Die handschriftliche Überlieferung des Galenkommentars zu Hippokrates De Articulis [Reprint 2021 ed.] 9783112482209, 9783112482193


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Die handschriftliche Überlieferung des Galenkommentars zu Hippokrates De Articulis [Reprint 2021 ed.]
 9783112482209, 9783112482193

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DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN SCHRIFTEN

DER

SEKTION

FÜR

ZU

BERLIN

ALTERTUMSWISSENSCHAFT

27

DIE HANDSCHRIFTLICHE ÜBERLIEFERUNG DES GALENKOMMENTARS ZU HIPPOKRATES DE ARTICULIS VON

FRIDOLF KUDLIEN

AKADEMIE-VERLAG•BERLIN 1960

Gutachter dieses Bandes: Werner Hartke und Johannes Irmscher

Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Jutta Kollesch

Alle Rechte vorbehalten Copyright 1960 by Akademie -Verlag GmbH, Berlin Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Str. 3—4 Lizenz-Nr. 202/100/195/60 Satz, Druck and Einband: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2067/27 Printed in Germany ES 7 M

Vorwort Die vorliegende Untersuchung verdankt ihre Entstehung einer Anregung von Herrn Prof. Dr. Konrad Schubring. Sie wurde im Rahmen der Arbeitsgruppe Corpus Medicorum Graecorum beim Institut für griechisch-römische Altertumskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin als Vorarbeit für eine geplante kritische Ausgabe von Galens De articulis-Kommentar angefertigt. Eine vorläufige Fassung lag der philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Sommer des Jahres 1957 als Dissertation vor (begutachtet von Prof. Dr. J . Irmscher und Prof. Dr. W. Hartke). Für mannigfache Anregungen und Ratschläge bei der Ausarbeitung der endgültigen Fassung möchte ich Herrn Prof. Schubring an dieser Stelle auf das herzlichste danken; ebenfalls bin ich den Herren Professoren Irmscher und Hartke für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft" zu Dank verpflichtet. Berlin, im Sommer 1960

Fr. Kudlien

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abkürzungen Einleitung I. Beschreibung der Handschriften 1. Der Laurentianus (L) Exkurs: Die sogenannte Blattversetzung 2. Der Parisinus (P) II. Untersuchung eines Textstückes und Zusammenstellung von Fehlergruppen 1. Auslassungen in P 2. Zufügungen in P 3. Interpolationen in L und P 4. Influenzfehler 5. Antizipationen 6. Perseverationen 7. Haplographien 8. Dittographien 9. Majuskelfehler 10. Itazismen 11. Korrigierende Tendenzen im Text von P I I I . Der Text der Oribasiusexzerpte

6 7 11 11 17 21 23 29 32 35 37 38 39 40 41 42 43 45 49

IV. Der Hippokratestext

55

Zusammenfassung

67

Verzeichnis textkritisch behandelter Stellen aus Galens De articulisKommentar 70

Verzeichnis der Abkürzungen Handschriften L = Laurentianus 74,7 P = Parisinus gr. 1849 R = Parisinus gr. 2248

Ausgaben GALEN Aid. Basiliensis Chartier K.

HIPPOKRATES L. Kw. O R I B ASI US R.

Aldina, Gesamtausgabe des griechischen Textes in 5 Bänden, Venedig 1525 in aedibus Aldi Gesamtausgabe des griechischen Textes in 5 Bänden, Basel 1538 apud Andr. Cratandrum griech.-lat. Gesamtausgabe (mit Hippokrates zusammen) in 13 Bänden, Paris 1679 ed. R. Charterius griech.-lat. Gesamtausgabe in 20 Bänden, Leipzig 1821 — 1833 ed. C. G. Kühn (zitiert nach Band, Seite, Zeile, wobei nur die griechischen Textzeilen gezählt sind) Gesamtausgabe mit französischer Übersetzung in 10 Bänden, Paris 1839—1861 ed. E. Littré (zitiert nach Band, Seite, Zeile) Hippocratis opera ed. H. Kühlewein, 2 voll., Leipzig (Teubner) 1894 u. 1902 (zitiert nach Band, Seite, Zeile) Oribasii Collectionum medicarum reliquiae ed. J . Raeder, in: CMG VI 1,1; VI 1,2; VI 2,1; VI 2,2, Leipzig 1928-1933 (diese Bände tragen die Sondernumerierung I—IV, nach welcher mit Angabe von Seite und Zeile zitiert ist)

Schöne, Ap. v. Kitium Apollonius von Kitium, illustr. Kommentar zu der hippokratischen Schrift negi äg&Qcav, hrsg. v. H. Schöne, Leipzig (Teubner) 1896 Vogt, Diss.

S. Vogt, De Galeni in libellum xax' irjtQeiov conjmentariis, Diss. Marburg 1910

Einleitung Wie Galen selbst uns in seinem Schriftenverzeichnis berichtet 1 ), hat er neben vielen anderen Werken des hippokratischen Corpus auch die folgenden chirurgischen Schriften kommentiert: De fracturis in 3 Büchern, De articulis in 4 Büchern, De ulceribus und De vulneribua capitis in je einem Buch, De officina medici in 3 Büchern 2 ). Die Kommentare zu De ulceribus und zu De vulneribus capitis sind nicht auf uns gekommen, doch hat Oribasius, Leibarzt des Kaisers Julian und Verfasser einer medizinischen Enzyklopädie, wenigstens eine Reihe von Exzerpten aus beiden erhalten3). Die übrigen chirurgischen Kommentare Galens sind in folgenden Handschriften überliefert4): 1. 2. 3. 4. 5. x

Laurentianus 74,7 Parisinus gr. 1849 Marcianus gr. 279 Parisinus gr. 2247 Parisinus gr. 2248 5 )

) De libris propriis 6 (scr. min. I I p. 112, 14 sqq. 25 und p. 113, 1 sq. 5 sq. 11). ) Vgl. noch Galens eigene Angaben im II. Kommentar zu Epid. I I I (CMG V 10, 2, 1 p. 61, 3 sq. 17 ed. Wenkebach); für die Abfassungszeit siehe J . Ilberg, Über die Schriftstellerei des Kl. Galenos, RhM44,1889, 229f., Vogt, Diss. 2ff. und neuerdings K. Bardong, Beiträge zur Hippokrates- und Galenforschung, NGG 1942, Nr. 7, 626 u. 639. 3 ) Die Fundstellen sind zusammengestellt von K. Deichgräber, Gnomon 9, 1933, 606. 4 ) Nach H. Diels, Die Handschriften der antiken Ärzte, I. Teil, Abh. Berlin 1905, 106 und 108. Der auf Seite 108 zum De fract.-Kommentar außerdem genannte Mosq. 466 bietet nach einer Notiz H. Schönes statt dessen eine abweichende Form von Palladius In Hipp, de fracturis. 5 ) Hunain ibn Ishäq hat die Kommentare zu De articulis und De fracturis aus dem Griechischen ins Syrische übersetzt (vgl. G. Bergsträsser, Hunain ibn Ishäq über die syrischen und arabischen Galenübersetzungen, hrsg. u. übers, in Abh. f. d. Kunde des Morgenlandes 17,2, Leipzig 1925, 33 Nr. 89 u. 90); von einer Übersetzung ins Arabische ist nichts bekannt, und von der syrischen Übersetzung hat sich sonst keine Spur erhalten. Für den De off. med.-Kommentar s. dagegen Vogt, Dias. 15—20 und Bergsträsser, a. a. O. 35 Nr. 98. 2

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Einleitung

Und zwar ist der De articulis-Kommentar ohne die beiden anderen Kommentare im Laurentianus und den Parisini 2247 und 2248, dagegen mit den beiden übrigen Kommentaren zusammen im Parisinus 1849 und im Marcianus enthalten. Die Venediger und die beiden Pariser Handschriften 2247 und 2248 scheiden jedoch für eine Recensio des Textes der chirurgischen Kommentare von vornherein aus, da erwiesenermaßen die erstere, welche aus dem 15. Jh. stammt, eine Abschrift des Parisinus 1849 ist 1 ), während die beiden letzteren im 16. Jh. aus dem Laurentianus abgeschrieben sind 2 ). Von den beiden verbleibenden Handschriften ist der Laurentianus die weitaus ältere (vermutlich im 10. Jh. geschrieben 3 )); der Parisinus 1849 stammt dagegen wohl aus dem 14. Jh. Die Florenzer Handschrift enthält ausschließlich chirurgische Schriften, von Hippokrates bis zu Paulus von Aegina; um so merkwürdiger ist es, daß in ihr die beiden Kommentare Galens zu De fracturis und zu De officina medici fehlen und, nach Ausweis des der Handschrift vorangesetzten, ebenfalls alten Inhaltsverzeichnisses, auch niemals enthalten waren 4 ). Aus dieser Überlieferungslage ergibt sich der Aspekt, unter den die vorliegende Arbeit gestellt ist. Der Vergleich des Textes der beiden Handschriften anhand des De articulis-Kommentars soll das Verhältnis beider zueinander klären: Läßt sich hier eine Unabhängigkeit der Pariser Handschrift — wie sie auf Grund der Tatsache, daß in ihr allein die beiden anderen chirurgischen Kommentare enthalten sind, zunächst einmal zu erwarten wäre — eindeutig erweisen? Andernfalls muß versucht werden, die Art ihrer Beziehung zum Laurentianus und den Wert oder Unwert eventueller Abweichungen möglichst konkret darzustellen. Dabei werden die Exzerpte, die Oribasius aus dem De articulis-Kommentar gemacht hat, eine Rolle spielen; diese werden aber auch für sich in ihrem Verhältnis zu dem Text der beiden Galenhandschriften zu charakterisieren sein. Einen vorläufigen Eindruck von dem Wert der Pariser Handschrift kann man sich übrigens leicht verschaffen, wenn man die beiden Kommentare zu De fracturis und zu De officina medici auf ihre Nebenüberlieferung hin prüft. In der Pariser Handschrift hört der De fracturis-Kommentar mit der Erklärung des Schlußlemmas des Kapitels 37 von De fracturis auf. Die restlichen 11 Kapitel der hippokratischen Schrift bleiben unerwähnt und unerklärt. Wir wissen aber sicher, daß Galen die ganze Schrift kommentiert hat; wie sich aus den Scholien der Oribasiushandschrift R Vgl. Vogt, Diss. Uff.; eine Probekollation der ersten Seiten, die ich für den De articulis-Kommentar angefertigt habe, bestätigt dies. 2 ) Vgl. Schöne, Ap. v. Kitium S. XXff. 3 ) Zur Datierung vgl. unten S. Ii f. *) Vgl. Schöne, Ap. v. Kitium S. IX.

Einleitung

9

ergibt 1 ), stammen nämlich Stücke, die Oribasius unter den Überschriften negl äjiayfmroQ, TISQI TCÜV XAT äyxütva und TIEQI diaaraaeaiQ XEQXLÖOQ überliefert hat 2 ), unzweifelhaft aus diesem Kommentar. Die genannten Oribasiusstücke hat bereits Cocchi in seinem Sammelwerk „Graecorum ehirurgici libri", Florenz 1754 3 ), dem offenbar verlorenen Schlußteil des De fracturisKommentars zugewiesen 4 ); sie müssen einer künftigen kritischen Ausgabe dieses Kommentars am Schluß beigegeben werden. — Was den Kommentar zu De officina medici betrifft, so hat Vogt, Diss. 22—26 mit Hilfe der Oribasiusexzerpte und 15—19 anhand einer teilweise erhaltenen arabischen Übersetzung des Textes gezeigt, wie lückenhaft und vielfach korrupt auch hier die Überlieferung des Parisinus 1849 ist. Soviel zu einer vorläufigen Charakterisierung der Pariser Handschrift. Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden Interpretationen, kritische Bemerkungen und Besserungsvorschläge zum Text geboten, die zusammen mit den übrigen Untersuchungen der Arbeit eine Vorarbeit bilden für eine im Rahmen des Corpus Medicorum Graecorum geplante kritische Edition x ) Über die Genauigkeit der Scholienangaben vgl. Deichgräber, a. a. O. 606. Ein Irrtum des Scholiasten sei hier wenigstens erwähnt: Während dieser sonst bei Exzerpten aus Galenkommentaren immer dasjenige Hippokrateslemma mit wenigen Worten zitiert, auf welches sich das von Oribasius exzerpierte Galenstück bezieht, hat er einmal (III 199, zu Z. 27, R.), bei einem Exzerpt aus dem De fracturis-Kommentar, irrtümlich nicht das richtige Lemma (XVIII B 371,8 K.), sondern ein unmittelbar vor diesem stehendes, noch zur vorangehenden Galenerklärung gehörendes Hippokrateszitat aus einer ganz anderen Schrift (De officina medici 8; III 296, 2 sq. L. = II 35,4 sq. Kw.) als Lemma angegeben. 2 ) Siehe in der Ausgabe von Raeder vol. III p. 216,13-26 und p. 248,21—251,26. 3 ) Cocchi hat sich augenscheinlich mit der Florenzer Handschrift intensiv beschäftigt; denn auf ihrem linken Deckel ist, wie ich in Florenz feststellen konnte, innen ein handgeschriebener Zettel mit folgender Notiz eingeklebt: Antonius Cocchius Florentinus huius codieis, quae edita sunt, contulit cum impressis, nondurn edita exscripsit a. MDCCXXVII. Der florentinische Arzt plante eine große Ausgabe aller in der chirurgischen Sammelhandschrift enthaltenen Stücke; es kam dann aber doch nur zu einem Abdruck von Soran De fracturarum signis und der besagten Oribasiusexzerpte (vgl. L. Choulant, Handbuch der Bücherkunde für die ältere Medizin, Leipzig 1841, 418f.). *) Für das negi djidy/iarog überschriebene Stück s. Cocchi, 86 Anm. 2; für JISQI öiaardasayg XEQXIÖOQ S. ebendort S. 145 Anm. 2. Zu neoi rrJjv yjxt' äyxcöva schreibt Cocchi, S. 141 Anm. 2, folgendes: Fuerunt haec fortasse a parte commentarii tertii de fractis deperdita (Bas. V p. 575, v. 32) vel potius a cap. 1 comm. II de articulis (Bas. V p. 598, v. 44, ubi E^yTjaig Xsinei). Die letztere Vermutung beruht auf einem Irrtum: In der Tat fehlt in Galens De articulis-Kommentar jeder Hinweis auf die Kapitel 17—29 von De articulis, die, jedenfalls zum Teil, auch wirklich über den Ellenbogen handeln und deren Erklärung an den Anfang des zweiten Buches des Galenkommentars gehört hätte; es handelt sich aber bei dieser Kapitelreihe um Exzerpte aus dem Mochlikon, die Galen in seinem Exemplar von De articulis ohne Zweifel gar nicht gelesen hat (vgl. unten S. 55).

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Einleitung

des De articulis-Kommentars 1 ). Ich stütze mich dabei auf Kollationen, die ich nach den mir aus dem CMG-Archiv zur Verfügung gestellten Photographien angefertigt habe, und zwar nicht nur von den beiden Haupthandschriften, von denen ich den Laurentianus in Florenz im Frühjahr 1956 selbst kurz habe einsehen können, sondern auch von dem Parisinus 2248 (im folgenden ß genannt) 2 ), in dessen Text sich eine Anzahl guter Konjekturen findet. Den Text der im Jahre 1525 erschienenen Aldina 3 ) habe ich nach einem ebenfalls im CMG befindlichen Exemplar verglichen. Eine wertvolle Hilfe bildete ferner die bei Kühn abgedruckte, auf Vidius 4) zurückgehende lateinische Übersetzung, die öfter das Verständnis des Textes aus eigenem erheblich fördert. Schließlich konnte ein handgeschriebenes, vollständiges Wortregister zum De articulis-Kommentar benutzt werden, das sich Hermann Schöne hatte anfertigen lassen 5 ); aus dessen Nachlaß hat es K. Deichgräber dankenswerterweise für diese Untersuchung zur Verfügung gestellt. Nachträglich wurde mir auch durch die Freundlichkeit von Herrn Prof. Zinn (Tübingen) das Kollationsexemplar H. Schönes zugänglich gemacht, welches ich bei der Umarbeitung meiner Dissertation noch verwerten konnte. Der Kommentar zu De articulis ist zuletzt in der Gesamtausgabe der Werke Galens, Bd. XVIII A S. 300—767, im Jahre 1829 von C. G. Kühn ediert worden. Zur Charakterisierung dieser Ausgabe vergleiche man beispielsweise, was J. Mewaldt in der Praefatio seiner Ausgabe von Galens Kommentar zu De natura hominis, CMG V 9,1 p. XXIV, schreibt. . 2 ) Die Handschrift enthält den De articulis-Kommentar auf fol. 438T—554r. 3 ) Der De articulis-Kommentar ist im 5. Bande, fol. 269—304 abgedruckt. 4 ) Vidus Vidius (Guido Guidi), der aus Florenz stammende Leibarzt des Königs Franz I. von Frankreich, gab im Jahre 1544 in Paris eine „Chirurgia" heraus, welche eine Reihe von Hippokrates- und Galenschriften in der lateinischen Übersetzung des Herausgebers enthält, darunter die 3 chirurgischen Kommentare Galens (s. Choulant, a. a. O. 417f.). 5 ) Schöne hatte die Aufgabe übernommen, die Kommentare zu De fracturis und zu De articulis für das CMG zu edieren; er hatte bereits Kollationen zu beiden Kommentaren angefertigt und auch mit der Ausarbeitung des kritischen Apparates begonnen (vgl. die Berichte von Hermann Diels über das CMG, SB Berlin 1913, 114; 1914, 127; 1915, 93).

I. Beschreibung der Handschriften 1. D e r L a u r e n t i a n u s (L) Den Codex Laurentianus 74,7 hat zuletzt ausführlich Hermann Schöne in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Apollonius von Kitium (Leipzig 1896, S. V—XI) beschrieben. Dieser Pergamentcodex enthält, wie schon erwähnt, ausschließlich chirurgische Schriften; den Schluß der Handschrift (ff. 314r—407r) bildet der Kommentar zu De articulis. Die Höhe der einzelnen Blätter beträgt 37 cm, die Breite 27 cm; die Handschrift ist zweispaltig geschrieben, und jede Kolumne enthält 36 Zeilen. Die Schrift ist eine außerordentlich klare und schöne, ganz leicht nach links geneigte Minuskel, bei der die einzelnen Buchstaben gewöhnlich auf der Linie stehen und etwa 3 mm hoch sind 1 ). Hauptsächlich auf Grund dieser Indizien weist Schöne die Handschrift dem 9. Jh. zu, im Gegensatz zu Früheren, die sie ins 11. Jh. datierten 2 ). Schönes Datierung ist seitdem fast allgemein angenommen worden 3 ); dreißig Jahre später wiederholt Schöne — anläßlich einer Rezension der Heibergschen Ausgabe des Paulus Aegineta 4 ) — noch einmal kurz seine Datierung des berühmten Chirurgencodex, da Heiberg die Handschrift ins 10. Jh. gesetzt hatte. Es sei aber für die Datierungsfrage noch auf einen Umstand hingewiesen, den Schöne nicht beachtet zu haben scheint: In der Handschrift lassen sich u n z i a l e Buchstaben nachweisen, und zwar im T e x t , nicht nur in Überschriften oder Randbemerkungen (letzteres hätte nichts zu besagen 5 )). Gardthausen hat nun die Beobachtung gemacht, daß im Griechischen Unzialformen erst verhältnismäßig spät wieder in die Minuskelschrift eindringen — gerade im Gegensatz zur lateinischen Minuskel, wo eingestreute Unzialformen auf ein hohes Alter der Handschrift weisen. Er hat eine Tabelle für die griechische Minuskelschrift zusammengestellt, in der diejenigen Unzialformen besonders gekennzeichnet sind, die nach seinen Beobachtungen erst ganz spät — jedenfalls nicht vor dem 10. Jh. — wieder von Abbildungen der Schrift bei Schöne, Ap. v. Kitium Tafel VI; XIII; X X I X . ) So auch noch Ilberg in der Praefatio zum ersten Bande der Hippokratesausgabe, 1894, p. XIII. 3 ) Bereits von Kühlewein in der Praefatio zum zweiten Bande, 1902, p. XV. 4 ) Gnomon 3, 1927, 131 Anm. 1. 6 ) Vgl. V. Gardthausen, Griechische Paläographie II, 2. Aufl. Leipzig 1913, 207. 2

12

I. Beschreibung der Handschriften

den Schreibern verwendet werden 1 ). Zwei solcher Unzialformen finden sich, soweit ich es für den Text des De articulis-Kommentars beobachten konnte, in L, und zwar — zumeist am Zeilenende — N und o 2 ). Von a, £, X und | finden sich sowohl Minuskel- wie Unzialformen gleich häufig im Text der Handschrift. Diese Beobachtung bringt mich dazu, den Florentiner Codex doch eher dem 10. J h . zuzuweisen. Hinzu kommt die sehr starke Ähnlichkeit dieser Schrift mit einer datierten, aus dem Jahre 942 stammenden Basiliushandschrift 3 ). Als Stütze für meine Ansicht möchte ich schließlich anführen, daß mir Albert Böckler in Florenz vor dem Codex versichert hat, die farbigen byzantinischen, vermutlich auf antike Originale zurückgehenden Illustrationen, welche im Laurentianus dem Kommentar des Apollonius von Kitium 4 ) sowie dem Traktat des Soran De fasciis 5 ) beigegeben sind, könnten nach seiner Kenntnis und Erfahrung keinesfalls vor dem 10. J h . gemalt sein. Es ist zu bedauern, daß dieser hervorragende Kenner byzantinischer und mittelalterlicher Buchmalerei nicht mehr dazu gekommen ist, seine Ansicht ausführlicher zu begründen. An Kürzungen finden sich, soweit ich sehe, in dem von mir kollationierten Text nur folgende: - am Zeilenende für auslautendes v Ui für xai (am Zeilenende) V für yag (am Zeilenende) avog f ü r

äv&Qomog

Akzente und Spiritus sind — allerdings keineswegs vollständig und konsequent — von späterer H a n d nachgetragen. Die Florentiner Handschrift ist besonders gegen Ende ziemlich stark durch Feuchtigkeit beschädigt; einzelne Kolumnenenden sind überklebt und ganz unleserlich geworden. Einiges ist aber am Original noch zu entziffern, während die photographischen Aufnahmen in solchen Fällen versagen. !) a. a. O. 207; vgl. auch Weinberger, RE XV 2, 1932, 1995 Z. lff. ) N: fol. 315v i. Sp. Z. 28 ( = 306,18 Kühn) fièv; fol. 324v 1. Sp. Z. 4 ( = 350,10K.) naqajiXriaiav, fol. 369r r. Sp. Z. 5 ( = 580,8 K.) xarcjjiÀaa/xdToiV, fol. 398 v 1. Sp. Z. 23 ( = 724, lOf. K.) ÔVOEVTEQÎAV und öfter, o : fol. 315^ 1. Sp. Z. 19 ( = 306,14 K.) OO&QOV-, fol. 316r 1. Sp. Z. 5 ( = 309,1 K.) ßißhoyöä) neben jeder Lemmazeile gekennzeichnet; überdies hat der Schreiber sehr häufig eine Lücke vor dem ersten Wort des Lemmas gelassen und dieses mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben. Bisweilen fehlt allerdings auch jede Kennzeichnung, und Galen- und Hippokratestext gehen unterschiedslos ineinander über 1 ). Die vier einzelnen Bücher des De articulis-Kommentars sind in der Handschrift mit besonderen Überschriften versehen, wobei zu bemerken ist, daß das dritte Buch in L nicht mit der Beschreibung der Qd.%ig, wie in den Ausgaben (S. 492 K.), sondern erst n a c h dieser einsetzt (fol. 366 r 1. Sp = 565,10 K.) 2 ). Außer den Buchüberschriften finden sich auch noch Sonderüberschriften für einzelne Abschnitte (wie z. B. auf S. 346 K.), die in den Ausgaben meist weggelassen sind3). Alle Überschriften im De articulis-Kommentar, wie auch in den anderen Teilen der Handschrift, sind vom Schreiber durchlaufend numeriert; die Zählung entspricht dem der Handschrift vorangestellten, von anderer Hand geschriebenen Inhaltsverzeichnis, in welchem die einzelnen Buch- und Kapitelüberschriften mit Numerierung enthalten sind4). Orthographische Fehler, z. B. Itazismen, sowie Majuskelfehler und andere Verschreibungen werden in den einzelnen Abschnitten unter I I behandelt, v ephelkystikon ist durchgängig sowohl vor Konsonanten als auch vor Vokalen geschrieben. Die in der Handschrift vorgenommenen Korrekturen möchte ich in zwei Gruppen zusammenfassen: 1. Der Schreiber selbst hat an wenigen Stellen einzelne Worte nachgetragen: fol. 319r r. Sp. Z. 5 ( = 322,14 K.) iamoiq am Rande; fol. 357 r 1. Sp. Z. 3 ( = 536,5 K.) xaxoc, im Text, nXarvarsQvo übergeschrieben, ebenso Z.4 ( = 536,5 K.) e£r)g übergeschrieben. Tilgungen von doppelt Geschrie!) So z. B. fol. 3 1 5 v r. Sp. Z. 5ff. ( = 307,7ff. K . ) ; fol. 317r 1. Sp. Z. 20ff. ( = 313, 4ff. K . ) ; fol. 317^ 1. g p . z . 27ff. ( = 315,13ff. K.);fol. 318rl. Sp.Z. 9ff. ( = 318,5ff. K.). 2 ) Damit ist in einem Falle der Anstoß beseitigt, den F . E . Kind, B P h W 36, 1916, 489ff. grundsätzlich an dem in den Ausgaben oft erstaunlieh verschiedenen Umfang der einzelnen Bücher einiger Galenkommentare genommen hat. Kind wies u. a. auf das Mißverhältnis des Umfangs zwischen dem zweiten und dem dritten Buch des De articulis-Kommentars hin: Buch 2 umfaßt bei Kühn 69 Seiten, Buch 3 dagegen 175 Seiten. Nach der Einteilung in L beträgt der Umfang des zweiten Buches nunmehr 143 Kühnseiten, des dritten Buches 102 Seiten; man vergleiche damit die Angaben, die Kind a. a. O. für die Bucheinteilung der übrigen Galenkommentare gemacht hat. 3 ) Z. B. fol. 333 r 1. Sp. ( = 398 K . , vor Beginn des Lemmas) TZEQI axgcoßiov cmoanao&evroq; oder fol. 3 3 4 r r. Sp. ( = 404 K., vor Beginn des Lemmas) TIEQI XXELÖOQ xarayiorjs; oder fol. 345 r r. Sp. ( = 464 K . , vor Beginn des Lemmas) TIEQI QIVOQ xaraytatjg. 4 ) Cocchi hat dieses Inhaltsverzeichnis in seinem oben erwähnten Buch abgedruckt; vgl. auch Bandini, Catal. codd. Graec. Bibl. Laur. I I I 57—78.

14

I. Beschreibung der Handschriften

benem durch Punkte stammen vielleicht ebenfalls vom Schreiber selbst: fol. 382 v r. Sp. Z. 7 ( = 647,11 K.) /IOQTVQI YAQ ei'Y'ÜQ; fol. 388 v r. Sp. Z. 6 ( = 676,10 K.) TCEQißa TUQißodeiv.1) 2. Bei den übrigen Korrekturen unterscheide ich rein äußerlich: a) Marginalien (d. h. variae lectiones und Zusätze), b) innertextliche Korrekturen (Rasuren oder Veränderungen eines oder mehrerer Buchstaben). a) Marginalien: 301,13TÒ neqi rcov OQÙQOW a . . . yga/i/xa r .. .; das Verweiszeichen steht im Text nach èvóeixwrai. Zur Bewertung dieses Zusatzes vgl. unten S. 35. 304,2: Hinter dutQ&Qoxng (sie) steht, eng an den Kolumnenrand gepreßt, aw&eaig; avv&éaeig haben P edd. im Text. Freilich ist ràg xarà ràg òiaQfìgojoeig, ohne Ergänzung zu dem ersten ràg, sinnlos; aber es scheint mir paläographisch ansprechender zu sein, wenn man den Fehler bei xarà ràg sucht und daher ràg xarà rà (òarà) òuoQ&QÓaeig schreibt. 322,19 rQuymvoo, mit Verweiszeichen auf Tisgircoviov im Text. Die Stelle ist unten S. 49 f. besprochen. 350,7 óm^oj'&eiarjg, das sich auf diaoro%acr&r]cn hinzugefügt,^ und v radiert, L. Der Text ist auch nach dieser Korrektur korrupt. Die Hinzufügung von rä> scheint mir falsch zu sein; oMo statt fiäXkov halte ich für gut, ich möchte aber annehmen, daß sowohl vor äXXo als auch hinter nXrjV (Z. 4) etwas ausgefallen ist. 302,8 tV, also ev aus ei, L. Die Korrektur ist notwendig. 303,15 stirrjg xovn£e'ayfj,wv, also enl xfjg rov tieqI äyfuöv aus tcsqi rr\g rov ayficov, L . Die mit

dem Text von P übereinstimmende Korrektur trifft jedenfalls den Sinn richtig und ist auch von den Ausgaben übernommen worden; nur bei Kühn ist rov versehentlich ausgefallen. 303,16 earlM, also eariv tj aus eanv, L. Auch diese Korrektur ist berechtigt. 303,17 aaxpo Hg, also versehentlich aa

(kelnoi Toivw L 1 : Xebiei r. P edd.) rjrot (FJ L 1 P : om. edd.) rätv (xovxoyv P edd.) TiaQaTezap&cov fivrj/iovevetv ainov.

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1. Der Laurentianus

19

Zwerchfells oder u m die der Oberschenkelknochen (540,12ff.). Daher, so schließt Galen, komme er selbst zu keiner endgültigen Lösung; wahrscheinlich sei der T e x t durch einen Fehler des ersten Abschreibers korrupt, und er, Galen, überlasse das Suchen nach einer passenden Erklärung nunmehr den anderen (541,1—5 7igoxeia&co). An diese so durchaus wie ein Abschluß wirkenden Worte schließt sich nun der besagte, in L 1 1 fortgelassene Abschnitt an, in welchem die strittigen Begriffe des Lemmas kurz und entschieden gedeutet werden. Dabei werden die fraglichen Muskeln ohne Umschweife als QayÜTai erklärt, und die jiQoaqwoiq wird als üiQoaqyvaig rwv (pQevöjv bestimmt (541,9f.); das waren aber gerade die beiden Punkte, die Galen, wie gesagt, vorher ausdrücklich in der Schwebe gelassen hatte. Dazu tritt dann noch ganz a m Schluß die Berufung auf Galens Lehrer Pelops. Schon diese Darstellung des Inhalts der Erklärung — einerseits Abschluß mit einer Aporie, andererseits daran anschließend eine kurze, die Bedeutungen strikt festlegende Rekapitulation der strittigen Begriffe — könnte den Verdacht aufkommen lassen, daß der Schlußabschnitt der Erklärung (541,5—13) später eingefügt sei. Dazu k o m m t nun die Tatsache, daß er in L 1 1 fehlt. Mir scheint, an dieser Stelle liegt ein konkreter Beweis vor für die bereits v o n anderen 1 ) aufgestellte These, daß der K o m m e n t a r zu D e articulis v o n Galen selbst für die endgültige Heraus') Zuletzt, mit ausführlichem chronologischem Material (auch für andere Kommentare Galens) von K. Bardong, Beiträge zur Hippokrates- und Galenforschung, NGG 1942, Nr. 7, 619£f. 638. Instruktiv ist eine bei Bardong (S. 620) abgedruckte Stelle aus De libris propriis (scr. min. I I p. 111,24 sqq. ed. Iw. Mueller), wo Galen sagt, er habe in seiner Anfangszeit in Rom eine Reihe von Kommentaren — darunter den zu De articulis — verfaßt, ohne auf die Erklärungen anderer einzugehen. Später habe er, JIQOQ xoivtjv bcöooiv anoßMnoiv, auch diese berücksichtigt, beispielsweise im Kommentar zu De officina medici. Das würde gut auf unsere Stelle passen, an der ein Hinweis auf Pelops steht; in der Tat fehlen solche Hinweise auf frühere Erklärer sonst im De articulis-Kommentar so gut wie ganz, im Gegensatz etwa zu den Kommentaren zu De officina medici oder den Epidemien. Daß Galen seine Kommentare teilweise überarbeitet hat, bezeugt er im übrigen selbst an einer Stelle des Aphorismenkommentars (XVII B 415,2 sqq. K., im Wortlaut zitiert bei Bardong S. 616f.). — Eine ähnliche nachträgliche Einfügung könnte möglicherweise auch 733,6 dlX bis 8 i/ißaaeaiv vorliegen. Oribasius (III 252,15 R.) läßt in seinem Exzerpt dieser Stelle den genannten Passus weg, in welchem aber keineswegs allzu spezielle oder Persönliches betreffende Angaben stehen, so daß ihn Oribasius etwa aus solchen Gründen absichtlich beiseite gelassen haben könnte (siehe unten S. 54). Es handelt sich vielmehr darum, daß der Kopf des Oberschenkelknochens unter bestimmten Bedingungen nicht an seinem natürlichen Ort bleibt, sondern immer wieder auskugelt, sooft man i&n auch einrenkt. Galen stellt dabei fest, daß dieser allenfalls nur dann an seinem natürlichen Ort bleiben könnte, wenn der Kranke ständig auf ebenem Boden ginge und das Bein möglichst wenig bewegte (733,3ff.). Liest man nun den genannten Abschnitt nicht mit, so geht der Text 733,8 mit der all2*

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I. Beschreibung der Handschriften

gäbe überarbeitet worden sei: Diesen Schlußabschnitt hat aller Wahrscheinlichkeit nach Galen bei nochmaligem Überlegen und Durchsprechen der Probleme in der für die Öffentlichkeit bestimmten Ausgabe nachträglich eingefügt. Wir hätten damit, so frappierend das klingt, in L 1 und L 1 1 nebeneinander zwei zufällig an dieser Stelle von irgendeinem Abschreiber zusammen kopierte, auf Galen selbst zurückgehende Fassungen, von denen die kürzere den ursprünglichen Eindruck macht. Wie der Gang der Dinge im einzelnen gewesen ist — vielleicht wurde einmal ein Blatt aus der ursprünglichen Fassung in eines der öffentlich umlaufenden Exemplare eingeheftet —, läßt sich natürlich nicht mehr rekonstruieren. Die Sache muß jedenfalls geschehen sein, als die ursprüngliche Fassung Galens noch greifbar war; das läßt auf einen Zeitpunkt schließen, der weit vor der Vorlage von L liegt. Bei der Annahme einer von Galen selbst veranstalteten Redaktion erklären sich auch am leichtesten einige stärkere stilistische Varianten zwischen beiden Fassungen, die man kaum als bloße Schreibfehler ansehen kann, z.B. 538,10 (gleich am Anfang der Erklärung): näw n om. L n ; man erinnere sich: I n L 1 1 endet die Erklärung Galens zu dem Lemma 538,6 mit einer Aporie. Dazu stimmt ausgezeichnet, wenn er am Anfang der Erklärung unmißverständlich sagt: ov ov[MpoiveZ ro (paivöfievov ex rfjg avarofifjg r f j diavoia rfjg XeS-ecog. Später milderte er dann in Übereinstimmung mit dem zugefügten Schlußabschnitt diese schroffe Verneinung durch den Zusatz von Tidvv ri. Oder 539,5: V

v sig ro TIQOOCO fieQog oXog o TQayrjXog ehcofievog smreiverai ßQayv L 11 ; in L 1 ist das ungewöhnlichere emreivercu durch das sonst gebrauchte 1 ) emvevei ersetzt worden. Auch Streichungen von mehr oder weniger Überflüssigem wurden bei der Redaktion offenbar vorgenommen, beispielsweise 539,18, wo L 1 1 nach fieoig noch re xal cpvaig hat, oder 542,13, wo L n zwischen rcöv und nkaremv owdeofiCDv noch die Worte rrjv didq&QOiaiv ohqv ev xvxkq) neQi^a/xßavovrcov bietet. Meines Erachtens sprechen auch diese Stellen, im Zusammenhang betrachtet, f ü r die Existenz einer ursprünglichen und einer redigierten Fassung. gemeinen, abschließenden Feststellung weiter: „So belehrt uns die Natur der Sache, daß der eingerenkte Schenkel nicht an seiner Stelle bleiben kann, sobald ...". Es ist durchaus möglich, daß Galen es bei einer nachträglichen Überarbeitung noch für nötig hielt, ein Beispiel dafür hinzuzufügen, daß es auf die Dauer nicht möglich ist, das betreffende Bein immer ruhig zu halten und immer nur auf ebenem Boden zu gehen; und eben ein solches Beispiel steht in den Zeilen 733,6—8: äW eoixev dSv-

varov TOVTO- xal yuQ, el ftrjdei> äXXo, Xovüfxevög (dvpd/xevog L P edd.: sec. Vidium correxi) ye jidvzaiQ ¿xaioeiv avayaaa&rjarcai pei£ov (om. edd.), wg ev ralg eig zrp> (om. P edd.) TiTveAov i/ißäoeaiv. Oribasius, der diese Worte nicht hat, müßte dann die ursprüngliche, unerweiterte Fassung vor sich gehabt haben; doch sei dies im Hinblick auf die ungenaue Exzerpierungsweise des Oribasius nur vermutungsweise geäußert. J ) So z . B . 589,16; 651,1; 660,12.

2. Der Parisinus

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2. D e r P a r i s i n u s (P) Eine hinreichend genaue Beschreibung des Codex Parisinus gr. 1849 findet man bei Vogt, Diss. 9f. und 12f. Die Bombycinhandschrift enthält fast ausschließlich Werke des Galen, und zwar fol. 9—94 De anatomicis administrationibus, fol. 95—110 die beiden Bücher De motu musculorum u n d fol. 111—206 die drei chirurgischen Kommentare Galens zu De articulis, De fracturis und De officina medici. Nur die ersten 9 Blätter enthalten das erste und einen Teil des zweiten Buches der aristotelischen Metaphysik. So ergeben sich also vom Inhalt her zwei verschiedene Teile der Handschrift. Was Vogt, Diss. 9. 12 veranlaßt hat zu behaupten, der Codex sei aus v i e r verschiedenen Teilen zusammengesetzt — wobei er nicht nur das Aristotelesstück, sondern auch De anatomicis administrationibus, die Bücher De motu musculorum und die chirurgischen Kommentare als je einen besonderen, von j e w e i l s a n d e r e r H a n d geschriebenen Teil betrachtet —, sehe ich nicht. Nach den im CMG-Archiv befindlichen Photos zu De anatomicis administrationibus, die aus dieser Handschrift stammen und die ich mit denen zum De articulis-Kommentar verglichen habe, ist hier wie dort die gleiche Hand tätig gewesen; meiner Ansicht nach bilden die von einer Hand geschriebenen Galenstücke einen zusammenhängenden Codex, dem das Aristotelesstück nur aus äußerlichen Gründen hinzugefügt worden ist. — Der De articulis-Kommentar ist auf fol. l l l r — 1 4 7 r geschrieben; die Höhe der Blätter beträgt 30 cm, die Breite 23 1 / 2 cm. Die Schrift geht über die ganze Seite, Ränder sind kaum gelassen; die Zeilenzahl der einzelnen Seiten ist nicht einheitlich, sondern schwankt zwischen 37 und 39. Die Schrift ist eine junge Minuskel mit allen entsprechenden Kennzeichen: Reichliche Verwendung von Kompendien, willkürlich geformte und ungleichmäßig große Buchstaben, unverhältnismäßig lange, oft die übrige Schrift störende Endstriche und Schwünge an den Rändern der Seiten — kurzum, ein sehr unruhiges Schriftbild 1 ). Die übliche Datierung der Handschrift ins 14. J h . halte ich daher für voll gerechtfertigt 2 ). Die Schrift ist so flüchtig, daß Verlesungen manchmal unvermeidlich sind und nur der Vergleich mit L auf die richtige Lesung f ü h r t (vgl. auch unten S. 67 Anm. 1). Demgegenüber sind AkzenZu vergleichen ist die Darstellung der jungen Minuskel bei Gardthausen, Griech. Paläographie II, 2. Aufl. Leipzig 1913, 225ff., besonders 229f.; Abbildung einer Seite von P (aus dem De off. med.-Kommentar) in: Wiss. Ann. 6, 1957, 309. s ) Neuerdings hat R. Devreesse sie in seiner Introduction à l'étude des manuscrits grecs, Paris 1954, 4 Anm. 4 ohne nähere Begründung in das 12.—13. Jh. gesetzt; er hatte die Freundlichkeit, auf eine Anfrage hin brieflich die Qualität des Papiers, den Duktus der Schrift und das System der Abkürzungen als Gründe für diese Datierung zu nennen.

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I. Beschreibung der Handschriften

tuierung und Orthographie weitgehend fehlerfrei (siehe unten S. 46); das gibt zu der Vermutung Anlaß, daß der Schreiber, den auch Vogt, Diss. 10 als haud indoctus bezeichnet, möglicherweise ein Gelehrter gewesen ist. An den Stellen, an denen Hippokrateslemmata in L ungekennzeichnet sind, fehlt auch in P die Kennzeichnung; bisweilen ist sie von späterer Hand recht gewaltsam nachgetragen, indem jeweils zwischen das letzte Wort des Kommentars und das erste des Lemmas ein ( gepreßt und am Rande der betreffenden Zeile überdies noch ein Kreuz hinzugefügt wurde. Der Schreiber selbst hat den Beginn des Lemmas mit dem Zeichen ([, das Ende mit Doppelpunkt und Wellenlinie gekennzeichnet und, wie in L, an den Rändern der Zeilen kleine Haken beigefügt. Buchüberschriften sind, ebenso wie in L, vorhanden, und auch das dritte Buch beginnt in P an der gleichen Stelle wie in L; dagegen fehlen in P die meisten Sonderüberschriften einzelner Abschnitte. Randbemerkungen von fremder Hand und Verbesserungen im Text finden sich nur an wenigen Stellen: 539,18 eldcofiev (so auch L) ist zu ida>/.lev verbessert. 547,13 ovg (so auch L) ist unterstrichen, am Rande steht d>v, was auch die Ausgaben haben. Das Relativpronomen hängt von livr)fioveveiv ab, welches seinerseits sowohl mit dem Genitiv wie mit dem Akkusativ verbunden wird; daher ist eine Korrektur von ovg in OJV unnötig. 746,5 ¿xradr/vai (so auch L) ist in exxaaiv elvai geändert; dies haben die Ausgaben übernommen. Der Korrektor hat geglaubt, für rrjv xarä yow (Z. 5) ein zugehöriges Substantiv schaffen zu müssen. In Wirklichkeit ist mit diesen Worten die diaQ'&QCüaig am Knie gemeint. Man braucht nur hinter axeloq zu interpungieren, dann erhält man unter Beibehaltung von sxra&fjvai einen völlig einwandfreien Satz. Die wenigen Korrekturen stammen offenbar, ebenso wie die nachträglichen Lemmakennzeichnungen, von einem Korrektor der Aldina, da P für diese die Druckvorlage bildete (s. unten S. 67 Anm. 1). Die Blattversetzung schließlich hat ihre Spuren auch in P hinterlassen: fol. 128 r Z. 15 steht hinter axeXeröjv ein Kreuz, wenige Worte später ein Der Text geht wie in L ohne Unterbrechung weiter, und an der Stelle des Rücksprungs nach 526,4 findet sich fol. 129 r Z. 9 bei Qr/aecog wieder ein Kreuz, so daß die Nahtstellen — offenbar von fremder Hand — deutlich gekennzeichnet sind. Dann macht der Schreiber von P aber die Doppelfassung der Kühnseiten 536,3 bis 546,5, wie sie in L vorliegt, eigentümlicherweise nicht vollständig mit, sondern fol. 130r Z. 22 ( = 538,9 K.) ist hinter 7iQoav vnayo/ibwv Siairj] na&wv, was Liddell-Scott s. v. (A 5) mit „subject" übersetzt. 3 ) Zu den beiden Haupthandschriften des Orib. s. unten S. 51.

II. Untersuchung eines Textstückes

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2: Nach ¡xvü>v haben L Orib. gegenüber P edd. zusätzlich folgende Worte: èv xovxcp òs rät egyqj xivdvvog elg rr\v xàxco (xaxà Orib. cod. R) %cbqav òkicr&fjoav avrò TIQÒQ XCÓV (xov L) fivcöv. E r s t unter A u f n a h m e dieses Textstücks bekommen die Worte von àvaanaa-Dèv bis èvey{bfjvai, die bisher nicht einzuordnen waren, ihren festen Platz im Textzusammenhang; der Ausfall in P erklärt sich leicht durch Homoioteleuton (zweimaliges xcov /UVÖJV). 3/4: xaxà xavxrjv] xax' avxrjv L Orib.; der Fehler in P ist durch Dittographie entstanden. 4: cwv neqi ra C'Q&QO] rolg TISQÍ rolg äq&QOiaiv L P ; der Fehler wurde in der Aldina korrigiert. 3: Nach ßovArj&eig scheint mir etwas wie Myeiv zu fehlen. 4: exraaiv] enráaewg L P ; der durch die folgenden Genitive verursachte Antizipationsfehler wurde in der Aldina verbessert. | VSVQOJÖ&V] vevoodojv L. | noieur&ai OCO/iárcDv] acofiarcov noieuy&ai L. 5: hi om. L P ; die zweifellos fehlende Präposition wurde in der Aldina ergänzt. Aus paläographischen Gründen möchte ich allerdings (äia) vorziehen; der Ausfall wäre, da in L mit der Endung von noieiad'ai AI vorangeht, so leichter zu erklären. 6: EQfirjveiav] BQfirjviav L. | Nach xvgimg add. rä> L P ; der Artikel ist wohl nur versehentlich in den Ausgaben fortgelassen. | Xiav (so L P edd.) ist sinnlos; wenn man den Lemmatext (352,9) und die Erklärung insgesamt vergleicht, so geht daraus eindeutig hervor, daß hier die Präposition (avvdea/iog1)) dia gemeint sein muß. Und so ist auch mit Vidius (;partícula propter) hier zu emendieren. Die Korruptel beruht offenbar auf einem Majuskelfehler. 7: äyei] äysiv L P ; der Fehler wurde in der Aldina verbessert. Bei der Auswertung und Gruppierung des vorgelegten Materials beginnen wir mit der augenfälligsten Erscheinung, nämlich den Fällen, in denen eine Handschrift ein textliches Plus oder Minus gegenüber der anderen hat. 1. A u s l a s s u n g e n i n P P, dem die Ausgaben folgen (siehe unten S. 67), hat an einer Reihe von Stellen weniger Text als L; Fälle wie oben 350,2, wo der Ausfall durch Homoioteleuton bewirkt wurde, finden sich noch mehrfach 2 ): 1 ) Über avvdeoftos und seine Bedeutungsbreite als grammatischer Terminus vgl. Schwyzer, Gr. Gr. II, 14. 2 ) Eigene Verbesserungen habe ich im folgenden ohne Namensnennung in den Text gesetzt; die ursprüngliche Lesung von L steht jeweils in Klammern dahinter.

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II. Untersuchung eines Textstückes

359,4: Nach nsQtkifißdvetv1) hat L die Worte ov ydg e%ei Xenxä xavxa ßovg ojg TteQuixvooeo&ai re xai TiEQilafißaveiv. Damit ist auch der Anstoß, der bis jetzt in der Wortfolge dvvavrou (Z. 2) . . . . övvaa&ai (Z. 4) steckt, behoben, und nun erst ist die eigentliche Begründung dafür, warum die Rinder kurzes Gras nicht mit den Lippen fassen können, gegeben (vgl. 358,16). 368,1: Nach yiyvexai hat L die Worte fiaw&dveiv ol(oi re) ovxeg (owvreg) rrjv ¿fxßoXrjV, MOTIEQ OVS" OTICUS ( O A W ? ) elg iiaayälrp exnrcooig yiyvexai. Erst jetzt gewinnt der ganze Satz — mit den aus dem Zusammenhang heraus notwendigen beiden Korrekturen — seinen vollen Sinn (367,18f.): „indem wir freilich nicht, ohne genau erkannt zuhaben, d a ß eine Auskugelung in die Achselhöhle stattfindet, in der L a g e s i n d , die E i n r e n k u n g zu l e r n e n — e b e n s o , wie (wir) a u c h n i c h t (in der Lage sind, zu lernen), wie e i n e A u s k u g e l u n g in die A c h s e l h ö h l e s t a t t f i n d e t , ohne vorher die gesamte Beschaffenheit des Gelenks kennengelernt zu haben". 390,1: Nach diaQ&Qwoecog hat L v ßge% om. L; die Negation ist aber wegen des folgenden dAA' unbedingt nötig. 320,4: ra om. L; der Fehler ist durch Haplographie entstanden (xara. ra). 564,7: rrjg om. L; der Ausfall ist vielleicht durch das folgende rcöv verursacht 1 ). Etwas anders liegen die Dinge bei den beiden folgenden Beispielen: 331,11: rovro, werte nQoorjxovriog P edd.: rov TCQoarjxovrog L; der Quantitätsfehler in L (TiQoarfxavxoz statt -ovrcog) ist offensichtlich, und ebenso überzeugt rovro für rov. Aber die Zufügung von &are im Text von P ist völlig überflüssig, da der mit jigcörov /MBV OVV beginnende, durch einen von ort bis rovro reichenden Nebensatz unterbrochene Hauptsatz mit nQoarjxovrcog äv ng encuveaeie augenscheinlich fortgesetzt wird. 331,14: ort re om. L; vermutlich ist der Fehler durch Haplographie entstanden, denn durch Zufügung eines (mg) hinter xarardaemg läßt sich die Stelle heilen. Sri re im Text von P ist, wenn man diesen paläographischen Gesichtspunkt berücksichtigt, demgegenüber eine nur sinngemäß richtige Ergänzung. Besonders aufschlußreich für die Art solcher zwar ohne Zweifel erforderlichen, aber durch ihre sprachliche Formulierung dennoch nicht voll überzeugenden Ergänzungen ist eine der ganz wenigen Stellen, an denen P ein etwas umfangreicheres textliches Plus gegenüber L hat, nämlich 310,10f.: ovre rcöv VEVQCOV fj rcöv cpÄsßöjv om. L. Damit klafft im Text von L eine deutliche Lücke, denn nach ovre rwv aQrrjQwöv muß ja zumindest ein weiteres Glied der Aufzählung folgen. Es ist auch nach dem, was Galen kurz vorher sagte (vgl. 310,5f.), klar, daß hierher die Erwähnung der deg, ooov rä dumvrjoavra. 11. K o r r i g i e r e n d e T e n d e n z e n im T e x t v o n P Wenn man die in den vorangegangenen Abschnitten vorgelegten Beispiele insgesamt überblickt, so fällt auf jeden Fall auf, wie weitgehend die beiden Handschriften L und P übereinstimmen. Dieser Fülle von Gemeinsamkeiten, wie sie hier an einem Bruchteil des gesamten Textes zutage tritt — der aber als stellvertretend für den Gesamttext durchaus gelten kann, da in diesem das Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Abweichungen zwischen beiden Handschriften unverändert das gleiche ist —, steht eine verhältnismäßig nur geringe Menge von Abweichungen gegenüber. In Z. 1 hat L allein die richtige Lesung enav elxfi (statt enavrjxsi, wie P edd. haben) bewahrt (¿näv e. coni. auch sonst bei Galen, z. B. im Kommentar zu De victu acutorum IV 30=CMGV9,1 p. 299,17 Helmreich). Für Siawedev (Z. 2) hat L

öieqe&rj, P öicuge'; lies (Kai) ÖiaiQed-fj.

II. Untersuchung eines Textstückes

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E s war aber oben (S. 35) auch schon darauf hingewiesen worden, d a ß die Abweichungen im Text von P nicht wie ursprüngliche, echte Lesungen wirken, sondern daß es sich vielmehr häufig zeigen läßt, wie sie, wenn sie nicht einfach auf Flüchtigkeit beruhen, ihren Ursprung einem — teils berechtigten, teils unberechtigten, bald das Richtige treffenden, bald in die Irre gehenden — korrigierenden Eingreifen in den Text verdanken. E s soll n u n versucht werden, die Tendenzen dieses Eingreifens im einzelnen noch deutlicher aufzuzeigen. Zunächst bietet P beispielsweise gegenüber allen leicht erkennbaren Itazismen von L — etwa fxoieg s t a t t /wsg 404,4 u n d 425,8; oder eraigov s t a t t EXEQOV 342,5; oder exTQaiziarjg s t a t t EXXQCLneiari noirjxfj 'Agiaxorpàver E'msQ òi] xgavéo) ye xaì si xsxsXeofiévov eoxai. S t a t t 'Agiaxocpavei hat L v L U (aQ&Q ist richtig); 733,13 (III 252,19 R.) ¡X6V efißdlXovrt öi ovjieg äv eni%eiQfj (-et Druckfehler der Ausgaben) rgdnov rfjv efißoZrjv noir/craoftai P edd.: ravrrjg yag avayxatov rov efißaXXovxa öi ovneg av eni%eiqr\ rgonov TTJV e/ißoXrjv noirjaaa&ai L: xavxag yäg avayxatov egydaaa&at rov e/xßatäovxa, öt ovneg av eni^eigfj rgdnov rfjv efißoXrjv noirjoaa&ai Orib. Die ganze Schwierigkeit hängt augenscheinlich an dem korrupten Demonstrativpronomen; dieses muß sich, daran besteht kein Zweifel, auf die in Z. 10 erwähnten drei evegyeiai beziehen, aus denen, wie Galen dort sagt, eine ¿¡ußofa] zusammengesetzt ist. Nun muß, so will Galen sagen, jeder ¿fißdAfaov diese evegyeiai benutzen, gleichgültig, auf welche Weise er die Einrenkung versucht — denn es gibt mehrere xgonoi efißoXrjg (Z. 18). Mir scheint, es genügt die kleine Änderung des in L überlieferten xavxqg in xavreug, um den Satz in Ordnung zu bringen; 6i ofaieg äv em%eigfj rgdnov ist in Kommata zu setzen, 1 ) Bemerkenswert hierbei ist, daß L und P dieses Lemma nicht als solches gekennzeichnet haben (s. auch oben S. 13 Anm. 1).

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III. Der Text der Oribasiusexzerpte

so daß dann rrjv efißoKrjv noirjaaaüai nicht zu diesem verallgemeinernden Relativsatz gehört, sondern einen von ävayxalov abhängigen A. c. I. bildet. Die Versuche in1 P und bei Oribasius, die in Tavrrjg steckende Korrüptel zu heilen, scheiterten infolge des Verkennens dieser A. c. I.-Konstruktion: Oribasius liest ravtaq, ist aber dadurch gezwungen, den Infinitiv egyaoaa§ai einzufügen; der Text von P versucht es mit avrrj — was direkt falsch ist, da, wie schon erläutert, a l l e d r e i eveQyeiai gemeint sind —, muß aber dazu ävayxalov in ävayxaia und rov ¿fißoMovra in reo ¿[¿ßaÄAovri ändern. — Schließlich noch ein Beispiel für eine Umformung, die durch das Exzerpierungsprinzip des Oribasius und den dadurch sich ergebenden sachlichen Zusammenhang bedingt ist: 474,5 (III 214,3f. R.) eyöj de TIOTE [irfie Xißavmxoü ¡xrjre xofijuecag EVJIOQTÖV L P edd.; statt Xißavmrov hat Oribasius (mwr\z. Das kommt daher, daß bei ihm vorher nur von fiavva die Rede ist, während im vollständigen Text des Galen unmittelbar vorher neben fiavva auch von kißavojrog gesprochen worden war. Die Änderung von Xißavmrov in /xdvvrjg machte Oribasius also wegen seines eigenen durch die Exzerpierung entstandenen Textzusammenhangs. Bemerkenswert an dieser Stelle ist noch, daß Oribasius die bei Galen in Z. 6 stehenden Worte 7icLQerv%e ydg ncog avrrj als überflüssige Bemerkung weggelassen hat, wie er auch sonst allzu spezielle oder persönliche Bemerkungen fortzulassen pflegt, etwa 495,7 (111256,3 R.) rj ngoam und exarSQOJQ yäq ovofiaCovm (vgl. auch oben S. 27 zu 350,17). Das Ergebnis des vorliegenden Kapitels möchte ich folgendermaßen zusammenfassen: Oribasius hat durchaus an manchen Stellen gegenüber L und P den richtigen Text, der offensichtlich nicht aus eigener oder fremder Konjektur gewonnen wurde, sondern aus originaler Überlieferung stammt. E r hat aber auch Lesungen, die zumindest wahrscheinlich machen, daß auch ihm prinzipiell schon ein mit Eingriffen versehener Text vorgelegen hat; und schließlich hat er ohne Zweifel manches selbst am Galentext konjiziert oder geglättet. Seine Handschriften spalten sich bisweilen und gehen teils mit L, teils mit P zusammen. Dies kann nicht überraschen: Wir müssen feststellen, daß, wie kaum anders zu erwarten, die Überlieferung schon frühzeitig uneinheitlich wird, und wir können sehen, wie sowohl durch Unachtsamkeit der Kopisten als auch durch eigenmächtige korrigierende Eingriffe die Verwilderung des Textes ständig zunimmt. Um eine Abhängigkeit oder wechselseitige Beeinflussung beider Zeugengruppen — auf der einen Seite L P, auf der anderen die Oribasiushandschriften — zu behaupten, reicht das Material nicht aus. Stattdessen wurde versucht, bei Abweichungen jeweils immer wieder die für jeden Textzeugen in Betracht kommenden individuellen Entstehungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

IV. Der Hippokratestext Der auffälligste Unterschied gegenüber der Hippokratesüberlieferung besteht darin, daß Galen die Kapitel 17 bis 29 und 79 bis 87 von De articulis in seinem Kommentar weder berücksichtigt noch überhaupt erwähnt. Beide Partien sind aber zum größten Teil Exzerpte aus dem Mochlikon; Galen hat sie also in der ihm vorliegenden Hippokratesausgabe augenscheinlich nicht gelesen1). — Von größerer Wichtigkeit ist die Diskrepanz, die sich zwischen dem Umfang der Lemmata in L und P und der Gesamtmenge des Textes von De articulis ergibt; dazu hat Kühlewein2) folgendes bemerkt: male in eo (sc. in Laurentiano) codice factum est,quod librarius verba Hippocratis singulis commentarii partibus praemissa multis locis ad initia paucorum versuum vel unius recidit, interjecta omisit. In der Tat bieten L und P in den Lemmata bei weitem nicht den gesamten Hippokratestext; an vielen Stellen ist das Lemma nur sehr kurz, und eine ganze Menge Hippokratestext ist weggelassen. Es läßt sich aber beweisen, daß das nicht etwa grundsätzlich auf die Nachlässigkeit eines oder mehrerer Abschreiber zurückzuführen ist, wie Kühlewein vermutete, sondern daß vielmehr Galen s e l b s t an vielen Stellen seines Kommentars Partien des Hippokratestextes unerklärt ließ und auch im Lemma nicht notierte 3 ): 307,8 geht in beiden Handschriften das Lemma nur bis Xiyoi; dann setzt der Kommentar ein (308,4). Galen bestätigt nun an dieser Stelle ausdrücklich, daß das von ihm behandelte Hippokratestextstück mit Myco aufhören soll (308,7ff.): äXXä ro TiQoaxetfievov avrjj (sc. rfj vvv TiQoxeißevr] Xe£ei) xarä ro rsXog, ev&a cprjar ,,xairoii) e^eov neol avrov o ri Xeyoj". Ebenso 596,16: Mit yivexai hört in beiden Handschriften das Lemma auf; im Kommentar sagt Galen (598,14): ro de „XeTiroregov" enl rfji; TeXsvrrjg TOV Xoyov nooas-drjKEV. Damit ist der kurze Umfang des Lemmas in den Handschriften als von Galen herrührend erwiesen. !) Zu diesem Problem vgl. zuletzt K. Deichgräber, Gnomon 6, 1930, 485f. ) Vol. II p. X I seiner Hippokratesausgabe. 3 ) Eine Beweisstelle für die Kühleweinsche Behauptung habe ich andererseits nicht finden können. 4 ) So, auch im Lemma, L P : xaineQ Hipp. codd. 2

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IV. Der Hippokratestext

Hier handelte es sich u m zwei Stellen, die unumstößlich beweisen, d a ß Galen nicht immer den vollen Hippokratestext notierte. W e n n n u n an anderen Stellen, w o Galen a m E n d e einer Erklärung sagt rä d' äXXa rf/g Qrjaecog öijla (oder ähnlich) 1 ), das dazugehörige L e m m a in beiden H a n d schriften tatsächlich nur das umfaßt, was i m K o m m e n t a r erklärt wird, oder wenn v o n einer längeren Ausführung des Hippokrates — so z. B . über einen speziellen XQÖJIOQ e/ißo?.rjg — nur der erste Satz gleichsam als Stichwort gegeben ist, so wird m a n auch in solchen Fällen v e r m u t e n können, d a ß Galen selbst das L e m m a in dieser knappen F o r m notierte, u m so eher, als er dies auch in anderen K o m m e n t a r e n so gemacht zu haben scheint, beispielsweise im K o m m e n t a r zu D e victu acutorum (CMG V 9 , 1 S. 117—366 Helmreich) S. 2 0 0 , 2 6 f . : rrjv ö' ¿xofievrjv rijgde rrjg Qrjaecog . . . exd>v v7ieQßrjoo(j.ai dia aaxprp>eiav, die Handschriften — außer A 2 ) — bieten Beispielsweise 341,4f.: rd 6s xara /legog äjtavza rrjg ffioecog avrov aaiprj; das Lemma geht i n L P nur bis rourjöe (339,6), die folgende d e t a i l l i e r t e Beschreibung dieser ifißoArf ist also weggelassen. Oder 404,10 rä ö'äUa rfjg Qrjaecog dfjXa (L P bieten das Lemma nur bis 398,9 d)fi07iMrt]g). Oder 410,6 rd d'e^fjg ¿bzavra SfjXa (in L P endet das Lemma 407,4 mit roiavra). Oder 440,12f. za ö'£ stehenden

IV. Der Hippokratestext

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das Lemma nur bis £gjjv elgrjfievcov rä ¡uev nXelara ocupfj; die Handschriften, d i e s m a l a u c h A, bieten alle — außer P 0 0 "*) — das L e m m a nur bis 3 6 3 , 2 2 yiyvrjrai. — I m übrigen ist auch in den Lemmata des D e off. med.Kommentars bei weitem nicht der gesamte Hippokratestext ausgeschrieben 2 ). Die gegebenen Hinweise zeigen, wie ich hoffe, eindeutig, daß Galen selbst öfter nur einen Bruchteil des Hippokratestextes seinen Erklärungen vorangesetzt hat. Für die Edition von Galenkommentaren ist es jedenfalls methodisch unzulässig, gegen alle übrigen Handschriften die L e m m a t a nach einer einzigen Handschrift zu vervollständigen, wenn nicht triftige Gründe — etwa ein Hinweis i m Galenkommentar selbst — dafür sprechen. Bei der Besprechung des Textes im einzelnen richten wir uns nach folgenden Gesichtspunkten: 1. Abweichungen im K o m m e n t a r selbst, d. h. zwischen dem L e m m a t e x t und einem Zitat in der dazugehörigen Erklärung oder anderswo; 2. Abweichungen zwischen L P und den Hippokrateshandschriften; 3. Abweichungen, die P gegenüber L hat. 1. Bemerkenswert ist eine Reihe von Stellen, an denen der K o m m e n t a r eine andere Lesung nennt oder billigt als die, welche die beiden Handschriften i m L e m m a bieten. Hier sieht man deutlich, daß innerhalb der Galenüberlieferung die Lemmata bisweilen nach Hippokrateshandschriften Worte am Bande zugefügt hat, wie ich aus dem im CMG befindlichen Film der Handschrift ersehe). Übrigens weist die ebengenannte Pariser Handschrift, welche auch den Kommentar zu De victu acutorum enthält, die gleiche Eigentümlichkeit auch an einer Stelle dieses Kommentars auf (305,5 Helmreich, mit Apparat). Dort gehen alle Handschriften im Lemma nur bis 305,5 aQXVSi einzig A und der Korrektor von P ergänzen das übrige, aber nicht an aqxVQ anschließend, sondern vor dem Beginn des nächsten Lemmas (306,8)! Dadurch wird, wie mir scheint, die nachträgliche Einfügung evident; denn dort kann der restliche Hippokratestext unmöglich gestanden haben, da Galen seine Erklärung (306,15) mit den Worten ro „öiä reAeos" — also doch wohl mit dem A n f a n g dieses Lemmas (306,8 oxöaoiai ös öiä reXeog) — beginnt. Vielmehr wird hier, wie sonst, der Textbestand aller übrigen Handschriften maßgebend sein. Die Bemerkung Helmreichs im Apparat zu 305,5 (P1, qui ex codice Hippocrateo addidisse videtur) gilt unseres Erachtens ebenso auch für A! Für pcorr v gl. die vorige Anmerkung. Es ist doch nach allem dort Gesagten ganz unvorstellbar, daß der Korrektor dieser Handschrift den fehlenden Lemmatext hier etwa aus einer „vollständigeren" Galenhandschrift ergänzt haben sollte (übrigens erwähnt Helmreich diese immerhin aufschlußreiche Stelle in seiner Praefatio gar nicht). Auch hier wird es so sein, daß Galen selbst das Lemma nur bis zu dem von allen übrigen Handschriften gebotenen Umfang notiert hat; das übrige behandelt er stichwortartig — die Leser, an die er sich wendet, hatten den Hippokratestext ohnehin vor Augen. 2 ) Vgl. Vogt, Diss. 19.

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korrigiert sein müssen. Dafür einige Beispiele: 428,4 (IV 140, lOf. L; = I I 146,10 f. Kw.) äfia re ÄJXYOTEQOW TCÜV äxgscov XOVTCOV vevQ(bdeeg revovreg TKqwxaai L P edd. et codd. Hipp, plerique; Galen zitiert diese Worte in seinem Kommentar zweimal, und zwar 428,8 und 430,18. An der ersten Stelle bieten L P edd. ein ETI vor ä/MpoTEQCov, an der zweiten Stelle haben L P an vor äficpoxEQmv, während die Editionen die Präposition entsprechend dem vorangesetzten Lemmatext fortlassen. Von den Hippokratescodices hat als einziger B (das ist unser Laurentianus 7 4 , 7 ) d i e Präposition cot vor afjupOTSQCov, dem Littre und Kühlewein an dieser Stelle mit Recht im Text folgen. Allem Anschein nach hat auch Galen an gelesen; daher ist die Präposition im Lemma einzufügen und 428,8 en , das wohl nur verschrieben ist, in an zu ändern. 437,4 (IV 144,1 L. = I I 147,15Kw.) d%M>dea am Rande und sind von dort in den Text gedrungen. Auch

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zu den Stellen, wo P von L abweicht; dabei stimmt die Lesung von P manchmal mit einigen Hippokrateshandschriften überein, bisweilen stehtP auch mit seinem Text allein. Zunächst einige Beispiele für den ersten Fall, aus denen man entnehmen kann, daß entweder dem Schreiber von P selbst oder einem seiner Vorgänger neben dem Lemmatext des Galenkommentars eine Hippokrateshandschrift vor Augen gewesen sein muß, nach der Abweichendes in den Lemmata korrigiert wurde: 313,4f. (IV 80,2 L. = I I 112,5 Kw.) läßt L die zwischen dem zweimaligen yiiXcoaeie stehenden Worte fiEv rcüv aaqxmv rrjv ¿Ttco/iida aus; statt des ersten ipifaboeie bietet sein Text tpiXmaig, und von dem zweiten ipiXcbasie ist nur noch die sich unmittelbar an rpiAxoois anschließende Endung eiev übriggeblieben. Es handelt sich also offensichtlich um einen mechanischen, durch Homoioteleuton verursachten Ausfall. P hat mit allen Hippokratescodices den korrekten und vollständigen Text. An einer anderen Stelle fehlen ebenfalls einige Worte in L: 329,8 rfjai %£Qoi Tfjai emvrov (IV 82,20 L. = I I 114,14 Kw.); auch hier liest P diese Worte mit den Hippokrateshandschriften. Aber das Fehlen der Worte in L ist hier offenbar nicht mit der Annahme eines mechanischen Ausfalls zu erklären, zumal auch Apollonius von Kitium (S. 3,30 Schöne) gegen die Hippokrateshandschriften rfjai ecovrov wegläßt; vielleicht handelt es sich bei den zitierten Worten um einen Zusatz, den Galen tatsächlich nicht gelesen hat. — An den beiden eben genannten Stellen hat P einen anscheinend aus einer Hippokrateshandschrift ergänzten Text; nun noch einige Beispiele von Abweichungen bei einzelnen Wörtern: 305,13 (IV 78,3 L. = I I 111,3 Kw.) ovdenw P mit den Hippokratescodices B und M: ovnco L mit Apollonius von Kitium (S. 1,22 Schöne); 323,15 (IV 82,4 L. = I I 113,13 Kw.) ¿fißdUoi P mit B V: efißaAoi L mit M; 323,17 (IV 82,6 L. = I I 113,15 Kw.) ävayxd£oi P mit V: ajiavayxa^ojv L (einfacher Antizipationsfehler statt des richtigen oaiavayxdfri, das B und M haben); 323,18 und 324,2 (IV 82,6. 8 L. = I I 113,16. 18 Kw.): An beiden Stellen hat P eußdXXcov, an der ersten mit M und V, an der zweiten mit V; L hat beide Male ¿fißahm, an der ersten Stelle mit B , an der zweiten mit B und M; 328,6 (IV 82,15 L. = I I 114,8 Kw.) S/xmq P mit allen Hippokratescodices; L allein hat ofioicoQ, das durchaus einen guten Sinn ergibt 1 ). — Die letztgenannten Beispiele zeigen das Bestreben in dieser Handschrift läßt sich also, wie in der oben S. 60 Anm. 2 genannten Pariser Handschrift H, der Einfluß des Galenkommentars nachweisen. Es ist von zwei £fxßoXal die Rede; beide sind oi xarä qsvaiv, und beide zwingen „in gleicherweise durch Herumschlingern" (o/toico?