegenüber dem anderen Ehegatten und gegenüber der Volksgemeinschaft, deren Teil sie sind, in sich schließt. Daraus folgt, dass die Volksgemeinschaft das Recht haben muß und auch hat, die Erfüllung der Pflichten ihr gegenüber zu verlangen.“ 8

Mit der gesetzgeberischen Umsetzung ihrer ideologischen Vorstellungen von der Ehe begannen die Nationalsozialisten bereits in der Frühphase ihrer Herrschaft.9 Dabei agierten sie insgesamt zunächst sehr vorsichtig, und dies hatte Methode: Um direkte politische Auseinandersetzungen zu vermeiden und die Stärke oppositioneller rechtspolitischer Kräfte zu testen, wurden die nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen zunächst in Randgebieten, die nicht im Fokus des rechtswissenschaftlichen Interesses standen, oder in solchen Gebieten eingeführt, die traditionell unter starkem staatlichen Einfluss standen, wie etwa das Beamtenrecht.10 Das „Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“ vom 1. Juni 193311 gewährte nach seinem Abschnitt V § 1 Reichsangehörigen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes die Ehe eingingen, Ehestandsdarlehen unter den Voraussetzungen, dass die künftige Ehefrau in der Zeit zwischen dem 1. Juni 1931 und dem 31. Mai 1933 mindestens sechs Monate in einem Arbeitnehmerverhältnis gestanden hatte, ein standesamtliches Aufgebot vorlag, die künftige Ehefrau ihre 6

Buch, DR 1934, S. 145 (148). Buch, DR 1934, S. 145 (146). 8 Borst, DR 1934, S. 154 (155). 9 Zusammenfassend Ramm, Das nationalsozialistische Familien- und Jugendrecht, S. 16 ff. und Ramm, Festschr. f. Fraenkel, S. 151 (154 ff.). 10 Ramm, Das nationalsozialistische Familien- und Jugendrecht, S. 18 und Ramm, Festschr. f. Fraenkel, S. 151 (154). 11 RGBl. I 1933, S. 323. 7

A. Ausbleibende Reformen bis 1938

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berufliche Tätigkeit spätestens mit der Eheschließung aufgab oder bereits aufgegeben hatte und sich dazu verpflichtete, ihren Beruf nicht wieder aufzunehmen, solange der Ehemann mehr als 125 Reichsmark monatlich verdiente und das Darlehen nicht restlos getilgt war. Dieses war nach § 2 unverzinslich. § 1 der „Durchführungsverordnung über die Gewährung von Ehestandsdarlehen“ vom 20. Juni 193312 traf Bestimmungen, unter welchen Voraussetzungen das Darlehen nicht gewährt wurde. Dies war nach § 1d) etwa der Fall, wenn ein Ehegatte an vererbbaren geistigen oder körperliche Gebrechen litt, „die seine Verheiratung nicht als im Interesse der Volksgemeinschaft liegend“ erscheinen ließen. § 8 schuf durch teilweisen Erlass der Darlehensschuld und die Möglichkeit der Unterbrechung der Rückzahlung Vergünstigungen bei der Geburt von Kindern. Mit dem „Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts“ vom 30. Juni 193313 wurde im Reichsbeamtengesetz ein neuer § 1a eingeführt, nach dessen Abs. 3 als Reichsbeamter nicht berufen werden durfte, wer nicht „arischer“ Abstammung oder mit einer Person „nicht arischer“ Abstammung verheiratet war, und Reichsbeamte „arischer“ Abstammung zu entlassen waren, wenn sie mit einer Person „nicht arischer“ Abstammung die Ehe eingingen. Das „Gesetz gegen Mißbräuche bei der Eheschließung und der Annahme an Kindes Statt“ vom 23. November 193314 fügte in das BGB einen neuen § 1325a ein, nach dessen Abs. 1 Ehen nichtig waren, deren ausschließlicher oder vorwiegender Zweck es war, der Frau die Führung des Familiennamens des Mannes zu ermöglichen, ohne dass die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden sollte. Nachdem durch die Niederschlagung des so genannten „Röhm-Putsches“ Ende Juni/Anfang Juli 1934 verbliebene potentiell gefährliche politische Gegner beseitigt, mit dem „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ vom 1. August 193415 die Ämter des Reichspräsidenten und Reichskanzlers vereinigt und Reichspräsident Paul von Hindenburg am 2. August 1934 gestorben war16, hatte Hitler endgültig eine unangefochtene Machtstellung erlangt, und infolgedessen änderte sich auch die Intensität der Eingriffe in das Eherecht.17 § 15 Abs. 4 des „Wehrgesetzes“ vom 21. Mai 193518 verbot Wehrmachtsangehörigen „arischer“ Abstammung die Eingehung der Ehe mit Personen „nichtarischer“ Abstammung und drohte für Zuwiderhandlungen den Verlust jedes gehobenen militärischen Dienstgrades an. § 1 des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 12

RGBl. I 1933, S. 377. RGBl. I 1933, S. 433. 14 RGBl. I 1933, S. 979. 15 RGBl. I 1934, S. 747. 16 Siehe RGBl. I 1934, S. 745. 17 Ramm, Das nationalsozialistische Familien- und Jugendrecht, S. 18; Ramm, Festschr. f. Fraenkel, S. 151 (155). 18 RGBl. I 1935, S. 609. 13

208 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

15. September 193519 verbot in Abs. 1 die Eheschließung zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ und erklärte solche Ehen für nichtig, auch wenn sie zur Umgehung des Gesetzes im Ausland geschlossen worden waren. Nach Abs. 2 konnte nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben. Wer den Verboten des § 1 zuwider handelte, war gemäß § 5 Abs. 1 mit Zuchthaus zu bestrafen. Das „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz)“ vom 18. Oktober 193520 bestimmte in § 1 Abs. 1, dass eine Ehe nicht geschlossen werden durfte, wenn einer der Verlobten an einer ansteckenden Krankheit, wodurch eine erhebliche Schädigung des anderen oder der Nachkommen zu befürchten war, litt, entmündigt war oder unter vorläufiger Vormundschaft stand, ohne entmündigt zu sein an einer geistigen Störung, die die Ehe für die „Volksgemeinschaft“ unerwünscht erscheinen ließ, oder an einer Erbkrankheit im Sinne des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 193321 litt (dieses Gesetz führte in seinem § 1 Abs. 2 „angeborenen Schwachsinn“, Schizophrenie, „zirkuläres (manischdepressives) Irresein“, „erbliche Fallsucht“, „erblichen Veitstanz (Huntingtonsche Chorea)“, „erbliche Blindheit“, „erbliche Taubheit“ und „schwere erbliche körperliche Missbildung“ auf). In letzterem Fall konnte gemäß Abs. 2 eine Ehe eingegangen werden, wenn der andere Verlobte unfruchtbar war. Die Verlobten mussten das Nichtvorliegen der genannten Ehehindernisse nach § 2 vor Eheschließung durch ein „Ehetauglichkeitszeugnis“ des Gesundheitsamtes nachweisen. War die Ausstellung dieses Zeugnisses oder die Mitwirkung des Standesbeamten bei der Eheschließung von den Verlobten durch wissentlich falsche Angaben herbeigeführt oder die Ehe zur Umgehung des Gesetzes im Ausland geschlossen worden, war sie gemäß § 3 Abs. 1 bei Verstoß gegen die Verbote des § 1 nichtig, die Nichtigkeitsklage konnte nur vom Staatsanwalt erhoben werden. Nach § 3 Abs. 2 war die Ehe jedoch von Anfang an gültig, wenn das Ehehindernis später wegfiel. Nach § 6 konnte der Reichsinnenminister oder eine von diesem ermächtigte Stelle Befreiung von den Vorschriften des Gesetzes erteilen.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938: „Liberalisierung“ durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber? Eine Modifizierung der geltenden Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nahm der nationalsozialistische Gesetzgeber erst 1938 durch zwei kurz nacheinander erlassene Gesetze vor. Dabei handelte es sich um das „Gesetz über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und 19 20 21

RGBl. I 1935, S. 1146. RGBl. I 1935, S. 1246. RGBl. I 1933, S. 529.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ vom 12. April 1938 und das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet“ vom 6. Juli 1938.

I. Das „Gesetz über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ vom 12. April 1938 nebst Durchführungsverordnung vom 23. April 1938 Das „Gesetz über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ vom 12. April 193822 fügte durch seinen Art. I „Befreiung von Ehehindernissen“ einerseits dem § 1310 BGB einen neuen Abs. 4 hinzu, der für Personen, die in gerader Linie miteinander verschwägert waren oder von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hatte, die Möglichkeit der Befreiung von den entsprechenden Eheverboten nach Abs. 1 und 2 einführte. Zudem erhielt § 1327 BGB einen neuen Abs. 2, wonach eine Ehe zwischen Verschwägerten bei nachträglicher Bewilligung der Befreiung von der Vorschrift des § 1310 Abs. 1 BGB als von Anfang an gültig anzusehen war. Die Bewilligung der Befreiung wurde konkretisiert durch die vom Reichsjustizminister erlassene „Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ vom 23. April 1938.23 Nach deren § 1 Abs. 1 entschied darüber der Landgerichtspräsident, in dessen Bezirk der Mann seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hatte. Hatte nur die Frau Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland, bestimmte sich die Zuständigkeit gemäß Abs. 2 danach, war dies bei beiden nicht der Fall, war nach Abs. 3 der Landgerichtspräsident in Berlin zuständig. Besaß zumindest einer der Beteiligten nicht die Reichsangehörigkeit oder hatten Verschwägerte die Ehe bereits unter Missachtung des Verbotes gemäß § 1310 BGB geschlossen, entschied nach Abs. 4 der Oberlandesgerichtspräsident über die Befreiung. Gemäß Abs. 5 behielt sich der Reichsjustizminister vor, in „Fällen bestimmter Art“ selbst zu entscheiden oder im Einzelfall die Entscheidung an sich zu ziehen. Nach § 2 Abs. 1 waren bei der Entscheidung über die Befreiung die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Für jeden Beteiligten waren ein polizeiliches Führungszeugnis, ein ärztliches Gesundheitszeugnis, die Geburtsurkunde und die Heiratsurkunde der Eltern beizubringen. Bei Zweifeln über die Staatsangehörigkeitsverhältnisse konnte auch die Beibringung eines Staatsangehörigkeitsausweises verlangt werden. War der Mann erheblich jünger als die Frau, sollte die Befreiung nach Abs. 2 nicht erteilt werden. Die Befreiung vom Ehehindernis wegen 22 23

RGBl. I 1938, S. 380. RGBl. I 1938, S. 417.

210 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

Schwägerschaft war gemäß Abs. 3 in der Regel erst zu erteilen, wenn seit Auflösung der die Schwägerschaft bewirkenden Ehe ein Jahr verstrichen war. Abs. 4 übertrug die Vorbereitung der Entscheidung dem Amtsgericht. Überlegungen zu einer Lockerung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft muss es bereits vor Mitte des Jahres 1937 gegeben haben, denn im Reichsjustizministerium existierte seitdem ein Vorentwurf zum späteren Gesetz.24 Als der Familienrechtsausschuss der am 26. Juni 1933 in München gegründeten und mit Gesetz vom 11. Juli 193425 in eine öffentliche Körperschaft des Reiches umgewandelte „Akademie für Deutsches Recht“, deren Aufgabe es nach § 2 des genannten Gesetzes war, „die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts zu verwirklichen“, am 27. Oktober 1937 die Frage erörterte, ob an der Vorschrift des § 1310 BGB Änderungsbedarf bestehe, insbesondere ob bei Ehen unter Verschwägerten eine Ausnahme zuzulassen sei, informierte Ernst Ludwig Rexroth, seit Januar 1934 Staatsanwalt am Landgericht Darmstadt und seit Juni 1934 an das Reichsjustizministerium abgeordnet, den Ausschuss darüber, dass im Ministerium bereits eine Änderung vorgesehen sei und ein Entwurf dazu vorliege. Rexroth verwies auf die zahlreichen dem Ministerium zugegangenen Eingaben bezüglich der Ehe zwischen Verschwägerten, von denen es 1936 mehr als 100 gegeben habe und die zum Teil Fälle betroffen hätten, in denen es tatsächlich unverständlich sei, dass die beabsichtigten Ehen nicht gestattet würden. Als Beispiel nannte er den Fall eines Kriegsheimkehrers aus Oberbayern, der eine Frau geheiratet habe, die bereits elf Kinder hatte. Er sei für die ganze Familie bis zum Tod der Frau aufgekommen und wolle nun die älteste Tochter heiraten. Der Entwurf des Ministeriums sehe die Aufrechterhaltung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft vor, weil man andernfalls in Konflikt mit dem Strafgesetzbuch komme. Allerdings solle in Ausnahmefällen davon Befreiung erteilt werden können. Dasselbe sei bezüglich des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft vorgesehen, da der Gesetzgeber derartige Beziehungen als anrüchig und sittenwidrig kennzeichnen und untersagen wolle, jedoch solle die Möglichkeit offengehalten werden, im allgemeinen Interesse die Ordnung herzustellen, wenn entsprechende Beziehungen sich bereits entwickelt hätten.26 Am 17. Januar 1938 übersandte das Reichsjustizministerium den ausgearbeiteten Gesetzentwurf zwecks Stellungnahme an die beteiligten Ressorts und übrigen Dienststellen.27 Sein Art. 1 (Befreiung von Ehehindernissen) stimmte bezüglich 24

Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. XXVIII. „Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht. Vom 11. Juli 1934.“, RGBl. I 1934, S. 605. 26 Protokoll der Sitzung am 27.10.1937, in: Schubert/Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht Bd. 3/2, S. 654 (679 ff.); zur Biographie Rexroths siehe dort S. 49 f. 27 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. XXVIII. 25

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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der Änderungen des Eheverbotsrechts bereits mit dem späteren Gesetz überein, sieht man von der geringfügigen sprachlichen Abweichung ab, dass der neue Abs. 4 des § 1310 BGB bestimmen sollte, dass Personen, die in gerader Linie verschwägert waren oder von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hatte, die Ehe miteinander eingehen durften, wenn Befreiung von den Vorschriften der Abs. 1 und 2 bewilligt war.28 Der Vorsitzende des Familienrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“, der Münchener Rechtsanwalt Ferdinand Mößmer29, äußerte in seinem Antwortschreiben an den Reichsjustizminister vom 27. Januar 1938 keine Bedenken gegen die beabsichtigten Regelungen.30 In der Ressortbesprechung am 8. Februar 1938 wurde lediglich Art. 2 des Entwurfes (Anfechtung der Ehelichkeit) von den Vertretern des „Stellvertreters des Führers“ und des Reichsinnenministers beanstandet, bei Berücksichtigung ihrer Wünsche aber die Zustimmung zum Entwurf in Aussicht gestellt.31 Das schließlich von der Reichsregierung beschlossene Gesetz wurde am 13. April 1938 im Reichsgesetzblatt verkündet und trat bereits einen Tag später in Kraft32, allerdings blieb die Inkraftsetzung für das mittlerweile zum Deutschen Reich gehörende Österreich33 nach § 34 lediglich vorbehalten.

II. Das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet“ vom 6. Juli 1938 nebst Durchführungsverordnung vom 27. Juli 1938 Einen Schritt weiter als das Gesetz vom 12. April 1938 ging das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet“ vom 6. Juli 193834 (im Folgenden lediglich als „Ehegesetz“ bezeichnet), welches das Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht aus dem BGB herauslöste und separat regelte. § 6 verbot die Ehe 28 „Entwurf vom 17.1.1938 zu einem Gesetz über die Änderung familienrechtlicher Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und über die Rechtsstellung von Staatenlosen“, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 112 ff. 29 Zur Biographie Mößmers siehe Schubert/Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht Bd. 3/2, S. 48 f. 30 Das Schreiben ist abgedruckt bei Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 118 f. 31 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. XXVIII und S. 118, dort Fn. 3. 32 Siehe Maßfeller, JW 1938, S. 1217 (1217). 33 Vgl. das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ vom 13. März 1938, RGBl. I 1938, S. 237. 34 RGBl. I 1938, S. 807.

212 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

zwischen „Blutsverwandten“ gerader Linie und zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, unabhängig davon, ob die „Blutsverwandtschaft“ auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte. Nach § 7 Abs. 1 durfte eine Ehe zwischen Verschwägerten gerader Linie nicht geschlossen werden, auch wenn die die Schwägerschaft vermittelnde Ehe für nichtig erklärt oder aufgehoben worden war. Schwägerschaft in diesem Sinne bestand gemäß Abs. 2 zwischen einem Ehegatten und den „Blutsverwandten“ des anderen Ehegatten, ohne Rücksicht darauf, ob die „Blutsverwandtschaft“ auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte. Von dem Verbot konnte nach Abs. 3 Befreiung bewilligt werden. Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft war nicht in das neue Gesetz aufgenommen worden. Gemäß § 10 sollte eine Ehe nicht geschlossen werden zwischen einem angenommenen Kind und seinen Abkömmlingen einerseits und dem Annehmenden andererseits, solange das durch die Annahme begründete Rechtsverhältnis bestand. War eine Ehe entgegen den Verboten der §§ 6 und 7 geschlossen worden, war sie nach § 25 Abs. 1 nichtig. Eine Ehe zwischen Verschwägerten war jedoch gemäß Abs. 2 bei nachträglicher Erteilung der Befreiung von dem Verbot des § 7 als von Anfang an gültig anzusehen. § 27 bestimmte, dass sich niemand auf die Nichtigkeit der Ehe berufen konnte, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden war. Beruhte die Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen die Eheverbote der §§ 6 und 7, so stand die Befugnis zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nach § 28 Abs. 2 sowohl dem Staatsanwalt, als auch jedem der Ehegatten zu, war die Ehe aufgelöst, konnte nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben. Nach Abs. 3 konnte die Nichtigkeitsklage nicht mehr erhoben werden, wenn beide Ehegatten verstorben waren. Außer Kraft traten nach § 84 unter anderem die §§ 1303 bis 1352 und § 1771 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie Art. 1 des Gesetzes vom 12. April 1938. Gemäß § 86 Abs. 1 bestimmte sich nach den bisherigen Vorschriften, ob eine vor Inkrafttreten des Ehegesetzes geschlossene Ehe nichtig war. Soweit nach den Vorschriften des Ehegesetzes abweichend von den bisherigen Vorschriften die Nichtigkeit einer dem Eheverbot wegen Schwägerschaft entgegen geschlossenen Ehe durch nachträgliche Befreiung geheilt werden konnte, galt dies auch für eine vor Inkrafttreten des Ehegesetzes geschlossene Ehe. Zuständigkeit und Richtlinien für die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft gemäß § 7 des Ehegesetzes regelte die vom Reichsjustizminister erlassene „Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet (Ehegesetz)“ vom 27. Juli 193835 in ihren §§ 3 und 4, die inhaltlich beinahe identisch mit den §§ 1 und 2 der bereits genannten Verordnung vom 23. April 1938 waren. Abweichend von diesen bestimmte § 4 Abs. 2 Satz 2 allerdings, dass die Befreiung vom Eheverbot wegen 35

RGBl. I 1938, S. 923.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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Schwägerschaft nicht nur versagt werden sollte, wenn der Mann erheblich jünger als die Frau war, sondern auch, wenn die beabsichtigte Ehe aus gesundheitlichen Gründen unerwünscht war. Bei Anwendung des Ehegesetzes waren also noch ausdrücklicher als zuvor eugenische Zielsetzungen zu berücksichtigen. Das Eheschließungsrecht war während des Gesetzgebungsprozesses zum Ehegesetz nur wenige Wochen Thema gewesen. Vorher war es ausschließlich um eine Reform des Ehescheidungsrechts gegangen, wozu es bereits in der Weimarer Republik erfolglose Versuche gegeben hatte.36 Erst mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde auch eine Neuregelung des Eheschließungsrechts notwendig. Die dortige Rechtslage war sehr unübersichtlich, da neben dem ABGB ein eigenständiges burgenländisches Eherecht und seit einem Konkordat mit der katholischen Kirche für inländische Katholiken das kanonische Recht galten. Infolgedessen erwartete auch die österreichische Bevölkerung dringend eine Änderung dieses Zustandes und brachte dies offenbar auch Hitler gegenüber während dessen Aufenthalten in Österreich deutlich zum Ausdruck.37 Am 10. Mai 1938 übersandte Reichsjustizminister Franz Gürtner an den „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß, den Reichsinnenminister, den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, den Chef der Reichskanzlei und an Ferdinand Mößmer den „Entwurf eines Gesetzes über die Eheschließung“ und lud zur Ressortbesprechung am 28. Mai ein.38 Zu dem Entwurf bemerkte er, dass die „Wiedervereinigung“ Österreichs mit dem Deutschen Reich es dringend erforderlich mache, neben dem Recht der Ehescheidung auch dasjenige der Eheschließung in Österreich in kürzester Zeit neu zu regeln und mit dem deutschen Recht in Einklang zu bringen. Die Ehereform müsse daher abweichend vom bisherigen Plan, zunächst nur das Recht der Ehescheidung zu regeln, auch das Recht der Eheschließung einschließlich der Ehehindernisse erfassen. Der Regierung sei somit ein einheitlicher Entwurf über beide Gebiete vorzulegen.39 Die §§ 6, 7 und 10 des übersandten Entwurfes entsprachen denjenigen des späteren Gesetzes beinahe wörtlich, allerdings bestimmte sein § 7 Abs. 2, dass Schwägerschaft im Sinne des Abs. 1 zwischen einem Ehegatten und den „Blutsverwandten gerader Linie“ des anderen Ehegatten bestehe, unabhängig davon, ob die „Blutsverwandtschaft“ auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte. Da jedoch Abs. 1 das Verbot der Ehe zwischen Verschwägerten in gerader Linie aussprach, war diese Formulierung überflüssig, was offenbar im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auch erkannt wurde. Darüber hinaus enthielt der Entwurf in § 11 Abs. 1 noch die Bestimmung, dass eine Ehe zwischen 36

Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (63 ff.). Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (68 f.). 38 Übersendung des Entwurfs eines Gesetzes über die Eheschließung an die beteiligten Ressorts, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 252 ff. 39 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 252. 37

214 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

Personen, von denen die eine mit „Blutsverwandten gerader Linie“ der anderen Geschlechtsverkehr gepflogen hatte, nicht geschlossen werden solle, wobei davon nach Abs. 2 Befreiung sollte erteilt werden können. Im Übrigen entsprachen auch die §§ 26, 28 und 29 Abs. 2 und 3 des Entwurfes den späteren Regelungen des Ehegesetzes in dessen §§ 25, 27 und 28 Abs. 2 und 3. Die dem Entwurf beigefügten „Bemerkungen“ stellten hinsichtlich der Eheverbote heraus, dass diese diejenigen Fälle umfassten, in denen trotz Vorliegens der allgemeinen Ehefähigkeitsvoraussetzungen aus Gründen der „völkischen Ordnung“ eine Eheschließung untersagt sei.40 Die §§ 6 bis 15 des Entwurfes entsprächen abgesehen von einigen Fassungsänderungen und Umstellungen im Wesentlichen den §§ 1309 bis 1315 BGB. Der Begriff der „Blutsverwandtschaft“ in § 6 werde in Anlehnung an § 65 des österreichischen ABGB verwendet, um von vornherein klarzustellen, dass auch die zwischen einem unehelichen Kind und seinem Erzeuger bestehenden Blutsbande Verwandtschaft im Sinne des Verbotes begründeten. Entsprechend sei bei den §§ 7 und 11 verfahren worden.41 Das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft sei in Kontinuität zur bisherigen Rechtslage ein aufschiebendes. Eine dennoch geschlossene Ehe solle gültig sein. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit hätte zwar nahegelegen angesichts der Bedeutung, die der nationalsozialistische Staat der Annahme an Kindes statt beimesse. Dies sei jedoch nicht gerechtfertigt, solange das Kindesannahmeverhältnis durch einen privaten Vertrag begründet und aufgehoben werden könne. Wenn dies allerdings in Zukunft an einen staatlichen Hoheitsakt geknüpft werden sollte, müsse zu einem späteren Zeitpunkt geprüft werden, ob die im Entwurf vorgesehene Regelung aufrechtzuerhalten sei. Auch dann würde es jedoch nicht unbedenklich sein, den Bestand eines rechtlich fingierten Verwandtschaftsverhältnisses höher einzuschätzen als denjenigen der trotz dieses Verhältnisses eingegangenen ehelichen Lebensgemeinschaft.42 Zu § 28 des Entwurfes hieß es in den Bemerkungen, dass dessen Regelung denjenigen des Blutschutzgesetzes und des Ehegesundheitsgesetzes entspreche und gegenüber dem geltenden § 1329 BGB, wonach die Nichtigkeit einer Ehe nur für die Dauer deren Bestehens im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden könne, den Vorzug habe, dass das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe ein für alle Mal klargestellt werde und nicht die Situation eintreten könne, dass je nach Lage und Beweismaterial eine Ehe in verschiedenen Prozessen in einem Fall als gültig und in einem anderen Fall als ungültig behandelt werde. Ein solches Ergebnis entspreche nicht der heutigen Auffassung vom Wesen und von der Bedeutung der Ehe und die Übernahme der Regelungen des Blutschutzgesetzes und des Ehegesundheitsgesetzes erscheine umso gerechtfertigter, als auch die aus dem BGB in den Entwurf übernommenen Nichtigkeits40 41 42

Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 264. Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 265. Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 266.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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vorschriften in erster Linie der Wahrung völkischer Interessen dienten. Bezüglich § 29 des Entwurfes erscheine es angebracht, neben dem Staatsanwalt in den bisherigen Nichtigkeitsfällen des BGB den unmittelbar Beteiligten ein selbständiges Klagerecht einzuräumen, nicht jedoch Dritten, die am Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe nur aus privatrechtlichen Gründen interessiert seien.43 Die Reaktionen auf den Gesetzentwurf waren zunächst verhalten. Am 26. Mai 1938 nahm Heinrich Lange, Vorsitzender des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“ und seit April 1934 Professor in Breslau, zu ihm Stellung.44 Er begrüßte es, dass das Gesetz über die Ehescheidung nicht vor demjenigen über die Eheschließung verabschiedet werden solle, da beide eine natürliche Einheit bildeten und das Scheidungsrecht nicht von demjenigen der Nichtigkeit und Aufhebung der Ehe getrennt werden könne.45 Hinsichtlich der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft empfahl Lange, in § 6 aus eugenischen Gründen auch die Ehe zwischen Onkel und Nichte sowie zwischen Tante und Neffe zu verbieten. Dies sei in fast sämtlichen ausländischen Rechtssystemen auch der Fall. Eine Befreiungsvorschrift dürfte außer bei den Abkömmlingen von Nichten und Neffen bedenklich sein, wenn man den eugenischen Grund betone.46 Reichsinnenminister Wilhelm Frick äußerte in seinem Antwortschreiben an den Reichsjustizminister vom 27. Mai 1938 „schwerwiegende Bedenken“ dagegen, das deutsche Eheschließungsrecht gegenwärtig neu zu regeln. Ein Rechtsgebiet, dessen Reform als notwendig erkannt worden sei, solle insgesamt und nicht stückweise neu geregelt werden, da mit jeder Teilregelung die Gefahr verbunden sei, dass einer Gesamtregelung in später vielleicht unerwünschter Weise vorgegriffen werde. Zumindest werde dadurch die Notwendigkeit einer Gesamtreform verringert und diese so erfahrungsgemäß verzögert. In der aktuellen Situation sei es ausreichend, das im Deutschen Reich geltende Recht in Österreich einzuführen. Bei Notwendigkeit könnten einzelne Punkte des geltenden Eheschließungsrechts durch besonderes Gesetz geändert werden. Dadurch würde materiell dasselbe erreicht werden wie durch den Entwurf, ohne die mit einer grundlegenden Teilreform verbundenen Nachteile. Er sehe sich daher nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, und die von ihm zur der Sitzung am 28. Mai 1938 entsandten Vertreter würden sich auf die Bekanntgabe seiner grundsätzlich ablehnenden Stellungnahme beschränken.47 In dieser Besprechung betonte Reichsjustizminister Gürtner, dass das Eheschließungsrecht wie keine andere Materie für Österreich einer schnelleren Änderung und Regelung bedürfe. 43

Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 269. Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 273 ff.; zur Biographie Langes siehe Schubert/Schmid/Regge, Akademie für Deutsches Recht Bd. 3/2, S. 47 f. 45 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 273 f. 46 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 274. 47 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 279. 44

216 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

Die derzeitigen Zustände dort sorgten für Unruhe. Als Möglichkeiten böten sich entweder die Übertragung des Eherechts des BGB auf Österreich oder eine gesamte Neuregelung des Eherechts für das „Großdeutsche Reich“. Wegen der mit beiden Möglichkeiten verbundenen Nachteile sei man übereingekommen, für das „Großdeutsche Reich“ zunächst nur das Eheschließungsrecht neu zu regeln. Demgegenüber sprachen sich nicht nur der Vertreter des Reichsinnenministers, sondern auch diejenigen des „Stellvertreters des Führers“ und des „Reichsführers SS“ zwar für eine sofortige Änderung des Eherechts in Österreich, aber gegen die vorläufige Teillösung aus, da es nicht möglich sei, ein neues Eheschließungsrecht zu schaffen, ohne zugleich das Ehescheidungsrecht zu ändern, und beide Rechtsmaterien eng miteinander verflochten seien. Zudem seien grundsätzliche Fragen über die Gestaltung des zukünftigen Ehe- und Sippenrechts noch nicht ausreichend geklärt und durchdacht. Dennoch wurde der Entwurf durchgesprochen und über seinen Inhalt im Wesentlichen Übereinstimmung erzielt.48 Bezüglich des Ehehindernisses wegen Schwägerschaft wurde allerdings eine künftige Änderung erwogen.49 Da Gürtner entschlossen war, seinen Entwurf auch gegen den Widerstand der anderen Ressorts durchzusetzen, verlegte er sich nunmehr darauf, ihn mit dem ebenfalls vorliegenden Entwurf über ein Ehescheidungsrecht in einem Gesetz zu vereinigen, wofür ihm die drängende Situation in Österreich Gelegenheit bot.50 Mit Schreiben vom 31. Mai 1938 informierte er die beteiligten Ressorts über seinen Plan.51 Die Reform der dringendsten eherechtlichen Probleme lasse sich nicht so lange Zeit hinausschieben, wie eine Gesamtreform des Familienrechts wegen des Umfangs des Stoffes und der Fülle der zu beachtenden Gesichtspunkte sie in Anspruch nehmen würde. Daher sei eine Teilreform nicht zu vermeiden, was alle übrigen Ressorts grundsätzlich anerkannt hätten. Sie sei so zu gestalten, dass sie ein in sich abgerundetes Ganzes bilde und der Reform der übrigen Teile des Familienrechts nicht in unerwünschter Weise vorgreife. Dies werde durch die Zusammenfassung von Eheschließung und Ehescheidung in einem Gesetz erreicht.52 Tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Ressorts seien bei der Besprechung am 28. Mai nicht zutage getreten. Bezüglich des Ehehindernisses wegen Schwägerschaft könne jedem künftigen 48 „Vermerk über die Ressortbesprechung im Reichsjustizministerium am 28.5.1938 über den Entwurf eines Gesetzes über die Eheschließung“, bei: Schubert, Das Familienund Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 280 f. 49 Siehe dazu das „Schreiben des Reichsministers der Justiz vom 31.5.1938 an die beteiligten Ressorts“, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 281 ff. (282). 50 Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (71). 51 „Schreiben des Reichsministers der Justiz vom 31.5.1938 an die beteiligten Ressorts“, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 281 ff. 52 Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 281.

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Wandel der Anschauung ohne Gesetzesänderung durch die Handhabung der bereits vorgesehenen Befreiungsbefugnisse Rechnung getragen werden.53 Frick versuchte zwar noch am 1. Juni 1938 bei einem Aufenthalt in Wien erfolglos, den bisherigen österreichischen Justizminister Franz Hueber, nunmehr Beauftragter des Reichsjustizministeriums für Österreich, dazu zu bewegen, ein österreichisches Sondergesetz zur Einführung der Zivilehe in Österreich vorzulegen.54 Nachdem Gürtner ihn noch einmal darauf hingewiesen hatte, mit welchen Schwierigkeiten und welchem Zeitaufwand das vom Reichsinnenministerium favorisierte Vorgehen verbunden war, lenkte er jedoch schließlich ein und erklärte am 10. Juni 1938 abends um 18 Uhr gegenüber Gürtner telefonisch seine Zustimmung zum Gesetzentwurf und sagte darüber hinaus zu, sich mit Rudolf Heß in Verbindung zu setzen, um auch dessen Zustimmung zu erhalten.55 Einen Tag später schickte Gürtner an Heß ein Telegramm, in dem er ihn über die Zustimmung Fricks zur Einbringung des Gesetzes und die Bitte Huebers zur Beschleunigung der Verabschiedung in Kenntnis setzte und um fernschriftliche Zustimmung zur Einbringung der Kabinettsvorlage bat, da von keiner Seite ein Bedenken oder ein Widerspruch geltend gemacht worden sei.56 Frick stellte in einem Schreiben vom 13. Juni 1938 allerdings die Bedingung, dass alle noch offenen Fragen so schnell geklärt werden müssten, dass das Gesetz noch im Juni verkündet werden könnte, ansonsten müsse seinem früheren Vorschlag folgend das im „Altreich“ geltende Eheschließungsrecht unverzüglich in Österreich eingeführt werden.57 Am 14. Juni 1938 erteilten sowohl der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, als auch Heß ihre Zustimmung, der Gürtner mitteilte, Hitler sei mit dem beabsichtigten Vorgehen einverstanden und wünsche „größte Beschleunigung“.58 Einen Tag später ließ auch Hitler selbst dem Reichsjustizminister mitteilen, dass er von ihm „schleunigst“ über die beabsichtigte Regelung des Eherechts unterrichtet werden wolle. Dies geschah noch am Abend desselben Tages. Abgesehen von einigen kleineren, die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nicht betreffenden Änderungen war Hitler mit dem Gesetzentwurf einverstanden.59 Am 17. Juni 1938 wurde nach Verhandlungen mit Gürt-

53

Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 282. Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (72); siehe auch „Schreiben des österreichischen Justizministers Hueber vom 2.6.1938 an den Reichsminister der Justiz“, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 283 ff. 55 Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (73); Vermerk von Gürtner vom 11. Juni 1938, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 285. 56 Vermerk von Gürtner vom 11. Juni 1938, in: Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 285. 57 Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (73). 58 Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (73). 59 Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (73 f.); „Vermerk des Reichsjustizministers Gürtner über eine Besprechung mit Hitler am 15.6.1938“ bei Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 286. 54

218 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

ner auf Wunsch von Heß noch das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft aus dem Entwurf gestrichen.60 Danach wurde er im Umlaufverfahren von den Mitgliedern des Kabinetts angenommen, und am 6. Juli 1938 wurde das Gesetz von Hitler in Berchtesgaden unterschrieben.61 Am 8. Juli 1938 wurde es im Reichsgesetzblatt verkündet und nach seinem § 129 Satz 1 trat es am 1. August 1938 in Kraft.

III. Die Gründe für die Gesetzgebung des Jahres 1938 Es wirkt auf den ersten Blick erstaunlich, dass gerade die nationalsozialistische Gesetzgebung des Jahres 1938 zu den Eheverboten wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft rein äußerlich betrachtet eine Liberalisierung bedeutete. Gleichzeitig liegt es angesichts der Verachtung, die die Nationalsozialisten für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat hegten, auf der Hand, dass sie sich dabei nicht am Leitbild persönlicher Freiheit orientierten. Dies wirft die Frage nach ihren tatsächlichen Motiven auf. In seiner bereits genannten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft vom 14. November 1973 hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Beseitigung dieses Verbotes 1938 nicht durch nationalsozialistische Vorstellungen von der Ehe beeinflusst gewesen sei, da die für den Wegfall im Ehegesetz gegebene Begründung wesentlich mit der Argumentation zum Fehlen einer solchen Vorschrift im Ersten Entwurf zum BGB übereinstimme.62 Sollte diese Einschätzung zutreffen, wäre alleinige Ursache für die Neuregelungen des Jahres 1938, dass auch der nationalsozialistische Gesetzgeber für das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft kein praktisches Bedürfnis und kaum zu überwindende Beweisschwierigkeiten gesehen hätte. Dies mögen durchaus Gründe für die Gesetzesänderungen gewesen sein, aber ob die nationalsozialistische Ideologie dabei keine Rolle gespielt hat, wie es das Bundesverfassungsgericht meint, erscheint zweifelhaft. Ein Aufsatz von Rexroth in der „Deutschen Justiz“ über das Gesetz vom 12. April 1938 legt genau das Gegenteil nahe. Darin führte er aus, dass die Notwendigkeit einer Neugestaltung des bürgerlichen Rechts im Geiste des Nationalsozialismus von Anfang an besonders deutlich für das Familienrecht hervorgetreten sei. Gerade dieses Rechtsgebiet berge eine Fülle von Fragen, deren enger Zusammenhang mit Grundauffassungen der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ unverkennbar sei. Familie und Sippe seien als die Grundformen der menschlichen Gemeinschaft das kleinere Abbild der „Volksgemeinschaft“ und daher müsse es oberstes Ziel der Staatsführung sein, sie zu verwirklichen und dauerhaft kraftvoll zu erhalten. Hierbei harrten zahlreiche Fragen einer 60 „Vermerk von Rexroth (RJM) vom 18.6.1938“ bei Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, S. 286 f. (287). 61 Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (74). 62 BVerfGE 36, 146 (164).

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Lösung, wobei einige hervorragten, bei denen die Umgestaltung ihrer bisherigen gesetzlichen Regelung immer mehr zu einem brennenden Bedürfnis geworden sei. Obwohl sich das Gesetz nur mit Einzelfragen befasse, werde es für eine spätere umfassende Neugestaltung der einzelnen Rechtsgebiete von richtungweisender Bedeutung sein, und deshalb könne es mit Recht als ein „Markstein auf dem Weg der nationalsozialistischen Rechtserneuerungsarbeit“ bezeichnet werden.63 In dieselbe Richtung deutet ein Aufsatz des Ministerialrates im Reichsjustizministerium Hans Ficker in der „Juristischen Wochenschrift“ zum Ehegesetz. Darin hieß es, dass ebenso wie in den Ehescheidungsgründen auch in den Eheverboten der bekennerische Inhalt des Gesetzes zum Ausdruck komme, dass der weltanschaulich bestimmte Staat dem Richter unzweideutig zu sagen habe, in welcher Weise er die rechte Ehe schütze und wann er die Auflösung der unrechten Ehe zulasse. Wenn möglich, habe der Gesetzgeber dem Richter ein lebendiges Bild davon zu geben, was der deutsche Staat als Inhalt der rechten ehelichen Lebensgemeinschaft ansehe. Dies sei durch das Ehegesetz erfolgt.64 Und auch der Berliner Rechtsanwalt und Notar Otto Rilk verwies in seinem Kommentar zum Ehegesetz zur Begründung dafür, dass im Gegensatz zum bisherigen Recht die Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht mehr durch einen interessierten Dritten erfolgen konnte, ausdrücklich auf die „nationalsozialistische Weltanschauung“.65 Die nationalsozialistische Ideologie scheint 1938 also eine wesentliche, möglicherweise sogar die entscheidende Rolle bei der Reduzierung beziehungswiese Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft gespielt zu haben. 1. Die amtlichen Begründungen zu den Gesetzen des Jahres 1938 Einen ersten Anhaltspunkt zur Beantwortung der Frage nach den Motiven des nationalsozialistischen Gesetzgebers geben die den Gesetzen beigegebenen amtlichen Begründungen, auf die auch das Bundesverfassungsgericht 1973 verwies. Diejenige zum Gesetz vom 12. April 1938 hob gleich zu Beginn hervor, dass das Familienrecht von allen Gebieten des bürgerlichen Rechts am dringendsten einer Neugestaltung im nationalsozialistischen Geiste bedürfe, da die Familie als Urzelle des Gemeinschaftslebens, von deren Kraft und Gesundheit Bestand und Wert der Volksgemeinschaft abhänge, im neuen Staat eine überragende Bedeutung gewonnen habe. Zwar seien im Allgemeinen Einzelfragen auch bei Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses nach Änderung bis zu einer abschließenden Neuregelung der entsprechenden familienrechtlichen Gebiete grundsätzlich zurückzustellen, da nur in einem solchen Zusammenhang eine vollständige, den Grundgedanken der gesamten Rechtserneuerung gut angepasste Lösung derarti63 64 65

Rexroth, DJ 1938, S. 707 (707). Ficker, JW 1938, S. 2065 (2067). Rilk, S. 173.

220 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

ger Fragen zu finden sei. Von dieser Vorgehensweise müssten allerdings Ausnahmen bei einigen praktisch besonders wichtigen Problemen des Familienrechts gemacht werden, weil sie entweder wegen ihrer Wichtigkeit keinen weiteren Aufschub duldeten, oder zu Gebieten gehörten, deren Gesamtreform in nächster Zeit nicht in Angriff genommen werden könne. Dabei sei bei einzelnen Maßnahmen in Kauf zu nehmen, dass sie äußerlich als Änderung oder Ergänzung des BGB vollzogen würden. Vorbehalten bleibe eine Einfügung in spätere Gesetze, durch die die entsprechenden Rechtsgebiete umfassend erneuert würden.66 Zur Einführung der Befreiungsmöglichkeit von den Verboten der Ehe wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft hieß es in der Begründung, dass zwar die Eheverbote des § 1310 BGB grundsätzlich aufrechtzuerhalten, jedoch diejenigen Fälle zu vermeiden seien, in denen sie dazu führten, dass eine Ehe nicht geschlossen werden dürfe, die vom Standpunkt der „Volksgemeinschaft“ als erwünscht angesehen werden könnte. Hauptsächlich gehe es dabei um Fälle, in denen ein Mann eine wesentlich ältere Frau geheiratet habe, die eine Tochter in die Ehe mitgebracht habe. Wenn sich nach dem Tod der Frau zwischen der Tochter und dem früheren Ehemann eine Beziehung entwickele, erscheine ihr Wunsch, miteinander die Ehe einzugehen, häufig als berechtigt. Hätten sie bereits Kinder miteinander, dann sei es auch bevölkerungspolitisch wünschenswert, dass diese durch die Heirat der Eltern eheliche würden. Da zwischen Verschwägerten keine genetische Verwandtschaft bestehe und damit auch keine erbbiologischen Gründe gegen eine Ehe zwischen ihnen sprächen, sei die Ausnahmslosigkeit der bisherigen Verbote nicht nur gegenüber den Heiratswilligen selbst, sondern auch gegenüber der „Gesamtheit der Volksgenossen“ eine schwere unbillige Härte. Der neu eingeführte Abs. 4 in § 1310 BGB sehe daher die Befreiungserteilung vor, um in derartigen Fällen die Ehe nach genauer Prüfung der Umstände des Einzelfalles zu ermöglichen.67 Die amtliche Begründung zum Ehegesetz entsprach hinsichtlich der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft fast wörtlich den „Bemerkungen“, die Reichsjustizminister Gürtner seinem Entwurf vom 10. Mai 1938 beigefügt hatte. Sie nannte als wesentlichen Zweck des Gesetzes die Vereinheitlichung des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts in Österreich und dem übrigen Reich und bezeichnete es als ersten Schritt zur Schaffung eines einheitlichen großdeutschen Ehe- und Familienrechts.68 Auch die von ihnen nicht berührten Vorschriften des BGB über die Eheschließung müssten nach den Grundgedanken des „Gesetzes gegen Mißbräuche bei der Eheschließung und der Annahme an Kindes Statt“, des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ und des „Ehegesundheitsgesetzes“ umgestaltet und die Eheschlie66 67 68

DJ 1938, S. 619 (619). DJ 1938, S. 619 (619). DJ 1938, S. 1102 (1102).

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ßung wegen ihrer über das Individualinteresse der Ehegatten weit hinausreichenden Bedeutung für die Volksgemeinschaft aus dem Kreis der privatrechtlichen Verträge herausgehoben werden. Dieser Grundgedanke liege auch weniger bedeutsamen Änderungen zugrunde.69 Bezüglich des Abschnittes über die Eheverbote stellte die Begründung grundsätzlich fest, dass er diejenigen Fälle umfasse, in denen eine Eheschließung „aus Gründen der völkischen Ordnung“ untersagt sei.70 Hinsichtlich der §§ 6 bis 14 des Gesetzes wurde betont, dass abgesehen von einigen Fassungsänderungen und Umstellungen Übereinstimmung mit den §§ 1309 bis 1315 BGB bestehe. Nur das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft sei nicht übernommen worden, weil sein Tatbestand nur in seltenen Fällen überhaupt festgestellt werden könne, sofern dadurch nicht gleichzeitig das Eheverbot wegen Schwägerschaft begründet werde. Schon aus Gründen der Gerechtigkeit habe sich daher die Beseitigung dieser Bestimmung empfohlen, die auch den meisten anderen Rechtsordnungen fremd sei.71 Es ist allein diese Passage, die die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Es kann allerdings mit guten Gründen bezweifelt werden, ob der Inhalt anderer Rechtsordnungen für den nationalsozialistischen Gesetzgeber überhaupt eine Rolle gespielt hat, da gleichzeitig auch für die weniger bedeutsamen Vorschriften des Eheschließungsrechts auf die Notwendigkeit einer Umgestaltung im nationalsozialistischen Sinne hingewiesen worden war. Der Verweis auf die aus den Beratungen zum BGB hinreichend bekannten Argumente erscheint eher von untergeordneter Bedeutung zu sein, da er erst erfolgte, nachdem die Bedeutung der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ für die Regelungen des neuen Gesetzes hervorgehoben worden war. Die Verwendung des Begriffs der „Blutsverwandtschaft“ in den §§ 6 und 7 des Ehegesetzes schließlich wurde damit begründet, dass entsprechend § 65 des österreichischen ABGB klargestellt werden sollte, dass auch zwischen einem unehelichen Kind und seinem Erzeuger Verwandtschaft im Sinne der aufgestellten Verbote bestehe.72 Was die Bestimmungen des Ehegesetzes über die Berufung auf die Nichtigkeit anging (§§ 27 und 28), so entsprach die amtliche Begründung den Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf vom 10. Mai 1938.73 2. Die „nationalsozialistische Weltanschauung“ Da die amtlichen Begründungen sehr klar auf die „nationalsozialistische Weltanschauung“ rekurrierten, widerlegen sie die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts eher, als dass sie sie stützen. Damit stellt sich die Frage, warum diese „Weltanschauung“ offenbar die Lockerung beziehungsweise Abschaffung 69 70 71 72 73

DJ 1938, S. 1102 (1102). DJ 1938, S. 1102 (1103). DJ 1938, S. 1102 (1103). DJ 1938, S. 1102 (1103 f.). Siehe DJ 1938, S. 1102 (1105).

222 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

der überkommenen Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft erforderlich machte. Dreh- und Angelpunkt der so genannten „nationalsozialistischen Weltanschauung“ war die Rassenideologie Hitlers.74 Diese hatte er im Kapitel „Volk und Rasse“ in „Mein Kampf“ dargelegt, das er mit dem Postulat begann, dass „schon die oberflächlichste Betrachtung (. . .) als nahezu ehernes Grundgesetz der unzähligen Ausdrucksformen des Lebenswillens der Natur ihre in sich begrenzte Form der Fortpflanzung und Vermehrung“ zeige, da sich alle Tiere nur mit Angehörigen der jeweils eigenen Art paarten.75 Diese „Erkenntnis“ war für Hitler derart offensichtlich, dass er sie als eine „Binsenweisheit“ bezeichnete, und aus ihrer Übertragung von der Tierwelt auf den Menschen zog er wie selbstverständlich mehrere Schlussfolgerungen: Erstens gebe es „höhere“ und „niedere“ Menschenrassen, wobei allerdings offen blieb, wodurch sich diese „Rassen“ definierten; Hitler machte sich nicht einmal die Mühe, zu benennen, welche „Rassen“ es gebe. Zweitens müssten „Rassenvermischungen“ unter allen Umständen verhindert werden, damit es nicht zu einer „Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse“ und „körperlichem und geistigem Rückgang und damit dem Beginn eines, wenn auch langsam, so doch sicher fortschreitenden Siechtum“ komme. Drittens müsse ebenso verhindert werden, dass sich kranke und schwache Angehörige einer „höheren Rasse“ vermehrten, weil dies einer weiteren „Höherentwicklung“ entgegenstehe.76 Welche Konsequenzen der Staat daraus aus seiner Sicht ziehen musste, hatte Hitler ebenfalls beschrieben: „Er hat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu setzen. Er hat für ihre Reinerhaltung zu sorgen. Er hat das Kind zum kostbarsten Gut eines Volkes zu erklären. Er muß dafür Sorge tragen, daß Kinder zeugt nur wer gesund ist; daß es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen, doch eine höchste Ehre: darauf zu verzichten. Weiters aber muß es umgekehrt als verwerflich gelten: gesunde Kinder der Nation vorzuenthalten.“ 77

Schon die nationalsozialistische Ehe- und Familiengesetzgebung vor 1938 war auf dieses Ziel der „rassischen Höherentwicklung“ durch Vermehrung der Gesunden und Verhinderung der Fortpflanzung von Kranken und Schwachen ausgerichtet gewesen. Aber auch für das Eheschließungsrecht und damit die Eheverbote des BGB lagen die Konsequenzen auf der Hand: Sie konnten nur insofern Bestand haben, als sie Ehen verhinderten, die durch den von ihnen zu erwartenden Nachwuchs zu einer „Niedersenkung des rassischen Niveaus“ führen könnten. Die Kehrseite des Ganzen war, dass jegliche Eheschließungen erlaubt, ja sogar

74

Wippermann, in: Benz/Graml/Weiß (3. Aufl.), S. 16 u. 21; Wippermann, S. 147. Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel, Bd. 1, S. 737. 76 Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel, Bd. 1, S. 741 ff.; Wippermann, S. 146; Wippermann, in: Benz/Graml/Weiß (3. Aufl.), S. 12 ff. 77 Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel, Bd. 2, S. 1031. 75

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gefördert werden mussten, die durch ihre Nachkommenschaft eine „Höherentwicklung“ erwarten ließen. Beides war durch die nationalsozialistische Rassenideologie mit zwingender Notwendigkeit vorgegeben. Somit war es nur folgerichtig, dass die Nationalsozialisten die bestehenden Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft, die bei ihrer Kodifizierung wie dargestellt nicht nur auf eugenischen, sondern auch auf sittlich-moralischen Erwägungen beruht hatten und keinerlei Dispensationsmöglichkeit vorsahen, nicht unangetastet ließen. Sie konnten kein Interesse an deren unveränderter Aufrechterhaltung haben, da Ehen zwischen Verschwägerten oder solchen Personen, die mit Verwandten des anderen eine außereheliche Beziehung gehabt hatten, als solche kein erhöhtes Risiko für „erbkranken Nachwuchs“ mit sich brachten. Im Gegenteil bargen die indispensablen Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft aus nationalsozialistischer Sicht sogar ein nicht unbeträchtliches Risiko, konnte es durch sie doch durchaus zur Verhinderung von Ehen zwischen genetisch unbelasteten Partnern kommen, die der imaginierten „Volksgemeinschaft“ als erwünscht erscheinen mussten. Dieses Risiko war für die Nationalsozialisten ein durchaus beträchtliches, denn die innenpolitischen Maßnahmen zur Schaffung einer ethnisch homogenen, gesunden und damit physisch starken Bevölkerung in Deutschland hatte gleichzeitig auch außenpolitische Bedeutung, da sie die Herrschaft der „höheren“ über die „niederen“ menschlichen „Rassen“ zum Programm erhoben, wie Hitler ebenfalls in „Mein Kampf“, im Kapitel „Weltanschauung und Partei“, ausgeführt hatte.78 Dort schrieb er über die „völkische Weltanschauung“: „Sie glaubt somit keineswegs an die Gleichheit der Rassen, sondern erkennt mit ihrer Verschiedenheit auch ihren höheren und minderen Wert und fühlt sich durch diese Erkenntnis verpflichtet, gemäß dem ewigen Wollen, das dieses Universum beherrscht, den Sieg des Besseren, Stärkeren zu fördern, die Unterordnung des Schlechteren und Schwächeren zu verlangen.“ 79

Für Hitler war diese Unterwerfung der Schwachen Voraussetzung für das Entstehen von Kultur schlechthin, und daraus erwuchs ihr eine welthistorische Bedeutung.80 Er sah ein Geschichtsbild als unabdingbar an, um daraus Maximen für das politische Handeln abzuleiten, und indem er Geschichte als nichts anderes als einen immerwährenden Überlebenskampf zwischen den verschiedenen „Völkern“ und „Rassen“ um den zur Verfügung stehenden Lebensraum deutete, konnte für ihn Politik auch nichts anderes sein als die Durchführung dieses Überlebenskampfes.81 Es lag in der Logik dieser Geschichts- und Politikauffassung, dass es keine scharfe Unterscheidung mehr zwischen Krieg und Frieden sowie Innen- und Außenpolitik geben konnte, sondern dass die beiden letzteren mehr

78 79 80 81

Wippermann, S. 147. Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel, Bd. 2, S. 981. Jäckel, S. 104. Jäckel, S. 97 f. u. 104 f.

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oder weniger ineinander flossen beziehungsweise miteinander in eine Wechselwirkung traten, um der Verwirklichung dieses einen politischen Zieles zu dienen und damit der historischen Wahrheit Rechnung zu tragen.82 Der Innenpolitik fiel in dieser Hinsicht die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass die Deutschen sowohl an „Volkszahl“, als auch an „Volkswert“ für den von ihm zu führenden Überlebenskampf gerüstet waren.83 Es war somit innenpolitische Kernaufgabe, mit allen Mitteln, also durchaus auch im Wege der Ehegesetzgebung, eine Bevölkerungspolitik zu betreiben, die in absehbarer Zeit eine expansive Außenpolitik ermöglichen würde. Daher ist es nur konsequent, dass Hitler als den einzigen Sinn und Zweck der Ehe die „Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse“ erblicken konnte.84 Durch eine streng an eugenischen Maßstäben orientierte Innenpolitik musste aus nationalsozialistischer Sicht eine „Höherentwicklung“ des eigenen Volkes herbeigeführt werden, um dann außenpolitisch im Kampf mit anderen „Rassen“ bestehen und dadurch eine weitere „Höherentwicklung“ erreichen zu können. Das Eheverbotsrecht war von dieser Warte aus betrachtet nichts anderes als ein Instrument, dessen sich die Nationalsozialisten bedienten, um ihre ideologischen Vorhaben zu realisieren. Für den nationalsozialistischen Staat waren somit überhaupt nur Eheverbote akzeptabel, die ausschließlich eugenischen Zwecken dienten. Solche, die ihren Grund in überkommenen Moralvorstellungen hatten, waren konsequent abzuschaffen, soweit sie die weltanschaulichen Grundsätze beziehungsweise Zielsetzungen gefährdeten. In diesem Sinne hatte etwa der bereits erwähnte Heinrich Lange 1939 im „Archiv für die civilistische Praxis“ in einer Abhandlung zum Eheschließungsrecht ausgeführt: „Bei einem Vergleich mit Regelungen früherer und fremder Rechte fällt auf, dass das Verbot der Verwandtenehe nicht erweitert worden, sondern wie bisher auf die Verwandten in gerader Linie und voll- und halbbürtige Geschwister beschränkt worden ist, so dass nach wie vor der Onkel seine Nichte und Großnichte, die Tante ihren Neffen und Großneffen heiraten kann. Maßgebend für eine Erweiterung könnten freilich nicht kirchlich-sittliche Erwägungen als solche, sondern müssten allein eugenische sein. Sollte eine Änderung vorgenommen werden, so dürfte sich vielleicht für gewisse weitere Verwandte eine Genehmigungspflicht des Gesundheitsamtes empfehlen.“ 85

82

Jäckel, S. 105 f. Jäckel, S. 106; die Begrifflichkeiten sind diesbezüglich allerdings unübersichtlich und können hier nicht in allen Einzelheiten besprochen werden. So verwendete Hitler synonym zum Begriff „Rassenwert“ auch „Blutswert“ und „Volkswert“, wobei er dem Letzteren noch zwei Unterfaktoren beistellte, nämlich den „Persönlichkeitswert“ und den „Selbsterhaltungstrieb“ eines Volkes. Zum Ganzen ausführlicher siehe Jäckel, S. 107 ff. 84 Wippermann, in: Benz/Graml/Weiß (3. Aufl.), S. 17; Jäckel, S. 101. 85 Lange, AcP 145, S. 129 (148). 83

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Kompromisse mit anderen als den eigenen Anschauungen waren dem Nationalsozialismus wesensfremd, wie auch folgende Zitate aus dem Kapitel „Weltanschauung und Organisation“ in „Mein Kampf“ verdeutlichen: „Politische Parteien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. Politische Parteien rechnen selbst mit Gegenspielern, Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit. (. . .) Da eine Weltanschauung niemals bereit ist, mit einer zweiten zu teilen, so kann sie auch nicht bereit sein, an einem bestehenden Zustand, den sie verurteilt, mitzuarbeiten, sondern fühlt die Verpflichtung, diesen Zustand und die gesamte gegnerische Ideenwelt mit allen Mitteln zu bekämpfen, d. h. deren Einsturz vorzubereiten.“ 86

Anders als das Bundesverfassungsgericht 1973 meinte, war die nationalsozialistische Ideologie also offenbar eine, wenn nicht die wesentliche Ursache für die äußerlich wie Liberalisierungen wirkenden Gesetzesänderungen zu den Eheverboten wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft 1938. 3. Der Nationalsozialismus als „politische Religion“ Die von Hitler selbst hervorgehobene Kompromisslosigkeit der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ verweist auf einen Charakterzug des Nationalsozialismus, den ihm schon Zeitzeugen bescheinigten87 und auf den auch in der historischen Forschung teilweise hingewiesen wird, nämlich den einer, wie Heinrich August Winkler es ausdrückt, „totalitären, den ganzen Menschen beanspruchenden politischen Religion, außerhalb derer es kein Heil gab“.88 Dies könnte für die Gesetzgebung von 1938 zu den Eheverboten wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft insofern aufschlussreich sein, da diese Verbote nicht nur wie dargestellt in Widerspruch zu Grundannahmen der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ standen, sondern auch eine lange kirchenrechtliche, an das römische und mosaische Recht anknüpfende Tradition hatten. Sieht man im Nationalsozialismus also eine „politische Religion“, läge darin neben seinem Geschichtsverständnis als Überlebenskampf der menschlichen „Rassen“ untereinander eine weitere Erklärung für seinen Absolutheitsanspruch und damit auch dafür, warum diese Eheverbote im nationalsozialistischen Staat nicht oder allenfalls in derart abgeschwächter Form bestehen bleiben konnten, dass die praktische Durchsetzung der ideologischen Vorgaben stets gewährleistet war. Die These vom Nationalsozialismus als „politischer Religion“ ist allerdings äußerst umstritten. Von Befürwortern werden seine häufig auch auf Religionen zutreffenden Wesenszüge hervorgehoben. Dazu zählt ein starkes apokalyptisches Element. Die Juden galten ihm als Unheilbringer, als das Böse schlechthin, und 86

Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel, Bd. 2, S. 1153. Vgl. Maier, in: Maier, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 1, S. 233 (242 f.); Vondung, S. 23 ff. 88 Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2, S. 1 f. 87

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insofern habe der Völkermord an ihnen eine „heilstheologische“ Bedeutung gehabt, weil er das Opfer sei, das in einem apokalyptischen Endkampf vollzogen werden müsse, um die Welt vom Bösen zu befreien und das von Hitler in Aussicht gestellte „tausendjährige Reich“ Wirklichkeit werden zu lassen.89 In Hitler habe der Nationalsozialismus einen „Verkünder und Verkörperer“ gehabt, „denjenigen, dessen Weisungen man sich mit völligem Vertrauen hingeben konnte und musste, und der alles zum Besten führen würde“.90 Anders formuliert: Hitler sei die Rolle sowohl eines Propheten, als auch eines Messias im nationalsozialistischen Sinne zugekommen. Ähnlich wie Religionen versuchten totalitäre Systeme wie der Nationalsozialismus außerdem, den Einfluss ihrer Ideologie bis in den letzten Winkel der Privatsphäre der Menschen dadurch auszudehnen, dass sie ihnen detaillierte Handlungsanweisungen für sämtliche Situationen machten, und hätten eine Vorliebe für Rituale anlässlich von Ereignissen wie Geburt, Hochzeit oder Tod.91 Auch die Einführung eines nationalsozialistischen Festkalenders mit feststehenden und beweglichen Feiertagen ähnlich wie im Kirchenjahr bilde eine Parallele zur Religion, und bei den Inszenierungen dieser Feiern habe sich die Propaganda bewusst an kirchlicher Liturgie und christlich-patriotischen Gewohnheiten orientiert.92 Gegner der These vom Nationalsozialismus als einer „politischen Religion“ verweisen unter anderem darauf, dass die Schoa nicht die Erfüllung oder Transformation der christlichen Apokalyptik bedeutet, sondern die Bereitschaft zum Völkermord im ethnisch beziehungsweise eugenisch begründeten Rassismus ihren Grund gehabt habe.93 Hitler habe sich selbst nicht als Begründer und die NSDAP nicht als Trägerin einer Religion verstanden, sondern im Gegenteil seine Weltanschauung als im Einklang mit den modernen Naturwissenschaften angesehen.94 Zudem habe er erkannt, dass die Partei als eine völkisch-religiöse Gruppe nicht massentauglich hätte werden können, sondern bei religiösen und konfessionellen Auseinandersetzungen in ihren Reihen am Widerstand der christlichen Kirchen scheitern oder auseinanderbrechen müssen. Daher habe Hitler der Erreichung politischer Ziele oberste Priorität eingeräumt und einen religiösen Umbruch allenfalls als Aufgabe späterer Generationen angesehen, allzu offene

89 Schoeps, in: Besier, Zwischen „nationaler Revolution“ und militärischer Aggression, S. 55 (57 ff. und 61 f.); Ley, S. 185 ff. 90 Guardini, S. 68; Maier, in: Maier, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 1, S. 233 (245); vgl. auch Schoeps, in: Besier, Zwischen „nationaler Revolution“ und militärischer Aggression, S. 55 (58). 91 Maier, in: Maier, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 1, S. 233 (244); vgl. auch Guardini, S. 60 f. 92 Ranke, in: Benz/Graml/Weiß (3. Aufl.), S. 34 (43 ff.); Maier, in: Maier, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 1, S. 233 (246). 93 Hockerts, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 45 (66). 94 Hockerts, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 45 (56 ff.).

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Konflikte mit den Kirchen aber zu vermeiden gesucht.95 Er habe auch keine wirkliche Idee davon gehabt, welche Ausformung seine Weltanschauung in Zukunft haben werde, da ihm dazu nicht besonders viel eingefallen sei. Er habe Weggefährten wie Heinrich Himmler nicht brüskieren wollen und kein Interesse daran gehabt, durch Kodifizierung oder Kanonisierung seiner Weltanschauung diese überprüf- und kritisierbar zu machen und damit sein Interpretationsmonopol zu verlieren.96 Das Konzept der „politischen Religion“ unterstelle dem Nationalsozialismus eine ideologische Stringenz und Kohärenz, die er gerade nicht besessen habe.97 Vielmehr habe er sich durch ein ausgeprägt voluntaristisches Element ausgezeichnet, dem gegenüber die ideologischen Inhalte in den Hintergrund getreten seien.98 Die Versuche der Einführung nationalsozialistischer Rituale, um etwa kirchliche Hochzeiten oder Beerdigungen zu ersetzen, seien im Wesentlichen defensive Maßnahmen gegenüber der seit Kriegsbeginn wieder steigenden Popularität der Kirchen gewesen und die großen propagandistischen Inszenierungen hätten sich innerhalb weniger Jahre verbraucht, so dass auch die pseudoreligiösen Elemente der Propaganda in der Frühphase des Regimes nicht überbewertete werden dürften.99 Bei dem Rückgriff der Propagandarituale auf die christliche Überlieferung und Semantik sei es nicht um die Schaffung einer neuen Religion, sondern um die Manipulation der öffentlichen Meinung gegangen sowie darum, die fehlende politisch-programmatische Substanz des Nationalsozialismus zu ersetzen. Dass die Propaganda allgegenwärtig war, habe jedoch zu deren Abnutzung geführt und das ideologische Angebot habe sich auf den Führerkult und antisemitische Agitation beschränkt.100 Unter allen Kriterien für die Beurteilung des Nationalsozialismus als „politische Religion“ dürfte das wichtigste wohl ein zumindest vager Transzendenzbezug sein. Religion im Allgemeinen dürfte ohne die grundsätzliche Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz nicht denkbar sein, auch wenn der Transzendenzbegriff je nach kulturellen, historischen, sozialen oder individuellen Gesichtspunkten in einem Fall weiter, im anderen Fall enger ausfallen mag.101 Ob der Nationalsozialismus einen solchen Bezug aufweist, ist wiederum umstritten. Der Historiker Hans Günter Hockerts ist der Ansicht, dass der Nationalsozialis95

Hockerts, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 45 (58 ff.); Mommsen, in: Maier/Schäfer, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 2, S. 173 (175 ff.). 96 Hockerts, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 45 (62 ff.). 97 Mommsen, in: Maier/Schäfer, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 2, S. 173 (181). 98 Mommsen, in: Maier/Schäfer, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, Bd. 2, S. 173 (174). 99 Mommsen, in: Besier, Zwischen „nationaler Revolution“ und militärischer Aggression, S. 43 (51 f.). 100 Mommsen, in: Besier, Zwischen „nationaler Revolution“ und militärischer Aggression, S. 43 (53). 101 Pollack/Krech/Müller/Hero, S. 25 u. 43.

228 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

mus dieses Kriterium „untererfüllt“ habe. Hitler und seine Gefolgsleute hätten zwar sicher an „Volk“ und „Rasse“ als oberste Sinnstiftungsinstanzen geglaubt, Kern der nationalsozialistischen Ideologie sei es jedoch ausschließlich gewesen, das Volk für den „Lebenskampf“ tauglich zu machen. Die Weltanschauung sei auf die Verabsolutierung weltlicher Bezüge, also sehr viel stärker auf die Immanenz als die Transzendenz ausgerichtet gewesen.102 Demgegenüber betont ClausEkkehard Bärsch, dass Hitler ein religiös bestimmtes Muster der Wahrnehmung von Gesellschaft und Macht gerade deshalb gehabt habe, weil er einen Bezug zwischen dem Glauben an einen allmächtigen Schöpfer und den weltimmanenten Bedingungen von Existenz und Macht hergestellt habe.103 Hitler habe an Gott, somit auch an die Transzendenz geglaubt sowie daran, dass man dessen Willen und auf diese Weise auch den Kausalverlauf irdischer und politischer Ereignisse beeinflussen könne.104 Dabei habe er die Vorstellung einer persönlichen Beziehung zu Gott und der „Vorsehung“ und der Koinzidenz zwischen der „Vorsehung“ und seinen politischen Entscheidungen gehabt sowie einer besonderen Beziehung zwischen Gott und dem deutschen Volk.105 Durch die Stilisierung der „Arier“ zum „höchsten Ebenbild des Herrn“ und der Juden zum „Widersacher jedes Menschentums“ hätten der Rassismus und Antisemitismus Hitlers religiösen Charakter erhalten und die Bekämpfung und Vernichtung der Juden die Erfüllung einer göttlichen Mission bedeutet.106 Sowohl Befürworter als auch Gegner der These vom Nationalsozialismus als „politischer Religion“ können sich für ihre Positionen auf plausible Argumente stützen. Mit letzter Sicherheit wird sich die Frage allerdings wohl nicht beantworten lassen. Als gesichert wird man annehmen können, dass eine wesentliche Ursache für die Kompromisslosigkeit der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ der absolute Glaube Hitlers und seiner Gefolgsleute an menschliche „Rassen“ und deren Kampf untereinander als bestimmende Faktoren der Weltgeschichte war, sei dieser Glaube nun ein religiöser oder ein pseudonaturwissenschaftlicher. Ebenso klar ist die Konsequenz dieser Kompromisslosigkeit: Der Nationalsozialismus konnte keinerlei konkurrierenden weltanschaulichen Einfluss auf das Recht zulassen. Die Machthaber konnten es zwar naturgemäß nicht ungeschehen machen, dass das von ihnen vorgefundene Recht bereits über Jahrhunderte hinweg durch unterschiedliche Einflüsse und Traditionen wie etwa biblische, antike griechische und römische sowie kirchliche geprägt worden war. Sie konnten jedoch den Versuch unternehmen, mit diesen Traditionen vollständig zu brechen, und dieses Unterfangen ging über die Gesetzgebung als solche sogar noch bis ins Symbolhafte hinaus, wie sich beispielhaft an Umbaumaßnahmen am 102 103 104 105 106

Hockerts, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 45 (62 u. 67). Bärsch, S. 280. Bärsch, S. 287 u. 291. Bärsch, S. 291 ff. Bärsch, S. 298 ff.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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Gerichtshaus in Bremen in den dreißiger Jahren zeigt. Die in dessen Treppenhaus als Fensterschmuck angebrachte Justitia wurde ebenso entfernt wie die über dem Eingang befindlichen Skulpturen von Moses, Solon und Justinian, wobei die Entfernung der beiden Letztgenannten wohl nur „vorsichtshalber“ neben dem auf das Judentum verweisenden Moses vorgenommen wurde.107 Am 26. Februar 1936 sollten auch die am Hauptportal angebrachten Zehn Gebote entfernt werden. Der Bremer Steinmetzobermeister setzte allerdings nur dünne Steinplatten davor – ob er dabei aus Eigeninitiative handelte oder mit Zustimmung der Beteiligten von Gericht und Hochbauamt, lässt sich nicht feststellen –, und so konnte diese Maßnahme nach dem Zweiten Weltkrieg im September 1945 wieder rückgängig gemacht werden.108 Insgesamt lässt sich die Reduzierung beziehungsweise Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft im Ergebnis als ein, wenn auch für sich genommen eher kleiner Teil des großangelegten Versuchs der nationalsozialistischen Machthaber deuten, ihrer Ideologie widersprechende religiös-weltanschauliche Traditionen und Einflüsse aus dem geltenden Recht auszulöschen beziehungsweise ein um diese Einflüsse „bereinigtes“ neues Recht zu schaffen – ein Vorhaben, zu dem der Nationalsozialismus wegen seines kompromisslosen Charakters keine Alternative zuließ, auch wenn man ihn nicht als „politische Religion“ ansieht. 4. Das Kirchenpolitik des nationalsozialistischen Staates bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Die Kompromisslosigkeit der nationalsozialistischen Ideologie mit ihrer Auffassung von Geschichte als Existenzkampf menschlicher „Rassen“ untereinander als wesentlichem Kernbestandteil und, sofern man dieser These folgt, der Charakter des Nationalsozialismus als „politische Religion“ liefern eine Erklärung dafür, warum die Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft im „Dritten Reich“ gelockert beziehungsweise abgeschafft wurden. Nicht erklären lässt sich auf diese Weise allerdings, warum sich der nationalsozialistische Gesetzgeber bis zum Jahr 1938 mit diesen Änderungen Zeit ließ und sie nicht bereits früher durchführte. Da es in der amtlichen Begründung zum Ehegesetz bezüglich der Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft ähnlich wie in den Motiven zum Ersten Entwurf des BGB geheißen hatte, dass sein Tatbestand nur in seltenen Fällen überhaupt festgestellt werden könne, sofern nicht gleichzeitig ein Eheverbot wegen Schwägerschaft begründet sei und sich deshalb schon aus Gründen der Gerechtigkeit die Beseitigung dieser auch den meisten anderen Rechtsordnungen fremden Bestimmung empfohlen habe109, 107 108 109

Larisch, S. 96. Larisch, S. 93 ff. DJ 1938, S. 1102 (1103).

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hätten sich schon zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur ohne weiteres nachvollziehbare Gründe für eine entsprechende Gesetzesänderung vorbringen lassen. Dies hätte darüber hinaus für das Regime auch den Vorteil gehabt, dass es sich auf eine frühere, nicht-nationalsozialistische Argumentation hätte berufen können sowie darauf, denjenigen Zustand wiederherzustellen, der bereits durch das RPStG herbeigeführt worden war. Beides hätte Kritik, sofern sie überhaupt vorgetragen worden wäre, entgegenwirken können. Doch nichts dergleichen taten die Nationalsozialisten. Da die Lockerung beziehungsweise Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft auch den Abbruch einer sowohl katholischen, als auch protestantischen kirchenrechtlichen Tradition bedeutete und daher in einem früheren Stadium der nationalsozialistischen Herrschaft möglicherweise auf Ablehnung seitens der Kirchen gestoßen wäre, liegt es nahe, die Erklärung für den relativ späten Zeitpunkt dieser Gesetzesänderungen in der Kirchenpolitik des nationalsozialistischen Staates bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu suchen. Dabei zeigte sich ein ähnliche, sich stetig radikalisierende Dynamik wie bei der Ehegesetzgebung in der Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft. Zunächst ging es darum, die Kirchen als potentiell oppositionelle Kräfte zu neutralisieren beziehungsweise in die Strukturen des nationalsozialistischen Staates einzubinden. Erst nachdem dies nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hatte, ging das Regime zu einer offen kirchenfeindlichen Politik über. Die nationalsozialistische Taktik gegenüber den christlichen Kirchen fasst der Schweizer Historiker Raphael Gross in seiner Monographie über die Novemberpogrome des Jahres 1938 folgendermaßen zusammen: „Schon während der, wie sie selbst sagte, ,Kampfzeit‘ der NSDAP vor 1933 hatte Hitler stets versucht, sein an esoterischen Fanatikern reiches Umfeld daran zu hindern, sich offen gegen Protestantismus und Katholizismus zu stellen. Hitler war an der Macht interessiert, eine Konfrontation mit den Kirchen wollte er vermeiden. Obwohl sich diese Strategie nach 1933 teilweise änderte, besaßen die in den Kirchen geäußerten Meinungen weiterhin Gewicht – so etwa die Kritik am ,Euthanasie‘-Programm oder an der Verfolgung von sogenannten Mischehen.“ 110

Gerade das Eherecht war also ein Gebiet, auf dem die Nationalsozialisten zunächst vorsichtig agieren mussten, wollten sie keinen Widerspruch seitens der Kirchen riskieren. a) Das Verhältnis des Nationalsozialismus zu den christlichen Kirchen während der Weimarer Republik und unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 Hitlers taktisches Verhältnis zu den christlichen Kirchen während der Jahre der Weimarer Republik zeigte sich unter anderem daran, dass er, um die politischen Erfolgsaussichten der NSDAP nicht zu schmälern, die Verfechter einer kämpfe110

Gross, S. 77.

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231

risch-antichristlichen, neuheidnischen völkischen Religiosität entweder einhegte oder sich sogar von ihnen trennte.111 In Art. 24 ihres Parteiprogramms vom 24. Februar 1920 hatte die NSDAP erklärt, sie vertrete „den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden“. Gleichzeitig wurde jedoch auch der unbedingte Vorrang der nationalsozialistischen Rassenideologie offen betont. So gelte die Freiheit der religiösen Bekenntnisse im Staat nur, „soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“.112 Auch nach der sogenannten „Machtergreifung“ setzte Hitler zunächst diese Doppelstrategie fort. In seiner Regierungserklärung vor dem Reichstag am 23. März 1933 führte er aus: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. Sie erwartet aber und hofft, dass die Arbeit an der nationalen und sittlichen Erhebung unseres Volkes, die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, umgekehrt die gleiche Würdigung erfährt. Sie wird allen anderen Konfessionen in objektiver Gerechtigkeit gegenübertreten. Sie kann aber niemals dulden, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession oder Rasse eine Entbindung von allgemeingesetzlichen Verpflichtungen sein könnte oder gar ein Freibrief für straflose Begehung oder Tolerierung von Verbrechen. Die nationale Regierung wird in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat. Der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und für die Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft dient ebenso sehr den Interessen der deutschen Nation wie denen unseres christlichen Glaubens.“ 113

Und kurz darauf, im außenpolitischen Teil seiner Regierungserklärung, führte er aus: „Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten.“ 114

Da die deutsche Bevölkerung 1933 nicht nur mehrheitlich aus Kirchenmitgliedern bestand, sondern von dieser Mehrheit wenigstens eine starke Minderheit ihren Glauben auch praktizierte, hatten die Nationalsozialisten auch nach ihrer Machtübernahme ein Interesse daran, die Bildung einer kirchlichen Opposition zu verhindern.115 Rückblickend betrachtet liegt es auf der Hand, dass Hitler

111 112 113 114 115

Strohm, S. 12 f.; Link, § 29 Rn. 1. Strohm, S. 13; Link, § 29 Rn. 1, dort auch Fn. 2. Reichstagsverhandlungen, Bd. 457, S. 28. Reichstagsverhandlungen, Bd. 457, S. 31. Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2, S. 24.

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durch die zitierten Äußerungen kirchlichen Vorbehalten entgegenwirken und die christlich geprägte Bevölkerung für das Regime einnehmen wollte.116 Diesem Interesse wäre eine zu frühe offensichtliche Abschneidung kirchenrechtlicher Traditionen in der Ehegesetzgebung zuwidergelaufen. b) Die Politik gegenüber der katholischen Kirche bis 1937 Die katholische Kirche hatte sich seit Mitte der zwanziger Jahre deutlich vom Nationalsozialismus abgegrenzt und die Unvereinbarkeit einer aktiven Parteinahme für ihn mit dem katholischen Glauben betont. Das „Moralgefühl der germanischen Rasse“ als Schranke der Freiheit des religiösen Bekenntnisses zu sehen, war auf starke Ablehnung gestoßen. Im deutschen Episkopat bewirkten die zitierten, kooperativ erscheinenden Äußerungen Hitlers im Frühjahr 1933 allerdings einen raschen Meinungsumschwung. Ende März wurden die bisherigen Verurteilungen zurückgenommen und die Bischöfe riefen die Katholiken zur Mitarbeit im nationalsozialistischen Staat auf.117 Obwohl Hitler versichert hatte, die nicht-politische Betätigung katholischer Vereine nicht zu beeinträchtigen, verübten in der Folgezeit lokale Parteigenossen zahlreiche gewaltsame Übergriffe auf deren Mitglieder, insbesondere der Jugendorganisationen, was es den Bischöfen als vordringliches Ziel erscheinen ließ, die Arbeit der Vereine und Verbände abzusichern. Die nationalsozialistische Staatsführung ging auf diese Sorge ein und lockte mit dem Abschluss eines Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich.118 Nach intensiven Verhandlungen wurde dieses am 20. Juli 1933 von Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., und dem deutschen Vizekanzler Franz von Papen im Vatikan unterzeichnet. Es sicherte der Kirche unter anderem in Art. 21 den katholischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den Volksschulen, Berufsschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten zu, gewährleistete in Art. 23 die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen und schützte in Art. 31 katholische Organisationen und Verbände.119 Dass sich die Kirche als Gegenleistung in Art. 32 „aufgrund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung“

zum Erlass von „Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschlie116 Link, § 29 Rn. 1; zu den zitierten Passagen aus Hitlers Regierungserklärung siehe dort auch Fn. 3. 117 Link, § 29 Rn. 8 ff.; Strohm, S. 15 und 31. 118 Strohm, S. 31 f. 119 Link, § 29, Rn. 10 f.; zum Text des Konkordates siehe RGBl. II 1933, S. 679.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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ßen“ verpflichtete, bedeutete ihre Abwendung von den Parteien des politischen Katholizismus.120 Zwar wurden entsprechende Bestimmungen in der Folgezeit von der Kirche nicht erlassen.121 Dies dürfte seinen Grund allerdings lediglich darin gehabt haben, dass sich bereits vor der Paraphierung des Konkordates die Bayerische Volkspartei und das Zentrum am 4. beziehungsweise 5. Juli 1933 aufgelöst hatten.122 Damit war der politische Katholizismus als Machtfaktor neutralisiert und auf dieser Grundlage konnte das nationalsozialistische Regime darangehen, den weltanschaulichen Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen.123 In den Jahren von 1934 bis 1938 verfolgte es etwa durch eine Kampagne zur Beseitigung der Konfessionsschulen die Taktik, durch das Konkordat garantierte Rechtspositionen bis zur Substanzlosigkeit auszuhöhlen, ohne dabei die Vereinbarung mit der Kirche formell zu brechen.124 Daneben kam es weiterhin zu gewalttätigen konkordatswidrigen Übergriffen auf katholische Verbände und der staatlichen Förderung neuheidnischer, christentumsfeindlicher Religiosität.125 Dem Ziel, die katholische Kirche als moralische Autorität zu diskreditieren, diente eine propagandistisch ausgeschlachtete Welle von Prozessen gegen Priester und Ordensangehörige wegen Sittlichkeits- und Devisendelikten.126 Die Reaktion der Kirche war die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die Papst Pius XI. am 14. März 1937 unterzeichnete und die in ihrer Einleitung unter anderem „Machenschaften, die von Anfang an kein andere Ziel kannten als den Vernichtungskampf“ anprangerte.127 Die Taktik eines formellen Ausgleichs mit der Kirche war damit offenkundig gescheitert. c) Die Politik gegenüber den evangelischen Landeskirchen bis 1937 Die 28 evangelischen Landeskirchen hatten sich 1922 unter Wahrung ihres jeweiligen Bekenntnisstandes im Deutschen Evangelischen Kirchenbund föderativ zusammengeschlossen.128 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der sogenannten „Gleichschaltung der Länder“ kam es zu Diskussionen über eine den neuen politischen Verhältnissen entsprechende Umgestaltung der kirchlichen Verfassung. Der Kirchenbund sollte durch die Schaffung einer evangelischen Reichskirche ersetzt werden.129 Konsequenz dieser Überlegungen war die 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129

Link, § 29, Rn. 9; Strohm, S. 33. Gruber, S. 106, dort Fn. 1. Vgl. Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2, S. 686; Link, § 29, Rn. 9. Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2, S. 690 f. Link, § 29, Rn. 21. Strohm, S. 63 und 65. Link, § 29, Rn. 23; Strohm, S. 65. Strohm, S. 65 f. Link, § 28, Rn. 6; Strohm, S. 26. Strohm, S. 25; Link, § 29, Rn. 5.

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„Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche“ vom 14. Juli 1933.130 Gemäß Art. 5 stand an der Spitze der neugegründeten Reichskirche ein „Reichsbischof“, diesem zur Seite ein „Geistliches Ministerium“. Bei der Bestellung der Kirchenleitung und der Gesetzgebung wirkte eine „Deutsche Evangelische Nationalsynode“ mit. Art. 5 des „Gesetzes über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche“ 131 setzte für die in der DEK zusammengeschlossenen Landeskirchen Kirchenneuwahlen für den 23. Juli 1933 an. Bei diesen errang die nationalsozialistische „Glaubensbewegung Deutsche Christen“, zu deren Wahl Hitler trotz der Zusicherung des zuständigen Staatssekretärs, das Reich werde die reibungslose und unparteiische Durchführung der Wahl garantieren, aufgerufen hatte, eine Zweidrittelmehrheit. 132 Dies führte zu der Bildung deutschchristlicher Kirchenleitungen in den meisten evangelischen Landeskirchen.133 Die Deutsche Nationalsynode in Wittenberg wählte Ende September den ostpreußischen Wehrkreispfarrer und deutschchristlichen Berater Hitlers in Kirchenfragen Ludwig Müller zum Reichsbischof.134 Als Gegenbewegung zu diesem Versuch der „Gleichschaltung“ der evangelischen Landeskirchen trat jedoch ebenfalls in Wittenberg der Pfarrernotbund auf, dem bis Ende 1933 rund ein Drittel der evangelischen Pastoren angehörte und aus dem innerhalb weniger Wochen die Bekennende Kirche hervorging, die sich zwar nicht als politische Opposition verstand, aber auf ihrer Barmer Bekenntnissynode im Mai 1934 den deutschchristlichen Kirchenleitungen die Gefolgschaft verweigerte und im Herbst desselben Jahres auf ihrer Bekenntnissynode von Dahlem formell mit ihnen brach und mit den Bruderräten eigene Leitungsorgane für die Gemeinden bestellte.135 Damit war der nationalsozialistische Versuch, in der protestantischen Kirche die Macht zu übernehmen, zunächst gescheitert. Von den Deutschen Christen abgesetzte Landesbischöfe durften im Herbst 1934 wieder in ihre Ämter zurückkehren, was faktisch die Entmachtung Ludwig Müllers bedeutete, auch wenn er den Titel des „Reichsbischofs“ weiterhin führen durfte.136 Das Scheitern des Versuchs der Eingliederung der Landeskirchen in die DEK verschaffte denjenigen nationalsozialistischen Kräften Auftrieb, die von Anfang an auf eine Zurückdrängung der Kirchen aus der Öffentlichkeit statt auf eine Umgestaltung der protestantischen Kirche durch die Deutschen Christen gesetzt

130 Anlage zum „Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche“ vom 14. Juli 1933 (RGBl. I 1933, S. 471); zur Entstehungsgeschichte siehe Strohm, S. 25 ff. und Link, § 29, Rn. 6. 131 RGBl. I 1933, S. 471. 132 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2, S. 691; Link, § 29, Rn. 7, dort Fn. 16. 133 Strohm, S. 35. 134 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2, S. 691. 135 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2, S. 691; Link, § 29, Rn. 14 f. 136 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2, S. 692; Link, § 29, Rn. 16.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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hatten.137 Zunächst verlegte das Regime sich jedoch auf Maßnahmen, um den innerkirchlichen Einfluss des Staates auszuweiten. De facto eine staatliche Zwangsetatierung bedeutete die als „Rechtshilfe“ firmierende Einrichtung von Finanzabteilungen bei den obersten Leitungsbehörden der preußischen Landeskirchen im Februar und März 1935, die für die Festsetzung des Haushaltsplans und der Umlagen sowie die gesamte Vermögens-und Kirchensteuerverwaltung zuständig und zwar mit kirchlichen Beamten besetzt waren, die jedoch dem Staat gegenüber Verantwortung für die ordnungsgemäße Vermögensverwaltung trugen. Gemeinden der Bekennenden Kirche konnten dadurch nicht mehr eigenständig über ihre Vermögen und Spendenzuflüsse verfügen und verloren auf diese Weise eine wesentliche Voraussetzung für ein unabhängiges Gemeindeleben.138 § 1 des „Gesetzes über das Beschlussverfahren in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche“ vom 26. Juni 1935 bestimmte, dass das entscheidende Gericht das Verfahren bis zur Entschließung der beim Reichsinnenministerium zu bildenden „Beschlussstelle in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche“ auszusetzen hatte, wenn die Entscheidung eines bürgerlichen Rechtsstreits davon abhing, ob seit dem 1. Mai 1933 in den Landeskirchen oder in der DEK getroffene Maßnahmen gültig seien oder nicht und die Gültigkeit von einem am Verfahren Beteiligten oder dem Gericht bezweifelt wurde.139 Mit dem „Erlass über die Zusammenfassung der Zuständigkeiten des Reichs und Preußens in Kirchenangelegenheiten“ vom 16. Juli 1935 gingen auf den Reichsminister ohne Geschäftsbereich Hanns Kerrl „die bisher im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern sowie im Reichs- und Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung bearbeiteten kirchlichen Angelegenheiten über“.140 Das „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“ vom 24. September 1935 ermächtigte ihn in seinem einzigen Paragraphen, „zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den evangelischen Landeskirchen (. . .), Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen“.141 Kerrl machte von dieser Ermächtigung Gebrauch, indem er, zunächst in der DEK und den preußischen, später auch in anderen Landeskirchen mit deutschchristlicher Kirchenleitung, die Einrichtung von Kirchenausschüssen anordnete, denen die Leitung und rechtliche Vertretung der jeweiligen Kirche oblag. In diesen sollte das gesamte kirchliche Spektrum vertreten sein, und da es Kerrl gelang, auch in der Bekennenden Kirche angesehene Persönlichkeiten zu gewinnen, kam es in der Folgezeit über die Frage der Zusammenarbeit zu deren

137 138 139 140 141

Strohm, S. 67. Link, § 29, Rn. 17; Strohm, S. 69. RGBl. I 1935, S. 774. RGBl. I 1935, S. 1029. RGBl. I 1935, S. 1178.

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Spaltung.142 Da die Kirchenausschüsse damit sowohl von Seiten des nicht kompromissbereiten Flügels der Bekennenden Kirche als auch kirchenfeindlicher Kreise der NSDAP unter Druck gerieten, trat der Reichskirchenausschuss 1937 zurück. Der Versuch, die protestantische Kirche quasi zu verstaatlichen, war damit ebenfalls gescheitert.143 d) „Entkonfessionalisierung“ in den letzten beiden Vorkriegsjahren Bis 1937 hätte ein abrupter Abbruch einer kirchenrechtlichen Tradition wie der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft wohl durchaus Widerspruch seitens der Kirchen hervorrufen und damit die Bestrebungen des nationalsozialistischen Regimes, sie zu unter staatliche Kontrolle zu bringen beziehungsweise gesellschaftlich zu neutralisieren, vermutlich eher konterkariert als gefördert. Das Scheitern ihrer Kirchenpolitik 1937 und die päpstliche Kritik am totalitären Weltanschauungsanspruch des Nationalsozialismus durch die Enzyklika vom 14. März desselben Jahres hatten der nationalsozialistischen Führung jedoch endgültig klar gemacht, dass die ideologisch-weltanschauliche Diskrepanz zwischen Christentum und Nationalsozialismus zu offensichtlich war, als dass ein möglichst konfliktfreies Arrangement mit den christlichen Kirchen möglich gewesen wäre.144 In den letzten beiden Vorkriegsjahren verschoben sich daher die Gewichte weiter zugunsten derjenigen Kräfte, denen es um die gründliche Zurückdrängung christlichen Einflusses auf die Gesellschaft ging.145 Das Stichwort hatte Reichsinnenminister Wilhelm Frick bereits am 7. Juli 1935 in einer Rede auf dem Gautag Westfalen-Nord in Münster gegeben, als er die nationalsozialistische Forderung nach einer „völligen Entkonfessionalisierung des gesamten öffentlichen Lebens“ erhob.146 Die Möglichkeit dazu bot sich in Österreich nach dem „Anschluss“ im März 1938. Das dort 1933/34 an die Macht gekommene diktatorisch-ständische „austrofaschistische“ Regime hatte am 5. Mai 1934 ebenfalls ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen147, das allerdings sowohl die deutsche Regierung, als auch die Kurie nach dem Einmarsch deutscher Truppen als hinfällig ansahen. Auch wurde das vom Deutschen Reich abgeschlossene Konkordat nicht auf Österreich erstreckt, so dass dort keine rechtlichen Hindernisse für eine antikirchliche Gesetzgebung bestanden.148 Weil die Kompetenzen des Reichsministers für kirchliche Angelegenheiten auch größten-

142 Link, § 29 Rn. 18; Strohm, S. 68 f.; ausführlicher zur Spaltung der Bekennenden Kirche siehe ebd., S. 70 ff. 143 Link, § 29, Rn. 18 f. 144 Kretschmar, Bd. 4, S. XII f. 145 Strohm, S. 81. 146 Kretschmar, Bd. 2, S. 331 f.; siehe auch Kretschmar, Bd. 4, S. XIV. 147 BGBl. II 1934, S. 33. 148 Link, § 29, Rn. 30.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

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teils auf das „Altreich“ beschränkt blieben, konnten die „weltanschaulichen Distanzierungskräfte“ in Staat und NSDAP (dies waren vor allem Rudolf Heß, der „Stabsleiter des Stellvertreters des Führers“ Martin Bormann, der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, Alfred Rosenberg sowie das Reichspropaganda- und das Reichserziehungsministerium unter den Ministern Joseph Goebbels und Bernhard Rust149) dort Schritte in Richtung der angestrebten vollständigen „Entkonfessionalisierung“ unternehmen.150 Maßnahmen dazu waren die Verstaatlichung nahezu aller kirchlichen Privatschulen, die Aufhebung von kirchlichen Organisationen, zahlreichen Klöstern und einigen theologischen Fakultäten, Vermögensbeschlagnahmungen, die Behinderung kirchlicher Arbeit staatlicherseits sowie eine aggressive Kampagne, um die Menschen zum Kirchenaustritt zu bewegen.151 Nach § 1 des am 1. Mai 1939 in Kraft getretenen „Gesetzes über die Erhebung von Kirchenbeiträgen im Lande Österreich“ 152 waren die katholische, die evangelische und die alt-katholische Kirche berechtigt, nach Maßgabe von ihnen zu erlassender Kirchenbeitragsordnungen zur Deckung ihres Sach- und Personalbedürfnisses Kirchenbeiträge zu erheben. § 3 Abs. 1 Satz 2 erklärte (auf persönliche Weisung Hitlers153) für die Geltendmachung des Anspruchs auf Kirchenbeiträge den Rechtsweg für zulässig; nach Abs. 2 bedurften die Kirchenbeitragsordnungen und die die Beiträge festsetzenden Beschlüsse der staatsaufsichtlichen Genehmigung. Die genannten Kirchen waren nach § 4 Abs. 1 verpflichtet, alljährlich vor Beginn des Rechnungsjahres der Staatsaufsichtsbehörde einen Haushaltsplan über die beabsichtigte Verwendung der Einnahmen aus eigenen Mitteln und dem voraussichtlichen Kirchenbeitragsaufkommen vorzulegen, ferner dazu, nach Ablauf des Rechnungsjahres die Verwendung der Mittel nachzuweisen. Nach Abs. 2 war die Staatsaufsichtsbehörde berechtigt, in die kirchliche Vermögensverwaltung Einsicht zu nehmen und über die Haushaltsposten jede ihr erforderlich erscheinende Auskunft zu verlangen, und konnte einzelne Haushaltsposten mit der Wirkung beanstanden, dass sie zu streichen waren. § 5 hob alle öffentlichen Beiträge zur Deckung des kirchlichen Finanzbedarfes im Hinblick auf die durch das Gesetz eröffneten Einnahmequellen auf. Das Gesetz machte mit seinen Regelungen den Aufbau eines kircheneigenen Finanzierungssystems erforderlich und sollte zum finanziellen Ruin der Kirchen und zu einem massenhaften Kirchenaustritt der Österreicher führen, die Kirchenbeiträge bisher nicht gewohnt waren.154 Zumindest langfristig sollten entsprechende Maßnahmen nicht auf die 1938 annektierten Gebiete beschränkt bleiben. So drängte Bormann in einem Schreiben an den Reichserziehungs- und den Reichspropagandaminister 149 150 151 152 153 154

Kretschmar, Bd. 4, S. XIV; Strohm, S. 81. Kretschmar, Bd. 4, S. XII; Strohm, S. 81. Link, § 29, Rn. 30; Strohm, S. 81. Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 543/1939; Link, § 29, Rn. 31. Link, § 29, Rn. 31. Link, § 29, Rn. 31.

238 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

vom 29. Oktober 1938, im Ergebnis allerdings erfolglos, darauf, das bereits als Entwurf fertiggestellte Privatschulgesetz zu verkünden, mit dem im ganzen Reich Ordens- und Klosterschulen beseitigt werden sollten.155 Einem Schreiben vom 27. Mai 1939 zufolge plante er außerdem auch für das „Altreich“ eine dem österreichischen Kirchenbeitragsgesetz entsprechende Regelung.156 Es ist nachvollziehbar, dass auch diejenigen eherechtlichen Bestimmungen, die wie das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft kirchenrechtlicher Tradition entsprachen, erst endgültig ins Visier der Machthaber gerieten, nachdem sich die Befürworter eines Kurses der aggressiven Zurückdrängung christlichen beziehungsweise kirchlichen Einflusses durchgesetzt hatten. Das Ehegesetz von 1938, das auch in Österreich die obligatorische Zivilehe einführte und auf diese Weise erstmals die vom religiösen Bekenntnis unabhängige staatsbürgerliche Gleichheit herstellte, war Bestandteil dieser Politik der „Entkonfessionalisierung“.157 Dabei verband sich die Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der christlichen Kirchen im nationalsozialistischen Staat aber wohl mit einer subtileren Taktik, wie sie etwa Rudolf Heß in einer Rede am 12. September 1938 auf dem Parteikongress der NSDAP in Nürnberg propagierte und die er selbst als „Totschweigetaktik“ bezeichnete: „Eine Religion, die zwei Jahrtausende alles Leben des Volkes beeinflusste, ja zeitweise sogar beherrschte, kann nicht vernichtet oder überwunden werden durch äußerliche Methoden – schon gar nicht durch oberflächliches Geschwätz, durch Verächtlichmachung, durch Leugnen der Gottheit, wie es auch vorgekommen ist. Durch Ungeschicklichkeiten oder gar Geschmacklosigkeiten auf diesem Gebiete können nur zu leicht Menschen, die sonst eindeutig dem neuen Reich zugetan sind, abgestoßen werden bis zur inneren Opposition, auch auf politischem Gebiet – das kann nicht oft genug wiederholt werden. (. . .) Je mehr wir Nationalsozialisten religiöse Auseinandersetzungen vermeiden, kirchlichen Feiern fernbleiben, andererseits durch Pflichterfüllung, Gerechtigkeit und Treue das Vertrauen des Volkes erwerben, desto mehr Menschen werden sich zum Nationalsozialismus gehörig fühlen. Je mehr durch den Erfolg unserer Arbeit der Nationalsozialismus als Segen empfunden wird, je mehr die Überzeugung um sich greift, dass die Vorsehung mit uns und unserem Werke ist, desto mehr wird das Volk im Nationalsozialismus eine gottgewollte Ordnung und Einrichtung erkennen, und sich innerlich von den Kirchen und ihren Dogmen allmählich umso weiter entfernen, je mehr diese gegen uns stehen.“ 158

Ein daran orientiertes Vorgehen lässt wiederum die amtliche Begründung zum Ehegesetz vermuten. Sie bringt einerseits eine aggressive, antikirchliche Haltung zum Ausdruck, verbindet diese aber mit dem Streben nach einem Nutzen für das gesamte Volk ohne Rücksicht auf die Konfessionszugehörigkeit des Einzelnen. 155 156 157 158

Kretschmar, Bd. 4, S. 239 f.; Strohm, S. 81. Kretschmar, Bd. 4, S. XII und 358 ff. Link, § 29, Rn. 30, dort Fn. 74. Kretschmar, Bd. 4, S. 230.

B. Die Gesetzesänderungen des Jahres 1938

239

So wird zwar bezüglich des Rechts der Eheschließung und Ehescheidung allgemein betont: „Starre dogmatisch-kirchliche Bindungen hatten auf diesem für den einzelnen Volksgenossen wie für die Volksgemeinschaft lebenswichtigen Gebiet in Österreich zu Missständen geführt, die über den Rahmen der einzelnen Familie hinaus das öffentliche Leben zu vergiften drohten und deshalb schleunigst beseitigt werden mussten. Bei der Bedeutung, die der Ehe als der Grundlage allen völkischen Lebens im nationalsozialistischen Staat zukommt, würde es nicht länger erträglich sein, wenn in einem Teil des nationalsozialistischen großdeutschen Reiches auch weiterhin die Mehrzahl aller Ehen ohne jede Mitwirkung des Staates als des Repräsentanten völkischen Wollens geschlossen werden könnte und je nach der Konfessionszugehörigkeit oder dem Religionsbekenntnis der Verlobten verschiedene Vorschriften über die Voraussetzungen und die Form der Eheschließung anzuwenden wären. (. . .) In wirklich befriedigender Weise können diese und andere noch näher darzulegende Missstände auf dem Gebiet des österreichischen Eherechts, wie eingehende Beratungen mit den österreichischen Stellen gezeigt haben, weder durch Anwendung der für Nichtkatholiken in Österreich geltenden Vorschriften, noch auf Grund der zur Zeit im Altreich bestehenden, dringend reformbedürftigen Bestimmungen bereinigt werden. Eine den dringendsten Bedürfnissen voll entsprechende Lösung ist vielmehr nur möglich durch die alsbaldige Einführung eines neuen Eheschließungs- und Ehescheidungsrechtes im ganzen Reichsgebiet einschließlich Österreichs.“ 159

Die österreichische Bevölkerung empfand das geltende Eheschließungsrecht wohl tatsächlich als unerträglich und erwartete von Hitler nachdrücklich Abhilfe.160 Die Nationalsozialisten konnten also damit rechnen, dass eine konfessionsunabhängige Neuregelung ganz überwiegend begrüßt werden würde. Im sogenannten „Altreich“ war die Bevölkerung seit Inkrafttreten des RPStG, spätestens des BGB an ein einheitliches und nicht mehr konfessionell gebundenes Eheschließungsrecht gewöhnt, so dass auch dort mit keinen nennenswerten Irritationen durch das Ehegesetz zu rechnen war. Damit dürfte den Machthabern auch das Risiko einer direkten Konfrontation mit den Kirchen als gering erschienen sein. Sie konnten es sich wie gezeigt bei der Begründung sogar eine zwar im Allgemeinen bleibende, aber ausdrückliche Polemik gegen kirchliche Dogmen leisten. Wesentlich knapper und vorsichtiger ging die Begründung dagegen auf die Beseitigung des in Deutschland noch geltenden Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft ein. Ohne Hinweis auf dessen Entstehungsgeschichte wurden die hinlänglich bekannten praktischen Bedenken aufgegriffen und ansonsten die grundsätzliche Kontinuität der §§ 6 bis 14 des Ehegesetzes mit dem BGB betont: „Die §§ 6–14 des Gesetzes entsprechen, abgesehen von einigen Fassungsänderungen und Umstellungen, im Wesentlichen den Bestimmungen der §§ 1309 bis 1315 BGB. Lediglich die Bestimmung des § 1310 Abs. 2 BGB ist nicht übernommen worden, weil der Tatbestand des dort geregelten Ehehindernisses der Geschlechtsgemein159 160

DJ 1938, S. 1102 (1102). Gruchmann, ZNR 11, S. 63 (69).

240 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung schaft, sofern er nicht gleichzeitig ein Eheverbot wegen Schwägerschaft begründet, nur in seltenen Fällen überhaupt festgestellt werden kann, so dass sich schon aus Gründen der Gerechtigkeit die Beseitigung dieser auch den meisten anderen Rechtsordnungen fremden Bestimmung empfahl.“ 161

Es ist durchaus denkbar, dass die Machthaber befürchteten, wegen der Aufgabe einer kirchenrechtlichen Tradition bei den Kirchen und kirchentreuen Teilen der Bevölkerung eher auf Unverständnis zu stoßen als wegen der Aufgabe des konfessionell geprägten österreichischen Eheschließungsrechts zwecks Zusammenführung mit dem deutschen. Dies konnte nicht in ihrem Interesse liegen. Deshalb erscheint es plausibel, dass sie dies durch ein Abstellen auf nicht näher definierte „Gerechtigkeitsgründe“ und den Hinweis auf ausländische Rechtsordnungen zu vermeiden suchten. Letzteres erweckte den Anschein, das deutsche Recht werde lediglich einer auch international weithin anerkannten Normalität angepasst, und konnte deshalb die nationalsozialistische Motivation für die Neuregelung überdecken. Das neue Ehegesetz sollte also vermutlich insgesamt als Dienst der nationalsozialistischen Regierung für das Wohl des gesamten, nunmehr in einem Reich vereinten „großdeutschen“ Volkes verstanden, Ansatzpunkte für Kritik seitens der Kirchen oder kirchlich gesinnter Bevölkerungskreise dabei nach wie vor möglichst vermieden werden.

IV. Fazit Das Bundesverfassungsgericht lag 1973 mit seiner Einschätzung, die Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft sei nicht von nationalsozialistischen Vorstellungen von der Ehe bestimmt gewesen, falsch. Es kann zwar nicht ausgeschlossen, sondern dürfte sogar als wahrscheinlich angesehen werden, dass daneben auch die Einwände eine Rolle gespielt haben, das Eheverbot lasse sich kaum beweisen, sei ungerecht und den meisten anderen Rechtsordnungen fremd. Entscheidendes Kriterium aber dürfte die nationalsozialistische Ideologie gewesen sein, die geradezu zwingend zu seiner Aufhebung sowie zur Lockerung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft führen musste. Diese Schlussfolgerung legt bereits wie dargestellt die amtliche Begründung zum Ehegesetz nahe. Da auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung auf diese rekurrierte und ihr ausdrücklicher Hinweis auf die „nationalsozialistische Weltanschauung“ sich unmöglich übersehen lässt, bleibt es unverständlich, warum das Gericht zu dieser Ansicht gelangte. Mit Sicherheit klären lassen wird es sich wohl nicht mehr. Man kann in dieser Hinsicht nur Mutmaßungen anstellen. Schwer vorstellbar erscheint, dass die Richter befürchteten, ihre Entscheidung über die Unvereinbarkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft mit dem Grundgesetz angreifbar zu machen, wenn sie darin eingeräumt hätten, dass die Abschaffung des Verbotes 1938 zumindest auch der Implementierung der nationalsozialisti161

DJ 1938, S. 1102 (1103).

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946

241

schen Ideologie im Gesetzeswege gedient hat. Kritiker ihrer Entscheidung hätten zwar die Frage stellen können, warum das Grundgesetz dieselbe rechtliche Schlussfolgerung gebiete wie der Nationalsozialismus. Insofern wäre nachvollziehbar, wenn die Richter jeden Ansatzpunkt für solch eine Kritik hätten vermeiden wollen. Allerdings hätte bereits der einfache Hinweis darauf, dass der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat des Grundgesetzes und der nationalsozialistische Unrechtsstaat auf vollkommen unterschiedlichen Grundprinzipien aufbauten und hier nur zufällig zu demselben einfachgesetzlichen Ergebnis gelangten, einer solchen Kritik den Wind aus den Segeln nehmen können. Möglicherweise begnügten sich die Richter aber auch einfach deshalb mit dem Hinweis auf die praktischen Bedenken gegen das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft in der amtlichen Begründung, weil ihr Fokus auf der Klärung der Verfassungsmäßigkeit dieses Verbotes und nicht auf seiner rechtshistorischen Entwicklung lag. Eventuell war es auch schlicht am einfachsten, auf diese Gründe anzustellen, die ja bereits aus den Beratungen zum BGB hinlänglich bekannt waren. Was auch immer die Richter 1973 zu ihrer Einschätzung veranlasst haben mag, es bleibt festzuhalten, dass der nationalsozialistische Gesetzgeber mit seinen Reformen des Jahres 1938 zu den Eheverboten wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft sicherlich nicht die Fortführung der Liberalisierung des Eherechts beabsichtigt hat162, sondern dadurch vielmehr seinen umfassenden Ausschließlichkeitsanspruch auf dem für ihn enorm wichtigen Gebiet des Eherechts durchsetzen wollte.

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946 Bereits mit Ende des Zweiten Weltkrieges durch die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945163 war die politische Gewalt in Deutschland faktisch auf die Siegermächte übergegangen.164 Offiziell übernahmen deren Regierungen mit Erklärung vom 5. Juni 1945165 die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, und zwar „einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden“. Diese oberste Gewalt wurde von den vier Alliierten Oberbefehlshabern ausgeübt, die gemein-

162

In diesem Sinne möglicherweise Köbler, S. 249 f. Zur Kapitulationsurkunde siehe ABl. KR, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 6. 164 Willoweit/Schlinker, § 41, Rn. 3. 165 „Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und durch die Provisorische Regierung der Französischen Republik“, ABl. KR, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 7 ff. 163

242 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

sam den Kontrollrat bildeten.166 Diesem kam unter anderem die Aufgabe des Erlasses von allgemeingültigen Gesetzen zu.167 Mit dem „Gesetz Nr. 16“ vom 20. Februar 1946168 erließ er das Ehegesetz von 1938 praktisch erneut, allerdings bereinigt von den nationalsozialistisch geprägten Normen.169 Diese Bereinigung kam bereits terminologisch zum Ausdruck, da nunmehr statt von „Blutsverwandtschaft“ und „Blutsverwandten“ wie vorher wieder von „Verwandtschaft“ und „Verwandten“ die Rede war. Nach § 4 Abs. 1 durfte eine Ehe nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten gerader Linie, wobei gleichgültig war, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte. Eine Regelung entsprechend § 7 des Ehegesetzes von 1938, dass es nicht darauf ankomme, ob die die Schwägerschaft vermittelnde Ehe für nichtig erklärt oder aufgelöst worden war, oder Schwägerschaft im Sinne der Vorschrift zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten unabhängig davon bestand, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte, war nicht übernommen worden. Ein weiterer, wichtiger Unterschied war die Wiedereinführung des Verbotes der Ehe zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hatte, gemäß § 4 Abs. 2. Nach Abs. 3 konnte vom Eheverbot wegen Schwägerschaft wie bisher Befreiung erteilt werden. Die Regelung zum Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft in § 7 entsprach wörtlich § 10 des Ehegesetzes von 1938. Sachlich übernommen wurden in § 21 die Bestimmungen über die Rechtsfolgen verbotswidrig geschlossener Ehen. Nach Abs. 1 war eine zwischen Verwandten oder Verschwägerten entgegen dem Verbot des § 4 geschlossene Ehe nichtig. Gemäß Abs. 2 war die Ehe zwischen Verschwägerten als von Anfang an gültig anzusehen, wenn nachträglich Befreiung nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 bewilligt wurde. Für die Erteilung der Befreiung galt in der amerikanischen und der französischen Besatzungszone grundsätzlich die bereits genannte Durchführungsverordnung vom 27. Juli 1938 fort.170 Abgesehen davon, dass sie auf die Bestimmung verzichtete, dass die Befreiung versagt werden sollte, wenn der Mann erheblich jünger als die Frau war oder wenn die beabsichtigte Ehe aus gesundheitlichen Gründen unerwünscht war, legte für die britische Besatzungszone in nahezu wörtlicher Übereinstimmung die „Verordnung zur Ausführung des Ehegesetzes vom 20. Februar 1946 (Kontrollratsgesetz Nr. 16)“ vom 12. Juli

166 „Feststellung seitens der Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken sowie der Provisorischen Regierung der Französischen Republik über das Kontrollverfahren in Deutschland“ vom 5. Juni 1945, ABl. KR, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 10. 167 Nr. 1 b) der „Direktive Nr. 10“ vom 22. September 1945, ABl. KR, Nr. 4, S. 38. 168 ABl. KR, Nr. 4, S. 77 ff. 169 Vgl. Ramm, Festschr. f. Fraenkel, S. 151 (151). 170 Siehe BVerfGE 36, 146 (150).

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946

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1948171 des Zentraljustizamtes in ihren §§ 3 und 4 Zuständigkeit und Richtlinien für die Befreiung fest. Die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft wurde bereits in den späten vierziger Jahren vor der Gründung der beiden deutschen Staaten kontrovers beurteilt. Der Göttinger Hochschullehrer Günther Beitzke stellte 1946 in der „Deutschen Rechts-Zeitschrift“ fest, das neue Ehegesetz sei in seinem § 4 mit Recht zur Regelung des früheren § 1310 BGB zurückgekehrt. Das Ehehindernis der Geschlechtsgemeinschaft beruhe ebenso wie diejenigen wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft nicht so sehr auf eugenischen Erwägungen, sondern auf uralten kultischen und sittlichen Vorstellungen. Dem entspreche es, dass jedenfalls da, wo die frühere Geschlechtsgemeinschaft mit Eltern oder Nachkommen des anderen Verlobten offenkundig sei, die Ehe häufig sittlich anstößig wäre und darum nicht geschlossen werden dürfe. Soweit die Geschlechtsgemeinschaft nicht bekannt oder beweisbar sei, werde die Rechtsordnung durch das faktische Bestehen der verbotenen Ehe nicht wesentlich erschüttert. Umgekehrt würde es aber falsch sein, wegen der Fälle, in denen das Ehehindernis nicht beweisbar sei, in anderen Fällen sittlich anstößige Ehen zuzulassen. Das Ehegesetz von 1938 habe extrem individualistisch auf das ungerechte Ergebnis im Einzelfall abgestellt, ohne auf die sittlichen Forderungen der Rechtsgemeinschaft zu achten. § 4 des neuen Ehegesetzes gehe allerdings über das kanonische Recht hinaus, welches das Ehehindernis wegen Geschlechtsgemeinschaft nur noch bei nichtigen Ehen und offenkundigem Konkubinat vorsehe und dadurch Denunziationen und peinliche Nachforschungen des Standesbeamten vermeide. Das Eheverbot auf diese Fälle zu beschränken wäre wohl zweckmäßig gewesen. Zudem sollte auch die Möglichkeit der Befreiung vorgesehen werden.172 Auch in seinem 1947 in erster Auflage erschienenen Lehrbuch zum Familienrecht gab Beitzke zu, dass das Ehehindernis der Geschlechtsgemeinschaft oft nicht beweisbar sei und das Verbot zu Denunziationen und für den Standesbeamten peinlichen Nachforschungen führe. Es ganz zu streichen, wäre dennoch falsch, da dort, wo die Geschlechtsgemeinschaft offenkundig sei, eine derartige Ehe oft Anstoß erregen werde.173 Ein Essener Landgerichtsrat Rohs wies demgegenüber 1948 in der „Deutschen Rechts-Zeitschrift“ auf die merkwürdigen Resultate hin, zu denen die Regelung des § 4 Abs. 2 und 3 Ehegesetz führen könnte. Das Ehehindernis der Geschlechtsgemeinschaft liege auch dann vor, wenn sie in einer Ehe stattgefunden habe. In den Fällen des Ehehindernisses wegen Schwägerschaft bestehe also fast immer auch das der Geschlechtsgemeinschaft. Die Befreiung vom Ehehindernis wegen Schwägerschaft könne daher abgesehen von wenigen Ausnahmefällen bei der geltenden Rechtslage nicht mehr erteilt werden, da die Ehe den171 172 173

BrVOBl. 1947/1948, S. 210. Beitzke, DRZ 1946, S. 136 (137). Beitzke, (1. und 2. Aufl.), jeweils S. 26.

244 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

noch wegen des Bestehens des Ehehindernisses der Geschlechtsgemeinschaft doch nicht eingegangen werden könne. Die Befreiung sei also zwecklos. Ihre Versagung bedeute aber in vielen Fällen für die Beteiligten eine schwere und unbillige Härte. Daher sei eine Änderung von § 4 des Ehegesetzes, entweder durch Wiederzulassung der Befreiung vom Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft oder durch Aufhebung des Verbotes, erforderlich. Bei Wiederzulassung würde in den Fällen, in denen gleichzeitig auch das Ehehindernis der Schwägerschaft bestehe, bezüglich beider Verbote stets die gleiche Entscheidung zu treffen sein, da in beiden Fällen dieselben Gesichtspunkte maßgebend seien. In diesen Fällen sei es parktisch bedeutungslos, ob die Befreiung wieder zugelassen oder das Verbot aufgehoben werde. Bedeutung habe es nur bei einer außerehelichen Geschlechtsgemeinschaft. Fälle einer Geschlechtsgemeinschaft in einer Ehe, bei denen das Ehehindernis wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht bestehe, wenn etwa ein geschiedener Ehemann die nach der Scheidung geborene, von einem anderen Mann gezeugte Tochter seiner früheren Ehefrau heiraten wolle, könnten wegen ihrer Seltenheit außer Betracht bleiben. Wenn dem Standesbeamten die außereheliche Geschlechtsgemeinschaft nicht amtsbekannt sei, sei er nur dann zu Nachforschungen verpflichtet, wenn sie ihm von dritter Seite zur Kenntnis gebracht werde. Dass dies nur in sehr seltenen Fällen geschehe, liege auf der Hand. In den weitaus meisten Fällen werde die verbotene Ehe daher dennoch geschlossen. Daher empfehle sich ein Verzicht auf das auch den meisten ausländischen Rechtsordnungen fremde Eheverbot. Bleibe es bestehen, würde bei Feststellung einer außerehelichen Geschlechtsgemeinschaft die Befreiung wohl meist nachgesucht und in der Mehrzahl der Fälle wohl auch erteilt werden. Die Beibehaltung würde daher lediglich in den zahlenmäßig verschwindend geringen Fällen der Versagung der Befreiung die Eheschließung hindern.174 Auch der Tübinger Hochschullehrer Hans Dölle widersprach Beitzke in einer ebenfalls 1948 in der „Deutschen Rechts-Zeitschrift“ veröffentlichten Rezension zu dessen Lehrbuch, beschränkte sich dabei allerdings auf die Feststellung, das Verbot sei unpraktisch, und wo es Anwendung finde, führe es zu Ungerechtigkeiten, zu schweigen von dem Anreiz zu Denunziationen, zu denen es verleite.175 Andere Gegner äußerten vehementere Kritik. Zu diesen gehört der Freiburger Hochschullehrer Gustav Boehmer, der ausführlich, sehr polemisch und in rechtstaatlicher Hinsicht durchaus zweifelhaft auch 1948 in der „Deutschen Rechts-Zeitschrift“ gegen das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft Stellung bezog. Nachdem das Ehegesetz von 1938 es erfreulicherweise beseitigt habe, sei es 1946 aus irregeführten ideologischen oder religiösen Gründen wiedereingeführt worden. Es erübrige sich, die bekannten mannigfachen Argumente zu wiederholen, die gegen dieses obskure Ehehindernis vorgebracht worden seien, das mehr Schaden als Segen stifte.

174 175

Rohs, DRZ 1948, S. 293. Dölle, DRZ 1948, S. 223 (224).

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946

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Praktisch werde es höchst selten funktionieren und die Eheschließung hindern. Werde es aber erst nachträglich „durch freundliche Nachbarn oder Klatschbasen oder erblüsterne Familiengenossen ans Licht gezerrt“, zerstöre es gottlob die Ehe glücklicherweise nicht, da es nur ein aufschiebendes Eheverbot sei.176 Es sei wünschenswert, dass das „mittelalterliche Relikt“ des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft, das das deutsche Recht als einzige zivilisierte Rechtsordnung noch mit sich schleppe und das selbst das kanonische seit 1917 auf den Fall „öffentlichen und notorischen Konkubinats“ beschränke und auch dann mit Dispensmöglichkeit ausgestattet habe, so schnell wie möglich wieder aus dem deutschen Rechtsraum verschwinde. Solange dies nicht gesetzlich geschehen sei, solle die deutsche Justizverwaltung nicht nur genügende gedankliche Folgerichtigkeit aufbringen, um die ungeheuerliche Außerkraftsetzung des § 4 Abs. 3 Ehegesetz durch Abs. 2 als Denkunfug von sich zu weisen, sondern auch den nötigen moralischen Mut, um in rechtsschöpferischer Selbstverantwortlichkeit, sei es auch nicht nur contra legem, sondern auch contra rationem legis die Befreiung vom Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft als zulässig zu behandeln. Rechtsfindung contra legem sei der deutschen Justiz ja auch sonst nicht fremd, sondern ein traditionsgefestigtes Recht und eine sittliche Pflicht überall dort, wo die Härte des Gesetzes zu untragbaren Ergebnissen führe, die den Grundsätzen der Kultur- und Sittenordnung nicht mehr entsprächen. Sei das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft veraltet und verfehlt, sollte man jedenfalls bestrebt sein, es in der Praxis des Rechtslebens möglichst unschädlich zu machen.177 Im selben Jahr äußerte in der von der Deutschen Justizverwaltung in der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland herausgegebenen Zeitschrift „Neue Justiz“ der Vortragende Rat in der Deutschen Justizverwaltung Hans Nathan, schon vor dem Hintergrund seiner historischen Entwicklung sei es schwer verständlich, weshalb der Alliierte Kontrollrat es für notwendig gehalten habe, das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft wiedereinzuführen, zumal es in keinem der Rechte der Mitgliedstaaten vorgesehen sei. Völlig unverständlich wäre es, wenn wirklich die Absicht bestanden haben sollte, das Verbot durch die Versagung der Befreiungsmöglichkeit unübersteigbar zu machen, was nicht einmal die in diesen Dingen wahrlich nicht liberale katholische Kirche getan habe.178 Dieser Argumentation schloss sich auch ein Standesbeamter Kömpel aus dem hessischen Langen 1949 in der Fachzeitschrift „Der Standesbeamte“ an, auch wenn er dem Verbot zubilligte, dass es zweifellos in der Achtung der allgemeinen Sittlichkeit und Moral seine Existenzgrundlage habe.179

176 177 178 179

Boehmer, DRZ 1948, S. 472 (472). Boehmer, DRZ 1948, S. 472 (473). Nathan, NJ 1948, S. 100 (101). Kömpel, Der Standesbeamte (2. Jg.), S. 15 (16).

246 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

Daran, dass § 4 Abs. 3 des Ehegesetzes von 1946 nur die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft vorsah, entzündete sich in den Folgejahren die Kontroverse, ob sie auch vom Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft erteilt werden könne.180 Beitzke war der Ansicht, dass die Befreiung für dieses nicht vorgesehen sei, obwohl sie bei dem zur Nichtigkeit der Ehe führenden Verbot wegen Schwägerschaft möglich sei, lasse sich nur damit erklären, dass das Gesetz annehme, die Eheschließung müsse unter allen Umständen in den Fällen, in denen das Ehehindernis bekannt sei, als anstößig unterbleiben. Wo es unbekannt bleibe, bedürfe es wegen seiner nur aufschiebenden Natur keiner Befreiung mehr.181 Die Münchener Rechtsanwälte Reinhard und Hans von Godin vertraten in der 1947 erschienenen ersten Auflage ihres Kommentars zum Ehegesetz dagegen die Auffassung, daraus, dass Abs. 3 ohne Rücksicht auf die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft und ohne für dieses die Möglichkeit der Befreiung vorzusehen unverändert aus dem Ehegesetz von 1938 übernommen wurde, müsste man eigentlich schließen, dass die Befreiung nicht gewährt werden sollte. Jedoch sei anzunehmen, dass ein Versehen vorliege und die Befreiungsmöglichkeit nach Abs. 3 auch bezüglich des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft bestehen solle. Sittliche oder erbbiologische Erwägungen sprächen nicht mehr dagegen als bei Schwägerschaft in gerader Linie, zumal ein Verstoß für den Bestand der Ehe folgenlos sei.182 Nathan äußerte die Meinung, dass man nicht nur wegen des historischen Hintergrundes, sondern auch durch einen Vergleich mit der Regelung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft im Ehegesetz von 1946 zu dem Ergebnis kommen müsse, dass das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft ohne Befreiungsmöglichkeit nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprochen haben könne. Das Argument, der Kontrollrat habe sich darüber keine Gedanken machen, sondern einfach zu dem vor 1938 bestehenden Rechtszustand zurückkehren wollen, treffe nicht zu, weil man es bei der erst 1938 eingeführten Befreiungsmöglichkeit vom Eheverbot wegen Schwägerschaft belassen habe. Schwägerschaft werde jedoch von der Gesetzgebung sämtlicher Kulturstaaten mit der gleichen Einhelligkeit, mit der sie das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft ablehnten, als trennendes Ehehindernis betrachtet. Dass bei diesem gewichtigen, international anerkannten und durch die Jahrhunderte stets wirksamen Eheverbot Befreiung zulässig sei, dies dagegen bei dem nur aufschiebenden und daher viel leichteren, andernorts unbekannten und auch in Deutschland über lange Zeiträume abgeschafften und nur durch eine zufällige 180 Dafür Godin/Godin (1. Aufl.), Anm. 8 zu § 4; Dölle, DRZ 1948, S. 223 (224); Nathan, NJ 1948, S. 100 (100 ff.); Kömpel, Der Standesbeamte (2. Jg.), S. 15 (16 f.). Dagegen Rohs, DRZ 1948, S. 293, dort Fn. 6; Beitzke, Familienrecht (1. und 2. Aufl.), jeweils S. 26. 181 Beitzke, Familienrecht (1. und 2. Aufl.), jeweils S. 26; ähnlich wohl auch Rohs, DRZ 1948, S. 293, der eine Gesetzesänderung, aber keine über den Wortlaut hinausgehende Gesetzesanwendung vorgeschlagen hatte. 182 Godin/Godin (1. Aufl.), § 4, Anm. 8.

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946

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rückschrittliche Mehrheit wiedereingeführten Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht möglich sein solle, sei kaum verständlich und begründe ernste Zweifel daran, dass der Kontrollrat eine solche Regelung wirklich beabsichtigt habe.183 Zuzugeben sei zwar, dass der Wortlaut der Bestimmung so eindeutig erscheine, dass es schwierig sei, nur durch historische und rationale Erwägungen zwingend auf eine abweichende Absicht des Gesetzgebers zu schließen. Es genüge nicht, zu zeigen, dass die unterschiedliche Behandlung der beiden Personengruppen schwer verständlich oder sogar unverständlich sei. Zwingend sei die weitere Erwägung, dass diese Unterscheidung zu einem sinnlosen Ergebnis führe und deshalb nicht gewollt sein könne. Es gebe kaum ein Schwägerschaftsverhältnis gemäß § 4 Abs. 1 Ehegesetz, das nicht gleichzeitig den Tatbestand des Abs. 2 erfülle. Das einzige Unterscheidungsmerkmal, das beide Personengruppen voneinander trennen könne, sei also, ob die Geschlechtsgemeinschaft eine eheliche oder eine außereheliche gewesen sei. Damit, dass Fälle des § 4 Abs. 2 Ehegesetz zwar nicht unter Abs. 1, aber alle Fälle des Abs. 1 gleichzeitig auch unter Abs. 2 fielen, verliere eine Vorschrift, die der ersten Gruppe die Befreiung ermögliche, sie der zweiten jedoch versage, ihren Sinn. Eine Befreiung, die zwei verschwägerten Personen als solchen gemäß § 4 Abs. 3 Ehegesetz erteilt werden könnte, müsse ihnen versagt werden, weil sie gleichzeitig Personen seien, von denen eine mit Verwandten der anderen Geschlechtsgemeinschaft gehabt hätte, und für dieses Ehehindernis keine Befreiungsmöglichkeit bestehe. § 4 Abs. 3 Ehegesetz werde damit gerade für die Fälle der Schwägerschaft illusorisch und sinnlos, wenn man die Vorschrift nicht gleichzeitig auf die Fälle der Geschlechtsgemeinschaft anwende. Lediglich in dem seltenen Ausnahmefall, dass in der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe kein Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, gewinne die Vorschrift auch bei Beschränkung auf die Fälle des Abs. 1 einen Sinn. Es erscheine jedoch abwegig, dass § 4 Abs. 3 Ehegesetz auf diesen anormalen Fall gemünzt sei. Nach den ungeschriebenen Regeln der Gesetzestechnik sei es nicht angängig, eine Vorschrift, deren Anwendungsbereich auf einen bestimmten regelwidrigen Ausnahmetatbestand beschränkt sei, in einer Form wiederzugeben, die den Anschein einer Regelung des Normaltatbestandes erwecke. Zwar solle selbstverständlich auch der Ausnahmefall erfasst werden, in erster Linie aber der Regelfall, für den die Vorschrift bei wörtlicher Auslegung wie gezeigt sinnlos sei.184 Aus dieser Feststellung ließe sich einerseits die Schlussfolgerung ziehen, dass dem Kontrollrat einfach ein Versehen unterlaufen sei. Demgegenüber sei jedoch zu bedenken, dass die Feststellung eines solchen stets eine ultima ratio sei, die nur dann herangezogen werden dürfe, wenn das Versehen absolut offenkundig sei und nicht bei Zugrundelegung des Gesetzestextes eine sinnvolle und befriedigende Lösung erzielt werden könne. Dies sei jedoch im Wege der zwei-

183 184

Nathan, NJ 1948, S. 100 (101 f.). Nathan, NJ 1948, S. 100 (102).

248 3. Kap.: Weimarer Republik, Diktatur und alliierte Kontrollratsgesetzgebung

ten Schlussfolgerung möglich, dass der Gesetzgeber den Begriff „Schwägerschaft“ in § 4 Abs. 3 Ehegesetz nicht im streng technischen Sinn gebraucht habe, sondern darunter sowohl die legitime als auch die illegitime Schwägerschaft habe verstanden wissen wollen. Hierfür spreche die einen Bestandteil des Gesetzes bildende Überschrift „Verwandtschaft und Schwägerschaft“. Der Begriff „Schwägerschaft“ solle offensichtlich auch die Fälle der illegitimen Schwägerschaft gemäß § 4 Abs. 2 Ehegesetz erfassen, da die Überschrift andernfalls unvollständig wäre und ohne ersichtlichen Grund nur zwei der drei in § 4 geregelten Fälle erwähnen würde. Wenn das Wort „Schwägerschaft“ in der Überschrift aber offenbar auch die Fälle gemäß § 4 Abs. 2 Ehegesetz einschließen wolle, sei es nur logisch, das gleiche Wort in Abs. 3 genauso zu verstehen, zumal nur diese Auslegung zu einem vernünftigen Ergebnis führe. Hierfür spreche auch die Anordnung der drei Absätze. Nach der üblichen Gesetzestechnik hätte die Vorschrift des Abs. 3 direkt an Abs. 1 anschließen müssen, wenn sie sich nur auf diesen beziehen sollte. Die Herausnahme aus dem Zusammenhang mit der legitimen Schwägerschaft gemäß Abs.1 und die Zurückstellung hinter Abs. 2 deute an, dass ihr Sinn sich auf beide vorstehenden Absätze erstrecke.185 In zusammengefasster Form und fast wörtlicher Übereinstimmung vertrat Kömpel die gleiche Argumentation.186 Praktisch wurde in der britischen Besatzungszone die Frage der Befreiung vom Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft dadurch geklärt, dass mit Art. I der „Verordnung zur Ergänzung der Verordnung zur Ausführung des Ehegesetzes“ vom 27. August 1948187 des Zentraljustizamtes in § 3 Abs. 1 der Verordnung vom 12. Juli 1948 hinter dem Wort „Schwägerschaft“ die Worte „und Geschlechtsgemeinschaft“ eingefügt wurden. In der amerikanischen Zone erfolgten entsprechende Klarstellungen durch die Justizministerien der Länder. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz gab in einem Erlass vom 6. Mai 1947 bekannt, es sei anzunehmen, dass der Kontrollrat im Ehegesetz vom 20. Februar 1946 sowohl für die legitime, als auch für die illegitime Schwägerschaft die Möglichkeit der Befreiung von dem Eheverbot vorgesehen habe.188 Mit Erlass vom 2. November 1948 wies auch der hessische Justizminister im Einvernehmen mit der Rechtsabteilung der Militärregierung die Gerichte und Staatsanwaltschaften darauf hin, dass auch vom Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft Befreiung erteilt werden könne.189 Die Gründe für die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft durch den Kontrollrat lassen sich kaum mehr nachvollziehen. Da es 185 186 187 188 189

Nathan, NJ 1948, S. 100 (102 f.). Kömpel, Der Standesbeamte (2. Jg.), S. 15 (16 f.). BrVOBl. 1947/1948, S. 247. BayJMBl. 1947, S. 16. Der Standesbeamte (2. Jg.), S. 9.

C. Das Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Februar 1946

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den Alliierten darum ging, aus dem Ehegesetz von 1938 die „penetrant nationalsozialistischen“ Normen auszuscheiden190, könnte man zwar einerseits vermuten, dass sie die mit der Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft verbundene grundsätzliche Absage des Nationalsozialismus an überkommene Moralvorstellungen erkannten und diese Maßnahme somit nicht als eine erhaltenswerte Liberalisierung, sondern als diejenige nationalsozialistisch motivierte Gesetzesänderung betrachteten, die sie gewesen war. Andererseits wäre es äußerst merkwürdig gewesen, dass sie ausgerechnet die Streichung einer Verbotsnorm als genuin nationalsozialistisch angesehen hätten, die ihre eigenen Rechtsordnungen selber nicht mehr vorsahen. Die Kontrollrats-Gesetzgebung war allerdings nicht von längerer Dauer. Aufgrund unüberbrückbarer Gegensätze zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich auf der einen, der Sowjetunion auf der anderen Seite stellte letztere am 20. März 1948 ihre Mitarbeit im Kontrollrat ein, und auch später kam es nicht zu einer Wiederaufnahme von dessen Tätigkeit.191 In den beiden 1949 gegründeten deutschen Staaten, der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, sollte auch die Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft einen unterschiedlichen Verlauf nehmen.

190 191

Vgl. Ramm, Festschr. f. Fraenkel, S. 151 (151). Gmür/Roth, Rn. 491 f.; Köbler, S. 256.

4. Kapitel

Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990) In der Deutschen Demokratischen Republik ging es nicht um eine Fortentwicklung des überkommenen bürgerlichen Familienrechts, sondern um einen grundsätzlichen Bruch mit diesem. So benannte das offizielle Lehrbuch zum Familienrecht noch in seiner dritten, 1981 erschienenen Auflage als Ziel der Gesetzgebung die „Überwindung des bürgerlichen Familienrechts und Familienrechtsdenkens und die schrittweise Herausbildung des neuen, sozialistischen Familienrechts entsprechend den Erfordernissen und Möglichkeiten des jeweiligen Standes der revolutionären Gesamtentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik.“ 1

Das Familienrecht des BGB sei „in wesentlichen Teilen mit dem Inhalt und den Zielen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der Stellung der Familie in dieser neuen Ordnung unvereinbar“. Es widerspreche „in seinen wichtigsten Aussagen und Ergebnissen den Anschauungen und der Lebenspraxis der Arbeiterklasse, die die führende Rolle in der Gesellschaft übernommen hatte, der mit ihr verbündeten Werktätigen und ebenso den Anschauungen und Forderungen fortschrittlicher bürgerlicher Kräfte.“

Deshalb sei die Schaffung eines neuen Familienrechts eine unaufschiebbare Aufgabe gewesen.2 Damit stellen sich die Fragen danach, welche Rolle dem Recht in einer sozialistischen Gesellschaft überhaupt zukam, in welchen Entwicklungsschritten sich in der Praxis die Herausbildung eines „sozialistischen“ Rechts vollzog, welche weltanschaulichen beziehungsweise ideologischen Grundannahmen den letztlich gefundenen Regelungen zugrunde lagen und schließlich, wie dieses „sozialistische“ Recht im Vergleich mit dem klassischen bürgerlichen Recht zu beurteilen ist.

A. Das marxistisch-sozialistische Rechtsverständnis: Recht als Mittel zur Durchsetzung sozialistischer Moral Sozialistisches Recht wurde in der Rechtswissenschaft der DDR in einem „unversöhnlichen Gegensatz zu kapitalistischem Recht“ gesehen und sollte derart ausgearbeitet und angewendet werden, dass „ein Höchstmaß an gesellschaftlicher 1 2

Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 44. Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 47.

A. Das marxistisch-sozialistische Rechtsverständnis

251

Wirksamkeit beim sozialistischen Aufbau erreicht“ werde.3 Karl Marx hatte das Recht in seinem Werk „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ lediglich als einen Überbau bezeichnet, der sich über der realen Basis der Gesellschaft, nämlich deren ökonomischer Struktur, erhebe, die wiederum von der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse gebildet werde.4 Basis und Überbau stünden zueinander in einem dialektischen Spannungsverhältnis, sie beeinflussten sich wechselseitig, wobei den Produktionsverhältnissen, also der Basis, die bestimmende Funktion zukomme, während die verschiedenen Elemente des Überbaues – Friedrich Engels, neben Marx eine weitere große weltanschauliche Autorität des Sozialismus, zählte dazu neben den Rechtsformen unter anderen auch philosophische Theorien und religiöse Anschauungen – sich auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe auswirkten, aber hauptsächlich deren Form bestimmten.5 Nach Marx’ Auffassung konnte „das Recht nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und die dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft“.6 Nach dieser Sicht auf das Recht konnte dessen Inhalt nur durch die jeweiligen Produktionsverhältnisse vorgegeben sein und musste darum diesen in ihrer Entwicklung zwingend folgen.7 Eine solche deterministische Auffassung ließ für eine aktiv-gestalterische Gesetzgebung theoretisch nur sehr wenig Raum. Eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse hätte vielmehr ein daran angepasstes Recht zwingend nach sich ziehen müssen. Die Führung der DDR war sich allerdings bewusst, dass im Gegenteil Recht ein Steuerungsinstrument für die Gesellschaft war und entsprechend angewandt werden musste.8 Theoretische Rechtfertigung dafür bot die 1950 vom sowjetischen Diktator Josef Stalin hinsichtlich der Sprache aufgestellte These von der aktiven Kraft des Überbaues, wonach, übertragen auf das Recht, mit dessen Mitteln die Entwicklung zum Sozialismus durch fördernde und unterstützende Einwirkung auf die Basis beschleunigt werden müsse.9 Vor diesem Hintergrund dürfte sich die durchaus widersprüchlich wirkende Formulierung des auf dem vom 15. bis zum 21. Januar 1963 stattgefundenen VI. Parteitag beschlossenen ersten Programms der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands erklären, wonach das sozialistische Recht „den objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung“ entspringe und „auf ihre Durchsetzung gerichtet“ sei. Es habe „die Aufgaben dieser Entwicklung und die staatlichen Grundregeln des sozialistischen Zusammenlebens zum Hauptinhalt“ und diene dazu, „die Produktivkräfte und die sozialistischen Produktionsverhältnisse planmäßig zu entfalten, alle Bürger im Geist des Sozialismus zu erziehen und unsere Ordnung gegen die 3 4 5 6 7 8 9

Arlt/Stiller, S. 20. Marx/Engels, Bd. 13, S. 8. Marx/Engels, Bd. 37, S. 463. Marx/Engels, Bd. 19, S. 21. Schröder, Jura 2004, S. 73 (77); Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1161). Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1162). Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1163 f.).

252

4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

Anschläge ihrer Feinde zu schützen“.10 Ähnlich äußerte sich die Justizministerin der DDR der Jahre von 1953 bis 1967 Hilde Benjamin in einem Artikel in der „Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin“ aus dem Jahr 1966 zum kurz zuvor in Kraft getretenen Familiengesetzbuch, in dem sie unter Bezugnahme auf den genannten Programmpunkt der SED feststellte, dass „ein Gesetz zur Zeit seines Inkrafttretens den objektiven Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung entsprechen“ müsse und man es dann machen könne und müsse, wenn die Entwicklung dafür „reif“ geworden sei.11 Der Gesetzgeber sei daher in dreifacher Hinsicht gefordert: Erstens sei „die exakte Kenntnis der Fakten des zu regelnden Lebensbereichs und der in diesem Lebensbereich wirkenden Entwicklungstendenzen sowie die Kenntnis der sich in diesen Fakten und Entwicklungstendenzen äußernden Gesetzmäßigkeiten“

erforderlich, „wobei Ausgangspunkt stets der Zusammenhang mit der ökonomischen Entwicklung und deren Gesetzen“ sei. Zweitens müsse „Klarheit über das Ziel des einzelnen Gesetzes bestehen, damit es auch der Durchsetzung der objektiven Gesetzmäßigkeiten im Sinne des Parteiprogramms, d. h. der Entfaltung der Produktivkräfte und der sozialistischen Produktionsverhältnisse, der Erziehung der Bürger im Geiste des Sozialismus und dem Schutz unserer Ordnung dient.“

Drittens müsse das Gesetz „in jeder Hinsicht, im Inhalt, nach der Sprache, im Zeitpunkt des Erlasses dem Bewußtsein der Bürger entsprechen.“ Dies bedeute, „vor allem zu berücksichtigen – und dies gilt besonders für das Gebiet des Familienrechts –, daß das Bewußtsein häufig der objektiven Entwicklung gegenüber nachhinkt, so daß je nach der Lage das Heranreifen des Bewußtseins abgewartet werden muß, das Gesetz unter Vermeidung des Überspringens von Entwicklungsstadien des Bewußtseins sich auf die gegenwärtige Situation beschränken muß, oder aber daß eine besonders intensive Aufklärungs- und Erziehungsarbeit geleistet werden muß, um die Menschen an das Verständnis des Gesetzes heranzuführen. Das gilt besonders für das Gebiet der Familie, wo die Vergangenheit in besonderem Maße zählebig nachwirkt.“ 12

Die Familiengesetzgebung müsse „stärker als auf jedem anderen Rechtsgebiet (. . .) dem Bewußtsein der einzelnen Schichten der Bevölkerung entsprechen, wobei der Prozeß der Herausbildung der politisch-moralischen Einheit des Volkes einmal eine gewisse Voraussetzung für das Familiengesetzbuch bildet und andererseits durch das Familiengesetzbuch gefördert wird.“ 13

Diese Äußerungen zeigen, dass das Recht als solches für die sozialistischen Machthaber zwar nicht unbedingt Priorität hatte, sie es aber doch auch nicht ein10 11 12 13

Thomas, S. 84. Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (732). Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (732 f.). Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (734).

A. Das marxistisch-sozialistische Rechtsverständnis

253

fach nur in seiner der Entwicklung der Produktionsverhältnisse folgenden Gestalt hinnahmen. Das Hauptaugenmerk legten sie auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, das Recht hingegen sahen sie lediglich als ein Machtmittel zu deren Durchsetzung an.14 Hans Joachim Heusinger, von 1972 bis 1990 Justizminister der DDR, brachte dies im Jahre 1981 gegenüber dem Chefredakteur der „Neuen Justiz“ mit der Aussage auf den Punkt, dass „das sozialistische Recht als Machtinstrument der Arbeiterklasse der weiteren Festigung der politischen Organisation der Gesellschaft, dem Schutz und der Weiterentwicklung der sozialistischen Ordnung, der Entfaltung der sozialistischen Lebensweise der Werktätigen und der Garantie der Freiheit und Menschenwürde der Bürger“

diene.15 Abgesehen davon, dass diese Äußerung nicht nur zynisch angesichts des repressiven DDR-Systems war, war sie auch kaum mehr in Einklang zu bringen mit der marxistischen Ansicht vom inhaltlich durch die ökonomischen Verhältnisse determinierten Recht. Aber ob man dieser Theorie nun in aller Gründlichkeit folgte oder nicht, vorsozialistisches Recht verfiel in jedem Fall einer strikten Ablehnung.16 Es lege, wie es der Dozent an der Sektion Marxismus-Leninismus der Humboldt-Universität Berlin Peter-Bernd Schulz 1969 in der „Neuen Justiz“ formulierte, nur das den Interessen der herrschenden Ausbeuterklasse entsprechende Verhalten fest. Seine Normen würden daher von den meisten Werktätigen in den Lebensvorgängen, in denen die widerstrebenden Klasseninteressen aufeinanderstießen und die Moralauffassungen der Werktätigen den gesetzlichen Forderungen entgegenstünden, widerwillig, unter Zwang oder gar nicht befolgt.17 Das sozialistische Recht zeichnete sich demgegenüber durch eine starke Verbindung von Recht und Moral aus, was im Ergebnis auf die Rückgängigmachung einer der wesentlichen Errungenschaften der Aufklärung hinauslief.18 Dies sprach Walter Ulbricht, Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR, in einer Rede am 12. Oktober 1968 auf der Festveranstaltung zum 20. Jahrestages der Gründung der seinen Namen tragenden Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft direkt an: „Von prinzipieller Bedeutung ist weiterhin die Gestaltung des Verhältnisses von sozialistischem Recht und sozialistischer Moral. Sie besteht vor allem darin, die erzieherische Einflussnahme des Rechts auf die Herausbildung und allgemeine Durchsetzung sozialistischer Moralauffassungen, die mehr und mehr das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen bestimmen, zu verwirklichen. Es kommt darauf an, besonders mit Hilfe des Rechts und der Entwicklung des Rechtsbewusstseins solche Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen herauszubilden, dass die freiwillige Einhaltung der 14 15 16 17 18

Schröder, Jura 2004, S. 73 (77). NJ 1981, S. 200 (200). Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1162). Schulz, NJ 1969, S. 193 (195). Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1168 f.).

254

4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

Regeln des Zusammenlebens der Menschen zur allgemein geübten Gewohnheit wird.“ 19

Es ist offensichtlich, dass ein an bürgerlichen Moralvorstellungen orientiertes Eheverbotsrecht sich mit diesen Zielsetzungen nicht vertragen konnte.

B. Die gesetzgeberische Praxis zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft Was die praktischen Konsequenzen aus dem beschriebenen marxistisch-sozialistischen Rechtsverständnis angeht, ließ sich das bestehende bürgerliche Recht schon deshalb nicht einfach mit einem einzigen Gesetzgebungsakt ersetzen, weil das Gebiet der späteren DDR alleine durch die Übernahme der politischen Herrschaft durch die Sowjetunion 1945 noch keine „sozialistische“ Gesellschaft geworden war. Die angestrebte gesellschaftliche Transformation sollte nach den Vorstellungen der Machthaber vielmehr planvoll in mehreren Etappen vollzogen werden. Mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen stand auch diejenige des Rechts in einem untrennbaren Zusammenhang.

I. Fortgeltung des Ehegesetzes von 1946 während der „antifaschistischen Umwälzung“ und Gründung der DDR Die Zeit zwischen 1945 und 1950 war nach Lesart der Staatsführung diejenige der „Periode der antifaschistischen Umwälzung“ und der „Gründung der Deutschen Demokratischen Republik“.20 In diese Phase fielen Arbeiten an einem Entwurf eines Familiengesetzbuches durch den Demokratischen Frauenbund Deutschlands, über dessen geplanten Inhalt die von Hilde Benjamin verfasste Broschüre „Vorschläge zum neuen Deutschen Familienrecht“ aus dem Jahr 1949 Auskunft gab.21 Nach dieser ging es bei der avisierten Umgestaltung des Familienrechts aber vor allem um die Gleichberechtigung der Geschlechter und um ein neues Nichtehelichenrecht. 22 Das Eheschließungsrecht hatte also zu diesem Zeitpunkt offenbar keine Priorität und so blieb es zunächst bei den Regelungen des vom Alliierten Kontrollrates 1946 erlassenen Ehegesetzes. Mehr erschien den sozialistischen Machthabern in dieser Entwicklungsphase noch nicht erreichbar.23 Zwar hatte Hans Nathan, wie gezeigt, 1948 in der Neuen Justiz die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen außerehelicher Geschlechtsgemeinschaft heftig kritisiert, eine zu frühe Ersetzung des Ehegesetzes von 1946 hätte aber 19 20 21 22 23

NJ 1968, S. 641 (648). Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (734); Thomas, S. 8. Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (735). Benjamin, S. 5. Vgl. Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (736).

B. Die gesetzgeberische Praxis zu den Eheverboten

255

gleichzeitig die Frage nach der Legitimität des sozialistischen Regimes aufwerfen können, denn im Alliierten Kontrollrat war auch die sowjetische Besatzungsmacht vertreten gewesen. Das von ihm erlassene Gesetz im Nachhinein als den damaligen Verhältnissen nicht entsprechend zu verwerfen, hätte also implizit bedeutet, dass einer sozialistischen Autorität eine Fehleinschätzung der historischen Entwicklung unterlaufen wäre. Damit wäre aber wohl auch die Autorität einer Staatsführung, die für sich in Anspruch nahm, die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte erkannt und aufgrund dieses Wissens die Menschheit zu einer höheren Entwicklung führen zu wollen, zweifelhaft erschienen. Doch die Entwicklung schritt nun unaufhaltsam voran. Schon zu Beginn der fünfziger Jahre, also kurz nach Gründung der DDR, wurde das Familienrecht nicht mehr als Teilgebiet des Zivilrechts aufgefasst, sondern unter Orientierung am Recht der Sowjetunion aus dessen Kontext herausgelöst und als ein eigenständiges Rechtsgebiet konzipiert.24 Dies führte der Berliner Hochschullehrer Alfons Steiniger 1951 in der „Neuen Justiz“ näher aus. In der DDR bestehe nicht mehr die kapitalistische Basis, nämlich das Privateigentum an den nach Bedeutung und Umfang entscheidenden Produktionsmitteln und die dadurch ermöglichte Ausbeutung der Produzenten durch die Produktionsmittelbesitzer. Ebenso wenig bestehe aber schon die sozialistische Basis, nämlich das gesellschaftliche Eigentum an den gesamten Produktionsmitteln und damit die Liquidierung der Ausbeutung. Die von der Rechtswissenschaft auf der Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse geschaffene Systematisierung könne daher für die gegenwärtige Gesellschaftsordnung nicht mehr zutreffen, das System der von allen inneren Widersprüchen befreiten Rechtsordnung sozialistischer Staaten nicht schematisch übernommen werden. Notwendig sei eine dem Charakter der ökonomischen Basis der antifaschistisch-demokratischen Rechtsordnung entsprechende Systematisierung. Die verschiedenen Rechtszweige, die sich mit spezifischen Lebensverhältnissen in der Gesellschaft, mit spezifischen Tätigkeitsbereichen des Staates befassten, seien inhaltlich voneinander abzugrenzen und auf ihre gemeinsame Basis zurückzuführen.25 Für die Rechtsordnung der noch nicht sozialistischen, aber auch nicht zum Typus des Ausbeuterstaates gehörenden DDR sei die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht abzulehnen und die Rechtsnormen je nach dem Charakter der durch sie zu geregelten gesellschaftlichen Beziehungen nach Gruppen einzuteilen, ohne dass zwischen diesen Gruppen unbewegliche und unübersteigbare Grenzen angenommen würden.26 Eine dieser insgesamt acht Gruppen bildete das Familienrecht, das innerhalb des Zivilrechts der antifaschistisch-demokratischen Ordnung einen selbständigen Platz einnehme.27 Über den Inhalt eines künftigen „sozialistischen“ Familienrechts als solchen war damit 24 25 26 27

Brunner, S. 40. Steiniger, NJ 1951, S. 158 (159). Steiniger, NJ 1951, S. 158 (160). Steiniger, NJ 1951, S. 158 (160 f.).

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

noch nichts gesagt, aber es wurde klar, dass weder das BGB noch das Ehegesetz von 1946 in der DDR eine Zukunft haben würden. Ersteres hatte als umfassende Zivilrechtskodifikation das Familienrecht mit umfasst, letzteres regelte nur das Eheschließungsrecht. Das eine Gesetz ging nach den Maßstäben eines „sozialistischen“ Rechts also zu weit, das andere nicht weit genug. Ein eigenständiges und umfassendes „sozialistisches“ Familienrecht war nur eine Frage der Zeit.

II. Der Erlass der „Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung“ vom 24. November 1955 während der „Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“ Die SED beschloss auf ihrer II. Parteikonferenz 1952, dass auf die Gründungsperiode der DDR der Übergang zur „Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“ folgte.28 Dieser Entwicklungsabschnitt fiel in die Zeit bis etwa 1958 und endete mit dem bis 1962 offiziell erfolgten sogenannten „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“.29 Im Jahre 1954 lag der „Entwurf eines Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik“ vor.30 Nach dessen § 7 Nr. 2 sollte eine Ehe nicht schließen dürfen, wer mit dem anderen in gerader Linie verwandt oder dessen Bruder, Schwester, Halbbruder oder Halbschwester war; daneben waren nur noch die Verbote der Bigamie sowie bei Entmündigung wegen „Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder Trunksucht“ vorgesehen, wobei von letzterem in Ausnahmefällen Befreiung erteilt werden konnte. Dieses vorgesehene Ausmaß der Reduzierung der Eheverbote sei für den Kenner des bisherigen Familienrechts erstaunlich, wie Hans Nathan in der „Neuen Justiz“ im selben Jahr erklärte.31 Die verbliebenen Eheverbote waren aus Sicht eines DDR-Juristen dagegen offensichtlich selbstverständlich. Ihr Inhalt und ihre Begründetheit bedürften keiner näheren Erläuterung. Die Reduzierung bedeute eine ungeheure Vereinfachung des bisher so komplizierten und unnötig aufgeblähten Eheschließungsrechts, ohne dass irgendwelche wesentlichen Interessen des Staates oder der Bürger dadurch beeinträchtigt würden.32 Das Eheverbot wegen Schwägerschaft in gerader Linie entfalle, da es weder aus biologischen, noch aus anderen wichtigen Gründen gerechtfertigt sei, und endlich werde auch das groteske, auf der ganzen Welt nur in Deutschland bestehende Ehehindernis der „uneigentlichen Schwägerschaft“, das auch schon für lange Zeit abgeschafft gewesen war, endgültig ad acta gelegt. Das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft sei in den Entwurf nicht aufgenommen worden, da dieser die Adoption dem Eltern-Kind-

28 29 30 31 32

Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (736). Thomas, S. 8. Der Entwurf ist abgedruckt in NJ 1954, S. 377 ff. Nathan, NJ 1954, S. 358 (359). Nathan, NJ 1954, S. 358 (360).

B. Die gesetzgeberische Praxis zu den Eheverboten

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Verhältnis vollkommen gleichstelle und sich daher das Eheverbot aus dem Verbot der Verwandtenehe ergebe.33 Gemäß § 27 Abs. 1 des Gesetzesentwurfes sollte eine entgegen den in § 7 vorgesehenen Verboten geschlossene Ehe nichtig sein. Die Nichtigkeit sollte nach Abs. 2 nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden können. Die Klage sollte bezüglich der Eheverbote wegen Verwandtschaft vom Staatsanwalt oder von jedem der Ehegatten erhoben werden können. Wenn durch den Tod eines Ehegatten oder aus einem anderen Grund die Ehe bereits aufgelöst war, sollte nach Abs. 3 nur noch der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben können. Der Begriff der „Nichtigkeit“ einer Ehe wegen Verstoßes gegen eines der in § 7 des Gesetzentwurfes vorgesehenen Eheverbote war für Nathan ein Zugeständnis an die gewohnte Terminologie. Genauer gesagt sei die Ehe „vernichtbar“, da sie entsprechend dem bisherigen Recht mit Durchführung der Nichtigkeitsklage rückwirkend beendet werde, bis dahin aber als bestehend gelte. Mit den klaren und einfachen Regelungen zu den Verbotsfolgen stehe der Entwurf im wohltuenden Gegensatz zum bisherigen Wirrwarr.34 Generell sollte das Eheverbotsrecht des Entwurfes einen klaren Bruch mit dem geltenden Recht bedeuten. Der Vergleich mit der bisherigen Rechtslage zeige, wie sehr der bürgerliche Staat ein Obrigkeitsstaat gewesen sei, der seine Bürger in kleinlichster Weise bevormunden zu müssen geglaubt habe, und wie dieser Staat sich nicht gescheut habe, zur Vermeidung unerwünschter Folgen in ganz seltenen Ausnahmefällen die Gesamtheit der Bürger mit kleinlichen Anordnungen zu belästigen.35 Diese Ausführungen waren gerade wegen der dargestellten engen Verschränkung von Recht und Moral in der sozialistischen Rechtskonzeption allerdings geradezu absurd und deckten eben deshalb den Grundwiderspruch des Rechts der DDR auf: Ein Recht, das den dezidierten Anspruch hat, die Bürger zu einem als moralisch erstrebenswert angesehenen Verhalten zu bewegen, ist ohne deren Bevormundung gar nicht denkbar, auch wenn die geplante Abschaffung unzeitgemäßer Eheverbote ausnahmsweise mehr Freiheit für den Einzelnen bedeuten mochte. Der Gesetzentwurf aus dem Jahr 1954 kam jedoch nicht über das Stadium der Diskussion über ihn hinaus36 und so blieb es zunächst noch bei dem Eheverbotsrecht des Ehegesetzes von 1946. Zu einer Änderung kam es erst ein Jahr später. Mit der „Erklärung der Sowjetregierung über die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik (sog. Souveränitätserklärung)“ vom 25. März 195437 nahm die Sowjetunion mit der DDR „die gleichen Beziehungen auf wie mit anderen souveränen Staaten“. Gleichzeitig wurde der 33 Nathan, NJ 1954, S. 358 (359); zur Annahme an Kindes statt nach dem Entwurf siehe Ansorg, NJ 1954, S. 370 (372). 34 Nathan, NJ 1954, S. 358 (360). 35 Nathan, NJ 1954, S. 358 (359). 36 Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (736). 37 Rauschning, S. 236 f.

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

DDR die Freiheit eingeräumt, „nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten (. . .) zu entscheiden“. Die bisher vom Hohen Kommissar der UdSSR in Deutschland wahrgenommene Überwachung der Tätigkeit der staatlichen Organe der DDR wurde aufgehoben. Mit Art. 1 des „Vertrages über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ vom 20. September 195538 wurde bestätigt, dass die Beziehungen beider Staaten „auf völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“ beruhe und die DDR damit frei sei „in der Entscheidung über Fragen ihrer Innenpolitik und Außenpolitik.“ Durch den „Beschluß der Regierung der Sowjetunion zur Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland“ vom selben Datum39 verloren „die in den Jahren 1945 bis 1948 in Ausübung der Besatzungsrechte der vier Mächte vom Kontrollrat in Deutschland erlassenen Gesetze, Direktiven, Befehle und anderen Verordnungen auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik“

und damit auch das Ehegesetz von 1946 die Gültigkeit. Damit war nicht nur der Weg für eine neue Ehegesetzgebung offiziell frei, sondern eine solche war nunmehr sogar erforderlich. Bald darauf wurde das Eheschließungsrecht durch die „Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung“ vom 29. November 195540 dem Gesetzentwurf von 1954 entsprechend neu geregelt. Die Verordnung bestimmte in ihrem § 3 Nr. 2, dass die Ehe nicht schließen durfte, wer mit dem anderen in gerader Linie verwandt oder dessen Bruder, Schwester, Halbbruder oder Halbschwester war. Da sie nicht das Verhältnis zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern regelte, verbot sie in Nr. 3 auch ausdrücklich demjenigen die Ehe, der den anderen an Kindes statt angenommen hatte. War die Ehe entgegen einem Eheverbot geschlossen worden, war sie gemäß § 6 Abs. 1 nichtig. Dies konnte nach Abs. 2 nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden, die im Falle von Eheschließungen zwischen leiblichen oder Adoptivverwandten vom Staatsanwalt und jedem der Ehegatten erhoben werden konnte. War die Ehe bereits durch den Tod eines Ehegatten oder aus einem anderen Grund aufgelöst, konnte gemäß Abs. 3 nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben oder das Verfahren fortsetzen. Die Neuerungen, die die Verordnung für das Eheverbotsrecht bedeutete, waren angesichts der Rechtsentwicklung in Deutschland tatsächlich revolutionär: Die Eheverbote wegen Schwägerschaft und wegen Ge-

38

Rauschning, S. 239 ff. Rauschning, S. 244. Nach Gründung der DDR hatte die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ am 11. November 1949 ihre Verwaltungsaufgaben auf deren Organe übertragen und als Aufsichtsorgan die „Sowjetischen Kontrollkommission“ eingesetzt. Diese wurde 1953 aufgelöst und durch das Amt des „Hohen Kommissars“ ersetzt, siehe dazu Willoweit/Schlinker, § 42, Rn. 14 und Autorenkollektiv, Staats- und Rechtsgeschichte, S. 84 f. 40 GBl. I 1955, S. 849. 39

B. Die gesetzgeberische Praxis zu den Eheverboten

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schlechtsgemeinschaft wurden ersatzlos abgeschafft und für sämtliche Eheverbote erstmals eine einheitliche Rechtsfolge festgelegt.

III. Der Erlass des „Familiengesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 20. Dezember 1965 während des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ In ihrem auf dem vom 15. bis zum 21. Januar 1963 dauernden VI. Parteitag beschlossenen Programm proklamierte die SED, dass „nach dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse (. . .) der umfassende Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, der die Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus abschließen wird, Hauptinhalt der Tätigkeit der Arbeiterklasse und aller Werktätigen“

sei.41 Die Partei erklärte es zu ihrer Aufgabe, „die sozialistischen Rechtsnormen, die das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen regeln, zu vervollkommnen und auszubauen. Vordringlich sind die Rechtsnormen zu vervollkommnen, die die wirtschaftlich-organisatorische und kulturellerzieherische Tätigkeit der Staats- und Wirtschaftsorgane, die Beziehungen zwischen ihnen regeln und zur freien Entfaltung der Kräfte, Talente und Fähigkeiten der Menschen beitragen.“

Zu diesem Zweck sei neben neuen Gesetzbüchern für das Zivil- und Strafrecht auch eines für das Familienrecht auszuarbeiten.42 Dieser Auftrag wurde mit dem „Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 20. Dezember 196543 umgesetzt, welches die Volkskammer der DDR am selben Datum auf der 17. Sitzung ihrer 4. Wahlperiode einstimmig verabschiedete.44 Abgesehen von geringfügigen sprachlichen Änderungen brachte das Eheverbotsrecht des FGB keine materiellen Neuerungen mit sich, sondern übernahm die Regelungen der Verordnung von 1955. Dies dürfte einerseits daran gelegen haben, dass die Verordnung nach offizieller Lesart „bereits eindeutig sozialistisches Familienrecht“ gewesen war.45 Weitere Änderungen am Eheverbotsrecht wären andererseits auch schwer vorstellbar gewesen. Eine Ehe durfte gemäß § 8 Nr. 2 FGB nach wie vor nicht schließen, wer mit dem anderen in gerader Linie verwandt oder dessen Bruder, Schwester, Halbbruder oder Halbschwester war, und nach Nr. 3, wer mit dem anderen in einem durch die Annahme an Kindes statt begründeten Eltern-Kind-Verhältnis stand. Gründe und Geltendmachung der Nichtigkeit 41

Thomas, S. 58; siehe auch S. 8. Protokoll des VI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 4, S. 371. 43 VK-Drs. Nr. 50/1965; GBl. I 1966, S. 1. 44 Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 14, I. Teil, S. 520 (550). 45 Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 53. 42

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

regelte § 35. Nach dessen Abs. 1 war eine entgegen einem Eheverbot des § 8 geschlossene Ehe nichtig, was gemäß Abs. 2 nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden konnte. Diese konnte bei Ehen zwischen Verwandten der Staatsanwalt und jeder Ehegatte erheben. Nach Abs. 3 konnte nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben oder das Verfahren fortsetzen, wenn die Ehe bereits durch den Tod eines Ehegatten oder aus einem anderen Grund beendet war. Im Gegensatz zum Verbot der Ehe zwischen leiblichen Verwandten, galt dasjenige zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern jedoch nicht absolut. So konnte auch in diesem Fall eine Ehe eingegangen werden, wenn das Adoptionsverhältnis nach § 77 FGB aufgehoben worden war.46

C. Ideologische Grundlagen für die Eheverbotsgesetzgebung in der DDR Auch wenn das FGB für den Fall, dass das Regime der SED den politischen Umbruch der Jahre 1989 und 1990 überdauert hätte beziehungsweise dieser sich nicht ereignet hätte, vermutlich nicht das „letzte Wort“ des DDR-Gesetzgebers zum Familienrecht geblieben wäre47, ist schwer vorstellbar, dass sich an dem Eheverbotsrecht substantiell noch etwas geändert hätte. Die Bestimmungen des FGB über die Eheverbote waren offiziell bereits „sozialistisches“ Recht. Sie boten also, dem marxistisch-sozialistischen Rechtsverständnis entsprechend, ein Mittel zur moralischen Erziehung der Bürger im Sinne der Staatsführung. Dies sagt aber noch nichts über diese „sozialistische Moral“ als solche aus. Überhaupt handelt es sich dabei zunächst nur um ein inhaltlich unbestimmtes Schlagwort. Erste Anhaltspunkte für eine nähere Ergründung liefern das FGB selber sowie das offizielle juristische Schrifttum der DDR. Die Präambel des Gesetzes formulierte, dass die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft auf der für das Leben geschlossenen Ehe und auf den besonders engen Bindungen beruhe, die sich aus den Gefühlsbeziehungen zwischen Mann und Frau und den Beziehungen gegenseitiger Liebe, Achtung und gegenseitigen Vertrauens zwischen allen Familienmitgliedern ergeben. Der offizielle Kommentar zum Familienrecht der DDR stellte fest: „Die Ehe als stabile Gemeinschaft, als Grundlage und Kern der Familie ist allein durch die gegenseitige Liebe der Partner motiviert. Die Liebe ist das entscheidende Motiv der Partnerwahl, für die Eheschließung und auch die wesentliche Grundlage für den Bestand der Ehe, gepaart mit dem Verantwortungsbewußtsein der Ehegatten füreinander und für die Entwicklung der Kinder. Diese moralische Haltung zur Ehe entspricht den gesellschaftlichen und persönlichen Anschauungen, den Möglichkeiten jedes Bürgers, und dem entspricht auch weitgehend die Lebenspraxis.“ 48 46 47 48

Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 88. Vgl. Benjamin, WZHU GSR 1966, S. 731 (739). Verfasserkollektiv, Das Familienrecht der DDR, S. 18.

C. Ideologische Grundlagen für die Eheverbotsgesetzgebung in der DDR

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Was die Funktion der verbliebenen Eheverbote anging, so stellte das offizielle Lehrbuch zum Familienrecht fest, diese sollten Eheschließungen verhindern, „wenn aufgrund einer eindeutigen, die Individualität des einzelnen Falles nicht betreffenden Sachlage die Entwicklung einer Ehe entsprechend den Aufgaben dieser Gemeinschaft nicht erwartet werden kann“.49 Das Eheverbot wegen Verwandtschaft beruhe auf medizinischen und ethischen Erwägungen. So könnten Kinder, die aus Beziehungen zwischen nahen Verwandten hervorgingen, Degenerierungserscheinungen aufweisen, und die Familienbeziehungen könnten „entsprechend historisch gewachsenen Moralvorstellungen (. . .) nur dann für alle ihren Wert entfalten und insbesondere den notwendigen erzieherischen Einfluß haben (. . .), wenn sexuelle Bindungen nur zwischen Ehegatten bestehen“.

Dem Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft lägen nur diese sittlichen Gesichtspunkte zugrunde.50 Welche „sittlichen Gesichtspunkte“ dies waren, wurde nicht weiter ausgeführt, konnte es wohl auch nicht, weil damit das Eingeständnis verbunden gewesen wäre, dass das europäische Eherecht über Jahrhunderte maßgeblich vom antiken römischen und mittelalterlichen kirchlichen Recht sowie vom Christentum geprägt worden war. Der Umkehrschluss aus dem Schweigen des juristischen Schrifttums der DDR zu diesen historischen Einflüssen ist logisch: Sie konnten für das Eherecht in der sozialistischen DDR offiziell nicht mehr maßgeblich sein. Autorität beanspruchten stattdessen vor allem die Werke von Karl Marx und Friedrich Engels.

I. Marxistische Grundannahmen über die Ehe Das Eheleitbild des FGB, das in dem Kommentar zu ihm zum Ausdruck gebracht wurde, lag ganz auf der Linie von Friedrich Engels, der in seiner 1884 veröffentlichten Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ die Behauptung aufgestellt hatte, dass beim Wegfall der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse für die Eheschließung kein anderes Motiv mehr bestehen bleiben werde als die gegenseitige Zuneigung. Folgerichtig sei die Ehe im Interesse sowohl der Ehepartner, als auch der Gesellschaft aufzulösen, wenn diese Zuneigung nicht mehr bestehe.51 Daraus hätte sich theoretisch die Schlussfolgerung ziehen lassen, dass im Sozialismus auch eine vollständige Abschaffung sämtlicher Eheverbote denkbar gewesen wäre. Soweit ging Engels jedoch nicht. Vielmehr entsprachen zumindest Eheverbote wegen Verwandtschaft offenbar durchaus seinen Vorstellungen. In dem schrittweisen Zurückdrängen von Beziehungen zwischen Verwandten sah er einen Fortschritt und bezeichnete dementsprechend die „Blutschande“ als eine „höchst wertvolle Erfindung“.52 Dies 49 50 51 52

Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 88. Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 88. Marx/Engels, Bd. 21, S. 82 f. Marx/Engels, Bd. 21, S. 42.

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

steht im Zusammenhang mit Engels’ Verständnis der Menschheitsgeschichte, die er in drei Hauptstadien einteilte, denen wiederum jeweils eine Hauptform der Ehe entsprach: Im Zustand der „Wildheit“ habe die „Gruppenehe“ bestanden, in demjenigen der „Barbarei“ die „Paarungsehe“ und in demjenigen der Zivilisation die Monogamie, deren negative Begleiterscheinungen allerdings Ehebruch und Prostitution seien.53 Ursprünglich seien Geschlechtsbeziehungen nicht nur zwischen Geschwistern, sondern sogar zwischen Eltern und Kindern nicht als problematisch angesehen worden.54 Einen ersten Fortschritt in dieser Hinsicht habe die, inzwischen ausgestorbene, so genannte „Blutsverwandtschaftsfamilie“ erzielt, in der die Ehe immerhin zwischen Vorfahren und Nachkommen ausgeschlossen gewesen sei. Innerhalb der verschiedenen Generationen hätten jedoch Brüder und Schwestern sowie Cousins und Cousinen untereinander sämtlich als Mann und Frau der anderen gegolten.55 Der nächste Entwicklungsschritt, die Ausschließung geschlechtlicher Beziehungen zwischen Geschwistern, habe in Form der bei den Einwohnern Hawaiis anzutreffenden so genannten „Punaluafamilie“ stattgefunden. Dies habe gegenüber Bevölkerungen, die an Verbindungen zwischen Geschwistern festhielten, zu einer schnelleren und besseren Entwicklung geführt und zur Herausbildung größerer, voneinander klar abgegrenzter Stammesverbände („gentes“) geführt.56 Die darauf folgende Entwicklungsstufe stellte nach Engels die so genannte „Paarungsfamilie“ dar, die Eheschließungen zwischen Verwandten immer weiter eingeschränkt und damit zu Ehen zwischen Mitgliedern nicht-verwandter Stämme gezwungen habe. Auf diese Weise wirke die natürliche Zuchtwahl fort und erzeuge physisch und geistig kräftigeren Nachwuchs.57 Eine eugenische Begründung für Eheverbote war für die weltanschaulichen Autoritäten des „wissenschaftlichen Sozialismus“ also plausibel. Unter Berufung auf sie konnte eine vollständige Abschaffung jeglicher Eheverbote somit nicht begründet werden. Die Aufrechterhaltung derjenigen wegen naher Verwandtschaft in der DDR entsprach daher den theoretisch-ideologischen Vorgaben für ein „sozialistisches“ Recht. Die bisher letzte Entwicklungsstufe der Ehe, die Monogamie, unterschied sich für Engels von der so genannten Gruppenehe offenbar nicht hinsichtlich des Umfangs der Eheverbote wegen Verwandtschaft, sondern vielmehr dadurch, dass das Eheband sehr viel fester und nicht mehr nach dem Willen der Ehepartner ohne weiteres auflösbar sei.58 Die Ursache der Monogamie sah er in der Konzentration größerer Reichtümer in den Händen Einzelner, genauer einzelner Männer, also im Überwiegen des Privateigentums gegenüber dem Gemeineigentum, und einem dementsprechenden Interesse, diese 53 54 55 56 57 58

Marx/Engels, Bd. Marx/Engels, Bd. Marx/Engels, Bd. Marx/Engels, Bd. Marx/Engels, Bd. Marx/Engels, Bd.

21, S. 76. 21, S. 42. 21, S. 43. 21, S. 44 ff. 21, S. 52. 21, S. 65.

C. Ideologische Grundlagen für die Eheverbotsgesetzgebung in der DDR

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Reichtümer ausschließlich an die eigenen Kinder zu vererben.59 Mit der Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise und der Überführung der Produktionsmittel vom privaten in gemeinschaftliches Eigentum werde zwar nicht die Monogamie als solche, wohl aber die Vorherrschaft des Mannes über die Frau und die Unauflösbarkeit der Ehe verschwinden und damit werde die gegenseitige Zuneigung zum einzigen Motiv für die Eheschließung.60 Zusammenfassend lief „sozialistische“ Moral also darauf hinaus, dass die Einehe bestehen bleiben sollte und Eheverbote zwar nicht vollkommen verzichtbar, aber nur soweit akzeptabel waren, wie sie „wissenschaftlich“ begründet werden konnten. Die in § 8 Nr. 2 FGB festgelegten Eheverbote wegen Verwandtschaft waren somit die konsequente Umsetzung dieser Vorgaben und können insofern tatsächlich als „sozialistisches“ Recht bezeichnet werden. Konsequent sozialistisch war also auch die im offiziellen Lehrbuch zum Familienrecht gegebene eugenische Begründung der Verhinderung von Degenerationserscheinungen beim Nachwuchs für das gesetzliche Verbot der Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen Geschwistern und Halbgeschwistern. Den sozialistischen theoretisch-ideologischen Grundannahmen entsprach auch die Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft. Für sie konnten offenbar weder Engels noch Marx überzeugende Gründe erkennen. Unter eugenischen Gesichtspunkten sprach nichts gegen entsprechende Eheschließungen und bürgerlich-rechtliche Traditionen hatten für die sich nach ihrem Selbstverständnis im „Aufbau des Sozialismus“ befindende DDR wie dargestellt keine Relevanz mehr. Nahm man die gegenseitige Zuneigung als einzig legitimen Grund für Eheschließungen ernst und akzeptierte lediglich „wissenschaftliche“ Argumente für Eheverbote, dann sprach nichts dagegen, Verschwägerten oder solchen Personen, die vorher eine außereheliche Beziehung mit Verwandten des anderen gehabt hatten, die Ehe untereinander zu erlauben. Nicht begründen ließ sich unter Berufung auf Marx und Engels dagegen die Beibehaltung des Eheverbotes wegen Adoptivverwandtschaft durch § 8 Nr. 3 FGB. Wie dargestellt, behalf man sich zur Begründung mit dem Abstellen auf „historisch gewachsene Moralvorstellungen“, freilich ohne darauf einzugehen, wo diese genau ihren Ursprung hatten und ob sie in irgendeiner Weise „sozialistisch“ waren oder zumindest nachträglich mit „sozialistischem“ Inhalt gefüllt werden konnten. Dies stellte für die sozialistischen Machthaber allerdings kein größeres Problem dar, denn sie machten von den ideologischen Grundlagen ihrer Herrschaft ohnehin lediglich selektiv Gebrauch, ein Vorgehen, das Rainer Schröder als „Vulgärmarxismus“ und „Philosophie bestenfalls aus zweiter Hand“ bezeichnet.61 Wie der Marxismus-Leninismus zu interpretieren war, was als richtig 59 60 61

Marx/Engels, Bd. 21, S. 77 u. 80. Marx/Engels, Bd. 21, S. 82 f. Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1157).

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zu gelten hatte und als wissenschaftlich zu lehren war, war in der DDR Herrschaftswissen der Staatspartei SED und musste darum auch auf deren Linie liegen.62 Wo es nötig erschien, konnte man sich daher bei der Gesetzgebung auch Abweichungen von der „reinen Lehre“ leisten. Offener Widerspruch war ohnehin nicht zu erwarten, da die DDR zum einen keine offene Gesellschaft war, in der der freie Diskurs den politischen Alltag bestimmt hätte, sondern schon geringfügig abweichende Interpretationen des Marxismus-Leninismus einen politischen Verfolgungsgrund darstellen konnten.63 Zudem lag der DDR-Gesetzgeber mit der Einschätzung, dass das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft historisch gewachsene Moralvorstellungen entsprach, und somit auch mit dessen Beibehaltung richtig. Dies zeigt schon der Vergleich mit der geltenden deutschen Rechtslage. Auch wenn ein Verstoß gegen dieses Verbot zwar nicht mehr zur Aufhebbarkeit der geschlossenen Ehe führt, hält das BGB bis heute an ihm fest und seine vollständigen Abschaffung scheint nach wie vor kein gesellschaftlich relevantes Anliegen zu sein.

II. Die Ablehnung des antiken römischen Rechts und des Kirchenrechts Die frühzeitige Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft in der DDR entsprach nicht nur dem sozialistischen Eheleitbild. Sie lag auch in der strikten marxistischen Ablehnung des antiken römischen und des Kirchenrechts, in denen die genannten Eheverbote ihre historischen Wurzeln haben, begründet. Das Kirchenrecht lässt sich naturgemäß nicht von religiösen beziehungsweise christlichen Moralvorstellungen trennen. In einer offiziell auf den Lehren von Marx und Engels aufbauenden sozialistischen Rechtsordnung dagegen war das Tradieren religiöser beziehungsweise christlicher Werte grundsätzlich nicht akzeptabel. Für Marx war Religion lediglich Illusion, die dem durch die herrschenden Produktionsverhältnisse sich selbst entfremdeten Menschen sein Dasein erträglicher machen und ihn mit der Aussicht auf Belohnung im Jenseits vertrösten sollte. In der Einleitung zu seinem Werk „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ hatte Marx über die Religion geschrieben, sie sei „der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes“.64 Den Umkehrschluss, dass die Religion von alleine verschwinden werde, wenn durch die Veränderung der Produktionsverhältnisse die Entfremdung des Menschen von sich selbst überwunden sei, zog Marx im ersten Band vom „Kapital“. Die unter der bewussten planmäßigen Kontrolle freier Menschen stehenden Produktionsverhältnisse (für Marx gleichbedeutend mit dem gesellschaft62 63 64

Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1157 u. 1159). Schröder, Festschr. f. Kroeschell, S. 1155 (1159). Marx/Engels, Bd. 1, S. 378.

C. Ideologische Grundlagen für die Eheverbotsgesetzgebung in der DDR

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lichen Lebensprozess) werde die Religion überflüssig machen.65 Dieser nach Marx unauflösbare Zusammenhang zwischen den Produktionsverhältnissen und der Religion führte ihn zu der Feststellung: „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ 66

Gesetze, die religiöse Moralgrundsätze fortschrieben, mussten aus sozialistischer Sicht also geradezu anachronistisch erscheinen. Waren die Produktionsverhältnisse erst einmal grundlegend verändert, würden solche Normen ganz einfach nicht mehr in die Gesellschaft passen, da mit der ökonomischen Neuordnung der Religion die Grundlage entzogen sein würde. Zwar wurde weder in der familienrechtlichen Fachliteratur der DDR, noch im Laufe des Gesetzgebungsprozesses, etwa während der Sitzung der Volkskammer, in der das FGB angenommen wurde, die Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft ausdrücklich mit ihrer religiösen oder kirchenrechtlichen Tradition begründet. Dies war aber nicht einer gegenüber Religionen toleranten Haltung der DDR-Führung geschuldet, sondern die entscheidende Rolle dürfte gespielt haben, dass Atheismus und Kampf gegen Religion und Kirchen zwar ein integraler Bestandteil des Marxismus-Leninismus waren, Marx und Engels sich mit Religion aber nur theoretisch beschäftigt und kaum praktische Handlungsanweisungen für die Politik zu deren Bekämpfung gegeben hatten. Auch der sowjetische Revolutionsführer Lenin, für den im Gegensatz dazu das Verhältnis zu Religion und Kirche auch eine praktische Rolle gespielt hatte, hatte im Kampf gegen diese kein Hauptanliegen der Politik gesehen, sondern von einer offenen Konfrontation zu viel Aufsehen und eine Zersplitterung der revolutionären Kräfte befürchtet, und daher waren für ihn vorübergehende Kompromisse ein taktisches Gebot gewesen.67 Auch die Religionspolitik der SED war taktisch darauf ausgerichtet, aus ihrer Sicht „fortschrittliche“ Christen zum Zweck der Unterwanderung der Kirchen zu gewinnen, und so kam es gegenüber untergeordneten Staatsund Parteivertretern, deren Handeln zu dogmatisch marxistisch-leninistisch und somit zu repressiv gegenüber den Kirchen war, sogar zu Rügen wegen „Sektierertums“.68 Solche taktischen Maßnahmen änderten aber nichts an der prinzipiellen Unvereinbarkeit von im Kirchenrecht wurzelnden Bestimmungen wie dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft mit dem „sozialistischen“ Recht der DDR.

65 66 67 68

Marx/Engels, Bd. 23, S. 94. Marx/Engels, Bd. 1, S. 379. Goerner, S. 363. Goerner, S. 364.

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

Ebenso wenig wie religiöse Moralvorstellungen und kirchenrechtliche Traditionen konnten diejenigen des antiken römischen Rechts noch eine Rolle spielen. Dies war die logische Schlussfolgerung aus der Geschichtsauffassung, die Marx und Engels in mehreren ihrer Werke vertraten. So hatten sie beispielsweise 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei“ die Behauptung aufgestellt, dass die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen sei.69 Nach marxistischem Verständnis stellte sich die zwischen Urgesellschaft und Kommunismus liegende Menschheitsgeschichte als Abfolge der Epochen Sklavenhalterordnung, Feudalismus, Kapitalismus und Sozialismus dar.70 Die römische Antike fiel dabei in die Epoche der Sklavenhalterordnung, in der auch erstmals ein Privatrecht aufgekommen sei. Dies meinten Marx und Engels in der Schrift „Die deutsche Ideologie“ herausgearbeitet zu haben. In der Antike habe sich das Privateigentum herauszubilden begonnen, allerdings „als eine abnorme, dem Gemeindeeigentum untergeordnete Form“. Die Bürger hätten nur gemeinschaftlich die Macht über die Sklaven aufrechterhalten können und seien daher gezwungen gewesen, von ihrem Privateigentum assoziativ Gebrauch zu machen. In der Antike habe es also Anfänge privaten Eigentums gegeben, während gleichzeitig das Klassenverhältnis zwischen Bürgern und Sklaven vollständig ausgebildet gewesen sei.71 Mit dem Privateigentum habe sich gleichzeitig auch das Privatrecht „aus der Auflösung des naturwüchsigen Gemeinwesens“ zu entwickeln begonnen.72 Das antike Recht musste nach marxistischer Sicht also untrennbar mit ihrer ökonomischen Grundlage, der Sklaverei, verbunden sein. Überhaupt sei das Familienrecht der „Ausbeuterordnungen“ nur Mittel zur Durchsetzung der jeweiligen Klasseninteressen gewesen.73 In diesem Sinne fasste der bereits erwähnte Alfons Steiniger 1951 in der „Neuen Justiz“ die Formel „öffentliches Recht ist das, welches sich auf das römische Staatswesen bezieht, privates ist das, welches sich auf die Interessen des einzelnen bezieht“ („publicum ius est, quod ad statum rei publicae romanae spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatem“) des antiken römischen Juristen Ulpian auf: „Öffentliches Recht ist das Recht des römischen Sklavenhalterstaates, privates Recht das Recht der einzelnen römischen Sklavenhalter.“ 74 Es ist offensichtlich, dass es für einen sozialistischen Staat nicht akzeptabel war, an die Tradition eines derart beurteilten Rechts anzuknüpfen und damit auch in ihm wurzelnde Eheverbote aufrechtzuerhalten.

69 Marx/Engels, Bd. 4, S. 462; siehe auch die dritte Auflage von Engels’ Werk „Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft“ von 1894 in: Marx/Engels, Bd. 20, S. 25. 70 Lohmann, S. 32; vgl. auch die Einteilung in „asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen“ bei Marx/Engels, Bd. 13, S. 9. 71 Marx/Engels, Bd. 3, S. 22 f. 72 Marx/Engels, Bd. 3, S. 62. 73 Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 89. 74 Steiniger, NJ 1951, S. 158 (159).

C. Ideologische Grundlagen für die Eheverbotsgesetzgebung in der DDR

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III. Marxismus-Leninismus als „politische Religion“? Es ist deutlich geworden, dass das Eheverbotsrecht der DDR die Konsequenz ihres Selbstverständnisses als sozialistischer Staat war. Der in den Rang einer Staatsphilosophie erhobene Marxismus-Leninismus ließ mit seiner Auffassung von Ehe und historischer Entwicklung eine Alternative zu den Regelungen der Eheverordnung von 1955 beziehungsweise des FGB von 1965 ebenso wenig zu wie der Nationalsozialismus zu den Gesetzesänderungen des Jahres 1938. Daher kann man auch hinsichtlich des Marxismus-Leninismus die Frage gestellt werden, ob es sich beim ihm um eine „politische Religion“ handelte. In der Tat weist auch er eine Reihe von Merkmalen mit quasi-religiösem Charakter auf. Diese hat Martin Georg Goerner in seiner Monographie „Die Kirche als Problem der SED“ herausgearbeitet. Darin benennt er den Anspruch des Marxismus-Leninismus auf eine umfassende Erklärung und Sinngebung der gesamten Realität sowie der vergangenen und zukünftigen historischen Entwicklung, sein Gründen auf unbewiesenen Annahmen und Prämissen, die geglaubt werden müssen, seine auf dem Appell an religiöse und utopische Sehnsüchte nach einer besseren Welt beruhende Faszination verbunden mit dem Versprechen, den dazu notwendigen „neuen Menschen“ zu schaffen sowie eine durch ihn gegebene Orientierung für Fragen von Politik und Alltag, indem er die Welt durch ein verbindliches Begriffsrater deute und damit ihre Komplexität auf wenige handhabbare Faustregeln reduziere, wodurch seine Anhänger eine gewisse Lebenshilfe erhielten.75 Hinzu komme eine zumindest von den Parteimitgliedern geforderte Opferbereitschaft für die „Herzenssache“ der Errichtung des Sozialismus und die Heilserwartung einer besseren, sich durch Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit auszeichnenden Welt.76 Parallelen zur Religion seien weiterhin die klare Einteilung der Welt in „fortschrittliche“ und „reaktionäre“ Kräfte und damit in Gut und Böse, die „apokalyptische“ Vorhersage vom „Absterben des Kapitalismus“, das Herausbilden von Führerfiguren, einer „liturgischen“ Formelsprache und entsprechender Rituale sowie die klassisch marxistisch-leninistischen Werke als kanonisierte, nicht hinterfragbare und von den Herrschenden verbindlich ausgelegte Schriften.77 Auch ähnelten sozialistische Parteien wie die SED Religionsgemeinschaften oder Sekten. So sahen sie etwa Initiationsriten wie Kandidatenzeit, Patenschaft oder Gelöbnis für die Aufnahme ihrer Mitglieder vor und praktizierten eine ausgeprägte Geheimhaltung. Sie wiesen eine strenge Hierarchie auf, verfügten über eine reiche Symbolik und viele Anlässe für rituelle Feierlichkeiten und erzwangen den Gehorsam ihrer Mitglieder durch „Beicht-Rituale“ wie beispielsweise Schauprozesse. Die propagandistisch inszenierten Massenaufmärsche an den sozialistischen Feiertagen erinnerten in ihrer Form an die russische Orthodo75 76 77

Goerner, S. 366 f. Goerner, S. 367 f. Goerner, S. 368.

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

xie oder den Katholizismus.78 Im Gegensatz dazu weist der Historiker Manfred Hildermeier mit Bezug auf die Sowjetunion der Stalin-Ära auf das Leugnen jeglicher Transzendenz als Wesensmerkmal des Bolschewismus und das damit verbundene Problem hin, ausgerechnet ein Regime (beziehungsweise die Ideologie, auf der dieses gründet) als säkulare Religion anzusehen, das sich in Theorie und Praxis entschieden zum Atheismus bekannte und wie kein anderes gegen Religion und Kirche vorging.79 Auch der evangelische Theologe und Psychologe Gerhard Besier betont das Selbstverständnis des Sozialismus als Weltanschauung, die eine Deutung der Gesamtwirklichkeit ohne Transzendenzbezug biete, während für Religionen dieser Bezug gerade charakteristisch sei, und bezeichnet den Sozialismus als eine „nicht-religiöse Heilslehre der vollkommenen Harmonie“ mit der Partei als „Verkünder, Antreiber und Zuchtmeister auf angeblich wissenschaftlicher und damit unbezweifelbarer Grundlage“.80 Dieser Einschätzung kann kaum widersprochen werden. Das Konzept der „politischen Religion“, das bezüglich des Nationalsozialismus zumindest vertretbar erscheint, passt schon wegen des fehlenden Transzendenzbezuges und der offen zur Schau gestellten Religions- und Kirchenfeindlichkeit nicht auf den Marxismus-Leninismus. Die Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft lässt sich zwar als Teil einer Strategie zur Verdrängung der christlichen Kirchen aus der Gesellschaft interpretieren. Dabei ging es der DDRFührung auch nicht nur um die laizistische Forderung, Religion als Privatsache zu behandeln, sondern getreu der marxistisch-leninistischen Philosophie der SED um die Herausbildung eines eigenen Sinn- und Symbolgefüges, um jede andere Religion überflüssig zu machen.81 Die Zwanghaftigkeit, mit der in der DDR die Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft abgeschafft wurden, hatte ihre Ursache jedoch nicht darin, dass es sich bei der marxistischleninistischen Ideologie um eine „politische Religion“ gehandelt hätte, sondern lag daran, dass diese die für sich und damit auch ihre Auffassungen von Ehe und Geschichte Wissenschaftlichkeit und damit Absolutheit beanspruchte. Was für die Staatstheorie der DDR gilt, trifft grundsätzlich auch auf ihre Rechtsordnung zu: Eine allein wirtschaftliche Inhaltbestimmung, also die ausschließliche Zurückführung des Inhalts des Rechts auf die Produktionsverhältnisse, ließ für andere konstituierende und bestimmende Faktoren wie etwa kulturelle Traditionen, Ethnie, Geographie, politische Bündnisse oder Fähigkeiten und Motivationen Einzelner einfach keinen Raum mehr.82

78 79 80 81 82

Goerner, S. 368 f. Hildermeier, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 91 (92 u. 111). Besier, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 113 (135 u. 137). Besier, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 113 (136). Lohmann, S. 28.

D. Fazit

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D. Fazit Das Familienrecht der DDR war mit der Abschaffung der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft und der Vereinheitlichung der Rechtfolgen von Verstößen gegen die verbliebenen Eheverbote dem Recht der Bundesrepublik, das diese Schritte erst 1976 beziehungsweise 1998 vornahm, um Jahrzehnte voraus und in diesen Hinsichten objektiv betrachtet fortschrittlicher. Dies führte vorübergehend, zwischen 1990 und 1998, zu einer anachronistischen Situation. Als die DDR gemäß Art. 1 Abs. 1 des „Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag –“ vom 31. August 199083 am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beitrat, trat gemäß Art. 8 mit Wirksamwerden des Beitritts im Gebiet der DDR Bundesrecht in Kraft. Dies bedeutete für die ehemaligen DDR-Bürger also vorübergehend ein so strenges Eheverbotsrecht wie seit 1955 nicht mehr. Mit der Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft und der Vereinheitlichung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen die verbliebenen Eheverbote im Jahre 1998 ist die Geschichte über das Eheverbotsrecht des FGB allerdings endgültig hinweggegangen. Die Frage, ob es diesbezüglich fortschrittlicher war als das bundesrepublikanische Recht, hat heutzutage keine praktische Bedeutung mehr. Damit bietet sich auch ein unverstellter Blick auf die systemimmanenten Mängel des Rechts der DDR. Ihm waren Grundprinzipien des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates wie Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und die richterliche Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit wesensfremd.84 Es ging den Machthabern nicht darum, den Bürgern mehr persönliche Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen, sondern um eine grundlegende gesellschaftliche Transformation. Dazu sollte den Menschen in der DDR im Wege der Gesetzgebung, auch mithilfe des Eheverbotsrechts, eine „sozialistische“ Moral aufoktroyiert werden. Das Eheverbotsrecht der DDR war darüber hinaus auch ein in sich widersprüchliches Gebilde. Es sollte mit den bürgerlich-rechtlichen Traditionen brechen und „sozialistisches“ Recht sein, hielt aber dennoch das auf diese Weise nicht zu rechtfertigende Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft aufrecht und berief sich dazu auf nicht näher spezifizierte „historisch gewachsene Moralvorstellungen“.85 Eine nähere Erläuterung hätte hingegen das Eingeständnis bedeutet, dass sich auch im Eheschließungsrecht der DDR noch Überbleibsel überkommener Wertvorstellungen fanden, also Normen ebenjener Gesellschaft, deren Überwindung man sich ja

83 Erlassen mit dem „Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18. September 1990“ vom 23. September 1990, BGBl. II, S. 885, 889. 84 Schröder, Jura 2004, S. 73 (77). 85 Autorenkollektiv, Familienrecht, S. 88.

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4. Kap.: Die Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)

gerade zum Ziel gesetzt hatte, und damit die partielle Widersprüchlichkeit zwischen den ideologischen Vorgaben und den geltenden Regeln offenbar werden lassen. Vor allem der Umstand, dass womöglich noch Rudimente des antiken römischen Rechts oder des mittelalterlichen Kirchenrechts im FGB vorhanden waren, hätte sich mit der konsequenten Ablehnung von Religion und der negativen Beurteilung der Antike als Sklavenhaltergesellschaft durch die marxistische Geschichtsphilosophie kaum vertragen. Die Begründung zu den Eheverboten musste an dieser Stelle also im Ungefähren bleiben. Damit zeigte sich allerdings auch die Substanzlosigkeit des hochtrabenden Moralismus, der ein wesentliches Merkmal des Rechts der DDR war.

5. Kapitel

Die Bundesrepublik Deutschland bis zum Erlass des Eheschließungsrechtsgesetzes (1949 bis 1998) Die auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen ebenfalls 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland knüpfte unter dem Eindruck der ideologischen Vereinnahmung von Ehe und Familie in zwei totalitären Systemen, dem untergegangenen Nationalsozialismus und dem gegenwärtigen real existierenden Sozialismus in der DDR, an ein christlich-naturrechtliches Ehe- und Familienbild an.1 Der mit der Ausarbeitung einer provisorischen Verfassung beauftragte Parlamentarische Rat einigte sich, auch unter intensiver Einflussnahme seitens der katholischen Kirche, in seinen Beratungen auf den Kompromiss zwischen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Freien Demokraten, Ehe und Familie unter verfassungsrechtlichen Schutz zu stellen.2 Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 19493 bestimmte schließlich in seinem Art. 6 Abs. 1: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Dass es in der Bundesrepublik zu einer anderen Entwicklung als in der DDR mit der dortigen Kodifikation eines qualitativ anderen Familienrechts en bloc kam, lag neben dieser Rückbesinnung auf christlich-naturrechtliche und bürgerlichrechtliche Traditionen im Wesentlichen wohl an drei Gründen. Erstens entsprach die in Art. 6 Abs. 1 GG zum Ausdruck gebrachte verfassungsrechtliche Idealvorstellung von der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihren fest definierten Rollen des Mannes als Ernährer und der Frau als Haushälterin und Erzieherin der Kinder in der Bundesrepublik während der ersten zwei Jahrzehnte ihres Bestehens wie niemals vorher oder nachher der sozialen Realität. Erst seit den sechziger und siebziger Jahren haben sich diese Verhältnisse zunächst allmählich und dann immer sichtbarer verändert.4 Zweitens brachte das Grundgesetz eine besondere Wechselbeziehung mit dem einfachgesetzlichen Ehe- und Familienrecht und damit für den Gesetzgeber die geradezu paradoxe Situation mit sich, einerseits den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie auszugestalten, dabei 1 Hattenhauer, S. 197; Dreier/Gröschner (2. Aufl.), Art. 6, Rn. 5; Dreier/BrosiusGersdorf (3. Aufl.), Art. 6, Rn. 10; Schmid, S. 265. 2 Hattenhauer, S. 197; Dreier/Gröschner (2. Aufl.), Art. 6, Rn. 16; Dreier/BrosiusGersdorf (3. Aufl.), Art. 6, Rn. 9 ff.; Schmid, S. 264 ff. 3 BGBl. I 1949, S. 1 ff. 4 Dreier/Gröschner (2. Aufl.), Art. 6, Rn. 19; Dreier/Brosius-Gersdorf (3. Aufl.), Art. 6, Rn. 22.

272

5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

aber andererseits selber an Art. 6 GG gebunden zu sein.5 Drittens, und das dürfte entscheidend gewesen sein, waren Änderungen des vom Alliierten Kontrollrat 1946 erlassenen Ehegesetzes zwar nicht ausgeschlossen, standen aber auch nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers, sondern bedurften einer vorherigen Abstimmung mit den westlichen Siegermächten. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des „Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen“ 6 (sogenannter Überleitungsvertrag) war es nämlich den Organen der Bundesrepublik untersagt, vom Kontrollrat erlassene Rechtsvorschriften aufzuheben oder zu ändern. Jedoch übertrugen die Westmächte durch Abs. 2 auf die Bundesrepublik „das Recht, nach jeweiliger Konsultation mit den Drei Mächten die Rechtsvorschriften des Kontrollrats innerhalb des Bundesgebietes außer Wirksamkeit zu setzen, die nicht nach anderen Bestimmungen des Vertrags über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten oder der Zusatzverträge oder auf Verlangen der Drei Mächte in Ausübung ihrer Rechte hinsichtlich Berlins und Deutschlands als Ganzem, einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer Friedensregelung, auf die im Vertrage über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten Bezug genommen ist, in Kraft bleiben, und die in einer Mitteilung im Namen der Regierungen der Drei Mächte an den Bundeskanzler vom Tage der Unterzeichnung dieses Vertrags aufgeführt sind.“

Abs. 3 stellte klar, dass vom Begriff der „Rechtsvorschriften“ unter anderen auch Gesetze umfasst waren. Angesichts dieser gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse ist es nachvollziehbar, dass auch Änderungen auf dem Gebiet der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft bis zur Mitte der siebziger Jahre entweder nicht über das Stadium von Gesetzentwürfen hinauskamen oder äußerst gering ausfielen. Reformen von der Tragweite wie in der DDR, nämlich die Abschaffung der Eheverbote wegen Geschlechtsgemeinschaft und Schwägerschaft sowie die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen für sämtliche verbliebenen Eheverbote, brachten erst das 1. Eherechtsreformgesetz von 1976 und das Eheschließungsrechtsgesetz von 1998.

A. Der „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts (Familienrechtsgesetz)“ vom 23. Oktober 1952 Am 23. Oktober 1952 legte die Bundesregierung dem Bundestag den von ihr beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstel5 6

Hufen, § 16, Rn. 3. BGBl. II 1955, S. 405.

A. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung

273

lung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts (Familienrechtsgesetz)“ vor.7 Dieser sah in seinem Ersten Teil in Art. 2 vor, im Ersten Abschnitt des Vierten Buches des BGB den Zweiten, Dritten und Vierten Titel wieder einzufügen, also das Eheschließungsrecht wieder in das Familienrecht des BGB zurückzuführen. Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft war in dem Gesetzentwurf nicht mehr vorgesehen. Im Übrigen sollte es materiell-rechtlich bei den bestehenden Regelungen bleiben. Nach dem beabsichtigten neuen § 1306 BGB sollte die Ehe untersagt sein zwischen Verwandten in gerader Linie und zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, unabhängig davon, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte. Nach dem neuen § 1307 Abs. 1 BGB war das Verbot der Eheschließung zwischen Verschwägerten in gerader Linie vorgesehen, auch wenn die die Schwägerschaft vermittelnde Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden war. Schwägerschaft in diesem Sinne sollte gemäß Abs. 2 zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten bestehen, wobei es auch diesbezüglich keine Rolle spielen sollte, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte. Nach Abs. 3 sollte die Möglichkeit einer Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft bestehen, worüber dasjenige Vormundschaftsgericht zu entscheiden haben sollte, in dessen Bezirk die Ehe geschlossen werden konnte. Gemäß dem vorgesehenen neuen § 1310 BGB sollte eine Ehe nicht geschlossen werden können zwischen den Adoptiveltern und ihren Abkömmlingen sowie Adoptivkindern. Als Folge von Verstößen gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft oder Schwägerschaft war gemäß dem neuen § 1328 BGB die Nichtigkeit der Ehe vorgesehen. Allerdings sollte bei nachträglich erteilter Befreiung eine Ehe zwischen Verschwägerten als von Anfang an gültig anzusehen sein. Die Nichtigkeitsklage sollte gemäß dem neuen § 1331 BGB der Staatsanwalt oder jeder der Ehegatten erheben können; war die Ehe aufgelöst, sollte dies nur der Staatsanwalt können. Nach dem neuen § 1330 BGB sollte man sich erst dann, wenn die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden war, auf die Nichtigkeit berufen können. In seinem Zweiten Teil in Art. 4 Nr. 10 sah der Gesetzentwurf die Einfügung eines neuen § 56c FGG vor, nach dessen Abs. 1 kein Rechtsmittel stattfinden sollte, wenn von einem Eheverbot nach den §§ 1307, 1309 BGB die Befreiung bewilligt wurde. Zu einer Änderung der Entscheidung sollte das Gericht nicht befugt sein. Wurde die Befreiung in diesen Fällen versagt, sollte jedem Verlobten jedoch gemäß Abs. 2 die Beschwerde zustehen. Nach der zum Gesetzentwurf gegebenen Begründung8 sollte dieser der Auflösung des BGB ein Ende machen. Die Ausgliederung des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts im Jahr 1938 sei der Höhepunkt dieses Auflösungsprozesses gewesen, während der Entwurf insbesondere durch die Wiedereingliederung dieser Materie zum BGB zurückführe. Dabei

7 8

BT-Drs. 1/3802. BT-Drs. 1/3802, S. 40 ff.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

seien unter anderem die familienrechtlichen Befreiungen hervorzuheben. Bisher habe es sich dabei um sogenannte Gnadenakte gehandelt, die in die Zuständigkeit der Justizverwaltung gefallen seien. Konsequenz sei, dass gegen diese Entscheidungen der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden könne, sich mit dem Befreiungsgesuch somit je nach Einzelfall vier oder fünf Instanzen befassen müssten. Eine Änderung sei daher wünschenswert und es entspreche auch den neuen staatsrechtlichen Verhältnissen, solche Entscheidungen von Beginn an den Gerichten anzuvertrauen.9 Zur geplanten Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft bezog sich die Bundesregierung auf die amtliche Begründung des Ehegesetzes von 1938, dass dieses Hindernis nur in seltenen Fällen feststellbar und den meisten fremden Rechtsordnungen unbekannt sei.10 Die Entscheidung über die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft dem Vormundschaftsgericht zu übertragen, erschien der Bundesregierung zweckmäßig. Es sei auch angebracht, dessen örtliche Zuständigkeit unter Bezugnahme auf die örtliche Zuständigkeit des Standesbeamten zur Eheschließung zu regeln. Dadurch seien keine besonderen Vorschriften für Personen notwendig, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätten. Auch da zumindest einer der Verlobten zu dem Ort der Eheschließung eine engere Beziehung haben werde, empfehle sich eine einheitliche Regelung der örtlichen Zuständigkeit für die Eheschließung und derjenigen Gerichte, die für eine davor erforderliche Befreiung zuständig seien.11 Besondere Richtlinien für die Befreiung, wie es sie zum Ehegesetz gab, erschienen der Bundesregierung entbehrlich, da die Gerichte der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin von Amts wegen verpflichtet seien, alle Umstände zu berücksichtigen, die für oder gegen eine Befreiung sprächen.12 Bereits am 26. September 1952 hatte sich der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf befasst und zu den vorgesehenen Änderungen der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft keinen Änderungsbedarf geltend gemacht.13 Dies mag seinen Grund in der Bestimmung des Art. 117 Abs. 1 GG haben, wonach das dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter zuwiderlaufende Recht zwar übergangsweise, jedoch nicht über den 31. März 1953 hinaus in Kraft blieb. Die Verwirklichung der Vorgabe von Art. 3 GG musste für den Gesetzgeber also höchste Priorität haben. So wies der Berichterstatter im Bundesratsplenum darauf hin, dass der Rechtsausschuss den Gesetzentwurf wegen dieses Zeitdrucks nicht der seiner besonderen Bedeutung angemessenen eingehenden Prüfung habe unterziehen können.14 Er habe daher auch bezüglich des zweiten 9

BT-Drs. 1/3802, S. 41. BT-Drs. 1/3802, S. 43. 11 BT-Drs. 1/3802, S. 43. 12 BT-Drs. 1/3802, S. 43. 13 Bundesratsverhandlungen 1952, S. 405 (412 ff.); die Änderungsvorschläge des Bundesrates finden sich in Anlage A zu BT-Drs. 1/3802. 14 Bundesratsverhandlungen 1952, S. 405 (412). 10

A. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung

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Zieles des Gesetzentwurfes, nämlich der Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts, von Änderungsvorschlägen abgesehen, die nicht unmittelbar etwas mit der Herstellung der Gleichberechtigung zu tun hatten.15 Das Ziel der Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts und damit verbunden der Bereinigung von nationalsozialistischen Vorschriften begrüßte der Ausschuss nach den Worten des Berichterstatters ausdrücklich.16 Gänzlich unbearbeitet war das Eheverbotsrecht als solches in den Ausschüssen aber auch nicht geblieben. So wollte der Innenausschuss im Gegensatz zum Rechtsausschuss die im Entwurf vorgesehene Vorschrift des neuen § 1309 Abs. 2 BGB streichen, dass die Befreiung vom Eheverbot des Ehebruchs grundsätzlich immer zu erteilen sein sollte, wenn nicht schwerwiegende Gründe entgegenstünden.17 Dies lässt vermuten, dass die Ausschüsse sich auch mit den vorgesehenen Änderungen zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft zumindest oberflächlich befasst hatten und mit ihnen sachlich einverstanden waren. Der Bundestag beriet den Gesetzentwurf am 27. November 1952 in erster Lesung.18 Schon dabei deutete sich an, dass eine Änderung des bestehenden Eheverbotsrechts wohl vorerst nicht zustande kommen würde. Die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft kamen zwar nicht zur Sprache, erwähnenswert sind jedoch die Debattenbeiträge über das vom Entwurf verfolgte Ziel der Vereinheitlichung des Familienrechts, da eine gemeinsame Behandlung mit der wegen Art. 117 Abs. 1 GG als vorrangig angesehenen Umsetzung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter alles andere als unumstritten war und fraktionsübergreifend auf Ablehnung stieß. Bundesjustizminister Thomas Dehler betonte bei Einbringung des Gesetzentwurfes das Ziel der Vereinheitlichung des Familienrechts sowie den Zweck, insbesondere das Kontrollratsgesetz Nr. 16, also das geltende Ehegesetz, abzuschaffen. Bei seiner Ausführung, das Ehegesetz solle abgesehen von § 48 unverändert in das BGB eingefügt werden, übersah er jedoch offenbar, dass mit der Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft eben doch eine Änderung im Entwurf vorgesehen war.19 Skeptisch bis ablehnend gegenüber dem Vorhaben, das Ehegesetz wieder in das BGB zu übernehmen, äußerte sich der Koblenzer CDU-Abgeordnete Karl Weber. Zwar drückte er seine Hoffnung aus, dass das BGB „wieder die Funktion übernähme, die ihm ursprünglich zukam, nämlich unsere bürgerlichen Rechtsbeziehungen samt und sonders zu regeln, wenn es also wieder die Kodifikation des gesamten bürgerlichen Rechts würde.“ Aber mangels einer Rechtszersplitterung

15 16 17 18 19

Bundesratsverhandlungen 1952, S. 405 (414). Bundesratsverhandlungen 1952, S. 405 (414). Bundesratsverhandlungen 1952, S. 405 (415). Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11052 ff. Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11055.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

im Eherecht werde durch die Übernahme des Ehegesetzes in das BGB die Rechtseinheit gerade nicht wiederhergestellt und die seit 1945 erfolgten Änderungen seien nicht so bedeutend, dass eine Behandlung des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts im vorliegenden Gesetzentwurf und die Rückführung in das BGB zweckmäßig seien. Das Ehescheidungsrecht sei zudem reformbedürftig und könne daher aus Zeitdruck neben der Umsetzung der Gleichberechtigung nicht mitbehandelt werden. Daher sei es auch nicht entscheidend, ob man es vorläufig beim geltenden Ehegesetz belasse oder es unverändert in das BGB übernehme.20 Sofern man Webers Ausführungen als repräsentativ für die Unionsfraktion ansehen kann, wollte diese es also offenbar wegen des vorrangigen Ziels, die verfassungsrechtlich geforderte Gleichberechtigung der Geschlechter umzusetzen, zunächst unverändert beim bestehenden Eheschließungsrecht und damit den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft belassen. Die oppositionellen Sozialdemokraten lehnten ebenfalls Änderungen am geltenden Eheschließungsrecht zum damaligen Zeitpunkt ab, sofern es dabei nicht um Fragen der Gleichberechtigung ging. So monierte deren Abgeordnete Friederike Nadig, der Gesetzentwurf gehe mit der Absicht, gleichzeitig mit der Gleichberechtigung die Rechtseinheit und die Neuordnung des Eherechts herbeizuführen, weit über die vom Grundgesetz gestellte Aufgabe hinaus. Auf diese müsse vielmehr die Reform des Familienrechts beschränkt werden. Die Einheit des Familienrechts könne durch den Entwurf zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Übrigen keinesfalls hergestellt werden, da das Ehegesetz und das BGB in der „Ostzone“ (gemeint war die DDR) noch geltendes Recht seien und daher die Rechtsungleichheit zwischen West und Ost noch vertieft werde.21 Eine prinzipielle Reformbedürftigkeit des Ehe- und Familienrechts mahnte Nadig jedoch an. Das BGB sei bereits bei seinem Inkrafttreten weit überholt und wirklichkeitsfremd gewesen und eine Neuordnung des Familienrechts müsse die Veränderungen im wirtschaftlichen und sozialen Leben der Familie berücksichtigen, um sich nicht demselben Vorwurf auszusetzen.22 Angesichts der Bedenken, die bereits im Kaiserreich gegen das Verbot der Ehe wegen Geschlechtsgemeinschaft vorgebracht worden waren, der zeitweisen Abschaffung dieses Verbotes 1938 und seiner Wiedereinführung 1946 sowie der Tatsache, dass es zur Wiederherstellung der Rechtsvereinheitlichung ja gerade einer Rückführung des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts in das BGB bedurfte, ist zumindest denkbar, dass Nadig bei ihren Ausführungen auch an eine Reform der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft dachte. In ähnlicher Weise wie sie äußerte ihr Fraktionskollege Walter Menzel, dass Reformbestrebungen auf Gebieten wie dem Ehescheidungs- oder dem Kindschaftsrecht zwar grundsätzlich erfreulich, aber angesichts des Verfassungsauftrages zur Herstellung der Gleichberechtigung eine zusätzliche und un20 21 22

Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11056. Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11061. Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11061.

B. Der FDP-Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung

277

nötige Belastung seien.23 Der Bundestag überwies den Gesetzentwurf schließlich an den Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht.24 Dieser wiederum setzte einen Unterausschuss ein, der den Entwurf zwischen dem 5. Februar und dem 6. März 1953 in 15 Sitzungen beriet; eine Verabschiedung in der ersten Wahlperiode des Bundestages kam dann allerdings nicht mehr zustande.25 Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Bestimmungen zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft waren gemessen an den damaligen Maßstäben fortschrittlich. Bereits zwei Jahre vor dem Entwurf von 1954 für ein Familiengesetzbuch und drei Jahre vor Erlass der Ehe-Verordnung von 1955 in der DDR sah der Entwurf die Aufhebung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft vor und beabsichtigte zudem ein für die gesamte Bundesrepublik einheitliches Verfahren für die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft. Darüber hinaus sollte er den bis 1938 bestehenden Zustand wiederherstellen, dass das Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht Teil des BGB war, und damit das systemwidrige Herausbrechen dieses Teils des Familienrechts durch die Nationalsozialisten rückgängig machen. Auch wenn es in der ersten Legislaturperiode des Bundestages nicht mehr zur Verabschiedung kam, waren mit dem Entwurf immerhin Möglichkeiten für Reformen auf dem Gebiet des Eheverbotsrechts aufgezeigt worden, die die Gesetzgebung in den kommenden Jahrzehnten vornehmen sollte.

B. Der „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts“ der FDP-Bundestagsfraktion vom 2. Dezember 1953 Am 2. Dezember 1953 legte die FDP-Bundestagsfraktion dem Parlament den „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts“ vor, der mit seinen vorgesehenen Bestimmungen über die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft dem Regierungsentwurf vom 23. Oktober 1952 entsprach.26 Gemeinsam mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Familienrechts an Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes“ der SPD-Bundestagsfraktion vom 13. Januar 195427 und dem „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau 23 24 25 26 27

Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11069. Bundestagsverhandlungen, Bd. 13, S. 11072. Zu BT-Drs. 2/3409, S. 2. BT-Drs. 2/112. BT-Drs. 2/178.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts“ der Bundesregierung vom 29. Januar 195428, die jeweils keine Änderung oder Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB vorsahen, wurde er am 12. Februar 1954 in erster Lesung im Bundestag beraten.29 Der Regierungsentwurf ließ das Eheschließungsrecht einerseits wegen der Bestimmung des Art. 117 Abs. 1 GG unbehandelt, andererseits wegen der diesbezüglichen Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil vom 18. Dezember 1953, dass „Artikel 117 Absatz 1 GG insoweit wirksam war, als er das dem Artikel 3 Absatz 2 GG entgegenstehende bürgerliche Recht auf dem Gebiete von Ehe und Familie mit Ablauf des 31. März 1953 außer Kraft setzt.“ 30

Die Bundesregierung stellte in der Begründung zu ihrem Entwurf fest, dass mit dem Inkrafttreten der Gleichberechtigung eine erhebliche Rechtsunsicherheit über den Inhalt des danach geltenden Rechts eingetreten sei und machte deutlich, dass sowohl das Gebot der Verfassung, als auch die Sicherheit des Rechtsverkehrs eine baldmöglichste Übereinstimmung des geschriebenen bürgerlichen Rechts mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung erforderten. Daher beschränke sich der Regierungsentwurf auf die Verwirklichung des Gleichberechtigungsgrundsatzes und verzichte gleichzeitig auf die Herbeiführung der Rechtseinheit im Familienrecht zum gegebenen Zeitpunkt. Die Rückführung der Regelungen des Ehegesetzes in das BGB bedürfe einer eingehenden Prüfung und Erörterung der Materie und müsse einem weiteren Gesetzentwurf vorbehalten bleiben.31 Entsprechend äußerte sich Bundesjustizminister Fritz Neumayer in der ersten Beratung im Bundestag. Die Rückführung des Ehegesetzes in das BGB solle zwar möglichst schnell erfolgen, gleichzeitig mit der Umsetzung der Gleichberechtigung würde sie allerdings die Verabschiedung des Gesetzentwurfes verzögern und damit den Zustand der Rechtsunsicherheit zu sehr verlängern. Einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienrechts werde die Bundesregierung zu gegebener Zeit vorlegen, da sie diese als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben betrachte.32 Zum Entwurf der FDP-Fraktion erklärte deren nunmehriger Vorsitzender Thomas Dehler dagegen, er halte eine Reform des Eherechts nicht für notwendig und die Voraussetzungen dafür nicht für gegeben. Es bestünden somit keine Bedenken, es wieder in das BGB einzufügen.33 Mit dieser Meinung standen die Liberalen allerdings offensichtlich weitgehend alleine da. Friederike Nadig betonte, dass der Gesetzgeber sich an die vom Grundgesetz gestellte Aufgabe der Gleichberechtigung der Geschlechter halten, also diejenigen gesetzlichen Bestimmungen neuordnen müsse, die ihr entgegenstünden. Zudem wirke die Nicht28 29 30 31 32 33

BT-Drs. 2/224. Bundestagsverhandlungen, Bd. 18, S. 473 ff. BVerfGE 3, 225 (225). BT-Drs. 2/224, S. 27. Bundestagsverhandlungen, Bd. 18, S. 474. Bundestagsverhandlungen, Bd. 18, S. 484.

B. Der FDP-Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung

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einbeziehung des Ehescheidungs- und Eheschließungsrechts auf die Öffentlichkeit beruhigend, nachdem der Bundesfamilienminister durch Äußerungen über Änderungen des Ehescheidungsrechts und die Abschaffung der Zivilehe für Unruhe in der Bevölkerung gesorgt habe.34 Ähnlich äußerte sich der Abgeordnete Fritz Czermak vom Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Das Ehegesetz solle nicht im BGB normiert werden, sondern seine gewiss schwierige Materie erfordere eine ganz besondere Behandlung und würde die beabsichtigte Reform nur komplizieren und verzögern.35 Der Bundestag überwies die drei Gesetzentwürfe schließlich an den Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht36, der sie im „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts (Gleichberechtigungsgesetz – GleichberG)“ vom 12. April 195737 zusammenfasste. Der Priorität für die einfachgesetzliche Umsetzung der Gleichberechtigung entsprechend blieb das Eheschließungsrecht unberücksichtigt. Der Entwurf wurde in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag am 3. Mai 1957 beraten und verabschiedet.38 Dabei erklärte der CDU-Abgeordnete Karl Weber als Generalberichterstatter, dass die von der FDP mit ihrem Gesetzentwurf aufgeworfene Frage der Rechtseinheit im Familienrecht im Ausschuss noch nicht behandelt worden sei und anhängig bleiben müsse. Es erscheine nicht vertretbar, die Verabschiedung des längst fälligen Gesetzentwurfes zur Anpassung des Rechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung weiter aufzuschieben. Darüber, ob der Rechtsausschuss noch zur Arbeit an der Wiederherstellung der Rechteinheit auf dem Gebiet des Familienrechts oder vielleicht nur zur Behandlung einzelner Bestimmungen des restlichen Entwurfes komme werde, lasse sich noch nichts Abschließendes sagen.39 Damit blieben die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft also weiterhin unverändert bestehen. Wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Vorjahr zeigte aber auch derjenige der FDP-Bundestagsfraktion, dass das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft auch in der Bundesrepublik bereits in den frühen fünfziger Jahren trotz der genannten Rückbesinnung auf christlichnaturrechtliche und bürgerlich-rechtliche Traditionen parteiübergreifend zweifelhaft geworden war. Seine Abschaffung war in der ersten Legislaturperiode des Bundestages lediglich aus Zeitgründen und in der zweiten deshalb gescheitert, weil der Gesetzgeber, vom Bundesverfassungsgericht endgültig dazu gezwungen, sein Hauptaugenmerk auf die Umsetzung der vom Grundgesetz geforderten Gleichberechtigung der Geschlechter legen musste.

34 35 36 37 38 39

Bundestagsverhandlungen, Bd. 18, S. 485. Bundestagsverhandlungen, Bd. 18, S. 502. Bundestagsverhandlungen, Bd. 18, S. 516. BT-Drs. 2/3409. Bundestagsverhandlungen, Bd. 36, S. 11761 ff. u. 11768 ff. Bundestagsverhandlungen, Bd. 36, S. 11762.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

C. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften“ vom 9. Juli 1955 Am 9. Juli 1955 legte die Bundesregierung dem Bundestag den „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften“ vor.40 Dieser enthielt im Gegensatz zum Regierungsentwurf von 1952 zwar keine Änderungen des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts, war für die weitere Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft allerdings insofern von Bedeutung, weil die Bundesregierung ihr Festhalten an dem Plan einer Neugestaltung des Eheschließungsrechts deutlich machte. In der Begründung stellte sie klar, sie halte es weiterhin für erforderlich, auch diejenigen Aspekte des Eherechts, die im alliierten Kontrollratsgesetz von 1946 geregelt waren, wieder auf eine deutsche Rechtsgrundlage zu stellen. Ein entsprechender Gesetzentwurf sei beabsichtigt, sobald die Vorarbeiten daran abgeschlossen seien. Deshalb werde im vorliegenden Entwurf auf Änderungen des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts verzichtet.41 Im Ergebnis kam es in der zweiten Legislaturperiode des Bundestages jedoch weder zu einer Verabschiedung des Entwurfes42, noch zu Änderungen des geltenden Eheverbotsrechts.

D. Das „Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz)“ vom 11. August 1961 Eine erste Reform der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft bedeutete das „Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz)“ vom 11. August 1961.43 Gemäß seinem Art. 2 Nr. 1b) verlor § 4 Abs. 3 des Ehegesetzes seine Gültigkeit und wurde durch die Bestimmung ersetzt, dass das Vormundschaftsgericht von dem Eheverbot wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft Befreiung erteilen konnte. Diese sollte jedoch versagt werden, wenn der Eingehung der Ehe wichtige Gründe entgegenstünden. Die Zuständigkeit für die Erteilung der Befreiung wurde durch Art. 4 Nr. 3 neu geregelt. Dieser fügte dem FGG unter anderem einen § 44a hinzu. Nach dessen Abs. 1 war das Gericht für zuständig, in dessen Bezirk einer der Verlobten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hatte keiner von ihnen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, war das Amtsgericht Schöneberg in Berlin-Schöneberg zuständig. Dieses konnte allerdings die 40 41 42 43

BT-Drs. 2/1586. BT-Drs. 2/1586, S. 11. BT-Drs. 3/530, S. 13. BGBl. I 1961, S. 1221.

D. Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961

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Sache aus wichtigen Gründen mit Bindungswirkung an ein anderes Gericht abgeben. Die Befreiungserteilung war nach Abs. 2 unanfechtbar; das Gericht durfte sie nach Eheschließung nicht mehr ändern. Aufgehoben wurden gemäß Art. 9 Ziff. I Abs. 2 Nrn. 11, 25 und 27 die bisherigen Regelungen über die Erteilung der Befreiung [zu diesen siehe BT-Drs. 3/530, S. 34; im Saarland, das erst 1957 der Bundesrepublik beigetreten war, war durch Art. 5 Ziff. VI. § 3 des „Gesetz Nr. 555 zur Angleichung des saarländischen Rechts an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, des Zivilund Strafverfahrens und des bürgerlichen Rechts (Rechtsangleichungsgesetz – RAG –)“ vom 22. Dezember 195644 die Bestimmung übernommen worden, dass der Präsident des Landgerichts zuständig war, in dessen Bezirk der Mann seinen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hatte]. Das Familienrechtsänderungsgesetz schaffte also zwar endgültig Klarheit darüber, dass auch für das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft eine Befreiungsmöglichkeit bestehen sollte, was einerseits entsprechende Vorgaben durch ministerielle Erlasse wie in den späten vierziger Jahren überflüssig machte und andererseits Unberechenbarkeit vermied, die dadurch entstehen konnte, dass man diese Frage der Klärung durch Gerichte oder die Wissenschaft überließ. Zudem vereinheitlichte es Verfahren und Zuständigkeit. Anders als in dem zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits neun Jahre zurückliegenden Gesetzentwurf aus dem Jahr 1952 vorgesehen, reduzierte es jedoch nicht die Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft ihrem Umfang nach. Es war also nur ein zaghafter erster Schritt hin zu einer Liberalisierung des Eheverbotsrechts. Auch führte es das Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht nicht wieder in das BGB zurück. Die Bundesregierung übersandte dem Bundesrat am 31. Mai 1958 ihren „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften – Familienrechtsänderungsgesetz“.45 Der Bundesrat beriet darüber am 4. Juli 1958, wobei er keine Änderungen bezüglich der Vorschriften über das Eheverbotsrecht anregte.46 Dem Bundestag legte die Bundesregierung daraufhin ihren „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz)“ am 7. August 1958 vor.47 Dieser enthielt noch keine ausdrückliche Befreiungsmöglichkeit vom Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft. In Art. 8 § 2 Abs. 1 war lediglich vorgesehen, dass die Entscheidung über die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft dem Vormundschaftsgericht übertragen werden sollte. In der Begründung hob die Bundesregierung allerdings hervor, dass überwiegend anerkannt

44

Amtsblatt des Saarlandes 1956, S. 1667. BR-Drs. 162/58. 46 Bundesratsverhandlungen 1958, S. 145 (162 ff.); zusammenfassend zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates siehe Anlage 2 zu BT-Drs. 3/530. 47 BT-Drs. 3/530. 45

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

sei, dass die Vorschriften über die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft auch auf die Befreiung vom Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft anzuwenden seien. Daher umfasse Art. 8 § 2 auch die Befreiung von diesem.48 Dies wirft allerdings die Frage auf, warum sich die Bundesregierung daran gehindert sah, diesbezüglich eine gesetzliche Klarstellung vorzuschlagen. Bereits vorgesehen war gemäß Art. 8 § 2 Abs. 3, dass die Befreiung versagt werden sollte, wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstünden. Die bisherige Bestimmung, dass bei der Entscheidung alle Umstände des Falles zu berücksichtigen seien, sei selbstverständlich und könne entbehrt werden. Ebenfalls wegfallen könne die Vorschrift, dass die Befreiung in der Regel erst zu erteilen war, wenn seit der Auflösung der Ehe, auf der die Schwägerschaft beruhte, ein Jahr vergangen war. Es solle im Einzelfall geprüft werden, ob ein allzu geringer zeitlicher Abstand zwischen der Auflösung der alten und Schließung der neuen Ehe ein wichtiger Grund sei, die Befreiung zu versagen.49 Art. 8 § 2 Abs. 2 entsprach inhaltlich bereits dem späteren § 44a Abs. 1 FGG, allerdings war konsequenterweise noch von „Verschwägerten“ statt von „Verlobten“ die Rede. Für den Fall, dass nach der vorgesehenen Regelung mehrere Gerichte zuständig waren, verwies die Bundesregierung in der Begründung darauf, dass nach § 4 FGG dem Gericht der Vorzug gebühre, das als erstes in der Sache tätig geworden war.50 In Art. 8 § 2 Abs. 4 fehlte noch die spätere Regelung in § 44a Abs. 2 FGG, dass die Verfügung zur Erteilung der Befreiung unanfechtbar war, im Übrigen bestand inhaltliche Übereinstimmung. Mit der Regelung, dass die Verfügung nicht mehr geändert werden konnte, wenn die Ehe geschlossen war, sollte laut Begründung der Bundesregierung klargestellt werden, dass die bereits geschlossene Ehe nicht gemäß § 21 des Ehegesetzes rückwirkend nichtig werde.51 Die Aufhebung derjenigen Vorschriften, die bisher die Regelungen über die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft trafen, war im Gesetzentwurf in Art. 10 Ziff. I Abs. 2 Nrn. 10, 23 und 25 vorgesehen. Am 15. Oktober 1958 beriet der Bundestag den Gesetzentwurf in erster Lesung und überwies ihn unter Verzicht auf Begründung und Aussprache federführend an den Rechtsausschuss sowie mitberatend an den Ausschuss für Familienund Jugendfragen.52 Der Rechtsausschuss legte die Zusammenstellung seiner Beschlüsse am 9. Juni 1961 vor.53 Nach dem Bericht der CDU-Abgeordneten Elisabeth Schwarzhaupt hatte der Ausschuss in der Sache bezüglich der das Inzestverbot betreffenden Vorschriften keinen Modifizierungsbedarf gesehen, son-

48 49 50 51 52 53

BT-Drs. 3/530, S. 32. BT-Drs. 3/530, S. 31 f. BT-Drs. 3/530, S. 31. BT-Drs. 3/530, S. 32. Bundestagsverhandlungen, Bd. 42, S. 2511. BT-Drs. 3/2812.

E. Das „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder‘‘

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dern diesen ohne Bedenken zugestimmt. Als unbefriedigend sei jedoch die systematische Stellung dieser Vorschriften angesehen worden. Da die Rechtsgrundlage für die Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft und deren Voraussetzungen in das Ehegesetz, die Regelungen über die Zuständigkeit aber in das FGG gehörten, seien entsprechende Änderungen vorgenommen worden.54 Die in Art. 8 § 2 des Regierungsentwurfes vorgesehenen Neuregelungen hatte der Rechtsausschuss in Art. 2a Nr. 1b) verschoben und so umformuliert, dass sie dem späteren Gesetzeswortlaut entsprachen.55 In Art. 4 schlug der Ausschuss die Einfügung einer neuen Nr. 2a vor, die den späteren neuen § 44a FGG enthielt.56 Die Unanfechtbarkeit der Befreiungserteilung schien dem Ausschuss im Interesse der Verlobten erforderlich, da die Entscheidung von Dritten nicht unnötig verzögert werden können sollte.57 Der Entwurf wurde im Bundestag am 28. Juni 1961 in zweiter und dritter Lesung beraten und verabschiedet.58 Dabei spielten die beabsichtigten Regelungen zu den Eheverboten keine Rolle mehr. Der Bundesrat stimmte dem Gesetzentwurf im zweiten Durchgang am 14. Juli 1961 ebenfalls zu, ohne das Eheverbotsrecht noch zu thematisieren.59 Gemäß Art. 9 Ziff. IV trat das Gesetz am 1. Januar 1962 in Kraft.

E. Das „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder“ vom 19. August 1969 Das „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder“ vom 19. August 196960 brachte keine materiell-rechtliche Neuerung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft, sondern fasste durch seinen Art. 2 Nr. 1 mit dem Verzicht auf die Bestimmung, dass es für das Verbot der Ehe zwischen Verwandten gleichgültig sei, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruhte, lediglich § 4 Abs. 1 des Ehegesetzes neu. Am 21. September 1967 übersandte die Bundesregierung dem Bundesrat den von ihr beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder“ 61, nach dessen Art. 1 Nr. 3 der bisherige § 1589 Abs. 2 BGB abgeschafft werden sollte, wonach ein uneheliches Kind als nicht mit seinem Vater verwandt galt. Ausweislich der beigefügten Begründung sollten die notwendigen Änderungen anderer Gesetze als des BGB sowie die Übergangs54 55 56 57 58 59 60 61

Zu BT-Drs. 3/2812, S. 9. BT-Drs. 3/2812, S. 14. BT-Drs. 3/2812, S. 17. Zu BT-Drs. 3/2812, S. 10. Bundestagsverhandlungen, Bd. 49, S. 9459 ff. Bundesratsverhandlungen 1961, S. 181 ff. BGBl. I 1969, S. 1243. BR-Drs. 468/67.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

und Schlussvorschriften in einem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Unehelichengesetzes vorbehalten und dieser in Kürze vorgelegt werden.62 Der Bundesrat befasste sich mit dem Gesetzentwurf am 27. Oktober 1967 und vertrat die Auffassung, dass das Gesetz seiner Zustimmung bedürfe.63 Eine Änderung von Bestimmungen des Ehegesetzes schlug er nicht vor.64 Dem Bundestag legte die Bundesregierung ihren Entwurf am 7. Dezember 1967 vor.65 In der ersten Lesung am 17. Januar 1968 kündigte Bundesjustizminister Gustav Heinemann abermals den Entwurf für ein Einführungs- und Änderungsgesetz an.66 Der Bundestag überwies den Gesetzentwurf federführend an den Rechtsausschuss sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Familien- und Jugendfragen.67 Den in Aussicht gestellten „Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder“ übersandte die Bundesregierung am 6. September 1968 an den Bundesrat.68 Mit seiner in Art. 1 Nr. 1. vorgesehenen Neufassung von § 4 Abs. 1 des Ehegesetzes entsprach er bereits dem späteren Gesetz. Die Begründung hob ausdrücklich hervor, dass damit eine sachliche Änderung nicht eintrete, sondern dass dieser Hinweis wegen des vorgesehenen Wegfalls von § 1589 Abs. 2 BGB überflüssig würde. Eine Verwandtschaft im Rechtssinne werde nach dem dann alleine maßgebenden § 1589 Abs. 1 BGB auch die durch uneheliche Geburt begründete sein.69 Der Bundesrat beriet den Entwurf am 4. Oktober 1968 und machte, den Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten folgend, bezüglich Art. 1 Nr. 1. keinen Änderungsbedarf geltend.70 Dem Bundestag legte die Bundesregierung den Entwurf des Einführungsgesetzes am 14. Januar 1969 vor.71 Das Plenum überwies ihn in erster Lesung ohne Aussprache am 5. Februar 1969 ebenfalls federführend an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Familien- und Jugendfragen.72 Der Rechtsausschuss fasste beide an ihn überwiesenen Entwürfe zu einem Entwurf zusammen73, in dessen Art. 2 Nr. 1 er die Neufassung von § 4 Abs. 1 des Ehegesetzes übernahm. Der nunmehr

62

BR-Drs. 468/67, S. 18 u. 22 f. Bundesratsverhandlungen 1967, S. 229 ff. 64 Die Änderungsvorschläge des Bundesrates finden sich in BR-Drs. Nr. 468/1/67. 65 BT-Drs. 5/2370. 66 Bundestagsverhandlungen, Bd. 66, S. 7557 ff. (7561). 67 Bundestagsverhandlungen, Bd. 66, S. 7575. 68 BR-Drs. 351/68. 69 BR-Drs. 351/68, S. 23. 70 Bundesratsverhandlungen 1968, S. 233 f.; die Empfehlungen der Ausschüsse finden sich in BR-Drs. 351/1/68. 71 BT-Drs. 5/3719. 72 Bundestagsverhandlungen, Bd. 69, S. 11526. 73 Siehe den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vom 9. Mai 1969 (BT-Drs. 5/4179). 63

F. Das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)‘‘

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einheitliche Gesetzentwurf wurde in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag am 14. Mai 1969 beraten und verabschiedet.74 Nachdem der Bundesrat am 20. Juni 1969 den Vermittlungsausschuss angerufen hatte – er sah vor allem in der im Gesetz vorgesehenen gesetzlichen Beistandschaft für die Mütter nichtehelicher Kinder eine Diskriminierung75 –, stimmte der Bundestag dessen Änderungsvorschlag vom 25. Juni am 2. Juli, der Bundesrat dem Gesetzentwurf schließlich am 11. Juli zu.76 Gemäß seinem Art. 12 II. § 27 trat das Gesetz am 1. Juli 1970 in Kraft.

F. Das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)“ vom 14. Juni 1976 In den ersten 20 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik waren die Bundesregierungen stets christdemokratisch geführt gewesen. Eine Zäsur bedeutete daher die Wahl zum sechsten Deutschen Bundestag am 28. September 1969. Die Unionsparteien gewannen 46,1 Prozent der Stimmen und 242 Mandate, die SPD 42,7 Prozent und 224 Mandate, die FDP 5,8 Prozent und 30 Mandate. Damit war rechnerisch eine sozialliberale Koalition möglich geworden, die nach raschen Verhandlungen auch gebildet wurde.77 Der Bundestag wählte am 21. Oktober 1969 den Bundesvorsitzenden der SPD und bisherigen Bundesaußenminister Willy Brandt zum neuen Bundeskanzler. Eine Woche später gab Brandt seine erste Regierungserklärung als Kanzler ab, in deren innenpolitischem Teil er unter anderem eine Liberalisierung des Eherechts ankündigte.78 Was die anzugehenden Gesetzesvorhaben anging, sollte einerseits an die Arbeit der Vorgängerregierung angeknüpft, andererseits aber auch deutlicher als bisher dem sozialen Wandel Rechnung getragen werden: „Die Bundesregierung wird die vom Herrn Bundespräsidenten als früherem Bundesminister der Justiz begonnenen Reformen unseres Rechts fortführen. Sie hofft, hierfür eine ebenso große Mehrheit über alle Parteien hinweg zu erhalten, wie sie die vom letzten Bundestag verabschiedeten Reformgesetze gefunden haben. Es geht um mehr als um die erforderliche Anpassung an Rechtsvorschriften an die sich rapide verändernden wirtschaftlichen, technischen und sozialen Verhältnisse. Die Menschen in unserer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft erwarten eine soziale und humane Rechts- und Lebensordnung, die allen Bürgern gleiche Chancen und Schutz auch vor dem wirtschaftlich Stärkeren gewährt. (. . .) Im Zivilrecht ist die Reform des

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Bundestagsverhandlungen, Bd. 70, S. 12994 ff. Bundesratsverhandlungen 1969, S. 147 ff. 76 Der Bericht des Vermittlungsausschusses vom 25. Juni 1969 findet sich in BT-Drs. 5/4501. Zur Zustimmung des Bundestages siehe Bundestagsverhandlungen, Bd. 70, S. 13723 f.; zu derjenigen des Bundesrates siehe Bundesratsverhandlungen 1969, S. 209. 77 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 3, S. 571 ff. 78 Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 3, S. 574; zur Regierungserklärung siehe Bundestagsverhandlungen, Bd. 71, S. 20 ff. 75

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

Eherechts dringend. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage der Empfehlungen der eingesetzten Kommission im kommenden Jahr eine Reformnovelle vorlegen. Weltanschauliche Meinungsverschiedenheiten dürfen uns nicht daran hindern, eine Lösung zu finden, um die Not der in heillos zerrütteten Ehen lebenden Menschen zu beseitigen. Dabei muss verhindert werden, dass im Falle der Scheidung Frau und Kinder die sozial Leidtragenden sind.“ 79

Diese Ausführungen sprechen nicht gerade dafür, dass, wie Hans Hattenhauer meint, mit der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition Friedrich Engels’ Familien- und Ehetheorie im Zeichen des Neomarxismus neu entdeckt wurde und Ehe und Familie wieder als fragwürdige Einrichtungen galten.80 Vielmehr wollte die neue Bundesregierung offenbar aus der eingangs erwähnten allmählichen sozialen Entwicklung weg von der klassischen bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrer festgelegten Rollenverteilung hin zu einem gleichberechtigten partnerschaftlichen Verständnis von Ehe und Familie gesetzgeberische Konsequenzen ziehen. Eine solche war das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)“ vom 14. Juni 197681, das in seinem Art. 3 Nr. 1. das Verbot der Ehe wegen Geschlechtsgemeinschaft gemäß § 4 Abs. 2 des Ehegesetzes aufhob und als Konsequenz mit Art. 3 Nr. 2. in § 4 Abs. 3 Satz 1 des Ehegesetzes auch die Worte „und Geschlechtsgemeinschaft“ strich.

I. Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum zum Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft bis zu den frühen siebziger Jahren82 Schon lange bevor die sozialliberale Bundesregierung einen ersten Entwurf für ein Ehe- und Familienrechtsreformgesetz vorlegte, hatten sich vereinzelt die Rechtsprechung, vor allem aber das rechtswissenschaftliche Schrifttum mit den Fragen nach der Legitimation und der Verfassungsmäßigkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft beschäftigt. Konkrete Empfehlungen für eine Gesetzesänderung hatte die in Brandts Regierungserklärung erwähnte, beim Bundesjustizministerium gebildete Eherechtskommission zu Beginn der siebziger Jahre abgegeben. 1. Die Rechtsprechung Seiner geringen Bedeutung in der Praxis entsprach es, dass es bis zu Beginn der siebziger Jahre nur wenige Gerichtsentscheidungen zum Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft gab. Abgesehen von einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg vom 22. Oktober 1969 lag in allen Fällen gleichzeitig auch das 79 80 81 82

Bundestagsverhandlungen, Bd. 71, S. 25 f. Hattenhauer, S. 181. BGBl. I 1976, S. 1421. Zusammenfassend BVerfGE 36, 146 (152 ff.).

F. Das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)‘‘

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Eheverbot wegen Schwägerschaft vor.83 Wegen des besonderen staatlichen Schutzes für Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG wurden die Eheverbote gemäß § 4 des Ehegesetzes als gerechtfertigt angesehen.84 So führte das Bundesverwaltungsgericht dazu in seinem Urteil vom 27. Mai 1960 aus: „Das Eheverbot des § 4 EheG entspricht der in § 1310 BGB enthalten gewesenen Regelung, die ebenfalls die Schwägerschaft zum trennenden und die Geschlechtsgemeinschaft zum aufschiebenden Eheverbot erklärte, die aber im Gegensatz zu § 4 EheG keine Befreiung von diesen Eheverboten vorsah. Getragen sind diese auch kirchenrechtlich anerkannten Eheverbote von der Vorstellung der Anstößigkeit derartiger ehelicher Verbindungen und der Widernatürlichkeit der verwandtschaftlichen Beziehungen, die sich namentlich dann aus einer solchen Verbindung ergeben können, wenn aus der die Schwägerschaft begründenden Ehe oder Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen sind. Das Eheverbot des § 4 EheG dient also, worauf auch das OVG zutreffend hinweist, nach dem Willen des Gesetzgebers dem Schutz der dem christlich-abendländischen Vorstellungsbild entsprechenden und in starkem Maße vom Sittengesetz beherrschten Institution der Ehe. Schon deshalb kann dieses Eheverbot nicht mit Art. 6 GG kollidieren, der gerade die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Das Eheverbot des § 4 EheG dient der Verwirklichung dieses Postulats und bildet, da sich der Gesetzgeber dabei innerhalb seines legitimen Ermessens hielt, einen Bestandteil der Rechtsordnung. Deshalb kann die Gültigkeit dieses Verbots auch nicht durch Art. 2 GG in Frage gestellt werden, da dieser das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit an der verfassungsmäßigen Ordnung seine Grenze finden lässt. Unter verfassungsmäßiger Ordnung im Sinne dieser Vorschrift ist aber die verfassungsmäßige Rechtsordnung, d. h. Gesamtheit der Normen zu verstehen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind.“ 85

Das Oberlandesgericht Hamburg erklärte in dem erwähnten Beschluss vom 22. Oktober 1969: „Verfassungsrechtlich begegnet § 4 EheG auch in seiner heutigen Formulierung keinen durchgreifenden Bedenken. (. . .) Obwohl § 4 EheG eine Einschränkung des aus Art. 6 I GG i.V. m. Art. 2 I GG hergeleiteten Rechts auf ungehinderte Eheschließung enthält, widerstreitet er diesen Grundrechten nicht. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Art. 2 I GG enthält, wird eingeschränkt durch die nachfolgenden Grundrechte, so auch durch Art. 6 GG, der nicht nur das Recht auf ungehinderte Eheschließung gewährt, sondern andererseits die Ehe und die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Gesetzesvorschriften, die nach Zweckbestimmung und Sachgehalt darauf ausgerichtet sind, die Institution der Ehe zu schützen und zu garantieren, also vom Schutzzweck des Art. 6 GG umgriffen werden, sind als Inhalt der in Art. 2 GG genannten verfassungsmäßigen Ordnung anzusehen. Ebenso wie das Eheverbot der Schwägerschaft soll das Eheverbot der Ge83

Vgl. BVerfGE 36, 146 (152) m.w. N. BVerwG, FamRZ 1960, S. 435; OLG Hamm, FamRZ 1963, S. 248; OLG Hamburg, FamRZ 1970, S. 27; siehe auch AG Ingolstadt, DAVorm. 1968, S. 274 und LG Karlsruhe, DAVorm. 1973, S. 50. 85 FamRZ 1960, S. 435 (436). 84

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

schlechtsgemeinschaft einen Schutz vor ehelichen Verbindungen ermöglichen, die von der allgemeinen Sittenordnung als widernatürlich und anstößig empfunden werden; dass hier nur der Schutz im konkreten Fall ermöglicht werden soll, zeigt § 4 III EheG. (. . .) Auch der Senat trägt mithin keine Bedenken, die in § 4 II und III EheG enthaltene Regelung des Verbotes der Geschlechtsgemeinschaft für vereinbar mit den Art. 2 und 6 GG zu halten.“ 86

2. Das rechtswissenschaftliche Schrifttum87 Die Rechtswissenschaft hatte sich seit längerem, wie gezeigt zum Teil bereits vor Gründung der Bundesrepublik, mit dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft auseinandergesetzt, wobei die Ablehnung überwog, während die Befürworter auf sittlich-moralische Erwägungen und die traditionelle Vorstellung von der Ehe abstellten.88 Die 1968 erschienene zweite Auflage des vom Senatspräsidenten am OLG Frankfurt Edgar Hoffmann und vom Berliner Rechtsanwalt und Notar Walter Stephan begründeten Ehegesetz-Kommentars schloss sich den Argumenten der Rechtsprechung für die Eheverbote des § 4 Ehegesetz unter größtenteils wörtlicher Übernahme an.89 Der Bundesrichter Kurt Wüstenberg schrieb in der im selben Jahr erschienenen 10./11. Auflage des Reichsgerichtsräte-Kommentars zum BGB, es solle nicht verkannt werden, dass auch das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft Ausdruck der aus alten Zeiten überkommenen Erkenntnis darüber sei, welche tiefen Bindungen gegenüber dem Partner die geschlechtliche Vereinigung mit ihm herstelle und wie sehr sie deshalb die Beziehungen zu dessen ganzer Familie bestimme und oft belaste.90 An seiner oben dargestellten Argumentation zugunsten des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft hielt Günther Beitzke, inzwischen Professor an der Universität Bonn, in abgemilderter Form auch noch 1972 in der 16. Auflage seines Lehrbuchs zum Familienrecht fest. Es sei oft nicht beweisbar, aber es sei nicht zwingend, es deshalb ganz zu streichen.91 Ausführlich mit seiner Verfassungsmäßigkeit setzte sich der Bonner Gerichtsassessor Oskar Katholnigg 1964 in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“ auseinander. Art. 6 Abs. 1 GG gewähre dem einzelnen ein echtes Grundrecht, das auch das Recht der Eheschließung umfasse. Daraus, dass die Vorschrift keinen Gesetzesvorbehalt enthalte, entstehe zunächst der Anschein der Verfassungswidrigkeit aller Eheverbote. Art. 6 Abs. 1 GG enthalte jedoch zugleich für Ehe und Familie eine ihre wesentliche Struktur umfassende Einrichtungsgarantie. Diese könne unter anderem durch 86

FamRZ 1970, S. 27 (28). Die Darstellung des damaligen Meinungsstandes in der Rechtswissenschaft ist angelehnt an diejenige in BVerfGE 36, 146 (153 f.). 88 Vgl. BVerfGE 36, 146 (153), m. N. 89 Hoffmann/Stephan, § 4 Rn. 2 und 22. 90 BGB-RGRK, Bd. 4, Teil 3, § 4 EheG Anm. 2. 91 Beitzke (16. Aufl.), S. 39. 87

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dem Schutz der Ehe in ihrer wesentlichen Gestalt dienende Eheverbote verwirklicht werden. Damit könne innerhalb von Art. 6 Abs. 1 GG bei Eheverboten eine Kollision zwischen der Eheverbote erfordernden Einrichtungsgarantie und dem durch Eheverbote eingeschränkten Grundrecht entstehen.92 Zu deren Lösung könnte man dem Grundrecht den Vorrang vor der Einrichtungsgarantie einräumen. Dann müsste jede beabsichtigte Eheschließung ohne Rücksicht darauf gestattet werden, ob wesentliche Strukturelemente der Ehe dadurch beeinträchtigt würden. Dann sei etwa auch Polygamie zu gestatten. Ein Schutz der Ehe in ihrer wesentlichen Gestalt sei dann nicht mehr möglich. Ehe würde alles sein, was Eheschließungswillige als eine solche ansehen würden. Ein allgemeiner Vorrang des Grundrechts auf Eheschließung vor der Einrichtungsgarantie könne also nicht gebilligt werden, weil letztere dann mit der Zeit schlechthin aufgehoben werden würde.93 Übrig bleibe nur die Möglichkeit, das Grundrecht auf Eheschließung hinter die Einrichtungsgarantie zurücktreten zu lassen. Hierbei träten geringere Nachteile auf. Das Grundrecht werde durch die Einrichtungsgarantie zwar beschränkt, jedoch nur für eine eng umgrenzte Zahl von Möglichkeiten und in verhältnismäßig wenigen Fällen. Abgesehen davon bleibe es voll erhalten. Das Grundrecht auf Eheschließung könne und müsse also eingeschränkt werden, soweit die beabsichtigte Ehe der wesentlichen Gestalt einer Ehe nicht entspreche.94 Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft sei also, ebenso wie diejenigen wegen Schwägerschaft und wegen Ehebruchs, verfassungsgemäß, wenn es dem Schutz von Ehe und Familie in ihrer wesentlichen Gestalt diene. Aus anderen Gründen lasse es sich nicht rechtfertigen. Eheverbot, Befreiungsvorbehalt und Versagungsgründe könnten dabei jeweils immer nur gemeinsam betrachtet werden. Es komme darauf an, ob das Eheverbot in seiner praktischen Auswirkung aus Art. 6 Abs. 1 GG zu rechtfertigen sei.95 Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft liege zwar weiter am Rande der Schutzfunktion des Art. 6 Abs. 1 GG als dasjenige wegen Schwägerschaft, eine Versagung der Befreiung sei aber gerechtfertigt, wenn aus der Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen seien. Darüber hinaus könne, nicht wegen der bisher bestehenden, nach Art. 6 Abs. 1 GG nicht geschützten Quasifamilie, sondern um der neu entstehenden Ehe und Familie willen, ein familienartiges Zusammenleben der beiden Partner mit dem zukünftigen Ehegatten des einen unter besonderen Umständen einen wichtigen Grund darstellen, etwa wenn es besonders eng ausgestaltet worden sei. In diesem Rahmen sei eine Versagung der Befreiung von dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft und damit dieses Verbot selbst verfassungsgemäß.96

92 93 94 95 96

Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (123). Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (123). Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (123). Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (124). Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (124).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

Von den Gegnern des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft beschränkten sich viele auf das Vortragen bekannter Argumente wie der kaum vorhandenen praktischen Relevanz, der Beweisschwierigkeiten, der Unannehmlichkeiten für die Standesbeamten, des Eindringens in die Intimsphäre und der Gefahr von Denunziation und Erpressung.97 Im Hinblick auf den internationalen Rechtsvergleich bezeichnete Marcus Lutter das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft 1963 als „eine recht weitgehende und harte Vorschrift“. Es sei sicher etwas vorschnell 1946 wieder in das Ehegesetz aufgenommen worden und wegen seines zur Denunziation geradezu anreizenden Charakters unzweckmäßig und auch unbillig, da nur ein Bruchteil aller tatsächlichen Fälle wirklich erfasst werden könnte. Wirklich überraschend mute es jedoch an, dass das deutsche Recht strenger als der Codex Iuris Canonici von 1917 sei, nach dem dieses Ehehindernis nur Fälle notorischen Konkubinats betreffe und darüber hinaus auch die Möglichkeit des Dispenses vorsehe. Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Ehegesetz sei zwar nicht zu umgehen, ihre ersatzlose Streichung jedoch dringend zu empfehlen, möglicherweise mit Ausnahme solcher Konkubinate, die im sozialen Alltag fast den Charakter einer ehelichen Gemeinschaft angenommen hätten. Dass im europäischen Rechtskreis nur noch das deutsche Recht dieses Eheverbot kenne, sei ein Indiz dafür, dass die kritischen Äußerungen der deutschen Literatur berechtigt seien.98 Der emeritierte Professor an der Universität Hamburg und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg Hans Dölle schrieb im ersten Band seines Lehrbuchs zum Familienrecht aus dem Jahr 1964, das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft sei in seinen Auswirkungen aufs Ganze gesehen sittlich fragwürdiger als die Ehen, gegen die es sich richte. Um sittlichen Missständen wie Konkubinaten vorzubeugen, müsse der Gesetzgeber es unter einen praktisch schrankenlosen Dispensvorbehalt stellen, der das ohnehin in weiten Teilen der Bevölkerung unbekannte Verbot vollends entschärfe. Überdies sei es kaum je zu beweisen, führe zu peinlichen Inquisitionen und rufe Denunzianten und Erpresser auf den Plan.99 Die gegen das Verbot sprechenden Gründe seien trotz des sittlichen Makels, der den betreffenden Ehen mitunter anhaften möge, auch heute noch durchschlagend. Daher sei seine Wiedereinführung 1946 zu bedauern, auch wenn es zu respektieren sei.100 Der Tübinger Hochschullehrer Joachim Gernhuber bezeichnete das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft in der 1971 erschienenen zweiten Auflage seines Lehrbuchs zum Familienrecht nur noch als „ein fragwürdiges Relikt des älteren Rechts“. Es achte nicht auf die Legitimität oder Illegitimität der sexuellen Kontakte, verbiete etwa einem Mann die Ehe mit der Tochter seiner geschiedenen 97 Krönig, JZ 1953, S. 75 (76); Müller-Freienfels, S. 112; Henrich, S. 37; zusammenfassend zur Kritik im Schrifttum siehe BVerfGE 36, 146 (153 f.). 98 Lutter, S. 118 f. 99 Dölle, Bd. 1, S. 91 f. 100 Dölle, Bd. 1, S. 110.

F. Das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)‘‘

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Frau aus zweiter Ehe ebenso wie die Ehe mit der Tochter einer Frau, mit der er früher im Konkubinat gelebt habe. Allerdings setze sich in aller Regel nur die eheliche Geschlechtsgemeinschaft und das offene Konkubinat ehehindernd durch, im Übrigen könnte der Standesbeamte nur durch Denunziation oder Zufall von der Geschlechtsgemeinschaft erfahren. Daher enthalte § 4 Abs. 2 Ehegesetz tatsächlich weniger eine Eheverbot wegen illegitimer Schwägerschaft schlechthin, als ein Eheverbot wegen notorischer Geschlechtsgemeinschaft.101 Es sollte sicher sein, dass die heute herrschende Moral das Verbot nicht mehr fordere, sondern nurmehr verstehe. Schaden würde seine Beseitigung niemandem.102 Die Ablehnung des Eheverbots wegen Geschlechtsgemeinschaft bedeutete allerdings nicht, dass unter seinen Gegnern Konsens über seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bestanden hätte. Mehrheitlich wurde es als zu weitgehend angesehen, aus den rechtspolitischen Einwänden auch die Verfassungswidrigkeit abzuleiten.103 Demgegenüber hatte der Saarbrücker Hochschullehrer Gerhard Lüke 1962 in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ bereits die die Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft betreffenden Änderungen durch das Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 zum Anlass für eine Prüfung genommen, ob diese Verbote verfassungsgemäß seien.104 Ausgangspunkt seiner Erörterung war für Lüke die Gewährung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf ungehinderte Eheschließung durch Art. 6 Abs. 1 GG. Diese Norm binde das Ermessen des Gesetzgebers derart, dass sich der Staat aller störenden Eingriffe in die Ehe enthalten müsse. Die Grundrechte gemäß Art. 6 Abs. 1 GG gälten jedoch nicht schrankenlos. Eine Schranke ergebe sich auch ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt bereits aus der Art und Weise der verfassungsrechtlichen Gewährleistung.105 Durch die Verhinderung der Eheschließung durch Eheverbote werde der Freiheitsanspruch des Einzelnen empfindlich berührt. Wenn überhaupt, dann sei eine solche Freiheitsbeschränkung nur zur Abwehr nachweisbarer schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zulässig. Sie müsse auf besondere Rechtfertigungsgründe gestützt sein. Da gegenüber dem im höchsten Maße persönlichkeitsbezogenen Willensentschluss, eine Ehe einzugehen, alle ökonomischen und allgemeinen staatspolitischen Erwägungen zurückstehen müssten, lasse sich eine solche Beschränkung nur aus dem Wesen der Ehe selbst rechtfertigen. Es sei für die konkrete Frage der Verfassungsmäßigkeit der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft also zu prüfen, ob sich aus der sozialen Funktion der Ehe sachliche Gesichtspunkte für eine Einschrän101

Gernhuber, S. 85 f. Gernhuber, S. 86. 103 Henrich, S. 37; Palandt/Lauterbach (32. Aufl.), § 4 EheG Anm. 1; Gernhuber, S. 86; wohl auch Dölle, Bd. 1, S. 110, vgl. dort auch Fn. 61; zusammenfassend BVerfGE 36, 146 (154) m.w. N. 104 Lüke, NJW 1962, S. 2177. 105 Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2177). 102

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kung der individuellen Eheschließungsfreiheit ergeben könnten. Da beide Eheverbote aus dem Lebensbereich der geschlechtlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau stammten, biete sich als Bewertungsmaßstab die soziale Bedeutung der Ehe als Mittel zur Verwirklichung einer sittlichen Ordnung des geschlechtlichen Zusammenlebens an.106 Eine deutliche Absage erteilte Lüke vorab der Auffassung, es könnten schon deshalb keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft erhoben werden, weil die Möglichkeit der Befreiung bestehe. Im Vergleich mit anderen Verlobten bedeute bereits die Notwendigkeit, eine solche herbeizuführen und die damit zusammenhängenden Fragen vor Dritten zu erörtern, eine Erschwerung und in der Regel auch eine Verzögerung der Eheschließung. Die Grundrechtsbeschränkung werde endgültig deutlich, wenn die Befreiung versagt werde, weil den Verlobten die Heirat mit dem Partner ihrer Wahl dann verschlossen sei. Das Recht auf ungehinderte Eheschließung umfasse selbstverständlich nicht nur die Befugnis, überhaupt eine Ehe einzugehen, sondern vor allem die Möglichkeit, einen bestimmten, frei gewählten Partner zu heiraten.107 Biologische, eugenische oder medizinische Gesichtspunkte schieden bei der Suche nach sachlichen Gründen, die die Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft aus dem Wesen der Ehe als sittlicher Ordnung des Zusammenlebens von Mann und Frau rechtfertigen könnten, von vornherein aus, da entsprechende naturwissenschaftlich feststellbare Beziehungen zwischen den von diesen Verboten betroffenen Verlobten nicht denkbar seien. Möglich sei dagegen die Berufung auf allgemeine sittliche Vorstellungen von der Widernatürlichkeit und Anstößigkeit entsprechender Verbindungen. Da die Ehe der sittlichen Ordnung des Zusammenlebens von Mann und Frau diene, könnten diese Wertvorstellungen so stark sein, dass sie eine Beschränkung der Eheschließungsfreiheit rechtfertigten. Eine sittlich pervertierte „Ehe“ sei keine Ehe und der Staat dürfe sich nicht dazu hergeben, einer solchen Verbindung den äußeren Rechtsschein einer Ehe zu verleihen. Es sei daher schlüssig, wenn sich das Bundesverwaltungsgericht auf die „dem christlich-abendländischen Vorstellungen entsprechende und in starkem Maße vom Sittengesetz beherrschte Institution der Ehe“ berufe.108 Vor diesem Hintergrund sei die Verfassungsmäßigkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft allerdings zu verneinen. Es sei im europäischen Rechtskreis lediglich noch im dänischen Ehegesetz und in den auf das kanonische Recht verweisenden Rechten der südeuropäischen Länder anzutreffen. Daher könne keine Rede davon sein, dass es von einer allgemeinen Anschauung über das im abendländischen Kulturkreis entwickelte Wesen der Ehe getragen sei. Seine Entstehungsgeschichte im deutschen Recht zeige, dass es sich auch für den deutschen Gesetzgeber

106 107 108

Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2178). Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2178). Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2178).

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nicht zwingend aus einer allgemeinen Rechtsanschauung ergeben habe. Seine wechselvolle Beurteilung durch den Gesetzgeber werde verständlich, wenn man nach sachlichen Gründen suche, die zu einer Anstößigkeit derartiger Verbindungen führen sollten. Es gebe nämlich keine. Man könnte zwar wie beim Eheverbot wegen Schwägerschaft den Gesichtspunkt heranziehen, dass sich durch die Eheschließung ein Kindschaftsverhältnis in ein Ehegattenverhältnis umwandele. Durch die Geschlechtsgemeinschaft entstehe jedoch kein Familienverband, der Voraussetzung für die Begründung eines faktischen Kindschaftsverhältnisses sei. Selbst ein länger dauerndes Konkubinat könne ihn nicht begründen. Gerade hier spiele die öffentliche Meinung eine große Rolle, die solchen Verbindungen einen eheähnlichen Charakter strikt abspreche. Dann könne es aber auch nicht in gleicher Weise wie bei der Schwägerschaft anstößig wirken, wenn der eine Partner des Konkubinats einen Nachkommen oder Elternteil des anderen heiraten wolle. Auch andere Gründe für die Aufrechterhaltung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft seien nicht ersichtlich. Es handele sich bei den sittlichen Bedenken gegen entsprechende Eheschließungen offenbar hauptsächlich um Unwerturteile, die sich gegen das bisherige Konkubinat selber richteten und gewissermaßen seine „gesamte Umgebung“ träfen. Diese Bedenken reichten nicht aus, um die vom Grundgesetz garantierte Eheschließungsfreiheit einzuschränken oder aufzuheben. § 4 Abs. 2 Ehegesetz sei daher wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG verfassungswidrig.109 Der Freiburger Hochschullehrer Thilo Ramm warf dem Gesetzgeber 1963 in der „Juristenzeitung“ gleich einen doppelten Verstoß gegen das Grundgesetz, nämlich gegen die Eheschließungsfreiheit gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, vor.110 Die durch das Familienrechtsänderungsgesetz 1961 vorgenommene Neufassung von § 4 Abs. 3 Satz 2 Ehegesetz, dass die Befreiung von den Eheverboten wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft nur versagt werden solle, wenn der Eingehung der Ehe wichtige Gründe entgegenstünden, bilde den vorläufigen Abschluss einer in doppelter Hinsicht interessanten Rechtsentwicklung, nämlich als Prozess progressiver Verrechtlichung der Befreiung und als innere Aushöhlung und Fragwürdigwerden dieser Regelung.111 Die Einschränkung der Eheschließungsfreiheit könne nur normativ erfolgen, da das Gesetz des freiheitlichen Staates den Menschen nicht in seiner Individualität und damit nicht als Ganzes, sondern nur in einer besonderen Hinsicht erfasse. Seine durch das Gleichheitserfordernis wesensmäßig bedingte Zurückhaltung sei der stärkste und eigentliche Garant der individuellen Freiheit und werde durch die Zulassung von Individualbewertungen aufgegeben.112 Es lasse sich ganz allgemein feststellen, dass es keine Möglichkeit gebe, den Begriff „wichtiger Grund“ in einer dem Grundge109 110 111 112

Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2179 f.); ebenso Guradze, Art. 12 Anm. 10. Ramm, JZ 1963, S. 47. Ramm, JZ 1963, S. 47 (48). Ramm, JZ 1963, S. 47 (49).

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setz entsprechenden Weise zu konkretisieren. Ein Rückgriff auf die Eheverbote selbst sei nicht angängig, weil der Gesetzgeber generell als Regel die Befreiungsmöglichkeit vorgesehen und damit kundgetan habe, dass das allgemeine Unwerturteil über Schwägerschafts- und Geschlechtsgemeinschaftehen die Eheverbote nicht mehr rechtfertige. Diese abstrakte Entscheidung müsse bei der Behandlung des Einzelfalles respektiert werden. Der Rückgriff auf die besonderen Umstände des Einzelfalles verbiete sich, weil dann nicht ein sittliches Werturteil, sondern das bürgerliche Anstandsgefühl, nicht das Ethos selbst, sondern nur seine Fassade die Entscheidungsgrundlage bilde. Sei aber das Sittlichkeitsempfinden eines Volkes zur Durchsetzung eines absoluten Eheverbotes nicht eindeutig genug, dürfe auch keine noch so verständliche Empörung über den Einzelfall eine Sonderbehandlung legitimieren.113 Die durch das Familienrechtsänderungsgesetz gefundene Lösung sei somit verfehlt, da sie den Anschein einer tatsächlich nicht bestehenden richterlichen Entscheidungsfreiheit erwecke. Dem Gesetzgeber habe vielmehr nur der Mut gefehlt, die bisherige Entwicklung der Relativierung früherer absoluter Eheverbote mit ihrer Aufhebung konsequent zu Ende zu gehen. Der Grund liege wohl in der Furcht vor dem Vorwurf, einer laxeren Eheauffassung zu huldigen als das bisherige Recht. Daher umgehe der Gesetzgeber die von der Wissenschaft seit langem geforderte normative Entscheidung und schiebe die Verantwortung dem Richter zu. Dessen unkontrollierbare Einzelentscheidungen träten an die Stelle der prinzipiellen Neuwertung, die Anlass zu einer theoretischen Neubesinnung sein könnte. Deutlicher lasse sich das Versagen des Gesetzgebers, sein resignierender Verzicht zugunsten der richterlichen Gewalt nicht mehr ausdrücken. Auch ohne die fehlende normative Entscheidung des Gesetzgebers lasse sich feststellen, dass nach dem derzeitigen Rechtszustand die relativen Eheverbote nur Scheintatbestände seien, da es keine wichtigen Gründe gebe, die Befreiung zu versagen. Dies könne aber nur bedeuten, dass die Erteilung der Befreiung sinnlos geworden und damit die Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft weggefallen seien.114 Seine Auffassung wiederholte Ramm, inzwischen Professor an der Universität Gießen, knapp zusammengefasst 1972 in seiner Schrift „Grundgesetz und Eherecht“. Art. 6 GG rechtfertige keine Einschränkung der Eheschließungsfreiheit, um die Ehe als Institution zu schützen, weil dies mit der freiheitlichen Eheauffassung des Grundgesetzes unvereinbar sei. Alle auf diesem Gedanken beruhenden Eheverbote und Ehenichtigkeitstatbestände entbehrten der verfassungsrechtlichen Legitimation. Der Gesetzgeber habe sich indessen vor der Entscheidung, sie als Verstöße gegen die Eheschließungsfreiheit abzuschaffen, gedrückt und sie dem Richter überlassen. Damit verstoße er jedoch nur erneut gegen die Verfassung, da aus ihr der Bestimmtheitsgrundsatz für gesetzliche Regelungen abzuleiten sei. Es sei unzulässig, die

113 114

Ramm, JZ 1963, S. 47 (49). Ramm, JZ 1963, S. 47 (49 f.).

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Entscheidung über die Befreiung von einem Eheverbot ohne gesetzliches Sachkriterium dem Richter zu überlassen.115 Nach Ansicht von Heinz Guradze, Honorarprofessor an der Universität Köln, verstieß das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern darüber hinaus auch gegen Art. 12 EMRK, da kein objektiver und rationaler Maßstab für die Befreiung gegeben sei. Ein solcher entfalle, weil die Geschlechtsgemeinschaft anders als Schwägerschaft kein Kindschaftsverhältnis begründe. In den meisten Fällen sei der Tatbestand gar nicht festzustellen, so dass auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliege.116 3. Die Eherechtskommission des Bundesjustizministeriums Die beim Bundesjustizministerium im Jahre 1968 gebildete Eherechtskommission war auf ihrer konstituierenden Sitzung am 11. März darum gebeten worden, Teilberichte zu den Ergebnissen ihrer Arbeit vorzulegen. Nachdem sie dem Bundesjustizminister bereits am 8. Mai 1970 ihre „Vorschläge zur Reform des Ehescheidungsrechts und des Unterhaltsrechts nach der Scheidung“ und am 12. Mai 1971 ihre „Vorschläge zur Reform des Verfahrensrechts in Ehesachen, zum Recht der Kinder geschiedener und getrennt lebender Eltern, zur Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats sowie zum ehe- und familiengerechten Steuerrecht“ überreicht hatte, legte sie am 23. Oktober 1972 ihre „Vorschläge zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Ehegatten, zur Neuregelung des Verlöbnisrechts, zur Reform des formellen und materiellen Eheschließungsrechts sowie zur Ehemündigkeit der Frau“ vor.117 Darin sprach sie sich einstimmig für die Beseitigung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft aus. Neben den Erwägungen, die auch für die Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft sprächen – keine erbbiologischen und medizinischen Gründe, ein stetiger Bedeutungsverlust, praktische Unwirksamkeit wegen Zusammenlebens der Betroffenen im Konkubinat, wenn ihnen die Befreiung nicht erteilt werde, Benachteiligung gegenüber anderen Eheschließungswilligen ohne überzeugende Gründe118 –, stellte auch die Kommission auf die bereits seit der Entstehungszeit des BGB immer wieder hervorgehobenen Gesichtspunkte ab, dass das Verbot in ausländischen Rechtsordnungen so gut wie unbekannt sei, der Standesbeamte seine Einhaltung regelmäßig nicht überprüfen und es Anlass zu Denunziationen geben könne.119 115

Ramm, Grundgesetz und Eherecht, S. 25. Guradze, Art. 12 Anm. 10 (S. 178 f.); Art. 12 EMRK lautete seinerzeit: „Artikel 12 Mit Erreichung des Heiratsalters haben Männer und Frauen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie nach den nationalen Gesetzen, die die Ausübung dieses Rechts regeln, zu gründen.“ Siehe BGBl. II 1952, S. 690. 117 Eherechtskommission III, S. 9. 118 Eherechtskommission III, S. 80 f. 119 Eherechtskommission III, S. 81. 116

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4. Fazit Die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum geführte Auseinandersetzung über Legitimation und Verfassungsmäßigkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft betraf einen Kernbereich des Selbstverständnisses des in der Tradition der Aufklärung stehenden liberalen Rechts- und Verfassungsstaates, nämlich die Frage der Verschränkung oder, je nach Standpunkt, der Trennung von Recht und Moral (und je nachdem, welchen Standpunkt man einnahm, die sich daran anschließende Frage, wie weit der Staat dabei gegebenenfalls gehen durfte). Trotz seiner geringen praktischen Relevanz war das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft somit von grundsätzlicher rechtstheoretischer Bedeutung. Aus heutiger Sicht erscheint es selbstverständlich, dass der Staat durch die Gesetzgebung möglichst wenig in den persönlichen Bereich des Einzelnen eingreifen sollte. In der Bundesrepublik bis in die frühen siebziger Jahren war diese Ansicht aber offenbar noch nicht Allgemeingut. Es scheint eine verbreitete, wenn nicht sogar die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft gewesen zu sein, aus überkommenen moralisch-sittlichen Gründen ein paternalistisch-bevormundendes Staat-Bürger-Verhältnis zu befürworten oder zumindest bereit zu sein, ein solches auch unter der Geltung des Grundgesetzes zu akzeptieren. Für die Rechtsprechung galt dasselbe, soweit die wenigen Fälle als repräsentativ zu betrachten sind. Dezidiert bescheinigten nur wenige dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft Verfassungswidrigkeit. Neben der wegen des Überleitungsvertrages nur unter dem Vorbehalt der Konsultation mit den westlichen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges stehenden Befugnis des Gesetzgebers, das Ehegesetz zu ändern, und dem konservativen Ehe- und Familienbild der fünfziger und sechziger Jahre dürfte dies wohl der entscheidende Grund dafür sein, dass der Gesetzgeber die Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht mehr ernsthaft in Angriff genommen hatte, seit der Gesetzentwurf aus dem Jahr 1952 erfolglos geblieben war.

II. Der „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)“ Die Bundesregierung übersandte am 13. April 1973 an den Bundesrat den „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)“.120 Die in Art. 3 vorgesehenen Änderungen des Ehegesetzes betrafen jedoch nicht dessen § 4. Der Bundesrat beschäftigte sich am 25. Mai 1973 mit dem Entwurf.121 Die mit ihm befassten Ausschüsse, neben dem federführenden Rechtsausschuss der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Finanzausschuss, der Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit sowie der Ausschuss 120 121

BR-Drs. 260/73. Bundesratsverhandlungen 1973, S. 205 ff.

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für Innere Angelegenheiten, forderten ebenso wenig eine Änderung von § 4 Ehegesetz122 wie die Änderungsanträge der Bundesländer Hessen123, NordrheinWestfalen124 und ein gemeinsamer Antrag von Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein.125 Folglich enthielt auch die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf keinen entsprechenden Änderungsvorschlag.126 Der Bundeskanzler übersandte den Gesetzentwurf mit eigener Begründung, der Stellungnahme des Bundesrates und der Auffassung der Bundesregierung zu dieser am 1. Juni 1973 an die Bundestagspräsidentin mit der Bitte, eine Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen.127 Die Beratung des Gesetzentwurfes in erster Lesung nahm der Bundestag eine Woche später, am 8. Juni 1973, vor.128 Sie endete mit dem Beschluss, den Gesetzentwurf federführend an den Rechtsausschuss, mitberatend an den Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und den Innenausschuss sowie an den Haushaltsausschuss zu überweisen.129

III. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1973 Noch während die Ausschüsse den Gesetzentwurf berieten, sorgte das Bundesverfassungsgericht mit seinem bereits mehrfach erwähnten Beschluss vom 14. November 1973130 endgültig für Klarheit über die Verfassungsmäßigkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft. Auf eine Verfassungsbeschwerde hin, die sich gegen den oben genannten Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg vom 22. Oktober 1969 sowie die vorinstanzlichen Entscheidungen richtete, verpflichtete es auf Grund des Art. 6 Abs. 1 GG die für die Gesetzgebung zuständigen Verfassungsorgane des Bundes, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode § 4 Abs. 2 Ehegesetz außer Wirksamkeit zu setzen.131 Dabei folgte das Gericht im wesentlichen den Argumenten derjenigen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur, die ebenfalls von der Verfassungswidrigkeit des Eheverbotes weben Geschlechtsgemeinschaft ausgegangen waren. Unter Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung, dass das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG als wesentlicher Bestandteil die Freiheit enthalte, die Ehe mit einem selbst 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131

BR-Drs. 260/1/73. BR-Drs. 260/2; 260/3; 260/4/73. BR-Drs. 260/5/73. BR-Drs. 260/6/73. BR-Drs. 260/73 (Beschluss). BT-Drs. 7/650. Bundestagsverhandlungen, Bd. 83, S. 2225 ff. Bundestagsverhandlungen, Bd. 83, S. 2242 f. BVerfGE 36, 146. BVerfGE 36, 146 (147).

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gewählten Partner einzugehen, und diese wiederum gesetzliche Regelungen über die sachlichen Voraussetzungen der Eheschließung nicht nur zulasse, sondern geradezu voraussetze, stellte es zunächst fest, dass die Verwirklichung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG einer allgemeinen familienrechtlichen Regelung bedürfe, die diejenige Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, die als Ehe den Schutz der Verfassung genieße, rechtlich definiere und abgrenze. Diese Regelung müsse aber die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergäben. Die Regelungen des bürgerlichen Rechts müssten an Art. 6 Abs. 1 GG als vorrangiger, die Grundprinzipien enthaltender Leitnorm gemessen werden. Trotz des dem Gesetzgeber dabei zukommenden erheblichen Gestaltungsspielraums könnten zu strenge oder zu geringe Sach- und Formvoraussetzungen der Eheschließung mit der Eheschließungsfreiheit oder auch anderen sich aus der Verfassung ergebenden Strukturprinzipien der Ehe unvereinbar sein.132 Ausgehend davon sei das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar. Dessen Freiheitsgarantie fordere vom Staat äußerste Zurückhaltung bei der Aufstellung von Ehehindernissen. Erforderlich seien einleuchtende Sachgründe, die sich aus Wesen und Gehalt der den heutigen Auffassungen entsprechenden Ehe ergäben und ihrerseits aus einem das Institut der Ehe im Sinne der Verfassung bestimmenden Strukturprinzip oder -element erwüchsen. Diesen Anforderungen genüge das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht. Rationale Gründe, die es im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG tragen könnten, ließen sich nicht finden.133 Gegenüber einer Herleitung aus metaphysischen Gründen oder religiös-kirchlichen Regeln sei darauf hinzuweisen, dass dem Grundgesetz das Bild der verweltlichten bürgerlich-rechtlichen Ehe zugrunde liege. Beschränkungen der Eheschließungsfreiheit müssten sich aus diesem ergeben oder mit ihm vereinbar sein. Dies verlange grundsätzlich, dass sachliche, verstandesmäßig fassbare Gründe das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft rechtfertigen könnten.134 Da es nicht dem christlich-abendländischen Vorstellungsbild der Ehe oder sonstigen überkommenen Lebensformen entspreche und sich für es auch keine ungebrochene Rechtstradition nachweisen lasse, sei auch die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen, wenn auch nur in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des Grundrechts der Eheschließungsfreiheit, zu beachten sei, ergebende Frage nicht zu entscheiden, ob eine einfachrechtliche Beschränkung der Eheschließungsfreiheit bereits mit dem Bild der heutigen Ehe vereinbar sei, wenn sie überkommenen Lebensformen, insbesondere dem christlich-abendländi132 133 134

BVerfGE 36, 146 (161 f.). BVerfGE 36, 146 (162 f.). BVerfGE 36, 146 (163).

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schen Vorstellungsbild von der Ehe entspreche, oder ob hinzukommen müsse, dass das überkommene Vorstellungsbild von den in der Gegenwart herrschenden Auffassungen vom Wesen der säkularisierten Ehe getragen werde.135 Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft lasse sich auch nicht mit dem Schutz der Institution der Ehe rechtfertigen. Der Schutz einer früheren ehelichen Verbindung und der durch diese entstandenen Familienbeziehungen erfordere nicht das Verbot der neuen Ehe. Auch jahrelange Konkubinate könnten keinen verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen, der der Begründung einer den gesetzlichen Formen entsprechenden Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG entgegenstünde. Ebenso wenig könne die beabsichtigte Ehe der Beteiligten als solche die Institution der Ehe beeinträchtigen. Dass das Verhalten der Beteiligten vor der Eheschließung, namentlich der Wechsel des Mannes von der Mutter zur Tochter, sittlich zu missbilligen sei und von der Umwelt als moralisch anstößig empfunden werde, bedeute nicht, dass die Ehe zwischen ihnen nicht der wesentlichen Gestalt der bürgerlichen Ehe entsprechen könne. Dagegen sprächen einerseits die historische Entwicklung in Deutschland und der internationale Vergleich, andererseits aber auch der Umstand, dass eine entgegen § 4 Abs. 2 Ehegesetz geschlossene Ehe von Anfang an gültig sei und von dem Eheverbot in der Regel Befreiung erteilt werde. Gerade letzteres nehme dem Verbot die Überzeugungskraft, weil der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht habe, dass ein allgemeines Unwerturteil über die „Geschlechtsgemeinschaftsehe“ nicht mehr bestehe. Ein solches richte sich vielmehr in erster Linie gegen sexuelle Beziehungen, die unabhängig von der beabsichtigten Eheschließung bestünden und als solche nicht verboten seien. Diese und die daraus möglicherweise resultierenden Spannungen im Beteiligtenkreis würden jedoch durch das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht berührt. Dann lasse es sich nicht rechtfertigen, die Eheschließung zu verbieten, die nach dem Willen der Partner Ordnung in ihre Beziehung bringen und sie so auf eine legale Grundlage stellen solle. Versage man ihnen die Befreiung, würden sie erfahrungsgemäß weiterhin im Konkubinat zusammenleben und ihre gemeinsamen Kinder würden nichtehelich sein. Dies sei sittlich fragwürdiger und hätte für die Gesellschaft schädlichere Folgen als die beabsichtigte Ehe. Zudem erscheine es ungerecht, nur im Fall einer früheren Geschlechtsgemeinschaft mit auf- oder absteigenden Verwandten des Partners die Eheschließung wegen sittlicher Anstößigkeit zu verhindern, in anderen Fällen jedoch nicht.136 Im Gegensatz zum Eheverbot wegen Verwandtschaft gemäß § 4 Abs. 1 Ehegesetz kämen medizinische oder erbbiologische Gründe für das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft von vornherein nicht in Betracht. Zwar werde die der allgemeinen Auffassung entsprechende und der Verfassungsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG zugrunde liegende lebenswichtige Funktion der Familie für die

135 136

BVerfGE 36, 146 (163 f.). BVerfGE 36, 146 (165 f.).

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menschliche Gesellschaft entscheidend gestört, wenn das sich auch auf die Stieffamilie erstreckende familiäre Ordnungsgefüge durch sexuelle Beziehungen „über Kreuz“ ins Wanken gerate. Diese Ordnungsvorstellung lasse sich aber nicht in der Weise auf alleine durch sexuelle Beziehungen entstandene Verhältnisse übertragen, dass aus einer solchen, rechtlich nicht anerkannten Beziehung ein rechtliches Hindernis für die Neugründung einer Familie im Rechtssinne hergeleitet werde.137 Auch die Verwirrung oder Widernatürlichkeit der verwandtschaftlichen Beziehungen durch die beabsichtigte Ehe, die das Hanseatische Oberlandesgericht zu Hamburg und das Landgericht Hamburg in den mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidungen als wichtigsten Grund für die Ablehnung der beantragten Befreiung angenommen hatten, könnten den Eingriff in die Eheschließungsfreiheit der Beschwerdeführerin und ihres Partners nicht rechtfertigen. Selbst bei länger andauerndem Konkubinat entstehe kein Familienverband im Rechtssinne, so dass anders als beim Eheverbot wegen Schwägerschaft von einer Umwandlung eines Kindschaftverhältnisses in ein Ehegattenverhältnis nicht die Rede sein könne. Das Motiv, die Verwirrung der Verwandtschaftsbeziehungen zu verhindern, treffe daher die Fälle, in denen aus der früheren Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen seien. Durch die Verhinderung der neuen, zusätzlichen Familienbeziehung sei jedoch nichts gewonnen, da sich an den biologischen Tatsachen nichts ändere und die dadurch unmittelbar begründeten Verwandtschaftsbeziehungen bestehen blieben. Zudem könne das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft verwickelte Verwandtschaftsverhältnisse auch nicht vermeiden. Dieses Argument führe zwangsläufig dazu, das Verbot auf solche Fälle zu beschränken, in denen Kinder aus der früheren Beziehung vorhanden seien. Es lasse sich jedoch nicht mit dem Schutz der Familie rechtfertigen, wenn die Legalisierung der neuen Beziehung an diesem Umstand scheitere, da dies eine Bevorzugung derjenigen bedeuten würde, deren frühere Bindung gewollt oder ungewollt kinderlos geblieben sei. Dies sei nicht nur ungerecht gegenüber den Partnern der neuen Beziehung, besonders gegenüber dem an der früheren Beziehung nicht beteiligten Partner, sondern auch in der Auswirkung auf die davon betroffenen Kinder aus der neuen Beziehung.138 Offen bleiben könne, ob eine frühere Geschlechtsbeziehung zu Verwandten eines Partners generell geeignet sei, den Bestand der beabsichtigten Ehe in besonderem Maße zu gefährden, da auch mit dieser Begründung das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nicht gerechtfertigt werden dürfe. Das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit und die das Wesen der Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG kennzeichnende Eigenverantwortlichkeit ließen auch sonst nicht zu, dass der Staat fürsorglich Ehen verhindere, deren Bestand beispielsweise wegen eines besonders großen Altersunterschieds, verschiedener Nationalität oder charakterlicher Män-

137 138

BVerfGE 36, 146 (166 f.). BVerfGE 36, 146 (167 f.).

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gel der Partner von vornherein fraglich erscheine.139 Schließlich widerspreche es der Gerechtigkeit, dass das Eheverbot nur in den wenigen Fällen eingreife, in denen der Standesbeamte durch das Vorhandensein von Kindern, Zufall oder Denunziation von der früheren Geschlechtsgemeinschaft erfahre. Auch lasse sich nicht feststellen, dass von dem weithin unbekannten Verbot eine generelle präventive Wirkung zur Vermeidung eines anstößigen Partnerwechsels in derselben Familie ausgehen könnte.140 Da es sich um eine vom Kontrollrat erlassene Rechtsnorm handele, die nach dem Überleitungsvertrag nicht zur uneingeschränkten Disposition der Bundesrepublik stehe, sondern nur nach vorheriger Konsultation mit den Siegermächten außer Wirksamkeit gesetzt werden könne, könne das Bundesverfassungsgericht die mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht in Einklang stehende Vorschrift des § 4 Abs. 2 Ehegesetz weder für nichtig erklären, noch die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz förmlich feststellen.141 Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Hamburg sei § 4 Abs. 2 Ehegesetz durch die Änderung von § 4 Abs. 3 Ehegesetz im Jahr 1961 nicht Bundesrecht geworden. Da sich die vorher durchgeführte Konsultation mit den Alliierten laut der Bundesregierung nur auf § 4 Abs. 3 Ehegesetz bezogen hätte, sei auch nur dieser Teil der Gesamtbestimmung in der im Überleitungsvertrag vorgesehenen Weise außer Wirksamkeit gesetzt und durch eine neue bundesrechtliche Vorschrift ersetzt worden. Dadurch ändere sich unabhängig davon, ob der Bundesgesetzgeber bei der Neufassung der Befreiungsvorschrift das Fortgelten des Ehehindernisses wegen Geschlechtsgemeinschaft in seinen Willen aufgenommen habe oder nicht, nichts an dem Rechtscharakter von § 4 Abs. 2 Ehegesetz als Kontrollratsrecht.142 Ebenso wenig lasse sich die Auffassung halten, dass die Konsultation mit den Alliierten anlässlich der Eingriffe des Gleichberechtigungsgesetzes in das Ehegesetz angesichts der Art. 1 des Überleitungsvertrages zugrunde liegenden Zwecke nur als Freigabe des gesamten Ehegesetzes zur Disposition des deutschen Gesetzgebers verstanden werden könne. Dies sei mit Wortlaut und Sinn des Überleitungsvertrages nicht vereinbar. Nach seinem Art. 1 Abs. 2 hänge allein von Gegenstand und Inhalt der jeweiligen Konsultation ab, in welchem Umfang der deutsche Gesetzgeber von der Kompetenz Gebrauch machen dürfe, Kontrollratsrecht außer Wirksamkeit zu setzen. Eine sich auf das gesamte Ehegesetz beziehende Konsultation habe laut Auskunft der Bundesregierung bisher nicht stattgefunden.143 Da § 4 Abs. 2 Ehegesetz Kontrollratsrecht sei, gelte die Vorschrift gemäß Art. 1 des Überleitungsvertrages ohne Rücksicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zunächst fort

139 140 141 142 143

BVerfGE 36, 146 (168 f.). BVerfGE 36, 146 (169). BVerfGE 36, 146 (169 f.). BVerfGE 36, 146 (170). BVerfGE 36, 146 (170 f.), m.w. N.

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und sei für Verwaltung und Gerichte verbindlich. Die Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts sei insoweit ausgeschlossen.144 Obwohl die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Gerichtsentscheidungen auf einer mit dem Grundgesetz nicht im Einklang stehenden Rechtsvorschrift beruhten, könnten sie verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden, weil diese Vorschrift zur Zeit noch gültig sei. Solange das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft gemäß § 4 Abs. 2 Ehegesetz noch in Geltung stehe, müsse es von den Gerichten beachtet werden. Eine Auslegung, dass die Befreiung von dem Verbot in jedem Fall unbesehen erteilt werden müsse, da es keine „wichtigen Gründe“ geben könne, die „der Eingehung der Ehe entgegenstehen“, würde im Ergebnis das Verbot aus der Rechtsordnung eliminieren und damit den gesetzgebenden Instanzen vorgreifen. Damit würden die dem Richter gezogenen Grenzen überschritten.145

IV. Der weitere Gang des Gesetzgebungsverfahrens Der Rechtsausschuss des Bundestages legte am 23. Januar 1975 einen ersten Bericht vor, in dem er die Empfehlung gab, die namensrechtlichen Vorschriften des Gesetzentwurfes vom 1. Juni 1973 vorab als „Entwurf eines Gesetzes über den Ehe- und Familiennamen“ zu verabschieden, und einen entsprechenden Antrag formulierte.146 Der Bundestag verabschiedete diesen Entwurf in zweiter und dritter Lesung am 31. Januar 1975.147 Der Bundesrat verweigerte ihm jedoch nach vorangegangenem Vermittlungsverfahren am 11. April 1975 seine Zustimmung148, woraufhin der Rechtsausschuss des Bundestages am 28. November 1975 einen zweiten Bericht vorlegte, der wieder den Gesamtentwurf zu seinem Gegenstand hatte.149 Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts150 sah dessen Art. 3 Nr. 1 und 1a nunmehr vor, dass § 4 Abs. 2 Ehegesetz seine Wirksamkeit verlieren und in § 4 Abs. 3 Satz 1 Ehegesetz die Worte „und Geschlechtsgemeinschaft“ gestrichen werden sollten.151 Verbunden war der Bericht des Rechtsausschusses mit dem Antrag an den Bundestag, den Gesetzentwurf in der vorgelegten Fassung anzunehmen.152 Der Entwurf wurde vom Bundestag in zweiter und dritter Lesung am 11. Dezember 1975 beraten153 und mit den Stimmen der sozial-liberalen Koalition gegen das Votum der 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153

BVerfGE 36, 146 (171). BVerfGE 36, 146 (172). BT-Drs. 7/3119. Bundestagsverhandlungen, Bd. 91, S. 10187 ff. Bundesratsverhandlungen 1975, S. 83 ff. BT-Drs. 7/4361. BT-Drs. 7/4361, S. 53. BT-Drs. 7/4361, S. 113. BT-Drs. 7/4361, S. 81. Bundestagsverhandlungen, Bd. 96, S. 14403 ff. u. 14458 ff.

F. Das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)‘‘

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Unionsfraktion sowie des FDP-Abgeordneten Alfred Ollesch angenommen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte dem Gesetzgeber hinsichtlich der vorgesehenen Änderung von § 4 Ehegesetz keinen Raum mehr gelassen, und so hatte diese in der parlamentarischen Debatte auch keine Erwähnung gefunden. Nachdem der Bundesrat am 30. Januar 1976 die Anrufung des Vermittlungsausschusses beschlossen hatte154, stimmte der Bundestag am 8. April 1976 für die von diesem beantragten Änderungen.155 Am 9. April stimmte auch der Bundesrat mit Ausnahme der Regierungen Bayerns und des Saarlandes schließlich dem Gesetz zu.156 Die den § 4 Ehegesetz betreffenden Neuregelungen traten gemäß Art. 12 Nr. 13. c) 2. bereits am Tag der Verkündung, also dem 14. Juni 1976, in Kraft.

V. Würdigung Das Erste Eherechtsreformgesetz beseitigte mit dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft erstmals seit 1946 für Gesamtdeutschland eine Verbotsnorm, die bereits genau 100 Jahre zuvor bei der Verabschiedung des RPStG unzeitgemäß gewesen und in das BGB lediglich als Konzession an das Zentrum und den politischen Katholizismus aufgenommen worden war. Dies war das endgültige Aus für ein Relikt, das in der Bundesrepublik unter der Geltung des Grundgesetzes keinen Platz mehr hatte. Damit war das Erste Eherechtsreformgesetz das bis dahin bedeutendste bundesrepublikanische Gesetz zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft. Gegenüber der Gesetzgebung in der DDR war es mit diesem Schritt zwar sehr spät dran. Dass die in den ersten 20 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik stets unionsgeführten Bundesregierungen nach dem Scheitern des Gesetzentwurfes aus dem Jahr 1952 keinen weiteren Versuch unternommen hatten, das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft abzuschaffen, kann man der erst 1969 gebildeten sozialliberalen Koalition allerdings nicht vorwerfen. Diese hätte im Gegenteil wohl auch ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1973 in absehbarer Zeit einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. So führte Bundesjustizminister Gerhard Jahn im damaligen Verfahren namens der Bundesregierung aus, es sei der Empfehlung der Eherechtskommission beim Bundesjustizministerium entsprechend beabsichtigt, den gesetzgebenden Körperschaften die Streichung von § 4 Abs. 2 Ehegesetz vorzuschlagen. Mit der Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes sei noch in der laufenden Legislaturperiode zu rechnen. Dem lägen in erster Linie rechtspolitische Erwägungen zugrunde. Wegen der weiten, nur an das Vorliegen einer früheren Geschlechtsgemeinschaft anknüpfenden Fassung von § 4 Abs. 2 Ehegesetz und der Unbestimmtheit der Dispensregelung in Abs. 3 Satz 1 154 155 156

Bundesratsverhandlungen 1976, S. 1 ff.; BT-Drs. 7/4694. BT-Drs. 7/4992; Bundestagsverhandlungen, Bd. 97, S. 16407 ff. Bundesratsverhandlungen 1976, S. 128 ff.; BR-Drs. 216/76 (Beschluss).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

erscheine es aber auch zweifelhaft, ob die Regelung mit der Garantie der Eheschließungsfreiheit gemäß Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar sei.157 Als die Eherechtskommission 1968 beim Bundesjustizministerium eingesetzt wurde, stand zwar mit Gustav Heinemann bereits ein Sozialdemokrat an dessen Spitze. Allerdings regierte zum damaligen Zeitpunkt noch die Große Koalition aus Unionsparteien und SPD unter dem christdemokratischen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Es lässt sich daher nicht ausschließen, erscheint sogar wahrscheinlich, dass auch unter einer unionsgeführten Bundesregierung nach 1969 das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft abgeschafft worden wäre. Dies muss jedoch aus mehreren Gründen Spekulation bleiben. Niemand kann sagen, ob die Große Koalition fortgesetzt worden oder an ihre Stelle wieder eine Koalition aus Unionsparteien und FDP getreten wäre, wie die Ressortverteilung in einer solchen Regierung ausgesehen und wer den Posten des Bundesjustizministers besetzt hätte. Die mit der Streichung von § 4 Abs. 2 des Ehegesetzes vorgenommene Liberalisierung des Eheschließungsrechts war ohne Einschränkung ein Verdienst der sozialliberalen Koalition. Die Gesamtbilanz des Ersten Eherechtsreformgesetzes fällt dennoch durchwachsen aus. Gegenüber der DDR-Gesetzgebung war die mit der Abschaffung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft herbeigeführte Neuerung vergleichsweise bescheiden geblieben. So beseitigte das Gesetz weder das Eheverbot wegen Schwägerschaft, noch vereinheitlichte es die Folgen von Verstößen gegen die verbliebenen Eheverbote. Ob man das Eheverbot wegen Schwägerschaft in der Sache für gerechtfertigt hielt oder nicht, zumindest in einem Punkt war die weiterhin geltende Gesetzeslage in rechtsstaatlicher Hinsicht höchst zweifelhaft: Thilo Ramm hat zutreffend festgestellt, wie unberechenbar und damit verfassungsrechtlich problematisch es ist, wenn der Staat ein Verbot aufstellt, gleichzeitig aber die Möglichkeit der Befreiung von diesem vorsieht, die allerdings wiederum in Fällen „wichtiger Gründe“ versagt werden soll, über deren Vorliegen dann die Gerichte einzelfallbezogen zu entscheiden haben. Die Berechenbarkeit der Gesetze für den Normadressaten leidet unter derartigen Bestimmungen zwangsläufig. Insofern wäre eine Neuregelung schon seinerzeit geboten gewesen. Dafür hätten dem Gesetzgeber drei Möglichkeiten offen gestanden: Er hätte das Eheverbot gänzlich abschaffen, die „wichtigen Gründe“ im Gesetz enumerativ aufzählen oder die Befreiungsmöglichkeit beseitigen können. Man kann allerdings bezweifeln, ob die zweite Möglichkeit für klarere Verhältnisse gesorgt hätte, und die dritte wäre schon in den siebziger Jahren wohl kaum mehr mehrheitsfähig gewesen, nachdem bereits seit Jahrzehnten eine Befreiungsmöglichkeit bestanden hatte. Man kann dem Gesetzgeber daher allenfalls vorwerfen, nicht bereits 1976 der Eherechtskommission gefolgt zu sein, die sich 1972 mit der

157

BVerfGE 36, 146 (160).

G. Das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976

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deutlichen Mehrheit von zehn zu zwei Stimmen bei zwei Enthaltungen für den Wegfall des Eheverbotes wegen Schwägerschaft ausgesprochen hatte.158

G. Das „Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz)“ vom 2. Juli 1976 Das „Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz)“ vom 2. Juli 1976159 fügte durch seinen Art. 3 Nr. 2. dem § 4 Abs. 1 des Ehegesetzes einen neuen Satz 2 hinzu, der die Ehe wegen Verwandtschaft auch dann untersagte, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen war. Weiterhin wurde durch Art. 3 Nr. 1. die Vorschrift des § 7 des Ehegesetzes aufgehoben und durch Art. 3 Nr. 3. dergestalt neugefasst, dass nach Abs. 1 eine Ehe nicht geschlossen werden sollte zwischen Personen, deren Verwandtschaft oder Schwägerschaft gemäß § 4 Abs. 1 Ehegesetz durch Annahme als Kind begründet worden war. Dies galt jedoch nicht, wenn dieses Verhältnis aufgelöst worden war. Der neue Abs. 2 ermöglichte Befreiung durch das Vormundschaftsgericht von diesem Verbot in der Seitenlinie und wegen Schwägerschaft. Diese sollte jedoch versagt werden, wenn der Eheschließung wichtige Gründe entgegenstanden. Am 18. Oktober 1974 legte die Bundesregierung dem Bundesrat ihren „Entwurf eines Gesetzes über die Annahme als Kind“ vor.160 Lediglich dessen in Art. 3 Nr. 3. vorgesehener neuer § 7 Ehegesetz wich vom späteren Gesetzeswortlaut ab. Nach Abs. 1 durfte eine Ehe nicht geschlossen werden zwischen Personen, deren Verwandtschaft oder Schwägerschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Ehegesetz durch Annahme als Kind begründet worden war. In Abs. 2 war statt der Bestimmung, dass die Befreiung versagt werden sollte, wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstanden, noch eine Verweisung auf § 4 Abs. 3 Satz 2 Ehegesetz vorgesehen. Laut der Begründung war einer der Grundzüge des Entwurfes das Anliegen, auch im deutschen Recht im Gegensatz zur bisherigen Gesetzeslage die Volladoption einzuführen. Der neue Entwurf schlage im Interesse einer ungestörten Entwicklung von Kindern vor, als Kind angenommene Minderjährige rechtlich einerseits vollständig von ihrer bisherigen Familienbeziehung zu lösen und andererseits vollständig in die neue Familie zu integrieren. Ein Adoptivkind solle ein eheliches Kind der annehmenden Eheleute oder des Annehmenden und mit allen Verwandten des Annehmenden ebenfalls verwandt werden. Auch sollte durch die Verwandtschaft die Schwägerschaft vermittelt wer-

158 159 160

Eherechtskommission III, S. 80 f. BGBl. I 1976, S. 1749. BR-Drs. 691/74.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

den.161 Zur Ergänzung von § 4 Abs. 1 Ehegesetz hieß es, dass trotz des im Entwurf vorgesehenen Erlöschens des auf Abstammung beruhenden Verwandtschaftsverhältnisses mit der Annahme als Kind das Eheverbot zu den bisherigen Verwandten bestehen bleiben solle, weil es als sittlich anstößig empfunden werde, wenn in gerader Linie voneinander abstammende Personen miteinander die Ehe schlössen.162 Hinsichtlich der vorgesehenen Neufassung von § 7 Abs. 1 Ehegesetz schlage der Entwurf vor, für die neue Familie die Eheverbote des § 4 Abs. 1 zu übernehmen, da das Verwandtschaftsverhältnis auf alle Mitglieder der neuen Familie ausgedehnt werde. Anders als bei der auf Abstammung beruhenden Verwandtschaft bestehe bei Auflösung des Annahmeverhältnisses kein Bedürfnis, die Eheverbote aufrechtzuerhalten, so dass der vorgesehene § 7 Abs. 1 Satz 2 Ehegesetz das geltende Recht übernehme.163 Zum vorgesehenen Abs. 2 stellte die Begründung heraus, dass dieser die Befreiung in weiterem Umfang zulasse als bei leiblicher Verwandtschaft. Eine Befreiung sei nur für Verwandte in gerader Linie ausgeschlossen, weil kein Eltern- oder Großelternteil sein Kind oder Enkelkind heiraten können solle. Da das Vormundschaftsgericht in jedem Fall der Befreiung prüfen solle, ob der Eingehung der Ehe wichtige Gründe entgegenstünden, sei § 4 Abs. 3 Satz 2 Ehegesetz anzuwenden.164 Der Bundesrat beriet den Gesetzentwurf am 29. November 1974165 und empfahl keine Änderungen der vorgesehenen neuen Bestimmungen zum Eheverbotsrecht.166 Am 7. Januar 1975 brachte die Bundesregierung den Gesetzentwurf gemeinsam mit ihrer Begründung und der Stellungnahme des Bundesrates sowie ihrer Gegenäußerung in den Bundestag ein.167 Dieser beriet den Entwurf in erster Lesung am 23. Januar 1975 und überwies ihn federführend an den Rechtsausschuss sowie mitberatend an den Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit sowie den Innenausschuss.168 Der Rechtsausschuss erstattete dem Bundestag am 27. April 1976 seinen Bericht zu dem Gesetzentwurf, verbunden mit dem Antrag, diesen mit den empfohlenen Änderungen anzunehmen.169 Die Empfehlungen des Ausschusses bezüglich der zu ändernden Vorschriften des Ehegesetzes entsprachen nunmehr dem später verabschiedeten Gesetz wörtlich.170 Den vorgeschlagenen, vom Entwurf abweichenden Wortlaut von § 7 Abs. 1 Ehegesetz („soll“ statt „darf“) begründete der Ausschuss damit, dass es bei einem aufschie161 162 163 164 165 166 167 168 169 170

BR-Drs. 691/74, S. 19 f. BR-Drs. 691/74, S. 56 f. BR-Drs. 691/74, S. 57. BR-Drs. 691/74, S. 57. Bundesratsverhandlungen 1974, S. 449 f. Zu den Änderungsvorschlägen siehe BR-Drs. 691/74 (Beschluss). BT-Drs. 7/3061. Bundestagsverhandlungen, Bd. 91, S. 9924 ff. BT-Drs. 7/5087. BT-Drs. 7/5087, S. 46.

G. Das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976

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benden Ehehindernis bleiben solle, da dem Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft wie im geltenden Recht auch künftig kein Nichtigkeitsgrund entsprechen solle (§ 21 des Ehegesetzes, der eine Ehe für nichtig erklärte, die zwischen Verwandten oder Verschwägerten geschlossen worden war, bezog sich nur auf die Verbote gemäß § 4 Ehegesetz, und bereits der Regierungsentwurf hatte diesbezüglich keine Änderung vorgesehen).171 Keine sachliche Änderung bedeutete demgegenüber die Empfehlung des Ausschusses für die Formulierung von § 7 Abs. 2 Ehegesetz. Dort sei nur die Verweisung aufgelöst worden.172 Auf Grundlage der Empfehlungen des Rechtsausschusses fanden die Beratungen in zweiter und dritter Lesung im Bundestag am 6. Mai 1976 statt, an deren Ende die einstimmige Annahme des Gesetzentwurfes stand.173 Die Änderungen der Vorschriften des Ehegesetzes fanden dabei keine Erwähnung. Allerdings hatte sich in der Zwischenzeit offenbar auch in der Bundesregierung die Ansicht durchgesetzt, dass es sinnvoller war, die Eheverbote wegen Adoptivverwandtschaft und Adoptivschwägerschaft als aufschiebende zu behandeln, denn Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel erklärte am Ende der dritten Lesung ausdrücklich, dass aus Sicht der Regierung die im Ausschuss und im Unterausschuss beschlossenen Veränderungen des Gesetzentwurfes durchweg Verbesserungen darstellten.174 Der Gesetzesbeschluss des Bundestages wurde dem Bundesrat am 14. Mai 1976 übersandt.175 Am 20. Mai 1976 empfahlen dessen mit dem Gesetzentwurf befassten Ausschüsse, federführend der Rechtsausschuss, daneben der Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit, die Zustimmung zu dem Gesetz; die für den Fall einer Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochenen Empfehlungen betrafen nicht Art. 3 des Gesetzes, mithin nicht die beschlossenen Änderungen des Ehegesetzes.176 Der Empfehlung der Ausschüsse folgend stimmte der Bundesrat dem Gesetzentwurf am 4. Juni 1976 zu.177 Das beschlossene Gesetz trat gemäß seinem Art. 12 § 10 am 1. Januar 1977 in Kraft. Die rechtshistorische Bedeutung des Adoptionsgesetzes vom 2. Juli 1976 liegt vor allem darin, dass es den Grundsatz der Volladoption einführte und das Adoptionsrecht vom Vertrags- auf das so genannte Dekretsystem umstellte, also bestimmte, dass eine Annahme als Kind seitdem nicht durch privatrechtliche Vereinbarung, sondern durch einen staatlichen Hoheitsakt in Form eines Richterspruchs erfolgte. Die mit dem Gesetz einhergehenden Änderungen des Rechts der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft waren lediglich eine logische Konsequenz dieser Neuerungen. Dabei scheint die Bundesregierung 171 172 173 174 175 176 177

BT-Drs. 7/5087, S. 23. BT-Drs. 7/5087, S. 23. Bundestagsverhandlungen, Bd. 98, S. 16603 ff. Bundestagsverhandlungen, Bd. 98, S. 16610. BR-Drs. 304/76. BR-Drs. 304/1/76. Bundesratsverhandlungen 1976, S. 256 f.; BR-Drs. 304/76 (Beschluss).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

allerdings zunächst nicht sonderlich sorgfältig vorgegangen zu sein. Ansonsten hätte ihr auffallen müssen, dass Adoptivverwandtschaft und Adoptivschwägerschaft in ihrem Entwurf ursprünglich zwar als trennende Ehehindernisse vorgesehen waren, entgegen diesen geschlossene Ehen aber, anders als bei leiblicher Verwandtschaft sowie Schwägerschaft, nicht nichtig sein sollten. Die Situation, dass ein trennendes Eheverbot Gesetz wurde, dessen Verhältnismäßigkeit zweifelhaft gewesen wäre, wurde jedoch dadurch vermieden, dass diese systematische Inkonsequenz im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auffiel und vom Bundestag korrigiert wurde.

H. Das „Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG)“ vom 4. Mai 1998 Das Recht der Eheverbote erhielt seine heutige Ausprägung, abgesehen vor geringfügigen Änderungen in der Folgezeit, durch das „Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG)“ vom 4. Mai 1998.178 In seinem Art. 1 Abs. 2. führte es das Eheschließungsrecht nach 60 Jahren wieder zurück in das BGB, schaffte das Eheverbot wegen Schwägerschaft ab und vereinheitlichte die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die verbliebenen Eheverbote unter Beseitigung der Nichtigkeit. Seitdem bestimmt § 1307 BGB nur noch, dass eine Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollund halbbürtigen Geschwistern nicht geschlossen werden darf, auch wenn das jeweilige Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist. Nach § 1308 Abs. 1 BGB soll eine Ehe nicht geschlossen werden zwischen Personen, deren Verwandtschaft im Sinne des § 1307 durch Annahme als Kind begründet worden ist, was jedoch nicht gilt, wenn das Annahmeverhältnis aufgelöst worden ist. Gemäß Abs. 2 Satz 1 kann das Familiengericht von diesem Verbot Befreiung erteilen, wenn zwischen dem Antragsteller und seinem künftigen Ehegatten durch die Annahme als Kind eine Verwandtschaft in der Seitenlinie begründet worden ist. Die Befreiung soll jedoch nach Satz 2 versagt werden, wenn der Eingehung der Ehe wichtige Gründe entgegenstehen. Nachdem der neue § 1313 BGB zunächst bestimmt hatte, dass eine Ehe nur durch gerichtliches Urteil auf Antrag aufgehoben werden konnte und mit dessen Rechtskraft aufgelöst war, wurde die Vorschrift durch Art. 50 Abs. 10. des „Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG)“ vom 17. Dezember 2008179 dergestalt neugefasst, dass die Ehe nur durch richterliche Entscheidung aufgehoben werden kann. Gemäß dem 1998 eingeführten § 1314 Abs. 1 BGB konnte eine Ehe zu178 179

BGBl. I 1998, S. 833. BGBl. I 2008, S. 2586.

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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nächst unter anderem dann aufgehoben werden, wenn sie gegen § 1307 BGB verstieß. Ohne sachliche Änderung findet sich diese Vorschrift nach Art. 1 Abs. 4. des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“ vom 17. Juli 2017180 nunmehr in § 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Zur Stellung des Antrages auf Eheaufhebung berechtigt sind seit 1998 nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei einem Verstoß gegen das Eheverbot wegen Verwandtschaft jeder Ehegatte und die zuständige Verwaltungsbehörde, die durch Rechtverordnung der Landesregierungen bestimmt wird. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die zuständigen obersten Landesbehörden übertragen. Nach Abs. 3 Satz 1 soll die zuständige Verwaltungsbehörde unter anderem bei Verstoß gegen § 1307 BGB den Antrag auf Aufhebung der Ehe stellen, wenn die Aufhebung nicht für einen Ehegatten oder für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. Das Ehegesetz von 1946 wurde durch Art. 14 Abs. 1. des Eheschließungsrechtsgesetzes aufgehoben.

I. Die rechtswissenschaftliche Kontroverse um das Eheverbot wegen Schwägerschaft seit den fünfziger Jahren bis zum Eheschließungsrechtsgesetz Bevor es 1998 aufgehoben wurde, war auch das Eheverbot wegen Schwägerschaft in der Rechtswissenschaft bereits jahrzehntelang kontrovers beurteilt worden. Befürworter beriefen sich dabei vor allem auf Sitten und Moral. Gerhard Lüke sah das Verbot in demselben Beitrag in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ aus dem Jahr 1962, in dem er gegen das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft Stellung bezogen hatte, als legitim an. Ausgangspunkt seiner Darstellung war der in den Beratungen zum BGB erörterte Fall, dass ein Elternteil sein Stiefkind heirate und noch Kinder aus der durch den Tod aufgelösten Ehe vorhanden seien. Dieses Beispiel lasse sich etwa dadurch erweitern, dass aus der neuen Ehe wiederum Kinder hervorgingen. Ohne dass die Gründe dafür rational erfassbar seien, werde man eine solche Verbindung unter Umständen als anstößig und dem sittlichen Wesen der Ehe widersprechend ansehen müssen, insbesondere dann, wenn das Stiefkind im räumlichen Bereich des durch die frühere Ehe gebildeten Familienverbandes zusammen mit den Kindern aus dieser Verbindung aufgewachsen sei. Insoweit erzeuge der Familienverband über die unmittelbare natürliche Verwandtschaft hinausreichende Beziehungen. „Irgendwie“ widerstrebe es, das bisherige faktische Kindschaftsverhältnis in ein Ehegatten- und Elternverhältnis umwandeln zu lassen. Dass es dem im abendländischen Rechtskreis herausgebildeten Wesen der Ehe entspreche, eheliche Verbindungen zwischen Verschwägerten in gerader Linie zu verhindern, bestätige die normative Bedeu180

BGBl. I 2017, S. 2429.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

tung dieser sittlichen Empfindungen in ihrer Maßgeblichkeit für eine verbindliche Ordnung des Eheschließungsrechts.181 Allerdings sei nicht jede denkbare Ehe zwischen Verschwägerten anstößig. Wenn beispielsweise das Stiefkind in einem Internat oder bei Verwandten aufgewachsen sei und keinerlei Berührung mit der früheren Ehe seines Verlobten gehabt habe, könne man nicht von einer Umwandlung des Kindschaftsverhältnisses in eine Ehegattenverhältnis sprechen, da für ersteres mangels leiblicher Verwandtschaftsbeziehungen vor allem die durch die bisherigen tatsächlichen Verhältnisse geschaffene Zusammengehörigkeit ausschlaggebend sei. In solchen Fällen sei daher stets die Befreiung geboten. Die denkbaren Ausnahmen entzögen sich jedoch einer abschließenden abstrakten Normierung.182 Hans Dölle betonte 1964 im ersten Band seines Lehrbuches zum Familienrecht, dass das Ehehindernis wegen Schwägerschaft ebenso wie dasjenige wegen Verwandtschaft auf sittlichen Anschauungen vom Wesen der Ehe und der Familie beruhe. Es errege Anstoß, wenn etwa ein Witwer mit der erstehelichen Tochter seiner verstorbenen Ehefrau die Ehe eingehe, zumal dann, wenn aus der durch den Tod aufgelösten Ehe Kinder hervorgegangen seien. Das Kindschaftsverhältnis solle nicht zum Ehegattenverhältnis, das Geschwisterverhältnis nicht zum Elternverhältnis werden.183 Oskar Katholnigg setzte sich im selben Jahr in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“ neben dem Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft auch mit demjenigen wegen Schwägerschaft auseinander. Der gemeinhin vertretenen Auffassung, das Verbot sei gerechtfertigt, da eine Ehe zwischen nahen Verschwägerten sittlich verwerflich sei und der christlich-abendländischen Rechtsauffassung von der Ehe nicht entspreche, sei zuzustimmen. Darüber hinaus gebe es aber durchaus auch rationale Gründe, die es rechtfertigten. Dabei könne man an den Fall einer Ehe denken, in die die Frau bereits eine Tochter mitgebracht habe. In die Ehe werde ein Kind geboren. Nach dem Tod der Frau heirate der Mann seine Stieftochter und bekomme mit ihr ein weiteres Kind. Das Kind aus der ersten Ehe sei also Halbbruder beziehungsweise -schwester und Onkel beziehungsweise Tante des Kindes aus zweiter Ehe, gleichzeitig Stiefsohn beziehungsweise -tochter und Halbbruder beziehungsweise -schwester der zweiten Ehefrau. Derartige Verkehrungen des normalen Ehe- und Familiengefüges in ein Zerrbild ließen schwere Störungen für die betreffende Ehe und Familie befürchten, die sich zunächst im tatsächlichen Bereich des Zusammenlebens auswirken, aber auch zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Familie wie etwa einem Erbstreit führen könnten.184 Ein wichtiger Grund, die Befreiung von dem Eheverbot wegen Schwägerschaft nicht zu erteilen, liege beispielsweise grundsätzlich vor, wenn Kinder aus der Erstehe des einen Partners der geplanten neuen Verbindung vorhanden seien. 181 182 183 184

Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2178 f.). Lüke, NJW 1962, S. 2177 (2179). Dölle, Bd. 1, S. 104 f. Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (124).

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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Ein sittliches Werturteil könne letztlich nur über den Einzelfall gefällt werden, wobei auch die Intensität der Familiengemeinschaft zu berücksichtigen sei. Es müsse zwar typisieren, dürfe aber niemals die Umstände des Einzelfalles ganz außer acht lassen.185 Vehement verteidigte noch in den achtziger Jahren der Bonner Hochschullehrer Friedrich Wilhelm Bosch das Eheverbot wegen Schwägerschaft. Zu einem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums, der dessen Abschaffung vorsah, hatte er 1982 in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“ scharfe Kritik geäußert. Damit würden Grundvorstellungen des Eherechts angetastet und eine Änderung angeregt, die auf keinen Fall vorgenommen werden sollte. Offenbar sei man sich der zutiefst ethischen Gründe des Ehehindernisses der Schwägerschaft nicht bewusst oder wolle sich „dem allmählichen Verblassen jener moralischen Wertgefühle, die zum Eheverbot der Schwägerschaft führten“ (Joachim Gernhuber) in der Schwäche einer allzu nachgiebigen Zeit beugen, da Nachgeben stets einfacher als Widerstand sei. Der Dekadenz der Wert müsse indessen gerade auch seitens des Gesetzgebers entgegengetreten werden.186 Bosch stellte die Fragen, ob es etwa zu billigen sei, dass ein Ehemann, der jahrelang das vor- oder ersteheliche Kind seiner Ehefrau als Stiefkind und damit als Familienmitglied im weiteren oder weitesten Sinne zu betreuen gehabt habe, während einer unter Umständen jahrelangen Erkrankung seiner Frau die Stieftochter bereits als demnächstige Ehefrau „fest einplanen“ könne, und ob es nicht ein Gebot des Eheschutzes sei, ebenfalls zu verhindern, dass ein Schwiegervater sich störend in die Ehe seines Sohnes einmische und diese Ehe durch sexuelle Annäherung an die Schwiegertochter in der sicheren Aussicht, demnächst eine „neue Partnerin“ als Ehefrau zu gewinnen, scheidungsreif mache. Es sei der Sinn des jahrtausendealten Ehehindernisses der Schwägerschaft, dass Stief- und Schwiegerkinder wie auch umgekehrt Stief-und Schwiegereltern sexuell absolut „tabu“ sein sollten. Seine geplante Streichung würde „enttabuisieren“, enthemmen und in manchen Fällen sogar die Aufnahme abnormer, einer normalen Eheordnung zuwiderlaufender sexueller Beziehungen fast provozieren.187 Gegenüber dem Einwand von Eherechtskommission und Bundesjustizministerium, außereheliche sexuelle Kontakte ließen sich ohnehin nicht verhindern, verwies Bosch einerseits auf die frühere Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Zudem beachteten die Vertreter dieses Arguments nicht, dass die Aussicht, auf späteren Wunsch hin ohne jede Schwierigkeit auch eine Ehe eingehen zu können, durchaus motivierend wirken könne, während ein Eheverbot eben doch eine gewisse Barriere bedeute. Auch den zweiten Einwand, dass das Eheverbot wegen Schwägerschaft gemäß § 4 Abs. 3 Ehegesetz dispensabel sei und Befreiung in der Regel gewährt werde, ließ Bosch nicht gelten. Ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sei etwas anderes als gar kein Verbot, wobei einzuräumen sei, 185 186 187

Katholnigg, FamRZ 1964, S. 123 (124). Bosch, FamRZ 1982, S. 862 (869 f.). Bosch, FamRZ 1982, S. 862 (870).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

dass die Vorschrift nicht gut formuliert sei und überlegt werden sollte, entweder die Befreiung wieder völlig abzuschaffen oder ihre Voraussetzungen in eindeutiger, eine gleichheitliche Anwendung besser garantierender Form umzugestalten.188 Bosch fasste seine Meinung dergestalt zusammen, dass ein Rest ethischer Haltung im Bereich der Regelung der Ehehindernisse erhalten bleiben und damit gleichzeitig die wesentliche Struktur der Ehe aufrechterhalten werden solle. Bevor insoweit eine Neuordnung erfolge, müsse rechtshistorisch und rechtsvergleichend noch sehr viel Arbeit geleistet werden.189 Den ersten Satz dieser Zusammenfassung zitierte er auch fünf Jahre später in einem Beitrag in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“.190 Auf Seiten der Kritiker des Eheverbotes wegen Schwägerschaft reichte das Spektrum der Forderungen von bloßer Lockerung bis zu ersatzloser Streichung. Zur Begründung wurden im Wesentlichen das Fehlen sachlicher Gründe zur Rechtfertigung und die Verfassungswidrigkeit sowohl des Verbotes selbst, als auch der Befreiungsmöglichkeit genannt. So vertrat der Hamburger Senatspräsident Ernst Krönig 1953 in der „Juristenzeitung“ anlässlich des Gesetzentwurfes aus dem Jahr 1952 die Auffassung, dass eine Einschränkung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft in gerader Linie dringend erforderlich erscheine und die Befreiungsmöglichkeit gemäß § 4 Abs. 3 Ehegesetz nicht genüge. Der einzig vernünftige Grund, der für ein Eheverbot für solche Verschwägerte angeführt werden könne, sei der Umstand, dass bei unbeschränkter Zulassung solcher Ehen ein Stiefsohn durch die Ehe mit seiner Stiefmutter zum Vater seiner Halbgeschwister werde, wenn aus der Ehe seiner Stiefmutter mit seinem Vater Kinder hervorgegangen seien. Ebenso würde eine Stieftochter durch die Ehe mit ihrem Stiefvater zur Stiefmutter ihrer Halbgeschwister und ein Schwiegervater durch die Ehe mit seiner Schwiegertochter zum Vater seiner Enkel werden. Dieser Gesichtspunkt entfalle aber überall dort, wo solche Kinder oder Enkel überhaupt nicht vorhanden seien. Dann könnten gegen eine entsprechende Eheschließung nur gefühlsmäßige Bedenken bestehen, die sachlichem und logischem Denken nicht standhielten und nicht so schwerwiegend seien, dass der Gesetzgeber ihnen mit dem Eheverbot Rechnung tragen müsste. Häufig sprächen erhebliche wirtschaftliche Gründe für solche Eheschließungen, etwa wenn der Stiefsohn mithilfe der jungen Stiefmutter den Hof oder Gewerbebetrieb seines Vaters fortsetze oder der Stief- oder Schwiegervater mit der Stief- oder Schwiegertochter einen solchen Betrieb weiterführe. Es gebe keinen Grund, in einem solchen Fall die Beteiligten zur Einleitung eines in seinem Ausgang nicht sicheren und oft nicht rasch erledigten Befreiungsverfahrens zu nötigen und sie dadurch in außereheliche Geschlechtsbeziehungen hineinzutreiben, statt durch die Zulassung der Eheschlie188 189 190

Bosch, FamRZ 1982, S. 862 (870). Bosch, FamRZ 1982, S. 862 (870). Bosch, NJW 1987, S. 2617 (2624).

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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ßung von vornherein saubere Verhältnisse zu schaffen.191 Es sei kein wünschenswerter Rechtszustand, dass Verschwägerte zwar miteinander Beziehungen haben und nichteheliche Kinder in die Welt setzen, aber ohne besondere Erlaubnis nicht heiraten dürften, seit gemäß Verordnung vom 23. April 1938 außerehelicher Verkehr zwischen Verschwägerten in gerader Linie nicht mehr strafbar sei, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe nicht mehr bestehe. Nicht durchschlagend sei der Einwand, dass in einem solchen Fall die Genehmigung der Eheschließung nicht versagt werden würde. Denn es ergebe keinen Sinn, auch in den Fällen, in denen das Eheverbot wegen Schwägerschaft als überflüssig oder unrichtig anerkannt werde, die Beteiligten auf den Weg des Genehmigungsverfahrens zu verweisen, statt das Verbot für diese Fälle abzuschaffen.192 Wenn man so weit nicht gehen wolle, solle man der Befreiungsvorschrift wenigstens einen Zusatz beifügen, dass die Befreiung erfolgen solle, wenn aus der die Schwägerschaft begründenden Ehe keine Kinder hervorgegangen seien. Auch hier schlage der Einwand nicht durch, dass die Befreiung in einem solchen Fall ohnehin erteilt werden würde, da es ganz unzweckmäßig sei, dann, wenn der Gesetzgeber für eine Gruppe von Fällen bereits eine bestimmte Regelung für angemessen halte, diese trotzdem ohne entsprechende Richtlinie einer Verwaltungsstelle zu überlassen. Zweckmäßig sei dies nur, wenn Richtlinien im voraus nicht gegeben werden könnten.193 Schließlich könne die Eheschließung zwischen Verschwägerten in gerader Linie selbst bei Vorhandensein von Kindern in höchstem Grade sittlich gerechtfertigt und sogar höchst erwünscht sein. Wenn beispielsweise eine Frau mit Tochter ein zweites Mal heirate, aus dieser Ehe Kinder hervorgingen und der Tochter wegen ständiger Krankheit der Frau die Sorge für die Kinder aus der zweiten Ehe zufalle, könne der Mann nach dem Tod der Frau doch häufig nichts Besseres tun, als seine Stieftochter zur Mutter der Kinder aus der früheren Ehe zu gewinnen. Auch die Kinder würden eine solche Mutterschaft bei einem entsprechenden Altersunterschied durchaus nicht als unnatürlich empfinden. Zum selben Ergebnis könnten auch die bereits genannten wirtschaftlichen Überlegungen führen. Daher sei es empfehlenswert, die für die Genehmigung zuständige Stelle durch eine Kannvorschrift darauf hinzuweisen, dass auch bei Vorhandensein der fraglichen Kinder die Ehegenehmigung erfolgen könne. Damit würde dem eventuellen Missverständnis vorgebeugt, dass bei Vorhandensein solcher Kinder die Genehmigung stets versagt werden solle.194 Krönig schlug daher vor, entweder in § 1307 Abs. 1 BGB des damaligen Gesetzentwurfes zu bestimmen, dass eine Ehe zwischen Verschwägerten in gerader Linie nicht geschlossen werden dürfe, wenn Kinder aus der Ehe vorhanden seien, durch welche die Schwägerschaft vermittelt werde, was auch dann gelten sollte, wenn die Ehe aufgelöst 191 192 193 194

Krönig, JZ 1953, S. 75 (75). Krönig, JZ 1953, S. 75 (75). Krönig, JZ 1953, S. 75 (75). Krönig, JZ 1953, S. 75 (75).

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oder für nichtig erklärt sei. Andernfalls müsse die Befreiungsvorschrift im vorgesehenen § 1307 Abs. 3 Satz 1 BGB durch die Bestimmung ergänzt werden, dass bei der Entscheidung die gesamten Umstände des Falles zu berücksichtigen seien. Befreiung, eventuell in der Regel, solle bewilligt werden, wenn aus der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe keine Kinder vorhanden seien, könne aber auch bei Vorhandensein solcher Kinder bewilligt werden.195 Wie bereits erwähnt, sprach sich die Eherechtskommission beim Bundesjustizministerium 1972 mit der deutlichen Mehrheit von zehn zu zwei Stimmen bei zwei Enthaltungen für den Wegfall des Eheverbotes wegen Schwägerschaft aus. Es sei aus erbbiologischen und medizinischen Gründen nicht geboten und seine Bedeutung habe immer stärker abgenommen. Die vom Verbot bezweckte Verhinderung sexueller Beziehungen im Familienverband und der Umwandlung eines Kindschaftsverhältnisses in eine Geschlechtsgemeinschaft werde nicht erreicht, weil Eheschließungswillige, denen keine Befreiung erteilt werde, dann eben im sogenannten Konkubinat zusammen leben würden, wodurch wiederum Kinder aus einer derartigen Beziehung gegenüber solchen aus einer Ehe benachteiligt würden. Zudem würde eine Gruppe Verschwägerter gegenüber anderen Eheschließungswilligen ohne überzeugende Gründe benachteiligt, da das Gesetz die Befreiung als Regel vorschreibe und damit zu erkennen gebe, dass ein Unwerturteil über Ehen zwischen Verschwägerten das Verbot nicht rechtfertige. Die im geltenden Recht getroffene Entscheidung gegen das Eheverbot wegen Schwägerschaft müsse für alle Schwägerschaftsehen in gleicher Weise wirken.196 Der Ministerialrat im Bundesjustizministerium Christof Böhmer nahm in einem Vortrag vom 24. April 1974 auf der Jahres-Mitgliederversammlung des Fachverbandes der Standesbeamten „Nordrhein“ in Solingen über die seinerzeit beabsichtigte Neuregelung des Eheschließungsrechts auf die Vorschläge der Eherechtskommission Bezug und erklärte, bei den Eheverboten werde „der Rotstift in Aktion treten“, da viel dafür spreche, nur das Verbot der Doppelehe sowie die Ehehindernisse der nahen Verwandtschaft, einschließlich der Adoptivverwandtschaft, der Geschäftsunfähigkeit und des fehlenden Ehefähigkeitszeugnisses für Ausländer bestehen zu lassen.197 Das Eheverbot wegen Schwägerschaft sei aus erbbiologischen Gründen nicht geboten und seine Bedeutung sei immer mehr zurückgegangen. In Literatur und Rechtsprechung bestehe keine einheitliche Auffassung darüber, was „wichtige Gründe“ für die Versagung der Befreiung seien. Es komme vor, dass das Vormundschaftsgericht die Ehe zwischen Stiefvater und Stieftochter nicht gestatte, weil der Stiefvater seiner bisherigen Frau, also der von ihm geschiedenen Mutter der Stieftochter, keinen Unterhalt zahle. Praktische Bedeutungslosigkeit, unklare Auslegung und die Gefahr der sachfremden Anwendung seien Grund genug für

195 196 197

Krönig, JZ 1953, S. 75 (75 f.). Eherechtskommission III, S. 80 f. Böhmer, StAZ 1975, S. 5 (8).

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die Abschaffung des Eheverbotes.198 16 Jahre später, in einem Vortrag am 6. Mai 1990, diesmal anlässlich der Jahreshauptversammlung des Fachverbandes der bayerischen Standesbeamten in Würzburg zu der Frage, ob die geltenden Eheverbote noch alle zeitgemäß seien, bekräftigte Böhmer seine Auffassung.199 Eine Argumentation wie diejenige Hans Dölles aus dem Jahr 1964, dass das Eheverbot wegen Schwägerschaft auf sittlichen Anschauungen vom Wesen der Ehe beruhe, dass es Anstoß errege, wenn ein Witwer mit der erstehelichen Tochter seiner verstorbenen Frau die Ehe eingehe, vor allem, wenn aus der durch den Tod aufgelösten Ehe Kinder hervorgegangen seien, und dass das Kindschaftsverhältnis von Vater und Stieftochter nicht zum Ehegattenverhältnis und das Geschwisterverhältnis zwischen Stieftochter und ihren Halbgeschwistern nicht zum Eltern-Kind-Verhältnis werden solle, sei wohl aus der damaligen Rechtslage noch verständlich, aber schon seinerzeit sehr konservativ gewesen, weil sie in dieser apodiktischen Form genaugenommen jedes Argument für die Befreiungsmöglichkeit gemäß § 4 Abs. 3 Ehegesetz abschneide. Die Entwicklung sei in der Praxis auch hier weitergegangen. Seit dem Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 sei die Befreiung die Regel geworden. Die Gerichte hätten sich schwergetan, im Einzelfall Gründe zu finden, die über die allgemeine Verwirrung der verwandtschaftlichen Beziehungen hinausgehen und eine Ablehnung der Eheschließung rechtfertigen könnten. Genannt worden seien Unruhe und Unfrieden in der Familie und die Belange anderer Familienangehöriger. Eine ungünstige Eheprognose könne dagegen nicht zur Ablehnung der Befreiung führen. Dies sei ausschließlich Sache der Ehewilligen selbst. Aber auch die mögliche Gefährdung des Familienfriedens sei kein Grund für den Staat, eine Eheschließung zu verbieten, da es bei den Angehörigen der Familie selbst liege, Vorkehrungen wie etwa eine räumliche Trennung zu treffen, um Störungen des Familienfriedens fernzuhalten.200 Das Eheverbot wegen Schwägerschaft sei zwar verfassungskonform. Darüber bestehe in der Literatur überwiegend Einigkeit. Jedoch werde ebenso überwiegend die Meinung vertreten, dass es ersatzlos gestrichen werden sollte. Es gebe keinen überzeugenden Grund mehr, dass der Staat im Interesse der Öffentlichkeit eine Ehe zwischen Verschwägerten verbieten können sollte. Wenn sie allgemein nicht mehr als anstößig empfunden werde, wie es schon allein die Befreiungspraxis zeige, bestehe für staatliche Restriktionen der Eheschließungsfreiheit kein Raum mehr. Die wenigen Befürworter des Verbotes wollten an der überkommenen Tradition festhalten, Sachgründe, die noch Gewicht hätten, stünden ihnen aber nicht zur Seite. Die Entwicklung sei weitergegangen und der Gesetzgeber könne sich vor ihr nicht verschließen.201 Demgegenüber hatte sich Thilo Ramms Vorwurf der Verfassungswidrigkeit, wie dargestellt, auf die Eheverbote wegen Geschlechts198 199 200 201

Böhmer, StAZ 1975, S. 5 (8). Böhmer, StAZ 1991, S. 125. Böhmer, StAZ 1991, S. 125 (128). Böhmer, StAZ 1991, S. 125 (128).

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gemeinschaft und Schwägerschaft bezogen. Er bekräftigte ihn 1984 im ersten Band seines Studienbuchs zum Familienrecht über das Recht der Ehe. Als wichtiger Grund für die Versagung der Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft werde das sittliche Empfinden angesehen. Dieses werde jedoch nicht durch die besonderen Umstände des Einzelfalles verletzt, sondern durch die Eheschließung zwischen Verschwägerten als solcher. Wenn der Gesetzgeber dies jedoch in Kauf nehme, dann könne er nicht darauf abstellen, dass im konkreten Fall Freunde oder Nachbarn Anstoß nehmen. Die Erregung von Ärgernis sei der Verletzung sittlichen Empfindens nicht gleichzusetzen. Dem Eheverbot selber lasse sich dieser Grund zur Versagung der Befreiung nicht entnehmen, da die Befreiung den Regelfall bilde. Ebenso versage die Entstehungsgeschichte, die nur zeige, welche früheren Überlegungen vor dem Grundgesetz keinen Bestand hätten. Seltsam sei weiterhin, dass die Erteilung der Befreiung zwar unanfechtbar sei, aber nach (dem seinerzeit geltenden) § 18 Abs. 1 FGG bis zur Vornahme der Eheschließung sogar wegen einer Änderung der Rechtsauffassung wieder aufgehoben werden könne.202 Die vom Ehegesetz vorgenommene Freistellung des Richters bei der Entscheidung über die Befreiung sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. Sie widerspreche dem Prinzip der Gewaltenteilung, da auch der Richter in gleichem Maße wie die Verwaltung gemäß Art. 1 Abs. 2 GG an das Gesetz gebunden sei. Zwar sei zulässig, ihm durch Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe einen Entscheidungsspielraum einzuräumen, doch dies gelte nur, wenn er dabei letzthin schiedsrichterlich tätig werde und die Entscheidungskriterien aus dem Gesetz entnehmen könne, insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang der Bestimmungen oder ihrer Interessenabwägung für das betreffende Lebensverhältnis. Bei der Befreiung stehe demgegenüber das Allgemeininteresse gegen das Individualinteresse und für diese Abwägung schulde der Gesetzgeber dieselbe Handlungsanweisung, die das Bundesverfassungsgericht für die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entwickelt habe, dass nämlich die richterliche Entscheidung wie der Verwaltungsakt „möglichst berechenbar“ sein müsse. Das Gesetz müsse die richterliche Tätigkeit inhaltlich normieren und dürfe keine allgemein gehaltenen Grundsätze oder vagen Generalklauseln aufstellen, die dem Richter erlaubten, selbst die Grenzen der individuellen Freiheit zu bestimmen, weil dann nicht das Gesetz, sondern an seiner Stelle der Richter entscheide.203 Auch wegen der vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft eingeforderten „äußersten Zurückhaltung bei der Aufstellung von Ehehindernissen“ sei die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 Ehegesetz über das Versagen einer Befreiung aus wichtigem Grund verfassungswidrig. Da die Befreiungsversagung damit rechtsungültig sei, gelte nunmehr der bisherige Regel-

202 203

Ramm, Familienrecht Bd. 1, S. 470. Ramm, Familienrecht Bd. 1, S. 470 f.

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tatbestand der Befreiung ausnahmslos. Damit sei aber das Ehehindernis als solches entfallen.204

II. Das Gesetzgebungsverfahren Am 9. Februar 1996 übersandte der Bundeskanzler dem Bundesrat den von der Bundesregierung beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG)“.205 Die in ihm vorgesehenen Bestimmungen zum Eheverbot wegen Verwandtschaft entsprachen bereits wörtlich dem späteren Gesetz. In der Begründung hieß es, der gegenwärtige Rechtszustand erscheine unbefriedigend. Die Aufteilung des Eherechts in das wieder im BGB geregelte Scheidungsrecht einerseits und das im Ehegesetz geregelte Recht der Eheschließung sowie der Nichtigkeit und Aufhebbarkeit der Ehe andererseits sei unübersichtlich. Ein wesentlicher Teil der Vorschriften, die insbesondere die Verwaltung, aber auch die Rechtspflege belasteten, sei nicht mehr erforderlich. Mit dem Entwurf werde vorgeschlagen, das Eheschließungsrecht an die veränderten Verhältnisse anzupassen, die Eheschließung von unnötigem Verwaltungsaufwand zu befreien und das solchermaßen gestraffte Eheschließungsrecht in das BGB zurückzuführen.206 Die beabsichtigte Beseitigung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft wurde damit begründet, dass von diesem in der Praxis bereits sehr weitgehend Befreiung erteilt werde. Die Nichtigkeit einer Verschwägertenehe könne nach § 21 Ehegesetz zudem nur geltend gemacht werden, wenn die Befreiung auch nicht nachträglich bewilligt werde. Inhaltlich lasse sich das Verbot weder aus medizinischen, noch aus erbbiologischen Gründen rechtfertigen.207 Zur vorgesehenen Vereinheitlichung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen Eheverbote wurde hervorgehoben, dass die „Zweispurigkeit“ der Möglichkeiten zur Beseitigung einer fehlerhaften Ehe (einerseits Nichtigkeit, andererseits Aufhebbarkeit) die Überschaubarkeit und Handhabbarkeit des geltenden Rechts erschwere und auch in der Sache nicht zu überzeugen vermöge. Die zur Rechtfertigung des bestehenden Rechts angeführte Unterscheidung von Nichtigkeitsgründen, die auf einer Verletzung öffentlicher Interessen beruhten, und Aufhebungsgründen, die vorrangig den Belangen des einzelnen Ehegatten Rechnung trügen, sei im Einzelnen angreifbar. Vor allem aber sei das der Nichtigkeit zugrundeliegende Prinzip rückwirkender Beseitigung der Ehewirkungen bereits vielfach durchbrochen und praktisch aufgehoben. Insbesondere bestimmten sich die vermögensrechtlichen Folgen der Nichtigkeit einer Ehe gemäß § 26 Abs. 1 Ehegesetz ebenso wie bei der Aufhebung nach den Vorschriften über die Ehescheidung und die in der nichtigen Ehe geborenen Kinder blieben ehelich.

204 205 206 207

Ramm, Familienrecht Bd. 1, S. 471. BR-Drs. 79/96. BR-Drs. 79/96, S. 32 f.; siehe auch S. 1 f. BR-Drs. 79/96, S. 33.

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Vermögens- und kindschaftsrechtlich werde die Ehe damit ähnlich wie andere in Vollzug gesetzte Dauerrechtsverhältnisse auch bei anfänglichen Mängeln nur mit Wirkung für die Zukunft beendet. Es erscheine geboten, in Anpassung an das tatsächlich geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis künftig allein die Aufhebung als Weg zur Beendigung einer anfänglich fehlerhaften Ehen mit Wirkung ex nunc vorzusehen.208 Der vorgesehene neue § 1314 Abs. 1 BGB verzichte in Abkehr vom bisherigen Recht darauf, die Aufhebungsgründe im Einzelnen tatbestandlich zu umschreiben, sondern ersetze eine solche Umschreibung durch eine Bezugnahme auf die im Einzelfall verletzten Vorschriften über die Eingehung der Ehe. Diese Verklammerung von Eheeingehungs- und Eheaufhebungsrecht ziele auf größere Rechtsklarheit, wobei sich sachliche Unterschiede aus dieser neuen Systematik grundsätzlich nicht ergäben. Ein Verstoß gegen das Eheverbot des neuen § 1307 BGB führe bereits nach geltendem Recht zu der, künftig allerdings schon grundsätzlich nur noch für die Zukunft wirkenden, Auflösung der Ehe.209 Das im neuen § 1316 Abs. 1 BGB normierte Antragsrecht entspreche in der Sache der bisherigen Klagebefugnis. Die in Nr. 1 angesprochenen Verstöße führten nach geltendem Recht zur Nichtigkeit der Ehe. Deshalb stehe das Antragsrecht wie bisher die Befugnis zur Nichtigkeitsklage nicht nur den Ehegatten, sondern auch dem Staat zu. Die dem Staat zuerkannte Antragsbefugnis solle künftig generell nicht mehr von der Staatsanwaltschaft, sondern von der zuständigen Verwaltungsbehörde wahrgenommen werden. Damit werde das Eheschließungsrecht auch optisch „entkriminalisiert“ und die Staatsanwaltschaft von einer ihrer eigentlichen Funktion als Strafverfolgungsorgan fremden Aufgabe entlastet.210 Der neue Abs. 3 verdeutliche, dass die nach Abs. 1 an die Stelle der bislang zuständigen Staatsanwaltschaft getretene Verwaltungsbehörde bei besonders gravierenden Verstößen, die nach geltendem Recht zur Nichtigerklärung der Ehe führten, von der ihr eingeräumten Antragbefugnis Gebrauch machen und damit die gerichtliche Aufhebung der grob fehlerhaft zustande gekommenen Ehe herbeiführen solle. Der Ordnungsanspruch des Eheschließungsrechts trete in diesen Fällen nur dann ausnahmsweise zurück, wenn die Eheaufhebung für die Ehegatten oder deren gemeinsame Kinder eine so schwere Härte bedeuten würde, dass bei verständiger Güterabwägung das Aufrechterhaltungsinteresse von Ehegatten oder Kindern den staatlichen Ordnungsanspruch zweifelsfrei überwiege.211 Der Bundesrat wies den Entwurf zunächst federführend dem Rechtsausschuss sowie den Ausschüssen für Frauen und Jugend, für Innere Angelegenheiten und für Familie und Senioren zu, welche am 11. März 1996 ihre Empfehlungen zu einer Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf gemäß Art. 76 208 209 210 211

BR-Drs. 79/96, S. BR-Drs. 79/96, S. BR-Drs. 79/96, S. BR-Drs. 79/96, S.

34 f.; siehe auch S. 46 ff. 49. 53. 54 f.

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Abs. 2 GG abgaben.212 Was die vorgesehenen Neuerungen der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft anging, empfahlen die drei erstgenannten Ausschüsse, in § 1307 Satz 1 BGB statt der Begriffe „vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern“ die Wörter „Geschwistern und Halbgeschwistern“ zu verwenden, da die im Gesetzentwurf verwendeten Begriffe nicht mehr zeitgemäß seien. Auf diese „antiquierten Ausdrücke“ sollte daher im Interesse einer allgemeinverständlichen Gesetzessprache verzichtet werden.213 Der Ausschuss für Familie und Senioren empfahl dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben.214 In seiner am 22. März 1996 beschlossenen Stellungnahme folgte der Bundesrat den Empfehlungen des Rechtsausschusses sowie der Ausschüsse für Frauen und Jugend und für Innere Angelegenheiten.215 Der Bundeskanzler übersandte am 13. Juni 1996 den Gesetzentwurf nebst Begründung sowie der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung dazu an die Bundestagspräsidentin mit der Bitte, die Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen.216 In ihrer Gegenäußerung stimmte die Bundesregierung dem Vorschlag, in dem vorgesehenen neuen § 1307 BGB die Begriffe „vollbürtige und halbbürtige Geschwister“ durch die Worte „Geschwister und Halbgeschwister“ zu ersetzen, nicht zu. Die im Regierungsentwurf in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht verwendeten Begriffe seien präzise, schlössen sich zudem gegenseitig aus und könnten deshalb im Gesetzestext sinnvoll nebeneinander gestellt werden. Die vom Bundesrat empfohlene Verwendung der Begriffe „Geschwister“ und „Halbgeschwister“ erfüllten beide Voraussetzungen dagegen nicht.217 In der ersten Lesung am 27. Juni 1996 beschloss der Bundestag lediglich, den Entwurf federführend an den Rechtsausschuss sowie den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen.218 Letzterer beriet den Gesetzentwurf am 1. Oktober 1997 und empfahl mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP gegen Enthaltung der Fraktionen der SPD und von Bündnis90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS die Annahme. Der Rechtsausschuss beriet den Entwurf in zwei Sitzungen, nämlich am 18. September 1996 und am 10. Dezember 1997.219 Nachdem der Bundestag am 26. November 1997, offenbar wegen der noch nicht abgeschlossenen Beratungen im Rechtsausschuss, beschlossen hatte, die eigentlich für jene Woche vorgesehene zweite und dritte Lesung abzusetzen220, empfahl der Rechtsausschuss dem Bun212 213 214 215 216 217 218 219 220

BR-Drs. 79/1/96. BR-Drs. 79/1/96, S. 4. BR-Drs. 79/1/96, S. 12. Bundesratsverhandlungen 1996, S. 143; BR-Drs. 79/96 (Beschluss). BT-Drs. 13/4898. BT-Drs. 13/4898, S. 34. Bundestagsverhandlungen, Bd. 184, S. 10410 f. BT-Drs. 13/9416, S. 26. Bundestagsverhandlungen, Bd. 190, S. 18631.

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destag am 10. Dezember 1997, den Gesetzentwurf mit den von ihm vorgeschlagenen Änderungen anzunehmen.221 Im Gegensatz zum Bundesrat empfahl der Ausschuss die unveränderte Annahme des von der Bundesregierung vorgeschlagenen § 1307 BGB, und auch seine Empfehlungen zu den Vorschriften über die Aufhebung der Ehe standen nicht mit dem verbliebenen Eheverbot wegen Verwandtschaft in Zusammenhang.222 Der Bundestag nahm am 11. Dezember 1997 den Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses und ohne Debatte in zweiter und dritter Lesung an.223 Der Bundesrat stimmte dem Gesetzentwurf am 6. Februar 1998 zu.224 Nach seinem Art. 18 Abs. 1 trat Art. 1 Nr. 2 insoweit am Tage nach der Verkündung in Kraft, als die Landesregierungen in § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt wurden, das übrige Gesetz gemäß Art. 18 Abs. 3 am 1. Juli 1998.

III. Würdigung Der Mainzer Hochschullehrer Reinhard Hepting hat 1996 in der Zeitschrift „Das Standesamt“ zum Eheschließungsrechtsgesetz erklärt, dieses sei weitgehend ein bloßes Reparaturgesetz. Es bringe wenig an spektakulär Neuem. Seine Funktion sei eher konsolidierend und klarstellend und nur punktuell korrigierend, indem es das Eheschließungsrecht wieder in das BGB einfüge, die Zweigleisigkeit von Nichtigkeit und Aufhebbarkeit überwinde und, beispielsweise mit der Abschaffung bestimmter Eheverbote, punktuell die Konsequenzen aus den Erfahrungen der Praxis mit einzelnen Vorschriften ziehe und die Regelung an die gewandelten sozialen Verhältnisse und an die von der Praxis entwickelten Auslegungen anpasse.225 Auf die Neuerungen der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft bezogen, bedeuteten diese Neuerungen jedoch so tiefgreifende Veränderungen wie durch kein vorheriges Gesetz seit Gründung der Bundesrepublik. 1. Die Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB Für Hepting war die Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB formal zu begrüßen, aber ohne Bedeutung in der Sache.226 Dem ist zuzustimmen. Zwar hätten die vorgenommenen Änderungen auch im Rahmen des Ehegesetzes durchgeführt werden können und die Verteilung der eherechtlichen Vorschriften auf mehrere Gesetze hat die Rechtsanwender zwischen 1938 beziehungsweise 221

BT-Drs. 13/9416. BT-Drs. 13/9416, S. 5 ff. 223 Bundestagsverhandlungen, Bd. 190, S. 19162. 224 Bundesratsverhandlungen 1998, S. 23 u. 37; siehe auch BR-Drs. 11/98 (Beschluss). 225 Hepting, StAZ 1996, S. 257 (264). 226 Hepting, StAZ 1996, S. 257 (264). 222

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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1946 und 1998 offensichtlich nicht überfordert und würde es auch heute nicht. Der Übersichtlichkeit und damit auch, wie von der Bundesregierung beabsichtigt, der Handhabbarkeit des Eherechts dürfte dennoch in jedem Fall gedient sein. Es sprachen Ende der neunziger Jahre also durchaus auch geringfügige praktische Erwägungen für die Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB. Sie war aber auch aus rechtshistorischer Perspektive folgerichtig. Die Nationalsozialisten hatten 60 Jahre zuvor anlässlich des „Anschlusses“ Österreichs das Recht der Eheschließung und Ehescheidung aus dem BGB herausgebrochen und in einem eigenen Gesetz geregelt, auch um ihre Ideologie im Eherecht zu implementieren. Zwar ist das Ehegesetz 1946 durch den Alliierten Kontrollrat, bereinigt von den eindeutig nationalsozialistischen Regelungen, erneut erlassen worden. Aber mit der Lücke im BGB ist dennoch ein sichtbares Relikt der nationalsozialistischen Diktatur bestehen geblieben. Der Gesetzgeber hat das Eheschließungsrecht 1998 wieder dort angesiedelt, wo es historisch betrachtet seit Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 hingehört. Dies bedeutete eine Bereinigung eines ursprünglich ideologisch motivierten Systemfehlers. Dass der Gesetzgeber dafür trotz des bereits 1952 unternommenen ersten Versuchs insgesamt 60 Jahre benötigte, mag unbefriedigend sein. Es bleibt jedoch nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. 2. Die Übertragung der Befugnis zur Einleitung des Aufhebungsverfahrens auf die Verwaltungsbehörden Ebenso wie die Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB ist auch die Absicht der damaligen Bundesregierung zu begrüßen, das Eheschließungsrecht durch die Übertragung der Befugnis zur Einleitung eines Aufhebungsverfahrens auf die von den Landesregierungen beziehungsweise, nach entsprechender Verordnung, von den obersten Landesbehörden zu bestimmenden Verwaltungsbehörden optisch zu entkriminalisieren. Es wirkte in der Tat unverhältnismäßig, dass den Strafverfolgungsbehörden die Aufgabe zukam, die Beendigung von verbotswidrig geschlossenen Ehen in die Wege zu leiten. Zwar ließe sich dagegen anführen, dass Polygamie und Inzest gemäß §§ 172 und 173 StGB nach wie vor strafbar sind und sich daher auch die Staatsanwaltschaften mit entsprechenden Eheschließungen befassen werden. So betrachtet wäre die Übertragung der Befugnis zur Beantragung der Eheaufhebung ebenfalls lediglich eine Formalie oder Äußerlichkeit. Allerdings sind Verstöße gegen die Verbote gemäß §§ 1306 und 1307 BGB nicht die einzigen Aufhebungsgründe. Eine Antragsberechtigung der Staatsanwaltschaft in den Fällen von § 1314 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BGB, wenn also ein Ehegatte sich etwa bei der Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befunden oder nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt, wäre demgegenüber nur schwer zu begründen. Es erschiene jedoch wenig sinnvoll, die Zuständigkeit für die Beantragung der Eheaufhebung auf mehrere Behörden aufzuteilen.

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

3. Die Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft Es war bereits die Rede davon, dass schon Thilo Ramms Kritik an der Verfassungsmäßigkeit der damaligen Regelung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft Anlass gewesen wäre, es mit dem Ersten Eherechtsreformgesetz abzuschaffen. Durchgesetzt hatte sich diese Ansicht allerdings bis in die späten neunziger Jahren nicht. Stattdessen wurde die Berechtigung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft nach Vorlage des Entwurfes des Eheschließungsrechtsgesetzes noch einmal Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Debatte. Erwartungsgemäß stieß die vorgesehene Streichung auf den entschiedenen Widerspruch Friedrich Wilhelm Boschs. Er hielt es 1997 in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“, für angemessen, dies als revolutionären Umsturz und ein Abweichen von zahlreichen, wohl den weitaus meisten anderen europäischen und wohl auch außereuropäischen Rechtsordnungen zu bezeichnen.227 Für ihn schien es für die Kurzsichtigkeit der Autoren des Gesetzentwurfes oder derjenigen Politiker zu sprechen, die diesen Wandel angeregt oder bisher diesem Vorschlag zugestimmt hätten, wenn es in der Begründung zum Entwurf heiße, dass erbbiologische oder medizinische Gründe Ehen nicht verwandter Personen naturgemäß nicht entgegenstehen könnten. Demgegenüber stellte Bosch die Fragen, ob das Eheschließungsrecht wirklich nur an erbbiologischen und medizinischen Aspekten auszurichten sei, ob es nicht geradezu skandalös sei, wenn den Befürwortern der bestehenden Regelung zum Eheverbot wegen Schwägerschaft in der bestehenden Form vorgehalten werde, sie beriefen sich ja nur auf historisch überkommene Tabus und allgemein-ethische Erwägungen, ob die große Mehrheit der europäischen Nationen, die das Eheverbot wegen Schwägerschaft selbstverständlich kennen und für richtig halten würden, insoweit ebenfalls nur gemäß geschichtlich überkommenen Tabus und allgemein-ethischen Erwägungen leben würde und ob ausgerechnet Deutschland, das seine Gesetze in jüngerer Zeit nicht immer der Ethik entsprechend ausgerichtet habe, ethische Erwägungen als unbeachtlich ansehen solle, wenn es um Korrekturen und Verbesserungen seiner Rechtsordnung gehe.228 Seit mindestens drei Jahrzehnten habe er, Bosch, immer wieder das Eheverbot wegen Schwägerschaft mit Befreiungsmöglichkeit als einen notwendigen Grundstein einer der Ethik verpflichteten und mit ihr bewusst verbundenen Rechtsordnung verteidigt. Weil er einen notwendigen Zusammenhang zwischen Eherechtsordnung und ethischen Geboten mit Vehemenz verteidige, werde er durch den Entwurf abgelehnt, im Grunde disqualifiziert. Die ethischen Aspekte habe er immer wieder erläutert, insbesondere auf die Gefahr der sexuellen Enthemmung im engeren Familienbereich hingewiesen, die gerade in einer Zeit der Überbetonung des Sexuellen nicht durch Streichung gesetzlicher Bestimmungen noch gefördert werden sollte. Wie bereits früher vertreten, sei der weiteren Dekadenz der Werte 227 228

Bosch, FamRZ 1997, S. 65 (74). Bosch, FamRZ 1997, S. 65 (75).

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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entschlossen entgegenzutreten. Das Eheverbot wegen Schwägerschaft dürfe auf gar keinen Fall angetastet werden, da es vor allem im Bezug auf Stiefkinder zutiefst ethischen Gründen entspreche. Ebenso wie leibliche Kinder sollten Stief-, Schwieger- und Adoptivkinder sexuell absolut tabu sein. Dagegen spreche auch nicht der Umstand, dass Befreiung erteilt werden könne, da ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt immerhin eine gewisse Schranke bilde.229 Zutiefst beeindruckend sei schließlich, dass sich das Eheverbot wegen Schwägerschaft im Schweizer Zivilgesetzbuch unter den „Ehehindernissen wegen Verwandtschaft“ finde. Verschwägerte in grader Linie seien damit im weiteren Sinne ebenfalls „Verwandte“, und nahe Verwandte sollten eben nicht nur bei entgegenstehenden erbbiologischen oder medizinischen Gründen grundsätzlich nicht untereinander heiraten.230 Boschs Ansicht mag in ethisch-moralischer Hinsicht hochstehend gewesen sein, aber Ende der neunziger Jahre war die Zeit über sie hinweggegangen. Sehr viel realistischer hatte Reinhard Hepting bereits 1996 in der Zeitschrift „Das Standesamt“ die Situation eigeschätzt. Seit Jahrzehnten sei eine Entwicklung zu beobachten, die im konservativen Sprachgebrauch gerne als „Zersetzung“ bezeichnet und beklagt werde, die man etwas neutraler aber auch als Rückzug des Eherechts auf Positionen bezeichnen könne, die staatliches Recht heutzutage bei einem so privaten und intimen Rechtsverhältnis wie der Ehe rechtlich regeln könne. Dieser Rückzug des Rechts erreiche mit dem Eheschließungsrechtsgesetz auch die Eheschließung.231 Dazu sei unter anderem hervorzuheben, dass die Ehe das Monopol als sexuell geprägter Lebensgemeinschaft verloren habe. Mittlerweile konkurriere die bürgerliche Ehe als Lebensform mit der gesellschaftlich weithin akzeptierten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Dies könne man bedauern oder begrüßen, müsse es als Tatsache aber hinnehmen. Dies bedeute einerseits, dass mit dem sozialen Druck, eine Lebensgemeinschaft nur in der Form der Ehe zu verwirklichen, auch der Druck weggefallen sei, das Eheschließungsrecht insgesamt zu respektieren. Wer sich von ihm zu sehr gegängelt fühle, weiche auf die außerrechtliche Alternative aus, ohne gesellschaftliche Nachteile befürchten zu müssen. Es bedeute andererseits aber auch, dass der Abbau von überholten Ehehindernissen geradezu notwendig sei, damit das Recht selbst die Ehewilligen nicht in die nichteheliche Lebensgemeinschaft treibe. Behielte man beispielsweise das Eheverbot wegen Schwägerschaft bei, bliebe es gleichwohl totes Recht. Wer unbedingt mit seiner Stieftochter eine dauerhafte Beziehung eingehen wolle, heirate sie dann eben nicht, sondern lebe mit ihr ohne Ehe zusammen. Wer sich schon nicht an das sozial-ethische Gebot halte, keine sexuelle Beziehung zur Tochter seiner Ehefrau aufzunehmen, werde auch dem Gebot förmlich korrekter Eheschließung keine große Bedeutung beimessen. Der soziale Druck,

229 230 231

Bosch, FamRZ 1997, S. 65 (75). Bosch, FamRZ 1997, S. 65 (75). Hepting, StAZ 1996, S. 257 (264).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

der früher vielleicht die Eheschließung erzwungen hätte, sei weggefallen. Die Hürde eines solchen Eheverbotes existiere nur noch auf dem Papier. Wo sie eingreifen würde, werde sie faktisch umgangen.232 In einem Beitrag in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“ beschränkte Hepting sich 1998 nur noch auf die Feststellung, dass der Einwand gegen die Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft, es gehe nicht nur um pragmatische Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern auch um elementare ethische Erwägungen, zwar schwer wiege, sich aber nicht durchgesetzt habe. Die Neuregelung sei nicht notwendig „revolutionärer Umsturz“ mit dem Ziel „weiterer Dekadenz der Werte“, sondern möglicherweise auch Ausdruck der Resignation. In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Bedeutung der bürgerlichen Ehe schwinde und sie mit anderen Lebensformen konkurrieren müsse, sei das staatliche Eheschließungsrecht kein geeignetes Mittel mehr, um der „Gefahr sexueller Enthemmung im engeren Familienbereich“ entgegenzusteuern.233 Eine vermittelnde Position zu der im Entwurf des Eheschließungsrechtsgesetzes vorgesehenen Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft nahm der Bochumer Hochschullehrer Karlheinz Muscheler 1997 in einem während der Beratungen in den zuständigen Bundestagsausschüssen in der „Juristenzeitung“ veröffentlichten Beitrag ein. Die Begründung zu dem Gesetzentwurf werde in ihrer lapidaren Kürze der rechtspolitischen Auseinandersetzung um das Eheverbot wegen Schwägerschaft nicht gerecht. An dieser Auseinandersetzung sei allerdings bereits früher aufgefallen, dass man die eigene Lösung stets für evident und zwingend gehalten habe. In Wahrheit falle die Entscheidung in dieser Frage schwer.234 Die bisherige Diskussion erwecke den Eindruck, als gebe es nur die Möglichkeit der Abschaffung des Eheverbotes insgesamt oder der vollständigen Beibehaltung der bisherigen Regelung. Von dieser Engführung des Themas gelte es wegzukommen, da es mit der Beschränkung des Eheverbotes auf Ehen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern unter Beibehaltung der Befreiungsmöglichkeit und mit genauerer gesetzlicher Umschreibung der Voraussetzungen für die Befreiung oder, je nachdem wie das Regel-Ausnahme-Verhältnis ausgestaltet sein solle, für die Versagung der Befreiung, ein dritter Lösungsweg existiere. Im Kern sollte das auf diese Weise eingeschränkte Eheverbot den Zweck haben, die Umwandlung eines faktischen ElternKind-Verhältnisses in ein Eheverhältnis zu verhindern. In der Regel würde Befreiung also in denjenigen Fällen zu erteilen sein, in denen das Stiefkind in einem Internat oder bei Verwandten aufgewachsen sei und keinerlei engere oder längere Berührung mit der früheren Ehe seines Verlobten gehabt habe.235 Für ein Eheverbot mit dem vorgeschlagenen Inhalt spreche, dass in einem faktischen Eltern-Kind-Verhältnis erhebliche Beeinflussungsmöglichkeiten bestünden. Sei es 232 233 234 235

Hepting, StAZ 1996, S. 257 (264). Hepting, FamRZ 1998, S. 713 (717). Muscheler, JZ 1997, S. 1142 (1145). Muscheler, JZ 1997, S. 1142 (1145).

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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in diesem Verhältnis zu sexuellem Missbrauch gekommen, könnte die nachfolgende Ehe zu dessen weiterer Verschweigung und zur Unterdrückung des Offenbarungswillens führen. Das Versprechen einer künftigen Eheschließung werde nicht selten die Anbahnung sexueller Kontakte in dem faktischen Eltern-KindVerhältnis erleichtern. Wenn der Stiefelternteil das Stiefkind adoptiert hätte, würde das aufschiebende, indispensable und wegen der starken Einschränkung der Adoptionsaufhebung kaum zu beseitigende Ehehindernis der Adoption bestehen, das auch nach dem Eheschließungsrechtsgesetz im bisherigen Umfang erhalten bleiben solle. Dass Adoptiveltern sorgeberechtigt seien, bedeute gegenüber den hier zu diskutierenden Fällen keinen entscheidenden Unterschied. Die Aufhebung des Eheverbotes wegen Geschlechtsgemeinschaft durch das Erste Eherechtsreformgesetz ändere nichts daran, dass das Eheverbot wegen Schwägerschaft in seinem Kern legitim bleibe.236 Den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. November 1973 aufgestellten Voraussetzungen der „äußersten Zurückhaltung“ und der „einleuchtenden Sachgründe, die sich aus Wesen und Gehalt der den heutigen Auffassungen entsprechenden Ehe ergeben und ihrerseits aus einem das Institut der Ehe im Sinne der Verfassung bestimmenden Strukturprinzip oder Strukturelement erwachsen“

für die Verfassungsmäßigkeit von Eheverboten würde ein eingeschränktes Eheverbot wegen Schwägerschaft wie das vorgeschlagene gerecht.237 Auf Muschelers Vorschlag kam Bosch 1998 in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ nach Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes zurück. Das Ehehindernis der Schwägerschaft erscheine kaum entbehrlich, insbesondere soweit es sich um Stiefkinder handele, was auch durch jüngste schweizerische Debatten vollauf bestätigt werde. Generell sei die Streichung des ethisch bedeutsamen Eheverbotes wegen Schwägerschaft sehr zu bedauern.238 Mindestens die Streichung des Verbotes der Ehe zwischen einem Stiefelternteil und einem Stiefkind sei verfehlt gewesen. Im Interesse der fraglichen Kinder, die dem Schutz der Stiefeltern anvertraut seien, sollten hier erotisch-sexuelle Beziehungen gar nicht in engere Betrachtung einbezogen werden und deshalb spätere Ehe ausgeschlossen sein. Am besten würde selbstverständlich die komplette Wiederherstellung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft sein.239 Die Argumente, die für die Beibehaltung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft, sei es in der bestehenden oder in einer abgeschwächten Form, vorgebracht wurden, konnten und können im Ergebnis nicht überzeugen. Selbst wenn man die von Thilo Ramm herausgearbeiteten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der 236 237 238 239

Muscheler, JZ 1997, S. 1142 (1145 f.). Muscheler, JZ 1997, S. 1142 (1146). Bosch, NJW 1998, S. 2004 (2006). Bosch, NJW 1998, S. 2004 (2010).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

damaligen Regelung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft nicht teilte, ließ sich kaum verkennen, dass das Verbot Ende der neunziger Jahre längst seine Grundlage verloren hatte. Wurde eine eheähnliches Zusammenleben Verschwägerter Jahre oder Jahrzehnte zuvor noch sittlich-moralisch missbilligt, erregte dies Ende des 20. Jahrhunderts keinen Anstoß mehr. Dass ein entsprechendes Eheverbot dennoch eine wirksame Barriere gegen solche Beziehungen bilden könnte, wie Bosch meinte, war Wunschdenken. Dazu hat Reinhard Hepting vollkommen zu Recht festgestellt, dass niemand sich von einem solchen Verbot beeindrucken lassen würde, der eine Beziehung zu einer mit ihm verschwägerten Person eingehen wollte, sondern dann eben die nichteheliche Lebensgemeinschaft wählen würde. Da Beziehungen zwischen Verschwägerten längst nicht mehr unter Strafe standen, war dies auch gar nicht mehr zu verhindern. Damit lief das Eheverbot wegen Schwägerschaft praktisch ins Leere und war obsolet geworden. Eine Argumentation, die sich vor allem auf moralische und sittliche Erwägungen stützt, ist im Übrigen auch insofern problematisch, weil es in einer sich zunehmend individualisierenden und liberalisierenden Gesellschaft in immer geringerem Ausmaß möglich ist, allgemeinverbindliche Aussagen darüber zu treffen, welches Verhalten nun gegen geltende Konventionen verstößt und welches nicht, auch wenn das europäische Eheverständnis und Eherecht ohne Zweifel jahrhundertelang entscheidend durch das Christentum geprägt worden sind. Dass ein bestimmtes Verhalten keinen Verstoß gegen Sitte und Moral mehr darstellt, bedeutet für sich genommen zwar noch nicht, dass seine Abschaffung auch richtig ist. Eine Rechtfertigung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft dürfte nach wie vor prinzipiell möglich sein, solange sie verfassungsrechtliche Vorgaben beachtet und sich auf eine rational nachvollziehbare Begründung stützen kann. So ließe sich etwa Heptings Argument, dass der Staat eheschließungswillige Verschwägerte nicht durch ein entsprechendes Verbot zu einem außerehelichen Verhältnis förmlich zwingen sollte, auch herumdrehen: Wenn der Staat Beziehungen zwischen Verschwägerten schon nicht verhindern kann, dann muss er ihnen nicht auch noch die unter dem besonderen Schutz der Verfassung stehende Ehe öffnen. Eine solche Argumentation wäre allerdings wohl schon deshalb kaum überzeugend, weil die staatlichen Gewalten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden sind, der Staat sich gegenüber den Bürgern also dafür zu rechtfertigen hat, dass er Verbote aufstellt, und nicht dafür, dass er dies unterlässt. Nicht ohne weiteres von der Hand weisen lässt sich hingegen das Argument von Karl-Heinz Muscheler, dass die Aussicht auf eine spätere Eheschließung zwischen Stiefeltern und Stiefkindern im Falle vorherigen sexuellen Missbrauchs in diesem Verhältnis zur weiteren Verschweigung und zur Unterdrückung des Offenbarungswillens führen könne. Aber auch hier stößt man an dieselbe Barriere wie bei der Berufung auf Sitte und Moral: Eheverbote entfalten nur dann praktische Wirksamkeit, wenn entsprechende Beziehungen auch strafrechtlich verboten sind. Dies ist bei Schwägerschaft aber

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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nicht mehr der Fall. Zum Verschweigen vorherigen sexuellen Missbrauchs und zu einer Unterdrückung des Offenbarungswillens dürfte aber auch eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führen. Nicht zuletzt daraus mag sich erklären, dass Muschelers Argument während des Gesetzgebungsprozesses offenbar kaum oder sogar gar keine Berücksichtigung gefunden hat. Zur Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft gab es 1998 daher kaum eine begründbare Alternative. Es wäre im Falle seines Bestehenbleibens zu einer inhaltsleeren Hülle oder, wie Hepting es genannt hat, zu „totem Recht“ geworden. 4. Die Abschaffung der Ehenichtigkeit und die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen Eheverbote Während des Gesetzgebungsverfahrens und kurze Zeit nach Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes wurde nicht nur über die Aufhebung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft, sondern auch über die Neuregelung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen die verbliebenen Eheverbote diskutiert. Reinhard Hepting hatte in dem bereits zitierten Beitrag in der Zeitschrift „Das Standesamt“ aus dem Jahr 1996 erklärt, es erscheine sinnvoll, dass die Unterscheidung zwischen Ehenichtigkeit und Eheaufhebung wegfalle und die Fehlerhaftigkeit der Eheschließung künftig einheitlich zur Aufhebung ex nunc führe, insbesondere wenn man bedenke, dass einerseits der Grundsatz der Rückwirkung bei der Nichtigkeit schon bisher von zahlreichen Ausnahmen durchbrochen gewesen und andererseits die quantitative Bedeutung der Probleme selbst und damit auch ihrer Differenzierung verschwindend gering sei. Die Begründung im Regierungsentwurf weise mit 48 für nichtig erklärten und 113 aufgehobenen Ehen im Jahr 1992 in den alten Bundeländern auf eine im Verhältnis zur Bevölkerung sehr geringe Zahl hin. Auch unter dem Aspekt der dogmatisch-systematischen Folgerichtigkeit sei die Neuerung zu begrüßen. „Nichtigkeit“ im Sinne des Eherechts sei bisher ein Fremdkörper im System gewesen. Drei oder vier Semester würden Studenten gelehrt, dass dieser Begriff beim Rechtsgeschäft Nichtexistenz bedeute, im vierten oder fünften Semester habe man wieder gegensteuern müssen. In der Vorlesung zum Familienrecht sei Nichtigkeit gleichbedeutend mit Vernichtbarkeit. Dies sei meist nicht gelungen und habe zu dem Ergebnis geführt, dass die meisten Examenskandidaten nicht wüssten, was die Nichtigkeit der Ehe rechtlich bedeute. Auch wenn dies für die familienrechtliche Praxis keine unmittelbare Bedeutung haben möge, erscheine die begriffliche Geschlossenheit des Zivilrechts als begrüßenswertes Ergebnis.240 Zusammengefasst werde durch die Überwindung der Zweigleisigkeit von Nichtigkeit und Aufhebbarkeit nichts Umwälzendes geschaffen, sondern eine bislang hypertrophe Regelung auf ein ihrer praktischen und rechtlichen Bedeutung angemessenes Maß reduziert.241 Zwei Jahre 240 241

Hepting, StAZ 1996, S. 257 (258). Hepting, StAZ 1996, S. 257 (264).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

später klang Heptings Einschätzung der Regelung der Rechtsfolgen allerdings deutlich skeptischer. 1998 meinte er in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“, bei der Antragsbefugnis bleibe die unterschiedliche Wertigkeit der früheren Nichtigkeits- und Aufhebungsgründe spürbar. Dass gemäß § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB in denjenigen Fällen, in denen nach früherem Recht die Ehe nichtig gewesen wäre, beide Ehegatten sowie die Verwaltungsbehörde, bei Bigamie auch der frühere Ehegatte antragbefugt seien, setze im wesentlichen den bisherigen § 24 Ehegesetz fort. Neu sei unter anderem insbesondere, dass die zuständige Verwaltungsbehörde durch § 1316 Abs. 3 BGB nachdrücklicher als bisher angehalten werde, bei grob fehlerhaft zustande gekommenen Ehen die Aufhebung zu beantragen.242 In einer Gesamtwürdigung könne man bei der Vereinheitlichung der Folgen fehlerhafter Eheschließungen zweifeln. Einerseits sei jede Vereinfachung zu begrüßen, andererseits frage man sich, ob eine Regelung, die Ehehindernisse, Eheverbote und Störungen im Eheschließungswillen im Ergebnis gleich behandele, in sich stimmig sei.243 Friedrich Wilhelm Bosch bezeichnete es 1998 in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ als umstürzende Veränderung, dass bei Verstößen gegen die neuen §§ 1306 und 1307 BGB, also bei Bigamie und inzestuösen Ehen, nicht mehr eine grundsätzlich rückwirkende Vernichtbarkeit solcher Ehen die Folge sei. Die Möglichkeit einer Klage dahin, dass die fragliche Verbindung als sogenannte vernichtbare Ehe mittels Urteilsrückwirkung für nichtig erklärt werden könnte, sei durch das neue Gesetze entgegen den §§ 20, 21 und 26 Ehegesetz schlicht beseitigt worden. Es werde insoweit nur noch der Rechtsbehelf der gerichtlich geltend zu machenden Eheaufhebbarkeit zur Verfügung gestellt. Sowohl bei Bigamie, als auch bei Inzest könnten Ehen gemäß §§ 1313 und 1314 BGB für die Zukunft, mit der Rechtskraft eines gerichtlichen Aufhebungsurteils aufgelöst werden. Trotz Gerichtsverfahren und Urteil und trotz der einschlägigen Strafrechtsnormen der §§ 172 und 173 StGB blieben entsprechende Ehen dagegen im Zeitraum ab der Eheschließung bis zur Rechtskraft des Urteils vollgültig bestehen. Insoweit handele es sich um die schwerwiegendste Veränderung der Eherechtslage durch das neue Gesetz. Im Übrigen sollten entgegen den §§ 26 Abs. 1 und 37 Abs. 1 Ehegesetz und entgegen der ursprünglichen neuen Gesetzesplanung mit dieser Aufhebung keineswegs grundsätzlich, sondern nur ausnahmsweise die Folgen wie bei einer in die Zukunft wirkenden Ehescheidung verbunden sein. Vielleicht noch mehr als nach dem Ehegesetz bleibe die Aufhebung ein Rechtsinstitut sui generis und habe insbesondere auch die Fälle der bisherigen Ehevernichtbarkeit völlig verdrängt.244 Dass sie gemäß § 1316 Abs. 3 BGB in den dort genannten Härtefällen den Aufhebungsantrag ausnahmsweise nicht stellen sollte, sei eine bedeutsame Machterweiterung

242 243 244

Hepting, FamRZ 1998, S. 713 (727). Hepting, FamRZ 1998, S. 713 (728). Bosch, NJW 1998, S. 2004 (2006).

H. Das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998

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für die der Weisung des übergeordneten Landesministeriums unterstellte Verwaltungsbehörde.245 Die Rechtsfigur der vernichtbaren Ehe sei wiederherzustellen. Es sei unlogisch und selbst für einen Laien unbegreiflich, dass sogar bei Bigamie und Inzest die Gültigkeit der Verbindung nicht in Frage gestellt werde, obwohl es sich in beiden Fällen auch um Straftatbestände handele. Die grundsätzliche Entscheidung müsste wie früher auf Vernichtbarkeit, also dahin lauten, dass eine solche eheliche Verbindung im Grundsatz ex tunc wieder ausgelöscht werden könne und nur einige Wirkungen wie bei regulärer Eheschließung erhalten blieben, insbesondere die Ehelichkeit etwaiger Kinder.246 Die Rechtsfigur der Eheaufhebung sei eine gesetzgeberische Fehlleistung und vertrage sich nicht mit den Vorstellungen der romanischen Rechtsordnungen, was im heutigen Europa besonders beachtlich sein müsse. Dort werde der deutsche Begriff „Eheaufhebung“ fast wie selbstverständlich etwa mit „nullité du mariage“ oder „nullità del matrimonio“ übersetzt. Die derzeitige „Eheaufhebung“ sollte sich wieder zur Nullität hin entwickeln.247 Auf den ersten Blick scheint die seinerzeitige Kritik an den Neuregelungen zur Aufhebung fehlerhafter Ehen angesichts der Straftatbestände der §§ 172 und 173 StGB berechtigt gewesen zu sein, da nach dem 1998 neu eingeführten § 1316 Abs. 3 BGB, wenn auch nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen, die Möglichkeit besteht, Ehen aufrechtzuerhalten, die entgegen den Eheverboten wegen bestehender Ehe und wegen Verwandtschaft gemäß §§ 1306 und 1307 BGB geschlossen worden sind. Dadurch würde die geradezu absurde Situation herbeigeführt, dass eine Ehe bestehen bleibt, deren Vollzug strafbar ist. Vor dem Hintergrund der Strafbarkeit von Bigamie und Inzest wirkt es ebenso widersprüchlich, dass Sanktionen für Verstöße gegen die entsprechenden Eheverbote nur Wirkung für die Zukunft haben. Demgegenüber ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch nach § 24 Nr. 1 des Ehegesetzes von 1946 in den Fällen der Nichtigkeit die Nichtigkeitsklage erhoben werden konnte. Auch nach der bis 1998 geltenden Rechtslage war es also grundsätzlich möglich, dass Verstöße gegen die Eheverbote wegen Verwandtschaft und bestehender Ehe in zivilrechtlicher Hinsicht sanktionslos blieben. Die Neuregelung durch das Eheschließungsrechtsgesetz stellt also tatsächlich eine Verschärfung dar. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was mit der Wiedereinführung der rückwirkenden Vernichtbarkeit solcher Ehen außer rechtsdogmatischer Konsequenz praktisch gewonnen sein soll. Gerade für Kinder, die in nach den §§ 1306 und 1307 BGB verbotene Ehen hineingeboren werden, erscheint die Aufhebbarkeit mit Wirkung für die Zukunft die bessere Alternative zu sein als die Nichtigkeit nach früherem Recht: Sie sind ipso iure ehelich und müssen nicht explizit durch das Gesetz dazu erklärt werden. Ihre Abstammung 245 246 247

Bosch, NJW 1998, S. 2004 (2007). Bosch, NJW 1998, S. 2004 (2010). Bosch, NJW 1998, S. 2004 (2010).

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5. Kap.: Bundesrepublik Deutschland bis zum Eheschließungsrechtsgesetz

steht rechtlich fest und muss nicht eigens festgestellt werden, was sowohl für sie selber als auch für die Eltern regelmäßig eine unangenehme, möglicherweise auch erniedrigende Prozedur darstellen dürfte. Schon diese Erwägungen sprechen für die vom Gesetzgeber 1998 vorgenommene Neuerung. Hinzu kommt, dass ein Standesbeamter, sobald er eine Ehe zwischen zwei Heiratswilligen schließt, damit beglaubigt, dass die Voraussetzungen für deren Wirksamkeit gegeben sind und einen entsprechenden Vertrauenstatbestand bei den Ehepartnern und auch in deren Umfeld schafft, zumindest dann, wenn ihnen das Vorliegen von Ehehindernissen unbekannt ist. Auch wenn derartige Fälle höchst selten vorkommen dürften, kann man bezweifeln, ob es bei unbeabsichtigten Verstößen gegen die noch verbliebenen Eheverbote tatsächlich verhältnismäßig wäre, daran die rückwirkende Folge der Nichtigkeit zu knüpfen. Demgegenüber dürften bei absichtsvollen Verstößen die dann einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen ausreichen, um dieses Verhalten zu ahnden und ein gesellschaftliches Unwerturteil darüber zum Ausdruck zu bringen. Die Vereinheitlichung und die Ausgestaltung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Eheverbote durch das Eheschließungsrechtsgesetz von 1998 sind rechtstechnisch gelungen und insgesamt zu begrüßen.

6. Kapitel

Legitimation der verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft und etwaiger Reformbedarf Die Geschichte der bundesrepublikanischen Gesetzgebung zu den Eheverboten wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft ist die einer stetig voranschreitenden Reduzierung. Ob das verbliebene Eheverbot wegen Verwandtschaft damit tatsächlich eine Enge erreicht hat, die weiteres Nachgeben nicht mehr gestattet1 beziehungsweise das Eheschließungsrechtsgesetz von 1998 als Abschluss dieser Entwicklung anzusehen ist, weil es die trennenden Eheverbote auf das nicht mehr zu unterbietende Minimum der Verbote der Doppel- und Verwandtenehe reduziert hat2 oder eine noch weiter gehende Liberalisierung möglich, gegebenenfalls sogar empfehlenswert ist, ist damit allerdings noch nicht abschließend geklärt. Für letztere Möglichkeit hat sich die Gesetzgebung Schwedens entschieden: Nach dem dortigen Ehegesetz vom 14. Mai 1987 dürfen Halbgeschwister miteinander die Ehe eingehen, allerdings nur mit Genehmigung der Regierung beziehungsweise einer von der Regierung bestimmte Behörde.3 Auch Christof Böhmer hatte in seinem bereits erwähnten Vortrag am 6. Mai 1990 in Würzburg das strikte Verbot der Ehe zwischen Halbgeschwistern vorsichtig am Beispiel eines Falles von Flüchtlingen des Zweiten Weltkrieges infrage gestellt, die in den letzten Kriegstagen auf der Flucht als Kleinkinder getrennt worden waren und deren Verwandtschaft erst zu Tage trat, als sie ein Kind erwarteten und daher beim Standesamt das Aufgebot bestellen wollten. Zwar wurde ihnen die Eheschließung verweigert, dennoch blieben sie zusammen, bekamen miteinander insgesamt sechs Kinder und baten schließlich, nachdem sie Großeltern geworden waren, den Bundespräsidenten um Erteilung der Heiratserlaubnis.4 Dieser Fall ist sicherlich kein alltäglicher, er zeigt aber ebenso wie die schwedische Gesetzgebung, dass zumindest die Legalisierung von Ehen zwischen Halbgeschwistern kein vollständiges Tabu mehr ist. Auch im aktuellen rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird das geltende Eheverbot wegen Verwandtschaft zumindest vereinzelt infrage gestellt. Wie auch immer man zu solchen Überlegungen steht, in jedem Fall würde eine weitere Reduzierung des Eheverbotes wegen Verwandtschaft auch eine entsprechende Änderung des strafrechtlichen Inzestverbotes er1 2 3 4

Coester-Waltjen, § 10, Rn. 19. Hepting, FamRZ 1998, S. 713 (717). Ring/Olsen-Ring, Rn. 410 ff.; Coester-Waltjen, § 10, Rn. 19, dort Fn. 52. Böhmer, StAZ 1991, S. 125 (128).

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

forderlich machen, denn Ehen generell zu erlauben, deren Vollzug unter Strafe stünde, wäre offensichtlich widersinnig. Vom Grundgesetz oder der Europäischen Menschenrechtskonvention wird eine weitere Liberalisierung des Inzestverbotes nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls nicht gefordert. Die Verfassungsmäßigkeit des § 173 StGB hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 26. Februar 2008 mehrheitlich bestätigt.5 Nur der damalige Senatsvorsitzende Winfried Hassemer sah in dieser Vorschrift einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gab daher ein abweichendes Sondervotum ab.6 Einstimmig entschied die zuständige Kammer des EGMR, die V. Sektion, in ihrem Urteil vom 12. April 2012, dass diese Strafrechtsnorm keine Verletzung von Art. 8 EMRK darstelle.7 In diesem Urteil führte der Gerichtshof unter anderem aus, dass es keinen empirischen Beleg für die Annahme eines allgemeinen Trends zur Entkriminalisierung solcher Beziehungen gebe.8 Der Deutsche Ethikrat hat zwar wie bereits erwähnt im September 2014 eine Abschaffung des strafrechtlichen Inzestverbotes mehrheitlich empfohlen, damit aber ausdrücklich nicht die Forderung nach Änderung des geltenden Eheverbotsrechts verbunden.9 Auch wenn eine ernsthafte politische Debatte über seine Reduzierung oder sogar Abschaffung sich bisher in Deutschland nicht feststellen lässt und somit vom Fortbestand der geltenden Rechtslage auszugehen sein dürfte, soll im Folgenden der Frage nach der Rechtfertigung der verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft nachgegangen werden. Zunächst ist allerdings in der gebotenen Kürze auf den rechtsdogmatischen Charakter dieser Verbotsnormen einzugehen. Es war bereits die Rede davon, dass der Parlamentarische Rat mit der Festschreibung des besonderen Schutzes der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie im Grundgesetz den Gesetzgeber vor die paradoxe Aufgabe gestellt hat, einerseits diese Rechtsinstitute auszugestalten, andererseits dabei aber selber an Art. 6 GG gebunden zu sein.10 Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 folgendermaßen umschrieben: 5

BVerfGE 120, 224. BVerfGE 120, 224 (255 ff.). 7 NJW 2013, S. 215. Art. 8 EMRK lautet: „Artikel 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“ 8 NJW 2013, S. 215 (216). 9 Deutscher Ethikrat, Stellungnahme, S. 25. 10 Hufen, § 16, Rn. 3. 6

6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

333

„Das Grundgesetz selbst enthält keine Definition der Ehe, sondern setzt sie als besondere Form menschlichen Zusammenlebens voraus. Die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Schutzes bedarf insoweit einer rechtlichen Regelung, die ausgestaltet und abgrenzt, welche Lebensgemeinschaft als Ehe den Schutz der Verfassung genießt. Der Gesetzgeber hat dabei einen erheblichen Gestaltungsspielraum, Form und Inhalt der Ehe zu bestimmen. Das Grundgesetz gewährleitstet das Institut der Ehe nicht abstrakt, sondern in der Ausgestaltung, wie sie den jeweils herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht. Allerdings muss der Gesetzgeber bei der Ausformung der Ehe die wesentlichen Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an die vorgefundene Lebensform in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben. Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates, in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können.“ 11

Es entspricht dieser paradoxen Situation, dass die geltenden Eheverbote sowohl als gesetzliche Ausgestaltung der Ehe12, als auch als Eingriffe in die verfassungsrechtlich garantierte Eheschließungsfreiheit klassifiziert werden können.13 Zwar herrscht Konsens darüber, dass Art. 6 Abs. 1 GG die Eheschließungsfreiheit als Grundrecht garantiert, also für jeden einen ungehinderten Zugang zur Ehe und die freie Wahl des Ehepartners sicherstellt.14 Ebenso ist unumstritten, dass dieses Grundrecht vorbehaltlos garantiert ist.15 Die Meinungen gehen allerdings hinsichtlich der Frage auseinander, ob Eingriffe nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts zulässig sind16, oder auch durch die Ausgestaltungsermächtigung des Gesetzgebers.17 Jedoch dürften die sich aus daraus ergebenden Unterschiede für die Frage nach der Legitimation der bestehenden Eheverbote kaum ins Gewicht fallen, denn bei diesen handelt es sich ohne Zweifel um Freiheitsbeschränkungen, die einer Rechtfertigung bedürfen. Wenn sich im Folgenden herausstellt, dass eine solche durch kollidierendes Verfassungsrecht gegeben ist, kann der Streit offen bleiben. Nur für den Fall, dass sich aus der Verfassung keine Schranken der Eheschließungsfreiheit ergeben, die durch die bestehenden

11

BVerfGE 105, 313 (345). So Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 6, Rn. 18 u. 24. 13 So Hufen, § 16, Rn. 24. 14 Sachs/von Coelln, Art. 6, Rn. 25; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 6, Rn. 6 f.; Hufen, § 16, Rn. 5. 15 Sachs/von Coelln, Art. 6, Rn. 23; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 6, Rn. 23. 16 Sachs/von Coelln, Art. 6, Rn. 23. 17 Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 6, Rn. 23. 12

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

Eheverbote einfachgesetzlich konkretisiert werden, müsste auf die Ausgestaltungsermächtigung zurückgegriffen werden.

A. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft I. Sittlich-religiöse Tabus Von vornherein problematisch sind Begründungen für die Eheverbote wegen Verwandtschaft wie etwa die Bewahrung Eheschließungswilliger davor, dass ihre sittlichen und rechtlichen Pflichten als nahe Verwandte mit ihren sittlichen und rechtlichen Pflichten als Ehegatten kollidieren, das Freihalten enger biologischer oder rechtlicher Familienbande von sexuellen Beziehungen und Geschlechtskonkurrenz aus sittlichen Gründen oder der Schutz von, gegebenenfalls auch religiösen, Tabus.18 Zwar sind sittliche Wertungen dem geltenden Recht nicht vollkommen fremd, wie das BGB mit den §§ 138, 242 und 826 zeigt. Aber sie alleine entfalten für das Recht in einem demokratischen Verfassungsstaat grundsätzlich keine Bindungswirkung.19 Zwar darf wohl angenommen werden, dass eheliche Verbindungen zwischen nahen Verwandten auch heutzutage für die große Mehrheit der Bevölkerung moralisch zu missbilligen sind. Aber es ist nicht ersichtlich, dass darin eine verfassungsimmanente Schranke für die Eheschließungsfreiheit liegen könnte. Zudem wirkt die Behauptung, Ehegatten, die nah miteinander verwandt sind, könnten in einen Konflikt zwischen ihren ehelichen und ihren verwandtschaftlichen sittlichen Pflichten geraten, spekulativ. Dem ließe sich die, freilich ebenso spekulative, Argumentation entgegenhalten, dass gerade Ehegatten, die auch miteinander verwandt sind, diese Pflichten möglicherweise besonders ernst nehmen würden. Und wenn man religiösen Tabus, die nach der historischen Entwicklung nur jüdische und christliche sein könnten, entscheidende Bedeutung für das säkulare Eheschließungsrecht zuerkennen wollte, müsste man konsequenterweise fragen, warum der Kreis der Eheverbote, etwa im Hinblick auf Lev 18 und 20, nicht deutlich weiter gefasst ist. Als Begründungen für die Eheverbote wegen Verwandtschaft kommen somit nur noch die Sicherstellung der Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder für Familie und Gesellschaft, die Verhinderung von Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie zur Erzwingung eines exogamen Heiratsverhaltens, der Schutz vor sexuellem

18

Siehe Muscheler, Rn. 248. Vgl. Muscheler, Rn. 248, wobei allerdings nicht nachvollziehbar ist, warum er dieses Argument nur gegen die Begründung einwendet, die Familie wegen sittlicher Wertung von sexuellen Beziehungen untereinander und Geschlechtskonkurrenz freizuhalten. Konsequenterweise müsste es jeder Begründung der geltenden Eheverbote wegen Verwandtschaft entgegenstehen, die sich auf sittliche Argumente stützt. 19

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 335

Missbrauch in engen sozialen Beziehungen und die Verhinderung von Erbkrankheiten in Betracht.20

II. Die Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder für Familie und Gesellschaft sowie die Verhinderung von Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie und der Zwang zu exogamem Heiratsverhalten Wohl am häufigsten werden zur Begründung für das Eheverbot wegen Verwandtschaft in dem von § 1307 BGB bestimmten Umfang die Sicherung der Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder sowie die Verhinderung von Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie und der Zwang zu einem exogamen Heiratsverhalten genannt.21 Nach dieser Begründung rechtfertigt also das kollidierende Verfassungsgut der ebenfalls gemäß Art. 6 Abs. 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehenden Familie die Beschränkung der Eheschließungsfreiheit durch das Eheverbot wegen Verwandtschaft. Dieser Argumentation ließe sich entgegenhalten, dass sie zwar den Schutz der Familie bezwecke, aber letztlich auch nur moralisch begründet sei und somit ebenfalls keine Bindungswirkung für das Recht eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates haben könne. In diesem Zusammenhang könnte man auch darauf verweisen, dass die vom Parlamentarischen Rat 1949 beschlossene Fassung von Art. 6 GG auf intensive Bemühungen der katholischen Kirche zurückgeht22 und Ehe und Familie damit im Grundrechtsteil der Verfassung eines säkularen Staates eigentlich Fremdkörper seien. Solche Einwände würden allerdings außer Acht lassen, dass der vom Grundgesetz garantierte Schutz der Familie eben nicht nur ein ethisch-moralischer Grundsatz ist, sondern dass Art. 6 Abs. 1 GG wie alle in der Verfassung aufgeführten Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Staatsgewalt „als unmittelbar geltendes Recht“ bindet. Dass seine Aufnahme in das Grundgesetz auch auf den Einfluss der katholischen Kirche zurückgeht, ändert daran nichts. Solange Art. 6 GG in der bestehenden Form gilt, ist er vom Gesetzgeber zu beachten. Wer die verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft für zweifelhaft hält und für ihre Abschaffung eintritt, müsste daher konsequenterweise zuerst die Aufhebung oder Änderung von Art. 6 Abs. 1 GG fordern. Dann würde einer weiteren Liberalisierung des Eheverbotsrechts nicht mehr der von der Verfassung garantierte besondere Schutz der staatlichen Ordnung für die Familie entgegenstehen. Andernfalls müsste man sich fragen, welchen Inhalt die verfassungsrechtliche Garantie dieses Instituts überhaupt noch hätte.23 Viel dürfte von seinem überkommenen Inhalt nicht übrig bleiben. Als 1949 der besondere 20 21 22 23

Zusammenfassend Muscheler, Rn. 248. Staudinger/Löhnig, § 1307 Rn. 1; MüKo/Wellenhofer, § 1307 Rn. 1. Hattenhauer, S. 197. Vgl. Hattenhauer, S. 184.

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

Schutz der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie im Grundgesetz festgeschrieben wurde, lag dem ein christlich-naturrechtliches Verständnis dieser Begriffe zugrunde.24 Schon die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Wortlaut von Art. 6 GG seit 1949 nicht geändert hat, spricht dafür, dass dieses christlich-naturrechtliche Verständnis auch heutzutage trotz aller rechtlichen und sozialen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte zumindest grundsätzlich nach wie vor relevant ist. Würde man sich ausschließlich am Verständnis von Ehe und Familie während der Entstehungszeit des Grundgesetzes orientieren, würde sich dieses zwar derart verfestigen, dass eine gesetzgeberische Ausgestaltung nach den jeweils herrschenden Anschauungen unmöglich würde. Grundsätzlich ist dennoch maßgeblich vom allgemeinen Wortverständnis zur Zeit der Ausarbeitung des Grundgesetzes auszugehen, wobei Veränderungen anzuerkennen sind, soweit ein entsprechender Wandel des Eheverständnisses tatsächlich stattgefunden hat und allgemeiner Konsens geworden ist. Nicht zugänglich sind einem solchen Wandel allerdings zentrale Strukturprinzipien; im Übrigen sind besonders strenge Anforderungen zu stellen.25 Dass es zu den zentralen Strukturprinzipien gehört, dass nahe Verwandte untereinander nicht heiraten dürfen, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Ließe man Art. 6 Abs. 1 GG in seinem Wortlaut weiterhin unverändert, würde eine weitere Reduzierung oder sogar Abschaffung der Eheverbote wegen Verwandtschaft also nicht in Betracht kommen, weil damit ein grundsätzlich anderer Familienbegriff als der von der Verfassung vorausgesetzte einhergehen und dies letztendlich eine Aushöhlung von Art. 6 Abs. 1 GG bedeuten würde. Es wäre jedoch nicht nur unangemessen, sondern sogar auch unzulässig, ginge der demokratische Gesetzgeber mit der Verfassung in solch einer Weise um. Denn eine Modifikation zentraler Strukturprinzipien des Familienbegriffs wäre nur durch Änderung des Grundgesetzes, aber nicht durch die Annahme eines „Verfassungswandels“ möglich.26 Gegen das Argument der Vermeidung von Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie wird geltend gemacht, dass dies als solches kein legitimer Zweck des Eheverbotes mehr sein könne, da das Eheverbot wegen Schwägerschaft in gerader Linie seit 1998 nicht mehr gelte und daher Stiefeltern und Stiefkinder heiraten können.27 Es ist jedoch nicht überzeugend, den rechtlich nicht definierten Begriff der „Kernfamilie“, der nach allgemeinem Verständnis wohl nur Eltern und ihre gemeinsamen Kinder umfassen dürfte, auch auf das Verhältnis zwischen Stiefeltern und Stiefkindern zu erstrecken, da sie gerade nicht miteinander verwandt, sondern lediglich verschwägert sind. Ihr Zusammenleben ist eben Stieffamilie und nicht Kernfamilie. Die Abschaffung des Eheverbotes wegen Schwä24 25 26 27

Hattenhauer, S. 197. Sachs/von Coelln, Art. 6, Rn. 2 f. Sachs/von Coelln, Art. 6, Rn. 3. Muscheler, Rn. 248.

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 337

gerschaft hat nicht gleichzeitig den Sinn und Zweck des Eheverbotes wegen Verwandtschaft, die Kernfamilie von Geschlechtskonkurrenz freizuhalten, obsolet gemacht. Ein Einwand gegen das Argument der Sicherung der Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder, der sich auf die Geeignetheit des Eheverbotes wegen Verwandtschaft bezieht, lautet, dass es zu Spannungen und Verwerfungen innerhalb einer Familie bereits durch den Wunsch nach Eingehung einer Ehe zwischen Verwandten und nicht erst durch die Möglichkeit der Institutionalisierung der Beziehung komme.28 Die Annahme innerfamiliärer Spannungen in derartigen Fällen auch ohne die Möglichkeit einer späteren Eheschließung ist zwar sicherlich zutreffend, aber dieser Einwand übersieht zwei Punkte: Zum einen ist es für den Gesetzgeber unmöglich, eine solche wechselseitige Zuneigung und damit den bloßen Wunsch nach einer Eheschließung zwischen zwei Menschen zu verhindern. Es wäre aber verfehlt, daraus den Schluss zu ziehen, dass der Staat eine solche Ehe erlauben müsste. Denn die Aufstellung und Durchsetzung eines entsprechenden Eheverbotes ist ihm ohne weiteres möglich. Die Unmöglichkeit der Verhinderung wechselseitiger Zuneigung bedeutet nicht zwingend auch die Notwendigkeit des Verzichts auf ein Eheverbot. Zum anderen sind gemäß § 173 StGB bereits sexuelle Beziehungen zwischen nahen Verwandten strafbar. Im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht der Staat also durchaus, innerfamiliäre Spannungen oder Verwerfungen bereits im Vorfeld einer etwaigen Institutionalisierung von Beziehungen zwischen nahen Verwandten zu verhindern. Zwar sind Sinn und Zweck des strafrechtlichen Inzestverbotes ihrerseits zweifelhaft. So hat der 1997 verstorbene Psychologe Herbert Maisch29 schon im Jahr 1968 festgestellt, dass inzestuöses Verhalten nicht Ursache, sondern Symptom oder Folge einer in der Regel bereits vor Tatbeginn gestörten Familienverfassung und der beste Schutz daher „eine intakte Familienordnung, nicht eine Sonderinkrimination mit massiven Strafandrohungen, die die Wurzeln des Inzests angreifen und zugleich eine Schutzmaßnahme für die Familie darstellen soll“ seien.30 Auch für den Psychiater Mathias Hirsch ist die Strafjustiz „in keiner Weise geeignet, einem derart komplexen gesellschaftlichen, familiären und psychischen Problem wie inzestuöser Gewalt adäquat zu begegnen. Solange nicht ein integriertes Netz von juristischen, sozialarbeiterischen und psychotherapeutischen Maßnahmen zur Verfügung steht, wird es ein Dilemma bleiben, überhaupt Anzeige zu erstatten, da mit dem Strafrecht allein den wirklichen Interessen des Opfers (die Familie zu erhalten) als auch des Täters (z. B. Psychotherapie oder Rehabilitation zu erhalten) sowie der anderen beteiligten Familienmitglieder nicht entsprochen werden kann.“ 31 28 29 30 31

Dethloff, § 3, Rn. 36. Zur dessen Person siehe Der Spiegel 44/1997, S. 282. Maisch, S. 159 und 166. Hirsch, S. 9.

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

Ausgehend davon könnte man auch die entsprechenden Eheverbote gemäß §§ 1307 und 1308 BGB für von vornherein wirkungslos und damit unnötig halten. Eine weitere Schlussfolgerung Maischs geht jedoch dahin, dass die negativen Auswirkungen von Inzest auf die Familien durch Bekanntwerden und Strafverfolgung oft gravierender seien als diejenigen, die während der Tatzeit entstehen können.32 Somit stellt sich die Frage, ob es nicht dem Schutz der von Inzest Betroffenen beziehungsweise der daran Beteiligten dient, zu verhindern, dass ihre Beziehung durch eine Eheschließung nach außen bekannt wird. Berücksichtigt man weiterhin, dass Maisch eine der schwerwiegendsten psychischen Folgen von Inzest für die Opfer in der „durch Schwängerung und Kindesfolge hervorgerufenen Belastungssituation“ sieht, „die in erster Linie den meist negativen Reaktionen der engeren familiären Umgebung zuzuschreiben ist“ und die Reaktionen des Opfers in Selbstmordversuchen oder schweren neurotischen Störungen bestehen können33, erscheint nachvollziehbar, in den geltenden Eheverboten ein Mittel zu sehen, durch das eheschließungswillige nahe Verwandte zu einem gewissen Grad auch vor sich selbst geschützt werden sollen, zumal sich in kaum einem Fall in ausreichendem Maße klären lassen dürfte, inwieweit die Eingehung der Beziehung freiwillig erfolgt war, ohne sich in unverhältnismäßiger Weise in familieninterne Angelegenheiten einzumischen. Negative Reaktionen aus dem familiären Umfeld dürften schon deswegen kaum zu vermeiden sein, das es sich bei dem Inzest-Tabu offenbar um einen „integrativen Bestandteil der Familienstruktur“ handelt.34 Selbst wenn man die Vorschrift des § 173 StGB ablehnt, bedeutet dies also nicht zwangsläufig, dass damit auch die Vorschrift des § 1307 BGB seinen Sinn verlieren würde. Der Einwand, nicht erst die Institutionalisierung von Beziehungen verursache innerfamiliäre Spannungen und Verwerfungen, kann somit keine Begründung für die Aufhebung der Eheverbote wegen Verwandtschaft sein. Die Begründung, dass mit ihnen die Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder für Familie und Gesellschaft gesichert und Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie verhindert sowie Zwang zu exogamem Heiratsverhalten ausgeübt werden soll, stößt allerdings auf die Schwierigkeit, dass das Grundgesetz den Begriff der Familie ebenso wenig definiert wie denjenigen der Ehe. Auch in dieser Hinsicht gilt, dass maßgeblich vom allgemeinen Verständnis zur Entstehungszeit des Grundgesetzes auszugehen, ein tatsächlicher gesellschaftlicher Wandel aber berücksichtigt werden muss, solange zentrale Strukturprinzipien erhalten bleiben.35 Dass das Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 die Familie nicht nur unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt, sondern 32 33 34 35

Maisch, S. 167. Maisch, S. 167. Maisch, S. 166. Sachs/von Coelln, Art. 6, Rn. 2 f.

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 339

ihr für die Entwicklung der Kinder auch eine gesellschaftliche Aufgabe übertragen hat, lassen die übrigen Absätze dieser Vorschrift, insbesondere Abs. 2 erkennen, der lautet: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ In zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1981 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft am ehesten gewährleiste, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der Gesellschaft heranwachse, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspreche36 und dass die Familie zur Erhaltung der Fähigkeit zu gesellschaftlicher Integration der Person beitrage.37 Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 GG („Eltern“, „Kinder“, „Recht“, „Pflicht“) zeigt auch, dass die Familie nach dem Verständnis der Verfassung eben nicht nur ein mehr oder weniger enges Zusammenleben, sondern eine Gemeinschaft ist, die zur Erfüllung der ihr zukommenden Funktionen auf eine gewisse Rollenverteilung angewiesen ist, auch wenn sie sich mit den Jahren ihres Bestehens naturgemäß wandelt. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 18. April 1989 ausgeführt: „Die Familie im Sinn von Art. 6 Abs. 1 GG ist die Gemeinschaft von Eltern und Kindern. Neben der durch Geburt entstandenen Familie wird grundsätzlich auch jede andere von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte Gemeinschaft von Eltern und Kindern geschützt. (. . .) Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 GG schützt die Familie zunächst und zuvörderst als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Die leibliche und seelische Entwicklung der Kinder findet in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage. Eine Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt. Mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes treten Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Die Lebensgemeinschaft kann dadurch zur bloßen Hausgemeinschaft werden, die Gemeinsamkeiten des Zusammenlebens wahrt, jedem Mitglied der Familie im übrigen aber die unabhängige Gestaltung seines Lebens überlässt. Mit der Auflösung der Hausgemeinschaft kann sich die Familie sodann zur bloßen Begegnungsgemeinschaft wandeln, bei der Eltern und Kinder nur den gelegentlichen Umgang pflegen. Die Haus- oder Lebensgemeinschaft setzt sich in der Familie unter Erwachsenen von Rechts wegen fort, wenn weiterhin Unterhalt oder Beistand geleistet wird und dies in einer Hausgemeinschaft geschieht. Unabhängig hiervon bietet die Familie den erwachsenen Familienmitgliedern Raum für Ermutigung und Zuspruch und festigt die Fähigkeit zu verantwortlichem Leben in der Gemeinschaft. Auch für den Erwachsenen ist die Familie eine Gemeinschaft, die der auf Dialog angelegten geistigen Natur des Menschen entspricht.“ 38

36 37 38

BVerfGE 56, S. 363 (384). BVerfGE 57, S. 170 (178). BVerfGE 80, S. 81 (90 f.).

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

Der besondere verfassungsrechtliche Schutz verpflichtet den Gesetzgeber, die so umschriebene Gemeinschaft von Eltern und Kindern von Irritationen und Verwirrungen möglichst freizuhalten. Ebenso ist davon auszugehen, dass das familiäre Gefüge ins Wanken geraten würde, wenn etwa Geschwister miteinander die Ehe eingingen und ihre Eltern dadurch gleichzeitig zu ihren Schwiegereltern würden, oder wenn ein Vater seine Tochter heiratete und später mit ihr Kinder bekäme, was dazu führen würde, dass er für diese sowohl Vater als auch Großvater und seine Tochter sowohl Mutter als auch Halbschwester wäre. Dies würde nicht nur dem überkommenen Familienbegriff aus der Entstehungszeit des Grundgesetzes widersprechen. Trotz allen sozialen Wandels der vergangenen Jahrzehnte würden solche Gemeinschaften auch heutzutage wohl kaum als eine normale Familie angesehen; erst recht lässt sich kein entsprechender gesellschaftlicher Konsens feststellen. Eine Abschaffung oder Reduzierung der Eheverbote wegen Verwandtschaft würde also faktisch gleichzeitig auf eine Abschaffung der grundgesetzlich geschützten Familie hinauslaufen. Demgegenüber ist der Eingriff in das höchstpersönliche Recht der freien Eheschließung durch das Verbot weniger intensiv, denn auch wenn dieses im Einzelfall eine Härte darstellen mag, verwehrt es niemandem die Eheschließung als solche, sondern nur mit einem in der Regel überschaubaren Personenkreis. Dies gilt umso mehr, seit der Gesetzgeber die Eheverbote wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft abgeschafft hat. Der Familie als Schutzgut des Art. 6 Abs. 1 GG kommt in dieser Abwägung der Vorrang gegenüber der Eheschließungsfreiheit zu. Die Argumente des Schutzes der Eindeutigkeit der sozialen Rolle einzelner Familienmitglieder für Familie und Gesellschaft sowie der Verhinderung von Geschlechtskonkurrenz in der Kernfamilie und des Zwangs zu exogamem Heiratsverhalten sind überzeugend.

III. Die Gefahr sexuellen Missbrauchs und seiner nachträglichen Legitimation durch das Versprechen einer späteren Eheschließung Als Argument zur Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft wird weiterhin angeführt, dass mit ihnen verhindert werden solle, dass durch das Versprechen der Ehe sexueller Missbrauch gefördert und dann durch das Eingehen der Ehe nachträglich legitimiert wird.39 Verfassungsrechtliche Schranke für die Eheschließungsfreiheit kann in dieser Hinsicht nur Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sein, wonach jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat. Zu letzterem zählt auch das psychische Wohlbefinden insofern, als die Vorschrift auch nichtkörperliche, in ihrer Wirkung körperlichen Eingriffen gleichzusetzende Einwirkungen erfasst40 sowie die körperliche Selbstbestimmung.41 Art. 2 Abs. 2 39 40 41

Muscheler, Rn. 248. BVerfGE 56, S. 54 (75); Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rn. 83. BVerfGE 128, S. 282 (302); Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rn. 83.

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 341

Satz 1 GG garantiert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur ein subjektives Abwehrrecht, sondern stellt auch „eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung“ dar, „die für alle Bereiche der Rechtsordnung gilt und verfassungsrechtliche Schutzpflichten begründet“.42 In Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet die Vorschrift den Staat dazu, „das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen zu schützen, das heißt vor allem, auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“.43 Die Verhinderung von sexuellem Missbrauch und dessen nachträglicher Legitimation ist daher nicht nur ein legitimer Zweck, sondern der Staat ist von Verfassungswegen zum Aufstellen von Gesetzen mit dieser Zielsetzung verpflichtet. Auch daran, dass die Eheverbote wegen Verwandtschaft geeignet sind, diesen Zweck zumindest teilweise zu erreichen, kann unter der Prämisse, dass es sich bei Inzest tatsächlich regelmäßig oder zumindest häufig um missbräuchliches Sexualverhalten handelt, kaum ein Zweifel bestehen. Zwar stellt Mathias Hirsch fest: „Zahlen über die Häufigkeit des Inzests zu erhalten, ist nicht möglich; es sind immer die Zahlen der bekanntgewordenen Inzestfälle, die nur einen geringen Bruchteil der Realität widergeben. Es lässt sich kaum eine Form der Kindesmisshandlung denken, bei der die Dunkelziffer ähnlich hoch ist: Es sind keine äußeren Verletzungen (abgesehen von Extremfällen) erkennbar, und das Redeverbot, die Verleugnung und das Aufrechterhalten des Familiengeheimnisses gehören zur spezifischen Dynamik.“ 44

Solange diese Schweigespirale nicht durchbrochen wird, ist es also offenbar äußerst schwer, Inzestfälle überhaupt zu erkennen. Daher könnte man argumentieren, dass durch eine Enttabuisierung inzestuöser Beziehungen durch die Gestattung der Ehe zwischen Verwandten das Geschehen transparent gemacht und somit im Falle von Missbrauch die Chancen für dessen Aufdecken vergrößert werden würden. Dies wäre allerdings einerseits mit der Gefahr verbunden, sämtliche Partner, die miteinander verwandt sind, unter Generalverdacht zu stellen. Zudem würde der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnen, mit der Eheschließung den Anschein zu erwecken, dass die inzestuöse Beziehung von den daran Beteiligten gewollt sei und eben kein Missbrauch vorgelegen habe, wenn er Ehen zwischen nahen Verwandten aus dem Bereich eines sozialen Tabus herausholen und als legitime und gesellschaftlich anerkannte Lebensgemeinschaften ausgestalten würde. Die Eheschließung würde damit bei vorangegangenem Missbrauch eine willkommene Gelegenheit bieten, diesen zu verschleiern. Dass damit möglicherweise auch der Anreiz vergrößert werden würde, solche Taten überhaupt zu begehen, kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Auch die Frage nach der Erforderlichkeit der Eheverbote wegen Verwandtschaft zur Verhinde-

42 43 44

BVerfGE 77, S. 170 (214). BVerfGE 115, S. 320 (346). Hirsch, S. 18.

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

rung sexuellen Missbrauchs und seiner nachträglichen Legitimierung ist zu bejahen. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks lässt sich nicht erkennen. Zwar ließe sich beispielsweise an eine Regelung denken, die ähnlich wie das schwedische Gesetz von 1987 eine Eheschließung zwischen nahen Verwandten von einer obligatorischen vorherigen behördlichen oder gerichtlichen Beratung oder Untersuchung abhängig macht, oder daran, dass für das Eheverbot wegen Verwandtschaft die Möglichkeit der Befreiung, gegebenenfalls auch nach entsprechender Beratung, eingeführt wird. Solche Regelungen würden jedoch in mehrfacher Hinsicht auf Bedenken stoßen. Im Rahmen einer Beratung könnten zwar die Risiken genetischer Defekte beim Nachwuchs oder sozialer Ausgrenzung, aber wohl kaum Fragen möglicherweise vorangegangenen sexuellen Missbrauchs erörtert werden, ohne die potentiellen Ehepartner wiederum unter Generalverdacht zu stellen. Die Beratung müsste, um nicht zu einer weitgehend wirkungslosen Formalie zu werden, sich eingehend mit den jeweiligen Familienverhältnissen befassen, also deren intimste Angelegenheiten ausführlich untersuchen. Ganz abgesehen von der Frage, ob sich aufgrund solcher Untersuchungen überhaupt eine geeignete Faktengrundlage für eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer Eheschließung ermitteln ließe, dürfte sie von heiratswilligen Verwandten, bei denen kein vorheriger Missbrauch vorliegt, als stigmatisierend, übergriffig und damit äußerst unangenehm empfunden werden. Auch kann wohl davon ausgegangen werden, dass diejenigen Eheschließungswilligen, die zur Legitimierung vorherigen sexuellen Missbrauchs durch die Ehe entschlossen sind, diesen in einer Beratung nicht plötzlich offenlegen würden. Würde man eine etwaige gesetzliche Regelung so ausgestalten, dass nach einer Beratung Befreiung vom Eheverbot wegen Verwandtschaft erteilt werden könnte, wäre schließlich die Frage zu beantworten, nach welchen Kriterien diese Entscheidung zu treffen wäre und welche verfassungsrechtliche Berechtigung ein Verbot überhaupt noch hätte, von dem der Gesetzgeber die Möglichkeit der Befreiung einräumt. Diesbezüglich kann auf die oben dargestellte Kritik von Thilo Ramm an den seinerzeit geltenden Eheverboten wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft mit der Möglichkeit der Befreiung verwiesen werden. Angesichts all dieser Unwägbarkeiten erscheint das geltende Eheverbot gemäß § 1307 BGB geeigneter als ein möglicherweise langwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang. Es kommt also entscheidend auf die Frage an, ob es angemessen ist, Eheverbote wegen Verwandtschaft zur Verhinderung sexuellen Missbrauchs und dessen nachträglicher Legitimation aufzustellen. Dies steht und fällt wiederum mit den Fragen, ob Inzest tatsächlich häufig oder sogar regelmäßig mit Missbrauch einhergeht, und welche (Spät-)Folgen er für die Betroffenen gegebenenfalls haben kann. In dem von der Ärztin und Psychotherapeutin Gabriele Ramin herausgegebenen Handbuch zu Beratung und Therapie bei Inzest und sexuellem Missbrauch kommen die Sozialpädagogin Maria Bambynek und der Sozialarbeiter Peter

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 343

Schay zu der Einschätzung: „Inzest und Gewalt sind unweigerlich miteinander verbunden. Gewalt fängt da an, wo die Grenzen eines Kindes überschritten werden, indem es zu etwas benutzt wird, was es nicht will.“ 45 Herbert Maisch beschreibt den Verlauf des Inzests zwischen Vater und Tochter (der laut Mathias Hirsch am häufigsten vorkommenden oder zumindest beschriebenen und in ihrer Dynamik am besten bekannten Form46) folgendermaßen: „Inzestuöse Beziehungen zwischen Vater und Tochter entwickeln sich meist auf dem Hintergrund disharmonischer oder desorganisierter familiärer Verhältnisse, oft aus einem charakteristischen Vorstadium der einseitigen oder wechselseitigen Anbahnung heraus. Der Beginn solcher Beziehungen ist in starkem Maße von der biologischen Reife des minderjährigen weiblichen Partners abhängig. Während am Anfang die ,Initiative‘ des Täters das Geschehen bestimmt, vollziehen sich bei länger dauernden Verläufen allmählich Verhaltensänderungen bei beiden Partnern. Mit zunehmendem Alter des Opfers und der damit verbundenen wachsenden außerfamiliären sozialen Orientierung gleitet dem Täter die ,Initiative‘ gegen seinen Willen immer mehr aus der Hand.“ 47

Mathias Hirsch schreibt über inzestuöse Handlungen an Kindern: „Wegen des bestehenden Tabus ist seine Überschreitung auch unvermeidlich mit einem Konflikt verbunden. Da es um Wissende und Unwissende, Mächtige und Abhängige, oft Eltern und ihre Kinder geht, bedeutet ausagierter Inzest Gewaltanwendung, Ausbeutung, Verzerrung von Realität, Verbot der Kommunikation, psychische und manchmal körperliche Schäden.“ 48

Dass Inzest mit einer Vielzahl von akuten und späteren psychopathologischen Störungen in Zusammenhang steht, unterliegt für ihn keinem Zweifel.49 Inzest im Kindesalter scheint also stets durch Machtgefälle, die Drohung mit oder sogar die Anwendung von Gewalt durch den Stärkeren gekennzeichnet zu sein und häufig gravierende Folgen für das Opfer nach sich zu ziehen. Raum für Zweifel an der Angemessenheit der Eheverbote wegen Verwandtschaft lassen damit allenfalls Fälle einvernehmlicher inzestuöser Beziehungen zwischen erwachsenen nahen Verwandten. Solche Personen sind tatsächlich die Leidtragenden der geltenden Rechtslage. Die Einschränkung der Eheschließungsfreiheit von nahen Verwandten, die miteinander in einer harmonischen Beziehung leben und diese institutionalisieren möchten, ist allerdings aus zwei Gründen hinzunehmen, auch wenn es individuelle Härten bedeuten kann. Zum einen wird ihnen dadurch, wie bereits erwähnt, nicht die Ehe generell verboten, sondern nur innerhalb eines Personenkreises, der in der Regel überschaubar sein dürfte. Zum anderen sind entsprechende inzestuöse Beziehungen offenbar nicht der Regelfall. Laut Hirsch ist In45

Ramin, S. 287 (290); zu den genannten Autoren siehe dort S. 485 ff. Hirsch, S. 3 u. 78. 47 Maisch, S. 166 f.; ausführlich beschäftigt Maisch sich mit „Bedingungen und Verlauf inzestuöser Beziehungen“ auf den S. 127 ff. 48 Hirsch, S. 2; vgl. auch S. 3 und 9; zu den Folgen von Inzest siehe S. 214 ff. 49 Hirsch, S. 259; zu den möglichen Folgen von Inzest siehe S. 214 ff. 46

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

zest zwischen erwachsenen Verwandten sehr selten.50 Zwar spricht Maisch von „nicht ganz so seltenen eindrucksvollen Inzestfällen, die durch eine emotional getragene Partnerschaft gekennzeichnet sind“, hebt hervor, dass diejenigen Fälle besonders tragisch seien, in denen die Geschwister getrennt aufgewachsen seien, sich später kennengelernt und ineinander verliebt hätten, und verweist auf eine amerikanische Studie, in der es bei 39 Fällen von Geschwisterinzest immerhin sechs solcher Paare gegeben habe.51 In jedem Fall wird man aber wohl annehmen können, dass einvernehmliche inzestuöse Beziehungen zwischen erwachsenen Verwandten nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Gesamtzahl ausmachen. Die Eheverbote wegen Verwandtschaft dürften also nur sehr wenige Personen überhaupt betreffen. Gegen diese Verbote sprechen auch nicht die ablehnenden Ansichten von Hirsch und Maisch zur Berechtigung des strafrechtlichen Inzestverbotes. Da die Legalisierung von Ehen zwischen nahen Verwandten die Gefahr mit sich bringen würde, einen gestörten familiären Zustand zu perpetuieren, würde sich auch durch eine Änderung oder Aufhebung von § 173 StGB nichts an der Berechtigung des Eheverbote wegen Verwandtschaft gemäß § 1307 BGB ändern. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die Vereinten Nationen sich bereits vor Jahren mit der Gefahr unter anderem von Inzest befasst haben und zu einem eindeutigen Resultat gelangt sind. In zwei Resolutionen, verabschiedet am 17. Dezember 199952 auf der Grundlage des Berichts des Dritten Komitees vom 30. November 199953, und am 19. Dezember 200154 auf der Grundlage des Berichts des Dritten Komitees vom 6. Dezember 200155, äußerte sich die Generalversammlung „zutiefst besorgt über die Diskriminierung von Mädchen und die Verletzung ihrer Rechte“, was dazu führe, dass sie zu Opfern „schädlicher Praktiken“ würden, wofür beispielhaft neben Inzest die Tötung weiblicher Neugeborener, verfrühte Heirat, vorgeburtliche Geschlechtsselektion und Genitalverstümmelung genannt wurden56 („. . . deeply concerned about discrimination against the girl child and the violation of the rights of the girl child, which often result in less access for girls to education, nutrition, physical and mental health care and in girls enjoying fewer of the rights, opportunities and benefits of childhood and adolescence than boys and often being subjected to various forms of cultural, social, sexual and economic exploitation and violence and harmful practices such as female infanticide, incest, early marriage, prenatal sex selection and female genital mutilation . . .“). 50 51 52 53 54 55 56

Hirsch, S. 9. Maisch, S. 157. A/RES/54/148. A/54/601, die entscheidenden Passagen finden sich auf S. 4 f. A/RES/56/139. A/56/579, die entscheidenden Passagen finden sich auf S. 6 ff. A/RES/54/148, S. 1; A/RES/56/139, S. 1.

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 345

Gleichzeitig forderte die Generalversammlung alle Staaten nachdrücklich auf, Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, die Mädchen neben den bereits genannten vor allen Formen von Gewalt wie namentlich Vergewaltigung, Gewalt in der Familie, sexuellem Missbrauch, sexueller Ausbeutung, Kinderprostitution und Kinderpornographie schützen sollen, und für Mädchen, die Opfer von Gewalt geworden sind, altersgerechte, sichere und vertrauliche Programme und medizinische, soziale und psychologische Betreuungsdienste einzurichten („. . . also urges all States to enact and to enforce legislation to protect girls from all forms of violence, icluding female infanticide and prenatal sex selection, female genital mutilation, rape, domestic violence, incest, sexual abuse, sexual exploitation, child prostitution and child pornography, and to develop age-appropriate safe and confidential programmes and medical, social and psychological support services to assist girls who are subjected to violence . . .“).57

Als legislative Maßnahmen dürften der Generalversammlung zwar in erster Linie strafrechtliche Bestimmungen vorgeschwebt haben, aber auch Eheverbote wären in dieser Hinsicht ohne weiteres denkbar; eine Strafbarkeit von Inzest zieht diese notwendig nach sich. Unabhängig von der Frage, wie es um die tatsächliche Wirksamkeit solcher Resolutionen bestellt ist, ist damit immerhin das Thema Inzest und seine negativen Wirkungen gerade für Kinder und Jugendliche auf die internationale Tagesordnung gesetzt worden und diejenigen Staaten, die sich in dieser Hinsicht durch Untätigkeit auszeichnen oder deren Gesetzgebung allzu „liberal“ ist, stehen auf globaler Bühne unter Rechtfertigungsdruck, was zumindest langfristig zur Zurückdrängung von Inzest führen kann. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen.

IV. Die Verhinderung von Erbkrankheiten Eine weitere häufig angeführte Rechtfertigung für die Eheverbote wegen Verwandtschaft stellen eugenische Erwägungen dar.58 Es geht darum, dem vermuteten gehäuften Auftreten von Erbkrankheiten vorzubeugen59, also um den Schutz der Volksgesundheit. Diese Erwägungen können naturgemäß nur für das Eheverbot wegen leiblicher Verwandtschaft nach § 1307 BGB als Begründung herangezogen werden. Für das Eheverbot wegen Adoptivverwandtschaft gemäß § 1308 BGB kommen sie von vornherein nicht in Betracht. Eine eugenische Argumentation beruht allerdings auf der problematischen Grundvoraussetzung, dass damit dem Staat das Recht zur Entscheidung eingeräumt wird, in welcher Form menschliches Leben als erstrebenswert und für die Gesellschaft verträglich anzusehen ist. Gesetzgebung und Rechtsprechung tun allerdings ebenso wie die Rechtswissenschaft gut daran, sich jeglicher Bewertung menschlichen Lebens 57 58 59

A/RES/54/148, S. 2; A/RES/56/139, S. 3. Erman/Roth, § 1307 Rn. 2; MüKo/Wellenhofer, § 1307 Rn. 1; Dethloff, § 3 Rn. 36. Vgl. Muscheler, Rn. 248.

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

nach einer vermeintlichen Qualität für die Betroffenen oder für die Gesellschaft zu enthalten. Es wäre deshalb zu begrüßen gewesen, wenn sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2008, in der es die Verfassungsmäßigkeit von § 173 StGB mehrheitlich bestätigt hat, nicht nur auf den Standpunkt gestellt hätte, die ergänzende Heranziehung des eugenischen Gesichtspunktes zur Rechtfertigung der Strafbarkeit des Inzests sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil er historisch für die Entrechtung von Menschen mit Erbkrankheiten und Behinderungen missbraucht worden ist.60 Aber auch wenn man diese problematische Grundvoraussetzung unberücksichtigt lässt, hält eine eugenische Rechtfertigung des Eheverbotes wegen Verwandtschaft einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Da die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts eingeschränkt werden kann, müsste es sich bei der Volksgesundheit um ein Gut von Verfassungsrang handeln. Herleiten ließe sich diese verfassungsimmanente Schranke wohl ohne durchgreifende Bedenken ebenfalls aus der Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Als weiterer Anknüpfungspunkt käme Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG in Betracht, wonach die konkurrierende Gesetzgebung sich auf „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte“

erstreckt. Aus zwei Gründen lassen sich diese Bestimmungen jedoch für eine eugenische Begründung des Eheverbotes wegen Verwandtschaft nicht heranziehen: Sie bezwecken nach ihrem eindeutigen Wortlaut den Schutz bereits lebender oder zumindest gezeugter Menschen vor von außen kommenden Gefahren. Inzestverbote, die eugenisch begründet werden, verfolgen demgegenüber das Ziel, zu verhindern, dass es überhaupt zur Zeugung von Kindern mit erhöhtem Risiko für Erbkrankheiten kommt, setzen also an einem früheren Zeitpunkt an. Schutzobjekt ist damit nicht ein bestimmter oder zumindest bestimmbarer Personenkreises, sondern das Abstraktum Genpool. Und auch wenn Inzucht die Gefahr für ein möglicherweise gehäuftes Auftreten von Erbkrankheiten darstellte, handelte es sich dabei um eine endogene Ursache. Auch wenn die Volksgesundheit ein Schutzgut von Verfassungsrang ist, kann es jedenfalls nicht in einem so weiten Umfang verstanden werden, dass es eine eugenische Rechtfertigung für die Eheverbote wegen Verwandtschaft tragen würde. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hat es in seinem Urteil vom 11. Juni 1958 festgestellt, es sei unbestritten, dass die Volksgesundheit ein wichtiges Gemeinschaftsgut sei, dessen Schutz Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen zu rechtfertigen vermöge.61 Aber abgesehen davon, 60 61

BVerfGE 120, S. 224 (248). BVerfGE 7, S. 377 (414).

A. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eheverbote wegen Verwandtschaft 347

dass es bei dieser Entscheidung seinerzeit um die Beschränkung der unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehenden Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG ging, unterscheidet sich auch dieser Fall in derselben Weise von einer eugenischen Rechtfertigung für die Eheverbote wegen Verwandtschaft wie die Bestimmungen des Grundgesetzes, aus denen man das Schutzgut der Volksgesundheit herleiten könnte. Denn zum einen ging es um die Begrenzung der Apothekenanzahl, um ein Überangebot an Arzneimitteln durch Vermehrung der Verkaufsstellen und damit Medikamentenabhängigkeit in der Bevölkerung zu verhindern, also um eine exogene Gefahr. Zum anderen stellt eine befürchtete Medikamentenabhängigkeit eine Gefahr für die Gesundheit bereits lebender Grundrechtsträger dar. Aber selbst wenn man die verfassungsimmanente Schranke der Volksgesundheit so weit verstehen wollte, dass davon auch der Schutz des Genpools der Gesamtbevölkerung vor der Zeugung von Menschen mit genetischen Defekten erfasst wäre, müssten die diese Schranke konkretisierenden Eheverbote wegen Verwandtschaft auch verhältnismäßig sein. Ihnen müsste in einer Abwägung mit der Eheschließungsfreiheit ein Übergewicht zukommen. Auch daran bestehen starke Zweifel. So kommt wirklicher Inzest in Form von Geschlechtsverkehr etwa zwischen Geschwistern, vor allem nach dem 13. Lebensjahr, offenbar äußerst selten vor.62 Dem 2018 verstorbenen österreichischen Verhaltensforscher Irenäus EiblEibesfeldt zufolge haben Inzesttabus, auch wenn sie unterschiedliche kulturelle Ausgestaltungen erfahren, eine biologische Grundlage, da Kinder aufgrund eines wohl angeborenen Programms Verpaarungshemmungen gegenüber denjenigen entwickeln, mit denen sie gemeinsam aufwachsen.63 Selbst wenn man Beziehungen zwischen nahen Verwandten legalisieren würde, wäre daher wohl nicht anzunehmen, dass dann Ehen zwischen ihnen in nennenswerter Zahl geschlossen und Nachwuchs gezeugt werden würde. Die befürchtete Beeinträchtigung für die Volksgesundheit wäre also aller Voraussicht nach gering. Auch die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik hat in ihrer Stellungnahme vom 29. April 2008 hinsichtlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des § 173 StGB darauf hingewiesen, dass Inzestverbindungen von Geschwistern keinen nennenswerten Einfluss auf die genetische Konstitution einer Population haben.64 Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in die Eheschließungsfreiheit durch die verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft als unverhältnismäßig zu beurteilen, soweit er sich auf eine eugenische Argumentation stützt. Die Schwierigkeiten einer entsprechenden Rechtfertigung des § 173 StGB hat Winfried Hassemer in seinem abweichenden Sondervotum zum Beschluss vom 26. Februar 2008 folgendermaßen beschrieben: 62 63 64

Eibl-Eibesfeldt, S. 365. Eibl-Eibesfeldt, S. 367 ff., 371. Medgen 20 (2008), S. 239.

348

6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

„Dabei kann dahinstehen, ob es tatsächlich eine besondere Gefahr von Erbschäden bei aus Inzestverbindungen hervorgegangenen Kindern gibt. Es verbietet sich schon von Verfassungs wegen, den Schutz der Gesundheit potentieller Nachkommen zur Grundlage jedenfalls strafgesetzlicher Eingriffe zu machen. Ein Rechtsgutsträger, dessen mutmaßliche Interessen zur Rechtfertigung des Inzestverbotes herangezogen werden könnten, existiert zum Zeitpunkt der Tathandlung neben dem betroffenen Geschwisterpaar nicht. Der Gedanke eines strafrechtlichen Schutzes potentieller Nachkommen vor genetischen Schäden setzt zudem die absurde Abwägung des mutmaßlichen Interesses potentiell gezeugten Nachwuchses an einem Leben mit genetischen Defekten einerseits mit einem mutmaßlichen Interesse an der eigenen Nichtexistenz andererseits voraus. Deshalb kennen wir aus guten Gründen eine Strafbarkeit des Beischlafs selbst dort nicht, wo die Wahrscheinlichkeit behinderten Nachwuchses höher ist und die erwartbaren Behinderungen massiver sind als beim Inzest. (. . .) Auch die Gesundheit der Bevölkerung kommt als – abstraktes – Schutzobjekt nicht in Betracht. Anders als etwa im Betäubungsmittelstrafrecht ist schon wegen der anerkannten Seltenheit des Auftretens möglicher Erbschäden aus Geschwisterinzest weder für die Gesundheit der Bevölkerung überhaupt noch für die Gesundheit einzelner, abgrenzbarer Bevölkerungsgruppen eine nennenswerte Beeinträchtigung vorherzusagen, die Grund für eine sichernde Strafnorm gäbe.“ 65

Es ist kein Grund ersichtlich, diese Erwägungen nicht auch auf § 1307 BGB zu übertragen.

B. Die Frage nach etwaigem Reformbedarf des geltenden Eheverbotsrechts Die Eheverbote gemäß §§ 1307 und 1308 BGB sind gerechtfertigt und eine weitere Reduzierung nicht zu empfehlen. Soweit ersichtlich, ist bisher auch kein anderes Land dem schwedischen Beispiel der Legalisierung von Ehen zwischen Halbgeschwistern gefolgt. Angesichts der Diskussionen, die seinerzeit über die Aufhebung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft und die Vereinheitlichung der Folgen rechtsfehlerhaft geschlossener Ehen unter Abschaffung der Ehenichtigkeit durch das Eheschließungsrechtsgesetz von 1998 geführt wurden, ist abschließend auf die Frage nach Reformbedarf einzugehen.

I. § 1307 BGB Gestützt auf das Argument der Verhinderung sexuellen Missbrauchs und seiner nachträglichen Legitimierung ließe sich die Forderung nach einem strengeren Eheverbotsrecht aufstellen. Als Argument dafür ließe sich eine über die leibliche Verwandtschaft weit hinausgehende Auffassung von Inzest anführen, wie sie Mathias Hirsch vertritt: „Stiefeltern und Stiefgeschwister fallen selbstverständlich auch unter die Definition von Inzestbeteiligten, denn es kommt für die Psychodynamik auf die Qualität der 65

BVerfGE 120, S. 224 (258 f.).

B. Die Frage nach etwaigem Reformbedarf des geltenden Eheverbotsrechts

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Beziehung, nicht auf den biologischen Verwandtschaftsgrad an. Die Beziehungen zu Stiefeltern und -geschwistern nähern sich denen zu den entsprechenden leiblichen Verwandten, je länger und enger man als Familie zusammenlebt; insbesondere auch die Machtverhältnisse und emotionalen Abhängigkeiten sind in der Regel ähnlich. Das gleiche gilt für Pflege- oder Adoptivbeziehungen; ich würde wegen der praktisch immer entstehenden emotionalen Abhängigkeitsbeziehung auch Erzieher, Ärzte, Therapeuten und Lehrer in einen erweiterten Begriff von Inzestbeteiligten einbeziehen.“ 66

Erwachsenen Menschen die Eheschließung mit einem früheren Erzieher, dem behandelnden Arzt oder Therapeuten oder mit einem früheren Lehrer zu verbieten, wäre mit der durch das Grundgesetz verbürgten Eheschließungsfreiheit sicher nicht zu vereinbaren. Dies dürfte auch für ein Verbot der Ehe zwischen Tante und Neffe beziehungsweise Onkel und Nichte sowie zwischen Cousinen und Cousins gelten, was ein strengeres Eheverbotsrecht als dasjenige des RPStG bedeuten würde. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche Regelung vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert werden würde. Auch einer Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft, sei es in dem bis 1998 geltenden Umfang, wie Friedrich Wilhelm Bosch es bevorzugt hatte, oder, dem seinerzeitigen Vorschlag Karl-Heinz Muschelers entsprechend, beschränkt auf Eheschließungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern unter Beibehaltung der Möglichkeit der Befreiung und mit einer genaueren gesetzlichen Umschreibung der Voraussetzungen für deren Erteilung beziehungsweise Versagung, ist der juristische Boden wohl endgültig entzogen, seit der EGMR mit Urteil vom 13. September 2005 auf die Beschwerde eines britischen Mannes, dessen Ehe rechtskräftig geschieden war, der mit seiner ebenfalls rechtskräftig geschiedenen Schwiegertochter und deren Kind aus ihrer Ehe zusammengelebt hatte und denen die englischen Behörden die Eheschließung verweigert hatten, entschieden hat, dass das gesetzliche Verbot der Ehe zwischen einem Mann und seiner Schwiegertochter beziehungsweise zwischen einer Frau und ihrem Schwiegersohn gegen Art. 12 der EMRK verstoße.67 Es dürfte anzunehmen sein, dass das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich Art. 6 GG zu der gleichen Einschätzung gelangen würde. Aber auch die praktischen Erwägungen, die Reinhard Hepting 1996 bezüglich des Entwurfes des Eheschließungsrechtsgesetzes und 1998 nach Verabschiedung des Gesetzes angeführt hat, dass nämlich die Aufrechterhaltung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft wegen des mittlerweile weggefallenen sozialen Drucks wirkungslos bleiben würde, sprechen gegen eine solche Gesetzesverschärfung, denn damit hatte er den wunden Punkt sämtlicher denkbaren Eheverbote getroffen: Sind sie, wie Bigamie und Inzest, nicht auch gleichzeitig strafbewehrt, bedarf es für ihre praktische Wirksamkeit gesellschaftlicher Akzeptanz – was im Übrigen neben dem verfassungsrechtlichen Schutz für die Institution Familie und der Verhinde66 67

Hirsch, S. 10. FamRZ 2005, S. 1971.

350

6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

rung sexuellen Missbrauchs und seiner nachträglichen Legitimation dafür spricht, trotz aller dagegen vorgebrachten Bedenken an der Strafvorschrift des § 173 StGB festzuhalten. Fehlt diese gesellschaftliche Akzeptanz, wie im Falle des Eheverbotes wegen Schwägerschaft, müsste man also auch sexuelle Beziehungen zwischen Verschwägerten unter Strafe stellen, wenn ein entsprechendes Eheverbot nicht wirkungslos bleiben soll. Eine so weitgehende Freiheitsbeschränkung wäre aber weder verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, noch wünschenswert. Die Wiedereinführung des Eheverbotes wegen Schwägerschaft kommt daher aus verfassungsrechtlichen und praktischen Gründen nicht mehr in Betracht. Mit Blick auf die moderne Reproduktionsmedizin hat Sabine Engelhardt in ihrer Dissertation „Die missglückte Regelung des Rechts der fehlerhaften Ehe durch das Eheschließungsrechtsgesetz 1998“ aus dem Jahr 2004 vorgeschlagen, § 1307 Satz 1 BGB etwa folgendermaßen zu fassen: „Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern, es sei denn die Geschwister stammen von jeweils verschiedenen Personen ab.“ 68

Diesen Vorschlag begründete sie damit, dass die strikte Beachtung des Eheverbotes gemäß § 1307 BGB infolge der Anwendung moderner Fortpflanzungsmethoden in Einzelfällen zu fragwürdigen Ergebnissen führen könne. Es ergäben sich Bedenken in Bezug darauf, dass das nach einer Ei- oder Embryonenspende ausgetragene Kind auch mit den anderen Kindern der gebärenden Mutter unabhängig davon keine Ehe eingehen könne, ob es sich bei diesen Geschwistern im Rechtssinn um von der Mutter ebenfalls nur ausgetragene oder von ihr genetisch abstammende Kinder handele. In einem solchen Spezialfall lasse sich das Eheverbot nur dann erbbiologisch rechtfertigen, wenn die Kinder vom selben Vater abstammten. Sei dies nicht der Fall und handele es sich um eine rein rechtliche Verwandtschaft zwischen den Geschwistern, stelle sich wiederum die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber sei nur dann zu einer Beschränkung der Eheschließungsfreiheit berechtigt, wenn schwerwiegende ethische Bedenken gegen eine Umwandlung der Geschwister-Beziehung in eine Ehe bestünden oder Tradition und Funktion der Ehe eine solche Verbindung verböten.69 Lebten die Kinder unter einem Dach und seien als Geschwister aufgewachsen, könne es tatsächlich sittliche Einwände gegen ihre Ehe geben. Diese Einwände müssten dann aber auch gegen Eheschließungen von Kindern sogenannter „Patchwork-Familien“ erhoben werden, für die das Verbot gemäß § 1307 BGB nicht gelte. Für diese Ungleichbehandlung sei kein sachlicher Grund ersichtlich. Zudem richteten sich die moralischen Bedenken gegen die Beziehung als solche und nicht erst gegen eine etwaige Ehe. Vor solchen unerwünschten Verbindungen biete ein Eheverbot in Zeiten, in denen Partner guten Gewissens 68 69

Engelhardt, S. 52. Engelhardt, S. 51.

B. Die Frage nach etwaigem Reformbedarf des geltenden Eheverbotsrechts

351

auch ohne Trauschein zusammenlebten, keinen Schutz. Auch wenn sittlich Erwägungen gegen derartige Beziehungen sprächen, taugten sie nicht zur Legitimation eines Verbotes der Ehe zwischen Geschwistern im Rechtssinn. Ebenso wenig ergäben sich aus der traditionellen Gestalt oder der sozialen Funktion der Ehe hinreichende Gründe für das Verbot. Wüchsen die rechtlichen Geschwister auch noch in verschiedenen Haushalten auf, beruhe ihre Beziehung nur darauf, dass sie von der selben Frau geboren seien. Es erscheine mit dem Grundrecht der Eheschließungsfreiheit nicht vereinbar, ihnen die Heirat zu verbieten.70 Allerdings liege ein Verstoß gegen die Verfassung nur dann vor, wenn sich § 1307 BGB nicht verfassungskonform auslegen lasse. Der Wortlaut stehe einer einschränkenden Auslegung nicht entgegen, nach der das Verbot nicht für lediglich rechtlich verwandte Geschwister gelte, da mit „Geschwistern“ sowohl leibliche Verwandte, als auch Verwandte im Rechtssinn gemeint sein könnten. Diese Auslegung widerspreche auch nicht dem Sinn der Vorschrift, da in diesen Fällen weder erbbiologische, noch triftige ethische Gründe für das Eheverbot bestünden. Daher sei eine restriktive Auslegung von § 1307 BGB möglich, durch die die Vorschrift das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit nicht verletze. Der vorgeschlagene Wortlaut solle diesbezüglich Klarheit schaffen und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung ausräumen.71 Dass § 1307 BGB in seiner geltenden Fassung bei wörtlicher Auslegung tatsächlich zu den beschriebenen fragwürdigen Ergebnissen führen kann, ist offensichtlich. Würde die Vorschrift allerdings dem Vorschlag Engelhardts entsprechend geändert, würde dadurch wiederum der verfassungsrechtliche Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG nicht angemessen berücksichtigt. Ein Paar, das auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen kann und darum die moderne Reproduktionsmedizin in Anspruch nimmt, würde dadurch zu einer Familie, auch wenn die Kinder genetisch nicht von ihnen abstammten. Das Verbot für die rechtlichen Geschwister, miteinander eine Ehe einzugehen, ist daher wie bei leiblichen Geschwistern gerechtfertigt, um die Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder sicherzustellen. Zwar ließe sich eine nichteheliche Beziehung zwischen nur rechtlichen Geschwistern nicht verhindern. Aber die Institutionalisierung einer solchen Beziehung könnte wiederum kaum mit dem vom Gesetzgeber zu beachtenden besonderen verfassungsrechtlichen Schutz für die Familie in Einklang gebracht werden. In dieser Hinsicht geht auch der Vergleich mit sogenannten „Patchwork-Familien“ fehl, denn diese finden erst zusammen, wenn zumindest einer der Partner bereits aus einer früheren Ehe oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft Kinder hat. Bei ihrem Zusammenleben ist also von Beginn an klar, dass sie keine Geschwister, sondern Stiefgeschwister sind. Die familiäre Rollenverteilung wird also regelmäßig eine andere Ausprägung haben 70 71

Engelhardt, S. 51. Engelhardt, S. 51 f.

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6. Kap.: Legitimation der verbliebenen Eheverbote

als bei einer klassischen bürgerlichen Kernfamilie. Als fragwürdige Konsequenz des geltenden Rechts bleiben somit lediglich diejenigen Fälle von rechtlichen Geschwistern übrig, die nicht zusammen aufwachsen und nur gemeinsam haben, von derselben Frau geboren worden zu sein. Ihnen dürfte ohne weiteres durch eine Auslegung von § 1307 BGB im Wege der teleologischen Reduktion Rechnung getragen werden können, wie Engelhardt es offenbar auch für möglich hält. Eine Gesetzesänderung erscheint deswegen nicht notwendig.

II. § 1308 BGB Zu § 1308 BGB hat Engelhardt vorgeschlagen, den Wortlaut der Vorschrift folgendermaßen zu fassen: „Eine Ehe soll nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, deren Verwandtschaft durch Annahme als Kind begründet worden ist. Dies gilt nicht, wenn das Annahmeverhältnis aufgelöst worden ist.“ 72

Bezüglich der Ehe zwischen Adoptivgeschwistern ergäben sich die gleichen Bedenken wie im Falle bloß rechtlich verwandter Geschwister. Die Eheschließungsfreiheit werde wegen der Dispensmöglichkeit zwar praktisch nicht eingeschränkt, weil die Befreiung nur ausnahmsweise versagt werden dürfe, „wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstehen“. Als solche könnten lediglich Umstände gelten, die mit Sinn und Zweck des Eheverbotes in Zusammenhang stünden. Solche Umstände seien im Kontext der Adoptivverwandtschaft allerdings kaum auszumachen und entsprechende Befreiungsverfahren deshalb in der Regel erfolgreich. Dennoch erfahre der freie Zugang zur Ehe durch das Verbot zunächst eine Beschränkung, für die es keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung gebe. Eine verfassungskonforme Auslegung von § 1308 Abs. 1 BGB dahingehend, dass das Eheverbot nicht für Adoptivgeschwister gelte, sei wegen der in Abs. 2 explizit für sie vorgesehen Dispensmöglichkeit ausgeschlossen. Daher sei das Eheverbot der durch Adoption begründeten Seitenverwandtschaft gänzlich zu streichen.73 Auch dieser Vorschlag berücksichtigt den besonderen staatlichen Schutz, unter den das Grundgesetz gemäß Art. 6 Abs. 1 die Familie stellt, nicht in ausreichendem Maß. Auch die Adoptivfamilie ist Familie in diesem Sinne, die Eindeutigkeit der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder damit sicherzustellen. Da es sich bei dem Eheverbot gemäß § 1308 BGB lediglich um ein aufschiebendes handelt, ist es verhältnismäßig, vor der Eheschließung das Befreiungsverfahren einzuschalten, das nur in Ausnahmefällen erfolglos bleiben wird. § 1308 BGB in seiner geltenden Fassung stellt somit einen gelungenen Kompromiss zwischen der Freiheit eheschließungswilliger Adoptivverwandter einerseits und 72 73

Engelhardt, S. 53. Engelhardt, S. 53.

B. Die Frage nach etwaigem Reformbedarf des geltenden Eheverbotsrechts

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der verfassungsrechtlichen Garantie für die Institution Familie andererseits dar. Anbieten würde sich allerdings, die in Abs. 2 vorgesehene Befreiungsmöglichkeit auch auf beabsichtigte Ehen zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern auszudehnen. Zudem könnte der Ausnahmecharakter der Versagung der Befreiung durch Einfügung des Wortes „nur“ deutlicher herausgestellt werden. Die Vorschrift könnte daher folgendermaßen neugefasst werden: „§ 1308 Annahme als Kind (1) Eine Ehe soll nicht geschlossen werden zwischen Personen, deren Verwandtschaft im Sinne des § 1307 durch Annahme als Kind begründet worden ist. Dies gilt nicht, wenn das Annahmeverhältnis aufgelöst worden ist. (2) Das Familiengericht kann auf Antrag von dieser Vorschrift Befreiung erteilen. Die Befreiung soll nur versagt werden, wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstehen.“

III. Die Rechtsfolgenseite Es war bereits die Rede davon, dass die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen und deren Ausgestaltung durch das Eheschließungsrechtsgesetz von 1998 eine gelungene Lösung waren. Auf der Rechtsfolgenseite ließe sich allenfalls an eine Neufassung von § 1766 BGB denken, da es auf den ersten Blick befremdlich wirkt, dass nach dieser Vorschrift bei einer Eheschließung zwischen Annehmendem und Angenommenem oder einem seiner Abkömmlinge entgegen den eherechtlichen Vorschriften das durch die Annahme als Kind begründete Rechtsverhältnis nur zwischen ihnen erlischt. Würde man diese Wirkung allerdings auf die gesamte Adoptivfamilie erstrecken, wäre das Ergebnis mindestens ebenso merkwürdig: Heiratete etwa ein Adoptivvater seiner Adoptivtochter, hätte diese mit der Eheschließung rechtlich keine Mutter und keine Großeltern mehr.74 Ebenfalls befremdlich wäre es, wenn man das Rechtsverhältnis zwischen Adoptivgeschwistern mit der Eheschließung für aufgehoben erklären würde, denn in diesem Fall hätten beide zwar noch dieselben Eltern, wären aber keine Geschwister mehr. Die inhaltliche Beibehaltung der geltenden Bestimmung ist somit in Anbetracht der Regelung des § 1308 BGB wohl die einzig sinnvolle Lösung. Würde man die Befreiungsmöglichkeit gemäß § 1308 Abs. 2 BGB allerdings auch für Eheschließungen zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern einräumen, könnte man in § 1766 BGB die Worte „den eherechtlichen Vorschriften zuwider“ streichen. Die Vorschrift würde dann lauten: „§ 1766 Ehe zwischen Annehmendem und Kind Schließt ein Annehmender mit dem Angenommenen oder einem seiner Abkömmlinge die Ehe, so wird mit der Eheschließung das durch die Annahme zwischen ihnen begründete Rechtsverhältnis aufgehoben. §§ 1764, 1765 sind nicht anzuwenden.“

74

Vgl. zur geltenden Rechtslage Palandt/Götz, § 1766, Rn. 1.

Schluss Die mit dem Eheschließungsrechtsgesetz von 1998 herbeigeführte Rechtslage erscheint als ein geeigneter Schlusspunkt der Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft, Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft in Deutschland seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Spannt man den historischen Bogen deutlich weiter, dann könnte man, bei aller gebotenen Vorsicht vor allzu viel historisierendem Pathos, sogar von einem geeigneten Schlusspunkt unter die rund 2500jährige Entwicklung der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft vom antiken römischen und germanischen Recht bis heute sprechen. Gesetzesänderungen erscheinen allenfalls in Nuancen sinnvoll. Solange Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unverändert bestehen bleiben und damit weiterhin den besonderen staatlichen Schutz für die Institution Familie garantieren, ist eine weitere Liberalisierung oder gar die Abschaffung der Eheverbote gemäß §§ 1307 und 1308 BGB verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen, weil damit die innerfamiliäre Rollenverteilung in einem solchen Maß durcheinander gebracht werden würde, dass der Begriff der „Familie“ im hergebrachten Sinn seine Bedeutung verlieren würde. Ein solcher Umgang mit der Verfassung, der auf nicht weniger als ihre Aushöhlung hinauslaufen würde, verbietet sich. Die Grenzen der dem Gesetzgeber eingeräumten Befugnis, Ehe und Familie einfachrechtlich auszugestalten, scheinen erschöpft. Dies bedeutet nicht, dass er nicht weitere tiefgreifende Veränderungen am geltenden Ehe- und Familienrecht vornehmen könnte. Allerdings wäre für solche Fälle zu überlegen, ob nicht vorher konsequenterweise Art. 6 GG zu ändern oder abzuschaffen wäre. Hans Hattenhauer hat bereits im Jahr 2000 in der zweiten Auflage seines Lehrbuches „Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts“ die Frage gestellt, wie ein staatlicher Rechtsschutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG überhaupt noch verwirklicht werden könne. Auf den Rechtsschutz beliebiger Lebensgemeinschaften gerichtete Bestrebungen in den achtziger und neunziger Jahren hätten sich mehr und mehr auf eine „Umdefinition“ des Begriffs der Familie verlagert. Diese solle nicht länger als durch die Ehe begründete Gemeinschaft von Eltern und Kindern verstanden werden, sondern jegliches Zusammenleben eines oder mehrere Erwachsener mit einem oder mehreren Kindern erfassen. Damit verbunden seien die Privatisierung nicht nur der Ehe, sondern auch der Familie und deren beider Loslösung von den bürgerlichen Definitionen.1 Tatsächlich kann man mit Blick auf die historische Entwicklung der Auffassung von der Ehe zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es 1

Hattenhauer, S. 184.

Schluss

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die logische Konsequenz einer liberalen, auf die Trennung von Recht und Moral bedachten Rechtsordnung ist, sich auf einen Zustand hinzubewegen, der keinerlei Kodifizierung sozialer Tabus mehr kennt, und damit der überkommene christlich-naturrechtliche und bürgerlich-rechtliche Ehebegriff, der wie dargestellt bei der Erarbeitung des Grundgesetzes das Leitbild gewesen ist, irgendwann vollständig überwunden sein wird. Der pessimistischen Einschätzung Hattenhauers lässt sich allerdings, wiederum mit Blick auf die historische Entwicklung, eine wesentlich optimistischere entgegenhalten. Seit das Christentum in der Spätantike einen bestimmenden gesellschaftlichen Einfluss erlangt hatte, bestanden das gesamte Mittelalter hindurch die wesentlichen Merkmale der Ehe darin, dass es sich bei ihr um eine heilige, unauflösbare und auf die Erzeugung von Nachkommen ausgerichtete Verbindung zwischen einer Frau und einem Mann handelte, die nicht zu nah miteinander verwandt oder verschwägert sein durften. Reformation und Aufklärung haben die Sakramentalität und Unauflösbarkeit der Ehe sowie die Erzeugung von Nachkommen als deren einzigen Zweck obsolet werden lassen. In der Folgezeit wurden Eheverbote stetig reduziert, bis nur noch Polygamie und Inzest übrig geblieben sind. Seit dem „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ vom 20. Juli 20172 ist auch die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner keine Wesenseigenschaft der Ehe mehr. Man kann also zu der, möglicherweise etwas zugespitzten, Feststellung gelangen, dass die verbliebenen Eheverbote wegen bestehender Ehe und wegen Verwandtschaft gemäß §§ 1306 bis 1308 BGB sowie die Eingehung der Ehe auf Lebenszeit gemäß § 1353 Abs. 1 BGB die letzten, aber auch deutlich sichtbaren und damit hinreichenden gesetzlichen Bestimmungen sind, um dem christlich-naturrechtlichen und bürgerlich-rechtlichen Begriff der Ehe genüge zu leisten, von dem der Parlamentarische Rat bei den Beratungen über das Grundgesetz ausging. Solange der Gesetzgeber an diesen Regelungen festhält, ist der staatliche Rechtsschutz zumindest für die Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet. Für Resignation, wie sie in Hattenhauers Frage nach der Verwirklichung dieses verfassungsrechtlichen Schutzes anklingt, besteht angesichts der geltenden Rechtslage in dieser Hinsicht also kein Grund (wie es sich mit dem ebenfalls vom Grundgesetz geforderten Schutz für die Familie verhält, soll an dieser Stelle offenbleiben). Sollte der Gesetzgeber eines Tages auch die noch verbliebenen Eheverbote wegen Verwandtschaft abschaffen, so dürfte anzunehmen sein, dass das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit einer entsprechenden Gesetzesänderung zu entscheiden haben würde. Einstweilen ist davon wohl nicht auszugehen. Mal enger und mal weiter gefasst, war das Inzestverbot über alle Zeiten hinweg nicht nur im europäischen Kulturkreis ein Kontinuum. Es mag sich bei ihm zwar, wie eingangs erwähnt, um eines der ältesten Tabus der Menschheit handeln. Dies ändert allerdings nichts daran, dass es auch heutzutage,

2

BGBl. I 2017, S. 2787.

356

Schluss

wie gezeigt, zumindest wegen der mit Inzest offenbar regelmäßig verbundenen Gefahr sexuellen Missbrauchs seine Berechtigung hat. Gleichzeitig dient das Festhalten an ihm der Absicherung des verfassungsrechtlich geforderten Schutzes des Rechtsinstituts der Ehe. Der Gesetzgeber tut also in mehrfacher Hinsicht gut daran, das bestehende Eheverbotsrecht zumindest weitestgehend unverändert beizubehalten.

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise) Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung. Vom 6. Februar 1875. Dritter Abschnitt. Erfordernisse der Eheschließung. §§ 28 bis 32 (nicht abgedruckt) §. 33. Die Ehe ist verboten: 1. zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, 2. zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, 3. zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern jeden Grades, ohne Unterschied ob das Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältniß auf ehelicher oder außerehelicher Geburt beruht und ob die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet wird, noch besteht oder nicht, 4. zwischen Personen, deren eine die andere an Kindesstatt angenommen hat, solange dieses Rechtsverhältniß besteht, 5. zwischen einem wegen Ehebruchs Geschiedenen und seinem Mitschuldigen. Im Falle der Nr. 5 ist Dispensation zulässig. §§ 34 und 35 (nicht abgedruckt) §. 36. Hinsichtlich der rechtlichen Folgen einer gegen die Bestimmungen der §§. 28 bis 35 geschlossenen Ehe sind die Vorschriften des Landesrechts maßgebend. Dasselbe gilt von dem Einflusse des Zwangs, Irrthums und Betrugs auf die Gültigkeit der Ehe. §§ 37 und 38 (nicht abgedruckt)

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Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

§. 39. Alle Vorschriften, welche das Recht zur Eheschließung weiter beschränken, als es durch dieses Gesetz geschieht, werden aufgehoben. § 40 (nicht abgedruckt) Vierter Abschnitt. Form und Beurkundung der Eheschließung. §§ 41 bis 47 (nicht abgedruckt) §. 48. Kommen Ehehindernisse zur Kenntniß des Standesbeamten, so hat er die Eheschließung abzulehnen. §§ 49 bis 55 (nicht abgedruckt) Achter Abschnitt. Schlußbestimmungen. §§ 67 und 68 (nicht abgedruckt) §. 69. Ein Standesbeamter, welcher unter Außerachtlassung der in diesem Gesetze gegebenen Vorschriften eine Eheschließung vollzieht, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. §§ 70 bis 85 (nicht abgedruckt)

Bürgerliches Gesetzbuch. vom 18. August 1896. Viertes Buch. Familienrecht. Erster Abschnitt. Bürgerliche Ehe.

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

359

Erster Titel. Verlöbniß (nicht abgedruckt) Zweiter Titel. Eingehung der Ehe. §§ 1303 bis 1309 (nicht abgedruckt) §. 1310. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat. Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften besteht auch zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits. §. 1311. Wer einen Anderen an Kindesstatt angenommen hat, darf mit ihm oder dessen Abkömmlingen eine Ehe nicht eingehen, solange das durch die Annahme begründete Rechtsverhältniß besteht. §§ 1312 bis 1322 (nicht abgedruckt) Dritter Titel. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe. §. 1323. Eine Ehe ist nur in den Fällen der §§. 1324 bis 1328 nichtig. §§ 1324 bis 1326 (nicht abgedruckt) §. 1327. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie zwischen Verwandten oder Verschwägerten dem Verbote des §. 1310 Abs. 1 zuwider geschlossen worden ist. § 1328 (nicht abgedruckt)

360

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

§. 1329. Die Nichtigkeit einer nach den §§. 1325 bis 1328 nichtigen Ehe kann, solange nicht die Ehe für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt von einer nach §. 1324 nichtigen Ehe, wenn sie in das Heirathsregister eingetragen worden ist. §§ 1330 bis 1347 (nicht abgedruckt) Zweiter Abschnitt. Verwandtschaft. Titel 1 bis 7 (nicht abgedruckt) Achter Titel. Annahme an Kindesstatt. §§ 1741 bis 1770 (nicht abgedruckt) §. 1771. Schließen Personen, die durch Annahme an Kindesstatt verbunden sind, der Vorschrift des §. 1311 zuwider eine Ehe, so tritt mit der Eheschließung die Aufhebung des durch die Annahme zwischen ihnen begründeten Rechtsverhältnisses ein. Ist die Ehe nichtig, so wird, wenn dem einen Ehegatten die elterliche Gewalt über den anderen zusteht, diese mit der Eheschließung verwirkt. Die Verwirkung tritt nicht ein, wenn die Nichtigkeit der Ehe auf einem Formmangel beruht und die Ehe nicht in das Heirathsregister eingetragen worden ist. § 1772 (nicht abgedruckt)

Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet. Vom 6. Juli 1938. Erster Abschnitt Recht der Eheschließung B. Eheverbote

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

361

§4 Blutsverschiedenheit (nicht abgedruckt) §5 Mangel der Ehetauglichkeit (nicht abgedruckt) §6 Verwandtschaft Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Blutsverwandten gerader Linie und zwischen voll- oder halbbürtigen Geschwistern, gleichgültig ob die Blutsverwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruht. §7 Schwägerschaft (1) Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verschwägerten gerader Linie, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft vermittelt wird, für nichtig erklärt oder aufgelöst worden ist. (2) Schwägerschaft im Sinne des Abs. 1 besteht zwischen einem Ehegatten und den Blutsverwandten des anderen Ehegatten, gleichgültig ob die Blutsverwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt beruht. (3) Von der Vorschrift des Abs. 1 kann Befreiung bewilligt werden. §8 Doppelehe (nicht abgedruckt) §9 Ehebruch (nicht abgedruckt) § 10 Annahme an Kindes Statt Eine Ehe soll nicht geschlossen werden zwischen einem angenommenen Kinde und seinen Abkömmlingen einerseits und dem Annehmenden andererseits, solange das durch die Annahme begründete Rechtsverhältnis besteht. § 11 Wartezeit (nicht abgedruckt) § 12 Auseinandersetzungszeugnis des Vormundschaftsrichters (nicht abgedruckt)

362

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

§ 13 Heiratserlaubnis (nicht abgedruckt) § 14 Ehefähigkeitszeugnis für Ausländer (nicht abgedruckt) D. Nichtigkeit der Ehe I. Nichtigkeitsgründe § 20 Eine Ehe ist nur in den Fällen nichtig, in denen dies im Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, im Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) oder in den §§ 21 bis 26 dieses Gesetzes bestimmt ist. § 21 Mangel der Form (nicht abgedruckt) § 22 Mangel der Geschäfts- oder Urteilsfähigkeit (nicht abgedruckt) § 23 Namensehe und Staatsangehörigkeitsehe (nicht abgedruckt) § 24 Doppelehe (nicht abgedruckt) § 25 Verwandtschaft und Schwägerschaft (1) Eine Ehe ist nichtig, wenn sie den Verboten der §§ 6 und 7 zuwider zwischen Blutsverwandten oder zwischen Verschwägerten geschlossen ist. (2) Die Ehe zwischen Verschwägerten ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn nachträglich Befreiung von der Vorschrift des § 7 bewilligt wird. § 26 Ehebruch (nicht abgedruckt)

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

363

II. Berufung auf die Nichtigkeit § 27 Niemand kann sich auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. § 28 Klagebefugnis (1) Ist eine Ehe aufgrund des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, des Gesetzes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) oder des § 23 dieses Gesetzes nichtig, so kann nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben. (2) In allen übrigen Fällen der Nichtigkeit kann der Staatsanwalt und jeder der Ehegatten, im Falle des § 24 auch der Ehegatte der früheren Ehe die Nichtigkeitsklage erheben. Ist die Ehe aufgelöst, so kann nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben. (3) Sind beide Ehegatten verstorben, so kann eine Nichtigkeitsklage nicht mehr erhoben werden. Dritter Abschnitt Übergangsvorschriften § 84 Die §§ 1303 bis 1352, 1564 bis 1587, 1608 Abs. 2 und die §§ 1635 bis 1637, 1699 bis 1704, 1771 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Artikel II §§ 1 und 2 des Gesetzes gegen Mißbräuche bei der Eheschließung und der Annahme an Kindes Statt vom 23. November 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 979) und Art. 1 des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12. April 1938 (Reichsgesetzbl. I S. 380) treten außer Kraft, soweit sich nicht aus den folgenden Vorschriften etwas anderes ergibt. § 85 (nicht abgedruckt) § 86 (1) Ob eine vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossene Ehe nichtig ist, bestimmt sich nach den bisherigen Vorschriften. Soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes abweichend von den bisherigen Vorschriften die Nichtigkeit einer dem Verbot der Schwägerschaft zuwider geschlossenen Ehe durch nachträgliche Befreiung von dem Eheverbot geheilt werden kann, gilt dies auch für eine Ehe, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen ist. (2) Eine Ehe, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen ist, der Frau den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen, kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes für nichtig erklärt werden, wenn die Ehe nach dem 8. November 1918 geschlossen ist. Die Nichtigkeitsklage und die Klage auf Feststellung der Unehelichkeit eines Kindes aus einer solchen Ehe können nur binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erhoben werden.

364

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

§§ 87 bis 98 (nicht abgedruckt)

Gesetz Nr. 16 Ehegesetz1 Erster Abschnitt Recht der Eheschließung B. Eheverbote §4 Verwandtschaft und Schwägerschaft 1. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie, gleichgültig, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder auf unehelicher Geburt beruht. 2. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat. 3. Von dem Eheverbot der Schwägerschaft kann Befreiung erteilt werden. §5 Doppelehe (nicht abgedruckt) §6 Ehebruch (nicht abgedruckt) §7 Annahme an Kindes Statt Eine Ehe soll nicht geschlossen werden zwischen einem angenommenen Kinde und seinen Abkömmlingen einerseits und dem Annehmenden andererseits, solange das durch die Annahme begründete Rechtsverhältnis besteht. §8 Wartezeit (nicht abgedruckt)

1

Es handelt sich hierbei um das Kontrollratsgesetz Nr. 16 vom 20. Februar 1946.

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

365

§9 Auseinandersetzungszeugnis des Vormundschaftsrichters (nicht abgedruckt) § 10 Ehefähigkeitszeugnis für Ausländer (nicht abgedruckt) D. Nichtigkeit der Ehe I. Nichtigkeitsgründe § 16 Eine Ehe ist nur in den Fällen nichtig, in denen dies in §§ 17 bis 22 dieses Gesetzes bestimmt ist. § 17 Mangel der Form (nicht abgedruckt) § 18 Mangel der Geschäfts- oder Urteilsfähigkeit (nicht abgedruckt) § 19 Namensehe (nicht abgedruckt) § 20 Doppelehe (nicht abgedruckt) § 21 Verwandtschaft und Schwägerschaft 1. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie zwischen Verwandten oder Verschwägerten dem Verbote des § 4 zuwider geschlossen worden ist. 2. Die Ehe zwischen Verschwägerten ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Befreiung nach Maßgabe der Vorschrift des § 4 Absatz 3 nachträglich bewilligt wird. § 22 Ehebruch (nicht abgedruckt)

366

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

II. Berufung auf die Nichtigkeit § 23 Niemand kann sich auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. § 24 Klagebefugnis 1. In den Fällen der Nichtigkeit kann der Staatsanwalt und jeder der Ehegatten, im Falle des § 20 auch der Ehegatte der früheren Ehe, die Nichtigkeitsklage erheben. Ist die Ehe aufgelöst, so kann nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben. 2. Sind beide Ehegatten verstorben, so kann eine Nichtigkeitsklage nicht mehr erhoben werden.

Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung. Vom 24. November 1955 I. Die Eheschließung §1 Ehemündigkeit (nicht abgedruckt) §2 Form der Eheschließung (nicht abgedruckt) §3 Eheverbote Eine Ehe darf nicht schließen: 1. wer schon verheiratet ist; 2. wer mit dem anderen in gerader Linie verwandt oder dessen Bruder, Schwester, Halbbruder oder Halbschwester ist; 3. wer den anderen an Kindes Statt angenommen hat; 4. wer wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder Trunksucht entmündigt ist; von diesem Verbot kann in Ausnahmefällen der Rat des Bezirkes Befreiung erteilen. II. Auflösung der Ehe §4 Auflösung der Ehe durch Todeserklärung (nicht abgedruckt)

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

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§5 Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung (nicht abgedruckt) Nichtigkeit der Ehe §6 (1) Eine Ehe ist nichtig, wenn sie entgegen einem Eheverbot geschlossen worden ist. (2) Die Nichtigkeit kann nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Die Klage kann erhoben werden: 1. vom Staatsanwalt, 2. von jedem der Ehegatten, 3. im Falle des § 3 Ziff. 1 auch von dem Ehegatten der früheren Ehe. (3) Ist die Ehe durch den Tod eine Ehegatten oder aus einem anderen Grunde bereits aufgelöst, so kann nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben oder das Verfahren fortsetzen. §7 (nicht abgedruckt)

Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik. Vom 20. Dezember 1965 Zweiter Teil Die Ehe Erstes Kapitel Eheschließung und Familiengemeinschaft Erster Abschnitt Die Eheschließung §5 Grundsatz (nicht abgedruckt) §6 Form der Eheschließung (nicht abgedruckt)

368

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

§7 Familienname (nicht abgedruckt) §8 Eheverbote Eine Ehe darf nicht schließen: 1. wer schon verheiratet ist, 2. wer mit dem anderen in gerader Linie verwandt oder dessen Bruder, Schwester, Halbbruder oder Halbschwester ist, 3. wer mit dem anderen in einem durch die Annahme an Kindes Statt begründeten Eltern-Kind-Verhältnis steht, 4. wer entmündigt ist. Zweites Kapitel Die Beendigung der Ehe Zweiter Abschnitt Feststellung der Nichtigkeit der Ehe § 35 Gründe und Geltendmachung der Nichtigkeit (1) Eine Ehe ist nichtig, wenn sie entgegen einem Eheverbot (§ 8) geschlossen worden ist. (2) Die Nichtigkeit kann nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Die Klage kann vom Staatsanwalt, von jedem der Ehegatten und im Falle der Doppelehe (§ 8 Ziff. 1) auch von dem Ehegatten der früheren Ehe erhoben werden. (3) Ist die Ehe durch den Tod eines Ehegatten oder aus einem anderen Grunde bereits beendet, kann nur der Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage erheben oder das Verfahren fortsetzen. § 36 Folgen der Nichtigkeit (nicht abgedruckt)

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

369

Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG) Vom 4. Mai 1998 (BGBl. I 1998, S. 833) Artikel 1 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Das Bürgerliche Gesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 400-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666), wird wie folgt geändert: 1. (nicht abgedruckt) 2. Im Ersten Abschnitt des Vierten Buches werden der Zweite, Dritte und Vierte Titel wie folgt gefaßt: Zweiter Titel Eingehung der Ehe I. Ehefähigkeit (nicht abgedruckt) II. Eheverbote § 1306 (nicht abgedruckt) § 1307 Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern. Dies gilt auch, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist. § 1308 (1) Eine Ehe soll nicht geschlossen werden zwischen Personen, deren Verwandtschaft im Sinne des § 1307 durch Annahme als Kind begründet worden ist. Dies gilt nicht, wenn das Annahmeverhältnis aufgelöst worden ist. (2) Das Familiengericht kann auf Antrag von dieser Vorschrift Befreiung erteilen, wenn zwischen dem Antragsteller und seinem künftigen Ehegatten durch die Annahme als Kind eine Verwandtschaft in der Seitenlinie begründet worden ist. Die Befreiung soll versagt werden, wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstehen. III. Ehefähigkeitszeugnis (nicht abgedruckt)

370

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

IV. Eheschließung (nicht abgedruckt) Dritter Titel Aufhebung der Ehe § 1313 Eine Ehe kann nur durch gerichtliches Urteil auf Antrag aufgehoben werden. Die Ehe ist mit der Rechtskraft des Urteils aufgelöst. Die Voraussetzungen, unter denen die Aufhebung begehrt werden kann, ergeben sich aus den folgenden Vorschriften. § 1314 (1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie entgegen den Vorschriften der §§ 1303, 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen worden ist. (2) Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn 1. ein Ehegatte sich bei der Eheschließung im Zustande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand; 2. ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewußt hat, daß es sich um eine Eheschließung handelt; 3. ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten; dies gilt nicht, wenn die Täuschung Vermögensverhältnisse betrifft oder von einem Dritten ohne Wissen des anderen Ehegatten verübt worden ist; 4. ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist; 5. beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, daß sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen. § 1315 (nicht abgedruckt) § 1316 (1) Antragsberechtigt 1. sind bei Verstoß gegen die §§ 1303, 1304, 1306, 1307, 1311 sowie in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 und 5 jeder Ehegatte, die zuständige Verwaltungsbehörde und in den Fällen des § 1306 auch die dritte Person. Die zuständige Verwaltungsbehörde wird durch Rechtsverordnung der Landesregierungen bestimmt. Die Landesregierungen können die Ermächtigung nach Satz 2 durch Rechtsverordnung auf die zuständigen obersten Landesbehörden übertragen; 2. in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 der dort genannte Ehegatte.

Anhang: Gesetzestexte (auszugsweise)

371

(2) Der Antrag kann für einen geschäftsunfähigen Ehegatten nur von seinem gesetzlichen Vertreter gestellt werden. In den übrigen Fällen kann ein minderjähriger Ehegatte den Antrag nur selbst stellen; er bedarf dazu nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. (3) Bei Verstoß gegen die §§ 1304, 1306, 1307 sowie in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 und 5 soll die zuständige Verwaltungsbehörde den Antrag stellen, wenn nicht die Aufhebung der Ehe für einen Ehegatten oder für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder eine so schwere Härte darstellen würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. §§ 1317 und 1318 (nicht abgedruckt)

Literaturverzeichnis Achilles, Alexander Georg/Spahn, Peter/Gebhard, Albert (Bearb.): Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Band IV. Familienrecht (zitiert: Achilles/Spahn/Gebhard, Bd. 4) Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten in seiner jetzigen Gestalt. Ausgabe mit Anmerkungen von Paul Landé, Berlin 1882 (zitiert: Landé, Preußisches Landrecht) Ansorg, Linda: Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, abgedruckt in: Neue Justiz. Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1954, S. 370 (zitiert: Ansorg, NJ 1954) Arlt, Reiner/Stiller, Gerhard: Entwicklung der sozialistischen Rechtsordnung in der DDR, Berlin 1973 (zitiert: Arlt/Stiller) Autorenkollektiv: Staats- und Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, 1. Auflage, Berlin 1983 (zitiert: Autorenkollektiv, Staats- und Rechtsgeschichte) Autorenkollektiv unter Leitung von Prof. Dr. Anita Grandke: Familienrecht. Lehrbuch, 3., überarbeitete Auflage, Berlin 1981 (zitiert: Autorenkollektiv, Familienrecht) Baltl, Hermann: Österreichische Rechtsgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 3. Auflage, Graz 1977 (zitiert: Baltl) Bärsch, Claus-Ekkehard: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, 2., vollständig überarbeitete Auflage, München 2002 (zitiert: Bärsch) Bartels, Eduard: Ehe und Verlöbniß nach gemeinem und particulärem Rechte in der Provinz Hannover, Hannover 1871 (zitiert: Bartels) Beitzke, Günther: Familienrecht. Ein Studienbuch, 1.Auflage, München 1947 (zitiert: Beitzke (1. Aufl.)) Beitzke, Günther: Familienrecht. Ein Studienbuch, 2., durchgesehene Auflage, München 1948 (zitiert: Beitzke (2. Aufl.)) Beitzke, Günther: Familienrecht. Ein Studienbuch, 16., ergänzte Auflage, München 1972 (zitiert: Beitzke (16. Aufl.)) Beitzke, Günther: Zum Ehegesetz vom 20.2.1946, abgedruckt in: Deutsche Rechts-Zeitschrift 1946, S. 136 (zitiert: Beitzke, DRZ 1946) Benjamin, Hilde: Die Kontinuität in der Entwicklung des Familienrechts der Deutschen Demokratischen Republik, abgedruckt in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 1966, S. 731 (zitiert: Benjamin, WZHU GSR 1966)

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Band I: Aachen Geistliche Bank, 2. Auflage, Berlin 2008, Sp. 332 ff. (zitiert: Simon, HRG Bd. 1) Sprengler-Ruppenthal, Anneliese: Gesammelte Aufsätze. Zu den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2004 (zitiert: Sprengler-Ruppenthal) J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen. Buch 4. Familienrecht. Einleitung zum Familienrecht; §§ 1297– 1352; Anhang zu §§ 1297 ff. (Verlöbnis, Eheschließung, Aufhebung, Faktische Lebensgemeinschaft), Neubearbeitung 2018, Berlin (zitiert: Staudinger/Bearbeiter) Steiniger, Alfons: Zur Systematik des Rechts der antifaschistisch-demokratischen Ordnung, abgedruckt in: Neue Justiz. Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1951, S. 158 (zitiert: Steiniger, NJ 1951) Strohm, Christoph: Die Kirchen im Dritten Reich, München 2011 (zitiert: Strohm) Thomas, Stefan: Das Programm der SED. Das erste Programm der SED. Das vierte Statut der SED. Das nationale Dokument, Köln 1963 (zitiert: Thomas) Tille, Alexander: Volksdienst. Von einem Sozialaristokraten. Berlin/Leipzig, 1893 (zitiert: Tille, Volksdienst) Tille, Alexander: Von Darwin bis Nietzsche. Ein Buch Entwicklungsethik. Leipzig 1895 (zitiert: Tille, Von Darwin bis Nietzsche) Tormin, Walter: Geschichte der deutschen Parteien seit 1848; 3. Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1968 (zitiert: Tormin) Ubl, Karl: Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300– 1100), Berlin/New York 2008 (zitiert: Ubl) Verfasserkollektiv: Das Familienrecht der DDR. Kommentar zum Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1965 und zum Einführungsgesetz zum Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1965, 4., überarbeitete Auflage, Berlin 1973 (zitiert: Verfasserkollektiv, Das Familienrecht der DDR) Vondung, Klaus: Deutsche Wege zur Erlösung. Formen des Religiösen im Nationalsozialismus, Paderborn/München 2013 (zitiert: Vondung) Wagner, Eberhard: 100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch – Ein Überblick zu Entstehung, Grundlagen und Entwicklung des BGB, in: Jura – Juristische Ausbildung 1999, S. 505 (zitiert: Wagner, Jura 1999) Weinzierl-Fischer, Erika: Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933, Wien/ München 1960 (zitiert: Weinzierl-Fischer) Willoweit, Dietmar/Schlinker, Steffen: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 8., überarbeitete und wiederum erweiterte Auflage, München 2019 (zitiert: Willoweit/Schlinker) Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Erster Band: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, 4., durchgesehene Auflage, München 2002 (zitiert: Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1)

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Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, 5., durchgesehene Auflage, München 2010 (zitiert: Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2) Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, 4. Auflage, München 2015 (zitiert: Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 1) Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945, 2., überarbeitete Auflage, München 2015 (zitiert: Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 2) Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall, 2. Auflage, München 2015 (zitiert: Winkler, Geschichte des Westens, Bd. 3) Wippermann, Wolfgang: Der konsequente Wahn. Ideologie und Politik Adolf Hitlers, Gütersloh/München 1989 (zitiert: Wippermann) Wippermann, Wolfgang: Ideologie, in: Benz, Wolfgang/Graml, Hermann/Weiß, Hermann (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 3., korrigierte Auflage, Stuttgart 1998, S. 11 (zitiert: Wippermann, in: Benz/Graml/Weiß (3. Aufl.)) Wüstenberg, Kurt/Scheffler, Georg (Bearb.): Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, IV. Band, 3. Teil, 10./11. Auflage, Berlin 1968 (zitiert: BGB-RGRK, Bd. 4, Teil 3) Zachariä von Lingenthal, Karl Salomo/Crome, Carl: Handbuch des Französischen Civilrechts. Dritter Band, 8. Auflage, Freiburg im Breisgau 1895 (zitiert: Zachariä von Lingenthal/Crome, Bd. 3) Zedlitz-Trützschler, Robert von: Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof, Berlin/Leipzig 1924 (zitiert: Zedlitz-Trützschler) Zusammenstellung der gutachtlichen Aeußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamt. Band IV. Aeußerungen zum Familienrecht, Neudruck der Ausgabe 1890, Osnabrück 1967 (zitiert: Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, Bd. 4)

Stichwortverzeichnis Adoptivverwandtschaft 20, 24, 26, 44, 80, 81, 92, 93, 95, 115, 116, 118, 124, 126, 130, 131, 136, 137, 143, 144, 146, 148, 149, 169, 172, 180, 214, 242, 256, 261, 263, 264, 269, 307, 308, 314, 345, 352 Anfechtbarkeit/anfechtbar 102, 110, 111, 121, 123, 127, 135, 137, 139, 143, 146, 148, 151, 171, 174, 180, 281–283, 316 Aufhebbarkeit/aufhebbar 19, 264, 317, 320, 327–329 Bundesrepublik Deutschland 20, 21, 100, 249, 269, 271, 272, 277, 279, 281, 285, 296, 301, 303 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 19, 20, 22, 46, 77, 101–106, 109, 118–122, 131, 137–139, 147, 149, 153–156, 158, 160–162, 164, 166–169, 174–178, 180, 182, 184–188, 191, 196–203, 205, 207, 209–212, 214–216, 218, 220–222, 229, 239, 241, 243, 250, 256, 264, 273, 275–279, 281, 283, 284, 287, 288, 295, 303, 308, 309, 313, 314, 317–321, 328, 329, 334, 335, 338, 342, 344, 345, 348, 350–355 Deutsche Demokratische Republik (DDR) 20, 249–265, 267–272, 276, 277, 303, 304 Deutsches Reich 60, 99, 101, 102, 197, 213 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) 286 Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (FGB) 252, 259, 260, 263, 265, 267, 269, 270

Geschlechtsgemeinschaft 19, 20, 26, 30, 45, 80, 99, 101–103, 113, 118, 140, 141, 149–153, 165–169, 171–173, 180, 182, 188, 189, 194, 195, 197, 202, 203, 206, 209–212, 218–223, 225, 229, 230, 236, 238–249, 254, 263–265, 268, 269, 272–277, 279–283, 286–304, 309, 310, 314, 316, 325, 340, 342, 354 Gesetz Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates (Ehegesetz 1946) 242, 243, 245–248, 258, 274–276, 279, 288, 290, 293, 296, 297, 299, 301–303, 305, 306, 309, 311, 312, 315–317, 321, 328 Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) 305, 307 Gesetz über die rechtliche Stellung der nicht-ehelichen Kinder 283 Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz – EheschlRG) 20, 272, 308, 309, 320, 322–325, 327, 329–331, 348–350, 353, 354 Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet (Ehegesetz 1938) 211–214, 218–221, 229, 238–240, 242– 244, 246, 249, 274 Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz (FamRÄndG) 280, 281, 291, 293, 294, 315 Nichtigkeit/nichtig 24, 38, 39, 41, 52, 59, 61–63, 65–69, 77, 80, 92–96, 102, 110, 111, 113–117, 121, 123, 125, 127, 129–131, 133, 135–137, 139, 143–146, 148, 150–152, 165, 170–174, 180–182, 207, 208, 212, 214, 215, 219, 221, 242,

388

Stichwortverzeichnis

243, 246, 257–260, 273, 282, 294, 301, 307, 308, 314, 317, 318, 320, 327–330, 348 Reichspersonenstandsgesetz (RPStG) 20, 46, 47, 49, 53, 57, 75, 91–93, 95–97, 99–102, 106, 112–115, 119–122, 124, 126, 132, 139–143, 147, 149, 152, 153, 161–164, 167, 168, 180, 183, 185, 186, 188, 191, 193, 197–199, 203, 230, 239, 303, 349 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB)/Strafgesetzbuch (StGB) 19, 21, 22, 59, 112, 113, 115, 167, 210, 321, 328, 329, 332, 337, 338, 344, 346, 347, 350 Schwägerschaft 19–21, 24, 26, 28–30, 35–39, 41, 45, 52, 57, 72, 75, 77, 79, 81, 84, 92–96, 99–102, 106, 109–115, 123–125, 128–133, 135–137, 140–142, 144, 145, 147, 148, 150–153, 157, 158, 165, 170, 172, 174, 180–183, 189–191, 193, 196, 205, 208, 210, 212, 213, 215–223, 225, 229, 230, 236, 240–244, 246–249, 254, 256, 258, 263–265, 268,

269, 272–277, 279–283, 287, 289, 291–295, 300, 303–305, 307–317, 319, 320, 322–327, 331, 336, 340, 342, 348–350, 354 Ungültigkeit/ungültig 37–39, 41, 42, 62, 63, 80, 92–94, 111, 114, 117, 119, 121, 123, 128–133, 135, 137, 141, 143, 144, 146, 150–152, 166, 169–171, 214, 316 Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung 258 Verwandtschaft 19–22, 24, 26, 28–30, 35, 36, 38, 39, 41, 43–46, 52, 57, 72, 75, 77, 79, 81, 83, 85, 89, 92–96, 99, 101, 102, 106, 109–113, 115, 116, 118, 123–125, 128–133, 135–137, 140, 142, 144, 145, 147–149, 153, 157, 158, 165–167, 169, 170, 172, 174, 180–183, 189–191, 193–196, 205, 208, 212–215, 217, 220, 221, 223, 242, 243, 248, 249, 254, 257, 261–263, 272–277, 279–281, 283, 284, 299, 300, 303, 305–310, 314, 315, 317, 319, 320, 323, 329, 331, 332, 334–338, 340–350, 352–355