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German Pages 412 Year 2015
Ilka Sommer Die Gewalt des kollektiven Besserwissens
Gesellschaft der Unterschiede | Band 30
Für Linnea und Marina
Ilka Sommer promovierte in Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde durch ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert. Zuvor studierte sie Sozialwissenschaften in Duisburg, Düsseldorf, Freiburg, Durban und Neu Delhi und arbeitete mehrere Jahre in der angewandten Forschung.
Ilka Sommer
Die Gewalt des kollektiven Besserwissens Kämpfe um die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Deutschland
Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich um eine Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät. Sie wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Dank
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Vorwort
11
1
Einleitung
15
2
Das Feld und die (Nicht-)Anerkennung: Macht- und ungleichheitstheoretische Perspektiven im Anschluss an Pierre Bourdieu
27
2.1
Die begrenzte und begrenzende Struktur 2.1.1 Staaten machen Leute 2.1.1.1 Symbolische Gewalt 2.1.1.2 Soziale Ungleichheit 2.1.1.3 Titel und Stelle 2.1.1.4 Statistische Kategorien 2.1.2 Leute machen Staaten 2.1.2.1 Staat und Feld 2.1.2.2 Soziale Praxis Die entgrenzte und entgrenzende Struktur 2.2.1 Leute in Bewegung 2.2.2 Staaten in Bewegung Die Klassifikationskämpfe um die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals und die Illusio der objektiven Vergleichbarkeit
30 31 31 34 39 41 43 43 46 50 51 60
3
Der Forschungsprozess
71
3.1 3.2 3.3
Idee und Fragestellung Das Konstrukt Promotion Zwischen »Exploration« und »Forschungsdesign« 3.3.1 Empirie: mit den Institutionen vertraut werden 3.3.2 Theorie: Pierre Bourdieu und Interpreten 3.3.3 Brückenbau: Verbindung von Theorie und Empirie gesucht 3.3.4 Loslegen: erste Explorationen ins Feld 3.3.5 Festlegen: das rekonstruktive Forschungsdesign Gruppendiskussionen mit Auslandsqualifizierten 3.4.1 Frage: symbolische Gewalt oder kollektive Kraft? 3.4.2 Durchführung: Gruppenbildung und Selbstläufigkeit 3.4.3 Interpretation: Fokussierungsmetaphern
72 73 75 76 79 81 82 83 84 85 87 92
2.2
2.3
3.4
65
3.5
Narrativ fundierte Expertinneninterviews in zuständigen Stellen 3.5.1 Instrument: Experteninterviews 3.5.2 Interviewte: Selektion und Zugang 3.5.3 Interviewführung: Erzählungen generieren 3.5.4 Textmaterial: anonymisierte Transkripte Praxeologische Wissenssoziologie und Rekonstruktion des Felds 3.6.1 Ausgangspunkt: die Dokumentarische Methode 3.6.2 Interpretation: Reflexionen und Relationen 3.6.3 Rekonstruktion: Feld und Methode Resümee des Vorgehens
94 94 98 103 106 108 108 114 118 126
4
»Anerkennungsdebatten« und »Anerkennungsgesetze«: warum überhaupt »Gleichwertigkeit prüfen«?
129
4.1 4.2
»Mensch« nicht »Ausländerin«: warum keine Starthilfe vom Staat? Die historische Entstehung eines »Bewertungswesens« 4.2.1 »Starthilfe« für Spätaussiedler? 4.2.2 »Akademische Anerkennung« und die Internationalisierung der Hochschulen 4.2.3 »Berufliche Anerkennung« und EUropäische Freizügigkeit 4.2.3.1 Reglementierte und nicht-reglementierte Berufe 4.2.3.2 EU-Qualifikation versus Drittstaatsqualifikation 4.2.4 Sonderfall: akademische Grade und Hochschulabschlüsse Die Reform des Bewertungswesens durch »Anerkennungsgesetze« in Bund und Ländern (2012-2014) 4.3.1 »Qualifikation« als Anerkennungsprinzip 4.3.2 Gesetze und Gesetzgebungsverfahren 4.3.3 Mehr Kontinuität als Wandel? Das Berufsrecht der betrachteten (bewerteten) Berufsgruppen 4.4.1 Ärztinnen 4.4.2 Architektinnen 4.4.3 Handwerkerinnen 4.4.4 Lehrerinnen 4.4.5 Pflegekräfte »Bürger dieses Landes«: Formation des kollektiven Widerstands
3.6
3.7
4.3
4.4
4.5
131 137 138 140 146 146 150 152 154 154 157 161 165 166 171 174 177 179 182
5
Was heißt hier (nicht) gleichwertig? Die Genese »deutscher« Bewertungen »ausländischer« Qualifikationen
5.1
Machtkonstellationen 5.1.1 Zwischen »durchwinken« und »direkt auseinandersetzen« – die Beziehung zu anderen Ausbildungsstaaten 5.1.1.1 Vertrauen 5.1.1.2 Verhandlungszone 5.1.1.3 Beziehungslosigkeit 5.1.2 Wem wobei »helfen« und wen wovor »schützen«? – das Spannungsfeld der (qualifikationsbezogenen) Marktinteressen 5.1.2.1 Liberalismus 5.1.2.2 Verhandlungszone 5.1.2.3 Protektionismus 5.1.3 Vom »Einheit« suchen und im »Einzelfall einsam« bleiben – die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit 5.1.3.1 Einheit 5.1.2.2 Verhandlungszone 5.1.3.3 Einsamkeit 5.1.4 Zusammenfassung der Machtkonstellationen Selektionsmechanismen 5.2.1 »Information« und »Beratung« – die Selektionen vor der offiziellen Bewertung 5.2.1.1 Erstkontakt 5.2.1.2 Zuordnung zu einer »deutschen Referenzqualifikation« 5.2.1.3 Aussagen zu »Chancen« und »Kosten« 5.2.1.4 »Vollständigkeit« der Antragsunterlagen 5.2.1.5 »Echtheit« der Zertifikate 5.2.1.6 »Sprachnachweis« 5.2.2 »Wie Äpfel mit Birnen vergleichen« – Haltungen zur »Gleichwertigkeitsprüfung« 5.2.2.1 Suche nach Ähnlichkeiten 5.2.2.2 Suche nach Unterschieden 5.2.3 »Erfahrungsschätze« – das Prinzip der beschrittenen Wege 5.2.3.1 »Eigene« Erfahrungen 5.2.3.2 Zentralisierte Datenbanken (»Anabin«, »BQ-Portal«) 5.2.4 »Expertise aufbauen« – die Such- und Greifbewegungen 5.2.4.1 Internetrecherchen 5.2.4.2 Gutachterliche Zusammenarbeit 5.2.4.3 Performative Prüfung statt Aktenprüfung? 5.2.5 »Die« bei »Uns« – die Legitimation und Verarbeitung
5.2
195
197 200 201 206 214
218 220 225 228 236 237 239 244 247 250 252 253 256 259 262 265 267 269 271 275 283 284 286 290 291 293 300 304
5.3
6
5.2.5.1 Ausbildungsstandards 5.2.5.2 Deutsche Sprache 5.2.5.3 Berufsbild 5.2.6 Zusammenfassung der Selektionsmechanismen Handlungskompetenzen 5.3.1 »Es gibt da ein Gesetz« – Reproduzieren können 5.3.1.1 Frau Anton 5.3.1.2 Frau Tietz 5.3.2 »Was tatsächlich dahinter steht« – Kontextuieren können 5.3.2.1 Frau Runge 5.3.2.2 Frau Sachs 5.3.3 »Zu meinem Befremden habe ich es in der Hand« – Reflektieren können 5.3.3.1 Frau David 5.3.3.2 Herr Kuhn 5.3.4 »Berlin und Brüssel sind praxisfern« – Kritisieren können 5.3.4.1 Frau Conrad 5.3.4.2 Herr Meyer 5.3.5 »Wir waren die Ersten« – Transformieren können 5.3.5.1 Frau Landmann 5.3.5.2 Frau Peters 5.3.6 Zusammenfassung der Handlungskompetenzen Die Gewalt des kollektiven Besserwissens und ihre Kritik: die Anerkennung der Auseinandersetzung und des Widerstands
305 307 309 312 315 316 317 322 324 325 331 335 335 341 344 345 348 351 351 356 359
361
Literatur und Quellen
383
Anhang
405
Dank
Eine Doktorarbeit ist nicht das ganze Leben, auch wenn es sich für mich oft so angefühlt hat. Ich danke den mir nahestehenden Menschen, die glauben, nichts mit dieser Arbeit zu tun zu haben und vielleicht auch gar nicht so genau wissen, womit ich mich beschäftigt habe. Die Arbeit lebt auch von diesem anderen Erleben und nicht zuletzt auch anderen Hilfen, z. B. liebevoller, zuverlässiger Kinderbetreuung. Dann danke ich natürlich vor allem den beiden, die offensichtlich am meisten mit dieser Arbeit zu tun haben, meinen Doktoreltern Anja Weiß und Boike Rehbein. Ich habe mich jeder Zeit außerordentlich gut betreut und begleitet gefühlt. Ihr habt mich auf Eure jeweils eigene Art in vielerlei Hinsicht beeindruckt, zum Teil geärgert und im Grunde ständig neu herausgefordert. Zusammenfassend muss ich sagen, dass es mir viel Spaß gemacht hat mit Euch. Der Heinrich-Böll-Stiftung und insbesondere dem Studienwerk gilt mein Dank für das Promotionsstipendium und damit auch das ideell anregende, interdisziplinäre Umfeld aus interessanten Menschen, spannenden Veranstaltungen und vielseitigen Diskussionen. Ich bin froh, Euch als Alumna nicht missen zu müssen. Wesentlich ist der Beitrag derjenigen, die durch ihre Teilnahme an Interviews und Gruppendiskussionen der Arbeit erst ihren Inhalt gegeben haben. Sie haben vielfach Fundierteres und Neueres zu sagen gehabt als ich in dieser Zeit z. B. durch die massenmedialen Kanäle zu hören bekommen habe und mitunter sehr viel mehr als ich verwenden konnte. Deswegen kann ich nur alle, die sich mit diesem Thema alltäglich beschäftigen (müssen) dazu ermuntern, ein eigenes Buch zu schreiben. Präsentiert und diskutiert habe ich meine Arbeit vielfach in Kolloquien, in Seminaren und auf einigen Tagungen und Konferenzen. Mein Dank gilt allen Teilnehmenden, deren Feedback und deren eigene Projektdarstellungen mir im Forschungsprozess sehr geholfen haben, mein Denken kontinuierlich zu überdenken. Neben den Teilnehmenden aus dem Umfeld meiner Doktoreltern möchte ich das Kolloquium von Arnd-Michael Nohl nennen, an dem ich regelmäßig teilnehmen durfte. Auch den Teilnehmenden des Böll-Campus 2013 und des Böll-Promovierendenforums 2014 gilt mein besonderer Dank.
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Unersetzliche Anregungen verdanke ich vor allem dem Engagement Einzelner, die mich mit Lese- und Diskussionsbereitschaft sowie guten, strukturierenden Ideen unterstützt haben. In der Hoffnung niemanden vergessen zu haben danke ich (alphabetisch sortiert): Anne Bonfert, Ariana Kellmer, Barbara Sommer, Christian Schneickert, Edeltrud Freitag-Becker, Friederike Kämpfe, Greta Civis, Irina Bernstein, Isabel Remer, Isabell Merkle, Janina Myrczik, Johanna Krawietz, Jonas Grutzpalk, Julia Viering, Katrin Reinecke, Mathis Sommer, Noelia Streicher, Sabrina Ellebrecht, Silva Demirci, Simin Fadaee, Stefanie Visel, Steffen Stubenrauch, Stella Müller, Susanne Becker und Tanja Mölders. Allen Menschen von und bei Janun danke ich für das Arbeiten in einer lebendigen Bürogemeinschaft, den Kaffee, die Mittagessen und die guten Unterhaltungen. Helge, Linnea und Marina gelten meine abschließenden Worte, wohl wissend, dass Worte nicht ausreichen, um Eure Bedeutung und Eure Beiträge zu würdigen.
Vorwort
Einwanderung, Bildung und die Entscheidungen der Bürokratie sind Themen, die starke Emotionen und klare politische Stellungnahmen hervorrufen. Das vorliegende Buch eröffnet einen neuen Blick auf die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in Deutschland, indem es die Perspektiven der im Ausland qualifizierten Migrantinnen und Migranten sowie der zuständigen Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen nachvollzieht. Es zeigt sich, dass die Bewertung ein komplexer Prozess ist, in dem viele Interessen, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und individuelle Spielräume die Entscheidung beeinflussen. Die Autorin verwendet das empirische Material nicht als Beleg einer von vornherein gegebenen politischen Position. Sie entwickelt Verständnis für die Perspektiven der einzelnen Akteure, indem sie die Zwänge und symbolischen Welten aufzeigt, in denen sie sich bewegen. Das gesamte Feld ist durch eine staatliche und letztlich international wirksame symbolische Gewalt strukturiert, zu der sich alle Akteure und Institutionen im Rahmen der ihnen qua Position gegebenen Spielräume verhalten müssen. Wenn Menschen zwischen Ländern wandern, folgt die Logik der Bewertung nicht der Logik einer Schule, in der die Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler ausbilden und dann einzeln prüfen, sondern der Logik internationaler Beziehungen, in denen Staaten das Bildungssystem anderer Staaten bewerten. Die neue deutsche Gesetzgebung, die ab 2012 in Kraft trat und die in der Öffentlichkeit als Anerkennungsgesetzgebung bezeichnet wird, enthält daher auch keinen Rechtsanspruch auf Anerkennung, sondern nur eine Gleichwertigkeitsprüfung, bei der die Bildungsgänge anderer Staaten an den Berufen und Ausbildungsplänen, die sich in Deutschland entwickelt haben, gemessen werden. Die hohen (Teil-)Anerkennungsquoten, die kurz vor Vollendung des Buchmanuskripts durch die Presse gingen, verschleiern, dass Antragstellerinnen und Antragsteller schon im Vorfeld viele Hürden überwinden müssen. In diesem Buch wird mit Hilfe der Bourdieuschen Feldtheorie untersucht, wie der Prozess der Bewertung verläuft. In Feldern gibt es immer einen stabilen Bereich, in dem die Regeln klar sind, und einen umkämpften Bereich, in dem sich
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Felder wandeln und neue Interessengruppen neue Regeln erfinden. Im Feld der Anerkennung ausländischer Bildung sind Machtkonstellationen zwischen Staaten wichtig. Je nachdem ob die Beziehungen zu dem zur Bewertung stehenden Ausbildungsstaat vertrauensvoll sind oder ob dieser Staat als politisch und kulturell entfernt wahrgenommen wird, steigen oder sinken die Chancen auf eine Anerkennung der Gleichwertigkeit. Außerdem ist von Belang, ob im jeweiligen Beruf liberale oder protektionistische Marktinteressen überwiegen. Die Gesundheitsberufe stehen beispielsweise als Mangelberufe mit starken Professionsverbänden unter dem Druck eines weltweiten Arbeitsmarktes, was die Anerkennungschancen erhöht. Dagegen stellt beim staatlich regulierten Lehramt die volle Anerkennung eine absolute Ausnahme dar. Die theoretische und empirische Auseinandersetzung mit dem Feldbegriff und Versuche, ihn für transnationale Fragestellungen einzusetzen, haben in den letzten Jahren international an Bedeutung gewonnen, ohne dass sich methodologisch und empirisch immer einholen ließe, was theoretisch versprochen wird. Das vorliegende Buch trägt hier wesentlich zum Forschungsstand bei. Es entsteht ein sehr deutliches und empirisch fundiertes Bild eines machtförmigen Feldes der Titelanerkennungskämpfe und der Wissensverkennungsgewalt, das durch ein international segmentiertes – aber zunehmend auch interdisziplinär differenziertes – Bildungswesen sowie zwischenstaatliche Beziehungen strukturiert wird. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass die Handlungsspielräume der individuellen Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht als der Sache dienlich, sondern als Abschieben von Verantwortung, als „Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit“ erkennbar werden. Bewertungen, die häufig vorkommen, weil sie Staaten oder Berufe betreffen, die für Deutschland wichtig sind, werden zentral durch Standards geregelt. Einzelfälle müssen dagegen von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern entschieden werden, die in der Regel selbst nicht in diesem Beruf ausgebildet, mit der Entscheidung überfordert sind und entsprechend restriktiv entscheiden. Das Buch ist damit auch eine mikrologische Studie über die Funktionsweise des Staates. Es überwindet eine einfache Gegenüberstellung von scheinbar „gesetzten“ Rahmenbedingungen und scheinbar „individuellen“ Handlungsspielräumen im bürokratischen Entscheidungsprozess. Den Gegenstand bilden dabei vorrangig die geteilten Selbstverständlichkeiten, die Schicht für Schicht von zwischenstaatlichen Beziehungen bis zu habituellen Einstellungen freigelegt werden. Selbstverständlichkeiten wie die, dass es „besseres“ Wissen gibt, dass staatliche Stellen wissen (müssen), was besseres Wissen ist, dass Wissen aus dem Ausland nur selten ganz an das Wissen im Inland heranreichen kann und dass die Wissenschaft ohnehin alles besser weiß. Die Autorin hat zur Freilegung dieser Selbstverständlichkeiten eine sehr feingliedrige qualitative Methodologie auf der Grundlage der Dokumentarischen Methode entwickelt. Die Behauptung ist kaum übertrieben, dass sie damit einen außer-
V ORWORT
| 13
gewöhnlich hohen Standard von Wissenschaftlichkeit setzt. Auch beinhaltet die Arbeit eine hervorragende Reflexion zu der Frage, inwiefern die Dokumentarische Methode im Kontext der Bourdieuschen Theoriebildung geeignet ist bzw. wo sie zu kurz greift. Im Anschluss an Bourdieus „doppelten Bruch“ führt Sommer ihre eigene Perspektive in äußerst reflektierter und vorsichtiger Weise in den Interpretationsprozess ein, um die Sinnerzeugung in ihren Interviews als soziale Interaktion – und nicht als Darbietung objektiver Informationen – zu interpretieren. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind vollkommen nachvollziehbar und ausgewiesen, überprüfbar und falsifizierbar, wenn auch nicht im Sinne der positivistischen Wissenschaftstheorie. Auf diese Reflexionsebene ist selbst Bourdieu in den meisten seiner Schriften nicht gelangt. Das auf den ersten Blick speziell erscheinende Thema des Buches leistet also einen wichtigen Beitrag zur Feldtheorie und zur methodologischen Reflexion. Es bietet aber auch Anlass, über grundlegende Blickverengungen der Soziologie nachzudenken. Ist Migration wirklich ein Spezialthema, das eine Sozialwissenschaft, die der ordnenden Macht des Staates vertraut, weitgehend ignorieren kann? Oder „stört“ Migration den Staat in einer Weise, der der Soziologie erst den Zugang zu diesem Gegenstand ebnet? Können Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die selbst ständig um Titel und Anerkennung kämpfen, über die Anerkennung „ausländischer“ Bildungstitel forschen? Oder taucht nicht spätestens bei diesem Gegenstand die Frage auf, wieso Bildung eigentlich im Rahmen des Staates institutionalisiert wird? Das eigentlich Erstaunliche dieser Arbeit ist, dass man am Ende die Beschäftigten in den Anerkennungsstellen gut verstehen kann und dass man sie dafür bewundert, wie engagiert sie das Feld weiterentwickeln, obwohl es die Wissenschaft „besser weiß“ und die Anerkennung ausländischer Bildungstitel ebenso wie die Praxis in den Anerkennungsstellen als symbolisch gewaltsam kritisiert. Solange es einer kritischen Wissenschaft nur darum geht, sich die Maßstäbe der Kritik nicht aus der Hand nehmen zu lassen, trägt auch das zur Reproduktion von symbolischer Gewalt bei, denn dabei wird gern übersehen, dass im Feld selbst bereits verändernde Kräfte am Werk sind. Das Buch trägt damit auch dazu bei, das Verhältnis zwischen kritischer Soziologie und qualitativer Sozialforschung neu zu definieren. Obwohl sich die qualitative Sozialforschung in hohem Maße selbst reflektiert, scheut sie davor zurück, die symbolische Gewalt der wissenschaftlichen Perspektive zu hinterfragen; hier helfen kritische Theorien. Zugleich kann die soziologische Kritik von dem Respekt für die Handelnden profitieren, den akribisch rekonstruierende qualitative Verfahren wie die Dokumentarische Methode hervorzubringen in der Lage sind. Ilka Sommer löst das Problem des eigenen Besserwissens bravourös, indem sie u.a. autoethnographisch arbeitet und sowohl ihre persönlichen als auch politischen und kritischen Perspektiven auf das Phänomen transparent und der Forschung nützlich macht.
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Das vorliegende Buch ist eine sehr eigenwillige und originelle Arbeit. Die Autorin widmet sich einem Gegenstandsbereich, der bisher wenig soziologisches Interesse auf sich gezogen hat: der Bewertung ausländischer Qualifikationen im Rahmen des deutschen Systems beruflicher Bildung. Das Thema ist vor dem Hintergrund der Anwerbung hoch qualifizierter Arbeitskräfte in Deutschland von beträchtlicher Relevanz und Aktualität. Insofern hätte es nahe gelegen, sich an die hierzu vorliegende anwendungsbezogene Auftragsforschung anzuschließen oder die Kritik an institutionalisierter Diskriminierung zu replizieren. Ilka Sommer wählt einen deutlich anderen und ganz eigenständigen Weg: Sie nutzt die Bourdieusche Herrschaftssoziologie, um einen reflexiven Zugang dazu zu finden, wie „besseres“ Wissen auch von ihr selbst konstruiert und anerkannt wird. Boike Rehbein und Anja Weiß | Juni 2015
1 Einleitung
„Nein, es gibt kein Land, das die dekadenten Menschen aus dem Norden aufnehmen will. Freidenker, die nur den Lebensstil der Rechtgläubigen verderben wollen. Arbeiten können sie auch nicht. Sie können kein Arabisch und sie sind es nicht gewöhnt, zuzupacken. Flüchtlinge aus Europa können nichts anderes als in Büros sitzen und Papiere umdrehen. Das braucht man nirgends!“ (Teller 2011: 14 f., Herv. i. O.)
Nur in Büros sitzen und Papiere umdrehen? Implizites Wissen explizit machen, ist harte Arbeit. Freidenker gegen Rechtgläubige? So einfach ist das nicht. Ich spreche die herrschende Sprache nicht? Mir geht es um Verständigung. Wozu meine Qualifikation zu gebrauchen ist? Ich habe eine Theorie, warum sich diese Frage stellt. Aus der viel zitierten Verstrickung der Soziologie mit ihrem Gegenstand führt bekanntlich kein Weg hinaus. Deswegen bin ich eine Flucht nach vorne angetreten. Verstrickt ist bereits, dass ich im Rahmen einer Qualifikationsarbeit in Deutschland der Forschungsfrage nachgegangen bin, wie der »deutsche« Staat »ausländische« Qualifikationen bewertet und letztlich offiziell anerkennt oder nicht anerkennt. Meine standortgeprägten Erfahrungen, der Anerkennung wie der Verkennung, habe ich dabei unumgänglich mitgenommen. Der Weg führt nicht zuletzt in die Ungewissheit, nicht (mehr) zu wissen, was »Qualifikation« ist. Meine zentrale These ist am Ende, dass es »die Gewalt des kollektiven Besserwissens« ist, die uns tagtäglich glauben lässt, zu wissen, was das ist: Qualifikation. Im Folgenden gebe ich einen ersten Überblick, wie ich dorthin gekommen bin und was bis dahin noch zu erwarten ist. Die Ungewissheit entsteht durch den in der Methodologie Pierre Bourdieus verankerten »doppelten Bruch« mit dem »Alltagswissen« (Bourdieu/Chamboredon/ Passeron 1991). Deshalb beginne ich hier zum Beispiel nicht mit »Taxi fahrenden Ingenieuren«, nicht mit Statistiken, nicht mit Gesetzen, nicht mit »demografischem Wandel«, »Fachkräftemangel«, »internationalem Wettbewerb um die besten Köpfe« und anderen unzählige Male gehörten Geschichten. Ich breche mit einer alten
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Leier, von der ich auch glaube, dass sie fast niemand mehr wirklich hören möchte. Meine Verstrickung mit dem Gegenstand lässt es nicht zu, mit restlos allen Wissensbeständen zu brechen und ein unbeschriebenes Blatt Papier zu werden. Mit der Überzeugung, dass meine Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten Wert haben und auch haben müssen, breche ich zum Beispiel nicht. Auch an dem Wert der Soziologie, das vermeintlich Selbstverständliche infrage zu stellen, halte ich im Interesse einer Befreiung von »Doxa« und »symbolischer Gewalt« fest (z. B. Bourdieu 2005a, 2005b). Die Paradoxien der Verstrickung können einem Forschungsvorhaben grundlegend im Wege stehen. Ich habe die Vorstellung eines Problems beiseite geschoben, um ihre Reflexion als Ressource zu nutzen. Es handelt sich deshalb um eine Forschungspraxis (selbst-)kritischer Auseinandersetzungen mit dem Bewerten und Bewertetwerden im Kontext globaler Macht- und Ungleichheitsverhältnisse. Der empirische Gegenstand dieser Arbeit macht es möglich, institutionalisierte Bewertungspraktiken zu erforschen, im Rahmen derer potenziell weltweit und in mehreren Jahrzehnten erworbenes Wissen und Können offiziell zu »Qualifikationen« gemacht wird oder nicht. Im Fokus stehen deutsche Behörden und Kammern, die »deutsche« Bildungs- und Berufstitel verwalten und, sofern ein gesetzlicher Auftrag dazu vorliegt, »ausländische« Qualifikationen auf ihre »Gleichwertigkeit« mit »deutschen Referenzqualifikationen« prüfen. Hinter dieser vergleichenden Bewertung steht die Verheißung einer »Anerkennung«, sofern sich die Qualifikation in diesem Verfahren als »anerkennbar« herausstellt. Der Zugang zu einem Bewertungsverfahren war in Deutschland bis vor wenigen Jahren auf spezifische Kreise beschränkt, z. B. (Spät-)Aussiedlerinnen1 nach dem Bundesvertriebengesetz und EU-Qualifizierte2 mit sogenannten reglementierten Berufen nach der EUBerufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG (z. B. Englmann/Müller 2007).3 Zuletzt sind die Rechtsansprüche auf ein solches Verfahren durch Inkrafttreten von sogenannten »Anerkennungsgesetzen«, im Jahr 2012 auf Ebene des Bundes und danach bis 2014 sukzessive auf Ebene der 16 Bundesländer, vielfach auf weltweit erworbene Qualifikationen ausgeweitet worden (z. B. Bundesgesetzblatt 2011, Mai-
1
Aus Gründen der Lesbarkeit verwende ich in der Regel nur die weibliche oder nur die männliche Form sowie, falls es sich anbietet, Substantivierungen. Damit sind jeweils alle Geschlechter gemeint.
2
Mit »EU« sind auch die den EU-Mitgliedstaaten gleichgestellten Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), das heißt zusätzlich Island, Liechtenstein und Norwegen, sowie die Schweiz gemeint. Zwecks sprachlicher Vereinfachung verwende ich nicht konsequent die Bezeichnung »EU/EWR/Schweiz«.
3
Gesetze, Richtlinien und andere offizielle Dokumente, die sich unter dem angegebenen Namen sehr einfach finden lassen, in der Regel auch im Internet, sind nicht im Quellenverzeichnis.
E INLEITUNG
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er/Rupprecht 2012, BMBF/BIBB 2014, BMBF/BIBB 2015). Zumindest gilt das der Theorie nach. Der deutsche Bildungsföderalismus bringt mit sich, dass es abhängig von Einteilungen nach Beruf und Wohnort Hunderte von zuständigen Stellen sind, in denen »Anträge auf Anerkennung« bearbeitet werden. Teil meiner Argumentation ist, dass sich in der Praxis sehr viel weniger geändert hat, als die verbreitete Terminologie der »Anerkennung« und des »allgemeinen Rechtsanspruchs« verspricht. Die offizielle Verkündung der amtlichen Statistik zu »Anerkennungsverfahren« zeichnet mitunter ein verzerrtes Bild von geringen Ablehnungsquoten und hohen Erfolgschancen (zuletzt BMBF/BIBB 2015: 83 ff.). Dies ist jedoch vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Anerkennungsgesuche statistisch nicht dokumentiert werden, weil sie – angeblich – die Voraussetzungen für eine Bearbeitung nicht erfüllen. Angemessener wäre es daher, von Bewertungsverfahrensgesetzen zu sprechen, wobei bereits der Zugang zu einem Verfahren begrenzt ist (vgl. Kap. 4). Die Forschungsfrage ist, wie eingeleitet, bereits im Kontext des konstruktivistisch-strukturalistischen Paradigmas der Bourdieuschen Soziologie zu verstehen (z. B. Bourdieu 1992: 135 ff.). Sie hinterfragt die Idee einer objektiven Bewert- und Vergleichbarkeit von Qualifikationen und setzt ihr die konflikttheoretische Konzeption einer Praxis sozialer Kämpfe um Werte und Wertrelationen entgegen. Die Fragestellung lautet konkret: Wie entsteht das handlungspraktische Wissen, das einem offiziellen Bescheid über den Wert einer im Ausland erworbenen Qualifikation zugrunde liegt? Oder anders formuliert: Wie entstehen die offiziellen Bewertungen, ob eine »ausländische Qualifikation« im Vergleich zu einer »deutschen Referenzqualifikation« »gleichwertig« ist oder ob »wesentliche Unterschiede« vorliegen? Die dahinter stehende sozialtheoretische und epistemologische Perspektive ist, dass allgemein anerkannte (Wert-)Unterschiede nicht objektiv gegeben sind, sondern im Rahmen einer Struktur ungleicher Machtbeziehungen in sozialen Kämpfen konstruiert werden. Umgekehrt strukturieren die als legitim und gewissermaßen »normal« geltenden sozialen Klassifikationen, hier die anerkannten (Berufs-)Qualifikationen, diese Macht- und Ungleichheitsverhältnisse wiederum auch mit. Der Begriff der »symbolischen Gewalt« steht für eine allgemein unumkämpfte hierarchisch strukturierte symbolische Ordnung. Wenn also im Rahmen der »Gleichwertigkeitsprüfung« ein bestimmter Wert offiziell festgestellt wird, ist, so die damit verbundene Perspektive, darin potenziell auch ein bestimmtes Wertverhältnis zwischen Titelträgerinnen und Titelsystemen als wahrhaft und legitim eingeschrieben. Empirische Forschung im Sinne Pierre Bourdieus zielt darauf ab, jene unsichtbaren Mechanismen in Frage zu stellen, welche die Herrschaftsverhältnisse als solche tarnen. Ergebnis des empirischen Forschungsprozesses ist eine gegenstandsbezogene Theorie im Sinne einer Rekonstruktion des sozialen Felds, in dem »ausländische« Qualifikationen selektiv in »deutsche Qualifikationen« umgewandelt werden. Die Motivation zur Dekonstruktion dieser Umwandlungsprozesse ist in der Ausgangsthese begründet, dass soziale Ungleichheiten insbesondere über die Klassifikation
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der »Qualifikationen« (oder auch »Berufe« bzw. »Professionen«) gerechtfertigt und fortgeschrieben werden. Dem Begriff der »Qualifikation« attestiere ich den Status eines besonders anerkannten Klassifikationsprinzips in der heutigen Welt. Ungleichheits- und Gerechtigkeitsfragen sind mithin ohne ein Konzept von »Qualifikationen« kaum zu denken. Auch das Streben nach immer »mehr« oder »höheren« Qualifikationen (wie zum Beispiel einem Doktortitel) betrachte ich als eine Konsequenz der »symbolischen Macht«, die Qualifikationen und Titel in Form eines Namens verleihen (z. B. Bourdieu 1992: 149 f.). Sie legitimieren im Rahmen der etablierten Bildungs- und Berufssysteme, dass sowohl Lebenschancen als auch Lebensbedingungen nicht gleich sind. »Qualifikations-« oder auch »Leistungsunterschiede« gelten als weitestgehend legitime Ungleichheiten (weil sie als individuell erarbeitet gelten). Deutlich weniger legitim ist es, wenn diese Ungleichheiten auf »Ethnie« oder auch »Geschlecht« zurückgeführt werden können. Reinhard Kreckel bezeichnet die Institutionalisierung des Leistungsprinzips als „die »meritokratische Triade« von Bildung, Beruf und Einkommen“ (2004: 97, Herv. i. O.). Kritisch ist dabei womöglich nicht so sehr, dass Menschen »nicht gleich« sind in dem Sinne, dass sie »nicht dasselbe« wissen und können, sondern vor allem, dass ihre Erfahrungen und Fähigkeiten ungleich bewertet werden (Rehbein/Souza 2014: 37). »Gleichwertigkeit« ist eine Idee, die offensichtlich nicht selbstverständlich ist, wenn sie, wie im Fall meines Untersuchungsgegenstands, auf dem Prüfstein steht. Staaten bemessen nicht zuletzt legitimen wie auch erwünschten Aufenthalt daran, ob (potenzielle) Neue »Qualifikationen« zu bieten haben, die auf dem Arbeitsmarkt einen Mehrwert erwarten lassen. Was eine »Qualifikation« ist, was »qualifiziert« macht, was »mehr Wert« ist, steht aber auch bei den Kritikerinnen derartiger Politiken selten infrage. Ich gehe also davon aus, dass wir es heutzutage mit einem weitestgehend naturalisierten und hierarchisierten Qualifikationsbegriff als einem wesentlichen Klassifikationsprinzip zu tun haben. Naturalisiert ist er, weil »Qualifikation« so etwas wie eine zweite Haut ist, ein natürlicher Identitätsausweis. Man »ist« etwas, gerne auch »von Hause aus«. Das gilt in besonderem Maße für Menschen mit Immatrikulationshintergrund – womit ich bereits beim hierarchisierten Qualifikationsbegriff bin. Es ist im Rahmen der bestehenden symbolischen Ordnung ein ganz »gewöhnlicher« und im Grunde »unaufgeregter« Vorgang, Menschen und ihre Qualifikationen als »nicht gleichwertig« zu beschreiben und damit ungleich zu bewerten. Wir sprechen von »Hochqualifizierten«, von »Geringqualifizierten« und »Unqualifizierten« mit der Sicherheit, genau zu wissen, von wem wir sprechen. Wenn wir die staatliche Anerkennungspolitik kritisieren, dann dafür, dass »Eigennutz« statt »Humanität« im Vordergrund steht – ebenfalls mit der Gewissheit, »Bedarf« und »Bedürftigkeit« sicher unterscheiden zu können. Was eine Ärztin ist, ist ebenso klar, wie was ein Architekt ist, einschließlich landläufiger Vorstellungen, welche Qualifikation »nachgefragter« oder auch »anerkannter« ist. Ich verlasse die Ge-
E INLEITUNG
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wissheit, indem ich mit dem naturalisierten und hierarchisierten Wissen über das Wissen breche. Als empirisch relevant betrachte ich, mit welchen impliziten Gewissheiten die deutsche Verwaltungspraxis klassifiziert, bewertet und dadurch »gleichwertig« von »nicht gleichwertig« trennt. Wenn man »den Staat« als relevanten Bildungsbewertungsakteur anerkennt (was in meiner Position das Naheliegende ist), muss sich die Frage stellen, wie die Institutionen »Qualifikationen« als solche erkennen (oder verkennen) und damit zu »Qualifizierten« ernennen (oder es unterlassen). Die Problematisierung der Verkennung ist ein emanzipatorisches Anliegen, das sich explizit gegen die Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen richtet (vgl. auch Honneth 1994, Fraser/Honneth 2003, Honneth/Lindemann/Voswinkel 2013). Meine emanzipierte Position ist in der Konstruktion des Gegenstands, insbesondere der Verwendung des Begriffs der »Anerkennung«, bereits inbegriffen. Sie hängt auch damit zusammen, dass ich es gerade in meinem Eltern-Dasein nicht mehr hören kann, dass »Qualifikationen« angeblich mit jedem Monat oder Jahr, in dem man sie nicht in eine (Vollzeit-)Erwerbsarbeit umsetzt, »wertloser« werden. Verkannt wird, dass der Wert einer »Qualifikation« nicht nur ökonomisch bestimmt oder bestimmbar ist und ihre Einsatzmöglichkeiten nicht nur in der Erwerbsarbeit und auf dem Arbeitsmarkt liegen. Eine staatlich anerkannte (Berufs-)Qualifikation kann zu sämtlichen Aufenthalts- und Teilhaberechten verhelfen – und das gerade weil sie ein so anerkanntes Klassifikationsprinzip ist. Abgesehen vom Arbeitsmarkt kann sie auf vielen weiteren national strukturierten Märkten, wie im Feld von Erziehung und Schule (vgl. Sixt/Fuchs 2009), im Feld des politisches Engagements und auf dem (Weiter-)Bildungsmarkt einen Unterschied machen. Eine anerkannte Qualifikation ist als Handlungsressource ein Wert oder auch eine Macht sui generis. Das nicht anzuerkennen, würde in der Konsequenz bedeuten, »Ausländer« auf »Arbeitskräfte« zu reduzieren, die man mal herbeirufen und mal wieder »nach Hause« schicken kann (was im Übrigen auch für »Frauen« und alle anderen Menschen gilt). Insofern steht der nicht so leicht widerrufbare Akt der offiziellen Ernennung zu »Qualifizierten« (oder das Unterlassen) hier vor denkbaren Anschlussfragen, wie der Verwertung und Verwertbarkeit von Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt (und anderen Märkten). »Anerkennung« im Sinne von »Ernennung« meint das Recht, einen offiziellen Bildungs- bzw. Berufstitel tragen zu dürfen und sich damit zu der Klasse der Berufsangehörigen zählen zu dürfen, für deren kollektive Kompetenzen ein Staat bürgt (vgl. Bourdieu/Boltanski 1981). Dieses Recht nicht zu haben, bedeutet im Zweifel, offiziell als »unqualifiziert« zu gelten, mitunter in amtlichen Statistiken in dieser Kategorie erfasst (Englmann/Müller 2007: 24, IAQ 2009: 124 f., vgl. auch Knuth 2010) und auch in Sozialstrukturanalysen in dieser Kategorie abgebildet zu werden. Mit Bourdieu betrachte ich das Recht, einen Bildungs- bzw. Berufstitel zu tragen als das „institutionalisierte kulturelle Kapital“ (Bourdieu 1983). Es ist nicht zu ver-
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wechseln mit der in den angewandten Wirtschaftswissenschaften populären Humankapitaltheorie, die von dem naturalisierten und hierarchisierten Qualifikationsbegriff ausgeht (vgl. Erel 2010).4 Dieses Paradigma verbreitetet mithin die sozialtheoretisch unreflektierte Überzeugung, dass man die Qualität staatlicher Bildungssysteme sehr leicht anhand eines Vergleichs von Bruttoinlandsprodukten feststellen könne (z. B. IW/IFOK 2010: 8). Mit Pierre Bourdieu gedacht, steht gerade die Relationalität des Kapitalbegriffs, seine soziale Konstruiertheit im Kontext ungleicher und vor allem mehrdimensionaler Machtbeziehungen, im Vordergrund. Kulturelles Kapital wird nicht durch seine Transformation in ökonomisches Kapital zu einer Ressource, sondern dadurch, dass es als Ressource sozial anerkannt ist (z. B. Bourdieu 1985). Sie ist in dem Maße anerkannt, wie die Institution, die Titel verleiht, sozial anerkannt ist. Bourdieu bezeichnet den Staat aufgrund seiner Legitimität, allgemein anerkannte Namen und Titel zu verleihen, auch als „Zentralbank des symbolischen Kapitals“ (Bourdieu 2001a: 308) oder auch als Inhaber des „Monopol[s] auf legitime symbolische Gewalt“ (Bourdieu (2014: 18 f.). Er hat stets davor gewarnt, auf den Staat das Denken des Staats anzuwenden (ebd.: 17). Damit ist gemeint, dass Soziologinnen nicht unreflektiert jene sozialen Klassifikationen übernehmen sollten, die z. B. durch die staatliche Gesetzgebung sowie amtliche Statistiken konstruiert worden sind. Ihr Gewaltcharakter zeigt sich – zumindest der Theorie nach – gerade darin, dass auch die Deklassifizierten die durch den Staat hergestellten Klassifikationen als natürlich annehmen, die Willkür ihrer Entstehung verkennen und nicht dagegen aufbegehren. Gerade die unbewusste Beteiligung an den durch Sprache vermittelten Symbolen stabilisiert die bestehenden symbolischen Ordnungen. Sie lässt sie als »richtig« und »gerecht« erscheinen. Unter der Voraussetzung, dass soziale Unterschiede auf Basis von Qualifikation als weitestgehend objektiv und legitim gelten, besteht meine Arbeit in einem Infragestellen der damit verbundenen symbolischen Gewalt. Ziel ist es nicht, einen Nachweis darüber zu führen, dass es sich um eine Gewalt handelt, sondern eine empirisch gesättigte Theorie zu bilden, wie die Gewalt (oder die Zentralbank) im Rahmen ihrer Positioniertheit in globalen Machtrelationen zu den Bewertungen kommt (siehe Kap. 5 und 6). Das Verständnis von »Qualifikation« als staatlich garantiertes Recht führt in Gefilde, in denen sich Sozialwissenschaftlerinnen in der Regel nicht aufhalten (Ausnahmen sind z. B. Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a, Knuth 2010,
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Nicht nur die Verwechslungs-, sondern auch die Subsumptionsgefahr unter das ökonomische Kapital sprechen dafür, den Begriff der kulturellen Ressourcen dem Kapitalbegriff vorzuziehen (Rehbein 2006: 114). Das mache ich nicht konsequent, weil ich später von »Wechselkursen des institutionalisierten kulturellen Kapitals« spreche und sich der Ressourcen-Begriff in diesem metaphorischen Zusammenhang nicht als passend erweist.
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2012). Das »Alltagswissen«, mit dem ich im Sinne des Bourdieuschen »doppelten Bruch« brechen möchte, muss – weil es so wenig alltäglich ist – in der Forschungspraxis erst angeeignet werden, um dann mit ihm brechen zu können. Das deutsche und EUropäische Berufsrecht sprechen in Bezug auf »ausländische« Qualifikationen eine Sprache, die meinen Erfahrungen nach auch in Deutschland ausgebildete Juristinnen nicht unbedingt verstehen. Öffentlich ist häufig das Schlagwort »Anerkennungsdschungel« zu hören, was nicht nur in metaphorischer Bedeutung an die von Axel Honneth (2013) beschriebenen „Verwilderungen des sozialen Konflikts“ erinnert. Dass die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen in Deutschland alles andere als selbstverständlich, sondern offensichtlich ein umkämpftes Feld ist (und das nicht erst seit gestern), zeigt sich gerade in den unübersichtlichen Differenzierungen, in immer mehr Gesetzen, Paragrafen, Sätzen und damit auch sozialen Klassifikationen. Unter anderem habe ich zu Beginn meiner Recherchen von einem Juristen, der seit den 1980ern mit dem Thema befasst ist, gesagt bekommen: „die Juristen streiten sich seit Jahrzehnten über die Gleichwertigkeit und legen den Begriff immer kleinteiliger aus, das schadet der Anerkennung“ (HI-ZAB2). Es beginnt mit Fragen, wer unter welchen Bedingungen einen Rechtsanspruch und damit einen Zugang zu einem Bewertungsverfahren hat, welches dann nur eventuell mit »Anerkennung« endet. Mit »Anerkennung« sind je nach Zusammenhang unterschiedliche Rechte und Konzepte gemeint, nicht zwangsläufig (wie ich es meine) die berufsrechtliche Gleichstellung mit inländisch Qualifizierten ohne geforderten »Ausgleich« durch Nachweis von Berufserfahrung oder sonstige Auflagen. Das könnten zum Beispiel zusätzlich vor »deutschen« Bildungsträgern zu erbringende Leistungen sein, wie Anpassungslehrgänge, Eignungs- oder Kenntnisprüfungen. Nur ohne Auflagen und Ausgleich handelt es sich in meinen Augen um eine »Anerkennung«, welche die Ausbildungsfähigkeit eines anderen Staats, z. B. von Handwerkerinnen oder von Lehrerinnen, als »gleichwertig« bewertet (vgl. Sommer 2012, 2014a, 2014b). Was folgt aus den theoretischen und empirischen Erkundungen des Gegenstands für die Forschungspraxis? Wie lässt sich mit der Entdeckung der symbolischen Kämpfe um den Begriff der »Gleichwertigkeit« umgehen? Wo ist dann die »symbolische Gewalt«, die sich ja gerade durch die Abwesenheit von Kämpfen auszeichnet? Ist vielleicht der Prozess der Herstellung der Bewertungen umkämpft, gerade weil das Ergebnis der Bewertungen nicht mehr umkämpft ist oder dann nicht mehr umkämpft sein soll? Steckt in den »Anerkennungsgesetzen«, den »Anerkennungsverfahren« und mehreren Hundert zuständigen Behörden und Kammern (den »Anerkennungsstellen«) vielleicht der Supergau: die Legitimation der Verkennung im Namen der Anerkennung? Falls es sich als ein allseits geteilter Wissensbestand durchsetzt, dass es »Anerkennungsgesetze« gibt, die das bisherige »Verkennungsproblem« vermeintlich lösen, muss dann schließlich jede »nicht Anerkannte«
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»wirklich unqualifiziert« sein. In jedem Fall durfte ich mich von der Theorie der symbolischen Gewalt nicht dazu verführen lassen, der Hybris zu verfallen, die symbolischen Kämpfe der sozialen Akteure zu übersehen. Es galt, herauszufinden, wie sich das Umkämpfte und das Unumkämpfte zueinander verhalten. Welche Strukturen sprechen für, aber vor allem auch: Welche Strukturen sprechen gegen die Anerkennung? Die Meta-Theorie: Ein Spiel um den Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals und die Illusio der objektiven Vergleichbarkeit Um die Strukturen zu rekonstruieren, die den Bewertungspraktiken des Staats zugrunde liegen, habe ich mich des Bourdieuschen Feldbegriffs als Modus der Objektkonstruktion bedient. Er hilft, in Relationen zu denken: Sowohl der Gegenstand, die Bewertungspraktiken, als auch das eigene Denken über den Gegenstand werden im Hinblick auf die zugrunde liegenden Beziehungen und Zusammenhänge reflexiv befragt (vgl. auch Neumann 2012). Die Annahme, dass Habitus und Feld in einer Beziehung zueinander stehen, gilt für meine Beforschten ebenso wie für mich. Gerade durch Feldkontakte und daraus entstehende Feldeffekte (in der Regel Missverständnisse) erfahre ich mehr über meine eigenen Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata und damit auch meine Gegenstandskonstruktion (das Feld). In Verbindung zu den Arbeiten der internationalen Studiengruppe „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a) schließe ich an Pierre Bourdieu und die Dokumentarische Methode an. Ich konzentriere mich jedoch nicht auf den Prozess der Migration als bildungs- und berufsbiografische »Statuspassage«, sondern auf die Erforschung der berufsrechtlichen Institutionen, die nebst anderen als Barrieren der Mobilität und des Kapitaltransfers identifiziert wurden (z. B. Weiß 2010, von Hausen 2010). Die »Gleichwertigkeitsprüfung« ist meines Wissens in diesem methodologischen Rahmen noch nicht betrachtet worden. Ich habe das Feld der symbolischen Kämpfe als ein Spiel um den Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals begriffen. Die Bewertung »gleichwertig« steht für einen Wechselkurs von 1:1. Als eine zentrale Dimension, die die Bewertungen der »Gleichwertigkeit« höchstwahrscheinlich strukturieren wird, habe ich Beziehungen zwischen Deutschland und dem jeweiligen Ausbildungsstaat angenommen (vgl. Weiß 2002). Dies lag nahe, weil es internationale Konventionen, Richtlinien und bilaterale Abkommen in Anerkennungsfragen gibt. An den Kämpfen um den Wechselkurs beteiligt sind individuelle wie kollektive Akteure, die (so die Annahme) die »Illusio« der objektiven Vergleichbarkeit teilen. Von Bedeutung ist, dass das Feld in meiner Vorstellung nicht (wie sich im Anschluss an Bourdieu assoziieren ließe) »dem Staat« oder dem »sozialen Raum« entspricht. Es ist ein offenes und damit »global« gedachtes Praxisfeld, in dem die Staaten-QualifikationenBeziehungen (neu) verhandelt werden. Die Feldstruktur ist sowohl begrenzt und
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begrenzend als auch entgrenzt und entgrenzend. Sie fordert die Idee einer Kongruenz von Staaten und Qualifikationen (das institutionalisierte kulturelle Kapital in Bourdieus Sinne) heraus, sodass das »Monopol auf symbolische Gewalt« in seiner Monopolstellung herausgefordert ist. Das rekonstruktive Vorgehen: konjunktives (implizites) Wissen von Bewertenden und Bewerteten explizit machen Es handelt sich bei meiner Arbeit um eine Rekonstruktion der impliziten Machtund Selektionsmechanismen mit der Motivation, die Strukturen der Verkennung und damit die Reproduktion sozialer Ungleichheiten explizit zu machen. Ich überprüfe keine Hypothesen, sondern bilde auf Basis meiner theoretischen und empirischen Auseinandersetzungen eine gegenstandsbezogene Theorie. Sie bleibt infolge meiner Standortgebundenheit in jedem Fall unvollständig und regt im besten Fall zum Weiterdenken und Weiterforschen an. Der Kern meiner Erhebung und ihrer rekonstruktiven Auswertung sind 18 narrativ fundierte Interviews, die ich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern5 in ausgewählten »Anerkennungsstellen« geführt habe. Sie bearbeiten Anträge in fünf verschiedenen ebenfalls von mir ausgewählten Qualifikationsbereichen: Ärzten, Architekten, Handwerkern, Lehrern und Pflegekräften, die ihre (Berufs-) Qualifikationen potenziell weltweit und in den vergangenen Jahrzehnten erworben haben. Über die Bewertung der »Gleichwertigkeit« war mir zunächst auf Basis von Literatur und Dokumenten bekannt, dass »Dauer« und »Inhalte« der »ausländischen Ausbildungen« mit den entsprechenden »deutschen Ausbildungen« verglichen werden. In Befragungen hatten diejenigen, die Anträge auf »Anerkennung« bearbeiten, angegeben, über keine ausreichenden Informations- und Entscheidungsgrundlagen zu verfügen (IW/IFOK 2010: 60 ff., Englmann/Müller 2007: 160 ff.).6 Daher stellte sich für mich umso mehr die Frage, wie ihre Bewertungen handlungspraktisch entstehen. Darüber hinaus habe ich zwei Gruppendiskussionen mit Auslandsqualifizier-
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Ich verwende nicht konsequent den Begriff »Mitarbeiter«, um meine Interviewten zu beschreiben. Zum Teil spreche ich auch von (Antrags-) Bearbeiterinnen oder auch von den Bewertenden. Flexibilität in der Begrifflichkeit verdeutlicht, dass es sich um eine konstruierte Gruppe handelt, für die ich keinen festgelegten Namen habe. Gleiches gilt für ihre Dienststellen, die hier mal »Anerkennungsstellen«, mal »zuständige Stellen«, mal »bewertende Stellen«, mal »Behörden und Kammern« sind.
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Diese Erhebungen fanden vor den gesetzlichen Änderungen von 2012 statt. Ein aktuellerer Bericht der Bundesregierung zum »Anerkennungsgesetz« bestätigt diesen Befund auf Basis einer Inhaltsanalyse qualitativer Interviews (BMBF/BIBB 2014: 104 ff.).
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ten7 geführt. Sie standen unter der Fragestellung, ob es sich um Komplizen der Aufrechterhaltung symbolischer Gewalt handelt oder ob sie eine kollektive Kraft in dem betrachteten Feld darstellen. Die übergeordnete methodologische Annahme ist, dass die sozialen Akteure implizit bzw. habituell die Strukturen kennen, im Rahmen derer sie sich mit ihren Handlungen bewegen. Das Vorgehen stützt sich auf Karl Mannheims Differenzierung von „atheoretischem“ oder auch „konjunktivem“ (implizitem) und „kommunikativem“ (explizitem) Wissen, die das Fundament der Dokumentarischen Methode ist (Bohnsack/ Nentwig-Gesemann/Nohl 2007, Nohl 2009). Das implizite Wissen sind jene Wissensbestände, die dem Denken, Wahrnehmen und Bewerten zugrunde liegen, ohne dass die Handelnden wissen, dass sie etwas wissen. Es ist routiniert und selbstverständlich. Dieses Wissen, welches auf sozialen Konstruktionen basiert, wird im Forschungsprozess rekonstruiert. Allgemein geteilte Wissensbestände betrachte ich als ein Hinweis auf die Illusio, das heißt den Spiel-Sinn, und damit auch die symbolische Gewalt. Die Dokumentarische Methode erweist sich als anschlussfähig an Bourdieus Konzept des »Habitus« bzw. den »praktischen Sinn«, blendet jedoch den Feldbegriff ebenso wie die symbolische Gewalt als Zentralbegriffe der herrschaftskritischen Rezeption Bourdieus aus (vgl. Florian 2012). Daher bleibt der Strukturbegriff der Dokumentarischen Methode in der Regel implizit in den administrativ normierten Vorstellungen des Bourdieuschen »sozialen Raumes«. Mit meinem offeneren Konzept des Felds möchte ich gerade Beziehungen mitdenken, die sich nicht eingrenzen lassen (vgl. 3.6). Meine Rekonstruktion des Felds ist gleichzeitig auch der Versuch einer Dekonstruktion der Mechanismen symbolischer Macht. Ich werde am Ende dieser Arbeit weder sagen, welche Abschlüsse »gleichwertig« sind und welche nicht, noch wie man »Gleichwertigkeit« besser oder am besten prüft. Ich beschäftige mich auch nicht mit der Frage, ob andere Staaten die Praxis »Andere zu bewerten« »genauso«, »besser« oder »schlechter« handhaben. Ich vergleiche in diesem Zusammenhang auch nicht die Bewertungspraktiken der deutschen Bundesländer. Wer sich die Frage stellt, ob seine Qualifikation in Deutschland anerkannt wird oder nicht, wird es nach der Lektüre dieser Arbeit immer noch nicht wissen können – zumindest möchte ich hiermit davor warnen, von meiner Interpretation Gewissheiten abzuleiten. Ich verstehe sie vor allem als einen Beitrag dazu, diese Fragen und Auseinandersetzungen anders als bisher zu denken.
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Ich verwende auch hier unterschiedliche Begriffe, nicht nur »Auslandsqualifizierte«. Anerkennungssuchende nenne ich vor allem diejenigen, deren Abschluss (noch) nicht anerkannt ist. Von Antragstellerinnen spreche ich, wenn es konkret um das Antragsverfahren geht. Auch die Begriffe Titelanwärterinnen oder Bewertete verwende ich in bestimmten Kontexten.
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Gliederung Der Einleitung folgen fünf weitere Kapitel, von denen die ersten beiden die bereits skizzierte Methodologie ausführen. Kapitel 2 legt die meta-theoretische Perspektive im Sinne einer Art und Weise, den Gegenstand zu denken, dar, insbesondere mithilfe der Bourdieuschen Denkwerkzeuge des sozialen Felds und der symbolischen Gewalt. Kapitel 3 macht mein methodisches Vorgehen im Forschungsprozess nachvollziehbar, von der Idee bis zum Abschluss der Dissertation. Kapitel 4 formuliert als »Anerkennungsdebatten« den diskursiven Kontext der Bewertungsverfahren, indem die kollektiven Orientierungsmuster, die in den Gruppendiskussionen entfaltet wurden mit der Historie der Institutionen und den Kämpfen um ihre Veränderungen kontrastiert werden. Ich gehe in diesem Kapitel auch einzeln auf die Bedeutung des Begriffs »Anerkennung« in Bezug auf die fünf Berufs- oder Qualifikationsgruppen ein, die von den interviewten Mitarbeitern in den zuständigen Stellen bewertet werden. Kapitel 5 rekonstruiert die Genese der Bewertungen anhand des in den zuständigen Stellen erhobenen Interviewmaterials. Es gliedert sich in drei ausführliche Teile. Als soziale Konstruktionsbedingungen des »Bewertens« habe ich wiederum drei sich bedingende und überlagernde Machtkonstellationen (Unterkapitel 5.1) sowie mehrere Selektionsmechanismen (Unterkapitel 5.2) und unterschiedliche Handlungskompetenzen (Unterkapitel 5.3) herausgearbeitet. In den drei Machtkonstellationen ist die Struktur des Felds begründet, indem die Selektionsmechanismen und Handlungskompetenzen ihrerseits klassifizierend wirken. Es sind die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten (Abschnitt 5.1.1), das Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen (Abschnitt 5.1.2) und die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit (Abschnitt 5.1.3). Kapitel 6 stellt schließlich die Ergebnisse der Arbeit vor. Die »Gewalt des kollektiven Besserwissens« bildet die Klammer oder das genetische Prinzip meiner im Sinne einer Feldrekonstruktion entwickelten Thesen. Die Kritik an der Gewalt bleibt jedoch nicht kritiklos stehen.
2 Das Feld und die (Nicht-)Anerkennung: Macht- und ungleichheitstheoretische Perspektiven im Anschluss an Pierre Bourdieu
In Kapitel 2 lege ich mithilfe des Bourdieuschen Begriffs des sozialen Felds meine (meta-)theoretischen Annahmen über den untersuchten Gegenstand dar. Anders als die Humankapitaltheorie (Becker 1993) argumentiere ich im Anschluss an Pierre Bourdieu, dass der Wert einer Qualifikation nicht objektiv gegeben oder auf einen ökonomisch verhandelten Tauschwert reduzierbar ist, sondern in mehrdimensionaler Hinsicht sozial gemacht ist. Er ist ein soziales Konstrukt, dessen Entstehung auf soziale Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zurückgeht. Bourdieu würde seinen Ansatz als „strukturalistischen Konstruktivismus“ bzw. „konstruktivistischen Strukturalismus“ bezeichnen, wenn er ihn denn in „zwei Worten […] etikettieren“ müsste (Bourdieu 1992: 135, Herv. i. O.). Auf die von deutschen Behörden und Kammern im gesetzlichen Auftrag bearbeitete Frage, ob eine »ausländische« Berufsqualifikation »gleichwertig« zu einer »deutschen« Berufsqualifikation ist, gibt es im Sinne dieses Paradigmas keine wahre, richtige oder objektive Antwort. Es kann nur darum gehen, wie eine solche Bewertung, die dann einen anerkannten Status als wahr, richtig und objektiv erlangen kann, als ein Produkt sozialer Verhältnisse entsteht. Im Anschluss an die Soziologie Pierre Bourdieus gehe ich davon aus, dass der Entstehung der Bewertungen ausländischer Qualifikationen in Deutschland ein soziales Feld zugrunde liegt, in dem um die (Nicht-)Anerkennung gekämpft wird: „Die sozialen Felder bilden Kraftfelder, aber auch Kampffelder, auf denen um Wahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse gerungen wird“ (Bourdieu 1985: 74). Es sind danach symbolische Kämpfe – oder Klassifikationskämpfe – darum, was »qualifiziert« ist und was »qualifiziert« sein soll, die um den Staat bzw. die staatlichen Bildungssysteme geführt werden. Die beteiligten Akteure werden bei unterschiedlichen Macht-Positionen im Feld durch einen geteilten Glauben, Illusio
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genannt, an den Sinn ihrer Auseinandersetzungen zusammengehalten. Im vorliegenden Fall ist es (zumindest) das Interesse an einer staatlichen Unterscheidung von Anerkannten und Nicht-Anerkannten bzw. Qualifizierten und Unqualifizierten. Staatlich anerkannte (Berufs-)Qualifikationen haben Relevanz, nicht zuletzt auch für mich. Das Denken mit dem Feldbegriff ist dabei für mich in erster Linie ein „Modus der Objektkonstruktion“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 262). Es hilft dabei, einen Gegenstand zu denken und dabei gleichzeitig seine Konstruktionsbedingungen, die des Gegenstands ebenso wie die des eigenen Denkens über den Gegenstand mit zu reflektieren. Der Feldbegriff verweist damit auch eher auf ein »Forschungsprogramm« und nicht auf eine vollständig ausgearbeitete und in jeder Hinsicht konsistente Theorie. Stefan Bernhard und Christian Schmidt-Wellenburg, die beiden Herausgeber des Doppel-Sammelbands „Feldanalyse als Forschungsprogramm“ (Bernhard/Schmidt-Wellenburg 2012a, 2012b) formulieren treffend: „Dem Feldforscher liegt das Interesse an Erkenntnis über empirische Phänomene näher als das Streben nach einem in sich geschlossenen Theoriegebäude“ (Bernhard/Schmidt-Wellenburg 2012c: 30). Im Folgenden werde ich an Bourdieus Arbeiten anknüpfen, um in die Grundbegriffe und damit in seine relationalen und reflexiven Denkstrukturen einzuführen. Dabei werde ich jedoch auch gleichsam einen Großteil seines intellektuellen Vermächtnisses ignorieren und sicherlich manches anders wiedergeben oder einordnen. Ich orientiere mich eher an dem »modus operandi« (dem Herstellungsprozess) als an dem »opus operatum« (dem Produkt) seiner Soziologie. »Mit Bourdieu« empirisch zu forschen, bedeutet für mich vor allem seine Art, »Theorie zu bilden«, als eine Denk-Methode der eigenen Theoriebildung zugrunde zu legen (Grenfall/James 1998). Dabei nehme ich auch die seiner Soziologie geradezu innewohnende „Einladung“ an, wie es Loïc Wacquant schreibt, „über Bourdieu hinaus und gegen ihn an zu denken, wann immer es nötig ist“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 14). Kenner seiner Feldanalysen werden vermutlich die Verknüpfung von Feld und Korrespondenzanalyse ebenso vermissen wie die Ergebnisse seiner Feldforschung: die Theorien über soziale Felder Frankreichs zum Ende des 20. Jahrhunderts, z. B. das Feld der Politik oder das Feld der Wissenschaft. Zur Einführung sei an dieser Stelle auf eine kleine Auswahl der sehr umfangreichen Sekundärliteratur verwiesen, die meine selektive Lesart seiner Werke am stärksten geprägt hat (Fröhlich/Rehbein 2009, Rehbein 2006, Barlösius 2011, Schwingel 2009). Anja Weiß verdanke ich die Erkenntnis, die mir ursprünglich die Spur zu Pierre Bourdieu gelegt hat: dass das empirische Forschen mit Bourdieu es möglich macht, Macht- und Ungleichheitsstrukturen sowie ihre soziale Reproduktion selbstreflexiv neu zu denken (Weiß 2001). Das soziale Feld betrachte ich im Rahmen der folgenden Untergliederung des Kapitel 2 zunächst als eine begrenzte und begrenzende (2.1) und dann als eine entgrenzte und entgrenzende Struktur (2.2).
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Es ist begrenzt und begrenzend (2.1), weil es in dem Feld um die Praxis eines staatlichen Akts geht, durch den klassifiziert, bewertet und selektiert wird. Es handelt sich um ein Praxisfeld der Kämpfe um das staatliche Meta-Kapital, um das Monopol auf legitime symbolische Gewalt oder auch um die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals. Der Staat ist eine begrenzte und begrenzende Struktur, weil genau das sein Spiel-Sinn, das heißt die Illusio des Praxisfelds »Staat«, ist. Alle Qualifikationen, die weltweit in mehreren Jahrzehnten erworben wurden, als gleichwertig zu deutschen Qualifikationen anzuerkennen, spräche gegen das, was in dem Praxisfeld des Staats seit seiner Entstehung auf dem Spiel steht: die soziale Konstruktion von Einteilungen und Grenzen. Das Feld ist aber gleichzeitig auch entgrenzt und entgrenzend (2.2), weil sich die beteiligten Feldakteure – und damit auch das Feld – nicht auf »den deutschen Staat« im Sinne eines Container-Modells des Nationalstaats eingrenzen lassen. Was in dem Feld auf dem Spiel steht, der Wert »ausländischer« Qualifikationen im Verhältnis zu »deutschen« Qualifikationen, macht potenziell die ganze Welt, individuelle ebenso wie kollektive soziale Akteure, zu Mitspielerinnen und Mitspielern. Zumindest gilt dies, wenn sie ein Interesse an dem jeweiligen Wechselkurs haben, über den in dem Praxisfeld, das heißt im Rahmen des staatlichen Akts der Bewertung, verhandelt wird. Das globale ökonomische Feld, so meine Annahme, fordert das Monopol des deutschen Staats auf legitime symbolische Gewalt heraus, weil es die Idee einer Kongruenz zwischen Mensch, Qualifikation und Staat herausfordert. Man könnte also auch sagen, dass das Praxisfeld des Staats eine begrenzte und begrenzende Struktur ist, die mit und durch die Praxis in einer entgrenzten und entgrenzenden Struktur, der globalen Ökonomie, »mitspielt«. Im Unterkapitel 2.3 fasse ich meine feldtheoretischen Annahmen zusammen und gebe ihnen einen (vorläufigen) Namen. Es handelt sich demgemäß um Klassifikationskämpfe um die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals, die in dem sozialen Feld auf dem Spiel stehen. Als Illusio bezeichne ich (ebenfalls vorläufig) die Illusio der objektiven Vergleichbarkeit. In der Frage, ob eine »ausländische« Qualifikation »gleichwertig« zu einer »deutschen« Qualifikation ist, geht es um den Maßstab eines Wechselkurses von 1:1. In diesem Fall gilt eine »ausländische« Qualifikation als »gleichwertig« und ist damit – zumindest rechtlich – anerkannt. Andernfalls bleibt es bei einem geringeren Wert und die Qualifikation bleibt dadurch »ausländisch«.
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2.1 D IE
BEGRENZTE UND BEGRENZENDE
S TRUKTUR
Das soziale Feld kann in diesem Unterkapitel noch leicht für den sozialen Raum gehalten werden, den Bourdieus Werk „Die feinen Unterschiede“ (1987a) prominent gemacht hat. Die soziale Struktur ist eine Struktur, die von der Idee der Gesellschaft als »Container« oder „Behälter, dessen Grenzen mit denen des Staates identisch sind“ (Rehbein 2003: 87) ausgeht. Die Vorstellung des sozialen Raumes kennt kein Außen oder unterscheidet zumindest ganz klar zwischen einem Innen und einem Außen. Anders formuliert: Wenn man sich das Denken des Staats zu eigen macht, ist es völlig eindeutig, was »deutsche« Qualifikationen und was »ausländische« Qualifikationen sind. Irritiert wird diese Vorstellung von einem Innen und einem Außen in Bezug auf mein Objekt dadurch, dass die von mir betrachtete staatliche Praxis darin besteht, »ausländische« Qualifikationen zu bewerten und, wenn auch selektiv, in »deutsche« Qualifikationen umzuwandeln (sie zumindest rechtlich gleichzustellen). Es gibt hier ganz offensichtlich in der Praxis und durch die Praxis Beziehungen zu einem Außen, die die Vorstellung einer »Begrenzung« infrage stellen. Gleichsam wird die Begrenzung durch das Element der Selektion reproduziert. „Der Feldbegriff ermöglicht es, über den Gegensatz zwischen interner und externer Analyse hinauszugelangen, ohne irgend etwas von den Erkenntnissen und Anforderungen dieser traditionell als unvereinbar geltenden Methoden aufzugeben“ (Bourdieu 1999: 328). Ich habe mich also von der Idee des sozialen Raums als Modus der Gegenstandskonstruktion verabschiedet, vor allem inspiriert von den Einsichten, die Boike Rehbein hatte, als er »mit Bourdieu in Laos« war (Rehbein 2003, 2004). Seine empirischen Beobachtungen widersprachen der Konzeption eines Innen und eines Außen seines Forschungsobjekts, der sozialen Struktur der laotische(n) Gesellschaft(en), da sie nicht aus sich heraus, sondern nur aus der Begegnung mit »nichtlaotisch« klassifizierten Mächten verstanden werden konnten (2003: 90). Mithilfe des Felds lassen sich gerade inter- und transnationale Beziehungen in die Analyse sozialer Strukturen hinein holen, was die Globalisierung der Soziologie auch abverlangt (ebd: 94).1 Wenn in den folgenden Abschnitten von »Staaten« die Rede ist, sind damit soziale Felder und dynamische Relationen zwischen Feldern und keine Innenverhältnisse im Sinne sozialer Räume gemeint. Unter den Abschnitten »Staaten machen Leute« und »Leute machen Staaten« lege ich vor allem die theoretische Annahme einer Beziehung von Feld und Habitus dar.
1
Auch Reinhard Kreckel formuliert es als theoretische und normative Prämisse seiner dem Bourdieuschen Feldbegriff nicht unähnlichen Zentrum-Peripherie-Metapher, dass es „unter den Menschen keine »Außenverhältnisse« mehr [gibt]“ (Kreckel 2004: 49).
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2.1.1 Staaten machen Leute In diesem Abschnitt führe ich das Argument aus, dass »Qualifikationen« und »Qualifizierte« durch den Staat gemacht sind. Ein Bildungstitel, das »institutionalisierte kulturelle Kapital«, ist gerade deshalb »Kapital« oder auch »Macht«, weil es durch den Staat legitimiert und rechtlich garantiert ist. Diese Klassifikation legitimiert die Verteilung von materiellen Gütern ebenso wie die Verteilung von symbolischer Macht als einer Macht, auf die Kämpfe um die legitimen Einteilungen der sozialen Welt Einfluss zu nehmen. Soziale Ungleichheiten reproduzieren sich deshalb nach Bourdieu gerade über das Bildungssystem. 2.1.1.1 Symbolische Gewalt Die Verleihung eines Bildungstitels ist ein Akt symbolischer Gewalt, der vom Staat ausgeht. Dass es sich um einen Akt der Gewalt handelt, wird verkannt, wenn Bildungstitel als legitime und natürliche Klassifikationen anerkannt werden. Der Staat hat in der Soziologie Bourdieus das „Monopol auf legitime symbolische Gewalt“ (Bourdieu 2014: 18 f.). Die Verleihung von Bildungstiteln durch staatliche Institutionen war für ihn stets ein, wenn nicht das Beispiel schlechthin, um seine Theorie der symbolischen Gewalt und die Monopolstellung des Staats zu illustrieren. „Die offizielle Benennung oder Nominierung, das heißt der Akt, kraft dessen jemandem ein Titel, eine sozial anerkannte Qualifikation verliehen wird, ist eine der typischsten Manifestationen des Monopols auf legitime symbolische Gewalt, das dem Staat und dessen Mandatsträgern zukommt. Ein Bildungstitel etwa stellt universell anerkanntes und garantiertes symbolisches Kapital dar, das auf allen (nationalen) Märkten Geltung besitzt.“ (Bourdieu 1992: 149 f.)
Das Bildungssystem betrachtete er stets als das Zentrum der Reproduktion und Legitimation sozialer Ungleichheiten. Die Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem und speziell Bildungstiteln als Ausdruck für die symbolische Gewalt des Staats und seinen Mandatsträgern geht zurück auf seine frühen bildungssoziologischen Werke zusammen mit Jean-Claude Passeron (Bourdieu/Passeron 1971, 1973). Sie setzte sich jedoch bis hin zu seiner Beschäftigung mit dem „Staatsadel“ (2004) fort. Mit dem Begriff der „symbolischen Gewalt“ erweitert Bourdieu den Staatsbegriff Max Webers, der allen voran von einem „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ ausging (Weber 1992: 6). Nach Bourdieu basiert die Ausübung einer als legitim angesehenen physischen Gewalt explizit auch auf symbolischer Gewalt
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(Bourdieu 2014: 19). Das heißt, sie basiert auf sozialen Klassifikationen, mittels der Sprache hergestellten Deutungen und Bedeutungen, die (Wert-) Unterschiede produzieren und reproduzieren. Mit dem Begriff der symbolischen Gewalt ist die Geltung jener sozialen Klassifikationen gemeint, die bis hin zu den Deklassifizierten, als legitim und natürlich anerkannt sind.2 Die Postkoloniale Theorie spricht in Foucaultscher Denktradition von „epistemic violence“ (Spivak 1988), einem verwandten Konzept mit vergleichbaren Implikationen. Dass »Unqualifizierte« in ihrer gesellschaftlichen Stellung »unten« sind und »Hochqualifizierte« »oben«, wird demnach auch von den als »unqualifiziert« Titulierten als eine normale soziale Ordnung empfunden, gegen die sie nicht aufbegehren. Die Genese der sozialen Konstruktionen selbst, das heißt jene Machtbeziehungen, die eine legitime symbolische Ordnung von »unqualifiziert« über »geringqualifiziert« bis »hochqualifiziert« ins Leben rufen, werden nicht oder zumindest selten hinterfragt. Neben der Verleihung von Bildungstiteln als Ausdruck der symbolischen Gewalt des Staats, interessierte sich Bourdieu auch für die symbolische Gewalt, die vom männlichen Geschlecht ausgeht. In „Die männliche Herrschaft“ (Bourdieu 1997, 2005b) begründete er mit derselben Theorie, warum sich Frauen nicht (als Frau würde und muss ich sagen viel zu wenig oder viel zu selten) gegen Klassifikationen, die sie zu Untergeordneten machen, zur Wehr setzen. Die Gewalt und ihre Steigerungsform, die »symbolische Herrschaft«, besteht gerade darin, dass auch die Deklassifizierten oder »Beherrschten« daran glauben, dass (Wert-)Unterschiede eine unveränderliche Konsequenz der Natur sind. Die Gewaltverhältnisse sind danach etwas, das Frauen und Männer „eint“ und „entzweit“ (1997: 163), indem ihre „sozialisierten Körper“ (ebd.: 165) mit unterschiedlichen Dispositionen, zu herrschen oder sich beherrschen zu lassen, ausgestattet sind. Sie erkennen aufgrund der vorreflexiven Inkorporiertheit dieser Struktur nicht, dass sie durch ihre Verkennung der damit verbundenen Gewalt zur Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse beitragen: „Jede Macht zu symbolischer Gewalt, d.h. jede Macht, der es gelingt, Bedeutungen durchzusetzen und sie als legitim durchzusetzen, indem sie die Kräfteverhältnisse verschleiert, die ihrer Kraft zugrunde liegen, fügt diesen Kräfteverhältnissen ihre eigene, d.h. eigentlich symbolische Kraft hinzu.“ (Bourdieu/Passeron 1973: 12)
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Zur Rezeption, Diskussion und Anwendung der Bourdieuschen Theorie der symbolischen Gewalt in verschiedenen Forschungszusammenhängen vgl. Bittlingmeyer/Eickelpasch/ Kastner/Rademacher (2002), Schmidt/Woltersdorff (2008), Moebius/Wetterer (2011). Nicole Balzer (2014) diskutiert die Bourdieusche Theorie im Kontext anderer aktueller Konzepte der »Anerkennung«.
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Die »symbolische Gewalt« verhindert deshalb gerade durch die Verschleierung, dass es sich um eine Gewalt handelt, dass es zu sozialen Empörungen über »Ungerechtigkeit« und zu Widerständen kommt. Nach Bourdieus Theorie zeigt sich die symbolische Gewalt nicht in sozialen Kämpfen um Deutungen und Bedeutungen, sondern gerade in der Abwesenheit solcher Kämpfe. Wird sie in ihrer Legitimität infrage gestellt, wenn auch nur von wenigen, handelt es sich im Grunde nicht (mehr) um symbolische Gewalt. Darin sehe ich einen gewissen Widerspruch. Das würde bedeuten, dass der Soziologe der Erste und Einzige ist, der sie zu erkennen und zu hinterfragen vermag (vgl. Boltanski 2010). Ist es jedoch nicht gerade im Sinne Bourdieus wahrscheinlicher, dass seine wie meine Erkenntnisse einen sozialen Ursprung haben? Pierre Bourdieu war auch nicht der Erste, den die Legitimation von Machtverhältnissen durch die staatliche Verleihung von Bildungstiteln beschäftigt hat. Karl Marx bezeichnete bereits im Jahr 1843 das „Examen“ als die „bürokratische Taufe des Wissens“. Er formulierte die folgenden Worte in Bezug auf das juristische Staatsexamen: „Das 'Examen' ist nichts als eine Freimaurereiformel, die gesetzliche Anerkennung des staatsbürgerlichen Wissens als eines Privilegiums. Die 'Verknüpfung' des 'Staatsamts' und des 'Individuums', dieses objektive Band zwischen dem Wissen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Wissen des Staats, das Examen ist nichts anderes als die bürokratische Taufe des Wissens, die offizielle Anerkenntnis von der Transsubstantiation des profanen Wissens in das heilige (es versteht sich bei jedem Examen von selbst, daß der Examinator alles weiß). Man hört nicht, daß die griechischen oder römischen Staatsleute Examina abgelegt. Aber allerdings, was ist auch ein römischer Staatsmann contra einen preußischen Regierungsmann!“ (Marx 1976: 253, Herv. i. O.)
Bourdieu und Marx haben mit diesen Argumenten darauf hingewiesen, dass staatliche Examen und Titel keine natürliche oder gar übernatürliche Ordnung der sozialen Welt, sondern Herrschaftsinstrumente, darstellen. Ähnlich wie sich Marx' Kritik hier gegen den „preußischen Regierungsmann“ richtet, dessen Wissen durch das Staatsexamen von einem „profanen […] in das heilige“ transformiert wird, hat Bourdieu in seinem Werk „Der Staatsadel” (2004) die Mechanismen der Produktion und Reproduktion von staatlichen Eliten in Frankreich durch den Besuch von Eliteschulen reflektiert. Das Argument der sozialen Konstruktion von »Berufen« und »Berufsgruppen«, ihre Entstehung und Abgrenzung im Kontext von Institutionalisierung und sozialer Ungleichheit wird auch von Vertretern der machttheoretischen Professionssoziologie gegen einen vorherrschenden strukturfunktionalistischen Berufsbegriff vorgebracht (vgl. Daheim 1992, Kurtz 2002, Pfadenhauer/Sander 2010).
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„Ein Bildungstitel etwa stellt universell anerkanntes und garantiertes symbolisches Kapital dar, das auf allen (nationalen) Märkten Geltung besitzt“ (Bourdieu 1992: 149 f.), hieß es in jenem Zitat, das ich an den Anfang gestellt habe. Staatlich anerkannte Bildungstitel sind danach eine Form des Kapitals, das die sozialen Positionen in allen möglichen Märkten (oder Feldern) und ihre (ungleichen) Voraussetzungen prägt. Ein Bildungstitel ist eine symbolische Ressource, die zum Einsatz gebracht wird, um sich und seiner Position Anerkennung zu verschaffen – unabhängig davon, ob es sich um Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt oder einem anderen Markt, wie zum Beispiel auch dem Heiratsmarkt, handelt. Bourdieus (Selbst-) Reflexion eines methodologischen Nationalismus, die sich in dem Einschub „(nationalen) Märkten“ (ebd.) zeigt, wird in meiner Untersuchung aufgebrochen, ohne seine Begriffswerkzeuge ad acta zu legen. Ihn interessierte vor allem die Reproduktion sozialer Ungleichheiten durch die Verleihung von Titeln durch französische Schulen und Universitäten. Der von mir betrachtete Gegenstand, der Akt der Bewertung von Titeln, die nicht im eigenen System erworben worden sind, war für ihn – mutmaßlich ganz Kind seiner Zeit – noch nicht in Sicht. Ich betrachte die »Gleichwertigkeitsprüfung« ebenfalls als „eine der typischsten Manifestationen des Monopols auf legitime symbolische Gewalt“ (ebd.). 2.1.1.2 Soziale Ungleichheit Das institutionalisierte kulturelle Kapital ist wesentlich für die Verteilung von materieller und symbolischer Macht. Die sozialen Chancen, einen bestimmten Bildungstitel zu erlangen, sind von Geburt an ungleich verteilt. Soziale Ungleichheit ist bei Bourdieu ein relationaler Begriff, der auf multiple und aufeinander bezogene Machtdimensionen verweist. Mit Macht sind alle möglichen Kapitalien oder Ressourcen gemeint, die in den Kämpfen um soziale Ungleichheiten im Sinne einer Verbesserung oder eines Erhalts der sozialen Positionen auf Feldern eingesetzt werden. Eine Ressource existiert nicht objektiv, sondern wird erst dadurch zur Ressource, dass sie als solche sozial anerkannt ist (Bourdieu 1985). Bourdieu ist es letztlich zu verdanken, dass die Sozialwissenschaften das kulturelle Kapital neben dem ökonomischen Kapital als eine relevante Ressource in den Kämpfen um soziale Ungleichheiten theoretisch erschlossen haben (Bourdieu 1983). Aus heutigen Debatten ist es nicht mehr wegzudenken, dass Bildung einen sozialen Unterschied macht. Anders als Marx geht Bourdieu im Prinzip von unendlich vielen Kapitalsorten, aber von mindestens drei Grundformen aus, die auf allen sozialen Feldern als Ressource zum Einsatz gebracht werden können: dem ökonomischen, dem kulturellen und dem sozialen Kapital (ebd.). Kulturelles Kapital kann in drei Zuständen auftreten: inkorporiert (in Form von Wissen und Fähigkeiten), objektiviert (in Form von Gegenständen, wie z. B. Ge-
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mälden, Skulpturen, Bücher etc.) und – der hier im Fokus stehende Zustand – institutionalisiert (in Form von Titeln) (ebd.: 185 ff.). Das inkorporierte kulturelle Kapital ist – wie der Name bereits sagt – an den Körper einer Person gebunden. Es „setzt einen Verinnerlichungsprozeß voraus, der in dem Maße, wie er Unterrichts- und Lernzeit erfordert, Zeit kostet. Die Zeit muss vom Investor persönlich investiert werden […] Das Delegationsprinzip ist hier ausgeschlossen“ (Bourdieu 1983: 186, Herv. i. O.). Die Verleihung von Titeln dient der Objektivierung des inkorporierten kulturellen Kapitals. Bourdieu bezeichnet Bildungs- und Berufstitel jeglicher Art deshalb als institutionalisiertes kulturelles Kapital. Es macht Inhaberinnen derselben Qualifikationen formal austauschbar: „Titel schaffen einen Unterschied zwischen dem kulturellen Kapital des Autodidakten, der ständig unter Beweiszwang steht, und dem kulturellen Kapital, das durch Titel schulisch sanktioniert und rechtlich garantiert ist, die (formell) unabhängig von der Person des Trägers gelten“ (Bourdieu 1983: 189 f.).
Ein Bildungs- bzw. Berufstitel ist demzufolge nicht nur legitimes, sondern auch legales Kapital (Bourdieu 1985: 26). Den Begriff der „Berufsqualifikation“, der empirisch in Bezug auf meinen Forschungsgegenstand gebräuchlich ist, ordne ich dem analytischen Begriff des institutionalisierten kulturellen Kapitals zu oder auch unter.3 Er steht für ein Repertoire an Begrifflichkeiten, die im Kontext von (berufsbezogener) Bildung in Alltags- und Wissenschaftswelt verwendet werden, aber im vorliegenden Fall nichts erklären, sondern zu erklären sind: „[…] ich glaube, daß man noch weiter gehen und nicht nur die Berufsklassifikationen und die Begriffe in Frage stellen muß, mit denen man die Berufsklassen bezeichnet, sondern überhaupt den Begriff Beruf oder profession, um es englisch zu sagen […]. Profession ist ein um so gefährlicherer Begriff als, wie immer in solchen Fällen, alles für ihn spricht […] Profession ist ein Wort der Umgangssprache, das sich in die wissenschaftliche Sprache eingeschmuggelt hat; vor allem aber hat sich eine soziale Konstruktion in die Wissenschaft von der sozialen Welt eingeschmuggelt […]“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 275, Herv. i. O.).
Der von Marx geprägte Begriff der Klasse als Beschreibung für soziale Gruppen mit objektiv ähnlichen Existenzbedingungen ist mit Bourdieu nicht ohne den Begriff der Klassifikation, das heißt der symbolisch vermittelten Konstruktion einer Klasse, zu denken (vgl. auch Weiß/Koppetsch/Scharenberg/Schmidtke 2001). Er
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Zum Teil spreche ich auch nur von »Qualifikationen«. Der Zusatz „Berufs-“ beinhaltet, wo nötig, vor allem eine Abgrenzung zur Schulbildung. Eine Unterscheidung zwischen akademischen und berufsbildenden Abschlüssen impliziere ich damit nicht.
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spricht von „Klassen auf dem Papier“ (Bourdieu 1985: 12), wenn er die soziologische Konstruktion von Klassen beschreibt. Zwar teilt Bourdieu mit Marx die Konzeption der Geschichte als Kämpfe um die Verteilung von Kapital. Es sind für ihn jedoch weniger Klassenkämpfe als Klassifikationskämpfe, die das Rad der Geschichte drehen. In diesem Fall betrachte ich das Feld der Klassifikationskämpfe um eine spezifische Kapitalsorte, das (in Deutschland) institutionalisierte kulturelle Kapital. Insbesondere durch den Begriff des symbolischen Kapitals (siehe unten), der Abhängigkeit einer Kapitalart von ihrer sozialen Anerkennung, integriert Bourdieu auch die dichotomen Bestandteile des Berufsbegriffs von Max Weber. Das Konzept des »institutionalisierten kulturellen Kapitals« vermittelt zwischen Klasse und Stand, Ökonomie und Moral und damit auch Ökonomie und Erziehung (vgl. auch Kurtz 2002) Bourdieus Klassenbegriff ist also gerade aufgrund seiner Beziehung zum Klassifikationsbegriff hochgradig relational und komplex. „Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, welche sie auf die Praxisformen ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht“ (Bourdieu 1987a: 182). Dass dem Bildungssystem bzw. dem institutionalisierten kulturellen Kapital eine entscheidende Rolle bei der Reproduktion sozialer Ungleichheiten zukommt, stand für ihn jedoch außer Frage (Bourdieu/Passeron 1971, 1973). In „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1987a: 184 f.) beobachtete er, dass sich die Relation der Merkmale einer sozialen Klasse am deutlichsten im »Beruf« zeigt. Damit meinte er allerdings den als Erwerbstätigkeit ausgeübten Beruf, nicht die Berufsqualifikation, und sparte aus seiner Analyse der französischen Sozialstruktur diejenigen aus, die keiner Berufstätigkeit nachgingen (Blasius/Winkler 1989: 84 ff., Rehbein 2006: 168 f.). Ausschlaggebend für die Beziehungen zwischen den Kapitalarten ist die Möglichkeit der gegenseitigen Konvertierbarkeit, wie z. B. die Umwandlung von kulturellem Kapital in soziales Kapital, von sozialem Kapital in ökonomisches Kapital oder von ökonomischem Kapital in kulturelles Kapital. Die Möglichkeit der Umwandlung ist für ihn die Grundlage von Strategien, die der Reproduktion von Kapitalvermögen dienen (Bourdieu 1983: 195 ff.). Ähnlich wie bei Marx ist die Akkumulation von Kapital mit Arbeit und damit insbesondere mit Zeit verbunden: „Kapital ist akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, „inkorporierter“ Form“ (Bourdieu 1983: 183). Die Struktur der Ressourcenverteilung in der Gesellschaft bezeichnet Bourdieu als „akkumulierte Geschichte“ (ebd.). Mit diesem Begriff wendet er sich gegen die Auffassung der Sozialstruktur als zufällige Momentaufnahme und verweist auf eine historische Abhängigkeit ungleicher Lebenschancen. Die Akkumulation von Kapital beginnt nicht erst mit der Geburt eines Individuums. Nicht nur ökonomisches, sondern auch kulturelles und soziales Kapital werden in der Familie vererbt. Das führt dazu, dass die Chancen des Einzelnen, im institutionalisierten Bildungssystem zu reüssieren, zum Start
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nicht gleich sind. Die Aussicht, einen bestimmten Bildungs- bzw. Berufstitel zu erwerben und ihn zum Beispiel in ökonomisches oder soziales Kapital zu konvertieren, hängen von dem historisch akkumulierten Kapital der Herkunftsfamilie ab (Bourdieu 1983: 186, 196 f.). Die Enttarnung des formal postulierten Chancengleichheitsprinzips als herkunftsabhängiges Selektionsprinzip im Bereich von Schule und Wissenschaft stellt die bildungssoziologischen Arbeiten im Anschluss an Bourdieu in einen Kontrast zu der Bildungssoziologie in der Tradition von Raymond Boudon (1974). An einen methodologischen Individualismus und den rational handelnden Akteur anschließend sehen letztere das Bildungssystem als geeignete Instanz, um Bildungsaufstiege zu fördern und soziale Ungleichheiten abzubauen. Dagegen sind die Institutionen für Bourdieu und an seine Soziologie anschließende Denkerinnen und Denker vor allem Orte der Reproduktion sozialer Ungleichheiten (z. B. Beaufaÿs 2003, Engler/Krais 2004, Dravenau/Groh-Samberg 2005, Lenger 2008, Friebertshäuser/ Rieger-Ladich/Wigger 2009, Schneickert 2013). Als verwandt lassen sich auch Theorien institutioneller Diskriminierung betrachten (Gomolla/Radtke 2009, Berger/Kahlert 2005). Bourdieuscher Bezugspunkt der Bildungssoziologie ist insbesondere das gemeinsam mit Jean Claude Passeron entstandene Werk „Die Illusion der Chancengleichheit“ (1971). Vermeintlich rationale und vereinheitlichte Beurteilungssysteme lassen die verborgenen Mechanismen übersehen, die in den sozialen Strukturen zu suchen sind: dass sich Prüfer und Geprüfte in ihrem Habitus (insbesondere in Sprache und Gesten) jeweils näher oder ferner sind: „Da die Urteile der Prüfer immer weitgehend von Wertvorstellungen beeinflußt sind, auf die sie sich nur implizit beziehen und die einfach die in die Schullogik übersetzten Werte der gebildeten Klassen darstellen, haben die Kandidaten bei Prüfungen, die immer zugleich eine Klassenkooptation bedeuten, ein um so größeres Handikap zu überwinden, je ferner diese Werte den Werten der Herkunftsklasse stehen“ (ebd: 185, Herv. i. O.).
Zugespitzt könnte man sagen, dass Lehrer tendenziell die Wertvorstellungen von Lehrer-Kindern teilen, während sie z. B. bereits anhand bestimmter Vornamen auf eine »bildungsferne« Herkunft schließen, was sich dann als Klassifikationsprinzip in der Beurteilung der »Leistungen« tendenziell reproduziert. In der ungleich verteilten und im Unbewussten wirksamen symbolischen Macht in der Frage, was »Leistung« oder was »Qualifikation« ist (insbesondere welche habituellen Sprechakte damit einhergehen), liegt nach Bourdieu die Ursache der Reproduktion sozialer Macht begründet. Diesen Mechanismus nehme ich auch für die hier untersuchte »Gleichwertigkeitsprüfung« an. Das symbolische Kapital ist deshalb der Dreh- und Angelpunkt in den Kämpfen um Anerkennung, die dem Feld ihre Dynamik verleihen. Es fungiert als „eine Macht, die denjenigen übertragen wird, die ausreichend Anerkennung bekommen
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haben, um nun selbst Anerkennung durchzusetzen“ (Bourdieu 1992: 152). Die Inhaberinnen der gesellschaftlich anerkanntesten Kapitalarten, wie hierzulande prototypisch finanzieller Reichtum oder akademische Bildung, verfügen dadurch auch über ein hohes Maß an symbolischem Kapital. Sie haben „die Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen“ (Bourdieu 1992: 153) und darüber Einfluss darauf, ihrer spezifischen Kapitalausstattung noch mehr Anerkennung und Legitimität zu verleihen. „Das symbolische Kapital […] ist nicht eine besondere Art Kapital, sondern das, was aus jeder Art von Kapital wird, das als Kapital, das heißt als (aktuelle oder potentielle) Kraft, Macht oder Fähigkeit zur Ausbeutung verkannt, also als legitim anerkannt wird“ (Bourdieu 2001a: 311).
Mit dem Begriff des symbolischen Kapitals lässt sich zum Beispiel erklären, warum akademisch Gebildete eher die politische Forderung aufstellen, dass Erzieher studiert haben sollten, als zu erwarten, dass der Staat keine Unterschiede bei der Bezahlung von Erziehern, Lehrern und Professoren macht. Sie kämpfen, wenn auch nicht zwangsläufig bewusst, für die Anerkennung ihres akademischen Kapitals, die soziale Notwendigkeit reflexiv handelnder Erziehungspersonen, die durch ein Studium »natürlich« garantiert ist. Weil mit der Position von Akademikerinnen bereits ein hohes Maß an symbolischer Macht verbunden ist, können sie ihrer spezifischen Kapitalausstattung dadurch wie selbstverständlich noch mehr Anerkennung verschaffen und dabei ihre erhabene und besser bezahlte Position behalten und legitimieren. Bourdieu hat den Staat immer wieder als die „Zentralbank des symbolischen Kapitals“ (Bourdieu 2001a: 308) bezeichnet, die über Bewahrung und Veränderung der Ressourcenverteilung herrscht. „Die Verwaltung von Namen und Bezeichnungen stellt ein Instrument zur Verwaltung von materiellem Mangel dar“ (Bourdieu 1985: 25). Bourdieus Theorie stellt damit eine relevante Brücke dar, um die Vorstellung eines Dualismus von materieller und symbolischer Ordnung und damit auch von Wirtschaft und Kultur zu überwinden. Eine ähnliche Position bezieht Nancy Fraser (2003). In ihrer Erwiderung auf Axel Honneth fordert sie dazu auf, Umverteilungs- und Anerkennungspolitik in einem „perspektivischen Dualismus“ zusammen zu denken (ebd.: 88), statt Ersteres in der Sphäre der Ökonomie und Zweiteres in der Sphäre der Kultur zu verorten. Die Kämpfe um Anerkennung finden gerade unter der Bedingung ungleich verteilter Ressourcen statt, die eine gleichberechtigte Partizipation in der Interaktion mit den Institutionen, z.B. Erziehung und Gesetz, unmöglich machen (ebd.: 80). Dass gerade dem staatlichen Bildungssystem bei der Legitimation sozialer Ungleichheiten und der Verteilung von Ressourcen eine zentrale Rolle zukommt, spricht auch aus dem folgenden Zitat von Ulrich Beck:
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„Materielle und soziale Chancen (Bildung, Einkommen, Besitz usw.) können im System der »Leistungsgesellschaft« extrem ungleich und zugleich legitim verteilt werden. Das Bildungssystem ist in diesem Sinne die zentrale Rechtfertigungsfabrik sozialer Ungleichheit in der modernen Gesellschaft. Es verwandelt nach den Maßstäben »individueller Leistung«, individuell zurechenbar und nachvollziehbar, Gleiche in Ungleiche (in Rang, Bezahlung usw.), und zwar so, daß die Benachteiligten in der Geltung des Gleichheitsprinzips ihre Benachteiligung akzeptieren (dem Modell nach).“ (Beck 1988: 265, Herv. i. O.)
Das Bewertungssystem »ausländischer« Qualifikationen in Deutschland ist nicht das, was klassischerweise unter einem Bildungssystem verstanden wird. Da die Bewertungsstrukturen, allen voran die Klassifikationsprinzipien, aber den Strukturen des klassischen Bildungs- bzw. Berufsbildungssystem zugeordnet sind, lässt es sich meines Erachtens ebenfalls in diesem Kontext – als ein Teil des Bildungssystems – betrachten. Die staatliche Klassifikation und Selektion, das heißt, wie die Titel bzw. die Gleichwertigkeitsbescheide verteilt werden, steht – so die Annahme – in einem unmittelbaren Zusammenhang mit materiellen Verteilungsverhältnissen. 2.1.1.3 Titel und Stelle Die Macht eines Bildungstitels besteht in seiner kollektiven Natur, die ihm Autonomie gegenüber dem ökonomischen System verleiht. Er garantiert Kompetenzen, die Geltung haben, solange der soziale (Rechts-)Kontext, in dem der Titel erworben wurde, Geltung hat. Titelproduzenten und Titelinhaber kämpfen gemeinsam um einen möglichst hohen Wert eines Titels. Das ökonomische System zielt dagegen darauf ab, den Wert und die mit einem Bildungstitel verbundenen Rechte zu mindern. In diesem Abschnitt möchte ich vor allem darlegen, warum es mir im Rahmen meines Forschungsvorhabens wichtig ist, zwischen der »Anerkennung« einer Qualifikation als einem Akt der Ernennung durch den Staat und »Anerkennung« als einem Akt der Verwertung von kulturellem Kapital auf dem Arbeitsmarkt zu unterscheiden. Die diesbezüglichen Grundlagen formulierten Pierre Bourdieu und Luc Boltanski in ihrem Aufsatz mit dem Namen „Titel und Stelle“: „Denn das Bildungssystem produziert keine Kompetenz – wie zum Beispiel die Qualifikationen eines Ingenieurs –, ohne zugleich den Effekt einer universellen und zeitlosen Garantie dieser Kompetenz – also den Titel eines Ingenieurs – mit zu produzieren. Da der Titel den Arbeitnehmern eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem ökonomischen System verleiht, haben die Unternehmer erklärlicherweise kein Interesse an ihm. Je autonomer zudem die Produktionsinstanz von Titeln gegenüber der Wirtschaft ist, um so mehr verleiht auch der von ihr vergebene Titel Unabhängigkeit gegenüber der Wirtschaft. Das erklärt den Traum der Unternehmer von einer Schule, die mit dem Unternehmen vereint und zu einer betriebseigenen
40 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS Schule geworden ist. Dagegen haben die Titelproduzenten ihrerseits das Interesse, die Autonomie und den Wert des Titels zu verteidigen. Daran sind auch die Träger des Titels interessiert, und zwar umso mehr, je stärker ihr ökonomischer und sozialer Wert vom erworbenen Titel abhängt. Dabei ist die Macht, die ein Titel verleiht, nicht persönlicher, sondern kollektiver Natur, weil dem einzelnen seine legitime Macht bzw. seine Rechte nicht zu nehmen sind, ohne daß zugleich die Macht aller Titelträger sowie die Autorität des dahinter stehenden Bildungssystems in Zweifel gezogen wird.“ (Bourdieu/Boltanski 1981: 99 f.)
Als Bourdieu und Boltanski vor mehr als 30 Jahren über das Bildungssystem geschrieben haben, haben sie dabei an den Kompetenz- und Titelerwerb im Kontext französischer Bildungsinstitutionen gedacht. Die Anerkennung »ausländischer« Qualifikationen war damals noch kein Thema. Insofern sind die Begriffe der „universellen“ und „zeitlosen“ Garantie vor dem Hintergrund eines nationalstaatlichen Horizonts zu lesen. Nichtsdestotrotz halte ich die hier formulierte Beziehung von Titel und Stelle auf das Erkenntnisinteresse übertragbar. Ein anerkannter Titel ist damit eine symbolische Macht sui generis. Es ist ein verbrieftes Recht, das anders als eine Stelle, die man bekommen oder verlieren kann, in Deutschland erstmal gilt, solange es Deutschland gibt und solange man sich in Deutschland aufhält. Es geht um das grundsätzliche Zugeständnis und das verbriefte Recht, »kompetent« zu sein, unabhängig von der ökonomischen Funktion, die einer Qualifikation allgemein zugeschrieben wird: sich monetär auszuzahlen. Titelträger bleiben Titelträger unabhängig davon, ob sie (gerade) erwerbstätig sind oder nicht. Titelträger haben auch das Recht, ihre Titel nicht zu nutzen oder zumindest nicht so einzusetzen, wie es das ökonomische System gern hätte. Insofern ist mit der Verleihung eines Bildungstitels nicht nur eine Manifestation der symbolischen Gewalt des Staats, sondern auch ein gewisses Maß an Garantie und Schutz vor Zwängen und Ausbeutung verbunden. Weiterhin macht das obige Zitat auf einen zweiten Aspekt aufmerksam, der mir im Hinblick auf die Auseinandersetzungen zwischen kulturellem und ökonomischem Feld bedeutsam erscheint. Titelproduzenten und Titelinhaber (in meinem Beispiel also die deutschen) haben ein Interesse daran, den Wert des Titel zu verteidigen, während das ökonomische System auf die Abwertung von Bildungstiteln drängt. In diesen Kämpfen ist entscheidend, dass die Macht eines Titels „kollektiver Natur“ (ebd.) ist. Das Tragen eines gemeinsamen Namens formt eine Kollektivität mit einem Interesse daran, einen guten, anerkannten Namen zu haben. Die Ab- oder Entwertung eines einzelnen Titelträgers ist zugleich eine Ab- oder Entwertung der Macht des dahinter stehenden Bildungssystems. Insofern sind auch die einzelnen Antragstellerinnen, die ihre Qualifikation in einer deutschen Behörde oder Kammer anerkannt haben wollen, mit ihren jeweiligen Bildungssystemen und Titelkollektiven verbunden, die in dem Akt der Bewertung mitbewertet werden.
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In der Debatte um die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Deutschland verschmelzen Titel und Stelle oft zu einer Einheit. Das Recht auf einen Titel ist nur insofern relevant, als dass es die (qualifikationsadäquate) Verwertung auf dem Arbeitsmarkt fördert oder erleichtert. Die Durchdringung des Ökonomischen ist so selbstverständlich geworden, dass die »Autonomie« des kulturellen Felds, die Bourdieu so wichtig war (z.B. Bourdieu 1998c), inzwischen Mühe hat, sich als Interesse am Leben zu halten. Dies zeigt sich bereits in der verbreiteten Verwendung des Begriffs »Qualifikation« statt »Bildung« (Krais 1994: 560 f.). Bildung, Beruf und Einkommen sind in der Leistungsideologie zu einer „meritokratischen Triade“ verschmolzen, wie Reinhard Kreckel formuliert: „die gesamtgesellschaftliche Standardisierung und Institutionalisierung von drei abstrakten Bewertungsmaßstäben – Bildungsabschluß, beruflicher Rang und Geldeinkommen – ist heute weit fortgeschritten. In ihnen drückt sich zugleich die Bedeutung der Leistungsideologie als dem wichtigsten System zur Legitimation von Ungleichheit in fortgeschrittenen westlichen (und östlichen) Staatsgesellschaften aus, und zwar in der soeben genannten Reihenfolge: Die Qualifikation eines Individuums soll in eine entsprechende berufliche Position konvertierbar sein, die berufliche Position soll mit einem ihr angemessenen Einkommen ausgestattet sein – so will es die Leistungsideologie. Ihr entspringt die »meritokratische Triade« von Bildung, Beruf und Einkommen.“ (Kreckel 2004: 97, Herv. i. O.)
Dabei gehen die explizite meritokratische Legitimierung und die im Verborgenen waltende ständische Regulierung offenbar gerade Hand in Hand (vgl. z.B. auch Solga 2005, Vester 2005, Jodhka/Newman 2007). Ich gehe nicht davon aus, dass sich alle sozialen Ungleichheiten auf die Frage anerkannter Bildungs- bzw. Berufsabschlüsse zurückführen lassen. Aber ohne anerkannte Berufsqualifikationen bzw. ohne anerkannte Titelsysteme ist jedwedes Mitspielen für individuelle wie kollektive Akteure extrem schwierig. 2.1.1.4 Statistische Kategorien Um nicht Komplizen der symbolischen Gewalt des Staats zu sein, müssen Soziologinnen und Soziologen mit dem Denken des Staats brechen. Das gilt insbesondere für die Verwendung von staatlich hergestellten Klassifikationen, wie sie z. B. in amtlichen Statistiken oder in Rechtskategorien in Erscheinung treten. Bourdieu hat angehende Soziologinnen stets davor gewarnt, beim Erforschen des Staats das Denken des Staats anzuwenden (Bourdieu 2014: 17). Damit bezog er sich vor allem auf das Forschen mithilfe der Klassifikationen amtlicher Statistiken, zum Beispiel der Statistiken des Insée, jener französischen Institution, die mit dem Statistischen Bundesamt in Deutschland vergleichbar ist:
42 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS „Man kann über die Teilung in soziale Klassen diskutieren, doch der Gedanke, daß es Kategorien gibt, steht nicht zur Diskussion. Die Aufschlüsselung der Berufsgruppen […] zum Beispiel, die das INSEE vornimmt, ist ein typisches staatliches Produkt. Diese Berufsgruppen sind nicht bloß ein Instrument, das Messungen ermöglicht und somit den Regierenden erlaubt, die Regierten zu kennen, sondern auch legitime Kategorien, ein nomos, ein innerhalb der Grenzen einer Gesellschaft allgemein anerkanntes Kategorisierungsprinzip, über das man nicht diskutieren kann.“ (Bourdieu 2014: 30, Herv. i. O.)
Die Relevanz dieser Aussagen kann in Bezug auf das Erkenntnisinteresse nicht hoch genug eingeschätzt werden. Von einer staatlichen Nicht-Anerkennung betroffene Personen wurden jahrzehntelang als „Ungelernte“ (Englmann/Müller 2007: 24) bzw. „ohne Berufsausbildung“ (IAQ 2009: 124 f.) in amtlichen Statistiken erfasst. Da gerade quantitativ ausgerichtete Sozialstrukturanalysen häufig auf amtlichen statistischen Daten oder an denselben Kategorien orientierten Primärerhebungen basieren, sind nicht-anerkannte Auslandsqualifizierte jahrelang als „Unqualifizierte“ repräsentiert worden. Für den Beitrag der Ungleichheitssoziologie zum Ungleichheitsgeschehen zu sensibilisieren, ist auch das Anliegen des Buchs „Die Macht der Repräsentation“ von Eva Barlösius (2005). Sie plädiert unter anderem dafür, die eigene Benennungs- und Repräsentationsmacht als ungleichheitsrelevante Ressource stärker als bisher zum Forschungsgegenstand zu machen. Die Sozialstrukturforschung prägt mitunter, was im Common Sense als objektiv und konsensfähig gilt, das heißt, was als legitime oder was als illegitime Ungleichheiten anerkannt ist. Amtliche Statistiken haben per se eine besonders hohe Legitimation und Glaubwürdigkeit, obwohl fast niemand weiß, wie sie erhoben werden (ebd.: 173 f.). „Gesellschaftsbilder“, die als „Graphiken des Sozialen“ auch in alltäglichen Medien veröffentlicht werden, prägen sich besonders machtvoll im Gedächtnis des Common Sense ein (ebd.: 69 ff.). Im Zusammenhang mit meinem Forschungsgegenstand möchte ich kurz auf ein sehr verbreitetes Bild zu sprechen kommen: das erweiterte Hausmodell von Rainer Geißler. Um die Jahrtausendwende hat er das Haus-Modell der sozialen Schichtung von Ralf Dahrendorf aus den 1960er Jahren um die Gruppe der »Ausländer« ergänzt (Geißler 2011: 100). In Bezug auf die Repräsentation ethnischer Ungleichheiten markierte dies gewissermaßen den Beginn einer neuen Ära für die deutsche Ungleichheitsforschung. Eines der Hauptmerkmale, welchen Teil des Hauses eine »Schicht« bewohnt, ob obere oder untere Etagen, ist der »Beruf«. »Ausländer« bekamen einen eigenen kleinen Anbau unmittelbar neben dem Haupt-Haus (vgl. Rehbein/Schwengel 2012: 206). In dem angebauten Häuschen sammeln sich im Erdgeschoss eine Menge »ausländische Un-, Angelernte«, während die darüber liegenden, höher qualifizierten Etagen sehr schnell nur sehr wenige Bewohner haben. Das »deutsche« Haupt-Haus hingegen wächst wesentlich höher und größer in den Him-
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mel. Dieses und viele ganz ähnliche Bilder, die von der deutschen Sozialstrukturforschung vor allem als deutsche Berufsstruktur präsentiert wurden und vielfach in der Öffentlichkeit Verbreitung gefunden haben, sind nun grundsätzlich infrage gestellt. Nicht nur das mit dem Haus verbundene Container-Modell des Nationalstaats, die Repräsentation von Ausländern als »außen« vor dem Haus, sondern auch die Einteilung nach dem Beruf ist fragwürdig. Hinter der Kategorie »ungelernt« können sich auch diejenigen verbergen, die in ihrem Ausbildungsstaat oben im Haus wohnen würden. 2.1.2 Leute machen Staaten Im vorherigen Abschnitt ging es vorrangig um die angenommenen ungleichheitsrelevanten Wirkungen der staatlichen Klassifikations- und Bewertungsakte. In diesem Abschnitt geht es um die theoretischen Annahmen, wie es zu dem Akt der Ernennung zu »Qualifizierten« kommt. Wer ist oder wer macht eigentlich »den Staat«? 2.1.2.1 Staat und Feld Die Institution »Staat« wird verstanden als ein Praxisfeld, in dem um das staatlich produzierte Kapital gerungen wird. Der Staat ist damit nicht nur Konstrukteur, sondern selbst durch ein Netz an Machtbeziehungen sozial konstruiert. Nach den Mechanismen der Genese des Staats oder besser der staatlichen Akte wird, so Bourdieu, viel zu selten gefragt. Er bemerkt, dass sich sowohl Max Weber als auch Norbert Elias nicht damit beschäftigt haben, wie es zur „Monopolisierung des Monopols“ (Bourdieu 1998a: 123) kommt. Im Rahmen seiner Vorlesungsreihe „Über den Staat“ am Collège de France in den Jahren 1989-1992, die jüngst erschienen ist (Bourdieu 2012 (frz.), 2014 (dt.)) distanziert er sich gleich zu Beginn von der Vorstellung, der Staat sei „ein neutraler Ort“, sozusagen ein „Quasi-Gott“, der dem öffentlichen Wohl diene (Bourdieu 2014: 19 ff.). Zum anderen geht er auch auf Distanz zu marxistischen Denktraditionen, allen voran zu Antonio Gramsci und zu Louis Althusser, die den Gegenpol dazu bilden, indem sie dem Staat die konträre Funktion zuschreiben. Statt gut zu sein, sei er nach ihrer Theorie böse und seine Funktionäre dienen der wirtschaftlichen und symbolischen Domination (ebd.: 21 ff.). Bourdieus Schlussfolgerung lautet: „man erfährt nichts über den Mechanismus, wenn man sich nur nach den Funktionen fragt“ (ebd.: 23). Daran knüpft meine Perspektive an. Von Interesse ist weniger der Zweck (die Funktion), sondern vor allem der Modus der Herstellung eines staatlichen Klassifikationsprodukts (die Mechanismen).
44 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS „Wer bürgt für die Gültigkeit der Bescheinigung? Derjenige, welcher das Dokument unterschrieben hat, mit dem die Zeichnungsberechtigung verliehen wurde? Wer aber bürgt für diesen? Man gerät in eine Endlos-Regression, die man schließlich irgendwo »abbrechen muß«, und man kann dann nach Theologenart beschließen, dem letzten (oder ersten) Glied der langen Kette der offiziellen Konsekrationshandlungen den Namen Staat zu geben.“ (Bourdieu 1998a: 114)
„Wer bürgt für die Gültigkeit der Bescheinigung?“ Wenn die »Gleichwertigkeitsprüfung« ein Akt der symbolischen Gewalt ist, die vom Staat ausgeht, tragen dann diejenigen, die die Bewertung handlungspraktisch durchführen und den Bescheid ausstellen (meine Interviewten, vgl. Kap. 3 und 5) die Verantwortung? In jedem Fall führen sie mit der Bewertung einen staatlichen Auftrag der Klassifikation und Selektion aus, von dem ich annehme, dass er in Beziehungen eingebettet ist: zu den Antragstellern, ihren Ausbildungseinrichtungen und Ausbildungsstaaten ebenso wie zu Berufsfeldern (deren Qualifikationen sie bewerten), den Feldern der Wirtschaft, der Politik, des Rechts und der Bürokratie sowieso und vielleicht auch noch sehr vielen mehr. Ich bin in meinem Forschungsvorhaben davon ausgegangen, dass dieser staatliche Akt in jedem Fall umkämpft sein wird. Diverse Akteure und Institutionen werden ein Interesse daran haben wie diejenigen, die die Bescheinigung in der konkreten Situation ausstellen, bewerten und selektieren. Michael Lipsky (2010) hat das Konzept der „Street-Level Bureaucracy“ geprägt. Gemeint sind jene Repräsentanten des Staats, die im direkten Kontakt über die Beziehungen des Staats mit den Menschen verhandeln: Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, Polizistinnen etc. Ihre Praxis steht im Fokus politischer Kontroversen und Kämpfe um die Reglementierung der Praxis durch die Gesetzgebung. Das liegt vor allem daran, dass sie in der Interaktion im Einzelfall unweigerlich mit Ermessensspielräumen über offizielle staatliche Leistungen und Sanktionen entscheiden. Vincent Dubois (2010) hat das Konzept der Street-Level Bureaucrats mit dem Bourdieuschen Feldbegriff verknüpft. Er beobachtet die Begegnungen in französischen Sozialämtern als komplexe Interaktionen, in denen über soziale Beziehungen verhandelt wird: „[…] bureaucratic domination does not derive from an anonymous administration with mechanically enforced rules. It is carried out by individuals who are not just cogs in a machine but whose position of authority allows judgements and injunctions that the administrative functioning does not impose but makes possible.“ (Dubois 2010: 15)
Dass ausführende Bürokraten nicht nur „cogs in a machine“ sind, wie man mitunter nach Max Webers Modell der rationalen Bürokratie implizit annehmen könnte, sondern sich in Möglichkeitsräumen bewegen, legte mir auch ein empirischer Befund über die Anerkennungspraxis nahe. Danach gaben die Mitarbeiter und Mitar-
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beiterinnen in den deutschen »Anerkennungsstellen« in Befragungen mehrfach an, dass sie über keine ausreichenden Informations- und Entscheidungsgrundlagen zur Bewertung der ausländischen Qualifikationen verfügen (IW/IFOK 2010: 60 ff., Englmann/Müller 2007: 160 ff.). Zwar war das vor den gesetzlichen Reformen, der sogenannten Anerkennungsgesetzgebung im Jahr 2012. Da sich die Rechtsansprüche auf Überprüfung der Gleichwertigkeit jedoch eher ausgeweitet haben – auf mehr Berufsbereiche und Ausbildungsstaaten der ganzen Welt –, habe ich angenommen, dass sich diese Situation nicht unbedingt geändert hat. Ein aktuellerer Bericht der Bundesregierung zum Anerkennungsgesetz (BMBF/BIBB 2014: 104 ff.) bestätigt diesen Befund auf Basis einer Inhaltsanalyse qualitativer Interviews. Er kommt zu dem Schluss, dass die Gleichwertigkeitsprüfung gerade für die „fachfremden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Länderbehörden […] eine oft schwer zu bewältigende Herausforderung“ (BMBF/BIBB 2014: 107) sei. Die im Auftrag des Staats bewertenden Akteure betrachte ich mit Bourdieu nicht als frei von Zwängen, sondern als in einem doppelten Sinne den Dispositionen von Habitusund Feldstrukturen ausgeliefert. Wenn die Mitarbeiterinnen aussagen, über keine ausreichenden Informations- und Entscheidungsgrundlagen (also institutionalisierte Handlungsanleitungen) zu verfügen, ist es unter der Annahme eines praktischinkorporierten Sinn des Handelns (siehe unten) besonders fragwürdig, wie sie ihre Klassifizierungs- und Bewertungsarbeit machen. Die Struktur der Beziehungen, die zur Genese der staatlichen Akte führen, begreife ich gewissermaßen als ein Meta-Feld, in dem das durch den Staat legitimierte Meta-Kapital produziert wird (Bourdieu/Wacquant 2006: 146 f.). Während des Forschungsprozesses hatte ich auch häufig die Vorstellung einer Arena, in der eine Vielzahl miteinander in Beziehung stehender Felder ihre Kämpfe um das Monopol auf legitime symbolische Gewalt miteinander austragen: „Die Konstruktion des staatlichen Monopols der physischen und symbolischen Gewalt ist nicht zu trennen von einer Konstruktion des Felds der Kämpfe um das Monopol auf die mit diesem Monopol verbundenen Vorteile.“ (Bourdieu 1998a: 123)
Aufgrund der wechselseitigen Beziehung von Feld und Habitus gehe ich davon aus, dass die Mitarbeiterinnen von Behörden und Kammern, die in der Praxis die Bewertung vornehmen, die Auseinandersetzungen und Konstruktionsprinzipien des Monopols auf legitime symbolische Gewalt als Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata inkorporiert haben.
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2.1.2.2 Soziale Praxis Die soziale Praxis ist durch das Netz an Beziehungen zwischen den Positionen von Akteuren (und Institutionen) mit jeweils unterschiedlicher Kapitalausstattung strukturiert und strukturiert das Feld durch diese Praxis gleichermaßen. In dem Begriff der sozialen Praxis verbindet sich die Bourdieusche Soziologie (das soziale Feld, die soziale Ungleichheit und die symbolische Gewalt) mit der Wissenssoziologie Karl Mannheims, der Ethnomethodologie Harold Garfinkels und der Dokumentarischen Methode Ralf Bohnsacks. Es ist der logische Kern dessen, was meine Arbeit in Theorie und Empirie zusammenhält. Theorien »sozialer Praxis« beinhalten in erster Linie eine Erweiterung der Perspektiven von Rational Choice Theorien und anderen Forschungsprogrammen, wie auch der interpretativen Sozialforschung nach Alfred Schütz sowie Peter L. Berger und Thomas Luckmann, die auf einem methodologischen Individualismus basieren. Sie beinhalten die Vorstellung des Individuums als einem Wesen, das seine Beziehungen zum Sozialen theoretisch erfasst und auf Basis von Kalkülen, Plänen und Um-Zu-Motiven handelt. Danach geht dem Handeln immer oder zumindest überwiegend ein Entwurf des Handelns voraus.4 Es basiert somit auf einem theoretisch verfügbaren Wissen, das auch explizit benannt und kommuniziert werden kann. Rational Choice Theorien gehen tendenziell von einem objektiven Sinn des zugrunde gelegten »Sozialen« aus, sodass sich daraus die Voraussetzung ableitet, über das Wesen des Sozialen »informiert« sein zu müssen (oder theoretisch zu können), um die »richtigen« Entscheidungen im Sinne des eigenen (bewussten) Interesses zu treffen (vgl. Schnabel
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Teilweise wird die Bourdieusche Soziologie als Variante eines Rational-Choice-Ansatzes missverstanden, weil in der flüchtigen Rezeption seines Kapitalbegriffs (Bourdieu 1983) und seines Werks „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1987b) diese Verbindung gezogen wird. Davon hat er jedoch mehrfach Abstand genommen und dies durch sein theoretisch wesentlich gehaltvolleres Gesamtwerk auch dokumentiert (vgl. z.B. auch Schwingel 1993: 10 ff., Kramer 2011: 336 ff.). Gregor Bongaerts (2008) argumentiert, dass es sich bei Bourdieus Theorie sozialer Felder, deren gemeinsamer Fluchtpunkt jeweils die symbolische Gewalt ist, um empirische Betrachtungen und Erkundungen der symbolischen „Verdrängungen des Ökonomischen“ handelt (ebd.: 337). In diesem herausgearbeiteten Prinzip der Soziologie Bourdieus verschmelzen danach die sozialtheoretischen Prämissen, der empirische Untersuchungsgegenstand wie auch das politische Anliegen eines „realistischen Utopismus“ (ebd. 368), der durch die feldtheoretische und damit auch differenztheoretische Erforschung der Verdrängungen die Verdrängungen erst möglich macht. Auch insofern liegt in der verbreiteten Missinterpretation meines Erachtens eine gesellschaftstheoretische wie auch gesellschaftspolitische Tragik.
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2007). Dagegen schließt die interpretative Sozialforschung eher an den subjektiv gemeinten Sinn nach Max Weber an und betont die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit, u. a. die Entstehung von Institutionen und rollenförmigem Verhalten, durch die Interpretationen und Aushandlungsprozesse zwischen den Individuen (vgl. Bohnsack 2010a, 2010b, Bongaerts 2012). Die Theorien sozialer Praxis, unter anderem nach Bourdieu und Mannheim überwinden den Dualismus von Objektivismus und Subjektivismus und damit auch die Trennung zwischen Makro- und Mikroperspektive. Demzufolge folgt Handeln vor allem einem »praktischen Sinn« (Bourdieu 1980, 1987b).5 Entscheidend sind implizite und nicht zwangsläufig bewusste Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die als »Habitus« inkorporiert, das heißt, in den Körpern eingeschrieben sind. Sie sind nicht das Ergebnis bewusster individueller Pläne, Entwürfe und Strategien, sondern wurzeln in den sozialen Beziehungen und Strukturen. Der »Habitus« entspricht dem Mannheimschen „atheoretischen Charakter des Erlebens“ (Mannheim 1980: 73) im Gegensatz zum „kommunikativen Wissen“ (ebd). Zu letzterem gehören die Eigentheorien, warum man etwas macht oder lässt. Mannheim unterscheidet daher zwischen jenem Wissen, das explizit mitgeteilt werden kann, und jenem impliziten Wissen, von dem die Handelnden selbst nicht wissen, dass sie es wissen. Er erklärt mitunter am Beispiel des Bindens eines Knoten, wie selbstverständlich Alltagshandlungen ausgeführt werden, ohne dass das zugrunde liegende Wissen erklärt werden kann bzw. erklärt werden müsste (Mannheim 1980: 73 f.). Das „konjunktive Erkennen“ (ebd.: 211 ff.) ist das genetische Prinzip der Praxis, wobei er es auf „konjunktive Erfahrungsgemeinschaften“ (ebd: 215 ff.) zurückführt, wenn keine Explikation oder Kommunikation notwendig ist, um sich zu verstehen. Bourdieu unterlegt seine Praxistheorie mitunter durch die Formel, dass unseren Handlungen zu einem Anteil von drei Vierteln ausschließlich ein empirisches Gespür, „eine bloße Praxis ohne Theorie“ (Bourdieu 2001a: 208), zugrunde liegt. Mannheim beschreibt analog dazu, dass „die besondere Eigenheit der praktischpolitischen Erkenntnis gerade darin [besteht]: daß sie aus Situationen heraus erkennt, auf Situationen hin handelt“ (Mannheim 1980: 174, Herv. i. O.). Bohnsack legt dar, dass sowohl Bourdieu als auch Mannheim durch den Kunsthistoriker Erwin Panowsky und das von ihm ursprünglich eingeführte Konzept des Habitus inspiriert wurden (Bohnsack 2010b: 151). Habituelle Praxis bedeutet gerade nicht, dass wir nicht wissen, was wir tun. Auf meinen Gegenstand bezogen bedeutet es auch nicht, dass in der staatlichen Bewertungspraxis Chaos und Willkür herrschen. Es bedeutet im Gegenteil, dass wir sehr
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Während das französische Original den Titel „Le sens pratique“ (Bourdieu 1980) trägt, wurde der Begriff mit „Sozialer Sinn“ (Bourdieu 1987b) ins Deutsche übersetzt. Im Folgenden wird die wörtliche Übersetzung „praktischer Sinn“ verwendet.
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viel mehr über das Soziale wissen, als uns während des Handelns bewusst ist. Wir haben einen inkorporierten »sense of one's place«, welcher für eine Abgestimmtheit zwischen sozialen Strukturen und Handlungen sorgt. Karl Mannheim spricht wiederum in Ähnlichkeit dazu von der „Seinsverbundenheit des Denkens“ (Mannheim 1952: 229 f., vgl. auch Jung 2007). In dem Konzept des Habitus verbindet Pierre Bourdieu die Vorstellung, dass mit der ungleichen Verteilung von Kapital, den verschiedenen Formen von Macht, jeweils Dispositionen zu bestimmten Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata (und damit auch Handlungen) einhergehen. Infolge dieser Abgestimmtheit von Struktur und Handlung neigen die sozialen Strukturen dazu, sich selbst zu reproduzieren. Damit weist Bourdieu über den Marxschen Zusammenhang von Sein und Bewusstsein hinaus, indem er stattdessen eine zirkuläre Beziehung zwischen Sein und Bewusstsein annimmt. Was zuerst da war, gleicht dann mitunter der viel zitierten Frage nach der Beziehung zwischen Henne und Ei. »Die Struktur« ist jedoch nichts anderes als das Feld oder auch eine Konfiguration mehrerer zusammenspielender Felder. „Verstehen heißt zunächst das Feld zu verstehen, mit dem und gegen das man sich entwickelt“ (Bourdieu 2002: 11). Das heißt, es geht darum, den Blick auf die Einbettung der Praxis in die Machtbeziehungen zu verstehen, die eine bestimmte Praxis und damit auch ein bestimmtes Produkt erst als »wirklich« hervorbringen. Das Produkt ist in diesem Fall die Bewertung einer Qualifikation oder auch meine Erkenntnisse über die Bewertung einer Qualifikation. Harold Garfinkel prägte den Begriff der sozialen Wirklichkeit als einer „Vollzugswirklichkeit“ bzw. eines „ongoing accomplishment“, wie es im englischsprachigen Original heißt: „the objective reality of social facts as an ongoing accomplishment of the concerted activities of daily life, with the ordinary, artful ways of that accomplishment being by members known, used, and taken for granted, is, for members doing sociology, a fundamental phenomenon.“ (Garfinkel 1967: vii)
Jörg Bergmann fasst diese Perspektive mit den plakativen Worten zusammen: „Nur im alltäglich-praktischen Handeln »ver-wirklicht« sich gesellschaftliche Wirklichkeit.“ (Bergmann 2012: 122, Herv. i. O.) Ein zentrales Forschungsinteresse in Tradition der Ethnomethodologen ist die Frage, wie Organisationen soziale »Tatsachen« herstellen: Bspw. wie konstruiert das Sozialamt einen Anspruchsberechtigten (Zimmermann 1974), wie ein Krankenhaus einen Toten (Sudnow 1973), wie bürokratische Organisationen einen jugendlichen Straffälligen (Cicourel 1968) oder auch nach Bildungsgraden differenzierte Schüler (Cicourel/Kitsuse 1963). Analog könnte man formulieren, dass ich mich dafür interessiere, wie der deutsche Staat einen »Qualifizierten« konstruiert, wenn er nicht im eigenen Bildungssystem qualifiziert wurde. Garfinkels spätere For-
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schungsarbeiten bezeichnete er als „Ethnomethodological Studies of Work“ (1986), weil ihnen das Interesse an der Vollzugswirklichkeit bestimmter beruflicher Tätigkeiten zugrunde liegt. Auch wenn sein Schwerpunkt auf der Erforschung naturwissenschaftlicher Arbeit lag, lässt sich aus meiner Sicht auch die deutsche Verwaltungspraxis in diesem Kontext betrachten. Den Unterschied der praxeologischen Wissenssoziologie zu den Ethnomethodologen sieht Bohnsack darin, dass letztere in der eigenen Forschungspraxis nicht zwischen dem Verstehen und dem Interpretieren von Vollzugswirklichkeiten, dem Mannheimschen Was- und Wie-Sinn, unterscheiden (Bohnsack 2010b: 59 f.). Er bezeichnet seine Methodologie als »praxeologisch«, „nicht nur deshalb, weil sie auf die Rekonstruktion der Praxis der Erforschten zielt, sondern auch deshalb, weil sie dies gleichermaßen auf die eigene Praxis, also diejenige der Forscher und Beobachter anwendet“ (Bohnsack 2010a: 67, Herv. i. O.). Dieser Formulierung könnte sich Bourdieu sicherlich anschließen. Er betont jedoch noch einen weiteren Unterschied zwischen seinen Überlegungen zur Genese die staatlichen Akte (Bourdieu 2014) und den Ethnomethodologen, der ebenfalls für meine Konstruktion des Gegenstands bedeutsam ist. Die Ethnomethodologen würden nicht die „planetarischen Probleme“ stellen (ebd.: 303). Sie würden nicht fragen „wer den Konstrukteuren die Konstruktionsmittel in die Hand“ (ebd.) gibt. Darin zeigt sich, dass es sich bei Bourdieus Art zu Denken gewissermaßen um eine Endlos-Spirale der Relationalität und Reflexivität handelt. Jeder Satz über die Genese von Etwas erzeugt wiederum die Frage nach der sozialen Genese des Satzes und so weiter. Er schlägt deshalb vor, die Ethnomethodologen mit denjenigen in Verbindung zu bringen, „die die planetarischen Probleme stellen“ (ebd.) und nennt als Beispiel die Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein. Daran knüpft die Idee an, das Feld des Staats mit den Augen Bourdieus nicht mehr als einen sozialen Raum zu begreifen, der nur ein »Innen«, aber kein »Außen« kennt (Rehbein 2003, 2004). Das Praxisfeld »Staat« ist in eine globale Ökonomie (als Praxisfeld der Ökonomie) eingebettet. Dadurch betrachte ich das Feld der Kämpfe um das Monopol auf symbolische Gewalt nicht nur als eine begrenzte und begrenzende, sondern gleichzeitig auch als eine entgrenzte und entgrenzende Struktur (2.2). Bourdieu ging nicht davon aus, dass der Habitus durch das Feld determiniert ist. Er begreift ihn jedoch als eine relativ beständige Formation: „Er ist dauerhaft, aber nicht unveränderlich“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 167 f.). Dabei wurde er durchaus dafür kritisiert, dass er sich nicht für das bewusste und kalkulierte Handeln interessierte, obwohl dies doch nach seiner eigenen Theorie die Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderung ist (Barlösius 2004: 182 f.). In der Tat konzentrierten sich seine Bemühungen darauf, die Mechanismen aufzudecken, welche gesellschaftliche Strukturen reproduzieren. Das Interesse an der Stabilität war jedoch gerade seiner „Passion“ (Lempert 2010) für die Veränderung der sozialen Verhältnisse durch soziologische Reflexion geschuldet. Wolfgang Lempert nennt sie eine „moralische
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Passion“. Für die Herrschaft und für die Bewahrung der Kräfteverhältnisse darf man sich allerdings jederzeit einsetzen, ohne das (wie auch immer gemeinte) Etikett des »Moralischen« zu bekommen, mitunter ohne dass es als ein »Einsatz für die Bewahrung« auffällt (Rehbein 2006: 231). „Die Behauptung, der Soziologe könne seine Einstellung zur Gesellschaft frei wählen, verschweigt, dass die Sozialwissenschaften nur solange in der Illusion der Neutralität leben können, wie sie nicht wahrhaben wollen, dass ihre Enthüllungen oder ihr Verschweigen immer jemandem dienen: entweder den Nutznießern oder den Opfern der Sozialordnung.“ (Bourdieu/Passeron 1971: 15)
Den Vergleich der soziologischen Tätigkeit mit einer „Passion“ halte ich dennoch für zutreffend. Bourdieu war in die Reflexion über die soziale Reproduktion von Macht so verstrickt, dass er im Zuge dessen kaum wahrnehmen konnte, dass auch andere soziale Wesen als der mit Bourdieu arbeitende Soziologe Mechanismen symbolischer Gewalt erkennen und sich mit ihnen auseinandersetzen können (vgl. Boltanski 2010). Die Konsequenz für mich ist daraus, bei allem Respekt, die Theorie der symbolischen Gewalt nicht zu einer Doxa meiner Forschungspraxis werden zu lassen und dadurch womöglich gerade etwaige verändernde, kämpfende Kräfte als solche zu verkennen. „Wer überall Herrschaft am Werk sieht, spielt denen in die Hände, die Herrschaft nirgends sehen wollen“ (ebd.: 78).
2.2 D IE
ENTGRENZTE UND ENTGRENZENDE
S TRUKTUR
Das Praxisfeld des Staats betrachte ich auch als entgrenzte und entgrenzende Struktur, weil sich die beteiligten Feldakteure – und damit auch das Feld – nicht auf »den deutschen Staat« im Sinne eines Container-Modells eingrenzen lassen. Was in dem Feld auf dem Spiel steht, der Wert »ausländischer« Qualifikationen im Verhältnis zu »deutschen« Qualifikationen macht potenziell die ganze Welt zu Mitspielerinnen und Mitspielern, nicht nur als Individuen, sondern auch in ihrer jeweiligen Relation zu Kollektiven. Zumindest gehe ich davon aus, wenn Titelkollektive ein Interesse an den staatlichen Akten haben, die »ausländische« Qualifikationen in ein Wertverhältnis zu »deutschen« Qualifikationen setzen. Ich nehme an, dass es vor allem das globale oder besser gesagt das globalisierende ökonomische Feld ist, das das Monopol des deutschen Staats auf legitime symbolische Gewalt herausfordert, weil es die Idee einer Kongruenz zwischen Mensch, Qualifikation und Staat herausfordert. Die Beziehungen zwischen Menschen und Staaten (geknüpft über die Verleihung eines Bildungstitels) sind offensichtlich nicht statisch, sondern dynamisch.
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Sowohl »Leute« als auch »Staaten« sind in Bewegung, wie ich in den folgenden zwei Unterabschnitten argumentieren werde. Das »in Bewegung sein« meine ich dabei nicht in erster Linie geografisch oder im Sinne von territorialen Raumkonstruktionen. Ich betrachte aufeinander bezogene Leute wie Staaten als „im Spiel befangen und gefangen“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 148), in dem der Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals verhandelt wird. »In Bewegung sein« bezeichnet damit vor allem einen (Gemüts-)Zustand der Involviertheit. In dem Feld bewegt sich mit den Leuten (den Körpern) und den Staaten (den Institutionen) die „Leib gewordene und Ding gewordene Geschichte“ (Bourdieu 1985: 69). Damit ist auf die historisch begründeten ungleichen Beziehungen als Ursprung und Konstruktionsbedingung der gegenwärtigen Machtrelationen des Felds hingewiesen. Durch die Bewegungen wird wiederum Weltgeschichte geschrieben. 2.2.1 Leute in Bewegung Dass Menschen, die nach Deutschland kommen nachdem sie eine Qualifikation in einem anderen Staat erworben haben, häufig keine Anerkennung und berufsrechtliche Geltung der Qualifikation in dem neuen Kontext erfahren, ist inzwischen keine Neuigkeit mehr (bspw. Englmann/Müller 2007, Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/ Weiß 2010a). Ich betrachte sie, feldanalytisch gesprochen, als soziale Akteure, die durch ihre Praxis (potenziell) zur Bewahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse beitragen. Mit Pierre Bourdieu gesprochen, lassen sie sich aus meiner Sicht auch als die potenziellen Anwärterinnen auf jene Macht betrachten, die die Ausstellung eines Gleichwertigkeitsbescheids bzw. eines deutschen Bildungstitels verspricht. Die Feldgeschichte wird durch den symbolischen Kampf zwischen den (Bildungs-)Titelverteidigerinnen und (Bildungs-)Titelanwärterinnen geschrieben: „Was Feldgeschichte macht, ist der Kampf zwischen den Inhabern der Macht und den Anwärtern auf diese Macht, zwischen den Titelverteidigern (als Schriftsteller, Philosoph, Wissenschaftler usw.) und den challengers, wie man beim Boxen sagt: Das Veralten von Autoren, Schulen, Werken ist ein Ergebnis des Kampfes zwischen denen, die Geschichte gemacht haben (indem sie im Feld eine neue Position schufen) und um ihr Weiterleben (als »Klassiker«) kämpfen, und denen, die ihrerseits nicht Geschichte machen können, ohne diejenigen für passé zu erklären, die ein Interesse an der Verewigung des gegenwärtigen Zustands und am Stillstand der Geschichte haben.“ (Bourdieu 1998a: 70, Herv. i. O.)
Bourdieu hat, wie in diesem Zitat deutlich wird, bei dem Feldbegriff vor allem an sozial differenzierte und relativ autonome Berufsfelder und in den Grenzen eines Nationalstaats gedacht (vgl. Bongaerts 2011). Die Vorstellung lässt sich meiner Ansicht nach jedoch auch auf meinen Gegenstand übertragen. Die Inhaber der Macht
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lassen sich als die anerkannten deutschen Berufsangehörigen denken, während die Anwärterinnen auf die Macht die Auslandsqualifizierten mit einem Interesse an einer anerkannten deutschen Berufsangehörigkeit, das heißt, der offiziellen Anerkennung ihrer Qualifikation als »gleichwertig« sind. Steffani Engler und Beate Krais (2004) weisen darauf hin, dass „Titelkämpfe“ als „Kämpfe um den gesellschaftlichen Wert und die Differenzierung von Bildungszertifikaten“ in der Bildungssoziologie zu selten zum Forschungsgegenstand gemacht werden (ebd.: 9). Das trifft meines Erachtens besonders zu, wenn man diesem Satz eine internationale Dimension beimisst. Die Bourdieusche Gegenüberstellung von Titelanwärterinnen und Titelverteidigerinnen erinnert besonders in der obigen Formulierung auch an die Etablierte-Außenseiter-Konfiguration von Norbert Elias und John L. Scotson (1993). Die beiden entwickelten eine Theorie, die anhand einer Fallstudie in einem kleinen englischen Ort und insbesondere den Beobachtungen von Beziehungen zwischen Alteingesessen und Zugewanderten entstand. Sie kommt mitunter zu dem Schluss: „Dasselbe Bedürfnis nach Bestätigung oder Steigerung des eigenen kollektiven Wertes in einer Gruppenhierarchie findet seinen Ausdruck in dem Bestreben durch Wort und Tat die Vorzüge der eigenen Gruppe und die Mängel anderer hervorzuheben. Die Rolle, die Vorgänge der Erhöhung und Erniedrigung des Eigenwertes als Gruppe in den Beziehungen der Völker spielen, ist noch nicht genügend herausgearbeitet worden“ (ebd.: 312).
Der Begriff der »Völker« ist heutzutage außer Mode geraten, weil er zu »völkisch«, zu biologisierend klingt. In Bezug auf meinen Gegenstand werden Individuen nicht qua Geburt mit einem Kollektiv verknüpft, sondern in Bezug auf den Erwerb einer Qualifikation, das heißt mit dem jeweiligen Ausbildungsstaat, der ihnen die Qualifikation verliehen hat. Die Perspektive von Elias und Scotson entspricht nichtsdestotrotz meiner Perspektive, wenn man den Begriff der »Völker« durch den Begriff der »internationalen Beziehungen« ersetzt (und sich darunter nicht nur händeschüttelnde Politikerinnen, inter- und supranationale Institutionen und große Konferenzen vorstellt). Es geht bei der »Gleichwertigkeitsprüfung« um die Praxis eines offiziellen Vergleichs zwischen zwei Kollektiven im Hinblick auf den Wert ihres institutionalisierten kulturellen Kapitals. Er entsteht unter ungleichen Bedingungen, weil er von den »Etablierten« und »Titelverteidigerinnen« durchgeführt wird, während sich die »Titelanwärterinnen« bewerten lassen müssen. Ich konzentriere mich in diesem Abschnitt nun auf eine Darstellung der bisher sichtbar gewordenen Kämpfe von Titelanwärterinnen. Ich gehe aber grundsätzlich davon aus, dass die Titelverteidiger auch »in Bewegung« und »involviert« in dem Spiel sind, weil sie herausgefordert werden. Sie tragen im Sinne der Bourdieuschen Theorie des sozialen Felds und der symbolischen Gewalt mit ihrer Praxis tendenziell zur Bewahrung der Kräfteverhältnisse bei, indem sie ihren symbolischen Kampf im Verborgenen führen. Sie verstehen es, ihre symbolische Macht so auszuspielen,
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dass sie sich als ein legitimer, verdienter und objektiv gerechtfertigter Anspruch auf die Macht tarnt. Die Aufgabe von Soziologinnen und Soziologen muss es nach Bourdieu und mit ihm vielen anderen Vertretern der Zunft sein, diese „verborgenen Mechanismen der Macht“ zu enttarnen (z. B. Bourdieu 2005a). Bourdieus Arbeiten legen nahe, diesen Anspruch besonders konsequent auf Kollektive zu beziehen, denen man sich selbst zugehörig fühlt. So verstehe ich jedenfalls seine Arbeiten über die männliche Herrschaft und das französische Bildungs- und Wissenschaftssystem. Es sind implizite Bekenntnisse, dass die symbolische Gewalt auch ihn beherrscht, dass er mit seiner Sozialisation ringt. Dabei verdankt er seine Erkenntnisse womöglich gerade seiner sozialen Herkunft aus einfachen Verhältnissen (vgl. Bourdieu 2002: 50, 116, Schultheis 2007). Insofern erscheint es mir als »Deutsche« und »Anwärterin« auf einen der formal höchsten Bildungstitel naheliegend, mich damit zu befassen, was es mit »deutschen Titelgeschichten« auf sich hat. Dass ich in einfachen Verhältnissen aufgewachsen bin, kann ich nicht sagen. Ich frage mich, ob Bourdieu mir etwas zu sagen gehabt hätte, wenn ich keine Frau wäre und ob ich mich andernfalls für dieses Thema entschieden hätte. Wahrscheinlich nicht. Bis vor etwa 15 Jahren hat sich meines Wissens weder die Migrations- noch die Bildungsforschung Fragen zum Transfer von Bildungstiteln von einem nationalstaatlichen Kontext in einen anderen gestellt. Für den Migrationssoziologen Petrus Han, Autor diverser Standardwerke, steht fest, dass eine Migration zur „Neubewertung der beruflichen Qualifikationen führt“ (Han 2010: 17), von der die soziale Position, die vertikale Auf- oder Abwärtsmobilität, in der aufnehmenden Gesellschaft abhängt. Die Einwanderungspolitik ist ein Selektionsprozess, in dem vor allem diejenigen ausgewählt werden, deren „berufliche Qualifikationen […] nützlich sind“ (ebd.: 27). Die institutionellen Bedingungen der Bewertung sind kein Thema. Die sozialwissenschaftliche Erkenntnis, dass in Deutschland Qualifizierte leben, die im Rahmen der deutschen Institutionen nicht als Qualifizierte anerkannt sind, weil sie einen ausländischen Abschluss erworben haben, ist (soweit ich das annähernd zurückverfolgen konnte) etwa um die Jahrtausendwende entstanden. Seitdem mehren sich deutschsprachige Publikationen, die auf eine Diskrepanz zwischen im Ausland erworbenen (hohen) beruflichen Qualifikationen und (niedrigen) sozialen Positionen in Deutschland hinweisen. Dabei scheint es mir im Sinne der Bourdieuschen Kämpfe um symbolische Macht interessant zu sein, welchen Diskrepanzen es wann und mit welchen Argumenten gelingt, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dadurch werden staatliche Klassifikationen erst als »illegitim« und als »Diskrepanz« problematisiert und setzen sich von den als legitim wahrgenommenen Klassifikationen ab. Eine diesbezügliche Rekonstruktion der diskursiven Praktiken hätte jedoch den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Den Beginn der sozialwissenschaftlichen Thematisierung von Diskrepanzen markieren Veröffentlichungen, die auf eine Verkennung und mitunter nicht adäquate Verwertung der Qualifikationen von Spätaussiedlern (Konietzka/Kreyenfeld
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2001, Treibel 2003: 39, Roesler 2006, Brück-Klingenberg/Burkert/Seibert/Wapler 2007, Frik 2009), jüdischen Kontingentflüchtlingen (Gruber/Rüßler 2002, Hadeed 2004, Roesler 2006), Flüchtlingen (Kühne/Rüßler 2000, Hadeed 2004) und eingewanderten Frauen (Gutiérrez Rodríguez 1999, Castro Varela/Clayton 2003, Farrokhzad 2003, 2007, Färber/Nurcan/Köhnen/Parlar 2008) hinweisen. Dass gerade Akademikerinnen und Akademiker mit Ab- und Entwertungen ihrer Qualifikationen konfrontiert sind und keiner qualifikationsadäquaten Beschäftigung nachgehen, wird als eine Verschwendung der Ressourcen »Hochqualifizierter« in besonderem Maße problematisiert. Das zeigt zum Beispiel die folgende Kritik des Sachverständigenrats für Zuwanderung und Integration in seinem Jahresgutachten von 2004. Die folgenden Sätze stehen in einem Zusammenhang mit der NichtAnerkennung von Hochschulabschlüssen »jüdischer Kontingentflüchtlinge«: „Müssen diese Menschen, die in ihrer alten Heimat einen hohen Sozialstatus hatten, nun von der Sozialhilfe leben oder Tätigkeiten übernehmen, die weit unter ihren Möglichkeiten liegen, werden vorhandene Fähigkeiten vergeudet, die es aus ökonomischen, sozialen und humanitären Gründen besser zu nutzen gilt.“ (SVR 2004: 152, 199 f.)
Die empirische Studie von Sabine Gruber und Harald Rüßler (2002) mit dem Titel „Hochqualifiziert und arbeitslos“ über »jüdische Kontingentflüchtlinge« in Nordrhein-Westfalen hatte auf die Problematik aufmerksam gemacht. Die Ausführungen basieren auf einem herausgearbeiteten „typischen Kompetenzprofil“: die „akademisch, insbesondere ingenieur- und naturwissenschaftlich Ausgebildeten“ (ebd: 117). Daran knüpfte eine weitere, an der Universität Oldenburg durchgeführte empirische Studie von Anwar Hadeed (2004) mit dem sehr ähnlichen Titel „Sehr gut ausgebildet und doch arbeitslos“ an. In dem Sample seiner standardisierten Befragung waren 260 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die als »anerkannte Flüchtlinge« oder »jüdische Kontingentflüchtlinge« in Niedersachsen leben. Die Studie war Bestandteil eines aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds finanzierten Projekts unter Leitung von Rolf Meinhardt und führte mitunter zur Einführung eines BachelorStudiengangs für Einwanderer und Einwanderinnen mit im Ausland erworbenen sozialen und pädagogischen Berufen. Meinhardt (2007, 2008) nennt sie „die ignorierte Elite“. Aus dem Oldenburger Kontext stammt auch die später von der Bundesregierung in öffentlichen Bekanntgaben noch häufig verwendete Schätzung, dass es etwa 500.000 zugewanderte Akademiker seien, die aufgrund einer NichtAnerkennung ihres Abschlusses Tätigkeiten unterhalb ihres Qualifikationsniveaus nachgehen (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2010: 112). Die Publikationen, die sich vor allem mit den Erwerbsbiografien und Erwerbsbarrieren eingewanderter Frauen beschäftigen, stehen vor allem in theoretischer Verbindung zu den Gender Studies, der Postkolonialen Theorie und dem Konzept
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der Intersektionalität. Sie machen explizit auf mehrdimensionale und miteinander verschränkte Macht- und Ungleichheitsverhältnisse, Diskriminierung und Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt aufmerksam. „Zwei von drei Migrantinnen werden aufgrund von nicht bestehender oder nicht bekannter Qualifikation von den Arbeitsämtern als unqualifiziert erfasst. Eine Vielzahl der in anderen Ländern erworbenen Abschlüsse wird in der Bundesrepublik nicht anerkannt. So kommt es, dass hochqualifizierte Frauen Stellen annehmen müssen, die weit unter ihrer tatsächlich erworbenen Qualifikation liegen. Es findet hier eine systematische und bewusste Dequalifizierung und damit gleichzeitige Deklassierung von Migrantinnen statt.“ (Castro Varela 2003: 20)
Die Rechtswissenschaftlerin Dorothee Frings kommt in demselben Sammelband (Castro Varela/Clayton 2003) zu folgender Bewertung: „Die Veränderung der Anerkennungsverfahren ist nicht nur aus dem Gesichtspunkt der Umsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung der Europäischen Union zu fordern, sondern auch unter wirtschaftlichen Aspekten. In Zeiten hoher Qualifikationsanforderungen am Arbeitsmarkt ist es volkswirtschaftlich leichtsinnig, jahrelange Berufsausbildungen von Migrantinnen ungenutzt zu lassen, nur weil einer schnellstmöglichen Integration in den Billig-LohnSektor Vorrang eingeräumt wird.“ (Frings 2003: 84)
Damit wurde – Jahre bevor eine Reform der sogenannten Anerkennungsgesetzgebung im Jahr 2009 politisch angestoßen und im Jahr 2012 umgesetzt wurde –, die staatliche Nicht-Anerkennung als ein ungerechtfertigter deklassifizierender Akt kritisiert. Es wurde auf eine Diskrepanz aufmerksam gemacht zwischen einer vermeintlich richtigen »Wirklichkeit« und einer als falsch enttarnten staatlichen Klassifikation. Mit einem ganz ähnlichem Vokabular und ganz ähnlicher Argumentation beförderte die Studie »Brain Waste« (Englmann/Müller 2007) das Thema „schlagartig aus dem Arkanum rechtswissenschaftlicher Expertise in die gesellschaftspolitische Arena“ (Knuth 2012: 129). Zwei Ergebnisse standen in der Debatte im Vordergrund. Dass nur 16 % der 152 befragten Migrantinnen und Migranten in Deutschland in ihrem erlernten Beruf arbeiteten und dass der Zugang zu einem offiziellen Anerkennungsverfahren von der Staatsangehörigkeit und der Herkunft abhängt (Englmann/Müller 2007: 199 ff.). Seitdem ist das Problem der rechtlichen Anerkennung ausländischer Qualifikationen als Problem im Diskurs um die deutsche Migrations- und Integrationspolitik angekommen. Auf »Brain Waste« folgten diverse Publikationen mit ähnlichen Titeln wie „Verschenkte Potenziale“ (Brussig/Dittmar/Knuth 2009), „[…] Erschließung der Beschäftigungspotenziale von Migranten und Migrantinnen“ (IW/IFOK 2010) oder „Potenziale nutzen!“ (Kogan 2012). Die Reihe ließe sich durch zahlreiche ähnliche
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Überschriften in Medien und Parlamentsdokumenten aller politischer Parteien fortsetzen. Die Kritik an der Verkennung von Qualifikationen verschaffte sich gerade dadurch Anerkennung, dass sie sich auf die Nicht-Nutzung oder auch das Brachliegen von Ressourcen als einen nationalen ökonomischen Skandal berief bzw. ihn ausrief. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass viele der genannten Publikationen im Umfeld oder im Auftrag von Regierungsinstitutionen entstanden sind. Dass Migranten »Gehirn« oder »Potenziale« haben, die man nutzen oder erschließen kann, wurde zu der zentralen Neuigkeit (gemacht) und als »Anerkennung« verkauft. Wenn aber die Kritik an der Gewalt offensichtlich dieselbe gewaltsame Struktur reproduziert, wie lässt sich dann aus einer objektiv dominanten Position heraus überhaupt Kritik üben? (Weiß 2001: 313 ff.) Von der Nicht-Anerkennung ihrer Qualifikationen betroffen sind, wie der Literaturüberblick nahelegt, gerade diejenigen, die nicht wegen ihrer Qualifikationen, das heißt durch eine staatliche Rekrutierung, Einwanderinnen geworden sind (vgl. Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010b: 9, Nohl/Weiß 2009). Bettina Englmann und Martina Müller, auf deren Team die »Brain Waste« Studie (2007) zurückgeht, haben außerdem ein von ihnen durchgeführtes Beratungsprojekt mit 370 Teilnehmerinnen evaluiert (Englmann/Müller-Wacker 2010). In diesem Kontext fällt ihnen auf, dass wenige Beratungen von Arbeitsmigrantinnen angefragt werden. Das führen sie darauf zurück, dass diejenigen, die nach § 18 und § 19 des Aufenthaltsgesetzes einwandern, über eine Arbeitsstelle verfügen (müssen), „so dass Anerkennungsinteressen nicht unbedingt relevant sind“ (ebd.: 64 ff., Heß 2009: 77 f.). Dagegen seien die Ratsuchenden häufig Heiratsmigranten. Rechtlich relevant für die Berufsausübung ist eine Anerkennung der Qualifikation vor allem in den sogenannten reglementierten Berufen. Es lassen sich deswegen auch Beispiele für „Transnationale Karrieren“ (Kreutzer/Roth 2006) aufzeigen, deren Protagonisten niemals einen Antrag auf Anerkennung in einer deutschen Behörde oder Kammer gestellt haben und dies auch, berufsrechtlich betrachtet, nicht mussten. Über die Institutionen des deutschen Berufs- und Hochschulrechts spreche ich noch in Kapitel 4. An dieser Stelle soll es genügen, darauf hinzuweisen, dass die föderale Struktur des deutschen Berufs- und Hochschulrechts dazu führt, dass es je nach Qualifikation und Bundesland Unterschiede geben kann. Wie Matthias Knuth treffend formuliert, ist es problematisch, darüber zu sprechen, weil sie „im allgemeinen Bewusstsein nicht präsent ist, keine offensichtliche übergreifende Logik aufweist und im Zuge der Auseinandersetzung mit der Problematik überhaupt erst erarbeitet werden muss“ (Knuth 2012: 132). Es gibt vor allem im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung des Regierungshandelns Versuche, sich der Population »Auslandsqualifizierte« bzw. »Anerkennungssuchende« anzunähern, sowohl durch Fallbeispiele als auch durch Quantifizierungen (Englmann/Müller 2007, Englmann/Müller-Wacker 2010, IAQ 2009, IFOK/IW 2010, BMBF/BIBB 2014). Eine im Sinne des Kritischen Rationa-
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lismus »repräsentative Datenlage« besteht jedoch bisher (noch) nicht. Ich möchte an dieser Stelle nachvollziehbar machen, wovon ich ausgegangen bin, nachdem ich die gegenstandsbezogene Literatur gelesen hatte. Ich bin davon ausgegangen, dass die Anzahl derer, die mit einem ausländischen Berufsabschluss in Deutschland leben, je nach Eingrenzung und Datengrundlage nach Schätzungen im Bereich von einer bis mehreren Millionen liegt (Statistisches Bundesamt 2010, IW/IFOK 2010, BMBF/BIBB 2014). Dies sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob sie anerkannt sind. Weiterhin habe ich angenommen, dass »die Titelanwärterinnen« mitunter auch nicht oder noch nicht in Deutschland ansässig sind. Die Einwanderung kann auch in der Zukunft liegen. Im Zusammenhang mit der neuen Gesetzgebung können Anträge auch aus dem Ausland gestellt werden. In Bezug auf die Ausbildungsstaaten, welche die Qualifikationen verliehen haben, wird in der Regel eine sehr große Heterogenität festgestellt. Die Staaten der EU27 und die Staaten der GUS bilden einen Schwerpunkt. Es sind jedoch Ausbildungsstaaten aller Kontinente vertreten (Englmann/Müller 2007, Englmann/MüllerWacker 2010, Statistisches Bundesamt 2010, IW/IFOK 2010 BMBF/ BIBB 2014). Der Ausbildungsstaat entspricht nicht zwangsläufig dem Geburtsland oder der offiziellen Staatsangehörigkeit. Auch deutsche Staatsangehörige und in Deutschland Geborene können im Ausland eine Berufsqualifikation erworben haben und dadurch »Titelanwärterinnen« auf einen deutschen Bildungstitel sein. Ich bin nicht nur davon ausgegangen, dass Qualifikationen an Ausbildungseinrichtungen weltweit erworben sein können, sondern auch, dass sie bereits vor mehreren Jahrzehnten erworben sein können. Titelanwärterinnen, die unter 40 Jahre alt sind, sind unter denjenigen, die eine (dokumentierte) Beratung aufsuchen, offenbar in der Mehrzahl (BMBF/BIBB 2014: 62). Da die »Titelanwärterinnen« der Theorie nach die Kräfteverhältnisse des Felds inkorporiert haben, treten sie jedoch mutmaßlich nicht alle als Titelanwärterinnen öffentlich auf. Nach der Theorie der symbolischen Gewalt dürfte bzw. müsste es auch Titelanwärterinnen geben, die sich selbst nicht dafür halten. Vieles deutet zudem daraufhin, dass mehr Frauen als Männer anerkennungssuchend sind, etwa im Verhältnis von 60:40 (Statistisches Bundesamt 2010, Englmann/Müller 2007, Englmann/Müller-Wacker 2010, BMBF/BIBB 2014). Zumindest nehmen offensichtlich mehr Frauen als Männer an den Erhebungen, Befragungen und dokumentierten Beratungen zu diesem Thema teil. Das steht womöglich in Zusammenhang mit der Einwanderung durch eine Heiratsmigration bzw. einen Familiennachzug. Frauen ziehen häufiger an den Wohnort ihrer Männer als umgekehrt (vgl. Büttner/Stichs 2014). Die Berufsqualifikationen der Titelanwärterinnen und Titelanwärter sind ebenfalls sehr heterogen. Einige Veröffentlichungen deuten darauf hin, dass soziale und pädagogische Berufe seltener durch staatliche Stellen anerkannt werden als techni-
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sche Berufe (Treibel 2003: 39, Hadeed 2004). Diese Gruppe sucht auch besonders häufig eine Beratung auf (BMBF/BIBB 2014). Eine durchgängig besonders häufig vertretene Berufsgruppe in den Erhebungen, Befragungen und Beratungen sind Lehrerinnen und Lehrer aus der ganzen Welt (Englmann/Müller 2007, Englmann/ Müller-Wacker 2010, BMBF/BIBB 2014). Mehr als die Hälfte der Erfassten sind erwerbslos (Hadeed 2004, Englmann/ Müller-Wacker 2010, BMBF/BIBB 2014). Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass sie Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II sind, z. B. wenn sie von dem Einkommen ihres Partners leben (Englmann/Müller-Wacker 2010). Unter den im Rahmen einer Studie für das Bundesarbeitsministerium befragten Leistungsbeziehern mit Migrationshintergrund hatte ein Viertel einen Abschluss im Ausland erworben, der nicht anerkannt ist (IAQ 2009). Außerdem kam das beauftragte Konsortium zu dem Ergebnis, dass die fehlende Anerkennung eines ausländischen Abschlusses die Chancen auf einen transferleistungsunabhängigen Berufseintritt ebenso verkleinere wie ein fehlender Abschluss. Ein anerkannter Abschluss führe dagegen zu sehr viel besseren Beschäftigungschancen (ebd.: 126, vgl. auch Knuth 2010). Nicht in allen Fällen ist das Anliegen der Beratung die Aufnahme einer qualifizierten Erwerbstätigkeit. Bettina Englmann und Martina Müller-Wacker (2010) sprechen von „Anerkennungsinteressen trotz ökonomischer Unabhängigkeit“: „Eine Reihe von Anfragen nach Anerkennungsmöglichkeiten stammte weder von Arbeitslosen noch von Personen, die in Survival Jobs oder in prekären Arbeitsverhältnissen wie Zeitarbeit oder geringfügiger Beschäftigung tätig waren. In diesen Fällen ist der Anerkennungswunsch in der Regel mit dem Willen verknüpft, sich am Arbeitsmarkt zu verbessern. Migrant/innen, die ökonomisch erfolgreich sind, haben teilweise andere Motive, wenn sie eine Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse erreichen wollen. Erkennbar wird bei Vielen Stolz auf die eigene Bildungskarriere; aufgrund der individuell erreichten Leistungen sind diese Zuwanderinnen und Zuwanderer davon überzeugt, dass ihre im Ausland erworbene Qualifikation keineswegs minderwertig im Vergleich zu einem deutschen Bildungstitel ist. Sie sind daher nicht bereit, eine Abwertung zu akzeptieren.“ (ebd.: 89 f., Herv. i. O.)
Das Argument, dass eine anerkannte Qualifikation nicht nur in ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann, sondern auch symbolisches Kapital bedeutet, ist sehr selten. Nichtsdestotrotz sehe ich auch hier, dass die damit verbundene Kritik am Ende die Gewalt bestätigt. Den »ökonomisch Unabhängigen« gelingt es am ehesten, ihrem im Ausland erworbenen kulturellen Kapital Anerkennung zu verschaffen, weil sie den Wert ökonomisch unter Beweis gestellt haben. Zu ihrer Position gehört offensichtlich am ehesten der Habitus, sich gegen die offizielle Abwertung zur Wehr zu setzen (und die Anerkennung der Autorinnen, die sie damit zitieren). Auch in anderen Evaluationen von »Anerkennungs«-Beratungsdienstleistungen erscheint das von Antragstellern formulierte Interesse an Bestätigung und Selbstwert-
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gefühl neben den normalen und erwarteten Motivangaben der beruflichen Verbesserung als eine besonders ungewöhnliche Erkenntnis (BMBF/BIBB 2014: 71). Geht es denn wirklich darum, warum jemand anerkannt werden möchte oder warum jemand anerkannt werden sollte? Wie die Bewertungen entstehen, das heißt, wie der Titel »anerkannt« verliehen wird, scheint mir die wesentlich relevantere Frage zu sein.6 Theoretische Inspirationen für meine Arbeit habe ich vor allem in den Arbeiten der internationalen Studiengruppe „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a) gefunden. Sie hat sich im Rahmen des von der VW-Stiftung finanzierten Projekts mittels biografisch-narrativer Interviews meines Wissens bisher am umfangreichsten der Theoriebildung zur Frage des kulturellen Kapitaltransfers im Zuge der Migration, den biografischen Strategien sowie rechtlichen und symbolischen Mechanismen der Exklusion gewidmet. Theoretisch schließt das Projekt ebenfalls an die Soziologie Pierre Bourdieus an, wenn auch nicht mit dem Begriff des Felds, wie ich ihn verstehe. Es baut auf der Annahme auf, dass der Wert von Bildung sowie der soziale Status je nach Kontext von (nationalem) Arbeitsmarkt und (nationalem) Bildungssystem nicht objektiv und statisch sind, sondern in Abhängigkeit von der jeweiligen (institutionalisierten) Umwelt neu ausgehandelt werden. Diese Perspektive lässt das Ergebnis der Neubewertung offen und integriert damit auch die Möglichkeit der Aufwertung kulturellen Kapitals durch eine Migration. Die Anwendung des Konzepts der »Statuspassage« auf den bildungs- und berufsbiografischen Übergang im Prozess der Migration ist eine wesentliche Neuerung. Damit wurden in der Lebenslaufforschung sonst vor allem Übergänge von Schule oder Studium in den Beruf untersucht (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010b: 10). Das Erkenntnisinteresse der Studiengruppe lag allerdings nicht auf meiner Frage, wie staatliche Institutionen »die Gleichwertigkeit« bewerten. Die „Akteure und Akteurinnen in Möglichkeitsräumen“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010b: 10) stehen im Zentrum, während vor allem die Barrieren und Strategien einer erfolgreichen Verwertung ihres kulturellen Kapitals auf nationalen Arbeitsmärkten ausgelotet werden. Anknüpfungspunkte an die Arbeiten der Studiengruppe ergeben sich insbesondere im Hinblick auf die bearbeiteten Fragestellungen der Bedeutung von rechtlicher und symbolischer Exklusion im Zugang zum Arbeitsmarkt (Neumann 2010, Ofner 2010, von Hausen 2010, Weiß 2010, Weiß/Ofner/Pusch 2010).
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In einer Studie über den »Verbleib« der Kundinnen und Kunden der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung in Hamburg (ebenfalls Beratungsstelle, nicht für die Bewertung der Gleichwertigkeit zuständige Stelle) wird der Begriff der „Anerkennung“ als „mehrdimensionales soziales Konstrukt“ erwähnt, allerdings ohne ihn sozialtheoretisch zu diskutieren und in seinen Konsequenzen zu durchdenken (IAT 2013: 15).
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Vier Statusgruppen wurden vor allem danach unterschieden, ob eine inländische oder ausländische Qualifikation vorlag und ob ein gleichrangiger oder nachrangiger Arbeitsmarktzugang bestand. Die Arbeiten zeigen auf, dass der staatliche Akt der (Nicht-)Anerkennung einer Qualifikation eine (berufs-)biografische und damit auch ungleichheitstheoretische Relevanz hat. Ich fasse zusammen. Zu meinen wesentlichen Annahmen gehört, dass die Auslandsqualifizierten, die Anerkennungssuchenden oder die Titelanwärterinnen in keinster Weise eine homologe soziale Position in den Kämpfen um die Anerkennung von Qualifikationen einnehmen. Weder Struktur und Umfang ihrer Kapitalausstattung noch ihr Habitus, den sie in den Klassifikationskampf um den Wert ihres Kapitals einbringen, ist identisch. Ich habe sie hier zu einer »Klasse auf dem Papier« gemacht und sie den Titelverteidigern gegenüberstellt. Nichtsdestotrotz betrachte ich ihre Chancen auf die Bewertung ihrer Qualifikation als »gleichwertig« durch den deutschen Staat nicht als gleich. Sie spielen das Spiel auf unterschiedlichen Positionen mit und können – anders als der Begriff »Titelanwärter« nahelegt – auch mit einer habituellen Praxis, nicht um einen deutschen Titel zu ringen, zur Bewahrung statt zur Veränderung der Verhältnisse beitragen. Möglicherweise halten sie die Ab- oder Entwertung ihrer Qualifikation für völlig legitim und nicht weiter verwunderlich, wie die Theorie der symbolischen Gewalt nahelegt. Mithilfe von Gruppendiskussionen habe ich herausgefunden, dass es eine kollektive politisierte Kraft, also eine „mobilisierte Klasse“ (Bourdieu 1998a: 25), unter den Auslandsqualifizierten geben dürfte, die in dem Feld eine Rolle spielt (vgl. 3.4, 4.1 und 4.5). In der Theorie ist jedoch die Population derjenigen, die Ansprüche auf einen Titel erheben oder für die dieser Anspruch im Sinne von »Nutzen« und »Antidiskriminierung« erhoben wird, unbegrenzt. Auch deshalb sind die Titelanwärterinnen aus meiner Sicht Teil der entgrenzten und entgrenzenden Struktur, die das globale ökonomische Feld ist. Inwiefern das Feld Unterschiede macht, klassifiziert, selektiert und bewertet, werde ich im Rahmen des empirischen Teils aufzeigen (vgl. Kap. 5). Zunächst werde ich jedoch noch darauf eingehen, warum ich annehme, dass in dem Feld nicht nur die Beziehung zwischen Institution und Individuum, sondern auch die internationalen Beziehungen des deutschen Staats zu dem jeweils anderen bewerteten Ausbildungsstaat mitverhandelt werden. 2.2.2 Staaten in Bewegung Das betrachtete Feld, mein Objekt, stelle ich mir nicht nur deshalb als eine entgrenzte und entgrenzende Struktur vor, weil es offensichtlich Menschen gibt, die in Bildungssystemen weltweit ausgebildet wurden, sich in Deutschland niederlassen (wollen) und deswegen eine Anerkennung ihrer Qualifikation als Übersetzung ins deutsche System anstreben.
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Ich gehe auch davon aus, dass Staaten bzw. staatliche Institutionen beteiligte Feldakteure sind, weil ich annehme, dass sie ein Interesse an dem Spiel um den Wert ihrer Qualifikationen im Verhältnis zu anderen haben, das heißt an den Bedingungen einer Übersetzung wie auch an der Mobilität von (qualifizierter) Arbeit. Staaten sind danach, wie bereits mehrfach erwähnt, keine objektiven Entitäten, sondern Praxisfelder, die in ein dynamisches Netz an Machtbeziehungen eingebettet sind. Staaten sind nicht statisch, sondern in Bewegung. Das globale ökonomische Feld fordert das staatliche Monopol auf legitime symbolische Gewalt, insbesondere das nationalstaatlich organisierte kulturelle Feld, das Bildungstitel rechtlich garantiert, heraus. Das geschieht gerade dadurch, dass es Märkte zu Märkten macht, die sich nicht (mehr) auf das Spielfeld des Nationalstaats begrenzen lassen (vgl. Bourdieu 1998b, 2001b). Insofern ist es naheliegend, die internationalen Beziehungen in die Analyse sozialer Ungleichheiten hineinzuholen und als Feld-Habitus-Beziehungen mit Bourdieu weiterzudenken (z.B. auch Bigo 2011). Bildungssysteme als staatliche Reproduktionssysteme folgen der »Doxa«, wie Bourdieu sagen könnte, im Sinne ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit anschlussfähiger und insbesondere vergleichbarer werden zu müssen. Es entsteht ein „global policy field in education“ (Lingard/Rawolle/Tayler 2005). Richard Münch nennt es das „Regime der Humankapital-Produktion”, welches durch einen „kompetitiven Geist“ zusammengehalten wird (Münch 2009, 2012). Als Parade-Beispiele für das Regime der Humankapital-Produktion nennt er die PISA-Studie und den Bologna-Prozess. Die symbolische Macht, die Deutungsmacht dessen, was Bildung ist und was sie in Zukunft sein soll, wird den nationalen Eliten „von einer transnationalen Koalition aus Forschern, Managern und Unternehmensberatern aus der Hand gerissen“ (2009: 30). Ihr Herrschaftsinstrument ist die Standardisierung und Vergleichbarkeit von Leistungen und die Leistungsfähigkeit von Systemen. Die symbolische Gewalt besteht darin, dass es ihnen gerade unter Berufung auf wissenschaftliche Methoden gelingt, Bildung und Bildungssysteme objektiv vergleichbar und dadurch objektiv »besser« oder »schlechter« erscheinen zu lassen: „Jede Macht zu symbolischer Gewalt, d.h. jede Macht, der es gelingt, Bedeutungen durchzusetzen und sie als legitim durchzusetzen, indem sie die Kräfteverhältnisse verschleiert, die ihrer Kraft zugrunde liegen, fügt diesen Kräfteverhältnissen ihre eigene, d.h. eigentlich symbolische Kraft hinzu.“ (Bourdieu/Passeron 1973: 12)
Empirisch lassen sich sehr viel mehr Beispiele dafür nennen, dass der Vergleich von Bildungssystemen gerade nicht objektiv, sondern ein umkämpftes Machtfeld ist, in dem die beteiligten Institutionen ein unterschiedliches Gewicht einbringen. Aufgrund der deutschen Erfahrungen mit dem Bildungsföderalismus und der Wiedervereinigung könnte man die These aufstellen, dass das Wissen um das Machtfeld zum deutschen Alltagsverstand gehört. Das Argument leuchtet auch ohne Bourdieu
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sofort ein. Gleiches gilt für die internationalen Beziehungen. Ein sogenanntes „Berufsbildungs-PISA“ ist mitunter an den symbolischen Kämpfen um die Ausgestaltung desselben gescheitert (Baethge/Achtenhagen 2006, Baethge 2010). Neben der bereits erwähnten Bologna-Reform ist der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) ein weiteres Exempel. Die Zuordnung von Titeln zu 8 Referenzniveaus soll der Verbesserung der Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse in der Europäischen Union und als »tertium comparationis« der Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) dienen (Europäische Kommission 2008). Zweck der Vergleichbarkeit sind »Transparenz« und »Mobilität« mit dem Ziel des »Lebenslangen Lernens« (ebd.). Die Klassifikationskämpfe um die Beschreibung der Niveaus und die Zuordnung zu Niveaus wurden nicht unbedingt häufig in der Öffentlichkeit geführt (vgl. DGB 2009). Wer mit der Internationalisierung der Bildungspolitik Berührung hat oder hatte, wird jedoch nachvollziehen können, dass mir das Operieren mit den Begriffen »Kampf« und »Machtfeld« hier angebracht erscheint. Andrea Liesner (2010) beschreibt als „Dynamik der Autonomiedemontage“ die Mechanismen der Unterwerfung unter das Regime, das seine sanfte Kraft vor allem aus dem »Benchmarking« schöpft. „Der Erfolg der Offenen Koordinierung beruht vielmehr auf der politischen Selbstverpflichtung der Beteiligten, also darauf, dass sie wollen, was sie sollen. Die Methode fällt in den Bereich des Soft Law und ist deshalb so wirkungsvoll, weil die Kommission mit aufwendigen Benchmarkings einen Wettbewerb zwischen den europäischen Nationalstaaten erzeugt. Der davon ausgehende normative Druck legt es nahe, sich freiwillig an dieser Form der Governance zu beteiligen – wer möchte in Europa schon Schlusslicht bei der Bildung sein?“ (ebd.: 120)
Die Wahl der Vergleichstechniken und mitunter der Vergleichskategorien bestimmt letztlich, welche Aussagen am Ende über die Leistungsfähigkeit oder den Wert eines (nationalen) Bildungssystems im Vergleich zu anderen Systemen gemacht und dadurch als Bewertung »wirklich« werden. Die Methodenfrage ist nicht gleichgültig oder eine rein formale Angelegenheit, sondern im Sinne der Kämpfe um symbolische Macht, „die Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen“ (Bourdieu 1992: 153), eine hoch politische Frage. Diejenigen, die in der Praxis gemeinsam diese Methodenfrage erarbeiten, haben nicht dieselbe Macht, zu definieren, welches die »beste« Methode ist (was erst recht für all diejenigen gilt, die sich bewerten lassen müssen). Es wird unter ungleichen Voraussetzungen um die Durchsetzung und Geltung jener Kategorien und Techniken gerungen, die den symbolischen Wert des eigenen Kapi-
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tals, das heißt hier vor allem des eigenen Titelsystems, steigern.7 Die Macht, »Wirklichkeit« zu schaffen, das heißt, hohe und niedrige Bewertungen wirklich und vermeintlich objektiv werden zu lassen, ist dabei auf der Seite derjenigen, die ohnehin schon viel Macht haben. Das „Thomas Theorem“ verbindet sich mit dem „Matthäus Effekt“ (vgl. Merton 1995). Es sind aber nicht nur diese, von meinem eigentlichen Gegenstand abstrahierten Überlegungen, die mich haben annehmen lassen, dass grundsätzlich Staaten als Akteure und die Beziehungen zwischen Deutschland und anderen Staaten in dem Feld der Bewertung und des Vergleichs von Qualifikationen eine Rolle spielen.8 Neben dem Bologna-Prozess und dem EQR schaffen Staatenbündnisse weitere Institutionen, die auf die Erleichterung der Anerkennung von (Berufs-)Qualifikationen und eine Vereinheitlichung des Markts abzielen. Einen ausführlicheren Überblick über die Institutionen gebe ich in Kapitel 4, in dem ich die historische Entstehung des Bewertungswesens von ausländischen Qualifikationen in Deutschland beschreibe. Zu den internationalen Institutionen zählen zum Beispiel bilaterale Äquivalenzabkommen zwischen Staaten, die »Lissabonner Anerkennungskonvention« und die »EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG«. Diese werden in nationales Recht umgesetzt, wie es in der Juristensprache heißt. Es geht auch hier um bessere Übertragbarkeit und damit auch Verwertbarkeit, eine Vereinheitlichung der Standards mit dem Ziel der Mobilität und der Mobilisierung im Bereich von Bildung und Arbeit. Ich gehe davon aus, dass es ungleiche Staatenbeziehungen sind, im Rahmen derer über die Werte und Wertrelationen von Titeln und Titelsystemen verhandelt wird. Sie bringen in den Kämpfen um symbolische Macht nicht dasselbe Gewicht ein und können sich nicht in gleichem Maße Anerkennung verschaffen. Dadurch bestehen für die Titelträger je nach Konstellation Anschlusschancen und Anschlussprobleme des Transfers von kulturellen Ressourcen von einem nationalstaatlichen Kontext in einen anderen (Weiß 2002, 2005, 2012). Soziale Ungleichheiten sind durch diese Art von „Kontextrelationen“, die Mobilität ermöglichen oder verhindern können und mit sozialem Auf- oder Abstieg einhergehen können mit bestimmt (2012: 454 ff.). Die Verhandlungen über diese Beziehungen und »Institutionen«, finden, so mein Argument, nicht (nur) zwischen den höchsten Vertreterinnen nationalstaatlicher Regierungen statt, sondern auch in der alltäglichen Begegnungs-
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Auch umgekehrte Strategien sind denkbar. Wer mehr Investitionen in spezifische Bildungsinstitutionen durchsetzen will, kann auch gut beraten sein, diese Institutionen in einem Benchmarking nicht ganz so gut aussehen zu lassen.
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In den geführten Interviews (siehe Kap. 5) ist zum Beispiel nicht die Rede von internationalen Benchmarkings als Orientierungsmaßstab (zumindest nicht in Form von expliziten Bezugnahmen).
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und Bewertungspraxis. Was »gleichwertig« ist und wie die Bürokratinnen »wesentliche Unterschiede« bewerten, legen die Rechtsgrundlagen zum Beispiel in aller Regel nicht abschließend fest (vgl. Kap. 4 und 5). Die Bewertenden und Bewerteten haben, wie bereits ausgeführt, die Strukturen des Felds, die ungleichen Staatenbeziehungen, in ihrem Habitus inkorporiert. Gleichsam strukturieren sie durch ihre Interaktionen das Feld und damit die Macht- und Ungleichheitsstrukturen mit. In internationalen Vereinbarungen und Richtlinien zeigt sich, dass Staaten auch ein ganz offizielles politisches Interesse an der Anerkennung von Qualifikationen haben, die nicht in ihren eigenen Bildungssystemen erworben wurden. Es sind nicht nur die »Titelanwärterinnen«, die als Akteure mitspielen und zur Dynamik der Kämpfe beitragen. Das lässt sich womöglich so erklären, dass das ökonomische Feld ein Interesse hat, (qualifizierte) Arbeit möglichst mobil und flexibel abrufbar zu machen. Die nationale Strukturiertheit des institutionalisierten kulturellen Kapitals steht diesen Bestrebungen im Wege. Das globalisierende ökonomische Feld trifft auf ein ambivalentes kulturelles Feld, das zum einen im Sinne des kulturellen Austauschs international mitspielen möchte, aber zum anderen seine symbolische Macht, was »qualifiziert« ist und was es sein soll, seine nationalstaatlich institutionalisierte Autonomie, auch bewahren möchte. „Wo die Kämpfe um symbolische Macht entschieden werden, ist derzeit selbst ein offener Kampf, der allerdings verdeckt geführt wird. Es erwächst eine neue Arbeitsteilung der Herrschaft“ (Rehbein 2006: 208, Herv. i. O.). Ich werde nicht herausfinden, wo sie entschieden werden, aber ich glaube in meinem Gegenstand einen Ort oder vielleicht besser Interaktionen zu sehen, in denen sich die Klassifikationskämpfe um soziale Ungleichheit tagtäglich materialisieren und dadurch verwirklichen.9 Die staatlichen Akte betrachte ich als nicht isolierbar von ihrer Einbindung in ein globales Praxisfeld. Umut Erel (2010) formuliert in ihrem Aufsatz „Migrating cultural capital“ in Abgrenzung zum Humankapitalansatz:
9
Es ließe sich in diesem Kontext fragen, wo der Diskurs entsteht, der eine bestimmte symbolische Ordnung als Bewertungsordnung der beobachtbaren Praktiken hervorbringt. Andreas Reckwitz (2008) betrachtet Praktiken und Diskurse als „zwei aneinander gekoppelte Aggregatzustände“ (ebd.: 193, 201 f.) von Wissensordnungen. Je nachdem, welche methodologische Perspektive, die diskurstheoretische oder die praxistheoretische man einnehme, resultiere das eine aus dem anderen. In meinem Fall würden Diskurse aus Praktiken resultieren. Ich bin mir allerdings in Bezug auf »mein Feld« nicht sicher, dass dieser Zusammenhang ein Automatismus ist. Ich denke, dass man mit einem komplexeren Verhältnis, also auch der Entfremdung oder der Emanzipation der Praktiken von den (herrschenden) Diskursen, rechnen muss.
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„This assumes that the society of residence assesses the cultural value of migrants' cultural resources neutrally. It neglects that measures of cultural capital are shaped by policy constructions of national economic interests, and protectionists professional policies.“ (Erel 2010: 646)
Was aber hat es mit diesen Konstruktionen des „national economic interest“ und den „protectionist professional policies“ auf sich? Sind es Gegensätze, also ist das nationale ökonomische Interesse nicht protektionistisch und der Berufsprotektionismus kein ökonomisches Interesse? In jedem Fall, das ist in Forschungszusammenhängen mit Migrationsbezug fast schon unstrittig, müssen die Interdependenzen von Akteuren und Institutionen jenseits eines (einzigen) nationalstaatlichen Analyserahmens als Konstruktionsbedingungen mitgedacht werden (z.B. Wimmer/Glick Schiller 2002, Raghuram 2008, Weiß/Nohl 2012). Letztlich kann man nur besonders ernst nehmen, was John Urry in Bezug auf die Komplexität der Welt sagte: „since the global is like nothing else, the social sciences have to start more or less from scratch“ (Urry 2003: 95).
2.3 D IE K LASSIFIKATIONSKÄMPFE UM DIE W ECHSELKURSE DES INSTITUTIONALISIERTEN KULTURELLEN K APITALS UND DIE I LLUSIO DER OBJEKTIVEN V ERGLEICHBARKEIT Wie angekündigt fasse ich in diesem Unterkapitel meine feldtheoretischen Annahmen zusammen. Es handelt sich aus meiner Sicht um Klassifikationskämpfe, in denen die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals auf dem Spiel stehen. Als Illusio der beteiligten Akteure und Institutionen gehe ich von der Illusio einer objektiven Unterscheid-, Bewert- und Vergleichbarkeit von Qualifikationen aus, die in unterschiedlichen sozialen Kontexten erworben worden sind. Das soziale Feld als Modus der Objektkonstruktion Das soziale Feld ist in erster Linie ein „Modus der Objektkonstruktion, der alle praktischen Forschungsentscheidungen bestimmt beziehungsweise ihnen als Richtschnur dient“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 262). Es ist eine „Eselsbrücke“, die den Blick auf das „Netz an Relationen“ lenkt, in die ein Objekt eingebunden ist, um in diesen Beziehungen die Konstruktionsprinzipien des Objekts zu erkennen (ebd.). Damit ist das Feld auch der „modus operandi“ (Bourdieu 1987a: 281) des Forschungsprozesses, dessen Ergebnis, das „opus operatum“ (ebd.), als gegenstandsbezogene Theorie in Kapitel 6 beschrieben wird.
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Max Weber hat bereits darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung eines Untersuchungsgegenstands erst während des Forschungsprozesses entwickelt werden muss: „Die endgültige begriffliche Erfassung kann […] nicht am Anfang, sondern muß am Schluß der Untersuchung stehen“ (Weber 1988: 30 f.).10 Das soziale Feld ist ein unsichtbares Kräftefeld Das soziale Feld ist ein unsichtbares Kräftefeld, in dem „um Wahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse gerungen wird“ (Bourdieu 1985: 74). Es ist das strukturierte und gleichsam strukturierende Prinzip dessen, was in der Bewertungspraxis, in der über die »Gleichwertigkeit« einer ausländischen Qualifikation mit einer deutschen Qualifikation entschieden wird, geschieht. „Das Denken in Feld-Begriffen erfordert eine Umkehrung der gesamten Alltagssicht von sozialer Welt, die sich ausschließlich an sichtbaren Dingen festmacht“ (Bourdieu 1985: 71). Der Ursprung des Feldbegriffs, wie ihn Bourdieu verwendet, geht auf die Physik und speziell den Magnetismus, also die Beobachtung von Magnetfeldern, zurück. Es ist historisch nicht eindeutig nachzuvollziehen, wer Bourdieu zu welchem Zeitpunkt zu einem Arbeiten mit dem Feldbegriff und seiner theoretischen Ausarbeitung inspiriert hat (Rehbein/Saalmann 2009: 99 ff.). Es könnten Gaston Bachelard, Max Weber oder auch der Schüler Ernst Cassirers, Kurt Lewin, gewesen sein. Aus der Theorie der Magnetfelder wurde in jedem Fall die epistemologische Perspektive übernommen, durch den Feldbegriff „auf den ersten Blick Unbeobachtbares, aber Wirksames, der wissenschaftlichen Erfahrung zugänglich zu machen“ (Neumann 2012: 222 f.). Er zielt damit auf die Entdeckung jener Kräfte ab, die das Beobachtbare als beobachtbar hervorbringen. Kurz gesagt, orientiert sich das Forschen mit dem Feldbegriff an der Prämisse: „Wirklich ist, was wirkt“ (Lewin 1969: 41, vgl. Neumann 2012: 223 f.). Das soziale Feld ist vorzustellen als ein Kräftefeld mit einem starken Sog im Zentrum und schwächer werdenden (Anziehungs-)Kräften in Richtung der Peripherie. Anders als der soziale Raum kennt das Feldkonzept keine Grenzen und keinen Dualismus von Innen und Außen, sondern ist ein prinzipiell „offener Spielraum“, dessen „dynamische […] Grenzen“ gleichsam ein umkämpftes „Interessenobjekt“ bilden (Bourdieu/Wacquant 2006: 135). Die sozialen Auseinandersetzungen um die Grenzen des Felds, und damit auch Grenzen der Auseinandersetzungen, sind dem
10 Weber bezog sich damit an dieser Stelle auf den Begriff »Geist des Kapitalismus«. Bohnsack (2010a: 47) hat in diesem Zusammenhang auf die Problematik hingewiesen, dass Wissenschaftler bei der Beantragung von Forschungsgeldern in der Regel bereits angeben müssen, was das Ergebnis des Forschungsprozesses sein wird, was der Logik qualitativer Sozialforschung widerspricht.
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der Theorie nach unbegrenzten Feld inhärent. Im Rahmen von Macht- und Positionskämpfen werden beobachtbare Erzeugnisse, hier die offiziellen Bewertungen »ausländischer« Qualifikationen durch den deutschen Staat, hervorgebracht. Diese Erzeugnisse wiederum, die sozialen Klassifikationen, (re-)produzieren, objektivieren und legitimieren jene (weltweiten) sozialen Ungleichheiten, die sie erzeugt haben. Gemeinsam ist den Akteuren des Felds (Institutionen wie Staaten als Akteure mitgedacht) ihr geteilter Glaube an den Sinn der Auseinandersetzungen, die Illusio. „Sie bedeutet, daß man involviert ist, im Spiel befangen und gefangen […] daß das, was in ihm geschieht, einen Sinn hat, und daß das, was bei ihm auf dem Spiel steht, wichtig und erstrebenswert ist“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 148). Nicht daran beteiligt sind daher mutmaßlich a) diejenigen, die weltweit von institutionalisierter Bildung ausgeschlossen sind b) diejenigen, denen Bildungs- und Berufstitel gleichgültig sind und c) diejenigen, denen es egal ist, was der deutsche Staat macht. Die Klassifikationskämpfe um die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals und die Illusio der objektiven Vergleichbarkeit Auf dem Spiel steht die Bewertung einer ausländischen Qualifikation im Verhältnis zu einer deutschen Qualifikation. Damit betrachtete ich es als ein Spiel um die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals. Während Bourdieu den Begriff des „Wechselkurs[es]“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 146), verwendet, um die Transformation von einer Kapitalsorte in eine andere zu beschreiben, ist die Kapitalsorte hier im Prinzip dieselbe. Es handelt sich um Kämpfe um das Monopol auf legitime symbolische Gewalt, indem die Wechselkurse zwischen institutionalisiertem kulturellem Kapital festgelegt werden, das in unterschiedlichen Staaten institutionalisiert und rechtlich garantiert wurde. Bewahrende Feldkräfte zielen darauf ab, dass die Produktion »deutscher« Berufsqualifikationen ein Privileg der Institutionen des deutschen Bildungswesens bleibt. Verändernde Kräfte zielen darauf ab, dass »ausländische« Qualifikationen in »deutsche« Qualifikationen umgewandelt werden (können) und dadurch rechtlich gleichgestellt werden. Das Besondere ist, dass auch „die Spielregeln selbst ins Spiel gebracht werden“ (Bourdieu 1998c). Die Feststellung der »Gleichwertigkeit« entspricht dabei einem Wechselkurs von 1:1. Wenn dieser Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals erzielt wird, findet die Produktion »deutscher« Qualifikationen selektiv auch in ausländischen Bildungsinstitutionen statt. Werden dagegen „wesentliche Unterschiede“ festgestellt, erzielt die Qualifikation nicht den für eine »Gleichwertigkeit« erforderlichen Wert von 1 und bleibt dadurch »ausländisch«. Die geteilte Illusio ist nicht nur das Interesse an der Unterscheid-, Vergleich- und Bewertbarkeit von Qualifikationen, die von verschiedenen Staaten ausgestellt worden sind, sondern auch die Illusio der Objektivität eines solchen Vergleichs.
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Das Feld ist ein Kampffeld um das Monopol auf legitime symbolische Gewalt Das Feld habe ich im Rahmen der Gliederung des Kapitels 2 zuerst als ein begrenztes und begrenzendes und danach als ein entgrenztes und entgrenzendes Feld beschrieben. Über das Klassifikationsprinzip »Qualifikation« wird die Mensch-StaatBeziehung (neu) verhandelt. Dabei geht es um die (Neu-)Verhandlung einer symbolischen Grenzziehung, die ein staatlicher Akt ist, aber über die »der Staat« offensichtlich nicht alleine herrscht. Ein globales ökonomisches Feld, dessen Bestandteil wandernde Akteure, einschließlich Familien, genauso sind wie miteinander in Wettbewerbsbeziehungen stehende Staaten, fordert das staatliche Monopol auf legitime symbolische Gewalt heraus. Es wird dadurch zur Disposition gestellt, was »qualifiziert« ist und was »qualifiziert« sein soll. Ich gehe also davon aus, dass das Feld nicht mit dem »deutschen« Feld der Verwaltung, der Politik, des Rechts etc. gleichzusetzen ist, auch wenn das »deutsche« Bewertungshandeln im Fokus der Betrachtung steht. Die als »ausländisch« klassifizierten Kräfte, die Antragstellerinnen, ihre jeweiligen Ausbildungseinrichtungen und Ausbildungsstaaten betrachte ich ebenfalls als Akteure des Felds. Sie ringen nicht nur um den Wechselkurs, sondern auch um die Regeln und Einsätze der Auseinandersetzungen. Das Feld als Kampffeld um die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten Weiterhin gehe ich davon aus, dass das Feld durch die Relationen zwischen Staaten strukturiert ist und es diese auch gleichsam mitstrukturiert. Nach meinem Verständnis findet diese Verhandlung nicht (nur) zwischen den höchsten Vertreterinnen nationalstaatlicher Regierungen statt, sondern auch in der alltäglichen Begegnungsund Bewertungspraxis. Indem die Mandatsträger des deutschen Staats eine Qualifikation bewerten, die das Produkt eines anderen Ausbildungsstaats ist, wird auch die Beziehung zu diesem Ausbildungsstaat verhandelt. Der Akt der Bewertung ist durch diese Beziehungen historisch vorstrukturiert, indem sie den Dispositionen des Habitus wie des Felds eingeschrieben ist. Der Akt der Bewertung strukturiert die Beziehungen zwischen Staaten aber gleichsam auch mit. Der andere Staat, das jeweilige Bildungssystem und diejenigen, die denselben Bildungstitel tragen, werden durch den Akt der »Gleichwertigkeitsprüfung« mitbewertet. Wenn die ausländische Qualifikation 1:1 in eine deutsche Qualifikation umgewandelt wird, wird dadurch etwas über die Beziehung zu dem anderen Staat, seine Wertschätzung als Ausbildungsstaat, ausgesagt. Genauso verhält es sich, wenn einer ausländischen Qualifikation nicht der Wechselkurs von 1:1 zugesprochen wird. Weil Titel kollektiver Natur sind, werden nicht nur die Ressourcen der anerkennungssuchenden Individuen, sondern die »ausländischen« Wissenskollektive deklassifiziert.
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Das Feld ist Leib und Ding gewordene Geschichte Nach Bourdieu haben sich die historischen Macht- und Positionskämpfe in zweifacher Hinsicht in die Gesellschaft eingeschrieben: in den Körpern und in den Institutionen (Bourdieu 1987b: 106). Er nennt analog dazu die wechselseitige Beziehung zwischen Habitus und Feld auch die „beiden Existenzweisen des Sozialen: […] Leib gewordene und Ding gewordene Geschichte“ (Bourdieu 1985: 69). Der Begriff des Felds steht für Bourdieu in einem engen Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Institutionen, die bestimmte Produktions- und Erwerbsbereiche strukturieren. Zwischen Feld und Habitus besteht ein unmittelbarer Zusammenhang, das eine ergibt sich aus dem anderen und umgekehrt. Das gilt für mich wie für diejenigen, die ich als Feldakteure betrachte. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Mitarbeiter von Behörden und Kammern, die in der Praxis die Bewertung einer ausländischen Qualifikation im Vergleich zu einer deutschen Qualifikation vornehmen, das Feld der Auseinandersetzungen um das Monopol auf legitime symbolische Gewalt inkorporiert haben. Sie sind in dem Bewertungsakt weder frei noch durch die Strukturen determiniert. Das Feld ist ebenso wie der Habitus durch Dispositionen, einen Raum des Möglichen, geprägt. In ihrer Praxis, das heißt ihrem impliziten handlungspraktischen Bewertungswissen, ist die Geschichte der Institutionalisierung von staatlichen Bildungssystemen (weltweit) ebenso wie die Geschichte der Institutionalisierung von Anerkennungsverfahren von im Ausland erworbenen Bildungsnachweisen in Deutschland eingeschrieben. Jeder offizielle Akt der Ernennung, der Verleihung eines Titels (oder Gleichwertigkeitsbescheids), ist sowohl Ding als auch Leib gewordene Geschichte der historischen Feldkämpfe um die Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Deutschland. Das Feld ist ein Praxisfeld Die Bewertung einer ausländischen Qualifikation durch den deutschen Staat betrachte ich vor allem als eine soziale Praxis. Die beteiligten Akteure wissen danach alles über die sozialen Strukturen, die ihrem Handeln zugrunde liegen, ohne dass sie ihnen in jeder Hinsicht bewusst wären. Bourdieu spricht in dieser Hinsicht von einem „praktische[n] Sinn“ (Bourdieu 1987b, 1980), um das handlungsleitende unreflektierte Wissen auf einen Begriff zu bringen und es von seinem Gegensatz, dem theoretischen Wissen, zu unterscheiden. Rational-Choice-Theorien widmen sich ausschließlich dem theoretischen Wissen, indem sie davon ausgehen, dass die Handelnden die Ziele und Mittel ihres Handelns bewusst planen und damit bei ihren Entscheidungen auf ein explizit verfügbares Wissen über bestimmte Ursache- und Wirkungszusammenhänge zurückgreifen. Der praktische Sinn bezieht sich hingegen auf Gewohnheiten und Intuitionen, deren Ursprung nicht in der bewussten Reflexion der Handelnden, sondern in der Inkorporierung von sozialen Strukturen zu
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suchen ist. In dem Praxisbegriff besteht eine Anschlussfähigkeit der Bourdieuschen Soziologie an die Wissenssoziologie Karl Mannheims, auf die sich die Dokumentarische Methode gründet (z. B. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007a, Nohl 2009). Mit dem »praktischen Sinn« oder auch dem »Habitus« ist das Mannheimsche konjunktive Erkennen oder der atheoretische Charakter des Erlebens gemeint. Auch Mannheim geht davon aus, dass „die besondere Eigenheit der praktischpolitischen Erkenntnis gerade darin [besteht]: daß sie aus Situationen heraus erkennt, auf Situationen hin handelt.“ (Mannheim 1980: 174; Herv. i. O.) Ich bin keine Beobachterin, sondern Mitspielerin! Spätestens mit der Entdeckung und Festlegung meines Erkenntnisinteresses (sehr wahrscheinlich schon vorher) habe ich das Feld betreten und bin dadurch Teil des Felds geworden. Wie Michel Foucault eindrucksvoll formuliert hat, lässt es sich in einen Diskurs nicht unbemerkt hineinschleichen: „er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht“ (Foucault 2012: 11). In diesem Sinne bewegen mich die mit dem Gegenstand verbundenen Fragen und Dimensionen und lassen mich gewissermaßen auch nicht mehr los. „Was man im Bourdieuschen Sinne ,feldtheoretisch‘ erforscht, ist nicht ein Objekt, sondern die Beziehung zu einem Objekt, ohne die es kein Objekt gäbe“ (Neumann 2012: 230, Herv. i. O.). Neumann plädiert daher auch dafür, die Verwickelung des Selbst nicht als ein reflexiv auszuschaltendes Hemmnis, sondern als Ressource im Forschungsprozess zu begreifen (ebd.: 234). Inwiefern ich das versucht habe, werde ich in Kapitel 3 schildern. Die in diesem Kapitel dargelegten feldtheoretischen Annahmen sind dem empirischen Forschungsprozess vorausgegangen, haben sich aber teilweise erst durch ihn expliziert. Insofern liegen sie nicht nur als Meta-Theorie über der Empirie, sondern auch als Sub-Theorie unter ihr. In Kapitel 5 und hinführend zum Teil auch in Kapitel 4 werde ich meine Rekonstruktion des Felds anhand des empirischen Materials darlegen. Am Schluss, in dem besagten Kapitel 6, stelle ich die verbindenden Thesen der hier dargelegten Annahmen und der empirischen Befunde zusammenfassend vor. Ich nenne es am Ende das Feld der Produktion und Reproduktion von deutschen Berufsqualifikationen, das von der »Gewalt des kollektiven Besserwissens« beherrscht wird.
3 Der Forschungsprozess
Dieses Kapitel zielt darauf ab, den Forschungsprozess so nachvollziehbar wie möglich zu machen, von der Idee bis zum Abschluss der Dissertation. Ich beschreibe weniger allgemein und abstrakt meine Methodologie oder mein Forschungsdesign im Sinne eines »name dropping«, sondern rekonstruiere vor allem wie ich konkret von einem Schritt zum anderen gekommen bin (vgl. Kruse 2014: 635 ff.). Aus Darstellungsgründen folgt die Gliederung dieses Kapitels augenscheinlich chronologischen Schritten, die sich im Forschungsprozess größtenteils verzahnt und im zirkulären Austausch zueinander entwickelten. „Qualitative Forschung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie ihre Fragestellungen, Konzepte und Instrumente in Interaktion mit dem Forschungsfeld immer wieder überprüft und anpasst“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 17). Zuerst rekonstruiere ich, wie die Idee und die Fragestellung der Arbeit entstanden sind (3.1). Danach gehe ich darauf ein, wie sich daraus eine Promotion mit bestimmten strukturierenden Elementen entwickelt hat (3.2). Das Unterkapitel „Zwischen »Exploration« und »Forschungsdesign«“ (3.3) thematisiert vor allem das Vorgehen in der Anfangsphase des Forschungsprozesses. Anschließend werden die beiden zentralen Erhebungsinstrumente ausführlich und in eigenständigen Unterpunkten diskutiert, zuerst die Gruppendiskussionen (3.4) und dann die narrativ fundierten Experteninterviews (3.5). Das Unterkapitel 3.6 ist der Auswertung und damit auch der methodologischen Verknüpfung von praxeologischer Wissenssoziologie und Bourdieuschem Feldbegriff gewidmet. Abschließend ziehe ich ein Resümee des Vorgehens (3.7).
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3.1 I DEE
UND
F RAGESTELLUNG
Die Frage der »Anerkennung ausländischer (Berufs-)Qualifikationen« beschäftigt mich, seit ich im Jahr 2005 die Ausstellung »Under Construction – Lebensgeschichten von Migranten in Bremer Unternehmen« im Hafenmuseum Bremen besucht habe. Sie war von Studierenden der Kulturwissenschaften anhand von biografischen Interviews konzipiert worden. Eine von sechs Themeninseln trug die Überschrift »Verkannt« (vgl. Hinz/Holdmann 2008). Ich erinnere mich an ausgehängte Diplome von Ausbildungseinrichtungen weltweit, die einer Installation von Putz- und Bauarbeiter-Zubehör gegenübergestellt waren. Dadurch wurde die von den Interviewten häufig erfahrene Ab- und Entwertung ihrer (Berufs-)Qualifikationen durch die Migration veranschaulicht. Zu diesem Zeitpunkt war ich als Mitzwanzigerin gegen Ende meines international und interdisziplinär ausgerichteten sozialwissenschaftlichen Masterstudiums (»Global Studies Programme«). Im Rahmen meiner persönlichen Schwerpunktsetzung habe ich mich im Studium, das »die Globalisierung« als Phänomen in den Fokus stellte, vor allem mit internationaler Migration und sozialer Ungleichheit befasst. Ich hielt mich für gesellschaftspolitisch interessiert und weltweit sozial vernetzt. Vor dem Hintergrund dieses Selbstbildes überkamen mich Selbstzweifel. Warum war mir dieser Zusammenhang nicht bewusst? Die (spätere) Forschungsfrage stellte sich intuitiv und unmittelbar im Anschluss. Das führe ich vor allem auf folgende Erfahrungshintergründe zurück. Die Bourdieusche Theorie der symbolischen Gewalt hat mich beschäftigt und beeindruckt seit ich im Jahr 2003 im Rahmen einer Seminararbeit an der Universität Düsseldorf die Dissertation von Anja Weiß (2001) „Rassismus wider Willen“ rezensiert hatte. Kurz vor dem Ausstellungsbesuch im Jahr 2005 hatte ich jeweils ein Semester an der University of KwaZulu-Natal im südafrikanischen Durban, der Jawaharlal-Nehru-University (JNU) im indischen Delhi und der Albert-LudwigsUniversität Freiburg studiert und das Lernen in unterschiedlichen Bildungssystemen sozusagen »am eigenen Leib« erfahren. Überall habe ich etwas Neues gelernt und sowohl neue Gedanken als auch neue Arbeitstechniken an die Hand bekommen, die ich nicht mehr missen wollte. Ich mochte jene Fragen und Blicke nicht, die meine Erfahrungen zu etwas besonders »Exotischem« machten und am liebsten eines in meiner Antwort hören wollten: eine Bewertung, wie es um die Bildungssysteme in Südafrika und Indien steht. Gleichzeitig wurden wir, das heißt mein Studiengang, quasi als »not bright enough« betrachtet, um von der JNU in Delhi einen Hochschulabschluss verliehen zu bekommen. Die Universitäten von Durban und Freiburg zertifizierten uns gemeinsam den Abschluss des Master of Arts in Social Sciences. Die JNU, welche gleichermaßen an unserer Ausbildung beteiligt war, berief sich auf ihre hohen Zu-
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gangsvoraussetzungen, die indische Studierende erfüllen müssen. In ihren Augen hätten wir, die »foreigners« (und darunter überwiegend »westerners«), den JNUTitel »abgewertet« und »die Inländer diskriminiert«. Die erste Begegnung mit meinem späteren Dissertationsthema führte mich deshalb auf den direkten Weg zur Kern-Frage: Wie wird es bewertet, ob ein »ausländischer« Abschluss in Deutschland anerkannt wird oder nicht? Nach dem Ausstellungsbesuch fand die Fragestellung ihren Weg auf eine Liste mit Themen, deren Bearbeitung ich mir während einer mehrjährigen Promotionsphase vorstellen konnte. Entscheidungsrelevant wurde diese Liste erst etwa vier Jahre später.
3.2 D AS K ONSTRUKT P ROMOTION Die Promotion schloss sich in meinem Fall nicht nahtlos an das Masterstudium an. Ich arbeitete zunächst einige Jahre in der wissenschaftlichen Politikberatung als Angestellte eines Dienstleistungsunternehmens. In diesem Kontext war ich überwiegend für öffentliche Auftraggeber im Bereich der Familienpolitik tätig. Die bearbeiteten Fragestellungen waren von diversen anderen Politikfeldern, das heißt sozial-, arbeits-, bildungs-, integrations-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen, nicht zu trennen. Auf diesen Erfahrungshorizont ist womöglich der dem Thema innewohnende Bezug zum Verwaltungs- und Regierungshandeln sowie das über institutionalisierte Zuständigkeiten Hinaus- und Hinwegdenken zurückzuführen. Im Herbst 2009 begann ich mich konkret mit dem Gedanken an eine Promotion zu befassen. In der Auftragsforschung fehlte mir seit Längerem die theoretische Auseinandersetzung mit den Forschungsgegenständen und damit auch die Chance, neue und kritische Standpunkte zu entwickeln. Hinzu kam, dass ich sehr viel dienstlich unterwegs war und gerne mehr Zeit mit meiner einjährigen Tochter verbringen wollte. Die alte Idee der Promotion, möglichst stipendiengefördert, bekam dadurch eine neue Attraktivität. In ihr verbanden sich meine intellektuellen Ambitionen mit der heute nicht mehr selbstverständlichen Möglichkeit eines Privatlebens. Nach dem Entschluss galt es, das Konstrukt »Promotion« zusammenzufügen: ein Thema, eine Fragestellung, ein und am besten zwei Doktoreltern und ein Stipendium. Es traf sich zu derselben Zeit, dass Boike Rehbein gerade als Professor an die Humboldt-Universität zu Berlin berufen worden war und ich zu diesem Zeitpunkt auch in Berlin arbeitete. Wir kannten uns aus Freiburg, aber ich hatte nie ein Seminar oder eine Vorlesung bei ihm besucht. Als Nachfolger von Frank Welz wurde er Direktor des Global Studies Programms am Freiburger Institut für Soziologie, nachdem ich bereits meinen Abschluss gemacht hatte. Irgendwann hatte er mir während eines Small Talks gesagt, dass ich mich an ihn wenden könne, wenn ich
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mal eine Doktorarbeit schreiben möchte. Mir gefiel seine Bourdieu-Interpretation (Rehbein 2006, Fröhlich/Rehbein 2009) und ich wusste, dass ich sehr gerne mit Bourdieu würde arbeiten wollen. Während des Studiums gehörte er zu den soziologischen Klassikern, die mich besonders inspiriert und überzeugt hatten. Dieser Theorie-Bezug schien mir neben der gemeinsamen Global-Studies-Sozialisation ein gutes Fundament für ein Betreuungsverhältnis zu sein, was sich in den darauffolgenden Jahren als richtiges Gespür herausstellte. Nicht jedem Punkt auf meiner Promotions-Auswahlliste widmete ich mich bei der Erstrecherche gleichermaßen. Im Fall meiner Fragestellung zur »Anerkennung ausländischer Qualifikationen« wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich keine Literatur finden würde, die mir darauf eine zufriedenstellende Antwort geben wird. Ich sah in diesem Thema viele Anknüpfungspunkte zu meinen Interessen und bisherigen Erfahrungen. Es weckte deshalb in besonderem Maße meine Neugier. Hinzufügen sollte ich an dieser Stelle außerdem, dass ich eine persönliche »Betroffenheit« bei der Themenwahl ausklammern wollte. Zum einen wollte ich gedankliche Anreize haben, die nichts mit meinem turbulenten Familienalltag zu tun haben. Zum anderen wollte ich mir die Erfahrung ersparen, in wissenschaftlichen Kontexten auf ein (ausschließliches) Interesse aus »Betroffenheit« reduziert zu werden. Dies schloss diverse andere Themen auf der Liste, insbesondere mit Familien-, Kinder- oder Geschlechterbezug, für mich aus. Inzwischen glaube ich, dass hinter jedem Forschungsinteresse eine »Betroffenheit« steht. Ich habe zwar nicht mit der rechtlichen Anerkennung meines Abschlusses in Deutschland zu kämpfen und ich habe nicht erfahren müssen, was es heißt, »Ausländerin« in Deutschland zu sein. Als Soziologin ebenso wie als Mutter von (inzwischen) zwei kleinen Kindern kann ich die Frage nach der Anerkennung und Bewertung in Bezug auf »Qualifikationen« jedoch auch nicht in einer Sphäre des Unpersönlichen verorten. Die Auseinandersetzung mit dem Bewerten und Bewertetwerden ist ein Lebensthema, das mich in jeder Hinsicht »betroffen« macht. Von meinem ersten vier Seiten umfassenden Exposé, das ich zum Zweck der Promotionszulassung am 3.12.2009 vorlegte, ist am Ende der Promotionsphase nur noch sehr wenig wiederzuerkennen. Es trug den etwas sperrigen, und sehr juristisch anmutenden Arbeitstitel »Die berufliche (Nicht-) Anerkennung ausländischer Bildungsnachweise von Drittstaatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland« und stand mangels anderer aussagekräftiger Quellen vor allem unter dem Eindruck der bereits erwähnten »Brain Waste« Studie (Englmann/Müller 2007). Ich positionierte mich kritisch gegenüber der föderalen Zuständigkeitsvielfalt für Anerkennungsverfahren und betrachtete die durch Nicht-Anerkennung erschwerte Arbeitsmarktintegration von Einwanderern aus Drittstaaten unter dem Gesichtspunkt volkswirtschaftlicher Verluste. In theoretischer Hinsicht ordnete ich mich fragmentarisch irgendwo zwischen Pierre Bourdieu und der Transnationalisierungsdebatte ein. Ich fragte nach den für eine berufliche (Nicht-) Anerkennung ausschlaggeben-
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den »Kriterien« und äußerte hypothetisch, dass Nationalstaat, Staatsangehörigkeit und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Staaten für die Frage der Anerkennung von kulturellem Kapital ausschlaggebender seien als inkorporierte Fähigkeiten oder Milieuzugehörigkeit. Da ich anfangs noch parallel zu der Promotion erwerbstätig war, verging relativ viel Zeit, bis die beiden anderen Elemente des »Konstrukts Promotion« zusammengefügt waren. Im Sommer 2011 lernte ich Anja Weiß kennen, als sie am Berliner Institut für Asien- und Afrikawissenschaften einen Workshop zur Einführung in die Dokumentarische Methode gab. Ich hatte sie im Vorfeld gefragt, ob sie sich vorstellen könne, die Zweitbetreuung meiner Arbeit zu übernehmen und ihr ein mittlerweile ausgearbeitetes Exposé geschickt. Das war für mich ein naheliegender und dennoch aufregender Schritt. Ich hatte ihre Arbeit seit etwa 8 Jahren verfolgt und war mir relativ sicher, dass es gut passen würde. Das von ihr (co-)geleitete Projekt „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a) und mein Interesse, mit der Dokumentarischen Methode zu arbeiten, waren ganz konkrete Verbindungen zu meinem Forschungsvorhaben. Das Aufregende daran war, dass sie mich noch nicht kannte. So erklärte sie dann auch ihr Anliegen, die Entscheidung vertagen zu wollen. Gleichzeitig bot sie mir wie selbstverständlich an, meine Bewerbung um ein Stipendium als Gutachterin zu unterstützen. Einige Wochen später entstand ein sehr intensives Betreuungsverhältnis, das mit der Bezeichnung »Zweitbetreuung« nicht annähernd adäquat beschrieben ist. Das Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung führte letztlich dazu, dass das »Konstrukt Promotion« fertiggestellt war.
3.3 Z WISCHEN »E XPLORATION « »F ORSCHUNGSDESIGN «
UND
Etwa ein Jahr lang habe ich explorativ gearbeitet, sowohl gelesen als auch im Feld geforscht, bevor ich ein Exposé und damit ein Forschungsdesign entwickelt hatte, auf Basis dessen ich letztlich das Stipendium bekommen habe. Bei diesem Design mit Stand von August 2011 ist es bei der Umsetzung nicht bis in die Details geblieben. Das Gerüst aus paradigmatischen Überlegungen, theoretischen Anschlüssen und Methoden stand jedoch zu diesem Zeitpunkt fest. Ich werde in diesem Abschnitt die wesentlichen Arbeitsschritte in diesem einen Jahr darlegen. Am Anfang habe ich mehr oder weniger gleichzeitig in zwei Richtungen blickend gelesen. Zum einen versuchte ich, möglichst viel über jene Institutionen zu erfahren, welche das »Bewertungsverfahren« regeln (Abschnitt 3.3.1). Zum anderen suchte ich nach einem theoretischen Rahmen, der mit den Begriffen Bourdieus operiert bzw. sich in seine Soziologie einfügt (3.3.2). Nachdem sich die empirische und
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die theoretische Welt in der Literatur nicht miteinander verbanden, habe ich mir zum Forschungsziel gesetzt, diese Brücke im Sinne einer gegenstandsbezogenen Theorie konstruieren zu wollen (3.3.3). Geeignete Materialien zur Herstellung dieser Verbindung habe ich dadurch gefunden, dass ich erste Explorationen ins Feld unternommen habe (3.3.4). Letztlich habe ich ein Design oder einen Plan entworfen, der die Fragestellung, das Ziel, die meta-theoretischen Grundlagen und das geplante Vorgehen aufeinander abstimmt (3.3.5). 3.3.1 Empirie: mit den Institutionen vertraut werden Am Anfang stand eine totale Fremdheit gegenüber den Institutionen, die für die »Anerkennung« bzw. »Bewertung« von ausländischen Qualifikationen zuständig sind. Es galt, sich zunächst eine allererste Orientierung anzueignen, wer das macht und auf welcher Grundlage das gemacht wird. Im Jahr 2009 gehörten die vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) in Auftrag gegebene Studie „Brain Waste“ (Englmann/Müller 2007) sowie das mit derselben Auftragnehmerin, einer NGO, verbundene Internetportal »www.berufliche-anerkennung.de« zu den wenigen Quellen, die darüber umfassend Auskunft gaben. Darüber hinaus gab es einige bundeslandbezogene Orientierungsleitfäden für Antragstellerinnen und Antragsteller sowie die Internetseite der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) einschließlich der Datenbank Anabin (vgl. KMK/ZAB 2013). So stellte sich heraus, dass ich es mit mehreren Hundert Behörden und Kammern sowie auf Anhieb kaum überschaubaren Rechtsgrundlagen zu tun haben würde.1 Es wäre angesichts dieser Ausgangslage naheliegend gewesen, vor dem »Anerkennungsdschungel« (wie es in der politisch-öffentlichen Diskussion seither immer wieder heißt) zu kapitulieren. Die Unübersichtlichkeit des Felds übte für mich jedoch erst recht die Faszination des Unbekannten aus. Von dem im Dezember 2009 angekündigten und im Jahr 2012 in Kraft getretenen »Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen«, das auch »Anerkennungsgesetz« genannt wird, habe ich kurz nach der Entscheidung für mein Promotionsvorhaben erfahren. Am selben Tag, an dem mein Doktorvater an der HU Berlin mein Exposé abzeichnete, debattierte der deutsche Bundestag (BT) einen Kilometer weiter über die Anerkennung ausländischer (Berufs-)Qualifikationen auf Basis von Entschließungsanträgen
1
Es war in dieser Zeit von ca. 400 Anerkennungsstellen die Rede, ohne dass nachvollziehbar ist, woher diese Zahl stammt. Englmann/Müller (2007) verweisen darauf, dass es Hunderte sein werden und keine exakten Zahlen dazu vorliegen. Einige Quellen sprechen inzwischen von 600 (Braun 2012:4), andere von 1500 für die Durchführung von Anerkennungsverfahren zuständigen Stellen (BMBF/BIBB 2014: 51).
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aller Parteien (BT 2009). Eine knappe Woche später verabschiedete das Bundeskabinett Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung, die „einen gesetzlichen Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren für alle im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse und Qualifikationen schaffen“ sollte (BMBF 2009). Diese Entwicklungen hatte ich nicht abgesehen oder im Vorfeld mitbekommen. Die Koinzidenz war vermutlich dennoch kein »reiner Zufall«. Sie war wohl eher Ausdruck veränderter Kräfteverhältnisse, die sowohl den politischen Handlungsbedarf als auch mein Forschungsinteresse als Objektkonstruktionen hervorbrachten. Ich hatte nicht damit gerechnet, meine Dissertation über einen sich wandelnden Gegenstand schreiben zu müssen. Andererseits motivierte es mich auch. Indem ich politisch und medial geführte Debatten verfolgte, wurde mir klar, dass meine Fragestellung mit den geplanten gesetzlichen Veränderungen nicht weniger relevant werden würde. Es handelte sich lediglich um die Ankündigung eines Rechtsanspruchs auf ein Verfahren, das überprüft, inwiefern eine ausländische Qualifikation anerkannt wird. Es war zu keinem Zeitpunkt geplant, einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Anerkennung einzuführen. Ich verfolgte dann zwei Jahre lang, was in diesem Gesetzgebungsverfahren geschah. Zumindest insofern ein öffentlicher Zugang besteht oder ich einen Zugang bekam.2 Zudem arbeitete ich mich in die Lissabonner Anerkennungskonvention und die Berufsanerkennungsrichtlinie der EU ein, versuchte die Rechtssprache zu verstehen und las Sekundärtexte über die Entstehung und Erläuterung dieser Institutionen. Sie stammten vor allem aus dem Umfeld der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen und dem Europarat (vgl. Kap. 4).
2
Viele offizielle Dokumente sind online archiviert. Die Plenarsitzungen und öffentliche Ausschusssitzungen des Bundestags sind z. B. auf der Seite www.bundestag.de als Videos und Protokolle abrufbar. Auch Anfragen und Anträge der Fraktionen sind dort hinterlegt. Im Fall der Sitzungen des Bundesrats ist die öffentliche Transparenz in deutlich geringerem Maße gegeben. Stellungnahmen zum Gesetzentwurf (Referentenentwurf) habe ich von den Verbänden auf Anfrage zugeschickt bekommen. Einige meiner Interviewten gaben mir Entwürfe des Gesetzes, die ihnen zur Kommentierung vorlagen, in Kopieform weiter. Im Wesentlichen musste ich mir die Dokumente, von deren Existenz ich erfuhr, einzeln zusammensuchen (und in Kauf nehmen, dass ich von anderen nicht erfuhr). Im Parlamentsarchiv des Bundestags sind Gesetzesdokumentationen, die z. B. auch die nicht-öffentlichen Ausschussprotokolle umfassen, archiviert. Per E-Mail vom 15.09.2011 habe ich von Archivmitarbeitern die Auskunft bekommen, dass diese nach den Parlamentsvorschriften erst in der übernächsten Wahlperiode (voraussichtlich Herbst 2017) einsehbar sind. Das macht es mitunter schwierig, die Entstehung von Gesetzen mit einem wissenschaftlichen Anspruch, z. B. im Hinblick auf symbolische Kämpfe um soziale Ungleichheiten zu analysieren. Auch aus diesem Grund ist aus diesen Beobachtungen später nicht meine Haupt- oder Kernerhebung entstanden.
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Die empirisch ausgerichteten Sozialwissenschaften hatten sich bisher mit Ausnahme der Studiengruppe „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a) nicht oder wenig mit diesen Institutionen befasst. Einige Auftragsstudien knüpften an die Erkenntnisse der Brain Waste Studie an, z. B. indem sie die Frage der Nicht-Anerkennung von Abschlüssen im Zusammenhang mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II betrachteten (IAQ 2009, vgl. auch Knuth 2010) oder indem sie die Möglichkeiten eines Informationsportals zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ausloteten (IW/IFOK 2010). Diese zielten jeweils auch darauf ab, die Population quantitativ zu erschließen. Ein zentraler Bezugspunkt war die im Mikrozensus 2008 integrierte Europäische Arbeitskräftestichprobe (Statistisches Bundesamt 2010: 296). Angaben aus dieser Quelle sind nicht unbedingt zuverlässig, da die Fallzahlen sehr gering und nicht mit den üblichen MikrozensusErhebungen vergleichbar sind (ebd.: 13). Weil diejenigen, deren Qualifikationen nicht anerkannt waren, jahrzehntelang als »Unqualifizierte« in amtlichen Statistiken erfasst wurden, z. B. bei der Bundesagentur für Arbeit, zeigt sich das Anerkennungsproblem unmittelbar auch als ein erkenntnistheoretisches Dilemma (vgl. SVR 2010: 179). Man kann nichts erkennen, für das man keine Kategorie hat. Hat man eine Kategorie, dann hat man bereits anerkannt (und muss nicht mehr »prüfen«). Die Verbindung von anerkennungs- und erkenntnistheoretischem Problem legt es nahe, die Problematik mit den herrschaftskritischen Augen Bourdieus zu betrachten. In den Fokus meiner Forschungsfrage rückte immer stärker die sogenannte »Gleichwertigkeitsprüfung«. Sie stellte sich während der Recherchen als der Drehund Angelpunkt des Verfahrens heraus. Mir wurde klar, dass die Bewertung der »Gleichwertigkeit« im Regelfall nicht eindeutig in den Gesetzen festgelegt ist. Es handelt sich um eine in juristisch-bürokratisch-politischen Kreisen umstrittene Frage, die in der Öffentlichkeit nicht oder zumindest selten als strittig dargestellt wird. Dass sich beides durch die neue Gesetzgebung, die den Anspruch auf »Gleichwertigkeitsprüfungen« ausweitete, vermutlich nicht ändern würde, brachte Winfried Kluth (2011), Professor für öffentliches Recht, für mich besonders prägnant auf den Punkt. Er schreibt zu dem damaligen Gesetzentwurf: „Der Teufel steckt im Detail: Was ist „gleichwertig“?“ (ebd.). Ich bin dankbar, dass ich als Soziologin das Privileg habe, mich mit den Konstruktionsbedingungen der Bewertung »gleichwertig« beschäftigen zu dürfen, statt mich fragen zu müssen, was »gleichwertig« ist.
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3.3.2 Theorie: Pierre Bourdieu und Interpreten Parallel zu dem Versuch, die deutschen Institutionen des Berufs- und Hochschulrechts zu verstehen, arbeitete ich daran, Bourdieus Denken (noch) besser zu verstehen. Wie ich zu einem Arbeiten mit Bourdieu gekommen bin, wurde bereits thematisiert. Die theoretischen Auseinandersetzungen mit Bourdieu und seinen Interpretinnen und Interpreten habe ich in Kapitel 2 ausführlich dargelegt. Deshalb werde ich hier nur noch auf zwei Aspekte eingehen: Zweifel an Bourdieu und den methodologischen Bruch mit dem Alltagswissen. Anfangs war ich weniger festgelegt auf Bourdieu, als es am Ende scheint. Zu meinem Forschungsgegenstand hatte er nichts zu sagen und sein größtenteils auf den französischen Nationalstaat des vergangenen Jahrhunderts begrenztes Denken passte ganz und gar nicht zu meinen Interessen und Ansprüchen. Deswegen habe ich über Alternativen oder Kombinationsmöglichkeiten nachgedacht. Eine diskursanalytische Perspektive mit Michel Foucault wäre auch interessant gewesen und ein Niklas Luhmann hätte sicherlich auch etwas Relevantes beitragen können. Ich habe mich letztlich gegen Kombinationen entschieden, weil ich kein theoretisches Jahrhundertwerk schreiben wollte, sondern in erster Linie eine empirisch relevante Fragestellung hatte. Wichtig war mir, Bildung und Migration ungleichheitstheoretisch zusammenzudenken. In dieser Hinsicht passte Bourdieu trotz allem am besten und es ließen sich Anschlüsse an andere Forschungsarbeiten finden, insbesondere in dem damals gerade neu erschienen Sammelband „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a). Durch mehrere Beiträge (insbes. von Hausen (2010) Neumann (2010) Ofner (2010), Weiß 2010, Weiß/Ofner/Pusch 2010) festigte sich die Vorstellung, meinen Forschungsgegenstand mit Bourdieu betrachten zu wollen. Danach folgte das Lesen der Texte von Bourdieu und über Bourdieu, das Exzerpieren und das Auseinandersetzen mit seinen Konzepten. Letztlich musste ich aus dem umfangreichen Werk auswählen, welche seiner Denkwerkzeuge in welcher Weise zur Betrachtung meines Gegenstands Sinn machten. Weniger als das, was er an Erkenntnissen der Nachwelt hinterlassen hat (das »opus operatum«), interessierte mich vor allem die Art und Weise, wie er gedacht und geforscht hat (der »modus operandi«). Deswegen war es letztlich kein Argument gegen ihn, dass seine Erkenntnisse, die vor 30 Jahren mal eine große Neuigkeit waren, z. B. „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1987a), in der heutigen Zeit wie von gestern wirken. Methodologisch relevant ist und war für mich vor allem der Anspruch eines doppelten Bruchs mit dem Alltagswissen (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991). Er steht in Zusammenhang mit dem wissenschaftstheoretischen Programm „Soziologie als Beruf“, das im Anschluss an die Arbeiten von Gaston Bachelard entwickelt wurde. Ich möchte hier kurz skizzieren, was mit dem »doppelten Bruch« ge-
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meint ist. Grundsätzlich geht es darum, nicht daran festzuhalten, dass etwas wahr ist oder sein kann, sondern zu fragen, wie etwas zur vermeintlich unverrückbaren Wahrheit geworden ist. Dafür steht auch der Begriff „epistemologische Wachsamkeit“ (z. B. ebd: 15). Es geht im Wesentlichen um die Einnahme einer konstruktivistischen Perspektive, welche die Existenz einer objektiven Wahrheit negiert. Durch das Infragestellen des für den Alltagsverstand Selbstverständlichen macht sich der Soziologe mitunter unglaubwürdig oder erscheint infolge der Thematisierung von Mechanismen symbolischer Herrschaft insbesondere auch im intellektuellen Feld als „Nervensäge” (Bourdieu 2005a: 134). Doppelt ist der Bruch mit dem Alltagswissen deshalb, weil er sich nicht nur auf die Konstruktionen der Alltagssprache, sondern auch auf die im Forschungsprozess entworfenen wissenschaftlichen Konstruktionen bezieht. Es besteht mitunter eine enge Verwandtschaft des doppelten Bruchs zu der (erst später für mich relevant gewordenen) Methodologie der Dokumentarischen Methode. Mit der „Einklammerung des Geltungscharakters“ (Mannheim 1980: 88 ff.) und der Notwendigkeit einer „Rekonstruktion der Rekonstruktion“ (Bohnsack 2010b: 25) sind ähnliche methodologische Ansprüche verbunden. Erneut mit Bourdieu ausgedrückt, handelt es sich um die forschungspraktische Einbeziehung der „Soziologie der soziologischen Praxis“ (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 86). Davon ausgehend, dass alles Soziale sozial konstruiert ist, muss die Soziologin zunächst die Alltags-Konstruktionen rekonstruieren. Weil aber die soziologische Tätigkeit selbst Teil des Sozialen ist, geht es weiter darum, zu rekonstruieren wie man zu der Rekonstruktion gekommen ist. Es wird also ein reflexiver Zirkel in Gang gesetzt, der im Grunde nicht nur einmal oder zweimal mit dem bricht (oder brechen kann), was man für das Wissen hält, sondern unendlich wieder. „So führt die Soziologie der Soziologie zur Bestätigung der keineswegs neuen Einsicht, daß Wissen(schaft) und Macht sich nicht äußerlich sind“ (Schwingel 1993: 19). Im Idealfall nähert sich die Reflexion den Konstruktionsbedingungen des eigenen Wahrnehmens und damit den existenziellen Hintergründen der in konjunktiven Erfahrungsräumen (Karl Mannheim) wurzelnden selbstverständlichen Denkweisen. Das bedeutet letztlich auch die herangezogenen erkenntnistheoretischen Prämissen auf ihre existenziellen Hintergründe zu befragen, wie es Mannheim (1929) in seinem Vortrag „Die Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen“ auf den Punkt bringt: „Im historisch-sozialen Zusammenhang sind Erkenntnistheorien nur vorgeschobene Posten im Kampfe der Denkstile“ (ebd.: 81). Insofern lässt sich auch meine Berufung auf Bourdieu und den doppelten Bruch als ein „Rechtfertigungswissen für eine je schon daseiende Denkweise“ (ebd.) betrachten. Die Frage nach der Verbindung von Denken und Dasein lässt sich meines Erachtens in dieser Radikalität jedoch erst am Ende des Forschungsprozesses stellen. Am Anfang steht zunächst das konsequente Bemühen darum, die implizit zugrunde gelegten Annahmen als Annahmen zu erkennen und sie bewusst »einzuklammern«. „Erst mit dem
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Nichtwissen beginnt die Wissenschaft. Wissenschaft wird gegen die alltägliche Illusion des Wissens betrieben“ (Rehbein 2006: 52 (über den »doppelten Bruch«)). 3.3.3 Brückenbau: Verbindung von Theorie und Empirie gesucht Während sich mein Theorie-Horizont durch die Lektüre Bourdieus weitete, entfernte ich mich dadurch gedanklich von der Bewertungspraxis, den mehreren Hundert »Anerkennungsstellen« in Deutschland und den bewerteten »Anerkennungssuchenden«. Ich verlor mein Ziel aus den Augen. Deshalb wechselte ich auch immer wieder die Blickrichtung, weg von Bourdieu, hin zum empirischen Gegenstand und wieder zurück. Im ersten Jahr meiner Promotionsphase war ich dadurch in zwei verschiedenen Welten unterwegs. Die Verbindung schien zunächst nur der Begriff »Anerkennung« zu sein. Die Welt des Pierre Bourdieu war voller offener Konzepte und Ideen, die zu ausschweifenden Gedanken einluden, aber mithilfe derer ich meinen Gegenstand nicht oder für meinen Geschmack zu abstrakt zu fassen bekam. Die empirische Welt war voller Rechtskategorien. In ihrer Definition lassen sie sich meistens nachschlagen und sie waren das, was für die Bewertungspraxis relevant zu sein schien, aber der Sinnzusammenhang erschloss sich mir nicht auf Anhieb. Meine Denkprozesse in dieser Zeit galten dem Versuch zwischen diesen Welten Brücken zu finden, um möglichst klare Hypothesen formulieren zu können. Ich durchforstete diverse Standard- und Einführungswerke der Bindestrich-Soziologien (allen voran Ungleichheits-, Migrations-, Bildungs-, Professions-, Rechts-, Wissens-) nach dieser Verbindung, wurde aber nur sehr bedingt fündig. Erst nach und nach wurde mir klar, dass ich nicht »die Theorie« brauche, um mit dem Forschen beginnen zu können, sondern dass diese Phase bereits Teil des Forschungsprozesses war. Die Entwicklung einer gegenstandsbezogenen Theorie, die an die Bourdieusche Soziologie anschließt, würde meine Arbeit sein. Die Befreiung von der symbolischen Dominanz des kritischen Rationalismus und der darin begründeten Annahme, ich müsse zwangsläufig zuerst Hypothesen aufstellen und dann prüfen (oder belegen), verdanke ich Aglaja Przyborksi und Monika Wohlrab-Sahr und ihrem Arbeitsbuch „Qualitative Sozialforschung“ (2010: 42 ff.). Bourdieus Methodologie brachte mich nach und nach zu einer anderen Lesart der Lektüre über den Forschungsgegenstand. Ich sah die Institutionen und Rechtskategorien nicht mehr als eine Beschreibung des Gegenstands, die ich in meine Perspektive übertragen konnte, sondern als einen Ausdruck der sozialen Auseinandersetzungen um den Gegenstand. Ihre Entstehung zu verstehen, war ein Teil meines Vorhabens. Ich versuchte zu vermeiden, die Kategorien, die sich zum Beispiel in Gesetzestexten, in politischen Diskursen, in amtlichen Statistiken und in den Auftragsstudien der deutschen Bundesregierung manifestieren als erklärende analyti-
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schen Kategorien heranzuziehen. Insofern wurden jene Veröffentlichungen, die vor allem mit staatlich hergestellten Kategorien operieren für mich zum Explanandum, zum empirischen Material, das ich nur noch zu sehr geringen Anteilen als Explanans, als »Stand der Forschung«, betrachtete. 3.3.4 Loslegen: erste Explorationen ins Feld Nachdem ich eine Fragestellung, ein theoretisches Paradigma und eine Zielvorstellung meines Forschungsprozesses hatte, ging es vor allem darum, geeignete Materialien für die Brücke zwischen Theorie und Empirie zu finden. Im Rahmen erster Explorationen ins Feld suchte ich nach Quellen und Methoden, die mir dabei helfen würden. Ich orientierte mich dabei methodisch zunächst in alle für mich vorstellbaren Richtungen. Einen kurzen Einblick möchte ich hier geben. Es ergab sich, dass ich – nachdem ich im Bekanntenkreis mein Thema kundgetan hatte – auf jemanden traf, der vor einigen Jahren in einer Behörde Anträge auf Anerkennung von ausländischen Pflegekräften bearbeitet hatte. Mit ihm führte ich das erste Gespräch und setzte die Suche nach weiteren Gesprächspartnern dann mithilfe des Schneeballprinzips fort. Mit dem Eintritt ins Feld häuften sich weitere Kontakte bzw. Namen, sodass ich über Griffe zum Hörer nach und nach diverse Schnellbälle erzeugt hatte. Es waren teilweise Menschen in »Anerkennungsstellen«, teilweise in Ministerien oder Verbänden. Die Gespräche hatten einen eher informellen Charakter. Ich ging zwar mit Leitfäden heran, öffnete mich aber vor allem dafür, das erzählt zu bekommen, was mein Gegenüber relevant fand. Teilweise dauerten die Interviews mehrere Stunden, ohne dass von den Interviewten das Signal ausging, die Konversation beenden zu wollen. In dieser Phase habe ich die Gespräche nur protokolliert, aber noch nicht auf Tonband aufgezeichnet. Über eine Sprachkursleiterin bekam ich Kontakt zu einer Gruppe von »Auslandsqualifizierten« und führte im Mai 2011 eine Gruppendiskussion in Düsseldorf durch. Ich besuchte politische Fachveranstaltungen, prüfte die Reaktionen auf mein Forschungsinteresse in öffentlichen Kreisen, wie in informellen Runden. Ich verfolgte das Gesetzgebungsverfahren in der medialen Berichterstattung und durch Beobachtung von parlamentarischen Plenarsitzungen und zwei öffentlichen Fachgesprächen im zuständigen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Ich ließ mir die (nicht veröffentlichten) Stellungnahmen von zahlreichen Verbänden zum Gesetzentwurf (Referentenentwurf) zuschicken und verschaffte mir einen Überblick über die verschiedenen Problemdefinitionen und damit auch Positionen im Feld. Ich abonnierte per Stichwortsuche die im Internet veröffentlichten medialen Neuigkeiten und aktivierte persönliche Kontakte, ebenfalls ihre Augen und Ohren für Material offenzuhalten. Ich beschäftigte mich auch mit den
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verfügbaren Zahlen und Statistiken zum Gegenstand und den ihnen zugrunde gelegten Kategorien und Annahmen (vgl. Sommer 2012). 3.3.5 Festlegen: das rekonstruktive Forschungsdesign Durch die Exploration konkretisierte sich meine methodologische Perspektive, sodass ich darauf aufbauend ein Forschungsdesign entwickelt habe. Die Relevanz der Fragestellung bestätigte sich, die Bourdieu-Brille bewährte sich und es entstand nach und nach eine Perspektive auf den Gegenstand, die mir in der Literatur noch nicht begegnet war. Ich ordnete und bewertete mein gesammeltes Material sowie meine im Feld gemachten Erfahrungen. Es stand zu diesem Zeitpunkt fest, dass ich Experteninterviews in den zuständigen Behörden und Kammern (»den Bewertenden«) sowie Gruppendiskussionen (»den Bewerteten«) durchführen werde, weil ich in der Explorationsphase von ihnen und durch sie die tiefsten Einblicke bekommen habe. In der Frage nach einer geeigneten Auswertungstechnik entschied ich mich für das Arbeiten mit der Dokumentarischen Methode (vgl. 3.6). Durch das Ordnen und Bewerten der explorativen Erfahrungen kristallisierten sich vier Arbeitsmodule heraus, innerhalb derer ich mich implizit bereits bewegte. Das Modul 1 beinhaltete die Geschichte des Felds, das heißt der historischen Klassifikationskämpfe um die Bewertungen. Das Modul 2 beinhaltete die Analyse der gegenwärtigen Kämpfe um das Gesetzgebungsverfahren, dass heißt jener Kämpfe um die Veränderungen der Institutionen. Modul 3 bezeichnete ich als die »Praxis der Bewertenden«, die ich mithilfe von Experteninterviews erheben wollte und Modul 4 »die Praxis der Bewerteten«, die ich auf Basis von Gruppendiskussionen erfassen wollte. Diese vier Arbeitsmodule sind letztlich alle in mein Ergebnis eingeflossen, mit einer etwas anderen Gewichtung als ursprünglich gedacht. Modul 3 stellte sich im Forschungsprozess noch stärker als zuvor als das eigentliche Kern-Modul heraus, während die anderen Module zu Hilfsmodulen wurden, um die Bewertungspraktiken in den Behörden und Kammern besser in den diskursiven Gesamtzusammenhang einordnen zu können. Zum Zeitpunkt der Entwicklung des Forschungsdesigns ging ich noch davon aus, dass die vier Module einer späteren Kapitelfolge entsprechen. Aufgrund von Veränderungen in der Schwerpunktsetzung, insbesondere nach Durchführung der Gruppendiskussionen (vgl. 3.4), habe ich mich entschieden, die Ergebnisse der anderen drei Arbeitsmodule als »Anerkennungsdebatten« um die Frage des Was und Wozu der »Gleichwertigkeitsprüfungen« in Kapitel 4 zusammenzuführen. Den Modulen 3 und 4, das heißt den Experteninterviews und den Gruppendiskussionen, sind aufgrund ihrer Bedeutung eigenständige Gliederungspunkte gewidmet (3.4 und 3.5, darstellungsbedingt hier in umgekehrter Reihenfolge). Im Fol-
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genden möchte ich deshalb nur kurz aufführen, was sich hinter den ersten beiden Modulen verbirgt. Modul 1: Historische Klassifikationskämpfe Hinter diesem Arbeitsmodul stand die Frage, aus welchen historischen Auseinandersetzungen die bewertenden Institutionen und Klassifikationen hervorgegangen sind. Warum ist von »akademischer« versus »beruflicher Anerkennung« oder von »reglementierten« und »nicht-reglementierten« Berufen die Rede? Zentrale Quellen waren die Veröffentlichung der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesens zu ihrem 100-jährigen Bestehen (KMK/ZAB 2005) sowie die Rechtsgrundlagen und ihre Begründungen selbst. Im Umfeld der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen habe ich zudem zwei mehrstündige leitfadengestützte Hintergrundinterviews geführt. Die Erfahrungen der beiden Interviewten mit dieser Thematik reichen bis in die 1970er Jahre zurück. Modul 2: Soziale Kämpfe um die Re-Institutionalisierung Ging es in Modul 1 darum, das Gewordensein der Institutionen zu verstehen, so zielte Modul 2 darauf ab, den aktuellen, einem Gesetzgebungsverfahren immanenten Veränderungsprozess zu verstehen. In diesem Modul habe ich Akteure und Institutionen identifiziert, die in den gegenwärtigen Kämpfen beteiligt sind und ihre Positionen und Problemdefinitionen nachvollzogen. Dies wurde, wie bereits geschildert, in der Explorationsphase begonnen. Es ging für mich dabei vor allem um die Frage, welche der historischen Klassifikationen unhinterfragt übernommen werden und welche sich durch die sozialen Kämpfe wie verändern bzw. neu erfunden werden. Welche Konstruktionen des Problems sind den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteuren und Institutionen gemeinsam und worin unterscheiden sie sich?
3.4 G RUPPENDISKUSSIONEN MIT A USLANDSQUALIFIZIERTEN Dass ich »Auslandsqualifizierte« als »Gruppe« bezeichne und Gruppendiskussionen durchgeführt habe, verlangt nach einer methodologischen Erklärung. Wenn man sich diskursive Praktiken rund um die institutionelle Bewertungspraxis anschaut, werden sie in der Regel nicht als eine Gruppe betrachtet. Unterschieden werden sie zum Beispiel danach, welche Qualifikation sie haben, ob sie einen Rechtsanspruch auf eine Bewertung haben, warum sie ihre Qualifikation bewertet
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haben wollen, ob sie eine rechtliche Anerkennung brauchen, in welchem Land sie ihre Qualifikation erworben haben, welche Staatsangehörigkeit sie haben, auf welchem Rechtsweg sie nach Deutschland gekommen sind, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten (Erwerbstätigkeit oder Transferbezug), in welchem Bundesland oder Bezirk sie zur Zeit der Antragstellung wohnen, welchem deutschen Referenzberuf ihre Qualifikation am ehesten entspricht und eben nicht zuletzt, ob ihr Abschluss »gleichwertig«, »teilweise gleichwertig« oder »nicht gleichwertig« ist. Wenn ich »Auslandsqualifizierte« in der Konzeption und Durchführung von Gruppendiskussionen zu einer »Gruppe« gemacht habe, habe ich damit eine »Klasse auf dem Papier« (Bourdieu) konstruiert, die ich den genannten institutionalisierten Kategorien entgegensetze. Ziel war es, herauszufinden, ob Auslandsqualifizierte eine kollektive Kraft des betrachteten Felds darstellen, sozusagen eine »mobilisierte Klasse« (Bourdieu), die sich gegen die mit den institutionalisierten Klassifikationen und Bewertungen und die damit verbundene symbolische Gewalt auflehnt. Der Durchführung von Gruppendiskussionen habe ich somit eine Kontrollfunktion für meine herrschaftssoziologischen Annahmen zugeschrieben. Wenn sich Widerstände beobachten lassen, kann ich im Grunde nicht von »symbolischer Gewalt« sprechen, weil sich diese gerade in der Abwesenheit von Kämpfen zeigt (vgl. Kap. 2). Im Folgenden werde ich die mit den Gruppendiskussionen verbundene Frage und Theorie (3.4.1), die praktische Durchführung (3.4.2) und die Interpretation (3.4.3) unter Bezugnahme auf die Methodologie von Ralf Bohnsack erläutern. 3.4.1 Frage: symbolische Gewalt oder kollektive Kraft? Ausgangspunkt für die Durchführung der Gruppendiskussionen war eine Skepsis gegenüber der zugrunde gelegten Theorie, dass »die Bewerteten« (und potenziell Deklassifizierten) tatsächlich die Willkür verkennen, die sie zu dem macht, was sie vermeintlich sind, so dass sie als Komplizen ihrer Unterdrückung betrachtet werden müssen. Es widerstrebte mir, dies unhinterfragt anzunehmen (vgl. Kap. 2). Zum einen gehörte die Theorie der symbolischen Gewalt zu den zentralen Erkenntniswerkzeugen, die für meine Perspektive unabdingbar sind. Zum anderen hoffte ich gewissermaßen, dass ich nicht ausschließlich Verkennung der Gewalt im Feld finden würde. Den Gruppendiskussionen kommt für die Auseinandersetzung und den Umgang mit dieser Ambivalenz eine besondere Bedeutung zu. Nach Bohnsack sind Gruppendiskussionen besonders gut dazu eignet „kollektive Orientierungsmuster“ herauszuarbeiten (z. B. Bohnsack 1989: 379, 2012: 374). Seine Beschäftigung mit dem Gruppendiskussionsverfahren schließt an die Arbeiten von Werner Mangold an und setzt sich vor allem vom interpretativen Paradigma ab. Im Rahmen dessen wird angenommen, dass eine Gruppe in einer spezifischen Diskussions-Situation aushandelt, was die kollektive Meinung oder Einstellung der
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Gruppe ist. In Anlehnung an die Wissenssoziologie Karl Mannheims und insbesondere dessen Konzept des „konjunktiven Erfahrungsraums“ hat Bohnsack (1989) die von ihm durchgeführten Gruppendiskussionen mit Jugendlichen theoretisch und methodologisch neu eingebettet. Mit dem konjunktiven Erfahrungsraum ist eine „gesamtexistenzielle Beziehung“ gemeint, aus der eine geteilte und unhinterfragte Erkenntnis „aufsteigt“ (Mannheim 1980: 214). In dem Diskurs einer Gruppe bildet sich demzufolge nicht erst ein Kollektiv, sondern aktualisiert sich der konjunktive Erfahrungsraum, der von der Situation unabhängig besteht. „Die Gruppe ist somit nicht der soziale Ort der Genese und Emergenz, sondern derjenige der Artikulation und Repräsentation […] kollektiver Erlebnisschichtung.“ (Bohnsack 2012: 378, Herv. i. O.)
Demzufolge »existiert« ein Kollektiv, wenn es in einer beobachteten Gruppendiskussion als solches hervorgebracht wird, auch vor und nach bzw. unabhängig von dem Diskurs, der von der Forscherin als solcher beobachtet und ausgewertet wird. Meine Überlegung war nun, dass sich in der Durchführung von Gruppendiskussionen mit Auslandsqualifizierten zeigen wird, ob es sich um eine Gruppe mit einem geteilten konjunktiven Erfahrungsraum handelt, der ein kollektives Orientierungsmuster gemeinsam ist. In der Methodenliteratur wird die Frage aufgeworfen, ob Gruppendiskussionen nur mit „Realgruppen“ oder auch mit „künstlich zusammengestellte[n] Gruppen“ geführt werden können (Loos/Schäffer 2001: 43). Dies wird im Hinblick auf die Frage nach der methodologisch notwendigen Herstellung von Selbstläufigkeit, das Ziel einer Annäherung an die Alltagskommunikation mit möglichst geringer Intervention der Forscherin, diskutiert (ebd.). Wenn eine Gruppe auch jenseits der durchgeführten Gruppendiskussion als Gruppe besteht, könne man davon ausgehen, dass sich Selbstläufigkeit herstellen lässt. Im Fall von „künstlich zusammengestellte[n] Gruppen“ ist es im Grunde eine offene Frage, ob sich die von der Forscherin angenommene gemeinsame Erfahrungsbasis bestätigt, indem eine selbstläufige Diskussion zustande kommt oder eben nicht (ebd. 45). Bohnsack betont im Anschluss an Mannheim, dass es auf die „Strukturidentität des Erlebten“ (1989: 379) ankommt, während es nicht ausschlaggebend sei, ob die Erfahrungen gemeinsam gemacht wurden. Nach den Erfahrungen von Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr (2010: 109) würde es sich vor allem dann empfehlen, eine Gruppendiskussion mit Personen zu führen, die einander nicht kennen, wenn spezifische existenzielle Erfahrungen für das Erkenntnisinteresse ausschlaggebend sind. »Realgruppen«, die sich allein aufgrund ihrer Erfahrungen im Ausland qualifiziert und in Deutschland nicht anerkannt zu sein, zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben, sind mir (bisher) nicht bekannt. In der Regel ist dies ein Interesse neben anderen, zum Beispiel herkunftsbezogenen Interessen, die zum
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Zusammenschluss führen. Mir ging es jedoch darum, mich nicht in ethnischen Klassifikationen zu bewegen. Während der Explorationsphase habe ich eine Gruppendiskussion mit einer Gruppe in Düsseldorf geführt, die eine »Realgruppe« in dem Sinne war, dass sie gemeinsam einen Sprachkurs besuchte. Eine selbstläufige Diskussion war zustande gekommen. Die Diskussion ihrer Erfahrungen mit der Anerkennung ihrer Qualifikationen in Deutschland stand jedoch durchgehend auch in einem Bezug zu der gemeinsamen Erfahrungsbasis »Deutsch lernen«. Um diese Form der Überschneidung von Erfahrungsräumen zu vermeiden, habe ich mich dafür entschieden, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer Gruppendiskussion einzuladen, die sich nicht kannten. Ich wollte herausfinden, ob allein auf Basis von Erfahrungen mit der »Anerkennung einer Qualifikation in Deutschland« eine selbstläufige Diskussion zustande kommt. Wenn dies der Fall ist, dann würde das nach Bohnsacks Methodologie für die Existenz eines Kollektivs (auch jenseits der Situation, in der die Diskussion stattfindet) sprechen. Ich könnte dann davon ausgehen, dass Auslandsqualifizierte eine relevante kollektive Kraft in dem von mir betrachteten Feld sind. In den Worten Bourdieus könnte ich sie dann als eine »mobilisierte Klasse« betrachten, die mit der und um die symbolische Macht ringt. Die Gruppendiskussionen stellten damit für mich eine Form der Kontrolle meiner Annahmen und Interpretationen dar. Sofern sich in den Gruppendiskussionen kollektive Orientierungsmuster beobachten lassen, die ähnliche Klassifikationsschemata implizieren, wie sie die staatliche Bewertungspraxis kennzeichnen, würde dies für symbolische Gewalt sprechen. Diejenigen, die durch den Staat bewertet werden, wären dann Komplizen ihrer eigenen Unterdrückung, weil sie die Klassifikationen als »normal« und »richtig« wahrnehmen. Wenn sich in den Gruppendiskussionen jedoch kollektive Orientierungsmuster beobachten lassen, die es in Frage stellen, dass sie zu Anderen, zu Ungleichen und zu Ungleichwertigen gemacht werden, würde dies dafür sprechen, dass die damit verbundene symbolische Gewalt bereits brüchig ist. Selbst wenn kollektive Orientierungsmuster nur in dem Diskurs einer Gruppe hervorgebracht werden, wäre es ein Hinweis darauf, dass Auslandsqualifizierte keine stillschweigenden Komplizen, sondern eine kollektive, verändernde Kraft in dem betrachteten Feld sind. 3.4.2 Durchführung: Gruppenbildung und Selbstläufigkeit Im Mai 2012 habe ich zwei Gruppendiskussionen, eine in Hannover und eine in Berlin durchgeführt. Die Herstellung von Selbstläufigkeit gelang überraschend mühelos. In diesem Abschnitt gehe ich zuerst darauf ein, wie ich die Teilnehmerinnen
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und Teilnehmer ausgewählt habe. Dann schildere ich, wie ich bei der Interviewführung vorgegangen bin.3 Auswahl der Teilnehmenden Zunächst habe ich eine Suchanzeige entworfen, die Menschen ansprach, die »ihren Berufsabschluss in irgendeinem anderen Land als Deutschland« gemacht haben. Obwohl ich mich darum bemüht habe, die Einladung offen, einladend, mehrsprachig und wenig ausschließend zu gestalten, kamen offensichtlich Selektionseffekte zustande. Ich erreichte überwiegend akademisch Gebildete und wissenschaftlich Interessierte, was damit zusammenhängen mag, dass ich das Wort »Doktorarbeit« erwähnte. Auch meldeten sich überwiegend Menschen, die eine der Sprachen sprechen, die ich abgedruckt hatte. Als problematisch stellte sich durch die Übersetzung und die Nachfragen heraus, dass bereits der Begriff »Berufsabschluss« in der deutschen Sprache unterschiedlich verstanden werden kann und sich dieses Problem bei Übersetzung in mehrere andere Sprachen potenzierte. Die Anzeige enthielt zwei Termine an Samstagnachmittagen, an denen die Diskussionen stattfinden würden. Der Ort der Veranstaltungen wurde erst später bekannt gegeben.4 Eine Aufwandsentschädigung wurde angeboten. Die Suchanzeige habe ich etwa zwei Monate vor den genannten Terminen an Institutionen, wie Beratungs- und Weiterbildungseinrichtungen, Sprachschulen, Vereine, Verbände etc. in Hannover/Niedersachsen und Berlin/Brandenburg per EMail geschickt (Berlin: 264; Hannover: 81) und um Weiterleitung bzw. Verbreitung per Aushang gebeten. Die E-Mail-Adressen hatte ich überwiegend im Internet recherchiert. Sehr viele der dadurch erreichten Personen und Institutionen waren sehr entgegenkommend. Zum Teil bekam ich auch Hilfsangebote, mich bei der Organisation der Gruppendiskussionen zu unterstützen. Zum Teil erreichte ich Multiplikatoren, die auswählen wollten, wen sie gezielt ansprachen. Ich bekam viele Rückfragen, wen ich denn nun genau suchen würde oder ob ich diese und jene Einschränkungen oder Besonderheiten bedacht hätte, wenn ich mit der Zielgruppe sprechen wolle. In einer E-Mail-Antwort vom 2.3.2012 heißt es „geht es Ihnen um Migranten, Flüchtlinge, Aussiedler, die vor Ihrer Einreise nach Deutschland im Herkunfts-
3
Das Lehrbuch von Aglaja Przyborksi und Monika Wohlrab-Sahr (2010: 67 ff.) war auch hier besonders hilfreich bei der Anregung, Abwägung und Reflexion der einzelnen Schritte und ihrer Kommunikation.
4
Die Auswahl der Räumlichkeiten in Berlin und Hannover erfolgte sehr pragmatisch, was für mich günstig und unkompliziert zu bekommen war. Die Gruppe Berlin diskutierte letztlich in einer räumlich sehr viel sterileren Atmosphäre als die Gruppe Hannover, was ich auch in der Dynamik der Diskussion zu erkennen meine (vgl. 4.1 und 4.5).
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land ihren Berufsabschluss gemacht haben oder um in Deutschland Lebende, die für ihre berufliche Ausbildung ins Ausland gegangen sind? Was ist das Ziel Ihrer Untersuchung?“ Nachdem ich mitgeteilt hatte, dass ich diese Kategorien nicht zugrunde legen würde und alle herzlich eingeladen sind, von ihren Erfahrungen zu berichten, bekam ich die Antwort, dass die Erfahrungen jedoch von genau diesen und weiteren aufgezählten Kategorien abhängen werden. Nicht unterscheiden zu wollen, sondern offen zu sein für die, die sich auf die Anzeige melden, und für das, was sie zu sagen haben, kam mitunter naiv bis ignorant an. Mit 41 interessierten Personen hatte ich im Vorfeld der Termine telefonisch oder per E-Mail Kontakt (Berlin: 25; Hannover: 16). Ich notierte mir die Kontaktdaten und die biografischen Details, die ich erzählt bekam und kündigte an, wann ich mich wieder melden würde. Teilweise kontaktierten mich Menschen, die sich sowohl persönlich angesprochen fühlten als auch in Beratungsstellen arbeiteten und quasi als Fortbildungsmaßnahme teilnehmen wollten. Sofern ich in dem Gespräch davon erfuhr, habe ich erklärt, dass ich dies nicht werde leisten können. Zudem wäre dies gegenüber den anderen Teilnehmerinnen von Vorneherein eine ungleiche Ausgangslage. Ursprünglich waren sechs bis acht Teilnehmende je Diskussion geplant. Da ich Absagen vermeiden wollte, habe ich aufgrund der vielen Interessierten die Anzahl auf bis zu 10 erhöht. Letztlich haben jene teilgenommen, die sich eher früher als später gemeldet haben und ihre Verfügbarkeit über mehrere Wochen aufrechterhielten. In Berlin waren es 9 und in Hannover 10 Teilnehmende. Vor dem Termin erhielten alle eine Einladung mit »Hintergrundinformationen« zu den Zielen und dem Ablauf sowie die Ankündigung der Aufnahme, Transkription und Anonymisierung der Daten. Ich kannte keinen der Teilnehmenden vor der Durchführung der Gruppendiskussionen. Auch untereinander waren sie sich meines Wissens noch nicht begegnet. In beiden Gruppen waren Männer mit einer Anzahl von jeweils zwei in der Minderheit. In jeder Gruppe war letztlich jeweils eine Teilnehmerin, deren (zusätzliche) professionelle oder ehrenamtliche Beratungstätigkeit zu diesem Thema erst in der Gruppendiskussion zur Sprache kam. Eine systematische Darstellung der jeweiligen Bildungs-, Berufs- und Migrationswege ist an dieser Stelle inhaltlich nicht erheblich und würde die Anonymität der Teilnehmenden zu sehr gefährden. Ablauf der Gruppendiskussionen Da es in Bezug auf die Fragestellung, die ich an die Gruppendiskussionen herantrug, besonders relevant war, ob sie sich selbstläufig entwickelten oder nicht, habe ich mir im Vorfeld überlegt, wie ich mich als Organisatorin der Veranstaltung verhalten werde (Pryzborski/Wohlrab-Sahr 2010: 109 ff.). Wie konnte ich einander fremde Menschen dazu bringen, miteinander zu reden, ohne dass ich mitrede und dadurch die Interaktion steuere? Zudem sollte die Diskussion so geordnet ablaufen,
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dass sich nachher ein auswertbares Transkript herstellen lässt. In der Literatur finden sich einige theoretisch begründete Hinweise zum Interviewerverhalten in Gruppendiskussionen: 1. Interventionen immer an die ganze Gruppe, keine Sprechaufforderung an einzelne, 2. Zurückhaltung, keine Teilnehmerrolle 3. Themenvorschläge ohne themenbezogenen Orientierungsrahmen, 4. demonstrierte Vagheit, methodisch reflektierte Fremdheit, 5. Anstoßen detailreicher Darstellungen durch Fragereihungen (hier in Anlehnung an Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 109 ff., ähnlich strukturiert und formuliert in Bohnsack 2012: 380 ff., Loos/Schäffer 2001: 51 ff.). Die konkreten Ratschläge zur Durchführung einer Gruppendiskussion reichten mir jedoch nicht im Sinne einer verlässlichen Anleitung. Zur Lösung dieses Problems habe ich im Bekanntenkreis professionelle Hilfe gesucht und gefunden.5 Im Dialog entwickelten wir eine Methode, die aus meiner Sicht mit den Anforderungen der Dokumentarischen Methode übereinstimmte. Der Grundgedanke war, dass ich – wenn nötig – die Kommunikation durch einige wenige Strukturelemente steuere, aber keine inhaltlichen Inputs in die Diskussion gebe. Das Ganze musste ohne Training und Generalprobe funktionieren. So entstand ein Konzept, das in beiden Gruppen überraschend einfach eine Diskussion in Schwung brachte (was jedoch auch einfach daran gelegen haben kann, dass sich die Teilnehmenden viel zu sagen hatten). Insgesamt waren pro Gruppendiskussion drei Stunden eingeplant und wurden auch benötigt: 1. Eingangsphase (»Joining«) In der Eingangsphase geht es um die Auflockerung der Atmosphäre. Ich begrüße die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, führe etwas Small Talk, biete Getränke/Snacks an und bitte sie ein Namensschild zu schreiben. Anspracheregel (duzen/siezen) wird geklärt. 2. Begrüßung und Vorstellungsrunde (ca. 45 Minuten) Die Begrüßung und die Vorstellungsrunde dienen dem gegenseitigen Kennenlernen als Voraussetzung dafür, dass später eine Diskussion entstehen kann. Ich stelle mich vor, erläutere mein Interesse an ihren Erfahrungen und meine bewusst zurückhaltende Rolle, weise auf die Tonbandaufnahme der Diskussion hin und frage nach, ob es dazu noch Fragen gibt. Ich erkläre »Regeln« für die Vorstellungsrunde.
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Mein Dank gilt an dieser Stelle Edeltrud Freitag-Becker, die als ausgebildete Sozialpädagogin, Supervisorin und Unternehmensberaterin jahrzehntelange Erfahrung mit verschiedenen Gruppen und Gruppenmethoden hat.
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Durch die Benennung dieser Regeln ermögliche ich die Selbstorganisation der Gruppe und mir den Rückzug in die Rolle einer Beobachterin. In der Mitte liegt ein Gegenstand (hier: Knet-Ball), den man sich nehmen kann, wenn man etwas sagen möchte. Wenn man nicht mehr reden möchte, legt man ihn wieder in die Mitte. Es ist nicht wichtig, wer anfängt und in welcher Reihenfolge weiter gemacht wird. Die Fragen für die Vorstellungsrunde lauten »Wer bist Du und warum bist Du hier? Welche Gedanken, Erfahrungen, Geschichten hast Du mitgebracht?« 3. Vorgespräche in Kleingruppen (ca. 45 Minuten) Nach Beendigung der Vorstellungsrunde bitte ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, auf einem Plakat aufzuschreiben: »Was möchtest Du die anderen noch fragen? Was möchtest Du den anderen noch erzählen?« Die Plakate werden im Raum aufgehängt und können während einer 10-minütigen Pause angeguckt werden. Sie dienen dazu, das Interesse aneinander und die denkbaren Bezugnahmen untereinander zu verdichten. Ausgehend davon sollen Kleingruppen gebildet werden, die sich untereinander austauschen. Dies verfolgt das Ziel, sich erst mal in einem kleineren Kreis zu finden und »warm« zu werden. Die Gespräche in Kleingruppen werden nicht auf Tonband aufgenommen. 4. Gruppengespräch (ca. 1 Stunde) Das Gruppengespräch im Plenum ist der Hauptbestandteil der Diskussion, von dem Selbstläufigkeit und interaktive Dichte erwartet werden. Die vorausgegangen Teile sind im Grunde nur dazu konzipiert, diesen Teil vorzubereiten. Die Diskussion folgt wieder der Regel mit dem Gegenstand (»Knet-Ball«) aus der Vorstellungsrunde, sodass ich als Interviewerin nicht eingreifen muss. Die Aufgabenstellung lautet lediglich, darzustellen, worüber in den Kleingruppen gesprochen wurde. 5. Abschlussrunde (ca. 15 Minuten) Ich bedanke mich und gebe ein Feedback. Ich bitte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch um ihr Feedback. Außerdem frage ich, womit ich behilflich sein könnte und weise auf einen ausgelegten Zettel hin, auf dem die mir bekannten Adressen von Beratungsinstitutionen und Informationsportalen etc. notiert sind. Ich frage die Gruppe, ob der Wunsch besteht, untereinander Kontaktadressen auszutauschen und ob ich meine Liste weiterleiten darf/soll. Zum Abschluss folgt Organisatorisches.
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Dieser idealtypische Ablauf wurde in der ersten Gruppendiskussion (Berlin) in dieser Form eingehalten und die Diskussion entwickelte sich wie geplant. Die zweite Gruppendiskussion (Hannover) wurde bereits in der Eingangsphase selbstläufig und setzte sich so auch in der Begrüßungsrunde fort. Während der Vorstellungen der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde bereits aufeinander Bezug genommen. Die Kleingruppengespräche fanden nicht statt, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kundtaten lieber in großer Runde weiter diskutieren zu wollen. Ich konnte mich die meiste Zeit sehr gut auf eine Beobachterrolle zurückziehen, vermutlich hätte ich den Raum auch zwischendurch verlassen können. Statt mich um Selbstläufigkeit zu sorgen, fragte ich mich währenddessen vor allem, ob sich das aufgeregte Durcheinander noch transkribieren lassen wird. Einmal habe ich eine Pause eingeläutet, in der Hoffnung danach wieder etwas geordneter fortsetzen zu können. Die Diskussion wurde dann in kleineren Runden im Stehen fortgesetzt und war anschließend in der großen Runde schnell wieder in vollem Gange. Die Dynamik hat mich in jeder Hinsicht überrascht. An einigen Stellen ist die Transkription in der Tat nicht möglich gewesen.6 3.4.3 Interpretation: Fokussierungsmetaphern In diesem Abschnitt lege ich dar, wie ich die beiden Gruppendiskussionen interpretiert habe. Die kollektiven Orientierungsmuster einer Gruppe dokumentieren sich nach Bohnsack vor allem in sogenannten „Fokussierungsmetaphern“ (bspw. 1989: 384): „Ein übereinstimmendes, wechselseitiges unmittelbares Erfassen seelischer Gehalte, ein „Mitschwingen“ findet im Diskurs in der dramaturgischen Steigerung, in dramaturgischen Höhepunkten seinen Ausdruck, die wir dann in ihrer indikatorischen Qualität als Hinweise auf Gemeinsamkeiten des existenziellen Hintergrunds nehmen.“ (ebd.)
Fokussierungsmetaphern lassen sich dadurch erkennen, dass nicht nur das, was gesagt wird, besonders dicht und detailreich ist. Insbesondere sind sie dort zu finden, wo sich in der „interaktive[n] Bezugnahme [eine] besondere Dichte und Intensität zeigt“ (ebd.). Auch nonverbale dramaturgische Höhepunkte, wie z. B. das gemeinsame Lachen, verweisen auf einen geteilten Fokus der Gruppe. In ihm dokumentiert
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Siehe Abschnitt 3.5.4 zum Thema Transkription und Anonymisierung. Was für die Experteninterviews gilt, gilt auch für die Gruppendiskussionen. Die Namen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden durch selbst gewählte Ersatznamen ersetzt, sofern ich einen genannt bekam. In den übrigen Fällen habe ich einen Ersatznamen ausgesucht und mich dabei an den statistisch häufigsten Vornamen im Jahr 2012 orientiert.
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sich das geteilte implizite Wissen und damit die Sinn-Ebene der konjunktiven Erfahrung (nach Karl Mannheim). Es ist das erfahrungsbasierte und seinsverbundene Wissen, welches die Diskutanten unausgesprochen miteinander teilen, ohne dass sie sich näher darüber austauschen müssten. Bei der Interpretation der Gruppendiskussionen mithilfe der Dokumentarischen Methode erwiesen sich zwei Erkenntnisse als relevant für mein weiteres Vorgehen: a) ich konnte ohne Weiteres in beiden Gruppendiskussionen mehrere Fokussierungsmetaphern identifizieren, in denen sich der geteilte existenzielle Hintergrund zeigte; b) die dokumentierten kollektiven Orientierungsmuster wiesen über meine Gegenstandskonstruktion weit hinaus. Es zeigten sich Widerstand und Auseinandersetzung mit der symbolischen Gewalt, die zwar auch, aber nicht nur in dem formalen Akt des Bewertungsverfahrens gesehen wurde. Die Gewalt wurde in den Gruppendiskussionen quasi überall, in den Köpfen der »Deutschen«, der »Verwaltung«, »der Politik«, »der Hochschulen«, »der Medien«, des »Jobcenters« etc. lokalisiert und als »Benachteiligung«, »Diskriminierung« und »Rassismus« benannt. Die durch staatliche Institutionen durchgeführten Bewertungen erwiesen sich als zentraler Kristallisationspunkt der Wut und Enttäuschung, aber auch der Hoffnung auf Veränderungen. Es war in beiden Gruppen dennoch sehr deutlich, dass sie von dem Bewertungsverfahren allein, das heißt einer offiziellen Anerkennung durch staatliche Stellen, kein Ende ihrer Kämpfe um Anerkennung erwarteten. Dieses Orientierungsmuster schließt auch mich und meine Perspektive auf den Gegenstand ein. Die Gruppendiskussionen erklären die Relevanz des Gegenstands und begrenzen sie gleichermaßen. Das eigentliche Thema ist ein größeres Thema. Vor diesem Hintergrund habe ich mich entschieden, die Gruppendiskussionen anders zu verwenden, als ich es ursprünglich geplant hatte. Ich verwende sie nun, um sie als »Anerkennungsdebatten« in Kontrast zu den »Anerkennungsdebatten«, die die deutschen Institutionen bewegen, darzulegen (vgl. Kap. 4). Ich führe damit in die Diskussion darüber ein, aus welchen Gründen es für wen relevant sein kann, Bewertungsverfahren durchzuführen. Dabei verbleibe ich jedoch überwiegend auf der Ebene des Mannheimschen kommunikativen Wissens. Erst in Kapitel 5 geht es dann anhand der Experteninterviews um das Wie und damit die Genese der Bewertungen selbst. Um die Authentizität der Diskursverläufe zu erhalten, werde ich meine Interpretationen sparsam und die Transkript-Auszüge großzügig abdrucken. Die Kernaussage meiner Interpretation der Gruppendiskussionen ist, dass sich darin die Formation eines kollektiven Widerstands zeigt. Während es in der Gruppe Berlin als kontroverse Frage im Raum stand, ob man gemeinsam gegen Abwertungen ankämpfen solle, zeigt sich diese Formation in der Gruppe Hannover sehr offensichtlich. Die Gruppen repräsentieren sicherlich nicht alle Auslandsqualifizierten. Es handelt sich vermutlich eher um eine (politisierte) Avantgarde, die über eine besondere Kapitalausstattung, z. B. inkorporiertes kulturelles sowie soziales Kapital, verfügt. Allein die Bereitschaft, an einer Gruppendiskussion unter diesen Vo-
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raussetzungen teilzunehmen, führte zu diesem Selektionseffekt. Die meisten Teilnehmenden hatten »hohe« Bildungsabschlüsse in ihren jeweiligen Ausbildungsstaaten erworben. Unter den genannten methodologischen Voraussetzungen habe ich einem real existierenden kollektiven Widerstand einen Raum gegeben, sich zu artikulieren und ihn nicht als solchen hervorgebracht. Wahrscheinlich ist, dass der konjunktive Erfahrungsraum auch eine größere Gruppe verbindet. Widerständig ist eine Avantgarde, von denen einige für dieses Projekt zusammengekommen sind. Sie setzen sich mit der »Gewalt des kollektiven Besserwissens« sehr intensiv auseinander, können sich ihr jedoch nicht entziehen. Sie müssen sich mitunter gegenseitig versichern, dass sie es sind, die es besser wissen (vgl. 4.1. und 4.5).
3.5 N ARRATIV
FUNDIERTE
ZUSTÄNDIGEN
E XPERTINNENINTERVIEWS
IN
S TELLEN
Die Kernerhebung besteht in der Durchführung von narrativ fundierten Expertinneninterviews in ausgewählten deutschen Behörden und Kammern, welche Anträge auf Anerkennung ausländischer Qualifikationen bearbeiten. 18 Interviews, die im Frühjahr 2012 und im Frühjahr/Sommer 2013 geführt wurden, sind mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet worden. Der folgende Abschnitt begründet die Entscheidung für Experteninterviews (3.5.1), den Selektionsprozess (3.5.2), die Interviewführung (3.5.3) sowie die Transkription und Anonymisierung (3.5.4). 3.5.1 Instrument: Experteninterviews Am Anfang stand nicht die Entscheidung für ein Erhebungsinstrument, sondern das Interesse an den Praktiken der »Anerkennungsstellen«. Den Begriff »Experteninterview« habe ich deshalb zunächst auch vor allem verwendet, um über eine allseits bekannte und anerkannte Bezeichnung für Interview-Anfragen zu verfügen. Sie macht zumindest unmittelbar deutlich, dass mich die Zielpersonen vor allem „aufgrund ihres speziellen Status und nicht als Privatperson“ (Helfferich 2011: 163) interessieren. Dies hielt ich für die Ansprache und Erklärung, warum ich ein Interview führen möchte, für notwendig. Ich habe mich erst anschließend damit auseinandergesetzt, was es für die Durchführung und Interpretation der Interviews bedeutet, diesen Begriff verwendet zu haben. Bevor ich auf den Begriff »Expertin« und das »Experteninterview« eingehe, möchte ich kurz erläutern, warum ich mich für Interviews statt für eine (teilnehmende) Beobachtung der Bewertungspraxis entschieden habe. Diese Frage bekam ich während des Forschungsprozesses häufig von anderen Sozialwissenschaftlerinnen gestellt. Hinter der Frage steht aus meiner Sicht die Vorstellung, dass jemand
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mit seinen Unterlagen eine »Anerkennungsstelle« betritt und mit einem offiziellen Bescheid wieder verlässt oder alternativ, dass ein Antrag bei einer »Anerkennungsstelle« eingeht, auf einen Stapel mit anderen Anträgen gelegt wird und diese dann nacheinander abgearbeitet werden. Wie mir bereits erste Feldexplorationen gezeigt haben, ist eine solche Vorstellung sehr selten zutreffend. Eine face-to-faceInteraktion vor Ort findet nicht grundsätzlich statt, was zum Teil auch auf die Entfernungen in größeren Bundesländern zurückzuführen ist. Selbst wenn eine Begegnung stattfindet, zieht sich das Verfahren vom ersten Kontakt bis zum Bescheid meist über mehrere Monate und zum Teil auch Jahre, während weitere Unterlagen beschafft werden. Eine teilnehmende Beobachtung hätte als zeitintensive Langzeiterhebung konzipiert sein müssen, um allein die Bewertung eines Antragfalls abschließend protokollieren zu können. Doch das ist nicht der einzige Grund. Ich habe auch bezweifelt, dass sich die »Anerkennungssuchenden« ohne Weiteres bereit erklärt hätten, während eines für sie relevanten Besuchs in einer Behörde durch mich beobachtet zu werden. Ebenso fraglich betrachtete ich die Chance einer Einwilligung durch die Mitarbeiterinnen und ihre Behördenleitungen. Der Großteil der Arbeit besteht in einer »Schreibtischprüfung« im stillen Kämmerlein. Würde mich eine Soziologin fragen, ob sie mich beim Arbeiten an meinem Schreibtisch tagelang beobachten dürfe, würde ich ihr ziemlich sicher absagen. An den methodologischen Prämissen meiner Interviews habe ich die Interviewten nicht teilhaben lassen. Ich interessierte mich schließlich vor allem für ihr implizites Wissen, von dem ihnen nicht bewusst ist, dass sie es wissen. Um dieses Wissen rekonstruieren zu können, müssen die Interviewten möglichst selbstläufige Erzählungen und Beschreibungen generieren (bspw. Bohnsack 2010b, Nohl 2009, Nohl/Radvan 2010). Eine Aufklärung über das Interesse an impliziten Bedeutungsgehalten, hätte aus meiner Sicht eher Vertrauen reduziert und dem Interview generell oder zumindest der Herstellung von Selbstläufigkeit im Wege gestanden. Durch die Verschleierung meiner Analyse-Absicht spiele ich gewissermaßen meine »symbolische Macht« voll aus. Darin sehe ich einen entscheidenden Konflikt zwischen ethischen und methodischen Prinzipien. Unter ungleichen Voraussetzungen wurde letztlich zwischen mir und meinen Interviewten in der Interaktion ausgehandelt, was ihr »Wissen« oder ihre »Expertise« ist und inwiefern und wofür sie »Experten« sind. Mir kommt die Rolle zu, sie zu bewerten (statt umgekehrt). Diese Auseinandersetzungen zeigen sich bei der Rekonstruktion der »Handlungskompetenzen« besonders deutlich (vgl. 5.3). Das »Experteninterview« ist grundsätzlich keine Methode, die ein bestimmtes Vorgehen im Forschungsprozess eindeutig und verallgemeinernd beschreiben könnte. Es wird unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen verwendet (Bogner/Littig/Menz 2002). Unter anderem wurde bereits argumentiert, dass die Verwendung des Begriffs »Methode« nicht gerechtfertigt sei (Kassner/Wassermann 2002) und dass „ein Regelkanon für die Durchführung und Auswertung von Exper-
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teninterviews“ (Deeke 1995: 7) nicht das Ziel der Reflexion über »Experteninterviews« sein darf. Einigkeit besteht weitestgehend dahin, dass begründet und reflektiert werden muss, wie und unter welchen Prämissen Expertinneninterviews in einem bestimmten Projekt durchgeführt werden. Mit der Verwendung der Bezeichnung geht in jedem Fall eine Zuschreibung von besonderem Wissen und besonderer Relevanz einher, die expliziert werden muss. Entscheidend ist in meinem Fall auch: Welches Wissen und welche Relevanz habe ich im Vorfeld der Erhebung angenommen und welches Wissen und welche Relevanz nehme ich im Nachhinein an? Die methodologische Reflexion von Expertinneninterviews wurde von Michael Meuser und Ulrike Nagel (2002) und ihrem ursprünglich 1991 veröffentlichten und viel zitierten Aufsatz „ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht“ angestoßen. „Expertin ist ein relationaler Status“ (ebd.: 73) schreiben sie, der „in gewisser Weise vom Forscher verliehen [wird], begrenzt auf eine spezifische Fragestellung“ (ebd.). Sie unterscheiden zwischen einem Forschungsinteresse an Expertinnen als Trägerinnen von „Betriebswissen“ (ebd.: 76) im Gegensatz zu einem Interesse an ihrem „Kontextwissen“ (ebd.). Letzteres ist das, was allgemein als »Sachverstand« in Bezug auf einen Gegenstand verstanden wird. Meine Kernerhebung zielte auf das „Betriebswissen“ der Mitarbeiter in den »Anerkennungsstellen« ab. Ich habe nicht erwartet, meine Forschungsfrage von ihnen beantwortet zu bekommen. Stattdessen ging es mir um ihr Erfahrungswissen, das sie im Rahmen ihrer institutionellen Bewertungspraxis gesammelt haben. Meuser und Nagel betonen, dass es sich um eine forschungslogisch begründete Klassifikation handelt, die in der thematisch strukturierten Interviewsituation für die Interviewten unerheblich ist (ebd.: 76). Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr (2010: 133 ff.) weisen darauf hin, dass diese analytischen Wissenskategorien in Experteninterviews verschränkt auftreten und dass zum Beispiel in dem Konzept des Betriebswissens nicht nur das Wissen um praktizierte Abläufe, sondern auch Deutungsmacht beanspruchendes Wissen über »geeignete« Abläufe impliziert ist. Relevant sind diese analytischen Kategorien vor allem im Hinblick auf die Forschungsziele. Das Ziel der »Theoriebildung«, wie es meinem Vorhaben zugrunde liegt, wird im Gegensatz zum Ziel der Exploration oder Systematisierung von Informationen nicht zwangsläufig mit »Experteninterviews« verbunden (Bogner/Menz 2002: 38). Das mag daran liegen, dass wir es nicht gewohnt sind, als »Expertenwissen« deklariertes Wissen reflektierend zu hinterfragen. Die Anschlussfähigkeit von »Experteninterviews« an die praxeologische Wissenssoziologie und die Dokumentarische Methode, wurde von Arnd-Michael Nohl und Heike Radvan (2010) begründet. Sie stützen sich anknüpfend an Meuser und Nagel (2002) auf das Interesse der Forscherin an dem »Betriebswissen« der handlungspraktisch involvierten Beforschten:
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„Wir wollen deshalb den Begriff des Experteninterviews auf Interviews beziehen, die von ihrer Fragestellung her auf ein handlungspraktisches und theoretisches Erfahrungswissen (Expertise) im Rahmen von Mitgliedsrollen in Organisationen zielen.“ (Nohl/Radvan 2010: 159)
Bogner/Menz (2002), die ebenfalls einen rekonstruktiven Forschungsansatz für das „theoriegenerierende Experteninterview“ begründen, grenzen sich von der Interpretation eines besonderen Wissens von Experten ab. Nicht die (erwartete) Besonderheit des Wissens mache jemanden zur Expertin oder zum Experten. Stattdessen sprechen sie von dem Auswahlkriterium der „Wirkmächtigkeit“ des Expertinnenwissens (ebd.: 45), „weil es in besonderem Maße praxisrelevant wird“ (ebd.) und sie „die Handlungsbedingungen anderer Akteure in entscheidender Weise (mit-) strukturieren“ (ebd.). Diese Begründung für die Durchführung von Experteninterviews könnte ich für meine Erhebung ebenfalls in Anspruch nehmen. Allerdings handelt es sich dabei zunächst einmal nur um eine Erwartung. Inwiefern eine Wirkmächtigkeit des Expertenwissens tatsächlich gegeben ist, darauf weisen Nohl und Radvan (2010: 159) ebenfalls hin, kann ebenso wie die Passung des Expertenwissens zur Forschungsfrage erst im Nachhinein beurteilt werden. Nach meiner Lesart gehen Bogner/Menz (2002) davon aus, dass sozialrepräsentative Personen grundsätzlich über praxisrelevante Deutungsmacht verfügen. Gleichzeitig schließen sie die Möglichkeit eines Forschungsinteresses an »Expertinnen«, die keine sozial-repräsentative Funktion haben, weitestgehend aus. Die Interviewten werden in ihren Augen nicht erst durch den Forscher, sondern bereits von der Gesellschaft zu »Experten« gemacht: „Er [der Forscher, I.S.] greift in der Regel auf jene Leute zurück, die sich zum einschlägigen Thema in der Fachliteratur einen Namen gemacht haben, die in entsprechenden Verbänden und Organisationen arbeiten und mit prestigeträchtigen Positionen und Titeln dekoriert sind, weil damit eine gewisse Gewähr verbunden ist, dass es diese Experten sind, die 'wirklich' einen forschungsrelevanten Wissensbestand aufweisen.“ (Bogner/Menz 2002: 41)
Die Reflexion solcher Mechanismen kann meines Erachtens nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass Bogner und Menz die Deutungsmacht von Menschen, die keine herausragenden Positionen bekleiden, unterschätzen. Dazu unterschätzen sie die Fähigkeit von Forscherinnen, diese Verkennung zu erkennen oder zu erahnen, in demselben Gedankengang gleich mit. In Schulen und Kindertagesstätten zum Beispiel finden sich »Expertinnen«, deren (implizites) Wissen im Zusammenhang mit Forschungsfragen nach sozialer Klassifikation, Selektion und Reproduktion sicherlich forschungsrelevant ist, ohne dass man ihre Position als »dekorativ« bezeichnen könnte (vgl. den Begriff der »streetlevel bureaucrats« (Lipsky 2010; Kap. 2). Die von Meuser und Nagel (2002) angestoßene methodologische Auseinandersetzung mit Expertinneninterviews knüpfte
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auch an Meusers Untersuchung (1989) zur Frauenförderung im öffentlichen Dienst an. Die Interviewpartner waren nicht die politischen Repräsentanten, sondern Personalchefs und Verwaltungsleiter, die sie als Verkörperung der „Schaltstellen der Macht“ (Meuser/Nagel 2002: 74) sehen. Letztlich möchte ich mich Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr (2010) anschließen, deren relationaler Zugang zum Expertenbegriff die Mechanismen der sozial konstruierten Anerkennung als »Expertin« weitestgehend offen lässt: „Experten sind Personen, die über ein spezifisches Rollenwissen verfügen, solches zugeschrieben bekommen und eine darauf basierende besondere Kompetenz für sich selbst in Anspruch nehmen.“ (ebd.: 133)
Das bedeutet, als Forscherin begründen zu müssen, warum »meine Expertinnen« von mir ein bestimmtes Rollenwissen „zugeschrieben bekommen“ (was ich getan habe). Wo diese Zuschreibung (zuerst) geschehen ist, kann ich nicht abschließend beantworten. Schließlich hatte ich bereits durch Publikationen der Ergebnisse von Befragungen (Englmann/Müller 2007, IW/IFOK 2010) einen Begriff und eine Vorstellung davon, dass sie »Schaltstellen der Macht« sein könnten. Den zentralen Aspekt im Hinblick auf die Selektion der Interviewten sehe ich jedoch vor allem darin, dass sie eine damit zusammenhängende „besondere Kompetenz für sich selbst in Anspruch nehmen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 133) müssen. Die Verwendung dieses Expertenbegriffs schließt dadurch die Vorstellung der Beliebigkeit, jeder sei „Experte seines eigenen Lebens“ (ebd.: 131) aus. Über den Expertenbegriff wird über die ungleiche Verteilung symbolischer Macht verhandelt. Bourdieus Theorie der symbolischen Gewalt folgend, gibt es Menschen, denen ein Expertenstatus weder zugeschrieben wird, noch dass sie ihn selbst für sich in Anspruch nehmen würden. Zum Teil habe ich dies während der Selektion der Interviewten auch erlebt. Ich konnte niemanden zu einer Interviewpartnerin machen, die für sich kein »Expertenwissen« (welcher Deutung auch immer) beanspruchte. Umgekehrt schreibe ich vielen Interviewten, die sich zu einem Interview bereiterklärt haben, nach der Erhebungs- und Auswertungsphase nicht nur »Betriebswissen«, sondern auch »Kontextwissen« und »Sachverstand« zu (vgl. 5.3). 3.5.2 Interviewte: Selektion und Zugang In diesem Abschnitt werde ich darlegen, wie ich die Interviewten ausgewählt habe. Die Selektion an sich bedingte zunächst die Auseinandersetzung mit der berufsrechtlichen Organisationsstruktur. Wie besagt, handelt es sich um mehrere Hundert zuständige Stellen in Deutschland. Erst nach der Auswahl der »Anerkennungsstelle« stellte sich die Frage nach der Auswahl einer Person. Eine weitere Frage war es,
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ob ich zu der Stelle bzw. der Person Kontakt bekam und inwiefern sie (und ggf. ihr Vorgesetzter) einwilligte, ein Interview zu führen.7 Die Erhebung selbst habe ich in zwei Phasen eingeteilt, was mir ermöglichte, die Selektion in der ersten Phase zu reflektieren und das Vorgehen in der zweiten Phase anzupassen. Die erste Interviewphase fand im April und Mai 2012 kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzespakets mit dem Namen »Anerkennungsgesetz« statt. Die zweite Phase fand etwa ein Jahr später zwischen April und Juli 2013 statt. Insgesamt habe ich bei 34 zuständigen Stellen ein Interview angefragt. In 22 Stellen kam mindestens ein Interview mit einer Person zustande und im Fall von 18 Stellen wurde ein Interview für die Auswertung mit der Dokumentarischen Methode herangezogen. Den Gesprächs- und Interaktionsverlauf einschließlich der genannten Gründe, wenn kein Interview zustande kam, habe ich jeweils dokumentiert. An dieser Stelle haben nur einige besonders aussagekräftige oder beispielhafte Aspekte Platz. Die Auswahl der Berufsgruppen Die Selektion umfasst letztlich Zuständige für die Bewertung von folgenden Berufen bzw. Berufsgruppen: Architektinnen, Ärztinnen, Handwerkerinnen, Lehrerinnen und Pflegekräften. Ausschlaggebend für diese Auswahl waren zunächst theoretische Überlegungen. Erstens, ging es mir um eine Auswahl an Berufen, von denen ich mir vorstellen konnte, dass sie höchstwahrscheinlich weltweit vorkommen, weil die damit verbundenen praktischen Tätigkeiten sehr wahrscheinlich weltweit vorkommen. Zweitens ging es mir bei der Auswahl darum, verschiedene Klassifikationen von Qualifikationen abzudecken, die durch das deutsche Recht institutionalisiert sind: Studiengänge und Ausbildungsberufe, reglementierte und nicht-reglementierte Berufe, bundesrechtlich und landesrechtlich geregelte Berufe, behördlich geprüfte Berufe und solche, die von Kammern geprüft werden. Drittens hielt ich eine fachlichinhaltliche Varianz der Berufe für bedeutsam, sodass sowohl eher naturwissenschaftlich-technisch geprägte Berufe wie auch soziale und pädagogische Berufe vertreten sein sollten. Viertens suchte ich nach einer Kombination, die sowohl Berufe umfasst, welche gegenwärtig in dem Ruf stehen, mit einem »Fachkräftemangel« konfrontiert zu sein und solche, bei denen das nicht oder sogar das Gegenteil
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Hägele (1995) thematisiert Fragen zum Umgang mit formalen Zuständigkeiten und weiteren praktischen Problemen bei der Durchführung von Experteninterviews in der öffentlichen Verwaltung. Die wenigsten der formulierten Bedenken (gewissermaßen auch »Vorurteile«), wie z. B. strikte Einhaltung von Mittagspausen und Seltenheit von Einzelinterviews als Folge hierarchischer Spielregeln (ebd.: 69 f.) trafen in meinem Fall zu, was auch daran liegen mag, dass die Hinweise fast 20 Jahre alt sind.
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der Fall ist. Aus dieser Kombination an theoretischen Überlegungen entstand die Auswahl der genannten fünf Berufe bzw. Berufsgruppen. Der Auswahlprozess war jedoch kein geradliniger Weg. Voraussetzung dafür, dass ich ein Interview führen konnte, war zunächst, dass überhaupt staatlich organisierte Bewertungen der »Gleichwertigkeit« durchgeführt werden (vgl. Kap. 4). Das schloss zum Beispiel Hochschulabschlüsse aus, die keine reglementierten Berufe als Ausbildungsziel haben, wozu auch die Sozial- und Geisteswissenschaften gehören. Anfangs hatte ich noch vier weitere Berufsgruppen »auf dem Zettel«, die sich in das Sample gut eingefügt hätten. Zudem kam es während der ersten Erhebungsphase zu leichten Veränderungen, sodass ich zum Teil auch bereits geführte Interviews wieder von der Auswahl ausschloss. Der Zugang zu Interviews im Bereich der IHK-Berufe gestaltete sich als schwierig, nachdem bereits ein Interview geführt war. Zunächst glaubte ich, die Bewertung der »Gesundheitsfachberufe« qua Zuständigkeit zusammenfassend betrachten zu können (ähnlich der Handwerksberufe). Es zeigte sich dann, dass die meisten Interviewten vor allem von Pflegekräften redeten. Ein Interview mit einer Mitarbeiterin, die Gesundheitsfachberufe (abzüglich Pflegekräfte) bewertete, fiel durch die Verschiebung des Fokus aus dem Sample. Die Bewertung von juristischen wie auch Ingenieur-Berufen folgt, wie ich durch die ersten Kontaktaufnahmen herausfand, einem Verfahren, das mit dem anderer Berufsgruppen nur eingeschränkt vergleichbar ist. Die institutionellen Strukturen zur Bewertung des Erzieherberufs erwiesen sich als derartig unüberschaubar und unzugänglich, dass ich aus pragmatischen Erwägungen von der Einbeziehung absah. Die Auswahl der zuständigen Stellen Als Faustformel kann man sagen, dass in jedem der 16 Bundesländer pro Beruf bzw. Berufsgruppe mindestens eine Stelle für die Bewertung ausländischer Qualifikationen zuständig ist. Bei den Handwerkskammern sind es sehr viele mehr, weil gerade die größeren Bundesländer in mehrere Kammerbezirke eingeteilt sind. Pro Beruf bzw. Berufsgruppe habe ich drei oder vier, manchmal auch fünf »Anerkennungsstellen« – und damit Bundesländer bzw. Kammerbezirke – besucht. Die 18 Interviews haben in 9 verschiedenen Bundesländern stattgefunden. Um meinen Interviewpartnern und ihren Dienststellen maximale Anonymität zu gewähren, nenne ich die Bundesländer nicht. Die Anonymität wäre auch reduziert gewesen, wenn ich nur ein oder sehr wenige Bundesländer ausgewählt hätte. Deswegen ging es von Anfang an darum, die Selektion auch geografisch möglichst breit zu streuen. Ich habe mich zudem bemüht, möglichst viele strukturelle Unterschiede zwischen den Bundesländern bei der Auswahl zu berücksichtigen. Darüber hinaus lief das Verfahren so ab, dass ich mir pro bewertetem Beruf bzw. Berufsgruppe eine Liste mit
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den Kontaktdaten der zuständigen Stellen erstellt habe.8 Diese habe ich im Wesentlichen immer wieder abtelefoniert. Zugangsschwierigkeiten Ausschlaggebend, mit welchen Stellen und Personen es tatsächlich zu einem Interview kam, war letztlich die Frage des Zugangs. In den allerwenigsten Fällen sah der Prozess so aus: ein Anruf, die zuständige Person am Apparat, es gab keine zweite, die als Interviewperson in Frage gekommen wäre, ich konnte sie am Telefon von dem Vorhaben überzeugen, sie erklärte sich mit einem Interview einverstanden, wir vereinbarten einen Termin und ich ließ ihr im Anschluss meine schriftlichen Hintergrundinformationen zu dem Projekt zukommen. In manchen Fällen waren die zuständigen Stellen telefonisch oder per E-Mail sehr schwer zu erreichen. In sehr vielen Fällen musste ich eine Autorisierung des Interviews durch Vorgesetzte anfragen, manchmal hielten meine Interviewpersonen auch selbst erst eine solche Rücksprache. In einem Fall führte ein Telefonat mit dem Geschäftsführer einer Kammer dazu, dass ich zu dem vereinbarten Termin durch eine dreiköpfige Kommission empfangen wurde und letztlich drei Einzelinterviews nacheinander geführt habe. Zum Teil wurde meine Anfrage auch peu à peu eine Etage höher gegeben – bis zur Ministerin –, um dann peu à peu die Verantwortung wieder zurück nach unten zu geben. Solche Prozesse zogen sich zum Teil über Wochen und Monate. Es ist mir jedoch gelungen, keine Anfrage auf diese Weise »versacken« zu lassen, sondern immer solange nachzuhaken bis ich zumindest eine begründete Absage hatte. Ein häufig genannter Grund für eine Absage, war eine sehr geringe Anzahl an Antragstellern. Mehrfach bekam ich die Antwort, dass im letzten Jahr nur ein oder zwei Anträge bearbeitet wurden und sie nicht von »Praxiserfahrungen« oder »Expertise« sprechen könnten. Weiterhin häufig war die Begründung, momentan keine Kapazitäten für ein Interview zu haben, was ich, wenn es mehrfach und ohne Öffnung von Verhandlungsspielräumen wiederholt wurde, akzeptierte. In einem Fall wäre die Angefragte bereit gewesen, ein Interview zu führen, erklärte sich jedoch nicht dazu bereit, es aufnehmen zu lassen. Darüber hinaus gab es auch einzelne Kontakte, die ein ungewöhnliches Ende nahmen. In einem Fall wollte der Geschäftsführer einer Handwerkskammer gerne
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Die Kontaktdaten habe ich über das Internetportal www.berufliche-anerkennung.de (hrsg. von Tür an Tür Integrationsprojekte) abgerufen. Damals waren bundesweite Listen oder Datenbanken zu der Aufteilung von Zuständigkeiten nach Berufsgruppen und Bundesländern noch keine Selbstverständlichkeit. Inzwischen lassen sich die relevanten Kontaktdaten
auch
im
sogenannten
»Anerkennungsfinder«
www.anerkennung-in-deutschland.de (BMBF 2014) finden.
im
Informationsportal
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bei dem Interview mit der sehr an meinem Projekt interessierten Mitarbeiterin dabei sein. Ich verwies darauf, dass das aus methodischen Gründen leider nicht möglich sei, bot jedoch an, vorher oder nachher mit ihm zu sprechen, worauf er jedoch nicht einging. In einem Fall bekam ich mit meinem Anliegen nicht den Segen des Öffentlichkeitsreferats und der Leitung, u. a. weil ich kein Frage-Antwort-Schema für das Interview vorsah, das im Vorfeld hätte abgesprochen werden können. Wiederum in einem anderen Fall bekam ich von einer Geschäftsführerin die Antwort, dass sie mit den »politischen Hintergründen« meines Projekts, die sie auf den Internetseiten der Humboldt Universität habe nachlesen können, nichts zu tun haben wolle. Wie die zuständigen Stellen (und einzelne Personen) im Kontext ihrer internen Hierarchien damit umgehen, wenn jemand in Erfahrung bringen möchte, was dort passiert, ist offensichtlich sehr unterschiedlich. Ich nehme erstens an, dass ich tendenziell eher mit denen gesprochen habe, die keine Angst vor Kritik haben, womöglich auch weil sie selbst Kritik haben. Zweitens gehe ich davon aus, dass ich eher Institutionen (und deren Mitarbeiterinnen) im Sample habe, in denen vertrauensvolle (hierarchische) Beziehungen die Regel sind. Die Auswahl der Interviewpartner In manchen Fällen erübrigte sich mit der Auswahl der »Anerkennungsstelle« auch die Auswahl der Interviewpartner, weil nur eine in diesem Bereich tätige Person infrage kam. Schwieriger wurde es bei mehreren Zuständigen. Da die Arbeitsteilung in den zuständigen Stellen unterschiedlich sein kann, musste in diesen Fällen im telefonischen Dialog zunächst darüber verhandelt werden, wer »geeignet« ist. Ich betonte in diesen Gesprächen, jemanden sprechen zu wollen, der »in der Praxis« mit den »Anerkennungsverfahren« befasst ist. In manchen Fällen wurde mir daraufhin bereits ein Name genannt. In anderen Fällen wurde mir im Anschluss erläutert, wie die Arbeit verteilt ist. Grundsätzlich war ich darum bemüht, jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuwählen, die in einem direkten Kontakt mit den Antragstellern und Antragstellerinnen sind. Von jemandem, der erst bei »kritischen Fällen« oder »Widerspruchsverfahren« hinzugezogen wird oder dem hauptsächlich die Rolle der Personalführung zukommt, habe ich mir keine oder weniger Einblicke in die alltägliche Bewertungspraxis versprochen. Manchmal wurden diese Dialoge so aufgelöst, dass ich in einer zuständigen Stelle auch zwei oder sogar drei Interviews führte und mich dann erst im Nachhinein für die Auswahl eines Interviews entschied. Die anderen bzw. zusätzlichen Interviews klassifizierte ich als »Hintergrundinterviews«. Im Fall von zwei zuständigen Stellen fielen die geführten Interviews aus methodischen Gründen aus dem Sample. Das erste Mal, weil sich spontan eine zweite Person zu dem Interview dazu gesellte (und gleichzeitig das Aufnahmegerät versagte) und das zweite Mal, weil die eine interviewte Person als Füh-
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rungskraft nicht (mehr) in der Praxis tätig war und vor allem auf der Ebene des Deutungswissens sprach. Die letztlich für die Interpretation mit der Dokumentarischen Methode ausgewählten 18 Interviews fanden in 18 verschiedenen zuständigen Stellen statt. In vielerlei Hinsicht sind die Interviewten nicht miteinander vergleichbar. Ihre institutionellen Rahmenbedingungen wie auch ihre eigenen Qualifikationen sind unterschiedlich. Ich vergleiche die Interviews, weil ihnen in jedem Fall gemeinsam ist, dass sie im Auftrag des deutschen Staats regelmäßig »Gleichwertigkeitsprüfungen« durchführen. 3.5.3 Interviewführung: Erzählungen generieren In diesem Abschnitt gehe ich auf den Verlauf der Interviews und die Interviewführung ein. Sie schließt im Wesentlichen an die Grundprinzipien des narrativen Interviews (nach Fritz Schütze) und die Steuerung mit erzählgenerierenden Fragen an. Die Übertragbarkeit der narrativen Technik von biografischen Interviews auf Experteninterviews wurde von Arnd-Michael Nohl (2009: 19 ff.) anknüpfend an betreute Dissertationsprojekte methodologisch begründet (vgl. Nohl/Radvan 2010, Radvan 2010, Schondelmayer 2010). Im Vorfeld des Interviewtermins haben die Interviewten schriftliche »Hintergrundinformationen« bekommen, die mich, mein Interesse und meine Vorgehensweise vorgestellt haben. Rahmenbedingungen Die Interviews fanden in den Behörden bzw. Kammern statt. Dies bedeutete für die Interviewten am wenigsten Aufwand und war aufgrund des Interesses an ihrem beruflichen Handeln naheliegend. Sie empfingen mich entweder in ihren eigenen Büros oder führten mich in Besprechungszimmer der jeweiligen Dienststellen. Als Interviewdauer hatte ich jeweils etwa eine Stunde vereinbart, was im Regelfall auch eingehalten wurde. Ziel der Interviewführung Die Interviewführung zielte aus methodologischen Gründen darauf ab, möglichst selbstläufige Erzählungen (und Beschreibungen) der Interviewten zu generieren. Die Hervorbringung von Argumentationen und Bewertungen war zu vermeiden. Ich orientierte mich in dieser Hinsicht daran, dass die Auswertung der Interviews mit der Dokumentarischen Methode erfolgen sollte (vgl. Abschnitt 3.6.1). Die damit zugrunde gelegte Textsortentrennung geht wiederum auf das biografisch-narrative
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Interview nach Fritz Schütze zurück (1983).9 Selbstläufigkeit zu generieren, bedeutet im Kern, das Interview so wenig wie möglich zu steuern und den Erzählfluss nicht zu unterbrechen. Die Interviewten sollen möglichst ungestört durch die Interviewerin ihr eigenes Relevanzsystem sprachlich entfalten können. Das Gegenteil von Selbstläufigkeit wäre ein Interview im Frage-Antwort-Schema, wie es ein stark strukturierender Leitfaden vorgeben würde. Der Leitfaden wird beim narrativen Interview mit Expertinnen wie im Fall des problemzentrierten Interviews nach Andreas Witzel nur als „Gedächtnisstütze“ verwendet (Nohl 2009: 21). Er existiert in Form von auswendig gelernten thematischen Kategorien und Frage-Anregungen, ist jedoch in der Interview-Situation nicht sichtbar. Sofern selbstläufige Erzählungen und Beschreibungen entstehen, muss also unter Umständen gar nicht auf den zuvor entwickelten Leitfaden zurückgegriffen werden. Inwiefern ein Interview durch den Leitfaden strukturiert ist, kann deshalb von Interview zu Interview variieren. Weil die Herstellung von Selbstläufigkeit gegenüber dem Leitfaden für mich Vorrang hatte und er nicht der Zweck, sondern nur das Mittel zum Zweck war, spreche ich nicht von »leitfadengestützten Interviews«, sondern von »narrativ fundierten Experteninterviews«. Methodisches Vorgehen Zu der Frage, wie ich als Interviewerin die Selbstläufigkeit eines Interviews herstelle, habe ich mich an dem Lehrbuch von Aglaja Przyborski und Monika WohlrabSahr (2010: 80-88, 131-138) orientiert. Sie gliedern den idealtypischen Ablauf eines Interviews in fünf Phasen bzw. Steuerungstechniken. Als erstens, noch vor dem Eingangsstimulus und dem eigentlichen Interview-Beginn findet eine Small-TalkPhase statt. Daraufhin folgt die Eingangsfrage bzw. der Erzählstimulus, welcher das Interesse möglichst offen und vage umreißen sollte. „Immanente Nachfragen“ (ebd.: 83), das heißt Nachfragen, die sich nur „auf das bisher Gesagte beziehen“ (ebd.), und in der Wortwahl im Relevanzsystem der Interviewten bleiben, werden gestellt, wenn der Erzählfluss abbricht oder nicht in Gang kommt. Erst wenn denkbare immanente Nachfragen ausgeschöpft sind, kommt die Forscherin zu sogenannten „exmanente[n] Nachfragen“ (ebd.: 84), die sich auf ihr Forschungsinteresse und
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Nohl (2009: 23) erinnert daran, dass die Entwicklung des biografisch-narrativen Interviews durch Fritz Schütze (1983) ursprünglich auf Interviews mit Lokalpolitikern in Hessen zur Erforschung kommunaler Machtstrukturen zurückgeht (Schütze 1976). Methodisch ging es um die „Hervorlockung und Analyse von Erzählungen thematisch relevanter Geschichten“ (ebd.). Die narrative Technik auf Experteninterviews anzuwenden, ist also nicht neu oder methodologisch fern der narrativen Biografieforschung (vgl. Nohl/Radvan 2010, Meuser/Nagel 2002).
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damit ihr eigenes Relevanzsystem beziehen. Zum Schluss erfolgt das „Abrunden und Bedanken” (ebd.: 85) durch die Interviewerin, wobei gerade die Phase nach dem Abstellen des Tonbands ebenfalls beobachtet und protokolliert werden sollte. Mit den Erfahrungen, die ich während der Interviewführung sammelte, kam es im Verlauf der Erhebung zu leichten Veränderungen meines Erzählstimulus. Die Interviewten konnten am besten nachvollziehen, warum sie so viel von sich aus erzählen sollten, wenn ich meine Entscheidung für diese nicht sehr geläufige Interview-Methode möglichst anschaulich erklärte. Zum Beispiel sagte ich, dass ich vorformulierte und weitestgehend standardisierte Leitfragen als einengend oder unzutreffend für die Interviewten erlebt habe. In der Regel sei es so, dass bereits die Frage schon daneben liegt. Deshalb würde ich gern erstmal hören wollen, was sie über ihre Arbeit zu erzählen haben. Ich würde dann am Ende Nachfragen stellen, falls meine verinnerlichte Checkliste noch nicht abgehakt ist. Diese Einführung wurde mehrheitlich sehr gut verstanden. Ich war überrascht, dass es überwiegend recht leicht gelang und es vielen Interviewten offensichtlich auch Freude bereitete, viel erzählen zu dürfen. Nachdem ich festgestellt hatte, dass die »Bitte, zu erzählen«, die Interviewten etwas irritierte und ich mich damit offenbar zu sehr an die Methode klammerte, ging ich dazu über, den Erzählstimulus als »Bitte, zu beschreiben«, zu formulieren. Anders als biografisches Handeln wird berufliches Handeln, gerade weil es typischerweise auf Wiederholungen von Abläufen basiert, seltener im Modus konkreter Erzählungen zu einmaligen Ereignissen mit zeitlichem Anfang und Ende wiedergegeben (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 136). Wie sich in meiner Erhebung mehrfach gezeigt hat, greifen die Interviewten bei einer Erzählaufforderung in der Regel auf generalisierende Beschreibungen des Umgangs mit bestimmten Fallgruppen zurück. Stegreiferzählungen zum Umgang mit einzelnen Antragsfällen waren etwas schwieriger hervorzulocken. Unterschätzt habe ich, dass das Thema, das ich bereits bei der Ankündigung des Interviews und durch den Erzählstimulus einführte, einen missverständlichen Bedeutungsgehalt vorgab. Indem ich von »Anerkennungsverfahren«, »Gleichwertigkeitsprüfung«, »Bewertungspraxis« oder »Ausbildungsvergleich« sprach, transportierte ich damit je nach Kontext etwas, das nicht zwangsläufig identisch mit dem war, was ich transportieren wollte. So hatte ich immer wieder mit für mich irritierenden Reaktionen zu tun, wie »Sie interessieren sich ja nur für das Verfahren, nicht für den Inhalt« oder »Ach, Sie interessieren sich nur für den Vergleich, nicht für das ganze Verfahren?«. Der Suchprozess, in welchem Kontext diese Begriffe jeweils wie zu verwenden sind, um denselben Akt zu meinen, zog sich durch die gesamte Erhebungs- und Auswertungsphase. Selten kam ich in meinem Protokoll des Interviewverlaufs im Nachhinein zu dem Schluss, eine methodisch einwandfreie Interviewführung hinter mir zu haben. Christel Hopf (1978) spricht im Hinblick auf diese Erwartung von einer „Kompe-
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tenz-Ideologie“ (ebd.: 98) der qualitativen Sozialforschung. Ein grundlegendes Dilemma der Interviewführung führe dazu, dass der Interviewer gar nicht anders könne, als »Fehler« zu machen: „es [das qualitative Interview, I.S.] soll einer 'natürlichen' Gesprächssituation möglichst nahe kommen, ohne zugleich auch die Regeln der Alltagskommunikation zu übernehmen; das heißt, die Rollentrennung von Frager und Befragtem bleibt im Prinzip erhalten und damit auch der steuernde Einfluß des Interviewers.“ (Hopf 1978: 114)
Wie Hopf in ihrem Artikel beschreibt, beobachtete ich eine permanente Spannung zwischen meiner Vorstellung, wie ich mich methodisch korrekt verhalten sollte, und der Notwendigkeit, mich spontan und authentisch zu verhalten. Auch in jenen Interviews, die durch sehr selbstläufige Erzählungen und Beschreibungen der Interviewten geprägt sind, konnte ich »nicht nicht kommunizieren« (Paul Watzlawick). Durch das Einfrieren von Blicken, Mimik und Gestik hätte ich Misstrauen erzeugt und den Erzählfluss irritiert, während ein aufmerksames und bestätigendes nonverbales Verhalten (ob spontan oder geplant) diesen eher gefördert hat (aber dadurch eben nicht »neutral« oder nicht »nicht eingreifend« war). In jedem Fall steuere ich durch mein Verhalten als Interviewerin die Interviewten, sodass Selbstläufigkeit eine relative Beschreibung ist. Auf spontane Fragen oder bestätigende Kommentare gänzlich zu verzichten, obwohl die Interviewten nach den Regeln der Alltagskommunikation eine solche Reaktion (zum Beispiel auch durch Blicke) anfordern, habe ich als nicht praktikabel empfunden. Genauso konnte ich nicht immer vermeiden, dass mir Irritationen oder Unverständnis im Gesicht geschrieben standen und es spontan zu unglücklich formulierten Nachfragen kam. Der »Lerneffekt« war für mich, dieses Spannungsverhältnis als »normal« und nicht als Störung oder »Kompetenz-Problem« meinerseits zu betrachten. In der Interviewsituation wird letztlich über Vertrauen und Misstrauen und damit eine Anerkennungsbeziehung verhandelt, die in den seltensten Fällen nach „Regieanweisung” (Hermanns 2012) funktioniert. 3.5.4 Textmaterial: anonymisierte Transkripte Die Interviews wurden nach den Regeln der Dokumentarischen Methode transkribiert (siehe Anhang).10 Die Interviews der ersten Phase vollständig, da ich zu dem Zeitpunkt noch wenig Anhaltspunkte für eine Selektion von Passagen hatte, abgesehen von den in der Methodenliteratur erwähnten Kriterien: thematische Relevanz, Erzähldichte und Vergleichbarkeit mit anderen Fällen. Ich habe während der Inter-
10 Die Interviewten hatten mir im Vorfeld ihr schriftliches Einverständnis zur Aufnahme, Transkription und anonymisierten Veröffentlichung von Sätzen und Passagen gegeben.
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pretation mehrfach die Erfahrung gemacht, dass sich eine Passage, die ich zunächst für »am Thema vorbei« hielt, als besonders bedeutungsvoll oder hilfreich bei der Interpretation herausstellte. Sie ließen mich gerade meine Relevanzsetzung überdenken, gaben Aufschluss über unterschiedliche Positionen im Feld und führten damit zur Entdeckung neuer Horizonte. Deshalb habe ich auch bei der Transkription der Interviews in der zweiten Erhebungsphase verhältnismäßig wenige Passagen ausgeschlossen. Die Anonymisierung erfolgte, indem ich den (richtigen) Namen, den Namen der Behörde oder Kammer, des Orts und des Bundeslands durch andere Namen oder Umschreibungen ersetzte.11 Zugunsten der Leserinnenfreundlichkeit entschied ich mich gegen die Verwendung von Kennziffern für die Interviewten und für authentische Nachnamen. Sie lassen nach meiner Einschätzung nicht auf Merkmale der realen Person, ihrer Organisation oder der Region schließen. Erzählungen und Beschreibungen von Antragsfällen mussten teilweise ebenfalls anonymisiert werden, um ein Erkanntwerden auszuschließen bzw. das Risiko zu reduzieren. Sofern es mir zu groß erschien, habe ich die Ausbildungsstaaten der Antragsteller durch Bezeichnungen wie »A-Staat«, »B-Staat« ersetzt. Die Reaktionen auf meine Ankündigung der Anonymisierung der Interviews waren geteilt. Manche betonten, dass ihnen das sehr wichtig sei, andere äußerten genau das Gegenteil, dass ich ihren »richtigen« Namen gern auch nennen dürfe. Die Interviewstellen zitiere ich in der vorliegenden Arbeit mit einer Quellenangabe, die zum Beispiel wie folgt aussieht: „ÄRZ (David) 1-04: 223 ff.“. Die ersten Großbuchstaben benennen die Berufsgruppe, zu der das im Interview thematisierte Anerkennungsverfahren zählt: Ärztinnen (ÄRZ), Architektinnen (ARCH), Lehrerinnen (LEHR), Handwerkerinnen (HAND) und Pflegekräfte (PFLE). Der Name in Klammern, wie hier „(David)“, ist der umbenannte Nachname der interviewten Person. Insbesondere durch die Berufsgruppe und den Nachnamen soll den Leserinnen und Lesern das Nachvollziehen und Wiedererkennen der mehrfach zitierten Interviews möglich werden. Die Kennziffer „1-04: 223 ff.“ verweist auf mein internes Ordnungssystem mit Interview-Code und Zeilenangaben.12 Eine vollständige Übersicht der verwendeten Interviews befindet sich im Anhang.
11 Restrisiken der Möglichkeit einer Wiedererkennung lassen sich insbesondere mit Blick auf Menschen, denen die Interviewten und/oder ihr Arbeitsumfeld bekannt sind, leider nicht ganz ausschließen. 12 Neben den 18 Experteninterviews der Kern-Erhebung, deren Interpretation in Kapitel 5 dargelegt ist, habe ich Gespräche geführt, die ich als Hintergrundinterviews (HI) klassifiziert habe. Wenn ich mich auf diese Interviews berufe, habe ich dies kenntlich gemacht.
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3.6 P RAXEOLOGISCHE W ISSENSSOZIOLOGIE R EKONSTRUKTION DES F ELDS
UND
Seit es sich abzeichnete, dass ich qualitativ forschen werde, beschäftigte mich die Frage nach der geeigneten Auswertungstechnik. In meinem Studium hatte ich Seminare zu qualitativen Methoden der Sozialforschung besucht und mehrere kleinere Projekte durchgeführt, aber ich hatte Zweifel, dadurch bereits hinreichend gelernt zu haben, wie man es »richtig« macht. Theoretisch war ich davon überzeugt, mithilfe eines offenen Verfahrens meine Fragestellung »besser« beantworten zu können als mit einem standardisierten Verfahren. Praktisch fehlte mir aber eine ganz konkrete Anleitung, was ich machen muss, wenn ein Interview-Transkript vor mir liegt. Wie verhindere ich Beliebigkeit oder bloße Bestätigung meiner Vorannahmen? Wie gewährleiste ich, dass ein Erkenntnisprozess a) stattfindet und b) am Ende noch nachvollziehbar ist? Es war mir ein Anliegen, diese Unsicherheiten durch eine überzeugende Methodologie abgenommen zu bekommen. Im Nachhinein muss ich einsehen, dass die Möglichkeit der Delegation von Unsicherheit ebenso eine Illusion ist wie die Idee von »richtigen« oder »falschen« Interpretationen. Nachvollziehbarkeit ist eine relationale Kategorie, die wesentlich von der Forscher-RezipientBeziehung abhängt. Meine Interpretation der Welt bleibt meine Verantwortung und ein standortabhängiges Ergebnis dessen, was in meinen spezifischen Möglichkeitsräumen des Erkennens liegt. Aus verschiedenen Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, habe ich mich für das Forschen mit der »Dokumentarischen Methode« entschieden, sodass ich sie hier zunächst als Orientierungsmaßstab darlege (3.6.1). Bedingt durch meine Gegenstandskonstruktion (vgl. Kap. 2) hatte ich bereits bei der Interpretation der Interviews einige Schwierigkeiten (3.6.2). Als es zur Theoriebildung und zur Zuspitzung der Ergebnisse kam, habe ich mich von der Idee einer »Typenbildung« entfernt und mich verstärkt an den dargelegten feldtheoretischen Grundannahmen orientiert (3.6.3). Die Schritte und Überlegungen dazu werde ich in diesem Unterkapitel erläutern. 3.6.1 Ausgangspunkt: die Dokumentarische Methode Das Ziel der Anschlussfähigkeit der Auswertungstechnik von qualitativen Interviews und Gruppendiskussionen an die Soziologie Bourdieus führte mich auf einem relativ kurzen Weg zur Dokumentarischen Methode. Aus der Literatur war sie mir bereits ein Begriff. Zwischen Juli 2011 und Januar 2012 bekam ich dann durch zwei Workshops von Ralf Bohnsack und Anja Weiß sowie ein Doktoranden-Kolloquium von Arnd-Michael Nohl erste Einblicke, was das dokumentarische Interpretieren
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»praktisch« bedeutet. Sie bestärkten mich darin, dass sie zu meinem Vorhaben passen könnte. Ralf Bohnsack knüpfte vor allem an Vorarbeiten von Karl Mannheim (1964, 1980), Harold Garfinkel (1967) und Fritz Schütze (1983) an, als er die Dokumentarische Methode anhand von Gruppendiskussionen mit Jugendlichen in den 1980er Jahren entwickelte (Bohnsack 1989). In den Erziehungswissenschaften ebenso wie in der Soziologie und in anderen Sozialwissenschaften hat sie in den letzten Jahrzehnten Anwender und Weiterentwicklerinnen mit verschiedenen Forschungsinteressen gefunden. Das Spektrum des Datenmaterials, das mithilfe der Dokumentarischen Methode ausgewertet wird und wurde, weitete sich von Gruppendiskussionen unter anderem auf Alltagsgespräche, (Einzel-) Interviews, Beobachtungsprotokolle sowie Bild- und Videomaterial aus (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007b: 16 ff.). Mit der Ausweitung des Kreises derjenigen, die mit der Dokumentarischen Methode arbeiten, erweiterte sich auch die methodologische Reflexion und Diskussion. Die Auswertung narrativ fundierter Einzelinterviews mit der Dokumentarischen Methode geht, wie bereits erwähnt, vor allem auf Arnd-Michael Nohl (2009) zurück. Das Buch „Relationale Typenbildung und Mehrebenenvergleich“ (Nohl 2013, vgl. auch Nohl 2012) knüpft an die internationalen Forschungserfahrungen im Rahmen des Projekts „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/ Schmidtke/Weiß 2010a) an. Es zielt ebenfalls auf die methodologische Erschließung neuer Forschungshorizonte für die Dokumentarische Methode ab. Daneben ließen sich zahlreiche weitere Autorinnen und Autoren nennen, die auf Basis ihrer Forschungspraxis neue Spielarten sowie grundlagentheoretische Überlegungen zur Dokumentarischen Methode auch kooperativ in Forschungswerkstätten entwickelt haben. Viele von ihnen sind in dem zum 65. Geburtstag von Ralf Bohnsack erschienenen Sammelband versammelt (Loos/Nohl/Przyborski/Schäffer 2013). Dokumentarische Interpretinnen und Interpreten verbindet ein Grundgerüst an Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, wie Pierre Bourdieu es genannt hätte. Je nach Forscherin und Forschungsinteresse wird es unterschiedlich angewandt und ausgebaut. Die mit dem Begriff der »Methode« häufig verbundene Vorstellung eines »Rezeptwissens« als einer »reinen Lehre« erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht zutreffend. Im Folgenden werde ich zunächst die vier Pfeiler des Grundgerüsts darstellen, die mich 2011/2012 davon überzeugt haben, mit der Dokumentarischen Methode zu arbeiten: erstens, die praxeologische Methodologie mit ihrem Fokus auf der Explikation des impliziten Wissens, welche sich sehr gut mit Bourdieu verbinden ließ; zweitens, das strukturierte und nachvollziehbare Vorgehen; drittens, die Mehrdimensionalität als Zielsetzung der Theoriebildung und viertens, die thematischen Verwandtschaften zu anderen mithilfe der dokumentarischen Interpretation entstan-
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dener Arbeiten.13 Die Reflexion von Schwierigkeiten und Problemen sowie ihrer Lösungen erfolgt dann im Anschluss. Die praxeologische Methodologie Der erste Pfeiler ist, wie bereits erwähnt, die Voraussetzung einer methodologischen Klammer mit der Bourdieuschen Soziologie. Bohnsack bezeichnet sie als „praxeologische Wissenssoziologie“ (2007b). Die Parallele zwischen Bourdieu und Mannheim ist ihr Fokus auf dem impliziten handlungsleitenden Wissen, dem „praktischen Sinn“ (Bourdieu 1980, 1987b) bzw. dem „atheoretischen Charakter des Erlebens“ (Mannheim 1980: 73). Mir ging es nicht darum, herauszufinden, ob ein ausländischer Abschluss »wirklich« gleichwertig zu einem deutschen Abschluss ist oder nicht, sondern wie eine solche Bewertung hergestellt wird. Die praxeologische Wissenssoziologie beruft sich in diesem Kontext auf Karl Mannheims Terminus einer „Einklammerung des Geltungscharakters“ (Mannheim 1980: 88), das heißt die Verneinung der Frage, ob etwas tatsächlich so ist, wie es ein Beobachter und damit auch eine wissenschaftliche Beobachterin aussagt. Die dokumentarische Interpretation wird als ein Verfahren »rekonstruktiver Sozialforschung« bezeichnet, weil sie „Konstruktionen zweiten Grades“ (Bohnsack 2010b: 23), ursprünglich ein Terminus von Alfred Schütz, hervorbringt. Das bedeutet für die Forschenden an der „Rekonstruktion der Rekonstruktion“ (ebd.: 25) interessiert sein zu müssen, das heißt an einem analytischen Verständnis der Konstruktionsbedingungen, die ihm und seinen Beforschten gemeinsam sind. In dieser Hinsicht sehe ich eine Verbindung zu den Begriffen der Illusio und der symbolischen Gewalt in der Bourdieuschen Soziologie (vgl. Kap. 2). Die theoretische Grundlage für die Rekonstruktion des Wie des »Bewertens« mithilfe von Interviews und der Dokumentarischen Methode ist die Mannheimsche Unterscheidung von drei Sinnebenen: dem „objektiven Sinn“ (auch Was-Sinn), dem „intendierten Ausdruckssinn“ (auch Wozu-Sinn) und dem „Dokument-Sinn“ (auch
13 Ich werde dabei auch die methodologischen Grundlagen skizzieren. Eine ausführliche Einführung würde an dieser Stelle jedoch den Rahmen sprengen und ist an vielen anderen Stellen nachzulesen. Empfehlenswert finde ich, wie mehrfach erwähnt, das Arbeitsbuch von Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr (2010) als Einordnung der Dokumentarischen Methode in den Gesamtkontext Qualitativer Sozialforschung, Bohnsack/ Nentwig-Gesemann/Nohl (2007a) und Bohnsack (2010b) für einen Einstieg in theoretische Grundlagen, die Forschungspraxis und einige Forschungsbeispiele, Nohl (2009) speziell für die Interpretation von Interviews, Loos/Schäffer (2001) als Überblick für Gruppendiskussionsverfahren und noch weitergehender Przyborski (2004) für die Gesprächsanalyse insgesamt, einschließlich »natürlicher« Gespräche.
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Wie-Sinn) (Mannheim 1964: 104). Die ersten beiden Sinn-Ebenen werden im Kontext der Dokumentarischen Methode auch als „immanenter Sinngehalt“ zusammengefasst, weil sie sich auf das explizit Gesagte beziehen (Nohl 2009: 8 f.). Der „Dokument-Sinn” meint hingegen den impliziten Sinngehalt einer Äußerung. Ihm gilt die empirische Rekonstruktion, während der „intentionale Ausdrucksinn“ und damit das subjektiv Gemeinte als nicht erfassbar gilt. Der „objektive Sinn“ unterscheidet sich vom „Dokument-Sinn“ gerade dadurch, dass er unabhängig vom Beobachterstandpunkt ist und damit keine Interpretation beinhaltet. Er bezeichnet das explizit Gesagte oder auch das kommunikative Wissen. Forschungspraktisch betrachtet ist die Erfassung des objektiven Sinngehalts damit »nur« eine Übersetzungsleistung in eigene Worte, während die empirische Erfassung des dokumentarischen Sinngehalts eine Interpretationsleistung ist.14 Der Wie-Sinn oder „Dokument-Sinn“ zeigt auf, „was durch seine Tat, auch von ihm unbeabsichtigt, sich für mich über ihn darin dokumentiert“ (Mannheim 1964: 108, Herv. i. O.). Es ist die Rekonstruktion des impliziten, atheoretischen Wissens, das einer Handlung zugrunde liegt. Mannheim (1980) bezeichnet sie auch als eine „konjunktive Erfahrung“, die eine „gemeinschaftsbildende Kraft“ besitzt, ohne als solche bewusst oder benennbar zu sein (ebd.: 225). Mithilfe dieser wissenssoziologischen Grundlagen leitet die Dokumentarische Methode dazu an, den Wechsel von einem Verstehen des Was-Sinns zu einem Verstehen des Wie-Sinns zu vollziehen. Gerade die geteilten impliziten Wissensbestände verweisen damit auf geteilte Erfahrungsräume und dem Handeln zugrunde liegende soziale Strukturen. Das strukturierte Vorgehen Für eine Analyse der Interviews mithilfe der Dokumentarischen Methode sprach auch die Verfügbarkeit von praxisnah gestalteten und für mich gut nachvollziehbaren Anleitungen (z. B. Nohl 2009, Bohnsack 2010b, Bohnsack/Nentwig-Gesemann/ Nohl 2007a). Die Interpretation erfolgt demzufolge in drei Stufen mit jeweils zwei Zwischenstufen: formulierende Interpretation (1), reflektierende Interpretation (2) und Typenbildung (3).
14 Mannheim hat auch die Kontextabhängigkeit eines Verstehens auf der Was-Ebene herausgestellt, das heißt, ein bestimmter Begriff bezeichnet nur in einem gewissen Kontext eindeutig eine bestimmte Sache. In Forschungswerkstätten zur Dokumentarischen Methode wird deutlich, dass nicht unbedingt Einigkeit darüber besteht, was auf der kommunikativen Ebene »objektiv« in einem Interview gesagt wurde – und das allein unter Menschen, die zumindest den deutschsprachigen wie auch den akademischen Erfahrungsraum teilen.
112 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS (1) Die thematischen Verläufe der Interviews werden anhand der Audioaufnahme
angefertigt, um auf dieser Basis zu entscheiden, welche Abschnitte transkribiert werden müssen. Die Selektion erfolgt nach drei Relevanzkriterien: dem vorausgegangenen Forschungsinteresse, der Erzähldichte der Interviewten und der Vergleichbarkeit mit anderen Fällen. Im Rahmen der formulierenden Feininterpretation werden die Abschnitte in Ober- und Unterthemen eingeteilt und daraufhin der Inhalt des Gesagten in eigenen Worten nachformuliert. Durch die Interpretation dessen, was gesagt wurde, werden die beiden Sinnebenen nach Karl Mannheim, das Was vom Wie getrennt. (2) Dem eigentlichen Ziel der Herausarbeitung des Wie stellt sich anschließend die reflektierende Interpretation: „Wie wird ein Thema bzw. das in ihm artikulierte Problem bearbeitet, in welchem (Orientierungs-) Rahmen wird das Thema behandelt?“ (Nohl 2009: 47). Zur Beantwortung dieser Frage wird der Interviewtext nach den von Fritz Schütze entwickelten Textsorten (Erzählung, Beschreibung, Argumentation und Bewertung) unterteilt. Erzählungen und Beschreibungen verweisen auf die atheoretischen und Argumentationen sowie Bewertungen auf die kommunikativen Wissensbestände. Dadurch sind die Textsorten der Erzählung und Beschreibung in der dokumentarischen Interpretation besonders wertvoll und die Herstellung solcher Textsorten im Kontext der Interviewführung erstrebenswert. Nohl verweist jedoch darauf, dass auch Argumentationen und Bewertungen dokumentarisch interpretiert werden können, nicht in ihrem kommunikativen Sinngehalt, sondern als ein Herstellungsmodus von Rechtfertigungen und Bewertungen (2009: 50). Die semantische Interpretation einschließlich der komparativen Sequenzanalyse sucht dann nach dem »Rahmen« oder »Orientierungsrahmen«, innerhalb dessen die Interviewten von ihren Erfahrungen erzählen. Er zeigt sich als ein solcher, wenn sich in unterschiedlichen Sequenzen (und Themen) ähnliche Muster oder Regeln erkennen lassen. (3) Die komparative Analyse ist der erste Schritt zur Typenbildung. Neben der fallinternen komparativen Analyse von Sequenzen ist die fallübergreifende komparative Analyse zur methodischen Kontrolle der Standortgebundenheit der Forscherin besonderes bedeutsam: „Ein Ausstieg aus der Standortgebundenheit bzw. deren Kontrolle ist dem Beobachter zwar nicht prinzipiell möglich. Gleichwohl lässt sich diese Kontrolle methodisieren, indem an die Stelle der impliziten Vergleichshorizonte zunehmend empirisch beobachtbare Vergleichsfälle treten.“ (Bohnsack 2007a: 235 f., vgl. Nohl 2009: 55)
Durch den Vergleich mit anderen Fällen lässt sich die Abstraktion (das Gemeinsame) und die Spezifizierung (das Unterschiedliche) der Fälle und durch sie identifizierte Typen erarbeiten. Ohne die komparative Analyse würden die
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normativen Annahmen des Forschers die alleinige Kontrastfolie bei der Interpretation bleiben. Ziel ist die Herstellung einer oder mehrerer sinngenetischer Typiken (als geteilte Abstraktionen, in denen sich Kontraste zeigen), um letztlich daraus die Soziogenese zu entwickeln, welche wiederum die hergestellten sinngenetischen Typiken in ihrer Genese erklärt. Mehrdimensionalität Ein dritter und weiterer wesentlicher Aspekt, warum ich die Dokumentarische Methode ausgewählt habe, war die der Typenbildung zugrunde liegende Vorstellung der Mehrdimensionalität des Sozialen. Sie löst sich damit von der Vorstellung, dass ein Individuum einem Typus entspricht und zugeordnet werden kann. Da jeder Fall, das heißt jedes Individuum, an verschiedenen konjunktiven Erfahrungsräumen Anteil hat, wird jeder Fall in der Dokumentarischen Methode mehreren Typiken und ihren Ausprägungen, den Typen, zugeordnet (Bohnsack 2010a: 64 ff.). „Mehrdimensional ist nicht nur die jeweilige Typik in der Weise, dass sie durch andere Typiken überlagert und modifiziert wird. Mehrdimensional ist zugleich auch der einzelne Fall, das Individuum, indem an ihm unterschiedliche Typiken aufweisbar sind.“ (ebd.)
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Forschungsergebnis, welches mithilfe der Dokumentarischen Methode hergestellt wird, nicht eindimensional, unilinear oder monokausal sein kann. Die Mehrdimensionalität als Zielvorstellung wappnet vor simplifizierenden Ergebnissen. Das entsprach meinen Annahmen zum Forschungsgegenstand und damit auch meinem Forschungsziel. Ich sah in der Dokumentarischen Methode sozusagen die Gewähr, mich auf das Ziel einer mehrere Dimensionen umfassenden Theoriebildung zuzubewegen. Thematische Verwandtschaften Überzeugt, dass mein Vorhaben und die Dokumentarische Methode zusammenpassen, haben mich nicht zuletzt auch diverse thematische Verwandtschaften. Neben „Kulturelles Kapital in der Migration“ (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a) bewegen sich sehr viele weitere Arbeiten im weitesten Sinne in der Bildungs-, Migrations- und Ungleichheitsforschung. Darüber hinaus sah ich Verbindungen zur Organisationsforschung- und Evaluationsforschung (Vogd 2004, Liebig 2007, Mensching 2008, Bohnsack/Nentwig-Gesemann 2010).
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3.6.2 Interpretation: Reflexionen und Relationen Das wesentliche Fazit der Interpretation mithilfe der Dokumentarischen Methode ist, dass ich meine Standortgebundenheit nicht durch die komparative Analyse von empirischen Fällen minimieren kann, indem sie, die empirisch beobachteten Standpunkte, an meine Stelle treten (vgl. Bohnsack 2007a: 235 f., vgl. Nohl 2009: 55). Ich bin überzeugt, dass wir Normativität nur durch die Auseinandersetzung mit dem empirischen Material als solche erkunden und dadurch im besten Fall explizieren und ggf. auch erweitern oder korrigieren, nicht jedoch ablegen und dadurch »neutraler« werden können. Das Beobachtete bleibt in dem Spektrum des von meinem Standpunkt aus Beobachtbaren. Deshalb habe ich Bezüge zu mir als Interviewerin und Interpretin vielfach auch in die Darstellung der Interview-Interpretationen integriert (vgl. Kap. 5). An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Entwicklung des Interpretationsprozesses eingehen, der ursprünglich mit der Hoffnung begonnen hat, meine Unsicherheit an die Methode delegieren zu können. Die Interviews der ersten Erhebungsphase habe ich zunächst mit der Dokumentarischen Methode nach dem linearen Modell interpretiert und mir dabei die Techniken, die mit der Stufenabfolge verbunden sind, angeeignet. Dann habe ich eine komparative Analyse zu der Frage des Umgangs der Interviewten mit »Handlungsmacht« durchgeführt (aus der ich später unter Einbeziehung weiterer Interviews die »Handlungskompetenzen« (vgl. 5.3) entwickelt habe). Die Interviews der zweiten Erhebungsphase wurden weniger ausführlich interpretiert als die Interviews der ersten Phase, sondern vor allem als Ergänzung und Erweiterung einbezogen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst nur auf diese Phase, in der es zunächst noch sehr stark um die Auseinandersetzung mit den Personen (=Interviewten) und weniger um die Strukturen und Prozesse des Bewertens ging (zur Rekonstruktion des Felds siehe auch Abschnitt 3.6.3). Zirkularität ohne Ende Die Dokumentarische Methode gab mir nicht die Sicherheit in der Interpretation der Interviews, die ich mir erhofft hatte, was ich auf meine Reflexionen zum Bourdieuschen Begriff der symbolischen Macht und meine Verstrickung mit dem Forschungsgegenstand zurückführe. Ich klassifizierte und bewertete wie andere (meine Interviewten) andere klassifizieren und bewerten (während ich selber wiederum dafür bewertet werde, wie ich andere bewerte etc.). Durch diesen Zusammenhang zwischen dem, was ich tat, und dem, was meine Interviewten taten, stellte ich jeden meiner Handlungs- und Bewertungsschritte und jede meiner Gewissheiten kurz danach wieder selbst infrage: wie ich Themen im thematischen Verlauf klassifizierte, wie ich Passagen für die Interpretation auswählte, wie ich die formulierende Inter-
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pretation machte, wie ich die reflektierte Interpretation und auch wie ich die Orientierungsrahmen der Interviewten in der komparativen Analyse voneinander abzugrenzen versuchte. In jedem meiner »Produkte«, das heißt in jedem Gedanken und jedem Vergleich konnte ich immer noch sehen, was dieser Gedanke und dieser Vergleich sehr wahrscheinlich mit mir, meiner Perspektive und letztlich auch meinen existenziellen Hintergründen zu tun hatte. Das habe ich erstmal nicht als großes Problem betrachtet. Schließlich ist es auch im Sinne des »Erfinders«: „Zwischen methodischen Regeln einerseits und Forschungspraxis andererseits besteht keine deduktive, sondern eine reflexive Beziehung“ (Bohnsack 2010b: 10, Herv. i. O.). Der Interpretation der Interviews liegt ein „zirkelhafte[s] Oszillieren“ (ebd.: 55) zugrunde. Es bedeutete jedoch in der Konsequenz, den Sinn in der Reflexivität selbst zu sehen und die Vorstellung ablegen zu müssen, es könnte ein Ende, eine Sicherheit oder eine Korrektheit in diesem Prozess geben. Was jetzt leicht gesagt ist, war Arbeit. Anerkennungsbeziehungen ohne Ende Die Dokumentarische Methode konnte letztlich auch meine zwangsläufigen Verstrickungen in Beziehungen nicht neutralisieren. Auch zwischen Forscherin und Beforschten kann es in einem Interview habituell besser oder schlechter passen. Es wurden jeweils Anerkennungs- und damit Feldbeziehungen verhandelt, die ich zwar als solche reflektieren, aber dadurch definitiv nicht »wegreflektieren« konnte. Manche Interviewte konnte ich auf Anhieb sehr viel besser verstehen, fand ihre Aussagen interessant oder klug etc., während andere mir nicht viel sagten. Ich hatte im Vorfeld jedes Interviews auch die Sorge, dass mir die narrative Konzeption der Interviewführung nicht gelingen wird und die Leute nicht redeten. In den meisten Fällen war diese Angst völlig unbegründet. Es gab viele, die sich sehr schnell öffneten. In den wenigen Fällen, in denen sich die Angst bestätigte, führte ich das auf die Angst vor mir zurück, dass ich sie missverstehen und missinterpretieren könnte (was sicherlich auch keine ganz unberechtigte Skepsis war). Die erlebte Geschichte mit der interviewten Person war auch nach der Reflexion der Beziehung immer noch präsent und prägte dann auch mein Interpretieren in der einen oder anderen Weise. Zum Beispiel fiel es mir umso schwerer, implizite Wissensbestände herauszuarbeiten, je mehr die Explikationen meiner eigenen gegenstandsbezogenen Perspektive ähnelten. Selbst wenn ich gegensteuerte, hatte ich noch eine Vorstellung davon, wogegen es zu steuern galt. Sich zu Distanz und Neutralität aufzufordern, muss zwar theoretisch sein, bleibt aber in der Logik der Praxis ein unvollkommener Versuch. Interviewte und Interviews im Erhebungs- und Interpretationsprozess »gleich« behandeln zu können, halte ich für eine Illusion. Ich habe deshalb versucht, die Relationen mitzudenken und möglichst offenzulegen.
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Keine „höhere Rationalität” (Bohnsack 2010b: 58, Herv. i.O.), sondern eine „andere Analyseeinstellung“ (ebd.) sowie das Interesse an Wie- statt an den Was-Fragen, ist nach Bohnsack der Unterschied zwischen dem Soziologen und seinen Beforschten. Diese »andere Analyseeinstellung« lässt sich jedoch kaum vermitteln (zumindest nicht im Rahmen meines Projekts), ohne dabei einen akademischen Habitus zu transportieren, der sich selbst für reflektierter als die Beforschten und das Explizitmachen von implizitem Wissen für erstrebenswert hält. Sonst könnte man schließlich auch auf seine Erforschung verzichten und sich nur daran freuen, dass Handeln ohne Reflexion möglich ist. Und was sollte man tun, wenn die Interviewten auch reflektiert sind? Danach streben, immer noch ein bisschen reflektierter zu sein als sie? Es hat mich und mein Denken über den Gegenstand und die gewählte Methodologie sehr verändert, dass meine Interviews aus vielen in sich einzigartigen und ausnahmslos spannenden Begegnungen bestanden. Diese Feststellung hat mich, die ich zuvor von routiniert und vielfach gleichförmig handelnden Bürokratinnen ausgegangen bin, sowohl überrascht als auch irritiert. Meine Methodologie kam mir in diesem Zusammenhang immer unstimmiger vor. Erst forderte ich sie durch meine narrative Interviewkonzeption zu einem möglichst selbstläufigen Erzählen auf, damit sie ihr eigenes Relevanzsystem entfalten. Wenn sie gut kooperierten und sich öffneten, war es aber, methodisch betrachtet, nicht gut gelungen, wenn sie zu viel ins Theoretisieren kamen, weil ich mich ja gar nicht für ihr theoretisches, sondern für ihr praktisches Wissen interessierte. Sie waren dabei jedoch in dem Glauben, dass ich mich für ihr theoretisches Wissen interessierte. Vermutlich konnten sie sich auch nicht vorstellen, dass »Wissenschaft« etwas Anderes von ihnen wollen könnte. Die für mich entscheidende Dichotomie hatte ich ihnen schließlich auch nicht mitgeteilt. Und zu guter Letzt nahm ich in meinem Interpretationsprozess, auf den sie keinen Einfluss mehr hatten, das von ihnen im Interview entfaltete Relevanzsystem in viele Einzelteile auseinander, um ihnen dann wieder mein Relevanzsystem überzustülpen. Ich interessierte mich für das Bewerten und die Frage der Ausübung symbolischer Gewalt und gleichzeitig ging ich so gewaltsam mit dem Wissen und Können anderer Leute um. Was war das für ein Paradox? Nicht der Ausweg, aber zumindest ein gewisses Hilfskonstrukt bestand für mich darin, die Anerkennungsbeziehungen und die damit einhergehenden Irritationen, Missverständnisse etc. als »Feldeffekte« mit zu interpretieren und sie deswegen gerade auch als Passagen für die Interpretation auszuwählen. Ein sehr klassisches Beispiel ist die spontane Bewertung meinerseits, dass die interviewte Person »am Thema vorbei« redet oder von »Hölzchen auf Stöckchen« kommt. Dies wäre ein Anlass, die entsprechende Passage nicht für die Transkription und die dokumentarische Interpretation auszuwählen. Weil ich mich jedoch mit Nicht-Anerkennung beschäftigte, musste ich mich an der Stelle auch fragen, warum ich die Relevanz nicht (an-)erkannte? Woher nahm ich die Sicherheit, dass meine Konstruktion, was »das
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Thema« oder »der Gegenstand« ist, wichtiger ist als ihre? Wenn ich schon von »Anerkennung« sprach, musste ich den Interviewten wohl auch zutrauen, dass sie etwas Relevantes zu sagen hatten, gerade dann, wenn ich es offensichtlich nicht verstand. Dies galt auch für ähnliche »Feldeffekte«, die z. B. in Interpretationsgruppen entstanden. Ich versuchte, sie als Hinweis auf verschiedene Perspektiven auf den Forschungsgegenstand zu lesen, die auf verschiedene existenzielle Hintergründe zurückgehen. Am Ende war ich jedoch immer noch diejenige, die entschieden hat, welche Perspektive ich in meine integrierte und welche ich ignorierte (und damit auch wie ich meine Anerkennung verteilte). Theoretisches Wissen ohne Ende Methodologisch herausfordernd war es, dass die Interviews - wie bereits erwähnt durch sehr hohe Anteile an theoretischem Wissen, das heißt vielen Argumentationen und Bewertungen geprägt waren. Unter einigen dokumentarischen Interpretinnen und Interpreten, die sich in Forschungskontexten beruflichen Handelns bewegen, wurde in letzter Zeit mehrfach die Frage nach dem implizierten Verhältnis von praktischem und theoretischem Wissen und dem interpretativen Umgang mit der zugrunde gelegten epistemologischen Dichotomie gestellt (vgl. Schondelmayer/Schröder/Streblow 2013, Vogd/Mensching 2013, Nohl/Radvan 2010). Auch meine Arbeit legt nahe, über dieses Verhältnis und den interpretativen Umgang weiter nachzudenken. Abgesehen davon, dass ich Theoretisierungen durch die narrative Konzeption der Interviewführung quasi selbst mit angestoßen habe, habe ich mir den hohen Anteil an Explikationen so erklärt, dass ich nicht die Erste war, die die Frage nach dem Vorgehen bei der Bewertung gestellt hat und dass sie sich ähnliche Fragen nach der Legitimation ihrer Arbeit auch selber stellten. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass sie aufgrund einer sehr konfrontativen Arbeit, vielleicht auch der Relevanz der Problematik im öffentlichen Diskurs zum Reflektieren und Explizieren herausgefordert sind (und das mutmaßlich nicht nur während des Interviews). Auch andere Erfahrungen während des Forschungsprozesses sprechen dafür, dass allein das Thema oder die Problematik zum Explizieren und Positionieren herausfordern. Oft reichte lediglich ein thematisches Stichwort meinerseits aus, sagen wir »Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen«, um auf der anderen Seite einen längeren Monolog auszulösen – unabhängig davon, ob es sich um wissenschaftliche Zusammenhänge oder Begegnungen »auf der Straße« handelte. Ich habe dies also auf eine zumindest in meinem Umfeld sehr verbreitete Beteiligung an dem Spiel um den Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals zurückgeführt. Das vielstimmige theoretische Wissen zeugte davon, dass offenbar allseits um die Deutungsmacht über diesen Gegenstand gekämpft wird. Für mich bedeutete das
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die Herausforderung, eine Struktur in dem kaum zu überblickenden, kunterbunten Stimmenwirrwarr zu finden. Gerade deshalb habe ich das theoretische Wissen nicht ausgeklammert, sondern die ihm zugrunde liegenden Muster, sozusagen das Implizite im Expliziten, gesucht. In dem theoretischen Wissen dokumentiert sich nach meiner Interpretation zum einen, mit welchen Kompetenzen sich die Interviewten (mir gegenüber) Anerkennung zu verschaffen suchen. Das interpretiere ich dann auch als einen Hinweis darauf, welche Kompetenzen in der Bewertungspraxis ausländischer Qualifikationen eingebracht werden. Zum anderen interpretiere ich das theoretische Wissen als »Verhandlungszone« in den Auseinandersetzungen des Felds, während ich in dem handlungspraktischen Wissen, den nüchternen Erzählungen und Beschreibungen, den Stillstand der Kämpfe gesehen habe. Die »Selektionsmechanismen« (vgl. 5.2) waren im Interpretationsprozess die zweite Dimension, die ich nach den »Handlungskompetenzen« herausgearbeitet habe. Auch hier wird gerade anhand der theoretischen Auseinandersetzungen der Interviewten und ihren darin enthaltenen impliziten Relevanzzuschreibungen deutlich, wo und wie es zu Selektionen kommt. Die »Machtkonstellationen« (vgl. 5.1) bilden letztlich die Strukturen des Felds ab, das heißt jene Machtdimensionen, die im Ergebnis unterschiedliche Bewertungen der »Gleichwertigkeit« hervorbringen. Die Rekonstruktion des Felds ist auch Thema des nächsten Abschnitts. 3.6.3 Rekonstruktion: Feld und Methode Das Arbeiten mit der Dokumentarischen Methode stand vor neuen Herausforderungen als es nicht mehr nur um die Interviewten und ihre Orientierungsrahmen, sondern vor allem um die Rekonstruktion des Felds ging. Das soziale Feld und damit auch die »Illusio« und die »symbolische Gewalt« werden als zentrale Konzepte der herrschaftskritischen Rezeption Bourdieus in der Methodologie der Dokumentarischen Methode ausgeblendet (vgl. Florian 2012). Ich habe das Feld und die Dokumentarische Methode gerade deswegen methodologisch verknüpft, weil ich mir davon versprach, die Empirie nicht oder möglichst wenig auf theoretisch indizierte Vorannahmen hin abzufragen, sondern offen für neue und vor allem auch empirisch gesättigte Erkenntnisse zu sein. Diese Erwartung hat sich auch erfüllt. Die Verknüpfung war hilfreich, um maximal strukturkritisch und gleichzeitig maximal aufgeschlossen für die sozialen Akteure zu forschen. Das kann ich allerdings erst im Nachhinein so sehen. Im Prozess selbst ergaben sich diverse Probleme, die dazu führten, dass ich den Feldbegriff ebenso wie die Dokumentarische Methode im Spiegel meines Gegenstands gewissermaßen erst neu erfinden und dabei auch erst zueinander führen musste. Die sichtbarste Konsequenz dieses Prozesses ist, dass ich von meinen Ergebnissen nicht als Typologie, Typen-
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bildung und Typen spreche, sondern den deutlich indifferenteren Begriff der »Dimensionen« des Felds verwende. Womöglich handelt es sich bei meinem Ergebnis eher um eine „kaleidoskopische Konfiguration“ (Rehbein 2013). Die Probleme und daraus gezogenen Konsequenzen werde ich in diesem Abschnitt nun erläutern. Problem 1: Die »Fälle« und das Material Das erste Problem besteht oder bestand darin, dass »ein Fall« in Bezug auf meine Gegenstandskonstruktion etwas anderes ist, als die Dokumentarische Methode voraussetzt. Nach den methodischen Voraussetzungen entspricht eine interviewte Person einem Fall. Jeder Fall wird wiederum mehreren Typiken, bzw. einer ihrer Ausprägungen (einem Typus), zugeordnet (Nohl 2009). Zuerst werden mithilfe der komparativen Analyse sinngenetische Typiken gebildet, welche letztlich darauf abzielen, die Soziogenese der Orientierungsrahmen der Interviewten in ihrer Mehrdimensionalität theoretisieren zu können. Im Rahmen meiner Fragestellung sind jedoch nicht die Interviewten die Fälle. Es war nicht meine Absicht, eine Typologie zu bilden, die die Unterschiede zwischen Verwaltungsmitarbeiterinnen am Beispiel des Bewertens von ausländischen Berufsqualifikationen erklärt. Zwar habe ich damit begonnen, so zu arbeiten, woraus letztlich auch die »Handlungskompetenzen« als Dimension des Felds entstanden sind (vgl. 5.3). Der Habitus der Interviewten ist letztlich jedoch nur der »Datenträger«, mithilfe dessen ich etwas über die in den Körper eingeschriebenen (Ungleichheits-) Strukturen erfahren wollte (vgl. Meuser 2007). Meine Fälle sind die Bewertungs- oder Antragsfälle meiner Interviewten, nicht die Interviewten selbst oder noch besser gesagt: Eine Interaktion zwischen einer Bewertenden und einem Bewerteten (ein Bewertungsverfahren) entspricht jeweils einem Fall. Das setzte voraus, dass ich nicht die Interviewten als Fälle, sondern letztlich ihre jeweiligen Fallbearbeitungen in Typiken und Typen hätte klassifizieren müssen. Die Erfahrungen der Interviewten basieren jedoch nicht nur auf einem Bewertungsfall, sondern auf mitunter sehr vielen Fallbearbeitungen, deren Verläufe nicht gleichförmig sind. Die Interviews haben gezeigt, dass sie von sich aus selten von konkreten Einzelfällen und einem spezifischen Verlauf des Verfahrens erzählen, sondern in der Regel ihre Erfahrungen verallgemeinern (Bsp. »Wir hatten jetzt viel Rumänien«). Die Interviewten bewerten die Antragsfälle nicht nach einem homologen und standardisierten Muster, sondern gruppieren und differenzieren sie (was auch mit den jeweiligen Institutionen zusammenhängt). Aufgrund der Beschaffenheit des Materials konnte ich die Fälle, die Interaktionen zwischen Bewertenden und Bewerteten, damit nicht einzeln betrachten und einzeln Typiken und Typen zuordnen. Ich habe deshalb nach den impliziten Mustern in den repräsentierten Klassifikationen meiner Interviewpartnerinnen gesucht und, wie bereits er-
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wähnt, insbesondere auch in dem Verhältnis ihrer praktischen (unumkämpften) und theoretischen (umkämpften) Wissensbestände. Problem 2: Die Habitus-Feld-Beziehung Das zweite Problem besteht und bestand darin, dass die Dokumentarische Methode trotz eines anderen Anspruchs das eigene Denken über den Gegenstand, das heißt die sozialen Konstruktionsbedingungen der eigenen Klassifikations- und Bewertungspraxis, aus meiner Sicht nicht konsequent genug einbezieht. Man könnte auch sagen: Mangels der Explikation eines Strukturbegriffs fehlt häufig auch die Reflexion der eigenen Habitus-Feld-Beziehung (jener der Forscher und Forscherinnen). Der Strukturbegriff (der zwangsläufig jedem Denken zugrunde liegt) bleibt dadurch vielfach implizit, worauf ich auch zurückführe, dass die dokumentarische Interpretation tendenziell nicht der kritischen Forschung zugerechnet wird. Es werden unhinterfragt vor allem jene Strukturen reproduziert, die in den eigenen konjunktiven Erfahrungsräumen (und vor allem auch ihrer Überlappung) als gegeben vorausgesetzt werden. Das möchte ich am Beispiel meiner Arbeit erläutern, im Rahmen derer ich mich zunächst damit auseinandergesetzt habe, ob mein Vorhaben eine »soziogenetische Typenbildung« oder eine »relationale Typenbildung« anstrebt. Nach Arnd-Michael Nohl ist eine „Relationale Typenbildung“ dort sinnvoll, wo – anders als bei der Soziogenese – noch keine Suchstrategien nach Typen bzw. sozialen Lagerungen durch theoretisches Erfahrungswissen über relevante Dimensionen gesellschaftlicher Heterogenität vorliegen (Nohl 2012: 168, Nohl 2013: 55 ff.). Die Typiken entsprechen mehr oder weniger den Suchstrategien, die sich im Anschluss an theoretische Differenzkategorien ergeben, bspw. eine Geschlechtstypik, eine Bildungstypik, eine Migrationstypik, eine Generationstypik und eine Entwicklungstypik (Bohnsack 2010a: 64). Dem theoretischen Sampling meiner Interviewten lag bereits ein solches theoretisches Erfahrungswissen über Heterogenität zugrunde (vgl. Abschnitt 3.5.2). Ich habe mich in diesem Zusammenhang gefragt, ob das Samplen jemals möglich sein kann, ohne jegliche Vorstellung davon zu haben, wonach man sucht. Ich berücksichtigte im Sampling zum Beispiel das theoretische Wissen, dass je nach bewerteten Berufstypen, bewertenden Bundesländern oder auch Organisationsformen (Kammern und Behörden als zuständige Stellen) gewisse Unterschiede in der Bewertungspraxis vorliegen könnten. Diese Kategorien hatte ich vorab der Literatur wie dem öffentlichen Diskurs zu meinem Thema entnommen. Womöglich hätte ich analog dazu auch anstreben können, die Soziogenese der Bewertungen z. B. mithilfe einer Kompetenztypik, einer Berufstypik, einer Organisationstypik und einer Regionstypik erklären zu können. In diese Richtung geht der Vorschlag von ArndMichael Nohl (2013) für einen „Mehrebenenvergleich“ mithilfe der Dokumentarischen Methode.
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Ich sehe in der Vorstellung des „Mehrebenenvergleich[s]“ implizit einen Strukturbegriff, der politisch-administrative-rechtliche Ebenen als natürlicherweise gegeben voraussetzt und ihnen eine bzw. die strukturbildende Funktion schlechthin zuschreibt. Wenn ich die dem Sampling zugrunde liegenden Differenzkategorien als Suchstrategie für mögliche Typiken herangezogen hätte, wäre meine Arbeit eine andere Arbeit geworden. Die Gegenstandskonstruktion entspräche dem sozialen Raum, der sein Inneres in administrative »Ebenen« einteilt und Relationen jenseits dessen verkennt. Kennzeichnend für meine Habitus-Feld-Beziehung war es gerade, dass ich als Strukturbegriff keine Innen- und Außenverhältnisse annehmen wollte. Wenn auf »deutschen« Schreibtischen Dokumente liegen, die von »ausländischen« Bildungsinstitutionen weltweit ausgestellt worden sind, sind diese Bildungsinstitutionen und die aus ihnen hervorgegangen Titelträgerinnen für mich ganz offensichtlich keine Unbeteiligten. In dem Feld wird über die Beziehungen von Staaten zu Menschen und ihren Qualifikationen verhandelt, sodass es für mich, mit Pierre Bourdieu gedacht, eine handlungsleitende Prämisse war, mit dem institutionalisierten Denken des Staats zu brechen, um es dann wiederum zu erfassen. Es ging mir infolge meines Struktur- und damit Feldbegriffs also weniger darum, wenn möglich, die dem Sampling zugrunde liegenden theoretischen Differenzvorstellungen auch im Material zu finden und dann als solche zu rekonstruieren (vgl. Kap. 2). Meine Suchrichtung waren die strukturellen Gemeinsamkeiten in den Bewertungsverfahren jenseits dieser allseits angenommen rechtlich, administrativ und organisatorisch konstruierten Differenzen. Die Organisationskultur einer Handwerkskammer mag sich von der Organisationskultur einer Landesbehörde unterscheiden, sodass sich infolgedessen auch »die Bewertungsverfahren« unterscheiden. Die Komplexität des deutschen administrativen Systems wurde aus meiner Sicht jedoch bereits zu genüge thematisiert und systematisiert (z. B. Englmann/Müller 2007, IW/IFOK 2010). Das Wissen um solche Unterschiede war auch als kommunikatives Wissen in meinen Interviews sehr präsent. Wenn man danach ging, durfte man sich im Grunde kaum trauen, das Feld als ein Feld zu betrachten. Ich habe es getan, weil ich in der Durchführung der »Gleichwertigkeitsprüfung« die zentrale Gemeinsamkeit trotz aller Unterschiede gesehen habe. Wenn man den Feldbegriff vor allem als Modus der Objektkonstruktion versteht (vgl. Kap. 2), der in einer Beziehung zum Habitus steht, muss damit das konsequente Infragestellen der eigenen „Strukturen des Denkens“ (Mannheim 1980) einhergehen. Unter der Annahme eines praktischen Sinns müssen dabei womöglich nicht nur das Denken, sondern auch andere Wahrnehmungsmodi des Körpers einbezogen werden (vgl. Meuser 2007). Radikal gedacht, gibt es dann in diesem Sinne keinerlei Differenzen, die als gegeben vorausgesetzt werden können. Jegliches Denken und Empfinden muss in seiner Genese im Kontext von Machtbeziehungen hinterfragt werden. Der Forschungsprozess bestand unter anderem gerade darin, im Spiegel des Gegenstands die eigenen unhinterfragten Annahmen zu explizieren. Sie wurden
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nicht abgelegt, neutralisiert und objektiviert, indem sie in der komparativen Analyse durch empirische Fälle ersetzt wurden. Erst durch die Auseinandersetzung mit den empirischen Fällen schälte sich in meinem Fall der dem Forschen zugrunde liegende Feld- und damit auch Strukturbegriff als solcher nach und nach heraus (ohne dass man annehmen könnte, dass er am Ende der Arbeit vollständig expliziert oder gar »richtig« wäre). Problem 3: Typologie und Typenbildung Das dritte Problem war, dass ich mich mit der Zielvorstellung einer Typologie, wie sie die Dokumentarische Methode als Ergebnis der Theoriebildung zugrunde legt, angesichts der bis hierhin dargelegten Überlegungen immer weniger identifizieren konnte. Ein Typus im Sinne der Dokumentarischen Methode zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er sich von anderen Typen abgrenzen lässt. Je klarer man diese Abgrenzungen herausarbeiten kann, desto aussagekräftiger ist die damit verbundene Typenbildung. Die Mehrdimensionalität der Dokumentarischen Methode führt dazu, dass ein Fall nicht einem Typus entspricht, sondern dass ein Fall mehreren Typen in verschiedenen Typiken, zugeordnet ist. Ein Fall hat somit mehrere Dimensionen und ist in der Kombination einzigartig. Dieses Denken hat gewisse Vorteile gegenüber der Eindimensionalität (und mich mitunter deshalb ursprünglich auch angezogen), entspricht jedoch aus meiner Sicht nach wie vor einem Denken in Schubladen und Schachteln. Im Vordergrund steht weiterhin, dass Menschen in Bezug auf bestimmte Strukturmerkmale unterschiedlich sind und dass in der Überlagerung dieser Merkmale jeweils ihre unterschiedlichen Orientierungen begründet sind. Ich war jedoch nicht an der Rekonstruktion von »Grenzen« und »Abgrenzungen« interessiert, sondern an Relationen, die über vermeintliche Grenzen hinausweisen und in und durch die Relationen »Grenze« erst verhandeln und als Konstrukt hervorbringen. „Der Kontrast in der Gemeinsamkeit ist fundamentales Prinzip der Generierung einzelner Typiken und ist zugleich die Klammer, die eine ganze Typologie zusammenhält“ (Bohnsack 1989: 374). Welche Gemeinsamkeit Bohnsack in den Gruppendiskussionen mit Jugendlichen gefunden hat, wurde in seinem Buch, wie auch später in zahlreichen Methodenhandbüchern, kaum thematisiert.15 Forschungspraktisch steht vor allem das Suchen nach Kontrast-Fällen in verschiedenen KontrastDimensionen im Vordergrund (Sinngenese), während sich die Frage der Gemeinsamkeit (Soziogenese), „die Klammer, die eine ganze Typologie zusammenhält“
15 Er fasste die gemeinsame Orientierung mit dem Schlagwort „authentische[] Generation“ (ebd.: 342, Herv. i. O.) zusammen.
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(ebd.), in der Regel erst am Ende stellt.16 Die Soziogenese hat bisweilen den Ruf, besonders anspruchsvoll und deshalb erst etwas für fortgeschrittene dokumentarische Interpreten zu sein. Dies führe ich darauf zurück, dass die Dokumentarische Methode vor allem an „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1987a), nicht an die symbolische Gewalt, das Feld und die Illusio als theoretische Konzepte anschließt. Bohnsack kommt unter anderem zu der Kritik, dass Bourdieu „kausal-genetisch“ statt „soziogenetisch“ argumentiert habe (Bohnsack 2010b: 152), was sich aus meiner Sicht nur daraus erklären lässt. Die herrschaftssoziologischen Annahmen Bourdieus sind schließlich der Inbegriff einer soziogenetischen Klammer und damit eines Prinzips, das alles zusammenhält: nicht nur die Typologie, die auf Basis der komparativen Analyse von Interview-Interpretationen gebildet wird, sondern der gesamte Forschungsprozess und damit auch die Subjekt-Objekt-Beziehung. Ich bin nicht die Erste, die den Versuch einer Verknüpfung von Dokumentarischer Methode und Feldbegriff macht. Von Florian von Rosenberg (2011, 2012) und Michael Florian (2012) weiß ich, dass ihnen dies ebenfalls ein Anliegen ist. Wahrscheinlich gibt es noch einige mehr. Es geht darum, die Methodologie der Dokumentarischen Methode dahingehend weiterzuentwickeln, dass es nicht bei den Bourdieuschen Grundannahmen zum »Habitus« bleibt, sondern auch die HabitusFeld-Beziehung in die dokumentarische Interpretation hineingeholt wird. Die Bemühungen sind erst in ihren Anfängen und da ich, wie in Kapitel 2 beschrieben, das Feld selbst als nichts Gegenständliches betrachte, sondern als einen Modus der Gegenstandskonstruktion, habe ich mich nicht von anderen, die andere Gegenstände erforschen und auch andere existenzielle Hintergründe haben, anleiten lassen.17 Schließlich spricht allein vieles dafür, dass die Reflexion einer männlichen HabitusFeld-Beziehung unter anderen Voraussetzungen steht oder stehen könnte als eine
16 Bezeichnenderweise lautet der Titel eines nachfolgend erschienen Werkes „Auf der Suche nach der Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe“ (Bohnsack/Loos 1995). Ich habe gehofft, eine praktische Anregung zu bekommen, wie man die Gemeinsamkeit findet. Der Titel bezieht sich explizit jedoch nur auf die gegenstandsbezogene Erkenntnis – die nach einer Kollektivität suchenden Jugendlichen. 17 Florian von Rosenberg (2012: 364 ff.) hat ebenfalls mit dem Feldbegriff dokumentarisch gearbeitet und ihn mit der Logik von Diskursen verknüpft, sodass eine Feldrekonstruktion in seinem Sinne einer dokumentarischen Diskursanalyse gleichkommt. Michael Florian (2012) interessiert sich vor allem für die dokumentarische Rekonstruktion symbolischer Machtkämpfe im Feld der Wirtschaft. Er kritisiert ebenfalls, dass die Dokumentarische Methode den Feldbegriff und mit ihm eine Analyse von Macht- und Herrschaftsverhältnissen unberücksichtigt lässt. Die Dokumentarische Methode und den Bourdieuschen Feldbegriff betrachtet er dennoch oder gerade deswegen als komplementär und sich fruchtbar ergänzend.
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weibliche. Die Anschlussfähigkeit verschiedener Ansätze bleibt insofern zu diskutieren. Die Idee: kaleidoskopisch denken Um mein umfangreiches Material, meine Interpretationen und Reflexionen letztlich zu einer Klammer und damit auch einem Bündel an Thesen zusammenzuführen (was allein die Darstellung von Ergebnissen notwendig macht), brauchte ich eine andere Strategie oder Zielvorstellung als die der Typenbildung. Es war an dieser Stelle naheliegend, mich wieder darauf zu besinnen, wie ich ursprünglich auf das Denken mit dem »grenzenlosen« Feldbegriff gekommen war. Boike Rehbein (2010, 2013) schlägt eine „Kaleidoskopische Dialektik“ für die Sozialwissenschaften vor, die sich als Konsequenz der globalisierten multizentrischen Welt von der „eurozentrischen Interpretation von Geschichte und Gegenwart“ (2013: 189) loslöst. Ein zentrales Element ist, dass sie ihre Normativität ausweist, statt Objektivität der Erkenntnisse zu beanspruchen. „Die kritische Theorie ist eine Theorie der Standpunkte, die einbezieht, dass sie selbst ein Standpunkt ist und die anderen Standpunkte beeinflusst. […] Das Ergebnis dieser Forschung ist eine Konfiguration, die unvollkommen und hypothetisch bleibt, aber für das Lernen von anderen Gesellschaften und Ideen offen ist.“ (ebd.)
In der Forschungspraxis bedeutet »kaleidoskopisch denken« vor allem das Suchen nach „Beziehungen, Verbindungen und Ähnlichkeiten“: „Eine kaleidoskopische Dialektik will Geschichte(n) und Relationen eines Phänomens konstruieren, um mehr oder weniger allgemein Aussagen zu machen und das Phänomen gleichsam als eine Gestalt, ein Kaleidoskop, mehr oder weniger angemessen zu fassen. Man erfasst Beziehungen, Verbindungen und Ähnlichkeiten.“ (ebd.: 119)
Das Kaleidoskop entspricht dem Prozess, wie ich nach der Klammer zwischen Forschungsprozess und Gegenstand gesucht habe. Nach den Verbindungen habe ich nicht nur zwischen meinen interviewten »Expertinnen«, sondern auch zwischen ihnen und meinen Gruppendiskussionen, zu sonstigen Gesprächen, zu den theoretischen Auseinandersetzungen und anderen Erfahrungen während des Forschungsprozesses gesucht. Irgendwann haben sie sich als Verbindungen dessen, was mich jahrelang an diesem Thema beschäftigt hat, »irgendwie«, das heißt auch durch intuitives Gespür, herauskristallisiert. »Die Gewalt des kollektiven Besserwissens« betrachte ich demzufolge als die genetische Klammer der Gegenstandskonstruktion und das Kern-Argument dieser Arbeit. Sie wird von drei empirisch erarbeiteten Dimensionen getragen, den Machtkonstellationen, den Selektionsmechanismen und
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den Handlungskompetenzen. In ihrem Zusammenspiel führen sie dazu, dass Bewertungen der »Gleichwertigkeit« zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen (vgl. Kap. 5 und 6). Die drei Dimensionen sind eher vorzustellen als Lichtkegel, die eine Bühne mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln ausleuchten, sich dabei überschneiden und auch Bereiche im Dunkeln lassen, als voneinander trennbare Schubladen und Schachteln, die in ihrer Zusammensetzung ein soziales Ganzes bilden. Gleiches gilt für die ihnen zugeordneten Unterkategorien. Die Verbindungen mache ich dadurch sichtbar, dass dieselben Interviewauszüge zum Teil mehrfach zitiert werden, um an denselben Aussagen unterschiedliche Aspekte aufzuzeigen. Meine »Ergebnisse« gehen somit nicht auf ein Befolgen von vorab eindeutig festgelegten Regeln zurück, die ich im Nachhinein als Anleitung für andere Forschungsvorhaben weiterreichen oder selbst replizieren könnte. Ich glaube auch nicht, dass das möglich oder gar erstrebenswert ist. Sie sind in der fortwährenden Auseinandersetzung mit dem Gegenstand auf Basis einiger sehr weniger Grundregeln, wie der Beziehung von Feld und Habitus, gewachsen. Rehbein beschreibt es als einen Irrtum, dass wir die Welt für ein Erwachsenenspiel halten und setzt die Vorstellung eines Kinderspiels dagegen, welche das Wesen kaleidoskopischer Gesetze besser beschreibt. „Wir stellen uns die Welt eher wie ein Erwachsenenspiel vor, während sie sich eher mit einem Kinderspiel vergleichen lässt. Dem Erwachsenenspiel liegt ein Regelkanon zugrunde, der vor Spielbeginn gelesen und dann akribisch befolgt wird. Kinder hingegen beginnen mit einer Grundform des Spiels und handeln den Fortgang mitsamt den Regeln sukzessive aus. Das Kinderspiel hat keine Konsistenz, ist kaum präzise nachvollziehbar und endet selten mit einem Ziel oder einem Sieger, sondern eher im Streit. So ist die Wirklichkeit.“ (Rehbein 2013: 122)
Dem würde ich mich an dieser Stelle anschließen, wenn mir nicht irgendetwas sagen würde, dass das eine Erwachsenensicht auf das »Kinderspiel« ist. Unter der Voraussetzung, dass man die eigenen Bewertungsmaßstäbe als eigene Maßstäbe reflektiert, lässt sich die Konsistenz eines Kinderspiels sehr gut nachvollziehen, zum Beispiel mithilfe der Dokumentarischen Methode. Wenn ich einen Streit meiner Kinder nicht verstehe, liegt es meistens daran, dass ich mit meinen Gedanken nicht bei den spielenden Kindern, sondern in einem der genannten Erwachsenenspiele bin. In bewusst mehrdeutiger Absicht möchte ich damit sagen, dass die Fertigstellung meiner Dissertation kein »Kinderspiel« war.
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3.7 R ESÜMEE
DES
V ORGEHENS
Der Forschungsprozess war dank der klaren Fragestellung und einer klaren paradigmatischen Ausrichtung relativ fokussiert und zielgerichtet. Zwischenzeitlich habe ich mich auch verirrt und bin auf Umwege geraten. Die Bergspitze habe ich jedoch vier Jahre lang nicht aus dem Auge verloren: Ich hatte vor, eine gleichermaßen theoretisch fundierte wie empirisch gesättigte Antwort auf meine Forschungsfrage finden. Dieser Arbeit habe ich mich sehr konzentriert angenommen. Meine Überzeugung von der Relevanz der Fragestellung und der Relevanz, eine Antwort darauf geben zu müssen, hat mich oft eingenommen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass mein Vorgehen jene Stärken und Schwächen hat, die es vermeintlich hat, wenn man mit dem Kopf durch die Wand gehen möchte. Erstmal tut der Kopf weh. Ob die Wand in irgendeiner Weise beeindruckt ist, bleibt fraglich. Ohne Zweifel habe ich sehr viel gelernt. Im Gegensatz zu Bourdieu wissen wir heute, dass der Wert eines Bildungstitels weder „universell“ noch auf immer und ewig „garantiert“ (Bourdieu 1992: 149 f.) ist. Wir haben es erlebt, dass Universitäten Doktortitel wieder entziehen, wenn ihr Wert öffentlich infrage steht, und dass Titel durch weltpolitische Umbrüche und Migrationen ihre Geltung verlieren können, ist ohnehin hier das Thema. Nachdem ich mich mehrere Jahre mit der Anerkennung und Verkennung von Titeln, dem institutionalisierten kulturellen Kapital, befasst habe, kommt es mir auf meinen eigenen Titel weniger an als vorher. Den mit dem Erwerb verbundenen »Verinnerlichungsprozess« (das inkorporierte kulturelle Kapital), kann mir so leicht niemand mehr nehmen und ich kann ihn leichter weitergeben. Ich sage am Ende nicht das Gegenteil dessen, was ich am Anfang gedacht habe. Mein erster Impuls waren symbolische Gewalt sowie die in Beziehungen zwischen Staaten wurzelnde Macht- und Ungleichheitsstrukturen. Bourdieus methodologischen Anspruch des »doppelten Bruchs« und die für ihn typischen »radikalen Zweifel« habe ich sehr ernst genommen. Ich habe versucht, immer wieder auch gerade das infrage zu stellen, was das Fundament meines eigenen Denkens, meiner eigenen Annahmen über den Gegenstand war. Während der letzten Jahre habe ich regelmäßig Texte angefertigt, die eine Antwort auf meine Forschungsfrage formulieren, wenn ich sie zu diesem Zeitpunkt hätte geben müssen. In diesen Texten erkenne ich die kontinuierlichen Erweiterungen des anfänglichen Spiels und damit letztlich auch die »Qualifikationsarbeit«. Das Andersdenken, Anderssagen und Andersmachen kann ich nicht lassen. Damit ist verbunden, dass ich nicht gut Worte wiederholen kann, die schon einmal gesagt wurden und schon irgendwo stehen. Zudem kann ich mich nur an Regeln halten, solange ich von ihnen noch überzeugt bin. Früher oder später stelle ich auch die von mir irgendwann einmal aufgestellten (Sprach-)Regeln wieder infrage.
D ER F ORSCHUNGSPROZESS
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Durch die Verbindung der herrschaftskritischen Rezeption Bourdieus mit der Dokumentarischen Methode und einem mit komplexen Rechtsinstitutionen verbundenen Forschungsgegenstand, habe ich Aspekte zusammengeführt, die auf diese Weise noch nicht zusammengeführt wurden. Dabei habe ich womöglich theoretische und methodische Anschlüsse anderer Denktraditionen unberücksichtigt gelassen. Nicht zu denken an unzählige Publikationen und Diskussionen, die sicherlich in anderen Sprachen und mit Bezug zu anderen sozialen Kontexten geführt werden. Das Produzieren eines Standpunkts bedeutet zu meinem Bedauern auch die Verkennung vieler anderer Standpunkte. Meine Standortgebundenheit, die ich in das Feld und in meine Begegnungen mit anderen Feldakteuren getragen habe, konnte ich, selbst wenn ich es gewollt hätte, nicht unsichtbar machen. Ich bin Soziologin, ich bin Stipendiatin der Heinrich-BöllStiftung, ich habe einen typisch deutschen Nachnamen, ich habe Spuren meines Lebens im Internet hinterlassen, ich interessiere mich offenbar für »Bewertung« und »Anerkennung« so sehr, dass ich eine Doktorarbeit darüber schreibe und ich habe Doktoreltern, die unter anderem für kritische Thesen bekannt sind. All dies und noch vieles mehr wussten meine Interaktionspartner entweder von Beginn an oder konnten es, sofern sie mein Vorhaben interessierte, sehr leicht herausfinden. Nicht zu sprechen davon, dass ich »habituell« etwas darstelle, das mein Gegenüber spontan ansprechend finden kann oder gerade nicht. Diese Standortgebundenheit wirkte aus meiner Sicht wie eine Anziehungskraft, gegen die ich trotz Reflexion derselben nicht wirklich ankam. Ich traf im Grunde erstaunlich viele Menschen, die sehr viel zu dem Thema zu sagen hatten und mir auch sehr gern ganz viel dazu sagen wollten. Es waren nicht homologe Positionen und Perspektiven, auf die ich traf, im Gegenteil, aber sie hatten eines gemeinsam: Sie waren nicht gewöhnlich, sondern hinterfragend und kritisch. Sie provozierten mich, irritierten mich und schüttelten mich buchstäblich durch. Das Hinterfragende und Kritische war dem Projekt mit mir und durch mich in die Wiege gelegt, sodass es gleichsam vor allem andere hinterfragende und kritische Perspektiven anzog. Ich gehe davon aus, dass dieselbe Anziehungskraft auch die Rezipientinnen und Rezipienten der Arbeit implizit als solche »auswählen« wird. Wenn ich mein Projekt während des Forschungsprozesses auf Konferenzen, Tagungen und in Kolloquien oder auch in informellen Gesprächen vorgestellt habe, habe ich regelmäßig vor allem eine Rückmeldung mitgenommen: Es regt zu Fragen, zu Positionierungen, zum Diskutieren, zum Kritisieren und letztlich zum »irgendwie« damit Weiterdenken an. Falls sich diese Auseinandersetzung mit der Veröffentlichung fortsetzen sollte, würde ich mich freuen. Kritische Geister sind sich meistens nicht einig. Die Herausforderung muss es deshalb sein, Uneinigkeit und Dissens nicht als Störung, sondern als wesentliche Ressource für die Fortsetzung kritischen Denkens zu begreifen.
4 »Anerkennungsdebatten« und »Anerkennungsgesetze«: warum überhaupt »Gleichwertigkeit prüfen«?
In diesem Kapitel werde ich darauf eingehen, was der Begriff »Anerkennung« in verschiedenen Zusammenhängen meint. Gleichsam werde ich mich der Frage annähern, warum »Gleichwertigkeitsprüfungen« durchgeführt werden und unter anderem zeigen, dass ihre Ausweitung im Sinne von Zugängen zu einem solchen Verfahren von anerkennungssuchenden Auslandsqualifizierten auch gefordert wird. Es handelt sich bei diesem Kapitel gewissermaßen um einen Feldspaziergang, der einige Was- und Wozu-Fragen rund um den Gegenstand thematisiert, um dann in Kapitel 5 die Wie-Fragen in den Fokus stellen zu können. Wichtig, um die Debatten verstehen zu können, ist vor allem eine Unterscheidung: Unter dem Begriff der »Anerkennung« ist im Zusammenhang mit »Anerkennungsgesetzen« immer wieder von Rechtsansprüchen auf eine Bewertung der »Gleichwertigkeit« die Rede. Es handelt sich dabei allerdings nicht um den Rechtsanspruch auf einen Wechselkurs von 1:1, um eine ausländische in eine deutsche Qualifikation umzuwandeln, sondern um den Zugang zu einer Wechselstube, die dann auch unterhalb von 1 oder gar nicht wechselt. Je nachdem, um welche Qualifikation welcher Herkunft es sich handelt, gibt es keine Wechselstuben und damit auch nicht die Möglichkeit, eine offizielle Aussage über die »Gleichwertigkeit« zu erhalten. Warum »Gleichwertigkeit« geprüft wird, sehe ich in der Geschichte der Institutionen und der symbolischen Kämpfe um diese Institutionen begründet. Die NichtAnerkennung ist für die nationalstaatlichen Bildungs- und Berufssysteme gewissermaßen der Normalfall. Im Fokus von symbolischen Kämpfen steht gegenwärtig und stand auch historisch gesehen die Etablierung und Ausweitung eines Prüfungsund Bewertungswesens, das selektiv auswählt, welche im Ausland erworbenen Qualifikationen an Hochschulen und auf dem Arbeitsmarkt zugelassen werden (z. B. KMK/ZAB 2005). Die Anerkennungsbegriffe von Bewerteten und Bewerten-
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den stehen sich daher maximal kontrastierend gegenüber: Die bewertenden Institutionen stehen für jeweils partikulare Interessen an spezifischen Qualifikationen bzw. Qualifikationsinhaberinnen und ihrer Ein- und Anpassung in das deutsche und EUropäische Bildungs- und Berufssystem. Für die Bewerteten steht die »Anerkennung« als »Mensch« im Sinne von Wertschätzung im Vordergrund. Dies wurde als ein kollektives Orientierungsmuster in den von mir durchgeführten Gruppendiskussionen mit Auslandsqualifizierten entfaltet (vgl. 4.1). In der Logik der Institutionen muss den »Anerkennungssuchenden« erklärt werden, was »Anerkennung« nach deutschem Recht heißt, um ihre Erwartungen zu bremsen und die Vorstellungen an die Möglichkeiten anzupassen. Es handelt sich um einen Selektionsprozess, der einseitig normierten Bedingungen und Voraussetzungen unterliegt. Die Erwartung der »Anerkennung« als »Mensch« mit »gleichwertigen« Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen ist in der Logik der Institutionen keine erfüllbare Erwartung. Der kollektive Widerstand gegen die damit verbundene symbolische Gewalt, den ich in den Gruppendiskussionen als kollektives Orientierungsmuster erkenne (vgl. 4.5), arbeitet sich sowohl an Köpfen der »Deutschen« als auch an »deutschen« Institutionen ab. Er richtet sich implizit auch gegen meine Konstruktion des Gegenstands, die demzufolge zu eingegrenzt ist. Die durch den deutschen Staat zertifizierte »Anerkennung« der Qualifikationen zeigt sich zwar als ein relevantes und wie selbstverständlich angestrebtes Symbol. Eigentlich geht es bei den Kämpfen um Anerkennung jedoch um wesentlich mehr als dieses offiziell ausgestellte Stück Papier. Meine Arbeit, die allein das Bewertungsverfahren in den Fokus stellt, bleibt deshalb ebenfalls hinter den mit der »Anerkennung« als »Mensch« verbundenen Erwartungen zurück. Ich möchte diese Diskrepanzen nachvollziehbar machen, indem ich die zentralen »Fokussierungsmetaphern« der beiden Gruppendiskussionen relativ ausführlich im Wortlaut abbilde. Sie geben den Rahmen des Kapitels vor (4.1 und 4.5). Dazwischen thematisiere ich die Entstehung und Veränderung der Institutionen (4.2 und 4.3), auch in Bezug auf die Bewertungsverfahren in den ausgewählten Berufsgruppen (4.4).
»A NERKENNUNGSDEBATTEN « UND »A NERKENNUNGSGESETZE «
4.1 »M ENSCH « NICHT »A USLÄNDERIN «: S TARTHILFE VOM S TAAT ?
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WARUM KEINE
In der Gruppe Berlin zeigt sich das kollektive Orientierungsmuster, das auch mich zunächst in meinem Forschungsprozess angeleitet hat. Davon ausgehend, dass es ohnehin ein »Kampf« ist, sich als Neue in gewachsenen Strukturen zu etablieren: Warum erkennt der Staat nicht als »Starthilfe« zumindest alle ausländischen Qualifikationen an?1 DAMLA: Ich denke äh jeder von uns ähm (.) also mehr oder weniger sich selbst verwirklichen ne, und dann äh im Ausland finde ich das bisschen schwierig. also Berufschancen Berufsmöglichkeiten (.) ähm (2) fin- also sehe ich nicht gleich wie die Deutsche also im Vergleich ähm (.) auch wenn man sich genug qualifiziert hat. ähm (.) jetzt äh (.) also diese Beispiel die Akademiker die türkische Akademiker äh kehren einfach in dem Land zurück in der Türkei, weil die dort äh bessere Berufschancen haben. (.) also die haben äh bessere Aufstiegschancen ne als in Deutschland, und jetzt deswegen äh so einen äh wie kann man sagen ALEX: #Rückkehr# DAMLA: (3) ja ähm (2) ja einfach qualifizierte äh (.) Menschen, kehren einfach zurück in dem Land, (3) und dann bleiben einfach die anderen da. (.) und diesen- ich weiß nich die Vorurteile ähm (.) man muss auch bei den Deutschen auch ein wenig ändern ne, also bei den Vorurteilen ähm (.) also (.) wenn ich zu einem Frisör gehe oder neuen Person kennen lerne (.) also i- immer so diesen äh wer hatte schon mal äh gesagt auch diesen Skepsis (.) ähm im Blick, das merken Sie ne? Ausländerin merken Sie das auch? (2) Diesen Skepsis (.) also ich hatte am Anfang sehr große Schwierigkeiten Freunde zu finden (.) ähm wenn ich einen neuen Kreis dann kennen lerne okay ich komme aus der Türkei (.) aha? äh Türkin, ah ja mm ja Sie sprechen aber ganz gut Deutsch, danke schön und dann dazu kommt immer unbedingt hinzu (.) ähm (.) ja es gibt ja auch viele Türken die ähm hier seit Jahren leben und dann nicht Deutsch können ((jemand lacht)) DAMLA: Die die äh (.) Menschen haben einfach ähm (.) ähm Vorurteile im Kopf leider es gibt das denke ich mal, ähm (.) ja da war ich nicht- okay da war ich in Tirol nicht in Deutschland aber als Beispiel könnt ich das geben glaub ich, äh ich war- hab einfach jemanden kennen gelernt und sie hat mich gef- er hat mich gefragt woher ich komme aus der Türkei ja aber Sie sind nicht so kurz- äh nicht so klein,
1
Vgl. 3.4 zur Erhebung und Auswertung der Gruppendiskussionen.
132 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS ((Gelächter)) DAMLA: und Sie sind nich so dunkel, (.) ja (.) aber Sie können auch sprechen Deutsch, ja (.) und Sie sind nich so dick, ja, Sie können gar nicht Türkin sein ((Gelächter)) DAMLA: und ich war einmal in S. bei einem Fitnesscenter und da steh ich mich anmelden einschreiben lassen und da (.) ähm (.) bei der Anmeldung ähm da haben Trainer haben wir so unterhaltet und so ja Sie kommen aus der Türkei und so ah Sie tragen kein Kopftuch ((Gelächter)) DAMLA: Ha- habe ich ja gerade gelesen in der Zeitung dieses äh über die ähm (.) wie heißt das äh Morde dann dann (.) Bruder den Schwester äh (.) ?: #Inzest?# ?: #Ehrenmorde# DAMLA: Ehrenmorde genau Ehrenmorde (.) äh (2) ja aber die sind- vielleicht gibt es aber die sind Untaten was auch ähm (.) unter eigentlich äh Kurden äh passiert nicht unter Türken und das ist ziemlich seltene Sachen, und die Presse machen die Sache ganz groß, und dann die zeigen als ob das üblich ist was gar nicht so üblich ist. Und der Trainer hat mich auch gefragt (.) äh (.) ob ich für die- dafür- also damit ich so anmelde und so (.) ob ich von einem Familienmitglied männliche Familienmitglied ob ich eine Erlebnis brauche hat er mich auch gefragt ((Gelächter)) DAMLA: ja (.) und (.) ähm (2) wenn ich äh solche Sache halt (.) meine türkische Freundinnen in der Türkei erzähle die lachen sehr @()@ weil Türkei ist äh sind (
) mittlerweile mo-
dernisiert ist geändert (.) ja (.) es äh (.) die die falsche (.) Vorstellungen oder (.) Vorurteile sollte man auch damit kämpfen ne LYDIA: Ja gut ich hab mich mittlerweile meinem Schicksal ergeben, keiner hat mich nach Deutschland gerufen, ich bin selbst gekommen, na da muss ich schon äh damit (.) etwa leben können, ja dass dass man mir äh gegenüber äh Neugier äh und Fragen hat. für mich na stell ich mir immer die Frage welche Frage mir gestellt wird so dass ich in meinem Leben (.) mag man nicht glauben kein’ Wodka getrunken habe (.) brauch ich keinem erzählen ne? also (.) hab wirklich nicht probiert weiß ich nicht wie das schmeckt aber als Russin muss ich das ja
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kennen (.) ne? (.) das is sozusagen die Sache. Und äh (.) ich erwarte nicht immer solche Fragen das is je nachdem mit wem man zu tun hat. na und hier sagen wir so habe ich die Erfahrung gemacht je höher Bildungsstat- status ist je höher äh mm Weltoffenheit bei den Menschen ist bei Bio-Deutschen wenn Sie mir erlauben würden es ist schon mittlerweile bestandener Begriff, ja, dann äh erwarte ich ja weniger dass solche Sachen auftauchen allerdings schließe ich mich zu Ihrer Meinung ein im Sinne Sie sprechen mittlerweile passabel Deutsch wird mir gesagt dann sage ich nach zwölf Jahren muss ich das auch können. ne ich bin nicht gestern gekommen. ja deswegen diese Frage mag ich gar nicht oder diese äh (.) Sa- Sachverhalt zu konstatieren mag ich wirklich nicht. Ja aber mm mit allem anderen in einer Gesellschaft die ziemlich gemischt geworden ist oder oder ist so gemischt (.) ja ((seufzt)) wie gesagt ähm ich glaube dass (.) wir als Ausländer auch gewisse Arbeit leisten (.) äh müssen, ne, mmm manchmal. mmm (.) ich=ich verstehe Ihre Position ganz gut verstehe #ich die# DAMLA: #Also manche# können vielleicht leichter ähm (.) in Schulter nehmen, ähm (.) manche eben nicht mir fällt immer bisschen schwierig wenn ich so über die Türkenvorurteile höre oder merke diesen Skepsis im Blick halt oder A. wie du gesagt hast äh die ahh Russland okay ähm verkauft diesen Diplom so ne solche Sachen halt LYDIA: Das hat mit der Leichtigkeit des Seins nichts zu tun ja? es ist- in meinen Augen ist halt einfach so und ich wie gesagt weil ich auch unterschiedliche Erfahrungen in Deutschland machen musste, dann weiß ich auch wie man hinterher pfeift ne das weiß ich auch und das empfinde ich auch als extrem unangenehm, aber für mich sehe einfach nicht als äh (.) Sachverhalt wo ich erwarte (2) etwas erwarte nichts. ne? ich ich bin so wie ich bin ich tu mein Bestens oder versuche das wenigstens und wenn ich durch mich mein Leben meine Tätigkeit, meine Präsenz weiß ich nicht was, äh (.) die Meinung der anderen über ähm (.) Russen meinetwegen ne etwas ändern kann die Vorurteile abbauen kann dann finde ich das gut, äh so mein kleiner Verdienst, und äh (.) ja wenn nicht dann dann nicht dann kann ich nichts machen //mhm// (.) so MAGDA: #Ich habe (
)#
LYDIA: #Und (.) und deswegen fühle# ich mich immer pardon ein ein Satz ich fühle mich immer sehr Entschuldigung sehr verantwortlich dafür dass ich als Repräsentantin äh meines äh Volkes da angesehen werde ne und diese Verantwortung äh wirklich empfinde ich immer (3) ja (3) MAGDA: Ich wollte nur sagen dass ich auch kein Auto bis jetzt geklaut habe ((Gelächter)) VERA: Ich auch nich
134 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS ((Durcheinander)) VERA: (
) man findet irgendwie seinen Weg so oder so (.) ne? Aber is sehr steinig und
und kostet viel viel äh Kraft alles so TANJA: Aber wir haben uns entschieden nach Deutschland zu kommen. Da müssen wir durch VERA: Ja wir- #ich hab keine Ahnung damals- ich war# TANJA: #Und akzeptieren diese Gesetze und-# VERA: 19 Jahre bin ich nach Deutschland gekommen ich hab keine Ahnung was das bedeutet überhaupt, meine Familie da zu lassen #und so (
) das (.) ähhh#
TANJA: #Man könnte immer zurückkehren (
)#
VERA: ja wenn du einmal verheiratet bist Kind hast und so und dann is sehr schwer wieder zurückzugehen ne DAMLA: Ich denke alles sollte man nicht so einfach hinnehmen weil irgendetwas ähm (.) sehen äh was man verbessern könnte auch dem Lande gut tun würde, dann sollte man auch dafür kämpfen denke ich mal VERA: Ja (.) also wie gesagt nie aufgeben und immer weitermachen (5) MAGDA: Aber ich finde trotzdem äh die Anerkön- -kennung eine Diploms könnte man sogar wie eine Starthilfe hier äh verstehen (.) für die Leute die hier kommen. (.) Irgendwie (2) ist das nicht genug entwickelt worden dass man wirklich die- den Leuten die mit gutem Potenzial hier kommen irgendwie sich weiter re- realisieren können dass die was Gutes hier äh machen können und wir sitzen hier alle und keine arbeitet eigentlich im eigenen Beruf, also das was wir alles gelernt haben das is einfach verloren gegangen das is alles verschwendet VERA: Wenn ich halt mehr gefördert gewesen wäre in in mein- was ich mach und so, dann hätte der Staat jetzt auch weniger Ausgaben mit mir gehabt und und (.) oder wenn ich weiter studieren hätte (.) äh können (.) also das is- dass ähm (.) das stört mich immer noch (.) irgendwie MAGDA: Ob man mit dem Diplom irgendetwas äh weiter macht oder sich doch äh (.) anders orientiert weil (.) wirklich ähm als Lehrer ohne gute Sprachkenntnisse zu arbeiten ist nicht
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einfach mit den Kindern (.) das äh is glau- glaube ich jedem klar (2) aber irgendwie man hat ein ein anderes Gefühl wenn man die Anerkennung bekommt ((zustimmende Laute)) MAGDA: da is weiter- is einfacher #sich weiter zu- ja# ?: #(
)fühlt sich als Mensch#
MAGDA: weiter zu entwickeln wenn man irgendwie (.) weiß ja ich habe schon was gemacht das will ich weiter vielleicht nicht tun aber ich kann vielleicht #(2) etwas Ähnliches auf die Basis# VERA: #Da fühlt man sich schon anders als Mensch wenn das anerkannt is# MAGDA: was zum- weiter zu machen (.) [Gruppe Berlin, 5.5.12, Abschnitt 1, 716 ff.]
Der Kampf um die Anerkennung von Qualifikationen in Deutschland ist mit dem Kampf gegen das Stigma der »Ausländerin« und verknüpfte negative Zuschreibungen unmittelbar verbunden. Die konjunktive (Diskriminierungs-)Erfahrung der Gruppe zeigt sich gerade in dem gemeinsamen Lachen über die unterschiedlichen Stereotype, die ihnen in Deutschland, von Seiten der »Deutschen« begegnen. In dem Lustigmachen über »die Anderen« zeigt sich ein Muster des kollektiven Widerstands gegen das herrschende Wissen bei gleichzeitiger Übernahme herrschender Dichotomien (Ausländer vs. Deutsche, freiwillig vs. unfreiwillig, kommen vs. gehen, nutzen vs. verschwenden, qualifiziert vs. unqualifiziert). Die Kritik an bestimmten Stereotypen reproduziert gleichsam neue Stereotype und Abgrenzungen. Von einer Anerkennung der Qualifikationen durch den Staat wird vor allem ein »anderes Gefühl« erwartet. Es wäre ein offizielles Zeichen, eine Starthilfe, die durch die Anerkennung des »qualifiziert Seins« von der »Ausländerin« oder »dem Ausländer« zum »Mensch« macht und dadurch auch freier macht, irgendetwas damit »weiter zu machen«. Die »Anerkennung« bedeutet damit auch, ein Gefühl der Lähmung und der Blockade, »nichts« weiter tun zu können, zu überwinden. Darin zeigt sich die Relevanz, die einer anerkannten Qualifikation als Handlungsressource zugeschrieben wird. Es ist für die Gruppe nicht nachvollziehbar, warum dieses andere Gefühl, die Chance, etwas weiter zu machen, verweigert wird. Dass es sich bei diesem Ausschnitt um die Fokussierungsmetapher und damit um ein kollektives Orientie-
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rungsmuster handelt, kommt insbesondere in den sich überschneidenden Sprecherwechseln und den zustimmenden Lauten zum Ausdruck.2 Neben dieser kollektiven Orientierung, dem hier hergestellten gemeinsamen Nenner der Gruppe, werden in Bezug auf den Umgang mit den gemachten Erfahrungen unterschiedliche Positionen vertreten und verhandelt. Insbesondere die Frage des Rechts auf Ansprüche an »die Deutschen« oder »den Staat« spitzt sich darin zu, dass die staatliche Anerkennung der Qualifikationen das Minimum dessen ist, was man als »Starthilfe« oder »Staathilfe« erwarten kann – zumal aus der hier dargelegten Sicht nicht erkennbar ist, was dagegen spricht und auch ökonomische Argumente dafür sprechen. Die Gruppe setzt sich mit der symbolischen Gewalt auseinander, kann sich jedoch nicht davon befreien. Sich als Mensch fühlen und etwas weiter machen, ist ihnen nicht denkbar ohne die Anerkennung »der Deutschen« und ohne »den Staat«. Im Anschluss an diese Passage erläutert eine Teilnehmerin, die in einer Beratungsstelle zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse tätig ist, was in Deutschland unter dem Begriff »Anerkennung« zu verstehen ist, was sich in den letzten Jahren gesetzlich geändert hat, wozu man eine staatliche Anerkennung rechtlich gesehen braucht und wozu man sie nicht braucht. Die in dem dargestellten Diskussionsausschnitt entwickelte Erwartung einer staatlichen Anerkennung der Qualifikationen als »Starthilfe«, um sich »anders fühlen« zu können, trat dadurch hinter der unendlichen Vielzahl an mit dem Begriff der »Anerkennung« verbundenen Klassifikationen und Regelungen, über die jeweils einzeln diskutiert werden kann, zurück. Sie wurde zur sozialen Utopie. Auch ich werde in den folgenden Abschnitten darauf eingehen, wie Bewertungsstrukturen und Klassifikationssysteme historisch entstanden sind und wie sie sich bis heute verändert haben. Meine Sprache schlägt dadurch unumgänglich um und wird technischer. Als Maßstab und Ausgangspunkt meines Interesses habe ich die Relevanzsetzung jedoch behalten und in den komplexen Strukturen zu ergrün-
2
Im Nachgang der Diskussion bekam ich eine E-Mail von einer Teilnehmerin, die sich auf diese Stelle bezog und der Formulierung widersprach, dass keine in ihrem eigenen Beruf arbeitet. Das stimme in ihrem Fall nicht. Ihr Bedürfnis im Nachgang der dreistündigen Diskussion dieser Formulierung einer anderen Teilnehmerin zu widersprechen, habe ich zum einen so interpretiert, dass es sich »tatsächlich« um die zentrale »Fokussierungsmetapher« der Diskussion handelt. Zum anderen ist sie, in Unkenntnis meines methodologischen Zugangs, nachvollziehbarerweise davon ausgegangen, dass ich das Gesagte vor allem als eine Sachinformation auffasse und dadurch zu einer »falschen« Schlussfolgerung über die Gruppe und die einzelnen Teilnehmerinnen kommen könnte. Davor wollte sie mich und möchte ich hiermit auch die Leser bewahren.
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den versucht, was gegen die Anerkennung von Qualifikationen als »Starthilfe« spricht.
4.2 D IE HISTORISCHE E NTSTEHUNG »B EWERTUNGSWESENS «
EINES
Die institutionalisierte Bewertung von Qualifikationen, die von einem anderen Staat als dem deutschen Staat verliehen wurden, ist trotz eines langen Schattendaseins abseits öffentlicher Debatten kein ganz neues Feld. Bereits im Jahr 1905 wurde die erste Vorgängereinrichtung der heutigen Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) in Berlin gegründet. Inzwischen bei der Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn angesiedelt, ist sie seitdem mit der Sammlung von Informationen über ausländische Bildungssysteme sowie mit der gutachterlichen Unterstützung der für die Bewertungsverfahren zuständigen Stellen befasst (vgl. z. B. KMK/ZAB 2005, KMK/ZAB 2013). Wer sich mit der Historie von Anerkennungs- bzw. Bewertungsverfahren in Deutschland und Europa befasst, kommt an ihrem institutionellen Gedächtnis vermutlich nicht vorbei. Wie ein Interviewter formuliert, nimmt sie in Beziehung zu ähnlichen Stellen in anderen Ländern allein aufgrund ihrer Größe sowie ihres langen Bestehens die Rolle eines „Elefanten“ ein (HI-ZAB1).3 Unter dem »Bewertungswesens« ein einheitliches System zu verstehen, wäre dennoch irreführend. Eher handelt es sich um einen institutionellen Flickenteppich, der die Geschichte mannigfaltiger Konflikte sichtbar werden lässt. In jüngerer Zeit mehren sich die Kräfte, die das Thema der Bewertung ausländischer Qualifikationen in Deutschland als eine Einheit begreifen und behandeln wollen. Dazu zählt auch meine Arbeit. Das folgende Kapitel zeigt deshalb mit historischen Bezugnahmen auf, welche Institutionen und Klassifikationen das Bewertungswesen für ausländische Berufsqualifikationen in Deutschland bis heute strukturieren.
3
Sjur Bergan formulierte als Leiter der Abteilung für Hochschulbildung des Europarats vor einigen Jahren: „Would it not be a wonderful project for a Master's or doctoral thesis to use its archives [der ZAB, I.S.] to look at how recognition practice in Germany has developed over the past century?“ (Bergan 2005: 15) Eine historische Perspektive kann hier leider nicht in dem Maße geleistet werden, wie sie notwendig wäre. Die Archive bleiben Historikern überlassen. In Ergänzung zu Literatur und Dokumenten sind meine Informationen und Einblicke durch die geführten Interviews und hier insbesondere zwei mehrstündige Hintergrundinterviews mit Personen, die mehrere Jahrzehnte Erfahrungen im Umfeld der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen haben, geprägt (HI-ZAB1, HIZAB2).
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4.2.1 »Starthilfe« für Spätaussiedler? Anerkannte (Spät-)Aussiedler4 besitzen seit vielen Jahrzehnten auch in Bezug auf die Anerkennung ihrer Qualifikationen eine rechtliche Sonderstellung, die jedoch nur mit Einschränkungen in dem Maße privilegiert, wie sie es der politischen Idee nach beabsichtigt. Sie zeugt dennoch von dem historisch vorherrschenden ethnischen Anerkennungsprinzip als dem partikularen Interesse, die »eigenen Leute« gut zu behandeln. Bis 2012 waren Spätaussiedler die einzige Gruppe, die unabhängig von ihrer Qualifikation einen Zugang zu einem Bewertungsverfahren hatte. Das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) von 1953 beinhaltet einen Rechtsanspruch auf eine Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, „wenn sie den entsprechenden Prüfungen oder Befähigungsnachweisen im Geltungsbereich des Gesetzes gleichwertig sind“ (§ 10 BVFG, ehemals § 92). Zweck dieser Regelung war der Erhalt des im Ausbildungsstaat erzielten sozialen Status. Ethnische Deutsche sollten in Deutschland nicht sozial absteigen und dadurch schlechter leben als in dem Ausbildungsstaat. Das war zumindest der politische Imperativ hinter dem Gesetz. Es ging um „die Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben“ und darum, „Nachteile […] zu mildern“ (§ 7 BVFG). Diese Regelung ist und war unabhängig von der Art der Qualifikation und dem mit einer Anerkennung verbundenen Zweck, wie Berufstätigkeit oder (Weiter-)Studium (was im Folgenden noch eine Rolle spielen wird). Wenn diese Bewertungen nicht unter dem »Gleichwertigkeitsvorbehalt« stünden, könnte man von der Konzeption einer »Starthilfe« für (Spät-) Aussiedler sprechen, wie sie in der Gruppendiskussion als Idee entfaltet wurde. In einem Leitfaden für Beratungs- und Anerkennungsstellen im Handwerk aus dem Jahr 2006 wird unter anderem aufgeführt, wie die »Gleichwertigkeit« der Qualifikation einer Person mit Spätaussiedlerstatus zu prüfen ist: „Die Inhalte müssen insoweit übereinstimmen, dass noch von einer Vergleichbarkeit gesprochen werden kann. Dieses Kriterium ist grundsätzlich sehr weit auszulegen (Eingliederungsund Bestandsschutzgedanke). Eine engere Auslegung ist aber erforderlich, wenn Folge der Anerkennung die Erlaubnis zum Umgang mit Gefahrenstoffen ist (Schutz der Allgemeinheit).“ (WHKT 2006: 18)
Meine Interviewpartnerinnen in den Jahren 2012 und 2013 nennen die »Gleichwertigkeitsprüfung« im Sinne des BVFG unter anderem »wohlwollend« bzw. »wohlwollender« als die neu eingeführten Bewertungsverfahren nach dem 2012 in
4
Hier ist mit »anerkannt« der Status »Spätaussiedler« nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) und nicht die Qualifikation gemeint.
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Kraft getretenen Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG). Letztere stehen, zumindest der Theorie nach, im Bereich der Berufe in Handwerk ebenso wie in Industrie und Handel allen Auslandsqualifizierten als Verfahren offen. Spätaussiedlerinnen haben inzwischen die Wahl, auf Basis welcher der beiden Rechtsgrundlagen ihre Qualifikationen geprüft werden. Neben »Spätaussiedlerinnen« wanderten auch viele »jüdische Kontingentflüchtlinge« (ebenfalls eine etablierte Kategorie der deutschen Rechtssprache) aus der ehemaligen Sowjetunion und im gleichen Zeitraum, das heißt vor allem den 1990ern, nach Deutschland ein. Sie hatten vielfach in ihren Ausbildungsstaaten dieselben Abschlüsse an denselben Ausbildungseinrichtungen wie die »Spätaussiedler« erworben, ohne einen Rechtsanspruch auf ein Prüfverfahren zu haben (vgl. Englmann/Müller 2007: 33). Diese Konstellation, in der eine Ungleichbewertung der Qualifikationen auf Basis ethnischer Prinzipien offensichtlich wird, hat – wie man sich unschwer vorstellen kann – sehr große Konflikte in und um die bewertenden Institutionen ausgelöst. Es ließ sich für mich im Rahmen meiner Recherchen nicht gut nachvollziehen, wie in der Praxis mit diesen Konflikten umgegangen wurde. Zum einen wurde mir gesagt, dass es schlicht ein Problem war und man als Verwaltung lediglich habe erklären können, dass es für die einen eine Rechtsgrundlage gibt und für die anderen nicht. Die Diskussionen seien infolge der Befürchtung eines sehr viel größeren Verwaltungsaufwands auch eher in die Richtung gegangen, das Bundesvertriebenengesetz abzuschaffen und dadurch eine »negative« Gleichbehandlung herzustellen (HI-ZAB1). Ein anderes Mal wurde mir gesagt, dass es, gerade weil es für diesen Kreis keine Rechtsgrundlage gäbe, in der Praxis »sehr wohlwollend« gehandhabt worden sei – allerdings nur bis es damit dann Schwierigkeiten gegeben hätte, sodass man das auf ein normales Maß regeln musste (HIZAB2). Diese paradoxen Einblicke verdeutlichen einmal mehr, dass Politik, Recht und Verwaltungspraxis als komplexe symbolische Auseinandersetzungen zu denken sind. Die als »wohlwollend« bezeichnete Prüfung führte nicht zwangsläufig zur Anerkennung der »Gleichwertigkeit« und damit auch nicht zu dem mit dieser Regelung ursprünglich politisch beabsichtigten sozialen Statuserhalt von »(Spät-)Aussiedlern«. Bei einer offiziellen Nicht-Anerkennung konnten jedoch unter Umständen Fördermaßnahmen greifen, die ohne Zugang zu einem Bewertungsverfahren nicht zu bekommen waren. Insbesondere von Lehrerinnen, die in GUS-Staaten ausgebildet wurden, ist bekannt, dass ihre Lehramtsqualifikationen nicht als »gleichwertig« anerkannt wurden (z. B. Weizsäcker 2009, Schnippering/Bethschneider 2009, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V./Projekt access 2010, Englmann/ Müller-Wacker 2010). Doch auch Qualifikationen, die als »gleichwertig« anerkannt wurden, mündeten nicht zwangsläufig in eine der Qualifikation entsprechende Erwerbstätigkeit. Zum Teil wurden auch schlechtere Arbeitsmarktchancen festgestellt als im Fall von Einwanderern, die keinen Rechtsanspruch auf ein »Anerkennungs-
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verfahren« hatten (z. B. Konietzka/Kreyenfeld 2001, Treibel 2003: 39, Roesler 2006, Brück-Klingenberg/Burkert/Seibert/Wapler 2007, Frik 2009, Nohl/Schittenhelm 2009). Aus den Erfahrungen mit »Aussiedlern« wurde im Kontext der seit 2012 in Kraft getretenen »Anerkennungsgesetze« in Bund und Ländern unter anderem gefolgert, dass eine Prüfung, die als »wohlwollend« bekannt ist, von Arbeitgeberinnen nicht als »gleichwertig« anerkannt wird. Sie müsse streng sein, damit die Qualifikation (weiterhin) einen Wert auf dem Arbeitsmarkt habe. Zumindest müsse ihr der Ruf vorauseilen, streng zu sein. In dieser Verhandlung um die Kategorien »wohlwollend« und »streng« zeigt sich, was ich am Ende die »Gewalt des kollektiven Besserwissens« nennen werde (vgl. Kap. 6). Verhandelt wird das Maß an Großzügigkeit, die das System in der Lage ist, zu gewähren, ohne sich dadurch selbst infrage stellen zu müssen. Rechtlich anerkannt wird dadurch tendenziell, wer gesellschaftlich bereits anerkannt ist, das heißt, wessen offizielle Anerkennung nicht misstrauisch macht. Das Strukturprinzip der Beziehungen Deutschlands zu den jeweiligen anderen Ausbildungsstaaten überlagert nach meiner Interpretation, zumindest inzwischen, das an der Oberfläche bedeutsam erscheinende ethnische Anerkennungsprinzip (vgl. Kap. 5). 4.2.2 »Akademische Anerkennung« und die Internationalisierung der Hochschulen Die Internationalisierung der Hochschulen markiert den für mich nachvollziehbaren Beginn der in Deutschland geführten Auseinandersetzungen um die Bewertung von im Ausland erworbenen Qualifikationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Durchführung von offiziellen Bewertungsverfahren durch die Hochschulen, mit dem Ziel des Studiums in Deutschland, wird heute »akademische Anerkennung« genannt. Sie grenzt sich begrifflich vor allem von der sogenannten »beruflichen Anerkennung« ab, die Anerkennung zum Zweck der Berufsausübung und damit auch der Geltung einer Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt. Mit diesen Begriffen ist vor allem auch eine Unterscheidung von Hochschulrecht und Berufsrecht verbunden. Die »Führung akademischer Grade« und die Frage der Anerkennung von Hochschulabschlüssen zu beruflichen Zwecken ist ein besonderer Fall (siehe nächste Abschnitte). Im Zusammenhang mit der Internationalisierung der Hochschulen ging es zunächst um die Immatrikulation von Studieninteressierten mit ausländischen Zeugnissen an deutschen Hochschulen (Reuhl 2005a). Eine öffentliche Diskussion um unterschiedliche Maßstäbe der Universitäten bei der Bewertung ausländischer Zeugnisse zum Zweck des Hochschulzugangs war im Jahr 1905 Anlass für die Gründung der „Auskunftsstelle für die Immatrikulationsangelegenheiten von Aus-
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ländern“ durch das preußische Kultusministerium (ebd.: 27). Sie gilt als die erste Vorgängereinrichtung der heutigen Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB). Die neu eingerichtete Stelle erhielt per Erlass den Auftrag, einheitliche Bewertungsgrundlagen zu erarbeiten und die Universitäten bei der Bewertung zu unterstützen. Die anderen Länder schlossen sich diesem Verfahren an und folgten Preußen auch im Zuge der administrativen Neuordnungen nach dem Ersten Weltkrieg. Im Jahr 1922 verständigten sich dann die Länder darauf, ihre Zulassungsentscheidungen gegenseitig anzuerkennen (ebd.). Die Bewertungsergebnisse sind seit dieser Anfangsphase in zwei Hauptkategorien eingeteilt (Reuhl 2005a: 30). In die erste Kategorie fallen Zeugnisse, die als »gleichwertig« zu einer deutschen Entsprechung beurteilt werden, während der zweiten Kategorie jene Zeugnisse zugeordnet sind, die als »nicht gleichwertig« begutachtet werden. Unter bestimmten Voraussetzungen eröffnet letztere Beurteilung die Möglichkeit, weitere Zusatzleistungen oder Zusatznachweise zu erbringen, z. B. durch den Besuch von Studienkollegs, um den noch nicht erreichten Status der »Gleichwertigkeit« zu erzielen. „Und wir haben das, wie wir sind, klassifiziert: bestimmte Länder ins Studienkolleg, bestimmte nicht“ (HI-ZAB2). Ein typischer Grund, den direkten Zugang zum Studium abzulehnen, war eine geringere Anzahl an absolvierten Schuljahren. Ein Gutachten, das zu dem Ergebnis kam, dass andere Länder in 12 Jahren dieselbe Anzahl an Stunden absolvierten, die in Deutschland in 13 Jahren üblich waren, sei „nicht veröffentlicht worden, das verschwand ganz schnell“ (ebd.). Die Konflikte um die Frage, wie die »Gleichwertigkeit« bewertet wird, fasst Günther Reuhl, ehemaliger Leiter der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), in der Beobachtung einer Verflechtung von Interessenslagen zusammen. „Von Anfang war die fachliche Bewertung der Zeugnisse nur einer der Aspekte in einem weiten Diskussionsspektrum über das Ausländerstudium. Unterschiedliche politische Einschätzungen über den Stellenwert des Ausländerstudiums, die Aufnahmefähigkeit der Hochschulen bis zu sozialen Aspekten der Hilfe für Studenten, die ihre Heimatländer verlassen mussten, beanspruchten Geltung und strahlten auf die Bewertung der Zeugnisse aus.“ (Reuhl 2005a: 30 f.)
Holger Conrad, ebenfalls ehemals Leiter der ZAB bemerkt, dass die Übernahme „relativ unpräziser Begriffe in rechtliche Formulierungen“ womöglich gerade dem Ausgleich widerstreitender Interessen dienen solle, wie dem „relativ strengen akademischen Berechtigungswesen“ und „der Förderung der weltweiten studentischen Mobilität auch angesichts unterschiedlicher Leistungen der einzelnen Bildungssysteme“ (Conrad 1988: 155 f.). Er bezieht sich dabei ebenfalls auf den Gleichwertigkeitsbegriff. Diese Aussagen plausibilisieren damit auch meinen methodologischen
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Zugang, die »Gleichwertigkeitsprüfung« mit Pierre Bourdieu im Sinne von symbolischen Kämpfen und Machtbeziehungen zu betrachten. Der Europarat war die erste Institution, die sich in den 1950er Jahren einer europäischen Zusammenarbeit in der Frage der Anerkennung von Bildungsnachweisen mit dem Ziel des kulturellen Austauschs im akademischen Feld gewidmet hat (Reuhl 2005b: 81). In den 1950er Jahren wurden „nach längeren Beratungen“ (ebd.), die ebenfalls bis heute in dieser Frage typisch sind, die „Europäische Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse“ (1953), das „Europäische Übereinkommen über die Gleichwertigkeit der Studienzeiten an den Universitäten“ (1956) und das „Europäische Übereinkommen über die akademische Anerkennung von akademischen Graden und Hochschulzeugnissen“ (1959) verabschiedet. Es ging dabei vor allem um Vereinbarungen zwischen den beteiligten Staaten, die Qualifikationen gegenseitig anzuerkennen. Etwa zur gleichen Zeit entstanden auch im Rahmen der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) Übereinkommen zur Frage der gegenseitigen Anerkennung. Sie bezogen sich auf spezifische Regionen, wie auf die europäischen und arabischen Anrainer-Staaten des Mittelmeers (1976), die arabischen Staaten (1978), die afrikanische Staaten (1981), die Staaten Asiens und des Pazifiks (1983). Die UNESCO-Konvention für die europäische Region wurde zum Beispiel erst 15 Jahre später, im Jahr 1994, von Deutschland ratifiziert. Deutschland behielt sich dabei vor, „dass nur Abschlüsse anerkannt werden, die deutschen Abschlüssen 'gleichwertig' sind“ (Reuhl 2005b: 81). Beides, dass die Ratifizierung von internationalen Übereinkommen lange dauert und dass Deutschland auf »Gleichwertigkeit« beharrt, ist gewissermaßen ein historisches Kontinuum in diesem Feld. Das hängt nicht zuletzt auch mit der Hoheit der Länder für Wissenschaft, Bildung und Kultur zusammen, die Einigungsverfahren und institutionellen Wandel zu einem komplexen und langwierigen Vorhaben macht. Dabei lässt sich bereits über Sinn und Notwendigkeit von »Einigung« streiten. In den 1990er Jahren fanden mehrere Entwicklungen ihren Anfang, die maßgeblich für die gegenwärtige institutionelle Struktur »akademischer Anerkennung« wurden und auch die »berufliche Anerkennung« beeinflusst haben. Zum einen wurde mit dem Bologna Prozess und der Einführung eines dreistufigen Studienmodells (Bachelor, Master und Promotion) im Jahr 1999 mit dem Versuch begonnen, einen »Europäischen Hochschulraum« zum Zweck der Mobilitäts- und Wachstumsförderung zu schaffen. Der Europarat und die UNESCO schlossen sich ebenfalls in den 1990ern zusammen, um ein neues gemeinsames Übereinkommen zu erarbeiten, welches ihre jeweiligen Vorgänger-Abkommen bündeln und ersetzen sollte (vgl. Rauhvargers 2004, 2009). Man versprach sich neue Herausforderungen in der Entwicklung der Hochschulbildung und der transnationalen Zusammenarbeit gemeinsam besser bewältigen zu können und auf diese Weise bestehende Doppelstrukturen abzubauen. Das »Übereinkommen des Europarates und der UNESCO über die An-
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erkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region« wurde 1997 in Lissabon von den Mitgliedsstaaten beider Organisationen verabschiedet. Deswegen ist es auch als »Lissabonner Anerkennungskonvention« oder nur »Lissabon-Konvention« bekannt. Die Ideen und rechtlichen Vereinbarungen, die im Kontext internationaler Netzwerke erarbeitet werden, sind in der Umsetzung kein Automatismus und schlagen sich im nationalen Recht und in der Anerkennungspraxis unterschiedlich nieder (ebd.). 53 Staaten haben die Konvention bislang ratifiziert, darunter auch einige Staaten, die nicht Mitglied des Europarates sind (vgl. Europarat 2014). In Deutschland ist die Lissabon-Konvention 10 Jahre nach der Unterzeichnung – im Jahr 2007 – ratifiziert worden und kurz darauf in Kraft getreten (Bundesgesetzblatt 2007). Eine zentrale Rolle bei der Erarbeitung wie auch bei der Umsetzung internationaler Vereinbarungen im Bereich der Anerkennung von Qualifikationen hatten die sogenannten »ENIC-NARIC-Netzwerke«. In ihnen ist auch bereits die Verzahnung zwischen akademischer und beruflicher Anerkennung etabliert. ENIC steht für »European Network of Information Centres in the European Region« und ist das weitere, das heißt mehr Staaten umfassende Netzwerk des Europarats. NARIC steht für »National Academic Recognition Information Centres in the European Union« und ist das engere, weniger Staaten umfassende Netzwerk der Europäischen Union. Jeder Mitgliedstaat hat in der Regel eine spezifische Stelle als Mitglied in diesen Netzwerken benannt. Das deutsche ENIC-NARIC ist die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, welche allein aufgrund ihrer Größe und ihrer langjährigen Erfahrung eine mit besonderer symbolischer Macht ausgestattete Rolle bei der Erarbeitung der Lissabon-Konvention wie auch der vorausgegangen Konventionen des Europarats und der UNESCO hatte: „da steht nichts drin, was nicht Praxis dieser Bewertung ist und ihren Empfehlungen entspricht. Die sind unseren Wünschen und unserer Arbeitsweise konform“ (HI-ZAB1). Durch die ENIC-NARICNetzwerke sei etwas in Bewegung gekommen, das man sich nicht habe träumen lassen, als man in den 1970er Jahren noch „frohgemut die Bastion Deutschland verteidigt“ habe (ebd.). Im Rahmen von regelmäßigen Treffen der mehr oder weniger selben Menschen, z. B. in Brüssel oder auf Malta, wurde über Jahre das Vertrauen verhandelt, dass sich in der Anerkennung der Qualifikationen niederschlagen sollte und womöglich auch niedergeschlagen hat. Es sei dann in diesem Zusammenhang auch immer wieder zu Konflikten gekommen mit denen, die zuhause geblieben sind, vor allem wenn man nach dem Treffen in der Begutachtung der Qualifikationen alles etwas „konzilianter“ sah, aber die eigene Dienststelle das „überhaupt nicht konzilianter“ sah (ebd.). Erste Voraussetzung für die Frage der »Anerkennung« einer Qualifikation ist und war in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein Ausbildungsstaat an den Konventionen beteiligt ist oder nicht. Die Mitgliedschaft bzw. Beteiligung an den Abkommen ist damit selbst auch Teil des betrachteten umkämpften Felds. Mit Erwei-
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terungen um neue Mitglieder entstanden jeweils auch neue Konflikte zwischen den alten und neuen Vertragsparteien (Reuhl 2005b: 82 ff.). Über Differenzen zwischen den Bildungs- und Ausbildungssystemen wurde hinweggesehen, solange nur eine kleine Kerngruppe von Staaten in »Zentraleuropa« an den Übereinkommen beteiligt war (ebd.). Mit den Beitritten von weiteren Staaten jenseits von »Zentraleuropa« ließ sich die auf Vertrauen und Austausch basierende Anerkennungspraxis nicht aufrecht erhalten und bis dato tolerierte Differenzen wurden zum Problem (ebd.). Ob eine spezifische Qualifikation jeweils individuell anerkannt wird oder nicht, lässt sich also nicht unabhängig von den Beziehungen zwischen den Ausbildungsstaaten, einschließlich der Konflikte um diese Beziehungen und auch der Menschen, die diese Beziehungen im Konkreten verhandeln, denken. Neben multilateralen Konventionen und Übereinkommen haben sowohl die DDR als auch die BRD seit den 1970ern bilaterale Äquivalenzabkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich mit anderen Staaten geschlossen. Die Abkommen der DDR mit ihren »sozialistischen Bruderstaaten« wurden mit der Wiedervereinigung gekündigt, zum Teil mit dem Angebot verbunden, neue Abkommen zu schließen. Es bestehen deshalb zum Beispiel Abkommen mit Bolivien (1972/1999), China (2004), Frankreich (1980/1987/1997), Italien (1996), Lettland (2003), Niederlande (1983), Österreich (1983/2003), Polen (1998), Schweiz (1995/2004/2005), Slowakei (2003), Spanien (1995), Tschechien (2008), Ungarn (1990/2004) und Zypern (2006).5 Sie stellen völkerrechtlich verbindliche Regeln über die gegenseitige Anerkennung im Hochschulbereich (wie Studienzeiten, Studienabschlüsse, Prüfungsleistungen und Hochschulgrade) zum Zweck der Fortsetzung einer akademischen Ausbildung dar, beinhalten jedoch keine Vereinbarungen für die Verwertung auf dem Arbeitsmarkt. Die Zuständigkeit für die Verhandlung über Äquivalenzabkommen mit anderen Staaten liegt in Deutschland bei der Bundesregierung und konkret beim Auswärtigen Amt (AA) im Rahmen der »auswärtigen Kulturpolitik«. Die Kultusministerkonferenz (als Vertretung der Länder) sowie die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Vertretung der Hochschulen müssen zustimmen (Thieme 2005: 89). Die Aufnahme von Verhandlungen und damit auch die Auswahl von Verhandlungspartnern sind von diversen strategischen Erwägungen abhängig. Das macht Christian Thieme, ehemaliger Ständiger Vertreter des Generalsekretärs der Kultusministerkonferenz, mit folgenden Ausführungen deutlich: „In erster Linie wurden solche Abkommen mit Nachbarstaaten abgeschlossen, um die Grenzen zu den Nachbarn durchlässiger zu machen […] Ein besonderes Zeichen sollte gesetzt werden, als im Jahre 1988, als der eiserne Vorhang noch auf unabsehbare Zeit Mittel- und
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Siehe KMK/ZAB (2013) für eine aktuelle und vollständige Liste.
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Osteuropa von der freien Welt abriegelte, Verhandlungen mit Ungarn aufgenommen wurden. […] Dass Deutschland ein hohes Interesse daran hat, dass junge Chinesen, die ein Studium im Ausland anstreben, sich nicht nur für die USA, Großbritannien und Frankreich interessieren, bedarf keiner näheren Darlegung. Im Falle Zyperns wollte die deutsche Seite den Wunsch des damaligen EU-Beitrittskandidaten nach einem Abkommen selbstverständlich nicht zurückweisen; außerdem besteht die Hoffnung, dass das gute Beispiel dieses Abkommens vielleicht auf Griechenland ausstrahlt, das sich seit langer Zeit weigert, die deutschen Abschlüsse (insbesondere das Diplom (FH)) adäquat anzuerkennen.“ (Thieme 2005: 92)
Umgekehrt bedeutet dies, dass mangelndes Interesse an einem Dialog (ein- oder beidseitig) dazu führt, dass keine Vereinbarungen getroffen werden, auf die sich Inhaberinnen der entsprechenden Qualifikation dann berufen könnten. Das mangelnde strategische Interesse auf Ebene der Staatenbeziehungen betrifft dann in der Konsequenz vor allem diejenigen, die nicht wegen eines Studiums nach Deutschland kommen (und Anerkennungsfragen im Zuge dessen zumindest der Theorie nach vorher abgesichert haben können), sondern vor allem diejenigen, die z. B. als Geflüchtete oder Heiratsmigranten einwandern und dann studieren möchten. Vom Hochschulbereich ausstrahlend, gibt es auch mit oder seit der »LissabonKonvention« die Bestrebung, den Begriff der »Gleichwertigkeit« durch den Begriff des »wesentlichen Unterschieds« als Paradigma der Bewertungspraxis zu ersetzen (z. B. HRK 2013: 9 ff., Bergan/Stephen 2009). Es geht dabei darum, der Vielfalt der Hochschullandschaften und der Normalität und Zulässigkeit von Unterschieden Rechnung zu tragen. »Gleichwertigkeit« erinnert zu sehr an »Gleichartigkeit« (HRK 2013: 24, vgl. Reuhl 1999: 66). Bei der »Anerkennung« soll es sich jedoch nicht um ein Feststellungsverfahren handeln, ob die Art der Qualifikation gleich ist, sondern ob ihr Wert gleich ist. Nicht jeder Unterschied, sondern nur der wesentliche Unterschied soll zur Nicht-Anerkennung führen dürfen. Mit der Lissabon-Konvention und dem Wechsel zum Paradigma »wesentlicher Unterschied« ist gleichzeitig die Idee einer »Beweislastumkehr« verbunden. Die Studierenden sollen nicht mehr nachweisen müssen, dass ihre Studien- und Prüfungsleistungen »gleichwertig« sind, sondern die Hochschulen sollen nachweisen müssen, dass »wesentliche Unterschiede« vorliegen. Diese Ideen lassen sich auch in der »Anerkennungsgesetzgebung«, die in Deutschland seit 2012 auf Ebene des Bundes und danach sukzessive auf Ebene der Länder eingeführt wurde, jeweils in Aspekten wiederfinden. Der Begriff der »Gleichwertigkeit« ist jedoch nicht aus den deutschen Gesetzen verschwunden, weder aus Landeshochschulgesetzen noch aus den Berufsfachgesetzen. Was ein »wesentlicher Unterschied« ist, ist womöglich auch nicht eindeutiger bestimmbar als was »gleichwertig« ist. In der Bewertungspraxis wird vor allem deutlich, dass »gleichwertig« und »wesentlicher Unterschied« durchgängig als Antonyme verwendet werden (vgl. Kap. 5). Wenn »wesentliche Unterschiede« festgestellt wer-
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den, gilt eine Qualifikation (und damit auch das Produkt des jeweiligen Ausbildungsstaats) als »nicht gleichwertig«. 4.2.3 »Berufliche Anerkennung« und EUropäische Freizügigkeit Sowohl der Europarat als auch die UNESCO trieben die Anerkennung von Qualifikationen lange Zeit ausschließlich zum Zweck der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Hochschulen voran. Dagegen war den Europäischen Gemeinschaften (EG) und ihrem Rechtsnachfolger, der Europäischen Union (EU), vor allem an der Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums und der beruflichen Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Selbständigen gelegen. Das war letztlich der Motor, der die Strukturen der »beruflichen Anerkennung«, insbesondere in Bezug auf sogenannte »reglementierte Berufe« vorangetrieben hat. Diese beiden Entwicklungslinien prägen auch bis heute die Unterscheidung von »akademischer« versus »beruflicher Anerkennung«, die allerdings im Zuge des Bologna Prozesses und der Lissabonner Anerkennungskonvention immer stärker zu einer Einheit verschmelzen. Die akademischen Erstabschlüsse sind auch im Sinne des Hochschulrahmengesetzes »berufsqualifizierende Abschlüsse« geworden (Reuhl 1999: 76). Dennoch ist die Bewertungspraxis weiterhin durch verschiedene Rechtsgrundlagen und verschiedene zuständige Stellen geprägt. Die für die »berufliche Anerkennung« maßgebliche Klassifikation in reglementierte und nicht-reglementierte Berufe sowie die Unterscheidung in EU-/EWR/Schweiz-Bürger und EU-/EWR-/Schweiz-Qualifikationen einerseits und Drittstaatsangehörige/ Drittstaatsqualifikationen andererseits ist auf den Prozess der EUropäischen Integration und die Arbeit an der Schaffung eines EUropäischen Wirtschaftsraums zurückzuführen. Im Folgenden werde ich darlegen, was diese Kategorien bedeuten. 4.2.3.1 Reglementierte und nicht-reglementierte Berufe Eine für das Bewertungswesen wesentliche Klassifikation besteht in der Unterscheidung von reglementierten und nicht reglementierten Berufen. Eine »berufliche Anerkennung« im rechtlichen Sinne ist für die Ausübung des Berufs und ein Agieren am Arbeitsmarkt im Normalfall nicht erforderlich. Das gilt jedoch nicht, wenn die Berufsausübung oder die Berufsbezeichnung durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften staatlich reglementiert sind. Dies trifft z. B. zu, wenn mit einem Beruf und seiner Ausübung besondere Gefahren für Leib und Leben verbunden sind, wie bei den Gesundheitsberufen. Aber auch die juristischen Berufe oder der Lehrerberuf sind staatlich reglementiert. Als nicht-reglementierte Berufe gelten alle anderen Be-
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rufe, deren Ausübung oder Berufsbezeichnung nicht an Rechts- und Verwaltungsvorschriften gebunden ist. Nur wenn es sich um reglementierte Berufe handelt, resultiert aus EURichtlinien ein Auftrag, anzuerkennen bzw. die Anerkennung zu prüfen. Unter reglementierten Berufen versteht die Europäische Union: „eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist; eine Art der Ausübung ist insbesondere die Führung einer Berufsbezeichnung, die durch Rechtsoder Verwaltungsvorschriften auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation verfügen.“ (RL 2005/36/EG, Art. 3, Abs. 1, a)
Die heutigen Institutionen der beruflichen Anerkennung haben bereits eine längere Geschichte. Die sechs Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaften, darunter auch Deutschland, unterzeichneten im März 1957 die Römischen Verträge. Im „Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ erklärten sie ihre Absicht, Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen mit dem Ziel der freien Niederlassung und Berufsausübung in den Mitgliedstaaten zu erlassen (EWG-Vertrag, Artikel 57). Sektorale und allgemeine Richtlinien bzw. Berufe Um das EUropäische Berufsrecht nachzuvollziehen, ist wiederum die Unterscheidung von sektoralen und allgemeinen Richtlinien bzw. Berufen relevant. Sektorale Berufe sind reglementierte Berufe, die einheitlich geregelt sind und weitestgehend automatisch anerkannt werden. Die allgemeinen Richtlinien gelten für die übrigen reglementierten Berufe und bedingen eine Überprüfung, ob »wesentliche Unterschiede« vorliegen. Die ersten sogenannten sektoralen Richtlinien entstanden zwischen 1970 und 1985 und bezogen sich auf bestimmte in allen Staaten reglementierte Berufsqualifikationen, wie Ärztinnen, Anwälte, Zahnärztinnen, Tierärzte, Apotheker, Architekten, Krankenschwestern und Hebammen (Becker-Dittrich 2005: 122). Welche Berufe reglementiert sind, hängt von der jeweiligen nationalen Gesetzgebung ab. Die sektoralen Richtlinien beinhalten eine automatische berufsrechtliche Gleichstellung der Qualifikationen. Sie enthalten dementsprechend im Anhang eine Auflistung der entsprechend wechselseitig anzuerkennenden Qualifikationen. Im Rahmen von Koordinierungsrichtlinien musste zunächst eine Harmonisierung der Ausbildungen (mit Ausnahme von Architekten und Anwälten) unter Erfüllung von Mindeststandards umgesetzt werden. Für sektorale Berufe ist in Anerkennungsfragen daher auch der Zeitpunkt des Erwerbs der Qualifikation relevant. Die An-
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wendung der Richtlinien richtet sich je nach Mitgliedsstaat entweder nach dem Zeitpunkt der Umsetzung in nationales Recht oder nach dem Zeitpunkt des Beitritts. Inhaberinnen von Qualifikationen, die bereits vor diesem Zeitpunkt erworben wurden, müssen durch Bescheinigung der zuständigen Stelle im Ausbildungsstaat („EU-Erklärung“) belegen, dass die Ausbildung den festgelegten EU-Mindeststandards entspricht oder dass sie in den fünf Jahren zuvor rechtmäßig in diesem Beruf tätig waren (Becker-Dittrich 2005: 122). In den 1980er Jahren ist man von der Fortsetzung des begonnenen Systems sektoraler Richtlinien abgewichen. Es gestaltete sich als sehr aufwendig, die Ausbildungen zu vergleichen und ihre Harmonisierung in den Mitgliedstaaten zu koordinieren. Es waren jahrelange Sitzungen für jeden einzelnen Beruf und die Vertreterinnen der Mitgliedstaaten seien zum Teil wöchentlich in Brüssel unterwegs gewesen. Dabei weisen die Interviewten aus dem Umfeld der ZAB daraufhin, dass ihr Einfluss im Gegensatz zu den Entwicklungen im Bereich der akademischen Anerkennung in Bezug auf die EU-Richtlinien (und EuGH-Urteile) mäßig war. Bereits die Idee der Vereinheitlichung für die gesamte EU ging von der französischen Staatsauffassung aus, weil die Deutschen am Anfang nichts zu sagen hatten (HIZAB2): „wenn Sie da bei den Konferenzen sind, sitzt vorn jemand von der Kommission, der leitet das Ganze und redet 90% der Zeit. Und wenn sie was sagen, dann sagt der, „ja“ im französischen Stil, und gibt eine Antwort, in der er die Zeit natürlich ausnutzt, ohne dass ihre Sache aufgenommen wird. Das ist ein grauenhaftes Palaver, das sich dort abspielt.“ (ebd.)
Mehrere Jahre andauernde Verhandlungen endeten, wie im Fall der Richtlinie für Ingenieure, ohne Einigung und ohne ein Ergebnis, gerade weil „nichts unterschiedlicher ist als die Ingenieursausbildung“ (ebd.). Weiterhin sind teilweise je nach Mitgliedstaat unterschiedliche bzw. unterschiedlich viele Berufe reglementiert und man wollte davon absehen, sektorale Richtlinien zu erstellen, die nur für wenige Mitgliedstaaten relevant sind (Becker-Dittrich 2005: 122). Die bereits bestehenden sektoralen Richtlinien gelten, teilweise etwas modifiziert und in neue Richtlinien überführt, bis heute weiter. In den Jahren 1988 und 1992 erließ der Rat dann die ersten sogenannten allgemeinen Richtlinien, die ein neues System, das auf weniger Abstimmung basierte, einläuteten. Die erste zielte auf die „Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen“ (RL 89/48/EWG). Die zweite war eine Ergänzung dazu zur besseren Berücksichtigung von Diplomen, die von der ersten (sowie den sektoralen Richtlinien) nicht erfasst waren, z.B. weil sie auf einer kürzeren Hochschulausbildung oder einer beruflichen Ausbildung basieren (RL 92/51/EWG). Im Unterschied zu den sektoralen Richtlinien stand jedoch nicht die Harmonisierung der Ausbildungen als Voraussetzung im Vordergrund. Anders
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als die sektoralen Richtlinien sind die Berufe, die in den allgemeinen Richtlinien geregelt sind, nicht mit einer automatischen oder direkten Anerkennung verbunden. Sie werden in den einzelnen Mitgliedstaaten auf eine Entsprechung mit dem Referenzberuf geprüft. Die genannten Richtlinien sind mehrfach geändert, um weitere Richtlinien ergänzt und in neuen Richtlinien zusammengefasst worden. Ich gehe hier nur auf die wesentlichen Entwicklungen ein. Im Jahr 2005 wurde die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG, die aus 15 bestehenden Richtlinien hervorgegangen ist, erlassen und ist am 20. Oktober 2007 – mit Ablauf der Umsetzungsfrist in den Mitgliedstaaten – endgültig in Kraft getreten. In sieben »sektoralen« Berufen, darunter insbesondere die bereits genannten Gesundheitsberufe, gilt weiterhin eine automatische Anerkennung auf Basis der in den Anhängen zu der Richtlinie aufgeführten Berufsqualifikationen. In anderen reglementierten Berufen erfolgt eine Prüfung des Einzelfalls durch die zuständigen Behörden eines aufnehmenden Staats. Zentral ist dabei vor allem die Frage, ob »wesentliche Unterschiede« in Inhalt und Dauer der Ausbildung vorliegen. Berufserfahrungen müssen als Ausgleich für festgestellte Unterschiede in der Ausbildung herangezogen werden. Wenn die zuständige Stelle den Antragsteller auf Grundlage der EU-Richtlinie keine volle Anerkennung ausstellen kann, ist eine sogenannte Teil-Anerkennung vorgesehen. Sie eröffnet den Zugang zu Ausgleichsmaßnahmen, wie einem maximal dreijährigen Anpassungslehrgang oder einer Eignungsprüfung, die nicht den Umfang einer vollen Abschlussprüfung haben darf. Die Wahl der Ausgleichsinstrumente liegt bei den Antragstellerinnen. Die Richtlinie wird regelmäßig novelliert, sodass Neuregelungen dann auch im Rahmen einer bestimmten Frist in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Zuletzt kam es zu einer Novellierung durch die Richtlinie 2013/55/EU, welche bis Januar 2016 zu den entsprechenden Änderungen des nationalen Berufsrechts geführt haben muss. Im Zentrum steht die Einführung eines EUropäischen Berufsausweises im Sinne eines elektronischen Verfahrens der Berufsanerkennung. Dies steht jedoch ohnehin nur für einige ausgewählte Berufe zur Diskussion (Europäische Kommission 2014, SVR 2013, BMBF/BIBB 2015). Bundesrechtlich und landesrechtlich reglementierte Berufe Zu reglementierten Berufen zählen in Deutschland zum Beispiel akademische Heilberufe (darunter auch Ärzte), Gesundheitsfachberufe (darunter auch Pflegekräfte), Lehrer, Sozialpädagogen, Erzieherinnen, Ingenieurinnen, Dolmetscher, Juristen, Steuerberaterinnen, Architektinnen, Lebensmittelchemikerinnen und Schifffahrtsberufe. Innerhalb der Gruppe der reglementierten Berufe wird wiederum unterschieden in bundesrechtlich und landesrechtlich reglementierte Berufe. Bundesrechtlich geregelt sind insbesondere die akademischen Heilberufe (Ärztinnen, Zahnärzte, Tierärzte, Apothekerinnen, Psychotherapeutinnen), die meisten Gesundheitsfachbe-
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rufe (z. B. Krankenpflege, Altenpflege) und die Rechtsberufe (z. B. Richter, Rechtsanwälte, Staatsanwälte). Landesrechtliche Regelungen gelten vor allem für Ingenieurinnen und Architekten sowie für Erzieher, Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen. Daneben liegt jedoch auch der Vollzug der Anerkennungsverfahren für die bundesrechtlich geregelten Berufe in der Kompetenz der Länder und dort wiederum bei jenen Behörden und Kammern, die den inländischen Beruf verwalten. Das ist der Grund, warum Hunderte von verschiedenen Stellen für die Durchführung der Bewertungsverfahren zuständig sind. Inhaberinnen von Berufsqualifikationen, die in einem Staat nicht reglementiert sind, brauchen, wie bereits erwähnt, rein rechtlich betrachtet keine »Anerkennung«, um den Beruf auszuüben. Dazu zählen in Deutschland viele nicht-reglementierte Hochschulqualifikationen, z. B. in den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, sowie die meisten Berufsausbildungen im handwerklichen, kaufmännischen sowie land- und forstwirtschaftlichen Bereich. Die Meisteranerkennung im zulassungspflichtigen Handwerk zählt allerdings zum reglementierten Bereich und ist dadurch ein Sonderfall. Wenn im nicht-reglementierten Bereich von einer »beruflichen Anerkennung« die Rede ist, handelt es sich meistens um die Erwartung, dass eine offizielle Anerkennung durch eine Behörde die Suche nach einem qualifikationsadäquaten Arbeitsplatz erleichtert, insbesondere wenn sie »Gleichwertigkeit« bescheinigt. Zentral ist auch das Argument, dass Arbeitgeber die ausländische Qualifikation besser einschätzen können, wenn sie mit einer inländischen Qualifikation in Vergleich gesetzt wird. Für nicht reglementierte Ausbildungsberufe im Bereich von Handwerk und Industrie und Handel wurde mit dem Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) im Jahr 2012 ein Rechtsanspruch auf ein Bewertungsverfahren eingeführt, was für nicht reglementierte Hochschulqualifikationen nicht gilt. 4.2.3.2 EU-Qualifikation versus Drittstaatsqualifikation Rechtliche Unterschiede in den Verfahren und bereits den Verfahrenszugängen nach EU-Richtlinien liegen vor allem in der Klassifikation von »EU-/EWR/Schweiz-Qualifikationen« und »Drittstaatsqualifikationen«. Sie sind institutionell verschränkt mit aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen und dem Kriterium »Staatsangehörigkeit«, also auch: »EU-/EWR-/Schweiz-Staatsangehörigkeit« versus »Drittstaatsangehörigkeit«. Deshalb gibt es wiederum auch Konstellationen, die Drittstaatsangehörige und Inhaber von Drittstaatsqualifikationen im EU-Recht gleichstellen, z.B. nach Daueraufenthaltsrichtlinie, nach Qualifikationsrichtlinie für Flüchtlinge und nach der Hochqualifiziertenrichtlinie (vgl. Becker-Dittrich 2009, SVR 2013: 153). Mit dem Begriff des »Drittstaats« oder »Drittlands« hat der EUropäische Integrationsprozess eine Rechtskategorie geschaffen, welche die Zugehörigkeit im Sinne
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eines EU-Innen und eines EU-Außen unterscheidet. Als »Drittstaaten« werden in der Rechtssprache der Europäischen Union (EU) die Staaten bezeichnet, die weder Mitgliedstaaten der EU sind noch dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) angehören. Das sind neben den EU-Mitgliedsstaaten außerdem Island, Liechtenstein und Norwegen. Die Schweiz hat als einziger Staat der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) das multilaterale EWR-Abkommen nicht ratifiziert, zählt jedoch aufgrund bilateraler Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ebenfalls nicht zu den sogenannten »Drittstaaten«. Die Drittstaaten sind damit »die institutionalisierten Anderen«. Infolge von EU-Erweiterungen werden sie tendenziell weniger, was zu immer komplizierteren Regelungen in Bezug auf die Anerkennung der Qualifikationen aus den neuen Staaten führt. Die Anzahl der an der Umsetzung der Richtlinien beteiligten EU-/EWR-Staaten ist bereits von sechs Gründungsmitgliedern in den 1950er Jahren auf inzwischen mehr als 30 Staaten angewachsen. Bei Verhandlungen mit neuen EU-Beitrittskandidaten handelt es sich nach meiner Methodologie letztlich um soziale Kämpfe um Mitgliedschaft. Die damit verbundenen symbolischen Auseinandersetzungen sind auch unmittelbar mit der Frage der Berufsanerkennung verbunden. Die EU-Anerkennungsregelungen sollen vor allem die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union fördern, um eine Berufsqualifikation, die in einem Mitgliedstaat erworben wurde, auch in einem anderen Mitgliedstaat auf dem Arbeitsmarkt verwertbar zu machen. Die Dauer der Mitgliedschaft wirkt sich dabei infolge gewachsener Beziehungen ähnlich wie im Fall der völkerrechtlichen Übereinkommen im Hochschulbereich sehr strukturierend aus. Die rechtliche Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen und Inhaberinnen mit Drittstaatsqualifikationen wird zwar durchaus von Seiten der EUKommission gefordert, ist jedoch infolge der Souveränitätsansprüche der Mitgliedstaaten, gerade im Bereich der Einwanderungspolitik, kaum durchsetzbar (Englmann/Müller 2007: 40, Lavenex 2009). Inwieweit die EU-Richtlinien Gültigkeit für Drittstaatsangehörige und Inhaber von Drittstaatsdiplomen haben, unterliegt im Gegensatz zu EU-/EWR-/SchweizStaatsangehörigen und Inhabern von EU-/EWR-/Schweiz-Qualifikationen Bedingungen. Wenn Qualifikationserwerb und Staatangehörigkeit nicht übereinstimmen und womöglich in einem weiteren Land eine Berufsausübung stattgefunden hat, wird es richtig kompliziert. Die Tendenz geht nun dahin, dass Qualifikationserwerb, das heißt letztlich der Ausbildungsstaat, auch im deutschen Recht in Fragen der beruflichen Anerkennung ausschlaggebender wird als »Staatsangehörigkeit«. Die Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG macht den Mitgliedsstaaten auch keinerlei Vorschriften, wie die Anerkennungsverfahren von Qualifikationen, die nicht im eigenen Kreis erworben wurden, aussehen sollten. Sie will lediglich nicht daran hindern, tätig zu werden:
152 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS „Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, gemäß ihren Rechtsvorschriften Berufsqualifikationen anzuerkennen, die außerhalb des Gebiets der Europäischen Union von einem Staatsangehörigen eines Drittstaats erworben wurden. In jedem Fall sollte die Anerkennung unter Beachtung der Mindestanforderungen an die Ausbildung für bestimmte Berufe erfolgen.“ (RL 2005/36/EG, (10))
Mit der Einführung von sogenannten »Anerkennungsgesetzen« in Deutschland in den Jahren 2012 bis 2014 war grundsätzlich auch die Absicht verbunden, Rechtsansprüche auf ein Verfahren auch für Drittstaatsangehörige und Inhaberinnen von Drittstaatsqualifikationen in Deutschland zu etablieren (Fohrbeck 2012, Maier/Rupprecht 2012). Dieser Anspruch ist nicht durchgängig, das heißt, nicht in allen damit verbundenen berufsrechtlichen Änderungen umgesetzt worden und selbst wenn dies der Fall ist, bestehen diverse Verfahrensunterschiede und mitunter auch Zugangsbarrieren fort (vgl. 4.3 und 4.4, Kap. 5). 4.2.4 Sonderfall: akademische Grade und Hochschulabschlüsse Die Frage der Anerkennung von im Ausland erworbenen akademischen Graden und Hochschulqualifikationen, die nicht zu reglementierten Berufen führen, ist ein Sonderfall des Bewertungswesens. Sie geht mit anderen Zuständigkeiten als die bereits beschriebene akademische Anerkennung (Hochschulen) und die berufliche Anerkennung (zuständige Stellen nach Berufsrecht) einher. Für die Führung akademischer Grade sind die Wissenschaftsministerien der Länder zuständig. Die Regelungen sind Bestandteil der Landeshochschulgesetze. Die Einführung einer Genehmigungspflicht zur Führung akademischer Grade geht ursprünglich auf die Nationalsozialisten zurück. Diese Zuständigkeit ist nach dem Dritten Reich vom Reichsgesetz in die Hoheit der Länder übergegangen (Reuhl 2005a: 32 f.). Seit Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Jahrtausendwende hatte die ZAB (bzw. ihre Vorläufereinrichtungen) neben der Bewertung von Schulund Studienleistungen zum Zweck des Hochschulzugangs die zusätzliche Aufgabe, die für die Genehmigung der Führung von ausländischen Hochschulgraden zuständigen Länderministerien mit Gutachten zu unterstützen (ebd.). Es wird bis heute zwischen Genehmigungen, den ausländischen Titel in Originalform zu führen (mit Angabe der Institution, die den Titel verliehen hat) und Umwandlungen in einen deutschen Titel unterschieden (ebd.). Im vergangenen Jahrhundert hat von etwa 1975 bis 1995 ein generalisiertes Verfahren für weltweit erworbene Hochschulabschlüsse bestanden, wie ich in einem Hintergrundinterview erfahren habe. Dies besteht heute nicht mehr (siehe unten). Es begann damit, dass das Oberverwaltungsgericht Düsseldorf festgelegt hat, dass Aussiedler einen Rechtsanspruch auf Umwandlung ihrer akademischen Grade
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in deutsche Grade haben, z.B. von »biolog« in »Diplom-Biologe« oder von »chimik« in »Diplom-Chemiker«. „im Zuge irgendeiner Aufwallung, hat man sich dann entschlossen, diese Gradumwandlung zu generalisieren. Das heißt, immer, wenn ein ausländischer Grad als gleichwertig angesehen wurde und es sich auch nicht um einen Aussiedler handelte, sollte er in den deutschen Grad umgewandelt werden und ist auch umgewandelt worden. Also auch gerade aus Peru und sonst wo, wurden umgewandelt. Wobei der deutsche Grad in jedem Fall aussagte, dass materielle Gleichwertigkeit angenommen wurde.“ (HI-ZAB1)
Seit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz in den Jahren 2000 und 2001 zur sogenannten »automatischen Gradführung« finden inzwischen keine generellen »Gleichwertigkeitsprüfungen« der Landeswissenschaftsministerien mehr statt (vgl. KMK 2000, 2001). Die Möglichkeit der Umwandlung in deutsche Grade steht demgemäß nur noch den Berechtigten nach dem Bundesvertriebenengesetz offen, so dass es sich entgegen der mit dem Begriff »automatisch« verbundenen Assoziation der Erleichterung für viele Titelinhaberinnen um eine Verschlechterung handelt (vgl. Hamburger Bürgerschaft 2012). Die KMK-Beschlüsse legen fest, dass im Ausland rechtmäßig, an anerkannten Hochschulen erworbene Grade in Deutschland grundsätzlich in der Originalform (der verliehenen Form laut Urkunde) und unter Angabe der verleihenden Hochschule geführt werden dürfen. Eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche darf in Klammern hinzugefügt, aber nicht alleine geführt werden. Möglich ist eine Transliteration in lateinische Schriftzeichen, sofern die Originalform andere Schriftzeichen beinhaltet. Im Fall von Graden, die in anderen EUMitgliedstaaten erworben wurden, kann auf die Angabe der verleihenden Hochschule verzichtet werden. Darüber hinaus gelten für bestimmte Personengruppen weitere Begünstigungen der Gradführung, wenn Deutschland mit den jeweiligen Staaten Vereinbarungen und Abkommen über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich getroffen hat. Mit der »Lissabonner Anerkennungskonvention« war auch die Idee verbunden, die Anerkennung von Hochschulabschlüssen zu »beruflichen Zwecken« zu erleichtern. Das bedeutet letztlich, nicht nur ein Weiterstudium an den Hochschulen eines anderen Landes, sondern auch Bewerbungen auf dem Arbeitsmarkt durch mehr Transparenz und Einschätzbarkeit der Qualifikationen einfacher zu machen. Das war vor allem für nicht reglementierte Hochschulqualifikationen relevant (z. B. Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftler). Inhaberinnen von Hochschulqualifikationen, die mit reglementierten Berufen in Verbindung stehen (z. B. Lehrer, Ärzte) müssen ohnehin das Berufsrecht passieren. Seit 2010 stellt die ZAB zum Zweck der besseren Verwertbarkeit von nicht reglementierten Hochschulqualifikationen gegen Gebühr Zeugnisbewertungen (»Lissabon-Bescheinigungen«) aus, die nicht nur in den Unterzeichner-Staaten, sondern auch weltweit erworben sein können. Dadurch
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soll vor allem die Verwertung der akademischen Qualifikationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt erleichtert werden. Es wird damit allerdings keine amtliche Anerkennung ausgesprochen. Die Bescheinigungen informieren die Antragsstellerinnen und potenzielle Arbeitgeberinnen lediglich über die Einstufung des ausländischen Abschlusses innerhalb des deutschen Systems (z. B. Bachelor, Master, Diplom). Aussagen über die »Gleichwertigkeit«, die viele Antragsteller gerne hätten, sind damit nicht verbunden (vgl. Gwosdz 2013: 33).
4.3 D IE R EFORM DES B EWERTUNGSWESENS DURCH »A NERKENNUNGSGESETZE « IN B UND UND L ÄNDERN (2012-2014) In diesem Abschnitt werde ich die jüngsten gesetzlichen Veränderungen und die damit verbundenen »Anerkennungsdebatten« in groben Zügen darlegen. Ich komme zu der Bewertung, dass mit den Reformen mehr Kontinuität als Wandel verbunden ist. Die »Anerkennungsgesetze« stehen auch weiterhin für ein hochgradig selektives und an deutschen Normen orientiertes Bewertungssystem, welches die mit dem Begriff der »Anerkennung« verbundenen Erwartungen an eine berufsrechtliche Gleichstellung und soziale Wertschätzung nicht halten kann. Es gibt also kein Anerkennungsgesetz. Um mit der Verwendung dieses Begriffs keine Erwartungen und damit zwangsläufig auch Enttäuschungen zu produzieren, wäre es angebracht, von »Bewertungsverfahrensgesetzen« zu sprechen. 4.3.1 »Qualifikation« als Anerkennungsprinzip Einwanderungspolitik ist in Deutschland traditionell ein kontrovers diskutiertes Thema. Dabei lässt sich gerade in jüngerer Zeit beobachten, dass es (wenn überhaupt) der Begriff der »Qualifikation« ist, der Türen zu öffnen vermag. Die »Greencard-Initiative« läutete im Jahr 2000 jene Ära der Gesetzgebung in Deutschland ein, welche die Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten von einer spezifischen und im Inland besonders nachgefragten »Qualifikation« abhängig machte. Mit dem »Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs« wurde eine begrenzte Anzahl an Spezialistinnen für die Dauer einer Beschäftigung und maximal fünf Jahre angeworben. Mit der kurz darauf einsetzenden IT-Krise verloren dann einige der angeworbenen Spezialisten nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihr Aufenthaltsrecht (Schreyer/Gebhardt 2003).
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Das 2005 in Kraft getretene »Zuwanderungsgesetz« führte den offiziellen Rechtsstatus der »Hochqualifizierten« ein (insbes. § 19 AufenthG).6 Als »Hochqualifizierte«, die eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten, gelten vor allem Wissenschaftlerinnen und Menschen, die mit ihrer Qualifikation ein bestimmtes (überdurchschnittliches) Gehalt erzielen (vgl. Heß 2009). Die Höhe der Gehaltsgrenzen steht seitdem immer wieder in der politischen Diskussion, zumal die Inanspruchnahme nicht die erwartete Größenordnung erreichte (vgl. SVR 2014: 50). Auch die Umsetzung der EU-Hochqualifizierten-Richtlinie, die Einführung einer »Blue Card«, hat wenig daran geändert, dass sich offenbar wenige auf Basis der an Qualifikation und Gehalt gekoppelten Selektionskriterien rekrutieren lassen. Die Blue Card wurde im ersten Jahr nach ihrer Einführung 2012 zu zwei Dritteln von Menschen in Anspruch genommen, die ihren Lebensmittelpunkt bereits in Deutschland hatten (ebd.). Bei der Greencard und der Bluecard handelt es sich um aufenthalts- und arbeitsrechtliche Bestimmungen für sogenannte »Drittstaatsangehörige«. Das deutsche und EUropäische Berufsrecht, in dem die Frage der Anerkennung der Qualifikation geregelt ist, ist ein anderer Rechtsbereich, der vor allem für Inhaberinnen von reglementierten Berufen zusätzlich zum Aufenthalts- und Arbeitsrecht relevant wird. Diese „Verflechtung von Institutionen“ (Weiß 2010: 132) wird gerade aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit als rechtliche Exklusion erlebt, wie insbesondere die Erfahrungen von migrierten Ärzten, einem reglementierten Beruf, zeigen (ebd.). Im Fall der meisten Hochschulabschlüsse, zum Beispiel als Soziologin oder als Biologin, ist, berufsrechtlich betrachtet, keine formale Anerkennung der »Gleichwertigkeit« Voraussetzung, um eine den inländisch Qualifizierten »gleichwertige« Erwerbstätigkeit auszuüben. Die symbolische Exklusion lässt sich gerade aufgrund der Wirksamkeit von symbolischer Gewalt dennoch nicht unabhängig von der jeweiligen Position im Feld bewältigen (vgl. Ofner 2010). Greencard und Bluecard lassen sich dennoch in dem Kontext betrachten, der die Begriffe der Migration »Hochqualifizierter«, Mobilität und Qualifikation im Sinne von Wachstum und Konkurrenzfähigkeit mit anderen Weltregionen buchstäblich zu einer diskursiven Einheit hat verschmelzen lassen (wie es die EU mit den Wirtschaftsprogrammen »Lissabon-Strategie« und »Europa 2020« befördert hat). Gleiches gilt für die an anderer Stelle bereits mehrfach erwähnten Abkommen, Übereinkommen und Richtlinien, an denen Deutschland jeweils mit einer etwas anderen Gruppe an Vertrags- bzw. Mitgliedsstaaten beteiligt ist. Der »Lissabonner Aner-
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Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Einwanderung von »Hochqualifizierten« häufig auch ungesteuert, ohne gezielte Rekrutierungs-Maßnahmen oder eigens zu diesem Zweck eingeführte Paragrafen, geschieht (Nohl/Schittenhelm/Schmidtke/Weiß 2010a, Nohl/Weiß 2009).
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kennungskonvention« und der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG lassen sich die nachvollziehbarsten Einflüsse auf die deutsche »Anerkennungsgesetzgebung« im Sinne von Anpassungen des Berufsrechts und mitunter die Einführung des Begriffs der »wesentlichen Unterschiede« zuschreiben. Doch auch damit verbundene Entwicklungen, wie der Bologna Prozess, sowie die Entstehung eines EUropäischen Qualifikationsrahmens stehen für die Doxa, die mit dem „Regime der Humankapital-Produktion“ (Münch 2009, 2012) verbunden ist (vgl. auch Kap. 2). Den Nerv dieser Zeit traf die Expertise „Brain Waste“ (Englmann/Müller 2007), die vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) an eine Nichtregierungsorganisation (NGO) in Auftrag gegeben worden war. Zuvor war lediglich vereinzelte Kritik an der Nicht-Anerkennung von ausländischen Qualifikationen zu hören, die keinen politischen Aktionismus auszulösen vermochte (vgl. ebenfalls Kap. 2). „Brain Waste“ stellte pointierter als zuvor die Botschaft heraus, dass man nicht erst im Ausland nach »Qualifizierten« suchen müsse. »Qualifizierte« Einwanderer leben in Deutschland und werden häufig infolge einer komplexen und ausschließenden Rechtslage nicht als solche erkannt und anerkannt. Mit „Brain Waste“ änderte sich sowohl die Dringlichkeit als auch die Beteiligung an der gesellschaftspolitischen Debatte, die zuvor im Wesentlichen unter Juristen geführt worden war (vgl. Knuth 2012: 129). Es kamen in der Folge mehrere Argumentationslinien zusammen, in denen sich politische Kräfte für die Vereinfachung des »Anerkennungsrechts« sammelten: die herrschende wirtschaftspolitische Position vereinnahmte die arbeits- und integrationspolitische Position, was typischerweise in eine Argumentation wie folgt mündete: „Angesichts der demographischen Entwicklung und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels in Deutschland müssen alle im Inland vorhandenen Potenziale künftig besser genutzt und im Ausland erworbene berufliche Qualifikationen gezielter für den deutschen Arbeitsmarkt aktiviert werden“ (BT 2011: 1). Bildungsund berufspolitisch orientierte Kräfte vereinigte eher als Zielsetzung, dass die inländischen Titel durch die »Anerkennung« von Qualifikationen, die andere Institutionen verliehen hatten, nicht abgewertet werden und Standards erhalten werden müssen. Im Nationalen Integrationsplan von 2007 wird am Rande erwähnt, die »Anerkennung ausländischer Qualifikationen« verbessern zu wollen, mit einem spezifischen Blick auf »Hochqualifizierte« und »Akademiker« (BReG 2007: 194 f.). Eine Zahl von 500.000 Akademikern machte die Runde, deren Qualifikationen in Deutschland nicht anerkannt sind, wobei bezeichnend ist, wie hartnäckig sich eine Zahl als »Fakt« festsetzen kann, von der kaum bekannt oder nachvollziehbar ist,
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wer sie auf welcher Basis in die Welt gesetzt hat.7 Der wesentliche Anstoß für die »Anerkennungsgesetzgebung« wird in der Regel dem Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern im Rahmen des Bildungsgipfels in Dresden im Oktober 2008 zugerechnet (z. B. Braun 2012, Fohrbeck 2012). Dort wurde die »Qualifizierungsinitiative für Deutschland« mit dem Titel »Aufstieg durch Bildung« beschlossen (BReG/Regierungschefs der Länder 2008). Im Wortlaut heißt es: „Im Ausland erworbene Abschlüsse sollen zügig auf Anerkennung geprüft und ggf. auch Teilanerkennungen ausgesprochen werden. Der Bund unterstützt bei Teilanerkennungen mit geeigneten Förderungen von Ergänzungs- und Anpassungsqualifizierungen“ (ebd.: 11 f.). Der damals amtierende Bundesarbeitsminister, Olaf Scholz, sprach kurz danach anlässlich des 3. Integrationsgipfels im Jahr 2008 von einem Vorhaben, das „vielleicht schwieriger als eine Mondlandung“ sei: „Es ist vielleicht schwieriger als eine Mondlandung, aber es ist auf alle Fälle dringend notwendig, nämlich dass wir sicherstellen, dass alle Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Ausbildungsabschluss in anderen Ländern erworben haben, die Möglichkeit haben, dass dieser anerkannt wird.“ (BReG 2008)
Die Formulierung „die Möglichkeit haben, dass diese anerkannt wird“ ebenso wie die Betonung des Begriffs der „Teilanerkennungen“ sind wahrscheinlich nicht zufällig gewählt. Die „Mondlandung“ meinte hier bereits einen Rechtsanspruch auf Überprüfung der »Gleichwertigkeit«. »Anerkennung« bezeichnet in der institutionellen Logik die Selektion der »passenden« Qualifikationen. Es war implizit bereits klar, dass es auch auf dem Mond »Anerkannte« und »nicht Anerkannte« bzw. »nicht Anerkennbare« geben wird, denen möglichst (die nächste Mondlandung) die Herstellung einer »Passung« an das deutsche System durch zusätzlich zu erbringende Leistungen gewährt werden muss. 4.3.2 Gesetze und Gesetzgebungsverfahren Nachdem auch der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP (2009) deklariert hatte, „einen gesetzlichen Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren“ (ebd.: 78) schaffen zu wollen, ist nach mehrjährigen Beratungen in den Jahren 2012 bis 2014 ein ganzes Bündel an berufsrechtlichen Änderungen in Kraft getreten. Zuerst zum April 2012 auf Bundesebene. Weil damit die landesrechtlichen Berufe noch nicht geregelt waren, mussten »die Länder nachziehen« wie es in der bundespolitisch ge-
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Nach meinen Informationen ist sie ebenfalls 2007 als Schätzung im Kontext der öffentlichen Vorstellung des Modell-Studiengangs am IBKM der Universität Oldenburg entstanden.
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führten Debatte in aller Regel heißt. Dies geschah nach und nach in den darauffolgenden zwei Jahren. Die verabschiedeten Gesetze werden zusammengefasst und in Kurzform »Anerkennungsgesetze« (»des Bundes« bzw. »der Länder« genannt). Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie Menschen, die berufliche Qualifikationen im Ausland erworben haben, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf ein Verwaltungsverfahren verschaffen. Innerhalb einer bestimmten und damit erstmals festgelegten Frist, in der Regel 3 Monate nach Vorliegen vollständiger Unterlagen, wird dann darüber entschieden, ob die Qualifikation als »gleichwertig« zu einer deutschen Referenzqualifikation anerkannt wird oder ob »wesentliche Unterschiede« vorliegen. Unterschiede in den Regelungen gehen auf die föderale Organisation des deutschen Bildungs- und Berufsrechts zurück. Nicht nur der auch medial immer wieder verwendete Begriff der »Einführung eines allgemeinen Rechtsanspruchs«, sondern auch die Bezeichnung »Anerkennungsgesetze« halte ich dabei im Sinne symbolischer Machtausübung für besonders gefährlich. Von Beginn an war ein Anerkennungsverfahrensgesetz bzw. eigentlich nur ein Bewertungsverfahrensgesetz geplant: „Wir werden damit einen gesetzlichen Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren für alle im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse und Qualifikationen schaffen. Damit wird ermöglicht, dass versierte Fachkräfte auch auf ihrem Leistungsniveau arbeiten können“ (BMBF 2009). Ziel war es, durch den Akt der Bewertung jene »Qualifikationen« herauszufiltern, von denen erwartet wird, dass sie sich in Erwerbsarbeit und damit in ökonomisches Kapital transformieren lassen. Wesentliche Voraussetzung für die Durchführung eines solchen Vergleichs war und ist die Zuordnung (und damit zunächst die Bewertung einer grundsätzlich gegebenen Vergleichbarkeit) zu einer der »deutschen Referenzqualifikationen«, für die ein Bewertungsverfahren institutionalisiert wurde. Erste Schätzungen auf Basis des Mikrozensus 2008 gingen von ca. 3 Millionen Menschen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen aus. Die erweiterten Rechtsansprüche durch den Bund im Sinne eines erstmaligen Zugangs zu einem Bewertungsverfahren sollten dann bereits nur schätzungsweise 285.000 Menschen und darunter vor allem berufsbildende Abschlüsse erreichen (Fohrbeck 2012, Statistisches Bundesamt 2010, IW/IFOK 2010). Wie bereits erwähnt, ist zum 01.04.2012 nach Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats das sogenannte „Anerkennungsgesetz des Bundes“ in Kraft getreten (Maier/Rupprecht 2012). In Langform bekam es einen sehr viel längeren Titel: „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“ (Bundesgesetzblatt 2011). Dabei handelt es sich jedoch eigentlich nicht um ein Gesetz, sondern um ein ganzes Gesetzespaket. Es wird in der Rechtssprache auch als »Artikelgesetz« bezeichnet. Nur der Artikel 1 ist ein neues Gesetz, das sogenannte „Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz“ (BQFG). Es dient, wie auch als Zweck festgehalten wurde, der „besseren Nutzung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt, um eine
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qualifikationsnahe Beschäftigung zu ermöglichen“ (§ 1 BQFG). Bezeichnenderweise war in einer früheren Version des Gesetzentwurfs vom 22.11.2010 im selben Paragrafen einmal von „der Ermöglichung qualifikationsadäquater Beschäftigung“ die Rede (BMBF 2010). Es hat sich also im Laufe der Beratungen im Gesetzgebungsverfahren die Deutung durchgesetzt, dass eine „qualifikationsadäquate Beschäftigung“ im Zusammenhang mit ausländischen Qualifikationen keine Norm sein bzw. werden kann. Dass es sich um einen Akt der berufsrechtlichen »Anerkennung« handelt, wurde als Sprachduktus dennoch beibehalten. In den Artikeln 2 bis 61 des verabschiedeten Gesetzespakets wurden die bestehenden Berufs- bzw. Fachgesetze, wie z. B. die Handwerksordnung (HwO), die Bundesärzteordnung (BÄO) und das Krankenpflegegesetz (KrPflG), geändert. Zum Teil sahen sie vorher bereits Regelungen für die Anerkennung ausländischer Qualifikationen vor und zum Teil noch nicht (vgl. 4.4). Insgesamt betreffen die Änderungen ca. 450 Berufe, von denen rund 350 Ausbildungsberufe des dualen Systems sind (vgl. Maier/Rupprecht 2012: 64). Das BQFG verhält sich zu den Berufsfachgesetzen »subsidiär«, wie es in der Rechtssprache heißt. Das heißt, es gilt nur, wenn diese Berufsgesetze keine eigenen spezielleren Regelungen vorsehen. Das führte mitunter dazu, dass auch in vielen geänderten Fachgesetzen noch kein »allgemeiner« Rechtsanspruch auf ein Bewertungsverfahren eingeführt wurde. Für Inhaber von Drittstaatsdiplomen besteht zum Teil weiterhin kein Zugang. Darüber hinaus bestehen unterschiedliche Regelungen für die Feststellung von Kompetenzen bei nicht vorhandenen, z. B. im Kontext von Flucht verlorenen, Dokumenten sowie in Bezug auf Ansprüche auf Nach- und Anpassungsqualifizierungen bei festgestellten »wesentlichen Unterschieden« fort (vgl. Braun 2012, Fohrbeck 2012, Gwosdz 2013, Sommer 2012). Den 16 Ländern kam in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, den Vollzug der bundesrechtlich institutionalisierten Verfahren sicherzustellen. Der Bund prüft nur in sehr wenigen Ausnahmefällen Qualifikationen, sodass der Begriff »bundesrechtlich geregelte Berufe« im Grunde sehr irritierend ist. Die Länder sind in jedem Fall beteiligt. Es ist nur die Frage, ob nur mit dem Vollzug der Verfahren (und dadurch der Zustimmungspflicht zum Bundesgesetz im Bundesrat) oder wie im Fall der landesrechtlich geregelten Berufe mit der Gesetzgebung und dem Vollzug. Abgestimmt haben sich Bund und Länder über das Gesetzgebungsverfahren in der nach dem Dresdener Bildungsgipfel 2009 eingesetzten Bund-Länder-AG »Anerkennungsverfahren«, die 2011 von der »AG der koordinierend zuständigen Ressorts« abgelöst wurde (vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge 2012: 307 ff.). Dieser fiel grundsätzlich die Aufgabe der Abstimmung und Vereinheitlichung der Prozedere, der Rechtsetzung und des Vollzugs, zu. In diesem Rahmen wurde dann auch nach Vorbild des BQFG ein MusterAnerkennungsgesetz für die landesrechtlich geregelten Berufe erarbeitet. Darunter fallen zum Beispiel Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen, Architekten und Ingenieure.
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Als erstes trat im August 2012 das „Hamburgische Gesetz über die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen“ in Kraft. Als letztes folgte im Juli 2014 das „Gesetz über die Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen im Land Sachsen-Anhalt“. Die Regelungen für die Anerkennung von landesrechtlich geregelten Berufe, wie zum Beispiel dem Lehrer oder dem Architekten, weichen trotz der Orientierung dem Muster-Gesetz weiterhin und mitunter auch sehr stark voneinander ab. Die hohen Erwartungen, dass es dadurch zu wesentlichen Verbesserungen und Erleichterungen kommen würde, die auch infolge der medialen Vermarktung in sie gesetzt wurden, können sie in den wenigsten Fällen halten (Englmann 2013). Über die entscheidende Frage, wie ein »Anerkennungsgesetz« auszusehen habe und wo es im Kontext des deutschen Bildungsföderalismus »aufgehängt« sein soll, wurde vor dem Inkrafttreten der Gesetze bereits mehrere Jahre gestritten. Dadurch wurden divergierende Ansprüche und Erwartungen vor allem nach und nach auf einen kleiner werdenden Nenner reduziert. Unter anderem hieß es von Seiten der FDP (in Regierung) und der Linken (in Opposition), die SPD regierten Länder haben dem Bundesgesetz im Bundesrat trotz großer Kritik überraschend zugestimmt, weil ihnen 100 Millionen Euro für die Beratung von Migranten zugesagt worden seien (Şenol 2011). Der erste gesetzgeberische Anlauf auf Bundesebene ist in der Legislatur 2005-2009 an einem Richtungsstreit zwischen dem SPD-geführten Arbeitsministerium und den CDU/CSU-geführten Ministerien in der großen Koalition gescheitert (Bohsem 2009). In diesem Zusammenhang lagen bereits Mitte 2009 zwei verschiedene Vorschläge im Sinne von »Eckpunkten« für ein Gesetzgebungsverfahren vor (BMAS 2009, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge 2009). Die SPD forderte eine bundesweit einheitliche Regelung, wie sie für Spätaussiedler im Rahmen des § 10 Bundesvertriebengesetzes galt (vgl. auch SPD-Bundestagsfraktion 2009). Der später umgesetzte Vorschlag der CDU/CSU bewegte sich vor allem im Rahmen der bestehenden föderalen berufsrechtlichen Strukturen, ohne die Kompetenzen der Länder in Bildungsfragen anzutasten. Dadurch blieben die unübersichtlichen gesetzlichen Grundlagen, die sich jeweils an den Zuständigkeiten für die deutschen Berufe in Bundes- und Länderrecht orientieren, bestehen. Es kam lediglich vereinzelt zu Veränderungen, was ich darauf zurückführe, dass viele Titelverteidigerinnen ihre symbolische Macht über die Verleihung ihrer Titel ungebrochen behaupten konnten. Der zweite Anlauf begann mit dem »Eckpunktepapier«, das die Bundesregierung im Dezember 2009, inzwischen in Koalition von CDU/CSU mit der FDP, vorgelegt hat (BReG 2009). Es erklärt unter anderem, warum ein Anerkennungsgesetz gewollt ist. „Wenn Deutschland seinen Platz in der Weltwirtschaft behaupten und seinen Wohlstand mittelfristig sichern will, müssen die Qualifikationspotenziale der Menschen in unserem Land besser genutzt werden“ (ebd.: 2), steht zum Beispiel dort. Im Besonderen wird der Dreiklang einer Win-Win-Win-Situation transportiert,
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der beansprucht, erwartbare kritische Gegenargumente bereits mitgedacht und auch mitgelöst zu haben: Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen diene sowohl der deutschen Volkswirtschaft als auch der Arbeitsmarktintegration der Einwanderer und darüber hinaus den Herkunftsländern durch Rücküberweisungen und Know-how-Transfer (ebd.). Angekündigt wurde in dem Eckpunktepapier die Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein Bewertungsverfahren, der sich sowohl auf alle reglementierten als auch auf alle nicht reglementierten Qualifikationen beziehen sollte (ebd.: 3). Dazu kam es dann im Anschluss daran jedoch nicht. Die Einführung von Bewertungsverfahren für nicht reglementierte Hochschulabschlüsse ist nach meinen Informationen an einem Kompetenzstreit zwischen dem Bund und den für die Hochschulbildung zuständigen Ländern gescheitert. Dieser Bereich sollte durch die Ausstellung der bereits erwähnten »Lissabon-Bescheinigungen«, die Zeugnis-Bewertungen durch die ZAB abgedeckt werden, die jedoch nur bedingt mit den anderen Bewertungsverfahren vergleichbar sind (vgl. 4.2.4). Zu dem Gesetzentwurf (des Bundes), der unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erarbeitet wurde, durften diejenigen Stellung nehmen, die das Gesetz »betreffen« wird, z. B. die anderen Bundesministerien, die Länder und die zuständigen Landesbehörden sowie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), deren Kammern die Ausbildungsberufe im Handwerk und in der Industrie bewerten würden. Zudem sämtliche andere Verbände, die berufspolitische Fachinteressen vertreten. Eine häufig vertretene Position gegen das bzw. überhaupt ein Gesetz war, dass man keinen Handlungs- oder Regelungsbedarf erkennen könne, weil es in diesem oder jenem Berufsbereich keinen »Fachkräftemangel« gäbe oder weil das EU-Recht bereits zu genüge umgesetzt sei. Als Risiken wurden vor allem eine Verwässerung von Standards, die Verletzung des Verbraucher- und Patientenschutz sowie die Gefahr der »Inländerdiskriminierung« (welche für dasselbe Ergebnis mehr leisten müssten) angeführt. Während sich die Titelverteidigerinnen als »Betroffene« äußern durften, ob und wie weit sie Platz machen würden, wurden die Titelanwärterinnen meines Wissens nicht gefragt. 4.3.3 Mehr Kontinuität als Wandel? Die Durchführung von Bewertungsverfahren, die die »Gleichwertigkeit« von ausländischen mit inländischen Qualifikationen auf den Prüfstand stellen, wurde nicht erst mit der Einführung von »Anerkennungsgesetzen« in den Jahren 2012 bis 2014 erfunden (vgl. 4.2). Die Rechtsansprüche auf ein solches Verfahren wurden dabei ungleichmäßig auf etwas größere Kreise ausgeweitet. Nach meinen Beobachtungen ist es jedoch nur zu solchen rechtlichen Änderungen gekommen, die am wenigsten umkämpft und die im Grunde längst überholungsbedürftig waren. Einige Menschen
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werden von den Änderungen profitiert haben. Meine These ist jedoch, dass es sehr viel weniger sind, als angesichts des »Lärms« um diese Gesetzgebung und der Hoffnungen, die mit der Ankündigung der »Anerkennung« verbunden sind, angenommen werden kann. Es zeigt sich eine Tendenz zur Reproduktion der Klassifikations- und Bewertungsstrukturen bei begrenzter Wandlungsfähigkeit, die ich eher als eine Ergänzungsfähigkeit beschreiben möchte.8 Für unzählige derjenigen, deren Situation sich nicht geändert hat, erweist sich das Anerkennungsgesetz als ein Verkennungsgesetz (vgl. Sommer 2014a, 2014b). Die historisch gewachsenen Klassifikationsstrukturen werden in den gegenwärtigen Kämpfen im Wesentlichen beibehalten. Das bedeutet eine Fortsetzung von Partikular- oder Insel-Lösungen, die, selbst wenn das Verfahren zu »Anerkennung« führt, von einer allgemeinen berufsrechtlichen Gleichstellung von Auslandsqualifizierten mit inländisch Qualifizierten im Gegensatz zur Rhetorik weit entfernt sind. Es wird weiterhin zum Beispiel die Struktur der Anerkennung zu »akademischen« oder zu »beruflichen« Zwecken unterschieden. Darin entscheidet sich, welche Stellen für die Verfahren zuständig sind, die Hochschulen oder die im Sinne des Berufsrechts für die Durchführung von Anerkennungsverfahren zuständigen Stellen und im Rahmen welcher Institutionen die »Anerkennung« dann (begrenzt) Geltung hat. Die Kategorien der reglementierten und nicht-reglementierten Berufsqualifikationen, der bundes- und landesrechtlich geregelten Berufe, der EU-/EWR-Qualifikationen und der Drittstaatsqualifikation, Qualifizierte mit und ohne Spätaussiedlerstatus und je nach Berufsfachgesetz auch die Staatsangehörigkeit der Antragstellerinnen sind weiterhin für die Verfahren maßgeblich. Die Praxis der Bewertungen von im Ausland erworbenen Qualifikationen lässt sich weiterhin also nur mithilfe dieser Kategorien betrachten, die Menschen und ihre Qualifikationen nach bestimmten Kriterien einteilen und auf dieser Basis ein jeweils anderes Verfahren (oder auch gar keinen Verfahrenszugang) begründe n. Die sehr unübersichtlichen föderalen Zuständigkeiten und Grundlagen zur Durchführung von Bewertungsverfahren bestehen also weiterhin fort. „Das neue Anerkennungsrecht lichtet den Dschungel nur teilweise, teilweise schafft es sogar neues Dickicht“ (Gwosdz 2013: 31). Neu ist, dass verschiedene Kommunikationsund Koordinationsmaßnahmen ergriffen wurden, um den vielfach zitierten »Anerkennungsdschungel« für Anerkennungssuchende etwas transparenter zu machen.
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Ich werde hier nicht zu sämtlichen Punkten, die sich verändert haben oder die in der Kritik stehen, Stellung beziehen, zumal mein Fokus die Gleichwertigkeitsprüfung ist (nicht sämtliche Verfahrensregelungen). Für eine gute Übersicht über Kritikpunkte siehe Braun (2012: 11). Für eine kritische Stellungnahme auf Basis von Erfahrungen aus der Praxis der ESF-finanzierten Zentralen Anlaufstelle Anerkennung in Hamburg siehe Gwosdz (2013).
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Dazu zählen z. B. das Beratungsnetzwerk »Integration durch Qualifizierung« (IQ), neue Internetportale, wie »Anerkennung in Deutschland«, die Überarbeitung älterer Portale, wie »Anabin«, die Einrichtung von Hotlines und die Herausgabe von berufs- oder länderbezogenen Orientierungsleitfäden (z. B. Moravek 2012, Baderschneider/Döring 2012, KMK/ZAB 2013, BMBF 2014, BMBF/BIBB 2014, 2015). Eine Vielzahl an beratenden Lotsen wurde bereitgestellt, die durch den Dschungel der Zuständigkeiten führen, während die »Gleichwertigkeitsprüfung« als Konstruktion wenig angetastet wurde. Eine neue Unübersichtlichkeit von Beratungsstrukturen ergänzt dabei den bereits bestehenden Dschungel der Bewertungsstrukturen. Im Wesentlichen ist es Aufgabe der Lotsen, zu überprüfen, ob die Vorstellungen und biografischen Voraussetzungen der Anerkennungssuchenden systemkonform sind und, sofern das der Fall ist, die Antragstellung unterstützend vorzubereiten. Andernfalls wird nach anderen Ideen als der formalen Anerkennung gesucht, um individuell zu helfen - vor allem bei der Arbeitsmarktintegration. Axel Honneth spricht, ohne dabei an diesen empirischen Gegenstand zu denken, sehr treffend von einer Abwehr von Anerkennungsansprüchen durch „Tendenzen einer Verwilderung des sozialen Konflikts“ (Honneth 2013: 36 ff.). Zu relevanten Änderungen kam es insbesondere in den Bereichen, in denen eine gesetzgeberische Überarbeitung längst überfällig und weitestgehend konsensual gefordert oder zumindest toleriert war. Dazu gehört erstens die Entkoppelung der Anerkennung von dem Kriterium der Staatsangehörigkeit der Antragstellerinnen, wie sie gerade im Bereich der Medizin und der Pharmazie vorzufinden war. Stattdessen ist nun die Feststellung der »Gleichwertigkeit« des Abschlusses für die Erteilung der Approbation maßgeblich (vgl. 4.4.1). Zweitens wurden die Verfahrensansprüche für bestimmte Berufsgruppen ausgeweitet, insbesondere für Inhaberinnen von Qualifikationen, die Referenzberufen des deutschen dualen Ausbildungssystems zugeordnet werden können. Erstmals wurde mit dem neuen Gesetz ein Rechtsanspruch auf Bewertung von nicht-reglementierten Ausbildungsberufen und damit insbesondere für handwerkliche und kaufmännische Berufe geschaffen (vgl. Abschnitt 4.4.3). Drittens wurde die Möglichkeit eingeführt, Anträge auch aus dem Ausland und unabhängig vom Aufenthaltstitel zu stellen, sodass auch »Geduldete« und »Asylsuchende« (theoretisch) diese Möglichkeit haben. Das entscheidende Kriterium für den Zugang zu einem Bewertungsverfahren soll die Absicht, eine Erwerbstätigkeit in Deutschland aufnehmen zu wollen, sein (ggf. durch Nachweis eines Stellenangebots). Das Desiderat der mannigfaltigen Kämpfe um die Gesetzgebung ist nach meiner Interpretation also das Schließen von Regelungslücken, die nicht bzw. besonders wenig umkämpft sind. Kaum jemand konnte zum Beispiel einsehen, dass jemand, der an einer deutschen Universität Medizin studiert hat, sich nicht als Arzt niederlassen durfte, weil er keine deutsche oder EU-/EWR-Staatsangehörigkeit hatte. Auch gegen die Einführung von »Gleichwertigkeitsprüfungen« in nicht reglemen-
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tierten Ausbildungsberufen als eine Dienstleistung der Kammern, die eine Stellensuche erleichtern könnte, war kaum etwas einzuwenden – zumal sie auf informeller Basis in einigen Kammern schon praktiziert wurde (Englmann/Müller 2007: 150). Eine Erwerbstätigkeit oder die Aussicht darauf holt im Sinne des meritokratischen Anerkennungsprinzips ohnehin jeden Stich. Nicht reglementierte Hochschulqualifikationen sowie die Führung akademischer Grade, darunter z. B. in Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, blieben von den berufsrechtlichen Änderungen zwischen 2012 bis 2014 unberührt. Das hängt damit zusammen, dass sie nicht im Berufsrecht, sondern im Landeshochschulrecht geregelt sind (vgl. 4.2.4). Es gelten deshalb weiterhin die Regeln der sogenannten automatischen Gradführung (KMK 2000, 2001). Eine Umwandlung des ausländischen Titels in einen deutschen Titel ist demzufolge nur auf Basis des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) möglich. Abgesehen von wenigen Ausnahmen können die meisten Auslandsqualifizierten den Titel nur in der Originalsprache und unter Angabe der Institution führen, die den Titel verliehen hat. Da eine Erwerbstätigkeit auch ohne formale Anerkennung der Qualifikation möglich ist, ist hier kein Bewertungsverfahren vorgesehen, im Rahmen dessen die »Gleichwertigkeit« geprüft wird. Für Akademikerinnen und Akademiker mit nicht reglementierten Hochschulqualifikationen hat sich durch die »Anerkennungsgesetzgebung« also nichts Wesentliches geändert, obwohl ihre Situation ursprünglich den Anstoß gegeben hatte (vgl. auch 2.2.1). Die Begrenztheit der Veränderung wird sich mutmaßlich auch in Zukunft in den jährlich zu erwartenden »Anerkennungsstatistiken« zeigen (vgl. Sommer 2014b) insbesondere dadurch, dass es entgegen der Erwartungen keine Hunderttausende oder Millionen sind, die eine »Gleichwertigkeit« ihres Abschlusses bescheinigt bekommen, sondern nur ein paar Tausend jährlich (hier durch das »Anerkennungsgesetz des Bundes«: Statistisches Bundesamt 2015, BMBF/BIBB 2015). Der Wechselkurs von 1:1 bleibt die Ausnahme, während ein Großteil der Selektion bereits stattfinden dürfte, bevor ein Antrag gestellt und eine Gleichwertigkeitsprüfung durchgeführt wird (vgl. 5.2.1). Falls es sich in diesem Zusammenhang als Selbstverständlichkeit festsetzt, dass es in Deutschland »Anerkennungsgesetze« und »Anerkennungsverfahren« gibt, die von mehreren Hundert »Anerkennungsstellen« durchgeführt werden und zu denen angeblich alle Zugang haben, setzt sich womöglich auch die Vorstellung fest, dass »nicht Anerkannte« dann wohl »wirklich keine gleichwertigen Qualifikationen« haben und dass A-Staat oder B-Staat dann wohl »wirklich schlechtere (Aus-)Bildungssysteme« haben. In dem inflationär verwendeten Begriff der »Anerkennung«, die angeblich so viel leichter geworden sein soll, steckt deshalb wahrscheinlich tatsächlich der Supergau: die Verschleierung der symbolische Gewalt durch Legitimation der Verkennung im Namen der Anerkennung.
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Auch wenn sich für viele Menschen de facto sehr viel weniger geändert haben dürfte, als Lärm um »Anerkennung« gemacht wurde (und wird), muss man der Debatte eines zugute halten. Sie hat dazu geführt, die Problematik nicht mehr in vielen rechtlichen Einzelbestandteilen, sondern in einem größeren gesellschaftspolitischen Gesamtzusammenhang zu verorten. Auch wenn kein umfangreicher Wandel des kleinteilig klassifizierenden Rechts ausgemacht werden kann, zeigt sich darin ein offensichtlich gestiegenes Interesse einiger diskursmächtiger Akteure und Institutionen. Diese Dynamiken machen es mir zum Beispiel auch erst möglich, die Auseinandersetzung als Kämpfe um das Monopol auf symbolische Gewalt (und damit um die Reproduktion oder Veränderung sozialer Ungleichheiten) zu betrachten und diese Interpretation der herrschenden Doxa (»Ressourcen nutzbar machen«) entgegenzusetzen. Gleiches gilt womöglich auch für die in den Gruppendiskussionen beobachtbaren kollektiven Orientierungsmuster. Bevor ich zu der zweiten Gruppendiskussion komme, gehe ich jedoch noch auf die Regelungen für die fünf betrachteten (bewerteten) Berufsgruppen ein.
4.4 D AS B ERUFSRECHT DER BETRACHTETEN ( BEWERTETEN ) B ERUFSGRUPPEN In diesem Unterkapitel skizziere ich die deutschen berufsrechtlichen Regelungen in Bezug auf die »Anerkennung« in den fünf betrachteten Berufsgruppen (Ärzte, Architektinnen, Handwerkerinnen, Lehrerinnen und Pflegekräfte). Es handelt sich um die Berufe, die ich als »Referenzberufe« ausgewählt habe (vgl. 3.5.2). Je nach berufsrechtlicher Grundlage ist es zum Teil sehr unterschiedlich, was »Anerkennung« meint, welchem Zweck sie dient, welche Stellen für die Durchführung solcher Verfahren zuständig sind und in welcher Form der Gegenstand in die Institutionen eingebunden ist. Aus methodologischen Gründen ziehe ich diese Unterschiede nicht als übergeordnete Vergleichskategorien heran, sondern die Frage nach den Gemeinsamkeiten zu stellen. Die für meine Fragestellung zentrale Gemeinsamkeit ist, dass vergleichende Bewertungen zwischen der inländischen Norm und einer ausländischen Qualifikation vorgenommen werden. Auch wenn sie institutionell unterschiedlich gerahmt sind, werden in allen »Anerkennungsstellen« »Gleichwertigkeitsprüfungen« durchgeführt. Im Folgenden werden also in Grundzügen die Institutionen dargelegt, mit denen ich mich zwecks Auswahl von Interviewpartnerinnen vertraut machen muss-
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te und auf die sich dann auch die interviewten Mitarbeiterinnen beziehen (vgl. Kap. 5). Es handelt sich um eine Vereinfachung, die keine Rechtsberatung ersetzt.9 4.4.1 Ärztinnen »Anerkennungsverfahren« von im Ausland ausgebildeten Ärzten unterscheiden die Erteilung einer »Berufserlaubnis«, die im Grunde noch nicht als »Anerkennung« gilt, von der Erteilung einer »Approbation«.10 Inhaberinnen einer »Berufserlaubnis« dürfen zeitlich befristet auf in der Regel maximal zwei Jahre als Angestellte, häufig als Assistenzärztinnen in einem Krankenhaus, arbeiten. Die »BE«, wie sie abgekürzt genannt wird, kann nur in Einzelfällen begrenzt verlängert werden und ist auf das Bundesland, in dem sie ausgestellt wurde, und unter Umständen auch einen bestimmten Arbeitsplatz beschränkt. Eine »Approbation« beinhaltet dagegen eine uneingeschränkte Berufsausübungsberechtigung, die zusammen mit der Mitgliedschaft bei der Ärztekammer auch dazu berechtigt, bundesweit als Arzt tätig zu sein und sich auch mit eigener Praxis niederzulassen. Sogenannte »Drittstaatsangehörige« konnten bis 2012 aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit keine »Approbation« erhalten, sodass sie vor allem auf Basis der immer wieder verlängerten »Berufserlaubnis« in Krankenhäusern tätig waren (siehe unten). Die Voraussetzungen für eine Berufserlaubnis sind im Regelfall erfüllt, sofern der oder die Antragstellerin ein mindestens sechsjähriges medizinisches Studium abgeschlossen hat, das in dem jeweiligen Ausbildungsstaat zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit als Arzt berechtigt. Nach den Aussagen der interviewten Mitarbeiterinnen in den »Anerkennungsstellen« zu urteilen, ist es für im Ausland qualifizierte Ärztinnen im Vergleich zur Approbation relativ einfach, eine Berufserlaubnis in Deutschland ausgestellt zu bekommen:
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Den Ausführungen liegen, sofern nicht anders angegeben, jene Wissensbestände zugrunde, die ich im Rahmen meiner Recherchen als geteilte Wissensbestände wahrgenommen habe. Symbolische Kämpfe verstecken sich jedoch in jeder noch so »nüchtern« klingenden Information.
10 Die Anerkennung als »Fachärztin« ist von der hier lediglich thematisierten Anerkennung der Grundqualifikation des Arzts zu unterscheiden. Solche »Anerkennungsverfahren« werden von den Landesärztekammern auf Basis der Weiterbildungsordnungen der Bundesländer durchgeführt und berechtigen zum Führen der Facharztbezeichnung. Die Anerkennung von Fachärztinnen aus Drittstaaten ist jedoch nicht der Regelfall. Häufig absolvieren sie als Inhaberinnen einer Berufserlaubnis im Rahmen einer assistenzärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus eine Facharztweiterbildung in Deutschland (vgl. Englmann/ Müller 2007: 52).
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„Das – da mach ich keinen Vergleich, da schaue ich also auch ob die Ausbildung abgeschlossen ist, aber für die Berufserlaubnis also für die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufes, muss keine Gleichwertigkeit der Ausbildung vorliegen sondern es heißt, die Ausbildung muss vergleichbar sein. //mhm// Ähm sie muss formal vergleichbar sein. Das heißt nach der Dauer, //mhm// die Ausbildungsdauer muss in etwa gleich sein, ähm (.) von der Art muss sie vergleichbar sein und ähm die wesentlichen Inhalte müssen auch vorhanden sein. Und das kann man sagen sind fast weltweit alle Ausbildungen. Also ich hab ganz selten Antragsteller mit Ausbildungen wo ich sage die Ausbildung iss so abweichend von der hiesigen dass wir keine Berufserlaubnis erteilen können.“ (ÄRZ (Nolte) 2-07: 233 ff.)
Sachlich ähnlich äußern sich auch andere Interviewte aus dem Bereich der ÄrzteAnerkennung. Während für eine Approbation die »Gleichwertigkeit« gegeben sein muss, reicht für eine Berufserlaubnis die »formale Vergleichbarkeit«. Ersteres ist offensichtlich eine Hürde, letzteres hingegen mit wenigen Ausnahmen die Regel. Das wirft Fragen auf, von dem handlungspraktischen Unterschied zwischen »formal vergleichen« (auf Basis der oben genannten Kriterien) und »Gleichwertigkeit prüfen« bis hin zu dem Sinn und Ursprung dieser offenbar deutlichen Zweistufigkeit, wenn alle Ausbildungen weltweit als vergleichbar gelten und die ärztliche Behandlung von Patientinnen allen weltweit ausgebildeten Ärzten erlaubt ist (vgl. auch Kap. 5). Festzuhalten ist, dass es im Bereich der Ärzte-Anerkennung nicht in erster Linie darum geht, ob im Ausland ausgebildete Ärzte in Deutschland berufstätig sein dürfen. Infrage steht, ob sie den in Deutschland ausgebildeten (deutschen) Ärzten qua Qualifikation gleichgestellt werden und damit, ob sie in die »deutsche Ärzteschaft« aufgenommen werden. Die damit zusammenhängenden Entscheidungen über die »materielle Gleichwertigkeit«, wie es in der Rechtssprache heißt, bezeichnete eine Juristin, die in einer zuständigen Stelle Widerspruchsverfahren bearbeitet, in einem Hintergrundgespräch als „das Schwierigste, mit dem wir zu tun haben“ (HI-Ärzte2). Zuständige Behörden für diese Verfahren sind wie bei den »Gesundheitsfachberufen« (u. a. den Pflegekräften) und anderen »akademischen Heilberufen« die sogenannten »Landesprüfungsämter«. Sie nennen sich auch »Approbationsbehörden«. Sie sind den Landesregierungen, der »Fachaufsicht« der Landesgesundheitsministerien unterstellt und arbeiten auf der gesetzlichen Grundlage der »Bundesärzteordnung« (BÄO) und der dazugehörigen »Approbationsordnung«. Der Beruf des Arztes zählt zu den sogenannten »bundesrechtlich reglementierten Berufen«, weil diese Grundlagen bundeseinheitlich sind. Der Vollzug der Verfahren und die »Fachaufsicht« liegt bei den Ländern. Die Approbationsbehörden sind in der Regel auch für die Approbationserteilung in anderen »akademischen Heilberufen« zuständig, wie Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie. In den für die Approbation (und auch für die Berufserlaubnis) maßgeblichen Regelungen der Bundesärzteordnung haben sich auch die betreffenden EU-
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Richtlinien, zuletzt die 2005/36/EG, niedergeschlagen. Die Ärzte-Anerkennung fällt unter die seit den 1970er Jahren entstandenen sektoralen Richtlinien, die mit einer Harmonisierung von Mindeststandards in der Ausbildung und mit der sogenannten »automatischen Anerkennung« unter den EU-Mitgliedstaaten, den Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftraums und der Schweiz einhergehen. Das heißt allerdings nicht, dass EU-/EWR-Mediziner keinen Antrag auf Berufsanerkennung in Deutschland stellen müssen. Es wird dennoch geprüft, ob ein Abschluss eines Mitgliedstaats vorliegt, der mit den im Anhang der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie gelisteten und von den Mitgliedstaaten ständig aktualisierten Voraussetzungen, wie Titel der Qualifikation, ausstellende Behörde und Referenzdatum, übereinstimmt. Wenn die Ausbildung vor dem Referenzdatum, in der Regel dem Beitritt des Staats zur Europäischen Union, erworben wurde, kann unter Umständen auch »automatisch« anerkannt werden, sofern der Ausbildungsstaat bescheinigt, dass die Konformität der Ausbildung mit den Richtlinien bereits zu diesem Zeitpunkt gegeben war. Diese Bescheinigungen werden »EU-Bescheinigungen« oder »Konformitätsbescheinigungen« genannt. Das zum 1. April 2012 in Kraft getretene »Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen« (Bundesgesetzblatt 2011) führte auch zu Änderungen bestehender Berufsgesetze, wie der Bundesärzteordnung (Artikel 29) und der Approbationsordnung für Ärzte (Artikel 30). Wie bereits erwähnt, ist das BQFG zu den Berufsgesetzen »subsidiär«. In vielen Artikeln, in denen Berufsgesetze geändert wurden, vor allem in den Gesundheitsberufen, ist zu lesen: „Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz findet mit Ausnahme des § 17 [Statistik] keine Anwendung“ (z. B. in Artikel 29). Dennoch hat der gesetzgeberische Duktus des BQFG und insbesondere das weitestgehend geteilte politische Anliegen, die Anerkennung einer Qualifikation dürfe nicht von Staatsangehörigkeit und Herkunft abhängen, zu Veränderungen in den Berufsgesetzen geführt. Bis 2012 war die Erteilung der Approbation an die deutsche Staatsangehörigkeit (bzw. die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-/EWR-Staats) gekoppelt. Der Ursprung dieser Regelung geht auf eine »Bestallungsordnung« des nationalsozialistischen Regimes aus dem Jahr 1935 zurück (Güntert/Wanner/Brauer/Stobrawa 2003: 9). Dass sie sich in den neueren Ordnungen fortgesetzt hatte, führte dazu, dass »Drittstaatsangehörige«, die weder die deutsche noch eine EU-Staatsangehörigkeit besaßen, die Approbation aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bzw. nur mit wenigen Ausnahmen erhalten konnten. Das galt unabhängig davon, wo sie ihre
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Ausbildung absolviert haben und betraf damit auch Absolventinnen deutscher Universitäten.11 Mit der Änderung der Bundesärzteordnung und der Approbationsordnung wurde die Koppelung der Approbationserteilung an die Staatsangehörigkeit im Jahr 2012 abgeschafft. Nun ist dies eine Frage der »Gleichwertigkeit« des Abschlusses aus dem jeweiligen Ausbildungsstaat mit der deutschen Medizinerausbildung. Inhaberinnen von EU-Abschlüssen sind jedoch nach wie vor privilegiert, da ihre Abschlüsse ohne eine Einzelfallprüfung als »gleichwertig« gelten, wenn der Titel, die ausstellende Behörde und das Referenzdatum mit den im Anhang zur Berufsanerkennungsrichtlinie aufgelisteten Voraussetzungen übereinstimmen. Zur Erteilung der Approbation wird im Fall von ausländisch Qualifizierten in der Regel zusätzlich ein »Sprachnachweis«, mindestens über das Sprachniveau B2 verlangt. Zur »Gleichwertigkeitsprüfung« kommt es, wenn EU-/EWR-Qualifikationen nicht aufgelistet sind sowie im Fall der meisten Drittstaatsdiplome. Orientierungsmaßstab in dieser Frage ist eine nicht veröffentlichte »Einstufungsliste« der »Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Landesprüfungsämter zum Vollzug des Ausbildungs- und Prüfungsrechts der Heilberufe« vom 1. März 2007 mit dem Titel „Gleichwertigkeit ausländischer Ausbildungen in den akademischen Heilberufen (Humanmedizin/Zahnmedizin)“. Sie teilt medizinische Ausbildungen nach Ausbildungsstaaten in A, B und C-Kategorien ein. von (A) »objektiv gleichwertig«, sodass eine »Überprüfung der Gleichwertigkeit nicht erforderlich« ist über (B) »Überprüfung der Gleichwertigkeit erforderlich und möglich« bis hin zu (C) »Ausländische Ausbildungen, die keine abgeschlossenen ärztlichen Ausbildungen« nach deutschem Recht sind. In die Kategorie A fallen sieben Ausbildungsstaaten, darunter Australien, Israel, Japan, Kanada, Neuseeland, Südafrika und die USA. In Klammern sind teilweise Hinweise und Anmerkungen notiert, wie zum Beispiel im Fall von Japan »Japan stuft die deutsche Ausbildung als nicht gleichwertig ein« oder im Fall von Südafrika »Zum Jetzt-Zeitpunkt: Beobachtung der politischen Entwicklung unverzichtbar, da ggf. Abstufung in Kategorie 2«. Die »Einstufungsliste« zur Begründung von (Nicht-)Gleichwertigkeit wurde in einem Urteil des Bundes-
11 Die Informationsbroschüre „Anerkennung und Berufszugang für Ärzte und Fachärzte mit ausländischen Qualifikationen in Deutschland“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2011 zählt als Ausnahmen neben Familienangehörigen von EUBürgerinnen und Drittstaatsangehörigen mit langjähriger Aufenthaltserlaubnis zwei Fälle auf, denen eine Approbation nicht verwehrt würde: eine Absolventin eines deutschen Medizinstudiums, die durch Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft eine Erbberechtigung, zum Beispiel in den USA, verlieren würde und eine „hochspezialisierte Herzchirurgin aus den USA“, weil sie für die Gesundheitsversorgung in Deutschland ein Gewinn wäre (BAMF 2011: 25).
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verwaltungsgerichts zurückgewiesen (BVerwG 2008). Nichtsdestotrotz beziehen sich die Interviewten weiter darauf, wenn sie von Drittstaatsqualifikationen sprechen, die ohne Einzelfallprüfung von »Vorneherein« als gleichwertig gelten (vgl. 5.1). In einem Hintergrundinterview heißt es: „Die alte Einstufungsliste darf nicht mehr offiziell herangezogen werden, aber als ungefähre Marschroute kann man sie sich anschauen“ (HI-Ärzte1). Wird die Gleichwertigkeit auf diese Weise nicht »automatisch« oder »von Vorneherein« festgestellt, erfolgt der Vergleich der vorliegenden Unterlagen zu Umfang und Inhalten eines ausländischen Studiums im Verhältnis zu einem Studienplan im Fach Medizin einer ausgewählten deutschen Universität, der als Referenz herangezogen wird. Zum Teil machen dies die Approbationsbehörden, zum Teil werden von ihnen ausgewählte Gutachterinnen, z. B. emeritierte Professoren, damit beauftragt. Als Unterstützung bei der Einordnung von Hochschulen und medizinischen Studienabschlüssen der Ausbildungsstaaten der Welt steht den »Anerkennungsstellen« die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) bei der Kultusministerkonferenz (KMK) einschließlich der von dieser Stelle geführten Datenbank »Anabin« in einer Behördenversion zur Verfügung (KMK 2013). Sie prüfen allerdings lediglich formal, ob die Voraussetzungen für die Berufserlaubnis vorliegen. „die Prüfung der inhaltlichen Gleichwertigkeit obliegt den Landesbehörden oder den Approbationsbehörden steht dann immer drunter“, kritisiert ein Interviewter (ÄRZ (Meyer) 4-24: 393 f.).12 Unter den zuständigen Anerkennungsbehörden in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union findet vereinzelt auch das Binnenmarkt-Informationssystem »IMI« Anwendung (Europäische Kommission 2013). Es soll erleichtern, miteinander in Kontakt zu treten und Nachfragen zu den vorliegenden EU-Abschlüssen auf kurzem Wege und mithilfe einer Übersetzung zu klären. Wenn im Rahmen der »Gleichwertigkeitsprüfung« »wesentliche Unterschiede« zwischen den Ausbildungen festgestellt werden, haben die Antragstellerinnen die Möglichkeit, die »Defizite« durch den Nachweis von Berufserfahrung oder Weiterbildungen in diesen Bereichen auszugleichen. Dies war zuvor auf Basis der Berufsanerkennungsrichtlinie nur in Bezug auf Abschlüsse der EU-/EWR und der Schweiz möglich. Die Angleichungen waren nicht unumstritten. Aus einer Stellungnahme der Bundesärztekammer geht bspw. hervor:
12 Es steht inzwischen zur Diskussion, die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen zu einer zentralen Prüfstelle für die »Gleichwertigkeit« in den Gesundheitsberufen auszubauen (siehe z. B. BMBF/BIBB 2014, BT 2014: 5116; BMBF/BIBB 2015: 26).
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„Die Feststellung der Gleichwertigkeit für einen Beruf im Gesundheitswesen sollte aus Patientenschutzgesichtspunkten grundsätzlich nicht niedrigschwellig sein. Die aus dem allgemeinen System der Berufsanerkennungsrichtlinie resultierende Prüfung auf wesentliche Unterschiede unter Berücksichtigung sonstiger Qualifikationen auf sämtliche Anerkennungsverfahren mit Auslandsbezug auszudehnen, scheint jedenfalls weder angemessen und notwendig noch praktikabel.“ (Bundesärztekammer 2011: 6)
Können die fest gestellten »Defizite« nicht durch andere Qualifikationsnachweise belegt werden, gibt es verschiedene Varianten von Ausgleichsmaßnahmen, die wiederum einen Unterschied zwischen EU-Qualifikationen und Drittstaatsqualifikationen machen. Erstere haben die Wahl zwischen einer »Eignungsprüfung«, die sich auf die festgestellten »Defizite« beziehen muss und deshalb auch »Defizitprüfung« genannt wird, und einer Anpassungsmaßnahme. Letztere können nur durch das Absolvieren einer performativen »Kenntnisprüfung«, deren Umfang häufig mit der staatlichen medizinischen Abschlussprüfung verglichen wird, einen gleichwertigen Kenntnisstand nachweisen und auf diesem Weg eine Approbation erteilt bekommen.13 Missverständlich ist, dass von der »Kenntnisprüfung« manchmal auch als »Gleichwertigkeitsprüfung« gesprochen wird, sodass die Verfahren begrifflich nicht zwangsläufig zu unterscheiden sind. 4.4.2 Architektinnen Die »Anerkennung« als Architektin in Deutschland ist eng verbunden mit der »Eintragung« in eine Architektenliste bei einer der 16 Landesarchitektenkammern, die neben weiteren Kriterien, unter anderem Berufserfahrung, im Normalfall ein mindestens vierjähriges Architekturstudium voraussetzt.14 Diese Bedingungen gelten für inländisch und ausländisch Qualifizierte gleichermaßen. Erst mit dieser »Eintragung« darf die Berufsbezeichnung »Architekt« geführt werden, was Voraussetzung für die »Bauvorlageberechtigung« und damit die öffentlich-rechtliche Verantwortung für das Stellen von Bauanträgen ist.15 Im Gegensatz zu »Anerkennungsver-
13 Zum Teil existieren Fördermaßnahmen, wie zum Beispiel von der Otto-Benecke-Stiftung (OBS), die auf die genannten performativen Prüfungen vorbereiten. 14 Manche Landesarchitektenkammern tragen geringfügig davon abweichende Namen, die auf die Zuständigkeit für weitere Berufe verweisen. Sie sind in der Regel zumindest auch für die sogenannten drei »kleinen« Fachrichtungen zuständig: Stadtplaner, Innenarchitekten und Landschaftsarchitekten. Die Ausführungen in diesem Abschnitt beziehen sich lediglich auf Architekten. 15 Teilweise wird im Landesrecht zwischen »Großer« und »Kleiner Bauvorlageberechtigung« unterschieden. Darauf wird hier jedoch nicht näher eingegangen.
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fahren« in anderen Berufsgruppen, wie zum Beispiel die Erteilung von Berufserlaubnissen und Approbationen an Ärzte, ist eine Eintragung jedoch für die Ausübung architekturspezifischer Tätigkeiten, wie Planen und Entwerfen, rechtlich betrachtet, nicht erforderlich. Angestellte in einem Architekturbüro oder entsprechend qualifizierte Mitarbeiterinnen in der Bauverwaltung können auch ohne Eintragung in die Architektenliste berufstätig sein. Genauso ist die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit (mit Ausnahme des Stellens von Bauanträgen), z. B. unter Berufung auf eine ungeschützte Berufsbezeichnung, wie »Planerin«, auch ohne Eintragung und ohne einschlägiges Studium – gewissermaßen als Autodidaktin – möglich. Neben dem Führen der Berufsbezeichnung »Architekt« und der Bauvorlageberechtigung geht mit der Mitgliedschaft bei einer Architektenkammer auch eine berufsständische (Renten-)Versorgung einher, sodass das Anstreben einer Eintragung der Normalfall ist, wenn entsprechende Voraussetzungen vorliegen. Die Anerkennung der »Gleichwertigkeit« des Studienabschlusses ist häufig bereits vor der Eintragung nachgefragt. Neben dem (anerkannten) vierjährigen Studium zählt auch der Nachweis über eine mindestens zweijährige Berufspraxis in Deutschland zu den wesentlichen Bedingungen für eine Eintragung. Absolventinnen mit ausländischen Studienabschlüssen sind daher zunächst darauf angewiesen, dass »der Markt« ihre Qualifikation in Form einer Stelle anerkennt, um nach zwei Jahren Berufserfahrung die Eintragung bei der Kammer beantragen zu können. Problematisch ist hier nicht, dass das Berufsrecht der Berufstätigkeit im Wege steht, sondern dass viele ausländische Diplome auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht aussagekräftig sind. Das hat – ähnlich wie bei den Handwerkerinnen – den Ruf nach einer Bescheinigung über die »Gleichwertigkeit« mit einem deutschen Studienabschluss laut werden lassen. Es bestehen Konflikte, ob dies Aufgabe der Landesarchitektenkammern sein soll oder ob dieses Anliegen durch die von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen ausgestellten »Lissabon-Bescheinigungen« abgedeckt ist. Die Architektenkammern als die für die Durchführung von Eintragungs- bzw. Anerkennungsverfahren zuständigen Behörden stehen als »Körperschaften öffentlichen Rechts« unter der staatlichen Aufsicht eines Landesministeriums, häufig den Landeswirtschaftsministerien. Rechtliche Grundlage für die Eintragungen der Architektenkammern sind die 16 Landesarchitektengesetze, sodass der Beruf des Architekten zu den »landesrechtlich reglementierten Berufen« gezählt wird.16 Der Wechsel von einer Landesarchitektenkammer zu einer anderen ist im Regelfall rela-
16 Die Landesarchitektengesetze weichen vielfach voneinander ab. Ein systematischer Gesetzesvergleich ist jedoch nicht Gegenstand meiner Arbeit, sodass hier vor allem übergeordnete Grundzüge dargelegt sind.
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tiv einfach möglich, heißt es zumindest in meinen Interviews mit Vertretern der Landesarchitektenkammern. Das Verfahren der Eintragung (bzw. »Anerkennung«) folgt im Wesentlichen einer Dreiteilung, indem zwischen sogenannten »Regeleintragungen« mit inländischem Studium, EU-/EWR-/Schweiz-Qualifizierten und »Sonstigen« unterschieden wird. Der Beruf der Architektin unterliegt im Rahmen der EU-Regelungen der sogenannten automatischen (gegenseitigen) Anerkennung. Die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG, in der die ehemals einzelnen sektoralen Richtlinien aufgegangen sind, wurde in den Landesarchitektengesetzen umgesetzt, wenn auch sehr unterschiedlich, wie meine Interviewpartner betonen. Im Anhang zu der Berufsanerkennungsrichtlinie listen die Mitgliedstaaten jeweils auf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um in ihrem Staat als Architekt zugelassen zu sein. Problematisch ist nach Angaben der Interviewten in den Architektenkammern beides, dass er permanent aktualisiert wird und dadurch immer unübersichtlicher wird und dass er nie so aktuell ist, dass man sich auf ihn verlassen kann. Für die Gruppe derjenigen, die ihre Qualifikation außerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz erworben haben, gibt es mit wenigen Ausnahmen in Deutschland bisher so gut wie keine gesetzlichen Regelungen der Länder im Bereich der Architektur. Es sind »Einzelfallentscheidungen«. Die auf Ebene der Länder in den Jahren 2012 bis 2014 in Kraft getretenen Berufsqualifikationsfeststellungsgesetze, die in gewisser Analogie zum gleichnamigen Bundesgesetz stehen, finden zum Teil auch keine oder nur begrenzt Anwendung auf die Architektengesetze. Die »Gleichwertigkeitsprüfung« eines ausländischen mit einem deutschen Studienabschluss erfolgt in der Regel im »Eintragungswesen« der Architektenkammer – zumindest sofern sie von der Kammer durchgeführt wird und nicht ein Gutachten der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) herangezogen wird. Der »Eintragungsausschuss«, ein Gremium unter Vorsitz eines Juristen und im Beisitz von Fachvertreterinnen verantwortet die Entscheidung. Die inhaltliche Vorarbeit und damit Empfehlung wird unter anderem von den Mitarbeitern des »Eintragungswesen« geleistet, die ich interviewt habe. Überprüft wird anhand der Unterlagen der Antragstellerinnen, inwiefern die Dauer und die Inhalte der ausländischen Ausbildung einem einschlägigen Architekturstudium in Deutschland entsprechen. Anders als bei den Gesundheitsberufen stehen den Antragstellern, wenn »wesentliche Unterschiede« festgestellt werden, keine Ausgleichsmaßnahmen, wie Prüfungen oder Lehrgänge zur Verfügung. Es ist im Bereich der Architektur besonders offensichtlich, dass sich das Problem des Bewerten- und Vergleichenmüssens nicht in der Dichotomie von »inländisch« und »ausländisch« bewegt. Seit der Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen und der Häufung von sogenannten »Patchworkbiografien«, ein Begriff, der in den Interviews häufig fällt, betreffen die Uneindeutigkeiten und Unsicherheiten im Umgang mit dem Vergleichen von Studien-
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gängen auch viele Inlandsabsolventen, vielfach gehen inländische und ausländische Bildungsbiografien auch ineinander über. 4.4.3 Handwerkerinnen Die »Anerkennung« ausländischer Qualifikationen im Bereich des Handwerks umfasst Überprüfungen der »Gleichwertigkeit« mit dem deutschen Gesellen- und Meisterniveau in etwa 150 Handwerksberufen, wie zum Beispiel Maurerin, Bäckerin, Elektrotechniker, Zahntechniker und Friseurin. Für jeden Beruf existieren »Ausbildungsordnungen«, die der »Gleichwertigkeitsprüfung« als Maßstab zugrunde gelegt werden. Ein »Gesellenbrief«, wie die Urkunde über die abgeschlossene Berufsausbildung im Handwerk genannt wird, ist rechtlich gesehen nicht notwendig, um als Angestellter in einem Handwerksbetrieb tätig zu sein. Die Anerkennung der »Gleichwertigkeit« kann eine Besserstellung bedeuten, die von meinen Interviewten in den Handwerkskammern als eine Besserstellung auf dem Arbeitsmarkt und als Aufnahme einer (qualifizierten) Erwerbsarbeit gedacht wird. Die verbreitete Argumentation lautet, dass sowohl die Auslandsqualifizierten selbst als auch potenzielle Arbeitgeberinnen die Qualifikation besser einordnen können, so dass die Qualifikation passender und besser eingesetzt werden kann. Gleichsam wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass es andere und bessere Wege geben kann als die »Gleichwertigkeitsprüfung«, das Ziel der Besserstellung zu erreichen. Etwas anders verhält sich das deutsche Recht auf der Meisterebene. Der »Meisterbrief« als Urkunde über das Bestehen einer »Meisterprüfung« ist im »zulassungspflichtigen« Handwerk Voraussetzung für die Eintragung in die »Handwerksrolle« und damit die Selbstständigkeit mit einem eigenen Handwerksbetrieb. Damit erwirbt man auch das Recht, den Titel »Meisterin« zu führen und Gesellen auszubilden. Im »zulassungsfreien« Handwerk ist der Meisterbrief keine zwingende Voraussetzung für das selbstständige Führen eines Betriebs, kann aber symbolisches Kapital in Form der Zuschreibung von Kompetenz und Glaubwürdigkeit bedeuten. Zuständige Stellen für die Durchführung von Anerkennungsverfahren im Bereich des Handwerks sind die 53 Handwerkskammern in Deutschland, die im Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) zusammengeschlossen sind. Die »Kammerbezirke« sind jeweils Untergliederungen der 16 Länder. In Berlin, Hamburg, Bremen und dem Saarland entspricht der Kammerbezirk dem Bundesland. Es ist ihre öffentlich-rechtliche Aufgabe, wie bei anderen berufsständischen Kammern auch, den Berufsstand selbst zu verwalten und seine berufspolitischen Interessen nach außen zu vertreten. Dazu zählen auch die Regelung der Berufsausbildung im
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Handwerk und das Führen der Handwerksrolle. Für die Betriebe besteht eine Pflicht zur Mitgliedschaft. Die »Fachaufsicht« liegt bei den Landeswirtschaftsministerien. Rechtliche Grundlagen der Anerkennung im Bereich des Handwerks ist das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG), die Handwerksordnung (HwO) sowie mit Einschränkungen das Berufsbildungsgesetz (BBiG), welches vor allem die Berufsausbildungen des deutschen »dualen Systems«, die zum Teil in Betrieben und zum Teil in Berufsschulen stattfinden, regelt.17 In Anhängen zur Handwerksordnung werden die als »zulassungspflichtig« klassifizierten Handwerksgewerbe (Anhang A) sowie die »zulassungsfreien« Gewerbe (oder Berufe), die sich noch mal in die Kategorien »Handwerk« (Anhang B1) und »handwerksähnlich« (Anhang B2) untergliedern, aufgelistet. Die staatliche Anerkennung von Berufsausbildungen und der Erlass von »Ausbildungsordnungen« für die einzelnen Handwerksberufe liegt beim Bundeswirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Bundesbildungsministerium. Ausbildungen im Handwerk dauern in der Regel drei Jahre und mindestens zwei Jahre. Im Gegensatz zu den Berufen der Architekten und der Lehrer, die in Landesgesetzen geregelt sind, sind die Handwerksberufe wie die betrachteten Gesundheitsberufe im Bundesgesetz geregelt. Auf Gesellenebene sowie im zulassungsfreien Bereich handelt es sich um »nicht reglementierte« Berufe und auf Meisterebene im zulassungspflichtigen Handwerks um »reglementierte« Berufe. Die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG im zulassungspflichtigen Handwerk ist in der EU-/EWR-Handwerksverordnung umgesetzt (vgl. BMWi 2008). Durch das 2012 in Kraft getretene Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz kam es insbesondere im Bereich der nicht reglementierten Handwerksberufe – ähnlich wie in den Industrie- und Handelsberufen – zu weitreichenden Neureglungen. Zuvor wurden neben den Verfahren zum Zweck der Niederlassung oder Dienstleistungserbringung von Meistern aus anderen EU-/EWR-Mitgliedstaaten (ebd.) ausschließlich »Anerkennungsverfahren« für Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz durchgeführt. Mit einigen Staaten, wie Österreich, Frankreich und der Schweiz, sind bilaterale Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Handwerkerinnen geschlossen worden (z. B. WHKT 2006: 13). In einigen »Anerkennungsstellen« gab es darüber hinaus eine Praxis „informelle[r] Gutachten“ (Englmann/Müller 2007: 79) als eine »freiwillige« (weil rechtlich nicht geforderte) Leistung der Kammern, die zwecks besserer Einstufung der ausländischen Ausbildung auf dem deutschen Arbeitsmarkt denjenigen angeboten wurde, die keinen Rechtsanspruch auf eine Überprüfung der »Gleichwertigkeit« hatten.
17 Eine Ausnahme stellen einige Gesundheitsfachberufe, wie z. B. Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, dar, auf die das Berufsbildungsgesetz keine Anwendung findet. Schulische Berufsausbildungen sind in den Schulgesetzen der Länder geregelt.
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Inzwischen macht die Gesetzgebung im Bereich der Handwerksberufe keine Unterschiede mehr hinsichtlich des Zugangs zu einem »Anerkennungsverfahren«. Vor der Antragstellung steht in der Regel die Zuordnung des ausländischen Berufs zu einem deutschen Referenzberuf. Aufgrund der Vielzahl an Handwerksberufen, verwandten Industrie- und Handelsberufen (in anderer Zuständigkeit) sowie Zuordnungsschwierigkeiten von ausländischen Berufsbildern zu deutschen Berufsbildern ist dies keine nebensächliche Aufgabe. Über die »Gleichwertigkeit« mit dem deutschen Referenzberuf wird dann anhand eines Vergleichs der Ausbildungsdauer, der Inhalte der Ausbildungsordnungen und darüber hinaus einbezogenen Nachweisen über Berufserfahrung oder anderweitig erworbenen Kenntnissen entschieden. Neben der Feststellung einer »vollen Gleichwertigkeit« kann das Ergebnis auch »teilweise gleichwertig« lauten. »Anpassungsqualifizierungen« sind bei nicht reglementierten Berufen gesetzlich nicht vorgesehen. Bei fehlenden Dokumenten, wie es insbesondere im Fall von Fluchterfahrungen vorkommt, kann die »Anerkennungsstelle« veranlassen, eine »Qualifikationsanalyse« (nach § 14 BQFG) durch eine Innung durchführen zu lassen, im Rahmen derer »Kompetenzen« abgeprüft werden. Grundsätzlich ist nach der Handwerksordnung eine sogenannte »Externenprüfung« möglich. Das bedeutet, dass Abschlussprüfungen gemacht werden können, ohne dass vorher die entsprechende Berufsausbildung absolviert wurde. Ein erfolgreicher Abschluss auf diesem Wege gilt dann auch als »gleichwertig«. Die Handwerkskammern sind jeweils erstmal zuständig für die Antragstellerinnen, die ihren Wohnort im Kammerbezirk haben. Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) hat ein sogenanntes »Leitkammer-System« aufgebaut, mithilfe dessen der Aufbau von Expertise zu einzelnen Ausbildungsstaaten und Berufsbildern organisiert und gebündelt werden soll. »Leitkammern« sind Handwerkskammern, die für den Aufbau von Wissen über das Berufsbildungssystem und die Berufsabschlüsse eines bestimmten Ausbildungsstaats zuständig sind, aus dem besonders viele Antragstellerinnen erwartet werden. Für manche Ausbildungsstaaten sind auch mehrere Leitkammern zuständig, die sich in der Regel nach Berufsgruppen (im Handwerk) aufgeteilt haben. Die Leitkammern treten nach außen, gegenüber den Antragstellerinnen und der Öffentlichkeit, nicht in Erscheinung, sondern geben zu den Fällen anderer Handwerkskammern »gutachterliche Stellungnahmen« ab. Dadurch sind die Antragsteller ausschließlich in Kontakt mit ihrer örtlichen Handwerkskammer. Das »Leitkammer-System« im Handwerk wird in der Regel als »dezentral« bezeichnet und darin verglichen mit dem System, das die Industrie- und Handelskammern (IHK) aufgebaut haben (vgl. Witt 2012). Mit drei Ausnahmen haben sie sich der Gründung von IHK FOSA in Nürnberg angeschlossen, die die Bewertungsverfahren »zentral« durchführen. Dabei werden insbesondere die Einheitlichkeit des Vollzugs (zentral) und die Kundennähe (dezentral) gegeneinander gestellt argumentiert. Die Informationen und Bewertungen ausländischer Abschlüsse, die im Rahmen der einzelnen Antragsbearbeitung entstehen, werden von den
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Handwerkskammern (und den IHK auch) in ein Informationsportal zu ausländischen Berufsqualifikationen, das sogenannte »BQ-Portal« eingepflegt (IW 2013). Der Aufbau dieses Portals wird vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums begleitet (vgl. auch IW/IFOK 2010). Auf Anfrage ist das IW den Kammern auch bei der Recherche oder Übersetzung von Dokumenten zu ausländischen Ausbildungen, die potenziell häufiger nachgefragt werden könnten, behilflich. Auf diese Weise soll die Durchführung von Anerkennungsverfahren langfristig vereinfacht und standardisiert werden. 4.4.4 Lehrerinnen Bei »Anerkennungsverfahren« für im Ausland qualifizierte Lehrerinnen in Deutschland wird die sogenannte »Gleichstellung« mit einer in Deutschland qualifizierten Lehrerin von der »Anerkennung« einer Lehrbefähigung unterschieden. Letztere ermöglicht es, als Angestellte an Schulen zu unterrichten, ggf. auch mit einem Unterrichtsfach. Häufig bezieht sich die Lehrbefähigung auf das Unterrichten der eigenen Muttersprache. Die »Gleichstellung« meint hingegen die uneingeschränkte »Gleichwertigkeit« mit der deutschen Lehrerausbildung. Unter Berufung auf deutsche Besonderheiten in der Ausbildungsstruktur kann sie in aller Regel nur durch zusätzliche Maßnahmen wie das Studium eines zweiten Unterrichtsfachs sowie Ausgleichsmaßnahmen für die zweite Ausbildungsphase, das Referendariat, erreicht werden. Erst die »Gleichstellung« macht ausländisch Qualifizierte zu »gleichwertig« Qualifizierten (wobei die Einstellung in den Schuldienst und die Verbeamtung damit noch nicht automatisch verbunden ist). „Wir lavieren mit den Begriffen rum, das muss man wirklich so sagen“ (HI-Lehrer) resümiert eine fachlich erfahrene Gesprächspartnerin, die mir diesen Unterschied zwischen »Anerkennung« und »Gleichstellung« erläuterte. Die Kompetenz für die Lehrerbildung liegt bei den deutschen Bundesländern. Zuständige Behörden für die »Anerkennung« ausländischer Lehrqualifikationen sind daher auch die Kultusministerien der Bundesländer bzw. ihnen nachgeordnete Behörden. Rechtliche Grundlage für die Arbeit der zuständigen Stellen sind die Lehrerbildungsgesetze und Landesbeamtengesetze der Bundesländer. Lehrer zählen damit, wie Architekten, zu den »landesrechtlich geregelten Berufen«. Ein Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 7.3.2013 regelt, dass Abschlüsse, die in einem Bundesland anerkannt werden, auch von den anderen anerkannt werden sollen (KMK 2013). Eine Besonderheit ergibt sich bei der Lehrer-Anerkennung daraus, dass die Kultusministerien der Länder nicht nur Anerkennungsbehörden, sondern auch Einstellungsbehörden in den Schuldienst sind. Diese direkte Verbindung, nicht nur Prüfstelle der »Gleichwertigkeit«, sondern auch potenzieller Arbeitgeber zu sein, ist in
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den anderen betrachteten Berufen nicht gegeben. In einem Hintergrundinterview fällt in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Länder gerade deshalb „selten in die Karten blicken lassen“ und „ihre Bereitschaft zur Anerkennung immer sehr stark abhängig von dem jeweiligen Lehrerbedarf“ ist (HI-ZAB1). In »Mangelfächern« sind die Chancen, z. B. auch auf einen Seitenstieg mit nur einem Fach deshalb größer als in anderen Fächern. Für die Anerkennung von Lehramtsabschlüssen maßgeblich sind sowohl die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG, die Lissabonner Anerkennungskonvention als auch die Einführung von Bachelor und Masterabschlüssen durch den Bologna Prozess (Weizsäcker 2009). EU-/EWR-Abschluss versus Nicht-EU/EWR-Abschluss ist ein wesentliches Kriterium im Hinblick auf Verfahrenszugänge zum einen und Verfahrensausgänge zum anderen. Es variiert zwischen den Bundesländern sehr stark, ob für Inhaberinnen von Abschlüssen, die nicht in der EU erworben wurden, »Bewertungsverfahren« durchgeführt werden. Auch ist es unterschiedlich, inwiefern sich die Rechtslage für Lehrerinnen mit ausländischen Qualifikationen durch die zwischen 2012 bis 2014 nach dem Muster des BQFG verabschiedeten Landesanerkennungsgesetze geändert hat. Hamburg ist z. B. das erste Land, das einen allgemeinen Rechtsanspruch auf ein Bewertungsverfahren für Lehrer eingeführt hat und Lehrerinnen den Weg zu einer Lehramtsbefähigung öffnet, die in ihrem Ausbildungsstaat nur ein Unterrichtsfach studiert haben (SVR 2014: 145). Anders als im Fall von Ärztinnen und Architekten unterliegt die Anerkennung innerhalb der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz nicht den sektoralen, sondern den allgemeinen Richtlinien der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG. Das bedeutet letztlich in der Praxis, dass es anders als bei Ärzten, Pflegekräften und Architekten keinen »Anhang« gibt, der die als gleichwertig geltenden Ausbildungen auflistet, sondern dass die »Gleichwertigkeit« der Ausbildungen jeweils im individuellen Antragsfall geprüft wird. Dabei wird die Zweiteilung in Studium und Vorbereitungsdienst je nach Bundesland unterschiedlich gehandhabt. Eine ungefähre Orientierung ist: Wenn zwei Unterrichtsfächer (im Sinne dessen, was in dem Bundesland »ein Fach« ist) in etwa gleichem Umfang und vergleichbaren Inhalten studiert wurden, kann es sich um ein »gleichwertiges« Studium handeln. Nur wenn auch eine dreijährige Unterrichtspraxis vorliegt, kann im Regelfall eine sofortige »Gleichstellung« mit einem in Deutschland ausgebildeten Lehrer erteilt werden. Das Kriterium »zwei Unterrichtsfächer« bedeutet, dass zwei Unterrichtsfächer festgestellt werden müssen, die auch in dem jeweiligen Bundesland, dass das Verfahren durchführt, als Unterrichtsfächer anerkannt sind. Insbesondere das Fach Deutsch ist ein Streitfall, wenn es an einer ausländischen Hochschule als »Fremdsprache« studiert wurde. Dass die Lehrer-Ausbildung im Ausbildungsstaat keine Hochschulausbildung war, ist noch vor dem zweiten Unterrichtsfach ein häufiges
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Kriterium dafür, dass Lehrer nicht anerkannt werden. Eine weitere wesentliche Hürde sind im Fall der Lehrer auch die geforderten deutschen Sprachkenntnisse, die gemäß der Regelungen mindestens auf dem Referenz-Niveau C1, in der Regel auf dem höchsten Niveau C2, erwartet werden. Es ist auch je nach Bundesland unterschiedlich, ob ein Nachweis deutscher Sprachkenntnisse vor oder nach der Gleichwertigkeitsprüfung verlangt wird. Die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/ EG sieht vor, dass »Gleichwertigkeit« nicht von Sprachkenntnissen abhängig gemacht werden darf. Sofern »wesentliche Unterschiede« festgestellt werden, können diese unter bestimmten Voraussetzungen ausgeglichen werden, zum Beispiel durch das Nachstudieren eines weiteren Unterrichtsfaches und/oder durch das Absolvieren eines Anpassungslehrgangs ähnlich einem Vorbereitungsdienst. Dies steht dann, wie in den anderen Berufsgruppen auch, unter der Voraussetzung, dass eine mehrjährige Ausbildungsphase in der entsprechenden Lebensphase finanziell und zeitlich organisiert werden kann (vgl. Schnippering/Bethschneider 2009). Für Inhaberinnen von Drittstaatsqualifikationen bestehen in den meisten Bundesländern deutlich geringer ausgebaute Ausgleichs-Möglichkeiten als im EU-Bereich. 4.4.5 Pflegekräfte Bei der »Anerkennung« von im Ausland ausgebildeten Pflegekräften geht es vor allem um die Erlaubnis zur Führung von deutschen Berufsbezeichnungen, wie »staatlich geprüfter Gesundheits- und Krankenpfleger«, »staatlich geprüfte Gesundheitsund Kinderkrankenpflegerin« oder »staatlich geprüfter Altenpfleger« und um die Erlaubnis zur Ausübung des Pflegeberufs auf dem damit verbundenen Niveau.18 Mit der Feststellung von »Gleichwertigkeit« und der Ausstellung einer Urkunde wird die Erlaubnis erteilt, als »Pflegefachkraft« tätig zu sein. Damit wird qua Titel eine qualifikationsbezogene Höherwertigkeit verliehen gegenüber Pflegehelferinnen und »ungelernt« Pflegenden, die in der Regel mit einer besseren (tariflichen)
18 Ich beziehe mich im Folgenden nur auf die Regelungen für Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, wie die offizielle Berufsbezeichnung für Krankenschwestern und Krankenpfleger seit 2004 in Deutschland lautet. Für Kinderkrankenpfleger gelten weitestgehend die gleichen Regelungen. Der Bereich der Altenpflege weicht aufgrund einer anderen gesetzlichen Grundlage, dem Altenpflegegesetz, etwas davon ab. Da der Beruf der Altenpflegerin in den wenigsten Staaten in Form einer eigenständigen Berufsausbildung existiert (Oschmiansky 2013: 369, 408) und die wenigsten ausländischen Berufsqualifikationen, die in deutschen Stellen bewertet werden, diesem Berufsbild zuzuordnen sind, bleibt dieser Bereich hier unberücksichtigt. Anerkannte Gesundheits- und Krankenpfleger dürfen jedoch auch in der Altenpflege tätig sein.
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Bezahlung und verantwortungsvolleren Tätigkeiten einhergeht. Dass Pflegende aus dem Ausland unter prekären und prekärsten Bedingungen tätig sind, ist gerade in Altenpflegeheimen und Privathaushalten häufig (z. B. Krawietz/Visel 2014). Als »Fachkraft« zu gelten und als solche angestellt und bezahlt zu werden, erfordert ein formales »Anerkennungsverfahren«, sofern ein Abschluss im Ausland erworben wurde.19 Zuständige Behörden für die Durchführung der »Anerkennungsverfahren« sind wie bei Ärzten und anderen »akademischen Heilberufen« die »Landesprüfungsämter«. Sie sind auch für die Erteilung der Berufserlaubnis an inländisch ausgebildete Pflegefachkräfte zuständig und unterstehen der »Fachaufsicht« der Landesgesundheitsministerien.20 Die »Landesprüfungsämter« arbeiten auf Grundlage des Krankenpflegegesetzes und der dazugehörigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Es handelt sich hierbei wie im Fall von Ärzten um einen »bundesrechtlich reglementierten Beruf«, dessen Vollzug in der Kompetenz der Bundesländer liegt. Die Landesprüfungsämter sind in der Regel auch für die Verfahren für andere »Gesundheitsfachberufe«, wie z. B. Ergotherapeuten, Hebammen, medizinisch-technische Assistentinnen, Physiotherapeutinnen und weitere Ausbildungsberufe im Gesundheitswesen, zuständig. Sie sind unterschiedlich strukturiert, sodass die zuständigen Mitarbeiterinnen im Bereich Krankenpflege zum Teil auch weitere Berufsgruppen betreuen (und bewerten). Bei einigen umfasst die Zuständigkeit die Erteilung von Erlaubnissen an In- und Auslandsqualifizierte, andere sind nur für die Antragsteller mit ausländischen Qualifikationen zuständig. Sowohl die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG als auch das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) haben im Krankenpflegegesetz (KrPflG) »ihren Niederschlag gefunden«. Inhaber von Qualifikationen aus der EU, dem EWR und der Schweiz sind im »Anerkennungsverfahren« privilegiert sind gegenüber jenen, die ihren Abschluss in einem anderen Staat erworben haben. Der Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin ist wie der Arztberuf und der Architekturberuf in der EU »sektoral« geregelt, was bedeutet, dass Ausbildungen, die nach einem bestimmten Stichtag (in der Regel dem Beitrittsdatum des Mitgliedstaats) erworben wurden, »automatisch« oder »direkt« anerkannt werden. In dem Fall wird eine Konformität der Ausbildungen und damit die »Gleichwertigkeit« als gegeben vorausgesetzt und nicht wie andernfalls üblich die Ausbildung jeweils individuell auf »Gleichwertigkeit« geprüft. Zentrales Instrument zur Feststellung, ob eine Aus-
19 Speziell zu den Bewertungsverfahren im Bereich der Pflege siehe Aufsatz »Die Müh(l)en der staatlichen Anerkennung« (Sommer 2014a). 20 Sowohl die Bezeichnungen der Landesprüfungsämter als auch ihre Einbettung in die Organisationsstruktur der öffentlichen Verwaltung weichen in den 16 Ländern zum Teil voneinander ab, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann.
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bildung vorliegt, die »automatisch« anerkannt werden kann, ist der »Anhang« zum Krankenpflegegesetz, eine tabellarische Aufstellung der in den einzelnen Mitgliedstaaten anerkannten Ausbildungen, vielfach in Originalsprache, die dem »Anhang« zur EU-Berufsanerkennungsrichtlinie entspricht. Das zentrale politische Anliegen des Gesetzgebungsverfahrens, welches zum BQFG führte, war die Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein Anerkennungsverfahren, unabhängig von Staatsangehörigkeit und Herkunft. Anders als im Fall von »akademischen Heilberufen« (z. B. Ärzten) wurden die Abschlüsse von Pflegekräften schon vor dem Inkrafttreten des BQFG auch für Inhaberinnen von Drittstaatsqualifikationen (unabhängig von »Staatsangehörigkeit«) geprüft. Das Ergebnis war allerdings selten die Feststellung der »Gleichwertigkeit« und die Erteilung einer Berufserlaubnis (Englmann/Müller 2007: 55). Es blieb den Antragstellern dann die Möglichkeit, eine Kenntnisprüfung in Form der staatlichen Abschlussprüfung in Deutschland zu absolvieren, um »Gleichwertigkeit« zu erreichen. Mit der Einführung des BQFG wurde auch das Krankenpflegegesetz geändert (Bundesgesetzblatt 2011). Das Ergebnis ist jedoch nicht, dass mittlerweile Abschlüsse aus allen Ländern der Welt ebenso wie EU-Abschlüsse »automatisch« oder »direkt« anerkannt werden, wie vielfach erwartet wurde. Verändert hat sich die Rechtslage nur für diejenigen, die über langjährige Berufserfahrungen als Pflegefachkraft verfügen, um dadurch festgestellte »Defizite« ausgleichen zu können. Berufserfahrung, die zur Zeit einer Beschäftigung als »ungelernt Pflegende« in Deutschland erworben wurde, zählt in der Regel nicht (weil sie nicht als »Fachkraft« erworben wurde). Genauso zählt eine Berufserfahrung im Ausbildungsstaat nicht, wenn sie bei der Antragstellung bereits »zu viele« Jahre zurück liegt, was insbesondere diejenigen trifft, die z.B. infolge von Familienverantwortung nicht sofort nach der Einwanderung einen Antrag stellen. Mehrere Interviewte berichteten davon, dass sie zwar sehr viele Anfragen nach der neuen Gesetzgebung (und ihrer Berichterstattung in den Medien) hatten, aber kaum einen Fall haben, dessen Qualifikation aufgrund dieser Änderung anders bewertet wird als zuvor. Vergleichsgrundlage der »Gleichwertigkeitsprüfung« selbst sind, sofern die Dauer der Ausbildung um nicht mehr als ein Jahr abweicht, die im Anhang der deutschen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung angegebenen Lerninhalte einschließlich einer Auflistung der zu erreichenden Stundenzahl im theoretischen wie im praktischen Teil der Ausbildung. Anhand der eingereichten Ausbildungsunterlagen der Antragsteller wird überprüft, ob sie die Voraussetzungen des Krankenpflegegesetzes und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung erfüllen. Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, einschließlich der von ihr geführten Datenbank »anabin« (vgl. KMK 2013), steht den »Anerkennungsstellen« im Bereich der Gesundheitsfachberufe in Form von Gutachten und Empfehlungen auf Nachfrage zur Seite. Für die Erteilung der Erlaubnis sind neben der Feststellung von »Gleichwer-
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tigkeit« weitere Nachweise erforderlich. Der geforderte Beleg von »ausreichend« Deutschkenntnissen, meistens das Sprachniveau B2, stellt neben der »Gleichwertigkeitsprüfung« die entscheidende Hürde der »Anerkennung« dar. Inhaberinnen von Drittstaatsqualifikationen, in deren Prüfverfahren »wesentliche Unterschiede« festgestellt wurden, haben mit der Änderung nun auch ein Recht auf weiterführende Anpassungsmaßnahmen, das vorher nur im Bereich der als »nicht gleichwertig« bewerteten EU-Qualifikationen galt. Dies setzt unter anderem voraus, dass im Rahmen der »Gleichwertigkeitsprüfung« die festgestellten »Defizite« nun exakt benannt und aufgelistet werden, was vorher nicht zwangsläufig notwendig war. Die Anerkennungssuchenden haben nun die Wahl zwischen der besagten Kenntnisprüfung im Umfang der staatlichen Abschlussprüfung und einem maximal dreijährigen Anpassungslehrgang mit anschließender Prüfung über die Inhalte des Lehrgangs. Die Bedingungen sind für Inhaber von EU-/EWR-Abschlüssen, deren Qualifikation nicht »automatisch« anerkannt wird, weiterhin etwas besser, da sie auch die Möglichkeit haben, eine Prüfung zu absolvieren, die sich ausschließlich auf die festgestellten »Defizite« bezieht.
4.5 »B ÜRGER
DIESES
KOLLEKTIVEN
L ANDES «: F ORMATION
DES
W IDERSTANDS
In den Unterkapiteln 4.2 bis 4.4 habe ich die Entstehung und Veränderungen der Institutionen des Bewertungswesens skizziert. Sie haben gezeigt, dass es jeweils sehr partikulare Interessen an spezifischen Qualifikationen oder Personen sind, die hinter der Institutionalisierung von sogenannten »Anerkennungsverfahren« als »Bewertungsverfahren« stehen. Sie stehen damit in Kontrast zu dem in der Gruppe Berlin entfalteten kollektiven Orientierungsmuster der »Anerkennung« als »Mensch« (vgl. 4.1). Anerkennung bedeutet dieser Gruppe mitunter eine »Starthilfe« zum »als Mensch fühlen« und ist mit der Hoffnung verbunden, auf andere Anerkennungsbeziehungen positiv auszustrahlen. In diesem Kontrast wird die in den Institutionen eingeschriebene symbolische Gewalt besonders deutlich. In der Logik des deutschen Bildungs- und Berufsrechts dokumentiert sich eine regelrechte »Unterscheideritis« im Hinblick darauf, was legitime und was illegitime Anerkennungsansprüche sind (ohne dass die Bewertungspraktiken der »Gleichwertigkeit« in den »Anerkennungsstellen« hier schon betrachtet worden wären). Ich habe mich gefragt, ob es mit Durchsetzung dieser Vielfach-Klassifizierungen gelingt, jegliche Entstehung einer Kollektivität unter den Bewerteten, z. B. auch kollektiven Widerstand, zu verhindern. In der Gruppendiskussion der Gruppe Hannover, die ich in diesem Abschnitt besprechen werde, dokumentiert sich für mich sehr eindeutig, was in Unterkapitel
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4.1 nur in Ansätzen und Anfängen erkennbar ist: ein kollektives Orientierungsmuster des Widerstands gegen die symbolische Gewalt, deren Urheber quasi überall – in sämtlichen Institutionen – verortet wird.21 MARIA D.: Ach äh ich habe vergessen sage in Jobcenter für meine Unterlagen hat geschrieben ja Diplom (2) alles andere okay (.) das äh sie haben Gymnasium beendet. ich sag ja haben sie Matur- Abitur gemacht? ich sage nein (.) ich habe keine Abitur gemacht, weil bei uns Regel war so wer hat Eins (.) auf Deutsch, sechs bei uns der Beste, wir haben keine Abitur gemacht weil einf- einfach so du bist frei von die. Ja dann haben Sie Gymnasium beendet? Ich sage (.) bei uns studieren ohne beenden Gymnasium geht das nie (3) und dann in meine Unterlagen in Jobcenter jetzt steit- steht Gymnasium. (3) ?: #(
)#
MARIA D.: #Für andere Menschen weiß ich nicht-# MARY: #Aber kein Studium kein Studium ( ?: #(
)#
) anderes System#
MARIA D.: #Studium nicht Studium steht (
)# ja das war das war nach drei Mal drei
drei Besuchstermine ich habe zu diese Berater da MARY: So dumm die sind so dumm #((Durcheinander))# MARIA D.: #Und er war immer gehen zu Altheimpflegerin. Gehen zu Altheimpflegerin# BEN: #Das gibt’s mehrere Prüfungen# zum Beispiel weil ich Schule gemacht habe, #zum Beispiel meine Gymnasium zu Ende gemacht habe,# habe meine Abschlussprüfung zum Beispiel weiß ich nich vier fünf Examen oder vier fünf Prüfungen zum Beispiel, dann muss ich eine Durchschnittsnote haben, es is gut#
21 Zur Erhebung und Auswertung der Gruppendiskussionen siehe 3.4. Nach der von Bohnsack entwickelten Methodologie für Gruppendiskussionsverfahren gehe ich davon aus, dass der kollektive Widerstand nicht in dieser Situation entstanden ist (z. B. weil ich es so wollte), sondern sich darin eine kollektive Erlebnisschichtung zeigt, die sich in dieser Situation nur artikuliert und repräsentiert.
184 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS #((Langes Durcheinander))# SUSI Q.: Ich denke schon uns is klar dass man kann nich vergleichen die Abitur von (.) unseres Schulsystem. Bei uns is keine. Mir haben sie zugelassen an eine deutsche Universität hier, weil ich habe eine abgeschlossene Studium in meine Heimatland, eine akademische Grad, aber ich habe keine Abitur, ich nur mache zu Ende meine Studium, und dann muss ich eine Prüfung eine Zulassungsprüfung, mit 25.000 Leute von nur drei staatliche Universitäten das is wie ein Lotto mit sechs Zahlen (.) und da habe ich zweite Mal geschafft an die Universität, eine Platz- Studienplatz zu bekommen und wegen diese äh akademische Grad wurde es mir zugelassen in eine deutsche Universität in- ab erste Semester haben sie. nein wo sind meine fünf Jahre da habe ich äh in meine Heimat studiert? Als Spaß habe ich nich überhaupt nich gemacht. habe ich gemacht, weil ich habe eine Qualifikation. Mit drei verschiedene Fremdsprachen Französisch Englisch Italienisch. Mit diese drei Fremdsprache können wir sozusagen ungelernte Arbeitskraft. Sie sind nicht zugelassen als Akademiker. Also vielen Dank Bundesagentur für Arbeit für mich auch eine Bombe und explodiert diese große Elefant weil absolut unnützliche Leute, (.) Fehlmanagement das is zum Kotzen es tut mir Leid das Wort, aber das is (.) kommt eine- man kocht die die Wut man kocht die wirklich die un- die un- unnötige demütigend- Demütigung von Menschen das. BEN: ja das is so leider. du kommst hin und der kann dreimal drei nich zählen der nimmt Taschenrechner raus und sieben mal vier was is das ich sag ich sag das die hat mir gefragt weiß ich nich so genau (
) die sollte irgendwas multiplizieren dreizehn- dreißig mal sieben,
sie kann- hab gesagt 210 was? und wovon wissen Sie das? RIANA: Sie haben ganz richtig gesagt hier ist- geht’s um Politik und es gibt es gibt vieles zu tun. Wir als A- Ausländer will ich nicht nennen natürlich wir sind mit Migrationshintergrund, wir können dafür zu- was machen und bewegen (.) das- das- deswegen #sind wir ( )# #((Durcheinander))# MARY: Aber wir können nich in den Köpfen #der der der (.) nee der Wirtschaft-# ?: #Nein (
)#
MARY: es is so leider Gottes gehässig (.) die, (.) die entscheiden über den Arbeitsplatz sind 50plus//mhm//, und wenn diese Generation weg is, dann haben wir Chancen oder unsere Kinder wir nich mehr, weil (.) die haben eine diskriminierende Haltung in ihren Köpfen (2) die die Generation wo unsere Kinder wachsen is eine interkulturelle Generation. Das is völlig normal dass ein Ausländer #kommt dass (.) die Eltern keine keine-#
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RIANA: #Die die die die geboren sind als Deutsche hier# die die sagen schon die- ich bin #deutsch meine Kinder schon# MARY: #(
)# aber aber die Generation die über einen Job für uns entschei-
det, die denken selektiv und so lange haben wir keine Chance. SUSI Q.: Aber ich denke schon was sie sagt is sehr wichtig, weil wir bewegen die #Politik, richtig so abbauen# RIANA: #Ja (.) genau wir sind (
)#
SUSI Q.: alle diese diskriminierende #Bildungssystem, weil das (.) das is eine Bild- das is eine Bildungssystem das diskriminiert die Menschen# RIANA: #wir sind keine Piraten weil das (
)#
((Gelächter)) SUSI Q.: Sie selektieren die Menschen (
)
BEN: Aber wissen Sie was was is was ich wirklich nich verstehen kann, überall in der Politik in Zeitung in Fernsehen im Radio sagen, wir müssen die die Spezialisten aus Ausland (.) #hinein werben,# ?: #Ja hierher# BEN: dass die hier so ihre- wie gesagt die- weil hier gibt’s keine qualifizierte oder zu wenig gibt’s qualifizierte äh Arbeitermangel da gibt’s keine richtige Ingenieure keine richtige Ärzte gibt es nur Pfusch und Busch aber es gibt’s nichts. Und da wenn jemand aus Irak oder Iran zum Beispiel kommt oder aus Pakistan weiß ich nicht aus Russland oder aus Molda- Moldova, der kommt hier rein zum Beispiel so und der muss dann hundertundfünfzig verschiedene Papiere hinein gehen, der muss unbedingt tausend Füße haben um jede Ka- jede jede Raum hinein zu gehen. Ich verstehe das das wirklich nich (.) aber das is so wie gesagt wie (.) wie ich damals als ich aus L. äh nach Deutschland fuhr da hatte ein eine alte Dame (.) sagte zu mir B. pass auf, (.) das ist ein (.) wie sagte sie sie sagte das ist ein (.) Kriegsfleisch du gehst hin, um sich zu erschos- erschossen zu lassen. SUSI Q.: Ja aber kannst du mir antworten wenn wir reden über Politik wir sind auch eine Teil von diese Gesellschaft BEN: Ja
186 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS SUSI Q.: wir können auch bewegen wenn diese Migrantenorganisationen oder Integrationsrat Integrationausschuss bewegen sie sich nich nach vorne, und haben auch manchmal nich die Möglichkeit. Ich bin in der Gewerkschaft (
) in diese ganze Krabbeln in diese ganze
hohe Stufe ist fast mir nicht erlaubt. Es is in erster Linie die Deutsche Betriebsräten Personalräten alle sind Deutschen. Haben nur exotische Vogel ein oder zwei um zu sagen wir sind multikulti aber nich mehr. #Aber nich mehr is erlaubt wann wir nich wechseln das wir wir nich diese Mentalität wechsel wir-# #((Durcheinander))# SUSI Q.: wir- diese interkulturelle Öffnung von Institutionen von Gewerkschaft von (.) ähm Öffentliche Dienst und von verschiedene Sachen uns nich mehr da verbreiten das wird für uns sehr schlimm wirklich. Für unsere Kinder is es ein bisschen leichter weil sie sind nich mehr die Migranten sie sind richtige Deutsche sie=sie sind deutsch und hier geboren. Meine Tochter wird ein bisschen leichtert. Sie is auch an die Uni. Sie studiert Betriebswirtschaft mit juristischem Schwerpunkt. Sie wird fertig und ich sage ihr seid jetzt- übernimm ein Teil von diese Verantwortung. Sie müssen auch das Bild von die Migranten ganz (
) verändern und ihr
kann besser bewegen als uns weil uns sie schließen die die die Türen. sie sagen nein. #absolut nicht# MARY: #aber wir gehen daran# kaputt BEN: #Aber ich hab’s verstanden# hier zum Beispiel ein guter Job oder ganz normale Job zu bekommen das muss ein Vitamin B //ja// (.) und B, #((Durcheinander))# JIPSY H.: Das hat auch unsere Länder, ohne Vitamin B #kommst du nich ( äh muss man auch sagen, (
) aber was
)#
EMMA: #Genau (.) das haben wir auch Rassismus und Kriminell haben wir auch# BEN: #Deswegen die Elite der ganzen- äh# Özil und weiß ich nich die alle die haben alle Vitamin B in- bestimmt in drei oder vier hoch fünf keine Ahnung, und die haben bestimmt auch da irgendwo da da hoch geklettert JIPSY H.: Ja ich wollte nur sagen, hier wird gesprochen und besonderes äh spricht die Frau Merkel, die wollen von Spanien äh junge Generation hier äh Bildung äh besorgen oder äh Praktikum aber die Menschen die hier sind, die wollen die abschieben oder irgendwie äh äh schwer machen, sich äh zur Arbeit zu kommen oder Qualifizierung zu machen äh äh und die (.) die äh äh (.) die Geburtrate der Deutschen is äh weniger und weniger, das verstehe ich nich
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äh äh äh machen sich die Politiker Gedanken über die zukünftige Generation und die Erstehung des äh Landes, und ich sage auch falsch is wenn man sich sagt wir sind äh äh- das is die zweite Wort von Ausländer jetzt Hintergrund Migrationshintergrund ich sage ich bin der Bürger dieses Lande, ich will Gleichberechtigung, und ich will ich will nich diese Wort äh äh Migrationshintergrund oder Ausländer, ich bin der Bürger dieses Landes. [Gruppe Hannover, 12.05.2012, Abschnitt 1, 887 ff.]
Der kollektive Widerstand, der sich hier als Wut und Enttäuschung zeigt, richtet sich gegen jegliche Form der institutionalisierten Verkennung. Die konjunktive Erfahrung der Degradierung, Demütigung, Diskriminierung und Ohnmacht wird quasi überall im Jobcenter, in der Hochschule, in Bewerbungsverfahren, in Unternehmen, auf der Straße, in der politischen Partizipation, in den Reden von Politikern über eine Notwendigkeit qualifizierter Einwanderung etc. als Ab- und Entwertung erlebt. Es ist eine Erfahrung des mehrfachen Instrumentalisiertwerdens für Interessen, während die jeweiligen individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen nicht als solche erkannt werden (wie es z. B. Maria erlebt hat, als ihr immer wieder eine Stelle als Altenpflegerin angeboten wurde). In den Abschnitten, die hier nicht abgebildet sind, finden sich noch sehr viel mehr Beispiele. Es zeigt sich hier die kollektive Orientierung, keine Hilfe von anderen erwarten zu können, sondern sich selbst helfen müssen. Es dokumentiert sich für mich auch sehr klar, dass es in dieser Gruppe ein »Wir-Gefühl« gibt, das daran orientiert ist, gemeinsam etwas verändern zu wollen. Beobachtbar ist allerdings auch ein diskursives Ringen darum, wie das »Wir« zu benennen ist: »Ausländer«, »mit Migrationshintergrund«, »Bürger dieses Landes«, »ein Teil der Gesellschaft«, »diejenigen, die die Politik bewegen«. Auf der Ebene des impliziten Wissens ist das kollektive Orientierungsmuster jedoch sehr scharf: Wir wissen (und bestätigen uns gegenseitig darin), dass wir qualifiziert sind. Nicht wir sind dumm, sondern diejenigen, die uns für dumm halten. Wir werden strukturell und immer wieder unter unserem Wert beurteilt, weil »Dumme« die Macht dazu haben. Das dürfen wir nicht zulassen. In diesem kollektiven Orientierungsmuster besteht auch eine latente Parallelität zu der Gruppe Berlin, die ich allerdings in der Gruppe Hannover noch sehr viel stärker ausgeprägt sehe. Jene Stellen, die offiziell Bewertungen über die Gleichwertigkeit einer Qualifikation durchführen, stehen hier (auch nicht in den nicht abgedruckten Teilen der Diskussion) nicht im Zentrum der kollektiven Wut der Gruppe. »Anerkennung« meint hier vor allem soziale Wertschätzung der Kompetenzen in Form von einem Zugang zu sozial respektierten Positionen auf dem Arbeitsmarkt, in der Politik, Verbänden und sonstigen Institutionen. Ein für mich interessanter Befund ist, dass die »Bewertenden«, denen die Verhinderung der Anerkennung hier zugeschrieben wird, nicht bzw. sogar zu einem recht geringen Anteil diejenigen sind, die ich als
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Interviewte in den bewertenden Behörden und Kammern ausgewählt habe. Das liegt zum Teil sicherlich auch daran, dass viele Teilnehmenden keinen Anspruch bzw. keinen Zugang zu einem Bewertungsverfahren haben. Mit akademischen Ausbildungen, die nicht auf reglementierte Berufe hinführen, dürfen sie in der Regel nur ihren Titel in Originalsprache und unter Angabe der verleihenden Institution führen (vgl. 4.2.4). Auch ohne formale Anerkennung des Abschlusses können sie theoretisch erwerbstätig sein. Ihr Problem ist, bzw. sie sehen das Problem darin, dass sie mit ihrem ausländischen Zeugnis und ihrem ausländischen Titel keine Stelle finden, weil in Deutschland niemand weiß, was »Administración de Empresas« ist (wie als Beispiel in der Diskussion erwähnt wird). Dass es nicht um jene bewertenden Stellen geht, die ich – als Pendant gedacht – ausgewählt habe, mag aber auch daran liegen, dass es gar nicht so sehr um dieses Stück Papier geht, auf dem »gleichwertig« steht. Das Stück Papier würde Maria womöglich in der Interaktion im Jobcenter besserstellen und sie zu ihrem Ziel führen, dass in ihrer Akte »Studium« statt »Gymnasium« steht. Es hätte Susi womöglich auch dazu verholfen, mit einem akademischen Abschluss an einer deutschen Universität nicht im ersten Semester eingestuft zu werden. Das hier zutage tretende kollektive Orientierungsmuster ist jedoch, grundsätzlich als (akademisch) qualifiziert sozial anerkannt zu werden und den dieser Vorstellung entsprechenden gesellschaftlichen Platz zu finden. Die Qualifikation (und damit auch ihre rechtliche Anerkennung) ist dabei vor allem symbolisches Kapital, um eine für Akademikerinnen adäquate Positionierung auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen. In der Gruppe Berlin wurde dies unter Vorbehalt gestellt. Es war vor allem das andere Gefühl, das von der formalen Anerkennung erwartet wurde. Hier geht es sehr offensichtlich um die Veränderung von Position und Status. In der Gruppe Hannover entsteht der Eindruck, dass sich die Frage nach der formalen, staatlichen Anerkennung der Qualifikation als »gleichwertig« womöglich gar nicht stellen würde, wenn nicht die Erfahrung so stark wäre, von »Wirtschaft« und »Gesellschaft« (wie es mehrfach heißt) in Deutschland klein gehalten zu werden. Die Formation eines kollektiven Widerstands zeigt sich für mich auch gerade darin, dass mich verschiedene Teilnehmende mehrfach ansprachen, um mich (entgegen meiner kommunizierten Absicht, unbeteiligt zuhören zu wollen) zum Reden und Positionieren zu bewegen. Sie wollten es nicht zulassen, dass ich sie zu einem Objekt mache, indem ich eine Position außerhalb der Gruppe einnehme. Sie insistierten darauf, dass ich meine (aus methodischen Gründen eingenommene) Position verlasse und Stellung beziehe, warum ich sie an diesem Tag in diesem Raum zusammengeführt habe und was ich am Ende meiner Arbeit sagen werde (da ich das
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Problem ja sicherlich auch schon kennen würde). Nach mehreren Anläufen gelingt es dann, mein Vorhaben, nichts zu sagen, zu durchbrechen.22 BEN: Was meinen Sie? Ist irgendetwas möglich (2) uns zu- uns das Leben zu erleichtern (3) INTERVIEWERIN: Ich glaube es is was möglich aber mit viel Geduld und mit viel vereinten Kräften @()@ MARY: Wie lange noch BEN: Na ja SUSI Q.: Das is (.) das is die Frage der mich bewegt seit 17 Jahre wie lange noch BEN: Alles wie gesagt alles ist relativ INTERVIEWERIN: Ja MARY: Es hat alles (
)
BEN: Geduld und und vereinigte Kräfte das macht alles relativ (.) //ja// irgendwas wird’s zu Ende (4) MARY: Wir können auch vieles zusammen ändern (.) eine Anhörung beim Ausschuss machen. #Massiv gehen# ?: #Is schon beendet# (
)
MARY: in Gruppe zum Ausschuss und sagen so (.) #es gibt so-# JIPSY H.: #Ja (
)# du bist bei bei die [Partei] du kannst ja da bisschen @()@ Fort-
schwung geben @()@
22 Das Brechen der Gruppe mit den von mir vorgegebenen Gesprächsregeln zeigt sich nicht nur in der (nicht geplanten Einbeziehung meiner Person), sondern auch an vielen weiteren Stellen, wie zum Beispiel im häufigen Durcheinanderreden und einander Unterbrechen. Die Aufnahme war deshalb auch an vielen Stellen unverständlich, was sich hier auch im Transkript zeigt.
190 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS MARY: Ja nee ich denke der Integrationsausschuss is offen für alle. (.) und es gibt ei- einerstmal eine offene Anhörung, also immer es gibt immer eine ein eine Bürger- (.) ähm (.) der zweite Tagespunkt (.) der Tagesordnung ist Bürgerbefragung. //mhm// (.) und wenn zehn Bürger kommen die Anerkennung nich im Beruf haben zehn Bürger fragen (.) was passiert hier (.) das bewegt. (.) da stehen die Par- die Parteien da und die müssen Antwort geben in dem Moment JIPSY H.: Ja ja #(
)#
MARY: #Und wenn zwanzig# kommen und nächstes Mal dreißig und vierzig und fünfzig dann is Masse MARIA D.: (
) ich habe das vergessen sage erste Mal, äh war war Wahl, und äh alles hat
gesagt im Fernsehen in Radio und äh hier in äh (.) äh Zeitungen, we- wenn Sie haben äh irgendwo hier Probleme und Fragen fragen Sie uns (.) ich habe gegangen hier in Hannover bei alles Partei. Und alles habe diese Frage stell wo gehe ich für anerkannt Diplom für Land wo is in EU. (2) ich habe kein Antwort gekriegt (2) SUSI Q.: Weil sie haben keine Antwort. einfach so (.) oder sie wollen keine Antwort geben denk ich schon MARIA D.: Wie bitte? SUSI Q.: Dass sie wollen keine Antwort geben und sie interessieren sich überhaupt nicht #nur wann wir wählen# MARIA D.: #Ja aber die-# SUSI Q.: da wir sagen wir kümmern von die Migranten und wir wollen die Migranten is vorbei die Wahlen, tschü-üss (
) sie selbe #(
)#
MARY: #Ja aber das is# keine keine Hilfe wir müssen trotzdem wirklich punktuell gehen wie machen #wir wie lösen ?: #Ja aber äh# MARY: wir logistisch dieses Thema. die Politik beschäftigt sich mit dem Thema aber sie kennen- sie wissen selber nicht (.) es ist klar# BEN: #Das Schlimmste ist wenn Sie dahin gehen,# dann die meisten haben überhaupt keine Ahnung
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Mehrere: Ja genau [Gruppe Hannover, 12.05.2012, Abschnitt 2, 1152 ff.]
In Abschnitt 2 setzt sich das kollektive Orientierungsmuster einer Schicksalsgemeinschaft auf der Suche einer Lösung fort. Die Dynamik der Gruppe schwingt zwischen Resignation und Aufbruch hin und her, bleibt jedoch deutlich in einem Wir-Modus. Meine Äußerung, es bräuchte Geduld und vereinte Kräfte, wird sofort von diesen beiden Stimmungen zur Fortsetzung des bereits begonnenen Diskurses angenommen. Zu einer Konkretisierungsaufforderung mir gegenüber kommt es nicht. Das Thema ist wiederum, wie man »die Politik« dazu bewegen könne, das gemeinsame Problem wahrzunehmen. Es fällt der Vorschlag, in Ausschüsse und Gremien zu gehen, Fragen zu stellen in der Hoffnung eine Massenbewegung auslösen zu können. Dagegen wird gesetzt, das Fragen bereits ausprobiert zu haben und keine Antwort bekommen zu haben. Interesse an »Migranten« sei überhaupt nur zum Wahltermin zu erwarten, ist dann die Reaktion, auf ein echtes Interesse könne man nicht hoffen. Die Gruppe fokussiert sich auch in Abschnitt 2 darauf, von Unwissenden und Ahnungslosen abhängig zu sein. Sie ringen mit der Gewalt des kollektiven Besserwissens, gerade indem sie sich immer wieder bestätigen, es besser zu wissen und ungerechtfertigterweise ihre Wege von Ahnungslosen verbaut bzw. nicht geöffnet zu bekommen. Sie verkennen die Willkür der damit verbundenen Deklassifizierung nicht, können sich jedoch auch nicht davon befreien. Im folgenden Abschnitt 3 setzt sich das Muster, gemeinsam etwas an der unbefriedigenden Situation ändern zu wollen weiter fort, wird dabei jedoch noch sehr konkret in Form von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung. Auch über Bezahlung wird verhandelt. Im Gegensatz zu der Gruppe Berlin steht es hier als Ersatz-Option im Raum, sich von der Suche nach Anerkennung »vom Staat«, von »der Wirtschaft« etc. loszusagen. Mary schildert unter anderem ihre Erfahrungen, dass sich das gegenseitige Anerkennen und Bezahlen von Kompetenzen in ihrem Verein „wie ein Lauffeuer“ verbreitet, was jedoch letztlich auf „Parallelgesellschaften“ hinauslaufe. Es werden Ansätze einer sozialen Bewegung erkennbar, in der ich eine kollektive Kraft sehe, die das Feld in Bewegung versetzt. Der Widerstand wird womöglich von besonders gebildeten, kommunikativen und politisierten Menschen angeführt, aber spätestens nach Abschnitt 3 (dem Ende der Gruppendiskussion) habe ich keine Zweifel mehr daran, dass er »real« ist und es sich damit auch um eine »mobilisierte Klasse« im Sinne Pierre Bourdieus handelt. BEN: Ich möchte anbieten äh zum Beispiel an jeden der Schwierigkeiten in der deutschen Sprache hat, zu sprechen oder Mut zu sprechen, (.) die können gerne (.) zu mir wenden, (.) und äh ich bin bereit ihnen zu helfen.
192 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS ?: Wow ((Applaus)) BEN: Mit Rat und Tat ROSA P.: Organisierst Du Kurse oder wie ist das? BEN: Kein Problem, das können wir auch machen ROSA P.: Ehrenamtlich? (.) Oder – MARIA I.: Das muss- @ah ja das muss abge- abgemacht@ BEN: Na wie gesagt äh (.) das Geld ist nicht wichtig aber das Geld äh #soll ((Durcheinander)) BEN: Nee nee #das war ( )-# Das war ein ganz interessanter Spruch (.) äh (.) ((Durcheinander)) BEN: Das Geld macht macht man (
)
#(Durcheinander)# BEN: Das Gle- das Geld macht nicht glücklich (.) aber Glück- aber das aber der Glück ist abhängig vom Geld MIA: Aha MARIA D.: Aber Geld brauchen EMMA: Ja natürlich jede (.) muss #Preis haben (
)#
MARY: #Ganz kurz zu- ganz kurz zu# unseren Kompetenzen, was haben wir in unserem- in meinem Verein kennen gelernt. wir haben begonnen uns gegenseitig unsere Kompetenz zu verkaufen und zu bezahlen. //mhm// (.) Respekt vor sich selbst und vor dem Wissen der anderen. #Das haben wir (
) in kleinen Mengen#
RIANA: #Das is schon Anerkennung oder?#
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| 193
MARY: #20 Euro 25 Euro haben# wir gesagt ich gebe dir meine Kenntnisse, aber- du gibst mir deine Kenntnis und ich bezahle sie dir. Es hat angefangen seit eine halbe Jahr. (.) Wie Lauffeuer geht das. RIANA: Wie äh (.) das war deine Selbständigkeit? Hast du so angefangen oder wie? MARY: Na zum Beispiel, du bist Psychologin, ich gebe dir eine Beratungsstunde, (.) du brauchst ein Gespräch, (.) zahle mir und die andere hat gesagt und du du hilfst mir mit meinen Unterlagen für die Universität für die Anerkennung, ja, wir- das kostet dir 25 Stunde und so machen wir jetzt im Moment (.) MARIA I.: Ah Selbsthilfegruppe ja oder - ? MARY: Äh (.) es hat sich so ergeben und es beginnt sich zu ergeben in Gesprächkreise die wir machen wo wir sagen, wenn wir eine Kompetenz haben das keiner anerkennt, dann werden wir uns die untereinander anerkennen und respektieren was du weißt und was ich weiß RIANA: Äh es gibt auch so eine Hannover Frauenring, die machen solche solche Sachen. (.) ja, Beispiel du bist (.) Klavierlehrerin, und mein Mann kann dir eine Homepage machen oder so was (.) #ein Umtausch# MARY: #Parallelgesellschaften# leider Gottes BEN: Umtauschgeschäft MARY: Wir treiben #in eine Parallelgesellschaft (.) das is das (
)#
SUSI Q.: Ich hätte gerne äußern können wir Foto- Erinnerungsfoto machen? ((Gelächter)) SUSI Q.: Ich- ich liefer nur die Wunsch vor meine Seite ich weiß nich wer?: Bekommen wir die die (.) SUSI Q.: Können wir per Email schicken MARY: nich bei Facebook bitte ((Gelächter, Durcheinander))
194 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS BEN: Es gibt ja ein sehr gutes Netzwerk, heißt Xing, haben Sie gehört? ((Durcheinander, einige verneinen, einige bejahen)) BEN: Äh (.) es- äh ich finde is ein bisschen kleiner viel kleiner als Facebook, aber Xing ist sehr gut, ROSA P.: Seriös ja BEN: Der is seriös, und auf jeden Fall da mu- brauch man genauso äh wie bei anderen Netzwerken anzumelden, aber das is sehr gut und ich finde das wäre sehr gut wenn wir alle zusammen jetzt bei bei Xing eine Gruppe gründen könnten (2) das wäre wirklich eine gut- ein ein ein Schritt, vor- nach vorne SUSI Q.: Ja aber wir sind einverstande ich bin einverstande ich habe keine Probleme mit Foto #und mit die Mail# BEN: #Kannst du mir Kontaktadresse geben# #((Durcheinander))# BEN: Wenn Sie, wenn Sie möchten ich könnte auch #so- ich könn-# SUSI Q.: #Wir machen ein Emailadressenliste# ((mehrere bejahen)) SUSI Q.: Ja? Und da tragen wir uns ein, BEN: Genau und dann können wir #( SUSI Q.: #Will will (
) ein Foto oder nee?#
#((Durcheinander))# [Gruppe Hannover, 12.05.2012, Abschnitt 3, 2045 ff.]
)#
5 Was heißt hier (nicht) gleichwertig? Die Genese »deutscher« Bewertungen »ausländischer« Qualifikationen
In diesem längsten und zur Nachvollziehbarkeit meiner Aussagen wichtigsten Kapitel gebe ich eine erste empirisch fundierte Antwort auf meine Forschungsfrage. Ich habe mich gefragt, wie die staatlichen Bewertungen entstehen, ob eine »ausländische« Qualifikation einer entsprechenden »deutschen« Referenzqualifikation »gleichwertig« ist oder ob »wesentliche Unterschiede« bestehen. Die Genese der Bewertungen beschreibe ich in den folgenden drei Unterkapiteln als Machtkonstellationen (5.1), Selektionsmechanismen (5.2) und Handlungskompetenzen (5.3). Empirische Grundlage des Kapitels sind 18 narrativ fundierte Experteninterviews mit Mitarbeiterinnen in ausgewählten Behörden und Kammern, die für die Durchführung sogenannter »Anerkennungsverfahren« zuständig sind. Ihr gesetzlich formulierter Auftrag ist es, auf eine Antragstellung hin eine Bewertung einer ausländischen Qualifikation vorzunehmen. Sie bewerten entsprechend meiner Auswahl der betrachteten (bewerteten) Berufsgruppen Architektinnen, Ärztinnen, Handwerkerinnen, Lehrerinnen und Pflegekräfte aus allen Ländern der Welt, deren Qualifikationserwerb sich über die vergangenen Jahrzehnte erstreckt. Die Selektion der Interviewten sowie die Erhebung und die Auswertung der Interviews (einschließlich der Anonymisierung) habe ich in Kapitel 3 beschrieben. Entsprechend der von den Interviewten bewerteten Berufsgruppen und ihrem Bundesland bzw. Kammerbezirk arbeiten sie jeweils in einem anderen institutionellen Kontext (vgl. Kap. 4). Ihrer Praxis ist jedoch gemeinsam, dass sie eine »Gleichwertigkeitsprüfung« durchführen. Diese »Gleichwertigkeitsprüfung« steht im Zentrum meiner Empirie und somit auch dieses Kapitels. Theoretisch gesprochen, handelt es sich bei dem vorliegenden Kapitel um eine Rekonstruktion des Felds, in dem die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals festgelegt werden (vgl. Kap. 2). Bei einem maximal erreichbaren Wechselkurs von 1:1 erfolgt die Transformation einer ausländischen in eine deut-
196 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS
sche Qualifikation. Die Dreigliederung des Felds in Machtkonstellationen, Selektionsmechanismen und Handlungskompetenzen entspricht unterschiedlichen, miteinander verflochtenen Perspektiven auf dieselben Klassifikationskämpfe um die Wechselkurse. Das erste Unterkapitel »Machtkonstellationen« betrachtet die Genese der Bewertungen als eine Struktur, welche die Chancen auf Anerkennung als »gleichwertig« ungleich verteilt – abhängig vom Ausbildungsstaat, der Art der Qualifikation und dem Grad der gesetzlichen Geregeltheit. Das zweite Unterkapitel »Selektionsmechanismen« betrachtet die Genese der Bewertungen als einen Prozess, in dem »Gleichwertige« ausgewählt und von »den Anderen« unterschieden werden. Das dritte Unterkapitel »Handlungskompetenzen« betrachtet die Genese der Bewertungen als Umgang der interviewten Akteure mit den Möglichkeitsräumen in ihrem jeweiligen institutionellen Umfeld. Bevor ich mit der Darstellung der »Machtkonstellationen« beginne, möchte ich kurz erinnern, unter welchen methodologischen Prämissen meine Interpretation steht. Es erklärt sich nicht unbedingt von selbst, wie ich von einzelnen InterviewAussagen zu der damit skizzierten Theorie des Felds komme. Eine meiner zentralen methodologischen Annahmen ist, dass die Interviewten die Feldstruktur inkorporiert haben. Ich gehe davon aus, dass sie zumindest implizit alles über die Machtund Kräfteverhältnisse wissen, die ihre Bewertungspraxis anleiten und damit auch das Feld strukturieren. Meine Rekonstruktion des Felds in Verbindung mit der Dokumentarischen Methode besteht vor allem darin, das implizite, handlungspraktische Wissen der Interviewten explizit zu machen und anknüpfend daran eine gegenstandsbezogene Theorie zu entwickeln. In einem zirkelhaften oszillierenden Dialog zwischen empirischen Beobachtungen und meinen metatheoretischen Annahmen habe ich die in den Unterkapiteln dargelegten Kategorien gebildet, die die gesuchte Verbindung zwischen Theorie und Empirie ziehen (sollen). Die Machtkonstellationen, Selektionsmechanismen und Handlungskompetenzen sind miteinander verflochtene Perspektiven auf denselben Gegenstand, die Genese der Bewertungen. Das zeigt sich und zeige ich auch gerade dadurch, dass einige Interviewauszüge mehrfach zitiert werden, um anhand derselben Aussagen unterschiedliche Aspekte rekonstruktiv hervorzuheben. Anders als viele andere Forschungsarbeiten, die mithilfe der Dokumentarischen Methode entstehen, rekonstruiere ich anhand der Interviews nicht vorrangig die Orientierungsrahmen der Interviewten (vgl. 3.6). Mein Ziel war es zum Beispiel nicht, eine Typologie der Menschen zu bilden, deren berufliche Tätigkeit in der Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen besteht. Der Habitus ist lediglich ein Datenträger, mithilfe dessen ich etwas über das Feld und die ihm inhärenten sozialen Strukturen erfahre. Mich interessiert vor allem die Frage, wie eine Qualifikation zu einer Qualifikation wird, das heißt, unter welchen Bedingungen eine solche allseits anerkannte Institution entsteht. Ich gehe davon aus, dass es diejenigen am besten wissen (zumindest implizit), die dem Akt der Bewertung in der Praxis am
W AS HEIßT HIER ( NICHT ) GLEICHWERTIG ?
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nächsten sind. In diesem Zusammenhang ist auch meine Untergliederung des Kapitels in Machtkonstellationen, Selektionsmechanismen und Handlungskompetenzen zu verstehen. Es handelt sich dabei nicht um Typiken und Typen im klassischen dokumentarischen Sinn. Das liegt vor allem daran, dass »meine Fälle« nicht »meinen Interviewten« entsprechen. Ein Fall oder noch besser gesagt eine Fallkonstellation ist im Rahmen meiner Fragestellung eine Interaktion zwischen einer Mitarbeiterin und einem Antragsteller, das heißt einer Bewertenden und einem Bewerteten. Alle Interviewten sind jeweils eine Konstante in unzählbaren unterschiedlichen Fallkonstellationen, weil die Antragstellerinnen, deren Qualifikationen sie bewerten, unterschiedlich behandelte Fälle sind. Allein um diesbezügliche Irritationen zu vermeiden, verwende ich die der Dokumentarischen Methode eigenen Bezeichnungen Typologie, Typiken und Typen ebenso wie Sinn- und Soziogenese nicht. Mit meiner Rekonstruktion des Felds und seiner Dimensionen erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie ist dazu gemacht, diskutiert und damit auch grundsätzlich hinterfragt oder erweitert zu werden. In Kapitel 6 werde ich die Empirie mit den in Kapitel 2 diskutierten metatheoretischen Annahmen verknüpfen. Hier steht zunächst die empirische Nachvollziehbarkeit im Vordergrund.1
5.1 M ACHTKONSTELLATIONEN Das erste Unterkapitel »Machtkonstellationen« betrachtet die Genese der Bewertungen (und damit auch das Feld) als eine Struktur, welche die Chancen der Anerkennung einer ausländischen Qualifikation in Deutschland als »gleichwertig« ungleich verteilt. Nach meinen Ergebnissen sind die Chancen von drei zusammenhängenden Aspekten abhängig. Erstens besteht eine Abhängigkeit davon, welcher Ausbildungsstaat die Qualifikation zu welchem Zeitpunkt ausgestellt hat. Zweitens ist ausschlaggebend, um welche Qualifikation bzw. welchen Beruf es sich handelt und drittens hängt die Bewertung von dem Grad der gesetzlichen Geregeltheit ab. Diese drei Aspekte werde ich in den drei folgenden Abschnitten des Unterkapitels »Machtkonstellationen« darlegen.
1
Es bietet sich ggf. an, die Unterkapitel in anderer Reihenfolge zu lesen. Da die Analysen in der umgekehrten Reihenfolge entstanden sind, zuerst die »Handlungskompetenzen« und zuletzt die »Machtkonstellationen«, könnte es gerade für methodisch Interessierte hilfreich sein, diese umgekehrte Reihenfolge zu wählen. Ein Beginn mit den »Selektionsmechanismen« kann sinnvoll sein, um zuerst eine Vorstellung zu bekommen, wie sich das Bewertungsverfahren als Prozess vollzieht. Die Strukturdimension (die Machtkonstellationen) abstrahiert am stärksten von den Interviews und beinhaltet damit die weitreichendste Antwort auf meine Fragestellung. Deshalb habe ich sie an den Anfang gestellt.
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Unter dem Titel „Zwischen durchwinken« und »direkt auseinandersetzen«“ – die Beziehungen zu anderen Ausbildungsstaaten“ (Abschnitt 5.1.1) beleuchte ich den ersten Aspekt, die Abhängigkeit der Chancen davon, welcher Ausbildungsstaat die Qualifikation zu welchem Zeitpunkt ausgestellt hat. Die Machtkonstellation sehe ich darin, dass die Vergleichbarkeit von Ausbildungen und Ausbildungssystemen in herrschaftsförmigen symbolischen Kämpfen zwischen den ungleich positionierten Staaten ausgehandelt wird. Dabei geht es in der Praxis vor allem darum, ob den Qualifikationen vertraut wird bzw. das Vertrauen als solches erarbeitet wird oder nicht. Die Interviewten handeln im Rahmen dieser inkorporierten Struktur, ihre Handlungen wirken aber auch gleichsam auf die Struktur zurück. Ihre jeweiligen Interaktionen mit den Antragstellern sind damit auch Bestandteil der symbolischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Mit dem Akt des »Durchwinkens« stärken bzw. reproduzieren sie die Beziehung zwischen den Staaten und damit das Vertrauen. In Fällen, mit denen sie sich »direkt auseinandersetzen« steht das Vertrauen hingegen zur Disposition. Dabei zieht das Vertrauen in Abhängigkeit von der Qualifikation unterschiedlich große Kreise, wie ich es formulieren möchte. Das heißt, es schließt nur im Kern dieselben Ausbildungsstaaten ein, darüber hinaus ist es unterschiedlich, wie weit das Vertrauen in andere Ausbildungsstaaten reicht. Je etablierter und institutionalisierter die Beziehungen zwischen Deutschland und dem jeweiligen bewerteten Ausbildungsstaat sind, desto eher kommt es zur Anerkennung einer Qualifikation. Unter dem Titel „Wem wobei »helfen« und wen wovor »schützen«? – das Spannungsfeld der (qualifikationsbezogenen) Marktinteressen“ (Abschnitt 5.1.2) betrachte ich den zweitgenannten Aspekt: die Abhängigkeit von dem Beruf bzw. der Art der Qualifikation. Diese Machtkonstellation sehe ich darin, dass die Bewertung als Auseinandersetzung zwischen zwei einander entgegensetzten starken Polen, den liberalen und protektionistischen Marktinteressen entsteht, die je nach Qualifikation unterschiedlichen Kräfteverhältnissen unterliegt. Sofern sich liberale Marktinteressen in den symbolischen Klassifikationskämpfen gegenüber protektionistischen Marktinteressen durchgesetzt haben (oder durchsetzen), kommt es zu einer Anerkennung. Sind die protektionistischen Kräfte stärker als die liberalen Kräfte, bleibt es bei einer Nicht-Anerkennung. In der ersten Machtkonstellation war für die Bewertung ausschlaggebend, wie groß die »Kreise« sind, die das Vertrauen zu einem anderen Ausbildungsstaat und seinem Qualifikationsprodukt zieht. Im Spannungsfeld der liberalen und protektionistischen Marktinteressen wird jeweils um die Größe dieser Kreise in Abhängigkeit von der Qualifikation gerungen. Unter dem Titel „Vom »Einheit« suchen und im »Einzelfall einsam« bleiben – die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit“ (Abschnitt 5.1.3) betrachte ich den drittgenannten Aspekt, die Abhängigkeit der Anerkennungschancen von dem Grad der gesetzlichen Geregeltheit. Grundsätzlich lassen sich Qualifikationen unterscheiden, deren Anerkennung namentlich gesetzlich festgeschrieben ist (weil
W AS HEIßT HIER ( NICHT ) GLEICHWERTIG ?
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sich Vertrauen und Liberalismus durchgesetzt haben) und solche, für die lediglich der Zugang zu einer »Gleichwertigkeitsprüfung« gesetzlich festgeschrieben ist. Die erste Konstellation geht damit einher, dass sich die Bewertenden als »Einheit« empfinden und ihre Bewertung als unangreifbar. Die zweite Konstellation geht dagegen mit Unsicherheiten und Zweifeln bis hin zu Ohnmacht aufgrund der »einsamen« Verantwortung für die Bewertung einher. Je eher dies zutrifft, desto eher kommt es zur Feststellung »wesentlicher Unterschiede« bzw. zur Nicht-Bewertung und damit auch zur Nicht-Anerkennung. Die »Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit« bezeichnet damit die gesetzliche Delegation der Verantwortung für die Bewertung an die Bearbeiterinnen der Anträge. Nach meiner Interpretation bedeutet dies keine Übertragung von Macht, sondern eine Übertragung von Ohnmacht. Im Grunde geht es von »oben« bis »unten« um das Abwehren oder das spiralförmige Hinauswinden aus der Verantwortung für die Bewertung, bis dies »ganz unten« nicht mehr möglich ist. Die drei genannten Machtkonstellationen entsprechen, wie bereits gesagt, meiner Rekonstruktion der Feldstruktur. Aufgrund ihrer komplexen Verschränkungen ist ihre Darstellung in einem zwangsläufig linearen Text nicht ohne Herausforderung. Deswegen gebe ich hier eine Querlesehilfe der Gliederung. Jede der Machtkonstellationen unterteile ich in zentrale und periphere Ausprägungen, die den jeweiligen Untergliederungspunkten entsprechen. Dazwischen liegt jeweils eine Verhandlungszone. Im Zentrum des Felds herrschen die zentralen Ausprägungen, die ich Vertrauen, Liberalismus und Einheit nenne (siehe 5.1.1.1, 5.1.2.1, 5.1.3.1). Diese drei zentralen Ausprägungen verschmelzen also im Macht- bzw. Feldzentrum. Die Anerkennung der Qualifikation steht in diesen zentralen Konstellationen zwischen Bewertenden und Bewerteten nicht (mehr) infrage. Besonders unwahrscheinlich ist dagegen die Anerkennung in Konstellationen, die folgende drei Ausprägungen gleichzeitig aufweisen: Die Herkunft der Qualifikation wird von den Bewertenden als »exotisch« oder »fremd« benannt, sodass ich von »Beziehungslosigkeit« spreche (siehe 5.1.1.3). Es überwiegt ein starker »Protektionismus« gegenüber liberalen Marktinteressen in Bezug auf die zur Bewertung stehende Qualifikation (5.1.2.3). Die Bearbeiterinnen nehmen sich nicht als Bestandteil einer institutionalisierten »Einheit«, sondern als »einsam« wahr – in dem Sinne, dass ihnen die Beurteilung der »Gleichwertigkeit« (in einem nur grob abgesteckten Rahmen) weitestgehend überlassen wird (siehe 5.1.3.3). Zwischen diesen beiden extremen Ausprägungen jeder der drei Machtkonstellationen besteht das Feld aus Kampf- bzw. Verhandlungszonen, den jeweils mittleren Gliederungspunkten (siehe 5.1.1.2, 5.1.2.2, 5.1.3.2). Im Folgenden werde ich mithilfe dieser fließend ineinander übergehenden Kategorien – den Machtkonstellationen und ihren Ausprägungen – jene Vorstellung beschreiben, die ich anhand des Interviewmaterials von dem Feld und seinen Kräften rekonstruktiv entwickelt habe.
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5.1.1 Zwischen »durchwinken« und »direkt auseinandersetzen« – die Beziehung zu anderen Ausbildungsstaaten In diesem Abschnitt lege ich die erste Machtkonstellation dar, die im Kern folgende Analyse beinhaltet. Die Chancen, einen »ausländischen« Abschluss in Deutschland als »gleichwertig« anerkannt zu bekommen, hängen davon ab, welcher Staat den Qualifikationstitel wann ausgestellt hat und in welcher Beziehung er zum deutschen Staat steht oder stand. Nicht nur die Beziehung zum Zeitpunkt der Bewertung, sondern auch die Beziehung zum Zeitpunkt des Ausbildungserwerbs kann für das Bewertungsergebnis ausschlaggebend sein. Zugespitzt bestimmen die »Herkunft« bzw. die »Geburt« der Qualifikation (das Ausstellungsdatum und der Ausstellungsort des Titels) die Anerkennungschancen. Eine Gemeinsamkeit der analysierten Praktiken ist, dass die zu bewertende Qualifikation in einem ersten Unterscheidungsschritt einem Ausbildungsstaat und in der Regel auch einer Gruppe von Ausbildungsstaaten zugeordnet wird. Das heißt, die Antragstellerinnen werden nicht als Individuen mit bestimmten Kompetenzen bewertet, sondern ihre Qualifikationen als Erzeugnisse eines spezifischen Ausbildungsstaats bzw. einer spezifischen Gruppe von Ausbildungsstaaten. Je nach Zuordnung werden mitunter andere Bewertungstechniken angewandt und es kommt zu unterschiedlichen Bewertungsergebnissen. Die institutionellen Rahmenbedingungen können sich zum Teil je nach bewerteten Berufsgruppen und Bundesland bzw. administrativer Organisationseinheit und zuständiger Stelle unterscheiden (vgl. Kap. 4). Zu meinen theoretischen Annahmen gehört, dass die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals in herrschaftsförmigen symbolischen Kämpfen zwischen Staaten ausgehandelt werden (vgl. Kap. 2). In den Interviews dokumentiert sich, dass dies zum Teil formalrechtlich in Form von Vertragswerken, zum Teil aber auch in der direkten Interaktion zwischen den Bewertenden und Bewerteten in den Anerkennungsstellen geschieht. Ich gehe davon aus, dass sie die soziale Struktur dieser Beziehungen zwischen den quasi dadurch stellvertretend miteinander kommunizierenden Staaten inkorporiert haben. Die Bewertungen von Qualifikationen in den deutschen »Anerkennungsstellen«, die sich im Sinne einer Feld-HabitusBeziehung aus dieser Struktur ergeben, wirken gleichermaßen auch auf die Strukturen zurück. Damit werden die produzierten Bewertungen wiederum zu einem Bestandteil in der Reproduktion und Veränderung derselben Machtbeziehungen, die sie hervorgebracht haben. Je etablierter und institutionalisierter die Beziehungen zwischen Deutschland und dem jeweiligen bewerteten Ausbildungsstaat und damit auch dem Titelträger sind, desto eher kommt es zu einer Anerkennung der Qualifi-
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kation. Diese Argumentation werde ich in den folgenden drei Unterpunkten anhand der Interviews nachvollziehbar machen. Im handlungspraktischen Wissen der Interviewten zeigen sich die inkorporierten Beziehungen zu anderen Ausbildungsstaaten durch ein »(Verordnetes) Vertrauen« im Machtzentrum (siehe 5.1.1.1) und eine »Beziehungslosigkeit« oder auch »Fremdheit« in der Peripherie (siehe 5.1.1.3). Dazwischen liegt die Zone, in der um das Vertrauen verhandelt wird (siehe 5.1.1.2). Kein Vertrauen haben zu können, eine Qualifikation nicht als »gleichwertig« bewerten zu können, ist, handlungspraktisch betrachtet, nicht mit einer Erfahrung von Machtausübung verbunden. Die Konstellation der Beziehungslosigkeit bedeutet für die Interviewten vielfach auch, sich ohnmächtig zu fühlen, weil sie in ihren Augen nichts für den Antragsteller machen können. Je nach Position und Perspektive im Feld wird mit dieser Situation unterschiedlich reflektiert und engagiert umgegangen: von Desinteresse oder Verdrängung bis zu unterschiedlichen Graden des Engagements für die Herstellung einer Beziehung zu der Antragstellerin, ihrer Qualifikation und damit auch zu ihrer Ausbildungseinrichtung und ihrem Ausbildungsstaat. 5.1.1.1 Vertrauen Handlungspraktisch ist für die Bewertung als »gleichwertig« maßgeblich, ob die Bearbeiterinnen Vertrauen in die zu bewertende Qualifikation bzw. den betreffenden Ausbildungsstaat haben (können). In diesem Abschnitt werde ich deshalb die Konstellation »Vertrauen« darlegen und sie auf die sozialen Strukturen, die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten, zurückführen. Inkorporiertes Vertrauen »Inkorporiertes Vertrauen« nenne ich das Vertrauen, das dem Handeln implizit zugrunde liegt ohne dass spezifiziert wird oder werden müsste, warum es »da« ist. Es verweist auf eine situative Wiedererkennung der eigenen Normen in dem anderen, die keiner Erklärung oder Rechtfertigung bedarf. Ihm liegt nach meiner Interpretation eine besonders enge Beziehung zu dem bewerteten Ausbildungsstaat zugrunde. Als Beispiel für inkorporiertes Vertrauen führe ich einen Interview-Auszug von Frau Becker an, die von der Bewertung der Unterlagen eines »Schweizer Automatikers« erzählt. FRAU BECKER: […] einer unserer ersten Fälle war ein sogenannter Automatiker, //mhm// aus der Schweiz, (.) und vergenn- für den gab es auch einen passenden Referenzberuf, //mhm// und äh (.) dessen- der war gar nich selber da aber dessen Freundin hat seine Unterlagen eingereicht (.) und während sie noch da saß sagten wir ja wir gucken mal ob man da ne Ausbildungsordnung vielleicht findet, //mhm// und wir haben gegoogelt und wir haben die
202 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS 36seitige Ausbildungsordnung aus der Schweiz, (.) gehabt, //mhm// die also von (.) Punkt 1 bis Punkt 137 so ungefähr genau identisch war (.) deutsch war, mit dem was unser Referenzberuf war also da konnte man wirklich @(.)@ sozusagen synchrone Häkchen machen //mhm// (2) das is aber nich immer der Fall //mhm// (1) (HAND (Becker) 2-10: 170 ff.).
Dass sich Frau Becker über spontan identifizierbare „synchrone Häkchen“ freuen kann, hängt, wie ich interpretiere, mit einer engen Beziehung zwischen Deutschland und der Schweiz zusammen. Aufgrund der inkorporierten Struktur einer vertrauensvollen Beziehung hat sie keinen Anlass, an der Qualifikation des »Schweizer Automatikers« zu zweifeln. Während dieser Zustand der Eindeutigkeit für sie angenehm ist, deutet sich hier auch an, dass das Erleben dieser Eindeutigkeit eher die Ausnahme in ihre Bewertungspraxis ist. Aus der Situation heraus selbstverständliches inkorporiertes Vertrauen – hier sogar ohne eine Begegnung mit dem Antragsteller – ist nicht die Norm. Das zeigt sich auch in den anderen Interviews und Fallkonstellationen, in denen versucht wird, mittels eines Vergleichs von Ausbildungsoder Studienordnungen die »Gleichwertigkeit« mit einer deutschen Qualifikation zu ermitteln. Semi-institutionalisiertes Vertrauen Als semi-institutionalisiertes Vertrauen bezeichne ich etablierte Praktiken der Anerkennung bestimmter Qualifikationen wiederum bestimmter Ausbildungsstaaten, die sich auf institutionalisierte Regeln berufen, ohne dass diese Regeln einen nachvollziehbaren Ursprung im Sinne einer rechtlichen Geltung haben. Das beste Beispiel für semi-institutionalisiertes Vertrauen ist die Bewertung von Ärzten aus einigen wenigen »Drittstaaten«. Das Vertrauen bezieht sich in diesem Fall nicht auf ein situatives Wiedererkennen der eigenen Ausbildungsnormen, sondern auf eine »Liste«, die Ausbildungsstaaten in Bezug auf die »Gleichwertigkeit« in Kategorien einteilt. Gefragt, wie das Verfahren genau abläuft, antwortet Frau David wie folgt: FRAU DAVID: Ja also es es gibt äh oder gab eine Liste (.) der (1) äh als gleichwertig anerkannten Länder, //mhm// dann (.) die die is unterteilt in drei Kategorien, (1) einmal ohne- also ne automatische Anerkennung sozusagen //mhm// ohne ähm (.) genauere Prüfung der Inhalte sondern man sagt dann zum Beispiel der Abschluss in den USA oder in Australien oder in Neuseeland gilt als gleichwertig, //mhm// wenn dann (.) ein bestimmter Titel erreicht iss ein bestimmtes Diplom vorgelegt wird, geht man davon aus und (.) //mhm// prüft also gar nich inhaltlich weiter […] (ÄRZ (David) 1-04: 120 ff.).
Ich bezeichne das handlungspraktische Vertrauen, das sich auf die besagte »Liste« beruft, als semi-institutionalisiert, weil das Wissen um die Liste für das Vertrauen
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der Interviewten ausreicht. Das heißt, sie wissen, warum sie Vertrauen haben – weil es so in der Liste steht – ohne ihren Ursprung und damit den Ursprung des Vertrauens erklären zu müssen. In diesem Interview-Abschnitt wird beispielsweise nicht deutlich, warum sich Frau David korrigiert, dass es die Liste nicht „gibt“, sondern „gab“. In einem Hintergrundinterview zur Ärzte-Anerkennung habe ich mit Bezug auf »die Liste« oder auch »die Einstufungsliste« erfahren, dass sie durch ein Verwaltungsgerichtsurteil „gekippt“ wurde, aber es sie „im Kopf“ weiterhin „gibt“ (HIÄrzte1, BVerwG 2008). In diesem Kontext habe ich ihre Korrektur interpretiert. Meine Überlegung ist, dass sie vor allem für Fälle herangezogen wird, in denen die Liste wie hier eine eindeutig positive Bewertung vorgibt. Es handelt sich demzufolge um ein Suchen von und damit auch Festhalten an etablierten eindeutigen und einheitlichen Regeln mit dem Ziel, möglichst klare und unangreifbare Entscheidungen zu treffen. Dies wird auch noch das Thema der dritten Machtkonstellation sein (vgl. 5.1.3). In Fällen von qua Liste kategorisierter »Nicht-Gleichwertigkeit« wird womöglich aus Angst vor Klagen der Antragsteller nicht mehr, zumindest nicht mehr offiziell, mit der Liste argumentiert. Im Interview mit Frau Nolte fiel auf, dass sie nach einem Namen, der die Urheberschaft der besagten Liste beschreibt, erst suchen musste. Unmittelbar geläufig ist ihr das Gremium, dem sie vertraut, nicht. Vielleicht besteht das Vertrauen eher in den institutionellen Weg oder die Person, die ihr die Liste einmal gegeben hat. Das könnte entscheidender sein als das Vertrauen in den eigentlichen Urheber der »Liste«. Insofern sind die Länder der ersten Kategorie auf der »Liste« ein Beispiel für semi-institutionalisiertes und gleichsam inkorporiertes Vertrauen in ärztliche Qualifikationen ganz bestimmter Ausbildungsstaaten. Sie zeichnen sich durch besonders enge Beziehungen aus, ohne dass diese Beziehungen in einem offiziellen Vertragswerk über die Anerkennung von Qualifikationen institutionalisiert sind. Dazu komme ich im nächsten Beispiel. Institutionalisiertes Vertrauen Mit »institutionalisiertem Vertrauen« bezeichne ich jene Vertrauensgrundlagen, die sich explizit auf Vertragswerke zwischen Staaten und eine Einigung über die Anerkennung von Qualifikationen berufen. Je enger, etablierter und institutionalisierter die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten sind, desto weniger erleben sich die Bearbeiterinnen als die Akteure, die eine Bewertung der »Gleichwertigkeit« vornehmen, sondern lediglich als Ausführende. Das zeigt sich – mit graduellen Unterschieden – vor allem in den zuständigen Stellen, deren bewertete Berufsqualifikationen unter die EU-Regelungen der sogenannten »automatischen Anerkennung« oder auch »direkten Anerkennung« fallen: Ärzte, Pflegekräfte und Architekten (vgl. 4.4).
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Die Bewertungsverfahren werden von den Mitarbeiterinnen in den bewertenden Behörden und Kammern in zwei Gruppen eingeteilt: Qualifikationen aus »EUStaaten« werden von Qualifikationen aus »Drittstaaten« unterschieden. Insbesondere im Fall von Pflegekräften (siehe nächster Abschnitt) und im Fall von Ärztinnen spielt zusätzlich, sozusagen als Zwischengruppe, die Unterscheidung von »alten« EU-Staaten und »neuen« EU-Staaten eine Rolle. Exemplarisch wird hier ein Ausschnitt aus dem Interview mit Frau Tietz angeführt. Metaphorisch mitunter an eine Grenzkontrolle erinnernd, werden die einen „durchgewunken“ und mit den anderen wird sich „direkt auseinandergesetzt“: FRAU TIETZ: […] Ähm bei der Approbation ist der Unterschied [zur Berufserlaubnis, I.S.] das is ja dann sozusagen die ähm //mhm// die unbeschränkte Berufsausübungsberechtigung, wie sie dann auch diejenigen bekommen die in Deutschland ihren Abschluss gemacht haben, der steht dem also dann völlig gleich, und das setzt halt zusätzlich voraus dass es nich nur eine formal abgeschlossene Ausbildung im Herkunftsland is sondern dass es inhaltlich auch mit der deutschen Ausbildung //mhm// ähm gleichwertig is. Also nich gleich, das kann sie ja nich sein aber gleichwertig. //mhm// Und wie wir da zu dem Ergebnis kommen iss halt ‘n bisschen unterschiedlich. Das hängt davon ab in welchem Land man das gemacht hat und da wird unterschieden zwischen den EU-Staaten beziehungsweise ähm Schweiz und ähm Ver- Vertragsstaaten der EU gehören halt auch dazu ne also so was wie Norwegen äh wird das dann auch akzeptiert da folgt diese automatische Anerkennung das heißt da machen wir in der Regel keine inhaltliche Überprüfung mehr sondern da bestätigen uns die Ausbildungsstaaten der EU dass die Ausbildung ähm EU-konform is das heißt sich nach den Regelungen auf die sich die EU mal geeinigt hat ähm eingestellt is und dass die Inhalte auf diesem Minimum was- auf das man sich geeinigt hat dann übereinstimmt und deswegen winken wir die dann sozusagen durch wenn wir diese Konformitätsbescheinigung auch noch haben. //mhm// Es gibt natürlich auch in der EU Abschlüsse gerade in den Ländern die erst recht spät beigetreten sind (.) äh Unterschiede, also wer zum Beispiel in den 80er Jahren ähm in Rumänien oder ähm Bulgarien seinen Abschluss gemacht hat da is es ähm teilweise noch son bisschen kritisch, da ähm kann es Unterschiede geben wenn die Ausbildung dann nich als EU-konform bestätigt wird vom Heimatland, dann gibt es da auch Sonderverfahren das kommt aber doch recht selten vor weil wir natürlich häufig die jüngeren Ärzte haben die nach Deutschland kommen und da is das eigentlich in der Regel dann mit der Konformität kein Problem mehr. //mhm// Die anderen Staaten die sogenannten Drittstaaten bei denen is es so dass wir da ähm die Gleichwertigkeit dann auf andere Art und Weise überprüfen müssen, und da setzen wir uns dann tatsächlich auch mit den Ausbildungsinhalten direkt auseinander […] (ÄRZ (Tietz) 3-09: 66 ff.).
Frau Tietz legitimiert ihr handlungspraktisches Vertrauen, das sie zum „Durchwinken“ bewegt, nicht mit dem dokumentierten Endergebnis, dem Gesetzestext bzw. dem „Anhang“ zur Richtlinie, sondern aus dem Prozess der „Einigung“ und damit das vereinbarte Vertrauen in die Selbstauskünfte. Ich spreche von institutionalisier-
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tem Vertrauen, weil die Interviewten in ihrem Bewertungshandeln weitestgehend austauschbar sind – obwohl sie ihr Handeln anders begründen und damit auch rechtfertigen. Auf diese Unterschiede werde ich anhand von zwei Beispielen eingehen. Ob die Interviewten an die „Konformität“ der Ausbildungen glauben und das Vertrauen selbstverständlich empfinden (wie z. B. Frau Runge) oder ob sie an den Standards zweifeln und es als ein verordnetes Vertrauen empfinden (wie z. B. Herr Meyer) ist nach meiner Interpretation für das Handeln unerheblich. Aufgrund des institutionalisierten Vertrauens werden sie die Qualifikation als gleichwertig bewerten. Frau Runge spricht im folgenden Abschnitt von „Ländern, die schon lange in der EU sind“: FRAU RUNGE: […] da wird seit Jahren wirklich konform ausgebildet und äh (.) in den Diplomen steht schon drinne, dass es konforme Ausbildungen sind oder wir wissen es anhandund es geht wirklich schnell wenn die Unterlagen sozusagen vollständig hier sind dann kann man das wirklich innerhalb ja von’ner Stunde abarbeiten. //mhm// (.) wenn wirklich alles da is inklusive Sprachnachweise und ges- das geht schnell. (PFLE (Runge) 1-03: 436 ff.)
Es zeigt sich hier, dass sie keinerlei Zweifel an der »Gleichwertigkeit« der Diplome hat, wenn sie aus den besagten Ländern stammen und sich ihr Arbeitsaufwand durch dieses Vertrauen in die „Konformität“ auf ein Minimum reduziert. Ein nicht vorliegender „Sprachnachweis“ kann in diesen Fällen das Verfahren verlängern, nicht aber die Überprüfung der »Gleichwertigkeit« der Ausbildungen.2 Während es für Frau Runge angenehm ist, nicht viel prüfen zu müssen, wird der Automatismus der Anerkennung von Herrn Meyer problematisiert. Er reagiert auf die Nachfrage, ob er mit EU-Abschlüssen „gar nichts“ machen müsse, wie folgt: HERR MEYER: Na da die Approbation muss ich ja auch erteilen dann für die EU- (.) -leute aber da darf ich ja gar nich prüfen. //mhm// (.) Wenn wenn ähm also das ein Abschluss is der genau der EU-Richtlinie entspricht auch mit den Stichtag und so weiter, dann darf ich nich prüfen dann sind die automatisch sozusagen- also nur bei ganz berechtigten Zweifeln wenn an dem Abschluss irgendwas bw einem nich äh koscher vorkommt aber ansonsten darf ich da nich prüfen sondern sie sind dann automatisch anerkannt und gleichwertig, und alle anderen die jetzt meinetwegen was jetzt meinetwegen gerade die die die (.) osteuropäischen EUStaaten betrifft ähm die dann ne Ausbildung gemacht haben die vor dem Beitritt war, die kriegen alle- die haben alle ne Konformitätsbescheinigung von ihrer zuständigen Behörde da darf ich auch nich prüfen. //mhm// Nur bei berechtigten Zweifeln und die sind sehr hoch an-
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Das Thema »Sprachnachweis« wird im Unterkapitel Selektionsmechanismen noch ausführlicher diskutiert (vgl. 5.2).
206 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS gesetzt berechtigte Zweifel also das is nich (2) nich machbar. Das is so gewollt und (1) aber gut find ich’s eben nich. (ÄRZ (Meyer) 4-24: 585 ff.)
Es zeigt sich, dass Herr Meyer widerwillig Approbationen an »EU-Leute« erteilt, weil es in der Richtlinie so festgelegt ist bzw. Konformitätsbescheinigungen erbracht werden. Er erkennt »automatisch« an, weil er gemäß der zugeschriebenen Rolle nicht anzweifeln darf, auch wenn er Zweifel hat. Damit wird deutlich, dass das institutionalisierte Vertrauen nicht dem inkorporierten Vertrauen entsprechen muss (was umgekehrt ebenfalls gezeigt wurde). Unabhängig davon, ob das Vertrauen von den Interviewten als selbstverständlich gegeben (Frau Runge) oder als verordnet (Herr Meyer) empfunden wird, betrachte ich das Bewertungsergebnis »gleichwertig« als einen Ausdruck von engen Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten. Wie auch meine Auswahl an InterviewAusschnitten zeigt, zieht das Vertrauen unter den fünf von mir betrachteten Berufsgruppen im Fall von ärztlichen Qualifikationen nach meiner Interpretation die weitesten Kreise. 5.1.1.2 Verhandlungszone In diesem Abschnitt geht es um Konstellationen, in denen das Vertrauen (noch) nicht selbstverständlich oder als solches verordnet, sondern Gegenstand von Verhandlungen und Auseinandersetzungen ist. Durch die Anordnung zwischen den beiden Extremen, wird deutlich, dass damit die Feldmitte – zwischen Zentrum und Peripherie – beschrieben wird. Der periphere Pol, das heißt die als »Beziehungslosigkeit« bezeichnete dritte Ausprägung der Machtkonstellation, ist dann Thema des nächsten Abschnitts.3 In der Verhandlungszone zeigt sich die Dynamik der Feldkämpfe um die Beziehungen zwischen den Ausbildungsstaaten. Diese ziehen in Bezug auf das ihnen innewohnende Vertrauen je nach Qualifikationsgruppe größere oder kleinere Kreise, wie man sich auch in Analogie zu einem Magnetfeld vorstellen kann. In der Verhandlungszone wird entweder um das Vertrauen in die »Gleichwertigkeit« der Qualifikation gerungen oder um Möglichkeiten, »Gleichwertigkeit« über zusätzliche Leistungsnachweise herzustellen. Ich werde dies in diesem Abschnitt anhand der einzelnen Berufsgruppen in folgender Reihenfolge darstellen: Pflegekräfte, Ärzte, Architekten, Lehrer, Handwerker.
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Es bietet sich alternativ an, das andere Extrem, den nächsten Abschnitt, vor diesem Abschnitt zu lesen.
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Pflegekräfte Die Verhandlungszone im Fall von Pflegekräften fokussiert sich auf das Thema „neue EU-Staaten“. Das handlungspraktische Vertrauen zu Qualifikationen aus „neuen EU-Staaten“ ist in diesen Fällen (noch) nicht selbstverständlich, sondern in der Beziehung zwischen Deutschland und den Ausbildungsstaaten umkämpft. Dies wird in allen Interviews mit den Bewertenden von Pflegekräften mindestens implizit deutlich. Im Interview mit Frau Vogel geht es sehr explizit um diese Problematik. Sie stellt heraus, dass auch Kandidatinnen aus dem EU-Ausland es nicht so einfach mit einer Anerkennung ihrer Qualifikation haben, wie sie vielfach annehmen. FRAU VOGEL: […] wenn die Antragsteller einen Abschluss im EU-Ausland erworben haben dann kommen sie ja meistens in der rosigen Annahme hierher sie kommen hierher stellen ihren Antrag und dann geht alles automatisch seinen Weg //mhm// und dann sind wir diejenigen die dann immer sagen Halt ganz so einfach is es nich, wir müssen erst mal schauen wann Sie Ihren Abschluss gemacht haben. //mhm// Und wenn der Abschluss vor dem EU-Beitritt war dann is das ja schon wieder ‘n bisschen problematischer, dann muss ja noch die Berufserfahrung nachgewiesen werden, //mhm// und wenn die Berufserfahrung nicht nachgewiesen werden kann, dann muss ja eben auch noch eine Eignungsprüfung abgelegt werden, //mhm// bevor diese Eignungsprüfung abgelegt werden kann, muss ja dann eben noch geguckt werden wie is das mit der- mit den Ausbildungsinhalten, wie is die Berufserfahrung, was is dann Gegenstand letztendlich der Eignungsprüfung ne, //mhm// dabei sind wir schon in der komfortablen Situation, im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege, dass die EU-Richtlinie 2005/36/EG für die Krankenpflege ja genau festlegt welche Abschlüsse automatisch anzuerkennen sind [...] Also da gibt es dann zum Teil relativ einfache Fallkonstellationen, //mhm// bei den Antragstellern die wir hier haben is das allerdings meistens so gewesen dass die ihren Antrag dann vor dem EU-Beitritt (.) erworben haben und auch dann in den letzten Jahren nicht unbedingt als Krankenschwester oder Krankenpfleger die für die allgemeine Pflege zuständig sind, dann im Herkunftsland gearbeitet haben, also diese Bescheinigung nicht beibringen können über die verlangte Berufserfahrung, und die müssen ja dann eben auch sich der Eignungsprüfung unterziehen ne […] (PFLE (Vogel) 4-25: 104 ff.).
Es zeigt sich, dass eine Ausbildung, die zwar einem EU-Staat zugeordnet werden kann, aber aus einer Zeit stammt, die vor dem Beitritt des Staats zur EU erworben wurde, mit weiteren Notwendigkeiten (zusätzlichen Nachweisen und Leistungen) verknüpft ist, um sie anzuerkennen. Es wird auch deutlich, dass sich die Verhandlungen über die Frage von »Gleichwertigkeit« in solchen Fällen wesentlich stärker auf die Beziehung zwischen Anerkennungssuchenden und Antragsbearbeitenden verlagert. Die einen kommen mit Erwartungen und die andere hat die Aufgabe „Halt“ zu sagen, Forderungen zu stellen und Entscheidungen zu treffen. Es ist nicht
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mehr allein das Diplom, das mit der Berufsbezeichnung im Anhang des Gesetzes (oder der EU-Richtlinie) verglichen werden kann, sondern es werden individuelle Kompetenznachweise über „Berufserfahrung“ – und sofern das nicht möglich ist – eine „Eignungsprüfung“ verlangt. Das Vertrauen steht also zur Disposition, wenn die Qualifikation kein EU-Produkt ist. Es ist abhängig davon, wann eine Qualifikation erworben wurde und ob der Ausbildungsstaat bereits zu diesem Zeitpunkt Mitglied in der Europäischen Union war. Ärztinnen Die von Frau Vogel thematisierten Fragen stellen sich in diesem Ausmaß nicht denjenigen, die ärztliche Qualifikationen bewerten. Das haben die Interviewausschnitte von Frau Tietz und Herrn Meyer bereits gezeigt. Frau David deutet jedoch an, dass mit jedem neuen EU-Beitritt wieder neue Abgleich-Prozesse losgehen: FRAU DAVID: […] um vielleicht noch mal kurz auf die EU-Gleichwertigkeitsangelegenheiten zurückzukommen das hat sich ja (.) mit der Zeit jetzt so (.) ganz gut angeglichen und relativiert bis jetzt demnächst die nächsten Länder nachrücken dann geht dieses Verfahren mit (.) ähm Konformitätsdaten und so weiter wieder los […] (ÄRZ (David) 1-04: 255 ff.).
Was sie hier unter den technischen Begriff „dieses Verfahren mit Konformitätsdaten“ fasst, ist nichts anderes als ein neuer Prozess der Beziehungsbildung, der mit einem Prozess der Vertrauensbildung einhergeht. Das Vertrauen in andere Ausbildungsstaaten zieht, wie bereits erwähnt, im Fall von Ärztinnen weitere Kreise als z. B. von Pflegekräften. Das bedeutet, dass mehr Ausbildungsstaaten von dem Vertrauen, der zentralen Ausprägung des Felds, angezogen sind. EU-Beitritte, insbesondere der Erwerb der Qualifikation vor dem Beitritt spielen im Fall der ärztlichen Qualifikationen weniger eine Rolle, weil in der Regel »Konformitätsbescheinigungen« der Ausbildungsstaaten erbracht werden, denen ebenfalls vertraut wird. Das Interview mit Herrn Meyer, der ebenfalls mit ärztlichen Qualifikationen befasst ist, legt nahe, dass die Verhandlungszone vor allem jene Staaten betrifft, die nicht EU-Mitglied sind, aber deren Ausbildungssystem bestimmten EU-Staaten ähnlich ist. Sein Thema vor diesem Abschnitt ist die grundsätzliche Befürwortung von Kenntnisprüfungen statt Aktenprüfungen. Er spricht zunächst von seiner Erfahrung, dass er auf Basis von Fächern und Stunden keinen Unterschied zwischen rumänischen und serbischen Ausbildungen erkennen könne, außer dass die einen in der EU sind und die anderen nicht. Daran anknüpfend geht er auf ein Gerichtsurteil ein, das die Parallelen zwischen Ausbildungssystemen, hier Russland und Litauen, Estland oder Lettland, als Begründung dafür herangezogen hat, dass russische Ausbildungen als »gleichwertig« zu beurteilen sind.
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HERR MEYER: […] ich glaube nich, dass die Rumänen meinetwegen wenn ich mir das angucke mit den Stunden und den Fächern dass die wesentlich besser sind als jetzt die Serben, //mhm// also (.) m-m es is eben bloß der Vorteil dass sie in der EU sind. //mhm// Und dazu hat es ja auch zum Beispiel ‘n Urteil gegeben wo wo dann (.) ein Verwaltungsgericht auch gesagt hat da ging es um ne- die Gleichwertigkeit ner russischen Ausbildung ne, //mhm// wo dann die Approbationsbehörde eben gesagt hat nee die russischen Ausbildungen sind nich gleichwertig schon darum nich gleichwertig weil (.) dort angefangen wird mit’m Studium nach der zehnten Klasse das is eben nich ak- nich Abitur sondern Zugangsvoraussetzung sondern die fangen nach der zehnten Klasse eben an zu studieren, //mhm// und und so und ähm: das is eben nich gleichwertig und das iss bis zum Verwaltungs- ich glaub Oberverwaltungsgericht oder so gegangen, und da hat das Oberverwaltungsgericht auch gesagt also das wäre nich nachvollziehbar, weshalb jetzt eine Ausbildung ähm die in Litauen Estland oder Lettland stattgefunden hat, unter den gleichen Bedingungen, (.) äh als gleichwertig angesehen wird als automatisch gleichwertig angesehen wird, ähm und diese Ausbildung nich, das is die gleiche Ausbildung gewesen das wäre also für sie nich nachvollziehbar und dann haben sie also (.) den Bescheid dann sozusagen gekippt und demzufolge (1) sind die russischen Ausbildungen die prüft man zwar, //mhm// und fordert auch immer noch was nach aber letztendlich @sind sie doch immer@ gleichwertig ja, //mhm// mhm. (ÄRZ (Meyer) 4-24: 558 ff.)
In dem Interview zeigt sich, dass die zweipolige Klassifikation „EU-Staaten“ und „Andere“ genau dann infrage gestellt wird, wenn sich Bildungssysteme jenseits dieser ähneln. Wenn die Qualifikation eines EU-Staats trotz einer dem Studium vorausgegangenen zehnjährigen Schullaufbahn anerkannt wird, ist es nicht begründbar, warum das im Fall eines Nicht-EU-Staats nicht der Fall sein soll. Eine Ungleichbehandlung allein aufgrund von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zur Europäischen Union wird also nicht (mehr) als legitim erachtet. Ihre Bezugnahme auf das Gerichtsurteil zeigt die Umkämpftheit dessen, was Voraussetzung der Feststellung von »Gleichwertigkeit« sein soll, deutlich auf. Ich habe bisher ausschließlich über die Bewertung von Pflegekräften und Ärztinnen gesprochen. Das hängt mit meiner Interpretation zusammen, dass das Vertrauen in diesen Fällen die weitesten Kreise zieht, im Fall von Ärzten noch weitere Kreise als im Fall der Pflegekräfte. Nun komme ich zu den anderen Berufsgruppen. An erster Stelle stehen die Architektinnen, da der Architekturberuf wie die beiden betrachteten Gesundheitsberufe in der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie als »automatisch« anzuerkennen institutionalisiert ist.
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Architektinnen Die Anerkennung von Architektinnen aus EU-Staaten ist nach meiner Interpretation der Interviews in diesem Bereich (noch) nicht so selbstverständlich, wie es vor allem im Fall der Anerkennung von Ärztinnen geschildert wird. Hinzu kommt, dass der Kreis des Vertrauens und die Verhandlungszone von Bundesland zu Bundesland etwas anders gelagert sein können, weil es sich um einen landesrechtlich geregelten Beruf handelt (vgl. Kap. 4). Festgehalten werden kann aber, dass »ausländisch« in den Architektenkammern an erster Stelle »EUropäisch« bedeutet, worin sich zeigt, dass die Verhandlungszone hier in EUropa beginnt. In den Approbationsbehörden, die Ärzte beurteilen, werden dagegen mit dem Begriff der Anerkennung »ausländischer« Qualifikationen vor allem »Drittstaaten« assoziiert. Dies interpretiere ich so, dass das »Ausländische« jeweils das ist, was nicht selbstverständlich anerkannt ist. Als ein Beispiel dafür, dass die Verhandlungszone in der Architektur in EUropa beginnt, möchte ich das Interview mit Frau Conrad heranziehen. Sie beschreibt in folgendem Auszug, wie kompliziert die EU-Richtlinie dadurch geworden ist, dass alle Mitgliedstaaten neue Bedingungen für die Anerkennung formulieren. Darüber hinaus hebt sie jedoch auch hervor, dass man in EUropa im Zweifel immer im Herkunftsland nachfragen könne. Sie unterscheidet zwischen den Staaten, mit denen aufgrund der gemeinsamen Richtlinie eine „Basis des Dialogs“ besteht und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. FRAU CONRAD: […] je länger es die Richtlinie gibt umso komplizierter wird das Ganze, //mhm// weil die Länder alle nachbessern und irgendwie noch zusätzliche Bestätigungen rein schreiben die notwendig sind und so was (.) //mhm// aber es ist auf jeden Fall auch (.) im Normalfall relativ einfach (.) also normalerweise findet man irgendwas in der Richtlinie was (.) was sagt es gibt diesen Abschluss und (.) der entspricht dem was man- worauf man sich geeinigt hat in Europa an Qualifikation //mhm// (.) und Zweifel hat man ja zumindest die Möglichkeit die (.) die Herkunfts- die zuständige Stelle im Herkunftsland anzurufen und nachzufragen was was das ist INTERVIEWERIN: Mhm (5) mhm und da- und die Möglichkeit hätte man äh bei den anAußereuropäischen nich weil das äh weil’s da nich die (.) VerbindungenFRAU CONRAD: ((räuspert sich)) Da=da na ja da fehlt einem so’n bisschen der- die Basis des Dialogs, //mhm// also (.) bei innereuropäisch kann man sich dann auf die Richtlinie beziehen und kann sagen ähm ihr habt da den und den Abschluss und entspricht der dem was in der Richtlinie gefordert worden ist ist der vielleicht sogar im Anhang vorhanden, //mhm//
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ähm wenn ich in Nordamerika in Kanada oder so anfragen würde dann ähm (.) wüsste ich nich was ich exakt fragen muss //mhm// also klar ich kann fragen wie lange dauert das Studium aber in der Regel geht das auch aus den Bestätigungen hervor, (.) //mhm// aber es fehlt halt ne exakte Marke, was soll ich fragen […] (ARCH (Conrad) 2-12: 233 ff.).
Mit ihrer Metapher des Vorhandenseins einer „Basis des Dialogs“ markiert Frau Conrad die Bedeutung institutionalisierter Beziehungen zwischen den Ausbildungsstaaten für ihre alltägliche Bewertungspraxis. Sie haben „exakte Marke[n]“ für diese Beziehung festgelegt und ermöglichen damit Orientierung und Nachfragen, die etwaige Unsicherheiten durch Selbstauskünfte der jeweiligen Staaten ausräumen. Im Fall anderer Staaten kann sie zwar fragen, „was da ist“, aber nicht ob etwas dem Eigenen „entspricht“, weil es keine Referenz für eine Entsprechung zwischen den zwei Vergleichspunkten gibt. Insofern ist auch dies eine Unterscheidungsform, die davon abhängt, ob Beziehungen zwischen Staaten (auf anderer Ebene) als solche definiert wurden. Das hier sehr deutlich werdende Im-Gespräch-Sein, an der Etablierung dieser Beziehungen und damit dem Vertrauensbildungsprozess beteiligt sein, ordne ich deshalb der Verhandlungszone zu. Lehrerinnen Als nächstes möchte ich auf die Verhandlungszone um das Vertrauen zu anderen Ausbildungsstaaten in der Bewertung von Lehrerinnen eingehen. Im Bereich der Lehrer-Anerkennung zieht das Vertrauen in die Qualifikationen anderer Ausbildungsstaaten im Großen und Ganzen noch kleinere Kreise. Zu berücksichtigen ist jedoch auch hier, dass es sich ebenfalls um einen landesrechtlich geregelten Beruf handelt und die Handhabung von Bundesland zu Bundesland durchaus sehr stark abweichen kann. Die Lehrer-Anerkennung beruft sich ebenfalls auf die Regelungen der besagten EU-Berufsanerkennungsrichtlinie, allerdings auf den allgemeinen statt auf den sogenannten sektoralen Teil (vgl. 4.2.3 und 4.4.4). Das heißt im Wesentlichen, dass es mit wenigen Ausnahmen keine »direkte Anerkennung« von Lehramtsabschlüssen gibt, auch nicht, wenn sie in der Europäischen Union, im Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz erworben wurden. Die »Gleichwertigkeit« kann maximal durch einen Nachweis von Berufserfahrung oder durch Auflagen, wie Ausgleichsmaßnahmen, hergestellt werden. In Bezug auf Qualifikationen aus den sogenannten »Drittstaaten« stehen die Bundesländer, wenn überhaupt, erst am Anfang der Etablierung von Bewertungsverfahren. Das Vertrauen steht mit wenigen Ausnahmen grundsätzlich zur Disposition, bzw. ist von Vorneherein ausgeschlossen. Für die Lehrer-Anerkennung ist es ein typischer Grund für die Nicht-Aner-
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kennung, dass nur ein Unterrichtsfach, statt wie in Deutschland üblich zwei Unterrichtsfächer, studiert wurde.4 FRAU FECHNER: […] es gibt sehr viele- oder sehr wenige Länder wo die Abschlüsse sich auf zwei Unterrichtsfächer beziehen. Zum Beispiel Österreich die haben zwei Unterrichtsfächer. //mhm// Teilweise Rumänien bringt auch zwei Unterrichtsfächer mit. Aber (.) häufig is eben nur ein Unterrichtsfach betroffen so dass wir hier schon aufgrund dessen nicht zu einer direkten Anerkennung einer kompletten Anerkennung kommen können gegebenenfalls zu ner Teilanerkennung kommen. //mhm// (.) Die Aus- Lehrerausbildung in den anderen Ländern ist auch zum Teil erst eine fachwissenschaftliche Ausbildung abgespalten vom Lehramt, //mhm// dann kommt ein praktisch-pädagogisches Jahr da in in in Spanien haben sie dann so’n Ausbildungsabschnitt in Großbritannien is es ähnlich und in manch anderen Ländern auch, und danach findet manchmal noch ein praktischer Teil statt, vergleichbar oder sehr ähnlich (.) ja in Teilen vergleichbar dem Vorbereitungsdienst, und danach is dort die Lehrerausbildung abgeschlossen. Hier, unsere Aufgabe is es jetzt einfach zu gucken, was bringen die mit, und wie kriegen wir das hier in unser System rein //mhm// inhaltlich auch. Und dann festzustellen wo sind wirklich die Unterschiede […] (LEHR (Fechner) 3-23: 36 ff.).
Für Frau Fechner ist klar, dass fast alle Ausbildungen nicht gleich und damit auch nicht gleichwertig sind, dass es wesentliche Unterschiede gibt, die es im Rahmen ihrer Tätigkeit zu bestimmen und auszugleichen gilt. Neben der unterschiedlichen Anzahl der studierten Unterrichtsfächer begründet sie dies mit unterschiedlichen Systemen im Zusammenspiel von fachwissenschaftlicher Ausbildung und Lehramtsausbildung, einschließlich des praktischen Vorbereitungsdiensts. Das Anerkennungsverfahren für EU-Lehrerinnen endet also häufig damit, dass nur ein Teil der Qualifikation in „unser System“ passt und ihre Aufgabe ist, festzulegen, was fehlt. Handwerkerinnen Im Bereich des Handwerks sind die Verhandlungszonen deutlich weniger entlang einer institutionalisierten Dichotomie von EU- und Nicht-EU-Qualifikationen zu suchen. Sie liegen in dieser Qualifikationsgruppe eher in den Ländern, aus denen besonders viele Antragstellerinnen kommen, zum Beispiel aus Polen und der Türkei. Aufgrund der noch relativ jungen Institutionalisierung eines allgemeinen An-
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Zu berücksichtigen ist, dass »ein Fach« oder »zwei Fächer« bereits eine klassifizierende Bewertung des Studiums ist. Wie ich von einer Gruppendiskussionsteilnehmerin erfahren habe, heißt ein Fach in ihrem Ausbildungsstaat zum Beispiel »Naturwissenschaften« und beinhaltet die in Deutschland üblichen Fächer Biologie, Physik und Chemie.
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spruchs auf ein Bewertungsverfahren im Handwerk sind die Prozesse noch wenig routiniert. Das äußert sich mitunter in den Schilderungen von Bemühungen „genau hinzuschauen“ bei den Ausbildungen und Ausbildungssystemen in einem anderen Staat, mit dem Ziel eine Grundlage für eine vergleichende Bewertung zu schaffen und dann als Orientierung zur Verfügung zu haben. FRAU ZINK: […] Ja wenn jetzt jemand (.) ja wie gesagt 1985 in in der Türkei einen Abschluss gemacht hat, dann müssen wir die Ausbildungsordnungen für diesen Zeitraum auch finden. Und ähm das iss natürlich oftmals sehr problematisch weil es ja in jedem Land auch viele Reformen gibt in Deutschland iss das ja nich anders ähm viele Berufe werden ab- abgez- abgeschafft es ähm entstehen neue, äh zum Beispiel wurde 2003 ähm der- das Berufsbild des Gaswasserinstallateurs ähm is- gibt es nich mehr das is jetzt heute der Anlagenmechaniker für Sanitär Heizung und Klimatechnik. Und äh solche Reformen gibt’s auch in anderen Ländern dass ähm Berufsbilder sich ändern, oder ähm Ausbildungen sich auch ändern. Dass die vielleicht intensiver werden ausführlicher werden oder vielleicht doch etwas ähm weniger ähm praxisbezogen oder theoriebezogen es gibt Reformen einfach im Bildungssystem. Und ähm (.) deswegen is es wirklich so dass ähm dass man immer ganz genau hinschauen muss aus welchem Land, zum Beispiel in der Türkei gab es ähm 2005, ähm einen großen Schnitt äh wo sehr viele Reformen gewesen sind, ähm //mhm// 1986 gab es ein großes neues Gesetz, äh womit sozusagen das Bildungssystem ähm komplett äh erneuert worden iss im Bereich der Ausbildungen und ähm es gab vorher Zeiträum- Zeitpunkte wo man zum Beispiel einen Meisterbrief aufgrund von Berufserfahrung erlangen konnte ohne eine Prüfung zu absolvieren. Was sich mittlerweile geändert hat. Aber deswegen is das h alt immer ähm muss man da ganz genau hinschauen wann wurde das erlangt und ähm- (.) oder es gibt verschiedene Möglichkeiten Abschlüsse zu erwerben auch in den verschiedenen Ländern, auch ähm auch sozusagen aktuell mm mm parallel nebeneinander möglich, ähnlich wie es in Deutschland ja auch is man kann in Deutschland ja auch eine externe Prüfung machen, dass man ähm: einen Abschluss erwirbt, ähm oder man durchläuft eine dreijährige Ausbildung und erwirbt einen Abschluss. Ähm und äh solche Sachen gibt’s auch im Ausland. //mhm// Und ähm deswegen muss man da immer ganz genau hinschauen […] (HAND (Zink) 4-21: 187 ff.).
Was Frau Zink hier als notwendige Recherchen über rechtlich verankerte Bildungssysteme und ihre Veränderungen im Zeitverlauf thematisiert, zeigt den Versuch, über das Sammeln von Daten eine Orientierung für die Bewertung zu finden und wissensbasiertes Vertrauen in die betreffende Ausbildung zu erlangen. Sie ist sehr darum bemüht, den Abschluss in Bezug auf die im Ausbildungsstaat geltenden Richtlinien zum Zeitpunkt des Erwerbs auch historisch einordnen zu können. Es wird hier, im Gegensatz zu der Fallbeschreibung von Frau Becker über den Fall des Schweizer Automatikers (vgl. 5.1.1.1) deutlich, dass sie nicht auf Anhieb „synchrone Häkchen“ sieht und ihrer Wahrnehmung von Ähnlichkeiten somit spontan Vertrauen schenkt, sondern sie sich sehr darum bemühen muss, überhaupt etwas zu se-
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hen. Das interpretiere ich als ein Ringen um das Vertrauen in eine spezifische Qualifikation, die aus einem anderen Ausbildungsstaat stammt. Dieses Ringen um Vertrauen ist das, was die Verhandlungszone in den unterschiedlichen Qualifikationsgruppen gemeinsam prägt. 5.1.1.3 Beziehungslosigkeit »Beziehungslosigkeit« nenne ich die periphere Ausprägung dieser Machtkonstellation. Sie steht damit der als erstes beschriebenen zentralen Ausprägung, dem »Vertrauen« gegenüber. Mit der »Beziehungslosigkeit« gehen Ohnmacht und tendenziell auch Resignation einher. Die Unterschiede werden als unüberwindbar und die Qualifikation tendenziell als nicht bewertbar wahrgenommen. Ausbildungen und Ausbildungssysteme, die als sehr unterschiedlich im Vergleich zu dem Bekannten wahrgenommen werden, sind für die Bewertenden typischerweise mit dem Attribut „exotisch“ belegt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Interviewten weder auf institutionalisierte Vereinbarungen noch auf inkorporiertes Vertrauen zurückgreifen können. Das Beispiel von Frau Fechner zeigt, dass sie erwartet, ihre Beziehung zu „Drittländern“ in Zukunft erst neu aufbauen zu müssen „wenn dann plötzlich ein Land auftaucht“, das sie noch nicht hatte. FRAU FECHNER: […] Das iss es ja häufig manchmal wissen wir gar nich, iss damit mit dem was sie mitbringen tatsächlich die Lehrerausbildung dort auch beendet? //mhm// (.) Oder fehlt da noch irgendetwas und das wird jetzt denke ich mal gerade bei den Zusä- bei den Drittländern (.) wird häufiger mal auf uns zukommen wenn dann plötzlich ein Land auftaucht oder der Abschluss eines Landes auftaucht äh was wir einfach noch nich hatten, //mhm// das (.) aber das iss was das muss man einfach abwarten wie sich das entwickelt. Im Moment (.) mm (.) iss das eher noch wenig. //mhm// Aber wie gesagt wir sind in der Beziehung natürlich noch ziemlich in den Kinderschuhen […] (LEHR (Fechner) 3-23: 596 ff.).
Die Personifizierung des Lands, das „auftaucht“, „kommt“, „gehabt“ wird, ist sehr typisch. Darin zeigt sich, dass die Bewerteten in der Auseinandersetzung um die Bewertung den jeweiligen Ausbildungsstaat vertreten, so wie die Bewertenden Deutschland (oder das jeweilige Bundesland) vertreten. In zahlreichen Konstellationen sind die Bearbeiterinnen darauf angewiesen, sich die Beziehung, das Verständnis des anderen Ausbildungsstaats, das andere Ausbildungssystem – und damit auch das Vertrauen – selbst zu erarbeiten, um eine Bewertung abzugeben. Bei denen, die Erfahrungen mit weltweit erworbenen Qualifikationen haben, werden Resignation und Ohnmacht deutlich. Die Suche nach Orientierung und Ansatzpunkten für eine Zuordnung, die an die bekannten Normen anknüpft, fällt ihnen vielfach sehr schwer. Das Gefühl des Nicht-Beurteilen Könnens und das Bewertungsergeb-
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nis der Nicht-Anerkennung sind miteinander verknüpft. Um dies zu zeigen, möchte ich einen Interview-Auszug von Frau David heranziehen, in dem sie von ihrer Orientierungslosigkeit spricht, wenn die Qualifikationen in „sehr exotische[n] Länder[n]“ erworben wurden: FRAU DAVID: […] es gibt eben auch (.) ähm (.) sehr exotische Länder wo man (.) wirklich keine Erfahrungswerte hat wo man (.) also ganz ganz (.) schwierig nur an Informationen gelangt und wo man sich also auch (.) sacht wie wie geht das jetzt wo=wo kann man da ansetzen nich //mhm// also wenn (.) ähm (.) das nicht so strukturiert ist wie wir es kennen sondern eine starke Vermengung schon am Anfang stattfindet, das auseinanderzudividieren und zu sagen so der hat aber jetzt (.) so und so viel Stunden in dem Fach und so und so viel Stunden in dem anderen Fach, studiert, (2) ja kann man nich nachweisen in dem Moment nich wenn es- ((räuspert sich)) oder wenn Fächer ne ganz andere Bezeichnung haben oder wenn sich die (.) äh die Inhalte (.) mmm anders (.) zusammensetzen und (.) die sich hinter einer Bezeichnung verbergen die für uns ungewöhnlich iss oder mit der wir selber auch nichts anfangen können. //mhm// also das iss dann schon sehr sehr schwierig […] (ÄRZ (David) 1-04: 180 ff.).
Hier zeigt sich, dass die Abwesenheit einer Beziehung zu dem anderen Ausbildungsstaat dazu führt, dass jegliche Orientierung fehlt, anhand derer die gänzlich fremd erscheinende Ausbildung bewertet werden könnte. Frau David kann die ihr bekannten Normen der inländischen Ausbildung folglich nicht wiedererkennen und deshalb auch nichts vergleichend zuordnen. Das Nicht-Verstehen-Können macht Frau David in diesem Fall handlungsunfähig. Ihr fehlt der Ansatzpunkt einer Orientierung, um eine Ausbildung, die in ihrer Klassifikation aus „sehr exotische[n] Länder[n]“ stammt, bewerten zu können. In ihren Augen ist die andere Qualifikation „nicht so strukturiert, wie wir es kennen“, sondern besteht in einer „starken Vermengung schon am Anfang“. Es ist ein typisches Wahrnehmungsmuster, das ich auf die Beziehungslosigkeit zu dem jeweiligen anderen Ausbildungssystem zurückführe: Das Eigene wird als strukturiert wahrgenommen, weil es das Normale und Bekannte ist, während das andere unstrukturiert und durcheinander aussieht, weil es als Ganzes neu für sie ist und sie keinerlei Anknüpfungspunkte hat. Sie kann die andere Qualifikation nicht als eine Qualifikation erkennen und dadurch nicht als »gleichwertig« beurteilen. Dass sich die eigene Hilflosigkeit in einer Problematisierung des Anderen – gewissermaßen einer Distinktion der Überlegenheit – entladen kann, wird in folgendem Ausschnitt deutlich. Herr Kuhn kommt hier explizit zu dem Schluss, dass bestimmte Ausbildungen „einfach nicht beurteilungsfähig“ sind: HERR KUHN: […] ich hatte neulich (.) äh jemanden aus [A-Staat] ähm (.) und (.) äh bin dann in in [A-Staat] äh auf die Internetseite der Hochschule gegangen, //mhm// ((holt Luft))
216 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS die war nur Arabisch und ähm also da gab’s nichts Englisches dazu, ähm (.) also das zeigt dann eben auch schon so in welche Welten man da mit einemmal so so vordringt was bei uns mittlerweile solch ein Standard is dass also in- äh dass also Hochschulen natürlich ihre Seiten dann irgendwie auch äh auf auf Englisch parallel immer noch anbieten, das war also wirklich nur in Arabisch und die Unterlagen die wir hatten (.) ähm (.) weiß gar nich ging’s da sogarich glaub es ging auch richtig schon um ne Eintragung ähm (.) aber man könnte im Grunde nur sagen es ist nicht beurteilungsfähig //mhm// (.) also das Ergebnis is dann eben (.) is dann einfach so. also (.) //mhm// ich kann jetzt nich anhand irgendwelcher (.) ähm (.) Eckdaten die wirklich nur rudimentär sind kann man jetzt schlecht sagen ähm (.) wird schon klappen ne //mhm// so und ich kann dann aber auch keine Hilfestellung bieten wo (.) wo diese Unterlagen vielleicht noch herkämen also //mhm// wenn dann keine Zeugnisse mehr da sind die sind verbrannt oder zurückgelassen äh (.) äh in in (.) in der Heimat, und äh über über Internet sind kaum Unter- äh weitere Informationen zu bekommen, äh dann müssen wir im Grunde sagen dann geht es halt nich. (ARCH (Kuhn) 1-11: 640 ff.)
Weil Herrn Kuhn die Informationen fehlen, die er für die Bewertung der Qualifikation benötigt, sucht er Orientierung auf der Internetseite der Hochschule in A-Staat. Es zeigt sich, dass er es als ausweglos betrachtet, an diese Informationen zu kommen, weil er sie nicht in einer Sprache findet, die er verstehen kann. In seinem hier dokumentierten Ärger über die nicht-englischsprachige Internetseite der Universität in A-Staat wird deutlich, dass er seine Hilflosigkeit als unangenehm empfindet. Er legitimiert seine Handlungsunfähigkeit, indem er sie dem Anderen, insbesondere der Universität in A-Staat, zurechnet. Er klassifiziert sie in seinem Ärger, in dem ich auch Ohnmacht sehe, als nicht auf der Höhe der Zeit, weil sie nicht den „Standard“ eines Informationsgebots auf Englisch aufweist, den er gewohnt ist. Beachtenswert ist dabei bereits, dass er sich offenbar gezwungen sieht, selbst tätig zu werden, um etwas über die Qualifikation herauszufinden und offenbar an keinerlei Unterstützung in Form von Übersetzungen etc. zu denken ist. Dies zeigt wenig institutionalisierte und besonders distanzierte Beziehungen zu dem betreffenden Ausbildungsstaat an. In der peripheren Ausprägung verlagert sich die Verhandlung über die Bewertung somit auf die unmittelbare Interaktion zwischen Antragsteller und Bearbeiter. Diese Konstellationen bilden den Gegenpol zu den unter »Vertrauen« thematisierten Fallkonstellationen, die in eine Struktur institutionalisierter Beziehungen zwischen Staaten eingebettet sind. Hinzugefügt werden muss an dieser Stelle auch, dass es nicht die Norm ist, dass Bearbeiterinnen überhaupt nach fehlenden Unterlagen suchen. Für Herrn Kuhn ist es bereits ein besonderer Service, wie er zuvor im Interview betont. Das entspricht auch meiner Erfahrung im Feld. Gängige Praxis ist es, die Antragstellerinnen in der sogenannten Bringpflicht der Unterlagen zu sehen und – solange diese nicht erfüllt ist – selbst auch nicht tätig zu werden. Das Bewertungsverfahren stockt bzw. bricht ab, wenn die Erwartungen an die Unterlagen nicht erfüllt werden und die Qualifika-
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tion bleibt dadurch nicht-anerkannt und »ausländisch« (siehe 5.2). Das Engagement, wie viel von Seiten der Bearbeiterinnen versucht wird, um an die geforderten Unterlagen heranzukommen, ist sehr unterschiedlich, wobei sich diese Unterschiede nicht individuell zurechnen lassen. Sehr viele der Interviewten problematisieren auch unzureichende personelle und zeitliche Ressourcen für die Fallbearbeitung. Dadurch steht vor allem die Erledigung der institutionalisierten Pflichtaufgaben – die Bearbeitung von vollständigen Anträgen innerhalb der vorgegebenen Dreimonatsfrist – im Vordergrund. Abschließend möchte ich noch ein Beispiel dafür anführen, dass nicht nur das inkorporierte Vertrauen, sondern genauso Misstrauen und Skepsis als inkorporierte Vorannahmen für die Bewertung einer Qualifikation handlungsleitend sind. Nach meiner Interpretation lassen sie sich ebenfalls auf herrschaftsförmige Beziehungen zwischen dem eigenen und dem anderen Ausbildungsstaat zurückführen. Dazu ziehe ich einen Auszug aus dem Interview mit Frau Nolte heran. Sie spricht von einem Fall, der besonders ungewöhnlich für sie war, weil er eine Qualifikation aus diesem Ausbildungsstaat vorgelegt hat, den sie noch nie vorher bearbeitet hatte. Sie konnte sich zuerst auch gar nicht vorstellen, dass man in diesem Land überhaupt Medizin studieren kann. Darüber hinaus war dieser Fall für sie auch in weiterer Hinsicht ein unerklärliches Kuriosum. FRAU NOLTE: Also die spannendsten Fälle sind eigentlich so die Ungewöhnlichsten […] zum Beispiel hatte ich einen (.) Arzt, der [in A-Staat] studiert hat also .. Staatsangehöriger [von B-Staat] der auch mit einem Stipendium aus [B-Staat] kam [in A-Staat] studiert hatte, wo ich vorher noch nie eine Ausbildung von [A-Staat] hatte auch im Internet erstmal recherchieren musste gibt’s da überhaupt eine Universität @(.)@ und das erste Bild was ich gesehen habe von der Universität oder von dem Studiengang Medizin waren- war halt eine kleine Gruppe junger Leute lachend am Strand unter Palmen hab ich gedacht ja man kann offensichtlich auch angenehm Medizin studieren (.) aber der hatte so schlechte Ausbildungsunterlagen und letztendlich hat sich herausgestellt dass das was er dort studiert hat bei weitem nicht ausreicht um hier überhaupt eine Berufserlaubnis zu bekommen weil der Studiengang war nur vierjährig //mhm// (.) und sich das insgesamt alles bei ihm irgendwie sehr sehr schwierig gestaltet hat also (.) er is so sag ich mal so in aller Welt umher gereist, bis er sich entschlossen hat er möchte eine Facharztweiterbildung in Deutschland machen, und wer zuvor im Ausland schon mal ärztlich tätig war muss dann halt auch durch Zeugnisse von der Ärztekammer belegen dass er sich dort nichts hat zuschulden kommen lassen, und das war halt irgendwie heikel weil er hat- anhand der Zeugnisse hat man gesehen er hat als Arzt gearbeitet, aber Leumundszeugnisse konnte er nich bringen, weil er angeblich nich in der Kammer eingetragen war, also es waren irgendwie so viele schwierige Sachen, und ehe man so diese ganzen Knoten dann gelöst hatte, bis man so zu einem Ergebnis kam, auch so anhand der Ausbildungsunterlagen das war irgendwie kompliziert […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 456 ff.).
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Frau Nolte irritiert, dass der Antragsteller in A-Staat Medizin studiert hat, weil sie von dieser Möglichkeit noch nichts gehört hatte und mit A-Staat keine Universität oder ein Medizinstudium verbindet. Sie misstraut deshalb zunächst dieser Information und überprüft per Internetrecherche, ob sie zutreffen kann. In dem Bild, das sie sich auf diese Art und Weise macht, verbinden sich eine Bestätigung ihrer ursprünglichen Assoziationen mit A-Staat, wie Strand, Palmen etc., die sie nicht mit einem (seriösen) Universitätsstandort verbindet, und das neu angeeignete Wissen, dass eine Universität und Studierende dort „existieren“. Der Ausspruch „hab ich gedacht ja man kann offensichtlich auch angenehm Medizin studieren“ kann als eine Verarbeitung des erlebten Widerspruchs interpretiert werden, der allerdings nicht zur Auflösung des Misstrauens führt, sondern in eine Erzählung weiterer Merkwürdigkeiten (aus ihrer Sicht) in der Person des Antragstellers mündet. Mit der Aussage, dass er angeblich nicht bei der Kammer eingetragen gewesen sei, verweist sie implizit auf die Notwendigkeit einer Strukturähnlichkeit als Voraussetzung für eine Anerkennung. Die bekannten deutschen Berufs- und Ausbildungsstrukturen werden als Maßstab vorausgesetzt, sodass vor allem nach einer Entsprechung gesucht wird. Fehlendes Vertrauen in die Erzeugnisse anderer Staaten, das aus einer Abwesenheit an Berührungspunkten und damit auch einer »fernen Beziehung« einhergeht, macht eine Anerkennung unwahrscheinlich. Dass der Rückgriff auf Vorurteile, die sie über die Internetrecherche bestätigt findet (das erste Bild, das schon alles sagt), umso größer ist, je fremder der zu bewertende Gegenstand ist, lässt sich der Person nach meiner Interpretation nicht ausschließlich individuell zurechnen. Danach knüpft jede Bewertung unvermeidlich an standortbedingte Vorannahmen bzw. ein vorurteilsbelastetes Halbwissen an, die Ausdruck inkorporierter Macht- und Ungleichheitsstrukturen sind. 5.1.2 Wem wobei »helfen« und wen wovor »schützen«? – das Spannungsfeld der (qualifikationsbezogenen) Marktinteressen Als zweite Machtkonstellation lege ich die Kräfteverhältnisse dar, die die Chancen auf Anerkennung in Abhängigkeit von der Art der Qualifikation ungleich verteilen. Im Spannungsfeld von liberalen Marktinteressen auf der einen und protektionistischen Marktinteressen auf der anderen Seite wird um die für die Bewertung relevante symbolische Vorherrschaft, Markt öffnen versus Markt schließen, gerungen. Es ist, abhängig von der Berufs- bzw. Qualifikationsgruppe, unterschiedlich gelagert. Im Spannungsfeld der liberalen und protektionistischen Marktinteressen, die als zwei starke Pole gegeneinander stehen, wird damit um die Größe der Kreise des Vertrauens in andere Ausbildungsstaaten in Abhängigkeit von der Qualifikation gerungen.
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Liberale Feldkräfte wirken auf die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen und damit die Vergrößerung der Kreise des Vertrauens hin, während protektionistische Feldkräfte der Anerkennung und damit der Ausweitung des Vertrauens entgegenwirken. Das Spannungsfeld kennzeichnet, dass sich gegenwärtig weder die einen noch die anderen Kräfte vollständig durchgesetzt haben. Das heißt, in den hier betrachteten Bewertungsverfahren wird in jedem Fall kontrolliert, ob jemand in das Kollektiv der »deutschen« Titelträgerinnen aufgenommen wird. In keiner der zuständigen Stellen werden die Qualifikationen aller Antragstellerinnen als »gleichwertig« anerkannt noch wird niemand anerkannt. Alle Interviewten sind dem Spannungsfeld ausgesetzt und von den sich im Widerstreit befindlichen Interessen belagert. Handlungspraktisch führt dies vor allem zu einer Orientierung an Abwägung und Balance. Im Folgenden werde ich die zweite Machtkonstellation anhand der Interviews nachvollziehbar machen. Es wird dabei deutlich, dass die Bewertungspraxis der Interviewten in einem argumentativen Ringen mit den Marktinteressen besteht. Ich gehe wiederum von drei Ausprägungen aus: Liberalismus, Verhandlungszone und Protektionismus. Sie entsprechen den drei Untergliederungspunkten (Abschnitte 5.1.2.1 bis 5.1.2.3). Der Unterschied zur ersten Machtkonstellation besteht darin, dass es sich hierbei nicht um ein Machtzentrum (das »Vertrauen«) und eine Peripherie (die »Beziehungslosigkeit«) handelt, sondern um zwei miteinander konkurrierende Zentren. Die liberalen Marktinteressen streben nach einer Verschiebung von Grenzen, protektionistische Marktinteressen zielen auf die Bewahrung des Bestehenden ab. Ich widme mich zuerst den liberalen Kräften, welche die Anerkennung bestimmter Qualifikationen spezifischer Ausbildungsstaaten durchgesetzt haben. Von ihnen gehen die Antriebskraft und die Dynamik im Feld aus. Ich zeige in den Unterabschnitten, dass sich ihre Stärke gerade in den engagierten protektionistischen Argumentationen der Interviewten zeigt. Denn dass die Bewertenden so vehement für die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung argumentieren, zeugt gerade von einer starken liberalen Erwartung, die an die Behörden herangetragen wird. Argumentieren die Interviewten hingegen liberal, das heißt für die Notwendigkeit der Anerkennung »ausländischer« Qualifikationen, betrachte ich dies als eine symbolische Dominanz protektionistischer Marktinteressen, die darauf abzielen, eine Öffnung zu verhindern. Dazwischen liegt die Verhandlungszone, in der es argumentativ vor allem um ein Ausbalancieren etwa gleichermaßen starker Kräfte geht. Um die sehr hohe Komplexität in diesem Spannungsfeld zu reduzieren, habe ich den drei Ausprägungen jeweils Qualifikations- bzw. Berufsgruppen zugeordnet. Liberale Kräfte sind im Fall von Ärztinnen und Pflegekräften am stärksten. Protektionistische Kräfte sind im Fall von Lehrerinnen und Architektinnen besonders stark. Am Beispiel des Handwerks lassen sich die Mechanismen der Abwägung in einem verhältnismäßig ausgewogenen Kräfteverhältnis zeigen, die mitunter zu Kompro-
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missen wie der Bewertung »teilweise gleichwertig« führen. Diese Zuordnung der Qualifikationsgruppen ist jedoch vor allem darstellungsbedingt. Alle Interviewten und ihre Bewertungsfälle sind als mehr oder weniger von beiden Polen belagert vorzustellen. 5.1.2.1 Liberalismus Im Fall der Anerkennung von Ärzten und an zweiter Stelle auch Pflegekräften ist die Durchsetzung liberaler gegenüber protektionistischen Marktinteressen, die zur Ausweitung der Kreise des Vertrauens geführt hat, nach meiner Interpretation am weitesten fortgeschritten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dies unabhängig vom Ausbildungsstaat zur Anerkennung der ausländischen Qualifikation als »gleichwertig« führen würde. Hinzu kommt, dass auch die als »gleichwertig« Anerkannten nicht zwangsläufig als gleich bewertete Positionen auf dem Arbeitsmarkt einnehmen wie ihre in Deutschland ausgebildeten Kolleginnen. Dass die Interviewten im Bereich der Medizin und der Pflege in ihrem Bewertungshandeln von liberalen Kräften unter Druck gesetzt sind, zeigt sich vor allem darin, dass sie durchgängig protektionistisch argumentieren. Sie sind mit der liberalen Erwartungshaltung konfrontiert, sowohl Arbeitgeberinnen als auch Arbeitnehmerinnen dabei »helfen« zu müssen, ausländische Qualifikationen anzuerkennen, um (uneingeschränkte) Arbeitsverhältnisse miteinander eingehen zu können. Die Interviewten legitimieren unter Verweis auf ihre Verantwortung, »schützen« zu müssen, dass dem »Helfen« von Antragstellern und ihren (potenziellen) Arbeitgeberinnen Grenzen bzw. Bedingungen gesetzt sind. Für die Anerkennung einer ausländischen Qualifikation und damit die Herstellung eines uneingeschränkten Marktzugangs, spricht der Bedarf, der an die Interviewten und ihre zuständigen Stellen herangetragen wird. Sowohl von Seiten der »deutschen« Arbeitgeber, von Krankenhäusern und Pflegeheimen als auch von Seiten der Anerkennungssuchenden (und etwaigen Fürsprecherinnen) wird die liberale Erwartung formuliert, dass dies möglichst „unbürokratisch“ passieren solle.5 Der zweiseitige, aber in der Zielsetzung ähnlich gelagerte Druck, die durch sie verkör-
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Dabei muss berücksichtigt werden, dass »arbeiten können« sowohl auf Basis einer eingeschränkten Berufserlaubnis als auch auf Basis einer uneingeschränkten Approbation möglich ist (vgl. 4.4.1). In diesen Beispielen bleibt unausgesprochen, um welche Berufsausübungsberechtigung es sich handelt. Da offensichtlich noch kein Arbeitsverhältnis besteht, ist es naheliegender, dass es sich hier eher um die Berufserlaubnis handelt. Für die Darstellung des Kräfteverhältnisses ist dies aus meiner Sicht jedoch unerheblich.
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perte Schranke zu öffnen, geht aus den beiden folgenden Interview-Passagen von Frau David besonders gut hervor: FRAU DAVID: […] das [Recherchen über deutsche Auslandsvertretungen, I.S.] iss auch schon (.) teilweise vorgekommen, das war auch sehr hilfreich dauert aber auch immer seine Zeit //mhm// und das iss dann (.) wieder ein anderes Problem weil (.) wir ja gesetzliche Fristen teilweise einzuhalten haben und natürlich auch die Antragsteller hier sitzen und (.) nun gerne auch loslegen möchten //mhm// nich und und (.) ja (.) andererseits darf man natürlich nicht vergessen dass der Patientenschutz ein sehr hohes Gut ist, //mhm// und es geht nicht einfach um (.) Verwaltungsmenschen oder solche Sachen sondern es hat was mit mit Leib und Leben und Gesundheit zu tun und (.) ähm (.) wer da sehr drängelich is den weise ich immer (.) mit einem Lächeln daraufhin dass das (.) im (2) umgekehrten Falle ähnlich sein wird. //mhm// wenn man also in (.) das betreffende Land geht aus dem derjenige kommt, //mhm// wird auch dort sicherlich irgendein Prüfverfahren durchlaufen werden was nicht von jetzt auf gleich entschieden wird und dann (1) kommt immer so dieses ja Sie haben ja Recht es braucht seine Zeit […] (ÄRZ (David) 1-4: 229 ff.).
Es dokumentiert sich, dass sie mit der starken Erwartungshaltung konfrontiert ist, die Antragstellerinnen »durchzuwinken« und keine Zeit auf die Überprüfung ihrer Unterlagen zu verwenden. Der Weg in ein Arbeitsverhältnis wäre frei und geebnet, wenn sie nicht als ein „Verwaltungsmensch“, der sie aufhält, dazwischen stünde. Widerstände hat sie hier argumentativ unter Kontrolle, indem sie auf staatlichen Protektionismus als eine universelle Norm und die Notwendigkeit der Überprüfung der Qualifikation verweist. In einem späteren Abschnitt kommt sie auf das Drängeln von Seiten der Kliniken zu sprechen: FRAU DAVID: […] da bekommt man dann (.) ne E-Mail oder einen Anruf wir möchten gerne Herrn Soundso (.) beschäftigen und zwar (2) ab 1. Mai, @(.)@ können Sie das mal machen bitte @(.)@ //ja// nich und dann (.) mm ja also wir tun schon wirklich unser Bestes hier und weil wir ja auch um die Probleme wissen, //mhm// dass wir Ärztemangel haben, dass die Leute dann aber trotzdem ordentlich ausgebildet sein müssen damit sie eben (.) die Patienten gut versorgen können, (1) aber (.) eine gewisse Vorlaufzeit brauchen wir dann auch und (.) um bestimmte Dokumente kommt man halt nicht herum wenn also (.) nur (.) ne einfache Kopie von der Kopie von der Kopie (1) in (1) kyrillischer Schrift eingereicht wird dann (1) müssen wir auch sagen ja das (.) iss zwar (.) einleuchtend aber @wir können’s eben nich lesen@ also wir brauchen auch noch’n paar andere Dokumente dies und das und jenes und das dauert (.) //ja// 14 Tage bis das kommt das wissen wir erfahrungsgemäß und möglicherweise muss das eine oder andere noch übersetzt werden und (.) dann muss man sich da auch schon einige böse (.) Worte manchmal anhören. //mhm// (1) dass wir hier bürokratisch arbeiten würden und- […] die Personalabteilung wird dann meistens zuletzt @eingeschaltet nich und@ die sind dann auch immer nich ganz glücklich mit mit dem //mhm// weil das oftmals so Allein-
222 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS gänge sind //mhm// die aber auch verständlich sind nich also wenn ich ne (.) ne unterbesetzte Abteilung habe und dann bewerben sich zwei oder drei Kandidaten und (.) mm die scheinen ganz gut ins Team zu passen dann möchte man die auch schnell haben bevor sie jemand anders (.) abwirbt. //mhm// und ähm (1) dann wird da nich unbedingt drüber nachgedacht dass dann ja auch trotzdem gewisse Formalitäten einzuhalten sind. (1) abgesehen davon (.) haben wir ja auch schon die eine oder andere Totalfälschung (1) entdeckt und ähm das wäre dann unglücklich @gewesen@ //mhm// und da muss man sagen, ein bisschen (.) Bürokratie muss auch sein […] (ÄRZ (David) 1-04: 643 ff.).
Wie sich in diesem Ausschnitt zeigt, hat sie Zweifel daran, dass mit dem Freimachen des Weges in das Arbeitsverhältnis ausschließlich wünschenswerte Effekte verbunden sind. Zum einen wird befürchtet, dass die Qualität der auf Basis der von ihnen anerkannten Qualifikation geleisteten Arbeit leiden könnte und die Patientinnen einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden. Mitunter könnte es sich bei den eingereichten Unterlagen ja auch um „Totalfälschungen“ handeln. In dem Argument zeigt sich das implizite Wissen darum, dass auch Klinikleitungen kein Interesse daran haben, Ärztinnen zu beschäftigen, für deren Qualität sie bzw. ihre Behörde nicht einstehen kann. Wie auch im Ausschnitt oben, ist sie in ihrer Argumentation an Verständnis und Vermittlung orientiert. Darin zeigt sich für mich die dieser Position inhärente Notwendigkeit des Ausbalancierens zwischen den beiden Polen des Spannungsfelds, den liberalen und protektionistischen Marktinteressen. Die Verantwortung für den „Patientenschutz“ ist auch im Fall der Pflegekräfte das typische Argument, das gegen die Anerkennung von Qualifikationen als gleichwertig spricht. Das zeigt sich in dem folgenden Ausschnitt aus dem Interview mit Frau Runge, in dem sie mit protektionistischen Argumenten legitimiert, dass es in den Pflegeberufen durch die neue Gesetzgebung, das sogenannte »Anerkennungsgesetz«, keine Erleichterungen gegeben hat. FRAU RUNGE: […] dieses (.) Gesetz muss man aber auch sehen, (.) ähm is ja nicht für unseren Bereich. für die Pflegeberufe. //mhm// sondern das is für alle möglichen Berufe auch für handwerkliche //mhm// (2) da mag es auch anders sein da mag es wirklich dolle Erleichterungen gegeben haben. //mhm// (.) aber bei uns wird ja ganz groß- über- die Überschrift heißt nun mal Patientenschutz und deshalb äh sind auch nur ganz wenige Regelungen- also das Gesetz hat eigentlich nur (.) für unsere Berufe einige Paragraphen neu geregelt //mhm// eben andere Möglichkeiten geschaffen zum Beispiel diese Anpassungsmaßnahmen die es vorher gab. //mhm// (.) aber immer noch mit dieser Prüfung dahinter und damit ähm (1) die Erleichterungen die man sich wünscht von Seiten der Antragsteller die sind glaub ich nich da drinne. (PFLE (Runge) 1-03: 784 ff.)
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Der Begriff Patientenschutz legitimiert ein präventives Misstrauen in andernorts erworbene Qualifikationen und ihre Inhaber, das verhindert, mehr anzuerkennen, als aufgrund der EU-Richtlinie notwendig ist. Es wird höchstens Hilfestellung bei der Herstellung von »Gleichwertigkeit« durch deutsche Bildungsträger gewährleistet. Der Verweis auf den „Patientenschutz“ ist häufig auch mit der Problematisierung von nicht ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen verknüpft. Darin zeigt sich die implizite Orientierung der Institutionen an (ausschließlich) einsprachigdeutschsprachigen Patientinnen (vgl. 5.2.5.2). Es wird von mehreren Interviewten infrage gestellt, dass die Anerkennung und Beschäftigung von Auslandsqualifizierten unumgänglich ist. Für den Mangel an Arbeitskräften, den »Pflegenotstand«, seien vor allem schlechte Arbeitsbedingungen in bestimmten Häusern bzw. strukturell schwachen Regionen verantwortlich. FRAU RUNGE: […] ich hab mir auch sagen lassen dass das [der Pflegenotstand, I.S.] (.) relativ iss. //mhm// weil es teilweise einfach so iss ähm mmm dass die Sachen ein bisschen hausgemacht sind mit den Pflegenotständen oder es einfach so iss, ähm dass es ein bisschen auch damit zu tun hat, wie die einzelnen Krankenhäuser Altenpflegeheime mit ihrem Personal (.) umgehen. //mhm// es gibt halt welche die sind immer gut bestückt die ham gute Arbeitsbedingungen und es gibt halt viele ähm da läuft das wohl nicht so gut und entsprechend kriegen die auch kein Personal und versuchen das anderweiter zu decken. //mhm// das soll der Hintergrund sein ob das so iss (.) //mhm// weiß ich nich ich bin da ja nicht nicht in den Häusern drinne […] (PFLE (Runge) 1-3: 60 ff.).
Auch wenn sie ihre Aussage relativiert, scheint Frau Runge die hohe Nachfrage nach Pflegekräften mit ausländischen Qualifikationen darin begründet zu sehen, dass sie zu schlechten Bedingungen arbeiten sollen. Sie führt nach diesem Abschnitt aus, dass inländisch ausgebildete Pflegekräfte wegen schlechter Bedingungen wegwandern, weil sie andernorts bessere Chancen hätten. Neue »ausländisch« Qualifizierte sollen jene Lücken füllen, die dadurch aufgerissen werden, dass alte und heimisch Ausgebildete in Institutionen, Gegenden und Länder (weiter-) ziehen, die ihnen bessere Bedingungen bieten. Frau Runge beschreibt auch, dass sie vielfach mit Vertreterinnen von Altenpflegeheimen direkt Kontakt hätte. Wenn sie ihre gesetzlich festgeschriebene Fachquote nicht erfüllen könnten, würden sie sich auch unter den als ungelernt Beschäftigten umsehen nach jenen, die eine KrankenpflegeAusbildung im Ausland absolviert haben und die Anerkennung beantragen.6
6
Ähnlich positioniert sich Frau Vogel. Sie zitiert die Statistiken zur Ausbildung von Kranken- und Altenpflegerinnen in ihrem Bundesland unter Verweis darauf, dass im Grunde genug Pflegekräfte ausgebildet würden (PFLE (Vogel) 4-25: 72-89). In ihrem Landesprüfungsamt könne man nicht nachvollziehen, das von »Pflegenotstand« gesprochen würde.
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Herr Meyer thematisiert explizit, dass die Auslandsqualifizierten, die er approbiert hat, nicht selten bald darauf das Bundesland wieder verlassen und es nur ein „Durchgangsland“ für sie ist. HERR MEYER: […] Und dann verlassen sehr sehr viele [Bundesland] wieder. //mhm// (
) [Bundesland] iss ein Durchgangsland also da brauchen wir uns nichts vormachen im-
mer schon (.) ne sowohl für die Leute die EU- aus der EU hierher kommen die kommen hierher lassen sich einarbeiten, verbessern ihre Deutschkenntnisse kriegen die Approbation und wandern wieder weiter. (ÄRZ (Meyer) 4-24: 228 ff.)
Die starken liberalen Feldkräfte im Bereich der Gesundheitsberufe führen dazu, dass den Interviewten ihre Arbeit als ein »Fass ohne Boden« erscheint. Im Interview mit Frau David wurde diese Metapher explizit genannt. Sie ernennen immer wieder neue Menschen zu Qualifizierten, die dann aber nicht bleiben, sondern nach besseren Standortbedingungen streben. Dadurch entstehen Sinnfragen, die Herr Meyer hier andeutet mit „da brauchen wir uns nichts vormachen“. Es wird deutlich, dass er es gern vermeiden würde, durch das permanente Nachliefern von Qualifizierten, die zu den jeweils geltenden Preisen arbeiten, ein Erfüllungsgehilfe der Aufrechterhaltung von ungleichen Arbeits- und Lebensbedingungen zu sein. Er kommt jedoch nicht gegen die liberalen Kräfte an. Die Bearbeiterinnen berichten im Bereich von Pflege und Medizin alle von ihrem Kontakt zu Institutionen, die Vermittlungsagenturen oder auch Headhunter genannt werden, von denen sie mitunter „bombardiert“ werden. Sie versuchen Gewinne zu erzielen, indem sie Pflegekräfte aus dem Ausland gegen eine Provision nach Deutschland zu holen, in dem Versprechen, dass sie den bürokratischen Aufwand der Anerkennung der Qualifikation sowie die Vermittlung eines Arbeitsplatzes übernehmen. FRAU ANTON: […] und wir auch immer mehr die Erfahrung machen, (1) ähm (2) dass äh wir immer mehr auch mit ähm (.) ja sogenannten Headhuntern zu tun haben, //mhm// (.) und ähm das teilweise auch nich mehr so (.) so nett abläuft. //mhm// (.) weil das Problem iss, haben Sie jetzt ja selber gemerkt dass iss ein ganz komplexes Thema //mhm// und das iss ähm (.) es geht hier manchmal auch um Nuancen //mhm// also so das iss- ne? und man kann auchdas (.) f-für keinen- (.) deswegen sind es ja auch alles Einzelfallentscheidungen, //mhm// und ähm (1) wir ja teilweise mit den Headhuntern ähm (.) am Diskutieren sind, (.) und die uns dann quasi erzählen wollen, (.) wie das zu sehen iss, //mhm// was die Antragsteller hier vorlegen müssen und was nich, //mhm// weil wir- wenn wir dann sagen wir brauchen aber das und
Das Problem sei nicht der Mangel, sondern dass die Pflegekräfte aufgrund einer besonders schlechten Organisation und Vergütung der Arbeit abwandern.
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das //mhm// (.) dann kommen die und sagen ja aber im Gesetz steht doch das und das und das muss doch ausreichen […] (PFLE (Anton) 2-05: 887 ff.).
Zu den liberalen Kräften, die die Bearbeiterinnen unter Druck setzen und die Gesetzeskonformität ihres Handeln infrage stellen, zählen damit auch Unternehmerinnen, die in den transnationalen Ungleichheitsstrukturen ihr Geschäftsmodell erkannt haben. Ähnlich wie Frau David es von den Antragstellerinnen und den Klinken erzählt hat, drängen auch diese Zwischenhändler in ihrem Interesse auf eine möglichst unbürokratische Handhabung des Bewertungsverfahrens. Wenn ihnen die Anerkennung der Qualifikation nicht gelingt, gelingt auch die Arbeitsvermittlung nicht und ihre Provision bleibt aus. Falls es gelingt, immer wieder Nachschub zu liefern, müssen die Arbeitgeberinnen langfristig keine höheren Preise für Personal zahlen und die Qualifikationen verlieren an Wert. Die Headhunter erhalten ihre Provision von den Antragstellerinnen, für die sich dies womöglich dennoch als eine finanzielle Verbesserung ihrer Situation darstellt. Auch wenn die Frage der Verwertung einer anerkannten Qualifikation nicht mehr Thema dieser Arbeit ist, sei damit darauf verwiesen, dass die berufsrechtliche Gleichstellung, der Akt der Ernennung, nicht zwangsläufig eine Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt (im Sinne von gleichrangiger Beschäftigung und Bezahlung) bedeutet. Die Durchsetzung liberaler Feldkräfte und damit die Ausweitung der Kreise des Vertrauens in die Qualifikationen anderer Staaten, führt nicht automatisch in jedem Fall dazu, dass die Anerkannten dadurch auch dieselben Chancen wie »inländisch« Qualifizierte haben und ihnen auch im materiellen Sinne gleichgestellt sind. 5.1.2.2 Verhandlungszone Die Verhandlungszone ist jene Zone, in der liberale und protektionistische Marktinteressen miteinander um die Bewertung einer ausländischen Qualifikation ringen: Soll der Weg freigegeben werden oder soll er versperrt bleiben? Alle Interviewten sind in ihrem Handeln als von den beiden extremen Polen, Liberalismus und Protektionismus, belagert vorzustellen. Kompromisslösungen, wie die Bewertung »teilweise gleichwertig« oder auch die Möglichkeit des Ausgleichs von festgestellten »wesentlichen Unterschieden«, z. B. durch Lehrgänge und Prüfungen, interpretiere ich als Bewertungsstrategien, um diese beiden gegensätzlichen Marktinteressen zu versöhnen. Ich werde dies am Beispiel des Handwerks zeigen. Wenn die Kämpfe zwischen liberalen und protektionistischen Marktinteressen nicht bereits auf übergeordneten Ebenen im Zusammenhang mit internationalen Verträgen ausgetragen wurden und zu einem relativen Stillstand gekommen sind, findet die Verhandlung weitestgehend in der Interaktion zwischen Bewertenden und Bewerteten in den »Anerkennungsstellen« statt. Dafür ist das Handwerk ein gutes Bei-
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spiel, weil die gesetzliche Einführung derartiger Bewertungsverfahren noch relativ neu ist (vgl. 4.4.3). Ich beginne mit einem Interview-Auszug von Frau Landmann, die viele Jahre Erfahrung mit sogenannten freiwilligen »Gleichwertigkeitsprüfungen« im Handwerk hat. Es zeigt sich in der folgenden Aussage, dass sie sich in der Verantwortung für die Abwägung der Interessen und letztlich das Bewertungsergebnis sieht. Sie formuliert die Anforderungen an diejenigen, die eine Bewertungsarbeit wie die ihre machen müssen, wie folgt: FRAU LANDMANN: […] Also man darf nicht nur aus Angst was verkehrt zu machen, nicht einem etwas verwehren, aber wenn man was tut, dann muss man das auch so tun dass man (.) //mhm// also dass (.) dass man sich abends noch im Spiegel angucken kann. (HAND (Landmann) 1-02: 744 ff.)
Das zeigt die Abhängigkeit der Bewertungen von den Selbstreflexionen der im Spannungsfeld von Geben und Verwehren, von Liberalismus und Protektionismus, stehenden Bewertenden. Sie müssen ihre bewertenden Entscheidungen unter Kontrolle haben, dürfen sich weder von Ängsten (protektionistischen Feldkräften) noch von unreflektierter Offenheit (liberalen Feldkräften) überwältigen lassen. Die Bewertungspraxis besteht in einem Abwägen und Ausbalancieren der Interessen und dies aber vor allem „im Spiegel“, also im Aushandeln mit sich selbst. Im weiteren Interviewverlauf beschreibt sie, dass es darum ginge, den Antragstellerinnen gerecht zu werden, aber auch das etablierte Vertrauen von Betrieben und Verbraucherinnen in die Aussagen der Handwerkskammer nicht verspielen zu dürfen. Man müsse sich bewusst sein, was alles passieren könne, welche Gefahren für Leib und Leben bestehen, welche unvorhergesehenen Kosten entstehen können, wenn jemandem irrtümlicherweise eine Aufgabe anvertraut wird, die er oder sie nicht beherrscht. Deswegen nähme sie am liebsten Ausbilder und Betriebsleiter mit in die Pflicht, die nach einer Überprüfung der Kompetenzen in einem Fachgespräch oder einem Praktikum mit ihrer Unterschrift für ein mit dem deutschen Gesellenniveau »gleichwertiges« Niveau einer Ausbildung mitbürgen. Die Praxis der Aufteilung von Verantwortung auf mehrere Schultern, hat sie aus eigenem Antrieb etabliert und über mehrere Jahre institutionalisiert. Ich werde die damit verbundene Autonomie später noch als Handlungskompetenz »Transformieren« thematisieren (vgl. 5.3.5). Auch im Interview mit Frau Becker steht die Notwendigkeit, Abwägungen vorzunehmen, im Vordergrund. Sie formuliert es im Vorfeld des folgenden Interviewausschnitts als einen zweiseitigen Anspruch: „fair“ und „gerecht“ gegenüber den Antragstellerinnen sein zu wollen und „sauber“ arbeiten und für Qualität bürgen wollen. Im Folgenden wird sehr deutlich, dass sie die Lösung im Hinblick auf diese Konflikte darin sieht, denen, die einen »teilweise gleichwertigen« Bescheid erhal-
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ten, mit mehr Ressourceneinsatz dabei zu helfen, die »volle Gleichwertigkeit« über eine Qualifizierung herzustellen. FRAU BECKER: […] ich würde mir wünschen wenn es wenn es äh möglich iss dies im Gesetz zu verankern diese diese Pflicht auch zur Beratung […] ähm dass dass es da einfach auch Mittel gibt die dafür eingestellt werden //mhm// (.) so das wär schon besser //mhm// (3) weil wir schon auch denken wir haben ne sehr gute Quote derer die ne teilweise Gleichwertigkeit ((holt Luft)) bekommen, die auch in Qualifizierung gehen //mhm// das sind immer nur Einzelsachen das iss (.) letzten Endes iss das in der Summe alles nich so teuer aber man kann den den einzelnen Menschen da in ihrem Integrationsprozess ähm wirklich auch sehr gut helfen ich bin sehr gespannt, wie wir Ende des Jahres dastehen und und im Verlauf des nächsten Jahres, wie viel Menschen die vorher beschäftigungslos waren oder in der Gebäudereinigung gearbeitet haben oder als Küchenhelfer, (.) im Lager irgendwas gemacht haben dann hinterher jetzt doch ähm Kühltechniker sind und ich weiß nich was. //mhm// und auch als solche arbeiten. (.) es werden keine (.) Abertausende sein, (.) ((schnalzt)) aber das wird ähm (.) sehr viele Kosten durch Leistungsbezug reduzieren davon bin ich total überzeugt. (.) ja (.) und da würde ich mir wünschen dass (.) ähm dieses Gesetz äh sollte kostenneutral umgesetzt werden und das iss Schwachsinn iss einfach Schwachsinn weil wenn man’s macht dann muss man’s auch richtig machen. //mhm// (.) was hat jemand von einem teilweise gleichwertigen Bescheid (.) //mhm// genau gar nichts […] (HAND (Becker) 02-10: 673 ff.).
Es zeigt sich hier die Argumentation des liberalen Geistes, der gern helfen will, Barrieren abzubauen, weiterzuqualifizieren, in Arbeit zu bringen und „Leistungsbezug“ zu reduzieren. Der protektionistische Geist zeigt sich nicht in der expliziten Argumentation, sondern in der damit verbundenen impliziten Selbstverständlichkeit. Sie ist vor allem daran orientiert, weitere Qualifizierung zu ermöglichen. Die Selbstverständlichkeit besteht darin, dass es einer Hilfestellung bedarf. Sie geht davon aus, dass die Antragstellerinnen noch nicht fertig qualifiziert sind und sie noch mehr Unterstützung bei der Weiterbildung brauchen. Sie führt in ihrer gerade am Ende des Ausschnitts sehr spitz werdenden Argumentation („das ist Schwachsinn“) einen symbolischen Kampf darum, sich auch nach der Bewertung der Qualifikationen mit „teilweise gleichwertig“ weiter um die Begleitung der Arbeitsmarktintegration kümmern zu dürfen. Dass die „teilweise gleichwertigen Bescheide“ auch „gleichwertig“ sein könnten, also ihre eigene Bewertung, steht für sie nicht infrage. Es wird deutlich, dass sich die Auseinandersetzung auf das individuelle »Ausgleichen« von unvermeidlich bestehenden Unterschieden konzentriert. Dieses Suchen nach einem Kompromiss in der Fortsetzung von Qualifizierung interpretiere ich als typischen Ausdruck für das Aufeinanderprallen von ähnlich starken protektionistischen und liberalen Marktinteressen. Die in diesen Interviews (wie auch allgemein) nicht häufig explizierten, aber neben den liberalen ebenfalls starken protektionistischen Feldkräfte zeigen sich ge-
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rade in der weitestgehend unhinterfragten Annahme, dass der Bewertungsmaßstab, die deutsche Qualifikation, ein sehr hohes Gut ist. 5.1.2.3 Protektionismus Die protektionistischen Feldkräfte betrachte ich im Fall von Architektinnen und Lehrerinnen als besonders stark ausgeprägt. Deswegen werde ich den Protektionismus als zentralen Pol in dem Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen anhand von Interviews mit Bewertenden dieser beiden Berufsgruppen beschreiben. Architektinnen und Lehrerinnen gehören im Gegensatz zu Ärztinnen, Pflegekräften und Handwerkerinnen zu den Berufen, die durch Gesetze der 16 Länder geregelt sind, in deren »Kulturhoheit« sie fallen. Dass der Protektionismus hier sehr stark ist, mitunter stärker als der Liberalismus, zeigt sich darin, dass die Interviewten sich explizit und argumentativ für eine Öffnung des Markts einsetzen (und damit mitunter auf liberale Argumente rekurrieren). Es dokumentiert sich darin der Protektionismus als die erlebte Norm. Anders als die Interviewten im Abschnitt »Liberalismus« zeigt sich die Gewohnheit der Rechtfertigung, warum sie anerkennen. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich als erstes das Interview mit Frau Peters heranziehen, die in der Lehrer-Bewertung tätig ist. Aus ihrer Argumentation spricht das implizite Wissen, in ihrem institutionellen Kontext jemand zu sein, der Wege frei macht – anders als das erwähnte Beispiel Frau David in der Ärzte-Anerkennung, die sich als jemand wahrnimmt, der Wege versperrt und sich für die Bürokratie rechtfertigen muss. Frau Peters spricht im Vorfeld des folgenden Ausschnitts vor allem von initiierten Fortschritten, wie der Öffnung des Bewertungsverfahrens für Menschen mit Lehramts-Qualifikationen aus allen Ländern der Welt, die Einführung der Lehrerinnen-Anerkennung mit einem Unterrichtsfach (statt wie lange üblich an die Bedingung von zwei studierten Unterrichtsfächern geknüpft) sowie die Einführung individueller Anpassungsmaßnahmen, um trotz festgestellter wesentlicher Unterschiede noch eine deutsche Lehrerin werden zu können. Es folgt an dieser Stelle eine engagierte liberale Argumentation, warum die Öffnung gegenüber „Ausländer[n]“ notwendig ist: FRAU PETERS: […] dieser Wechsel zu- diese Öffnung mit wir wir wollen die Ausländer haben, //mhm// äh was ja auch eine Haltungsfrage is, äh der is also praktisch im- in den letzten zwei Jahren so vollzogen worden und (.) äh der führt zu einer intensiveren Prüfung, äh aber auch zu einem sehr viel höheren Zeitaufwand. //mhm// (1) und ob das dann wirklich- also das is für die einzelnen Menschen sehr wichtig dass wir das machen, äh es is für unser Schulsystem wichtig weil wir gerne Menschen mit Migrationshintergrund einstellen wollen, äh: aber wie viele von denen nun wirklich hinterher irgendwann mal eingestellt werden das
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äh würde ich noch mal in Fragezeichen setzen, //mhm// weil viele eben Fächer haben die hier nich gebraucht werden. //mhm// (.) ne, also es bleibt die persönliche Anerkennung, (.) das’ der wichtigste Punkt, äh und in in einigen Fällen eben auch ne berufliche Eingliederung, aber es wird bei einigen anderen dazu führen dass sie eine Bescheinigung haben die ihnen andere pädagogische Felder eröffnet. //mhm// wir haben jetzt die ersten gehabt die haben Kindertagesstätten eröffnet, //mhm// weil sie nun bestätigt gekriegt haben sie haben eine abgeschlossene pädagogische Ausbildung und damit haben sie sich jetzt ins Unternehmer- Unternehmertum gestürzt. //mhm// (.) und das können die- das konnten sie vorher nich ne, (.) die die konnten vorher die ganzen Jahre solche Tätigkeiten nich ausüben //mhm// (.) das muss man sich auch mal vorstellen. //mhm// ja, dass man also (.) dass Sie mit ihrem Hochschulabschluss in ein anderes Land gehen und da sagt man nu fahr mal Taxe //mhm// (.) das würde Ihnen womöglich nich gefallen und das gefällt denen natürlich auch nich, //ja// nich und die haben dazu sehr gelitten, dass man sie nich in ihrer Wertigkeit gesehen hat. //mhm// (2) insofern is das auch ein eine Tätigkeit hier die äh (.) auch menschliche Rührung und Freude bringt, //mhm// weil die dann wirklich also sagen end- endlich bin ich (.) endlich bin ich wieder wer. //mhm// ne, und und schon dafür eigentlich lohnt es sich. INTERVIEWERIN: Mhm (.) ja verständlich ja (.) ja FRAU PETERS: Ne also der Ansatzpunkt wir brauchen die für den deutschen (.) Fachkräftemarkt (.) is bei den Lehrern nich so entscheidend nach meiner Einschätzung, nach dem was ich sehe was da kommt also (.) äh gym- gymnasiales Lehramt mit Deutsch Philosophie oder Deutsch Geschichte, das brauchen wir nich das haben wir selbst in Massen. //mhm// (.) ja, also was wir brauchen is der eine oder der andere mit Mathe Informatik Mathe Physik, aber das is deutlich die Minderzahl. //mhm// (2) es werden jetzt demnächst sicherlich viele Spanier kommen die dann also mit äh (.) Muttersprachenspanisch auch ne Chance haben hier zu arbeiten, //mhm// […] aber äh ansonsten das das da nun von uns ein (.) äh (.) äh es is’n bisschen Wortgetöse wenn man sagt wir brauchen sie auch für den deutschen Fachkräftemarkt. //mhm// das is bei den Lehrkräften eigentlich nich so […] (LEHR (Peters) 1-14: 721 ff.).
Frau Peters unterscheidet in ihrer liberalen Begründung für die Anerkennung der Qualifikationen zwischen denen, die Fächer haben, die gebraucht werden und die nachher auch eine Chance haben, im Schuldienst zu arbeiten und denen, die Fächer studiert haben, die „wir selbst in Massen [haben]“. Sie argumentiert explizit, dass es unabhängig von dieser Frage des Mangels und des Gebrauchtwerdens wichtig sei, die Menschen als Lehrerinnen anzuerkennen. Es sei ein „bisschen Wortgetöse“, wenn die Anerkennung mit dem Gebrauchtwerden auf dem „deutschen Fachkräftemarkt“ begründet würde. Aus ihren Erfahrungen spricht die Einsicht einer anderen, weitergehenden Notwendigkeit. Sie ergänzt die gängige Argumentation liberaler Kräfte – die des Mangels – um eine im weiteren Sinne liberale Argumentation: die Geschichte des autonomen Individuums, das sich mit einer anerkannten Quali-
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fikation auf dem Markt frei bewegt und sich nach eigenem Kalkül einen passenden freien Platz im ökonomischen Feld sucht. Die „persönliche Anerkennung“ des Bildungstitels, damit dann sagen zu können „endlich bin ich wieder wer“, ist somit auch eine Eintrittskarte in andere pädagogische Felder. Sie berichtet von Fällen, die sich damit „ins Unternehmertum stürzen“ und „Kindertagesstätten eröffnen“. Wie sich auch in ihrem Verweis darauf, welche Fächer „wir selbst in Massen [haben]“ äußert, stehen die Betreffenden offenbar in Bezug auf den Eintritt in den Schuldienst trotz der Anerkennung gegenüber den inländisch Ausgebildeten hinten an. Es zeigt sich das implizite Wissen darum, dass auf den Schuldienst nur diejenigen Chancen haben, die »Mangelfächer« haben. Obwohl man – wie sie auch sagt – gern mehr »Lehrerinnen mit Migrationshintergrund« einstellen möchte, liegt es offenbar sehr fern, dies für Unterrichtsfächer wie „Deutsch“, „Philosophie“ und „Geschichte“ anzustreben. Mit der Anerkennung der Qualifikation wird die Autonomie des Individuums in seinen Bewegungsmöglichkeiten gestärkt, wobei es in Bezug auf die Einstellungschancen in den Schuldienst keine allgemeine Gleichstellung mit Inlandsqualifizierten bedeutet. Die freien Plätze auf dem Markt finden Auslandsqualifizierte mit „Massen-Fächern“ demzufolge am ehesten in den Bereichen, die, wie das Eröffnen einer Kindertagesstätte eine niedrigere Qualifikation als die einer Lehrerin voraussetzen. Anders als im Fall von denjenigen, die Ärztinnen und Pflegekräfte bewerten, geht es in diesem Interview nicht darum, sich Marktteilnehmerinnen in den Weg zu stellen zu müssen und sich dafür zu rechtfertigen, sondern um die Rechtfertigung der Freigabe. Frau Peters begründet, warum sich der Einsatz grundsätzlich „lohnt“, die Antragstellerinnen zu »deutschen« Lehrerinnen zu ernennen. Darin zeigt sich die Erfahrung, dass dies nicht selbstverständlich, sondern begründungspflichtig ist. Sie sieht sich, ihre Stelle und ihr Bundesland in der Rolle von Pionieren, die gegen protektionistische Tendenzen in der Lehrer-Anerkennung angehen. Sie ist dabei in dem Zugzwang, an eine liberale Argumentation anzuknüpfen und sich in diesem Orientierungsrahmen zu verordnen. Nichtsdestotrotz wird später noch an anderen Stellen im Interview mit Frau Peters deutlich, dass die direkte Anerkennung einer ausländischen Qualifikation als gleichwertig die Ausnahme ist, auch wenn es sich um eine EUropäische Lehramtsqualifikation handelt. Dies geschieht in der Regel nur dann, wenn zusätzlich Berufserfahrung oder eine Anpassungsqualifizierung herangezogen wird, mithilfe derer dann »Gleichwertigkeit« hergestellt wird. In einem Beispiel aus einem anderen Bundesland wird deutlich, wie unwahrscheinlich die Anerkennung eines ausländischen Studiums als gleichwertig ist bzw. wie stark protektionistische Kräfte in diesem Bereich sind. In der deutschen Lehrerinnen-Ausbildung wird vor allem ein Mehr an Leistung gesehen (manifestiert in der Anzahl von zwei statt einem Unterrichtsfach als Standard). Dass an diesen Maßstab in der Bewertungspraxis kaum ein anderes Land heranreicht, zeigt sich am deutlichsten in folgendem Auszug aus dem Interview mit Frau Richter:
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FRAU RICHTER: […] wenn schon zwei studierte Fächer da sind, //mhm// und die wurden annähernd im gleichen Umfang studiert, //mhm// äh äh und äh wir gucken natürlich auch grob ob Fa- äh fachwissenschaftlich- also wir sind da jetzt nich ganz ga- ganz streng das muss man ja auch noch mal sagen weil sonst- man könnte natürlich- da muss man noch- man muss respektieren, dass diese Menschen natürlich aus einem anderen Land kommen dass auch anderean- andere Statuten hat, //mhm// wenn wir jetzt natürlich äh wenn wir jetzt natürlich äh den Lehrplan der Universität von äh äh von [A-Staat] äh neben den der der Universität von [deutsche Stadt] legen, //mhm// und da versuchen eins zu eins die äh äh die inhaltlichen Sachen zu finden oder die Themen zu finden //mhm// (.) Studienleistungen dann (.) könnte man natürlich das ganze das ganze Anerkennungsverfahren gegen Null treiben, //mhm// gegen ne Nullquote und das wollen wir natürlich nich […] (LEHR (Richter) 2-22: 235 ff.).
Es zeigt sich hier, dass sich Frau Richter mithilfe von Ausdrücken wie „grob“ und „nich ganz streng“ auch mit liberalen Argumenten gegen offenbar gewohnte protektionistische Kräfte wendet. Zu ihrem Selbstverständnis gehört, wenigstens hin und wieder auch mal einen Abschluss anerkennen zu können. Die engagierten Formulierungen eines negativen Horizonts der „Nullquote“ und „gegen Null treiben“ machen deutlich, dass sie nicht allzu weit über Null steht. Die Norm der zwei Unterrichtsfächer ist so ausschließend, dass die Identifikation von zwei Fächern die einzige Chance ist, um Anerkennungsquoten über Null zu generieren. Nach diesen zwei Beispielen aus dem Bereich der Lehrer-Anerkennung möchte ich nun auf die Architektur zu sprechen kommen. Ähnlich wie Frau Peters spricht sich Frau Sachs sehr engagiert dafür aus, warum die Anerkennung von Architektinnen aus allen Ländern der Welt notwendig ist. Mit dem Bescheid über die Gleichwertigkeit ihrer Qualifikation nähme sie den Antragstellern eine ganz große Hürde, um auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden: FRAU SACHS: […] Das [die formale und inhaltliche Gleichwertigkeit, I.S.] iss das was wir beschrei- bescheinigen. //mhm// Und das macht es einem (.) Architekten der ‘n Büro hat, und ähm vielleicht sympathisch iss und wo wo man denkt ja den könnte ich einstellen aber der hat- legt mir jetzt ‘n F- Zeugnis vor auf Spanisch aus Mexiko oder auf Kyrillisch ähm Usbekistan oder Russland was man ja noch nich mal richtig entziffern kann oder was haben wir alles Indonesisch also ganz //mhm// spra- also Schriftbilder die man schon gar nich zuordnen kann oder Sprachen die man nich versteht ähm das iss natürlich für jemanden der ‘n Bewerber beurteilen muss ganz schwer, //mhm// da Vertrauen zu haben, wenn dann aber das Zertifikat von der jeweiligen Kammerstelle dabei liegt es iss gleichwertig […] dann iss es natürlich mm da iss dann ne ganz große Hürde genommen. //mhm// (.) Und das iss das was die Antragsteller hier wollen […] (ARCH (Sachs) 3-18: 59 ff.).
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Auch in ihrer Argumentation wird deutlich, dass sie sich als jemanden erlebt, der Wege frei macht und Hürden abbaut. Ihr bürokratischer Akt ist eine Hilfestellung, kein Hemmnis. Im Gegensatz zu bspw. Frau David, die sich für die Bürokratie gegenüber Antragstellern und Kliniken rechtfertigen muss (vgl. 5.1.2.1), spricht aus den Worten von Frau Sachs auch das Erleben von Dankbarkeit von Seiten der Antragsteller und der Architekturbüros. Das zeigt, dass sowohl die Versperrtheit dieser Wege als auch die Begründungspflicht für das aktive Freimachen zu ihrer Normalität gehören. Sie sieht sich in der Rolle, das Vertrauen herzustellen, das insbesondere aufgrund von Sprachbarrieren auf dem Markt nicht selbstverständlich ist. Ihr Beitrag ist es, dem ausländischen Zertifikat eine deutsche Sprache und deutsche Institution, sozusagen als Bürgin, zu geben. Unklar bleibt an dieser Stelle, woher ihr inkorporiertes Vertrauen rührt.7 Anders als im Fall von Pflegekräften und Ärztinnen, wird deutlich, dass die Anerkennung als »gleichwertig« nicht unmittelbar in ein Arbeitsverhältnis mündet. Es erleichtert vor allem das Werben um ein Arbeitsverhältnis. Sie baut nicht alle Hürden, sondern nur eine „ganz große Hürde“ ab, weil sie den Antragstellern nicht die Stellensuche, die Überzeugung eines Arbeitgebers abnehmen kann. Hinter ihrer Argumentation steht damit ebenfalls die liberale Idee eines freien Markts, auf dem sich die Antragstellerinnen möglichst ohne Unterschied zu Inlandsqualifizierten bewegen können. Bei der Überprüfung der Gleichwertigkeit kommt Frau Sachs in der Regel zu dem Ergebnis, dass ein ausländischer Architekturstudiengang inhaltlich »gleichwertig« mit einem deutschen Studium ist. Später im Interview geht sie darauf ein, warum das so ist und argumentiert wiederum auf Basis ihrer Erfahrung mit liberalen Argumenten gegen starke protektionistische Kräfte, die deutsche Standards in Gefahr sehen. FRAU SACHS: […] Wir denken immer wir sind irgendwie so führend, das äh äh also (.) sind wir bestimmt, @in vielen Gebieten@ aber was äh so die Ansprüche an ein Studium angeht äh da müssen in anderen Ländern andere (.) ähm Studierende viel mehr leisten. Ich denk also jetzt zum Beispiel wer in Russland studieren kann der iss auch privilegiert und der nutzt das auch. Da hat man halt nich die leichten flachen (.) ähm Eingangsvoraussetzungen für’n Hochschulstudium wie man’s hier hat, //mhm// dass einem wirklich der Weg bereitet wird ne, […] wenn man ein bisschen pfiffig iss kommt man auch auf’s Gymnasium und hat sein hat sein Abitur und kommt dann auch je nach Talent auf die auf die äh entsprechende Hochschule und das iss einfach also der Weg iss bei uns doch schon viel mehr geebnet als er in anderen Ländern iss wo (.) ähm es wirklich ‘n Privileg iss äh ‘n Hochschulstudium zu starten. //mhm// (.)
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Ihre Argumentation ist im Kontext der Institutionalisierung des Architekturberufs zu lesen. Die Berufsausübung selbst, z. B. als Angestellter, ist nicht reglementiert, lediglich der Titel „Architekt“ (vgl. 4.4.2).
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So erklär ich mir das auch und wer dieses Privileg bekommt der macht es auch richtig und gut. //mhm// Und wer dann schon den Schritt (.) geht zu sagen ich verlasse meine Heimat meine Familie oder wie auch immer mein festes Gefüge, sicherlich auch oft wirtschaft- aus wirtschaftlicher Not also wer dann wirklich nach Deutschland kommt, in erstmal ‘n fremdes Land mit ner seltsamen Sprache, der iss gut der war auch in seinem Studium schon gut. //mhm// Ich glaub so die richtigen Hänger die kommen hier gar nich bei uns an […] (ARCH (Sachs) 3-18: 639 ff.).
Es zeigt sich, dass das Argument, es mit (weltweiten) Bildungseliten zu tun zu haben, dafür gemacht ist, protektionistischen Kräften den Boden unter den Füßen zu entziehen. Eine Öffnung schadet danach nicht, sondern sei im Ergebnis nützlich. Das läge daran, dass strukturierte Ungleichheiten in Bezug auf Bildungserwerb und Migration dafür sorgen, dass nur die besten Architektinnen auf dem deutschen Markt ankommen. Die Anerkennung helfe den Antragstellerinnen bei der Arbeitsplatzsuche, sie belebe das Geschäft und stärke „unseren“ Standort lautet die hier vermittelte Argumentation. Im Gegensatz zu Frau Sachs befürchtet Herr Kuhn, der ebenfalls in der Architekten-Anerkennung tätig ist, einen Qualitäts- und Kontrollverlust über den Architekturmarkt durch das Erstarken liberaler Kräfte. In dem folgenden Ausschnitt wird deutlich, dass die liberalen Kräfte, von denen er sich und seine Berufsgruppe unter Druck gesetzt sieht, nicht von Seiten des Arbeitsmarkts, der Arbeitgeberinnen oder Arbeitnehmerinnen, sondern vor allem von der Politik ausgehen. Er argumentiert protektionistisch, weil er befürchtet, ungeprüft alle Architektinnen anzuerkennen (»Pauschalanerkennung«) und mit anderen Berufsgruppen, deren pauschale Anerkennung er ggf. noch nachvollziehen könne, wie z. B. Pflegekräfte, gleichzusetzen. Es zeigt sich darin ein typisches Muster der Abgrenzung zu anderen Berufs- bzw. Qualifikationsgruppen, deren »Anerkennung« vielleicht noch nachvollziehbar sei, während dies im Fall der eigenen Qualifikation unvorstellbar ist.8 HERR KUHN: […] das [BQFG, I.S.] hat für mich was unglaublich Abstraktes ähm //mhm// und es (.) ähm (.) also es es steckt ne ne gute Absicht dahinter, die wahrscheinlich in den in den Mangelberufen, ähm (.) teilweise auch Sinn hat also wenn’s jetzt drum geht also Pflege-
8
Im Fall der Pflegeberufe hat Frau Runge zum Beispiel ähnlich argumentierend darauf verwiesen, dass die Anerkennung im Handwerk noch vorstellbar sei, aber in der Pflege der Patientenschutz über allem stünde. Die Interviewten im Handwerk (z. B. Frau Landmann, Frau Becker) argumentieren allerdings auch mit Gefahren für Leib und Leben in vielen Handwerksberufen und rechtfertigen damit die Nicht-Anerkennung. In keiner der mir bekannten Institutionen ist das, was sich Herr Kuhn unter „Pauschalanerkennung“ vorstellt, gängige Praxis.
234 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS kräfte beispielsweise eben auch schnell und geräuschlos hier äh in den Beruf zu bringen weil wir sie benötigen, (.) ähm da kann man immer noch die Frage stellen is das eigentlich richtig äh die jetzt womöglich auch äh ohne allzu intensive Prüfung und zu geräuschlos in den Beruf zu bringen man wird sich vielleicht in in fünfzehn Jahren auch wundern wer dann da alles rein geraten is in den (.) äh in den Beruf und wenn vielleicht sich ne ne äh ff- der Fachkräftemangel irgendwann auch mal wieder anders darstellt dann (.) sollte man vielleicht auch sagen um Himmels Willen ähm wer is damals alles in in (.) in den Beruf rein geraten (.) und äh da sind hier bei uns eben bestimmte Ängste mit verbunden gewesen dass mit diesem Gesetz so’ne Pauschalanerkennung läuft für alle möglichen Leute, dann eben auch noch mit ner mit ner Fristenregelung wer nach drei Monaten keinen Bescheid hat der is sowieso schon mal drin, //mhm// (.) ähm und gleichzeitig propagieren wir hier auf europäischer und deutscher Ebene, äh oder geht’s uns wirklich drum Standards zu halten, ähm (.) gar nich mal höchste Standards aber doch Standards zu halten auch schon gegen diese Bachelorabschlüsse, äh ham wir seit Jahren da jetzt ‘n Kampf geführt und so halbwegs unseren Weg gefunden und dann kommt mit einemmal so eine eine Pauschaler- -anerkennungsgeschichte hintenrum […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 412 ff.).
Es zeigt sich in diesem Abschnitt, dass Herr Kuhn sich mit protektionistischen Argumenten gegen den von ihm als sehr stark erlebten liberalen Druck wehrt. Für ihn besteht im Gegensatz zu Frau Peters und Frau Sachs kein unmittelbarer Sinn darin, ausländische Qualifikationen unabhängig vom ökonomischen Bedarf anzuerkennen. Seinen Auftrag bzw. den Auftrag seiner Kammer sieht er darin, die geltenden Standards in der Architektur („auf europäischer und deutscher Ebene“) zu bewahren und sieht diesen vor allem durch politische Ambitionen der Vereinheitlichung bedroht. In dem folgenden Abschnitt reflektiert er, dass diese Sichtweise damit zusammenhänge, dass es im Bereich der Architektur keinen „Fachkräftemangel“, sondern im Gegenteil einen „Wahnsinnsüberschuss“ gäbe. HERR KUHN: […] wir haben definitiv keinen Fachkräftemangel sondern haben nach wie vor nen Wahnsinnsüberschuss an (.) äh äh an //mhm// ja Absolventen, und überhaupt an an Architekten auch am Markt, also es hat sich ‘n bisschen stabilisiert in den letzten Jahren zum Glück aber eigentlich haben wir seit Jahren wirklich nen geradezu dramatischen Arbeitsmarkt für Architekten und (.) ((holt Luft)) ähm (.) das prägt natürlich unsere Sichtweise dass wir immer sagen das kann das kann jetzt nich Sinn und Zweck äh der Übung sein dass dann nachher da irgendwelche äh Hürden fallen und mit einemmal irgendwelche Leute hier (.) ähm am Markt tätig werden, (.) und da geht’s nich nur um Selbstschutz sondern es geht dann (.) ähm auch darum dass man wirklich für Qualität am Markt sorgt also das das is ja unser Anspruch als Architektenkammer oder unser Auftrag, ähm (.) die freien Berufe dass die quasi sich selbst regulieren und ähm äh und also den f- für den Qualitäts- äh –anspruch der der jeweiligen äh (.) äh Berufsangehörigen sorgen den überwachen und überhaupt erstmal den Zugang auch soweit dann dann regeln. und das is bei bei Architekten eben schon relativ
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schwach (.) ohnehin nur ausgeprägt weil es eigentlich nur hatte ich ja erwähnt eigentlich nur um den um den Titelschutz geht, also die Berufsbezeichnung, und eben die Bauvorlageberechtigung //mhm// als als das einzige Rädchen was wir noch haben um tatsächlich auch die die Berufstätigkeit zu regulieren ansonsten, es kann sich jeder ‘n Schild an die Tür hängen und sagen ich bin Planer […] ja aber grad deswegen sehen wir das natürlich sehr kritisch wenn also dann äh jetzt dieser Anspruch kommt es muss jetzt mit einemmal jeder hier der an den- von von außen kommt, muss seinen Zugang zum zum Markt bekommen also (.) grundsätzlich wollen wir nich den Markt regu- wir wollen nich den Markt regulieren sondern wir wollen die (.) die Qualitätsfrage regulieren dass also //mhm// (.) dass da ‘n Standard gesichert is und (.) das bedeutet nun mal erstmal dass man Hürden aufbaut und äh //mhm// die dann aber auch hält ne […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 853 ff.).
Der Gedanke an den Zugang von ausländischen Qualifikationsinhaberinnen zum Kollektiv der deutschen Architektinnen ist für ihn mit einer Gefahr der Absenkung von Standards verbunden. Es wird deutlich, dass sich seine Angst vor Kontrollverlust auch darauf bezieht, dass die Architektenkammer die ohnehin schwache Regelungskompetenz („nur Titelschutz“) gänzlich verliert und damit infolge der Durchsetzung liberaler Kräfte überflüssig wird. Er entwirft Negativ-Szenarien, dass „irgendwelche Leute“ bzw. „jeder, der von außen kommt“ einen Zugang zum Markt haben, die er im Gegensatz zu Frau Sachs als bedrohlich für die Qualität der Architektur wertet. Er bezieht sich in einem anderen Teil des Interviews auf Erfahrungen, nach denen sich das immer wieder genau dann bestätigt, wenn man versucht, sich mit mehreren Ländern auf einen gemeinsamen Nenner an Ausbildungsstandards zu einigen. Während Frau Sachs die Notwendigkeit einer Hilfestellung zum Abbau von Hürden in den Vordergrund stellt, legitimiert Herr Kuhn (protektionistisch) die Errichtung und Aufrechterhaltung von Hürden im Sinne der Sicherung von Standards: „gar nich mal höchste Standards“. Ich habe dieses Beispiel abschließend aufgeführt, um zu verdeutlichen, wie komplex das Spannungsfeld vorzustellen ist. Die Einteilung in Liberalismus und Protektionismus ist darstellungsbedingt und skizzenhaft. Im Ergebnis greift sie zu kurz. Die Interviewten in einer Berufsgruppe positionieren sich mit ihren Argumenten mitunter sehr unterschiedlich. Zudem sind es offensichtlich nicht nur, wie im Fall der Ärzte und Pflegekräfte, die Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen auf Seiten der liberalen Kräfte, gegen die protektionistisch argumentiert wird. Herr Kuhn schreibt zum Beispiel vor allem der Politik eine unreflektierte Komplizenschaft mit liberalen Kräften zu, die verkenne, dass damit ein Wertverlust für diese (wie jede andere) Profession verbunden sein kann.
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5.1.3 Vom »Einheit« suchen und im »Einzelfall einsam« bleiben – die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit Die dritte Machtkonstellation nenne ich »die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit«. Ich argumentiere, dass dem Feld ein Streben nach einer kollektiven Verantwortung inhärent ist, das heißt nach möglichst einheitlichen und unangreifbaren Bewertungsregeln. Willkür ist ein allseits geteilter Gegenhorizont. In Fallkonstellationen, in denen diese »Einheit« am stärksten verwirklicht ist – im Zentrum des Felds –, kommt es am ehesten zu »Anerkennungen«. Wo hingegen die Interviewten im Einzelfall alleine darüber entscheiden müssen, ob eine Qualifikation »gleichwertig« ist oder nicht – in der Periphere des Felds – kommt es tendenziell eher zur Feststellung »wesentlicher Unterschiede« bzw. zur Nicht-Bewertung und damit auch zur Nicht-Anerkennung. Die Spirale vereinheitlicht im Machtzentrum und mündet in eine Atomisierung der Verantwortlichkeit in der Peripherie. Es wurde bereits argumentiert, dass die Fallkonstellationen im Zentrum vor allem spezifische Qualifikationen betreffen, die in spezifischen Ausbildungsstaaten (vor allem EU/EWR) erworben wurden. Die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit unterscheidet zwischen der verwirklichten Einheit, der Gewissheit, der Geregeltheit im Zentrum und der Einsamkeit, der Ungewissheit, dem Vakuum in Peripherie. Die Nicht-Anerkennung ist darin begründet, dass keine institutionelle (oder kollektive) Verantwortung für die Bewertung – und sei es für die Ablehnung – übernommen wird. Die formalen Entscheidungs- und Verantwortungsträger winden sich sozusagen spiralförmig aus der Verantwortung hinaus, je weiter die Kreise des Vertrauens verlassen werden und je unausgetragener die Konflikte im Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen sind. Sowohl die Ungewissheit als auch die Austragung der Konflikte wird damit auf die unmittelbaren direkten Interaktionen zwischen Bewertenden und Bewerteten übertragen. Die Delegation der Macht an die interviewten Mitarbeiterinnen kommt damit einer Delegation der Ohnmacht innerhalb des deutschen Staatswesens gleich. Während sie offiziell verschleiert wird, machen einige Interviewte ihre Ohnmacht auch explizit zum Thema. Die Chancen auf eine Anerkennung sind umso größer, je klarer es qua Gesetz geregelt ist, dass die spezifische Qualifikation eines spezifischen Ausbildungsstaats (namentlich) als gleichwertig anzuerkennen ist. Je eher der Staat und damit auch die Staatsoberen formal die Verantwortung für Gleichwertigkeitsaussagen übernehmen, indem die Anerkennung als Arbeitsauftrag an die Bewertenden in Form von Rechtsgrundlagen schriftlich fixiert ist, desto eher werden die Bescheide dieses Bewertungsergebnis verkünden. Wenn dagegen nur verhältnismäßig vage festgeschrieben ist, dass die »Gleichwertigkeit« der ausländischen Qualifikation geprüft werden muss, sind eine Feststellung »wesentlicher Unterschiede« bzw. das Ver-
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meiden einer Beurteilung und damit auch eine Nicht-Anerkennung wahrscheinlich. Den Grund sehe ich darin, dass ein einzelner Bediensteter nur unter besonderen Umständen die mit der Bewertung von Kompetenzen und der Ernennung zu Qualifizierten einhergehende Verantwortung tragen kann und möchte. Die Darstellung ist ähnlich gegliedert wie die ersten beiden Machtkonstellationen. Zuerst betrachte ich ihre zentrale Ausprägung, die »Einheit«, danach beschreibe ich die Verhandlungszone, in der um die kollektive Verantwortung gerungen wird und zuletzt gehe ich auf die periphere Ausprägung, die »Einsamkeit« ein. 5.1.3.1 Einheit Die Einheit bzw. das Streben nach Einheitlichkeit (zum Teil auch gleichgesetzt mit zentral getroffenen Entscheidungen) gilt als Schlüssel zur Unangreifbarkeit. Es geht dabei darum, sich nicht jeweils je Fall für die Bewertung verantwortlich fühlen zu müssen und eindeutige Anleitung zu haben statt abwägen zu müssen. Unangreifbar zu sein (oder zu werden) bedeutet vor allem auch, dass andere »Anerkennungsstellen« nicht anders entscheiden dürfen. In vielen Äußerungen der Interviewten zeigt sich das implizite Wissen, dass Unangreifbarkeit und Eindeutigkeit das angestrebte, aber vielfach unerreichte Ziel ist. Manche Interviewte gehen auch von der grundsätzlichen Unerreichbarkeit dieses Ziels aus. Besonders häufig sind Vergleiche zwischen der sogenannten »automatischen Anerkennung« im Kontext der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie und der »Gleichwertigkeitsprüfung« im Fall von Nicht-EU-/EWR-Qualifikationen. Für diejenigen, die diesen Vergleich haben und den Unterschied reflektieren, ist die folgende Aussage von Frau Conrad sehr typisch. Sie nennt erstere Situation „das Schönere“, weil sie keine Verantwortung für die Abwägung tragen muss. FRAU CONRAD: […] das [die Prüfung der Unterlagen aus Nicht-EU-Staaten, I.S.] iss natürlich dann ne (.) ne inhaltliche Betrachtung des Studiums, //mhm// wo man alles sich anguckt und dann irgendwie `ne Abwägungsentscheidung trifft //mhm// (.) während die Kommunikation innerhalb der Europäischen Union ja in der Regel darauf ausgerichtet ist dass man (.) einfach aus dem Herkunftsland gesagt bekommt das iss’n Abschluss der iss automatisch anzuerkennen weil das iss das was- worauf wir uns geeinigt haben Punkt //mhm// und dann brauchen wir nich mehr inhaltlich drauf zu gucken (.) das iss an sich das Schönere (.) keine Abwägung mehr treffen zu müssen nich mehr selbst dafür verantwortlich zu sein was da passiert sondern einfach sagen zu können pf (.) das iss so @(.)@ //mhm// das iss bei uns in Europa so anerkannt […] (ARCH (Conrad) 2-12: 278 ff.).
Auch in vielen anderen Interviews wird deutlich, dass es den Interviewten sehr viel angenehmer ist, eine klare Anleitung für ihr Bewertungshandeln zu haben. Dies
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geht mit weniger Unsicherheiten einher. Die Befürchtungen, angreifbar zu sein, werden vor allem mit Bezug zu etwaigen Handlungen der Antragstellerinnen thematisiert. Zum Beispiel wird häufig problematisiert, dass der deutsche Föderalismus, die unterschiedliche Handhabe in den 16 Bundesländern, zu einem „Tourismus“ führen kann. Dazu führe ich exemplarisch einen Interviewauszug von Frau Nolte an: FRAU NOLTE: […] eigentlich schade dass wir (.) keine einheitliche Verfahrensweise in der Hinsicht haben. In der Umsetzung des Gesetzes das macht doch jedes Bundesland ‘n bisschen anders, //ja// und ja das fördert auch manchmal so’n Tourismus hab ich den Eindruck dass die Leute so von Bundesland zu Bundesland ziehen und halt sich das Günstigste raussuchen iss ja auch legitim. //mhm// Würde man ja selber auch so machen […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 31 ff.).
Der besagte „Tourismus“ ist vor allem deshalb ein Problem, weil er offensichtlich macht, dass es günstigere und ungünstigere Bedingungen gibt. Schöner wäre es demnach, Teil eines einheitlichen unangreifbaren Verbunds zu sein, in dem solche Vergleiche zwischen Bundesländern (und »Anerkennungsstellen«) nicht entstehen können. Die Beobachtung oder der Eindruck, dass die Antragsteller „sich das Günstigste raussuchen“ ist vor allem deshalb ein Problem, weil es auch die eigene Praxis infrage stellt. Die eigenen Entscheidungen sind dadurch angreifbar, dass sie von anderen anders getroffen werden. Im Bereich des Handwerks wird versucht, die Einheitlichkeit der Bewertungen über den Aufbau einer bundesweiten Datenbank herzustellen. In der Argumentation von Frau Zink zeigt sich aber, dass ein Zustand der Eindeutigkeit und Unangreifbarkeit vor allem eine Hoffnung auf das kollektive Bemühen seiner Herstellung und das Gegenteil des gegenwärtig Erlebten ist: FRAU ZINK: […] Also entscheidend für die Zukunft wird einfach sein dass ähm dass dieses ganze Wissen gesammelt wird äh dokumentiert wird und eben aufgebaut wird, mit dem BQPortal, ähm (.) davon wird vieles abhängen //mhm// dass man darauf in Zukunft zurückgreifen kann, und ähm dann wirklich eine gute Entscheidungsgrundlage auch hat in Zukunft […] (HAND (Zink) 4-21: 822 ff.).
Es zeigt sich hier eine Gleichsetzung von „Bewertungen“ („Entscheidungsgrundlage“) mit gesammeltem und abrufbarem „Wissen“. Die Unangreifbarkeit soll dadurch gewährleistet werden, dass „in Zukunft“ alle Handwerkskammern mit demselben „Wissen“ arbeiten, das von den Bearbeiterinnen auf Basis der antragstellenden Einzelfälle erarbeitet wurde. Irgendwann soll auf Basis des gesammelten Wissens das Bewerten nicht mehr anstrengend, mühsam und streitbar sein, sondern einfach und einheitlich.
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Aus anderen Interviews spricht mehr Resignation, was die Erreichbarkeit der Einheitlichkeit und Unangreifbarkeit anbelangt. Frau Vogel formuliert zum Beispiel sehr explizit, dass ihr Bewertungshandeln von permanenten Zweifeln begleitet wird, ob der Bescheid im Fall einer Klage vor Gericht Bestand haben kann. FRAU VOGEL: […] Und wie gesagt das Problem ist eben tatsächlich also das sehen wir (.) auch (.) so (.) dass da eigentlich jeder Bescheid egal wie er nun aussieht irgendwie angreifbar ist. //mmh// Wenn sich da jetzt ein Antragsteller (.) Rechtsbeistand (.) sucht und n Anwalt in Anspruch nimmt ich denke mal dass ein pfiffiger Anwalt es jederzeit schaffen könnte, einen Bescheid von uns zu kippen. //mmh// Und wenn er noch so durchdacht ist //mmh// und (.) noch so gut gemeint ist und alles abgeprüft ist, aber es ist eben ganz schwierig dann das so genau zu fassen (.), //mmh// das ist aber nicht nur in Krankenpflege so, das ist auch in bei den akademischen Abschlüssen so und dass ist auch in den anderen Gesundheitsfachberufen so, dass das eben wirklich ganz schwierig ist das rechtssicher dann auch zu Papier zu bringen […] (PFLE (Vogel) 4-25: 406 ff.).
Sie empfindet es als unangenehm, dass jeder Bescheid „irgendwie angreifbar ist“ und sie sich nicht sicher ist, ob sie „das rechtssicher auch zu Papier .. bringen“ kann. In dem verwendeten Konjunktiv („dass ein pfiffiger Anwalt es jederzeit schaffen könnte, einen Bescheid von uns zu kippen“) zeigt sich auch, dass sie diese Erfahrung bisher nicht gemacht hat. Es sind vor allem konstante Ängste, die sich in dieser Passage äußern und darauf hinweisen, dass sie ihre Bewertungen nicht für absolut hält, sondern davon ausgeht, dass man es auch anders bewerten kann. Sie würde sich mehr Handlungssicherheiten wünschen. Die Ängste vor der Angreifbarkeit der Entscheidungen von Seiten der Antragstellerinnen sind vor allem mit der Bewertung »nicht gleichwertig« verbunden. Die Uneinheitlichkeit und Unsicherheit wird vor allem in Zusammenhang mit der Feststellung von »wesentlichen Unterschieden« als Problem diskutiert. Die erlebte »Einheit« bezieht sich dagegen mit wenigen Ausnahmen vor allem auf positive Bescheide, also die Anerkennungen als »gleichwertig«. 5.1.2.2 Verhandlungszone In diesem Abschnitt zeige ich als Verhandlungszone exemplarisch einige Konflikte um die Bewertungen innerhalb des institutionellen Gefüges auf, welche die Interviewten unmittelbar erleben. Es dokumentiert sich, dass die Verantwortung für die inhaltlichen Bewertungen der »Gleichwertigkeit« gerade in »Einzelfällen« nur bedingt in einem größeren Rahmen geteilt oder von anderen Stellen übernommen wird. Die Unangreifbarkeit des Verfahrens ist wichtiger als die Fachlichkeit der Aussagen.
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Juristische Konflikte, Widersprüche und Klagen, sind weniger Thema in den selbstläufigen Erzählungen der Interviewten als man annehmen könnte. Nur zwei Interviewte, Frau Anton und Frau Conrad, berichten von sich aus von Erfahrungen mit Klagen vor Gericht. Bei Frau Anton handelte es sich nicht um eigene, sondern um Erfahrungen einer Kollegin. Von beiden Interviewten heißt es, dass im Fall einer Klage vor allem Verfahrensfehler und die Einhaltung von Formalia im Vordergrund stünden. Um die inhaltliche Bewertung, die Frage der »Gleichwertigkeit«, ginge es in den Auseinandersetzungen vor Gericht normalerweise nicht. Wenn dort gegen sie entschieden würde – was Frau Anton als solches verurteilt –, dann in der Regel unter Berufung auf Verfahrens- bzw. Formfehler. FRAU ANTON: […] und dann ham wir gesagt das iss nich gleichwertig und (.) ähm das iss auch eben dann teilweise ne Erfahrung die wir dann leider machen müssen und dann ähm iss die da gerichtlich gegen ange- (.) -gangen, und (.) da iss dann manchmal auch die Rechtsprechung nich so auf unserer Seite, (.) //mhm// wobei das dann oft auch eher so Verfahrensfehler sind. und wenn man dem dann sagen muss mm iss eigentlich nich, //mhm// ähm und ähm (1) dass dann ähm- und derjenige dann vor vor Gericht geht also wie gesagt iss dann das Recht auch nich immer so auf unserer Seite wobei das dann oft Verfahrensfehler oder so sind ne […] (PFLE (ANTON) 2-05: 801 ff.).
Von Konflikten um die Bewertung mit Juristinnen im eigenen Haus wird mitunter im Bereich der Architektur berichtet. Die Thematisierung geschieht womöglich deshalb, weil die drei interviewten Bewertenden selbst »vom Fach« sind und um die Anerkennung ihres Fachwissens gegenüber dem Formwissen der Juristen ringen. Den Juristinnen obliegt die Aufgabe, die förmliche Korrektheit, die Unangreifbarkeit der Bescheide, zu verantworten, während die interviewten Bewertenden für die inhaltliche Qualität einstehen (wollen). Das zeigt sich sehr deutlich in folgendem Ausschnitt von Herrn Kuhn. HERR KUHN: […] oder was eben auch noch immer ne Möglichkeit iss das iss die die Kultusministerkonferenz dass wir da äh tatsächlich Stellungnahmen erarbeiten lassen, da sind unsere Juristen so auf dem Trip dass sie das gerne machen, //mhm// dass sie das auch gerne so weggeben und so nach dem Motto da hat ne ganze hohe Instanz hat (.) uns ‘n Bescheid gegeben ich bin da gar nich so richtig froh drüber weil ich ich weiß ehrlich gesagt nicht wer dort in der Kultusmis- -mister- -ministerkonferenz solche Stellungnahmen erarbeitet und auf welcher fachlichen Basis […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 450 ff.).
Er schreibt den Juristen zu, sich über die Beauftragung der Kultusministerkonferenz mit einer Stellungnahme nur absichern zu wollen, während ihm vor allem daran gelegen ist, dass die Bewertung fachlich fundiert ist. Dessen könne er sich bei der Kultusministerkonferenz nicht sicher sein. Es deuten sich hier institutionelle Kom-
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petenzkonflikte darum an, wer das Fachliche besser bewerten kann: die Architektenkammer oder die Kultusministerkonferenz. Sofern in den Interviews auf die Entstehung gesetzlicher Grundlagen der Durchführung von Bewertungen eingegangen wird, ist der Tenor, dass diese zu abstrakt, zu kompliziert und zu praxisfern seien. Es zeigt sich in den Interviews immer wieder ein von Distanz geprägtes Verhältnis zwischen Gesetzesmacherinnen und Gesetzesanwenderinnen. Einige Interviewte kämpfen sehr offensichtlich darum, mit ihrer Erfahrung von höheren Instanzen als Experten für Praktikabilität anerkannt zu werden. Als ein Beispiel möchte ich den folgenden Auszug von Herrn Meyer anführen. Er zeigt sich darüber enttäuscht, dass er und andere Approbationsbehörden zwar immer wieder zu Gesetzentwürfen Stellung beziehen durften, ohne dass seine Meinung jedoch Berücksichtigung gefunden hätte: HERR MEYER: […] ich durfte einmal an so einer Sitzung teilnehmen in Berlin, //mhm// als das Bundesministerium für Gesundheit und das (.) Wissenschaftsministerium glaub ich die ja sozusagen maßgebliche Verursacher dieser ganzen Sache sind ähm die Approbationsbehörden eingeladen hatten, um noch mal darüber zu diskutieren was allerdings eben immer relativ sinnlos iss weil das eigentlich feststeht und man kann dann zwar - es haben sich alle dazuoder da - alle dahingehend ausgesprochen dass das so wie sich’s äh - oder wie sich das in der Gesetzgebung liest eben kaum praktikabel iss oder oder eben schwer umsetzbar mit dem Personal was man hat //mhm// in den Approbationsbehörden (.) wurden auch andere Vorschläge gemacht, ähm teilweise zumindestens aber letztendlich kam es genauso wie der Referentenentwurf war, //mhm// also diese Diskussionen sind hab ich ja nun schon paarmal mitgemacht die sind also eher sinnlos @(.)@ ich weiß nich ob das dann immer schlechtes Gewissen beruhigen iss oder //mhm// was weiß ich oder- also man hat wirklich das Gefühl sie meinen es sicherlich alle gut, aber sie sind doch fernab der Praxis. //mhm// Und das kommt dann dabei raus (2) Und diese diese Vergleichbarkeit das iss eben wirklich das womit sich alle geschlossen rumschlagen. //mhm// Zumindestens hab ich das Gefühl […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 14 ff.).
Die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit zeigt sich in seinem Erleben, dass es „in Berlin“ nicht interessiert, ob er die Vergleichbarkeit der Ausbildungen schwierig oder unmöglich findet. Die formale Richtigkeit der Bescheide und die juristische Unangreifbarkeit werden wichtiger genommen als die Übernahme einer institutionellen Verantwortung für die Bewertung an sich. Als nächstes möchte auf Konflikte kommen, die nicht mit Gerichtsbarkeit, Rechtssicherheiten und der Entstehung der Gesetze verbunden sind, sondern dezidiert als »politisch« bezeichnet werden. Der folgende Abschnitt macht beispielhaft deutlich, dass die Bearbeiterinnen (bzw. ihre Teams) die Abwägung treffen, welche Antragsfälle »politisch« zu bewerten sind und nicht von ihnen allein bearbeitet werden können. Fälle, die als »politisch« eingestuft werden, sind danach keine (iso-
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lierten) Einzelfälle, sondern Kontakte, die offensichtlich auf beabsichtigte strukturelle Veränderungen, insbesondere angestrebte Ketten-Anerkennungsverfahren von Qualifikationen aus einem bestimmten Land hindeuten. FRAU RUNGE: […] wir haben natürlich als Fachaufsicht das Ministerium über uns //mhm// aber ähm (2) das iss natürlich schwierig weil die sich mit solchen Einzelfällen nich beschäftigen. //mhm// […] also solche übergeordneten Grundsatzfragen ja, //mhm// aber die steigen ja nicht so eng in die Materie ein wie wir und deshalb ähm geht da nicht so direkt. //mhm// (2) wir machen’s im Moment, ähm (.) es hat sich son bisschen der Trend entwickelt dass Organisationen oder auch Privatleute Firmen gründen, und versuchen, ausländische Arbeitnehmer hierher zu bekommen und die sozusagen zu vermitteln. //mhm// ich sag mal Vermittlungsagenturen //mhm// aufzubauen. Das lassen sie sich bezahlen, von den Antragstellern, ((schnalzt)) und äh die holen sich ganze Kontingente hier rein. //mhm// also sprich nicht nur einen, //mhm// sondern ähm die kommen mit zehn oder mehr Anträgen auf einmal //@(.)@// und äh (.) ja das iss dann auch son Fall und dann schalten wir durchaus mal das Ministerium ein weil (.) gewisse Sachen dort auch (2) politisch (.) //mhm// interessant werden. //mhm// (.) sei es (.) dass der Aufbau dieser Anträge dann etwas merkwürdig iss sei es dass da wirklich (.) politisch ganz andere Sachen dahinterstehen, und dann wird’s schwierig und da haben wir festgestellt also da müssen wir uns auch kurzschließen bei Einzelanträgen direkt von einem Antragsteller (.) iss es relativ einfach aber bei bestimmten Sachen muss man dann einfach ‘n bisschen aufpassen. //mhm (.) mhm (.) ja// aber sonst äh von dort oben in dem Sinne (.) die können uns (.) n-nicht helfen bei der Einzelsachbearbeitung. //mhm (2) ja// die machen eben die grundsätzlichen Fragen dazu. (PFLE (Runge) 1-03: 250 ff.)
Das Ministerium wird vor allem dann eingeschaltet, wenn ein zu hohes Risiko besteht, dass „politisch ganz andere Sachen dahinter stehen“, das heißt, wenn es sich um „Grundsatzfragen“ handelt. Für die Einzelsachbearbeitung sind sie allein zuständig, weil es nicht brisant ist und das Ministerium ohnehin dabei nicht helfen kann. In diesem Fall berichtet sie von dem Risiko, dass über Vermittlungsagenturen „ganze Kontingente hier rein“ geholt werden sollen. Kurz darauf erzählt sie von einem weiteren, als „politisch“ bewerteten Beispiel. Es handelt sich um einen Arzt und Professor, der in einem asiatischen Land einen Studiengang für Pflegekräfte aufbauen möchte, der von Vorneherein eine etwaige Anerkennung der Qualifikationen in Deutschland sicherstellt. Problematisch oder politisch sind demzufolge jene Fälle und Fallkonstellationen, die weitere Ansprüche oder Konflikte nach sich ziehen könnten. Ob in Einzelfällen Qualifikationen als »gleichwertig« bewertet werden oder nicht, ist demzufolge keine übergeordnete „Grundsatzfrage“. In dem Interview mit Frau David zeigt sich, dass jede Bewertung in einem Zusammenspiel von verschiedenen Institutionen entsteht, ohne von ihnen determiniert zu sein. Es zeigt sich, dass das Kennen von Regeln oder Regelwerken nicht reicht, sondern gerade permanente Überarbeitungen und Auslegbarkeiten zu Unsicherhei-
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ten führen. Sie benennt andere konkrete Akteure, aus denen sich das für sie relevante institutionelle Gefüge zusammensetzt, ohne dass es sie vollständig entlasten würde oder auch könnte: FRAU DAVID: #Um ganz# ehrlich zu sein die [Frage, I.S.] bewegt uns auch @jeden Tag@, weil das alles sehr viel komplizierter geworden //mhm// iss in den letzten Jahren dadurch dass immer mehr (.) Vorschriften Gesetze Gesetzesänderungen Schlag auf Schlag gekommen sind (1) wird das (.) mitunter ‘n bisschen unübersichtlich mittlerweile //mhm// und ähm (.) ein weiteres großes Problem iss dass (.) Gesetze (.) auslegbar sind, und dass (.) hoch lebe der Föderalismus, //mhm// ähm in vielen Bundesländern das zwar ähnlich aber nicht identisch gehandhabt wird. //mhm// und ähm (1) natürlich hat man seine Fachaufsicht die dann bestimmte Richtlinien entwirft wo man sich dann dran orientieren soll, es gibt verschiedene (.) Gremien, wo man sich austauscht, auf (.) Länder- und Bundesebene, //mhm// und versucht eine etwas einheitliche Linie zu fahren, (.) ja (.) das sind so die (2) die Gremien die einem da ein bisschen beratend zur Seite stehen, //mhm// dann gibt es die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, (.) die (2) in Zweifelsfällen dann äh gutachterlich einem zur Seite stehen kann, aber auch nich unbedingt (2) Vollständigkeit garantieren kann auch nich unbedingt Aktualität also (.) //mhm// das (.) ist mitunter dann auch schwierig aktuelle (1) Gutachten zu kriegen, //mhm// und (.) es dauert (.) sehr lange bis man da unter Umständen ein Ergebnis bekommt, was dann @auch@ leider nich immer befriedigend iss weil (.) es=es liegt manchmal so in der Sache. //mhm// (.) dass (.) bestimmte Länder, […] wo Kriegswirren und Unruhen sind, //mhm// das iss enorm schwierig dort (.) Informationen her- (.) -zubekommen […] (ÄRZ (David) 1-04: 12 ff.).
Andere, an den Vorgaben für eine Bewertung beteiligte institutionelle Akteure, wie andere Bundesländer, ihre Fachaufsicht, Gremien auf Bundes- und Landesebene, die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, entlasten Frau David nicht von einer persönlichen Verantwortung. Die vorhandenen Orientierungshilfen bewertet sie nicht als hinreichend, um eine Entscheidung zu treffen, was sie darauf zurückführt, dass es „in der Sache“ liegt. Sie schildert nach diesem Abschnitt das Beispiel einer Frau, der infolge einer Flucht die Nachweise über den medizinischen Abschluss fehlten und schildert ihr intensives Bemühen um aussagekräftige Unterlagen und Zeugenaussagen aus dem Ausbildungsstaat. Sie thematisiert eine Grenze ihrer persönlichen Verantwortung für die Antragstellerinnen mit dem Verweis auf die Möglichkeit einer (performativen) Prüfung, die dann das letzte Mittel ist. In ihrem Beispiel wird deutlich, dass die Verhandlungszone auch in einem Bemühen um Orientierung und Zusammenarbeit im institutionellen Gefüge besteht. Die Verhandlungszone zeigt Fallkonstellationen auf, in denen die Interviewten nicht unabhängig von ihren Beziehungen im institutionellen Gefüge die Bewertungen vornehmen, aber dennoch mit diesen keine konfliktfreie Einheit bilden.
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5.1.3.3 Einsamkeit In diesem Abschnitt zeige ich, dass es die Bearbeiterinnen jeweils Kraft und Mut kostet, eine Qualifikation auf Basis eines selbst durchgeführten Prüfverfahrens als »gleichwertig« anzuerkennen und damit auch die Verantwortung für die Kompetenzen zu übernehmen. Infolge relativer Einsamkeit mit dieser Entscheidung, ist es der einfachere Weg, das nicht zu tun. Im folgenden Ausschnitt von Herrn Meyer zeigt sich Überforderung, mit der Bewertung einer Qualifikation allein gelassen zu sein und gänzliches Unverständnis über die gesetzliche Konstruktion eines solchen Verfahrens. Indem er seine „Bauchschmerzen“ mit der Entscheidung thematisiert, wird nicht nur deutlich, dass ihn die Verantwortung quält, sondern auch, dass er Erfahrungen damit hat, Anerkennungen als »gleichwertig« trotz der „Bauchschmerzen“ auszusprechen. HERR MEYER: […] Aber wie gesagt die Gleichwertigkeitsprüfung an sich (.) ähm (.) verursacht mir oft genug Bauchschmerzen muss ich sagen weil ich eben (.) das nich so richtig- (2) es sind wirklich nur Stunden und Fächer die man da vergleicht. Das das sagt nichts aus über die Inhalte die da waren. //mhm// (1) Aber das kann ich nich beurteilen. Dann müsste ich mir wirklich äh hunderttausend Curricula schicken lassen und ich hab mal ein Curriculum gekricht, iss das das hier? Nein. Davon hab ich jetzt nur’n Bruchteil behalten einfach mal um das zu zeigen, //mhm// ähm ne? Das waren (.) sechs solche Mappen Curriculum englischsprachig //mhm// (.) der Universität von [..] //mhm// (2) und ich mein wenn ich das wirklich jetzt so intensiv machen wollte, dass ich mir hier jetzt medizinisches Fachwissen aneignen muss ja irgendwo und dieses Curriculum im einzelnen dann vergleiche äh Neuro Anatomie und äh: was weiß ich (2) Embryologie und diese ganzen Semin- ob das Seminare waren ob das Praktika waren ob das Vorlesung oder Selbststudium war, //mhm// da da würde ich in meinem Leben nich fertig werden. //mhm// (3) Und letztendlich glaube ich auch nicht, muss ich sagen wenn ich den Gesetzestext lese und ähm auch ähm (.) ja oft genug die Gespräche höre oder auch bei diesen Veranstaltungen war, dass das so gewollt iss. //mhm// Ne? Wenn da steht wesentliche Unterschiede und wesentliche Unterschiede iss ein Jahr Differenz im Studium, äh na herzlichen Glückwunsch kann ich da bloß sagen. @(.)@ Also das muss ich dann für mich immer frei entscheiden und sagen nee also für mich iss das wesentlich. //mhm// (1) Aber es iss eben doof für mich oder oder ungünstig und unglücklich für mich dass ich eben alleine bin. Ich muss die Entscheidungen alleine tragen gut ich hab ‘n Vorgesetzten der iss natürlich dann letztendlich doch ja (.) verantwortlich, //mhm// (1) aber das Prüfen und das das Gucken und die Entscheidung treffen iss es gleichwertig iss es nich gleichwertig reichen die Deutschkenntnisse reichen sie nich, (.) mach ich ihn jetzt mit der Approbation zum Arzt der (1) ja gänzlich und überall hingehen kann alles machen kann oder nich? Das iss das iss ne Entscheidung wenn man da mit niemandem Rücksprache halten kann und sagen kann Mensch was meinst du dazu oder der dann auch in dem Bereich tätig iss, iss das richtig (.) iss es
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manchmal bis- belastend muss ich so sagen //mhm// weil es sind ja dann doch (2) zumindestens für mich schwerwiegende Entscheidungen muss ich mal sagen […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 339 ff.).
Herr Meyer geht implizit davon aus, dass es seine Aufgabe ist, zwischen »gleichwertigen« und »nicht gleichwertigen« Qualifikationen zu entscheiden und problematisiert, dass ihm das auf der vorgegebenen Basis schwer fällt. Er zieht hier nicht in Betracht, dass seine Bauchschmerzen und sein gefühltes Unvermögen, eine ärztliche Qualifikation allein beurteilen zu können, instrumentell sein könnten. Mit der Verfahrenskonzeption der »Gleichwertigkeitsprüfung« als »Einzelfallsprüfung« ist womöglich kein Abtreten von Macht an die einzelnen Bearbeiterinnen verbunden (wogegen sich Herr Meyers Aussagen wenden), sondern ein institutionalisierter Abwehrmechanismus in Form einer Delegation der Unsicherheit und Ohnmacht an den Einzelnen. Sofern die Mitarbeiterinnen nicht unter anderweitigem hohen Druck stehen, die Qualifikationen anzuerkennen (wie im Fall von Herrn Meyer vor allem von Seiten des Arbeitsmarkts und starken liberalen Kräften der Fall), werden sie aufgrund ihrer Ängste vor der Verantwortung eher defensiv bewerten und im Regelfall Unterschiede finden, die man als »wesentlich« bezeichnen kann. Dass es ein Kraftakt ist, in relativer Einsamkeit die Verantwortung für eine Anerkennung zu übernehmen, zeigt sich auch im Fall von Frau Becker. Sie spricht von „Mumm in den Knochen“, den es braucht, um eine Qualifikation als »gleichwertig« anzuerkennen. Im folgenden Ausschnitt wird deutlich, dass es in ihrem Fall die gefühlte Einheit mit ihrer Kollegin ist – ein Zusammenschluss auf kleinstmöglicher Ebene – der es ihr ermöglicht, diese Verantwortung hin und wieder mal zu übernehmen. FRAU BECKER: […] Und und dann also meine Kollegin sagt auch immer und da da hat sie auch recht ähm dann braucht man aber schon, (.) auch manchmal einfach (.) den Mut zu einer persönlichen Verantwortung, dass man sagt (1) ich mach das jetzt so. //mhm// (.) also das braucht’s halt schon auch. //mhm// (.) dass man da sagt so ich hab mit dem Kunden gesprochen ich kenn den Kunden ich hab hier seine Tätigkeitsnachweise ((holt Luft)) ja das ist gleichwertig. //mhm// so in dem Punkt und in dem Punkt und in dem Punkt und in dem Punkt man muss es auch (.) tun //mhm// so den (.) Mumm in den Knochen braucht man schon auch […] (HAND (Becker) 2-10: 589 ff.).
Es dokumentiert sich hier, dass es nicht das Tagesgeschäft, sondern Ausnahmen sind, die sie in besonderen Fällen diesen Mut aufbringen lassen. Ihre betonte Argumentation zeigt den impliziten Normalfall, für die »Gleichwertigkeit«, das heißt für die Bescheinigung vollwertiger Kompetenzen, nicht ohne Weiteres die Verantwortung tragen zu können. Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die diese Zusammenhänge thematisieren, die Anerkennung grundsätzlich in Erwägung ziehen. Inter-
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viewte, die als Folge der einsamen Verantwortung vor allem routiniert darin sind, defensiv zu handeln und nicht anzuerkennen, werden dies vermutlich nicht als ein Entscheidungsproblem explizieren. Nicht allen ist die Einsamkeit der Entscheidungsgewalt gleichermaßen unangenehm. Herr Kuhn setzt sich damit auseinander, dass er „dilettiert“ und nicht so vorgeht, wie es „die rechtliche Ebene“, die ihm nicht durchsichtig ist, vorsieht. Andererseits glaubt er auch, dass er gar nicht anders handeln kann, als „es so laufen lassen“ und auf seine professionelle Intuition vertrauen. HERR KUHN: […] man stößt eben immer wieder in so in so Bereiche also das ham Sie jetzt so rausgehört dass die diese rechtliche Ebene (.) ähm ich will damit eigentlich nich so richtig viel zu tun haben ich find die unglaublich abstrakt und sie sie hilft einem nich weiter und deswegen äh iss wahrscheinlich manchmal gefährlich was ich da mache dass ich da dilettiere dass ich das ((holt Luft)) dann dann so laufen lasse ähm (.) aber okay das iss das iss vielleicht ne spezielle Architekteneinstellung auch also so arbeiten Architekten eben auch in der Praxis äh weil man mit mit dem was an an rechtlichen Dingen einen Architekten umgibt äh kann man schlichtweg nich mehr zurechtkommen. (.) also bei jedem Stein den ich auf den anderen setze hab ich automatisch zwanzig bis dreißig DIN-Normen die mich dann irgendwann umgeben, die ich nich wirklich kennen kann das heißt ich muss drauf bauen, das hat bisher immer so funktioniert und äh (.) wird schon irgendwie funktionieren und dies dieses Dilettieren iss unglaublich //mhm// gefährlich aber es funktioniert erstaunlicherweise […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 753 ff.).
Herr Kuhn hat sich damit zwischen Zweifeln und Selbstvertrauen gewissermaßen seinen festen Platz eingerichtet, was ich vor allem darauf zurückführe, dass er als Architekt Architekten bewertet. Die Verantwortung weitestgehend alleine zu tragen, ist für ihn kein so großes Problem wie für Herrn Meyer oder Frau Becker. Er glaubt daran, dass seine Bewertungen schon irgendwie in Ordnung sein werden, weil er eine ganz praktische Intuition hat, die ihn einen guten Architekten erkennen und unterscheiden lässt. Dass diese rechtliche Ebene als „unglaublich abstrakt“ bewertet wird und „nicht weiterhilft“, da sie nicht für die praktische Handhabung und vor allem fachliche Bewertung gemacht sei, verhindert an dieser Stelle die auch von Herrn Kuhn angestrebte Einheitlichkeit der Bewertungen aller Architektenkammern. Für die Antragstellerinnen bedeutet das, dass sie weitestgehend auf die Beurteilung ihres unmittelbaren Gegenübers in den zuständigen Stellen angewiesen sind – und das umso mehr je weiter sich die Fallkonstellation vom Macht- und Feldzentrum entfernt. Das meine ich mit der »Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit«.
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5.1.4 Zusammenfassung der Machtkonstellationen Die Machtkonstellationen (die Strukturen) geben einen »Raum der Möglichkeiten« vor, innerhalb dessen sich die Bewertung einer spezifischen ausländischen Qualifikation in Deutschland bewegt. Die Chancen auf einen Wechselkurs von 1:1 sind dadurch in der Praxis nicht gleich verteilt, wie es der von den Herrschenden geführte Diskurs behauptet oder verkündet. Ich führe die Chancen auf mindestens drei verflochtene Klassifikationsprinzipien und damit zusammenhängende Machtkonstellationen, die sie hervorgebracht haben, zurück: den Ausbildungsstaat, die Art der Qualifikation und den Grad der rechtlichen Geregeltheit. Machtkonstellation 1: Die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten Die Basis der Machtkonstellationen ist anknüpfend an die beschriebene Illusio in den Beziehungen zwischen Deutschland und anderen Ausbildungsstaaten begründet (vgl. 5.1.1). Die Struktur der Beziehungen zu anderen Staaten geht mit unterschiedlichen Graden des Vertrauens bis hin zur Beziehungslosigkeit einher. Eine Einverleibung in das Kollektiv ist umso wahrscheinlicher, je enger und vertrauter diese Beziehungen sind. Enge und Vertrauen hängen nicht oder nicht nur von internationalen Richtlinien und Übereinkommen ab, auch wenn sie dadurch gewachsen sein können. Handlungspraktisch entscheidend ist auch, inwiefern Vertrauen in den anderen Ausbildungsstaat als eine soziale Struktur inkorporiert und dadurch in der Bewertungssituation selbstverständlich ist. Das Machtzentrum des Felds zeichnet sich durch ein als überwiegend normal empfundenes Vertrauen in Qualifikationen eines anderen Ausbildungsstaats aus. Dies ist momentan insbesondere in Bezug auf bestimmte Qualifikationen anderer älterer EU-/EWR-Mitgliedstaaten gegeben. Festgehalten werden muss jedoch auch, dass es sich nicht um ein Vertrauen handelt, das seit eh und je »da« war. Wie auch die Historie des Bewertungswesens zeigt (vgl. 4.2), geht es vielfach auf symbolische Kämpfe zurück, die inzwischen (weitestgehend) zum Stillstand gekommen sind. Im Bereich der Medizin zieht das Vertrauen noch etwas größere Kreise, die z. B. auch Nordamerika, Japan und Ozeanien einschließen. Das deutsche Besserwissen wird dadurch partiell, das heißt qualifikationsabhängig, zu einem EUropäischen Besserwissen oder auch zu einem Besserwissen reicher Nationen (wobei eine auf Gegenseitigkeit beruhende Anerkennungspraxis nicht vorausgesetzt werden kann). Die Peripherie ist durch eine inkorporierte Struktur der Beziehungslosigkeit gekennzeichnet, die, handlungspraktisch betrachtet, nicht mit einem Gefühl der Macht, sondern eher mit Ohnmacht, Resignation oder auch Verdrängung einhergeht. Es kommt zu keiner Einverleibung in das Kollektiv des besseren Wissens. Die Qualifikation gilt als »nicht gleichwertig« oder auch »nicht bewertbar« und bleibt dadurch »ausländisch«. Zwischen Zentrum und
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Peripherie liegt jene Zone, die ich »Verhandlungszone« genannt habe, in der um die Beziehung und damit auch das Vertrauen gerungen wird. Machtkonstellation 2: Das Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen Die zweite Machtkonstellation rekonstruiert die strukturellen Bedingungen, unter denen das Kollektiv des besseren Wissens ein Interesse an einer Einverleibung und dadurch einer Erweiterung seiner selbst hat (vgl. 5.1.2). Im Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen ringen liberale Kräfte und protektionistische Kräfte um die Deutungsmacht. In ihrem Wettstreit um das Besserwissen kommt es zu unterschiedlichen Bewertungen in Abhängigkeit von der Frage, um welche Qualifikation es sich handelt. Liberale Kräfte kämpfen um die Öffnung und Erweiterung des Kollektivs, entweder in Bezug auf ein allgemeines Gleichheitspostulat oder in Bezug auf bestimmte »Bedarfe«. Die protektionistischen Kräfte halten mehr oder weniger stark dagegen und verteidigen den Status quo der kulturellen Produktion und Reproduktion deutscher Bildungs- und Berufstitel. Je nach Qualifikation ist das Kräfteverhältnis in diesem Spannungsfeld anders gelagert. Von dem Kräfteverhältnis hängt es ab, wie weite Kreise die inkorporierte Struktur des Vertrauens zu anderen Ausbildungsstaaten zieht. Unter den von mir betrachteten fünf bewerteten Berufsgruppen haben sich, wie meine empirischen Befunde zeigen, liberale Marktinteressen im Fall von Ärztinnen und Ärzten am stärksten durchgesetzt, während dies im Fall von Lehrerinnen und Lehrern am wenigsten der Fall ist. Dadurch ist es bspw. der Regelfall, dass bulgarische Mediziner von deutschen Behörden anerkannt werden, während bulgarischen Lehrerinnen dieses Vertrauen nicht oder zumindest nicht zwangsläufig entgegen gebracht wird. Dies ist unter Umständen auch darauf zurückzuführen, dass es im Bereich der Medizin eine besonders lange Tradition des Prüfens von im Ausland erworbenen Qualifikationen gibt, während die Institutionalisierung von Bewertungsverfahren in anderen Berufen, z. B. im Handwerk, noch sehr neu ist – mit Ausnahme des Rechtsanspruchs für (Spät-)Aussiedler (vgl. 4.2.1). Die Gewalt des kollektiven Besserwissens ist in dieser Machtkonstellation vor allem ein ökonomisches Besserwissen, welche Berufsqualifikationen Wert haben, weil sie im ökonomischen Sinne (momentan) »Wertsteigerung« versprechen (die naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Berufe und die am Arbeitsmarkt »nachgefragten«). Das Paradox liegt darin, dass die Durchsetzung von liberalen Interessen durch die Vergrößerung des Kollektivs (die Einverleibung) mit der Senkung des ökonomischen Werts der Qualifikationen – sowohl im nationalen wie im Weltmaßstab – einhergeht. Das kann das Erstarken der protektionistischen Kräfte (wieder) auf den Plan rufen.
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Die protektionistischen Kräfte vereint ein kulturelles oder auch nationales Besserwissen, das die Reproduktion von gesellschaftlichen Qualitäts- und Beschäftigungsstandards – also die Bewahrung des Besserwissens als solches – in Gefahr sieht. Argumentativ im Vordergrund steht der Schutz von Verbrauchern und Patienten ebenso wie inländisch ausgebildeten Arbeiternehmerinnen und ortsansässigen Arbeitgebern. Es wird damit transportiert, dass ihnen durch die Anerkennung ausländischer Qualifikationen Schaden für Leib und Leben oder auch der Wertverlust ihres Kapitals drohen könnte. Das skizzierte Spannungsfeld der liberalen und protektionistischen Marktinteressen führt letztlich im Ergebnis zur Etablierung von Kompromiss-Bewertungen wie »teilweise gleichwertig« oder »teilweise anerkannt«. Unter besonderen Umständen folgt ein Angebot, zusätzliche Anpassungslehrgänge oder Prüfungen vor »deutschen« Bildungsträgern zu absolvieren, um die Feststellung von »Gleichwertigkeit« durch diese Leistungs- und Kompetenznachweise zu erreichen. In dem Angebot des noch weiter Lernenkönnens und Beweisenkönnens versöhnt sich das Besserwissen der liberalen und protektionistischen Marktinteressen. Die symbolische Dominanz, die das Lernen- und Beweisen müssen zur Voraussetzung für die Einverleibung in das Kollektiv des besseren Wissens macht, manifestiert sich gerade in diesem wohlwollenden »Angebot«. Machtkonstellation 3: Die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit Die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit beschreibt die konstellationsabhängige Legitimation der Bewertungen (vgl. 5.1.3). Die Spirale vereinheitlicht im Machtzentrum und mündet in eine Atomisierung der Verantwortlichkeit in der Peripherie. Je enger, etablierter und vertrauter die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten sind (weil sich liberale gegenüber protektionistischen Interessen qualifikationsabhängig durchgesetzt haben), desto eher ist es klar, dass und welche Bildungs-/Berufstitel anerkannt werden. In diesen Konstellationen im Machtzentrum führen die Mitarbeiterinnen in den Behörden und Kammern weitestgehend nur etwas aus, was sich als Deutungsmuster bereits allgemein durchgesetzt hat. Je eher es sich um eine Konstellation mit Beteiligung der Peripherie und einen von protektionistischen Kräften stark verteidigten Qualifikationsbereich handelt, desto eher obliegt die Bewertung einer sogenannten »Einzelfallprüfung«. Die Bewertenden haben nur sehr wenige Anhaltspunkte als Orientierung, z. B. dass die Dauer der Ausbildung nicht um mehr als ein Jahr abweichen darf, dass die Inhalte keine wesentlichen Unterschiede aufweisen dürfen oder dass Berufserfahrung zum »Ausgleich« herangezogen werden darf. Ich spreche von der Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit, weil eine besonders schwache Position der Antragstellerinnen (und ihrer Ausbildungseinrichtungen und Ausbildungsstaaten) hier auf eine besonders schwache Position der Bearbeiterinnen trifft. Während letztere sich wünschen würden, nach einheitlichen und unzweifelhaften Regeln bewer-
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ten zu können, sind sie in den schwierigsten Fällen auf sich allein gestellt. Die Interaktion ist von einer Konstellation der Beziehungslosigkeit sowie demzufolge auch ungelösten Konflikten im Spannungsfeld der liberalen und protektionistischen Marktinteressen beherrscht. Die Befreiung von der Unsicherheit, die für eine Anerkennung notwendig ist, bedeutet, einen individuellen Kraftakt der Vertrauensschöpfung zu bewältigen, zu dem es nur in Ausnahmekonstellationen kommt. Das kollektive Besserwissen ist hier das Besserwissen der übergeordneten Gesetze machenden Bürokraten, Juristen und Politiker. Durch den Kunstgriff der »Einzelfallprüfung« gelingt es ihnen, für die den Strukturen innewohnende Verkennung keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Es ist keine explizite Übertragung von Macht, sondern eine implizite Übertragung von Ohnmacht. Vor allem unterschiedliche Bewertungen derselben Qualifikation machen angreifbar, weil sie die Tarnung, den Mantel der Objektivität, offensichtlich infrage stellen. Den Bewertungsunsicherheiten ebenso wie den Angriffen von Antragstellerinnen, die sich ungerecht behandelt sehen und mitunter den Vorwurf der »Diskriminierung« und des »Rassismus« erheben, sind nicht die Gesetzesmacher, sondern die Gesetzesanwenderinnen ausgesetzt.
5.2 S ELEKTIONSMECHANISMEN Die Selektion erfolgt im Rahmen von Einsätzen und Regeln des institutionellen Bewertungsverfahrens, die mit den Machtkonstellationen verwoben sind. Sie strukturieren den Bewertungsprozess, der aus den Interessierten die »Anerkennbaren« herausfiltert, in bestimmte formale Vorgaben und Abläufe. Ich argumentiere am Ende, dass es die hier beschriebenen Selektionsmechanismen sind, die die Bewertungshandlungen in einen Mantel der Objektivität hüllen. Die Betrachtung des Gegenstands als Selektionsprozess (5.2) ist nach der Rekonstruktion des Felds als Struktur (»Machtkonstellationen« (5.1)) die zweite Dimension. Als dritte und letzte Dimension der Genese der Bewertungen werde ich anschließend die bewertenden Akteure in den Vordergrund stellen (»Handlungskompetenzen« (5.3)). Als »Selektion« bezeichne ich die Auswahl der als »gleichwertig« Anerkannten und dadurch bedingt das »Zurückbleiben« von Nicht-Anerkannten. Unter »Selektionsmechanismen« verstehe ich die impliziten Entscheidungen und Abwägungen in diesem Auswahlprozess, der sich im Ergebnis vielfach als ein rein formaler und objektiver Akt darstellt. Die Betrachtung der Bewertungen als Prozess ist für mich aus folgenden drei Gründen relevant. Erstens zeigt sich in allen Interviews, dass die Bewertung einer ausländischen (Berufs-) Qualifikation nicht aus einer singulären Selektionsentscheidung besteht.
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Sie entsteht aus einer Vielzahl an miteinander verknüpften Einzelschritten und damit mehrfach verzahnten Selektionshandlungen. Anschaulicher formuliert: Das Bewertungsverfahren ist nicht so vorzustellen, dass eine Antragstellerin einen Raum betritt und mit einem offiziell dokumentierten Bewertungsergebnis (Qualifikation anerkannt oder nicht) in der Hand wieder hinausgeht. Es ist auch nicht nur ein schriftlicher Antrag, der eingeht und mit einem offiziellen Bescheid beantwortet wird. Die Interaktion zwischen Antragstellern und Bearbeitern währt oftmals mehrere Monate, manchmal auch über Jahre. Deshalb ist die Selektion derjenigen, deren Qualifikation als »gleichwertig« bewertet wird, nicht als eine einzige Selektionshandlung zu einem Zeitpunkt X, sondern als ein vielstufiger und mehrdimensionaler selektiver Prozess zu denken. Zweitens geht ebenfalls aus allen Interviews hervor, dass das Bewertungsverfahren nicht standardisiert ist und damit nicht gleichförmig abläuft. Zum einen sind die institutionellen Rahmenbedingungen unterschiedlich, abhängig von der jeweiligen Qualifikation, um deren Bewertung es geht, abhängig vom Bundesland oder (Kammer-) Bezirk, in dem der Antrag gestellt wird, abhängig davon, wo der Abschluss erworben wurde etc. (vgl. Kap. 4). Abgesehen von den institutionellen Rahmenbedingungen machen auch die fallspezifischen Interaktionen zwischen Bewertenden und Bewerteten jeweils einen Unterschied. Das heißt, dass auch dieselbe zuständige Stelle und dieselbe Mitarbeiterin im Regelfall nicht mechanisch Fälle abarbeitet (und selbst wenn sie es gern wollte oder sollte, angesichts des Gegenstands nicht könnte). Die Interaktion steht infolge der beschriebenen Machtkonstellationen jeweils unter anderen Voraussetzungen. Die Ähnlichkeit besteht jeweils darin, dass ein Mensch mit einem persönlichen Anliegen und ein Mensch mit institutionellen Anforderungen in Interaktion miteinander treten und unter diesen ungleichen Voraussetzungen verhandeln, ob und wenn ja, wie das Verfahren fortgesetzt wird. Die Selektion ist damit ein Prozess des Verhandelns um die Handlungsspielräume, die dieser Interaktion innewohnen. Drittens, dafür sprechen ebenfalls alle Interviews, setzt sich das Verfahren in vielen Fällen nicht bis zu einem offiziellen Bescheid fort, in dem ein Bewertungsergebnis (gegen das man mitunter auch Widerspruch oder Klage einreichen könnte) dokumentiert ist. Das bedeutet, dass im Laufe des Verfahrens an verschiedensten Hürden Anerkennungssuchende zurückbleiben oder ausscheiden, die in der Konsequenz weitestgehend unsichtbar bleiben. Anders formuliert: Nicht nur diejenigen, deren Bescheid offiziell »wesentliche Unterschiede« feststellt, sind die NichtAnerkannten. Keine Bewertung zu bekommen bedeutet gleichermaßen, dass es bei einer Nicht-Anerkennung der Qualifikation bleibt. Während es relativ eindeutig ist, was »anerkannt« heißt, nämlich das offiziell dokumentierte Ergebnis der »Gleichwertigkeit«, kann »nicht anerkannt« sehr viel Verschiedenes bedeuten. Ich beschreibe deshalb in diesem Unterkapitel die typischen Hürden oder Filter, die sich in dem Prozess als Selektionsmechanismen stellen. Ich habe sie anhand der
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Interviews rekonstruiert, indem ich Ähnlichkeiten festgestellt habe, was die Interviewten (alle oder zumindest ein Großteil von ihnen) selbstläufig implizit oder auch explizit als ein Problem in der Bewertungspraxis anführen. Ihre Relevanzsetzung verweist auf (mindestens) implizites Wissen um die Bedeutung dieser Handlungen oder Ereignisse für den Ausgang des Verfahrens.9 Zuerst betrachte ich die Selektionen, die unter Bezugnahme auf die »Information« und »Beratung« von Antragstellerinnen bereits im Vorfeld der Antragsbearbeitung (zum Teil auch vor dem Stellen eines Antrags) stattfinden (5.2.1). An zweiter Stelle stehen die Selektionen im Zusammenhang mit der Durchführung des Ausbildungsvergleichs, das heißt die »Gleichwertigkeitsprüfung« selbst, im Fokus (5.2.2). An dritter Stelle geht es um »Erfahrungsschätze«, die eine Gleichwertigkeitsprüfung unter Umständen abkürzen können, weil die neuen Fälle alten, bereits bewerteten Fällen zugeordnet werden (5.2.3). Der vierte Abschnitt ist den Selektionsmechanismen gewidmet, die mit der Aneignung von neuem Wissens einhergehen, wenn noch keine Erfahrungen bestehen (5.2.4). An fünfter und letzter Stelle thematisiere ich die Mechanismen der Legitimation und theoretische Verarbeitung der Selektion (5.2.5). Der letzte Abschnitt legt dar, wie die Selektion grundsätzlich gerechtfertigt wird. Ich gehe davon aus, dass die Rechtfertigungen den Bewertungen als Orientierungsschemata zugrunde liegen. 5.2.1 »Information« und »Beratung« – die Selektionen vor der offiziellen Bewertung Bevor ein Antrag vollständig vorliegt und die Antragsbearbeitung beginnt, kommt es zu Interaktionen zwischen Bewertenden und Bewerteten, die typischerweise als »Information« und »Beratung« bezeichnet werden. In dieser Phase findet erstens eine Auswahl derer statt, die von Anerkennungssuchenden zu Antragstellerinnen werden. Zweitens werden erste Richtungspfeiler für den Ausgang des Verfahrens eingeschlagen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es gerade in dieser Phase zu Selektionen kommt, die in einem weitestgehend formalen Gewand in Erscheinung treten und dadurch die Machtkonstellationen verkennen lassen. Im Zusammenhang mit diesen formalen Voraussetzungen finden selektive Bewertungen vor der eigentlichen offiziellen Bewertung statt, die vielfach unsichtbar und undokumentiert bleiben.
9
Die Selektionsmechanismen sind nicht im strengen Sinne chronologisch, sondern eher als überlappend und miteinander verflochten zu verstehen. Um den prozessualen Verfahrenscharakter deutlich zu machen, ist die Darstellung in diesem Unterkapitel jedoch an eine Chronologie angelehnt.
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Als Aspekte der Selektion im Zusammenhang mit »Information« und »Beratung« betrachte ich die folgende Ereignisse, Fragen und Probleme, die in der Interaktion auftreten: den Erstkontakt, die Zuordnung zu einer deutschen Referenzqualifikation, Aussagen zu den Anerkennungschancen (auch im Verhältnis zu Kosten), die Vollständigkeit der Antragsunterlagen und – letztlich damit verknüpft – die Echtheit der Unterlagen sowie der erforderliche Nachweis deutscher Sprachkenntnisse. Diese sechs Punkte entsprechen auch der Untergliederung dieses Abschnitts. Vorab noch eine wichtige Einschränkung: Die »Information« von Interessierten beginnt auch ohne Beteiligung der Interviewten. Zum Teil über eigens dafür institutionalisierte Beratungsangebote, wie z. B. denen des Netzwerks »Integration durch Qualifizierung« (IQ), über Medienberichterstattung und Internetrecherchen sowie vielmals auch durch persönliche Kontakte zu anderen, die bereits ein Anerkennungsverfahren durchlaufen oder aus einem anderen Grund eine beratende Rolle inne haben. Sie werden vor allem dann thematisiert, wenn die Interviewten die Anerkennungssuchenden mit »Fehl-Informationen« in Form von »falschen Erwartungen« ausgestattet sehen, die sie enttäuschen müssen. Umgekehrt sind Fälle denkbar, die aufgrund dieser Möglichkeiten der »Information« keinen Kontakt mit einer zuständigen Anerkennungsstelle aufnehmen, weil sie die Feststellung der »Gleichwertigkeit« ihres Abschlusses für aussichtslos halten (obwohl dies in den Augen der Interviewten auch eine »Fehl-Information« und »falsche Erwartung« sein könnte). Diese Fälle bleiben auch hier unsichtbar, weil nur diejenigen zum Thema in den Interviews werden, die Kontakt zu den Interviewten haben. 5.2.1.1 Erstkontakt Der Erstkontakt zwischen Anerkennungssuchenden und Bewertenden ist vielmals auch schon der letzte Kontakt. Von Anbeginn der Interaktion wird darüber verhandelt, ob die Anerkennungssuchenden mit ihrem Anliegen in das institutionelle Kategoriensystem passen und die an sie gerichteten Anforderungen erfüllen können. Es ist also bereits mit dem Erstkontakt eine Selektion verbunden. Zudem entsteht jeweils ein erster Eindruck der Person und ihrer Qualifikation, sodass auch bei einer Fortsetzung des Verfahrens der weitere Selektionsprozess durch diesen Eindruck vorstrukturiert ist. Der Kontaktmodus selbst ist nicht standardisiert. Aus den Interviews geht hervor, dass es zuständige Stellen gibt, in denen ein persönlicher Beratungstermin verpflichtend ist, andere, in denen es hingegen nicht erwünscht ist, dass die Antragsteller persönlich vorbeikommen. Einige haben eingerichtete Sprechstunden, andere nicht. Viele überlassen es auch den (potenziellen) Antragstellerinnen, wie sie Kontakt aufnehmen wollen. Dass ein Anruf am Anfang steht, ist relativ üblich. Es gibt auch Fälle, in denen ausschließlich per Brief und E-Mail kommuniziert wird. Geo-
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grafische Distanzen in den Zuständigkeitsbereichen, unter anderem auch die Möglichkeit der Antragstellung aus dem Ausland, strukturieren den erwarteten und von den Anerkennungssuchenden praktizierten Kontaktmodus ebenfalls mit. Dass es im Rahmen dieser unterschiedlich gearteten Kennenlernprozesse zu Selektionen, das heißt einer Auswahl der Antragsteller (aus den Interessierten) sowie VorabBewertungen kommt, werde ich anhand von ausgewählten Interview-Ausschnitten zeigen. Aus folgendem Auszug aus dem Interview mit Frau Runge geht deutlich hervor, dass das Verfahren nicht mit einem vollständigen Antrag beginnt. Die Kommunikation „vorweg“ hat für die Interaktion eine strukturierende Bedeutung. INTERVIEWERIN: […] können Sie beschreiben, was Sie alles mit mit so einem Antrag machen, also von dem- vielleicht anhand eines konkreten Falls ab dem Moment wo er eingegangen iss #und ähm was dann alles passiert# FRAU RUNGE: #Mhm also am (.) kompliziertesten# sind die Fälle aus sogenannten Drittländern, also Nicht-EU-Ländern ehemalige GUS-Staaten ehemaliges Jugoslawien, (.) was wir voreck- -weg immer machen äh (.) bei jeder neuen Gesetzesänderung wir haben immer ein Infoblatt da, //mhm// wo der Ablauf steht, was man machen kann wie man’s machen kann, und wir haben immer ein Merkblatt wo wir ganz klar festlegen diese Unterlagen brauch ich damit ich den Antrag überhaupt bearbeiten kann so und das wird auch vorweg dann weggeschickt bei Bedarf, //mhm// ähm wenn die Antragsunterlagen dann dort sind […] (PFLE (Runge) 1-03: 95 ff.).
Durch die Unterscheidung von Fällen nach dem Grad ihrer Kompliziertheit ebenso wie den Einschub, was sie „vorweg immer machen“, widerspricht sie meiner impliziten Vorstellung, dass ihre Arbeit mit dem Vorliegen eines Antrags beginnt. Das Muster, Fälle zunächst zu unterscheiden, statt einen Standard zu beschreiben und mit einem früheren Handlungsschritt zu beginnen als von mir erwartet, dokumentiert sich auch in anderen Interviews. Der Zusatz „bei Bedarf“ von Frau Runge lässt sich sowohl als einen nachgefragten Bedarf der (potenziellen) Antragstellerinnen nach »Information« als auch den Bedarf von Frau Runge (und ihrer Stelle) nach einer Abgrenzung von geäußerten Erwartungen interpretieren. Die Interview-Sequenz zeigt die Erfahrung von Frau Runge, nicht alle Interessen bedienen zu können. Mit diesem ersten Kontakt, indem es um die Erklärung dessen geht, was möglich und dafür nötig ist, ist eine erste Hürde verbunden. Aus ihren meiner Erwartungshaltung widersprechenden Worten spricht die Erfahrung, dass es aufgrund dieser „Informationen“ mitunter erst gar nicht zu einem Antrag kommt. Wie aus den meisten anderen Interviews auch hervorgeht, erleben die Interviewten die Interaktion beim Erstkontakt wie folgt: (hohe) Erwartungen bei Unkenntnis der Regeln auf der Seite der Anerkennungssuchenden und Notwendigkeit der Erklärung bzw. Aufklärung über
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die Regeln auf ihrer Seite. Es hängt damit davon ab, ob die institutionalisierten Bedingungen im Zuge des Erstkontakts als »erfüllt« bzw. »erfüllbar« bewertet werden, inwiefern das Verfahren weitergeht. Während es im Beispiel von Frau Runge um das Merkblatt ging, mithilfe dessen sie „ganz klar“ kommuniziert, worum es geht, werden in anderen Interviews ähnliche Prozesse in einem Beratungsgespräch beschrieben. Die Interviewten erklären „ganz genau“ das Prozedere, sie erläutern „ganz genau“, welche Unterlagen sie für die Bearbeitung des Antrags brauchen etc. Den interessierten Anerkennungssuchenden kommt in dieser Situation dann vor allem die Rolle zu, die an sie gerichteten Erwartungen zu verstehen und – sofern sie dann noch ihr Anliegen verfolgen wollen – das Angeforderte zu liefern. An ihrem Verständnis und ihrer Kooperation werden sie dann wiederum gemessen. In vielen Interviews dokumentiert sich, dass mit dem Kontakt auch ein Bild oder Eindruck von den Antragstellerinnen entsteht, das letztlich auch eine Bewertung der Eignung beinhaltet. Sehr kurz und prägnant zusammengefasst wird dies an folgendem Beispiel aus dem Interview mit Frau Nolte deutlich. Sie spricht rückblickend von Begegnungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes zum 1. April 2012 als die Approbationserteilung für Ärzte noch von der Staatsangehörigkeit abhängig war: FRAU NOLTE: […] ich fand das schon manchmal schwer jemanden hier vor sich sitzen zu haben, der gerne arbeiten wollte, //mhm// der auch irgendwie so’n fähigen Eindruck gemacht hat, und man musste dem sagen ja kannst leider keine Erlaubnis bekommen weil de- oder such dir’n deutschen Ehegatten //mhm// dann haste den deutschen Mann pro forma und dann bekommste ne Erlaubnis und kannst als Ärztin arbeiten. //mhm// Das fand ich manchmal schon (.) tragisch […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 572 ff.).
Dass die Person „gerne arbeiten“ will und „irgendwie ... fähig“ wirkt, sind Bewertungen, die in der Situation des Erstkontakts spontan entstehen. Ihr hier geäußertes Bedauern, dass im Rahmen der zu dem Zeitpunkt geltenden rechtlichen Bedingungen nichts zu machen war, zeigt auch, dass sie der Anerkennung andernfalls (heute) positiv gegenüber gestanden hätte. Der erwähnte Ratschlag zur Heirat mit einem Deutschen bestärkt diese Einschätzung. Beschreibungen der Anerkennungssuchenden, die Frau Noltes Assoziation eines „fähigen Eindruck[s]“ ähnlich sind, lassen sich auch in anderen Interviews finden. Sie legen nahe, dass auch spontane Bewertungen eines „unfähigen Eindrucks“ gang und gäbe sind. Darüber wird allerdings nicht explizit gesprochen. Mitunter bietet das Verfahren genug Formalia an, andere Ablehnungsursachen zu nennen. Auch in Zusammenhang mit den habitustheoretischen Überlegungen Bourdieus interpretiere ich den Erstkontakt als ein das Bewertungsergebnis vorstrukturierendes Ereignis.
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5.2.1.2 Zuordnung zu einer »deutschen Referenzqualifikation« Institutionell festgelegt ist, dass die ausländische Qualifikation zum Zweck des Ausbildungsvergleichs zu einer sogenannten deutschen Referenzqualifikation zugeordnet wird. Das setzt voraus, dass sie zunächst als grundsätzlich vergleichbar mit einer deutschen Qualifikation bewertet wird. Entscheidend ist deshalb, ob sie als zuordenbar bewertet wird und wenn ja zu welcher Referenzqualifikation. Eng damit verbunden ist, ob eine bestimmte Stelle für jemanden zuständig ist oder nicht. Ich gehe im Folgenden zunächst auf Ausschluss mangels Zuordenbarkeit einer »ausländischen« Qualifikation zu einer »deutschen Referenzqualifikation« ein. Danach thematisiere ich die für den Verlauf des Verfahrens entscheidende Frage, welcher »deutschen Referenzqualifikation« sie zugeordnet wird. Im Fokus der Lehrerinnen-Bewertung aus sogenannten »Drittstaaten« steht noch vor der »Gleichwertigkeitsprüfung« die Feststellung, ob es eine Lehramtsbefähigung ist, „wie es die bei uns gibt“: FRAU RICHTER: […] man muss sich dann ja wirklich vorstellen das iss von äh Amerika (.) Hawaii bis äh bis Philippinen Russland China alles dabei, //mhm// also letztens Malediven zum Beispiel, das iss dann wirklich interessant, ähm und man muss (.) das mag anfangs äh wirklich sehr äh sehr sehr unverständlich sein, man muss wirklich diese ganzen Ausbildungen aus den Ländern äh einschätzen können einsortieren können, sind das überhaupt Lehramtsbefähigungen oder eben nicht, //mhm// äh wie sieht das Recht in dem einzelnen Staat aus also hat er überhaupt eine Lehramtsbefähigung so wie es die bei uns gibt? Das sind ja meistens die Schwierigkeiten schon alleine am Anfang […] (LEHR (Richter) 2-22: 15 ff.).
Etwas später führt Frau Richter diese Gedanken weiter aus, indem sie Ausschlusskriterien für eine Zuordnung zum deutschen Lehrberuf formuliert. Ihr zufolge seien bei 70 % der Ablehnungen die Fachvoraussetzungen nicht erfüllt, bspw. weil ein oder zwei Unterrichtsfächer fehlten. Ebenfalls häufig sei – sie spricht von 20 % der Ablehnungen –, dass die Lehrer-Ausbildungen nicht auf universitärem Niveau, sondern auf Fachschulniveau sind. Als Beispiele nennt sie Russland und den nordafrikanischen Raum. Das deutsche Lehrausbildungssystem, zwei Unterrichtsfächer und ein Studium an einer Hochschule, ist damit der Maßstab, an den die anderen Systeme bzw. die jeweiligen in ihnen ausgebildeten Antragsteller heranreichen müssen. In dem Interview mit Frau Richter dokumentiert sich ihre Erfahrung, dass die Vergleichbarkeit und damit Zuordenbarkeit häufig nicht »gegeben« ist. Dies wird auch besonders deutlich in der Aussage, dass sie das Anerkennungsverfahren „gegen Null treiben“ würden, wenn sie nicht wenigstens diejenigen anerkennen, die zwei Fächer studiert haben (vgl. Abschnitt 5.2.2.1).
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Ähnliche Probleme im Sinne von »Passung« ins System im Bereich der Pflegekräfte- und Ärzte-Anerkennung zeigt sich in der Begegnung der Interviewten im Gesundheitsbereich mit dem Beruf des „Feldschers“, ein Beruf, der in den Ländern der „ehemaligen UdSSR“ vorkommt. Weder der einen noch der anderen Qualifikation können die Interviewten ihn zuordnen, weil er als eine „Art Unterarzt“ zu bewerten sei: FRAU RUNGE: […] Und wir ham noch son weiteren Fall, das sind so die sogenannten Feldschere. die gab’s auch in der ehemaligen UdSSR das iss’n Beruf den es hier deutlich nich gibt, //mhm// der iss angesiedelt das iss’n Art Unterarzt. //okay// zwischen Arzt und Krankenschwester. für ne Krankenschwester, viel mehr, für’n Arzt zu wenig. und wenn die Leute hier ‘n Antrach stellen äh dann ham wir natürlich das Problem wohin. //mhm// fürn Arzt reicht es nich, //mhm// (.) für die Krankenschwester fühlen die sich überqualifiziert, //mhm// wir selber können ihn aber nur in diesen Beruf reinstecken wenn überhaupt das dürfen wir aber auch nur dann […], wenn die später in der Krankenpflege gearbeitet haben in ihrem Heimatland mehrere Jahre. //mhm// […] dann können wir versuchen das hier auf den Beruf der Gesundheitsund Krankenpflegerin mit aufzupacken. //mhm// mit Defiziten zwar aber immerhin können wir dem überhaupt einen Beruf zuordnen […] (PFLE (Runge) 1-03: 563 ff.).
Hier zeigt sich, dass die Zuordnungsproblematiken (wenn sie gelöst werden und nicht mit Nicht-Bewertbarkeit enden) im Regelfall mit einer Abqualifikation einhergehen. Es wird hier auch die Erfahrung deutlich, dass eine Nicht-Passung ins Berufssystem, weil der Beruf mit keiner »deutschen Referenzqualifikation« als vergleichbar bewertet wird, mit einem Ausschluss vom »Anerkennungsverfahren« einhergehen kann. In Bezug auf die Frage, welcher »deutschen Referenzqualifikation« die zu bewertende »ausländische« Qualifikation zugeordnet wird, bestehen zwei miteinander verknüpfte Probleme. Zum einen, dies betrifft vor allem das Handwerk, geht es darum, die »passendste« deutsche Referenzqualifikation, den »passendsten« Handwerksberuf, als Vergleichsgrundlage zu finden, um das »beste« Ergebnis herauszuholen. Zum anderen ist die Frage bei den akademischen Abschlüssen (weil Studienordnungen im Gegensatz zu Ausbildungsordnungen nicht in Bundesgesetzen vereinheitlicht sind), welche Studienordnung welcher Universität als Vergleichsgrundlage herangezogen wird. Das interaktive Herantasten an die Frage, welche Vergleichsgrundlage herangezogen wird, und damit auch die Verhandlung über die Chancen, macht der folgende Ausschnitt von Frau Landmann exemplarisch deutlich: FRAU LANDMANN: […] wir brauchen erstmal ne Aussage ne kl- es muss klar sein in welchem Beruf also zu welchem deutschen Beruf soll überhaupt ne Vergleichbarkeit abgeprüft werden. //mhm// So. (.) äh denn die haben ja teilweise auch ganz andere Berufsbezeichnun-
258 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS gen und mitunter (.) äh ham die zwei Sachen, zum Beispiel Möbel- und Bautischler in eins das geht hier gar nich. //mhm// also Bautischler also das- bei uns gibt’s nur den Tischler, und dann müssen- und der baut der Bautischner- -tischler war da e- zu vergleichen mit’m Zimmerer. //mhm// Damit die wissen- also wir haben wir haben das bis jetzt immer so gemach (.) wo wir gesagt haben die kenn- das Problem iss ja auch dass der Antragsteller oft nicht die deutschen Berufsbezeichnungen und Inhalte kennt. //mhm// wir haben denen dann die Ausbildungsrahmenpläne erstmal geschickt und haben ges- haben denen empfohlen, die durchzugucken, //mhm// und sich festzulegen wo sie die meisten Parallelen finden. //mhm// Und wir können aber nich für die entscheiden, welchen Antrag die stellen, und dann dementsprechend `n Antrag zu stellen […] (HAND (Landmann) 1-02: 265 ff.).
Es zeigt sich in ihrer Argumentation, dass sie damit ringt, wie die Entscheidung über die Zuordnung letztlich fällt. Sie möchte es nicht verantworten, das den Antragstellern selbst zu überlassen, weil sie sich nicht mit den deutschen Berufen auskennen, noch möchte sie es jedoch selbst übernehmen, in mehreren Ausbildungsrahmenplänen vor der eigentlichen Antragstellung „die meisten Parallelen zu suchen“. Sie steuert die Zuordnung, indem sie zur Auswahl stehende Ausbildungsrahmenpläne zuschickt und kommuniziert, worauf es bei der Gleichwertigkeit ankäme („Parallelen“). Sie grenzt sich aber davon ab, den Antragstellerinnen die Bewertung maximaler Chancen (als Bewertung vor der Bewertung) abzunehmen. Dies spricht dafür, dass sie mit dieser Erwartung konfrontiert ist. In den Stellen, die Ärztinnen und Architektinnen bewerten, ist vor allem die Auswahl der »deutschen« Vergleichsgrundlage ein zentrales Thema. Je nachdem welche Studienordnung welcher Universität als Vergleichsgrundlage gewählt wird, kann das Ergebnis des Ausbildungsvergleichs, die Gegenüberstellung von Stunden und Fächern, anders aussehen. Aus dem Interview mit Herrn Meyer geht das diesbezügliche Hadern mit der dadurch bedingten Selektion sehr deutlich hervor: HERR MEYER: […] das [Stunden und Fächer vergleichen, I.S.] iss mühsam weil man nich mal ja für die Bundesrepublik Deutschland eine Musterstudienordnung hat. Ne? Weil man ja dann gucken muss- dann muss ich mir unsere Universitäten nehmen [Universitäten im Bundesland], was anderes bleibt mir nich übrig //mhm// pff es gibt hunderttausend Universitäten mit Modellstudiengängen in der Medizin das kann man alles nich als Vergleich dann heranziehen […] und und raus kommt dann dabei nämlich dass sich auch manchmal möglicherweise Antragsteller ja ungerecht behandelt fühlen weil (2) äh sie in diesem Bundesland kriegen in dem anderen Bundesland kriegen sie aber nich die Anerkennung, //mhm// obwohl sie an der gleichen Universität studiert haben […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 98 ff.).
Die Notwendigkeit der Zuordnung »ausländischer« Qualifikationen zu »deutschen« Referenzqualifikationen wirft damit gleichsam auch die Frage auf, was eigentlich ein »deutscher« Arzt ist. Es lässt sich den Antragstellern nicht plausibel erklären,
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dass sie in dem einen Bundesland anerkannt werden und in dem anderen nicht. Dass die Frage nach der Anerkennung ausländischer Qualifikationen die Frage aufwirft, was denn der zugrunde gelegte eigene Maßstab ist, wird auch in folgendem Auszug von Herrn Kuhn deutlich. HERR KUHN: […] jetzt sind die äh Bachelor- und Masterstudiengänge aber längst nich so eindeutig immer aufgestellt, da entstehen ja richtige Blüten auch und äh eben auch spezialisierende Studiengänge also beispielsweise sechs Semester (.) Architektur hat dann jemand studiert im Ba- mit Bachelor abgeschlossen und dann hat er noch mal vier Semester Denkmalpflege studiert //mhm// oder nur zwei Semester Denkmalpflege (.) […] aber nicht (.) das klassische Architekturstudium absolviert. //mhm// und ähm (.) und da dann irgendwann entscheiden zu können iss das jetzt womöglich trotzdem im Kern ein vierjähriges Architekturstudium, ähm das iss eigentlich so die große Herausforderung vor der wir stehen erstmal bei unseren inländischen Absolventen […] wenn wir das für die inländischen Studiengänge geklärt haben, //mhm// dann können wir eigentlich auch- dann wissen wir auch wie wir im Einzelfall mit (.) mit nem Absolventen aus Amerika Japan oder wo auch immer umgehen können […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 71 ff.).
Seit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen fehle ihm die Orientierung, was im Studium passiert und wie nun noch bewertet werden kann, ob die Mindestanforderung an ein Architekturstudium dadurch erfüllt sei. Es fängt bei den inländisch Qualifizierten an, dass er Schwierigkeiten hat, das noch zu beurteilen und er formuliert, dass sie das erstmal wissen müssten, bevor sie wissen, wie sie mit „Absolventen aus Amerika Japan oder wo auch immer umgehen können“. 5.2.1.3 Aussagen zu »Chancen« und »Kosten« Ein weiterer Aspekt ist die Vorab-Bewertung der Qualifikation, da in Informationsund Beratungsgesprächen auch Aussagen zu den Chancen auf Anerkennung gemacht werden. Diese können sowohl dazu führen, dass aufgrund geäußerten geringen Erfolgsaussichten von einem Antrag abgesehen wird, als auch dazu, dass die Bewertenden danach trachten, ihre Erst-Einschätzung offiziell zu bestätigen. Die Selektion durch Aussagen zu Chancen ist auch im Zusammenhang mit vielfach damit verknüpften Aussagen zu Kosten des Verfahrens zu sehen. Es wird zwischen Bewertenden und Bewerteten bereits im Vorfeld darüber verhandelt, ob es sich „lohnt“, einen Antrag zu stellen. Wie aus den meisten Interviews hervorgeht, wollen die Anerkennungssuchenden im Regelfall, dass die Bewertenden ihre Chancen bereits im Vorfeld einschätzen, damit sie beurteilen können, ob sich der Aufwand der Antragstellung lohnt. Neben Verwaltungsgebühren sind das z. B. Kosten für Beglaubigungen, Übersetzungen sowie
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die Arbeit zur Beschaffung und Vervollständigung der Antragsunterlagen.10 Es liegt in der Verantwortung der Mitarbeiterinnen in den Behörden und Kammern, welche Aussagen sie gegenüber den (potenziellen) Antragstellerinnen zu ihren Chancen auf eine Anerkennung im Vorfeld machen. Dieser Vorab-Bewertung der Chancen schreibe ich einen Steuerungseffekt zu und das auch dann, wenn eine solche Aussage vermieden wird. Am Beispiel des Interviews mit Frau Becker möchte ich aufzeigen, dass Chancen im Verhältnis zu Kosten ein zentrales Thema in der »Beratung« der Antragstellerinnen ist: FRAU BECKER: […] also Diplome Urkunden müssen schon übersetzt werden beglaubigt aber //mhm// ansonsten versuchen wir auch da Kosten einfach für den Antragsteller zu vermeiden //mhm// (.) also sprich ne Beratung iss ganz ganz ganz wichtig vorher und wir raten auch immer erst zur Antragstellung wenn wir wirklich sehen, dass man was sehen kann, //mhm// wir verm- also wir wir v- v- versuchen und es iss bis jetzt auch gelungen, ((atmet ein)) zu vermeiden dass jemand eine Ablehnung bekommt. //mhm// also dass man jemandem sagen muss (.) das iss nix und das wird nix […] (HAND (Becker) 2-10: 135 ff.).
Es dokumentiert sich die Bedeutung, die Aussagen zu »Chancen« im Vorfeld gerade aufgrund der anfallenden Kosten haben. Es zeigt sich damit aber auch, dass – sofern sie geäußert werden – de facto eine Bewertung der Qualifikation vor der eigentlichen Bewertung eines vorliegenden Antrags erfolgt. Frau Becker hat, ähnlich wie viele andere Interviewte – bereits in der »Beratung« eine Orientierung, wie die jeweilige Qualifikation aussieht, ob sie etwas Relevantes sehen kann. Durch ihre Aussagen, ob es Sinn macht, einen Antrag zu stellen bzw. ob Chancen auf eine Anerkennung (ggf. von Teil-Leistungen) bestehen, wird der Bewertungsprozess vor dem eigentlichen Ausbildungsvergleich gesteuert und eben auch verhindert. Dass die Kosten des Verfahrens für die Antragstellerinnen ein legitimer Grund sind, von einem Antrag abzuraten, wenn sie eine Anerkennung (bzw. »teilweise« Anerkennung) vorab für aussichtslos betrachten, zeigt sich auch in anderen Interviews. Zu fragen wäre hier, ob es die Verwaltungsgebühren vielleicht gerade auch deswegen braucht, damit die Anzahl der offiziellen Ablehnungen möglichst gering bleibt und man unter Verweis darauf abraten kann. Auf diese Weise schließen sich Antragstellerinnen womöglich selbst aus. Es kann sich dadurch das Gefühl einstel-
10 Die Verfahrenskosten sind je nach zuständiger Stelle und Bundesland unterschiedlich geregelt. Zum Teil ist es ein fester Betrag, zum Teil ist er abhängig von dem Aufwand des Verfahrens, der in der Regel vorab auch noch nicht abzuschätzen ist. Die bislang detaillierteste Übersicht der Verwaltungsgebühren findet sich meines Wissens in den Berichten der Bundesregierung (BMBF/BIBB 2014: 143 ff.; BMBF/BIBB 2015: 148 ff.).
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len, es gar nicht zu wollen (während die eigentlich Ursache dafür war, es am besten nicht (mehr) zu sollen). Im Interview mit Frau Becker zeigt sich auch, dass eine offizielle Ablehnung auch im symbolischem Sinne vermieden wird: „das iss nix und das wird nix“ möchte man niemandem sagen. Durch Verweis auf eine Kostenersparnis wird die Ablehnung („man sieht nichts“) in Wohlwollen gehüllt. Frau Zink problematisiert ihr Nicht-Wissen in Bezug auf die Chancen als ein Dilemma, das die Antragsteller auch im Unsicheren über das zu erwartende Ergebnis und mitunter auch die Verfahrenskosten lässt: FRAU ZINK: […] Ähm ohne die entsprechenden Informationen kann man den Antragstellern auch nich viel (.) mit auf den Weg geben […] es ja eben genau Gegenstand des Verfahrens ist, ähm herauszufinden ob es gleichwertig iss oder nich. Ähm wenn man das direkt sagen könnte dann ähm (.) müsste das Verfahren auch nich so teuer sein […] (HAND (Zink) 4-21: 504 ff.).
Es zeigt sich hier, dass die Antragsteller letztlich dafür bezahlen, dass die Interviewten (und der deutsche Staat) ihre Qualifikation nicht einordnen und einschätzen können, sozusagen die Recherchekosten. Mit der Antragstellung gehen sie das Risiko ein, dass sie für ein Verfahren bezahlen, das am Ende womöglich zu dem Ergebnis führt, dass ihr Abschluss »nicht gleichwertig« ist. Es ist naheliegend, dass dieses Risiko vor allem dann eingegangen wird, wenn im Vorfeld von den Bewertenden gute Chancen attestiert werden und/oder wenn die finanzielle Situation der Antragstellerinnen es zulässt, das Risiko einzugehen.11 Weitergehend werden auch Bildungs- und Migrationsentscheidungen von jenen Aussagen abhängig gemacht, ob die Qualifikation (irgendwann später) anerkannt wird. Insbesondere Interviewte aus dem Bereich der Architektur kommen selbstläufig auf derartige größere Zusammenhänge zu sprechen. Diese möchte ich hier nur kurz in einer Zusammenfassung wiedergeben. Herr Kuhn spricht bspw. davon, „total am Eiern“ zu sein, weil Anfragen von Bachelor-Absolventen „hereinstürzen“, die im Vorfeld eines Masterstudiums in „Wismar“ oder „London“ wissen wollen, ob sie sich danach mit diesem Abschluss als Architektin eintragen lassen können (ARCH (Kuhn) 1-11: 555 ff.). Es belastet ihn, „vorausschauend sowieso keine Einschätzung abgeben“ zu können, weil „so'n Studium individuell noch mal unterschiedlich laufen kann“, während er gleichzeitig das Anliegen an sich nachvollziehbar und das Studium an mehreren Orten und Ländern als wünschenswert betrachtet. Frau Sachs berichtet von ihren Erfahrungen, dass viele Antragstellerinnen schon „ein Standbein in Deutschland“ haben und dass es häufig die Verlobten sei-
11 Unter wiederum spezifischen Voraussetzungen werden »Anerkennungsverfahren« auch gefördert, z. B. von der Bundesagentur für Arbeit, was hier jedoch nicht Thema ist.
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en. Sie bekäme oft schon vor dem Umzug bzw. einer Heirat die Anfrage, ob ihr Abschluss als Architektin in Deutschland anerkannt werden würde (ARCH (Sachs) 318: 511 ff.). Mit diesen Beispielen ist darauf verwiesen, dass die im Vorfeld angefragten und geäußerten Aussagen zu Chancen nicht nur im Verhältnis zu den unmittelbaren Verfahrenskosten stehen, sondern im weiteren Sinne biografisch mit diesen Aussagen geplant wird. Es wird generell von den Interviewten eher thematisiert, dass von einer Antragstellung abgeraten wird, als dass im Zuge der Beratung explizit zugeraten wird. Sofern es solche Konstellationen in der Praxis auch gibt, stellt sich die Frage, wie bindend die Aussage, gute Aussichten auf eine Anerkennung zu haben (während der Erstberatung), für die später vorgenommene und in einem Bescheid verschriftlichte Bewertung des Antrags ist. 5.2.1.4 »Vollständigkeit« der Antragsunterlagen Die »Vollständigkeit« eines Antrags als Voraussetzung für den Beginn eines Verfahrens ist bereits eine Bewertung. Ein entscheidender Selektionsmechanismus besteht darin, dass mittels Listen institutionell definiert ist, was – zumindest dem Namen nach – für eine Anerkennung und speziell die Durchführung des Ausbildungsvergleichs vorliegen muss. Die Voraussetzungen der »Vollständigkeit« sind damit einseitig »deutsch« normiert und schließen zwangsläufig diejenigen aus, die diese Normen allein deswegen nicht erfüllen, weil ihre Qualifikation administrativ und rechtlich anders normiert ist. Zentral ist auch, was die Interviewten in einer konkreten Situation als vollständig akzeptieren und was nicht. Das Verfahren kann sich infolge dieses Urteils fortsetzen, mangels »Vollständigkeit« gänzlich abbrechen oder ggf. (nur noch) mit individuellen performativen Prüfungen fortgesetzt werden. Dass die Feststellung der »Vollständigkeit« zentral ist, damit das Verfahren überhaupt beginnt, zeigt sich besonders gut im Interview mit Frau Anton. Als ob sie eine verinnerlichte Checkliste abhakt, geht sie durch, welche Unterlagen in dem Antrag enthalten sein müssen, damit sie „in Bearbeitung geht“. FRAU ANTON: […] so jetzt kommen wir aber zum Eigentlichen, (.) also wenn jemand eine Ausbildung äh (.) im Ausland gemacht hat, zum Beispiel in Polen, //mhm// äh dann muss er bei uns einen (.) Antrag stellen. //mhm// also wir selber arbeiten nicht mit Antragsvordrucken, //mhm// das heißt dieser Antrag erfolgt formlos, //mhm// er bittet lediglich um die Anerkennung (.) ähm auf Gleichwertigkeit seines Berufes, (1) dann äh muss er uns eine äh Erklärung darüber abgeben, dass er einen (.) derartigen (.) Antrag, oder beziehungsweise eine Erklärung abgeben wenn er schon mal einen Antrag gestellt (.) hat, //mhm// in [Bundesland] oder auch in einem anderen Bundesland und wie darüber entschieden worden ist, //mhm// (1) und ähm (.) ja sofern zutreffend noch eine Erklärung darüber, äh dass ihm das Diplom seines Heimat-
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landes nicht durch eine Behörde entzogen worden ist. //mhm// (.) weil das kann natürlich (.) auch passieren, genauso wie auch bei uns, wenn wir erfahren dass jemand straffällig geworden ist, Einträge im Führungszeugnis hat und das Strafmaß //mhm// eben so hoch ist dass wir sagen nee den können wir jetzt nich in dem Gesundheitsfachberuf ähm arbeiten lassen, dann entziehen wir auch die Berufserlaubnis. //mhm// (.) dann noch einen Auszug aus dem Register der Meldebehörde, (.) das benötigen wir deswegen weil hier die örtliche Zuständigkeit gegeben ist, das heißt wir bearbeiten nur Anträge wenn derjenige in [Bundesland] wohnt, //mhm// oder es gibt eben noch den Fall wenn jetzt zum Beispiel (.) das haben wir also auch schon vermehrt gehabt, (.) dass jemand sacht das Altenpflegeheim in [Landkreis], das und das möchte mich gerne einstellen aber die wollen natürlich sichergehen, dass ich auch die entsprechende Qualifikation dafür habe. //mhm// dann gehen wir auch in die Bearbeitung. //mhm// ja des weiteren, brauchen wir noch einen tabellarischen Lebenslauf, //mhm// das heißt ähm (.) iss für uns natürlich auch wichtig, wie lange war die Ausbildung ähm was hat er die ganze Zeit über gemacht, oder hat er zum Beispiel schon in seinem Beruf ‘n paar Jahre gearbeitet, //mhm// weil das sind nachher alles Dinge die wir dann für die Bearbeitung benötigen. //mhm// ((blättert)) (3) dann noch eine Geburts- oder Heiratsurkunde, und das auch jeweils immer in der Heimatsprache und in deutscher Sprache, //mhm// dann ganz wichtige Dokumente für uns ist ähm (.) das Diplom, (.) auch wieder in der Heimatsprache und in deutscher Sprache, (1) weil wir haben zum Beispiel im (.) Krankenpflegegesetz auch einen Anhang, //mhm// ähm weil wir müssen ja auch immer unterscheiden, zwischen den EU-Staaten, //mhm// und den (.) äh anderen Staaten wie zum Beispiel Russland, //mhm// da gibt es so einige Unterschiede in den Gesetzen, (.) und ähm (.) im Anhang sind zum Beispiel jetzt die Berufe aufgeführt die nach Beitritt der EU beziehungsweise nach einem Stichtach, wenn jemand dann diese Berufsbezeichnung führt, //mhm// dann kann man sagen ja das iss gleichwertig. //mhm// dann können wir das (.) berücksichtigen. und dann brauchen wir natürlich auch immer (.) detaillierte Übersichten, (.) ähm der theoretischen und praktischen Unterrichtsfächer, //mhm// mit Noten und Stundenzahl, (.) das auch wieder jeweils in der Heimatst- -sprache und übersetzt […] (PFLE (Anton) 2-05: 144 ff.).
Frau Anton sieht in den Anforderungen an die Unterlagen keine Verhandlungsspielräume. Dies wird dadurch deutlich, dass sie das Deckblatt des Antrags »Antragsformular« versus »formloser Antrag« als alternativ denkbare Anforderungen formuliert, während ihre Beschreibung der anderen Antragsunterlagen danach keinerlei Hinweise auf alternative Möglichkeiten der Handhabung aufweist. Im späteren Verlauf wird durch Nachfragen der Interviewerin ebenfalls deutlich, dass sie bei »Antragsteller« an diejenigen denkt, deren Anträge in dem hier dargestellten Sinne »vollständig« sind. Es zeigt sich, dass das Urteil »unvollständig« dazu führt, dass sie nicht (oder noch nicht) in ihren Bearbeitungsbereich fallen. Frau Graf geht dagegen auf die Situation und die Konsequenzen ein, wenn Unterlagen in der geforderten Form nicht vorgelegt werden:
264 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS FRAU GRAF: […] Und manche können das so explizit auch nich vorlegen. //mhm// (.) Ähm also vom Stundenumfang her. //mhm// Die bringen Zeugnisse und da stehen Noten drin, //mhm// und ähm was für Fächer erteilt worden sind in welchem Umfang das können sie mitunter nich nachweisen, //mhm// und äh für diese Antragsteller bleibt dann die Möglichkeit entweder Eignungsprüfungen oder ein Anpassungslehrgang […] wenn die Antragsteller sagen, also das können wir auch nich nachweisen und können //mhm// es nich erbringen, weil wir das eben nich kriegen, oder weil es vielleicht die Schule nich mehr gibt oder (.) so in dieser Richtung […] (PFLE (Graf) 3-19: 116 ff.).
Die Bewertung, dass die Erwartungen an die Antragsunterlagen, wie hier Angaben zu den absolvierten Fächern mit Stundenumfang, nicht erfüllt werden können, führt dazu, dass performative Prüfungen (bzw. Lehrgänge) angeboten werden. Es dokumentiert sich, dass diese Schritte dann eingeleitet werden, wenn die Antragstellerinnen zu verstehen geben, dass mit den erwarteten Unterlagen bzw. Angaben nicht mehr zu rechnen ist. Im Folgenden gehe ich auf Beispiele ein, in denen von eigenen Recherchen und Nachforschungen die Rede ist. Es dokumentieren sich darin unterschiedliche Formen des Umgangs mit der Erfahrung, dass die Unterlagen nicht so aussehen, wie man es erwartet hat und wie man es bräuchte, um den Vergleich wie geplant durchzuführen. Frau Fechner spricht zum Beispiel in Bezug auf die eingereichten Unterlagen von der Unterschiedlichkeit der Studiennachweise, die nicht unbedingt die Form haben, die für sie am einfachsten zu handhaben wäre: FRAU FECHNER: […] teilweise iss es ja heute bei den neueren Bescheinigungen auch äh sind ja auch ECTS ausgewiesen, haben wir bei den Alten ja eher weniger, da sind dann mal Stunden drin, manchmal hat man gar nix, also das iss schon- auch diese Studiennachweise sind sehr unterschiedlich von der Auflistung her. Bei manchen iss es einfach nur ne Auflistung, //mhm// eventuell noch’n St- ‘ne Stundenzahl dahinter, oder noch ne Note dahinter, manchmal (.) äh iss es gerade mal ne Auflistung es iss sehr unterschiedlich und da muss man dann eben gucken, ja (.) was fordert man da jetzt noch […] (LEHR (Fechner) 3-23: 363 ff.).
Es wird hier deutlich, dass sie die Unterschiedlichkeit der Bescheinigungen akzeptiert und selbst nach einem Weg sucht, sich trotz allem zu orientieren („da muss man dann eben gucken“). Frau Peters formuliert es explizit als eine ganz normale Erfahrung, dass die geforderten Unterlagen mit dem Antrag nicht vorliegen und es eine Diskrepanz zwischen dem Plan und der Realität gibt: FRAU PETERS: […] das beginnt damit dass (.) äh die Menschen Anträge stellen müssen, //mhm// dazu gibt es ne lange Liste welche Unterlagen man beifügen muss was im Regelfall nich klappt, aber (.) äh so so angedacht iss […] (LEHR (Peters) 1-14: 75 ff.).
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Später geht sie darauf ein, eigene Internetrecherchen durchzuführen, um die Unterlagen zu vervollständigen (vgl. 5.2.4). Herr Kuhn spricht ebenfalls von einem Bemühen um Vervollständigung der Vergleichsgrundlage als eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob er es an die Antragsteller zurückgibt oder selbst „in die Internetrecherche einsteigt“: HERR KUHN: […] dazu [zum Vergleichen, I.S.] reichen oft eben auch nicht allein die die Zeugnisse sondern dass man tatsächlich noch mal (.) irgendwelche Internetausdrucke aus äh aus Studienplänen oder so sich dort äh entweder selbst ranklaubt oder nach Möglichkeit natürlich liefern lässt von den Absolventen aber es iss wirklich so dass ich oft da selbst dann noch in die Internetrecherche einsteige //mhm// (.) ähm (.) ja vielleicht vielleicht sind wir da auch fast schon zu dienstleistungsorientiert kommt mir gerade so eigentlich könnten wir so was zurückgeben und sagen iss nich beurteilungsfähig, andererseits möchte man natürlich auch den Leuten helfen und es sind ja oft auch auch so wirklich schon Schicksale fast dahinter grad […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 628 ff.).
Ich betrachte es damit als einen entscheidenden Teil der Bewertung, ob ein Antrag als solcher angenommen und weiter bearbeitet oder mit Verweis auf »Unvollständigkeit« abgelehnt oder (noch) nicht bearbeitet wird. Frau Anton blendet Abweichungen von der Norm – ihrer verinnerlichten Checkliste – weitestgehend aus. Bei Frau Graf bleibt »Unvollständigkeit« weitestgehend ein Problem der Beschaffungsmöglichkeiten der (potenziellen) Antragstellerinnen. Es kann, wie im Fall von Frau Fechner, im Kontext der eigenen Bewertungstätigkeit problematisiert werden, dass Studiennachweise unterschiedlich sind und als Frage thematisiert werden, was man noch nachfordert, um die Qualifikation trotzdem beurteilen zu können. Oder es können wie im Fall von Herrn Kuhn oder Frau Peters selbst Recherchen unternommen werden, um »das Bild« über die ausländische Ausbildung zu »vervollständigen«, während die Frage offen bleibt, ob, wann und für wen dies im Zweifel jeweils getan wird (vgl. 5.3). 5.2.1.5 »Echtheit« der Zertifikate Die Überprüfung der »Echtheit« der Zertifikate beinhaltet eine weitere Selektion im Vorfeld der »Gleichwertigkeitsprüfung«. Damit sind jeweils Abwägungen verbunden, im Rahmen derer die Dokumente bestimmter Ausbildungsstaaten eher unter Verdacht geraten, nicht echt zu sein, als andere. Die Angst, dass die Ausbildungsunterlagen nicht »echt« sein könnten und die Behörden und Kammern Betrügerinnen aufsitzen, ist in allen Interviews und in vielen einzelnen Interview-Auszügen präsent. Ich führe hier ein Beispiel von Frau Runge heran, indem sie explizit darüber spricht, wie sie sich diesbezüglich abzusichern
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versucht. Dabei wird deutlich, dass die Zweifel an der Echtheit der Unterlagen von einer Klassifikation von Ausbildungsstaaten (der „Roten Liste“) getragen sind „wo man diese Diplome einfach kaufen kann“. Es werden vereinzelt Maßnahmen angestrebt, um sich über Dritte, wie zum Beispiel die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen oder die deutschen Konsulate im Ausland die Echtheit bestätigen zu lassen. FRAU RUNGE: […] ich kann dort [zur ZAB in Bonn, I.S.] meine Unterlagen hinschicken und ein sogenanntes Gutachten in Auftrag geben, und die bitten da mal draufzugucken. (.) das mach ich auch mit einigen Ländern, die wir auf unserer sag ich mal Roten Liste haben in Sachen äh Fälschung. //mhm// (.) [A-Staat, B-Staat] sind Länder wo man diese (.) Diplome einfach kaufen kann. //mhm// und zwar ganz einfach und deshalb haben wir mit diesen Ländern sowieso ‘n Problem, //mhm// das (.) andere Problem iss diese Zentralstelle iss sehr überlastet. //mhm// wir haben früher noch viele Echtheitsüberprüfungen gemacht dass wir wirklich zum Beispiel bei den [A-Staat] gesagt haben geht übers Konsulat und guckt, ob dieses Diplom wirklich für diese Person ausgestellt wurde. //mhm// das war nämlich meistens nich so. //mhm// aber inzwischen das iss schon nich mehr möglich allerdings liegt’s auch daran dass da- die Konsule im Ausland einfach sagen nö machen wir nich, //mhm// und eben zum Teil daran dass das Personal äh für diese Anforder- also es gibt nich genug Personal .. es wird ja überall gespart im öffentlichen Dienst und ähm (.) das Problem iss dass wir manchmal wirklich ‘n halbes bis ‘n Jahr auf dieses Gutachten warten. //mhm// das geht ja nach der neuen Gesetzgebung überhaupt nich weil wir dürfen ja maximal drei Monate brauchen //mhm// (.) und da ham wir’n Problem […] (PFLE (Runge) 1-03: 186 ff.).
Es dokumentiert sich in diesem Ausschnitt, dass sie von jenen Institutionen, die ursprünglich diese Aufgabe hatten, aktuell wenig Hilfestellung bei der Beurteilung der »Echtheit« der Diplome bekommt und deshalb auch mit dieser Entscheidung weitestgehend alleine ist. Dass sie sich an einer „Roten Liste“ orientiert, das heißt einer Klassifikation von Ländern, bei denen sie befürchten muss, dass die Diplome gekauft sind, ist ihren Erfahrungen mit Qualifikationen aus diesen Ländern geschuldet. Gleichsam stellt das Vorgehen bestimmte Antragstellerinnen unter Generalverdacht und macht die Überprüfung der »Gleichwertigkeit« aufwendig und per se zweifelhaft. Dagegen stellt sich dies im Falle anderer Ausbildungsstaaten nicht so dar, dass eine Überprüfung der Echtheit erforderlich scheint. Neben der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen und den Konsulaten wird auch das Internet herangezogen, um Zweifeln an der Echtheit der Unterlagen nachzugehen. Das zeigt sich am deutlichsten im folgenden Auszug von Frau Nolte. Sie spricht hier davon, dass sie die Dokumente mithilfe des Internets einordnet: FRAU NOLTE: […] das Internet iss schon so die größte Recherchequelle //mhm// auch wenn man vielleicht manchmal //mhm// ja Dokumente bekommt die man irgendwie so nich einord-
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nen kann wo man nich weiß ja was iss das jetzt für'n Krankenhaus iss das ‘n Gefälligkeitskrankenhaus oder oder man hat halt so’n Eindruck dass alles in sich irgendwie so unschlüssig iss. dann kann man natürlich auch im Internet über diese Einrichtung recherchieren. //mhm// Oder gibt’s den Arzt überhaupt der das ausgestellt hat […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 320 ff.).
Die Recherche über das Internet dient in diesem Beispiel vor allem dazu, die »Echtheit« der Unterlagen beurteilen zu können. Als Ausstellerinnen erwähnt sie hier Krankenhäuser und Ärzte. Daraus lässt sich schließen, dass sie hier nicht an die Ausbildungszertifikate denkt, sondern an Nachweise über eine Berufserfahrung, die als Ausgleich für festgestellte »wesentliche Unterschiede« in der Ausbildung herangezogen werden können. In den Fragestellungen, die der Internetrecherche zugrunde liegen, ob das Krankenhaus vielleicht ein „Gefälligkeitskrankenhaus“ ist oder ob es „den Arzt überhaupt [gibt,] der das ausgestellt hat“ zeigen sich zwei spezifische Ansatzpunkte für Zweifel an den Unterlagen. Es wird deutlich, dass es von den einzelnen Mitarbeiterinnen abhängt, ob und wie viel sie an welchen und wessen Unterlagen zweifeln. Aus dem Interview mit Frau Runge wurde deutlich, dass sie am liebsten den deutschen Konsulaten im Ausland die Aufgabe, »Echtheit zu prüfen« überlassen würde. Das würde sie von ihrer Verantwortung befreien. Sie problematisiert vor allem, dass dies aufgrund von Personalkürzungen anders als früher nicht mehr gemacht wird. In dem Interview mit Frau Nolte zeigt sich dagegen in ihrem Umgang mit den Zweifeln ein sehr großes Vertrauen, dass das Internet die Wirklichkeit abbildet und sie durch Internetrecherchen eine Antwort auf ihre Fragen zu »Echtheit« findet. Der Abschnitt lässt zum einen Grübeln, wie sie anhand von Internetseiten „Gefälligkeitskrankenhäuser“ von „richtigen“ Krankenhäusern unterscheidet. Zum anderen ist fraglich, wie das Verfahren fortgesetzt wird, wenn sie den Arzt, der das Dokument ausgestellt hat, im Internet nicht finden kann. In jedem Fall, so lautet meine Interpretation, wird sie vor allem dann ihre Skepsis bestätigt wissen, wenn die gefundenen Internetseiten nicht ihren eigenen Erwartungen und Standards, wie die Internetseite eines Krankenhauses (oder eines Arztes) auszusehen hat, entsprechen. 5.2.1.6 »Sprachnachweis« Die Überprüfung der deutschen Sprachkenntnisse ist eine weitere große Hürde, vielfach auch bevor ein Antrag gestellt und die »Gleichwertigkeit« des Abschlusses geprüft wird. Zum Teil hängt auch diese Einschätzung an den einzelnen Mitarbeitern. Ein »Sprachnachweis« ist je nach Beruf und Bundesland eine gesetzliche Bedingung für die Feststellung der »Gleichwertigkeit« der Fachkenntnisse. Die Anerkennung der Qualifikation, bereits ihre Bewertung, scheitert mitunter auch an dem geforderten »Sprachnachweis«.
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Insbesondere in den Gesundheitsberufen und je nach Bundesland auch bei Lehrerinnen ist der Nachweis deutscher Sprachkenntnisse die gesetzliche Voraussetzung für die Anerkennung einer Qualifikation als »gleichwertig«.12 In der Regel wird ein Nachweis erwartet, der sich auf ein bestimmtes Niveau des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen bezieht. Dass den Interviewten nichtsdestotrotz Bewertungsspielräume bleiben, um zu entscheiden, wird in folgendem Auszug des Interviews mit Herrn Meyer besonders deutlich: HERR MEYER: […] Ja und mit den Deutschkenntnissen iss es natürlich auch son Problem. Das iss ja auch schwierig //mhm// (.) es iss zwar B2- es iss ja nich- nirgendwo f- festgelegt was für’n Nachweis die als Deutschkenntnis haben müssen ne? //mhm// Auf B2 hatten sich dann mal alle Bundesländer so geeinigt im großen Rahmen. //mhm// (1) Aber (.) eigentlich iss es nich ausreichend. //mhm// Würde ich sagen. Außerdem iss B2 nich gleich B2. //mhm// Ne, wenn man B2 äh: mit einem B2-Zertifikat aus was weiß ich Saudi-Arabien kommt iss es manchmal etwas anders als mein- aus aus äh (3) Serbien oder so. //mhm// Also es iss manchmal schwierig. Und ich hab auch schon zwei oder dreimal wirklich gesagt also mm nee geht gar nich Sie können gerne im halben Jahr wiederkommen aber so geht’s (.) gar nich. //mhm// (.) Aber das iss dann natürlich auch immer schwer das zu sagen weil die ja dann: in der Regel ja hier sind und und und (.) gerade jetzt in diesen Zeiten ne nach Syrien auch schlecht wieder zurückkönnen […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 295 ff.).
Es dokumentiert sich in diesem Abschnitt, dass ihn das Niveau (hier „B2“), auf das sich „dann mal alle Bundesländer so geeinigt [hatten] im großen Rahmen“ nicht von einer Verantwortung für die Bewertung entlastet. Er zweifelt an der Aussagekraft eines B2-Zertifikats, hält es „eigentlich nicht für ausreichend“ und sieht zu große Unterschiede, je nachdem in welchem Ausbildungsstaat das Sprachzertifikat erworben wurde. Er verweist darauf, dass er Antragsteller auch bereits einmal zurückgewiesen hat, weil er die Sprachkenntnisse nicht für ausreichend gehalten hat und gleichzeitig hadert er damit, eine solche Aussage zu machen, weil damit jeweils ein Schicksal verbunden ist. Es wird deutlich, dass es bei dem Nachweis nicht nur um den Nachweis auf dem Papier geht, sondern darüber hinaus auch darum, ihn, also den Antragsbearbeiter, im Gespräch zu überzeugen. Dass dieser Nachweis ein entscheidender Aspekt ist, der das Verfahren erheblich verzögern oder seine Fortsetzung gänzlich verhindern kann, wird auch im Interview mit Frau Vogel sehr explizit thematisiert:
12 Nach dem Wortlaut der Bundesärzteordnung und des Krankenpflegegesetzes werden z.B. die „für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse[n] der deutschen Sprache“ erwartet (§ 3(1) BÄO, § 2(1) KrPfG).
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FRAU VOGEL: […] Wir haben in Absprache […] mit unserer Fachaufsicht festgelegt […] dass die B2 Sprachkompetenz da verlangt wird, //mhm// und ja das ist dann meistens das Problem das größere Problem dann noch, wo sich die Kandidaten dann erstmal einer Sprachkompetenzprüfung zum Teil auch noch Sprachunterricht dann unterziehen ne, //mhm// es gibt einige, die auch einigermaßen Deutsch sprechen […] (PFLE (Vogel) 4-25: 300 ff.).
Das Scheitern von Anerkennungen ist, wie hier deutlich wird, unter anderem mit dem Nachweis der „B2 Sprachkompetenz“ verbunden, insbesondere wenn dazu noch eine „Sprachkompetenzprüfung“ oder „Sprachunterricht“ absolviert werden muss. Unklar bleibt, wie Frau Vogel verfährt, wenn sie, wie hier angedeutet, zu der Feststellung kommt, dass jemand „einigermaßen Deutsch“ spricht. Es ließe sich die Hypothese aufstellen, dass denjenigen, die die Antragsbearbeiter kommunikativ zu überzeugen vermögen, solche Prüfungsformalien in Bezug auf deutsche Sprachkenntnisse erspart bleiben. In jedem Fall wird hier deutlich, dass der Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen das Verfahren in die Länge ziehen oder seinen Abschluss verhindern kann. 5.2.2 »Wie Äpfel mit Birnen vergleichen« – Haltungen zur »Gleichwertigkeitsprüfung« Dreh- und Angelpunkt des Bewertungsverfahrens ist der Ausbildungsvergleich selbst. Es erweist sich als eine Frage der (institutionalisierten) Werthaltung, ob in den Unterlagen der Antragsteller nach Belegen für eine Anerkennung gesucht wird oder ob Belege für die Ablehnung des Antrags, nach »wesentlichen Unterschieden«, gesucht wird. In welchem Rahmen – und damit auch Verhandlungszonen – gesichtet und verglichen wird, steht bereits fest, was ich vor allem auf die dargelegten Machtkonstellationen zurückführe. Bei dem schriftlichen Beleg des Ausbildungsvergleichs, der Dokumentation der festgestellten Ähnlichkeiten oder Unterschiede, handelt es sich vor allem um die Herstellung der Legitimation für die (institutionalisierte) Werthaltung. In diesem Abschnitt setze ich voraus, dass die Anerkennungssuchenden nach der »Information« und »Beratung« auch zu Antragstellerinnen geworden sind. Das heißt, sämtliche der soeben beschriebenen Voraussetzungen gelten als erfüllt, sodass ein Ausbildungsvergleich durchgeführt und die ausländische Ausbildung im Vergleich zur deutschen Referenzqualifikation beurteilt wird. Gemeinsam ist allen Interviewten die Erfahrung, dass Strukturen und Inhalte ausländischer Ausbildungen im Regelfall nicht »gleich« oder »identisch« mit der zum Vergleich stehenden inländischen Ausbildung sind. Da es sich um unterschiedliche Ausbildungssysteme handelt, sehen auch die jeweiligen Ausbildungs- und
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Studienordnungen auf dem Papier in aller Regel anders als die deutsche Ausbildungsordnung aus. Der Vergleich der Ausbildungen unterliegt grundsätzlich dem Problem, die einzelnen strukturierenden Elemente (seien es Fächer, Module, Themenfelder etc.) nicht 1:1 zuordnen zu können. Die Bezeichnungen und Abgrenzungen sind unterschiedlich und mögliche Übersetzungen ins Deutsche sind mitunter mehrdeutig. Zudem lassen die Bezeichnungen keine Schlüsse auf die Inhalte zu. Inhalte, die nach den Bezeichnungen geurteilt »fehlen«, können auch in einem anderen Fach mit anderer Bezeichnung mit abgedeckt sein. Die Erfahrung, dass ein Vergleich auf dem Papier aufgrund von Struktur-Unterschiedlichkeiten von Ausbildungsgängen so gut wie unmöglich ist, kann man mit Karl Mannheim auch als eine »konjunktive Erfahrung« der Bewertenden bezeichnen. Für das Bewertungsergebnis entscheidend ist, ob »gleich« und »gleichwertig« gleichgesetzt werden (und in der Konsequenz die Unterschiede als »wesentliche Unterschiede« benannt werden) oder ob in der Verschiedenheit der Ausbildungsstrukturen nach Ähnlichkeiten gesucht wird, um »Gleichwertigkeit« zu begründen. Der Ausspruch „das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen“, geäußert von Frau Sachs, illustriert sowohl die Erfahrung der Nicht-Vergleichbarkeit als auch die institutionalisierte Werthaltung. Frau Sachs beschreibt damit, dass ihre Arbeit darin besteht, Verschiedenes (der Redensart nach Unvergleichliches) miteinander in Beziehung zu setzen. Wie ich in diesem Abschnitt noch zeigen werde, führt diese Perspektive jedoch nicht dazu, keinen Vergleich zu ziehen. Sie sucht in den Unterlagen vor allem nach jenen Argumenten, die für »Gleichwertigkeit« sprechen. Man kann im Rahmen der »Gleichwertigkeitsprüfung« den Beweis führen, dass die Birne eben kein Apfel ist und sich zum Beispiel argumentativ darauf berufen, dass sie auf den ersten Blick andere Maße hat oder auf den ersten Biss anders schmeckt. Oder man kann die Frage stellen, ob zwischen Birne und Apfel Ähnlichkeiten bestehen und zum Beispiel zu dem Ergebnis kommen, dass beide annähernd gleich sättigen und annähernd gleich gesund sind. Je nach Ausgangshaltung, die nicht zwangsläufig in Reinform vorkommen muss, führt der Vergleich zu einer unterschiedlichen Bewertung der »Gleichwertigkeit«. Der Birne zu attestieren, dass sie kein Apfel ist, ist (so interpretiere ich jedenfalls die Interviews) sehr viel einfacher und naheliegender, während die Beweisführung der »Gleichwertigkeit«, das heißt die Anerkennung, ein wesentlich aufwendigerer Akt ist. Der Abschnitt ist wie folgt gegliedert. Zuerst zeige ich Beispiele auf, in denen es um die Suche nach Ähnlichkeiten und damit Anerkennungsgründen geht. Danach stelle ich jene Interviewauszüge dar, die deutlich machen, dass vor allem nach Unterschieden und damit Ablehnungsgründen gesucht wird. Bei dieser Unterscheidung ist zu berücksichtigen, dass es nicht (nur) die Interviewten sind, die in dieser oder jener Weise orientiert sind, sondern dass die zutage tretenden Haltungen in den Machtkonstellationen zu sehen sind.
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5.2.2.1 Suche nach Ähnlichkeiten Nach Ähnlichkeiten (und Übereinstimmungen) zwischen den Ausbildungen wird vor allem dann gesucht, wenn es sich um zentrale Ausprägungen der Machtkonstellationen handelt. Das heißt, die Bewertung beruht auf einer Struktur des Vertrauens, des Liberalismus und der Einheit. Darüber hinaus lassen sich einzelne Beispiele aufzeigen, die auch in Bezug auf »Einzelfallprüfungen« an einer Suche nach Belegen für »Gleichwertigkeit« orientiert sind. Die (institutionalisierte) Werthaltung, möglichst Ähnlichkeiten zwischen den Ausbildungen zu finden, zeichnet sich vielfach gerade dadurch aus, dass die Handlung von den Interviewten nicht als eine Prüfung, als ein Vergleich oder eine Suche nach etwas empfunden wird. Es wird nicht thematisiert oder infrage gestellt, dass das Ergebnis auch anders sein könnte. Wie Frau Nolte es in folgendem Beispiel ausdrückt, ist es „von vornherein“ klar, dass die Ausbildungen gleichwertig sind. FRAU NOLTE: […] Und ähm von vornherein gleichwertig sagt man sind die ärztlichen Ausbildungen in den USA, Israel, Süda- Südafrika, //mhm// Kanada Neuseeland Australien. //mhm// Diese Ausbildungen sind von vornherein gleichwertig […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 217 ff.).
Sie bezieht sich hier auf die bereits mehrfach erwähnte »Liste«, die die Bewertung von ärztlichen Qualifikationen aus Drittstaaten strukturiert (vgl. Abschnitt 5.1.1.1). Die Suche nach Ähnlichkeiten besteht hier darin, festzustellen, dass der Ausbildungsstaat des Antragstellers einer der Ausbildungsstaaten ist, bei denen man „von vornherein“ von »gleichwertig« sprechen kann. Die gesuchte Ähnlichkeit ist die Deckungsgleichheit des Ausbildungsstaats, den sie auf ihrer Liste und in den Unterlagen des Antragstellers ablesen kann. Wie im Zusammenhang mit den Machtkonstellationen bereits thematisiert, halten sich die Interviewten mit der Überprüfung von Berufsqualifikationen, die der sogenannten »automatischen Anerkennung« in der EU unterliegen, wenig auf. Aus dem Interview mit Frau Tietz spricht zum Beispiel das institutionalisierte Vertrauen, dass sie diese Antragstellerinnen »durchwinken« kann. FRAU TIETZ: […] da folgt diese automatische Anerkennung das heißt da machen wir in der Regel keine inhaltliche Überprüfung mehr sondern da bestätigen uns die Ausbildungsstaaten der EU dass die Ausbildung ähm EU-konform iss das heißt sich nach den Regelungen auf die sich die EU mal geeinigt hat ähm eingestellt iss und dass die Inhalte auf diesem Minimum was- auf das man sich geeinigt hat dann übereinstimmt und deswegen winken wir die dann sozusagen durch wenn wir diese Konformitätsbescheinigung auch noch haben […] (ÄRZ (Tietz) 3-09: 78 ff.).
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Das bedeutet, die Bewertung basiert in diesen Fällen auf dem Vertrauen in die Selbstaussagen der jeweiligen Länder zur Konformität der Ausbildung mit den EURegelungen. Zu identifizieren, dass die Unterlagen des Antragstellers von einem Ausbildungsstaat ausgestellt wurden, der »dazu gehört«, genügt sozusagen für die Feststellung der »Gleichwertigkeit«. Dass das wiederum nicht immer genügt, geht aus dem folgenden InterviewAuszug mit Frau Vogel hervor. Sie bezieht sich auf den Anhang zum Krankenpflegegesetz (der dem Anhang der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie entspricht). Die als »gleichwertig« anzuerkennenden Berufsbezeichnungen der jeweiligen Ausbildungsstaaten sind dort vielfach in der Sprache des Ausbildungsstaates aufgeführt. Sie erläutert, wie sie prüft, ob der vorgelegte Abschluss dem in der Richtlinie aufgeführten Abschluss entspricht. Es ging bei so einem Vergleich darum, in einer fremden Sprache „Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe“ vergleichen und trotz “konjugierten Form[en]“ nachzuvollziehen, ob eine Übereinstimmung gegeben ist. FRAU VOGEL: […] was auch nicht so ganz glücklich ist für das tägliche Handling so wenn man jetzt Berufsabschlüsse auf Gleichwertigkeit überprüfen soll, wenn wir hier beispielsweise uns mal Polen heraussuchen, dann iss das etwas sehr kompliziert für unser Auge, @für unsere Sprechorgane@ noch mehr, das dann auch alles äh entsprechend äh auszusprechen, und es iss auch sehr schwierig wenn das dann in irgend’ner konjugierten Form, auf dem Abschlusszertifikat der Antragsteller steht. //mhm// Man iss ja dann drauf angewiesen dass man das Wort für Wort Buchstabe für Buchstabe dann eben vergleicht und kontrolliert, und das macht’s dann bisschen schwierig manchmal, dann zu sagen ja okay das entspricht nun dem was hier in der Anlage zum Krankenpflegegesetz aufgeführt ist oder es ist eben doch nicht so ne, da muss man manchmal ganz schön gucken […] (PFLE (Vogel) 4-25: 323 ff.).
Es wird hier deutlich, dass sie kontrolliert, ob die Bezeichnung der Qualifikation der Antragstellerin identisch mit den in der Anlage zum Gesetz aufgeführten Bezeichnungen ist. Ihre Problematisierung dieser Tätigkeit dokumentiert, dass Ähnlichkeiten infolge der Sprachunterschiede für sie nicht auf einen Blick zu erkennen sind, sondern es mit einer intensiven Suche nach den Übereinstimmungen im Schriftbild verbunden ist. Die Erwartung ist, dass die Begriffe deckungsgleich sein müssten, aber ganz zweifellos kann sie das nicht feststellen. Es zeigt sich dennoch, dass sie die Übereinstimmungen sucht und die Nicht-Entsprechung lediglich etwas ist, dass sie auch in Betracht zieht und ausschließen möchte. Im Folgenden werde ich auf zwei weitere Beispiele, Frau Sachs und Frau Becker, eingehen, die anhand der Ausbildungsunterlagen nach Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen den Ausbildungsinhalten suchen. Wie bereits angekündigt dokumentiert sich in dem Interview mit Frau Sachs die (institutionalisierte) Werthaltung, möglichst das zu finden, was für eine Anerkennung gefunden werden muss. Die Schwierigkeit illustriert sie, indem sie von einem Vergleich von „Äpfel und Birnen“
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spricht. Es zeigt sich in folgendem Ausschnitt, dass ihre Tätigkeit darin besteht, möglichst viele Belege zu sammeln, die sie den Mindestanforderungen an ein Architekturstudium zuordnen kann. Sie sucht gewissermaßen solange, bis sie fündig geworden ist. Bei vollständig belegten und unzweifelhaft erfüllten Mindestanforderungen erkennt der Eintragungsausschuss die von ihr belegte Qualifikation offiziell an: FRAU SACHS: […] im Prinzip (.) muss überprüft werden ob diese Studieninhalte die ich geschickt bekomme mit den Mindestanforderungen übereinstimmen. //mhm// Und das iss halt nich so einfach also das das iss nich- (.) das iss wie Äpfel mit Birnen vergleichen da heißt dann zum Beispiel gerade weil sie ja aus der ganzen Welt kommen die Fächer also die Welt iss groß und blumig ähm (.) […] also bei uns heißt ein Fach darstellende Geometrie ne? Das iss (.) ‘n ganz wichtiges Kernfach, und das heißt in Russland dann übersetzt (.) ne? wir haben ja auch immer noch den Übersetzer dazwischen […] da iss aber dann aus dem Russischen manchmal übersetzt darstellende Geometrie in „Vektorgrafikerhebungen aus der dritten Ebene maßgeblich nötig zur Darstellung von Planprojektentwicklungsphasen“ oder so (.) ne das heißt dann ganz anders als bei uns, //mhm// aber (.) nach ner gewissen Erfahrung oder halt auch mit ner ner Sachkenntnis kann man es zuordnen. //mhm// (.) […] oft gehen wir dann wenn es unklar iss gehen wir immer im Sinne dass wir da dem Antragsteller wirklich was Gutes tun wollen noch mal (.) ähm in die Kommunikation und sagen also (.) was könnte dieses Fach- was wurde in diesem Fach gelehrt bitte noch mal darlegen oder gibt es da noch aus dem Studienbuch irgendwas oder schickt noch mal ‘n Schein, //mhm// ähm oder (.) manchmal sogar Zeichnungen so dass wir gucken können […] dass wir da möglichst viel bekommen, an ähm Informationen so dass wir dann irgendwann sagen können okay es iss- wir haben alles gefunden was wir brauchen. //mhm// (.) […] Also das iss ne langwierige Prüfung diese inhaltliche Prüfung die dauert manchmal also wirklich ne ganze Weile […] wenn ich sagen kann also ich- ähm die Studieninhalte sind inhaltlich okay alles was wir brauchen die Kernfächer der Architektur nach der EU-Anerkennungsrichtlinie die Mindestanforderungen sind erfüllt (.) dann wandert das in die Sitzung [den Eintragungsausschuss, I.S.], //mhm// dann gucken die Kollegen […] drüber ob das Hand und Fuß hat und dann gibt es die Anerkennung […] (ARCH (Sachs) 3-18: 290 ff.).
Es zeigt sich hier die institutionalisierte Werthaltung, möglichst eine Anerkennung aussprechen zu wollen und es wird deutlich, dass es ein intensives Bemühen ist. Es zeugt von einem hohen Aufwand, nicht vorschnell aufzugeben, sondern mit dem Antragsteller zusammen weiter nach Nachweismöglichkeiten zu suchen. Während sich bei Frau Sachs die Norm dokumentiert, dass das Verfahren mit dem Abhaken aller Punkte und der offiziellen Anerkennung beendet wird, wird dies von Frau Becker stärker problematisiert. Sie spricht von zwei „Haufen“, einem standardisierten und einem nicht-standardisierten, die sie miteinander in Beziehung setzt und kommt mitunter zu dem Schluss, dass es „Ameisenarbeit“ sei:
274 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS FRAU BECKER: […] jetzt setzen wir mal voraus wie gesagt dass jemand alle Unterlagen beigebracht hat die er beibringen kann, //mhm// (.) und dass wir sagen ja stellen Sie mal den Antrag und der Kunde stellt den Antrag […] so und jetzt haben wir zwei Seiten und dann müssen wir gucken (.) //mhm// und Sie können sich denken der eine Haufen ist ja standardisiert durch die deutsche Reglementierung, aber der andere Haufen sieht eben immer anders aus. //mhm// ((holt Luft)) und (3) da, (2) gehen wir dann Punkt für Punkt ich nehm jetzt mal `n Gesellen die deutsche Ausbildungsordnung durch //mhm// und gucken, (.) das (.) was hier steht an wesentlicher Tätigkeit und damit verbundenen Kenntnissen Fertigkeiten und Fähigkeiten, //mhm// wo finde ich das in den Unterlagen wieder //mhm// (2) so (.) und (2) ja das iss der Kern dieser Gleichwertigkeitsüberprüfung […] so ((holt Luft)) ja und entweder kann man tatsächlich (.) in (.) in den Verordnungen und Lerninhalten des Herkunftslandes, //mhm// (2) ähm sehr gute Pendants finden, //mhm// ((räuspert sich)) und (.) da gilt eben die Maxime es=es muss nicht gleich sein es muss gleichwertig sein, //mhm// (.) oder aber das passiert auch häufiger es bildet sich eben nicht so gut ab […] da haben wir dann noch mal mehrere (.) Möglichkeiten zum einen ähm (.) auch diese Fälle hatten wir schon bringen Kunden Ausbildungsunterlagen mit ihre persönlichen Ausbildungsunterlagen Schulbücher Hefte Aufschriebe Praktikums- äh (.) -nachweise wo sie Berichte geschrieben haben, wo man dann sehen kann, aha das und das (.) war der mit diesem Fach verbundene Inhalt, (.) dann gibt es nach dem Paragraph 14 BQFG die Möglichkeit dass wir ähm //mhm// mmm die=die fachpraktischen und auch –theoretischen Kenntnisse von Kunden überprüfen […] so iss das (.) im Groben in groben Zügen. //mhm// ja also das heißt es iss wirklich ein- ne Ameisenarbeit […] (HAND (Becker) 2-10: 147 ff.).
Damit schließt sich Frau Beckers Schilderung interpretativ an jene von Frau Sachs an. Es dokumentiert sich der Fleiß, der notwendig ist, wenn man in dem „Haufen“ an Unterlagen die „Pendants“ finden möchte, die Voraussetzung für eine Zuordnung zu den formalen Voraussetzungen der deutschen Ausbildung und damit für eine Anerkennung sind. Es zeigt sich hier im Gegensatz zu Frau Sachs, dass Frau Becker nicht immer fündig wird. Die von Frau Becker formulierte Maxime „es muss nicht gleich sein, es muss gleichwertig sein“ drückt aus, dass sie die von ihr gesuchten »Pendants« nicht als identische Strukturen verstehen will. Sie ist in ihrer (institutionalisierten) Werthaltung daran orientiert, Ähnlichkeiten jenseits des Identischen zu sehen. Es ist unterschiedlich ob ihr dies gelingt oder nicht. Wie sie diese erkennt, woran sie festmacht, ob es sich gut oder „eben nicht so gut ab[bildet]“ und weitere Maßnahmen, wie zuletzt die Überprüfung der Kenntnisse mittels Qualifikationsanalyse („Paragraph 14 BQFG“) wird hier nicht deutlich. Dass sich die Suche nach Ähnlichkeiten gerade bei der Lehrer-Anerkennung auf einen sehr kleinen Kreis bezieht, macht der folgende Ausschnitt von Frau Richter deutlich. Es zeigt sich eine institutionalisierte Werthaltung, nicht ausschließlich Ablehnungen, sondern wenigstens auch ein paar Anerkennungen aussprechen zu können. Die Bedingung von zwei studierten Unterrichtsfächern mache dies ohnehin
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schwierig. Es sei deshalb wichtig, beim Ausbildungsvergleich „nicht ganz streng“ zu sein, damit man nicht „das ganze Anerkennungsverfahren gegen Null treib[t]“. FRAU RICHTER: […] wenn schon zwei studierte Fächer da sind, //mhm// und die wurden annähernd im gleichen Umfang studiert, //mhm// äh äh und äh wir gucken natürlich auch grob ob Fa- äh fachwissenschaftlich- also wir sind da jetzt nich ganz ga- ganz streng das muss man ja auch noch mal sagen weil sonst- man könnte natürlich- da muss man noch- man muss respektieren, dass diese Menschen natürlich aus einem anderen Land kommen dass auch anderean- andere Statuten hat, //mhm// wenn wir jetzt natürlich äh wenn wir jetzt natürlich äh den Lehrplan der Universität von äh äh von Mali äh neben den der der Universität von [deutsche Stadt] legen, //mhm// und da versuchen eins zu eins die äh äh die inhaltlichen Sachen zu finden oder die Themen zu finden //mhm// (.) Studienleistungen dann (.) könnte man natürlich das ganze das ganze Anerkennungsverfahren gegen Null treiben, //mhm// gegen ne Nullquote und das wollen wir natürlich nich […] (LEHR (Richter) 2-22: 235 ff.).
Es zeigt sich hier die in der Lehrer-Anerkennung verbreitete Erfahrung einer besonderen Seltenheit „zwei studierte Fächer annähernd im gleichen Umfang“ feststellen zu können. Diese Feststellung muss dann in der hier formulierten Logik zwangsläufig auch zur Anerkennung führen, wenn man als »Anerkennungsstelle« auch Anerkennungen aussprechen möchte. Diese institutionalisierte Werthaltung, die nach Ähnlichkeiten sucht, wo es denn irgendwie begründbar ist, zeigt, dass es sich dabei auch um die Sinngebung der eigenen Tätigkeit handelt („eine Nullquote wollen wir natürlich nicht“). Ganz ähnlich dazu formuliert Frau Becker: „wir sind ne Anerkennungsstelle und nich ne Ablehnungsstelle“ (HAND (Becker) 2-10: 183) und macht damit ebenfalls deutlich, dass es nicht ganz mühelos ist, dieses sinngebende Selbstverständnis auch zu praktizieren. 5.2.2.2 Suche nach Unterschieden Nach Unterschieden wird vor allem dann gesucht, wenn eine formale Legitimation dafür gefunden werden soll, dass die Qualifikation nicht dem Wert der deutschen Qualifikation entspricht. Dass die Anerkennung maximal durch einen Ausgleich von »wesentlichen Unterschieden« durch Berufserfahrung und Auflagen, wie Prüfung bzw. Anpassungslehrgang, erzielt werden könne, steht hier bereits vor dem Ausbildungsvergleich fest. Eine Grundform des Ausbildungsvergleichs besteht darin, die ausländische Ausbildung der inländischen Ausbildung nach bestimmten Kriterien synoptisch gegenüberzustellen, um Unterschiede quantifizierbar und sichtbar zu machen. Vor allem in den betrachteten Gesundheitsberufen ist ein Vergleich der absolvierten Stunden und Fächer mit den in der deutschen Ausbildungsordnung vorgegebenen Stunden
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und Fächern üblich. Wie aus allen Interviews hervorgeht, ist es sehr selten, dass die Durchführung eines solchen Stunden- und Fächer-Vergleichs allein zur Anerkennung einer Qualifikation führt. In der Regel werden »wesentliche Unterschiede« festgestellt, die wenn überhaupt durch Berufserfahrung ausgeglichen werden können, sodass es aufgrund der Berufserfahrung, nicht aber aufgrund der Gleichwertigkeit des Abschlusses zu einer Anerkennung kommt. Dass das Suchen nach Unterschieden dem vergleichenden Vorgehen von Anfang an implizit ist, möchte ich am Beispiel eines Interview-Auszugs von Frau Anton zeigen. FRAU ANTON: […] und dann brauchen wir natürlich auch immer (.) detaillierte Übersichten, (.) ähm der theoretischen und praktischen Unterrichtsfächer, //mhm// mit Noten und Stundenzahl, (.) das auch wieder jeweils in der Heimatst- -sprache und übersetzt, ähm da kann ich Ihnen auch ((blättert, murmelt)) hatt’ ich hier noch (.) was (.) hab ne Gegenüberstellung gemacht, weil wir ja im Grunde genommen gucken müssen, iss die Ausbildung gleichwertig. //mhm// weil es gibt ja gerade auch in der Krankenpflege es gibt Länder da iss die Ausbildung zum Beispiel nur zwei Jahre, und sie drei Jahre, (.) ähm dann spricht man da schon von wesentlichem Unterschied. //mhm// Und man muss natürlich auch gucken ob es von den Inhalten (.) //mhm// identisch iss. (.) und da machen wir ((blättert)) wollt’ ich Ihnen jetzt hier mal so- (.) machen wir dann ähm (.) wenn’s notwendig iss, //mhm// so eine äh Gegenüber- (.) -stellung […] und da kann man hier sehen in Deutschland sind diese Stunden vorgeschrieben, //mhm// und in [A-Staat] wurden diese Stunden abgedeckt. Also man sieht eigentlich hier schon (.) dass da schon ein wesentlicher Unterschied- ach genau da geht’s auch noch weiter wesentlicher Unterschied (.) //mhm// besteht. Und daher müssen wir immer wie gesagt auch diese (.) Anlagen zum Diplom haben ((blättert)) (9) (PFLE (Anton) 2-05: 185 ff.).
Es zeigt sich hier, dass für Frau Anton „identisch“, die Identifikation von Gleichem, das Auswahlkriterium ist. Aus ihrer Formulierung „im Grunde genommen gucken müssen, ob […]“ wird deutlich, dass sie eigentlich nicht gucken muss. Sie weiß schon, dass die Gleichwertigkeit nicht gegeben ist und sucht folglich nach den Unterschieden, an denen ein „wesentlicher Unterschied“ festgemacht werden kann. Die Dauer oder Länge der Ausbildung, wie sie gemessen an Kalenderjahren aus den Unterlagen hervorgeht, ist hier wie in anderen Fallkonstellationen das erste Ausschlusskriterium. Eine Abweichung von einem Jahr oder mehr gilt als »wesentlich«. Im Gegensatz zu einem Vergleich der Inhalte (worauf ich im Folgenden ausschließlich eingehen werde) wurde die Feststellung einer solchen Abweichung in den In-
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terviews nicht problematisiert. Die Länge der Ausbildung wird anhand der Daten, wann sie begonnen wurde und wann sie beendet wurde, abgelesen.13 Der Vergleich von „Inhalten“ ist gleichbedeutend mit einem Vergleich von „Stunden“ und damit ein weiteres Maß für den zeitlichen Umfang, der in die Ausbildung investiert wurde, in Ergänzung zu den zuvor beschriebenen „Jahren“. »Inhalte« im Sinne von »Qualität«, was jeweils gelehrt und gelernt wurde, werden nicht abgeprüft. Für Frau Anton ist nicht erklärungsbedürftig, wie sie (bzw. „man“) zu der Entscheidung kommt, dass der Unterschied zwischen zwei Zahlen „wesentlich“ ist. Das „schon“ weist daraufhin, dass die Suche nach Unterschieden frühzeitig abgeschlossen ist, während sie ansonsten weiter danach suchen würde. Die Gegenüberstellung ist damit eine verschriftlichte Beweisführung, dass die Ausbildungen nicht identisch sind. Sie weiß bereits im Vorfeld, dass das Verfahren mit diesem Ergebnis ausgeht. Ein ähnliches Vorgehen dokumentiert sich in der generalisierenden Beschreibung von Frau Graf, wobei hier noch deutlicher wird, warum die ausländische Ausbildung in der Regel eine geringere Stundenanzahl aufweist als die inländischen Vorgaben. FRAU GRAF: […] und ähm dann sind die Antragsteller also gehalten und mm müssen ihre Zeugnisse vorlegen und müssen auch äh Inhalte vorlegen, was iss in dieser Ausbildung also gelaufen welcher- welche Fächer (.) meinetwegen, und ähm dann gucken wir iss das kompatibel, vergleichbar, mit deutschen Ausbildungsinhalten, //mhm// und wenn es zum Beispiel äh darum geht äh ich bleib jetzt mal bei den GUS-Staaten äh wenn die- wenn da drin steht also russische Sprache zum Beispiel in der Ausbildung oder Sport, //mhm// was eine untergeordnete Rolle bei uns spielt //mhm// oder (.) das System des Staats oder so was also das äh berücksichtigen wir gar nich //mhm// diese Stunden würden wir von vornherein abziehen. //mhm// (.) Und äh gucken dann also wie viel Stunden sind dort erbracht worden und wie viel wären erforderlich äh um das als gleichwertig anerkennen zu können […] (PFLE (Graf) 3-19: 100 ff.).
13 Gerade weil der Vergleich der Ausbildungsdauer in den Interviews durchgängig als unproblematisch geschildert wurde, wirft dies für mich die Frage auf, wie a) mit Teilzeitausbildungen umgegangen wird und ebenso wie b) damit umgegangen wird, wenn die Ausbildung z. B. aufgrund guter Leistungen verkürzt wurde oder bereits im Curriculum besonders dicht und kurz konzipiert war. Im Sinne des meritokratischen Prinzips gelten »Kürze« und »Schnelligkeit« im Ausbildungserwerb im Regelfall als etwas Positives. Womöglich schlägt die einst honorige Schnelligkeit bei einem Systemwechsel in einen Ablehnungsgrund um.
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Es dokumentiert sich hier, wie auch bei Frau Anton, die mathematische Ermittlung einer Stundendifferenz, wobei sich in der Verwendung des Konjunktivs zeigt, dass das Ergebnis in der Regel ein Minus an Stunden auf Seiten der ausländischen Ausbildung aufweist. Sie verweist darauf, dass sie nicht alle Fächer (und absolvierten Stunden) der deutschen Ausbildung zuordnen kann und diese Fächer „von vornherein“ nicht mitgezählt werden. Ähnlich wie Frau Anton zeigt und begründet sie mit ihrem Vorgehen sozusagen, dass eine Birne kein Apfel ist – auch wenn sie reflektiert, dass sie bestimmte spezifische oder zusätzliche Attribute der Birne dabei unberücksichtigt lässt. Was Frau Graf und Frau Anton als einen relativ routinierten Vergleichsvorgang schildern, wird von Frau Runge stärker als ein Problem von Zuordnung und Einordnung expliziert. Sie stellt den Vergleich selbst nicht als „objektiv“ oder „alternativlos“ dar, sondern reflektiert Uneindeutigkeiten und Handlungsspielräume. FRAU RUNGE: […] wenn die Antragsunterlagen dann dort sind iss es wirklich so ähm dass ich äh (3) ge- nach der neuen Gesetzeslage ganz genau prüfen muss äh ich lege die (.) beiden Ausbildungen nebeneinander, //mhm// und vergleiche eigentlich Fach für Fach und Stunde für Stunde die sag ich mal russische Ausbildung mit der deutschen Ausbildung. //mhm// (.) das iss inzwischen sehr schwierig weil wir in der Krankenpflege keine Fächer mehr haben sondern Lernfelder. //mhm// und dann auch noch teilweise in Modulen unterrichtet so dass man gar nich mehr sagen kann Anatomie wird wirklich als Anatomie zum Beispiel unterrichtet, //mhm// sondern das steckt in dem Modul und in dem Modul und iss relativ auseinandergerissen. //mhm// (.) wobei ich nich weiß ob Anatomie ‘n gutes Beispiel iss aber eben bei anderen Sachen Pädagogik oder so was. //ja// und das macht die Sache relativ schwierig in der Krankenpflege. //mhm// nach dem alten Krankenpflegegesetz hatten wir auch Fächer, da konnte man wirklich zumindestens namentlich miteinander vergleichen, //mhm// (.) das können wir jetzt nicht mehr. und das Problem ist auch wir wissen ja nie was hinter dem Fach steckt, //mhm// wird es genauso unterrichtet wie hier, oder oder nich. und das iss relativ schwierig weil wir sind ja hier keine Fachkräfte. //mhm// (.) ((schnalzt)) also wir sind nicht Krankenpflege oder so was und das macht es natürlich noch’n bisschen schwieriger. //ja// aber eigentlich iss es so der Sinn die beiden Ausbildungen miteinander zu vergleichen, //mhm// sag ich mal stundenmäßig kann man das immer, also dieses rein rechnerisch kann ich natürlich vergleichen und sehen was si- wie sieht der theoretische Teil aus wie sieht der praktische aus, //mhm// sind da Unterschiede. //mhm// (.) bei den Ausbildungen (.) in- aus der ehemaligen UdSSR sind gravierende Unterschiede. //mhm// in der Theorie rein rechnerisch nicht so, //mhm// (1) vielleicht mehr in den Inhalten, //mhm// ähm (.) aber in der Praxis iss das ganz erheblich die sind dort deutlich weniger praxisorientiert, //mhm// und die haben auch immer ganz viel allgemeinbildende Fächer. Sport (.) Leninismus Marxismus und so weiter und so fort da haben die mit drinne //mhm// und die Stunden dürfen wir natürlich auch nich mit einrechnen //mhm// so dass man immer sagen kann da sind Unterschiede. //mhm// nun nach der neuen Rechtsprechung müssen wir ja wirklich festlegen, (.) welche Unterschiede
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sind da, //mhm// und wie können die ausgeglichen werden. […] (PFLE (Runge) 1-03: 105 ff.).
In dem, was Frau Runge mehrfach als „schwierig“ bewertet, dokumentiert sich die Unmöglichkeit eines Vergleichs unter dem Aspekt eines fachlichen Anspruchs. Deshalb sucht auch sie nach den an der Oberfläche erkennbaren Unterschieden auf Basis von Namensähnlichkeit und Quantifizierbarkeit. Die Zuordnung zu Oberkategorien, wie „Theorie“ und „Praxis“, ist einfacher als weiter ins Detail zu gehen. Das Erkennen eines wesentlichen Unterschieds zur deutschen Ausbildung ist für sie Routine, während die exakte Benennung der Unterschiede eine neue Herausforderung ist, die mit einer Maßgabe der jüngeren gesetzlichen Änderungen verknüpft ist. Die exakte Benennung der Unterschiede ist vor allem deshalb notwendig, damit man weiß, was ausgeglichen werden muss. Gerade die Interviews im Bereich der Pflege zeigen eine Routine in der Feststellung von »wesentlichen Unterschieden«. Dies gilt vor allem bei der Bewertung von Qualifikationen aus Drittstaaten, von denen in den gezeigten Ausschnitten die Rede war. Die Bewertung wird von den Interviewten in unterschiedlichem Maße reflektiert, was als „Handlungskompetenzen“ (5.3) noch Thema sein wird. Auch in der Berufsgruppe der Ärzte dokumentieren die Erfahrungen, dass der auf dieser Basis durchgeführte Vergleich in der Regel zur Feststellung von »wesentlichen Unterschieden« im Sinne von »Defiziten« (wie es auch häufig heißt) führt. Wenn die Approbation erteilt wird, kann es vor allem daran liegen, dass »Berufserfahrung« oder »die Prüfung« als Ausgleich herangezogen wird. Wie bereits mehrfach erwähnt, sehe ich darin keine »Anerkennung einer ausländischen Qualifikation«. Wenn von einem »Ausgleich durch Berufserfahrung« und »Ausgleichsmaßnahmen« wie Lehrgängen und Prüfungen die Rede ist, wurde der »ausländische« Abschluss und das damit verbundene Kollektiv der Titelträgerinnen bereits als »nicht gleichwertig« bewertet. Es handelt sich dabei um die Gewährung von Möglichkeiten, sich individuell unter Beweis zu stellen, sei es im Sinne einer Erwerbsarbeit oder durch Prüfung vor deutschen Bildungsträgern. Das Kollektiv, das mit dem Begriff »ausländisch« bezeichnet ist, ist dadurch bereits als unterwertig klassifiziert. Ein Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals von 1:1 wurde damit bereits verwehrt. Dass die Suche nach Unterschieden und tendenziell auch nach Ausgleichsmöglichkeiten die Norm ist, zeigt sich beispielhaft für die Ärzte-Bewertung anhand des Interviews mit Frau Nolte. Im Vorfeld der Passage ging es darum, die zum Teil anders formulierten oder übersetzten Fächer den Fächer-Kategorien der deutschen Ausbildungsordnung zuzuordnen. FRAU NOLTE: […] Das versuche ich denn halt auch (.) zuzuordnen und am Ende schaue ich (.) wie sieht der Vergleich aus, welche Fächer sind abgedeckt, welche Fächer fehlen gänzlich,
280 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS oder welche Fächer sind vielleicht mit einem geringeren Stundenanteil ähm erfüllt worden und ähm dann ziehe ich die Berufstätigkeit desjenigen heran, //mhm// dazu muss er mir halt Zeugnisse einreichen, er kann Zeugnisse aus seinem Heimatland über ärztliche Tätigkeit einreichen, und er kann auch Zeugnisse hier aus [Bundesland] mit der Berufserlaubnis die er vielleicht schon erbracht hat einreichen. Dann schau ich in welchen Gebieten er gearbeitet hat, //mhm// ob das geeignet iss die festgestellten Unterschiede auszugleichen. //mhm// Und wenn das er Fall iss dann iss es schön dann stell ich fest, die Ausbildung iss zwar nich gleichwertig, aber die Unterschiede wurden durch Berufstätigkeit ausgeglichen, dann kann er die Approbation erhalten, und wenn das nich der Fall iss dann teile ich ihm halt nich dass die Gleichwertigkeit nich festgestellt wurde, //mhm// und er sich einer Prüfung unterziehen muss […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 161 ff.).
Es dokumentiert sich hier, dass es im Rahmen dieses Vergleichs Routine ist, nach Unterschieden zu suchen. Frau Nolte weiß bereits im Vorfeld, dass sie erst Unterschiede identifizieren und dann die Berufserfahrung hinzuziehen muss. Obwohl sie von mehreren möglichen Verläufen und Ergebnissen spricht, ist an das Bewertungsergebnis »gleichwertig« (vor Einbeziehung der Berufserfahrung) als Ausgang dieses Vergleiches offensichtlich nicht zu denken. Im Fall der Anerkennung von Pflegeberufen und Ärzten wird eine mathematische Exaktheit als Beleg für die Feststellung der wesentlichen Unterschiede angestrebt oder zumindest als Anforderung an die Dokumentation der Gleichwertigkeitsprüfung gestellt. Dagegen wird der Ausbildungsvergleich auf Basis von Stunden und Fächern in den anderen betrachteten Berufsgruppen (Lehrerinnen, Architektinnen, Handwerk) ganzheitlicher beschrieben. In dem folgenden Auszug von Frau Fechner zeigen sich die Abwägungen in der Frage, was „wesentliche Unterschiede“ sind, und die Herausforderung, benennen zu können, „wo fehlt wirklich was“. Dabei steht für sie fest, dass das „fehlende zweite Fach“ die Anerkennung als Lehrerin unmöglich macht und deshalb in jedem Fall ein Ausschlusskriterium ist: FRAU FECHNER: […] Also wesentliche Unterschiede können natürlich sein es fehlt ein komplettes Fach, //mhm// keine Frage müssen wir uns nich drüber unterhalten iss immer wesentlich. //mhm// Fehlendes zweites Fach. […] wenn ich jetzt vier Kompetenzbereiche habe und aus jedem fehlt ein bisschen dann iss das nich wesentlich wenn da einer fehlt, dann iss es sehr wohl wesentlich. //mhm// Also das iss so’n bisschen- muss man immer- das iss wirklich ne Einzelfallgeschichte und das macht die Sache zum Teil auch recht aufwändig zu gucken, wo fehlt wirklich was. […] wenn ich jetzt einen Grundschullehrer habe, //mhm// der (.) studiert hier in Deutschland auch zwei Unterrichtsfächer. //mhm// In anderen Ländern hat der so’n Fächerkanon von allem so’n bisschen. //mhm// Dann (.) müssen wir ku- muss er sich da auch quasi auswählen welche Unterrichtsfächer sollen dann hier so- möchte ich denn hier unterrichten oder möchte ich dann (.) quasi weiter studieren. Und dann gucken wir für diese Fä-
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cher, //mhm// was iss da //mhm// und was iss- (.) muss noch nachstudiert werden. Das- da iss der Aufwand dann auch schon wieder ein bisschen größer. //mhm// (3) Also es iss’n recht komplexes Thema, (.) und (2) teilweise für die ähm (.) ((schnalzt)) Antragssteller (2) nich immer nachvollziehbar. //mhm// Warum wir was fordern. Weil dort dürfen sie dort dürfen sie auch andere Fächer, sie können gar kein zweites Fach haben weil es da nich gefordert wird jetzt kommen wir hier und sagen aber ihr müsst es haben, wenn ihr dann gleichgestellt werden oder anerkannt werden wollt […] (LEHR (Fechner) 3-23: 297 ff.).
Es dokumentiert sich hier die Auseinandersetzung mit der Frages was von den Antragstellern noch an Studieninhalten nachgefordert wird. Es ist bereits im Vorfeld klar, dass ein Fächerkanon aus „von allem so'n bisschen“ nicht „zwei studierte Fächer[n]“ entspricht. Die Problematisierung des „Aufwands“, des „komplexen Themas“ und des Nicht-Nachvollziehen-Könnens der gestellten Nachforderungen durch die Antragsteller zeigt zum einen ebenfalls, dass es sich im Grunde um eine Unmöglichkeit des Vergleichs handelt. Zum anderen wird deutlich, dass die Beurteilung, dass etwas fehlt und dann danach gesucht wird, was es ist, die gängige Praxis ist. Frau Peters geht auf den Vergleich der Studieninhalte in bestimmten Fächern ein und macht einen Unterschied, zwischen denen, die „Geschichte“ oder „Deutsch“ studiert haben, und denen die „Mathematik“ oder „Informatik“ studiert haben. Im letzteren Fall seien die Übereinstimmungen eher gegeben, während im ersten Fall die Unterschiede nach ihrer Erfahrung nicht zu übersehen sind: FRAU PETERS: […] wir überprüfen also die formale Länge, (.) und wir überprüfen die die Studieninhalte, //mhm// (.) äh erstmal die Studienbestandteile, ob also die die die die Fächer die äh Studienaufbauten die Praktika in der entsprechenden Länge vorhanden sind, //mhm// und äh gehen dann da wo wir Zweifel haben auch in die Inhalte selbst rein. //mhm// zum Beispiel iss das immer so der Fall wenn Geschichte studiert iss, //mhm// äh wenn der Schwerpunkt Geschichte der KPDSU war, iss das also etwas was als Studienleistung bei uns nich gleichrangig gewertet wird, deswegen haben es Menschen die Mathematik und Informatik studiert haben leichter, //mhm// weil da die Studieninhalte eher übereinstimmend sind, die gesellschaftsorientierten Fächer sind ganz oft nich gleichrangig, //mhm// äh der (.) größte schwierige Punkt der Anerkennung iss das Fach Deutsch […] (LEHR (Peters) 1-14: 181 ff.).
Es zeigt sich in diesem Abschnitt, dass die Frage, ob etwas als „gleichrangig“ bewertet wird oder nicht, in den Unterschieden zwischen Fächern begründet liegt. Im Fall der „gesellschaftsorientierten“ Fächer zeigt sich die institutionalisierte Werthaltung, dass sie „ganz oft nich gleichrangig“ sind oder sein können. Was sie hier als eine sich aus der Sache heraus ergebene Bewertung beschreibt, ist nach meiner Interpretation ein Aspekt, der sich aus dem Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen ergibt (vgl. Abschnitt 5.1.2). Im Fall der „gesellschaftsorien-
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tierten Fächer“ sind die protektionistischen Kräfte offenbar wesentlich stärker als die liberalen Kräfte, während es im Fall von Mathematik und Informatik umgekehrt ist. Es zeigt sich in allen Interviews, dass der Ausbildungsvergleich für die Interviewten keine mechanische Tätigkeit ist, gerade in Fällen, in denen nicht nur die Übereinstimmung von Ausbildungsstaat und Ausbildungsbezeichnung, sondern die Ausbildungsinhalte überprüft werden. Der Vergleich ist mit Abwägungen und Auseinandersetzungen verbunden, die zum Teil auch die eigenen Fähigkeiten, ihn durchzuführen, infrage stellen. Herr Kuhn formuliert zum einen „dass man als Architekt dann eben rein geguckt haben“ muss und kommt zum anderen zu dem Schluss, dass es „dann wirklich so pi mal Daumen [geht]“: HERR KUHN: […] man versucht (.) zu durchdringen ob also die inhaltliche Bandbreite erstmal da war dessen was sich in diesen Leitfäden abbildet […] ich würd dann immer sagen da muss man dann schon als als Architekt dann eben rein geguckt haben, äh und auch interpretieren können, ähm (.) was mag sich hinter irgendwelchen Bezeichnungen verbergen also das iss (.) oft iss das- sind das einfach Annahmen die man da auch trifft […] ja wenn ich jetzt so was in nem Zeugnis äh sehe da steht dann also drin äh (.) das so und so Projekt und lief also über vier Semester und (.) äh mit so und so viel Credits bewertet ähm ja wie viel Anteil (.) ähm (.) Städtebau //mhm// Entwerfen Baukonstruktion (.) Präsentations- und Moderationstechniken und äh ich weiß nich was iss denn womöglich drin, (.) ähm (.) ja da da geht es dann wirklich so pi mal Daumen muss ich ganz //mhm// klar sagen […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 626 ff.).
Es wird damit, wie in vielen anderen Interviews deutlich, dass der Ausbildungsvergleich nicht „objektiv“ ist, nicht nach „objektiven Kriterien“ vorgenommen wird und von vielen Interviewten auch nicht als solcher wahrgenommen wird. Es ist Herrn Kuhn wie auch anderen durchaus bewusst, dass sie die Ausbildungsinhalte „irgendwie“ zuordnen und „einfach Annahmen“ treffen. Wer, wie Herr Kuhn, trotz der Unwägbarkeiten letztlich auf seine Kompetenz vertraut, dieses Urteil fällen zu können, hat etwas weniger Zweifel als diejenigen, bei denen dieses Vertrauen in die eigene Beurteilungsfähigkeit nicht gegeben ist. Nach meiner Interpretation wirkt sich die Ungewissheit überwiegend defensiv aus. Gerade in den Fällen, in denen die Gleichwertigkeit von den Interviewten anhand eines Vergleichs der Ausbildungsinhalte überprüft wird, ist mit wenigen Ausnahmen eine sehr zurückhaltende Praxis erkennbar. In der Logik der Bewertungspraxis, so meine Interpretation, ist es einfacher und weniger riskant, »wesentliche Unterschiede« festzustellen, als jeweils auf Basis der eigenen Erfahrungen eine Verantwortung für »Gleichwertigkeit« zu übernehmen. Als Folge der Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit trifft die Defensivität die Anerkennungssu-
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chenden umso mehr, je mehr es sich um periphere Fallkonstellationen handelt (vgl. 5.1.3). 5.2.3 »Erfahrungsschätze« – das Prinzip der beschrittenen Wege Eine Zuordnung zu »ähnlichen Fällen« verkürzt unter Umständen das Prozedere, so dass keine Gleichwertigkeitsprüfung durchgeführt wird. Ich nenne diesen Mechanismus „das Prinzip der beschrittenen Wege“. Zum einen verweisen die »Erfahrungsschätze«, wie die Interviewten sie bezeichnen, auf die Wege, die von den Bewertenden selbst oder von anderen bewertenden Praktikerinnen bereits beschritten wurden. Zum anderen sind es beschrittene Wege, weil sie darauf verweisen, dass schon mal mindestens einer – oder auch mehrere – mit einer »ähnlichen« Qualifikation aus einem bestimmten Ausbildungsstaat nach Deutschland bzw. ein bestimmtes Bundesland gewandert ist und sie bewerten lassen hat. Das Prinzip der beschrittenen Wege ist ein Selektionsprinzip, das auf kein bestimmtes Bewertungsergebnis verweist. Es etabliert sowohl Wege der Feststellung von »Gleichwertigkeit« als auch der Feststellung von »wesentlichen Unterschieden«. Das heißt, man kann nicht grundsätzlich sagen, dass die Anerkennung eines Abschlusses umso wahrscheinlicher ist, je mehr »ähnliche« Vorgängerinnen bereits eine Anerkennung beantragt haben. Es kann auch genau das Gegenteil der Fall sein, dass ein Fall, der keinem Vergleichsfall zugeordnet wird bzw. werden kann, gerade eine Anerkennung bekommt. Wenn er der Erste ist bzw. als solcher klassifiziert wird, wird die Interaktion nicht in den Kontext einer Geschichte an Bewertungsfällen gestellt, im Rahmen derer sich auch Argumente gegen eine Anerkennung angesammelt haben können. Im Unterschied zu Bewertungsfällen, die keinem bereits bestehenden Erfahrungswissen zugeordnet werden, führt das Prinzip der beschrittenen Wege jedoch in jedem Fall zu einem schnelleren Verfahren. Den weitestgehend unsichtbaren Selektionsmechanismus sehe ich darin, dass einmal etablierte Bewertungen tendenziell nicht mehr infrage gestellt werden. Als eine Folge der damit verbundenen größeren Bewertungssicherheit der Interviewten haben die Anerkennungssuchenden jeweils weniger Möglichkeiten der Einflussnahme, das Ergebnis mitzuverhandeln. Ich gliedere den Abschnitt in zwei Unterpunkte. Als erstes zeige ich das Prinzip anhand von „»eigenen« Erfahrungen“ der Interviewten auf, die die Praxis vorrangig anleiten. Als zweites zeige ich dasselbe Prinzip in Bezug auf „zentrale Datenbanken“ auf, im Rahmen derer versucht wird, die kollektiv gemachten Erfahrungen zentral zu archivieren und für neue Fälle nutzbar zu machen.
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5.2.3.1 »Eigene« Erfahrungen Bewertungen, die die Interviewten in der Vergangenheit selbst vorgenommen haben, sind ihnen am nächsten und leiten die Bewertungspraxis vorrangig an. Der Ausbildungsstaat und die Berufsbezeichnung sind die häufigsten Auswahlprinzipien bei der Zuordnung von neuen zu alten Fällen. Je mehr Übereinstimmungen erwartet werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass eine Zuordnung von neuen zu alten Fällen vorgenommen wird. Es dokumentiert sich in den Interviews deutlich, dass »Erfahrung« unmittelbar beim eigenen »Erfahrungsraum« beginnt. »Eigene« Erfahrungen leiten die Praxis wesentlich stärker an als das von anderen oder anderer Stelle vermittelte Erfahrungs- und Orientierungswissen. Damit hängt das Bewertungsergebnis vor allem davon ab, ob die zuständige Bewertende bereits einen ähnlichen Fall hatte und wie sie diesen bewertet hat. Die Bedeutung der eigenen Erfahrungen für die Bewertung neuer Fälle lässt sich anhand von allen Interviews zeigen. Ich möchte dies anhand von zwei Beispielen darlegen, die dies besonders prägnant auf den Punkt bringen. In dem folgenden Ausschnitt von Frau Richter wird deutlich, dass das Archivieren von Fällen (hier mit Lehramtsqualifikationen) und das Kennenlernen der Strukturen in verschiedenen Ländern etwas ist, dass sie zur Erleichterung ihrer zukünftigen Bewertungsverfahren macht. FRAU RICHTER: […] die Unterlagen […] werden dann von mir beurteilt erstmal, äh ich hab natürlich die Möglichkeit äh auf Erfahrungsschätze zurückzugreifen, ich stelle für mich selber auch Datenbanken- äh eine Datenbank her, um äh eben Vergleiche ziehen zu können, kenne nach einer gewissen Zeit natürlich die speziellen äh äh Strukturen in den einzelnen Ländern natürlich gibt’s immer wieder ein Land, (.) bei dem ich das nich einschätzen kann. //mhm// Und in dem Fall steht mir jetzt unter anderem die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen zur Verfügung in Bonn […] (LEHR (Richter) 2-22: 31 ff.).
Aus den Worten von Frau Richter spricht die Vorstellung, dass die Bewertung eines Falls am angenehmsten und einfachsten ist, wenn sie „das Land“ auf Basis ihrer Erfahrungen selbst schon „einschätzen kann“. Am Anfang (»erstmal«) geht es um das, was sie ohne Hilfestellung von anderen sagen kann. Erst wenn sie alleine nicht weiterkommt, bspw. weil ihr das Land zu neu und fremd ist, denkt sie daran, jemand anderes, hier die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, kontaktieren zu können. Auch Frau Anton formuliert eingängig, dass es bei bestimmten Berufsbezeichnungen „quasi schon klick“ macht. In diesem Ausdruck zeigt sich ein routinierter Vorgang der Wiedererkennung und Bewertung. Er übertrifft den von Frau Richter
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beschriebenen Prozess des Rückgriffs auf selbst hergestellte Datenbanken im Hinblick auf den Automatismus der Zuordnung. FRAU ANTON: […] wobei diese Gegenüberstellung [von Stunden und Fächern, I.S.], (.) ähm (.) häufig nicht notwendig iss, //mhm// (.) weil (.) ähm (.) teilweise wiederholt sich das, also gerade jetzt wenn ich jetzt an die polnische Krankenschwester denke, //mhm// ähm diese Anträge haben wir häufiger. //mhm// das heißt wenn wir sehen die hat die und die Berufsbezeichnung ah (.) dann macht es bei uns quasi schon klick ach ja das iss die Ausbildung mit (.) //mhm// so und so viel Jahren, ähm die können wir da und da zuordnen […] (PFLE (Anton) 2-05: 246 ff.).
Es zeigt sich hier, ebenso wie im Auszug mit Frau Richter, dass gerade die eigenen Erfahrungen zu einem sicheren und letztlich in der Wahrnehmung der Interviewten auch effizienteren Umgang mit den Bewertungsfällen führen. Je häufiger man einen bestimmten Fall schon hatte, desto schneller macht es „klick“ und man erkennt, wenn erneut eine Person, die diese Merkmale erfüllt, einen Antrag stellt. Im Fall von Frau Richter und Frau Anton, wie auch in den meisten anderen Interviews, orientiert sich die Frage der Zuordenbarkeit eines neuen Falls zu alten, bereits bewertenden Fällen, vor allem an dem Ausbildungsstaat und an der Qualifikation („die polnische Krankenschwester“). Es wird jedoch auch deutlich, dass die Frage, ob man Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zwischen Fällen feststellt, damit zusammenhängt, wie viele notwendigerweise als ähnlich zu identifizierende Aspekte man heranzieht. Dazu möchte ich noch kurz einen Interview-Auszug von Frau Tietz anführen. FRAU TIETZ: […] dann iss der erste Schritt hier bei uns in- ähm im Haus dass wir dann gucken […] haben wir’n Vergleichsfall schon, ne weil es kann ja durchaus sein dass wir auch tatsächlich gerade so aus dem ehemaligen Bereich der Sowjetunion oder Ukraine ähm dass wir da schon Ärzte hatten die an derselben Universität studiert haben möglicherweise sogar im gleichen Jahr, //mhm// und dann braucht man natürlich nich noch mal ‘n Gutachten in Auftrag geben weil dann wissen wir schon dass das einmal festgestellt wurde es sei denn wir stellen dann fest dass die Stundenpläne völlig voneinander abweichen […] (ÄRZ (Tietz) 309: 153 ff.).
Es zeigt sich hier die Normvorstellung, dass Qualifikationen umso ähnlicher sind, je ähnlicher sich die Antragsfälle während des Erwerbs im Hinblick auf ihren zeitlich und räumlich bestimmten Aufenthaltsort sind. Gleichzeitig zeigt sich die Erfahrung von Frau Tietz, dass dies nicht so sein muss. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Stundenpläne auch voneinander abweichen können, wenn zwei Menschen an derselben Universität im gleichen Jahr ihren Abschluss gemacht haben. Insofern ist die Zuordnung von einem neuen Fall zu einem alten, bereits bewerteten Fall auch da-
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von abhängig, ob man bei vordergründiger Ähnlichkeit eine Identität annimmt oder sich weiter vergewissern möchte und im Zuge dessen feststellt, dass sich Fälle doch nicht exakt gleichen. Nach je mehr Übereinstimmungskriterien man sucht, desto weniger wahrscheinlich wird es, dass man fündig wird. Dadurch steht das Bewertungsergebnis noch nicht fest. Der neue Fall kann infolge dieses Befunds nicht so bewertet werden, wie man einen alten bereits bewertet hat. In den Interviews ist auch impliziert, dass sich die Anerkennungssuchenden ebenfalls das Prinzip der beschrittenen Wege zunutze machen. Auf diesen nachvollziehbaren Aspekt soll hier nur am Rande aufmerksam gemacht werden. Es wird vielfach thematisiert, dass die Antragsteller sich untereinander kennen und untereinander ihre Erfahrungen mit den Behörden weitergeben, sodass sich für sie daraus dann auch immer wieder das Problem ergäbe, Ungleichbehandlungen (auch im Kontext des Föderalismus) rechtfertigen zu müssen. Dass die Titelanwärterinnen auch versuchen, die beschrittenen Wege zu nutzen, drückte ein Interviewpartner in einem Hintergrundgespräch besonders deutlich aus (HI-Ärzte1). Er erzählte, dass bestimmte Botschaften „wegen eines netten Kontakts“ zu seiner »Anerkennungsstelle« nun weitere Kandidaten der betreffenden Ausbildungsstaaten zu ihm schicken würden. Das lese ich als Ausdruck dessen, dass es sich herumspricht, wenn bestimmte Fälle positiv bewertet wurden, sodass dies andere Fälle, die sich mit ihren Qualifikationen ähnlich verorten, z. B. qua Ausbildungsstaat, nach sich zieht. 5.2.3.2 Zentralisierte Datenbanken (»Anabin«, »BQ-Portal«) Mithilfe von »zentralen Datenbanken«, namentlich vor allem »Anabin« und das »BQ-Portal«, wird eine Archivierung des kollektiven Erfahrungswissens angestrebt. In den Interviews dokumentiert sich für mich, dass die Orientierung an diesen zentral archivierten Erfahrungen in der Praxis den eigenen Erfahrungen nachgeordnet ist. Ich werde im Folgenden zunächst auf die Bewertung von Fällen auf Basis von »Anabin« und dann auf Basis des »BQ-Portals« eingehen. Daneben werden punktuell weitere Listen oder Portale in den Interviews angeführt, die aufgrund der offensichtlich nur vereinzelten Nutzung hier keine Erwähnung finden. Anabin »Anabin« wird geführt von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) bei der Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn. Unter den hier betrachteten Berufs- bzw. Qualifikationsgruppen ist sie ein Hilfsmittel für die Bewertenden von Ärztinnen, Architektinnen, Pflegekräften und Lehrerinnen. Es zeigt sich in allen Interviews, dass die Datenbank »Anabin« nicht der Orientierungsmaßstab
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schlechthin ist, sondern eine verfügbare Option. Das zeigt sich z. B. in der Art und Weise, wie Frau Nolte darauf verweist. FRAU NOLTE: […] Denn ham wir noch als .. Hilfsmittel die Datenbank Anabin […] da sind ja auch Stellungnahmen zu Ausbildungen hinterlegt da kann man dann auch immer noch mal schauen //mhm// wenn man Zweifel hat […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 220 ff.).
Die sehr typische Formulierung „da kann man dann auch immer noch mal schauen, wenn man Zweifel hat“ zeigt den optionalen Charakter auf, der nicht zwangsläufig zu Sicherheit, Orientierung und Auflösung der Zweifel führt. Ganz ähnlich, wenn auch deutlicher in ihrer Begründung, warum ihr die Datenbank keine uneingeschränkte Hilfe ist, formuliert es auch Frau Vogel. FRAU VOGEL: […] es gibt da ja zwar die Datenbank Anabin über die man dann auch mal schauen kann aber auf dem alleraktuellsten Stand scheint mir diese Datenbank auch nich zu sein […] (PFLE (Vogel) 4-25: 231 f.).
Dass die Datenbank nicht „auf dem alleraktuellsten Stand scheint“ wird so oder so ähnlich besonders häufig als Grund angeführt, warum Anabin nicht die Lösung des Bewertungsproblems für die Anerkennungsstellen ist. Frau Peters spricht davon, dass es aufgrund des Wandels von Ausbildungssystemen in den Staaten der Welt „vielleicht auch für Anabin und Co ne Überforderung immer up to date zu sein [ist]“ und schlussfolgert daraus: „das heißt also wir müssen auch eigene Recherchen betreiben, was wir tun“ (LEHR (Peters) 1-14: 123 f.). Frau Sachs geht ebenfalls im Rahmen ihrer selbstläufigen Erzählung auf die Möglichkeit ein, Anabin zu befragen, „ob wir den Abschluss schon finden“ und setzt fort dass sie das „aber in seltenen Fällen [tun] eigentlich dazu gibt es zu viele Abschlüsse“ (ARCH (Sachs) 3-18: 212 ff.). Frau Fechner kommt in folgendem Interview-Auszug zu einem positiveren Schluss, dass sie häufig ähnliche Fälle findet. Das kann jedoch auch damit zusammenhängen, wie sie selber sagt, dass sie Qualifikationen aus Drittstaaten bisher noch nicht bewertet und dies folglich auch noch nicht in Anabin gesucht hat (wie es z. B. Frau Peters im eben genannten Beispiel für die Lehramtsqualifikationen getan hat). In dem Interview mit Frau Fechner zeigt sich auch, dass der Prozess der Zuordnung von einem zu bewertenden Fall und den in »Anabin« dokumentierten bereits bewerteten Fällen nicht zwangsläufig eindeutig ist. Sie beschreibt ihre Zuordnungspraktiken von ihren Fällen zu bereits bewertenden Fällen mit Ausdrücken wie »zusammen suchen«, »basteln« und »Rückschluss ziehen«: FRAU FECHNER: […] Weil diese Datenbank [Anabin, I.S.] sehr hilfreich iss, man findet häufig wirklich ähnliche Fälle oder dass man eben sich aus zwei Fällen das zusammen suchen
288 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS kann, basteln kann dass man einfach ‘n Rückschluss ziehen kann was iss das jetzt für ne Ausbildung. //mhm// Oder wie können wir sie einschätzen. //mhm// Das iss es ja häufig manchmal wissen wir gar nich, iss damit mit dem was sie mitbringen tatsächlich die Lehrerausbildung dort auch beendet? //mhm// (.) Oder fehlt da noch irgendetwas und das wird jetzt denke ich mal gerade bei den Zusä- bei den Drittländern (.) wird das häufiger mal auf uns zukommen wenn dann plötzlich ein Land auftaucht oder der Abschluss eines Landes auftaucht äh was wir einfach noch nich hatten […] (LEHR (Fechner) 3-23: 592 ff.).
Die Datenbank »Anabin« wird also vor allem dann befragt, wenn der Fall nicht aufgrund der eigenen Erfahrungen bewertet werden kann. Bezogen auf die Abschlüsse aus »Drittländern« erwartet Frau Fechner deshalb, mit der Datenbank »häufiger mal« konfrontiert zu sein. Bezugnehmend auf gesetzliche Änderungen (das geht aus dem Interview-Ausschnitt an dieser Stelle nicht hervor) rechnet sie vermehrt mit Anträgen, die Abschlüsse aus Drittländern betreffen. Das meint auch das Prinzip der beschrittenen Wege. Je unbeschrittener der Weg, desto mehr Aufwand muss noch betrieben werden. In allen Interviews zeigt sich damit, dass »in Anabin gucken« erfahrungsgemäß vielfach nicht hinreicht, um eine Bewertung mechanisch ablesen und übertragen zu können. Wie hilfreich sie ist, hängt davon ab, wie intensiv und aktuell die Wege bereits beschritten wurden, sowohl der Weg der Migration mit einer bestimmten Qualifikation als auch der Weg der Bewertung einer bestimmten Qualifikation aus einem bestimmten Ausbildungsstaat. Auf die Rolle der ZAB als Gutachterin für neue Fälle werde ich im nächsten Abschnitt »Expertise aufbauen« noch eingehen. BQ-Portal Im Gegensatz zu »Anabin« ist das »BQ-Portal« eine Datenbank jüngeren Datums, die erst mit dem Inkrafttreten des »Anerkennungsgesetz« im April 2012 ins Leben gerufen wurde. Anders als bei »Anabin« sind die Handwerkskammern, die zusammen mit den Industrie- und Handelskammern im BQ-Portal zusammengeschlossen sind, an Aufbau und Pflege der Datenbank beteiligt. Erzählungen und Beschreibungen über das BQ-Portal erweisen sich dadurch als sehr stark wir-bezogen. Die bereits besprochenen Bezugnahmen der Interviewten auf »Anabin« erscheinen dagegen distanzierter und unwissender hinsichtlich der Frage, wer die Datenbank auf welcher Basis pflegt. Typisch ist es in den Interviews, die eigene Beteiligung an dem Aufbau der Datenbank als „mitfüttern“ oder auch „einspeisen“ zu bezeichnen. Darin dokumentiert sich die Vorstellung, zentral archiviertes Erfahrungswissen in gemeinsamer Anstrengung größer werden zu lassen. Der folgende Ausschnitt mit Frau Becker zeigt zudem, dass dies von der Hoffnung getragen ist, irgendwann vollständig die Früchte dieser Archivierungsarbeit tragen zu können:
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FRAU BECKER: […] das [BQ-Portal, I.S.] füttern wir auch mit, //mhm// (.) ähm und (.) manchmal hat man jetzt- also wir sind Leitkammer [A-Staat] und wir füttern sehr viel ein und jetzt hat man’s schon immer mal wieder, (.) dass man sagt Mensch den Abschluss kennen wir doch. ha ja gut das sieht gut aus bei Ihnen kann man spontan sagen aus dem und dem Jahr, (.) mhm, da haben wir jetzt Informationen. //mhm// ähm (2) das iss nich für alle Länder so […] (HAND (Becker) 2-10: 116 ff.).
Die Beschreibung des Wiedererkennens mit dem Ausruf „Mensch den Abschluss kennen wir doch“ erinnert an Frau Antons „da macht es quasi schon klick“ (vgl. Abschnitt 5.2.3.1), wenn auch weniger die Routine als die Überraschung über diesen Moment des Wiedererkennens hier mitschwingt. Die direkte Verbindung zwischen dem sehr viel »Einfüttern« in das BQ-Portals und dem Wiedererkennen dokumentiert, dass die unmittelbar eigenen Erfahrungen besonders stark wiegen. Es bleibt hier offen, ob ein ähnlicher Ausruf auch in Bezug auf Fälle gilt, die eine andere Handwerkskammer »eingefüttert« hat. Während sich im Interview von Frau Becker die Hoffnung andeutet, dass das BQ-Portal anwächst und sie immer öfter spontan sagen kann, ob es gut aussieht, wird (wie bereits erwähnt) die Vision bei Frau Zink sehr explizit. Sie hegt den Wunsch, dass die Datenbank »BQ-Portal« die Überprüfung von Gleichwertigkeit – ihren Arbeitsaufwand – überflüssig macht, indem sie irgendwann voll aus den Erfahrungen schöpft: FRAU ZINK: […] Ähm (.) idealerweise wird es in einigen Jahren so sein dass es ähm dass man dann ganz gezielt sagen kann wenn jemand kommt und sein Zeugnis vorzeigt, dass man sagen kann ja ähm (.) das iss anerkannt und das iss nich anerkannt. […] es gibt ein Portal, ähm in dem sämtliche- was heißt sämtliche aber ähm zumindest für die Handwerkskammern gibt es ähm dort ähm die Möglichkeit äh sämtliche Entscheidungen dort einzutragen, ähm auch die vefl-ver-fli- Verpflichtung, und ähm (.) und die werden gesammelt. Und das wird dann aufbereitet und so dass man dann ähm sehen kann, Abschluss aus dem Jahre 1995 in äh Polen, ähm mit der Bezeichnung Soundso ähm ist anerkannt oder ist nicht anerkannt. Weil das schon mal einmal äh geprüft worden iss, formal, und äh und dann kann man das von der Formalqualifikation her ähm zumindest beantworten […] (HAND (Zink) 4-21: 105 ff.).
Gerade in den Interviews im Handwerk (wie hier Frau Becker und Frau Zink), die noch am Anfang des Aufbaus der zentralen Datenbank stehen, wird deutlich, dass sie von der Hoffnung auf Erleichterungen der Bewertungspraxis in der Zukunft getragen werden. Wenn erstmal alle Wege einmal beschritten sind, wird es einfacher, sodass sie dann nicht mehr prüfen (und abwägen) müssen, sondern auf Anhieb wissen, was das für ein Abschluss ist und wie er zu bewerten ist: das angestrebte Ideal der Eindeutigkeit und Unangreifbarkeit. Einmal generiertes Wissen stehe dann für alle Zeit zur Verfügung und müsse nicht mehr hinterfragt werden. Die Erfahrungen
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mit der älteren Datenbank Anabin verweisen dagegen darauf, dass es nicht gelingen kann und womöglich auch niemals als gelungen betrachtet werden sollte, die Bewertung der ganzen Welt in einer Datenbank zu konservieren.14 5.2.4 »Expertise aufbauen« – die Such- und Greifbewegungen »Expertise aufbauen« wird als weiterer Selektionsmechanismus relevant, wenn keine Erfahrungsschätze ausgemacht werden und die Interviewten unter Umständen nach mehr Informationen und Unterstützung zur Begutachtung der Qualifikation suchen. Ich nenne diesen Mechanismus Such- und Greifbewegungen, weil vor allem nach dem von der eigenen Position aus betrachtet Naheliegenden gegriffen wird. Die Selektion hängt von dem Aktionsradius im Nahfeld, einem unterschiedlichen Aufwand und einer unterschiedlichen Ergebnisoffenheit ab. Die Such- und Greifbewegungen zum Aufbau von Expertise betrachte ich im Hinblick auf drei in dieser Hinsicht geäußerte Themen. Zuerst gehe ich auf Internetrecherchen ein, dann thematisiere ich die Frage der gutachterlichen Zusammenarbeit und der dritte Abschnitt handelt von anderen Prüfmethoden, insbesondere performativen Prüfungen statt Aktenprüfungen. Es sind häufig die Interviewten, die ihre Entscheidungsgrundlagen als nicht hinreichend betrachten und die sich über das institutionalisierte Pflichtprogramm hinaus engagieren wollen, die diese Themen selbstläufig und offensiv ansprechen. Dies steht nicht zuletzt auch oft in einem Zusammenhang mit Aussagen, dass mehr Ressourcen, insbesondere mehr und anderes Personal, notwendig wäre, um dieser Aufgabe, »Expertise aufzubauen«, gerecht zu werden. Insofern liegt es nicht nur in der
14 Barbara Buchal-Höver, Leiterin der Zentralstelle für ausländisches Bildungsweisen und damit zuständig für die Datenbank Anabin, schreibt in diesem Zusammenhang, dass „die häufigste Fehleinschätzung dahin geht, dass ‘quod non est in ‚anabin’ non est in mundo‘, mit anderen Worten: Wer etwas nicht findet, unterstellt – häufig zu Unrecht – dass es das eben auch nicht gibt, weshalb man nicht of genug darauf hinweisen kann, dass ‘anabin‘ keinen Vollständigkeitsanspruch erhebt, sondern ein im kontinuierlichen Auf-, teilweise auch Umbau befindliches Hilfsmittel darstellt. Auch der ‚Füllstand‘ in den einzelnen Ländern verhält sich mitunter durchaus reziprok proportional zur Bedeutung des Landes im internationalen Kontext, ein Defizit, das unterschiedliche Ursachen haben kann: Zum einen ist die Bedeutung einzelner Länderbereiche nicht selten Ursache auch für die Belastung ihrer Bearbeiter, die dann ja gleichzeitig die verantwortlichen sprach- und sachkundigen ‘anabin‘-Füller sein müssen, dies aber nicht alles gleichzeitig leisten können. Zum anderen kann eine unterschiedlich intensive ‘anabin‘-Liebe oder -Indifferenz der einzelnen Mitarbeiter nicht geleugnet werden […]“ (Buchal-Höver 2005: 141).
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Kraft des Einzelnen, sich mehr anzustrengen, sondern auch in den institutionellen Bedingungen. 5.2.4.1 Internetrecherchen Die Durchführung von Internetrecherchen ist eine der ersten und häufigsten Suchund Greifbewegungen. Es ist unterschiedlich, wie intensiv gesucht wird und wie kritisch mit dem Gefunden oder Nicht-Gefundenen umgegangen wird. Die Durchführung von Internetrecherchen wird vor allem in Bezug auf zwei wesentliche Interessen thematisiert. Erstens zum Zweck der Beschaffung von Ausbildungs-, Studien und Prüfungsordnungen ausländischer Institutionen, zweitens zum Zweck von Klärung und Einordnung (ggf. auch Echtheit) in Bezug auf bereits vorliegende Unterlagen. In dem folgenden Interview-Ausschnitt mit Frau Peters steht die Internetrecherche für eine sehr betont aufwendige und mühevolle Anstrengung, um möglichst viele, der Anerkennung dienliche Informationen heranzuschaffen: FRAU PETERS: […] also mit dem Wechsel äh der (.) Zielgruppe, hat es sich also nicht nur vervielfacht das Antragsaufkommen sondern natürlich auch (.) verkompliziert, //mhm// weil man jetzt immer gucken muss was was für Bedingungen haben zu dem //mhm// Zeitpunkt als der das gemacht hat auch dort in dem Land noch geherrscht weil auch da können wir es nich mit der gegenwärtigen (.) Prüfungsordnung dann vergleichen sondern wir müssen erstmal gucken was haben die damals überhaupt gemacht. das heißt also wir (.) googeln uns ‘n Wolf, //mhm// um also auch die alten Unterlagen dann zu finden und die beizubringen wenn das die Lehrkräfte nich selbst schaffen können. (.) //mhm// ja weil wir wollen denen ja auch gerecht werden //mhm// (.) ne, um dann dann die Grundlage zu haben um zu sagen ja- […] (LEHR (Peters) 1-14: 646 ff.).
Den indexikalen Ausdruck „wir googlen uns 'n Wolf“ interpretiere ich als Erfahrung von Anstrengung und Ausdauer, um etwas Relevantes oder Aussagekräftiges im Internet zu finden. Frau Peters verspricht sich auch dann Erfolg, wenn die Antragstellerinnen es „nicht selbst schaffen können“, die Unterlagen zu besorgen. Es zeigt sich dabei ein hohes Vertrauen in das Internet als ewigen Speicher für offizielle Dokumente über Ausbildungen, mitunter auch der weit entfernten Vergangenheit. Sie geht von der Norm aus, dass die gefragten Dokumente mit den ihr verfügbaren Suchstrategien im Internet auffindbar sein müssen. Von den Lehrkräften erwartet sie hingegen offenbar keine Internetrecherche (die wahrscheinlich in Kenntnis der Institutionen und der dort gesprochen Sprache einfacher möglich wäre), sondern denkt an andere, wahrscheinlich direktere Wege der Beschaffung.
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Frau Zink verweist ebenfalls auf die Beschaffung der Ausbildungsordnung der ausländischen Qualifikation als „Dreh- und Angelpunkt“ des Verfahrens. Sie setzt auf das Internet als die entscheidende Quelle, um diese Dokumente zu finden. Weil das in Deutschland so ist, „müsste es in anderen Ländern auch sein“, lautet das Argument. Anders als im Fall von Frau Peters wird hier deutlich, dass sie diese nicht selber sucht, sondern diese Erwartungshaltung an die Antragsteller heranträgt. FRAU ZINK: […] das heißt also Dreh- und Angelpunkt iss ähm die Ausbildungsordnung zu beschaffen, ähm: davon hängt es hauptsächlich ab, und ähm da nehmen wir auch immer die Antragsteller, also versuchen wir auch immer mit denen zusammenzuarbeiten, fordern die auch auf dass sie auch ähm im Herkunftsland ähm oder im Ausbildungsstaat ähm entsprechend zu recherchieren ähm bei ihrer alten Berufsschule noch mal nachzufragen, normalerweise iss es ja so dass die Ausbildungsordnungen ähm (.) dass die Berufsschule die die Ausbildung durchgeführt hat die müssen die ja haben eigentlich in Deutschland sind die ja frei zugänglich also mm brauchen nur ins Internet zu schauen, ähm so müsste es in anderen Ländern auch sein aber wir sind dann eben auch auf die Mithilfe der Antragsteller angewiesen ne, //mhm// und ähm wenn man diese Unterlagen dann hat, dann kann eins zu eins der Vergleich durchgeführt werden […] (HAND (Zink) 4-21: 249 ff.).
Es zeigt sich hier deutlich, dass die Beziehung zu den Antragstellerinnen im Hinblick auf die Recherchearbeit verhandelt wird. Indem sie von dem Versuch der Zusammenarbeit sowie von der Mithilfe spricht, auf die sie angewiesen sei, dokumentiert sich eine Abgrenzung von der Erwartung, die Recherchearbeit für die Antragsteller zu übernehmen. Die Formulierung „fordern die auch auf“ zeigt an, dass es eher eine Anleitung ihrerseits ist, was die Antragstellerinnen zu tun haben. Sie argumentiert, dass das „normalerweise“ auch über eine Internetrecherche leicht zu bewerkstelligen sein müsste, weil die Ausbildungsordnungen in Deutschland auch „frei zugänglich“ seien. In dem Konjunktiv „das müsste in anderen Ländern auch so sein“ wird deutlich, dass sie dazu keine erfahrungsbasierte Auskunft geben kann. Sie spekuliert, dass ihre Erfahrung für Deutschland „nur ins Internet schauen“ zu müssen als Norm auch auf andere Länder übertragbar ist. Darin zeigt sich eine Tendenz zur Universalisierung der eigenen Maßstäbe und Erwartungen. Weitere selektive Effekte bei der Durchführung von Internetrecherchen zur Klärung und Einordnung von Unterlagen im Hinblick auf »Echtheit« zeigen sich besonders gut am Beispiel des Interviews mit Frau Nolte (vgl. 5.2.1.5). Sie spricht im Interview auch davon, dass sie der Weg ins Internet vor allem zu „Wikipedia“ führt, falls ihr ein bestimmter Fachbegriff nicht geläufig und dadurch nicht zuordenbar ist. FRAU NOLTE: […] Ja und für den Ausbildungsvergleich, ähm benutze ich auch oft das Internet also in erster Linie Wikipedia, //mhm// einfach um noch mal ich bin ja nun medizinischer Laie, //mhm// um mir ähm ja medizinische Begriffe besser zu erläutern damit ich auch
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weiß was versteckt- was steckt denn hinter einzelnen Bezeichnungen wo sind vielleicht auch die Überschneidungen zu anderen Fächern dass ich sehe vielleicht hat er in dem einen Fach (.) sehr sehr viele Stunden, und das iss aber ein Teilgebiet eines in der deutschen Ausbildung weniger stark umfassten Faches dass man sagen kann gut das sind Überschneidungen da fehlen zwar Stunden aber man kann die sozusagen dann rüber schlagen und dann iss auch das ausgeglichen […] (ÄRZ (Nolte) 2-07: 189 ff.).
Es wird in den Interviews deutlich, dass es situative Entscheidungen sind, wie intensiv und wie seriös im Internet gesucht wird, wie sehr dem Gefundenen vertraut wird und wie sehr die eigenen standortgebundenen Annahmen und Einschränkungen, z. B. vieles nicht finden zu können und anderes gar nicht erst zu suchen, bedacht werden. 5.2.4.2 Gutachterliche Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit mit anderen Gutachtern betrachte ich als eine weitere Form der Such- und Greifbewegungen. Es ist auch hier eine Frage des fallspezifischen Ermessens, inwiefern andere Gutachterinnen offiziell beauftragt oder informell hinzugezogen werden und welche dies sind. Die Zusammenarbeit mit Gutachterinnen steht im Regelfall nur dann an, wenn es nicht gelingt, die Bewertungen selbst vorzunehmen. Gutachterliche Zusammenarbeit erfolgt analog zu »Anabin« und dem »BQ-Portal« vor allem mit der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen und über das sogenannte LeitkammerSystem im Handwerk. Auf diese beiden Institutionen gehe ich im Folgenden als erstes ein. Vereinzelt kommt es, insbesondere in den Gesundheitsberufen, auch zu einer Zusammenarbeit mit externen Gutachtern und mit den zuständigen Stellen in anderen Bundesländern. Auch informelle Anfragen bei Fachleuten auf „kurzem Dienstweg“ werden zum Teil thematisiert. Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen Mit Ausnahme der Interviewten im Handwerk ist die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) bei der Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn in allen Interviews zur Ärzte-, Pflegekräfte-, Lehrer- und Architekten-Anerkennung ein Referenzpunkt im Sinne einer Gutachterstelle. Ein homologes Muster ist, dass die Beauftragung der ZAB mit Gutachten für die Interviewten eher Ausnahme als Regelfall ist. Das hängt unter anderem mit der schnelleren Variante einer Konsultation der Datenbank »Anabin« zusammen. Darüber hinaus wird problematisiert, dass die Erarbeitung der Stellungnahmen zu lange dauern würde, weil die ZAB zu wenig Personal habe. Zum anderen würden von der ZAB keine Aussagen zur inhaltlichen
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Gleichwertigkeit gemacht, sodass es bedingt weiterhelfe. Es seien eher grundsätzliche Fragen, z. B. nach der Echtheit von Zertifikaten oder ob es die Hochschule tatsächlich gäbe, mit denen man sich an die ZAB wenden könne. Als ein Beispiel unter vielen möchte ich einen Auszug aus dem Interview mit Frau Conrad anführen, indem sie über Kooperationen mit der Kultusministerkonferenz spricht. Der Begriff „Kultusministerkonferenz“ meint hier die dort ansässige „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“: FRAU CONRAD: […] dann gibt es (1) ähm die- noch die Kultusministerkonferenz in Bonn, //mhm// die wir dann zum Teil auch um Hilfe bitten, für so’ne ganz grundsätzliche Bewertung, //mhm// (.) gibt es diese Hochschule, @(.)@ hat die normale Abschlüsse und sind die vergleichbar mit dem was man in Deutschland oder in Europa hat (.) (1) das iss sehr mühsam, also wenn wir auf die zurückgreifen müssen weil wir uns selbst nich so sicher sind, //mhm// dann dauert das Ewigkeiten, //mhm// (.) bis die reagieren, aber im Zweifel haben die natürlich gute Gutachter die Südamerika kennen oder Japan kennen, //mhm// was wir einfach hier nich leisten können […] (ARCH (Conrad) 2-12: 218 ff.).
Dass es sich bei der Kooperation um eine denkbare Option, aber nicht um die Regel in jedem Bewertungsverfahren handelt, ist in Ausdrücken wie „die wir dann zum Teil auch um Hilfe bitten“ oder „wenn wir auf die zurückgreifen müssen weil wir uns selbst nich so sicher sind dann dauert das Ewigkeiten“ deutlich. Die DetailArbeit, die auf den Vergleich der Inhalte rekurriert, ist mit einem solchen Gutachten noch nicht geleistet ist („so ne ganz grundsätzliche Bewertung“). Insbesondere im Bereich der Bewertungen von Architektinnen und Ärztinnen zeigen sich in den Interviews Konflikte darum, welche Kompetenzen die ZAB in Bezug auf die inhaltlich-fachliche Bewertung hat bzw. in Zukunft haben soll. Der Konflikt wird im Interview mit Herrn Kuhn expliziert: HERR KUHN: […] was eben auch noch immer ne Möglichkeit iss das iss die die Kultusministerkonferenz dass wir da äh tatsächlich Stellungnahmen erarbeiten lassen, da sind unsere Juristen so auf dem Trip dass sie das gerne machen, //mhm// dass sie das auch gerne so weggeben und so nach dem Motto da hat ne ganze hohe Instanz hat (.) uns ‘n Bescheid gegeben ich bin da gar nich so richtig froh drüber weil ich ich weiß ehrlich gesagt nicht wer dort in der Kultusmis- -mister- -ministerkonferenz solche Stellungnahmen erarbeitet und auf welcher fachlichen Basis (.) ähm also im Zweifel werden die da auch Ahnung haben aber (.) ich- die kommen natürlich eher aus der Hochschulrichtung die Leute und äh (.) letztlich iss das immer son bisschen son Spannungsfeld […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 450 ff.).
Er grenzt sich damit (als Architekt) von den Juristen ab, denen es bei der Beauftragung der Kultusministerkonferenz vor allem um die formale Absicherung einer Entscheidung, nicht aber die fachliche Beurteilung ginge. Die Entscheidung sei da-
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mit augenscheinlich an eine „ganz hohe Instanz“ delegiert, sodass man sich nicht mehr darum kümmern müsse. Es zeigt sich hier die Bereitschaft, Konflikte um die fachlich richtige Handhabung im Zweifel auch auszutragen. Umgekehrt verhält es sich im Fall einiger Interviewter aus dem Bereich der Ärzte-Anerkennung, was womöglich auch damit zusammenhängt, dass es hier keine Ärzte sind, die Ärzte bewerten. Die Interviewten in diesem Bereich möchten lieber mehr als weniger von der ZAB erledigt wissen. Herr Meyer bedauert, dass die ZAB zu geringe Kompetenzen habe. Er hätte es gerne, wie andere Approbationsbehörden auch, dass sie zu einer zentralen Gutachterstelle ausgebaut wird: HERR MEYER: […] dass die dann diese Bewertungen der Gleichwertigkeit vornehmen. //mhm// Denn ob ich ne Anfrage schicke zur ZAB oder (peng?) also das @(.)@ bringt nichts. INTERVIEWERIN: Nee? HERR MEYER: Nee. INTERVIEWERIN: Also haben Sie schon gemacht oder – HERR MEYER: Ja natürlich hab ich das schon gemacht. Die haben auch ne wirklich ganz gute Datenbank kann man alles gucken im Internet, und da steht auch drin- und sie haben auch Mustergutachten kann man alles machen, und das iss auch immer gut, und da steht aber, letztendlich treffen sie nur Aussagen dazu, ob es ne akkreditierte Hochschule iss, wie das Studiensystem dort aussieht dass er eine abgeschlossene dortige Ausbildung hat und dass er in seinem Land dort mit dieser Ausbildung als Arzt meinetwegen arbeiten darf. //mhm// Zur inhaltlichen Gleichwertigkeit, äh die Prüfung der inhaltlichen Gleichwertigkeit obliegt den Landesbehörden oder den Approbationsbehörden steht dann immer drunter. Also da sagen sie nichts zu. //mhm// Aber das iss ja das worauf es ankommt, ne […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 380 ff.).
Es zeigt sich insgesamt, dass die gutachterliche Zusammenarbeit mit der ZAB eher eine theoretische Möglichkeit als eine gängige Praxis für die zuständigen Stellen ist. Wenn sie zustande kommt, übernimmt die ZAB vor allem die Überprüfung, ob die Urkunden echt sind, ob es die (Hoch-) Schule gibt, ob die Ausbildung abgeschlossen sowie formal und funktional mit der deutschen Ausbildung vergleichbar ist. Ob die ZAB die inhaltliche Gleichwertigkeit statt der jeweiligen Anerkennungsstellen prüfen soll oder gerade nicht, ist Gegenstand von Auseinandersetzungen, die qualifikationsspezifisch geführt werden.
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Das Leitkammer-System im Handwerk Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat die Erarbeitung von gutachterlichen Stellungnahmen länderspezifisch aufgeteilt. Das System, »Leitkammer-System« genannt, ist während der Durchführung meiner Interviews im Aufbau begriffen. Die Aufteilung von Kompetenzen auf Leitkammern ist auch Grundlage für den Aufbau des BQ-Portals (vgl. Abschnitt 5.2.3.2). In der Regel beinhaltet die Zuständigkeit als Leitkammer den Aufbau von Expertise für ein bestimmtes Land (u. U. noch mal aufgeteilt in Berufe). Wie eine Kammer zu einer bestimmten Zuständigkeit gekommen ist, lässt sich auch als eine Such- und Greifbewegung interpretieren. Beispielsweise führt Frau Otto aus, dass die Beziehung zu einer Partnerkammer ausschlaggebend dafür war, dass ihre Kammer Leitkammer „hier geschrien“ hat: FRAU OTTO: […] Bei uns iss es jetzt in dem Fall [A-Staat (EU)], //mhm// wo wir sagen wir ham so’n bissel so’n Expertenwissen drüber //mhm// in Anführungsstrichen jetzt mal gesetzt ne? //mhm// Also unsere Kammer hat da hier geschrien weil wir ne Partnerkammer da in [AStaat (EU)] haben. Ob wir da Experten sind iss mal dahingestellt. Aber wir haben uns mit dem Bildungssystem in [A-Staat (EU)] näher beschäftigt, //mhm// und meinen jetzt auch ‘n bissel Aussage drüber treffen zu können. //mhm// Ja? (HAND (Otto) 3-20: 27 ff.).
In den relativierenden Aussagen von Frau Otto zeigt sich, dass sie den Begriff des „Expertenwissen[s]“ zu hoch gegriffen findet für das, was sie über den anderen Ausbildungsstaat wissen. Sie bringt zum Ausdruck, dass es bei der Aufteilung in Leitkammern eher darum geht, wer welches Wissen aufbaut, als als wer welches Wissen hat. Experten seien sie nicht wirklich, aber sie hätten sich, nachdem sie „hier geschrien“ haben, dazu ein bisschen fortgebildet. Ziel ist es, anderen Handwerkskammern in Bezug auf Anträge aus dem jeweiligen Ausbildungsstaat als eine Gutachterstelle zur Verfügung zu stehen. Leitidee des Leitkammersystems ist die Herstellung von Effizienz: FRAU ZINK: […] Und ähm dadurch erspart man sich natürlich ähm dass jede einzelne Handwerkskammer das Rad neu erfindet und (.) und doppelt und dreifach gearbeitet wird […] (HAND (Zink) 4-21: 143 ff.).
Erst vollständige Anträge werden demzufolge zur gutachterlichen Stellungnahme an die jeweilige Leitkammer geschickt werden. Das Sammeln der Unterlagen geschieht in der ortsansässigen Handwerkskammer. In den Interviews bleibt es widersprüchlich, ob auch eine Nicht-Leitkammer eine Ausbildung aus dem entsprechenden Staat bewerten kann. Bei Frau Becker heißt es, dass sie „jeweils vor Ort, (.) ähm mit der eigenen Expertise (.) über diese (1) Anerkennungsbescheide befinden“
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(HAND (Becker) 1-11: 469 f.). Frau Zink beschreibt, dass die Leitkammern jeweils die »Gleichwertigkeitsprüfungen« übernehmen. Es bleibt zu vermuten, dass die Kooperation unter den Handwerkskammern mit symbolischen Kämpfen um das Vertrauen in die Bewertungen der anderen Handwerkskammern verbunden ist. Die gutachterliche Zusammenarbeit zum Aufbau der Expertise erfolgt zudem optional auch in Zusammenarbeit mit dem IW Köln, das im Rahmen eines Projekts im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ebenfalls Recherche- und zum Teil auch Übersetzungsarbeiten von Ausbildungsordnungen etc. übernimmt. Die Übernahme von Übersetzungen erfolgt, wenn abschätzbar ist, dass diese nicht nur einmalig, sondern mehrfach benötigt wird: FRAU OTTO: […] Also die haben für pro- Übersetzungsarbeit son bestimmtes Kontingent und wenn die sagen ja das iss’n Beruf und ‘n Abschluss .. wo sagen könnt noch mal kommen oder die Wahrscheinlichkeit iss hoch dass das noch mal kommt dann überne- übernehmen die zum Teil auch Übersetzungsarbeiten. //mhm// Weil sonst iss es so dass der Antragsteller auch das übersetzt vorlegen muss […] (Hand (Otto) 3-20: 461 ff.).
Darin zeigt sich die Rückkoppelung an das Prinzip der beschrittenen Wege im Sinne eines Versuchs, die Wege der Zukunft nicht nur zu kennen, sondern mitunter auch als solche erst zu ebnen. Je eher Antragstellerinnen mit bestimmten Qualifikationen ähnliche Nachfolgerinnen haben könnten und im Sinne von Nachfrage und Rekrutierung auch haben sollen, desto schneller und für sie kostengünstiger wird ihr Antrag womöglich bearbeitet. Sonstige gutachterliche Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit mit anderen Gutachtern und sonstigen Fachleuten ist nicht häufig Thema in den selbstläufigen Interviews. Es sind nach meiner Einschätzung eher einzelne Stellen oder einzelne Bearbeiterinnen, denen daran gelegen ist, den „Kreis der Wissenden möglichst auszudehnen“, wie Frau David formuliert: FRAU DAVID: […] also ähm man=man versucht eben den (.) den Kreis der Wissenden möglichst @auszudehnen@ nich, und ähm je mehr Leute man da (.) fra- befragen kann zu desto erfolgreicher wird die Suche nachher […] (ÄRZ (David) 1-04: 222 ff.).
Wie groß der Kreis wird, ob und wenn ja, wen man zu greifen bekommt, ist wiederum abhängig vom eigenen Aktionsradius, dem sozialen Nahfeld. Insbesondere in der Ärzte-Bewertung ist das Thema der Zusammenarbeit mit Gutachterinnen sehr stark verbreitet, ohne dass dadurch die Beauftragung von Gutachtern gängige Praxis wäre. Herr Meyer führt im Interview aus, warum eine Zusammenarbeit mit Gutachtern für ihn nicht praktikabel ist.
298 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS HERR MEYER: […] Und ähm da hab ich eben auch- ich hatte immer überlegt Gutachter hin oder her aber man kriegt auch keine die das- die bereit sind das zu machen, //mhm// und vor allem wen wollen Sie nehmen von den Ärzten? Welcher von den Ärzten sagt jetzt also ich überprüfe eine vollständig ausländische Ausbildung, äh die er aber genauso wenig kennt wie ich sie kenne, //mhm// ähm (.) und wenn ich schon- […] wenn man .. schon Prüfer hat die sagen „ich bin Neurochirurg ich kann Chirurgie nich prüfen tut mir leid“ also (.) äh was sollwelchen Arzt soll ich dann bitteschön nehmen der’n gesamtes Studium meint beurteilen zu können zu wollen? //mhm// Abgesehen davon dass er dafür auch keine Zeit hat oder Lust hat oder was auch immer. Und dann müsste man den- die Kosten dafür ja auch dem Antragsteller aufdrücken, //mhm// die ja dann auch nich gerade gering sind und so weiter und so fort […] Und wie gesagt [anderes Bundesland] hatte dann auch erzählt sie hätten schlechte Erfahrungen gemacht mit den Gutachtern, weil- oder was heißt schlechte Erfahrungen es iss iss falsch ausgedrückt aber sie hätten eben die Erfahrung gemacht, dass die Gutachter letztendlich nichts anderes machen als wir auch machen nämlich die Stunden vergleichen und die Fächer vergleichen und das kann ich auch alleine dafür brauche ich dann keinen Gutachter mir mühsam suchen und brauch kein Extrageld dann nehmen […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 70 ff.).
In diesem Ausschnitt zeigt sich, dass Herr Meyer von Gutachterinnen-Leistungen nicht mehr erwartet, als er auch ohne Gutachterin leisten kann. Es wird deutlich, dass er keinen Arzt kennt und sich niemanden vorstellen kann, der seine Aufgabe, „eine vollständig ausländische Ausbildung“ zu überprüfen, gerne übernehmen würde („welchen Arzt soll ich dann bitteschön nehmen der’n gesamtes Studium meint beurteilen zu können zu wollen?“). Darüber hinaus problematisiert er die Kosten, die mit der Beauftragung externer Gutachter verbunden wären und knüpft an die Erfahrungen eines anderen Bundeslands an. Dort sei festgestellt worden, dass die Gutachter auch nur die Fächer und Stunden vergleichen. Er kommt deshalb zu dem Schluss, dass es keinen Sinn macht, diese Aufgabe einer Gutachterin zu übertragen. Dass mit zuständigen Stellen anderer Bundesländer Kontakt aufgenommen wird, ist ebenfalls von der (fallspezifischen) Initiative der Bewertenden abhängig. In vielen Interviews wird diese Option gar nicht angesprochen. Frau Runge, die Pflegekräfte bewertet, spricht auf Nachfrage zu ihren Kontakten mit anderen Bundesländern eine Kommunikation via E-Mail-Verteiler als eine Option an, die noch möglich ist, „wenn alle Stricke reißen“: FRAU RUNGE: #Ähhhhm# früher war es so dass es äh ne ne Arbeitsgruppe der Länder gab wo sich die äh (.) ja Dezernatsleiter oder Referatsleiter wie sie auch immer heißen getroffen haben und Fälle besprochen haben. (.) ähm die hat sich aufgelöst […] und jetzt iss es so wir besprechen ähm (.) Fälle via Internet also jemand sacht ich hab hier’n Fall mit dem kann ichkomm ich einfach nich weiter, //mhm// keiner kann mir helfen, (.) ähm (.) habt ihr auch schon so einen gehabt und das gibt dann ‘n Riesenverteiler jedes Bundesland iss drinne, und jeder sagt dann was dazu und jeder bekommt auch die Antwort der andern so dass man dann auch
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f- für später sagen kann okay pass auf ich weiß das noch wir haben schon mal son Fall besprochen also das iss auch noch ne Möglichkeit (.) wenn alle Stricke reißen kann ich äh solche Umfrage starten. (PFLE (Runge) 1-03: 1074 ff.)
Es dokumentiert sich, dass es sich ebenfalls um Eigeninitiative der Interviewten handelt, ob man mit den zuständigen Stellen in anderen Bundesländern Kontakt aufnimmt und Fälle bespricht. Eine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit besteht nicht (mehr). Neben der Beauftragung eines externen Gutachters, was vor allem in der ÄrzteAnerkennung präsent ist, und der gutachterlichen Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern, ist in den Interviews auch hier und da von selbst initiierten informellen Anfragen bei Fachleuten die Rede. Frau Becker geht zum Beispiel darauf ein, wie sie sich in Zusammenarbeit mit einem Meisterausbilder „auf'm kleinen Dienstweg“ das notwendige Wissen zur Bewertung von Zahntechnikern angeeignet hat: FRAU BECKER: […] also ich hatte jetzt (.) die ganze Zahntechnik die ganzen Zahntechnikfälle, und hab mich da ähm auch auf’m kleinen Dienstweg eben mit dem Meisterausbilder verständigt und=und dann immer wenn ich mir was nich vorstellen konnte ihn auch gefragt ja auch zur deutschen Ausbildung //mhm// ((holt Luft)) das iss so’n echtes Training on the Job gewesen dass ich sach ja und und was heißt denn das jetzt und was bedeutet das und wie mm wird das gemacht und was iss das ((holt Luft)) //mhm// und (.) so bauen auch wir dann (.) ähm in=in unserem Rahmen eine gewisse, (.) Expertise zumindest was die Papierlage angeht auf //mhm// (.) ne, und ähm (.) und wenn ich jetzt Unterlagen von Zahntechnikern habe, //mhm// da kann ich mich jetzt schon bisschen mehr trauen da trau ich mir jetzt schon bisschen mehr zu //mhm// aber es iss eben so’n stetiges Lernen //mhm// (.) und also bei diesen vier Zahntechnikern die hab ich dann alle (.) ähm sozusagen auf einen Rutsch bearbeitet nacheinander und hab dann auch den Kollegen (.) gebeten da noch noch mal äh das einfach stichpunkt- und stichprobenartig zu überprüfen, //mhm// zu welchem ähm (.) Ergebnis er jetzt kommen würde, und ich war dann ganz erleichtert @(.)@ also er hat das genauso gesehen also er kam zu ganz ähnlichen Ergebnissen ((holt Luft)) was die volle Gleichwertigkeit angeht oder was die teilweisen Gleichwertigkeiten anging wo wo eher Praxis fehlte wo wo noch in der Theorie was fehlte […] (HAND (Becker) 2-10: 389 ff.).
Es zeigt sich hier die Orientierung daran, das für die Bewertung der Berufe notwendige Fachwissen im Zweifel erst noch durch Hilfe eines Fachmenschen anzueignen. Es muss jedoch auch fraglich bleiben, ob die Konsultation oder auch Durchführung der Bewertungen durch Menschen, die denselben Beruf haben, die Lösung für das Problem schlechthin ist. Schließlich haben die Berufsinhaber tendenziell erst recht das Interesse, das eigene System und die eigenen Strukturen nicht infrage zu stellen.
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Frau Vogel geht mitunter explizit darauf ein, dass ihr Fachleute auch nicht unbedingt weiterhelfen könnten. Für die sei es auch „schwierig dann genau zu sagen was iss denn da im Ausland unterrichtet worden egal ob es nun EU-Ausland war oder Drittstaaten“ (PFLE (Vogel) 4-25: 119 ff.). 5.2.4.3 Performative Prüfung statt Aktenprüfung? Die Überprüfung der Kompetenzen mithilfe von performativen Prüfungen (statt auf Basis von Unterlagen) ist ein weiteres partiell angewandtes Hilfsmittel und in den Interviews als generelle Idee und Lösung präsent. Es wird angeführt als die ultima ratio, um Qualifikation auch dann noch bewerten zu können, wenn keine aussagekräftigen Unterlagen beschafft werden können. Voraussetzung dafür ist, dass die Möglichkeit einer performativen Prüfung institutionalisiert ist. Die Regelungen für performative Prüfungen gehen in den Gesundheitsberufen auf die Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG zurück. Im Fall des Handwerks ist die Möglichkeit der performativen Prüfung mit der sogenannten „Qualifikationsanalyse“ (§ 14 BQFG) gesetzlich eingeführt worden. Ich werde in diesem Abschnitt zunächst auf Ärzte und dann auf Handwerkerinnen eingehen, weil das Thema der Kompetenzüberprüfung in diesen beiden Berufsbereichen besonders präsent ist. Bei der Bewertung von Ärztinnen mit ausländischen Qualifikationen sind Kenntnisprüfungen fest institutionalisiert und immer noch möglich, wenn nichts anderes mehr möglich ist. Frau David schildert das Bewertungsverfahren im Fall einer Ärztin, die infolge einer Flucht keine Dokumente mehr bei sich trug. Sie geht darauf ein, wie sie über Zeugenbefragungen vor Ort versucht hat, glaubwürdige Unterlagen zu bekommen und kommt letztlich zu dem Schluss, dass in Fällen wie diesen nur die Möglichkeit bleibt, die ärztlichen Kompetenzen im Rahmen einer Prüfung unter Beweis zu stellen: FRAU DAVID: […] es=es liegt manchmal so in der Sache. //mhm// (.) dass (.) bestimmte Länder, […] wo Kriegswirren und Unruhen sind, //mhm// das iss enorm schwierig dort (.) Informationen her- (.) -zubekommen. //mhm// die Leute die hierher kommen und dann einen Antrag stellen, weil sie in ihrem Heimatland Medizin studiert haben und auch (.) als Arzt oder Ärztin tätig waren, (.) wollen hier natürlich ne neue Existenz aufbauen, aber die (.) sind in der Regel (3) mit Ausnahme der Kleidung die sie auf dem @Leib@ getragen haben nicht unbedingt //mhm// mit Dokumenten ausgestattet nich und es iss ganz schwer da (.) dann irgendwas herauszufinden, was (.) das Ganze begründet und dann (.) geht die ganze Maschinerie sozusagen los, wir hatten also ich hatte einen Fall zum Beispiel, (.) der ähnlich gelagert war, und die Dame hatte dann (3) jetzt mittlerweile iss es das dritte Diplom @was sie@ einreicht, //mhm// ähm (.) diese Sachen vorgelegt, und äh (2) niemand konnte sagen, ob das tatsächlich
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mal so ausgestellt worden iss, weil (.) //mhm// Bildungsministerium Gesundheitsministerium (.) keine Unterlagen mehr hatte, waren also zum Teil ausgebombt, zerstört unwiederbringlich //mhm// dann verloren gegangen, (2) äh dann hatte man versucht mit der deutschen Botschaft vor Ort .. da Kontakte herzustellen, dann mussten da also seitenlange Fragebögen ausgefüllt werden von der Antragstellerin, wo sie dann möglicherweise Zeugen Eltern (.) Freunde Bekannte (.) benennen musste die man dann dort vor Ort befragt hat, (.) //mhm// ob das dann alles so der Wahrheit entspräche und (.) also es iss immens aufwändig was da //mhm// manchmal (.) betrieben wird. und dann (.) dann kann man sagen das iss nicht verhältnismäßig man (.) kommt in die andere Richtung der Prüfung dann //mhm// zu sagen so (.) äh wir haben alles versucht jetzt das rauszufinden wir können es definitiv nicht und dann wird an Eides Statt versichert ja ich habe diese Ausbildung gemacht und dann muss derjenige das unter Beweis stellen. //mhm// (1) das iss also so’ne ganz (.) harte @Variante@ sag ich mal wo man auch wirklich nichts machen kann dann […] (ÄRZ (David) 1-04: 29 ff.).
Frau David kommt hier abschließend zu der Bewertung, dass mancher Aufwand unverhältnismäßig sei. Sie verschafft dieser Äußerung Geltung, indem sie auf eine sehr aufwendige Recherche eingeht. Infolge von kriegsbedingten Zerstörungen im Bildungs- bzw. Gesundheitsministerium des Ausbildungsstaats waren keine Unterlagen mehr zu finden und man habe dann mithilfe der „deutschen Botschaft vor Ort“ und „seitenlangen Fragebögen“ Zeugen („Eltern Freunde Bekannte“) befragt. Es zeigt sich die Erwartung, alles Erdenkliche versucht haben zu müssen, bevor man jemandem die Prüfung nahe legt. Frau David, Frau Tietz und Herr Meyer stellen im Laufe des Interviews die Aktenprüfung auch grundsätzlich infrage und setzen sich argumentativ für die generelle Bevorzugung von performativ ausgerichteten Prüfungen ein. Das heißt, sie sprechen sich für die Abschaffung der von ihnen durchgeführten »Gleichwertigkeitsprüfung« auf Basis von Unterlagen aus. Als Gründe werden vor allem mehr Gleichbehandlung und mehr Objektivität angeführt. FRAU TIETZ: […] weil die Prüfung natürlich etwas iss wo man mm (1) also ich sag mal so die iss ähm (.) die iss sag ich mal so das einheitlichste Mittel ne? //mhm// Es sind immer dieselben Prüfer und ähm jeder iss vor der P- Prüfungskommission erstmal gleich ne? //mhm// Weil ähm die die Prüfer setzen sich natürlich nich mehr inhaltlich mit der Ausbildung ähm auseinander natürlich können sie ähm sehen oder wissen auch aus welchem Land ähm derjenige kommt und seine- und wo er seine Ausbildung gemacht hat aber (.) bewerten können sie es halt eigentlich ‘n bisschen ähm objektiver. //mhm// Und das iss auch der sicherste Weg würde ich jetzt einfach mal behaupten ne? Weil weil man tatsächlich in Kontakt gekommen ist mit Medizinern und die sich tatsächlich auch ein Bild machen konnten […] (ÄRZ (Tietz) 3-09: 186 ff.).
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In der Einführung genereller Kenntnistandprüfungen sehen die Interviewten die Lösung für die mit ihrer Arbeit verbundenen Konflikte: damit Anerkennung und Verfahrensart nicht mehr vom Land des Ausbildungserwerbs, sondern vom individuellen Kenntnisstand abhängen. Dass die Antragsteller dadurch „tatsächlich in Kontakt .. mit Medizinern“ kommen, befreit von den Zweifeln an der eigenen Fähigkeit, die Ausbildungsinhalte angemessen vergleichen und beurteilen zu können. In der Äußerung „natürlich können sie ähm sehen oder wissen auch aus welchem Land ähm derjenige kommt und seine- und wo er seine Ausbildung gemacht hat“ wird deutlich, dass sie nicht davon ausgeht, dass der Ausbildungsstaat dadurch keinen Unterschied mehr in der Bewertung macht. Nichtsdestotrotz wäre es „'n bisschen objektiver“ und „der sicherste Weg“. Es zeigt sich darin auch die Bestrebung, ein möglichst unangreifbares Verfahren zu etablieren. Im Handwerk ist in gewisser Analogie dazu, nur weniger erprobt und etabliert, die „Qualifikationsanalyse“ die letzte Option. Dies zeige ich anhand des folgenden Ausschnitts von Frau Becker: FRAU BECKER: […] dann gibt es nach dem Paragraph 14 BQFG die Möglichkeit dass wir ähm //mhm// mmm die=die fachpraktischen und auch –theoretischen Kenntnisse von Kunden überprüfen, //mhm// indem wir Experten hinzuziehen, auch das iss das äh sogenannte Qualifidie sogenannte Qualifikationsanalyse, //mhm// nach Paragraph 14, auch das iss etwas das zeichnet sich aber auch schon in der Beratung ab ne wenn man sieht, die Unterlagen (.) sind dünn und der Kunde kommt an nichts mehr ran auch wir finden nichts in Portalen, (.) ähm im im Leitkammersystem gibt’s nichts wir haben nich- ne wir haben keine Handhabe alle miteinander mm dann können wir dieses ähm Paragraph-14ner-Verfahren aufgleisen, die iss eben leider- das iss kostenpflichtig für den Kunden also das heißt er muss den Experten bezahlen der muss gegebenenfalls irgendwie ne Werkstatt- (.) -miete bezahlen Material, also bis jetzt sind die Innungen die wir dazu dann anschreiben, ((holt Luft)) und zu denen wir den Kontakt machen sehr sehr hilfsbereit und unterstützend aber (2) verschenken können die nun auch nichts ne, das muss man abwägen […] (HAND (Becker) 2-10: 215 ff.).
In der Problematisierung von Kosten der Qualifikationsanalyse für den Antragsteller und der Aussage „das muss man abwägen“ deutet sich hier an, dass es auch Gründe gibt, den Antragstellern von der Qualifikationsanalyse abzuraten. Nicht in allen Fällen, in denen „man sieht, die Unterlagen (.) sind dünn und der Kunde kommt an nichts mehr ran auch wir finden nichts in Portalen“ kommt es zu einer Qualifikationsanalyse. Im Interview mit Frau Zink wird deutlich, dass es auch eine Frage der Bewertung der deutschen Sprachkenntnisse ist, ob eine Qualifikationsanalyse vermittelt wird oder nicht. Sie spricht davon, dass sich das Problem, keine Nachweise zu haben, häufig mit „große[n] Sprachschwierigkeiten“ deckt, sodass eine Prüfung nicht erfolgversprechend wäre.
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FRAU ZINK: […] Grundsätzlich iss es ne gute Sache dass es die Qualifikationsanalyse geben soll, ähm in der Tat für die Personen die vielleicht im Ausland ähm aufgrund der Tatsache dass sie Flüchtlinge sind, ihre Dokumente verloren haben, ähm (.) muss es auch die Möglichkeit geben das irgendwie anerkennen zu lassen […] aber diese Probleme haben wir hier noch nich gehabt ähm weil äh (.) das Problem war in den allermeisten Fällen dass die Personen die oftmals ähm keine Nachweise aus der Heimat hatten, dass die auch meistens immer sehr große Sprachschwierigkeiten hatten, und schon allein aus dem Grunde nicht ähm (.) ja (.) eine solche Prüfung auch nicht bestehen könnten. //mhm// (.) ähm deswegen hat sich das Problem jetzt für uns ganz konkret noch nich so gestellt […] (HAND (Zink) 4-21: 568 ff.).
Es zeigt sich damit, dass die Bewertung der deutschen Sprachkenntnisse ein weiterer expliziter Grund ist, warum von einer performativen Prüfung abgeraten wird, wenn die Aktenprüfung nicht möglich ist. Frau Landmann stellt sich in ihrer Argumentation gegen die performative Prüfung als eine ultima ratio. Ihr wäre es grundsätzlich lieber, Kompetenzen im Zweifel überprüfen zu können. Sie befürchtet zudem, von einer Methode abrücken zu müssen, die sich für sie über Jahre bewährt hat. Sie hat im Rahmen von freiwilligen Bewertungen vor Inkrafttreten des BQFG gute Erfahrungen mit der Überprüfung auf Basis von Fachgesprächen und Arbeitsproben in Kooperation mit Ausbildern und Betriebsleiterinnen gemacht. In folgendem Interview-Auszug äußert sie Befürchtungen, dies aufgrund der rechtlichen Änderungen nicht mehr machen zu können. Fallbeispiel ist ein amerikanischer Automobilmechaniker, den sie kürzlich als Antragsteller hatte und dessen Vielzahl an Papieren sie letztlich als »nichts wert« beurteilt: FRAU LANDMANN: […] bei den meisten iss es aber so, dass man das gar nich anhand der Papiere feststellen kann. wenn wir jetzt mal dran denken also ich hab jetzt grad (.) die Tage gehabt einen Fall ein Antragsteller ein Amerikaner, (.) der hat in Amerika (.) eine Ausbildung gemacht zum KFZ-Mechaniker. //mhm// und hat dort- oder Automobilmechaniker sagen die da. hat uns dann ((seufzt)) (.) `ne Bescheinigung eingereicht dass er halt diese zwölf Monate Ausbildung gemacht hat und jede Menge Zertifikate. da war für uns erstmal gar nich klar, (.) wann hat er denn die Zertifikate gemacht, (.) in welchem Zeitraum und mit welcher Stundenzahl. //mhm// Dann haben wir jetzt ein Fachgespräch geführt am Dienstag mit dem, mit einem KFZ-Mechanikerausbilder, (.) und dabei kam dann auch raus also er konnte weder die Bauteile benennen noch deren Funktion erkennen, die so am Auto sind, und auf Rückfrage kam dann raus dass diese ganzen Zertifikate ich glaub das waren (3) 14 Stück, dass er die alle während dieser zwölf Monate erworben hat das war nichts extra. //mhm// so und dem mussten wir nun sagen, das iss kein bundesdeutsches Gesellenniveau. //mhm// Weil der wird- also dasder konnte gar nichts also mal von den Sprachproblemen abgesehen aber der war- (.) //mhm// der wusste die einfachsten Zusammenhänge nich. […] so und dem konnten wir das natürlich nich geben. //mhm// So. Nun (.) haben wir ja diese- also nach dem neuen Anerkennungsge-
304 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS setz soll es so sein dass man (.) erstmal (.) nur die Papiere anguckt die da sind. man kann also nich zu jedem sagen du machst jetzt `n Fachgespräch du machst ne Arbeitprobe, ich hab mir heute erstmal diesen- diese Qualifikationsanalyse [angeguckt] //mhm// (.) also nach Möglichkeit soll man nach Aktenlage entscheiden. […] (HAND (Landmann) 1-02: 74 ff.).
Es dokumentiert sich in ihrer Argumentation, dass Frau Landmann die Methode der Überprüfung von Kompetenzen durch ein Fachgespräch oder eine Arbeitsprobe für die bessere Form der Bewertung hält. Anders wäre ihr nicht aufgefallen, dass der amerikanische Automobilmechaniker, obwohl er „jede Menge Zertifikate“ hatte, „weder die Bauteile benennen noch deren Funktion erkennen“ konnte. Dass sie eine solche performative Prüfung nun nicht mehr standardmäßig durchführen kann, sondern „nach Möglichkeit … nach Aktenlage entscheiden“ soll, irritiert sie, weil sie sich sicher ist, „dass man das gar nich anhand der Papiere feststellen kann“. In den Auseinandersetzungen der Interviewten zeigt sich, dass sich an dieser Stelle wesentlich entscheidet, wie selektiert und wie Selektion legitimiert wird. 5.2.5 »Die« bei »Uns« – die Legitimation und Verarbeitung Die Legitimation und Verarbeitung der in der Bewertungspraxis gemachten Erfahrungen (in der Regel der Nicht-Anerkennung) interpretiere ich als Orientierungsschemata für zukünftiges Bewertungshandeln. Die Rechtfertigungen kreisen darum, was von »denen« »bei uns« erwartet wird. Nicht alle Interviewten theoretisieren und rechtfertigen das Bewertungshandeln in gleichem Ausmaß. Es sind nach meiner Interpretation eher diejenigen, die die Erwartung einer allgemeinen (vollen) Anerkennung in Betracht ziehen, die während des Erzählens in den Zugzwang des Theoretisierens und Legitimierens kommen, warum es nicht dazu kommt. Dagegen treten diejenigen, für die das Verfahren nicht anders vorstellbar ist, als dass sie »wesentliche Unterschiede« feststellen, nicht oder sehr viel weniger als Theoretisierende in Erscheinung. Sie müssen die Bewertung nicht begründen, weil sie für sie auf der Hand liegt bzw. aus der gesetzlichen Grundlage eindeutig abzuleiten ist. Ich zeige diesen Selektionsmechanismus anhand von drei Gliederungspunkten auf, an denen sich die Auseinandersetzungen mit Differenzbewertungen im Feld typischerweise festmacht. Ich nenne sie in Anlehnung an die Wortwahl der Interviewten »Ausbildungsstandards«, »deutsche Sprache« und »Berufsbild«.
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5.2.5.1 Ausbildungsstandards Die Legitimation und Verarbeitung, die auf »Ausbildungsstandards« Bezug nimmt, geht davon aus, dass die Qualifizierten eines bestimmten Ausbildungsstaats in ihrer Kollektivität auf einem bestimmten Niveau sind. Ausbildungsstaaten werden in Bezug auf „Standards“ als in einer Rangfolge stehend gedacht. Für die Rechtfertigung des Bewertungshandelns zentral ist die Einordnung der miteinander verglichenen Ausbildungsstaaten in diese Rangfolge, wobei die deutschen Standards in der Regel als ziemlich weit oben vorgestellt werden. Dies zeige ich an zwei Beispielen, die beide von einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema »Ausbildungsstandards« zeugen. In dem folgenden Beispiel verarbeitet Frau Becker ihre Abwägungsentscheidungen. Es zeigt sich, dass sie sowohl dem Antragsteller gerecht werden als auch Verantwortung übernehmen möchte, dass die Person das beherrscht, worauf es in dem Beruf ankommt. In ihrer Argumentation ist die Tatsache, dass Deutschland ein sehr hohes Ausbildungsniveau habe, die Ursache, dass eben nicht jeder diese Anforderungen erfüllen könne: FRAU BECKER: […] wir wissen […] da müssen wir hin, //mhm// das müssen wir irgendwie hinkriegen, so dass es gerecht ist und fair und und auch sauber, //mhm// wir alle wollen keine Elektriker die Steckdosen an Wasserleitungen anschließen, oder (.) ja, //mhm// Gerüstbauer deren Gerüste uns aufn Kopf fallen das (.) //mhm// ja INTERVIEWERIN: Ja FRAU BECKER: es sind natürlich also sch- schon auch @Anforderungen@ und das das deutsche Ausbildungsniveau iss schon sehr sehr sehr hoch also das (.) wusste ich so vorher auch nich, aber (.) das hab ich hier in meiner Handwerkskammerzeit gelernt das iss- wir haben `n sehr (.) sehr=sehr gutes Niveau […] (HAND (Becker) 2-10: 261 ff.).
Es dokumentiert sich damit die theoretische Verarbeitung, dass es »normal« ist, dass sie aus Gründen der Verantwortung für die Sicherung der deutschen Standards, Antragstellerinnen, die diese Standards nicht erfüllen, nicht aus gutem Willen heraus etwas schenken kann. Durch die Anforderungen, die das sehr gute deutsche Niveau stelle, ordnet sie Länder nach diesem »Ausbildungsniveau« in eine Rangfolge ein. »Wir« (hier in Bezug auf das Handwerk) sind eben so gut, dass es für andere schwer ist, unsere Anforderungen zu erfüllen. Indem sie beschreibt, dass sie sich ihr Wissen um das hohe deutsche Ausbildungsniveau erst aneignen musste, externalisiert sie die damit verbundene Generalisierung. Es ist für sie keine Bewertung, zu der sie von ihrem spezifischen Standpunkt aus gekommen ist, sondern die Beschreibung einer Qualität, die offensichtlich ist bzw. wird, wenn man im Handwerk
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zu tun hat. Damit ist es nicht ihre mangelnde Fairness oder Gerechtigkeit, die zu Bewertungen als nicht (voll) gleichwertig führt, sondern etwas das außerhalb ihrer Macht steht, weil manche Ausbildungsstaaten eben besser qualifizieren als andere. Dass die Vorstellung eines hohen deutschen Ausbildungsniveaus, an das die meisten anderen leider nicht heranreichen, sehr weit verbreitet ist, zeigt sich auch gerade in Argumentationen, die das explizit infrage stellen und damit ihre Anerkennungspraxis rechtfertigen. Dazu möchte ich zunächst einen Auszug aus dem Interview mit Frau Sachs anführen: FRAU SACHS: Wir denken immer wir sind irgendwie so führend, das äh äh also (.) sind wir bestimmt, @in vielen Gebieten@ aber was äh so die Ansprüche an ein Studium angeht äh da müssen in anderen Ländern andere (.) ähm Studierende viel mehr leisten. (ARCH (Sachs) 318: 639 ff.)
Auch wenn sie – hier bezugnehmend auf die Architektur – die Argumentation von Frau Becker umkehrt (»wir sind nicht so führend, wie wir irgendwie immer denken«), zeigt sich in ihren Worten auch das Muster, die Ausbildungsstaaten in eine gewisse Rangfolge zueinander einzuordnen und so ihre Bewertung zu begründen. In ihrer Einschränkung „sind wir bestimmt auch in vielen Gebieten“ nimmt sie ihrer Generalisierung ihren Absolutheitsanspruch und bezieht sie partikular auf das Architekturstudium. Je nachdem, wie sie wen mit welcher Herkunft einordnet (an dieser Stelle des Interviews nimmt sie vorab vor allem Bezug auf »östliche Länder«) wird ihr Bewertungshandeln an dieser Theoretisierung orientiert sein. Frau David nimmt in ähnlicher Weise auf »europäische[] Standards« Bezug. Die Idee einer vergleichbaren Rangfolge ist auch hier enthalten. Sie formuliert es als eine Voraussetzung für die Ausübung ihrer Tätigkeit, sich von dem Glauben an die Unübertrefflichkeit europäischer Standards befreien zu müssen. Frau David: […] man (.) muss sich auch davon befreien, zu glauben dass (.) so die europäischen Standards (.) die Standards schlechthin sind nich, //mhm// also ich glaube da gibt’s durchaus auch andere Länder die da noch’n ganz anderen Standard (.) zutage legen aber (.) so iss das @halt nich@ //ja// @(.)@ […] (ÄRZ (David) 1-04: 909 ff.).
Sie verweist damit auf einen Lernprozess, der im Gegensatz zu Frau Becker hier nicht darin bestehe, festzustellen, dass »unsere Standards sehr hoch sind«, sondern in der Irritation, dass das nicht der Fall ist. Mit dieser Reflexion legitimiert und begründet sie an dieser Stelle, dass Ausbildungen aus den USA und Japan gleichwertig anerkannt werden, während die deutsche Ausbildung dort nicht als »vollwertig« anerkannt wird. Es zeigt sich an dieser Stelle, dass sie glaubt, mit dem generalisierenden Verweis auf andere Länder, deren Ausbildungsstandards den »Europäischen« voraus sind, eine schwer zu akzeptierende Wahrheit ausgesprochen zu ha-
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ben. Unklar bleibt, woher sie etwas über „Standards“ weiß, wenn nicht über den besagten Fächer-Stunden-Vergleich, bzw. worauf sich ihr Glaube an die jeweils zutage gelegten Standards stützt. Ähnlich wie im Fall von Frau Becker und Frau Sachs sind gewisse Rangfolgen von Ausbildungsstaaten im Hinblick auf Ausbildungsstandards real, während die Wahrnehmung derselben von der Realität abweichen kann. Die grundsätzliche Möglichkeit eines Vergleichs auf dieser Basis steht nicht infrage. 5.2.5.2 Deutsche Sprache Die Legitimation und Verarbeitung des Bewertungshandelns in Bezug auf »Sprache« und »Kommunikation« geht von sprachlicher Homogenität in Deutschland aus. Dass »die« »unsere« Sprache sprechen müssen, wenn »die« »bei uns« arbeiten wollen, ist ein impliziter Konsens. Neben dem Thema »Ausbildungsstandards« ist das Thema »deutsche Sprache« ein Weiteres, auf Basis dessen Nicht-Anerkennung verarbeitet wird. Dies werde ich anhand von zwei Interview-Beispielen zeigen, die einen unterschiedlichen Umgang mit dem Bewerten von Sprache aufzeigen und sich gerade darin jeweils implizit auf die Norm der Deutsch- und Einsprachigkeit beziehen.15 Frau Tietz verarbeitet und legitimiert im folgenden Abschnitt ihre Bewertungshandlung im Fall von „bruchstückhaft[em] Deutsch“ kein Informationsgespräch zu den Voraussetzungen für eine Anerkennung zu führen, weil sie (die Ärzte) für den Umgang mit ihren Patienten erstmal Deutsch beherrschen müssen. FRAU TIETZ: […] spätestens wenn sie mit ihren Patienten Kontakt haben wird das ganz wichtig dass sie das natürlich verstehen auch //mhm// was man von ihnen möchte ne. (3) […] wenn sie wenn sie Deutsch nich beherrschen dann iss die Frage was sie um es mal so krass zu sagen was sie denn überhaupt schon hier wollen ne, dann müssen sie erstmal die Deutschkenntnisse haben um überhaupt annähernd in die Situation zu kommen den Beruf ausüben zu können. […] ich hatte gerade bevor Sie kamen noch jemanden der ähm sich auch nich angemeldet hatte, der stammt aus [A-Staat (Nicht-EU)], hat in [B-Staat (Nicht-EU)] studiert, und (.) hat jetzt- macht jetzt grad einen Deutschkurs und wollte sich schon mal informieren. Er konnte aber ähm (1) bruchstückha- bruchstückhaft Deutsch, und wollte auch gern in Englisch beraten werden also so gut spreche ich zum einen nich Englisch und zum anderen ähm soll das hier auch bewusst nich angeboten werden, weil wir sagen (.) wenn sie hier arbeiten wollen müssen sie Deutsch können […] (ÄRZ (Tietz) 3-09: 318 ff.).
15 Zum Teil ist ein sogenannter »Sprachnachweis« Voraussetzung für den Verfahrenszugang bzw. Bewertung der Qualifikation (vgl. 5.2.1.6).
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Es dokumentiert sich, dass „bruchstückhaft Deutsch“, der Wunsch auf „Englisch“ bedient zu werden und dazu „unangemeldet“ zu erscheinen, den normierten Anforderungen nicht gerecht wird, die sie (auch unter Berufung auf ihre Dienststelle) an einen Antragsteller stellt. Frau Tietz kommt zu der Bewertung, dass derjenige noch nicht »reif« ist, von ihr informiert und beraten zu werden. »Deutsch können« – von ihr bewertet – ist der Erstbeweis, den er erbringen muss, um zu zeigen, dass er es ernst meint: das Arbeiten wollen. Vorher könne er nicht erwarten, dass irgendwer irgendetwas für ihn macht. Der Erwartung einer Beratung auf Englisch, von der sich Frau Tietz abgrenzt, wird im Fall von Frau Sachs als »Serviceangebot« der Architektenkammer dargestellt. Sie beschreibt es in ausschweifend als „großen Service“, sämtliche Kommunikation mit den Antragstellerinnen grundsätzlich auch auf Englisch anzubieten. FRAU SACHS: […] wir machen hier ‘n großen Service also ich find iss’n großer Service das iss viel Aufwand wir machen die Kommunikation auch in Englisch wenn’s sein muss und das wird sehr häufig angenommen. //mhm// Also dass hier wirklich alle Formbriefe oder alle Antworten die ja auch immer juristische Antworten sind //mhm// ähm versuchen a- also also was heißt versuchen wir machen es aufs Englische- ins Englische zu übersetzen, //mhm// (.) um einfach (.) ja diese globale Kommunikations- das globale Kommunikationsmedium dann halt auch für die Leute die aus Gott weiß woher kommen //mhm// bieten zu können. Iss nich so einfach weil Bulgarisch Englisch iss jetzt auch ein anderes Englisch als Chinesisch Englisch oder mein Englisch iss ja vielleicht auch ‘n Deutsch Englisch also da ham wer- (.) iss oft auch schwierig das Englische zu verstehen ne //mhm// also (.) was man dann am Telefon hat weil es ja auch nich perfekt ähm beherrscht wird aber das- ich denk das’n großer Service den wir hier machen wir ham auch lange überlegt ob wir das leisten können, //mhm// weil das’ viel Arbeit, (.) aber (.) ja wir wollten halt wirklich jedem Kollegen der ausm Ausland kommt halt auch- eigentlich möchte man jedem auch wirklich ne Hilfestellung geben hier (.) Fuß zu fassen […] (ARCH (Sachs) 3-18: 105 ff.).
Unabhängig davon, dass sich Frau Tietz und Frau Sachs vermutlich nicht persönlich kennen, zeigt sich, dass ihre Argumentationen zwei Seiten derselben Medaille sind. Ohne die eine Argumentation gäbe es die jeweils andere nicht. Frau Tietz grenzt sich von der Erwartung ab, die Kommunikation auch auf Englisch zu machen und Frau Sachs betont es als besondere Leistung ihres Engagements (und dem ihrer Stelle). Aus dem einen Interview spricht Unverständnis, aus dem anderen kollegiale Hilfestellung. Über das Thema deutsche Sprache verhandeln und verarbeiten sie jeweils ihre Vorstellungen davon, wie viel sie »für die« tun, um »bei uns« anzukommen bzw. wer in Vorleistung gehen muss. Es zeigt sich zum einen, dass Mehrsprachigkeit – in meinen Interviews ist lediglich von Englisch in Ergänzung zu Deutsch die Rede – keine Selbstverständlichkeit ist. Zum anderen wird die Bewertung des Gegenübers auch gerade darüber hergestellt, welche Sprache wie verständ-
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lich (aus Sicht der Bewertenden) gesprochen wird. Frau Sachs ist daran gelegen, dass Sprache keine Hürde für die Anerkennung sein darf. Es wird in ihrem betont bemühten Entgegenkommen jedoch auch deutlich, dass Sprache eine Hürde bleibt und sie auf Basis des Verstehenkönnens Unterschiede macht. In einem späteren Abschnitt im Interview spricht sie auch davon, dass es sie besonders freut, wenn sie während des Kontakts zu den Antragstellerinnen Fortschritte in Bezug auf die Deutschkenntnisse sieht. Dadurch legitimiert sie das »Serviceangebot« im Sinne der Norm-Durchsetzung: Englisch sprechen verhindert das Deutschlernen nicht, im Gegenteil. 5.2.5.3 Berufsbild Das »Berufsbild« betrachte ich als ein weiteres Thema, das im Zentrum von Legitimation und Verarbeitung des Bewertungshandelns steht. Die Unterschiede der »nicht gleichwertig« bewerteten Ausbildungen sind nach dieser Argumentation so groß, weil sie auf einen anderen nationalstaatlichen Kontext zugeschnitten sind, sodass das Erlernte nicht zu den deutschen Marktanforderungen passt. Das werde ich anhand von drei Beispielen zeigen, zuerst aus der Berufsgruppe der Lehrerinnen. Frau Peters spricht im Folgenden davon, dass eine Anerkennung „neben der Sprache“ vor allem an „dem Berufsbild“ scheitert. Das könnte sie allerdings im Gegensatz zu dem Ausbildungsvergleich nicht gut überprüfen. FRAU PETERS: […] wenn es um die Überprüfung geht, äh dann können wir feststellen welche Fächer sind studiert welche Inhalte sind studiert wie lange iss das studiert worden, auch auf welchen Niveau iss das studiert worden, aber wir können nich die dahinter stehen- das dahinter stehende Berufsbild, //mhm// äh abprüfen, äh das iss aber das neben der Sprache äh woran die Praxis scheitert […] (LEHR (Peters) 1-14: 327 ff.).
Etwas später führt sie diesen Gedanken weiter aus. Durch eine theoretische Verarbeitung, eine Unterscheidung von Kulturkreisen, die »unserem« näher oder ferner liegen können, zeigt sich, dass sie eine Bewertung der in verschiedenen Ländern herrschenden Unterrichtspraxis in Relation zur deutschen Unterrichtspraxis vornimmt. FRAU PETERS: […] also das sind sind (.) oft Menschen die nich aus Russland kommen die also (.) äh hier die volle Anerkennung sofort schaffen ja, //mhm// hatte (.) äh heute einen Franzosen und eine Dänin und so und die sind unserem Kulturkreis sehr viel näher, //mhm// (.) also je ferner der Kulturkreis unserem iss, umso schwieriger iss das mit der vollständigenmit der sofortigen vollständigen (.) äh Gleichstellung, //mhm// weil dann eine uns entsprechende deutsche Schulpraxis fehlt //mhm// (.) ja? wer in England nun drei Jahre unterrichtet
310 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS hat, äh mit positiver Begutachtung da- den können wir auch sofort gleichstellen, //mhm// äh äh der wird hier ohne Probleme arbeiten können. //mhm// wer aber bis jetzt nur in äh Georgien äh Unterrichtspraxis gesammelt hat der iss unserer Schulpraxis hier noch nich gewachsen und muss muss deswegen so’ne Anpassungsqualifizierung haben //mhm// (.) ja aber der Unterschied iss ni- iss fast (.) iss sehr sehr (.) sehr viel geringer im formalen Bereich zu sehen äh als in der Unterrichtspraxis […] (LEHR (Peters) 1-14: 554 ff.).
Die hier formulierte Theorie von nahen und fernen Kulturkreisen ist ihre Orientierungs-, Bewertungs- und Legitimationsgrundlage. Das zeigt sich auch gerade darin, dass es für sie keine Theorie ist, sondern eine Tatsachen-Beschreibung. Dass »die« unserer Schulpraxis noch nicht gewachsen sind und deswegen eine Anpassungsqualifizierung brauchen, ist so. Daran lässt sich in ihren Augen nichts ändern, auch wenn sie es wollte. Im nächsten Beispiel wird die Notwendigkeit, eine Passgenauigkeit der Qualifikation für den deutschen Arbeitsmarkt erst im Kontext von Nachvermittlung herstellen zu müssen nicht mit einer anderen Unterrichtskultur begründet, sondern mit dem Fehlen der Praxis, wie sie in Deutschland etabliert ist und erwartet wird. Frau Runge geht darauf ein, was im Fall des »Berufsbild Krankenschwester« in GUSStaaten immer fehlt und in jedem Fall nachvermittelt werden muss: die praktische Pflege, die theoretischen Kenntnisse über die praktische Pflege und der Umgang mit der deutschen Pflegedokumentation, einschließlich des PC-Systems, sowie Deutsch in Wort und Schrift. FRAU RUNGE: […] zum Beispiel ehemalige GUS-Staaten kann man vornherein sagen, die Krankenschwester dort, das heißt ja noch Krankenschwester, pflegt nicht. //mhm// die Krankenschwester dort macht übergeordnete Sachen, //mhm// erfüllt Aufgaben die bei uns zum Beispiel nur ein Arzt machen darf. //mhm// die dürfen durchaus kleinere OPs durchführen und so das wär hier gar nicht möglich. //mhm// dadurch sind sie natürlich auf der einen Seite (.) überqualifiziert, //mhm// aber die ganze Pflege, wird dort nicht gehandelt das machen die Angehörigen im Krankenhaus. //mhm// deshalb kann man eigentlich sagen denen fehlt vor allen Dingen die praktische Pflege. //mhm// das nachzuholen ist meistens etwas einfacher weil ein Praktikum an einem Krankenhaus bekommt man eher vermittelt. //mhm// das Problem sind diese (.) theoretischen Sachen die dann eventuell nachgeschult werden müssen. //mhm// und wer praktisch nicht pflegt dem werden auch theoretisch wahrscheinlich nicht so viel Inhalte vermittelt worden sein, //mhm// das geben viele von den Antragstellern ja auch zu nee kenn’ wir uns nich mit aus. //mhm// wenn wir Glück haben und die Antragsteller haben hier schon zumindest als ungelernte Kraft gearbeitet ähm dann kann man wenigstens sagen sie sind schon ein bisschen in unserem Standard drinne, //mhm// denn bei uns nimmt ja inzwischen äh diese Pflegedokumentation einen erheblichen Anteil der Arbeit ein. //mhm// und das müssen die natürlich beherrschen die müssen hier mit unserem PC-System umgehen könn’,
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die müssen Deutsch in Schrift und Wort einfach gut können. //mhm// und das muss auf jeden Fall immer nachvermittelt werden […] (PFLE (Runge) 1-03: 158 ff.).
Es zeigt sich in dieser Argumentation, dass es gewissermaßen normal ist, dass »die« die Anforderungen an die Berufspraxis »bei uns« nicht erfüllen und erst noch lernen müssen, worauf es ankommt. Die Unterschiede seien einfach zu groß, „das geben viele von den Antragstellern ja auch zu“. Dass sie in „unserem Standard“ schon ein bisschen angekommen sind, könne mit „Glück“ daran liegen, dass sie schon als „ungelernte Kraft“ gearbeitet haben (vgl. 4.4.5). Was Frau Runge schon angedeutet hat, wird im Interview mit Frau Becker noch deutlicher. Unter den Vorstellungen des »deutschen Berufs« werden Berufskultur und Berufsrecht amalgamiert und als so und nicht anders denkbar beschrieben. Am Beispiel des Frisörberufs argumentiert Frau Becker, dass sich bestimmte kulturelle Unterschiede in Bezug auf die Berufsausübung nicht aus der Welt denken lassen. Die Feststellung der Gleichwertigkeit stoße aufgrund unüberwindbarer Unterschiede an Grenzen, die nicht nur die Antragstellerinnen, sondern auch sie selbst an den Rand der Verzweiflung treiben. FRAU BECKER: […] und da gibt es natürlich gibt es da den ägyptischen Herrenfrisör der da inner Moschee (.) ähm (.) `n Laden aufmachen will und einfach nur den Männern die Bärte und die Haare schneiden möchte, //mhm// und das iss absolut nachvollziehbar und man denkt so oh warum kann der das nich einfach machen @(.)@ warum müssen wir hier jetzt alles so kompliziert haben, //mhm// ((holt Luft)) ähm da gibt es iranische Frisörinnen die aber nur Dame gelernt haben da gibt es viele Nachfragen von Kundinnen aus Afrika, (.) die wahnsinnig tolle Haarfrisuren flechten können, //mhm// ähm die aber alle keine Haare schneiden können und schon gar nich wenn keine Locken drin sind und sie so dünn und flusig sind wie die unseren //mhm// so das (.) das iss kompliziert und da kriegen wir dann auch Zertifikate aus aller Herren Länder, und da kriegen wir aber wirklich nur die Zertifikate, und die Kunden können uns beschreiben was sie gemacht ham aber die können (.) überhaupt keine Unterlagen beibringen //mhm// (.) und wenn die- wenn sie in die Qualifikationsanalyse gehen würden, (2) na ja dann weiß man oft vorher ja schon das braucht man gar nich überprüfen, also warum soll ich jemanden mm da jetzt `n Langhaarschnitt machen lassen oder (.) so was ja? wenn wenn er auch vorher sacht nee das hab ich aber nich gelernt das kann ich nich das gehört bei uns nich zum Beruf […] (HAND (Becker) 2-10: 312 ff.).
Sie formuliert damit ähnlich wie die Theorie der Sprachhomogenität in Deutschland eine Theorie der Haar- und Haarkulturhomogenität, die die Antragstellerinnen von einer selbstständigen Ausübung ihres andernorts erlernten Berufs in Deutschland trennt. Sie können den Kunden hier nicht ihre Haare so schneiden, wie diese es (vermeintlich alle) gern hätten, weil es eben andere Haare und andere gefragte Frisuren sind. Es handelt sich um eine Theorie, dass »der Beruf« an sich nicht univer-
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sell existiert, sondern seine berufsrechtliche Institutionalisierung ein unveränderliches Produkt der ebenso unveränderlichen kulturellen und physischen Besonderheiten von Menschen ist. Diese Besonderheiten von Menschen werden gleichsam als Besonderheiten von Staaten gedacht. Dass die Institutionalisierung des Berufs zu der von ihr erlebten Wirklichkeit nicht passt, nämlich unterschiedlichen Haar- und Frisierpraktiken in Deutschland, offensichtlich nicht zeitgemäß ist und sich daher »das Berufsbild« im Sinne des »Berufsrechts« ändern muss, leitet sie hier nicht explizit ab. Auch eine Prüfung der Kompetenzen wäre aussichtslos, wenn nach Aussagen der Antragsteller schon vorher klar ist, dass sie die abgeprüften Haarschnitte nicht beherrschen. Es wirkt auf mich wie ein Zustand der Lähmung in Anbetracht von Unterschieden, die sich nach dieser Theorie nicht aufheben lässt. Dass die Interviewten mitunter damit ringen, qua Aufgabe »Unterschiede« feststellen zu müssen, ohne andere Berufskulturen »herabmindern« zu wollen, macht der Auszug von Frau David besonders deutlich. FRAU DAVID: […] die TCM ist nun mal keine (.) //mhm// äh anerkannte vollständig anerkannte medizinische Ausbildung sie wird mit herangezogen und einige Dinge sind ja auch durchaus etabliert hier in der westlichen //mhm// Medizin aber (.) ähm (.) zur Approbationserteilung reicht das nicht weil es eine gänzlich andere Art (.) der (1) der Medizingeschichte sozusagen ist. […] also man man- ich- nich dass es so aussehen würde als wenn man das herabmindert, //mhm// also die machen eine sehr (.) komplizierte und auch (.) sehr viel länger dauernde Ausbildung durch. //mhm// weil sie ganz andere (.) Diagnostikformen erlernen //mhm// die hier unüblich sind. //mhm// (2) aber es ist eben nicht im klassischen Sinne (1) Medizin, //mhm// die dort (.) betrieben wird […] (ÄRZ (David) 1-04: 313 ff.).
Ähnlich wie im Interview mit Frau Becker zeigt sich, dass sie um die Anerkennung bemüht ist, aber nicht aus ihrer Haut und aus einem Denken gemäß der für sie relevanten Institutionen raus kommt. Sie möchte der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) nicht den Wert absprechen (und ihr ist bewusst, dass diese Gefahr besteht). Sie kommt jedoch argumentativ nicht dagegen an, die „westliche“ und „klassische“ Medizin als Maßstab zu reproduzieren. Auch hier bleibt als Theorie und Legitimation stehen, dass man angesichts der großen Unterschiede leider einfach nichts machen könne. 5.2.6 Zusammenfassung der Selektionsmechanismen Die Selektionsmechanismen (die Prozesse) verweisen auf die Einsätze und Regeln des Spiels. Sie tarnen die Machtkonstellationen, indem sie in scheinbar ganz normalen formalen Verwaltungsabläufen einen Mantel der Objektivität herstellen oder zumindest herzustellen trachten. Sie strukturieren damit den Bewertungsprozess,
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der aus den Interessierten die »Anerkennbaren« herausfiltert. Es beginnt bereits mit der Frage, ob unter den gegebenen Voraussetzungen ein Zugang zu einem Bewertungsverfahren besteht. Von Regierungsseite wird und wurde mitunter kommuniziert, dass ein allgemeiner Rechtsanspruchs auf ein Bewertungsverfahren eingeführt wurde. Dies ist in der Praxis nicht der Fall. Ob er im Einzelfall besteht, hängt davon ab, ob eine Zuordenbarkeit zu einer jener deutschen Referenzqualifikationen festgestellt wird, für die grundsätzlich Bewertungsverfahren institutionalisiert sind und wenn ja, zu welcher. Das führt dazu, dass ein nicht zu unterschätzender Teil der Anerkennungssuchenden mitunter bereits keine zuständige »Wechselstube« finden kann, in der die Qualifikation bewertet wird (vgl. 4.5). Für diejenigen, die in der Praxis die Anträge bearbeiten, ist es in den seltensten Fällen ein standardisierter Ablauf. Die Interaktionen bewegen sich in jener Zone, die ich im Rahmen der Machtkonstellationen als »Verhandlungszone« beschrieben habe. »Die Bewertung« ist deshalb kein einmaliger oder singulärer Bewertungsakt, sondern ein Interaktionsprozess, bei dem viele Klassifizierungs- und Bewertungshandlungen ineinandergreifen. An erster Stelle stehen Selektionsmechanismen in Zusammenhang mit der Phase von Information und Beratung (vgl. 5.2.1). In der Durchführung und Dokumentation der Gleichwertigkeitsprüfung kommt es zu weiteren Ausschlüssen (vgl. 5.2.2). Zum Teil erfolgt die Bewertung auch unter Rückgriff auf Erfahrungswissen im Zusammenhang mit anderen Fällen, die als »ähnlich« klassifiziert werden (vgl. 5.2.3). Wenn dies nicht der Fall ist, geht es um die Frage, wie Expertise aufgebaut werden kann (vgl. 5.2.4). An fünfter Stelle steht die theoretische Verarbeitung von festgestellten »wesentlichen Unterschieden«, in der ich Legitimationen als Orientierungsschemata für zukünftiges Handeln sehe (vgl. 5.2.5). Ich werde nun kurz zusammenfassen, was damit jeweils gemeint ist. Im Sinne von Selektions- oder auch Filtermechanismen führen die Klassifikations- und Bewertungshandlungen dazu, dass es in Abhängigkeit von den Machtkonstellationen nicht zu einer Entscheidung in Form eines offiziellen Bescheids über eine »Nicht-Anerkennung« kommt. Einem relevanten Teil der »NichtAnerkennungen« liegen (ablehnende) Bewertungen zugrunde, die bereits vor der offiziellen Antragstellung oder -bearbeitung stattfinden. Die Qualifikation bleibt dadurch »nicht anerkannt«, ohne dass ein Bescheid ausgestellt wird (gegen den man Widerspruch oder Klage einreichen könnte) und ohne dass die Bewertung statistisch dokumentiert wird. In dieser Phase wird das Fehlen formaler Voraussetzungen als Grund angeführt, warum es zu keinem Antrag und keiner Bewertung kommt. Dazu gehören zum Beispiel die Bewertungen, dass es keinen passenden deutschen Referenzberuf gibt, mit dem man die Ausbildung vergleichen könnte, dass keine vollständigen Unterlagen vorliegen, dass man von Vorneherein sehen könne, dass die Ausbildung »nicht gleichwertig« (oder »nicht vergleichbar«) ist, dass die Kosten des Verfahrens nicht im Verhältnis zu den Chancen stünden oder dass der nachgefragte Nachweis deutscher Sprachkenntnisse fehlt. Die Gewalt des kollektiven
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Besserwissens tarnt sich hinter diesen vermeintlich »ganz normalen« unerfüllten Voraussetzungen. Probleme, deren Ursachen in den Machtkonstellationen liegen, werden zu Problemen individueller Defizite und Performanz gemacht. Die Gleichwertigkeitsprüfung, z. B. als ein Vergleich von Stunden und Fächern, ist – sofern es nach Informations- und Beratungsgesprächen noch dazu kommt – kein Prüfverfahren mit einem völlig offenen Ausgang. Eine Suchrichtung steht zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Die »Gleichwertigkeitsprüfung« ist das zentrale Instrument, um die Bewertung auf dem Papier objektiv erscheinen zu lassen, indem festgestellte »wesentliche Unterschiede« schriftlich als solche belegt werden. Es liegt in der institutionalisierten Werthaltung begründet, ob vor allem nach Ähnlichkeiten oder nach Unterschieden zwischen Studien- und Ausbildungsordnungen gesucht wird und wie viel »Gleichheit« als Maßstab für »Gleichwertigkeit« vorausgesetzt wird. Identisch sind die Ausbildungsstrukturen und Ausbildungsinhalte weltweit in der Regel nicht, was den Bewertenden sehr bewusst ist. Dadurch ergeben sich in der Bewertungs- und Belegpraxis Probleme der eindeutigen Klassifikation und Zuordnung von Fächern und sämtlichen Ausbildungsinhalten. Durch die Mehrdeutigkeit von Übersetzungen der jeweils anderen Sprache ins Deutsche potenziert sich die Problematik. Je weniger institutionalisiert und distanzierter die Beziehung zu dem Ausbildungsstaat ist, der eine Qualifikation verliehen hat, desto schwieriger sind Zuordnung und Vergleich für die Interviewten zu bewältigen. Es fehle die »Basis des Dialogs« mit den anderen Ausbildungsstaaten, heißt es mitunter. Nicht alle Qualifikationen werden einzeln geprüft. Eine Abkürzung, die schneller als die Gleichwertigkeitsprüfung zum Ausscheiden (oder auch zur Einverleibung) führt, besteht in dem Prinzip der beschrittenen Wege. Wenn schon mal ein ähnlicher Fall bewertet wurde, wird die Bewertung auf den neuen Fall übertragen. Was ein Fall zu einem ähnlichen oder unähnlichen Fall macht, ist Verhandlungsgegenstand im Kontext der Machtkonstellationen. Beschritten sind die Wege in einem doppelten Sinne, durch die Migration nach Deutschland bzw. ein bestimmtes Bundesland und durch die vorausgegangene Antragsbearbeitung in einer deutschen Behörde oder Kammer. Vorrangig gelten die eigenen Erfahrungen mit Bewertungen (innerhalb einer Institution) als relevanter Maßstab, zu geringerem Maße auch Erfahrungen mit Bewertungsfällen, die in zentralen Datenbanken archiviert werden. Letztere werden eher als die eigenen Erfahrungen in ihrer Aussagekraft und Verlässlichkeit hinterfragt. Qualifikationen, die keinem alten Fall zugeordnet und nicht auf Basis vorliegender Unterlagen abschließend bewertet werden, bleiben unter Umständen weiter im Verfahren. Es handelt sich dann um mehr oder weniger intensive Bemühungen, fehlende Expertise aufzubauen, durch Internetrecherchen, zum Teil durch gutachterliche Zusammenarbeit mit anderen Stellen und ggf. in wenigen Ausnahmefällen durch performative Prüfungen (Eignungs-, Kenntnis- und Anpassungslehrgänge). Die Selektion hängt vor allem von dem Aktionsradius im Nahfeld der Macht-
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konstellationen, einem unterschiedlichen Aufwand und einer unterschiedlichen Ergebnisoffenheit ab. Es wird nach dem gegriffen und dem glaubt, was in der jeweiligen Position und Konstellation naheliegend und plausibel ist. Die Bewertungen und insbesondere die Feststellung »wesentlicher Unterschiede« wird durch die Bewertenden legitimiert und theoretisch verarbeitet, typischerweise mit dem Nicht-Erreichen der Standards der deutschen Ausbildung, der deutschen Sprache und der Anforderungen des Berufs in der Praxis (»Die können nicht das, was man hier zum Arbeiten in diesem Beruf können muss«). Generalisierende Differenzkonstruktionen betrachte ich als eine Form der Selektivität, weil sich daraus Maßstäbe und Orientierungsschemata für Bewertungshandeln ableiten. Sie legitimieren die Gewalt des kollektiven Besserwissens vor sich selbst.
5.3 H ANDLUNGSKOMPETENZEN Die Akteure, die die Bewertungen handlungspraktisch durchführen sind nicht austauschbar, sondern verfügen über sehr unterschiedliche Handlungskompetenzen. Die Genese der Bewertungen sehe ich deshalb neben den genannten Strukturen und Prozessen auch durch die bewertenden Akteure, ihre Beziehung zu den jeweiligen Institutionen und ihren unterschiedlichen Umgang mit ihren Möglichkeitsräumen begründet. »Handlungskompetenz« bezeichnet vor allem eine Relation zwischen Individuum und Institution und damit auch zwischen Habitus und Feld. Mit Bourdieu gesprochen, sind es zum einen die habituellen Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die sozial strukturiert und strukturierend zugleich sind. Zum anderen steht der Begriff der »Kompetenzen« auch für die jeweils institutionell verankerten Zuständigkeiten. Damit steht er für (Macht-)Positionen und die diesen Positionen innewohnenden Möglichkeitsräume im Feld. Ich betrachte die Beziehung zwischen Individuum und Institution deswegen nicht als statisch, sondern als eine dynamische Beziehung. Das heißt, der handlungspraktische Umgang mit Spielräumen bzw. Dispositionen entsteht in der (Nicht-)Auseinandersetzung zwischen Individuum und Institution. Anders ausgedrückt: Was die »Handlungskompetenzen« sind, ist das unter den gegebenen Strukturen Ausgehandelte ebenso wie das Auszuhandelnde. In diesem Unterkapitel rekonstruiere ich deshalb unterschiedliche Praktiken im Umgang mit Verhandlungszonen und Handlungsspielräumen, die unter anderem in den Unterkapiteln »Machtkonstellationen« und »Selektionsmechanismen« aufgezeigt wurden. Die Kernaussage ist, dass die Interviewten, obwohl sie formal eine ähnliche Aufgabe haben, keine homologe Position im Kräftefeld einnehmen. Sie bewerten ausländische Qualifikationen unterschiedlich je nachdem, was in der In-
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teraktion zwischen Individuum und Institution als relevante »Kompetenz« verhandelt wird oder wurde. Das heißt, dass es für die Entstehung der Bewertungen auch einen Unterschied macht, wer in welchem institutionellen Kontext die Bewertung vornimmt. Konkret unterscheide ich fünf Handlungskompetenzen, die sowohl dominierend als auch in Kombination auftreten: »Reproduzieren können«, »Kontextuieren können«, »Reflektieren können«, »Kritisieren können« und »Transformieren können«. Bei der Darstellung und der Auswahl orientiere ich mich vor allem an den Interviews, in denen eine Kompetenz dominiert. Diese fünf Handlungskompetenzen entsprechen der fünfteiligen Untergliederung des Unterkapitels (5.3.1 bis 5.3.5). Die Interaktion im Interview, sowohl die Erhebung als auch die Auswertung, betrachte ich ebenfalls als eine Anerkennungsbeziehung, im Rahmen derer über »Kompetenz« bzw. »Expertise« verhandelt wird. Deshalb rekonstruiere ich die Handlungskompetenzen auch anhand der im Interview dokumentierten Praxis der Wissensvermittlung an mich als Interviewerin (vgl. Kap. 3). Die Interviewten hatten keine Chance, meiner Interpretation zu widersprechen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle besonders betonen, was ohnehin gilt. Es ist eine Interpretation dessen, was sich für mich über die Kompetenzen der Interviewten in den Interviews dokumentiert. Ich erhebe auch keinen Anspruch darauf, dass sich für andere dasselbe dokumentieren muss. Ungeachtet dessen, lässt sich sehr sicher sagen, dass es sich um eine große Bandbreite an Handlungskompetenzen handelt und sich den Interviewten demzufolge keine homologen Positionen im Feld zuschreiben lassen. Das wird für mich gerade dadurch deutlich, dass mit mir als konstant derselben Interviewerin äußerst unterschiedliche Interview-Interaktionen zustande kamen. In den folgenden Abschnitten zeige ich nun anhand ausgewählter InterviewSequenzen auf, wie die fünf Handlungskompetenzen »Reproduzieren können«, »Kontextuieren können«, »Reflektieren können«, »Kritisieren können« und »Transformieren können« die Genese der Bewertungen unterschiedlich prägen. 5.3.1 »Es gibt da ein Gesetz« – Reproduzieren können Als Handlungskompetenz »Reproduzieren können« bezeichne ich das routinierte Aufzählen und Nacherzählen der institutionell verankerten und schriftlich festgelegten Regeln. Es ist die Kompetenz, die Regeln zu kennen, sie vermitteln und anwenden zu können. Die Reproduktionskompetenz ist damit auch die Verkörperung der Staatsmacht par excellence. Die Handelnden verstehen sich selbst nicht als Handelnde, die Wissen generieren und Entscheidungen treffen. Wie Rädchen im Getriebe erfüllen sie die ihnen angetragene Aufgabe in Anlehnung an die bekannten Normen. Das Ergebnis der Bewertung lässt sich gemäß dieser Kompetenz bei Kenntnis und Befolgung der Regeln mechanisch ablesen: Entweder eine ausländische Qualifikation entspricht der deutschen Norm oder sie entspricht ihr nicht.
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Da ich meine Annahmen gegenüber den Interviewten ins Feld trage, beginne ich in diesem Abschnitt zunächst mit der Handlungskompetenz, die nach meiner Interpretation den stärksten Kontrast zu meinem methodologischen Orientierungsrahmen darstellt. Die Handlungskompetenz »Reproduzieren können« kontrastiert bereits insofern, als dass sie implizit mein Vorgehen infrage stellt, die Interviewten als Träger von Wissen und Handlungen ausgewählt zu haben. Die Reproduktionskompetenz legt nahe, dass alles Wissenswerte zum Bewertungs- bzw. Anerkennungsverfahren in Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen, Merkblättern, Internetseiten u. a. verschriftlicht ist. Unter den 18 Interviewten befindet sich ein Interview, das mit Frau Anton, indem sich die Reproduktionskompetenz für mich als dominierende Kompetenz dokumentiert. Ich vermute, dass dieser Anteil nicht unbedingt auf das Feld schließen lässt, sondern vor allem auf meine Person und meine Herangehensweise. Womöglich hat sie Interview-Verabredungen mit Akteuren, die sich vor allem für Reproduzentinnen der Regeln halten, unwahrscheinlich gemacht.16 Die Reproduktionskompetenz zeigt sich in den meisten Interviews in einer Kombination neben anderen Kompetenzen, insbesondere dem »Kontextuieren können«. Ich werde deshalb im Folgenden zuerst ausführlich auf das Interview mit Frau Anton eingehen. Danach komme ich zu Frau Tietz als Beispiel für die Reproduktionskompetenz als eine Kompetenz neben anderen. 5.3.1.1 Frau Anton Frau Anton ist seit mehreren Jahren in einer Landesbehörde für die Bewertung von sogenannten »Gesundheitsfachberufen«, d. h. Ausbildungsberufen im Gesundheitswesen, wie z. B. Krankenpflege, Altenpflege, Physiotherapie etc., zuständig. Auf meine einleitende Frage nach ihrem persönlichen Werdegang, wie es dazu kam, dass sie diese Verfahren bearbeitet und nach einer Rückfrage, ob sie persönlich oder ihr Team gemeint seien (was ich mit „je nachdem was zuerst da war“ beantwortete) erzählt sie von Umstrukturierungsmaßnahmen in der Verwaltung, die dazu geführt haben, dass ihre Behörde dafür zuständig wurde. Die Entstehung eines zuständigen „Teams“, dem sie angehört, schildert sie folgendermaßen: FRAU ANTON: […] also so meine Teamsprecherin die Frau E. hat das vorher also auch schon gemacht, //ja// (.) und ähm hat sich dann ein Team zusammengestellt, und dann haben wir diese Aufgabe (.) sozusagen übernommen. //mhm// und ich persönlich war hier erst in ei-
16 Die Kompetenz »Reproduzieren können« (in Dominanzform) ist mir ein zweites Mal begegnet. Der Akku meines Aufnahmegeräts hat jedoch in diesem Interview versagt, sodass ich es nicht verwerten konnte.
318 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS nem anderen Team tätig, //mhm// und bin dann (.) jetzt muss ich mal überlegen [Jahr], äh Mitte [Jahr] dann dazu gestoßen. //mhm// (.) ja […] (PFLE (Anton) 2-05: 45 ff.).
In dieser Eingangspassage zeigt sich, was in späteren Passagen noch deutlicher wird. Frau Anton sieht sich als Teil einer Struktur, in die sie als eine von mehreren wie eine Spielfigur auf dem Reißbrett „zusammengestellt“ wurde. Ihre Person und ihr Tätigkeitsbereich haben für sie keine von dieser Struktur unabhängige direkte Verbindung, wie ich sie mit meiner zuvor gestellten Frage unterstellt habe. Die vor allem ortsgebundenen sozialen Beziehungen an ihrem Arbeitsplatz in der Behörde sind ihr tätigkeitsbezogener Orientierungsrahmen, während ich von einem inhaltlich-thematischen Bezug und einer beruflichen Entwicklung ausgegangen bin. Der Kontrast unserer Orientierungsrahmen zeigt sich auch in meiner anschließenden (leider aus demselben Grund exmanenten und suggestiven) Nachfrage „Mhm (1) und äh wo waren Sie vorher? Also wie ergab sich das ergab sich das irgendwie thematisch aus der Arbeit die Sie vorher gemacht haben?“ In ihrer Antwort benennt sie nach homologem Muster „was ganz andres“ und „hier im Verwaltungsbereich“. Dazu wiederholt sie die Agentivierung von Frau E., die „n' Team zusammengestellt“ und „Kollegen eingearbeitet“ hat. „Frau E.“ wird namentlich, mit einem gegenstandbezogenen Wissen, mit expliziten Kompetenzen und auch als räumlich mobil (im Rahmen der genannten Umstrukturierung) vorgestellt. Dagegen präsentiert Frau Anton ihre Person ohne eigenes Gesicht als Teil einer örtlich gebundenen sozialen Struktur, deren Einheiten sie als „Teams“ begreift und Frau E. als ihre gegenwärtige „Teamsprecherin“ in Leitungsfunktion. Frau E. hat die Kompetenz, das Personal nach ihren Vorstellungen anzuordnen. Dass Frau Anton vor allem daran orientiert ist, zum Funktionieren dieser Struktur beizutragen, während sie, bezogen auf den mich interessierenden Gegenstand, in ihrer Person weder ein von ihr abhängiges spezifisches Wissen noch eine spezifische Bewertungskompetenz sieht, zeigt sich auch im weiteren Verlauf des Interviews. Im Vorfeld der nachfolgend aufgeführten Passage spricht Frau Anton zunächst davon, dass sie (ihr „Team“) in ihrem Bundesland für die Erteilung der „Berufserlaubnis“ in den Gesundheitsfachberufen zuständig ist. Nachdem die Auszubildenden ihre Prüfungen abgelegt haben, überprüfen sie die gesundheitliche Eignung sowie die polizeiliche Unauffälligkeit und legen dann fest, ob sie die „Berufserlaubnis“, ggf. unter Auflagen, erteilen können. Dann markiert sie mit der Formulierung „so jetzt kommen wir aber zum Eigentlichen“ den Beginn der ihr eigenen Relevanzsetzung: FRAU ANTON: […] so jetzt kommen wir aber zum Eigentlichen, (.) also wenn jemand eine Ausbildung äh (.) im Ausland gemacht hat, zum Beispiel in Polen, //mhm// äh dann muss er bei uns einen (.) Antrag stellen. //mhm// also wir selber arbeiten nicht mit Antragsvordrucken,
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//mhm// das heißt dieser Antrag erfolgt formlos, //mhm// er bittet lediglich um die Anerkennung (.) ähm auf Gleichwertigkeit seines Berufes (1) [….] (PFLE (Anton) 2-05: 144 ff.).
Mit der Absichtserklärung „zum Eigentlichen“ zu kommen, wechselt Frau Anton vom Modus einer allgemeinen Beschreibung der Zuständigkeit ihres „Teams“ in eine Beschreibung der Erwartungen an »ihn« - den Anerkennungssuchenden. Sie formuliert betont, dass sie keine „Antragsvordrucke“ verwenden, sondern einen „formlos[en]“ Antrag erwarten. Darin wird deutlich, dass ihr bewusst ist, dass dieses Element auch anders gehandhabt werden kann. Sie bestimmt ihre Beziehung zu den Antragstellern durch die gleichgesetzen Begriffe „formlos“ und „lediglich um die Anerkennung bitten“. Die Alternative dazu wäre, von den Antragstellern etwas mehr, nämlich das Ausfüllen eines Vordrucks zu erwarten, was – wie im späteren Verlauf des Interviews deutlich wird – andere Bundesländer machen. In der Form dieses Deckblatts des Antrags sieht Frau Anton damit einen Handlungsspielraum ihres „Teams“, zu dem sie eine Meinung hat. Die darauffolgenden Bestandteile des Antrags, die Unterlagen, die vorgelegt werden müssen, beschreibt sie dagegen als sehr klar festgeschrieben und nicht verhandelbar. Es folgt eine checklistenartige Aufzählung dessen, was „er“ tun muss bzw. was sie an Unterlagen „brauchen“ oder „haben müssen“ bevor sie „arbeiten“ bzw. „in Bearbeitung“ gehen: FRAU ANTON: […] dann äh muss er uns eine äh Erklärung darüber abgeben, dass er einen (.) derartigen (.) Antrag, oder beziehungsweise eine Erklärung abgeben wenn er schon mal einen Antrag gestellt (.) hat, //mhm// in [Bundesland] oder auch in einem anderen Bundesland und wie darüber entschieden worden ist, //mhm// (1) und ähm (.) ja sofern zutreffend noch eine Erklärung darüber, äh dass ihm das Diplom seines Heimatlandes nicht durch eine Behörde entzogen worden ist. //mhm// (.) weil das kann natürlich (.) auch passieren, genauso wie auch bei uns, wenn wir erfahren dass jemand straffällig geworden ist, Einträge im Führungszeugnis hat und das Strafmaß //mhm// eben so hoch ist dass wir sagen nee den können wir jetzt nich in dem Gesundheitsfachberuf ähm arbeiten lassen, dann entziehen wir auch die Berufserlaubnis. //mhm// (.) dann noch einen Auszug aus dem Register der Meldebehörde, (.) das benötigen wir deswegen weil hier die örtliche Zuständigkeit gegeben ist, das heißt wir bearbeiten nur Anträge wenn derjenige in [Bundesland] wohnt, //mhm// oder es gibt eben noch den Fall wenn jetzt zum Beispiel (.) das haben wir also auch schon vermehrt gehabt, (.) dass jemand sacht das Altenpflegeheim in [Landkreis], das und das möchte mich gerne einstellen aber die wollen natürlich sichergehen, dass ich auch die entsprechende Qualifikation dafür habe. //mhm// dann gehen wir auch in die Bearbeitung. //mhm// ja des weiteren, brauchen wir noch einen tabellarischen Lebenslauf, //mhm// das heißt ähm (.) iss für uns natürlich auch wichtig, wie lange war die Ausbildung ähm was hat er die ganze Zeit über gemacht, oder hat er zum Beispiel schon in seinem Beruf ‘n paar Jahre gearbeitet, //mhm// weil das sind nachher alles Dinge die wir dann für die Bearbeitung benötigen. //mhm// ((blättert)) (3) dann noch eine Ge-
320 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS burts- oder Heiratsurkunde, und das auch jeweils immer in der Heimatsprache und in deutscher Sprache […] (PFLE (Anton) 2-05: 149 ff.).
In der routinierten Aufzählung der Antragsbedingungen wird deutlich, dass sie sich in Bezug auf diese Regeln sehr begrenzt als Handelnde, sondern vor allem als Ausführende wahrnimmt. Die Handlungskompetenz von Frau Anton besteht vor allem darin, dass sie genau benennen und beschreiben kann, welche Form und welchen Inhalt die Unterlagen haben müssen, die ihr die Antragsteller im Rahmen eines Antrags auf Anerkennung vorlegen müssen, bevor sie „in Bearbeitung“ gehen. Ihre Kompetenz besteht darin, die Regeln ihrer Institution und damit die Anforderungen an die Antragstellerin, systematisch explizieren zu können und keine Zweifel an ihrer Durchsetzung aufkommen zu lassen. Im Gegensatz zu den anfangs formulierten Handlungsalternativen „formloser Antrag“ und „Antragsvordruck“ bleiben die hier aufgeführten erwarteten Bestandteile des Antrags alternativlos. Dass sie die Unterlagen jeweils, genauso wie sie sagt, vorliegen haben muss, ist für sie selbstverständlich bzw. „natürlich“, wie sie mehrfach sagt, damit sie ihre Arbeit erledigen können. In diesem Stil setzt sich die Beschreibung fort, bevor sie auf die »Gleichwertigkeitsprüfung« zu sprechen kommt: FRAU ANTON: […] dann ganz wichtige Dokumente für uns ist ähm (.) das Diplom, (.) auch wieder in der Heimatsprache und in deutscher Sprache, (1) weil wir haben zum Beispiel im (.) Krankenpflegegesetz auch einen Anhang, //mhm// ähm weil wir müssen ja auch immer unterscheiden, zwischen den EU-Staaten, //mhm// und den (.) äh anderen Staaten wie zum Beispiel Russland, //mhm// da gibt es so einige Unterschiede in den Gesetzen, (.) und ähm (.) im Anhang sind zum Beispiel jetzt die Berufe aufgeführt die nach Beitritt der EU beziehungsweise nach einem Stichtach, wenn jemand dann diese Berufsbezeichnung führt, //mhm// dann kann man sagen ja das iss gleichwertig. //mhm// dann können wir das (.) berücksichtigen. und dann brauchen wir natürlich auch immer (.) detaillierte Übersichten, (.) ähm der theoretischen und praktischen Unterrichtsfächer, //mhm// mit Noten und Stundenzahl, (.) das auch wieder jeweils in der Heimatst- -sprache und übersetzt, ähm da kann ich Ihnen auch ((blättert, murmelt)) hatt’ ich hier noch (.) was (.) hab ne Gegenüberstellung gemacht, weil wir ja im Grunde genommen gucken müssen, iss die Ausbildung gleichwertig. //mhm// weil es gibt ja gerade auch in der Krankenpflege es gibt Länder da iss die Ausbildung zum Beispiel nur zwei Jahre, und sie drei Jahre, (.) ähm dann spricht man da schon von wesentlichem Unterschied. //mhm// Und man muss natürlich auch gucken ob es von den Inhalten (.) //mhm// identisch iss. (.) und da machen wir ((blättert)) wollt’ ich Ihnen jetzt hier mal so- (.) machen wir dann ähm (.) wenn’s notwendig iss, //mhm// so eine äh Gegenüber- (.) -stellung. //mhm// zum Beispiel hab ich jetzt hier Überprüfung Gleichwertigkeit PT iss Physiotherapeutin, //mhm// (.) und da kann man hier sehen in Deutschland sind diese Stunden vorgeschrieben, //mhm// und in Kroatien wurden diese Stunden abgedeckt. Also man sieht eigentlich hier schon (.) dass da schon ein wesentlicher Unterschied- ach genau da geht’s auch noch weiter wesentlicher Unterschied (.)
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//mhm// besteht. Und daher müssen wir immer wie gesagt auch diese (.) Anlagen zum Diplom haben ((blättert)) (9) (PFLE (Frau Anton) 2-05: 144 ff.).
Die Reproduktionskompetenz dokumentiert sich darin, dass sie die Gesetze sehr genau kennt und weiß wo die Normen stehen, die in den Unterlagen der Antragstellerinnen belegt sein müssen, damit sie die Qualifikation überhaupt bewerten kann. Sie weiß, dass es gesetzlich vorgeschriebene Verfahrensunterschiede gibt, je nachdem auf welchen Staat oder Beruf sich der Antrag auf Anerkennung bezieht. In bestimmten Fällen, die etwas mit der Zugehörigkeit zu den Staaten der Europäischen Union und dem Absolvieren bestimmter Ausbildungen nach einem bestimmten Zeitpunkt zu tun haben, können sie die Berufsbezeichnung im Diplom mit der Berufsbezeichnungen im Anhang zu den Gesetzen vergleichen und, sofern sie übereinstimmen, zu dem Ergebnis „ja das iss gleichwertig“ kommen. In anderen Fällen geht es darum, „im Grunde genommen gucken [zu] müssen, iss die Ausbildung gleichwertig“. An dieser Stelle ihrer Beschreibung des Verfahrens wird Frau Anton dann zu einer Handelnden, die als Ich etwas „gemacht“ hat, nämlich eine „Gegenüberstellung“. Das Anfertigen der „Gegenüberstellung“ folgt dem Zweck, etwas „sehen“ zu können, was man sonst nicht „sehen“ könnte. In einer gewissen Analogie zu der Kompetenz von Frau E., Personen neu anzuordnen, beschreibt sie es als ihre Kompetenz, Informationen neu anzuordnen. Sie kann aufgrund dieser Tätigkeit erkennen, ob die Angaben identisch sind. Wenn das an einer Stelle nicht der Fall ist, hat sie einen „wesentlichen Unterschied“ gefunden, kann dann „schon“ sagen, dass die Ausbildung nicht gleichwertig ist, und den Vorgang damit beenden. Wie sie (bzw. „man“) zu der Bewertung kommt, z. B. einen Unterschied zwischen zwei und drei Jahren Ausbildungsdauer, oder einen Unterschied zwischen einer Stundenanzahl „schon“ als „wesentlich“ zu bezeichnen, hält Frau Anton nicht für erklärungsbedürftig. Sie begreift sich selbst nicht als eine Handelnde in dem Sinne, dass sie Wissen generiert und Entscheidungen trifft. Ihr Verständnis als Handelnde ist es, vorhandene in Schrift gefasste Wissensbestände zu nutzen und neu anzuordnen, sodass sich Bewertungen für sie offensichtlich ablesen lassen. Damit verkörpert sie die unhinterfragte Macht des Staatsapparats par excellence. Im Kontext meiner Forschungsfrage gehe ich davon aus, dass Wissen im Rahmen von ungleichen Beziehungen konstruiert wird. Dass sich Frau Anton hier als eine die Staatsmacht Exekutierende ohne Reflexion der eigenen Handlungsmacht zeigt, ist kein Widerspruch, sondern eher eine Bestätigung meiner theoretischen Annahmen. Als solche nimmt sie in den Klassifikationskämpfen um die Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen eine den Status Quo bewahrende Rolle ein. In der konkreten Interaktion im Interview kontrastiert meine Perspektive allerdings aus diesem Grund sehr stark mit der von Frau Anton, wie vor allem an folgender Stelle deutlich wird:
322 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS INTERVIEWERIN: Mhm (.) mhm (.) und=und=und diese Stundenauflistungen //mhm// stellen stellen die Ausbildungseinrichtungen die aus, #äh in der Regel? (2) Äh w- w- wie funk-# FRAU ANTON: #Nee das machen wir. (2) Also ähm-# INTERVIEWERIN: Wie finden Sie das @heraus also kann-@ FRAU ANTON: Ja also es iss ja so es gibt ja für die ähm (.) für diese (.) Gesun- oder für die Gesundheitsfachberufe gibt es ja au- ein äh jeweils auch ein äh ein Gesetz, //mhm// wir haben ja das das Gesetz zum Beispiel hab ich hier jetzt das Krankenpflegegesetz, //mhm// und zu diesem Krankenpflegegesetz, //mhm// da gibt es eine- oder auch zu den anderen Gesetzen //mhm// gibt es ja auch eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. //mhm// und da iss es dann so, ((hustet)) dass (.) in dieser Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, (.) steht zum Beispiel genau (.) drin, wie die praktische Ausbildung auszusehen hat. //mhm// in welchen Bereichen und mit wie viel Stunden. //mhm// und genauso (1) auch (1) das iss- genau praktische Ausbildung, und das gilt natürlich auch für die ((blättert)) (2) theoretische Ausbildung. ((zeigt)) //mhm// das zum Beispiel da welche Bereiche alle abzudecken sind […] (PFLE (Anton) 2-05: 229 ff.).
Es zeigt sich hier, dass mein Interesse an den ausländischen Ausbildungseinrichtungen als Interesse daran, wo ihre Informationen zu den in der Ausbildung belegten Stunden herkommen, von ihrer Position aus nicht verstanden wird. Sie denkt bei „ausstellen“ an die von ihr bzw. ihrem „Team“ angefertigte „Gegenüberstellung“ und bei „herausfinden“ an ein Nachlesen im Gesetzestext. Sie expliziert sehr detailliert die Fundstellen der deutschen Normen, während das aus meiner Sicht Selbstverständliche, die ausländische Ausbildung, in ihrem Erfahrungshorizont nicht vorkommt. 5.3.1.2 Frau Tietz Am Beispiel von Frau Tietz möchte ich nun die Kompetenz »Reproduzieren können« in einem anderen Interview aufzeigen. Hier tritt sie nicht dominierend, sondern kombiniert auf. Anders als Frau Anton ist Frau Tietz für die Bewertung von Ärztinnen zuständig. In der Eingangspassage des Interviews steht ebenfalls das regelgeleitete und routinierte administrative Vorgehen als Kompetenz im Vordergrund. Nicht unbedingt, was sie sagt (es handelt sich ja um einen anderen Beruf und demzufolge etwas andere Regeln), sondern gerade wie sie ihr Tätigkeitsfeld beschreibt, ähnelt dabei in sehr starkem Maße der Eingangspassage von Frau Anton, in der sie „zum Eigentlichen kommt“ (siehe oben).
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FRAU TIETZ: [Ja also wir werden] sag ich mal verbindlich und aktiv tätig sobald ein Antrag eingeht, //mhm// und in dem Zusammenhang prüfen wir dann die Voraussetzungen die sind bei der Berufserlaubnis ein bisschen anders als bei der Approbation. Grundsätzlich im Großen und Ganzen sind aber die Rahmenbedingungen abgesehen von dem ärztlichen Abschluss äh gleich das heißt wir fordern bei beiden ähm Deutschkenntnisse im ausreichenden Maße bei uns heißt das dann auf dem B2-Niveau wir fordern ähm Nachweise darüber dass sie halt es würdig sind auch als Arzt zu arbeiten wie es immer noch so schön heißt dass sie ähm medizinisch ähm auch selber gesund sind um den Beruf auszuüben also da gibt’s dann ärztliche Bescheinigungen es gibt ähm wir brauchen Nachweise darüber dass sie nich straffällig geworden sind und so was ne also das iss bei Ärzten immer so’n bisschen ähm auf nem höheren Level, iss aber auch schon immer so gewesen bei den Ärzten nach der Bundesärzteordnung, und das fordern wir allgemein, und (.) was wir ohne- also unterschiedlich fordern iss bei der Berufs- ähm –erlaubnis die iss halt eine eingeschränkte Berufsausübungsberechtigung, die iss zeitlich befristet sie iss örtlich beschränkt und sie iss auch manchmal inhaltlich noch beschränkt. Und ähm das bedeutet mit ner Berufserlaubnis kann man nicht ohne weiteres den Arbeitgeber wechseln, //mhm// man ähm kann- wenn die abgelaufen iss darf man nich mehr weiterarbeiten weil ohne so was darf man halt al- al- als ein Arzt in der Heilkunde in Deutschland nich tätig sein, und dafür erwarten wir grundsätzlich dass jemand in einem- in seinem Herkunftsland oder Ausbildungsland eine abgeschlossene Ausbildung als Arzt absolviert hat, und das bedeutet wir gucken in erster Linie wann gilt die Ausbildung in dem anderen Land als abgeschlossen, dann kann es sein dass wir trotzdem ähm noch Bedenken haben wenn zum Beispiel die Ausbildung sehr kurz war, bei uns dauert sie ja sechs Jahre und wenn in einem anderen Land sie nur vier Jahre zum Beispiel dauert, dann iss manchmal schon noch die Frage ob es eine abgeschlossene Ausbildung in unserem Sinne iss. //mhm// Ähm davon gibt’s aber auf der Erde glaube ich inzwischen nich mehr so viele Länder weil die meisten sich schon auch ähm bei dem Niveau angepasst haben was die Ausbildung betrifft. Natürlich gibt es inhaltlich Unterschiede. Aber wir gucken in dem Bereich sozusagen in erster Linie auf den formalen Abschluss ne, //mhm// und ähm dann sind die Voraussetzungen im Prinzip auch schon gegeben um aufgrund einer Berufserlaubnis tätig zu sein. //mhm// Ähm bei der Approbation ist der Unterschied das iss ja dann sozusagen die ähm //mhm// die unbeschränkte Berufsausübungsberechtigung, wie sie dann auch diejenigen bekommen die in Deutschland ihren Abschluss gemacht haben, der steht dem also dann völlig gleich, und das setzt halt zusätzlich voraus dass es nich nur eine formal abgeschlossene Ausbildung im Herkunftsland iss sondern dass es inhaltlich auch mit der deutschen Ausbildung //mhm// ähm gleichwertig iss. Also nich gleich, das kann sie ja nich sein aber gleichwertig. //mhm// Und wie wir da zu dem Ergebnis kommen iss halt ‘n bisschen unterschiedlich […] (ÄRZ (Tietz) 3-09: 31 ff.).
Die durchgehende Verwendung des Plurals „wir“ zeigt, dass die Gleichförmigkeit des Vorgehens ihrer Stelle und die Unabhängigkeit des Bewertungsprozesses von ihrer Person nicht infrage stehen. Es dokumentiert sich auch, dass das „aktiv werden“ (analog zum „in Bearbeitung gehen“ im Fall von Frau Anton) an eine Reihe
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von Bedingungen und Erwartungen geknüpft ist, die an den Antrag gestellt werden. Ihre in dieser Passage im Vordergrund stehende Expertise ist das sehr exakte Wissen darum, was „wir fordern“ und was „wir brauchen“ und jeweils aus welchem Grund. Eine Differenz zu Frau Anton wird insbesondere in der expliziten Unterscheidung von „gleich“ und „gleichwertig“ deutlich, was eine implizite Erfahrung voraussetzt, Nicht-Identisches auch als „gleichwertig“ bewerten zu können oder bereits bewertet zu haben. Frau Tietz geht im Anschluss and diese Interview-Passage auf die Unterschiede im Verfahren zwischen den Inhaberinnen von EU-/EWR-Qualifikationen, die sie „durchwinken“ und Inhaberinnen von Drittstaatsqualifikationen, mit denen sie sich „direkt auseinandersetzen“ ein. In Bezug auf letztere wird deutlich, dass es nicht sie ist, die sich auseinandersetzt. Der Fall wird nach Zusammenstellung der geforderten Unterlagen zur Bewertung der Gleichwertigkeit, der Gegenüberstellung von Fächern und Stunden, weitergegeben (sowohl in der eigenen Stelle als auch an Gutachter). Es wird deutlich, dass die hier im Vordergrund stehende Reproduktionskompetenz vor allem auf die von ihrer Dienststelle etablierte Arbeitsteilung zurückzuführen ist. Frau Tietz hat in ihrer Institution die Rolle, die eher gleichförmigen Zuarbeiten zu erledigen und wenn überhaupt – das wird im Interview nicht ganz deutlich – die Fälle, die sie „durchwinken“, zu übernehmen. Anders als bei Frau Anton zeigt sich in späteren Interview-Passagen mit Frau Tietz eine Kontextuierungs- und Reflexionskompetenz, die sie als Handelnde bzw. ihr Bewusstsein Handelnde zu sein, für mich sichtbarer macht. Dies geschah vor allem im Anschluss an exmanente Nachfragen meinerseits, sodass sich darin womöglich eine gewisse Annäherung zeigt, während sie zu Beginn die üblichen routinierten Wissensbestände abspult. In Bezug auf die Interaktion mit den Antragstellerinnen stelle ich mir vor, dass sie ebenfalls zunächst routiniert die Regeln und Erwartungen erklärt. Sie wird sich davon abgrenzen, „aktiv“ zu werden, bevor die institutionalisierten Anforderungen erfüllt sind. Je nachdem, ob und wie ihr Gegenüber darauf eingeht, kann es dann zu anderen, weniger standardisierten Verläufen kommen. 5.3.2 »Was tatsächlich dahinter steht« – Kontextuieren können Die Handlungskompetenz »Kontextuieren können« zeichnet im Gegensatz zur Handlungskompetenz »Reproduzieren können« ein sehr ausgeprägtes inhaltliches Interesse aus. Es handelt sich um eine Orientierung daran, sich neues Wissen anzueignen, neue Zusammenhänge herzustellen und diese dann auch als ein besonderes Insider-Wissen (mir gegenüber) zu vermitteln. Ich nehme an, dass dies auch für die Interaktion mit den Antragstellerinnen handlungsleitend sein wird. Es geht hier nicht in erster Linie darum, mechanisch den Regeln zu folgen, sondern den einzel-
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nen Antragsteller und seine Qualifikation in seinem jeweiligen Kontext verstehen, behandeln und bewerten zu wollen. Je mehr diese Bemühung als eine Hilfestellung anerkannt wird, die Antragstellerinnen sich dementsprechend verhalten und keine illusorischen Forderungen und Erwartungen stellen, desto größer ist das Engagement. Die Handlungskompetenz »Kontextuieren können« dokumentiert sich jeweils stärker oder schwächer ausgeprägt in allen Interviews. Das hängt womöglich damit zusammen, dass ich den Interviewten nicht gesagt habe, dass ich mich vor allem für ihr implizites Wissen interessiere. Insofern wundere ich mich nicht, dass mir die Interviewten ihr Kontext-Wissen vermitteln und auch davon ausgehen, dass ihr Sachverstand für mich relevant ist. Ich werde in diesem Abschnitt Frau Runge und Frau Sachs heranziehen, weil die Kompetenz »Kontextuieren können« in diesen Fällen sehr deutlich bereits in der Eingangserzählung im Vordergrund steht. Unterschiede zwischen den beiden Interviewten führe ich auf das jeweils unterschiedliche institutionelle Gefüge zurück. Frau Runge bewertet Pflegekräfte und Frau Sachs Architektinnen. 5.3.2.1 Frau Runge Frau Runge führt in einem anderen Bundesland als Frau Anton, das Beispiel für die Reproduktionskompetenz, seit Jahren »Anerkennungsverfahren« in Gesundheitsfachberufen, insbesondere für Pflegekräfte, durch. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, stehen für sie soziale Zusammenhänge und die habituelle Orientierung am Suchen des Wahren und Echten im Vordergrund. Bei gleichem Aufgabengebiet wie Frau Anton und damit vergleichbaren Verfahrensweisen auf der Objektebene dokumentiert sich in dem Interview eine deutlich andere Herangehensweise. Der folgende Abschnitt beschreibt zunächst, wie sie zu ihrer gegenwärtigen Tätigkeit gekommen ist: INTERVIEWERIN: […] möchten Sie vielleicht erstmal einsteigen, ähm wie Sie dazu gekommen sind dass Sie hier (2) ((seufzt)) hier ja dass Sie das überhaupt machen @(.)@ FRAU RUNGE: Ganz ehrlich das hab ich mir nich ausgesucht INTERVIEWERIN: Nee? FRAU RUNGE: Äh nein das iss- ich bin nach ner Kindererziehungszeit wieder hergekommen //ja// und äh sagen wir so (.) frisch von der Leber weg wer kommt nimmt das was andere nich machen wollen @(.)@
326 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS INTERVIEWERIN: @(.)@ FRAU RUNGE: Da bin ich mal ganz ehrlich so iss das eigentlich dazu gekommen //ja// ich kam her, und der Platz wird vorher sozusagen festgelegt was gemacht wird. und (.) wenn man einmal anfängt iss man nachher so weit ich sag mal Fachidiot, //mhm// ähm dass die anderen froh sind wenn man das dann weitermacht. wobei ich sagen muss es macht mir richtig viel Spaß. //ja schön// (.) und von daher äh ich bin da reingerutscht das kann man wirklich so sagen, //mhm// und hab das einfach angefangen und hab dann im Laufe der Zeit immer mehr Berufe dazu bekommen […] (PFLE (Runge) 1-03: 23 ff.).
Hier wird deutlich, dass Frau Runge davon ausgeht, dass die Situation für mich anders scheint oder erwartbar ist als sie tatsächlich ist und dass sie sich in der Position sieht, mir „ganz ehrlich“, „frisch von der Leber weg“ und „das kann man wirklich so sagen“ zu vermitteln, wie es tatsächlich ist. Sie verwendet in Homologie dazu auch im späteren Verlauf des Interviews häufig körperbezogene Metaphern, die beschreiben, dass die Wahrheit in ihrem Inneren oder zumindest irgendwo „drinne“ liegt und dass sie mir durch das Interview einen Zugang zu diesem Insider-Wissen verschafft. Im Gegensatz zu Frau Anton zeigt sich bei Frau Runge ein inhaltlich-fachlicher Orientierungsrahmen, eine Kompetenz, die darauf abzielt, zum Inneren des Gegenstands vorzudringen. In der Interviewpassage vermittelt sie beispielsweise, dass man von Außen annehmen könnte, dass die Übernahme dieser Aufgabe ihre bewusste Entscheidung war, in der Realität habe das aber strukturelle Gründe gehabt, auf die sie keinen Einfluss hatte. Anders als zum Beispiel Frau Anton, die von einer namentlich benannten anderen Person in einem „Team“ „zusammengestellt“ wurde, beschreibt sie es als eine strukturelle Normalität ohne benennbaren Akteur, dass ihre Rückkehr aus der Kindererziehungszeit bedeutete, „wieder“ als Neue in Erscheinung zu treten, die den Platz einnehmen muss, den ihre Kollegen frei gelassen haben („wer kommt nimmt das was andere nicht machen wollen“). Es besteht allerdings die Parallelität, dass beide Frauen sich von einer persönlichen Motivation abgrenzen, »immer schon« ausländische Berufsqualifikationen bewerten zu wollen. Frau Anton erzählt von ihrer Tätigkeit insbesondere im Kontext der institutionellen Struktur vor Ort, die den bearbeiteten Gegenstand für sie letztlich irrelevant und austauschbar machen. Im Fall von Frau Runge zeigt sich, dass sie eine bedeutungsvolle fachliche Beziehung zu dem Gegenstand aufgebaut hat, welche sie im Rückblick als einen Lernprozess betrachtet, der sie dafür prädestiniert, diese Aufgabe auch weiter zu machen. Sie diskutiert sowohl eine fachliche Anerkennung als auch ihr eigenes Interesse an dieser Tätigkeit („Spaß“) als Auslöser für die gewachsene Bindung, womit sie diesen Kategorien auch eine voneinander verschiedene Bedeutung beimisst.
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Gewissermaßen spiegelt sich dies auch in der Interaktion im Interview wieder, da sie auch hier daran orientiert ist, mir einen fachlichen Beitrag zu meiner Arbeit zu bieten (den ich als solchen anerkennen soll) und zum anderen im Rahmen von lebendigen Formulierungen auch „Spaß“ am Interview zu haben. In der Beziehung mit Frau Anton ging es hingegen darum, mir zu vermitteln, dass sie den gesetzlichen Vorschriften entsprechend handelt, was sich auch in einer Bemühung um sachlich-nüchterne Formulierungen zeigte. Damit bekam ich eher die Rolle einer Evaluatorin zugeschrieben, deren Aufgabe es ist, ihre Tätigkeit im Hinblick auf die Gesetzeskonformität zu bewerten. Meine Interaktion mit Frau Runge ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass ich ihre Perspektive unmittelbar verstehen konnte. Aus meinen Äußerungen spricht hier nicht Unverständnis oder Irritation, sondern spontane Nachvollziehbarkeit. Dass ich ihre Situation auch auf einer persönlicheren Ebene verstehen soll, hat sie – im Gegensatz zu Frau Anton – auch angefragt. Dass Frau Runge davon ausgeht, aufgrund ihrer spezifischen Innenansichten die Kompetenz zu haben, fachlich etwas beizutragen und mitunter vermutete (dominante) Sichtweisen korrigieren zu können, wird im weiteren Verlauf des Interviews noch deutlicher. Im Vorfeld der folgenden Passagen konkretisiert sie zunächst, wie ihr Aufgabengebiet durch eine Ausweitung auf „mehr Berufe“ größer geworden ist: INTERVIEWERIN: Ja (.) okay (.) und das hat sich so Stück für Stück (.) entwickelt FRAU RUNGE: Ja es iss auch immer mehr geworden also mit jedem Gesetz (.) das (.) ich sag einfach mal vorgibt, einfacher die Sache einfacher zu machen mit den Anerkennungen werden auch die Anträge mehr. //mhm// und jetzt in letzter Zeit sind eben Länder dazu gekommen denen es wirtschaftlich nich gut geht die noch nicht mal Drittstaaten sogenannte Drittstaaten sind //mhm// sondern EU-Staaten wie Spanien, ähm wo die Leute wirklich weg wandern //mhm// und dann vermehrt hier (zum Beispiel) in Deutschland auftauchen. //mhm// weil wir ja den Pflegenotstand haben. (2) INTERVIEWERIN: Ja (2) das spüren Sie jetzt gerade so in letzter Zeit? FRAU RUNGE: Ähm (.) also (.) ich höre immer davon ich selber bekomme es ja hier nicht so akut mit und ähm ich hab mir auch sagen lassen dass das (.) relativ iss. //mhm// weil es teilweise einfach so iss ähm mmm dass die Sachen ein bisschen hausgemacht sind mit den Pflegenotständen oder es einfach so iss, ähm dass es ein bisschen auch damit zu tun hat, wie die einzelnen Krankenhäuser Altenpflegeheime mit ihrem Personal (.) umgehen. //mhm// es gibt halt welche die sind immer gut bestückt die ham gute Arbeitsbedingungen und es gibt halt viele ähm da läuft das wohl nicht so gut und entsprechend kriegen die auch kein Personal und versuchen das anderweiter zu decken. //mhm// das soll der Hintergrund sein ob das so iss (.) //mhm// weiß ich nich ich bin da ja nicht nicht in den Häusern drinne also (.) ich weiß nur dass wir relativ viele (.) deutsche Gesundheits- und Krankenpfleger haben und auch Alten-
328 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS pfleger haben die abwandern und zwar Richtung Skandinavien //mhm// weil angeblich die Arbeitsbedingungen dort besser sind. INTERVIEWERIN: Mhm (.) mhm (.) verstehe. FRAU RUNGE: Und wenn hier was weggeht muss auch was nachkommen […] (PFLE (Runge) 1-03: 49 ff.).
Es zeigt sich Frau Runges Selbstverortung als eine Insiderin (mir gegenüber), die über bestimmte strukturelle Zusammenhänge rund um die Themen Anerkennung, Migration und Arbeit etwas Spezifisches weiß, das sich an dieser Stelle zu vermitteln lohnt. Drei Beispiele zeigen, dass die Aufklärung darüber, dass es nicht so ist, wie es (für mich) aussehen mag, ihre Praxis der Wissensvermittlung prägen: Erstens, es scheint, so als würden die neuen Gesetze die Anerkennung erleichtern. Deswegen werden die Anträge mehr. Tatsächlich sei das aber nicht der Fall. Zweitens, es scheint so, als gäbe es einen „Pflegenotstand“. Deswegen wandern mehr Menschen zu. Tatsächlich sei der „Pflegenotstand“ aber „hausgemacht“. Drittens, es scheint so, als kämen Migrantinnen vor allem aus Drittstaaten. Tatsächlich kommen sie inzwischen vielfach aus EU-Staaten. Neben der Positionierung als Insiderin dokumentiert sich aber auch eine Relativierung als Begrenzung ihrer Expertise: „ich höre immer davon ich selber bekomme es ja hier nicht so akut mit und ähm ich hab mir auch sagen lassen dass das (.) relativ iss.“ Es zeigt sich, dass sie ihre Position zwar als sehr nah dran wahrnimmt, aber eben „nicht in den Häusern drinne“. Darin zeigt sich abermals das Deutungsmuster, das sich durch das gesamte Interview zieht: je näher drin oder dran, desto wahrer werden Aussagen. Dieses Spannungsverhältnis wird am deutlichsten in der Passage, in der es um das Bewertungsverfahren selbst geht. INTERVIEWERIN: Mhm (.) verstehe @(.)@ ja und können Sie beschreiben, was Sie alles mit mit so einem Antrag machen, also von dem- vielleicht anhand eines konkreten Falls ab dem Moment wo er eingegangen iss #und ähm was dann alles passiert# FRAU RUNGE: #Mhm also am (.) kompliziertesten# sind die Fälle aus sogenannten Drittländern, also Nicht-EU-Ländern ehemalige GUS-Staaten ehemaliges Jugoslawien, (.) ähm was wir voreck- -weg immer machen äh (.) bei jeder neuen Gesetzesänderung wir haben immer ein Infoblatt da, //mhm// wo der Ablauf steht, was man machen kann wie man’s machen kann, und wir haben immer ein Merkblatt wo wir ganz klar festlegen diese Unterlagen brauch ich damit ich den Antrag überhaupt bearbeiten kann so und das wird auch vorweg dann weggeschickt bei Bedarf, //mhm// ähm wenn die Antragsunterlagen dann dort sind iss es wirklich so ähm dass ich äh (3) ge- nach der neuen Gesetzeslage ganz genau prüfen muss äh ich lege die (.) beiden Ausbildungen nebeneinander, //mhm// und vergleiche eigentlich Fach für Fach
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und Stunde für Stunde die sag ich mal russische Ausbildung mit der deutschen Ausbildung. //mhm// (.) das iss inzwischen sehr schwierig weil wir in der Krankenpflege keine Fächer mehr haben sondern Lernfelder. //mhm// und dann auch noch teilweise in Modulen unterrichtet so dass man gar nich mehr sagen kann Anatomie wird wirklich als Anatomie zum Beispiel unterrichtet, //mhm// sondern das steckt in dem Modul und in dem Modul und iss relativ auseinandergerissen. //mhm// (.) wobei ich nich weiß ob Anatomie ‘n gutes Beispiel iss aber eben bei anderen Sachen Pädagogik oder so was. //ja// und das macht die Sache relativ schwierig in der Krankenpflege. //mhm// nach dem alten Krankenpflegegesetz hatten wir auch Fächer, da konnte man wirklich zumindestens namentlich miteinander vergleichen, //mhm// (.) das können wir jetzt nicht mehr. und das Problem ist auch wir wissen ja nie was hinter dem Fach steckt, //mhm// wird es genauso unterrichtet wie hier, oder oder nich. und das iss relativ schwierig weil wir sind ja hier keine Fachkräfte. //mhm// (.) ((schnalzt)) also wir sind nicht Krankenpflege oder so was und das macht es natürlich noch’n bisschen schwieriger. //ja// aber eigentlich iss es so der Sinn die beiden Ausbildungen miteinander zu vergleichen, //mhm// sag ich mal stundenmäßig kann man das immer, also dieses rein rechnerisch kann ich natürlich vergleichen und sehen was si- wie sieht der theoretische Teil aus wie sieht der praktische aus, //mhm// sind da Unterschiede. //mhm// (.) bei den Ausbildungen (.) in- aus der ehemaligen UdSSR sind gravierende Unterschiede. //mhm// in der Theorie rein rechnerisch nicht so, //mhm// (1) vielleicht mehr in den Inhalten, //mhm// ähm (.) aber in der Praxis iss das ganz erheblich die sind dort deutlich weniger praxisorientiert, //mhm// und die haben auch immer ganz viel allgemeinbildende Fächer. Sport (.) Leninismus Marxismus und so weiter und so fort da haben die mit drinne //mhm// und die Stunden dürfen wir natürlich auch nich mit einrechnen //mhm// so dass man immer sagen kann da sind Unterschiede […] (PFLE (Runge) 1-03: 95 ff.).
Während auf der Objektebene hier deutliche Parallelen zu der Schilderung von Frau Anton erkennbar sind, behandeln die Interviewten das Thema in sehr unterschiedlichen Orientierungsrahmen. Während Frau Anton eine Eindeutigkeit der Entstehung von Bewertungen auf Basis der Gesetzestexte, unabhängig von ihrer Person, beschreibt, schildert Frau Runge den Prozess vor dem Hintergrund ihrer eigenen Fachlichkeit sowie insbesondere den Möglichkeiten und Grenzen der Beurteilung. Analog zu der oben erwähnten Interview-Stelle, ihrer Bewertung zum „Pflegenotstand“, weiß sie, dass sie die zwei Ausbildungen „eigentlich“ nicht so vergleichen und beurteilen kann, wie sie das aus ihrer Orientierung heraus für richtig halten würde, nämlich aus nächster Nähe: als „Fachkraft“ aus dem Bereich der Krankenpflege, im Wissen darum, wie die Inhalte auf die „Lernfelder“ und „Module“ verteilt sind und „was hinter dem Fach steckt“. Es zeigt sich anhand vieler Aussagen, die sich auf die Beschreibungen „am kompliziertesten“ „sehr schwierig“, „relativ schwierig“, „noch 'n bisschen schwieriger“ und „Problem“ beziehen, dass sie trotz ihrer Bemühungen zum Kern des Gegenstands nicht vordringen kann und ihr Vorgehen deshalb wider Willen an der Oberfläche bleiben muss. Im Grunde handelt es
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sich um eine Unmöglichkeit, einen Vergleich zu ziehen. Früher konnte sie „Fächer […] wirklich zumindestens namentlich miteinander vergleichen“ und „rein rechnerisch kann ich das natürlich vergleichen“. In der Formulierung „aber eigentlich iss es so der Sinn die beiden Ausbildungen miteinander zu vergleichen“ dokumentiert sich wiederum eine Diskrepanz-Erfahrung und -Wahrnehmung zwischen dem Verfahren, wie es gedacht ist, und dem Verfahren, wie es tatsächlich aussieht. In Übereinstimmung zu dem zuvor behandelten Thema „Pflegenotstand“ kommt sie trotz der beschriebenen Zweifeln an den Quellen ihrer Erkenntnis zu einem Ergebnis, von dem sie inhaltlich überzeugt ist, dass es die Wirklichkeit beschreibt: „die sind dort deutlich weniger praxisorientiert“ und „so dass man immer sagen kann da sind Unterschiede“. Darin zeigt sich ein implizites Wissen darum, dass wahrnehmbare Unterschiede an der Oberfläche des Gegenstands eine ausreichende Legitimation für eine Bewertung sind. Wenn die Unterschiede schon an der Oberfläche offensichtlich sind, ist das „drinne“ nicht relevant. Ihre beschriebenen fachlichen Grenzen sind zwar aus ihrer Sicht vorhanden und bedeutsam, aber letztlich für das Ergebnis nicht ausschlaggebend. In der nächsten Passage fährt sie fort mit dem Satz „nun nach der neuen Rechtsprechung müssen wir ja wirklich festlegen, (.) welche Unterschiede sind da, //mhm// und wie können die ausgeglichen werden“ (PFLE (Runge) 1-03: 133 ff.). Sie beschreibt die Möglichkeit einer „Kenntnisprüfung“ zum Ausgleich von Defiziten und wiederholt noch mal „also müsste man die [Defizite] eigentlich auch raus arbeiten“. Danach geht sie auf die Alternative einer „Anpassungsmaßnahme“ ein, die sie in Zusammenarbeit mit dem „Sozialministerium“ und den Krankenpflegeschulen, die sie „versuchen […] mit ins Boot zu holen“ entwickeln. Sie argumentiert „und das versuchen wir ja nich unbedingt an einzelnen Stunden und Fächern, äh //mhm// festzumachen sondern einfach zu sagen, welche Kompetenzen müssen die Leute wirklich (.) beherrschen, damit sie hier arbeiten können“. Auch hier zeigt sich damit ein Orientierungsrahmen, der dem misstraut, was drauf steht, und danach sucht, was drin steckt. Dass noch etwas gelernt werden muss, damit die Antragstellerinnen „hier“ in den Beruf reinkommen, ist hingegen selbstverständlich. Übereinstimmend mit ihrem fachlichen Orientierungsrahmen unterscheidet sie am Ende des Interviews auch ihre Beziehung zu den Antragstellern in solche, die wollen (hier ist ein Anpassungslehrgang gemeint) und solche, die das nicht wollen: FRAU RUNGE: […] gerade die die wollen, //ja// (.) da find ich dann (.) also da häng ich mich auch gerne rein //ja// die anderen die da wirklich mit Anspruchsdenken sagen warum nich und wieso nich und (.) ähm ja das iss wahrscheinlich wie im persönlichen Leben auch ich muss das machen und ich mach’s dann auch ordentlich, aber ähm (.) da Herzblut rein zu stecken nein. //mhm// da läuft das eben so wie es le- laufen soll, die bekommen alles was sie brauchen und äh ich bemüh mich natürlich auch das fertig zu machen und so weiter aber (.) äh bei denen man sieht wirklich die wollen was und die können das schaffen und ähm (.) das
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steckt man einfach doch ‘n bisschen mehr rein. //mhm ja// und da tut’s mir auch- da tut’s mir auch wirklich dann leid wenn man ihnen das nich bieten kann //mhm// was es was es gibt aber (.) gut auf alle persönlichen (.) //mhm// Sachen da kann man keine Rücksicht nehmen //ja// das geht natürlich nich […] (PFLE (Runge) 1-03: 1269 ff.).
Sie weiß, dass es in ihrer Macht steht, über das „Herzblut“ zu entscheiden, das sie in jemanden „reinsteckt“, während ihre Begrenzung dadurch gegeben ist, dass sie, auch wenn sie möchte, an etwas „was es gibt“ nicht „bieten“ kann. Es ist nicht die Bewertung der Gleichwertigkeit (die unabhängig von ihrer Person im Regelfall zur Feststellung »wesentlicher Unterschiede« führt), sondern die Frage der (Nicht-) Gewährung von Anpassungslehrgängen, bei der sie sich als Akteurin mit einem Handlungsspielraum wahrnimmt. Sie unterscheidet in Bezug auf ihr Engagement zwischen denen, die „wollen“ und die „das schaffen können“, von denen mit „Anspruchsdenken“. Darin zeigt sich, dass sie jenen, die sie als Bemühte, die noch etwas lernen wollen, wahrnimmt, mehr Sympathie entgegenbringt als jenen, die fordernd auftreten. Sie möchte gerne diejenige sein, die bereitwillig hilft, nicht diejenige, von der etwas verlangt wird. Bedauern wird vor allem dann ausgelöst, wenn sie jemandem gern weiterhelfen will, aber aufgrund der begrenzenden Rahmenbedingungen nicht kann. Das ist der Kontext, sozusagen die Rollenverteilung, in der die Interaktion mit den Antragstellerinnen ihrer Erwartung nach stattfinden muss. Das interpretiere ich so, dass sie ihnen auch vor allem dann „Herzblut“ entgegen bringt und die Spanne ihrer Möglichkeiten nutzt, wenn sie sich mit dieser Erwartung konform verhalten. 5.3.2.2 Frau Sachs »Kontextuieren können« steht auch im Interview mit Frau Sachs als Kompetenz im Vordergrund. Frau Sachs ist bei einer Landesarchitektenkammer für die Bewertung von weltweit erworbenen Abschlüssen von Architektinnen zuständig. Ähnlich wie Frau Runge ist sie in der Interaktion vor allem daran orientiert, mir bei meiner Arbeit zu helfen, indem sie mir Zugang zu ihrem Insider-Wissen verschafft. Es geht ihr offensichtlich nicht wie Frau Anton oder Frau Tietz darum, dass ich zu dem Ergebnis komme, dass sie Gesetze kennt und sich an Gesetze hält. Die Vorstellung meiner Forschungsergebnisse, die sich in dem Interview mit Frau Runge und Frau Sachs für mich dokumentiert, ist, dass ihr Kontext-Wissen 1:1 als eine Information und Erkenntnis über den Gegenstand in meine Arbeit übertragen wird. Frau Sachs beginnt ihre selbstläufige Eingangserzählung, ebenfalls ähnlich wie Frau Runge, mit der Beschreibung, dass das Antragsaufkommen mehr geworden ist, und zeigt auf, wie sich ihr Aufgabenbereich deshalb verändert und vergrößert hat.
332 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS FRAU SACHS: […] das ganze Aufkommen der ausländischen Anfragen also der der Anfragen der ausländischen Absolvierer nach ner Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses hat total zugenommen //mhm// in den letzten Jahren (.) ich bin aus dem Grund vor .. Jahren hier eingestellt worden […] weil die Eintragungsabteilung mit ihren Re- Regeleintra- tragungen […] ähm so viel zu tun hatte dass sie mit diesen ganzen Exoten Querschrägfällen auch innerhalb Deutschlands wenn jetzt einer mit Stadtplanung angefangen hat und dann weiter studiert Bachelor Stadtplanung Master Architektur dann passt das nicht zusammen ist nicht konsekutiv so nennt sich das //mhm// kann unter Umständen nich eingetragen werden dafür bin ich eigentlich hier angestellt worden um dass dann zu prüfen, //mhm// also auch mit’m architektonischen Hintergrund zu prüfen aber (.) da sind die ausländischen Anfragen rein gegrätscht […] (ARCH (Sachs) 3-18: 1 ff.).
Es dokumentiert sich die für die Kontextuierungskompetenz typische Orientierung am inhaltlich-fachlichen Gegenstandsbereich. Dass sie auf Basis ihrer Expertise prüfen kann, ob es sich bei den Anträgen auf Eintragung um einen Architekturabschluss handelt, steht im Vordergrund. Frau Runge betonte, dass sie es sich eigentlich ursprünglich nicht ausgesucht hat, das zu machen, nun aber soweit „Fachidiotin“ geworden ist, dass ihre Kollegen froh sind, dass sie es macht. In gewisser Analogie dazu äußert Frau Sachs, dass sie als Expertin für „Exoten“ und „Querschrägfälle“ eingestellt wurde, eigentlich ursprünglich für die inländischen, aber dann „sind die ausländischen Anfragen rein gegrätscht“. Ihre fachliche Expertise, der »architektonische Hintergrund« – hier im Gegensatz zu Frau Runge nicht »on the job« erarbeitet, sondern als formale Qualifikation mitgebracht – ist der Grund, warum es dazu kam, dass sie nun unerwarteterweise auch ausländische Anfragen prüft. Wiederum ähnlich wie Frau Runge rekurriert Frau Sachs unmittelbar danach auf ökonomische Zusammenhänge, speziell wirtschaftliche Krisen, als entscheidende Erklärung für das gestiegene Antragsaufkommen. FRAU SACHS: Wir spüren ganz klar dass die Krise in Europa hier ankommt wir haben sehr viele Absolventen die kommen aus Spanien aus Griechenland Zypern also es iss wirklich eins zu eins, //mhm// im letzten Jahr hatten wir viele Absolventen oder Anfragen aus Syrien (.) Türkei also einfach da wo es brodelt oder wo es wo es nich gut aussieht aufm Markt da versuchen natürlich und das würden wir wahrscheinlich alle so machen ähm die die (.) Architekten die jungen Architekten ähm zu gucken wo kap- kann ich da noch Fuß fassen. //mhm// Also das merken wir dass die Kri- Krisenregionen hier ganz ähm stark an- ansprechen, dann merken wir halt auch dass zumindest im Ausland es so klingt und es iss ja auch so dass es uns in Deutschland noch ganz gut geht ne, EU-Krise und was alles natürlich ständig jeden Tach ähm irgendwie im im Radio Fernsehen zu hören iss also das iss was was im Ausland ankommt. In Deutschland kann man noch irgendwie seinen Lebensunterhalt fristen //mhm// und ich hoff immer wirklich für jeden der hier ankommt das iss halt auch manchmal ‘n ganz persönliches herzliches Verhältnis dass jeder wirklich hier auch Fuß fasst also das hoff ich je-
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dem- (.) ja ganz dringend ich find das sehr tapfer also wenn jemand einfach (.) irgendwo seinen seinen Lebensunterhalt aufgibt und hier also mit mit dem Riesenhandicap Deutsch lernen zu müssen was ja ne ganz verquere schwierige Sprache iss //mhm// also ich wünsch da jedem ähm der den Mut hat oder den Leidensdruck hier anzukommen dass er das auch schafft. //mhm// (.) Und was wir dafür tun können ähm machen wir […] es iss ‘n wichtiger Schritt ähm (.) für jemanden der aus’m Ausland kommt ähm vorlegen zu können ein Zertifikat […] vorlegen zu können bei ner Bewerbung, auf dem drauf steht […] dass der vorgelegte Abschluss formal und inhaltlich gleichwertig ist mit einem deutschen Hochschulstudium der Architektur oder Innenarchitektur Landschaftsarchitektur Stadtplanung […] (ARCH (Sachs) 318: 27 ff.).
In der Art und Weise, wie sie kontextuiert, wird ihre Erfahrung deutlich, dass Frau Sachs sich und ihre Dienststelle als Akteure erlebt, die Wege frei machen und den Antragstellerinnen individuell dabei helfen, ihre Situation zu verbessern. Aus ihren Worten spricht ein hohes Maß an Autonomie, ein Wissen darum, was ist, was zu tun ist und es dann auch tun zu können. Dagegen tritt das Kontextuieren von Frau Runge als Erfahrung der Verwicklung in diverse widersprüchliche Interessen auf, die zu bedenken und zu berücksichtigen sind. Die Unterschiede führe ich vor allem auf die Machtkonstellationen, hier eine unterschiedliche Positionierung im Spannungsfeld der (qualifikationsbezogenen) Marktinteressen, Pflege versus Architektur, ebenso wie in der Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit zurück. Frau Sachs begreift sich als Bestandteil einer institutionellen Einheit, die konzertiert agiert, während Frau Runge eine solche Einheit fehlt. Weitere Ähnlichkeiten zwischen den beiden Interviewten bestehen auch im Hinblick auf die Erwartungen an die Interaktion mit den Antragstellerinnen. Frau Sachs unterscheidet wie Frau Runge die »Motivierten«, deren Begegnungen ihr Freude bereiten, von den »Dreisten«, die ihr das Leben schwer machen. Auf dieses Thema kommt sie im Anschluss an ihre Beobachtung, dass die Antragsteller meistens schon Beziehungen – oft Liebesbeziehungen – nach Deutschland hätten: FRAU SACHS: […] was ich auffällig finde iss dass fast alle Antragsteller die hier sich an uns wenden schon ein Standbein in Deutschland haben. […] Trotz dieser Problematik dass so viele jetzt aus Griechenland oder Spanien hierher kommen weil’s da so schwierig aussieht ähm irgendwie kennt man schon immer mal einen der einen schon kennt oder der dolmetschen kann oder der sich schon erkundigt hat wo die richtige Stelle iss […] Also meistens irgendwie gibt’s schon nen persönlichen Kontakt. Und ganz oft die Verlobte oder der Verlobte […] Was ich auch merke was mir immer großen also wirklich großen Eindruck bereitet iss’n also ‘n gaalso diejenigen die hier landen, oder die hierher kommen sind wirklich auch fleißig und eben und motiviert und idealistisch und ähm schlau super schlau […] ich merke es dann auch über die Monate wie man ja korrespondiert dass dann ganz schnell es auch ähm das finde ich immer so schön auch ne Verbesserung in den Deutschkenntnissen gibt also wird auch erzählt ich
334 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS mach’n Deutschkurs und ich hab jetzt absolviert und ich hab das soundso Diplom in der Sprache […] da merke ich dass halt ne hohe Motivation iss hier wirklich auch Fuß zu fassen bei denjenigen die den Schritt gehen //mhm// ja (2) manche auch nich manche sprechen auch äh (1) es gibt auch Dreiste also muss man auch sagen wir haben immer so alle paar Monate unsere Spezis die wir dann auch schon mit Namen kennen und schon son bisschen an die Decke schielen also ich hab einmal gesagt wir müssen bald auch noch ne ne Heiratsvermittlung aufmachen. Weil dann iss es manchmal so das iss endlich ne Stelle gefunden ja? […] das spricht sich dann auch schon rum also da gibt’s ne Stelle die sprechen auch noch Englisch die schreiben mir Englisch und ähm vielleicht können die mir auch noch ne Wohnung suchen. Das hatte ich alles schon also da denkt man jetzt iss- das iss son Amt, ‘n Amt, äh für Einwanderer für ne, für für für Akademiker die hier herkommen, und wenn die mir jetzt schon das mit meinem Diplom alles geregelt haben, vielleicht können die mir auch noch ähm helfen mit nem Startupkredit ‘n Bankkontakt machen vielleicht können die auch noch mal bei der Hochschule für mich anrufen weil ich dann noch meinen Master obendrauf setzen möchte, und ne Wohnung haben die doch bestimmt auch, und ‘n Job finden se bestimmt auch für mich […] (ARCH (Sachs) 3-18: 511 ff.).
Mit dem „Standbein in Deutschland“, häufig dem Verlobten oder der Verlobten, nennt Frau Sachs neben „Wirtschaftskrise“ einen weiteren Aspekt, der ihr (und mir) die sozialen Zusammenhänge erklärt, warum sie mit jemandem zu tun hat. Dabei helfen zu können, in Deutschland „Fuß zu fassen“, ist ihr ein betont wichtiges Anliegen. Gleichzeitig zeigt sich, wie im Fall von Runge auch, ihre Befürchtung oder Risikowahrnehmung, dass ihre Hilfsbereitschaft ausgenutzt werden könnte, indem viel zu viel von ihr verlangt und erwartet wird. Sie erwartet vor allem Dankbarkeit statt Forderungen nach noch mehr Unterstützung. Sofern sich die Antragstellerinnen diesen Erwartungen gegenüber konform verhalten und ihre Unterstützung dankbar und freundlich annehmen, nehme ich wiederum an, dass Frau Sachs ihre Spielräume im Sinne der Antragsteller voll nutzen wird. Aufschlussreich hinsichtlich meines (auch unbeabsichtigten) Einflusses auf die Interaktion mit Frau Sachs ist das Abschlussgespräch. Ich habe sie gefragt, was sie im Vorfeld geglaubt habe, was ich sie fragen werde. Sie nimmt Bezug zu ihrem Verständnis von Soziologie und formuliert, dass ich mich vor allem für „das Zwischenmenschliche“ interessieren werde: was sie als Ansprechpartnerin über die Bedingungen und Motivationen der Antragstellerinnen sagen könne, warum jemand hierher kommt. Das habe sie mir erzählt, weil sie das auch jeweils detailliert erfahre. Es gäbe ein großes Mitteilungsbedürfnis von Seiten der Antragstellerinnen, als ob sie erstmal erklären müssten, warum sie überhaupt hier arbeiten möchten. Ähnlich wie Frau Runge, sieht sie sich als Informantin, die über ein selten zur Sprache gebrachtes Kontext-Wissen verfügt, das mich als Soziologin, wie sie es versteht, interessieren muss. Dass sie mich als Bewertende, insbesondere ihr Umgang mit den Handlungsspielräumen, interessieren könnte, ist in der Interview-Situation nicht
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präsent und scheint sehr weit entfernt. Das unterscheidet die Kompetenz »Kontextuieren können« für mich von der Kompetenz »Reflektieren können«. 5.3.3 »Zu meinem Befremden habe ich es in der Hand« – Reflektieren können Die Handlungskompetenz »Reflektieren können« beinhaltet ein Bewusstsein, dass in der Praxis unumgänglich Handlungsspielräume bestehen, für die sie qua Position Verantwortung tragen bzw. zu einem relevanten Anteil mittragen. Im Gegensatz zu der Handlungskompetenz »Reproduzieren können« oder später noch »Transformieren können« stellt diese Kompetenz eine allgemeingültige »richtige« Lösung des Problems grundsätzlich infrage. Es kann sich nur um Annäherungen handeln, die immer einer Perspektivität unterliegen und dadurch in ihrer Legitimation per se auch fraglich und streitbar bleiben. Während die Handlungskompetenz »Reproduzieren können« den stärksten Kontrast zu meinem methodologischen Orientierungsrahmen darstellt, sehe ich in der Kompetenz »Reflektieren können« die größte Übereinstimmung. Damit ist nicht gesagt, dass ich den in diesem Abschnitt aufgezeigten Interview-Sequenzen im Sinne des explizit geäußerten Wissens zustimme. Ich sehe Ähnlichkeiten insbesondere in der Art und Weise, wie die Interviewten in den Gegenstand einführen und ihr Wissen entfalten. Es handelt sich womöglich um ein geteiltes konstruktivistisches Weltbild. Dass ich ausgerechnet die Kompetenz, die mein eigenes Weltbild am ehesten reproduziert, als »Reflektieren können« bezeichne, spricht gewissermaßen für sich. Die Handlungskompetenz »Reflektieren können« stelle ich ebenfalls anhand von zwei Interviews, mit Frau David und Herrn Kuhn, dar. Frau David ist für die Bewertung von Ärzten und Herr Kuhn für die Bewertung von Architekten zuständig. Neben Unterschieden, die durch ihre Institutionen bedingt sind, unterscheiden sie sich insbesondere darin, dass Herr Kuhn als Architekt Architekten bewertet, während Frau David keine Medizinerin ist. 5.3.3.1 Frau David Frau David ist seit mehreren Jahren bei einer Landesbehörde für die Bearbeitung von Anträgen von Ärzten mit ausländischen Abschlüssen zuständig. Es steht keine Erzählung über ihren Werdegang am Anfang es Interviews, weil ein unmittelbarer thematischer Einstieg erfolgte. Sie beginnt mit einer langen selbstläufigen Erzählung, bevor ich meine Einleitung zu Ende führen konnte. Die Kongruenz unserer Perspektiven bestätigt sich bereits im ersten Satz. Sie steigt ein, indem sie die Relevanz der von mir formulierten Fragestellung validiert.
336 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS INTERVIEWERIN: Das Thema Anerkennung @(.)@ genau. ähm ich hab mich (.) ähm mit (.) Gesetzesgrundlagen und Studien zu dem Thema (.) so einigermaßen beschäftigt und die Frage die ich da nich beantwortet gekriegt hab wie das eigentlich in der Praxis läuft. also wie (.) macht man das eigentlich wenn man (.) //mhm// vor der Frage steht iss ein ausländisch- iss eine ausländische Ausbildung gleichwertig zu dem deutschen Äquivalent, sind da wesentliche Unterschiede gegeben oder nich. also wie (2) wie machen das die Menschen die tatsächlich diese Frage beantworten @müssen@ @(.)@ also das das interessiert mich. //ja// also wie wie wie wie wie iss dann verf- wie iss das Verfahren, was kann man da für- (1) was hat man da für Hilfsquellen was hat man da für Methoden um das irgendwie (1) zu begutachten. (1) das iss so der- (.) die Fra- große Frage die mich @(.)@ #zu den-# FRAU DAVID: #Um ganz# ehrlich zu sein die bewegt uns auch @jeden Tag@, weil das alles sehr viel komplizierter geworden //mhm// iss in den letzten Jahren dadurch dass immer mehr (.) Vorschriften Gesetze Gesetzesänderungen Schlag auf Schlag gekommen sind (1) wird das (.) mitunter ‘n bisschen unübersichtlich mittlerweile //mhm// und ähm (.) ein weiteres großes Problem iss dass (.) Gesetze (.) auslegbar sind, und dass (.) hoch lebe der Föderalismus, //mhm// ähm in vielen Bundesländern das zwar ähnlich aber nicht identisch gehandhabt wird. //mhm// und ähm (1) natürlich hat man seine Fachaufsicht die dann bestimmte Richtlinien entwirft wo man sich dann dran orientieren soll, es gibt verschiedene (.) Gremien, wo man sich austauscht, auf (.) Länder- und Bundesebene, //mhm// und versucht eine etwas einheitliche Linie zu fahren, (.) ja (.) das sind so die (2) die Gremien die einem da ein bisschen beratend zur Seite stehen, //mhm// dann gibt es die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, (.) die (2) in Zweifelsfällen dann äh gutachterlich einem zur Seite stehen kann, aber auch nich unbedingt (2) Vollständigkeit garantieren kann auch nich unbedingt Aktualität also (.) //mhm// das (.) ist mitunter dann auch schwierig aktuelle (1) Gutachten zu kriegen, //mhm// und (.) es dauert (.) sehr lange bis man da unter Umständen ein Ergebnis bekommt, was dann @auch@ leider nich immer befriedigend iss weil (.) es=es liegt manchmal so in der Sache. //mhm// (.) dass (.) bestimmte Länder, jetzt also wir hatten [A-Staat] vor einigen Jahren ganz aktuell, wo Kriegswirren und Unruhen sind, //mhm// das iss enorm schwierig dort (.) Informationen her- (.) -zubekommen. //mhm// die Leute die hierher kommen und dann einen Antrag stellen, weil sie in ihrem Heimatland Medizin studiert haben und auch (.) als Arzt oder Ärztin tätig waren, (.) wollen hier natürlich ne neue Existenz aufbauen, aber die (.) sind in der Regel (3) mit Ausnahme der Kleidung die sie auf dem @Leib@ getragen haben nicht unbedingt //mhm// mit Dokumenten ausgestattet nich und es iss ganz schwer da (.) dann irgendwas herauszufinden, was (.) das Ganze begründet und dann (.) geht die ganze Maschinerie sozusagen los, wir hatten also ich hatte einen Fall zum Beispiel, (.) der ähnlich gelagert war, und die Dame hatte dann (3) jetzt mittlerweile iss es das dritte Diplom @was sie@ einreicht, //mhm// ähm (.) diese Sachen vorgelegt, und äh (2) niemand konnte sagen, ob das tatsächlich mal so ausgestellt worden iss, weil (.) //mhm// Bildungsministerium Gesundheitsministerium (.) keine Unterlagen mehr hatte, waren also zum Teil ausgebombt, zerstört unwiederbringlich //mhm// dann verloren gegangen, (2) äh dann hatte man versucht mit der deutschen Botschaft
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vor Ort in [Hauptstadt von A-Staat] da Kontakte herzustellen, dann mussten da also seitenlange Fragebögen ausgefüllt werden von der Antragstellerin, wo sie dann möglicherweise Zeugen Eltern (.) Freunde Bekannte (.) benennen musste die man dann dort vor Ort befragt hat, (.) //mhm// ob das dann alles so der Wahrheit entspräche und (.) also es iss immens aufwändig was da //mhm// manchmal (.) betrieben wird. und dann (.) dann kann man sagen das iss nicht verhältnismäßig man (.) kommt in die andere Richtung der Prüfung dann //mhm// zu sagen so (.) äh wir haben alles versucht jetzt das rauszufinden wir können es definitiv nicht und dann wird an Eides Statt versichert ja ich habe diese Ausbildung gemacht und dann muss derjenige das unter Beweis stellen. //mhm// (1) das iss also so’ne ganz (.) harte @Variante@ sag ich mal wo man auch wirklich nichts machen kann dann […] (ÄRZ (David) 1-04: 1 ff.).
Es dokumentiert sich, dass ich mit der Formulierung meines Forschungsinteresses, hier als Erzählstimulus gedacht, gewissermaßen »ins Schwarze« getroffen habe. Sie versteht sofort und kann den Ball sofort aufnehmen. Frau David gesteht „Um ganz ehrlich zu sein, die [Frage] bewegt uns auch jeden Tag“. Für mich auffällig und überraschend ist, dass ich meinen Erzählstimulus hier wesentlich näher an meiner Forschungsfrage formuliert habe als in den meisten anderen Interviews. Womöglich habe ich schon vor dem eigentlichen Beginn des Interviews implizit gewusst, dass ich anders, offener reden kann. Frau David ist klar, dass von ihr eine Antwort auf diese Frage erwartbar wäre und dass es in ihrer Position auch einer gewissen Ehrlichkeit bedarf, die Legitimität der Frage als solche zu bestätigen. Als Expertise dokumentiert sich, dass sie mir trotz ihres (expliziten) Wissens um die Existenz jener Institutionen und Gremien, die immer wieder Antworten auf diese Frage formuliert haben, keine abschließende Lösung oder Antwort anbieten kann. Es zeigt sich ein Handlungsprozess des Suchens und Versuchens, der letztlich darauf abzielt, niemanden „irgendwo vor dem Nichts“ „sitzen“ zu lassen, wie sie kurz nach der abgedruckten Passage im Interview sagt, während die Rahmenbedingungen, unter denen dieser Prozess stattfindet, für sie undurchsichtig sind und durch ständige Veränderungen auch noch undurchsichtiger werden. Deutlich wird dieser unabgeschlossene Prozess des Suchens und Versuchens durch eine Fülle relativierender Formulierungen, wie (um nur einige zu nennen) „zwar ähnlich aber nicht identisch“, „natürlich hat man seine Fachaufsicht die dann bestimmte Richtlinien entwirft wo man sich dann dran orientieren soll“, „versucht eine etwas einheitliche Linie zu fahren“, „ein bisschen beratend zur Seite stehen“ sowie „und in Zweifelsfällen dann äh gutachterlich einem zur Seite stehen kann, aber auch nich unbedingt (2) Vollständigkeit garantieren kann auch nich unbedingt Aktualität“ und viele mehr. Ihre Aussagen basieren fast durchgängig auf der generalisierenden Formulierung „man“, um notwendige Abläufe und Abwägungen zu beschreiben. Darin zeigt sich, dass dieses »Tappen im Dunkeln« für sie nichts mit ihrer fachlichen Kompetenz zu tun hat, wie es Frau Runge zum Teil nahelegte, sondern eine Konsequenz
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„der Sache“ ist, wie sie selber sagt. Es gilt somit allgemein, wenn man mit dem Gegenstand zu tun hat. Von sich selbst als „ich“ spricht Frau David zum einen bezogen auf einen bestimmten Fall „wir hatten also ich hatte einen Fall zum Beispiel“, worin sich zeigt, dass die Bearbeitung von einzelnen »Fällen« zutreffender einem „ich“ als einem „wir“ entspricht. Das implizite Wissen von Frau David besteht darin, dass zwar viele konkrete oder auch anonym bleibende andere an dem Bewertungsverfahren beteiligt sind, aber sie letztlich niemand von der endgültigen Verantwortung befreit. In dem Beispiel der Ärztin aus A-Staat dokumentiert sich, diesem tätigkeitsbezogenen Orientierungsrahmen entsprechend, dass als „ganz harte Variante“ nicht das Finden und Lösen, sondern die Erkenntnis „wir können es definitiv nicht“ das Ende ihres Suchprozesses herbeiführen. „Prüfung“ und das „unter Beweis stellen“ tritt in diesem Zusammenhang als eine Notlösung in Erscheinung. Im Kontext von bewertenden Äußerungen verwendet Frau David auch häufig den Ausdruck „sag ich mal“. Darin zeigt sich zum einen, dass sie es als etwas forsch oder gewagt empfindet, eine Bewertung auszusprechen, und zum anderen die für sie damit verbundene situative Vorläufigkeit. Sie spricht im weiteren Verlauf des Interviews dann davon, dass man „ansonsten ganz genau gucken und sehr sorgfältig arbeiten [muss], in welche Kategorie der Antragsteller da nun fällt“ (ÄRZ (David) 1-04: 63 f.). Es geht zum einen um die Unterscheidung zwischen EU-Ländern und Drittländern und zum anderen darum, dass sich die Kategorien und der Status, immer wieder ändern können, bspw. weil Ehen geschieden werden oder der Flüchtlingsstatus entfällt. Sie schließt mit der Eingangserzählung ab, indem sie formuliert: FRAU DAVID: […] muss da ein bisschen flexibel und auch ein bisschen @erfinderisch sein sag ich mal um@ um den den Leuten da zu helfen also die sitzen ja dann auch irgendwo vor dem Nichts nachher wenn (.) //ja// wenn die Paragrafen ausgereizt sind dann muss man schauen, (.) wo man da ne Lücke noch findet dass man die auch weiter dann (.) halten kann […] (ÄRZ (David) 1-04: 97 ff.).
Nachdem sich ihre Orientierung zeigt, möglichst Gründe zu finden, die für eine Anerkennung sprechen, stelle ich die Frage „wie läuft jetzt genau dieses Verfahren“ (ÄRZ (David) 1-04: 117 ff.). Darin zeigt sich, dass ich ihre lange Eingangserzählung noch nicht als Antwort auf die von mir formulierte Frage erkannt habe. Sie beginnt dann von einer „Liste“ zu erzählen, die Länder nach der Gleichwertigkeit der Abschlüsse kategorisiert. Sie beschreibt kurz einige klare Vorgaben, die diese Liste macht, zum Beispiel dass man in der ersten Kategorie an Ländern nichts mehr inhaltlich prüfen muss oder dass Traditionelle Chinesische Medizin „definitiv nicht äquivalent“ ist. Nach einem kurzen Exkurs zum Eindeutigen, von anderer Stelle klar Vorgegebenen, wechselt sie, sobald sie zu der Kategorie von Ländern kommt, die eine Prüfung der »Gleichwertigkeit« verlangt, wieder in den Modus der Ein-
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gangspassage mit einer ähnlichen Häufung an Relativierungen. Sie erwähnt nach diesem homologen Muster das Auszählen von Stunden und Fächern, spricht von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, von Erfahrungen anderer Bundesländer, von der Suche nach möglichen sachkundigen Gutachterinnen und den grundsätzlichen Grenzen dieser Vergleichsmethode infolge einer ganz anderen Ausbildungsstruktur. Als „sehr hilfreich“ bewertet sie die Otto-Benecke-Stiftung, die sich mit „gute[r] Erfolgsquote glaub ich“ um Prüfungsvorbereitungen zum Ausgleich der eindeutig identifizierbaren Defizite bemüht. Nach einem entlastenden „dann war’s das“ kommt sie dann zu einem Superlativ der Orientierungslosigkeit und dem erneut damit einhergehenden Eingeständnis, in bestimmten Fällen auch beim besten Willen nichts tun zu können: FRAU DAVID: […] aber (.) //mhm// es gibt eben auch (.) ähm (.) sehr exotische Länder wo man (.) wirklich keine Erfahrungswerte hat wo man (.) also ganz ganz (.) schwierig nur an Informationen gelangt und wo man sich also auch (.) sacht wie wie geht das jetzt wo=wo kann man da ansetzen nich //mhm// also wenn (.) ähm (.) das nicht so strukturiert ist wie wir es kennen sondern eine starke Vermengung schon am Anfang stattfindet, das auseinanderzudividieren und zu sagen so der hat aber jetzt (.) so und so viel Stunden in dem Fach und so und so viel Stunden in dem anderen Fach, studiert, (2) ja kann man nich nachweisen in dem Moment nich wenn es- ((räuspert sich)) oder wenn Fächer ne ganz andere Bezeichnung haben oder wenn sich die (.) äh die Inhalte (.) mmm anders (.) zusammensetzen und (.) die sich hinter einer Bezeichnung verbergen die für uns ungewöhnlich iss oder mit der wir selber auch nichts anfangen können. //mhm// also das iss dann schon sehr sehr schwierig […] (ÄRZ (David) 1-04: 180 ff.).
Sie beschreibt eine Ohnmacht, die sie belastet, weil sie sich der Wirkmächtigkeit bewusst ist, die das Nichtstun hat, dass sich die Tür dann nicht öffnet und es für die Antragsteller nicht weiter geht. Während zum Beispiel für Frau Runge die Möglichkeiten und Grenzen in ihrer eigenen Fachkompetenz liegen, sieht Frau David das Problem in der aus ihrer bzw. unserer Standortgebundenheit („für uns ungewöhnlich“, „mit der wir selber auch nichts anfangen können“) resultierenden mangelnden Vergleichbarkeit. Die Wirkmächtigkeit des nicht beurteilen Könnens macht nicht nur ihre Person, sondern potenziell kollektiv ohnmächtig. Analog dazu antwortet sie auch ganz explizit und selbstreflexiv auf meine exmanente Frage nach gewünschten Veränderungen: FRAU DAVID: […] ich bin da ja radikal und sehr egoistisch, äh was den Arbeitsaufwand angeht ich würde (.) alle ganz egal woher und äh mit welcher Ausbildung oder wie auch immer, ein entsprechendes Examen schreiben lassen //mhm// und dann sagen so- also so analog wie es die USA zum Beispiel macht //mhm// auch da müssen die deutschen Ärzte genauso so’ne Prüfung ablegen. Das müssen die Kandidaten aus den USA nicht hier bei uns. //mhm//
340 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS (.) also (.) und insofern finde ich das einfach am gerechtesten. //mhm// (.) (.) ähm (.) bevor man überhaupt die die Tätigkeit aufnimmt, //mhm// (1) also das wäre (.) eigentlich das Optimalste […] (ÄRZ (David): 1-04: 832 ff.).
In dieser Äußerung wird zum einen deutlich, dass sie nicht nur den Arbeitsaufwand, sondern auch die damit verbundene Verantwortung nicht haben möchte. Sie würde sich wünschen, dass „alle ganz egal woher“ von jemand anders und auf andere Art und Weise geprüft werden, durch ein Examen. Aus ihren Worten spricht hier auch, dass es schwer fällt, zu rechtfertigen, warum die Herkunft der Ausbildung unterschiedliche Verfahrensweisen begründet. Zum Ende des Interviews reflektiert sie die mit ihrer Position einhergehende Verantwortung in globalen Bezügen. Sie spricht davon, „politische Weltgeschichte“ nicht nur „hautnah“ mitzuerleben, sondern nicht zuletzt auch „mittendrin in dem Geschehen“ zu sein: FRAU DAVID: […] wir haben hier […] (.) schwerpunktmäßig (.) früher zumindest die skandinavischen Länder gehabt .. das hat sich jetzt ‘n bisschen (.) bisschen äh relativiert jetzt ziehen- zieht es eher die deutschen Ärzte @nach Skandinavien, wegen der doch@ besseren Arbeitsbedingungen, und wir haben dann ne Zeitlang sehr viele rumänische Bewerber gehabt, und äh (1) ja (.) jetzt durch die (1) Staatskrise in Syrien sind also viele (1) syrische Ärzte die hier (.) zunächst einfach nur ne Weiterbildung angestrebt haben und versuchen jetzt hier so (.) zumindest die Zeit zu überbrücken bis da wieder Ruhe eingekehrt iss. //mhm// also (.) man bekommt politische Weltgeschichte durchaus hautnah mit, //mhm// das iss also- und und so denkt man immer wenn man’s im Fernsehen sieht es iss (.) weit weg und alles (.) iss in Ordnung nich, wo iss mein Abendbrot und (.) ähm (.) wenn man dann hier jemanden sitzen hat der aus dem Land kommt oder jemanden gerne unterbringen möchte der da unbedingt weg will was man ja auch wirklich verstehen kann, //mhm// ähm dann iss man da auf einmal mittendrin in dem Geschehen […] (ÄRZ (David) 1-04: 953 ff.).
Die „Staatskrise in Syrien“ ist ihr gerade deshalb „hautnah“ präsent, weil sie Antragsteller aus Syrien hat, die als Ärzte anerkannt werden wollen. Ansonsten würde sie diese (und andere) Krisen mutmaßlich nur im Fernsehen sehen, für weit weg halten und dabei ihr Abendbrot essen, reflektiert sie ihre privilegierte Situation. Zum anderen zeigt sich hier auch die Auseinandersetzung, nicht nur eine hautnahe Beobachterin der „Weltgeschichte“ zu sein, sondern auch „mittendrin im Geschehen“ als Bewerterin, die im Rahmen ihrer Tätigkeit darüber mit entscheidet, ob jemand „der da unbedingt weg will“ auch da weg kann. Es zeigt sich das implizite Wissen, dass sie, deren Welt „in Ordnung“ ist, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit „mittendrin“ ist in der Verantwortung, ob jemand, dessen Welt nicht in Ordnung ist, daran teilhaben darf.
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5.3.3.2 Herr Kuhn Die Reflektion der eigenen Position und Verantwortung ist auch im Interview mit Herrn Kuhn als dominierende Kompetenz präsent. Er ist als Angestellter einer Architektenkammer für die Bewertung ausländischer Qualifikationen zuständig, unter anderem indem er Stellungnahmen für den Eintragungsausschuss schreibt. Das Interview mit ihm fand im Frühjahr 2013, etwa ein Jahr nach dem Interview mit Frau David, statt. Auch in diesem Interview kam es zu keinem Erzählstimulus meinerseits. Die lange selbstläufige Eingangserzählung begann bereits aus dem anfänglichen Small Talk heraus, noch bevor das Aufnahmegerät eingeschaltet war. Auch hier wird bereits anfangs sehr deutlich, dass er sich in der Praxis irgendwie mit dieser Aufgabe zurechtfinden muss, während ihm eine verlässliche Orientierung dazu fehlt. Analog zu Frau David validiert er bereits in seinen ersten Sätzen meine Fragestellung, indem er deutlich macht, dass er sich die Frage im Grunde auch stellt, wie das eigentlich läuft oder zu laufen hat. HERR KUHN: @(.)@ Also ich ich hab nämlich so’n bisschen den Eindruck dass äh- oder weil ich nun eben auch Architekt bin und kein Jurist und äh ich glaub das hatt ich auch gesagt dass wir hier womöglich auch hausintern hier manchmal ‘n bisschen unterschiedliche (.) Auffassungen oder Zuständigkeiten haben und manchmal gar nich so ganz klar iss wer wer macht hier eigentlich gerade was und //ja// äh ((holt Luft)) äh zum Beispiel um um diese Geschichten mit diesen [Landesanerkennungsgesetzen, I.S.]- äh hab hab ich mich überhaupt nich mehr gekümmert weil das auch auf nem oft ganz abstrakten und und weltfremden Niveau läuft was da eigentlich diskutiert wird und um was es eigentlich geht, ((holt Luft)) ich hab das gerade gestern auch noch mit nem- mit einem unserer Juristen, äh (.) äh hatten wir es so einfach in der Kaffeepause so beiläufig […] dass dies Thema ähm mit=mit der europäischen Anerkennung (.) und das iss ja wenn man so will überhaupt (nur) der Kernbereich dessen was//mhm// äh um um das dann die die g-globale Betrachtung drum rum wächst, äh (.) da- dass schon das ähm für unseren Justitiar zum Beispiel der der hat irgendwann mal zu erkennen gegeben dass er eigentlich nicht mehr genau durchsteigt was auch in unserem .. Architektengesetz da drin steht //ja// ähm (.) aber dass es auch eigentlich keine große Relevanz hat weil es gibt diese Fälle kaum mal und wenn dann werden die einzeln angefasst und angeguckt und dann oft auch mit ner gewissen Großzügigkeit im Grunde behandelt und (.) äh dass da aber grad die europäische äh äh äh ähm Gesetzgebung irgendwie so mittlerweile völlig entrückt (.) äh @(.)@ Dinge regelt die wie gesagt in der Praxis keine Relevanz haben. //ja// ähm (.) ja insofern also wir- (.) oder vielleicht jetzt auch meine Denke als Architekt iss dann erstmal dass ich eigentlich von dem ausgehe was wir über vierzig Jahre hier in [Bundesland] gemacht haben, ähm was quasi den [Bundesland] Architekten so erstmal betrifft […] (ARCH (Kuhn) 111: 5 ff.).
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Die selbstläufige Eingangserzählung beginnt mit Bewertungen, dass für ihn in Bezug auf die rechtlichen Grundlagen vieles völlig unklar sei und die juristischen Diskussionen generell „abstrakt“ und „weltfremd“ seien. Es zeigt sich auch das Unbehagen, nicht so recht zu wissen, was das soll und wo es hinführt. In seiner Distanzierung hebt er hervor, dass dies womöglich durch seine Profession, Architekt und nicht Juristin zu sein, perspektivisch bedingt ist, ergänzt jedoch, dass auch der hausinterne Justiziar „irgendwann mal zu erkennen gegeben [hat] dass er eigentlich nicht mehr genau durchsteigt“. Das sei wiederum aber auch gar nicht so relevant, weil es „diese Fälle“ eigentlich kaum gäbe und wenn, dann würden sie sowieso „einzeln angefasst und angeguckt und dann oft auch mit ner gewissen Großzügigkeit im Grunde behandelt“. Seine Suche nach Orientierung (und gewissermaßen auch Resignation, sie zu finden), hängt für ihn damit zusammen, dass das institutionelle Gefüge um ihn herum in permanenter Bewegung und Veränderung ist. In dieser Wahrnehmung ähnelt er Frau David, auch wenn sie im Konkreten von anderen Institutionen sprechen. Später im Interview mit Herrn Kuhn ist noch die Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen sowie die immer wieder veränderten EURichtlinien Thema, die letztlich diese Bewegungen, Veränderungen und damit auch letztlich seine Irritationen auslösen. In der Verunsicherung gibt ihm das Wissen darum, selbst Architekt zu sein, das heißt die Vergegenwärtigung seiner eigenen professionellen Perspektive, den entscheidenden Halt in seinem Handeln. Gleichzeitig entfernt sie ihn von der unter Juristen geführten Diskussion. In der umstrittenen Frage, was eigentlich einen Architekt ausmacht, hält er sich erstmal an dem fest, was schon lange – seit über 40 Jahren – Bestand hat (und seine eigene Ausbildung geprägt hat). Die Ähnlichkeiten zwischen Frau David und Herrn Kuhn werden für mich auch dadurch erkennbar, dass sie zum einen meine Fragestellung (besser als alle anderen) verstanden haben, dass ich mich für sie als Handelnde und Bewertende interessiere. Zum anderen ist ihre Reaktion darauf jeweils, dass sie im Grunde auch keine Antwort darauf haben. Ihre Antwort ist vor allem eine reflexive Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Suchprozess nach einer Antwort. In folgendem Auszug werden das Bewusstsein um die Verantwortung und unumgängliche Handlungsspielräume besonders deutlich. Herr Kuhn spricht hier davon, die Stellungnahmen für den Eintragungsausschuss zu verfassen, der sich dann auch in der Regel daran halten würde. HERR KUHN: […] und immer dann wenn dann eben nich klar iss ähm was iss das jetzt für ne Ausbildung und das nimmt eben jetzt wirklich überhand also so dass //mhm// ich mich manchmal frage wo führt das eigentlich für mich jetzt hin, //mhm// weil ich eben am laufenden Band jetzt diese Anfrage kriege ähm sowohl inländisch als auch ausländisch und da hat jemand was ganz Komisches und Kombination aus A und B und C und (.) //mhm// ähm dann (.) ähm krieg ich das eben auf den Tisch gelegt und äh (.) und schreib dann eben so ein bis
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zwei Seiten Stellungnahme für den Eintragungsausschuss, (.) ähm damit der dann- also das iss für den auch nur ne Empfehlung, aber die Folgen dieser Empfehlung dann eben doch in der Regel insofern @hab ich das dann@ zu meinem eigenen Befremden muss ich sagen hab ich das doch ziemlich in der Hand was dann da passiert […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 535 ff.).
Die Aussage „zu meinem eigenen Befremden muss ich sagen hab ich das doch ziemlich in der Hand was dann da passiert“ steht prototypisch für die Reflexionskompetenz. Er ist es gewohnt, dass seinen Stellungnahmen vertraut wird, sodass dies mit einer unmittelbaren Verantwortung für die weitreichende Entscheidung einhergeht, ob eine Ausbildung anerkannt wird oder nicht. Ähnlich wie Frau David ist Herrn Kuhn bewusst, dass an seiner Bewertung sehr viel hängt, was wiederum auch Ursache für Zweifel an seinem Handeln ist. Neben den Ähnlichkeiten in der mir vermittelten Reflexionskompetenz dokumentieren sich in den Interviews auch Unterschiede. Ich führe sie zum einen auf die formale Ausbildung der Interviewten und ihre (Nicht-) Deckungsgleichheit mit den bewerteten Qualifikationen und zum anderen auf die institutionellen Rahmenbedingungen ihrer bewerteten Berufsgruppen zurück. Frau David ist in ihrem Suchprozess als Nicht-Medizinerin gewissermaßen belasteter als Herr Kuhn, der sich als Architekt im Zweifel an dem orientiert, was immer schon ein Architekt war. Frau David macht die Auslegbarkeit von Gesetzen zu schaffen, während Herr Kuhn sich davon distanziert, damit etwas zu tun haben zu wollen. Frau David bezeichnete es in dem Zusammenhang mitunter auch als „radikal“ und „egoistisch“, ihren Arbeitsaufwand reduzieren und ihre Aufgabe am liebsten abschaffen zu wollen. Die Konzeption der »Gleichwertigkeitsprüfung« als eine Aktenprüfung, die diverse Verfahrensunterschiede beinhaltet, würde sie, wenn sie könnte, überflüssig machen. Dagegen hat sich Herr Kuhn im Verlass auf seine fachliche Intuition ganz bequem auf einem Platz zwischen Sicherheiten und Unsicherheiten eingerichtet. HERR KUHN: […] also das ham Sie jetzt so rausgehört dass die diese rechtliche Ebene (.) ähm ich will damit eigentlich nich so richtig viel zu tun haben ich find die unglaublich abstrakt und sie sie hilft einem nich weiter und deswegen äh iss wahrscheinlich manchmal gefährlich was ich da mache dass ich da dilettiere dass ich das ((holt Luft)) dann dann so laufen lasse ähm (.) aber okay das iss das iss vielleicht ne spezielle Architekteneinstellung auch also so arbeiten Architekten eben auch in der Praxis äh weil man mit mit dem was an an rechtlichen Dingen einen Architekten umgibt äh kann man schlichtweg nich mehr zurechtkommen. (.) also bei jedem Stein den ich auf den anderen setze hab ich automatisch zwanzig bis dreißig DIN-Normen die mich dann irgendwann umgeben, die ich nich wirklich kennen kann das heißt ich muss drauf bauen, das hat bisher immer so funktioniert und äh (.) wird schon irgendwie funktionieren und dies dieses Dilettieren iss unglaublich //mhm// gefährlich aber es funktioniert erstaunlicherweise […] (ARCH (Kuhn) 1-11: 753 ff.).
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Es sei „wahrscheinlich manchmal gefährlich“, dass ihm „diese rechtlichen Ebenen“ so fremd sind und er „damit eigentlich nich so richtig viel zu tun haben will“. Was er macht, nennt er „Dilettieren“ und „laufen lassen“, weil er nicht alle „DINNormen“ kennen kann. Nichtsdestotrotz kann er auf die Erfahrung bauen, die auch die Praxiserfahrungen von Architekten ausmacht, dass es „bisher immer so funktioniert habe“. Im Gegensatz zu Frau David, die die Prüfung lieber in andere, fachlich kompetentere Hände geben und kompetenzbasiertere Verfahren überführen würde, hat Herr Kuhn die Selbstsicherheit eines erfahrenen Berufsangehörigen, dass es am Ende trotz allem irgendwie doch ganz gut aufgehoben bei ihm ist. 5.3.4 »Berlin und Brüssel sind praxisfern« – Kritisieren können Als Handlungskompetenz »Kritisieren können« bezeichne ich das Äußern von Kritik an Regeln und Regelmachern, was »falsch« konzipiert und in dieser Form »nicht praktikabel« ist. Es handelt sich um die Fähigkeit, die Sinnhaftigkeit von Regeln auf Basis des eigenen Erfahrungswissens zu hinterfragen. Der Tenor der Kritik der Praktikerinnen ist, dass ihr Wissen die formal übergeordneten Bürokraten, Juristen und Politiker nicht oder nur pro forma interessiert und, sofern sie sich äußern, sie nicht (ausreichend) gehört werden. In Konfliktsituationen mit den Antragstellerinnen werden sich die Kritikerinnen nach meiner Einschätzung auch im Zweifel davon distanzieren, die Regeln nicht gemacht zu haben, und ihre jeweilige Meinung kundtun. Die Handlungskompetenz »Kritisieren können« dokumentiert sich ebenfalls in den meisten Interviews auf die eine oder andere Weise. Häufig tritt sie erst gegen Ende des Interviews, auf Nachfragen oder als eine Art Fazit in Erscheinung. Ich werde in diesem Abschnitt anhand der Interviews mit Frau Conrad und Herrn Meyer zwei Beispiele aufzeigen, in denen das »Kritisieren können« von Anfang an und von den Interviewten selbstläufig initiiert als Modus der Wissensvermittlung im Vordergrund stand. Auch in Bezug auf den Inhalt der Kritik zeigen sich bestimmte Ähnlichkeiten, auch wenn Frau Conrad Anträge von Architekten und Herr Meyer Anträge von Ärztinnen bearbeitet. Wie bei den zur Reflexionskompetenz herangezogenen Interviews sehe ich einen relevanten Unterschied zwischen beiden dadurch gegeben, dass sie derselben Berufsgruppe angehört und er nicht. Darauf führe ich auch zurück, dass Herr Meyer in seiner Kritik sehr viel belasteter ist als ich dies im Fall von Frau Conrad erkennen kann.
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5.3.4.1 Frau Conrad Frau Conrad ist als Angestellte einer Architektenkammer für die Eintragung in die Architektenliste und damit auch die Bewertung von ausländischen Qualifikationen zuständig. Die Handlungskompetenz »Kritisieren können« zeigt sich bereits mit dem Einstieg ins Interview. Nach meinem Erzählstimulus beginnt Frau Conrad nicht wie andere Interviewte mit einer inhaltlichen Antwort, sondern vergewissert sich zunächst, dass ihre Aussagen auch anonym bleiben. FRAU CONRAD: Und Sie sagten Sie bereiten das nachher anonym auf? INTERVIEWERIN: Genau FRAU CONRAD: Das heißt wenn ich Ihnen jetzt was erzähle, was auch strittig iss gegebenenfalls mit meinem Chef, (.) weil wir streiten uns ja über diese Themen auch //ja// dann erscheint das nicht nachher in irgendeinem Bericht […] (ARCH (Conrad) 2-12: 39 ff.).
Mit ihren ersten Worten macht sie deutlich, dass sie etwas zu sagen hat, das „strittig“ ist und das vielleicht auch im Widerspruch zu der Meinung ihres Chefs steht. Sie führt das Thema damit als ein Streitthema ein. Den Streit hätte sie nicht mehr unter Kontrolle, wenn Aussagen in irgendeinem Bericht auf sie zurückgeführt werden können. Damit zeigt sich noch vor dem inhaltlichen Einstieg die Kritikkompetenz als wesentlicher Orientierungsrahmen, Schwierigkeiten zu erkennen und anzusprechen (sowohl mir gegenüber als auch – berichtet – in Auseinandersetzung mit dem Chef). Die Kompetenz »Kritisieren können« zeigte sich darüber hinaus auch in der anfänglichen Interaktion vor Beginn des Interviews. Dass ich nach dem Anklopfen an der Bürotür nicht sofort eintrete, kommentiert sie unmittelbar mit: „so vorsichtig?“. Ebenso gibt sie kurz danach zu erkennen, dass die Auswahl des Stuhls, an dem ich Platz nahm, nicht ihrer gewohnten Erwartung bei Besuch entspricht. Sie zögerte nicht, zu benennen, was ihr auffällt, bzw. spontan fremd ist. Die Interaktion im Interview mit Frau Conrad ist daher gerade anfangs auch eher durch ein etwas skeptisches Herantasten geprägt, wie es auch in ihrer Vergewisserung der Anonymisierung deutlich wurde. Nachdem nach einigen Fragen und Antworten keine selbstläufige Erzählung in Gang gekommen war, spreche ich sie auf ihre Äußerung an, dass es Unterschiede zwischen dem gäbe, was sie sage und was ihr Chef dazu sagen würde. Die Nachfrage ist dann der Beginn einer langen selbstläufigen Eingangserzählung, worin sich für mich die Handlungskompetenz »Kritisieren können« besonders deutlich dokumentiert. Sie setzt auf meine Nachfrage zu der Beziehung zu ihrem Chef generalisierend an, dass sie „seit Jahren“ den „Eindruck“ habe, dass denjenigen, die „über
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die Bundesländer in Berlin und dann über Berlin in Brüssel“ „diese Richtlinien vertreten und mitgestalten“ dabei „die tatsächliche Praxis fehlt“. Im Anschluss macht sie diese Kritik an einem konkreten Beispiel fest: FRAU CONRAD: […] Na also ich hab den Eindruck ich mag mich ja auch täuschen aber ich hab diesen Eindruck schon seit Jahren, dass diejenigen die diese Richtlinien (.) im- (.) über die Bundesländer in Berlin und dann über Berlin auch in Brüssel vertreten und mitgestalten //mhm// (.) ähm dass denen die tatsächliche Praxis fehlt und wir haben (.) ein Problem was sich in den letzten Jahren immer mehr entwickelt, dass die die Zulassung der Architekten in den Herkunftsländern in der Regel ja von einem Hochschulabschluss und einer zusätzlicheneinem zusätzlichen Nachweis abhängig gemacht wird […] und ähm leider nimmt die Tendenz zu dass man die Nachweise die in der Richtlinie als automatisch anzuerkennen, (.) auflistet, sich nicht nur auf den Hochschulabschluss beziehen, sondern dass man sagt die automatische Anerkennung ist der Hochschulabschluss (.) zusammen mit dieser zusätzlichen Prüfung //mhm// (3) und das iss etwas was für viele Absolventen nachher nich mehr funktioniert //mhm// (1) also wir haben so Fälle wo jemand (2) ähm (.) zum Beispiel aus Griechenland kommt in Italien studiert, //mhm// (.) dann nach Griechenland geht um sich dort in die Berufliste eintragen zu lassen und dann nach Großbritannien wandert um dort den Beruf erstmalig auszuüben //mhm// (.) und dann kommen die zu uns nach Deutschland, //mhm// (.) und wir sagen dann okay italienischer Hochschulabschluss in Italien muss die staatliche Prüfung gemacht werden erst dann iss die automatische Anerkennung nach Richtlinie möglich //mhm// (.) also Sie müssen die staatliche Prüfung in Italien machen //mhm// (.) das geht aber nicht weil iss in Italien nich mehr, müsste dafür extra nach Italien fahren und irgendwelche italienischen Prüfungen machen, iss aber ja eigentlich schon in Griechenland zugelassen als Architektin hat dort aber nie die Berufspraxis gemacht, //mhm// @(.)@ weil dort ne Eintragung ohne Berufspraxis möglich iss, deswegen können wir auch das erworbene Recht Architektin zu sein in Griechenland nich anerkennen weil das nach Richtlinie geknüpft ist an die Ausübung der Berufs in dem Land aus dem man kommt, //mhm// und der Beruf wurde aber in Großbritannien ausgeübt. Dort gibt es aber keine Eintragung über die (.) über die Berufstätigkeit (.) so und dann funktioniert das ganze System nich mehr. //mhm// würde aber einfach nur gesagt werden dieser Hochschulabschluss aus Italien ist automatisch anzuerkennen //mhm// (.) gegebenenfalls mit den La- zusätzlichen Nachweisen die in dem Land gefordert werden wo man den Berufszugang haben möchte, (.) //mhm// dann wär das gar kein Problem, dann könnte man einfach sagen okay Abschluss aus Italien wunderbar, und bei uns müssen Sie zwei Jahre Berufspraxis nachweisen, haben Sie das, //mhm// wo Sie das gemacht haben ob in England oder Griechenland iss uns egal, //mhm// (.) und dann könnten wir eintragen aber nein, die Bürokraten und die Juristen sagen halt nein (.) das wäre ja ne Umgehung des örtlichen Rechts also ein Berufszugang der in Italien erworben wird der muss aber vollständig in Italien erworben werden @(.)@ (.) so und das iss halt auch `n Streitpunkt den ich halt regelmäßig habe //mhm// (.) und das wollen halt viele die (.) den Beruf- oder diesen Eintragungsverfahren nich
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so nahe sind so nich wahrhaben die sagen einfach (.) das iss halt so […] (ARCH (Conrad) 212: 293 ff.).
Ihr Fallbeispiel, worin sich die Praxisferne der Richtlinien-Macher zeigt, ist derart angereichert mit detailliertem Fachwissen, dass sich ihre Expertise, um deren Anerkennung sie hier ringt, auch gleichsam inhaltlich entblättert. Im Zentrum ihrer Kritik steht, dass die „automatische Anerkennung“ für Architekten davon abhängig gemacht wird, dass der Hochschulabschluss und die für eine Eintragung zusätzlich zu erbringenden Nachweise in demselben Ausbildungsstaat erworben worden sind. Sie beruft sich in ihrer Argumentation darauf, dass „das .. etwas [iss] was für viele Absolventen nachher nich mehr funktioniert“ und schildert ein Fallbeispiel, dass jemand mehrfach in EUropäischen Ländern den Wohnort wechselt, wodurch sie die mangelnde Praktikabilität dieser Regelung belegt. Für sie wäre die Lösung ganz einfach. Für die automatische Anerkennung würde danach nur der Hochschulabschluss herangezogen und ggf. die zusätzlichen Nachweise des Landes, in dem der Berufszugang erworben werden solle (hier Deutschland). Dass „die Bürokraten und die Juristen“ mit Verweis darauf, dass es einer „Umgehung des örtlichen Rechts“ gleichkäme, „nein sagen“, ist für sie ein wesentlicher Streitpunkt, weil sie sowohl die Realität mobiler Architektinnen als auch ihre Erfahrungen mit dem Eintragsverfahren nicht ernst nehmen. In ihrer Aussage „die sagen einfach das iss halt so“ zeigt sich ihre Enttäuschung, mit ihrer erfahrungsbasierten Kritik als Praktikerin nicht durchzudringen. Nach diesem Ausschnitt führt sie ähnlich detailreich selbstläufig fort, indem sie weitere Ärgernisse nennt. Ich habe ihr aufgrund der Dichte im Detail kaum folgen können. Nachdem ich in einem Versuch, an den Kern dessen anzuschließen, kommentierte, dass ich es spannend fände, dass offenbar viel mehr EUropäisches gelebt werde, als nach den Richtlinien vorgesehen sei, widersprach sie mir unmittelbar, dass sie gar nicht sagen könne, dass es sehr viel sei. Dadurch wurde mir erst während der Interpretation klar, dass sich in ihrem Fallbeispiel der Griechin, die in Italien studiert und dann über Griechenland und Großbritannien nach Deutschland wandert, gar nicht ausdrücken sollte, dass sie solche Fälle permanent erlebt. Es ging ihr darum, plausibel zu machen, dass sie sich aufgrund ihrer Praxis-Erfahrungen sämtliche Fallkonstellationen auch vor allem theoretisch vorstellen kann und deswegen besser weiß, wie die Richtlinien vertreten und gestaltet werden müssen, um für jegliche Konstellation gerüstet zu sein. Typisch für die Handlungskompetenz »Kritisieren können« ist es auch, wie ich nachher noch am Beispiel von Herrn Meyer zeigen werde, mich mit Zweifeln daran zu konfrontieren, ob ich das Gesagte in ihrem Sinne verwenden werde. So formulierte Frau Conrad gegen Ende des Interviews:
348 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS FRAU CONRAD: Was erzähle ich Ihnen das alles @(.)@ Sie extrahieren nachher was ganz anderes [da draus @(.)@] (ARCH (Conrad) 2-12: 652 f.).
Deutlich wird eine habituelle Orientierung daran, ohne Umschweife Stellung zu beziehen und das, was andere machen oder vorhaben (hier aus ihren Worten etwas „extrahieren“) anzusprechen und den Konsens darüber infrage zu stellen. Gleichsam zeigt sich in der Art und Weise, wie ich das Interview ausgewertet habe, dass sie mit ihrer Kritik und Prognose nicht ganz im Unrecht ist. Die Erwartung, dass ich ihre Kritik inhaltlich systematisiert wiedergebe und ihre konkrete Perspektive des Änderungsbedarfs im System stark mache, habe ich sicherlich für sie unbefriedigend erfüllt. 5.3.4.2 Herr Meyer Herr Meyer arbeitet in einer Landesbehörde und ist seit einigen Jahren für die Erteilung von Berufserlaubnissen und Approbationen an Ärzte zuständig. Anders als im Fall von Frau Conrad beginnt das Interview nicht mit einem skeptischen Herantasten an das Gespräch, sondern mit einem spontan vertrauensvollen Einstieg. Es zeigt sich auch hier deutlich und von Anfang an die Handlungskompetenz »Kritisieren können« als vorrangige Orientierung. Nach meiner Erzählaufforderung beginnt er unmittelbar mit einer Kritik an der im Zusammenhang mit der »Anerkennungsgesetzgebung« geänderten Bundesärzteordnung. Anders als Frau Conrad vergewissert er sich zwar nicht der Anonymisierung, aber beginnt mit dem Hinweis, dass er deshalb so offen sein kann, weil es „ja nun wirklich anonymisiert“ ist: HERR MEYER: […] Ich mein dadurch dass es ja nun wirklich anonymisiert iss kann @ich mich ja auch-@ also ich finde das so wie’s iss keine glückliche Lösung ehrlich gesagt. //mhm// Ähm und es iss im Vorfeld ja mehr oder weniger diskutiert worden ich durfte einmal an so einer Sitzung teilnehmen in Berlin, //mhm// als das Bundesministerium für Gesundheit und das (.) Wissenschaftsministerium glaub ich die ja sozusagen maßgebliche Verursacher dieser ganzen Sache sind ähm die Approbationsbehörden eingeladen hatten, um noch mal darüber zu diskutieren was allerdings eben immer relativ sinnlos iss weil das eigentlich feststeht und man kann dann zwar- es haben sich alle dazu- oder da- alle dahingehend ausgesprochen dass das so wie sich’s äh- oder wie sich das in der Gesetzgebung liest eben kaum praktikabel iss oder oder eben schwer umsetzbar mit dem Personal was man hat //mhm// in den Approbationsbehörden (.) wurden auch andere Vorschläge gemacht, ähm teilweise zumindestens aber letztendlich kam es genauso wie der Referentenentwurf war, //mhm// also diese Diskussionen sind hab ich ja nun schon paarmal mitgemacht die sind also eher sinnlos @(.)@ ich weiß nich ob das dann immer schlechtes Gewissen beruhigen iss oder //mhm// was weiß ich oder- also man hat wirklich das Gefühl sie meinen es sicherlich alle gut, aber sie sind doch fernab der Praxis. //mhm// Und das kommt dann dabei raus (eigentlich?). Und diese die-
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se Vergleichbarkeit das iss eben wirklich das womit sich alle geschlossen rumschlagen. //mhm// Zumindestens hab ich das Gefühl //mhm// […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 11 ff.).
Es dokumentiert sich hier – stärker als im Fall von Frau Conrad –, dass er offenbar darauf auch gewartet hat, seine Kritik unverblümt loswerden zu können. Die Unzufriedenheit mit dem Status quo bricht sich hier direkt Bahn. Herr Meyer geht darauf ein, die Kritik auch „in Berlin“ zusammen mit anderen Approbationsbehörden gegenüber den „maßgeblichen Verursacher[n] dieser ganzen Sache“ angebracht und „andere Vorschläge“ gemacht zu haben, als sie eingeladen waren, zum „Referentenentwurf“ Stellung zu nehmen. Seine Kritikkompetenz äußert sich gerade darin, dass er das Verfahren dieser Diskussionen, die er „schon paarmal mitgemacht“ hat, mehrfach als „sinnlos“ bezeichnet. Die Kritik an der Praktikabilität „mit dem Personal was man hat in den Approbationsbehörden“ (im Grunde eine Kritik an dem eigenen Unvermögen, diese Aufgabe zu lösen) sei nicht berücksichtigt worden. Es hätte danach keine Änderungen des Entwurfs mehr gegeben, sodass er sich fragt, ob die Anhörung nur dazu diene, ein „schlechtes Gewissen [zu] beruhigen“. Das Problem sehe er darin, dass sie „fernab der Praxis“ sind. Er sucht Anerkennung dafür, Ahnung von der Praxis zu haben, zu wissen, dass „die Vergleichbarkeit“ ein Problem ist, mit dem „sich alle geschlossen rumschlagen“ und ist enttäuscht, dass diese Expertise „in Berlin“ nicht ernst genommen wird. Seine Kritik bezieht sich darauf, dass den Mitarbeitern in den Approbationsbehörden als Kollektiv der Ausführenden der Einfluss fehlt. Seine kritischen Äußerungen kommen womöglich auch dadurch zustande, dass er sich in der InterviewSituation von mir diesbezüglich ernst genommen fühlt, weil ich den Ausbildungsvergleich als ein Problem und ihn als jemand, der etwas dazu zu sagen hat, ernst nehme. Ich werde durch diese Übereinstimmung zu einer Komplizin der Praktiker in der Auseinandersetzung mit den gesetzgebenden Instanzen gemacht. Durch relativierende Aussagen wie „sie meinen es sicherlich alle gut, aber […]“ und „zumindest hab ich das Gefühl“ nimmt Herr Meyer seiner Kritik im nächsten Atemzug die Schärfe, wodurch sich ein implizites Wissen um eine gebotene Vorsicht zeigt. Ähnlich wie Frau Conrad kommt auch Herr Meyer im Anschluss an die geäußerte Kritik an der Praxisferne derjenigen, die die Gesetze machen, auf einen Vorschlag zur Behebung des Problems zu sprechen. Dieser zielt darauf ab, den von ihm durchgeführten Ausbildungsvergleich auf dem Papier abzuschaffen. Am liebsten wäre ihm, wenn alle eine Eingangsprüfung machen müssten, „wie in Amerika üblich“. HERR MEYER: […] das iss mühsam weil man nich mal ja für die Bundesrepublik Deutschland eine Musterstudienordnung hat. Ne? […] es gibt hunderttausend Universitäten mit Modellstudiengängen in der Medizin das kann man alles nich als Vergleich dann heranziehen also es iss (.) aus meiner Sicht alles nur halb durchdacht. @(.)@ //mhm// (2) und und raus
350 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS kommt dann dabei nämlich dass sich auch manchmal möglicherweise Antragsteller ja ungerecht behandelt fühlen weil (2) äh sie in diesem Bundesland kriegen in dem anderen Bundesland kriegen sie aber nich die Anerkennung, //mhm// obwohl sie an der gleichen Universität studiert haben, iss für sie eben ganz schwer nachvollziehbar alles ne? //mhm// Wenn man dann meinetwegen wie in Amerika das üblich iss und wo sich auch niemand beschwert ne? Nur hier wird sich dann darüber beschwert äh jeder eine Eingangsprüfung machen muss meinetwegen //mhm// (2) ne? Um um dann- und dann haben alle jeder der hierher kommen will weiß okay da musste erst noch ne Prüfung ablegen und dann kannst du hier als Arzt arbeiten. //mhm// Das iss in Amerika gang und gäbe hier stellen sie sich aufn Kopf und sagen nein und keine Prüfung und ich- meine Ausbildung iss mindestens genauso oder (.) na ja und auch die Gesetzgebung macht es dann ja nich einfacher. Also auf jeden Fall finde ich das nich ganz gerecht diese Sache so //mhm// wie es jetzt läuft […] (ÄRZ (Meyer) 4-24: 98 ff.).
Das Problem des Vergleichens beginnt bereits damit, dass es in Deutschland keine „Musterstudienordnung“, sondern unterschiedliche Vergleichsgrundlagen, mitunter „hunderttausend Universitäten mit Modellstudiengängen in Medizin“ gibt. Je nachdem, welche Studienordnung man heranzieht, kommt der Vergleich zu anderen Ergebnissen. Er problematisiert dies, ähnlich wie Frau Conrad, aus der Perspektive der Antragsteller für die „ganz schwer nachvollziehbar“ sei, warum sie trotz eines Studiums an derselben Universität in einem Bundesland die Anerkennung kriegen und in einem anderen nicht. Ähnlich wie Frau Conrad ärgert er sich über den als stark erlebten Widerstand gegen den von ihm favorisierten Vorschlag, wie das „in Amerika gang und gäbe“ ist, dass ausnahmslos alle eine „Eingangsprüfung“ machen, bevor sie als Arzt arbeiten können. Dort würde sich niemand darüber beschweren, nur „hier stellen sie sich aufn Kopf und sagen nein und keine Prüfung“. In dem Ärger, der sich hier Luft macht, ähneln seine Formulierungen wiederum Frau Conrad, die auch davon spricht, dass „die Bürokraten“ und „die Juristen“ „halt einfach nein sagen“. Es dokumentiert sich die Enttäuschung mit der eigenen erfahrungsbasierten Expertise, nicht anerkannt zu sein von denen, deren Anerkennung notwendig wäre, um die Vorschläge zuerst im Recht und dann in der Praxis umzusetzen. Wie bereits angekündigt schloss das Interview mit Herrn Meyer auch ähnlich ab wie das mit Frau Conrad. Nachdem das Aufnahmegerät ausgeschaltet war, bedankte ich mich dafür, dass er sich die Zeit genommen hat und äußerte, dass das ein sehr gutes Interview war. Mit einer unsicheren Geste erwiderte er, dass sich das erst noch zeigen müsse, ob das wirklich so gut war. Wie im Fall von Frau Conrad halte ich es für möglich, dass seine Zweifel berechtigt sind, weil ich seine Worte nicht so verwendet habe, wie er es vermutlich gern gehabt hätte.
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5.3.5 »Wir waren die Ersten« – Transformieren können Die Transformationskompetenz geht mit einem Selbstverständnis als Pionierin einher, die sich auch gegen Trägheiten und Widerstände durchsetzt. Die Kompetenz beinhaltet wie die Kompetenz »Reflektieren können« ein Bewusstsein um Handlungsspielräume. Jene Zweifel, die der Reflexionskompetenz eigen sind, liegen hier jedoch fern. Was »gut«, »richtig« und »gerecht« ist, liegt auf der Hand. Es geht um maximale Nutzung der Spielräume, um die Regeln im Sinne dieser Gerechtigkeitsvorstellungen zu ändern. Anders als im Fall der Kritikkompetenz erfolgt die Abgrenzung nicht »nach oben«, sondern gegenüber jenen, die in der gleichen Position weniger Engagement aufbringen. Von der Transformationskompetenz profitieren vor allem jene Antragsteller, die in das Raster der (neuen) Gerechtigkeitsnormen fallen. Die Transformationskompetenz dokumentiert sich vorrangig in zwei Interviews, mit Frau Landmann und Frau Peters. Sie waren in der Interviewsituation vor allem daran orientiert, als »Expertin« für Veränderungen und mitunter »Pionierin« im Feld anerkannt zu werden. Dabei stehen die beiden jeweils mit ihrer Person für die gesamte Institution. Es wird implizit deutlich, dass sich die Institution nicht verändert hätte, wenn sie nicht der Motor dafür gewesen wären. In dieser Extrem-Form zeigt sich die Transformationskompetenz in anderen Interviews nicht.17 Ich gehe als erstes auf Frau Landmann ein, die im Handwerk tätig ist und danach auf Frau Peters, die in einer Landesbehörde Lehrerinnen bewertet. 5.3.5.1 Frau Landmann Frau Landmann habe ich als Mitarbeiterin einer Handwerkskammer wenige Wochen nach dem Inkrafttreten des »Anerkennungsgesetzes« im April 2012 interviewt. Auf dieses Ereignis nimmt sie in ihrer Eingangserzählung Bezug. Bereits zu Beginn dokumentiert sich die Kompetenz, schon lange zu wissen, was „nicht ganz richtig“ ist und schon lange zuvor mit dem Transformieren begonnen zu haben. FRAU LANDMANN: Ja (.) was soll ich Ihnen sagen, ich hab momentan, selber ein großes Fragezeichen (.) //ja// im Gesicht, weil wir jetzt ja dies neue Anerkennungsgesetz haben was seit dem fünfz- seit dem 1.4. in Kraft iss, //mhm// und wir müssen ja jetzt mit dem Gesetz konform handeln. //ja// Und (.) wir sind jetzt uns noch nich ganz einig selbst hier im Hause,
17 In zwei Hintergrundinterviews dokumentiert sich die Transformationskompetenz ebenfalls. Ich habe sie nicht verwendet, weil sie nicht (mehr) in der Antragsbearbeitung tätig sind, das heißt, keinen unmittelbaren Kontakt (mehr) zu den Antragstellerinnen haben.
352 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS wie wir damit umgehen (.) und wir sollen noch einen Leitfaden bekommen, (.) also //ja// vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, nach dem dann alle Handwerkskammern arbeiten sollen. //ja// Ich kann mal sagen wie das bis jetzt gewesen ist. //mhm// so. (.) also bis- also wir waren (.) eine der wenigen Kammern wenn nich vielleicht sogar (.) ja weit- also eine der wenigen Kammern die sich der Thematik überhaupt richtig angenommen haben, //mhm// die meisten haben nur dann sich mit dem Thema befasst wo sie mussten und zwar immer dann wenn der Antragsteller aus einem Land kam, wo mit Deutschland ein Abkommen bestand über das gegenseitige Anerkennen von Berufsabschlüssen, (.) oder eben das Bundesvertriebenengesetz griff //mhm// alle anderen Antragssteller wurden von den meisten Kammern weggeschickt. //mhm// Wir haben schon vor über 20 Jahren gesagt (.) das iss eigentlich nich ganz richtig […] (HAND (Landmann) 1-02: 8 ff.).
Das neue Gesetz hat zu Handlungsunsicherheiten geführt, die Frau Landmann bei sich selbst, bei ihrer Handwerkskammer ebenso wie bei anderen Handwerkskammern verortet. Es ist für sie ein Dilemma, „mit dem Gesetz konform handeln“ zu müssen, aber nicht zu wissen, was das bedeutet („wie wir damit umgehen“). Sie beginnt von der Vergangenheit zu erzählen als einer Zeit, in der dieses Dilemma noch nicht bestand, weil ihre Kammer weitestgehend alleine damit beschäftigt war. Im Hinblick auf den Gegenstand ihrer Tätigkeit, die Bewertung ausländischer Berufsausbildungen, differenziert sie zwischen ihrer Kammer als einer der wenigen (und sie vermeidet zu sagen „die Einzige“), die sich freiwillig eingesetzt hat, und den anderen, die ausschließlich pflichtgemäß gehandelt haben. Hier wird deutlich, dass sie ihre Kammer als Vorreiterin sieht und diese Expertise auch anerkannt wissen will. Sie haben schon vor über 20 Jahren Kritik daran geübt, dass nur ein begrenzter Personenkreis, entsprechend der bilateralen Abkommen mit Deutschland und dem Bundesvertriebenengesetz, einen Anspruch auf ein Verfahren hatte und „alle anderen“ weggeschickt wurden. Es dokumentiert sich im Umkehrschluss, dass sie es mit der Zeit als gängiger erlebt hat, diese Praxis infrage zu stellen. Frau Landmann beschreibt ihre Kammer als diejenige, die freiwillig für die andernorts qua Gesetz Weggeschickten tätig geworden ist. Es ist ihr wichtig, dafür anerkannt zu werden, dass sie die Ersten waren, die Missstände erkannt haben, die Veränderungen angestoßen haben, und sie damit die eigentlichen Expertinnen sind. Es bereitet ihr Unbehagen, mit dem neuen Gesetz und dem Leitfaden des ZDH, nun zentrale Vorgaben zu bekommen, von denen sie noch nicht weiß, wie leicht es ihr fallen wird „konform [zu] handeln“. Über das Richtige und das Falsche spricht sie weiter mithilfe einer fiktiven und dennoch Authentizität nachahmenden Geschichte zweier Jungen aus Polen, die denselben Lebens- und Ausbildungsweg haben. Sie bezieht sich dabei auf das geltende Recht vor Inkrafttreten des »Anerkennungsgesetzes«. Bei der Anerkennung ihres Abschlusses in Deutschland wurden die Jungen unterschiedlich behandelt, weil Abstammung zählte.
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FRAU LANDMANN: […] Wir haben schon vor über 20 Jahren gesagt (.) das iss eigentlich nich ganz richtig, //mhm// weil es kann ja sein dass- ich also ich sag immer diesen Fall, den ich damals auch zu meinen Vorgesetzten hab (.) es kann ja sein dass zwei Frauen in Polen, //mhm// am gleichen Tach im gleichen Kreißsaal jeweils einen Sohn (.) entbinden, (.) die beiden Mütter freunden sich an […] und äh dann iss die Einschulung und die kommen in eine Klasse, und (.) irgendwie- die Schule iss zu Ende die erlernen beide beispielsweise den Beruf KFZ-Mechaniker, //mhm// (.) damals ja noch oder jetzt Mechatroniker, und in Polen gibt es auch Handwerkskammern. //mhm// So. und die würden vor der ges- also vor der Handwerkskammer eine Gesellenprüfung machen. So. Getz iss es so, (.) der eine (.) sagen wir mal der hat- iss deutschstämmig und geht nach der Prüfung mit seinen Eltern nach Deutschland //mhm// aufgrund (.) der Möglichkeit die sie als Deutschstämmige haben. //mhm// so der andere verbleibt- der iss Pole der bleibt in Polen und irgendwann vermisst der seinen (.) Kumpel […] und er fährt ihn besuchen und lernt bei diesem Besuch, //mhm// (.) […] die Frau des Lebens kennen ne Deutsche, und sagt Mann ich hab meinen Kumpel ver- vermisst, da iss die Frau, //mhm// also die heirate ich jetzt der darf ja dann auch hier bleiben, //mhm// kriegt’n deutschen Pass, dem ersten der deutschstämmig iss wird aufgrund des Bundesvertriebenengesetzes, und der Tatsache dass er vor einer polnischen Handwerkskammer die Prüfung gemacht hat das anerkannt. (.) Sagen wir mal der hat mit vier gemacht gerade eben so //mhm// die Prüfung geschafft. der andere, (.) dem fällt das Lernen leichter, der hat die Prüfung vielleicht mit 2 oder 1 gemacht der kommt hierher fällt nicht unters Bundesvertriebenengesetz und der stand da und hat ne lange Nase gemacht. //mhm// das kann eigentlich nich sein dass die Prüfungsleistung so wegfällt. //mhm// Nich das iss ja- die iss ja dadurch nich weg […] (HAND (Landmann) 1-02: 23 ff.).
Es dokumentieren sich in der hier dargelegten Erzählung zwei einander gegenübergestellte Klassifikationsprinzipien. Während die Unterscheidung nach „Abstammung“ ungerecht ist, ist die Unterscheidung nach „Leistung“ gerecht. Während sie die Unterscheidbarkeit selbst nicht hinterfragt, hält sie daran fest, dass Leistung – die sie sich als Prüfungsleistung durch eine legitimierte Stelle vorstellt – nicht verschwinden darf. Sie hat also die Vorstellung, dass eine Leistung nicht dadurch verschwindet, dass sie nicht anerkannt wird („die ist ja nicht weg“). Hier spricht sie von dem mit der Prüfungsleistung verbundenen Kompetenzerwerb als „Leistung“. Zugleich ist ihr klar, dass die Leistung bei Nichtanerkennung verschwindet, als ob sie nicht mehr da wäre, was sie deshalb verurteilt. Es zeigt sich damit ein Konflikt, der die herrschende Deutung „(nicht) anerkannt“ = „(nicht) da“ infrage stellt. Bereits in diesem Abschnitt deutet sie an, dass die Vorreiterrolle ihrer Kammer auf ihre Erkenntnis eines Gerechtigkeitsproblems zurückzuführen ist. Sie erwähnt, die Geschichte der zwei Jungen auch damals ihrem Vorgesetzen erzählt zu haben. Im Folgenden greift sie ihren Überzeugungserfolg explizit noch mal auf und geht dann darauf ein, wie sie durch die Einführung eines eigenen und zusätzlichen Prüfverfah-
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rens die Situation derjenigen verbessert haben, die von anderen Kammern weggeschickt wurden. FRAU LANDMANN: […] das kann eigentlich nich sein dass die Prüfungsleistung so wegfällt. //mhm// Nich das iss ja- die iss ja dadurch nich weg //mhm// so und da haben- daher hab ich dann hier im Haus seinerzeit meinen Vorgesetzten mit überzeugen können, und dann haben wir innerhalb [Kammerbezirk] nach Möglichkeiten gesucht diesem Personenkreis zu helfen, //mhm// […] und dann ham wir das so gemacht dass wir gesacht haben wir können zwar keine offizielle Anerkennung machen, aber die können bei uns einen Antrag stellen auf Bewertung ihrer Berufspapiere, die anderen stellen ja auf Anerkennung, diese auf Bewertung, (.) und dann äh prüfen wir das genauso als hätten die diesen Anspruch, wir sagen aber von vornherein selbst wenn das positiv beurteilt wird, dürfen wir euch das nich anerkennen, aber wir geben euch ein (.) ein Schreiben, wo drin steht dass eine Rechts- nur weil die Rechtsgrundlage fehlt //mhm// können wir nich offiziell anerkennen aber wir konnten uns überzeugen ihr habt Gesellenniveau bundesdeutsches //mhm// Gesellenniveau, und dann haben wir da immer noch diesen Zusatzpassus gehabt dass unsere Meisterprüfungsabteilung weil für andere Kammern können wir nich sprechen, //mhm// die haben die aufgrund dieser Bescheinigung dann auch zur Meisterschule zugelassen.da hätten die ja sonst niemals Zugang bekommen. und wir haben einige Betriebsinhaber, die dann die Meisterprüfung gemacht haben die Deutsche obwohl die keinen deutschen Gesellenbrief ham, die sind heute Arbeitgeber teilweise Ausbilder also die stellen hier Arbeitsplätze das sind gute Mitgliedsbetriebe bei uns geworden. (.) also das hat durchaus also seine Berechtigung gehabt so zu handeln […] (HAND (Landmann) 1-02: 48 ff.).
Durch Einführung eines neuen Konzepts, „Bewertung“ in Ergänzung zu „Anerkennung“, wurde in der Handwerkskammer von Frau Landmann ein eigenes Verfahren etabliert, das bei positiver Beurteilung in dem Kammerbezirk der gesetzlichen „Anerkennung“ gleichgestellt war. Das damit bescheinigte Gesellenniveau wurde auch von der Meisterprüfungsabteilung als Voraussetzung für eine Meisterprüfung anerkannt. Wie Frau Landmann ausführt, gibt es deshalb in ihrem Kammerbezirk Beispiele für erfolgreiche Betriebsinhaber, die Arbeitgeber und Ausbilder sind, ohne einen deutschen Gesellenbrief zu haben. Hier zeigt sich, dass Frau Landmann und ihre Kammer aus eigenem Antrieb Anstrengungen unternommen haben, sich an den gesetzlichen Normen zu orientieren und dennoch „Leistung“ unabhängig von Herkunft durch Etablierung eigener Normen anzuerkennen. Es dokumentiert sich, dass Frau Landmann Bestätigung für ihr Handeln (bzw. das Handeln ihrer Kammer) im Arbeitsmarkterfolg der ehemaligen Antragstellerinnen findet. Ihre Bewertung, ob eine Qualifikation „da“ ist oder nicht, legitimiert sie (nachträglich) durch ihre ökonomische Verwertbarkeit. Dieses Anerkennungsprinzip stellt sie damit in Konkurrenz zu dem Prinzip der (bis dato geltenden) Gesetzgebung, die das Recht auf ein Anerkennungsverfahren vorab auf »Deutsche« beschränkte.
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Im weiteren Verlauf des Interviews setzt sich die Handlungskompetenz »Transformieren können« als ein selbstbestimmtes Handeln und Verändern nach den Maßstäben, die sie für besser und gerechter hält fort. Zum Beispiel geht es unmittelbar im Anschluss weiter mit Aussagen dazu, dass sie eine vorrangige Bewertung nach Papierlage (wie es das neue Gesetz vorsieht) nicht für richtig hält. Sie würde gerne wie bisher Fachgespräche und Arbeitsproben machen und damit die Ausbilder und Betriebsleiter mit in die Verantwortung nehmen. Im Gegensatz zu anderen Interviews, in denen sich die Interviewten explizit davon distanzieren, dass sie sich diese Tätigkeit „freiwillig ausgesucht“ haben könnten (Bsp. Frau Runge, Frau Otto), zeichnet es Frau Landmann aus, dass Person und Stelle ineinander aufgehen. Sie vermittelt die Autonomie, ihre Tätigkeit so gestalten zu können, wie sie es für richtig hält. Das äußert sich auch in der Problematisierung, dass neue Rechtsgrundlagen neue Erwartungen an sie herantragen, mit denen sie sich erstmal wieder neu arrangieren muss. Die Transformationskompetenz steht deshalb auch für eine Verschmelzung der Person mit ihrer Stelle. Kurz vor Ende des Interviews, nachdem ich Frau Landmann gebeten habe, noch mal darauf einzugehen, was die anderen Handwerkskammern denn anders gemacht hätten, bringt sie ihre Relevanzsetzung auf den Punkt: FRAU LANDMANN: […] #Ja dass andere eben# weggeschickt haben die haben nur das gemacht was ich eingangs //mhm// gesacht hab, und dass wir we- wesentlich- also mehr gemacht haben auch in der Tiefe also nich //mhm// nur- also dass wir überhaupt die erstmal nich weggeschickt haben, sondern dass wir wirklich intensiv geprüft haben (.) äh (2) können die das können die das nich und wenn die das nich können, woran hapert’s noch was können die tun um das zu erlangen. //mhm// so und das iss sehr arbeitsintensiv, nich und (.) //mhm// ja darum haben das andere wahrscheinlich au’ nich gemacht aber uns (.) war das […] wir ham, ham immer versucht, das so zu verstehen, dass das nich nur ein Stück Papier iss was da vor einem liegt sondern dass da (.) also viel mehr dran hängt `n Mensch und mitunter auch ne ganze Familie. //mhm// aber eben auch dann unsere Mitgliedsbetriebe nich […] (HAND (Landmann) 1-02: 681 ff.).
Es folgt erneut eine (von mir auch nachgefragte) Abgrenzung, dass sie diejenigen seien, die sich mehr („in der Tiefe“, „wirklich intensiv“) um die Antragstellerinnen kümmern. Dagegen haben andere „weggeschickt“ und das Arbeitsintensive dadurch vermieden. Den Aufwand, ihr freiwilliges Engagement zu prüfen, was jemand kann und ihn ggf. dahin bringen, dass er es irgendwann kann, will Frau Landmann als wichtig und notwendig anerkannt wissen. Weil das „nich nur ein Stück Papier iss was da vor einem liegt“, sondern ein „Mensch und mitunter auch ne ganze Familie“ daran hängt, „aber eben auch dann unsere Mitgliedsbetriebe“. Es wird abermals und hier besonders explizit deutlich,
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dass ihre habituelle Orientierung darin besteht, sich um das soziale Ganze zu kümmern, bemüht darum, allen und allem gerecht zu werden. 5.3.5.2 Frau Peters Frau Peters habe ich etwa ein Jahr nach Frau Landmann, im Frühjahr 2013, interviewt. Sie ist nicht in einer Handwerkskammer, sondern in einer Landesbehörde für die Bewertung von weltweit erworbenen Lehramtsqualifikationen zuständig. Es handelt sich dabei um zwei sehr unterschiedliche institutionelle Gefüge. Frau Landmann ist Mitarbeiterin einer Kammer, Frau Peters arbeitet dagegen in einer Behörde. Die erste hat es mit einem bundesrechtlich reglementierten Beruf zu tun, die zweite mit einem landesrechtlich reglementierten Beruf. Einmal werden Berufsausbildungen bewertet, einmal Studiengänge. Dennoch dokumentiert sich die Transformationskompetenz in der Eingangspassage bei Frau Peters in sehr ähnlicher Weise wie bei Frau Landmann. Vor der im Folgenden abgedruckten Passage stand die Nachfrage von Frau Peters, wie viele Kollegen in anderen Bundesländern ich noch interviewen werde, und meine Antwort darauf. Dann beginnt sie ihre selbstläufige Erzählung damit, dass sich ihr Bundesland von den anderen Bundesländern abhebt. Sie prüfen nicht nur pflichtgemäß Qualifikationen von EUropäischen Lehrkräften, sondern inzwischen auch solche aus „Drittstaaten“, die sie „Weltlehrer“ nennen. FRAU PETERS: […] schon der Personenkreis den die Bundesländer einbeziehen iss sehr unterschiedlich, //mhm// deswegen hängt da- wird Ihr Ergebnis davon abhängen welche Sie aussuchen. //mhm// äh das glaub ich iss (.) iss- (.) muss man mit einbeziehen weil (.) die Mehrzahl der Bundesländer nach wie vor sich bei der Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation in Bezug auf Lehrer, nur (.) äh auf die europäischen Lehrkräfte bezieht. //mhm// (.) [Bundesland] hat als eines der wenigen Bundesländer wenn ich das richtig sehe und auch die Antragstellenden richtig verstehe äh das auf Drittstaaten auf die sogenannten Drittstaaten ausgeweitet, //mhm// […] äh dass- so dass wir also jetzt (.) äh praktisch jede äh ausländische Lehramtsqualifikation erstmal von von der Antragstellung her als gleichrangig betrachten und alle die gleiche Möglichkeit haben, äh festzustellen ja (.) du bist ein Lehrer. //mhm// das iss also- äh war bis vor kurzem auch in [Bundesland] nur für die sogenannten EU-Lehrkräfte möglich, //mhm// äh die- für die wir dann festgestellt hatten ob es gleichwertig iss oder nich und auch Auflagen gemacht haben oder auch nich //mhm// und äh (.) wir haben heftige (.) […] heftige Nachfragen der der türkischen Lehrkräfte die mit herkunftssprachlichem Unterricht in [Bundesland] waren, //mhm// tätig waren gehabt die- deren türkische Lehramtsqualifikation nich anerkannt wurde, //mhm// und die dann also hier für nich so besonders gutes Geld dann Türkisch unterrichtet haben an türkischsprachige Kinder, und in ihrer eigentlichen Qualifikation nich eingesetzt werden konnten, und das war so der Ausgangspunkt um dann also sich doch intensiver damit zu beschäftigen und zu sagen ja die äh anderen Lehrkräfte bei
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uns inzwischen „Weltlehrer“ genannt (.) äh müssen gleichrangig behandelt werden. //mhm// da haben wir uns sehr intensiv auch dafür eingesetzt […] (LEHR (Peters) 1-14: 45 ff.).
Die hier dokumentierte Handlungskompetenz »Transformieren können« erzählt nicht von einer Erfahrung von über 20 Jahren, wie im Fall von Frau Landmann. Es zeigt sich die Schilderung einer Pioniersrolle deutlich jüngeren Datums. Nichtsdestotrotz interpretiere ich die habituelle Orientierung an der Transformation als Homologie zwischen den beiden Interviewten. Die Erkenntnis eines Gerechtigkeitsproblems, die Abhängigkeit des Verfahrens von einem Kriterium wie »Herkunft« stößt auch im Fall von Frau Peters das Engagement für eine Transformation an. Sie bezieht sich auf „heftige Nachfragen“ von türkischen Lehrerinnen, die „für nicht besonders gutes Geld“ zwar herkunftssprachlichen Unterricht geben durften, aber nicht mit ihrer eigentlichen Qualifikation eingesetzt werden konnten. Frau Landmann und Frau Peters sprechen beide von einem handelnden »wir«, zeigen jedoch später, bezugnehmend auf zentrale Entscheidungsstadien durch einen Übergang zum »ich« auf, dass sie selbst die eigentlichen Antriebsfedern des handelnden »wir« sind. Im Fall von Frau Landmann habe ich dies bereits gezeigt. Für Frau Peters werde ich dies anhand des nächsten Interviewabschnitts zeigen. Die Spezifik der Expertise liegt in der Orientierung am Gerechten. Dabei ähneln sich auch die Vorstellungen von Gerechtigkeit, die den Interviews implizit zugrunde liegen. »Ungerecht« ist, wenn Bewertung und Zugang zu einem Bewertungsverfahren von einem Kriterium wie »Ethnie« und »Herkunft« abhängt. »Gerecht« ist dagegen, wenn die Bewertung auf »Qualifikation« (im Fall von Frau Landmann »Leistung«) beruht und alle die gleichen Chancen haben, das geforderte Niveau zu erreichen. In ihrem Einsatz dafür, Bewertung und Verfahrenszugang gerechter zu machen, sehen sie sich als Vorreiterinnen, die den anderen, den für dieselbe Aufgabe zuständigen Stellen, voraus sind. In der folgenden Interview-Passage hebt Frau Peters zunächst einen weiteren Unterschied im Vergleich zu anderen Bundesländern hervor, die Möglichkeit der Anerkennung mit nur einem Unterrichtsfach (statt zwei Fächern). In diesem Zusammenhang kommt sie dann auch auf die Motive für die Transformation und en passant ihre eigene Rolle dabei zu sprechen. FRAU PETERS: […] und so lange wir das einzige Bundesland sind was auch mit einem Fach ne Lehrbefähigung anerkennt, werden wir wahrscheinlich überrannt werden. //mhm// (.) ja weil das iss also in der Tat im Moment ein Alleinstellungsmerkmal, dass man sagt auch mit einem Fach kann man Lehrer sein […] das iss- wird dann dazu gesetzt für die volle Laufbefähigung braucht man zwei, //mhm// Fächer aber dieses iss eine Lehrbefähigung für dieses Unterrichtsfach damit kann man sich bewerben für den Schuldienst (.) […] die Verbeamtungsvoraussetzungen die liegen fast nie vor //mhm// (.) aber äh die kriegen ‘n Anstellungsvertrach und im Vergleich zu dem was sie vorher hatten nämlich fast nix, //mhm// iss das natürlich
358 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS schon mal ne ne gute Hausnummer //mhm// (3) ne insofern iss das auch richtig ich find das auch richtig dass wir mit einem Fach Lehrbefähigung aussprechen, //mhm// aber äh: es macht natürlich das Verfahren nich einfacher //mhm// (.) nich weil ansonsten kann man immer relativ rasch sagen iss nur ein Fach vorhanden, keine Gleichwertigkeit //mhm// (.) nich das kürzt so ein Antragsverfahren natürlich enorm ab //mhm// (1) und wenn man dann als zweite Schere dann noch hat Deutsch, Deutsch im Ausland studiert kann nich gleichwertig sein weil iss Deutsch als Fremdsprache, dann hat man die zweite Schere, dann bleibt nich mehr so viel nach ne, //mhm// (.) ne da hat man dann als Kollegin in einem anderen Bundesland das so vorgeht äh (.) bessere Chancen schnell davon zu kommen. […] ne also damit iss also in dem Moment wenn man sagt du hast nur ein Fach, äh äh du kannst nich anerkannt werden iss praktisch also die Tür schon fast wieder zu. //mhm// (.) Und wenn dies eine- wenn dann auch noch Deutsch dabei iss, dann iss die Tür vollends zu. //mhm// (2) insofern also es entspricht aber auch der Haltung [Bundesland] und auch unserer Behörde und der Politik, die Türen eben nich zuzumachen ne, //mhm// wir haben also das Interesse daran die Türen zu öffnen und für diese Menschen was zu tun, //mhm// und äh wir sind ausgesprochen äh //mhm// vielfältig besetzt //mhm// und haben viele Schüler mit Migrationshintergrund und da iss es alsoäh das muss unsere Haltung sein, äh mit- gemeinsam mit Menschen zu leben die ne unterschiedliche Herkunft haben, und dann muss man auch sehen dass deren Abschlüsse auch angemessen bewertet werden //mhm// (.) ne alles andere kann ich mir irgendwie, auch gar nich vorstellen, als Haltung //mhm// (.) deswegen hat es mich ja so gestört dass das [Amtsbezeichnung] (.) äh äh so eine aversive Haltung entwickelt hat und diese Öffnung nich so mit vollziehen wollte, //mhm// so das war also auch ne Haltungsfrage, //mhm// und äh sie haben gesagt nee das machen wir nich (.) das holen wir dann hierher und dann (.) haben wir das ‘n bisschen näher hier dabei und können dann die Haltung selbst steuern und (.) dass ich das nun selbst nich nur steuere sondern mich selbst steuere (3) das war erstmal nich im Sinne des Erfinders aber das iss ja oft so. (LEHR (Peters) 1-14: 826 ff.)
Dass die Anerkennung mit einem Unterrichtsfach möglich ist, nennt Frau Peters ein „Alleinstellungsmerkmal“, das dazu führe, dass sie „überrannt werden“. Ähnlich wie Frau Landmann unterfüttert sie diese Abgrenzung argumentativ damit, dass sie sich aus Überzeugung sehr viel mehr Arbeit mit der Überprüfung machen. Kollegen in anderen Bundesländern könnten „schnell davon .. kommen“, wenn man im Fall von einem Unterrichtsfach direkt sagt „keine Gleichwertigkeit“, erst recht wenn es sich um das Fach Deutsch handele. Daran anknüpfend spricht sie von der besonders offenen Haltung ihres Bundeslands, ihrer Behörde und der Politik, die „das Interesse daran [hat,] die Türen zu öffnen und für diese Menschen was zu tun“. In der mehrfachen und engagierten Betonung des Wortes „Haltung“ zeigt sich das, was in dem Interview mit Frau Landmann ebenfalls deutlich wurde. Sie geht mit ihrer Person in der Haltung, die aus ihrer Sicht hinter der beschriebenen Tätigkeit stehen muss, habituell auf. Sie hat ihre Stelle nicht inne. Sie ist sozusagen ihre Stelle. Am Ende der Passage wird dies umso deutlicher. Ein anderes Amt habe eine „aversive
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Haltung“ gehabt und „die Öffnung“ nicht mitmachen wollen. Das war der Anlass dafür, dass sie die Zuständigkeit „hierher“ geholt haben, um „die Haltung“ zu steuern. En passant macht sie dann deutlich, dass sie die zentrale Figur in ihrem handelnden »wir« ist, das bis dahin das Interview dominiert hat. Aus ihren Worten „dass ich das nun selbst nich nur steuere sondern mich selbst steuere, (3) das war erstmal nich im Sinne des Erfinders aber das iss ja oft so“ spricht, ähnlich wie im Fall von Frau Landmann, dass ohne sie nichts ginge oder gegangen wäre. Die Institution stünde ohne sie nicht als eine Transformatorin da. Um die Parallelen zum Interview mit Frau Landmann abzurunden, möchte ich auch den folgenden Auszug am Ende des Interviews noch aufführen, in dem es in ganz ähnlicher Wortwahl darum geht, dass „hinter jedem Formular .. ein Mensch“ steht, was man sich „immer wieder klar machen“ müsse: FRAU PETERS: […] es iss eben (.) hint- hinter jedem Formular steht ein Mensch //mhm// (.) ne hinter jedem Antrag steht ein Mensch //mhm// (.) und hinter jeder Antragsbearbeitung steht die Entscheidung über ein Schicksal //mhm// (.) und das muss man sich äh dann immer wieder klar machen (.) und äh dass man dann nich sacht hier fehlt noch diese Vorlesung, //mhm// (.) und hier fehlen noch zwei Punkte, //mhm// (.) äh sondern dass man guckt welchwie kann dieser Mensch jetzt an diese zwei Punkte n- die die fehlen tatsächlich, aber wie kann der Mensch jetzt da rankommen? (.) wie können wir jetzt machen dass der das schaffen kann //mhm// (.) das iss dann der Ansatz und nich dabei stehen zu bleiben und zu sagen (.) iss nich […] (LEHR (Peters) 1-14: 923 ff.).
Ähnlich wie Frau Landmann appelliert Frau Peters daran, dem Menschen gerecht werden zu müssen, das „Schicksal“ über das man mit „jeder Antragsbearbeitung“ entscheidet, nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, indem man jemanden leichtfertig mit Verweis auf fehlende Punkte abweist. Wenn etwas nicht da sei, müsse die Anstrengung darauf gerichtet sein, wie „der Mensch jetzt da rankommen [kann]“. 5.3.6 Zusammenfassung der Handlungskompetenzen In den Handlungskompetenzen (der bewertenden Akteure) zeigen sich Kontraste im Umgang mit dem Bewerten bei einer gemeinsamen Gatekeeper-Position im Feld. Ihr Handeln macht vor allem einen Unterschied in der »Verhandlungszone«, weniger im Zentrum oder in der Peripherie des Felds. Die Akteure, die als Gatekeeper den symbolischen Zugang zur deutschen Berufsangehörigkeit regeln, sind bei ähnlicher Aufgabe unterschiedlich positioniert und verfügen deshalb letztlich über unterschiedliche Handlungskompetenzen, etablierte Grenzziehungen zu stabilisieren oder auch zu verändern. Die Bewertung erfolgt nicht völlig gleichförmig und dadurch determiniert und vorhersehbar im Kon-
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text von institutionalisierten Machtkonstellationen und Selektionsmechanismen. Sie entsteht auch in und durch die Begegnung zwischen zwei jeweils positionierten Personen, die – bildlich gesprochen – an der symbolischen Grenze aufeinander treffen. Durch die Interaktion werden die Machtkonstellationen und Selektionsmechanismen damit auch (neu) verhandelt. Fünf Handlungskompetenzen, die ein unterschiedliches Verhältnis von handlungspraktischem und theoretischem Wissen beschreiben, habe ich als Ausdruck einer zwischen mir und den Interviewten ausgehandelten Anerkennungsbeziehung typologisiert. Erstens, können sie als Gatekeeper durch ihre Praxis die symbolische Ordnung »reproduzieren« (vgl. 5.3.1). Zweitens können sie »kontextuieren« und damit auch neues Wissen über Unterschiede und Ungleichheiten herstellen (vgl. 5.3.2). Drittens, können sie sich selbst in ihrer Beziehung zum System »reflektieren« (vgl. 5.3.3). Viertens, können sie strukturelle Hierarchien und Entscheidungsprozesse im System »kritisieren« (vgl. 5.3.4) und fünftes können sie die Praxis der Bewertung und damit auch das System »transformieren« (vgl. 5.3.5). Welche Handlungskompetenzen sich als dominant zeigen, ist nach meiner Interpretation nur teilweise aus dem Umfeld der jeweiligen Organisation oder den formalen Bildungsabschlüssen der Personen erklärbar. Es spielen sicherlich auch habituelle (Nicht-) Passungsverhältnisse zu mir als Interviewerin eine Rolle, welche Kompetenzen sich in der Interviewsituation artikulieren und wie sie von mir interpretiert werden. Um den strukturellen Ursachen näher auf den Grund zu gehen, hätten die Interviews biografische Erzählungen einbeziehen müssen (was weitestgehend ausgeklammert war). Relevante Unterschiede zwischen den Interviewten sehe ich vor allem darin, ob ein sehr persönlich motivierter Antrieb ausschlaggebend war, ausländische Abschlüsse bewerten (und vor allem mehr Abschlüsse anerkennen) zu wollen, oder ob diese Tätigkeit mehr oder weniger auferlegt wurde, teilweise zusätzlich zu anderen Aufgaben. Diejenigen, die denselben Beruf haben wie diejenigen, die sie bewerten, sind, wie bereits angedeutet, tendenziell sicherer in ihrem Bewertungshandeln als Fachfremde. Unabhängig davon, wie die Interviewten zu ihrer Aufgabe gekommen sind und welche eigenen Erfahrungshintergründe sie haben, sehe ich vor allem große Unterschiede in der Praxis einer kritischen Auseinandersetzung mit dem, was sie machen (müssen) und wie sie es machen (müssen).
6 Die Gewalt des kollektiven Besserwissens und ihre Kritik: die Anerkennung der Auseinandersetzung und des Widerstands
In diesem Kapitel lege ich die Ergebnisse der Arbeit zusammenfassend dar. Dabei handelt es sich um die verbindenden Thesen zwischen den im Anschluss an Pierre Bourdieu getroffenen feldtheoretischen Annahmen (vgl. Kap. 2) und den empirisch erarbeiteten Aussagen zur institutionellen Bewertungspraxis (vgl. Kap. 5 sowie hinführend Kap. 4). Ob eine »ausländische« Berufsqualifikation in Deutschland anerkannt ist oder anerkannt wird, ist demnach weder eine »objektive« Information noch eine »subjektive« Entscheidung. Es ist notwendig, die Bewertungen mit Blick auf die sozialen Strukturen, die ihrer Entstehung zugrunde liegen, zu hinterfragen. Sowohl die offizielle Anerkennung als auch ihr Nebenprodukt, die Nicht-Anerkennung, sind Ergebnisse eines sozialen Herstellungsprozesses und damit soziale Konstrukte. Das gilt zunächst für alle (Berufs-)Qualifikationen unabhängig davon, ob man sie als »ausländisch« oder »deutsch« klassifiziert. Ich bin nicht das, von dem ich häufig glaube, dass ich es bin – Soziologin –, sondern ich wurde unter bestimmten sozialen Voraussetzungen dazu gemacht. Wir sind es gewohnt, die Beurkundung und Zertifizierung von Wissen und Können völlig normal und legitim zu finden, wenn ihr ein institutionalisierter Lernprozess einschließlich Prüfungen vorausgegangen ist. Hinter dem Begriff der Institution verbergen sich Annahmen, die sehr viel mit der Idee von Staatlichkeit zu tun haben. Wir sind es gewohnt, Bildung als staatlich organisiertes System zu denken und unterscheiden den Qualifikationserwerb in »Berlin« von »Bayern«, in »Deutschland« von Staaten im »Ausland« und in der »Europäischen Union« von »Drittstaaten«. Kurz gesagt, wir unterscheiden in vielschichtiger Hinsicht »eigene« Institutionen von »anderen« Institutionen. Dass »Anerkennung« im Zuge von Mobilität und Migration ebenso wie von politischen Umbrüchen ein Problem sein kann, ist ebenfalls weitestgehend bekannt. Doch wie werden Qualifikationen bewertet, die nicht in den »eigenen«, sondern in »anderen«
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Bildungsinstitutionen erworben wurden? Wie wird eine Berufsklassifikation, von der nicht zuletzt auch unser Ungleichheitsdenken abhängt, durch den Staat produziert und reproduziert? Die Gewalt des kollektiven Besserwissens Meine Kernthese lautet, dass die Entstehung »deutscher« Bewertungen »ausländischer« Berufsqualifikationen auf die symbolische Gewalt des kollektiven Besserwissens als ihr genetisches Prinzip zurückgeht. Die deutschen Bildungs- und Berufstitel gelten als der Maßstab aller Dinge. Der maximal erreichbare Wechselkurs in einem Bewertungsverfahren ist ein Tauschverhältnis von 1:1. Dann gilt eine »ausländische« Berufsqualifikation als »gleichwertig« und wird zu einer »deutschen Berufsqualifikation«. Die Möglichkeit der Feststellung eines höheren Werts ist durch die Frage nach der »Gleichwertigkeit« mit einer deutschen Referenzqualifikation ausgeschlossen. Die unvergleichliche Anerkennung als wertvoll in sich ist noch weiter entfernt. Zu einem Wechselkurs von 1:1 kommt es unter hochgradig selektiven Bedingungen, die ich in Kürze noch beschreiben werde. Typischerweise bleibt der festgestellte Wert einer »ausländischen« Qualifikation unter dem Wert der »deutschen« Referenzqualifikation. Die Qualifikation bleibt dadurch »ausländisch«. Mit Bourdieu gedacht, ist die Gewalt des kollektiven Besserwissens als Disposition in Köpfen wie auch in Institutionen historisch eingeschrieben. Das gilt für Bewertende wie Bewertete gleichermaßen. Was »das Kollektiv« und was »das bessere Wissen« ist, ist jedoch ein unter dynamischen Bedingungen verhandelbares Konstrukt. Insofern ist der zugrunde liegende Kollektivbegriff nicht statisch oder hermetisch abgeriegelt, sondern strukturell erneuerbar. Die symbolische Dominanz, die Gewalt des kollektiven Besserwissens, ändert sich jedoch nach meiner Interpretation nicht zwangsläufig, wenn es bei einem Wechselkurs von 1:1 zu einer Einverleibung in das Kollektiv kommt. Es handelt sich, mit Axel Honneth gesprochen, um die »Anerkennung« im Recht, ohne dass damit auch eine Gewähr sozialer Wertschätzung verbunden wäre (Honneth 1994: 271). Es ist vor allem ein Akt der Einbzw. Anpassung in das deutsche Bildungs- und Berufssystem im Sinne der Produktion und Reproduktion von deutschen Qualifikationsinhabern und -inhaberinnen. Der Begriff des »Anpassungslehrgangs« im Fall von festgestellten »wesentlichen Unterschieden« macht dies unmissverständlich deutlich. Ich bezeichne es deshalb als das Feld der Produktion und Reproduktion »deutscher Berufsqualifikationen«, welches die Möglichkeit der selektiven »Nutzung« ausländischer Produktionsstätten einschließt. Die besondere Kraft der Gewalt des kollektiven Besserwissens besteht in der ihr möglichen Tarnung durch einen Mantel der Objektivität. Der Mantel verhüllt die symbolische Macht der Bewertenden, die eigenen Maßstäbe als universell gültig
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erklären zu können. Durch die Verschleierung ihrer Normativität, die ihr aufgrund der „Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen“ (Bourdieu 1992: 153) sehr gut gelingt, legitimiert und reproduziert sich die Gewalt selbst. Übertroffen hat sie sich in der Erfindung der Klassifikation »teilweise gleichwertig« oder »teilweise anerkannt«. Sie versteht sich in der Kunst, den eigenen Herrschaftsanspruch mit einer wohlwollenden Terminologie zu unterlegen, die signalisiert: Der gute Wille ist da, er kommt nur gegen die »Fakten« nicht an (»Es ist leider einfach nicht gleichwertig«). Je selbstverständlicher die Bewerteten ihre Deklassifizierung als legitimen und natürlich gegebenen Sachverhalt anerkennen, desto unangegriffener ist der damit verbundene Herrschaftsanspruch. Wenn auch die Bewerteten die Normativität der Bewertenden verkennen, beteiligen sie sich implizit als Komplizen an der Aufrechterhaltung der symbolischen Ordnung. Die Illusio des Felds Die Illusio der Akteure, die an dem Spiel um den Wechselkurs des institutionalisierten kulturellen Kapitals beteiligt sind, ist an erster Stelle ihr geteilter Glaube an die Relevanz von deutschen Bildungs- und Berufstiteln. Es handelt sich für die Beteiligten um eine Ressource, um die es sich zu spielen (und damit auch zu kämpfen) lohnt. Nicht daran beteiligt sind mutmaßlich a) diejenigen, die weltweit von institutionalisierter Bildung ausgeschlossen sind b) diejenigen, denen Bildungs- und Berufstitel gleichgültig sind und c) diejenigen, denen es egal ist, was der deutsche Staat macht. Den Beteiligten liegt die gemeinsame Vorstellung einer Einteilung der Welt in Wissenskollektive auf Basis der Idee von Staatlichkeit zugrunde, die in vergleichbaren Relationen zueinander stehen. Wissen, Können, Bildung, Qualifikation (wie auch immer sprachlich gefasst) werden als Konkurrenz oder als Wettbewerb um das »Bessere« gedacht. Der Kampf um Anerkennung ist dabei nicht nur ein Kampf, der sich als jeder gegen jeden darstellen lässt, sondern er äußert sich in vielfacher Hinsicht in kollektivierten Formen. Die Illusio beinhaltet damit auch die Normalität und Autorität von institutionalisierten, staatsförmigen Einheiten als maßgeblich für die Zertifizierung von Wissen und Können. Ohne meine Beteiligung an diesem illusionären Kern hätte ich das Phänomen oder das Problem der Bewertung als Frage nach der Umwandlung von einer Währung in eine andere nicht als solches gesehen. Mein Vorhaben zielte vor allem auf die Enttarnung der im Vorfeld angenommenen Illusio der objektiven Unterscheid-, Bewert- und Vergleichbarkeit von in unterschiedlichen Kontexten erworbenen Qualifikationen ab. Dabei habe ich anhand von Interviews mit Bewertenden und Gruppendiskussionen mit Bewerteten festgestellt, dass die Illusio der Objektivität eines solchen Vergleichs gerade nicht ausnahmslos von allen geteilt wird. Ein Bewusstsein, dass es sich um Macht- und Positionskämpfe handelt, ist unter denjenigen, die in ihrem Alltag mit dem Bewerten
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oder Bewertetwerden direkt konfrontiert sind, durchaus verbreitet (auch wenn sie es nicht mit Bourdieu als »Klassifikationskämpfe« bezeichnen). Die Bewertenden teilen eher die Illusio einer notwendigen Herstellung von Einheitlichkeit, damit ihr Handeln gerade dadurch unangreifbarer und (scheinbar) objektiver wird. Einzelne glauben auch nicht daran, dass das in einer Vervollkommnung möglich ist. Empirisch sichtbar wird ein Zwang zum kollektiven Besserwissen, auch wenn man sehr genau weiß, dass man es nicht so genau weiß. Die interviewten Bewerteten eint dagegen sehr viel mehr der Glaube an Ignoranz und Willkür als an Objektivität. Dennoch können auch sie sich nicht ohne Weiteres von der symbolischen Gewalt des kollektiven Besserwissens befreien. Sie müssen sich in ihrem Kampf unter anderem gegenseitig darin bestätigen und bestärken, dass sie es besser wissen. Bevor ich auf die Auseinandersetzungen mit und Widerstände gegen die symbolische Gewalt näher eingehe, lege ich zunächst die weiteren empirischen Ergebnisse dar: Wie wird klassifiziert und selektiert, ob es zu einer symbolischen Einverleibung, einem Wechselkurs von 1:1, kommt oder nicht? Machtkonstellationen, Selektionsmechanismen, Handlungskompetenzen Der erzielte bzw. erzielbare Wechselkurs hängt, so meine rekonstruktiv entwickelte Argumentation, von drei miteinander verknüpften Felddimensionen ab. Ich nenne sie Machtkonstellationen, Selektionsmechanismen und Handlungskompetenzen. Sie stehen für die Struktur des Felds, die Prozesse der Unterscheidung von Anerkennbaren und (noch) nicht Anerkennbaren sowie die bewertenden Akteure. Die Machtkonstellationen (die Strukturen) geben einen »Raum der Möglichkeiten« vor, innerhalb dessen sich die Bewertung einer spezifischen ausländischen Qualifikation in Deutschland bewegt. Die Chancen auf einen Wechselkurs von 1:1 sind dadurch in der Praxis nicht gleich verteilt, wie es der von den Herrschenden geführte Diskurs behauptet oder verkündet. Ich führe die Chancen auf mindestens drei verflochtene Klassifikationsprinzipien und damit zusammenhängende Machtkonstellationen zurück: den Ausbildungsstaat, die Art der Qualifikation und den Grad der rechtlichen Geregeltheit. Die Selektionsmechanismen (die Prozesse) verweisen auf die Einsätze und Regeln des Spiels. Sie tarnen die Machtkonstellationen, indem sie in scheinbar ganz normalen formalen Verwaltungsabläufen einen Mantel der Objektivität herstellen oder zumindest herzustellen trachten. In den Handlungskompetenzen (der bewertenden Akteure) zeigen sich Kontraste im Umgang mit dem Bewerten bei einer gemeinsamen Gatekeeper-Position im Feld. Ihr Handeln macht vor allem einen Unterschied in der »Verhandlungszone«, weniger im Zentrum oder in der Peripherie des Felds. In Bourdieus Worten handelt es sich bei dem Feld nicht nur um eine strukturierte, sondern auch um eine strukturierende Struktur. Die bewertenden Akteure tragen mit ihrer inkorporierten Position in unterschiedlichem Ausmaß zur Re-
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produktion oder Veränderung der Institutionen und damit der dem Feld inhärenten Machtkonstellationen und Selektionsmechanismen bei. Was mit den genannten Dimensionen gemeint ist, werde ich nun einzeln kurz zusammenfassen. Die hier aufgeführte Untergliederung entspricht der Untergliederung von Kapitel 5, in dem ich die Interpretation anhand des empirischen Materials nachvollziehbar gemacht habe. Machtkonstellation 1: Die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten Die Basis der Machtkonstellationen ist anknüpfend an die beschriebene Illusio in den Beziehungen zwischen Deutschland und anderen Ausbildungsstaaten begründet (vgl. 5.1.1). Die Struktur der Beziehungen zu anderen Staaten geht mit unterschiedlichen Graden des Vertrauens bis hin zur Beziehungslosigkeit einher. Eine Einverleibung in das Kollektiv ist umso wahrscheinlicher, je enger und vertrauter diese Beziehungen sind. Enge und Vertrauen hängen nicht oder nicht nur von internationalen Richtlinien und Übereinkommen ab, auch wenn sie dadurch gewachsen sein können. Handlungspraktisch entscheidend ist auch, inwiefern Vertrauen in den anderen Ausbildungsstaat als eine soziale Struktur inkorporiert und dadurch in der Bewertungssituation selbstverständlich ist. Das Machtzentrum des Felds zeichnet sich durch ein als überwiegend normal empfundenes Vertrauen in Qualifikationen eines anderen Ausbildungsstaats aus. Dies ist momentan insbesondere in Bezug auf bestimmte Qualifikationen anderer älterer EU-/EWR-Mitgliedstaaten gegeben. Festgehalten werden muss jedoch auch, dass es sich nicht um ein Vertrauen handelt, das seit eh und je »da« war. Wie auch die Historie des Bewertungswesens zeigt (vgl. 4.2), geht es vielfach auf symbolische Kämpfe zurück, die inzwischen (weitestgehend) zum Stillstand gekommen sind. Im Bereich der Medizin zieht das Vertrauen noch etwas größere Kreise, die z. B. auch Nordamerika, Japan und Ozeanien einschließen. Das deutsche Besserwissen wird dadurch partiell, das heißt qualifikationsabhängig, zu einem EUropäischen Besserwissen oder auch zu einem Besserwissen reicher Nationen (wobei eine auf Gegenseitigkeit beruhende Anerkennungspraxis nicht vorausgesetzt werden kann). Die Peripherie ist durch eine inkorporierte Struktur der Beziehungslosigkeit gekennzeichnet, die, handlungspraktisch betrachtet, nicht mit einem Gefühl der Macht, sondern eher mit Ohnmacht, Resignation oder auch Verdrängung einhergeht. Es kommt zu keiner Einverleibung in das Kollektiv des besseren Wissens. Die Qualifikation gilt als »nicht gleichwertig« oder auch »nicht bewertbar« und bleibt dadurch »ausländisch«. Zwischen Zentrum und Peripherie liegt jene Zone, die ich »Verhandlungszone« genannt habe, in der um die Beziehung und damit auch das Vertrauen gerungen wird.
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Machtkonstellation 2: Das Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen Die zweite Machtkonstellation rekonstruiert die strukturellen Bedingungen, unter denen das Kollektiv des besseren Wissens ein Interesse an einer Einverleibung und dadurch einer Erweiterung seiner selbst hat (vgl. 5.1.2). Im Spannungsfeld der qualifikationsbezogenen Marktinteressen ringen liberale Kräfte und protektionistische Kräfte um die Deutungsmacht. In ihrem Wettstreit um das Besserwissen kommt es zu unterschiedlichen Bewertungen in Abhängigkeit von der Frage, um welche Qualifikation es sich handelt. Liberale Kräfte kämpfen um die Öffnung und Erweiterung des Kollektivs, entweder in Bezug auf ein allgemeines Gleichheitspostulat oder in Bezug auf bestimmte »Bedarfe«. Die protektionistischen Kräfte halten mehr oder weniger stark dagegen und verteidigen den Status quo der kulturellen Produktion und Reproduktion deutscher Bildungs- und Berufstitel. Je nach Qualifikation ist das Kräfteverhältnis in diesem Spannungsfeld anders gelagert. Von dem Kräfteverhältnis hängt es ab, wie weite Kreise die inkorporierte Struktur des Vertrauens zu anderen Ausbildungsstaaten zieht. Unter den von mir betrachteten fünf bewerteten Berufsgruppen haben sich, wie meine empirischen Befunde zeigen, liberale Marktinteressen im Fall von Ärztinnen und Ärzten am stärksten durchgesetzt, während dies im Fall von Lehrerinnen und Lehrern am wenigsten der Fall ist. Dadurch ist es bspw. der Regelfall, dass bulgarische Mediziner von deutschen Behörden anerkannt werden, während bulgarischen Lehrerinnen dieses Vertrauen nicht oder zumindest nicht zwangsläufig entgegen gebracht wird. Dies ist unter Umständen auch darauf zurückzuführen, dass es im Bereich der Medizin eine besonders lange Tradition des Prüfens von im Ausland erworbenen Qualifikationen gibt, während die Institutionalisierung von Bewertungsverfahren in anderen Berufen, z. B. im Handwerk, noch sehr neu ist - mit Ausnahme des Rechtsanspruchs für (Spät-)Aussiedler (vgl. 4.2.1). Die Gewalt des kollektiven Besserwissens ist in dieser Machtkonstellation vor allem ein ökonomisches Besserwissen, welche Berufsqualifikationen Wert haben, weil sie im ökonomischen Sinne (momentan) »Wertsteigerung« versprechen (die naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Berufe und die am Arbeitsmarkt »nachgefragten«). Das Paradox liegt darin, dass die Durchsetzung von liberalen Interessen durch die Vergrößerung des Kollektivs (die Einverleibung) mit der Senkung des ökonomischen Werts der Qualifikationen – sowohl im nationalen wie im Weltmaßstab – einhergeht. Das kann das Erstarken der protektionistischen Kräfte (wieder) auf den Plan rufen. Die protektionistischen Kräfte vereint ein kulturelles oder auch nationales Besserwissen, das die Reproduktion von gesellschaftlichen Qualitäts- und Beschäftigungsstandards – also die Bewahrung des Besserwissens als solches – in Gefahr sieht. Argumentativ im Vordergrund steht der Schutz von Verbrauchern und Patien-
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ten ebenso wie inländisch ausgebildeten Arbeiternehmerinnen und ortsansässigen Arbeitgebern. Es wird damit transportiert, dass ihnen durch die Anerkennung ausländischer Qualifikationen Schaden für Leib und Leben oder auch der Wertverlust ihres Kapitals drohen könnte. Das skizzierte Spannungsfeld der liberalen und protektionistischen Marktinteressen führt letztlich im Ergebnis zur Etablierung von Kompromiss-Bewertungen wie »teilweise gleichwertig« oder »teilweise anerkannt«. Unter besonderen Umständen folgt ein Angebot, zusätzliche Anpassungslehrgänge oder Prüfungen vor »deutschen« Bildungsträgern zu absolvieren, um die Feststellung von »Gleichwertigkeit« durch diese Leistungs- und Kompetenznachweise zu erreichen. In dem Angebot des noch weiter Lernenkönnens und Beweisenkönnens versöhnt sich das Besserwissen der liberalen und protektionistischen Marktinteressen. Die symbolische Dominanz, die das Lernen- und Beweisen müssen zur Voraussetzung für die Einverleibung in das Kollektiv des besseren Wissens macht, manifestiert sich gerade in diesem wohlwollenden »Angebot«. Machtkonstellation 3: Die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit Die Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit beschreibt die konstellationsabhängige Legitimation der Bewertungen (vgl. 5.1.3). Die Spirale vereinheitlicht im Machtzentrum und mündet in eine Atomisierung der Verantwortlichkeit in der Peripherie. Je enger, etablierter und vertrauter die Beziehungen zwischen Ausbildungsstaaten sind (weil sich liberale gegenüber protektionistischen Interessen qualifikationsabhängig durchgesetzt haben), desto eher ist es klar, dass und welche Bildungs-/Berufstitel anerkannt werden. In diesen Konstellationen im Machtzentrum führen die Mitarbeiterinnen in den Behörden und Kammern weitestgehend nur etwas aus, was sich als Deutungsmuster bereits allgemein durchgesetzt hat. Je eher es sich um eine Konstellation mit Beteiligung der Peripherie und einen von protektionistischen Kräften stark verteidigten Qualifikationsbereich handelt, desto eher obliegt die Bewertung einer sogenannten »Einzelfallprüfung«. Die Bewertenden haben nur sehr wenige Anhaltspunkte als Orientierung, z. B. dass die Dauer der Ausbildung nicht um mehr als ein Jahr abweichen darf, dass die Inhalte keine wesentlichen Unterschiede aufweisen dürfen oder dass Berufserfahrung zum »Ausgleich« herangezogen werden darf. Ich spreche von der Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit, weil eine besonders schwache Position der Antragstellerinnen (und ihrer Ausbildungseinrichtungen und Ausbildungsstaaten) hier auf eine besonders schwache Position der Bearbeiterinnen trifft. Während letztere sich wünschen würden, nach einheitlichen und unzweifelhaften Regeln bewerten zu können, sind sie in den schwierigsten Fällen auf sich allein gestellt. Die Interaktion ist von einer Konstellation der Beziehungslosigkeit sowie demzufolge auch ungelösten Konflikten im Spannungsfeld der liberalen und protektionistischen Marktinteressen beherrscht. Die Befreiung von der
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Unsicherheit, die für eine Anerkennung notwendig ist, bedeutet, einen individuellen Kraftakt der Vertrauensschöpfung zu bewältigen, zu dem es nur in Ausnahmekonstellationen kommt. Das kollektive Besserwissen ist hier das Besserwissen der übergeordneten Gesetze-machenden Bürokraten, Juristen und Politiker. Durch den Kunstgriff der »Einzelfallprüfung« gelingt es ihnen, für die den Strukturen innewohnende Verkennung keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Es ist keine explizite Übertragung von Macht, sondern eine implizite Übertragung von Ohnmacht. Vor allem unterschiedliche Bewertungen derselben Qualifikation machen angreifbar, weil sie die Tarnung, den Mantel der Objektivität, offensichtlich infrage stellen. Den Bewertungsunsicherheiten ebenso wie den Angriffen von Antragstellerinnen, die sich ungerecht behandelt sehen und mitunter den Vorwurf der »Diskriminierung« und des »Rassismus« erheben, sind nicht die Gesetzesmacher, sondern die Gesetzesanwenderinnen ausgesetzt. Selektionsmechanismen Die Selektion erfolgt im Rahmen von Einsätzen und Regeln des Bewertungsverfahren, die mit den Machtkonstellationen verwoben sind. Sie strukturieren den Bewertungsprozess, der aus den Interessierten die »Anerkennbaren« herausfiltert, in bestimmte formale Vorgaben und Abläufe. Es beginnt bereits mit der Frage, ob unter den gegebenen Voraussetzungen ein Zugang zu einem Bewertungsverfahren besteht. Von Regierungsseite wird und wurde mitunter kommuniziert, dass ein allgemeiner Rechtsanspruchs auf ein Bewertungsverfahren eingeführt wurde. Dies ist in der Praxis nicht der Fall. Ob er im Einzelfall besteht, hängt davon ab, ob eine Zuordenbarkeit zu einer jener deutschen Referenzqualifikationen festgestellt wird, für die grundsätzlich Bewertungsverfahren institutionalisiert sind und wenn ja, zu welcher. Das führt dazu, dass ein nicht zu unterschätzender Teil der Anerkennungssuchenden mitunter bereits keine zuständige »Wechselstube« finden kann, in der die Qualifikation bewertet wird (vgl. 4.5). Für diejenigen, die in der Praxis die Anträge bearbeiten, ist es in den seltensten Fällen ein standardisierter Ablauf. Die Interaktionen bewegen sich in jener Zone, die ich im Rahmen der Machtkonstellationen als »Verhandlungszone« beschrieben habe. »Die Bewertung« ist deshalb kein einmaliger oder singulärer Bewertungsakt, sondern ein Interaktionsprozess, bei dem viele Klassifizierungs- und Bewertungshandlungen ineinandergreifen. An erster Stelle stehen Selektionsmechanismen in Zusammenhang mit der Phase von Information und Beratung (vgl. 5.2.1). In der Durchführung und Dokumentation der »Gleichwertigkeitsprüfung« kommt es zu weiteren Ausschlüssen (vgl. 5.2.2). Zum Teil erfolgt die Bewertung auch unter Rückgriff auf Erfahrungswissen im Zusammenhang mit anderen Fällen, die als »ähnlich« klassifiziert werden (vgl. 5.2.3). Wenn dies nicht der Fall ist, geht es um die Frage, wie Expertise aufgebaut werden kann (vgl. 5.2.4). An fünfter Stelle steht
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die theoretische Verarbeitung von festgestellten »wesentlichen Unterschieden«, in der ich Legitimationen als Orientierungsschemata für zukünftiges Handeln sehe (vgl. 5.2.5). Ich werde nun auch hier kurz zusammenfassen, was damit jeweils gemeint ist. Im Sinne von Selektions- oder auch Filtermechanismen führen die Klassifikations- und Bewertungshandlungen dazu, dass es in Abhängigkeit von den Machtkonstellationen nicht zu einer Entscheidung in Form eines offiziellen Bescheids über eine »Nicht-Anerkennung« kommt. Einem relevanten Teil der »Nicht-Anerkennungen« liegen (ablehnende) Bewertungen zugrunde, die bereits vor der offiziellen Antragstellung oder -bearbeitung stattfinden. Die Qualifikation bleibt dadurch »nicht anerkannt«, ohne dass ein Bescheid ausgestellt wird (gegen den man Widerspruch oder Klage einreichen könnte) und ohne dass die Bewertung statistisch dokumentiert wird. In dieser Phase wird das Fehlen formaler Voraussetzungen als Grund angeführt, warum es zu keinem Antrag und keiner Bewertung kommt. Dazu gehören zum Beispiel die Bewertungen, dass es keinen passenden deutschen Referenzberuf gibt, mit dem man die Ausbildung vergleichen könnte, dass keine vollständigen Unterlagen vorliegen, dass man von Vorneherein sehen könne, dass die Ausbildung »nicht gleichwertig« (oder »nicht vergleichbar«) ist, dass die Kosten des Verfahrens nicht im Verhältnis zu den Chancen stünden oder dass der nachgefragte Nachweis deutscher Sprachkenntnisse fehlt. Die Gewalt des kollektiven Besserwissens tarnt sich hinter diesen vermeintlich »ganz normalen« unerfüllten Voraussetzungen. Probleme, deren Ursachen in den Machtkonstellationen liegen, werden zu Problemen individueller Defizite und Performanz gemacht. Die »Gleichwertigkeitsprüfung«, z. B. als ein Vergleich von Stunden und Fächern, ist – sofern es nach Informations- und Beratungsgesprächen noch dazu kommt – kein Prüfverfahren mit einem völlig offenen Ausgang. Eine Suchrichtung steht zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Die »Gleichwertigkeitsprüfung« ist das zentrale Instrument, um die Bewertung auf dem Papier objektiv erscheinen zu lassen, indem festgestellte »wesentliche Unterschiede« schriftlich als solche belegt werden. Es liegt in der institutionalisierten Werthaltung begründet, ob vor allem nach Ähnlichkeiten oder nach Unterschieden zwischen Studien- und Ausbildungsordnungen gesucht wird und wie viel »Gleichheit« als Maßstab für »Gleichwertigkeit« vorausgesetzt wird. Identisch sind die Ausbildungsstrukturen und Ausbildungsinhalte weltweit in der Regel nicht, was den Bewertenden sehr bewusst ist. Dadurch ergeben sich in der Bewertungs- und Belegpraxis Probleme der eindeutigen Klassifikation und Zuordnung von Fächern und sämtlichen Ausbildungsinhalten. Durch die Mehrdeutigkeit von Übersetzungen der jeweils anderen Sprache ins Deutsche potenziert sich die Problematik. Je weniger institutionalisiert und distanzierter die Beziehung zu dem Ausbildungsstaat ist, der eine Qualifikation verliehen hat, desto schwieriger sind Zuordnung und Vergleich für die Interviewten zu bewältigen. Es
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fehle die »Basis des Dialogs« mit den anderen Ausbildungsstaaten, heißt es mitunter. Nicht alle Qualifikationen werden einzeln geprüft. Eine Abkürzung, die schneller als die »Gleichwertigkeitsprüfung« zum Ausscheiden (oder auch zur Einverleibung) führt, besteht in dem Prinzip der beschrittenen Wege. Wenn schon mal ein ähnlicher Fall bewertet wurde, wird die Bewertung auf den neuen Fall übertragen. Was ein Fall zu einem ähnlichen oder unähnlichen Fall macht, ist Verhandlungsgegenstand im Kontext der Machtkonstellationen. Beschritten sind die Wege in einem doppelten Sinne, durch die Migration nach Deutschland bzw. ein bestimmtes Bundesland und durch die vorausgegangene Antragsbearbeitung in einer deutschen Behörde oder Kammer. Vorrangig gelten die eigenen Erfahrungen mit Bewertungen (innerhalb einer Institution) als relevanter Maßstab, zu geringerem Maße auch Erfahrungen mit Bewertungsfällen, die in zentralen Datenbanken archiviert werden. Letztere werden eher als die eigenen Erfahrungen in ihrer Aussagekraft und Verlässlichkeit hinterfragt. Qualifikationen, die keinem alten Fall zugeordnet und nicht auf Basis vorliegender Unterlagen abschließend bewertet werden, bleiben unter Umständen weiter im Verfahren. Es handelt sich dann um mehr oder weniger intensive Bemühungen, fehlende Expertise aufzubauen, durch Internetrecherchen, zum Teil durch gutachterliche Zusammenarbeit mit anderen Stellen und ggf. in wenigen Ausnahmefällen durch performative Prüfungen (Eignungs-, Kenntnis- und Anpassungslehrgänge). Die Selektion hängt vor allem von dem Aktionsradius im Nahfeld der Machtkonstellationen, einem unterschiedlichen Aufwand und einer unterschiedlichen Ergebnisoffenheit ab. Es wird nach dem gegriffen und dem glaubt, was in der jeweiligen Position und Konstellation naheliegend und plausibel ist. Die Bewertungen und insbesondere die Feststellung »wesentlicher Unterschiede« wird durch die Bewertenden legitimiert und theoretisch verarbeitet, typischerweise mit dem Nicht-Erreichen der Standards der deutschen Ausbildung, der deutschen Sprache und der Anforderungen des Berufs in der Praxis (»Die können nicht das, was man hier zum Arbeiten in diesem Beruf können muss«). Generalisierende Differenzkonstruktionen betrachte ich als eine Form der Selektivität, weil sich daraus Maßstäbe und Orientierungsschemata für Bewertungshandeln ableiten. Sie legitimieren die Gewalt des kollektiven Besserwissens vor sich selbst. Handlungskompetenzen Die Akteure, die als Gatekeeper den symbolischen Zugang zur deutschen Berufsangehörigkeit regeln, sind bei ähnlicher Aufgabe unterschiedlich positioniert und verfügen deshalb letztlich über unterschiedliche Handlungskompetenzen, etablierte Grenzziehungen zu stabilisieren oder auch zu verändern. Die Bewertung erfolgt nicht völlig gleichförmig und dadurch determiniert und vorhersehbar im Kontext
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von institutionalisierten Machtkonstellationen und Selektionsmechanismen. Sie entsteht auch in und durch die Begegnung zwischen zwei jeweils positionierten Personen, die – bildlich gesprochen – an der symbolischen Grenze aufeinander treffen. Durch die Interaktion werden die Machtkonstellationen und Selektionsmechanismen damit auch (neu) verhandelt. Fünf Handlungskompetenzen, die ein unterschiedliches Verhältnis von handlungspraktischem und theoretischem Wissen beschreiben, habe ich als Ausdruck einer zwischen mir und den Interviewten ausgehandelten Anerkennungsbeziehung typologisiert. Erstens, können sie als Gatekeeper durch ihre Praxis die symbolische Ordnung »reproduzieren«. Zweitens können sie »kontextuieren« und damit auch neues Wissen über Unterschiede und Ungleichheiten herstellen. Drittens, können sie sich selbst in ihrer Beziehung zum System »reflektieren«. Viertens, können sie strukturelle Hierarchien und Entscheidungsprozesse im System »kritisieren« und fünftes können sie die Praxis der Bewertung und damit auch das System »transformieren«. Welche Handlungskompetenzen sich als dominant zeigen, ist nach meiner Interpretation nur teilweise aus dem Umfeld der jeweiligen Organisation oder den formalen Bildungsabschlüssen der Personen erklärbar. Es spielen sicherlich auch habituelle (Nicht-) Passungsverhältnisse zu mir als Interviewerin eine Rolle, welche Kompetenzen sich in der Interviewsituation artikulieren und wie sie von mir interpretiert werden. Um den strukturellen Ursachen näher auf den Grund zu gehen, hätten die Interviews biografische Erzählungen einbeziehen müssen (was weitestgehend ausgeklammert war). Relevante Unterschiede zwischen den Interviewten sehe ich vor allem darin, ob ein sehr persönlich motivierter Antrieb ausschlaggebend war, ausländische Abschlüsse bewerten (und vor allem mehr Abschlüsse anerkennen) zu wollen, oder ob diese Tätigkeit mehr oder weniger auferlegt wurde, teilweise zusätzlich zu anderen Aufgaben. Diejenigen, die denselben Beruf haben wie diejenigen, die sie bewerten, sind, wie bereits angedeutet, tendenziell sicherer in ihrem Bewertungshandeln als Fachfremde. Unabhängig davon, wie die Interviewten zu ihrer Aufgabe gekommen sind und welche eigenen Erfahrungshintergründe sie haben, sehe ich vor allem große Unterschiede in der Praxis einer kritischen Auseinandersetzung mit dem, was sie machen (müssen) und wie sie es machen (müssen). Man könnte es mit Bourdieu das inkorporierte kulturelle Kapital nennen, dessen Maßstab in meiner Position »natürlich« nichts anderes sein kann als die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Position. Auseinandersetzung mit und Widerstand gegen die Gewalt Man könnte den Forschungsprozess wie folgt zusammenfassen: Ich habe die Gewalt hinterfragt und letztlich gerade deshalb für mich spontan überraschend (aber in der nachträglichen Reflexion wenig überraschend) viel Auseinandersetzung und Widerstand gefunden. Die Annahme, dass es sich um die Illusio objektiver Ver-
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gleichbarkeit handelt, lässt sich nach dem empirischen Prozess nur noch als eine theoretische und ggf. auf den öffentlich geführten Diskurs bezogene Annahme aufrechterhalten. Wie bereits angedeutet, zeigt sich hier womöglich gerade ein entscheidender Konflikt zwischen denen, die den Diskurs über das staatliche Handeln beherrschen und im Sinne der Herstellung und Aufrechterhaltung dieser Illusio zu steuern trachten und denen, die in der Praxis die Bewertungen der Qualifikationen vornehmen (müssen) und ihre Probleme im Diskurs nicht berücksichtigt sehen. Für die Bewerteten und ihre Erfahrungen ist dieses Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden, ohnehin zutreffend. Ich hatte Begegnungen mit Bewertenden, den Gatekeepern des kollektiven Besserwissens, die wissen, dass sie nicht wissen, wie sie den Wert einer Qualifikation feststellen sollen (vgl. Kap. 5). Nicht alle, aber sehr viele der Interviewten hüllen ihre Bewertungen gerade nicht in einen Mantel der Objektivität. Sie problematisieren eine mangelnde Bewert- und Vergleichbarkeit, indem sie sich unter anderem mit Fragen der Macht, der Selektion und der Kompetenzen als gegebene Voraussetzungen ihres Bewertens auseinandersetzen. Sie bestätigen mir, dass ich die in ihren Augen »richtige« Frage stelle, weil sie sich auch fragen würden, wie sie das eigentlich bewerten können sollen. Sie geben vielfach zu erkennen, dass »jeder ihrer Bescheide angreifbar ist« und dass sie letztlich nicht anders können, als das »irgendwie« oder »pi mal Daumen« zu machen. Sie sprechen davon, dass »hinter jedem Bescheid ein Mensch steht« und womöglich »die Existenz einer ganzen Familie« und dass sie »Bauchschmerzen« plagen in dem Gedanken an die Verantwortung für die Abwägung der Interessen, die in ihrer Hand zusammenlaufen. Zum Teil kommen sie zu Schlussfolgerungen, die meinen eigenen sehr ähnlich sind. Beispielhaft sind Sätze wie »wir denken immer wir sind so führend« oder »man muss sich davon befreien, zu glauben, dass die europäischen Standards die Standards schlechthin sind«. Die Position meiner Interviewten im Sinne ihrer jeweiligen Feld-Habitus-Beziehung ist nicht homolog, auch nicht mit meiner Position. Dennoch handelt es sich um die Beobachtbarkeit von Auseinandersetzungen mit der Legitimation dessen, was sie tun (müssen). Dass ich relativ unbeschwert Zugang zu den Interviewten bekommen habe (vgl. 3.5), interpretiere ich als eine grundsätzliche Bereitschaft der Institutionen, in einen Austausch zu dieser Problematik zu treten und sich letztlich auch durch mich bewerten zu lassen. Nicht zufällig wird vielfach der Wunsch geäußert, dass die Bewertungen von anderen Stellen (z. B. der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen), anderen Personen (wie z. B. fachkundigen Professorinnen, Ausbildern und Meistern) und anderen Verfahren (z. B. Kompetenzfeststellung statt Aktenprüfung) verantwortet werden sollten. Insbesondere wenn die Bewertenden nicht derselben Profession angehören, wird anderen mehr Legitimation zugetraut als der eigenen Person im Rahmen der gegebenen Strukturen. Zum Teil wird die verbreitete Annahme, dass »Fachmenschen« ausländisch Ausgebildete am bes-
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ten beurteilen könnten, auch explizit infrage gestellt: sie würden es letztlich auch nicht besser wissen. Einige ringen um die Anerkennung ihrer Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit dieser Problematik gegenüber Repräsentanten der gesetzlichen Grundlagen ihrer Arbeit in »Berlin« und »Brüssel«. Als Expertinnen für die Praktikabilität der institutionalisierten Regeln fühlen sie sich nicht zwangsläufig von den ihnen übergeordneten Regel-Machern wertgeschätzt, auch wenn sie im Rahmen routinierter Anhörungen hin und wieder nach ihrer Meinung gefragt werden. Die Illusio der objektiven Vergleichbarkeit wird unter denen, die »den Staat« vertreten, also nicht unbedingt geteilt. Hier geht es vielmehr um das Erreichen einer einheitlichen Handhabe der Bewertungen trotz des deutschen Bildungsföderalismus und der Zersplitterung in regionale Zuständigkeiten. Nicht der Glaube an die Objektivität, sondern der Glaube an die Notwendigkeit der Herstellung eines Mantels der Unangreifbarkeit steht im Vordergrund. Wo Einheitlichkeit herrscht, wird nicht an der Objektivität und Legitimität der Bewertungen gezweifelt, ist die damit verbundene Annahme und gleichsam der vielfach ersehnte Zustand. Erkennbar ist eine Orientierung daran, die symbolischen Kämpfe im Machtfeld gegenüber der Öffentlichkeit möglichst nicht sichtbar werden zu lassen. Bourdieus Theorie, formuliert in kritischer Absicht, ist damit gleichzeitig auch Rezeptwissen für das Gelingen symbolischer Herrschaftsausübung. Herrschaftstheoretiker und Herrschaftspraktiker orientieren sich an der vollkommenen oder zumindest der Idee einer Vervollkommnung der Gewalt. Dennoch ist einigen, die im direkten Kontakt mit den Antragstellern stehen, sehr bewusst, dass und warum die Herstellung eines Mantels der Unangreifbarkeit in den bestehenden institutionellen Strukturen nicht gelingen kann. Ein Widerstand gegen die ihnen aufgebürdete Konfrontation und Verantwortung bricht sich hier teilweise im Interview Bahn. Für mich spricht darüber hinaus auch gerade mit Blick auf die durchgeführten Gruppendiskussionen mit im Ausland qualifizierten Titelanwärterinnen einiges dafür, dass die unangegriffene und unhinterfragte Gewalt eine Illusion ist. Dass Gewalt und Widerstand zusammengehören, wird in den beiden Gruppendiskussionen mit Auslandsqualifizierten besonders deutlich (vgl. 4.1 und 4.5). Unter der Fragestellung, ob sie die durch die Bewertetwerden ausgeübte Unterdrückung tatsächlich verkennen oder es unter ihnen ein kollektives Aufbegehren gibt, habe ich einander fremde Menschen zusammengeführt, deren Gemeinsamkeit ein ausländischer Berufsabschluss und die Beschäftigung mit der »Anerkennung« ihrer Qualifikationen in Deutschland ist (vgl. 3.4). Es zeigt sich in den Gruppendiskussionen, dass sie die konjunktive Erfahrung des gewaltsamen Bewertetwerdens teilen. Sie bestätigen und bestärken sich unter anderem gegenseitig darin, dass sie diejenigen sind, die es besser wissen. Sie machen sich über »die Deutschen« lustig, die in ihnen je nach Herkunft Unterdrückte, Kriminelle oder Trinker sehen. Sie sprechen über ihre Wut und ihre Verzweiflung in der Interaktion mit deutschen Institutionen,
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von denen sie sich herablassend behandelt sehen – unter anderem indem sie ihre andernorts hochgradig anerkannten Qualifikationen nicht als »gleichwertige« Qualifikationen anerkennen. Sie diskutieren Möglichkeiten, sich zusammenzuschließen, um in politischen Gremien Einfluss zu nehmen, eine Massenbewegung auszulösen ebenso wie Bereiche, in denen sie sich ganz konkret gegenseitig helfen und unterstützen können. Unter anderem fällt der Vorschlag, aus der Not heraus eigene Systeme (»Parallelgesellschaften«) zu etablieren, in denen jeder mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten von den anderen anerkannt (und möglichst auch bezahlt) wird. Wie die Bewertenden glauben auch die Bewerteten nicht an eine Objektivität der Bewertungen, sondern an »Benachteiligung«, »Diskriminierung«, »Rassismus«, »Willkür«, »Kampf« und »Krampf«. Es zeigt sich in der Gruppe Hannover noch stärker als in der Gruppe Berlin das geteilte kollektive Orientierungsmuster des »Widerstands« gegen die Gewalt des kollektiven Besserwissens. Nach meinen methodologischen Annahmen ist er nicht nur in meinen Gruppendiskussionen als solcher in seinen Ansätzen beobachtbar. Weil ich sie für eine „wahrscheinliche Klasse“ (Bourdieu 1998a: 24) gehalten habe, habe ich nach ihr gesucht und eine „mobilisierte Klasse“ (ebd.) gefunden. Es hat sich in der zweiten, widerständigeren Gruppe gezeigt, dass sie sich mithin als eine Gruppe begreift, bevor sie einen Namen für sich gefunden hat. Es fallen Begriffe, wie »Ausländer«, »mit Migrationshintergrund«, »Bürger dieses Landes«, »ein Teil der Gesellschaft«, »diejenigen, die die Politik bewegen«. »Die Auslandsqualifizierten« oder »die Anerkennungssuchenden« fällt nicht und wird mutmaßlich auch nicht zutreffend sein. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine besonders politisierte Teilgruppe mit einer guten Ausstattung an (inkorporierten) kulturellen und sozialen Ressourcen handelt. Während sich die Gewalt in der reflektierten Position der Bewertenden in Form von Unsicherheit und Zweifeln zeigt, zeigt sie sich in der reflektierten Position der Bewerteten in Form von kollektivem Ärger und Wut. Bewertende und Bewertete teilen ihre hochgradig involvierte Auseinandersetzung mit der Gewalt des kollektiven Besserwissens, auch wenn sie durch ihre jeweiligen Positionen in Bezug auf die Machverhältnisse getrennt sind. Die damit einhergehenden habituellen Dispositionen sind nur schwer überwindbar. So ist Schwäche oder auch Nicht-Wissen für die Bewertenden eine fast illegitime Offenbarung. Gleichsam ist der Kampf um die Anerkennung, wissend und kompetent zu sein, für die Bewerteten ein Dauerzustand, den sie nicht aufheben können. Es gelingt ihnen nicht, durch ihre Reflexionen der eigenen Haut zu entschlüpfen. Auch dies haben Bewertende und Bewertete gemeinsam. Es ginge dennoch zu weit, zu konstatieren, dass es keine Reflexion, keine Kritik und keinen Widerstand gäbe. Erfahrbar wird eine soziale Bewegtheit, die ein Anzeichen dafür sein könnte, dass die symbolische Gewalt bereits brüchig geworden ist. Andernfalls hätte ich sie vermutlich auch nicht erkennen und thematisieren können. Eine vollkommene Verkennung der mit der Bewertung verbundenen Gewalt, wie sie die Theorie nahelegt, ist nicht in (meiner) Sicht.
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Konsequenzen und Perspektiven Als »fertig« lässt sich meine Arbeit lediglich im pragmatischen Sine bezeichnen. Es bleibt noch sehr viel zu tun, wenn man die Problematik als grundsätzlich relevant betrachtet. Das Wichtigste scheint mir zu sein, gerade auch Widerstände, Kritik und Reflexion der symbolischen Gewalt noch sichtbarer zu machen, als es mir im Rahmen dieser Arbeit infolge meines Fokus gelungen ist (siehe Ausführungen zum Verhältnis von Soziologie und Kritik unten). Darüber hinaus fallen mir verschiedene Ansatzpunkte zum Weiterdenken und Weiterforschen ein. Erstens ist zu fragen, wie die Betrachtung der Problematik aus anderen sozialtheoretischen und damit auch methodologischen Perspektiven die Ergebnisse ändern oder erweitern würde. Ich denke konkret z. B. an solche, die ebenfalls geeignet wären, in Beziehungen und Bezügen jenseits des Nationalstaats zu denken: die Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein, an die Diskurstheorie Michel Foucaults und die Postkoloniale Theorie, die Systemtheorie Niklas Luhmanns sowie andere feld- und institutionentheoretische Ansätze, die in ihren Grundannahmen auch gewisse Ähnlichkeiten zum Bourdieuschen Feldbegriff aufweisen (z. B. Fligstein/Mc Adam 2012, DiMaggio/Powell 1983, vgl. auch Bernhard/SchmidtWellenburg 2012a, 2012b). Die Liste ließe sich sicherlich fortsetzen. Zweitens frage ich mich, wie und mit welchen theoretischen Ansätzen die Problematik in anderen (Welt-) Regionen diskutiert wird, auch in Sprachen, die ich nicht verstehen kann. Ich kann lediglich sagen, dass die formale Anerkennung ausländischer Qualifikationen – wenig überraschend – auch andernorts ein diskutiertes Thema ist (z. B. Mulenga/van Lill 2007, Jooste/Jasper 2010 (beide Südafrika), Howtharne 2005 (Australien), Bauder 2003, Guo 2009 (beide Kanada), Andersson/Fejes 2010 (Schweden), Sprung 2011, Kasparovsky 2014 (beide Österreich), Riaño 2011 (Schweiz)). Diese Auflistung stellt jedoch lediglich eine sehr lose Sammlung dar und beinhaltet unterschiedliche Herangehensweisen, Schwerpunktsetzungen und Thesen. Inwieweit »meine Frage« in »meiner methodologischen Perspektive«, wie ein Staat als »Zentralbank des symbolischen Kapitals« (Bourdieu) die Wechselkurse des institutionalisierten kulturellen Kapitals verwaltet, bereits gestellt wurde, weiß ich nicht. Drittens legt meine Arbeit der Sozialforschung wie auch Sozialdebatten jeglicher Art einen behutsameren Umgang mit den Kategorien »Qualifikation«, »Beruf« und »Bildungs- bzw. Berufsabschluss« nahe, insbesondere auch in Bezug auf quantitativ ausgerichtete Sozialstrukturanalysen. Die ersten amtlichen Statistiken über durchgeführte Anerkennungsverfahren, die mit dem Inkrafttreten des sogenannten »Anerkennungsgesetz des Bundes« eingeführt wurden, wurden bereits vom Statistischen Bundesamt (2015) veröffentlicht. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass die Anzahl der dokumentierten Anträge mit 26500 in den ersten 21 Monaten weit hinter den Erwartungen an das Gesetz zurück bleibt. Dies hängt nicht zwangsläufig
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mit einem geringen Interesse oder einer geringen Bekanntheit der neuen gesetzlichen Möglichkeiten zusammen, wie gerne interpretiert wird. Die allermeisten Anerkennungsgesuche werden bereits in der Statistik nicht erfasst. Sie scheiden als Folge der beschriebenen Selektionsmechanismen bereits vor der offiziellen Bewertung und Dokumentation aus dem Verfahren aus. Insofern beinhalten gemessene, vermeintlich »geringe Ablehnungsquoten« auch beschönigte Zahlen. Um das Gesetz erfolgreich und Deutschland einwandererfreundlich aussehen zu lassen, darf die Masse der Ablehnungen in den offiziellen Dokumenten und Aussagen nicht sichtbar werden. Dabei ist es nach meiner Interpretation nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei dem Anerkennungsgesetz eher um ein Verkennungsgesetz handelt (vgl. Sommer 2014b). Fragen der Bildungs-, Anerkennungs- und Erwerbsbeteiligung von Personen mit ausländischen Berufsabschlüssen werden mit der erwartbaren Verfügbarkeit neuer Daten zu dieser Thematik sicherlich in einigen Projekten bearbeitet. »Nicht anerkannt«, »Unqualifiziert« oder »ohne Berufsausbildung« heißt im Zweifel vor allem, »durch den Staat nicht als qualifiziert anerkannt« (und ggf. bereits keinen Zugang zu einem Bewertungsverfahren gehabt). Mein Theorieangebot kann individualistisch oder auch kulturalistisch geprägten Interpretationen etwas entgegensetzen, sofern es zu einer Reflexion über die strukturellen Ursachen von statistisch feststellbaren Ungleichheiten und die Entstehungsgeschichte der kategorialen Unterscheidungen inspiriert. Viertens sehe ich Vertiefungs- und Erweiterungsmöglichkeiten in Bezug auf die kritische Erforschung der Bewertungsverfahren und das Infragestellen des kollektiven Besserwissens im Konkreten. Ich nehme an, dass sich daraus auch Anschlüsse oder Anregungen für die Professions- und Organisationsforschung ergeben könnten, ihre Gegenstände unter Einbeziehung der ungleichheitssoziologischen Perspektive mit einem globalen Horizont zu konzipieren. Die meisten BerufsBewertungen habe ich nicht betrachtet und aus denen, die ich in meinem Sample hatte, ergeben sich viele Fragen: Warum werden Pflegekräfte wegen nicht nachgewiesener Erfahrung im Bettenbeziehen oder im Waschen nicht anerkannt? Warum werden Sprachkenntnisse zur Bedingung für die Anerkennung von Fachkenntnissen gemacht? Warum ist ein studiertes Unterrichtsfach statt zwei bei Lehrern ein Ausschlusskriterium (zumal es bereits strittig sein kann, was »ein Fach« ist)? Muss eine Lehrerin wirklich deutsche Geschichte studiert haben, um als Geschichtslehrerin anerkannt zu werden? Warum muss eine Friseurin Damen- und Herrenschnitte gelernt haben, um als Friseurin anerkannt zu werden? Warum können Ärzte aus aller Welt auf Basis der Berufserlaubnis in Krankenhäusern arbeiten, während ihnen die Approbation (ohne Auflagen) verwehrt wird? Wie kann es gelingen, »Anerkennung« nicht mehr als Vergleich und in Form einer Ein- und Anpassung zu denken? Was spricht dagegen, neue Berufsbilder, z. B. das des Damenfriseurs oder auch des »Feldschers« (ein russischer Berufstyp zwischen Arzt und Pflegekraft) gesetzlich einzuführen? Es ist zu erwarten, dass diese und andere Fragen Politik und Bürokra-
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tie bewegen, nicht zuletzt durch die geplante Umsetzung der novellierten EUBerufsanerkennungsrichtlinie in deutsches Recht. Die bewertenden Institutionen werden allein im Interesse des Monitorings und der Evaluation politischer Maßnahmen auch zukünftig beforscht werden (z. B. BMBF/BIBB 2014, BMBF/BIBB 2015). Es zeigen sich in dieser Problematik mannigfaltige Kämpfe um soziale Ungleichheiten, ihre symbolische Reproduktion und Veränderung. Sie sind es wert, durch kritische Forschung begleitet und hinterfragt zu werden, die nicht (wie in der Regel üblich) von den Initiatoren der Maßnahmen beauftragt wurde. Fünftens, drängt sich spätestens dann auch die Frage nach politischen Alternativen zum »Gleichwertigkeit Prüfen« auf. Kann man auf diesen symbolisch gewaltsamen Akt, in dessen Terminologie bereits das institutionalisierte Besserwissen versammelt ist, verzichten? Wo er nicht durchgeführt wird, wird ja gerade von Anerkennungssuchenden gefordert, ihn durchzuführen, um eine »Starthilfe vom Staat« und damit erst eine Chance auf Anerkennung zu bekommen. Mir fehlt es an der Phantasie, die mich aus der Verstrickung mit den Gewaltverhältnissen hinausführen könnte. Ein weltweit vereinheitlichtes Bildungssystem als Projektion einer vereinfachten Anerkennung halte ich für keine gute und erst recht keine weniger gewaltsame Alternative.1 Auch möchte ich die Anerkennung von Qualifikationen nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, ob sich jemand als Arzt in der Praxis bewährt oder nicht. Ich traue es mir selbst nur bedingt zu, einen guten von einem schlechten Arzt unterscheiden zu können, erst recht unter Bedingungen von Krankheit oder Unfall. Ich habe auch Zweifel, dass mir meine sozialen Netzwerke in jeder etwaigen Situation mit Rat und Tat zur Seite stehen können. Kurz: Ich möchte zumindest solange an den Staat als Bildungsbewertungsakteur glauben können, wie ich keine überzeugende Alternative sehe. Mit etwas Befremden stelle ich deshalb auch fest, dass es nochmalige Prüfungen bereits bestandener Prüfungen und dadurch auch Selektion geben muss, solange ich für meine Beziehungen eine gewisse Sicherheit haben möchte, dass jemand etwas kann und weiß, was er oder sie angibt zu wissen und zu können. Ich hoffe letztlich auf die Entstehung einer kollektiven Kreativität, um dem kollektiven Besserwissen den Garaus zu machen. Ich möchte hier vor allem zwei Maßnahmen anführen, die diskutiert werden, um die betrachteten Bewertungsverfahren zu verbessern und begründen, warum ich beiden keine Chancen zuschreibe, die beschriebenen Machtmechanismen außer Kraft zu setzen. Zum einen wird die Lösung in dem Aufbau von zentralen und vereinheitlichten Wissensgrundlagen und der Zentralisierung von Zuständigkeiten gesehen. Durch das Sammeln und Ordnen von Informationen über ausländische Bil-
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Es wurde in jüngerer Zeit darauf hingewiesen, dass vor allem die große Heterogenität von nationalen (Aus-) Bildungssystemen der Anerkennung von Qualifikationen im Wege stehe (SVR 2013: 151, SVR 2014: 51, Brücker 2013: 13).
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dungssysteme und Archivierung bereits bearbeiteter Bewertungsverfahren soll langfristig ein einheitlicher Vollzug hergestellt werden. Zum anderen wird auch die generelle Einführung von Kompetenzfeststellungsverfahren diskutiert (wie sie vereinzelt bei fehlenden oder nicht aussagekräftigen Dokumenten bereits durchgeführt werden). Auch mit diesen Maßnahmen ist, zumindest mit Bourdieu gedacht, das erkenntnistheoretische Risiko verbunden, dass man nur das als Kompetenz erkennen und anerkennen kann, was den eigenen standortgebundenen Normen nach als solche sozial anerkannt ist, unabhängig davon ob sie am Schreibtisch oder performativ abgeprüft werden. Die Veränderung der habituellen Bewertungsschemata ist demzufolge keine Frage von Prüfungstechniken. Deshalb würde auch die unwahrscheinliche Einführung von flächendeckenden Kompetenzfeststellungsverfahren durch eine Suggestion des individuellen Leistungsprinzips wahrscheinlich maximal zu einer verbesserten „Illusion der Chancengleichheit“ (Bourdieu/Passeron 1971) führen. In einem Hintergrundgespräch mit jemandem, der im Umfeld der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen seit den 1970er Jahren mit dieser Problematik vertraut ist, heißt es: „meine langjährige Erfahrung zeigt, je weniger man über die ausländische Ausbildung weiß, desto leichter ist es einfach. Je mehr Einzeldaten man hat, desto mehr Möglichkeiten zumindest ergeben sich, dass man zu einem negativen Urteil kommt. Also wenn man nur drei, vier Dinge weiß, und diese drei, vier Dinge stimmen, ist man schnell bei einem positiven Urteil angelangt. Wenn man dagegen 30 Dinge weiß, ist die Gefahr, das was auftaucht, was einem nicht so ins Konzept passt und was man dann negativ vermerkt, eigentlich höher.“ (HI-ZAB1)
Daraus spricht die Begrenztheit der Veränderung durch mehr Wissens- und Informationsbeschaffung, was heutzutage als eine ganz und gar ungewöhnliche Nachricht auftritt. Der Geschäftsführer einer Architektenkammer berichtete nicht ohne Stolz davon, ein Netzwerk der für die Eintragung und damit auch Bewertung zuständigen Autoritäten in der Europäischen Union mitgegründet zu haben. Sie treffen sich mehrmals im Jahr, um sich kennenzulernen, unter anderem die favorisierte Weinsorte (auch wenn das nicht das Wichtigste sei), sondern vor allem, um sich auszutauschen und untereinander Vertrauen herzustellen. Er habe festgestellt, dass das gut funktioniert: „dann ist da eine Tür auf einmal offen, wenn man die Leute kennt, die da wie Türen vor den Landesgrenzen sitzen“ (HI-Architekten). Es fällt mir angesichts meiner Sozialisation nicht leicht, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Infolge dieser und anderer Erfahrungen nähere ich mich jedoch der Überzeugung, dass »Anerkennung« im Sinne einer Offenheit für neue und andere Kompetenzen und Werte aus einem anderen Stoff als der Ratio, der Standardisierung und der Berechenbarkeit im Sinne des Weberschen Idealtypus der Herrschaft gemacht ist.
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Zum Verhältnis von Soziologie und Kritik Was mich weiter beschäftigen wird, ist das Verhältnis von Soziologie und Kritik und damit auch von Theorie und Methode. Was bedeutet die Entdeckung von Auseinandersetzungen mit und Widerständen gegen die durch die symbolische Gewalt ausgeübte Verkennung für die Praxis soziologischer Kritik? Auf den ersten Blick schwächt es meine Position als Soziologin, weil nur unumkämpfte Wissensbestände der Theorie nach auf symbolische Gewalt hinweisen. Ich bin offensichtlich nicht die Erste und Einzige, die sich mit ihr auseinandersetzt. Die Darlegung der »Gewalt des kollektiven Besserwissens« als das Ergebnis war ein Kunstgriff, um den Kern der Problematik (wie ich ihn sehe) möglichst pointiert und unmissverständlich zu vermitteln. Paradoxerweise habe ich von Anfang an gehofft, dass sich die soziale Praxis nicht als so simpel gestrickt erweist, wie die Theorie sich anmaßt, zu behaupten. Auf den zweiten Blick sehe ich mich deshalb gestärkt. Es ist offenbar in Kombination aus kritischer und offener Forschungshaltung (die ich dem Forschen mit der Dokumentarischen Methode verdanke) gelungen, verschiedene andere kritische Stimmen zur Artikulation ihrer unterschiedlich positionierten Auseinandersetzungen mit der Gewalt zu bringen (und sie erst als solche zu erkennen). Vielleicht handelt es sich bei den Widerständigen in ihrer Summe nur um ein kleines gallisches Dorf. Was fiele mir jedoch ein, diese schönere Geschichte nicht zumindest auch zu erzählen? „Soll Kritik möglich sein, muß diese erste (pessimistische) Beschreibung mit einer zweiten (optimistischen) verbunden sein“ (Boltanski 2010: 34).2 Luc Boltanski, ein Schüler Bourdieus, kritisiert, dass sich die Theorie der symbolischen Gewalt als beides sieht: „Instrument zur Beschreibung von Herrschaft und Instrument zur Emanzipation von Herrschaft“ (Boltanski 2010: 39). Sie führe damit zwar auf beeindruckende Weise zusammen, was zwischen Max Weber und
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Das Programm der pragmatischen Soziologie der Kritik (Boltanski 2010) habe ich erst wahrgenommen, nachdem mein Forschungsprozess weitestgehend abgeschlossen war. Ihr Ansatz ist die empirische Beobachtung von »Institutionen« im Hinblick auf »Auseinandersetzungen« und »Prüfungen« unter der Fragestellung der »Kompetenz« des Kritisierens und Rechtfertigens. Sie verfolgt das Ziel „radikale Ungewißheit“, das heißt, „diese ständige Ungewißheit über das, was ist und Wert hat, ernst zu nehmen“ (ebd: 91, Herv. i. O.) ohne den Akteuren zuzutrauen, sie zu beheben. Eine Berücksichtigung und der Versuch einer Kombination, indem die soziale Welt sowohl als bestehend (symbolische Gewalt) als auch als sich verändernd (Umgang mit Ungewissheit) begriffen wird (ebd.: 73) wäre angesichts der Nähe zu meinem Forschungsinteresse, meinem Vorgehen und meinen Ergebnissen sicherlich interessant gewesen und stellt für mich eine Perspektive für künftige Arbeiten dar.
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Karl Marx unvereinbar zu sein schien. Im Ergebnis sei sie jedoch zu selbstbezogen in Bezug auf ihr Produkt vermeintlich objektiver und wertfreier Sozialkritik und zu dominant oder auch totalitär gegenüber den sozialen Akteuren, die in ihren „kritischen Fähigkeiten unterschätzt oder ignoriert werden“ (ebd.: 41). Ähnliches ließe sich über die Dokumentarische Methode nach Ralf Bohnsack und Karl Mannheim und das Interesse an der Explikation des impliziten Wissens der sozialen Akteure sagen. Das theoretische Wissen interessiert den dokumentarischen Interpreten nicht (oder sehr viel weniger als das praktische Wissen). Die „andere Analyseeinstellung“ (Bohnsack: 2010b: 58) als Fähigkeit, praktisches Wissen zu theoretisieren und zu reflektieren, ist ein Privileg desjenigen, der es im Rahmen einer Methodenausbildung gelernt hat. Wozu sollte man es jedoch lernen und die Mühen investieren, wenn man es »gleichwertig« schätzt, dass Handeln ohne Nachdenken funktioniert? Finden wir nicht qua Position der Wissenschaft Reflexion grundsätzlich besser als Nicht-Reflexion und motiviert es uns nicht gerade, genau dafür als Expertinnen und Experten anerkannt zu sein? Ich würde mich wundern, wenn das nur mir so geht. Man könnte also auch von der »Gewalt des soziologischen Besserwissens« sprechen. Umso mehr ist mir daran gelegen, mein Besserwissen nicht in einen Mantel der Objektivität zu hüllen. Ich sehe nach diesem Forschungsprozess noch stärker als zuvor eine Gefahr darin (und so verstehe ich Boltanski auch), im Interesse der Profilierung gegenüber bewahrenden gesellschaftlichen Kräften der Erforschung von Reproduktion und Routinen zu sehr verhaftet zu bleiben und die Kämpfe um die Veränderung von Institutionen, die sich gerade in dem theoretischen Wissen der sozialen Akteure zeigen, zu übersehen. Die symbolische Gewalt und ihre Kritik reproduzieren dann gemeinsam jene Machtverhältnisse, denen verändernde soziale Kräfte längst den Kampf angesagt haben. Um sicher zu sein, mit der eigenen Praxis auf der Seite der emanzipativen statt unbeabsichtigt auf Seite der bewahrenden Kräfte zu stehen, halte ich es für naheliegender, mich den kritischen Kräften (deren Produkt ich letztlich auch bin) zur Seite zu stellen: indem ich ihre Theorien ernst nehme, statt mich in einem theoretischem Herrschaftsanspruch über sie zu erheben und sie womöglich gerade dadurch klein zu halten. Wenn man akzeptiert, dass man trotz der Reflexion der eigenen Normativität nicht aus der Verstrickung mit der sozialen Welt »raus« kommt, muss also das »Reinreflektieren« in den Gegenstand eine ernst zu nehmende Alternative darstellen. Boltanski (2010) nennt es unter Berufung auf Worte seines Schülers Cyril Lemieux das Erkunden der Möglichkeit einer „komplexeren Innenposition“ (ebd.: 49, Herv. i. O.). Sie verabschiedet sich von der Idee einer Außenposition, sowohl der einfachen (sozialtechnologischen) Außenposition als auch der komplexeren Außenposition (die trotz aller Selbstreflexion immer noch auf totalitären Herrschaftstheorien basiert). Die komplexere Innenposition – das meine ich mit »Reinreflektieren« – fragt bis ins Unendliche noch weiter nach dem inneren Kern dessen, was ver-
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meintlich von außen kritisiert wird. Sie unterscheidet sich von der einfachen Innenposition nicht zwangsläufig durch eine soziologische Ausbildung, über die der »Alltagsmensch« (wer immer das ist) per se nicht verfügt. Was sie wertvoll macht, ist nach meinem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht die »Qualifikation« im Namen einer Disziplin, einer Theorie oder einer Methode. Das können sehr gute Hilfsmittel sein. Der eigentliche Wert besteht in der Arbeit und Zeit, die wir in die Erkundung und Erarbeitung der im Verborgenen schlummernden Normativität unserer Wissensproduktion und -reproduktion investieren.
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Schütze, Fritz (1976): Zur Hervorlockung und Analyse von Erzählungen thematisch relevanter Geschichten im Rahmen soziologischer Feldforschung. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.) (1976), S. 159-260. Schütze, Fritz (1983): Biographieforschung und narratives Interview. In: Neue Praxis, 13. Jg., Nr. 3, S. 283-293. Schützeichel, Rainer (Hg.) (2007): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung, Konstanz. Schultheis, Franz (2007): Bourdieus Wege in die Soziologie, Konstanz. Schwingel, Markus (1993): Die Analytik der Kämpfe. Macht und Herrschaft in der Soziologie Bourdieus. Hamburg. Schwingel, Markus (2009): Pierre Bourdieu zur Einführung, 6. ergänzte Aufl., Hamburg. Schwinn, Thomas/Kroneberg, Clemens/Greve, Jens (Hg.) (2011): Soziale Differenzierung. Handlungstheoretische Zugänge in der Diskussion, Wiesbaden. Şenol, Ekrem (2011): Das Anerkennungsgesetz ist kein Gesetz der Nächstenliebe. In: Migazin, 7.11.2011, http://www.migazin.de/2011/11/07/anerkennungauslaendischer-abschluesse-anerkennungsgesetz/ (Abruf 20.11.2011) Sixt, Michaela/Fuchs, Marek (2009): Die Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern als Folge der Entwertung von sozialem und kulturellem Kapital durch Migration. In: Dirim, Inci/Mecheril, Paul (Hg.) (2009), S. 265-287. Soeffner, Hans-Georg (Hg.) (2012): Transnationale Vergesellschaftungen. Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main 2010, Wiesbaden. Solga, Heike (2005): Meritokratie - die moderne Legitimation ungleicher Bildungschancen. In: Berger, Peter A./Kahlert, Heike (Hg.) (2005), S. 19-38. Sommer, Ilka (2012): Die Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse als Herausforderung der Einwanderungsgesellschaft. hrsg. von Heinrich-Böll-Stiftung, http://www.migration-boell.de/web/migration/46_3506.asp (Abruf 15.09.2013). Sommer, Ilka (2014a): Die Müh(l)en der staatlichen Anerkennung – Selektionsmechanismen der Umwandlung „ausländischer“ in „deutsche“ Pflegefachkräfte zwischen Berufsrecht und Anerkennungspraxis. In: Krawietz, Johanna/Visel, Stefanie (Hg.) (2014), S. 56-81. Sommer, Ilka (2014b): Ist das Anerkennungsgesetz ein Verkennungsgesetz? Der umkämpfte Wert ausländischer Berufsqualifikationen in Deutschland, hrsg. von Heinrich-Böll-Stiftung (E-Paper heimatkunde.boell.de), http://www.boell.de/ sites/default/files/e-paper_anerkennungsgesetz.pdf (Abruf 10.11.2014). SPD-Bundestagsfraktion (2009): Durch Vorrang für Anerkennung Integration stärken – Anerkennungsgesetz für ausländische Abschlüsse vorlegen. Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) Katja Mast, Olaf Scholz, Ernst Dieter Rossmann und Weiteren, BT-Drs. 17/108, Berlin.
402 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS
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L ITERATUR UND Q UELLEN
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Vogd, Werner/Mensching, Anja (2013): Mit der dokumentarischen Methode im Gepäck auf der Suche nach dem Konjunktiven der Organisation. In: Loos, Peter/Nohl, Arnd-Michael/Przyborski, Aglaja/Schäffer, Burkhard (Hg.) (2013), S. 320-336. Weber, Max (1992 [1919]): Politik als Beruf, Stuttgart. Weber, Max (1988 [1920]: Gesammelte Ausätze zur Religionssoziologie I, 9. Aufl., Tübingen. Weiß, Anja (2001): Rassismus wider Willen: ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit, Wiesbaden. Weiß, Anja (2002): Raumrelationen als zentraler Aspekt weltweiter Ungleichheiten. In: Mittelweg 36, Jg. 11, Nr. 2, S. 76-91. Weiß, Anja (2005): The Transnationalization of Social Inequality. Conceptualizing Social Positions on a World Scale. In: Current Sociology, 53. Jg., Nr. 4, S. 707728. Weiß, Anja (2010): Die Erfahrung rechtlicher Exklusion. Hochqualifizierte MigrantInnen und das Ausländerrecht. In: Dies./Nohl, Arnd-Michael/Schittenhelm, Karin/Schmidtke, Oliver (Hg.) (2010a), S. 123-137. Weiß, Anja (2012): Ungleichheit in Zeiten der Globalisierung. In: Soeffner, HansGeorg (Hg.) (2012), S. 453-465. Weiß, Anja/Arnd-Michael Nohl (2012): Overcoming methodological nationalism in migration studies. Cases and contexts in multi-level comparisons. In: Amelina, Anna/Nergiz, Devrimsel D./Faist, Thomas/Glick Schiller, Nina (Hg.) (2012), S. 65-87. Weiß, Anja/Koppetsch, Cornelia/Scharenberg, Albert/Schmidtke, Oliver (Hg.) (2001): Klasse und Klassifikation. Die symbolische Dimension sozialer Ungleichheit, Wiesbaden. Weiß, Anja/Ofner Ulrike Selma/Pusch, Barbara (2010): Migrationsbezogene biographische Orientierungen und ihre ausländerrechtliche Instititutionalisierung. In: Nohl, Arnd-Michael/Schittenhelm, Karin/Schmidtke, Oliver/Weiß, Anja (Hg.) (2010a), S. 197-210. Weizsäcker, Esther (2009): Rechtliche Rahmenbedingungen für die Anerkennung der Berufsqualifikationen zugewanderter Lehrer in Deutschland: Expertise im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit Rheinland-Pfalz, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/ Expertisen/expertise-anerkennung-lehrerqualifikationen.pdf?__blob =publicationFile (Abruf 13.09.13). Wimmer, Andreas/Glick Schiller, Nina (2002): Methodological Nationalism and the study of migration. In: European Journal of Sociology, 43, S. 217-240. Witt, Daike (2012): Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen durch die Handwerkskammern - Umsetzung des neuen Anerkennungsgesetz im Handwerk. In: Gewerbearchiv. Zeitschrift für Wirtschaftsverwaltungsrecht, 58. Jg., Nr. 2, S. 101-116.
404 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS
WHKT - Westdeutscher Handwerkskammertag (2006): Anerkennung ausländischer Bildungsnachweise. Leitfaden für Beratungs- und Anerkennungsstellen, Düsseldorf. Zimmermann, Don H. (1974): Fact as a practical accomplishment. In: Turner, Roy (Hg.) (1974), S. 128-143.
Anhang
Richtlinien der Transkription Die Transkription der Interviews und Gruppendiskussionen ist an folgende Richtlinien angelehnt (vgl. auch Nohl 2009: 135, Bohnsack 2010b: 236). (.) (3) Nein . ? ; , vielleichnei::n haben=wir (doch) ( ) ((stöhnt)) @nein@ @(.)@ @(3)@ //mmh// # # […]
Pause bis zu einer Sekunde Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert betont stark sinkende Intonation stark steigende Intonation schwach sinkende Intonation schwach steigende Intonation Abbruch eines Wortes Dehnung, die Häufigkeit von : entspricht der Länge der Dehnung schleifend, ineinander übergehend gesprochene Wörter Unsicherheit bei der Transkription unverständliche Äußerung, je nach Länge parasprachliche Ereignisse lachend gesprochen kurzes Auflachen 3 Sekunden Lachen Hörersignal der Interviewerin Überlappende Redebeiträge Auslassung
406 | D IE G EWALT DES KOLLEKTIVEN B ESSERWISSENS
Überblick über die zitierten Interviews und Passagen Experteninterviews Folgende Tabelle gibt einen Überblick über die 18 narrativ fundierten Experteninterviews in den zuständigen Stellen, die für die Auswertung mit der Dokumentarischen Methode herangezogen wurden (vgl. Kap. 5). Die Reihenfolge entspricht der Reihenfolge der Durchführung. Aus Gründen der Anonymisierung sind Orte und Dienststellen ebenso wie das tagesgenaue Datum nicht genannt (vgl. 3.5). Interview-Code
Berufsgruppe
Zeit
Zitierte Passagen
HAND (Landmann) 1-02
Handwerk
04/2012
PFLE (Runge) 1-03
Pflegekräfte
04/2012
ÄRZ (David) 1-04
Ärzte
04/2012
PFLE (Anton) 2-05
Pflegekräfte
05/2012
ÄRZ (Nolte) 2-07
Ärzte
04/2013
ÄRZ (Tietz) 3-09
Ärzte
04/2013
HAND (Becker) 2-10
Handwerk
04/2013
ARCH (Kuhn) 1-11
Architektur
05/2013
8ff., 23ff., 48ff., 74ff., 265ff., 681ff., 744ff. 23ff., 49ff., 60ff., 95ff., 133ff., 158ff., 186ff., 250ff., 436ff., 563ff., 748ff., 1074ff., 1269ff. 12ff., 28ff., 97ff., 117ff., 120ff., 180ff., 222ff., 255ff., 313ff., 643ff., 832ff., 953ff. 45ff., 144ff., 149ff., 185ff., 229ff., 246ff., 801ff., 887ff. 31ff., 161ff., 189ff., 217ff., 220ff., 320ff., 456ff., 572ff. 31ff., 66ff., 78ff., 153ff., 186ff., 318ff. 116ff.,135ff., 147ff., 170ff., 183, 215ff., 261ff., 312ff., 389ff., 469f, 589ff., 673ff. 5ff., 71ff., 412ff., 450ff., 535ff., 555ff., 628ff., 640ff., 753ff., 853ff.
A NHANG
ARCH (Conrad) 2-12
Architektur
05/2013
LEHR (Peters) 1-14
Lehrer
05/2013
ARCH (Sachs) 3-18
Architektur
05/2013
PFLE (Graf) 3-19 HAND (Otto) 3-20 HAND (Zink) 4-21
Pflegekräfte Handwerk Handwerk
06/2013 06/2013 06/2013
LEHR (Richter) 2-22 LEHR (Fechner) 3-23
Lehrer Lehrer
06/2013 06/2013
ÄRZ (Meyer) 4-24
Ärzte
07/2013
PFLE (Vogel) 4-25
Pflegekräfte
07/2013
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39ff., 233ff., 278ff., 293ff., 652ff. 45ff., 75ff., 123f, 181ff., 327ff., 554ff., 646ff., 721ff., 826ff., 923ff. 1ff., 27ff., 59ff., 105ff., 212ff., 290ff., 511ff., 639ff. 100ff., 116ff. 27ff., 461ff. 105ff., 143ff., 187ff., 249ff., 504ff., 568ff., 822ff. 15ff., 31ff., 235ff. 36ff., 363ff., 592ff., 596ff. 11ff., 14ff., 70ff., 98ff., 228ff., 295ff., 339ff., 380ff., 558ff., 585ff. 104ff., 119ff., 231ff., 300ff., 323ff., 406ff.
Hintergrundinterviews Die als Hintergrundinterviews klassifizierten Interviews wurden nicht reflektierend interpretiert. Sie dienten vor allem der Orientierung im Feld und haben auf Basis des Sach- und Deutungswissens zum Teil Eingang in die Kapitel 1, 4 und 6 gefunden. Es handelt sich um fachkundige Interviewte, die nicht (mehr) in die direkte Antragsbearbeitung und Bewertung ausländischer Qualifikationen involviert sind, z.B. weil sie Führungs- und Repräsentationsaufgaben wahrnehmen. An dieser Stelle sind nur die Hintergrundinterviews aufgeführt, auf die wörtlich oder sinngemäß Bezug genommen wurde.
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Interview-Code
Expertise
Zeit
HI-ZAB1
Umfeld der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, Historie Umfeld der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, Historie Ärzte, langjährige Erfahrungen Ärzte, Widerspruchsverfahren Architekten, Entwicklungen in der EU Lehrkräfte, Entwicklungen in der EU
03/2012
HI-ZAB2 HI-Ärzte1 HI-Ärzte2 HI-Architekten HI-Lehrer
03/2012 04/2013 05/2013 05/2013 08/2013
Gruppendiskussionen Ausschnitte aus den zwei Gruppendiskussionen mit Auslandsqualifizierten wurden in den Unterkapiteln 4.1 und 4.5 abgedruckt. Näheres zur Durchführung und Auswertung ist in Unterkapitel 3.4 nachzulesen. Bezeichnung Gruppe Berlin Gruppe Hannover
Anzahl 9 (7w, 2m) 10 (8w, 2m)
Datum 05.05.2012 12.05.2012
Zitierte Passagen Abschnitt 1 (716 ff.) Abschnitt 1 (887 ff.), Abschnitt 2 (1152ff.), Abschnitt 3 (2045 ff.)
Die Materialien zu den geführten Interviews und Gruppendiskussionen wurden als elektronischer Anhang mit der Dissertation eingereicht.
A NHANG
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Abkürzungsverzeichnis AA Anabin AufenthG BA BAMF BÄO BBiG BE BIBB BMAS BMBF BMG BMI BMWi BQ-Portal BQFG BReG BT BT-Drs. BVerwG BVFG CDU CSU DGB DIHK ECTS EG EPC EQR ESF EU EuGH EWG EWR FDP HRK
Auswärtiges Amt Informationsportal zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse (KMK/ZAB) Aufenthaltsgesetz Bundesagentur für Arbeit Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bundesärzteordnung Berufsbildungsgesetz Berufserlaubnis (Medizin) Bundesinstitut für Berufsbildung Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Innern Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Informationsportal für ausländische Berufsqualifikationen (BMWi) Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz) Bundesregierung Deutscher Bundestag Bundestags-Drucksache Bundesverwaltungsgericht Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Industrie- und Handelskammertag European Credit Transfer System Europäische Gemeinschaft/en European Professional Card, Europäischer Berufsausweis Europäischer Qualifikationsrahmen Europäischer Sozialfonds Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Freie Demokratische Partei Hochschulrektorenkonferenz
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HWK HwO IAB IAQ IAT IBKM IFOK IHK IHK FOSA IMI IMIS IQ IT-AV
IW JNU KMK KrPflG MINT NGO NQR OBS QID RL SPD SGB SVR UNESCO WHKT ZAA ZAB ZDH
Handwerkskammer Handwerksordnung Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Bundesagentur für Arbeit) Institut Arbeit und Qualifikation (Universität Duisburg-Essen) Institut für Arbeitsforschung und Transfer, Essen Interdisziplinäres Zentrum für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen (Universität Oldenburg) Institut für Organisationskommunikation Industrie- und Handelskammer IHK »Foreign Skill Approval«, öffentlich-rechtlicher Zusammenschluss von 77 der 80 IHKen Internal Market Information System, Binnenmarktinformationssystem (EU) Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Universität Osnabrück Förderprogramm »Integration durch Qualifizierung« (IQ-Netzwerk) Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informationsund Kommunikationstechnologie Institut der deutschen Wirtschaft Köln Jawaharlal-Nehru-Universität Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (Kultusministerkonferenz) Krankenpflegegesetz Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik Nongovernmental Organization, Nichtregierungsorganisation Nationaler Qualifikationsrahmen Otto Benecke Stiftung e.V. Qualifizierungsinitiative für Deutschland Richtlinie Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialgesetzbuch Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Westdeutscher Handwerkskammertag Zentrale Anlaufstelle Anerkennung (in Hamburg) Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (bei der KMK) Zentralverband des Deutschen Handwerks
Gesellschaft der Unterschiede Projektgruppe »Neue Mitleidsökonomie« (Hg.) Die neue Mitleidsökonomie Armutsbekämpfung jenseits des Wohlfahrtsstaats? Januar 2016, ca. 250 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3158-6
Verena Rothe, Gabriele Kreutzner, Reimer Gronemeyer Im Leben bleiben Unterwegs zu Demenzfreundlichen Kommunen September 2015, 288 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2996-5
Leiv Eirik Voigtländer Armut und Engagement Zur zivilgesellschaftlichen Partizipation von Menschen in prekären Lebenslagen August 2015, 322 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3135-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Gesellschaft der Unterschiede Tina Denninger, Silke van Dyk, Stephan Lessenich, Anna Richter Leben im Ruhestand Zur Neuverhandlung des Alters in der Aktivgesellschaft 2014, 464 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2277-5
Oliver Marchart Die Prekarisierungsgesellschaft Prekäre Proteste. Politik und Ökonomie im Zeichen der Prekarisierung 2013, 248 Seiten, kart., 22,99 €, ISBN 978-3-8376-2192-1
Oliver Marchart (Hg.) Facetten der Prekarisierungsgesellschaft Prekäre Verhältnisse. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Prekarisierung von Arbeit und Leben 2013, 224 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2193-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de