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German Pages 355 [360] Year 1815
D i e
Harfe
Herausgegeben von
Friedrich
Kind.
Erstes -Bändchen.
Leipzig bei Georg Joachim Göschen i8i5-
Inhalt.
Zueignung. I. Treu bis zum Tode. Erzählung von Caroline Fouque'. S. 7 II. Des Dichters Sommernacht.
Caprice
von $. Kind.
— 53
in. Drei Tage am Gestad der Weichsel und des Dnieper. Don F. Krug von Nidda.
—73
IV. DerNormann auf Lesbos. Eine Aben-
teure. Von F. Fouque'. V. Reisescenen und Bemerkungen. St. Schütze.
— ioz Von
H
VI. Der Solitair. Erzählung von F. Lau n. S. 233 VII. Die Versöhnung im Taubenschtage. Erzählung von K. G. Präyel.
♦
— 261
VIII. Romanzen. Graf Waldenburg, der Brave. Dorr K. W. Justi. Alzire.
.
— 283
Von K. G. Prätzel.
— 293
IX. Das Bild der Laura, und Jacob Fabers Testament. blättern.
Aus Oscar's Denk
.
.
,
— 299
X. Gedichte.
Ihrer Kaisert. Hoheit der Frau Groß fürstin Katharina. Von G. A. H. Gramberg» Gottes Gerichte. Kosackenklage
♦
.
— 315
Von T h. H e l l.
über
Alexanders
— 318 von
Blomberg Tod. Don F. Fouque'. ~ 322
DesKofackenHeimritt. Von Demsel ben.
.
.
.
— 324
m Des Kriegers Braut.
Don Louise
B r a ch m a n n.
.
S. 326
Die Einsiedler-Familie. Von F.Kjttk — 328 Treue gegen sich selbst. Schütze.
Von St.
.
.
—331
An Novalis. Don Messerschmid. —335 An meines Kindes Grabe. Von Ernst von Houwald.
.
— 336
Der Mensch und dieDam 0 ne n. Don G. A. H. Gramberg. Die Erscheinung. s ch m i d.
Von
— 338 Messer-
.
.
Adele. Von Haug.
— 341
.
— 343
An Frau Professorin SchützKarl-Reinhard.
Don
♦
—344
Phantasie. Von L. Brachmann. Das Mädchen und die Hasel. Haug.
.
.
Zimmerweihe. Don Th. Hell.
— 345
Don — 346 — 348
DorinderiS Bildniß. Von KarlReinhard. ♦ . S. 350 Das Nachtlicht. Von Messer schmtd. — 350 Louisens Augen. Von H a u g.
— 351
Der freie Geber. Don St. S ch ü h e. — 351
D i e
Harfe.
Die Harfe klingt; heran, heran, Wer offnen Herzens ist. Und auf der ird'schcn Pilgerbahn Der Heimath nicht vergißt!
Die Harfe lockt; sie möchte gern Ergötzen und erfreun. Wie Morgenltcht aus schönerm Stern Des Kummers Nacht zerstreu'».
Kommt, deutsche Brüder, kommt herlbei, Hieher in Waldesruh'; Hört, holde Schwestern, sanft und treu, Uns stillgefälllg zu.
Viel Harfner werden nah'n und geh'n, Wol manche Harfnerin, Euch kund zu thun, was sie gesehn Mit hellem Aug' und Sinn;
WaS sie gesehn in Wirklichkeit, Zur tief bewegten Geist, WaS sich in alt und neuer Zeit Des Ruhmes werth erweist;
Was sie, die Harfe in der Hand, Auf fernem Pfad erblickt, Und was im schönen Vaterland Deseellgt und erquickt;
Den zarten Reiz, die edle Kraft, Zn Hütten, wie am Thron; Die Schrecken roher Leidenschaft, Der Tugend stillen Lohn;
Des Hirtenlebens fromme Lust, Und Schlachten grau- und wild, Stillleben aus der eignen Brust, Verklärter Brüder Bild.
Und Einer nimmt bas Saitenspiel Dem Andern auö der Hand, Und jauchzt mit regem Mitgefühl, Wenn Jener Ehre fand.
0, schenkt dem freundlichen Verein, Ihr Edlen, Eure Gunst, Und folgt uns gern zum heil'gen Hain Der ewig heitern Kunst.
I.
Treu
b i s
zum
Tode.
Erzählung von
Caroline Fouque.
Der Wald war kühl, der Morgen frisch und anmuchtg,
Prinz Max ritt
auf schlankem,
feingetiegertetn Schimmel lustig unter der grü nen Wölbung an zierlichen Landhäusern und Gärten hin. zurücklaufend,
Seine Doggen, bald vor, bald schnupperten geschäftig umher,
schössen, dann pfeilschnell, die schmalen rothen Zungen jächelnd herausgestreckt, zu ihrem Herrn zurück, sprangen an ihn auf und leckten ihm die neckend hingehaltene Hand. Spähen, der schnelle
Blick, der
Das kluge Glieder ge
schmeidiges Spiel, alles ergöhtr den Prinzen an den Thieren.
Er begleitete mit ungemei
ner Freude ihre kreuhenden Sähe, und lachte laut über die stürmische, oft ungestüme Zärt lichkeit seiner Lieblinge. Er hatte vor wenigen Tagen mit seinen Truppen
die nahe Seestadt bezogen.
Da-
IO reiche Leben dort schien
seinem verlangenden
Herzen entgegenzukommen.
Er war vergnügt
und sah mit hellem Sinn und frischem Ju gendmuth in die thatenreiche Zukunft hinein. Wie er nun so munter forttrabte, einen kecken,
freudigen Reotermarsch vor sich
summend,
bog ein offner Wagen,
hin
von vier
hellbraunen Pferden gezogen, rasch aus einer Seitenallee ihm entgegen. dem Prinzen auf.
Die Pferde fielen
Sie waren von außeror
dentlich schönem Bau und sichtlich ausländi scher Statt.
Er hielt an, um sie an sich vor
beilassend genauer betrachten zu können, die- lachende Freudigkeit weicher,
als
jugendlicher
Stimmen aus dem Innern des Wagens seine Aufmerksamkeit mindestens theilte. Zwei verschleierte Frauen redeten mit anmuthtger
Lebhaftigkeit sehr eifrig
in
Englischer
Sprache mit einander, ohne den Prinzen zu beachten., der sich Vergehens bemührte, etwas mehr,
als
die verhüllten Umrisse
zu sehen.
Tracht wie Umgebungen vereinigten auf eigene Weise
Englische
Einfachheit
mit
Indischem
Glanz, und seltsam, wie ein dunkler Schatten, ragte ein hoher, breitschultriger Mohr von dem Lakaienbret über die hübschen Frauenbilder her-' über. Der Prinz wandte endlich sein Pferd, als fle schon eine Strecke an ihn, vorbei waren,doch die Augen flogen von Zelt zu Zelt unwillkührlich zurück, den empfangenen Eindruck zu sammeln oder das Fehlende zn ergänzen. Er schickte so eben einen letzten Blick hinüber, als ein herabhangender Lindenzweig, den Schleier der einen Dame fassend, ihn hoch in die Luft schnellte. Der gewandte, schnellfüßige Schim mel trug den Prinzen im Fluge zu dem Baum; er haschte die luftige Hülle, trabte zum Wa gen, und überreichte sie der entschleierten Un bekannten, die unter glühendem Erröthen die duirkeln, ernsten, und doch unbeschreiblich lin den Blicke senkte. Ein angenehmer Schauer übergoß den Prinzen, als diese Blicke dankend zu ihm aufsahen, und eine rührend sanfte Stimme ein paar deutsche, verbindliche Worte stammelte.
Als zu
der Anstand ihm endlich gebot,
entfernen,
und
er,
sich
ehrerbietig grüßend,
langsam umwandte, hörte er eS leise im Wagen flüstern r
„ Der Prinz,
Prinzi"
Es
chelndes in
gewiß eS war
der
lag etwas unendlich .Schmei
diesem leisen, geheimen Erkennen,
da weder Umgebungen, noch äußere Auszeich nung, seinen Rang verriethen.
Mit halbem
Lächeln sah Prinz Max sein altes gutes Glück auch hier wieder auf sich zukommen, und ihm ungesucht ein angenehmes Abenteuer bereiten. Gleichwol war etwas in den schönen, wun derbaren Augen,
was ihm doch eine kleine
Scheu
und seinen Muth um ein
einflößte,
Bedeutendes schwächte.
Er ward unwillkühr«
lich ernster, und kam sogar verstimmt und verdrüßlich in seine Wohnung zurück. Die Unmöglichkeit, in diesem Sammelplatz verschiedenartigster
Nationalität
eine
Fremde
auszumitteln, fiel ihm schwer aufs Herz.
Er
fühlte eS, der Zufall konnte hier allein einen Ausweg bahnen,
und der Zufall schien ihm
zum erstenmale mißlich und unsicher.
Er saß noch grübelnd da, als seine Hunde, ihrer unartigen Gewohnheit gemäß, in den seidenen Sophaküffen wühlend, einen kleinen Zettel herauswarfen, der zwischen den Polstern steckte. Das Unbedeutendste, wenn es plötzlich aus der Verborgenheit heraustritt, reitzt und lockt unsre Sinne. Der Prinz bückte sich um willkührltch nach dem Papier. Es war ein unvollendeter Brief, vielleicht wegen irgend einer mißlungenen Stelle ungeduldig in die Dunkelheit verwiesen. Er war in Englischer Sprache geschrieben, und warf Len Prinzen vollends in ein Meer von Muthmaßungen, als er las, wie die Inhaberin dieses Hauses einer Freundin klagte, die Stadt auf mehrere Zeit verlassen zu müssen, indem der comman« dlrende Prinz ihre Wohnung beziehe, und sie nicht mitten in dem Tumulte soldatischen Un wesens zugleich darin wohne» könne. Er hatte den Zettel vor sich hingelegt, und say bald auf die schönen, wenn gleich etwakühn hingeworfenen Schriftzüge, bald auf dle Verzierungen und das Geräth des Zimmers.
Er suchte die äußere Bestätigung dessen, waS er im Innern nicht umhin konnte zu -denken. Denn wie der Verstand auch das allzurasche Folgern und Verknüpfen der Phantasie tadelte, er sah,
er empfand die Unbekannte überall.
Die Umgebungen übten mehr und mehr einen bestechlichen Zauber über ihn, und als er von ungefähr einen Blick auf den Spiegel warf, war
ihm
nicht
anders,
als sehe ihm das
liebe schöne Bild aus reichem Goldrahmen ent gegen. Er sprang beklommen auf, ging einigemal mit großen Schritten durch die geöffnete Zim merreihe, trat zu einem Fortepiano, und schlug, vielleicht sich selbst zu entgehen, ein paar volle, in einander rauschende Tine an.
Doch die
Klänge rissen vollends in seinem Innern.
Die
Augen, die Seele der Unbekannten schienen sich aufzmhun; ein Schauer, wie bei ihrem schüch tern dankenden Blick, überflog ihn; er setzte sich träumend auf das Sopha nieder,
und,
die erhitzte Wange unter schnelleren Herzschlä gen in die weichen Kissen gedrückt, glaubte er
die berauschende Nähe des schömen WeibeS zu empfinden. Sehr frostig und unbequem fuhr der eintre tende Adjuvant mit einem paar unbedeutenden Meldungen durch das luftige Traumnetz.
Der
Prinz antwortete schnell und kurz, und fragte dann mit ungewisser Stimme: nicht,
wem dies Haus gehört?
„Wissen Sie wessem Ge
schmack und feinem Sinn ich all' die Bequem lichkeit verdanke?"
Jener entgegnen:
„So
viel ich weiß, einer reichen Crcolin, die, in In dien an einen Engländer verheirathet, nach des sen Tode in die Geburtsstadt ihres Vaters zu rückkehrte, und der Heimalh einen Theil ihrer Schätze zukommen läßt." „Und wir haben sie vertrieben!" rief der Prinz in freudiger Ell. nung verlassen. seyn?
„Sie hat ihre Woh
Wohin mag sie nur geflüchtet
Ich hoffe, nicht nach Indien zurück!"
— „So weit," erwiederte der Adjudant lä chelnd, „hat sie ihre Scheu vor den fremden Truppen bet alledem nicht geführt.
Sie ist
ganz nahe von hier, in einem Landhause vor
l6 der Stadt." — „Sie wußten" — ? unter brach ihn der Prinz, „und avertirten mich nicht. Sie (legen- mich drei Tage hier behag lich rasten, ohne meine gütige Wirthin aufge sucht zu haben? wie ungalant i Eilen wir nun, das Geschehene wieder gut zu machen. Noch diesen Nachmittag reiten wir hinaus! “ Es dunkelte schon; der Prinz schien seine Wünsche absichtlich bezähmen zu wollen. Viel leicht kämpfte er noch, vielleicht auch empfand er jene Scheu, die uns wol befällt, wenn die Wirklichkeit entscheidend nahe tritt. Ein Zwei fel nach dem andern stieg in ihm auf; er ward ganz unsicher, und sprengte endlich in einer Art von unmuthigem Trotz mit seinem Gefolge nach dem Wäldchen zu, das ihm feit diesem Morgen «in Heer neckender Traumbilder nachschickte. ES war gleichwol ein Trost, daß der Dame Landsitz grabe hier hinaus lag, und leise blitzte die Hoffnung wieder auf, als der Weg grade, zu der Allee hinein bog, aus welcher heut der Wagen kam. Der Prinz bemerkte unter stäe, kerm Herzklopfen, daß die frischen Geleise lisch
nach einem Etsengatter wiesen, dessen weile Pforten gastlich offen standen. Unmuthig wogten balsamische Düfte von bort herüber; auf schlanken Pfeilern, in hohen Vasen glüheten die brennenden Trvpengewächse ihr Dlütenlicht in die dunkelnde Nacht hin» ein. Ein MarmorhauS mit flachem Dach, ringsum auf weißen Säulen ruhend, sah fremd und lockend durch den ernsten Eich » und Bu chenwald. „Hier ist der Dame Wohnsitz," sagte der Adjudanl. Der Prinz hielt tiefath mend still. Ein vorausgeschickter Zokei kam eilig zurückgesprengt. „Cw. Durchlaucht wer den erwartet, “ rief er schon von weitem. Der Prinz war Augenblicks vom Pferde. Er ging zwischen hohen Dlumenwänden an seltsamen Thiergestalten hin, die in gclbnem Käfich un ter fremden Sträuchern der Heimath Düfte einathmeten. An Zauberei und Feenmärchen denkend trat der Prinz in eine» hellen, hei tern Saal, dessen Flügelthür zwei wunderliche Schwarze öffneten. Line ältliche, starkbeleibte Fra« erhob fich Dlc H-rf«. [.
Ift behaglich lächelnd von ihrem Sitz, halb
stolz,
Sicherheit
halb geschmeichelt, dem
Prinzen
und ging
in gnügltcher
entgegen.
wußte nicht, was er sahe;
Dieser
die Worte erstar-
ben Ihm im Munde.. Doch bald sich selbst in seinen
phantastischen Träumereien
auslachend,
sagte er mlt leichtfertigem Blick auf die breite Figur der Dame:
„Ich
stehe beschämt vor
Ihnen, und eile, einen Irrthum
abzubüßen,
der mich sehr ungeschickt erscheinen läßt.
Erst
seil wenig Augenblicken weiß ich, wem ich die reizende Wohnung verdanke, und daß es Ihre Güte war, brachte.
die mir ein unverdientes Opfer
Sie werden es verzeihen, wenn ich
nicht stüher meine Schuldigkeit beobachtete." Die Dame verneigte sich
tief und langsam,
nöthigte den Prinzen, an ihrer Seite auf dem Divan Platz zu nehmen, und hub dann nach einem kleinen Husten selbstzufrieden an: „Wahr ist eS,
recht
prachtvoll
und kostbar ist das
Quartier von Ihro Durchlaucht;
Kaiser und
Könige dürften sich nicht schämen drin zu woh nen, und wenn der KriegSwechfel unsre Stadt
noch lange so in Mitten der Truppenbewegun gen erhält, wird meine Nichike noch oft daS Ihre mit dem Rücken ansehen müssen-" Der Prinz ward aufmerksam. „Ihre Nichte?" wiederholte er. „Ja," entgegnete jene, „An tonie Moray, meines Bruders einzige Er bin.- Ihr gehört der schöne Landsitz hier, wie baS Haus in der Stadt. Das liebe Kind wird es bedauern, so gnädigen Besuch ver säumt zu haben." Ihre Blicke glitten hier verbindlich blinzelnd an dem Prinzen hin, der höchst gespannt jedes ihrer Worte beachtete." „Doch," fuhr sie sott, „denke ich, die Ehre sei uns nicht zum letztenmal gegönnt, und ln wenigen Tagen erwarte ich meine Nichte von einer kleinen Reise über Land zurück." „Es scheint," sagte der Prinz mit steigen der Unruhe, „meine Gegenwart vertreibt die schöne Antonie noch ganz von hier. Sie hätte mehr Vertrauen zu der ehrerbietigen Bescheidenheit eines Deutschen Feldherrn hegen sollen. Ihre Gegenwart würde mehr, als Alles, Ordnung «nd Sitte in ihrer Wohnung erhalten haben.
Ich Cin in Verzweiflung, sie daraus gSbannt zu haben. Zch bitte, sagen Sie ihr da« Madame, so wir, daß ich den Augenblick kaum erwarten könne, ihr meine Verehrung zu bezeigen." Er war aufgestanden, und im Begriff, den zwecklosen Besuch zu enden, als er unversehend in einer Nische das Bild der Unbekannten erblickte. „Ha!" rief er, „das ist sie." Die Tante sagte mit beifälligem Lächeln: „Ew. Durchlaucht Vermuthung trifft zu; es ist wirk lich -meiner Nichte Bild." Der Prinz stand wie bezaubert. Des Orients Gluten, schien es, schlugen über ihm zusammen. ES war nicht anders, als werde die Seele dieser Augen lebendig vor seinem Blick. Halb träumend riß er sich endlich so«, grüßte flüchtig, und sprengte mit Blitzesschnelle nach der Stadt in feine Wohnung zurück. Hier wrhete ihm vertraute, heimathliche Luft entgegen. Die schöne Gestalt schwebte vor sei nen Augen, und wie er die Thür rasch öffnet«, glaubte er kleine Schritte, «in leise«, grüßendes Stimmchen zu hören. Sein ganzes Wesen war
in Aufruhr.
Er löschte die Kerzen aus, und in
der bilderreichen Dunkelheit sah und hörte «r, wonach sein Herz verlangte. Nicht
lange
indeß konnten die lockenden
Schattenspiele dem unruhigen
Blute gnügeu.
Dies kochte siedend in den Adern, und trieb die junge Leidenschaft über all« Kindesträume hinaus in die lebendige, wirkliche Welt. Zn Concerten, im Theater, an ihrer Wvhnung täglich vorüberreltend,
überall,
wo er
menschlichem Blicke begegnen konnte, suchte der Prinz vergeblich nach dem holden Geschöpf, das seine ganze Seele so ungewöhnlich, so gebietend beherrschte.
Antonie war nirgends sichtbar, im
mer noch, wie es hieß, bei einer Derwandtln auf dem Lande. Ermüdet endlich, io lässiger, überdrüssiger Laune, erschien er eines Abends ganz spät auf einem Balle, zu dem er geladen war.
Ueber-
zeugt, erwartet zu werden, seihst nichts erwar tend, ließ er die Zelt hingehen, und trat nun mit vornehm gleichgültigem Anstand in die glän« zenden Zimmer, ließ die Blicke müsslg durch die
Frauenkreise Hinspielen, und, den Kopf etwas stvlj gehoben, tief und abgebrochen mit einzel nen Bekannten redend, drängte er sich nach dem Tanzfaale. Man wich
ihm achtungsvoll auS, und er
stand plötzlich Antonien gegenüber, die auf frei gelassenem Raum, einen Purpur-Schawl an» muthig in beiden Händen erhebend, einen Au genblick ruhend, im Begriff stand, den Tanz ihres Landes wieder anzufangen.
Der kurzge
schürzte Musselinrock, der Glieder geschmeidiger Bau,
die blendenden,
hochgehaltenen Arme,
daö dunkle, reiche Haar unter glühendem Zuwelenkranz, Alles machte die Erscheinung überra schend, fremd, aller Sinne bemächtigend.
Die
Musik fiel nach kurzer Pause leise verschwim mend ein;
Antonie
bog sich etwas
zurück,
athmete noch einmal tief, strich die Locken aus der Stirn, hob den kleinen Fuß, und, indem sie langsam den gesenkten Blick aufschlug, schie nen die bewegten Glieder noch ungewiß auf den Tönen zu wogen.
Doch jetzt fiel ihr Auge auf
den Prinzen; sie ließ die Arme sinken, warf de«
Schawl schnell über die Brust, und sagte halb bestürzt, halb eigensinnig: „Nein, heute geht's nicht mehr;
ich kann nicht weiter tanzen."
Man drang in sie, man bestürmte sie;
doch
sie schlüpfte behend, mit neckendem Kopfschüt teln-alles weitere Eindringen abwehrend,
in
ein Nebenzimmer. Die
Augen des Prinzen
lagen während
dem brennend auf den ihrigen.
Wie im Blitz
trafen sie jetzt einander, und zündeten in bei den Herzen. Er war ihr unwillkührlich nachgefolgt, und trat nun unter leichter, zu ihr hin. bewegt,
gefälliger Begrüßung
Zhr Athem war noch vom Tanze
die Brust flog unter stärkern Herz
schlägen, die Worte zitterten ungleich in dem beklommenen Ton der Stimme. fühlte das
raschere
allen Adern, er
Der Prinz
Kreisen ihres Blutes in
seine Pulse schlugen ungestüm;
hätte das reizende Geschöpf um alles in
seine Arme,
an die glühende,
schließen mögen.
wilde Brust
Er hoffte, der eignen Unruhe
durch keckeS Spiel der Laune zu entgehen, und
knüpfte,
(m raschen Flug dreister Wünsche,
von der Erfahrung gestachelt, ein Gespräch an, baS ihm in daS alte, oft versuchte GeleiS frei und bequem hinein helfen sollte. Worte stockten; den Lippen;
der
Aber die
Scherj erstarb ihm auf
er ward einsylbig, und schwieg
zuletzt ganz, das Geräusch der eignen Worte scheuend.
Die linden Töne eines sanft wie
genden Walzers stoffen an ihnen hin und her, und begleiteten den still gerührten Blick des Prinzen,
der immer inniger und welcher zu
AntonienS
Stele
sprach.
Eben wollte
der
Prinz sie um «inen Tanz bitten, als die Tante herzutretend erinnerte, daß der Ball. zu Ende fei und die meisten der Anwesenden sich bereitentfernten.
„Sie gehen also,"
flüsterte der
Prinz leise, als Antonie Anstalt machte aufzu brechen,
„Sie
gehen
Seine Stimme zog zurück;
wirklich,
Antonie?"
sie mit taufend Banden
sie zögerte einen Augenblick.
Doch
schnell gefaßt entgegnete sie lächelnd: „Sie ver gessen, mein Prinz, daß Sie spät kamen, daß Sie nun erst anfangen wollen, wo wir ermüdet
aufhören."
„Zu spät also?" sagte der
Prinz etwas verletzt, verneigte sich, und ließ Antonien gehen, ohne den versöhnenden Blick ihrer rührenden Augen zu brach ttn.
Als die
kleine Empfindlichkeit aber vor der stärkern Lei denschaft schwieg, er aufsähe, und Antonie nun wirklich fort, in keinem Zimmer mehr zu finden war, stürzte er unzufrieden mit sich,.mit Gott, und der ganzen Welt, in seinen Wagen, In sein Zimmer, in das Bett, in welchem Antonie viel leicht früher geschlafen hatte.
Wie er nun die
Vorhänge rauschend zuzog, war eS ihm, als flüsterte ihr Stimmchen eine gut« Nacht; er sah den Engelskppf zwischen den setdnen Falten, und schlief, vom leisen Flügelschlag wogender Schwin gen gekühlt, beruhigt und heiter ein. Des andern ?ageS fand er Antonien unter ihren Blumen und Thieren.
Sie hegte und
pflegte die kleinen Lieblinge mit wehmüthiger Zärtlichkeit.
„Alles," sagte sie, als der Prinz
diese Vorliebe spöttisch rügte, „alles haben mir die armen Geschöpfchen geopfert, den schöne» heiinathltchefl Himmel,
Zndiens Dalsamluft,
und vor allem die goldne Freiheit. Es ist wol eine Unart zu nennen, daß ich mich von nichts loszumachen weiß, was ich liebe. Ich hätte um die Welt diese hier nicht zurückgelassen." „Antonie," sagte der Prinz mit prüfendem Blick, „sind Sie wirklich so treu?"— „Treu Vis zum Tode," entgegnete sie rasch, indem sie von einer Granatftaude, über welche sie ge beugt stand, aufblickte. Die glühenden Blu men flammten auf ihre Wangen zurück; ihr Auge strahlte; alle« Leben in ihr blitzte fun kelnd auf. Doch in demselben Augenblick wandte sie sich erschrocken ab, und, fest und gesammelt, schien sie sich plötzlich in sich zu verschließen. Dem Prinzen fuhr eS wie ein Gespenst durch die Seele, Antonie trage eine frühere Liebe im Herzen- Darauf einmal im Innern gestellt, sah, empfand und maß er alle« nach diesem einem Gefühl in Wort und Wesen, je zurückhaltender und ernster er Antonien mit jedem Tage fand. Eifersucht, wie Eitelkeit, steigerten seine Leidenschaft über alle Gränzen
hinaus. Er hatte nirgend Ruhe, und ängstete Antonien, wie sich selbst, mit stummem, trü bem Unmuts). Einst, «iS sich fein stolzes Blut gegen den Gedanken kalter Verschmähung empörte, und die brausenden Sinne wild durcheinander tobt ten, eilte er ungestüm zu Antonien, mit dem festen Vorsatz, sie zu einem Geständniß zu zwingen. Zu seinem Acrger fand er Hans und Garten leer. Mit großen Schritten auf - und niedergehend, ganz unfähig, so unverrichteter Sache zurückzukehren, trat er in ein kleines Spiegelzimmer, das nach dem See hinaus lag, und, mit Blumen und Vögeln angefüllt, Antoniens Llebllngsaufcnthalt war. Musikalie» und Guitarre lagen noch von diesem Morgen her vertraut auf dem Stickrahmen. Das ArbcitStifchchen stand offen. Die kleinen Fächer mit bunten Seiden, Stickmustern, Visitenkar« ten, trocknen Blumen, und all den abgerisse nen Erinnerungen kleiner Umstände des LcbenS hatten auch hier, wie so oft schon, ihre eigne Anziehungskraft. Der Hrinj kramte in seinem
Mißmuth gedankenlos darin umher, «ln
als lhm
zusammengerolltes Papier in die
Hände
fiel, wol neuerlich erst mit Bleistift beschrieben. ES enthielt folgende Worte des Shakespeare:
„Was Hamlet angeht, und sein Lieb»getandel, So nimm'« als Sitte, als ein Spiel de« Blut«, Ein Veilchen in der Jugend der Natur, Frühzeitig, nicht beständig, süß, nicht dauernd, Nur Duft und Labsal eine« Augenblick«, Nicht« weiter! — “
„Nicht- weiter" —
wiederholte der Prinz,
da« Blatt langsam zusammenfaltend. war'« also!
nichts
„DaS
0, ich möchte tausendmal sagen:
weiter! aber in einem ganz andern Sinne.
Arme, liebe Seele, das ängstete, das quälte dich! “ Er steckte das Papier zu sich und wollte fich schnell umwenden, als ihm AntonlenS Ge stalt unzähligem«! auS den Spiegeln zurückleuch tete.
Bleich, wie ein Marmorbild, die Augen
gesenkt, stand sie an einen Pfeiler gelehnt, und duldete still, daß her Prinz ihre Hand faßte, sie
heftig an sein Herz drückte, und dringend bat: „Antonie, Engel, sage, daß du mich liebst." Sie hob den Blick langsam auf; ihre Lippen bewegten sich leise; wie «ln Hauch zog eS drü« der hin:
„Die Liebe ist mir kein Spiel, ich
habe sie nie gekannt, doch fühle ich, wa- mir bas Leben gab, kann mir auch den Tod geben; dazwischen liegt nichts mehr." Beben,
Ein
lindes
wie daS Wehen einer Blume, ging
über ihre schneeweißen Glieder;
sie schloß die
Augen, und sank hingegeben, überwunden, an des schönen stolzen Manne- Brust. Von dieser Stunde hub ein
neuer Tag,
ein neues Daseyn für den Prinzen an.
Anto»
nien- tiefe
glühende Seele schloß sich überra,
schend auf.
Alle- war Flamme, Dust und
Klang in ihr.
So hatte sich der Prinz noch
nie geliebt gesehen, so mit jedem Tage neu und reizend
war
ihm
nie «ine Frau
erschienen.
Das waren fremd« Elemente, au- welchen er in langen, berauschenden
Zügen
de- Lebens
wunderbare, unerkannte Seligkeit schöpfte.
Oft
dachte er zu träumen, und scherzend sagte er
einst: „Ich glaube, Antonie, du treibst Magie; alles an dir und um dich her ist feenartig; du ziehst das Nctz noch ganz und gar über mich zusammen;
du hast mich schon an dich gebannt,
ich kann nicht wieder los." zärtlich
an seine Brust,
heimlicher
Vorahndung,
Sie schmiegte sich und sagte unter un „wollte
Gott, eS
wäre so!" Es wav des Prinzen Stolz, öffentlich mit Antonien zu erscheinen, und in der ausgespro chenen Ergebenheit gegen sie die Gewalt, wie die Süßigkeit neuer, selbstgewählter Bande An dern zur Schau zu tragen. glaubte er,
Antonien um so
Vielleicht
auch
unwiderruflicher
an sich zu fesseln, je mehr sie mit der öffentlichen Meinung zerfallen, war.
allein-auf ihn angewiesen
Die Tante warnte, tadelte;
entgegnete ernst:
mir und der Welt treiben? zu spät. mehr." Brust.
Antonie
„Was soll ich Heuchelet mit Rücksichten kommen
Wille, wie Leben, gehören mir nicht Der Prinz schloß sie
imitg §n seine
„Bereue das nicht, liebes Kind," sagte
er schmeichelnd.
„Zärtlichkeit und Treue sind
die einzigen wahren Elememte einer weib lichen Brust.
Weisheit, Klugcheit, schickliche
Haltung, gehören den Häßlichen oder Stolzen, und beide Gattungen sind mir gleich zuwider." „Und doch," sagte Antonie mit feuchtem Blick, „gehen Weisheit und Haltung aus der Treue hervor.
Treue, mein Lieber, macht allein gut,
was Zärtlichkeit verdarb. “ Zn einer klaren, bilden Nacht gingen beide zwischen hohen Blumenwänden in AntonienGarten hin.
stumm und glücklich neben einander
Die Herzen waren still; das Leben schwieg;
die Ewigkeit that ihre goldncn Thore auf und schickte Träume von ruhig ungetrübter Seligkeit über sie hin.
Da trabte e- rasch am Etsengitter
vorbei, und eine Stimme rief: ist der Prinz hier?
Auf die Antwort: ja, schlugen die Dog
gen hell an, der Adjudant trat mit Depeschen aus dem Hauptquartier herein.
Ungeduldig riß
der Prinz die dargereichten Papiere auseinan der, trat zu einer Fackel, die ihm rin Schwar zer entgegen trug, und las mit scharfem, fliegen dem Blick, wahrend Antonie, die Augen auf
iljtt geheftet, ihrer kaum noch mächtig, mit dem Offiziere redete. Eine Ladung nach dem Hauptquartier, ein« veränderte, früher
nachgesuchte
Bestimmung,
Abschied, Trennung, alle» blitzte dem Prinzen verworren von dem unerwünschten Blatte ent gegen.
«Dacht' ich« doch," sagte er ärgerlich,
«jetzt kommt«, so ungelegen als möglich!" Zelt und Ehre dränn en ihn indeß, es war kein Augenblick zu verlieren, draußen warteten seine Pferde, die Hunde bellten und sprangen ungestüm an ihm heran. Antonien.
Er trat schnell z«
Der Offizier entfernte sich.
„Ich
weiß alleS, “ sagte sie etwas hastig und beklom men, „ich weiß alle«; gehe, lieber Max, uns trennt doch nicht« al« der Tod! “
Er drückte
sie heftig an sein Herz, warf sich auf den schö nen Tigerschimmel, und schoß wie ein Pfeil an ihr vorbei. Antonie lehnte die. Stirn gegen die Elsen stäbe de« Gitter«.
Eine kleine Weile hörte sie
die Pferde noch traben; dann ward alle« still; die Blumen schlugen säuselnd über ihr zusammen,
kalter Nachthauch streifte an ihre feuchten Wan gen, ihr grauere in dem einsamen Garten, sie floh in das Haus, auf ihr Zimmer zurück. „Leer," rief sie schluchzend, „Alles leer und auSgestorben!" Die Uhr schlug Eins. Ein ganzes Leben war hinter ihr versunken. „Mein Gott, mein Gott," stöhnte sie leise, „wenn nun der neue Tag die öde Welt durchleuchtet, wo soll ich denn hin, um von der Vergangen«' heit zu träumen! “ Boten und Briefe unterbrachen indeß bald die trübe, gefürchtete Einsamkeit. Der Prinz lebte und athmete in den glühenden Erinnerun gen jener Tage. Antonie empfand ihn in jedem Worte. „Noch," sagte sie oft mit stiller Gnügsamkeit, „noch ist er der Alte; noch ist er treu und wahr, und keine Sylbe anders, als *r sie hier zur Stelle sagen würde. “ Solche Stunden warfen einen hellen Schein auf viele fplgende. Des Genusses sparsame Blüten reizten und spornte» die Erwartung, so baß sie der ZeitFlügel gab, und das Leben von einem Posttage Die Harfe. I.
3
jum andern nur rin gespannter hoffender Athem zug schien. Wochen
und
Monate waren vergangen;
der Krieg zog sich hin und her,
ohne eben
etwas Entscheidendes herbeizuführen.
Es fing
an dunkel in Antoniens Seele zu werden; sie wußte nicht recht, wo sie mit ihren Wünschen hin sollte.
Der Friede, dachte sie dann und
wann, der Friede wird alles Liebe und Schöne wiederbringen.
Zn diesem heitern Licht müs
sen sich alle Verhältnisse klar und fest gestalten. Nicht lange darauf erwachte sie eines Mor gens unter lautem Kanonendonner. erschrocken auf.
Sie fuhr
Jubelnd schrie das Volk; der
Klang unzähliger Posthörner schmetterte durch die
Straßen.
Friede!
rief ihre ahndende
Seele.
Sie flog an das Fenster.
Knieen
lagen
Mütter
Auf den
und Gattinnen,
die
Arme, die Augen, ohne Worte zum Himmel gerichtet; aus den Fenstern, von den Dächern, leuchteten lauter Matengesichter; singend,
allen
Athem
ihrer
pfeifend und
weit
geöffneten
Brust mit schwellenden Adern herausschreiend-
warfen Matrosen Heer
die
Mützen
und der Zungen zahlloses in die Luft;
im
Hafen
feuerte das Geschütz; der Schiffe bunte Wim pel flackerten;
was Leben hatte, rührte sich;
zu Fuß, zu Pferd und Wagen drängte es durch die Gassen; die Friedensboten wurden fast vom Volke getragen; ihre Pferde;
alt und jung hing sich an
man konnte das süße, labende,
beruhigende Wort: Friede, nicht oft genug hjren, und sinnend, wie im Traume, wieder holte es manch treuer Bürgersmann, den Blick still und nachdenklich nach dem gesicherten Ei genthum
zurückwendend.
Friede,
Friede!
schallte es Tag und Nacht durch die berauschte Menge. Antonie hatte mit gebetet, mit gejauchzt. Still und fromm trugen sie ihre Schritte in die Kirche; der Begeisterung unwiderstehliches Element trieb sie unter Menschen, zu Lust und Feier.
Als aber die laute Freude ihre Schwin
gen senkte, Einer nach dem Andern in die Frelstatt freigewordener Wirksamkeit zurücktrat, die Ordnung des Lebens ihr altes Recht behaup-
36 tetc, und
jener gewaltige Moment von dem
geschäftigen
Triebwerk
der
Zeit verschlungen
ward, fragte sie sich besinnend: Und was nun weiter? ^ — worden;
Für sie war nichts anders ge
ihrer Liebe heimliches
nicht von dieser Welt;
Reich schien
eS schwankte und zer
floß nur mehr und mehr vor dem bestimmten Tageslicht. Der Prinz hatte seither geschwiegen. Zeitungen
erwähnten
seiner
bei
Die
Gelegenheit
mehrerer kleiner Reisen, von denen ihn gleich wol keine zu Antonien brachte.
Zn ihr war
indeß solche Treue deS Glaubens, so inniges Vertrauen,
daß sie nicht sowvl Zweifel,
als
Sehnsucht, heiße, wachsende Sehnsucht quälte. Wie auf weitem Meer irrten ihre Gedanken. Sie wußte den Geliebten nirgends, als in ihrer Seele; da fühlte sie ihn, und senkte den Blick absichtlich vor der Zukunft, einzig noch in den alten lieben mochte aus
Erinnerungen lebend.
Deshalb
sie auch nur Abends in dle Welt hin
sehen,
und
pflegte
gern
in
nächtiger
Stunde dem Strande entlängst in kleiner Barke
auf dem Meere hin und her zu wogen.
Das
duftige Element rührte lind an ihr.beklommenes Daseyn, die Welt schien gestorben, und wenn ihre dunklen Schwarzen ste so schweigsam über den Silberrückcn des Wassers htnrudcrlen, war ihr nicht anders, als drängten sie der Erde Schatten zu dem unermeßlichen, tiefsinnigen Born des Lebens zurück.
Liebe, vertraute Bilder he
gleiteten sie dann; sie konnte weinen und hoffen. Einst trat sie, von der nächtigen Fahrt spät zurückkehrend, mit feuchten Augen in ihr Schlaf zimmer.
Das Licht blendete sie; sie empfand
einen heftigen Schmerz, und wollte sich abwen den, als sie auf ihrem Nachttisch einen versie, gelten Brief bemerkte.
Mit lautem Schrei er
kannte sie deö Prinzen Hand.
Schnell war
das
Siegel erbrochen, bat Papier auseinander ge legt, als eine unbezwingliche Angst ihre Hände zitternd
zusammenfaltete,
und sie
schüchtern auf de» Schoos sinken ließ.
dqS Blatt Doch sich
augenblicklich zusammennehmend las sie,
alle
weichliche Scheu ntrderredend mit lauter Stimme folgendes:
„Zch schwieg, liebe Antonie, weil ich Dich unaussprechlich
liebe;
weil
sich mein Herz,
meine Hand sträubt«, Dir wehe zu thun; und gleichwol darfst Du nur durch mich erfahren, waS Du doch einmal wissen mußt. schöne, liebe Freundin! und kalt;
Meine
das Leben ist streng
was ich in Deinen Armen davon
träumte, paßt sich schlecht in die Mechanik bür gerlicher Verträge; an diesen Stiften und Ha ken reißt unsre Freiheit in Stücken, und waS wir davon retten, müssen
wir verstohlen und
schüchtern in dem tiefen Grund unsers Her zens bewahren.
Da lebst du Antonie, mein
stilles, tiefes Geheimniß; leben.
da wirst Du ewig
3nt Uebrigen bin ich eine politische
Wetterscheibe,
die der wechselnde Wind
großen Horizont gesammter Staatskörper oder so stellt. —
Zeht muß es ge
Erschrick nicht, liebes Herz, vor der
entschlichen Nothwendigkeit.
Zürne auch nicht,
weder mit mir, noch der Welt. mal so;
so
Zch heirathe, Antonie. —-
ES war längst beschlossen. schehen.
am
ES ist ein
darin liegt «ine Hölle und ein Him-
mel für dm Menschen.
Du hast Muth, An
tonie, die Dinge zu sehen, wie fie sind.
Thue
das; laß Stolz, laß Empfindlichkeit schweigen, und flüchte mit mir zu der einzige» Freistatt, die uns blieb, unsre Liebe, Antonie! unsre--------zweifle nicht, hier allein ist noch Glück für uns.
Sage mir, wirst Du anstehen, mir zu
folgen, wenn ich Dir die Hand reiche? Weiß die Treue, weiß das Herz auch von Nücksichten?
Steh, wie die Schaumblasen vor der
gährenden Arbeit der Zeit platzen; der Augen blick ist ihr Schöpfer, er leihet ihnen tausend« fache Farbe;
was bleibt, ist das reine, klare
Element des Lebens, dle Liebe, meine schöne, meine angebetete Freundin! hören, ihr zu vertrauen? früher betrogen?
Kannst Du auf Hat sie Dich auch
0, um aller Wonnen jener
Erinnerungen willen, Antonie, komm, komm, wohin ich Dich rufe! hältniß
Was geht unser Ver
alle Kabinetsweisheit der Welt an?
Du gehörest mir, nicht der Welt.
Du hast
das tausendmal gesagt, beweise rS jetzt! acht Tagen bin ich in der
Zn
Residenz meines
Vater-. Ich zweifle nicht, Antonie, Du kommst auch dahin. Wie wird der Hof, die Stadt, meine schöne Geliebte bewundern. Sieh mein« ganze Seele fliegt dir entgegen. Fühlst Du nicht, daß ich ohne Dich nur halb lebe? Liebe« Kind, denke, e« werden Stunden kom men , «o ich an Deiner Brust allein Ersatz für manche Qual finden kann! Wirst Du mir diese Freistatt versagen? Kannst Du schwanken? und hast Du mich auch je geliebt?" — Zwei Tage und Nächte verschloß sich Anto nie in ihrem Zimmer, ohn« eine lebende Seele zu sehe«. Drauf trat sie ernst und gefaßt her aus, befahl, ihr« Sachen zu packen, zu Schiffe zu bringen, und hieß ihre Umgebungen, sich auf die Rückfahrt nach Indien einzurichten. Der Prinz aber erhielt folgende Antwort: „De- Himmels schönsten Segen, mein ein zig Geliebter, über Dich, über Deine Ehe und Deine Kinder. — Deine Kinder! — Max,
fitzerS, den Preis seines Besitzes zu bestim men,^ wenn er sich dessen entäußern wist. Doch ich, meines Orts, würbe den Zrrthum, worin Herr
von
Chermont dabei zu.seyn
scheint, auf kein« Weise zu.benutzen suchen."—7 „Zch auch nicht,"
entgegnete der Kam
merrath erröthend, „vielmehr denke ich darauf, ihm, wenn er den Ring verkaufen will, «ine weit höhere Summe dafür zu zahlen., als er
gegeben hat.
Sonach würden wir denn beide
einen erlaubten Gewinn davon tragen." „Vielleicht,"
versetzte, der geheime
Rath
mit kaltem Ernste, „vielleicht ist Ihre Ansicht die richtige.
Da ich sie indessen nicht zu der
meinigen machen kann, so verzeihen Sie, wenn ich mich her ganzen
Angelegenheit entziehe.
Hier ist der Ring, stellen Sie ihn der Be sitzerin wieder zu! " Weidlich blickte dem Rechtlichen, der ihn hier sogleich verließ, noch eine Weile spöttisch nach, und da die Zustizräthin Sister grade über wohnte, so gerieth er auf den Gedanken, ehe er den Ring zurücklleferte, bei ihr damit ein zusprechen.
Das Kleinod an seinem Finger
erwarb ihm bei der eitel» Frau einen wärmern Empfang , als jemals, besonders da sie von fei ner Aichtheit, und von Weidrichs Entschlüsse, ihn zu kaufen, hörte.
Von diesem Kaufe äußerte
et, daß er ihm den größten Theil seines Ver mögens kosten würde, und beutete daraufhin, wem zu Liebe ein solches Opfer geschehe.
Der
Händedruck, den er dagegen empfing, der Blick,
der den Druck begleitete, beides war allerdings der günstigsten Auslegung fähig. Trunken von süßen Hoffnungen eilte et in seine Wohnung, und steckte, noch eingenomme nem
MittagSmahle, eine ansehnliche Summe
in StaatSpapieren, worin er sein ganzes Ver» mögen liegen hatte, zu sich, ehe er zu Cher» montS ging. „Nun, was sagte der Juwelier?" fragte Herr von Chermont, als Weidlich der Be sitzerin den Ring zurückgab. Weidrich stockte e'ln wenig.
DeS geheimen
Raths Bemerkung mochte daran Schuld, seyn. „Viel Gutes! “
war endlich die Antwort.
„Von seiner Aechtheit?"
„Er hat sich darüber nicht ganz bestimmt herausgelassen." „Wenigstens wäre er nicht der erste, der damit
getäuscht
lächelnd. —
wird,"
versetzte Chermont
„Aber wahr ist eS,"
fuhr er
fort, den Ring vom Finger seiner Gattin zie hend, „wenn ich ihn so betrachte, so möchte ich'S fast selbst, wider mein.besseres Wissen,
fitoufijin-
Ein seltsan-er Stein, «in Lauber».
kleinod könnte man sagen! spielt er, z. D.
Denn bisweilen
wie heute, so. herrlich, daß
jedermann ihn für ächt halten würde. fehlt
ihm
Glanzes.
auch manchmal
Dagegen
et« Theil
scsnG
Erinnerst du dich, mein Kind, wie
bleich er gestern am Tage aussah?" „Aber gestern," versetzte der Kammerrath,. „gestern hatten wir auch ganz trübes Wetter." „Richtig," antwortete Chermont,"
daß
mir das nicht einfallen konnte!" — Nachdem, das Gespräch über andere Gegen» stände hingelaufen war, brachte Weidrich «s auf den Solitair zurück, und gab seinen Wunsch, zu «rkennen.
Chermont
Kopf und sagte:
schüttelte
lächelnd den
„Wahrlich, ich weiß nicht,
was ich von den menschlichen Neigungen dem ken soll,
Ich bezahlte selbst den Stein zu so
ungeheuerm Preise, ob mir schon ahnete, daß et nicht ächt seyn werde, und Sie, mein Herr, stehe» tm Begriff, meinem. Beispiele zu, folgen, da ich, der Gatte de« Besitzerin, Ihnen, doch seine Solidität geradezu ablLugne! " —
„Wenn mir nun aber der Ring so eben recht ist, Herr von Chermont?" „So muß ich auf meine vorige Vermuthung zurückkommen, daß die Sache mit Zauberei zu sammenhängt, an die ich doch sonst nicht sehr zu glauben pflege.
UebcigenS wiederhole tch's,
daß ich mich bedenke, den Ring unter dem Preise, den er mir kostet, zu verkaufen." „Das soll Ihnen auch gar nicht zugemuthet werden!" fiel der Kammerrath rin. „Viel mehr erbiete ich mich, ein Ansehnliches über diese Summe zn zahlen." „Meln Herr," sagte Chermont sehr ernste ja finster, „wofür halten Sie mich? Sie,
daß
meiner
wohlgemeinten
irgend eine — Prellerei
zum
Glauben Warnung
Grunde liege?
Die Summe, die ich Ihnen heute früh nannte, ist wahrlich keine Kleinigkeit,
und ich kann
mir Glück wünschen, wenn ich meine Auslage zurückerhalte." — „Ich bin mit unverwerflichen Zahlungsmit teln versehen!" sprach der Kammerrath, feine Brieftasche hervorziehend.
„Nun gut," sagte Chermont, „went, Ma dam nichts dagegen hat, so soll Zhr — erlau« den Sie mir, es zu gestehen —
Zhr seltsa
mer Eigenstnn befriedigt werden. “ Frau von Chermont willigte ein, äußerte aber doch, daß sie nun, da es den wirklichen Verlust
beS,
Kleinods gelte,
Anfangs
so
sehr
geschätzten,
eine Betrübniß darüber em
pfinde, wie das plötzlich eintretende Entbehren einer langen Gewohnheit fie hervorzubringen pflege. „Weidlich flüsterte ihr zu,
daß er sinnen
wolle, ihr seine besondere Dankbarkeit dafür zu erkennen zu geben.
Zugleich händigte er
Herrn Chermont die Kaufsumme ei».
Zudem
dieser ihm hierauf den Ring übergab, sagte er zu einem Manne, der die ganze Zeit über im Zimmer gewesen war, von dem Kammerralhe aber wenig bemerkt und noch weniger berücksich tigt, die Kupferstiche an den Wänden betrachtet hatte: „Sie sind Zeuge, Herr Müller, daß von meiner Seite alles geschehen ist, um dem Herrn diesen Kauf auszureden."
Der Fremde wachte eine bejahende Bewe gung, und der Kammerrath empfahl sich, indem
tx,
noch beim Abschiede, der Frau von Cher-
niont seinen besondern Dank zusicherte. Wirklich durfte sie auch nicht lange auf die sen warten; ein mit Diamanten reich besetztes Halsband, das früher Elisen zum Geburtstage bestimmt gewesen war, wurde ihr, so bald « nach Hause kam, übersendet. — Der Abend war ein Fest für den Kammer rath.
Mit dem Ringe am Finger erschien er
bei der Sister, wo sich große Gesellschaft zu sammenfand.
Er blieb länger als die Uebrigen.
Die schöne Wittwe hatte nie einen so traulichen Ton gegen ihn geführt. ges
schienen die
EiSrinde
geschmolzen zu haben.
Die Stralen des Rin
ihres
Herzens für ihn
Er äußerte,, daß an
ihrer Hand der Brillant noch einen weit hö her» Glanz bekommen würde, und schob ihn an ihre Hand.
Die Art des Gebens und Anneh
men« schien den anfänglichen Scherz in Ernst zu verwandeln.
Der bald darauf erfolgende Ab
schied hatte gant den Anstrich der Zärtlichkeit,
2Z6 ja die Zustizräthi», an Seren Hand der Ring geblieben war, bat ihren Ansteter sogar, daß er sie den folgenden Tag gewiß wieder besuchen möchte;
eine Bitte, deren er sich Zuvor nie
mals rühmen konnte. Der Kammerrath übersah in dieser plötzli chen Veränderung das Demüthigende, für seine Geliebte, als für ihn selbst.
sowol Seine
Hoffnungen waren
von der Wirklichkeit noch
überboten worden.
Daran allein hielt er sich,
und blickte dem anbetn Tage
mit Ungeduld
entgegen. Amtsgeschäfte nöthigten ihn, hen Besuch bis gegen Mittag zu verschieben.
Aber sein
Empfang bei der Zustizrathin war nicht ganz der erwartete.
Im Tone der bloßen Höflichkeit
gab sie ihm den Ring sogleich zurück, sich ent schuldigend , daß eS am Abende vergessen wor den sei.
Weidrich bat sie hierauf, das Innere
der Fassung zu betrachten, um zu finden, wes sen Namenszüge der Ring tragehatte er,
Wirklich
in der kurzen Desitzzeit am Tage
zuvor schon,
zwei
Buchstaben,
und zwar.
damit ihm das kostbare Kleinod nicht aus den Augen käme, in seinem Beisein, hineinstechen lassen. „Wenn
das
meinen
Namen
bedeuten
soll," versetzte die Wittwe mit hochaufgcho« benem Haupte,
„so kann ich es zwar nicht
wehren, aber eben so wenig gut heißen. jeden Fall bitte ich Sie, nehmen, da ich von Zhnen
Auf
den Ring zurückzu«
weder Geschenke dieser Art
erwarte,
noch
auch
überhaupt
«nächte Steine zu tragen pflege." „Unächte Steine!" rief Weidlich, sich auf des gegenüberwohnenden Juweliers
Aus
spruch beziehend. „Eben der," versetzte dieZustlzräthln, „hat vorhin den sogenannten gesehen, einem
Diamanten bet mir
und blos darin die Kunst anerkannt,
ächten
Steine
den
»nächten
in
der
äußern Form so ähnlich nachzumachen." Der Kammerrath,
außer sich vor Zsrn,
eilte sogleich zu dem Manne hinüber-
Dieser,
ganz ruhig bei seinem Aufbrausen, behauptete, Dte Harfe. I.
17
daß der Ring ein
ganz anderer sei, als der
ihm gestern gezeigt worden. Zn der äußersten Wuth und Unruhe suchte Weidlich den geheimen Rath aus, keinen bessern Trost geben konnte. es zu Chermont. hier
der ihm Nun ging
Vergebens aber verlangte er
den ächten Stein statt des nachgemach
ten,
oder
die
Rückgängigkeit
des
Kaufes.
Chermont stellte sich beleidigt, berief sich dar auf, den Stein ausdrücklich für unächt ver kauft, di« ihm gebotene höhere Summe zu rückgewiesen und den Vortheil, auf diese Weise zu seinem Gelde wieder gekommen zu seyn, zu rechtmäßig erlangt zu haben,
als daß er thu
wieder aus den Händen geben würde. Der Proceß, zu dem es kam, brachte den Kläger nicht weiter, und wenn auch, der allge meinen Meiuung
nach,
von
Seiten
Cher-
montS wirklich eine trügerische Verwechselun stattgefunden hatte, so fand gerichtlichen
Aussuchung,
sich doch bei der welche
Chermont
selbst verlangte, wie leicht zu vermuthen, der
ächte Ring nicht Beklagten dabei
wieder; stehen,
auch
blieben die
daß dem Kammer«
rathe der Stein nur als unächt verkauft, und zuvor alles gegen den Kauf zu Sagende wirk lich
gesagt
worden
sei.
Sogar über
den
Punct, daß der befragte Juwelier die Iden« tität des Ringes mit dem, gesehen hatte,
welchen er zuerst
durchaus lLugnete, wußte sich
Chermont fein genug
zu verantworten;
we-
nigstens konnte der Kammerrath nicht läugnen, daß er ihm von einer sonderbaren Wandelbar keit deS Steines vorausgesagt hatte.
Das Processes
Resultat der Sache selbst und war
der
gänzlichem Vermögen.
Verlust
von
der
WetdrichS
Sein Benehmen gegen
Elisen, und die Art, wie er den Mann, der ihn nun betrogen hatte, zuvor selbst hatte über listen wollen, woraus der geheime Rath kein Geheimniß machte, zog ihm,
statt Mitleids,
den Spott der ganzen Stadt zu. der er nun, auffallend
von
da
Elise, zu
die Zustizräthin
ihm abwendete,
sich recht
zurückkehren
wollte,
stellte aber dem auf alle Weise Be,
schämten einen Andern als ihren künftigen Gat ten vor,
der ihr in /bet Folge wirklich bas
Glück gewährte,
das ste sich
Anfangs
von
einer Verbindung mit dem Kammerrathe ver sprochen hatte.
VII.
Die Versöhnung im Taubenschlage.
Erzählung von
K.
G.
P r ä tz e l.
Der Herbst war gekommen, und mit Ihm Pie Zeit,
wo der alte Hauptmann Barden von
seinem Landgute in pflegte
die Stabt zurückzukehren
Ungeachtet Waiden nur drei Stun
den von der Stadt entfernt lag, und die Reise hin und her mit nur geringen Beschwerden verbunden war, würde er dennoch dem schon oft gefaßten Entschlüsse, auch den Winter hin durch auf dem Lande zu leben, einmal getreu geblieben seyn,
wär» nicht die unerschöpflich«
UeberredungSkunst seiner Nichte, und die Sehn sucht nach dem langentbehrten Umgänge zweier, in der Stadt lebender Freunde feinem Vorsähe abermals in die Quere gekommen.
Julie
hatte, bevor der Tag der Abreise erschien, un ter Hüpfen und Trillern das Hauswesen in Ordnung gebracht, dem zurückbleibenden Ge sinde seine Wintergeschäft« angewiesen und dem.
2Ö4 Onkel weidlich den grauen Knebelbart gestrekchclt, wenn er über den Stoß, den seine De» quemlichkeltslkebe durch den bevorstehenden Orts wechsel erleiden sollte, zu murren anfing. Fürch terlich war der Ausbruch der Kraftflüche, die ihm noch aus dem siebenjährigen Kriege her anklebten.
Zulle suchte ihnen immer bestmög
lichst vorzubeugen, da sie die Zeichen kannte, die gewöhnlich voranzugehen pflegten.
Es la
gerten sich nämlich zuerst einige Falten um die Narbe hin, die ihm an der Stirne saß; fing
er
Stimme,
an,
mit
unverständlicher,
dann
dumpfer
gleich einer fern aufsteigenden Ge
witterwolke, zu brummen;
und jetzt war eS
die höchste Zeit, sich ins Mittel zu schlagen, denn bald darauf ging es Schlag auf Schlag, bis eS ihm den Athem versetzte und sein Gesicht so dunkelroth wurde, wie die Gesichter der zwei hundert Croaten, von deren Gefangennehmung er einst die Narbe an der Stirn und den Haupt mannsposten davon trug. UebrigenS hing seine ganze Seele an Zulten. Er war vor dem fünfzigsten Zahre aus Hang,
2Ö5 seinen kriegerischen Freiheltstaumel durch nichts zu beschränken,
und
nach
dem fünfzigsten
Zähre aus Furcht vor Kopfschmerzen unverheiraihet geblieben, und hatte Julien, eine ihm verwandte, ältcrnlose Waise, an Kindes Statt zu sich genommen.
Sie entsprach ganz bet
Erziehung, die er ihr hatte angedeihen lassen. Zhr, oft bis zur Ausschweifung heiteres We sen war der Stolz und die Freude des Alten; denn alles hielt er für sein Werk. glaubte er sein eignes, verjüngtes
Zn ihr Bild
zu
erblicken, wenn sie des Abends zuweilen die Erzählung seiner Heldenthaten, die er ihr aufs umständlichste mitgetheilt hatte, parodirte.
Er
rückte dabei mit selbstgefälligem Lächeln in sei nem Lehnstuhle hin. und her, und mußte hun dertmal die Pfeife anzünden.
Nichts fehlte
ihr, nach seiner Meinung, als Knebelbart und Uniform, um ein ganzes Heer von Croaten in die Flucht zu jagen. Der von Zulien so heiß ersehnte Morgen war erschienen.
Mit einem Gesicht, auf wel
chem fast eben so viele Falten des Verdrusses
sich zeigten, als Gedankenstriche in der Göt terlehre von Moritz,
stieg der Onkel In de»
Wagen, welcher bald darauf zum Dorfe hin ausrollte.
Aber ZulienS heitre
Laune ver
scheuchte nach und nach den finstern Ernst-deS Alten.
Er vergaß der hohen Linden, ln deren
Schatten
er des
rauchen pflegte,
Abends
sein Pfeifchen zu
und beschäftigte sich nun den
ganzen Weg entlang einzig mit dem Gedanken an die beiden Freunde, die in der Stadt auf seine Ankunft harrten.
Auch ZulienS Herz
klopfte einer frohen Stunde Stunde
der
entgegen:
Wiedervereinigung
mit
der ihrem
Füllberg. Barden war dem jungen Manne gewogen; denn dieser hatte ihm in RechtSangelegenhetten mehrmals wichtige Dienste geleistet. des
Hauptmanns
stand
Kein Wunder also,
DaSHauS
ihm jederzeit offen.
daß er, über einen Mor»
genbcfuch bei Zullen, nicht selten den Gerichts» lermin
im Tempel der blinden
Themis ver
säumte, um auS ZulienS offnen, schönen Au gen für sein eignrS,
tumultuarischeö Herz et»
gefälliges Urtheil zu lesen.
Eine einzige Zeile
von ihrer Hand fand er gehaltreicher, als die hundertjährige Aktenniederlage in der Gerichts» stube, und rin einziges Wörtchen, aüs ihrem Munde wirksamer, als zehn Machtsprüche des dicken Präsidenten, obgleich jeder davon ver mögend war,
die Dauern Dutzendweise ins
Hundeloch zu befördern. Füllberg hatte es bis jetzt, bei feinen noch zu beschränkten Einkünften, nicht gewagt, dem alten Barben seine Liebe zu Zulien zu ent decken, und öffentlich um ihre Hand anzuhal ten;
desto
mehr aber hatte Zulie sich eS an
gelegen seyn lassen, den Oheim mehr und mehr für ihn zu gewinnen.
Sie suchte, wenn von
Ihm die Rede war, seine glänzendsten Setten heraus, und entwarf von seinen Eigenschaften und Talenten ein Gemälde, zu welchem geses sen zu haben sich kein Erzengel hätte schämen dürfen;
kurz, ein Gemälde, wozu die Llebe
Farben'und Pinsel hergegeben hatte.
Füllberg
hingegen wußte die Schwächen des Alten zu seinem Vortheil zu benutzen.
Er saß oft, wenn
Julie nicht zugegen war, stundenlang an sei ner Sette, ließ sich hundertmal, ohne verdrieß lich zu werden, die Geschichte von den zwei hundert Croaten erzählen, und hatte stets neue Worte und Geberden in Bereitschaft, um sein Erstaunen und feine Bewunderung darüber zu verdeutlichen.
Der gutherzige Alte drückte ihm
dann gewöhnlich voll Rührung die Hand, und Füllberg merkte, daß er dem Ztel, sich ihm un entbehrlich gemacht
zu haben,
immer näher
Walden hatte drei Besitzer,
Der untere
rücke.
Theil des Dorfs gehörte Juliens Oheim; der mittlere
dem
Steuerrath
Lemmer,
einem
Wittwer von einigen fünfzig Jahren, und der obere Theil dem Doctor Durl, einem alten Junggesellen', der die Praxis niedergelegt hatte, und in der Stabt von seinem Vermögen lebt«. So innig das freundschaftliche Vernehmen war, in welchem ein jeder dieser beiden Herren mit dem alten Barden stund, eben so tief- eingewur? zclt war der Haß, mit dem sie selbst sich wechselseitlg befeindeten.
Alles hatte jener bereits
aufgeboten, die zwlstigen Gemüther zu versöhneu, aber umsonst!
Die Feindschaft war ver
jährt, und bekam — was das schlimmste war — mit jedem Frühjahr neue Nahrung.
Si?
vermieden sich auf das sorgfältigste, und geschah eS ja, daß einer den andern bei Barden antraf, so wurde sogleich in der Thüre wieder um gekehrt. Der Grund dieser Feindseligkeiten war ein Teich an der Gränze von Ober-Waiden, wel cher mit jedem Frühjahr auszutreten Pflegte, und dadurch dem Doctor Burl, indem er ihm eine Wiese überschwemmte, Schaden zufügte. Von uralten Zeiten her hatte die Wiese und der Teich zwischen ihren Besitzern zu den verdrieß lichsten Auftritten Veranlassung gegeben.
Der
gegenseitige Haß hatte sich unablässig von einem Geschlecht auf da- andere fortgeerbt, und war gleichsam zum Familienstück geworden.
Den
Wlnter hindurch war eS gewöhnlich so ziemlich ruhig; doch sobald der Schnee zerrann und die angehäuften Gewässer über den Damm hinaus traten, ging der Lärm von neuem los;
auf der
«tuen Seite wegen des neu zugefügten Scha dens, auf der andern wegen der darauf erfolg ten Schmähungen. Burl und Lemmer waren indeß von allen denen, die des Teiches wegen bereits im Streite gelegen hatten, noch die ver nünftigsten. Sie haßten sich mehr aus verjähr ter Gewohnheit, als aus eignem, innern An trieb, und hätte der Zufall sie an einem Orte zusammengebracht, wo eS keinem von beiden möglich gewesen wäre, dem andern auszuwei chen, so würden sie vielleicht schon längst sich gegenseitig verständigt und ausgeglichen, haben. Barden wagte keinen Versuch mehr, ein solcheZusammentreffen zu veranstalten, weil er wußte, daß gerade ihm bteS Werk am wenigsten gelin gen könne. Schon zu oft hatte er in frühern Zeiten ihnen seine Absicht merken lassen; jetzt trauten sie ihm nicht mehr, und schöpften daher aus der unschuldigsten Bewegung, die er in die ser Rücksicht zu machen schien, Argwohn. Julie empfing nach ihrer Ankunft in der Stadt die beiden Widersacher mit einer so zu vorkommenden Artigkeit, daß sie leicht in den
Verdacht einer etwanigen unlauter» Nebenab sicht hatte gerathen können, wenn nicht der kleine Unterschied von vlertig Jahren, der zwi schen ihr und ihnen obwaltete, der Sache ein andere- Ansehen gegeben hätte. Niemand merkte etwas von dem Plane, der unter diesem gefälligen Betragen versteckt lag; am wenigsten die beiden Herren, gegen die es gerichtet war. Nur Füllberg war durch Zulien von allem un terrichtet, weil er ihr zur Erreichung ihres ZtveckeS behülflich seyn sollte. Dieser war näm lich kein anderer, als die Versöhnung der beide» Antagonisten. Füllberg war um so bereitwilli ger, hülfreiche Hand zu leisten, da er oftmals auf ihren Gesichtern eine gewisse lüsterne Be haglichkeit^ wollte gelesen haben, wenn sie Julien gegenüber sich befanden. Und wirklich war seine Besorgntß nicht so ganz ohne Grunde Denn, so wie dem Steuerrath seit den fünf Zähren, da er Wtttwer ward, unter alle» weiblichen Wesen nur Zulte rin wohlwollendes Lächeln ab gewinnen konnte, so verwandte aych der Doctor feit der Zeit, da die Wellen - und SchinheitS-
linim bei ihr sich zu entwickeln anfinge», meh rere Sorgfalt auf Drathperücke und Manschet ten, wenn der Hauptmann ihn zu sich geladen hatte. Ze deutlicher sie jetzt, beim Einbruch der langen Winternächte, sich es merken ließen, was sie im Schilde führten, je rathfamer schien es Zullen, ihren Entschluß, der zugleich einer thörichten Leidenschaft die Nahrung benehmen sollte, nicht länger zu verschieben; doch mußte sie, wenn der Plan gelang, auch ihrer Laune nebenbei einen kleinen Triumph verschaffen können. Als der Oheim «inst ausgegangen iyar, be stellte sie, unter dem Vorwände, baß sie den Nachmittag in angenehmer Gesellschaft zuzu bringen wünsche, die beiden Liebhaber zu einer und derselben Stunde auf ihr Zimmer, welches -im obern Stockwerk des Hauses sich befand. Der Steuerrath, der in dieser Einladung eine -glückliche Vorbedeutung ahnete, war der erste, -der sich einstellte. Julie führte ihn in das Zim mer. Kaum. aber hatte sie auS seinen wohlstubierten Compltmenten die Ueberzeugung geschöpft,
daß dt« Ausführung ihres Planes wirklich kei nen Aufschub mehr leibe;
als auf brr untern
Treppe des Hauses sich Fußtritte vernehme« ließen.
Zulie schien in Verzweiflung;
instän
dig bat und beschwor sie ihn, ihres guten Rufes zu schonen, und ihr nach einem entfernten Win» M des Hauses zu folgen, wo sie, bIS der lästige Besuch sich entfernt habe, ihn zu verbergen ge denke.
Der Steuerrath that, was ste verlangt«.
Wie behqglich. ward ihm aber ums Herz, als Zulle mit einem schalkhafte» Lächeln ihn auffor derte, an einer Leiter, die nach einem sichern Kämmerlein führe, hinauf zu steigen.
Ze wei
ter die Zeit der Liebesabenteuer ihm. im Rücken lag, je mehr weidete an dieser Zumuthung, wejl ste Kraft und Kühnheit voraussetzte, sich sein Stolz.
Hätten di« Umstände eü erfordert, «r
würde vielleicht, um in der Gunst seiner Dame sich festzusetzen, wie ein Marder q» den Dach pfannen
deö HaufeS hinaufgeklettert fev». —
Alles, ging glücklich von Statten.
Mit einem
gstinden Frösteln betrat er die ersten Sprossen dev Letter, mit einigen Schweißtropfen vor der Die Harfe. I.
lg
Stirn erreichte er das Ziel; selbst bas Herzklo pfen schien sich zu vermindern, sobald ein fried licher Taubenschlag, der jedoch keine Bewohner hegte, ihn aufgenommen hatte. Man wird leicht errathen, wer die Treppe herauf kam.
Hätte der Steuerrath sich um
einige Minuten
später, oder der Doctor um
einige Minuten früher eingefunden, durch
dieses
Zusammentreffen
so würde
Zuliens Plan
wahrscheinlich zerstört gewesen, und jeder Ver such , ihnen ein neues Netz zu stellen, ohne Wir kung geblieben seyn. —
Burl hatte kein besse
re- Schicksal als fein Vorgänger;
denn kaum
war er zu Athem gekommen, als man schon wieder Zemand im heraufsteigen hörtet
Sturmschritt die Treppe Zulie erneuerte die Geber-
ben der Angst und Verwirrung, die ihr schon einmal den erwünschten Dienst geleistet hatten, und der Doctor bequemte sich, wtcwol mehr aus Mitleiden mit ihrer jungfräulichen Stiegen» heit, als
aus Ueberzeugung, daß «in solches
tete a tete ihr in den Augen der Welt gefähr lich seyn könne, zur Ersteigung der Letttr, die,
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«IS die einzige Retterin ln der Noth, im Win-> fei stand. Sobald er aber den Fuß von ihrer letzten Sprosse in das Kämmerlein nachgezogen hatte» schob Zulls sie hinweg, und brachte an der Seite ihres Füllberg den Nachmittag sehr zufrieden zu. Der Steuerrath in Todesängsten, als er Jemand auf der Letter Hirte, nahm seinen Platz in einer Ecke hinter einem alten Täubenkorbe, und harrte mit erneutem Herzklopfen der Dinge, die da kommen sollten. Tidtllcher Schreck- überfiel Beide, als fie 'einander anfich» tig wurden. Der Doctor stellte sich in den ent gegengesetzten Winkel, und beide schwiegen eine geraume Zelt, ohne ihre Stellung zu verändern. Endlich fing der Doktor an, den Dessauer Marsch halb zu zischen, halb zupfeifen. Der Steuerralh hörte ihm eine Weile zu; doch als jener das Stück zum zweiten Male anfing', stimmte- auch dieser unwillkührlich ein, und der veridete Taubenschlag ward durch «in Duett bee lebt, welches besonders in denjenigen Tacten, wo der Doctor die tiefere Stimme, pfiff, fich
nicht gar Übel ausnahm.
Nach Endigung des,
selben sahen sie einander starr ms Gesicht»
Der
Doktor, dem die Zeit doch ein wenig zu lang werden mochte, murmelte darauf einige unver ständliche Worte in de» Bart; der Struerrath folgt« seinem Beispiel.
Jetzt sahen sie einan
der wieder, qn;
aber schon lag. in beiden Ge
sichtern etwas,
das
Starrheit benahm.
dem Auge seine vorige Während dessen, fing die
Abendsonne Lzrrch die eine Oeffnung an,
dem
Doktor in die Lagen zu scheinen, und