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German Pages 317 Year 2012
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1211
Die Gerichtskontrolle der Abwägung im Bauplanungsrecht, insbesondere nach der Neuregelung der §§ 2 III und 214 BauGB durch das EAG Bau Von Marcus Merkel
Duncker & Humblot · Berlin
MARCUS MERKEL
Die Gerichtskontrolle der Abwägung im Bauplanungsrecht, insbesondere nach der Neuregelung der §§ 2 III und 214 BauGB durch das EAG Bau
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1211
Die Gerichtskontrolle der Abwägung im Bauplanungsrecht, insbesondere nach der Neuregelung der §§ 2 III und 214 BauGB durch das EAG Bau
Von Marcus Merkel
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Schrifttum und Rechtsprechung konnten bis Mitte 2011 berücksichtigt werden. Die mündliche Prüfung fand am 13. Juli 2011 statt. Herzlich danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Martin Ibler, der die Arbeit betreut hat, für seine vielfältigen und wertvollen wissenschaftlichen Anregungen über die gesamte Entstehungszeit hinweg. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Jörg Ennuschat für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Anregungen. Weiter möchte ich mich bei Freunden und bei meinen Kollegen am Fachbereich Rechtswissenschaft für Rat und Tat bedanken, die sie mir zuteil werden ließen. Besonderer Dank gilt Frau Rechtsanwältin Dr. Stephanie Ostermann und Herrn Assessor Daniel Scholze für die Anregungen nach der Durchsicht der ersten Fassung sowie Frau Rechtsanwältin Muriel Kaufmann für ihre wertvollen Hinweise. Schließlich danke ich herzlich meinen Eltern für ihre große Unterstützung und ihren fortwährenden Rückhalt. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Konstanz, im September 2011
Marcus Merkel
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Kapitel Bestandsaufnahme – Die Gerichtskontrolle der bauplanerischen Abwägung § 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . .
19
25 25
A.
Die Kontrolle von Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
B.
Der Normcharakter des Bebauungsplans – Entwicklungsgeschichte . . I. Die rechtliche Einordnung des Bebauungsplans . . . . . . . . . . . . . II. Die Auswirkungen der rechtlichen Einordnung auf den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 26
C.
Das Normenkontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Objektives Beanstandungsverfahren oder subjektives Rechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Bebauungsplan als Kontrollgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Nachteilserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Kriterium der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Anspruch auf fehlerfreie Abwägung . . . . . . . . . . . . . b) Die neue Verfahrensgrundnorm als subjektives öffentliches Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsbefugnis von Behörden, Gemeinden und Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
28
32 35 37 37 38 39 40 41 42 43
D.
Inzidenter Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
E.
Probleme der Gerichtskontrolle von Planungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
F.
Zusammenfassung § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
§ 2 Kontrolleröffnung und Kontrolldichte bei der Bauleitplanung, insbesondere bei der planerischen Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.
Kontrolleröffnungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 48
10
Inhaltsverzeichnis B.
Kontrolldichte und Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahrenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhaltliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vorgangskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminologischer Unterschied zwischen „Verfahren“ und „Vorgang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematische Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . .
57 58 62
Zusammenfassung § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess im Hinblick auf die Gerichtskontrolle . .
65
C.
49 54 57 57
A.
Der Prozess der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
B.
Plan, Planung und die zugrunde liegende Sachstruktur . . . . . . . . . . . .
66
C.
Rechtliche Einordnung des Planens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einordnung anhand einer Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Plan und Planung als eigene Rechts- oder Handlungsform . . . . . IV. Die rechtliche Einordnung des Planens im Bauplanungsrecht . . .
67 67 68 69 71
D.
Die planerische Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhalt der planerischen Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . III. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konditionalprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Finalprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abgrenzung anhand der Normstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Eine besondere Zuweisung der Letztentscheidungsbefugnis . . . . 1. Normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermächtigung zur Letztentscheidung nach dem Entscheidungstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf die Bestimmung der Reichweite der planerischen Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 72 74 75 76 77 77 81 84 85 85
E.
Auswirkungen der Gestaltungsfreiheit auf die Kontrolldichte bei der Überprüfung von Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kontrollfreistellung oder Kontrollreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit in der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
F.
Zusammenfassung § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
86 86 88
A.
Die Systematik der anzulegenden Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . .
93
B.
Gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formelle Kontrollmaßstäbe / Verfahrenskontrolle . . . . . . . . . . . . .
96 96
Inhaltsverzeichnis
11
1. Das Aufstellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Planaufstellungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verfahrensbeteiligung benachbarter Gemeinden und Träger öffentlicher Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Umweltprüfung (UP), ehemals Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materielle Kontrollvorgaben / Sachkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Planerforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Anpassungspflicht an Ziele der Raumordnung . . . . . . . . 4. Das Entwicklungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Typenzwang der Baugebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die gesetzlichen Gewichtungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Gewichtungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 101 102 103 104 105 105 106 107 109
C.
Ungeschriebene Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Planrechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Rücksichtnahmegebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Grundsatz der Konfliktbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111 111 114 116
D.
Zusammenfassung § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
II.
98 98 98 99 99
A.
Rechtliche Bindungen als Voraussetzungen eines Maßstabs . . . . . . . . .
119
B.
Die I. II. III.
122 124 124
C.
Entwicklung des Abwägungsgebots durch das BVerwG . . . . . . . . Die Abwägungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abwägungsfehler in Entsprechung zu den Abwägungsphasen Korrelierung von Kontrolldichte und Fehlergruppen in den einzelnen Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwägungsausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwägungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Abwägungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das zweiphasige Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das vierphasige Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Korrelierung von Kontrolldichte und Fehlergruppen in den einzelnen Phasen nach den Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . 1. Im zweiphasigen Abwägungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125 126 126 127 130 130 130 130 131 131
12
Inhaltsverzeichnis 2. Im vierphasigen Abwägungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
D.
Die Doppelkontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis
134
E.
Zusammenfassung § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften als Ausnahme der Gerichtskontrolle . . . . . .
144
A.
Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
B.
Die Entwicklung der Planerhaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
C.
Die Rechtswirkungen der Vorschriften zur Bestandssicherung von Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
D.
Die Bau I. II. III.
Bestandsaufnahme der Planerhaltungsvorschriften vor dem EAG ..................................................... Die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- / Formfehlern . . . . . . . . . . Die Unbeachtlichkeit von sonstigen materiell-rechtlichen Fehlern Die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Abwägung . . . . . . . . . . . . . . 2. Mängel im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Offensichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Von Einfluss auf das Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . IV. Die relative Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern . V. Die relative Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln . . . . . . . .
154 156 157 158 158
E.
Die Auswirkungen der Unbeachtlichkeitsregelungen auf die Gerichtskontrolle der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 216 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen der absoluten Unbeachtlichkeit nach § 214 BauGB III. Auswirkungen der relativen Unbeachtlichkeit nach § 215 I BauGB IV. Systematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162 162 162 164 166
F.
Zusammenfassung § 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
§ 7 Zusammenfassung 1. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169
2. Kapitel Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004 § 1 Die Anpassung des BauGB an die europarechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . .
151 151 153 153 153
174 174
A.
Die umzusetzenden Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Plan-UP-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 174 176
B.
Ein europäischer Systemvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004 . . . . . . . . . . . . . . . .
181
Inhaltsverzeichnis
13
A.
Die Neuregelung der Planerhaltungsregelungen des BauGB gemäß den §§ 214, 215 BauGB im Hinblick auf die Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . I. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB i.V. m. § 2 III BauGB . . . . . . . . . . . . . . II. § 214 III S. 2 BauGB (Abwägungsmängel) . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 215 BauGB (Relative Unbeachtlichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181 183 186 190
B.
Der I. II. III.
ursprüngliche Regelungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bericht der unabhängigen Expertenkommission . . . . . . . . . . . . . Der Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 193 197 198
C.
Abweichungen von Entwurf und tatsächlicher Umsetzung . . . . . . . . . .
202
D.
Die Neuregelung des ergänzenden Verfahrens (§ 214 IV BauGB) . . . .
203
§ 3 Zusammenfassung 2. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204
3. Kapitel Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
210
§ 1 Die Rolle des materiell-rechtlichen Abwägungsvorgangs in der Gerichtskontrolle nach den Neuerungen durch das EAG Bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 A.
Eingeleiteter Systemwechsel durch die Änderung? . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mängel bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials . . . . . . . . . 1. Wortlautauslegung „ermitteln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Auslegung „ermitteln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematische Auslegung „ermitteln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teleologische Auslegung „ermitteln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mängel beim Bewerten des Abwägungsmaterials . . . . . . . . . . . . 1. Wortlautauslegung „bewerten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Auslegung „bewerten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematische Auslegung „bewerten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teleologische Auslegung „bewerten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die übrigen Mängel im Abwägungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konsequenzen der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 211 211 212 214 219 220 221 221 223 224 225 226
B.
Zulässigkeit eines Systemwechsels der Kontrolle der planerischen Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Änderung der bestehenden Abwägungsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Wechsels der Gerichtskontrolle hin zur Verfahrenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
C.
Aktueller Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ansicht von Krautzberger / Stüer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236 236 241
14
Inhaltsverzeichnis III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. D.
Die Ansicht von Özdemir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Bernhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Uechtritz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Quaas / Kukk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Kupfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Söfker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Hoppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Stelkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Happ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ansicht von Erbguth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
244 248 251 252 255 256 258 260 262 265 268
Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Argumente für und gegen den Wechsel zu einer Verfahrenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Systemwechsel durch das EAG Bau? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
§ 2 Auswirkungen auf die Kontrolldichte und die Kontrolleröffnung . . . . . . . . .
279
A.
Auswirkungen auf die Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B.
Die Doppelprüfung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis
280
C.
Auswirkungen auf die Kontrolleröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281
§ 3 Schlussbetrachtung und eigenes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
282
4. Kapitel Zusammenfassung in Thesen
279
285
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. F. ABlEG ABlEU Abs. AEUV Alt. AöR Art. Aufl. BauGB BauGB-E BauNVO BauR BauROG BayVBl. BayVGH BBauG Bd. Begr. bes. Beschl. BGBl. BImSchG BNatSchG BR-Drucks. BRS bspw. BT-Drucks. Bust. BVerfG BVerfGE
anderer Ansicht am Ende alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz EU – Arbeitsweisevertrag Alternative Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Auflage Baugesetzbuch Baugesetzbuch in der jeweiligen Entwurfsfassung Baunutzungsverordnung Baurecht (Zeitschrift) Bau- und Raumordnungsgesetz Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesbaugesetz Band / Bände Begründung, Begründer besonders Beschluss Bundesgesetzblatt Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge Bundesnaturschutzgesetz Bundesrats-Drucksache Baurechtssammlung (Zeitschrift) beispielsweise Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
16 BVerwG BVerwGE BWGZ bzw. d. h. ders. DÖV DV DVBl. DVP EAG EG EGV Einl. Erl. etc. EU EuG EuGH EuGHE EuR EUV f., ff. FFH Fn. FStrG geänd. gem. GG ggf. grds. h. M. Hrsg. Hs. i. d. F. i. E. i. S. d. i. S.v. i.V. m.
Abkürzungsverzeichnis Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Die Gemeinde (Zeitschrift) beziehungsweise das heißt derselbe Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift) Bau Europarechtsanpassungsgesetz Bau Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Erläuterung et cetera Europäische Union Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Entscheidungen, Gesetze etc. des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union folgende [Seite], folgende [Seiten] Flora Fauna Habitat Fußnote Bundesfernstraßengesetz geändert gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik gegebenenfalls grundsätzlich herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in dieser Fassung im Ergebnis im Sinne des / der im Sinne von in Verbindung mit
Abkürzungsverzeichnis insbes. JA Jura JuS JZ Kap. KommJur LKV m. E. m.w. N. n. F. NJOZ NJW Nr. NuR NVwZ NVwZ-RR NWVBl. NZBau OVG resp. RL Rn. Rs. Rspr. S. SächsVBl. Slg. sog. SUP ThürVBl. u. u. a. u. a. m. u. U. UAbs. UP UPR UPR Special Urt. usw.
insbesondere Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel Kommunaljurist (Zeitschrift) Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) meines Erachtens mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport – Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Baurecht Oberverwaltungsgericht respektive Richtlinie Randnummer(n) Rechtssache Rechtsprechung Seite Sächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Sammlung sogenannte / r/n Strategische Umweltprüfung Thüringer Verwaltungsblätter (Zeitschrift) und und andere, unter anderem und andere(s) mehr unter Umständen Unterabsatz Umweltprüfung Umwelt und Planungsrecht (Zeitschrift) Umwelt- und Planungsrecht Special (Zeitschrift) Urteil und so weiter
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18 UTR UVP v. VBlBW Verw. VerwArch VGH vgl. VO Vorb. VVDStRL VwGO VwVfG z. B. z.T. ZfBR zugl. zul. ZUR
Abkürzungsverzeichnis Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts Umweltverträglichkeitsprüfung von, vom Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zeitschrift) Die Verwaltung (Zeitschrift) Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht zugleich zuletzt Zeitschrift für Umweltrecht
Einleitung Die Bauleitplanung bewegt sich stets in einem Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, der Verwaltung planerische Gestaltungsfreiheit einzuräumen 1, und dem Bedürfnis nach Gesetzesbindung allen Verwaltungshandelns mit der damit einhergehenden Eröffnung gerichtlichen Rechtsschutzes. 2 So bedarf es einerseits der Grenzen der eingeräumten planerischen Gestaltungsfreiheit. Andererseits bedarf es aber auch der Grenzen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle von Planungsentscheidungen der Verwaltung; denn die Gerichtskontrolle greift korrigierend in den Normvollzug durch die Verwaltung und somit bei der Bauleitplanung gerade in die Umsetzung auch politischer Planungsentscheidungen ein. 3 Die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen ist daher stets als Problem der Gewaltenteilung zu begreifen. 4 Die dem Planungsträger eingeräumte planerische Gestaltungsfreiheit wirkt sich sowohl auf das Ausmaß der normativ vorgegebenen Handlungsanweisungen als auch auf die anzuwendenden Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle aus. Die Einräumung einer gewissen Freiheit der Verwaltung wie bei unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen ist dem allgemeinen Verwaltungsrecht nicht fremd. Die Vielzahl der durch einen Bebauungsplan Betroffenen und die Eigenart der Planung, die eines auf den ersten Blick weiteren Freiraums bedarf, unterscheidet die Bauleitplanung aber von herkömmlichen Freiräumen des Verwaltungshandelns. 5 Damit ist die Frage nach dem Ausmaß der Gerichtskontrolle bei Bebauungsplänen ein wiederkehrendes Hauptproblem im Bauplanungsrecht. 6 Rechtsdogmatisch wurde für die Bauleitplanung aus dem Kompromiss zwischen planerischer Freiheit und Rechtsgebundenheit der Verwaltung eine Vielzahl von Anforderungen an die Aufstellung eines Bebauungsplans entwickelt, 7 die zugleich Handlungsanweisung für die planende Verwaltung als auch Kontrollmaßstab der Verwaltungsgerichte sein sollen. 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. BVerwGE 34, 301 (304). Vgl. Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 5. Vgl. zu Verwaltungsfreiräumen allgemein Oeter, in: Kontrolldichte, S. 266 f. Vgl. Oeter, in: Kontrolldichte, S. 267; vgl. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 151 f. Vgl. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (294 f.). Vgl. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (294). Vgl. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (294 f.). Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 12 f.
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Einleitung
Die Kehrseite dieser rechtsdogmatischen Entwicklung ist das hohe Risiko des Scheiterns eines Bebauungsplans. Gesetzgebung und Rechtsprechung stellen eine große Anzahl von rechtlichen Anforderungen an die Planaufstellung, die zugleich ein hohes Maß an Fehleranfälligkeit der Pläne in sich bergen. 9 Aufgrund der hohen Erfolgsquote bei Normenkontrollverfahren, insbesondere in den 1970er Jahren 10, hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, die Pläne vor der verwaltungsgerichtlichen Nichtigerklärung zu retten, indem er die Beachtlichkeit von Fehlern reduziert hat. 11 Der Preis dafür ist eine „erstaunliche Toleranz gegenüber Rechtsverstößen“ 12, vor allem gegen Verfahrensrecht. Die zahlreichen Änderungen des Baugesetzbuches durch das EAG Bau 13 haben auch die Vorschriften über die Planerhaltung nicht unberührt gelassen. Bereits seit der erstmaligen Einfügung der Fehlerfolgenregelung für Bauleitpläne durch die Novelle 1976 sind diese Bestimmungen häufiger Gegenstand gesetzlicher Neuregelungen. 14 Alle seither erfolgten Novellierungen des BauGB nahmen Änderungen der Planerhaltungsregelungen mit dem Ziel der Bestandssicherung von Bebauungsplänen vor. 15 Die Kehrseite ist die teilweise Verkürzung des Rechtsschutzes hinsichtlich bestimmter Planungsfehler. Novelliert wurden durch das EAG Bau (unter anderem) die §§ 2 III, 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 BauGB. In § 2 III BauGB wird die planerische Abwägung in den Vorschriften zur Planaufstellung neu mit folgendem Worlaut benannt: „Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und bewerten.“
In dem neuen § 214 I S. 1 Nr. 1, III S. 2 BauGB wird ausdrücklich auf diese neue Norm Bezug genommen: „(1) Eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzbuchs ist für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach diesem Gesetzbuch nur beachtlich, wenn [...] entgegen § 2 III die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist; [...].“ 9
Siehe m.w. N. Rude, Planreparatur, S. 24. Zur häufigen Erfolgsaussicht vgl. Scharmer, Bebauungspläne in der Normenkontrolle, S. 38 f.; vgl. Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1212 ff. 11 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 7/2496, S. 62. 12 Rude, Planreparatur, S. 24. 13 Europarechtsanpassungsgesetz Bau vom 24. 6. 2004, BGBl. I, 1359. 14 M.w. N. Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (11). 15 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., Vorb. §§ 214 –216 Rn. 4 ff.; Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (11). 10
Einleitung
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„(3) [...] Mängel, die Gegenstand der Regelung in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 sind, können nicht als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden; im Übrigen sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.“
Diese Neuregelung ist von besonderer Relevanz, da sie die Beachtlichkeit von Fehlern bei der planerischen Abwägung neu zu qualifizieren scheint. Der Gesetzesbegründung zum EAG Bau nach soll diese Neuregelung „[...] den durch die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorgaben hervorgerufenen Wechsel vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange in den Vorschriften über die Planerhaltung nachvollziehen“. 16 Bis zur Novellierung des BauGB durch das EAG Bau konnte es als gesichert angesehen werden, dass das Wortpaar „Verfahrens- und Formvorschriften“ (§ 214 I S. 1 vor Nr. 1 BauGB) als Gegensatz zu den materiell-rechtlichen Vorschriften, besonders zum Abwägungsgebot, zu verstehen ist. 17 Diese Regel könnte der Gesetzgeber mit der Einfügung des neuen § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und der neuen Verfahrensgrundnorm § 2 III BauGB durchbrochen haben. Danach könnten nämlich bestimmte Verstöße gegen das Abwägungsgebot in den Katalog formeller Fehler aufgenommen worden sein. Zu beachten ist dabei die bisherige Unterscheidung des Abwägungsgebots in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Bisher wurde davon ausgegangen, dass sowohl das Abwägungsergebnis als auch der Abwägungsvorgang materiell-rechtlicher Natur sind und dementsprechend auf die Einhaltung materiellrechtlicher Anforderungen gerichtlich überprüft wurden. Sollte der Abwägungsvorgang mit dem EAG Bau in Verfahrensrecht umadressiert worden sein, stellt sich die Frage, ob die Unterscheidung zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis durch die Novelle aufgegeben worden ist. 18 Bereits die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zeigen auf, dass es sich bei der Novellierung der Planerhaltungsvorschriften dieses Mal nicht um eine bloße Fortschreibung der bisherigen Entwicklung, Bebauungspläne weniger rechtsmittelanfällig zu machen, handelt. Vielmehr schimmert in der zitierten Gesetzesbegründung der Systemwechsel bei der Gerichtskontrolle von Verwaltungsentscheidungen durch; in concreto: Verfahrenskontrolle versus Inhaltskontrolle. Der Vollzug eines solchen Systemwechsels würde die Gerichtskontrolle der planerischen Abwägung und damit auch die bestehende Abwägungsdogmatik nachhaltig verändern. In der Literatur ist bzgl. der Novellierung und des damit möglicherweise verbundenen Systemwechsels bei der Gerichtskontrolle daher von einem „Paradigmenwechsel“ 19 die Rede. Dieser soll in dem Systemwechsel 16
S. 63. 17
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Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/2250, Vgl. Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1544).
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Einleitung
bestehen, dass an die Stelle der bisherigen materiell-rechtlichen Überprüfung auf Fehler im Abwägungsvorgang eine verfahrensrechtliche Überprüfung treten soll. 20 Der Planungsprozess soll demnach daraufhin überprüft werden, ob die von der Planung berührten Belange überhaupt nicht ermittelt oder bewertet worden sind, die nach Lage der Dinge hätten ermittelt und bewertet werden müssen, oder ob die Bedeutung der ermittelten Belange verkannt worden ist. 21 Alle diese Anforderungen sollen, im Gegensatz zu den bisherigen materiellrechtlichen Anforderungen an die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials, verfahrensrechtlicher Natur sein. Folglich würden zur Überprüfung der planerischen Abwägung nur noch verfahrensrechtliche Kontrollmaßstäbe angelegt mit der Konsequenz einer neuen, nämlich rein verfahrensrechtlichen Kontrollaussage. Damit wird der Planungsprozess nicht mehr daraufhin überprüft, ob die Zusammenstellung und ggf. die Bewertung des Abwägungsmaterials sachrichtig erfolgt ist bzw. in der Sache zutrifft, sondern daraufhin, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. 22 Das Meinungsbild zu dem angeblichen Systemwechsel und den damit verbundenen Auswirkungen fällt unterschiedlich und uneinheitlich aus. 23 Diese Situation ist unbefriedigend, drängen sich doch gerade im Hinblick auf die Neuregelung die grundlegenden und klärungsbedürftigen Fragen auf: Ist ein Systemwechsel zur Verfahrenskontrolle zulässig und wird ein solcher Wechsel von den Neuregelungen tatsächlich vollzogen? Was ist bei einem Systemwechsel aus den bisher materiell-rechtlichen Anforderungen (eine Abwägung muss durchgeführt worden sein, alle abwägungsbeachtlichen Belange müssen in die Abwägung eingestellt worden sein, die Bedeutung eines Belangs darf nicht verkannt worden sein, der vorgenommene Ausgleich der Belange darf nicht zur objektiven Gewichtigkeit eines Belangs außer Verhältnis stehen) 24 geworden? Was sind und worin bestehen die neuen Anforderungen an eine rechtmäßige Abwägung? 25 Um die Veränderungen genau bestimmen und diese Fragen beantworten zu können, ist es zuallererst notwendig, sich des rechtsdogmatischen Standorts der gerichtlichen Kontrolle der planerischen Abwägung und der allgemeinen Maßgaben der Abwägungslehre zu vergewissern mit dem Ziel, einen verlässlichen 19
Kraft, UPR 2004, S. 331 (331); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (802). So zumindest die Gesetzesbegründung, siehe Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 21 So die Gesetzesbegründung, siehe Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 22 Zur Verfahrenskontrolle Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1275). 23 Siehe zum Meinungsbild ausführlich unten 3. Kapitel § 1 C., S. 236 ff. 24 Vgl. zu den materiell-rechtlichen Anforderungen an die Abwägung BVerwGE 34, 301 (308 ff.); BVerwGE 45, 309 (314 ff.). 25 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (304). 20
Einleitung
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Ausgangspunkt für die Beurteilung der Neuerungen zu gewinnen. 26 Danach sollen die Neuregelungen und deren Auswirkungen auf die bisherige Abwägungsdogmatik unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Lehre untersucht werden. Anhand des zuvor gewonnenen Ausgangspunkts sollen die Neuerungen dann erkannt und qualifiziert werden. Dementsprechend stellt das 1. Kapitel eine dogmatische Bestandsaufnahme der Abwägungsdogmatik bis zum EAG Bau dar. Dabei ist insbesondere auf die Möglichkeiten und die Voraussetzungen der Gerichtskontrolle planender Verwaltung einzugehen. Die Frage nach der gerichtlichen Kontrolldichte ist gerade im Bauplanungsrecht von besonderer Bedeutung, denn die planende Behörde muss multipolare und mannigfaltige Interessenkollisionen bewältigen und in einen Ausgleich bringen, gleichzeitig benötigt sie dazu ein gewisses Maß an planerischer Gestaltungsfreiheit, denn ohne diese ist eine zukunftsorientierte Planung nicht möglich. 27 So gilt es daher, im Bauplanungsrecht effektiven Rechtsschutz und planerischer Gestaltungsfreiheit in einen Ausgleich zu bringen. Im Rahmen der planerischen Abwägung soll dieser Interessenausgleich trotz eingeräumter planerischer Gestaltungsfreiheit rechtmäßig gelingen. Gleichzeitig hat das BVerwG mit seiner Abwägungsdogmatik einen Weg zur Kontrolle gerade dieser Abwägungsentscheidungen entwickelt, der diese qualitative und quantitative Besonderheit der Bauplanung berücksichtigt. Eine stetig zu stellende und im Hinblick auf den möglichen Systemwechsel relevante Frage im Bauplanungsrecht ist daher: Wie weit kann, wie weit darf und wie weit muss die Gerichtskontrolle planerischer Entscheidungen reichen? Die Planerhaltungsregeln nehmen in diesem Gefüge Einfluss auf die Gerichtskontrolle zugunsten der Bestandssicherung von Bebauungsplänen. Bevor auf die Neuerungen eingegangen werden kann, sollen die Wirkungsweise und die Reichweite der Planerhaltungsregeln bestimmt werden. Im 2. Kapitel wird die Neuregelung der Planerhaltungsregelungen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte dargestellt. Anhand der gesetzgeberischen Vorarbeiten soll die dogmatische Neukonzeption herausgearbeitet und dargestellt werden. Dabei ist auch auf die europarechtlichen Einflüsse auf die Neukonzeption einzugehen, denn nach der Gesetzesbegründung soll die Planerhaltung aufgrund der Integration von unionsrechtlichen Verfahrenanforderungen in das Planaufstellungsverfahren im Rahmen des EAG Bau an das europäische Rechtsverständnis angepasst werden. 28 Aus diesem Grund soll in diesem Kapitel dieses in der Gesetzesbegründung benannte europäische Rechtsverständnis bestimmt werden. 26
Erbguth, JZ 2006, S. 484 (485). Vgl. die Grundsatzentscheidung BVerwGE 34, 301 (304), in der das BVerwG ausführt, dass „[...] Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre“. 28 So die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/ 2250, S. 63. 27
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Einleitung
Im 3. Kapitel steht die Frage im Mittelpunkt, ob der Abwägungsvorgang durch das EAG Bau seines inhaltlichen Charakteristikums entkleidet wurde und ob der angekündigte Systemwechsel zur Verfahrenskontrolle Gesetzesfassung geworden ist. Angesichts der widersprüchlichen Fassung des § 214 III S. 2 BauGB, wonach einerseits Abwägungsfehler zu Verfahrensfehlern gemacht werden und andererseits am materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang festgehalten wird, ist kein klarer Befund auszumachen. 29 Dies gilt ebenso für das Verhältnis des § 2 III BauGB zu § 1 VII BauGB. Es ist daher zu untersuchen, ob diese Fragen sich interpretatorisch lösen lassen. Es gilt zunächst, den Anwendungsbereich des neuen Verfahrens des Ermittelns und des Bewertens neben dem des Abwägungsgebots zu bestimmen. Dazu werden die unterschiedlichen Ansichten zu den Neuregelungen beachtet. Zudem stellt sich die Frage nach dem Handlungsspielraum des Gesetzgebers und der Zulässigkeit eines Systemwechsels der Gerichtskontrolle überhaupt. Schließlich werden die Unterschiede zur bisherigen Abwägungskontrolle dargelegt und die Auswirkungen auf den Rechtsschutz des Einzelnen untersucht. Das Kapitel hat die grundlegende Frage zum Gegenstand: Was ist aus dem materiellen Abwägungsvorgang geworden und welchen Anwendungsbereich hat das neue Verfahren gemäß den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB? Der Untersuchungsgegenstand soll dabei, sofern möglich, auf Bebauungspläne beschränkt werden. Nur soweit es geboten ist, soll darüber hinaus auf die anderen Pläne eingegangen werden. 30 Entsprechend dieser einleitenden Skizzierung lassen sich Untersuchungsgegenstand, -vorgehensweise und -ziel wie folgt zusammenfassen: Die Untersuchung soll die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen darauf prüfen, ob durch die Neuregelung der Planerhaltung durch das EAG Bau ein Systemwechsel in Abkehr zur bisherigen Dogmatik bei der Überprüfung der planerischen Abwägung vollzogen worden ist.
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Vgl. Kraft, UPR 2004, S. 331 (332 f.). Zur Übertragbarkeit der Abwägungsdogmatik auf die Fachplanung und umgekehrt vgl. grundlegend Sendler, in: Planung und Plankontrolle – FS Schlichter, S. 72 ff. 30
1. Kapitel
Bestandsaufnahme – Die Gerichtskontrolle der bauplanerischen Abwägung § 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen A. Die Kontrolle von Bebauungsplänen Die Rechtskontrolle von Bebauungsplänen findet entweder als staatsaufsichtliche Kontrolle im Verwaltungsverfahren oder als gerichtliche Kontrolle statt. 1 Gegenstand der folgenden Untersuchung ist allein die Gerichtskontrolle. Entsprechend dem Kontrollauftrag aus Art. 20 II GG an die Rechtsprechung ist diese auch zur Kontrolle von Bebauungsplänen berufen. 2 Die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen kann dabei sowohl im Zivilprozess, z. B. im Amtshaftungsprozess, als auch im Verfassungsgerichtsprozess und im Verwaltungsgerichtsprozess erfolgen. 3 Der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Bebauungsplänen kommt nur eine geringe Bedeutung zu. 4 Die verfassungsgerichtliche Kontrolle soll daher nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Die Kontrolle von Bebauungsplänen im Zivilprozess ist für die folgende Untersuchung ebenfalls auszuschließen. Vorrangig erfolgt die gerichtliche Kontrolle von Bebauungsplänen durch die Verwaltungsgerichte in allen Verfahrensarten der VwGO. 5 Die Verwaltungsgerichte sind bei ihrer Kontrolle zur Rechtmäßigkeitskontrolle berufen, nicht aber zur Prüfung der Zweckmäßigkeit des zu kontrollierenden Verwaltungshandelns. 6 Das Gericht soll das Verwaltungshandeln an rechtlichen Maßstäben messen und die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit staatlichen Verhaltens feststellen. 7 Voraussetzung für eine Rechtmäßigkeitskontrolle ist ein Maßstab, der die inhaltliche Reichweite der Kontrolle bestimmt. 8 1 2 3 4 5 6 7
Hoppe, in: FS Menger, S. 748 ff.; Schlarmann, in: Rechtsstaat und Planung, S. 2 ff. Krebs, Kontrolle, S. 52. Vgl. m.w. N. Schlarmann, in: Rechtsstaat und Planung, S. 5. Vgl. hierzu Hoppe, in: FS Menger, S. 749; Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 671. Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 3. Vgl. hierzu: Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 15. Krebs, Kontrolle, S. 56.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Die VwGO sieht für Bebauungspläne sowohl eine prinzipale als auch eine inzidente Überprüfung vor. 9 Die unmittelbare Kontrolle wird durch das Normenkontrollverfahren gemäß § 47 I Nr. 1 VwGO ermöglicht. Die Inzidentkontrolle hat die Überprüfung des zugrunde liegenden Bebauungsplans zum Gegenstand, aufgrund dessen ein Verwaltungshandeln ergangen ist, gegen welches der Rechtsweg eröffnet ist. Auch bei der inzidenten Überprüfung geht es um die Überprüfung der Gültigkeit der Norm. Im Folgenden soll daher auf den Normcharakter des Bebauungsplans eingegangen werden.
B. Der Normcharakter des Bebauungsplans – Entwicklungsgeschichte I. Die rechtliche Einordnung des Bebauungsplans Die Rechtsnatur der Bebauungspläne war in Deutschland in den 1950er Jahren heftig umstritten. 10 Die neue Form des planenden Verwaltungshandelns musste rechtlich qualifiziert werden. Dabei war Gegenstand des Meinungsstreits die rechtliche Einordnung der Bebauungspläne in die herkömmlichen Kategorien des Verwaltungshandelns als Verwaltungsakt oder als Rechtsnorm. 11 Schwierigkeiten bereitete vor allem die Tatsache, dass Bebauungspläne neben einer Vielzahl von Regelungen lediglich eine Einzelregelung treffen können, wie beispielsweise für nur ein Grundstück. 12 Eine eindeutige Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnorm gelang anhand der gängigen Unterscheidungskriterien, Adressatenkreis und Regelungsgehalt 13, bei Bebauungsplänen nicht. 14 Neben der Einordnung als Rechtsnorm oder als Verwaltungsakt wurde vertreten, der Bebauungsplan sei ein rechtsstaatliches aliud. 15 Insbesondere Brohm ging von einem aliud aus. Er schrieb dem Bebauungsplan keine unmittelbare rechtliche Wirkung zu. Gleichzeitig ging er aber von einer unmittelbaren faktischen Wirkung der Bebauungspläne aus und folgerte daraus den Unterschied zur reinen Rechtsnorm. Er sprach vom Bebauungsplan als einer „Vollzugsnorm“. 16 8
Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (293); vgl. hierzu unten § 2, S. 48 ff. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 6 Rn. 15. 10 Vgl. m.w. N. Schrödter, DVBl. 1973, S. 763 (764). 11 Keßler, Die Abwertung, S. 18 f.; Jäde, BauR 1993, S. 683 (687). 12 BVerwG, NJW 1969, 1076 (1076). 13 Vgl. zu den heute noch gängigen Abgrenzungskriterien Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 9 Rn. 14 ff. 14 Balscheit, Die Rechtsnatur des Planes, S. 19 ff.; vgl. m.w. N. Grooterhorst, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen, S. 18. 15 M.w. N. Balscheit, Die Rechtsnatur des Planes, S. 24. 9
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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Die maßgeblichen Landesgesetze konnten bis zum Inkrafttreten des BBauG 1960 17 hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung des Bebauungsplans ebenfalls keine Klarheit schaffen. Es fehlte eine klare und einheitliche gesetzliche Regelung, so dass entsprechend einigen landesgesetzlichen Besonderheiten die Verwaltungsaktqualität angenommen wurde, während die Rechtsprechung in den meisten anderen Bundesländern von der Rechtsnormqualität bei der verbindlichen Bauleitplanung ausging. 18 Das BVerwG vollzog schon 1956 eine Einordnung als Rechtsnorm. 19 Das BVerwG stellte dabei nicht auf den Adressatenkreis und den Regelungsgehalt, sondern auf das Rechtsschutzinteresse der Bürger ab. 20 Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung waren für das BVerwG die Rechtswirkungen des Bebauungsplans auf die Rechtssphäre der Bürger und die Frage nach dem damit verbundenen Rechtsschutz. Das BVerwG war der Auffassung, der Bebauungsplan bewirke lediglich eine Rechtsgrundlage und betreffe die Planadressaten nicht unmittelbar. Daraus folgerte das BVerwG, dass das für den Verwaltungsakt charakteristische Rechtsschutzinteresse nicht betroffen sei und es somit auch nicht der Rechtsnatur des Verwaltungsaktes bedürfe. 21 Diese Einordnung wurde schließlich vom Gesetzgeber bestätigt, indem 1960 der Bebauungsplan in § 10 BBauG 22 als Satzung und damit als Rechtsnorm ausgestaltet wurde. 23 Damit ist die Auseinandersetzung zumindest in der Rechtsprechung hinsichtlich von Bebauungsplänen zunächst zu einem Stillstand gekommen. 24 Insbesondere ist damit die Rechtsprechung der Forderung nachgekommen, den Rechtsschutz an eine abgrenzbare formale Einordnung anstatt an schwer zu bestim16
Brohm, Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 61. Baugesetzbuch vom 23. 6. 1960, BGBl. I 341. 18 Der VGH Mannheim qualifizierte, entgegen der früheren Rspr. des Reichsgerichts, den Bebauungsplan als Verwaltungsakt. Vgl. VGH Mannheim, ESVGH 4, 64 (66); Entgegen der Aufassung des VGH Mannheim qualifizierte das BVerwG den württembergischen Ortsbauplan als Rechtsnorm. Vgl. BVerwGE 3, 258 (259); siehe auch m.w. N. W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 1 Rn. 10; Schrödter, DVBl. 1973, S. 763 (764). 19 BVerwGE 3, 258 (259); BVerwGE 3, 265 (266). 20 Gegen die Einordnung anhand des Rechtsschutzes vgl. Brohm, Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 57; Obermayer, NJW 1956, S. 1849 (1850); Jäde, BauR 1993, S. 683 (687). 21 BVerwGE 3, 258 (262 f.); Jäde, BauR 1993, S. 683 (686). 22 Bundesbaugesetz vom 23. 6. 1960; dieses führte zu einer bundeseinheitlichen Regelung. Die landesrechtlich unterschiedlich ausgestalteten Pläne wurden in § 1 II BBauG (1960) zu der zweiphasigen Bauleitplanung als Flächennutzungspläne oder als Bebauungspläne zusammengefasst; vgl. W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 8. 23 W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 1 Rn. 11. 24 Balscheit, Die Rechtsnatur des Planes, S. 18. 17
28
1. Kap.: Bestandsaufnahme
mende materielle Kriterien anzuknüpfen. 25 Die der gesetzlichen Festlegung folgende Rechtsprechung des BVerwG zeigt aber auch, dass das BVerwG von einer Sonderstellung der Bebauungspläne innerhalb der Rechtsnormen ausgeht. 26 Die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnorm bestehen fort 27 und die dogmatische Einordnung des Bebauungsplans wird aufgrund der Sonderstellung zwischen Norm und Verwaltungsakt weiterhin im Schrifttum mit dem Argument kritisiert, 28 die Rechtsnatur ergebe sich aus den allgemeinen materiellen Kriterien und nicht aus der gesetzlichen Festlegung. 29 Für die Praxis hat der Gesetzgeber den Streit entschieden und auch in der Literatur wird die Einordnung zumindest als „plausibel“ angesehen. 30 Für die damit verknüpfte Frage des Rechtsschutzes ist die formale Einordnung als Satzung gemäß § 10 BauGB maßgeblich. 31 Die Auseinandersetzung über die Einordnung des Bebauungsplans als Satzung ist für die Untersuchung der Gerichtskontrolle insoweit von Bedeutung, als dass die noch zu untersuchenden Planerhaltungsregeln für Bebauungspläne Folgeregelungen der Sonderstellung des Bebauungsplans sind und diese auch offenbaren. 32 II. Die Auswirkungen der rechtlichen Einordnung auf den Rechtsschutz Die Relevanz einer rechtlichen Einordnung in die Formtypik bestand in der unterschiedlichen Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichtsordnungen der Länder. Diese wurden 1960 durch die Verwaltungsgerichtsordnung abgelöst. 33 Die Anfechtungsklage wurde dabei in § 42 VwGO bundeseinheitlich geregelt. 34 Schon zuvor hatten zudem alle Lan25
Brohm, Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 38. BVerwGE 11, 14 (17); BVerwGE 26, 282 (285); BVerwGE 50, 115 (119 f.); BVerwGE 40, 268 (272). 27 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 9 Rn. 21. 28 Jäde, BauR 1993, S. 683 (687); Sendler, UPR 1984, S. 317 (322); Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, S. 45; Bartlsperger, DVBl. 1967, S. 360 (362). 29 Siehe hierzu Jäde, BauR 1993, S. 683 (687), der den Bebauungsplan als Verwaltungsakt ansieht; m.w. N. Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, S. 45. 30 Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (275); Sendler, UPR 1984, S. 317 (322); Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, S. 51; Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 10 Rn. 1; Keßler, Die Abwertung, S. 19; Grooterhorst, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen, S. 55; W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 9. 31 Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 10 Rn. 2. 32 Siehe unten § 6 B., S. 144 ff. 33 BGBl. 1960 I., S. 17; vgl. Ule, in: FS Menger, S. 81 f.; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., S. 23. 34 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 61. 26
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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desverwaltungsgerichtsordnungen die Anfechtungsklage gegen belastende Verwaltungsakte vorgesehen. Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle hingegen war nur in wenigen Ländern eingeführt gewesen. 35 Mit der Verwaltungsgerichtsordnung wurde die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO (1960) für die einzelnen Bundesländer als fakultativ geregelt, 36 wovon bis 1976 aber nur fünf Bundesländer Gebrauch gemacht hatten. 37 Zum Zeitpunkt der rechtlichen Qualifizierung des Bebauungsplans als Satzung im Jahre 1960 durch das BBauG 38 stand in den meisten Bundesländern nur die Anfechtungsklage als unmittelbarer Rechtsschutz gegen die bisher als Verwaltungsakt qualifizierten Bebauungspläne zur Verfügung. 39 Ausgangslage war zum Zeitpunkt der gesetzlichen Qualifizierung ein stark ausgeprägter, unmittelbarer und bundesweiter Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte mittels der Anfechtungsklage gegenüber einem nur in einigen Bundesländern vorhandenen Rechtsschutz gegen Satzungen. 40 Die Qualifizierung des Bebauungsplans als Satzung gemäß § 10 BBauG 41 hatte folglich zunächst den Ausschluss des unmittelbaren Rechtsschutzes, die Anfechtungsklage gegen Bebauungspläne, zur Folge. 42 Es verblieb zunächst nur noch ein inzidenter Rechtsschutz gegen Bebauungspläne, 43 der wegen des Abwartens auf vollendete Tatsachen als defizitär erschien. 44 Diese negativen Konsequenzen für den Rechtsschutz wurden dabei vom BVerwG und vom Gesetzgeber gebilligt; 45 denn indem der Bebauungsplan einer unmittelbaren Kontrolle entzogen wurde, sollte auf diesem Weg eine Stabilität der städtebaulichen Planung erreicht werden. 46 Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 27. 07. 1971 diesen Ausschluss des unmittelbaren Rechtsschutzes mit der Begründung toleriert, dass ein Bebauungsplan nicht unmittelbar in bestehende Rechtspositionen des Bürgers eingreifen könne. 47 Die dem Beschluss zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde gegen einen Bebauungsplan wurde dementsprechend für unzulässig erklärt. 48 Um einen unmittelbaren Rechtsschutz gegen 35
Vgl. § 25 VGG von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 61; Schlez, BauR 1974, S. 289 (289); Ule, in: FS Menger, S. 95. 37 Schenk / Meyer-Ladewig, DVBl. 1976, S. 198 (198). 38 Baugesetzbuch vom 23. 6. 1960, BGBl. I 341. 39 Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (275). 40 Vgl. Ule, in: FS Menger, S. 88 ff. 41 Bundesbaugesetzbuch vom 23. 6. 1960. 42 Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (275). 43 Paetow, NVwZ 1985, S. 309 (310). 44 M.w. N. Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (275); Hoppe, in: FS Menger, S. 763; Maurer, in: FS Kern, S. 283. 45 M.w. N. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 62; Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (275); Forsthoff, DVBl. 1957, S. 113 (115). 46 Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (275). 47 BVerfGE 31, 364 (367 ff.); Jäde, BauR 1993, S. 683 (688). 36
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Bebauungspläne zu gewähren, haben die bereits erwähnten fünf Bundesländer von der fakultativen Ermächtigung zur Einführung einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle Gebrauch gemacht 49 und den Bebauungsplan somit der teilweise als verfassungsrechtlich geboten angesehenen unmittelbaren Rechtskontrolle zugeführt. 50 Mit der Änderung des § 47 VwGO durch das Änderungsgesetz vom 24. 8. 1976 51 unterliegen Bebauungspläne bundeseinheitlich einer unmittelbaren Normenkontrolle. 52 Wegen der damaligen Berlinproblematik 53 wurde zwar gemäß § 47 I Nr. 2 VwGO (1976) die Einführung der Normenkontrolle durch die Länder beibehalten, aufgrund des besonderen Rechtsschutzbedürfnisses bei Bebauungsplänen für Satzungen und Verordnungen aufgrund des BBauG aber eine bundeseinheitliche Normenkontrolle vorgesehen. 54 Die VwGO unterwirft, unabhängig von dem Streit über die rechtliche Einordnung, Bebauungspläne dem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren. Der Versuch, die Pläne durch die Wahl der Rechtsform zu stabilisieren, so hat es die Rechtsentwicklung gezeigt, ist jedoch nicht gelungen. Mit der Qualifizierung als Rechtsnorm wurden nämlich die Bebauungspläne dem Nichtigkeitsdogma unterworfen, wonach Normen bei Verstößen gegen höherrangiges Recht stets nichtig sind. 55 Es stellt sich damit die Frage, ob die Bestandssicherheit der Bebauungspläne infolge des zeitlich unbegrenzten Rechtsschutzes gegen Rechtsnormen leidet. 56 Erst eine Änderung der VwGO im Jahre 1996 sah eine beschränkende Zweijahresfrist für Normenkontrollverfahren vor. 57 Mit den Änderungen der Planerhaltungsvor48
BVerfGE 31, 364 (367 ff.). Schlez, BauR 1974, S. 289 (289); Paetow, NVwZ 1985, S. 309 (309). 50 Bereits Forsthoff, DVBl. 1957, S. 113 (117); Maurer, in: FS Kern, S. 281; Schenk / Meyer-Ladewig, DVBl. 1976, S. 198 (198); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 3; Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 8; BVerfGE 70, 35 ff. (in Abkehr zu BVerfGE 31, 364 (367 ff.)). A. A. Ehlers: Art. 19 IV GG fordere im Falle der Gewährung subjektiver Rechte nur, dass überhaupt Rechtsschutz gewährt wird. Dieser könne auch im Rahmen inzidenten Rechtsschutzes erfolgen. Ehlers, Jura 2005, S. 171 (171); Papier, in: FS Menger, S. 518. 51 BGBl. I 1976, S. 2437; siehe ferner mit Verweis auf den damaligen Regierungsentwurf: Schenk / Meyer-Ladewig, DVBl. 1976, S. 198 (199). 52 Bickel, NJW 1985, S. 2441 (2441); Paetow, NVwZ 1985, S. 309 (310). 53 Vgl. Paetow, NVwZ 1985, S. 309 (310); Schenk / Meyer-Ladewig, DVBl. 1976, S. 198 (206). Damals war umstritten, was unter den Begriff Berliner Landesrecht fällt. Satzungen und Verordnungen im Baurecht konnten nur im Range unter dem Landesrecht stehen und es bedurfte nicht der Klärung des Begriffs Landesrecht. Die Rechtseinheit zwischen Berlin und den übrigen Bundesländern sollte damit nicht durch eine bundesrechtliche Regelung gefährdet werden, die eine Klärung des Begriffs erforderlich machte. 54 Paetow, NVwZ 1985, S. 309 (310). 55 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1984, S. 582 (586); Keßler, Die Abwertung, S. 45. 56 Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 10 Rn. 1; Sendler, UPR 1984, S. 317 (322). 57 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 63; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., S. 24. 49
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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schriften, zuletzt durch das EAG Bau 2004 und das BauGB 2007, hat der Gesetzgeber versucht, der unter einem prinzipiell zeitlich unbegrenzten Rechtsschutz leidenden Bestandssicherheit von Bebauungsplänen zu begegnen. 58 Dementsprechend gilt für Normenkontrollanträge mittlerweile eine Einjahresfrist. 59
C. Das Normenkontrollverfahren Das Normenkontrollverfahren ist ein prinzipales Kontrollverfahren. Prinzipal ist das Kontrollverfahren, da das kontrollierende Gericht unmittelbar eine Entscheidung über die rechtliche Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Norm trifft. 60 Bei einer inzidenten Prüfung wird dagegen die Frage der Gültigkeit einer Norm zur Lösung eines anderen Problems beantwortet. Die Bezeichnung „prinzipale Normenkontrolle“ wurde von Bettermann eingeführt. 61 Der Gegensatz von prinzipaler und inzidenter Normenkontrolle stellt demnach auf das Ergebnis der Normprüfung ab und nicht auf den Anlass der Normprüfung, wie es bei dem Gegensatz ‚konkrete und abstrakte Normenkontrolle‘ der Fall ist. 62 Konkret ist die Normenkontrolle, wenn sie in eine bestimmte Entscheidung eines Falls eingebettet ist; abstrakt hingegen, wenn sie vom Einzelfall losgelöst ist. 63 Das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO hat die Rechtsgültigkeit einer Norm losgelöst vom Einzelfall zum Gegenstand und ist daher ein Fall der prinzipalen abstrakten Normenkontrolle. 64 Losgelöst vom Einzelfall soll die Normenkontrolle Einzelklagen bündeln, um durch die allgemein verbindliche Entscheidung über die Wirksamkeit einer Norm eine mögliche Rechtsunsicherheit durch viele Inzidententscheidungen zu vermeiden. 65 Ausgehend von dieser systematischen Einordnung und der Funktion des Normenkontrollverfahrens ist ersichtlich, dass dem Einzelnen die Möglichkeit einer inzidenten Überprüfung verbleibt. Das abstrakte prinzipale Normenkontrollverfahren sperrt nicht die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle. 66 58
Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 10 Rn. 2. Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121 (127 f.); zur verkürzten Frist zur Geltendmachung von Mängeln bei der Planerhaltung gemäß § 215 I BauGB siehe unten: 2. Kapitel § 2 A. III., S. 190 ff. 60 Hoppe, in: FS Menger, S. 755. 61 Vgl. m.w. N. Bartlsperger, DVBl. 1967, S. 360 (363). 62 Renck, JuS 1966, S. 273 (277). 63 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 1; Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 5. 64 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1169). 65 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1170); Schütz, Antragsbefugnis nach dem 6. VwGOÄndG, S. 159 f. 66 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1170). 59
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Normenkontrolle bundesweit für Satzungen, die nach den Vorschriften des BauGB erlassen werden, eröffnet. 67 Das Normenkontrollverfahren gibt damit den Prüfungsmaßstab vor, anhand dessen Bebauungspläne und somit auch die planerische Abwägung gerichtlich überprüft werden. Der anzulegende materielle Prüfungsmaßstab kann sich einmal objektiv auf die Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht erstrecken oder aber sich auf die Überprüfung einer subjektiven Rechtsverletzung beschränken. Der anzulegende Prüfungsmaßstab hängt demnach zunächst von der Einordnung des Normenkontrollverfahrens als subjektives Rechtsschutzverfahren oder als objektives Beanstandungsverfahren ab. 68 I. Objektives Beanstandungsverfahren oder subjektives Rechtsschutzverfahren Die Einordnung des Normenkontrollverfahrens in das Rechtsschutzsystem bereitet seit jeher Schwierigkeiten. Bereits die sprachliche Regelung der Normenkontrolle durch Rechtsprechung und Literatur als „Antrag“ und nicht als Klage, wie die anderen Verfahren der VwGO, weist auf die besondere Einordnung des Normenkontrollverfahrens innerhalb der Verfahrensarten der VwGO hin. 69 Die Normenkontrolle bewegt sich dabei zwischen den beiden Polen des Rechtsbeanstandungsverfahrens und des Rechtsschutzverfahrens. 70 Terminologisch bezeichnet das Rechtsbeanstandungsverfahren die objektive Überprüfung der Gültigkeit einer Norm, welche die Wahrung der Rechtsordnung gewährleisten soll. 71 Gemäß der Definition umfasst die Wahrung der Rechtsordnung zwar auch den Schutz subjektiver Rechte Einzelner, der ist jedoch nicht primäres Anliegen des objektiven Beanstandungsverfahrens. 72 Das Rechtsschutzverfahren dient im Gegensatz dazu der Durchsetzung und Bewahrung subjektiver Rechte vor Gericht. 73 Die dabei ebenfalls geleistete objektive Rechtskontrolle ist lediglich eine „erwünschte Nebenfolge“. 74 Die Einordnung der Rechtskontrolle in eine bestimmte Funktion kann sich dennoch auf den Umfang der gerichtlichen Überprüfung und das Verfahren erheblich auswirken. Im Gegensatz zur objektiven Rechtskontrolle ist die subjektive Kontrolle zielgerichtet auf die Verletzung des geltend gemachten 67
Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 2. Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 4. 69 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 4. 70 Kintz, JuS 2000, S. 1099 (1099). 71 Maurer, in: FS Kern, S. 288. 72 Ehlers, Jura 2005, S. 171 (171); Krebs, in: FS Menger, S. 192 f. 73 Maurer, in: FS Kern, S. 288. 74 Menger, DÖV 1955, S. 587 (591); Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 31; Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, 1. Aufl., Rn. 36. 68
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subjektiven Rechts zugeschnitten, so dass Kontrollmaßstäbe und Kontrollgegenstände durch das subjektive Recht selektiert werden. 75 Während daher beim objektiven Rechtsschutz sämtliche objektiven Rechtsnormen den Kontrollmaßstab bilden, sind beim subjektiven Rechtsschutz objektive Normen nur insoweit Kontrollmaßstab, als dass sie in einem Funktionszusammenhang mit dem subjektiven Recht stehen. 76 Diese unterschiedlichen Auswirkungen werden zudem durch die Stellung des einzelnen Rechtsträgers im Rechtsschutzverfahren verdeutlicht. Der Träger subjektiver Rechte ist im Rechtsschutzverfahren selbst betroffen, indem er in der Regel (möglicherweise) eine Rechtsverletzung erlitten hat. Im Rechtsbeanstandungsverfahren hingegen ist der Bürger „Funktionär des Verwaltungskontrollverfahrens“ 77, d. h., eine mögliche Betroffenheit der Interessen des Rechtsschutz suchenden Bürgers ist nur Anstoß für ein Kontrollverfahren, aber nicht der Anlass des Verfahrens. 78 Dennoch muss der betroffene Bürger als Zulässigkeitsvoraussetzung im Rahmen der Antragsbefugnis gemäß § 47 II VwGO eine mögliche Betroffenheit geltend machen. 79 Wenn aber das Normenkontrollverfahren gerade nicht dem Rechtsschutzverfahren zugeordnet wird, stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen an die Antragsbefugnis gemäß § 47 II VwGO in der Zulässigkeit zu stellen sind, und viel mehr noch, welche Bedeutung das Erfordernis einer Antragsbefugnis des Einzelnen auf die eigentliche Normprüfung in der Begründetheit hat. Im Vergleich zu den typischen subjektiven Rechtsschutzverfahren fehlt beim Normenkontrollverfahren eine Vorschrift, die den Zusammenhang zwischen dem subjektiven Element in der Zulässigkeit und der Begründetheit regelt – so wie die Prüfungsbeschränkung auf die in der Klagebefugnis geltend gemachten Rechtsverletzungen gemäß § 42 II VwGO zu § 113 I, V VwGO. 80 Ein weiterer Unterschied besteht in der Entscheidungswirkung, die beim Normenkontrollverfahren gemäß § 47 V S. 2 Hs. 2 VwGO inter-omnes und nicht nur wie bei der Anfechtungsund Verpflichtungsklage inter-partes gilt. 81 75
Krebs, in: FS Menger, S. 193. Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, 1. Aufl., Rn. 29; Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 31; so auch BVerwG, DVBl. 1992, 37 (39); BVerwG, NuR 2001, 457. 77 Krebs, in: FS Menger, S. 194. 78 Krebs, in: FS Menger, S. 194. 79 Zur Antragsbefugnis siehe unten III., S. 37 ff. 80 Ehlers, Jura 2005, S. 171 (171); Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1043; Krebs, in: FS Menger, S. 200. 81 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., § 26 Rn. 469; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 4; BVerwGE 56, 172 (174); Kintz, JuS 2000, S. 1099 (1099); Hahn, Schutz gegen Rechtssätze, S. 129; Maurer, in: FS Kern, S. 289. 76
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Das BVerwG vertritt die Einordnung des Normenkontrollverfahrens als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren 82, misst dem Verfahren aber gerade bei der Überprüfung von Bebauungsplänen eine individualrechtsschützende Funktion zu, wenn das Verfahren durch eine betroffene natürliche oder juristische Person und nicht von einer Behörde eingeleitet wird, was gerade bei Bebauungsplänen häufig der Fall ist. 83 Eine Begründung des vom BVerwG angenommenen Rechtsschutzcharakters der Normenkontrolle fehlt jedoch. 84 In neuerer Zeit wird das Normenkontrollverfahren vom BVerwG als Kombination aus subjektivem Rechtsschutz- und objektivem Beanstandungsverfahren beschrieben. 85 Dabei sei das subjektive rechtsschützende Element in der Zulässigkeit des Normenkontrollverfahrens in der Antragsbefugnis ausgestaltet. Aufgrund des Fehlens einer Norm, die einen Zusammenhang zwischen Zulässigkeit und Begründetheit herstelle, sei die subjektive Betroffenheit des Antragstellers für die Normprüfung in der Begründetheit aber ohne Bedeutung. 86 Zu bedenken bleibt bei der Begründung des Rechtsschutzcharakters des Normenkontrollverfahrens aus der Antragsbefugnis, dass die dort geforderte erforderliche subjektive Betroffenheit zunächst der Begrenzung bzw. dem Ausschluss von Popularklagen dient. Beim subjektiven Rechtsschutz geht es hingegen primär um den Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte. Die Begründung des rechtsschützenden Charakters des Normenkontrollverfahrens aus der Antragsbefugnis gemäß § 47 II VwGO bei gleichzeitiger Verortung dieses rechtsschützenden Elements in dieser eigentlich die das Normenkontrollverfahren begrenzenden Zulässigkeitsvoraussetzung erscheint doch zweifelhaft. 87 Nach überwiegender Auffassung in Lehre und Rechtsprechung ist das Normenkontrollverfahren grundsätzlich auf eine objektive Kontrolle ausgerichtet, soll aber gleichzeitig auch dem subjektiven Rechtsschutz dienen, weil dem Verfahren, wenn es auf Antrag einer natürlichen oder juristischen Person erfolgt, außerdem eine rechtsschützende Funktion zukommt. 88 Insbesondere aus der An82
BVerwGE 56, 172 (178); BVerwGE 65, 131 (136); BVerwG; DÖV 1992, 68 (69). BVerwGE 64, 77 (79); BVerwGE 68, 12 (14); BVerwGE 69, 30 (33); BVerwGE 78, 85 (91); BVerwGE 82, 225 (230); BVerwG DVBl. 1992, 36 (37). 84 Vgl. BVerwGE 82, 225 (230 f.); so auch die Analyse der Rspr. bei Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 33. 85 BVerwG, DVBl. 1992, 37 (39); BVerwG ZfBR 1992, 185 (186); BVerwG, NuR 2001, 457. 86 BVerwG, DVBl. 1992, 37 (39). 87 Vgl. Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 33 a. E. 88 Papier, in: FS Menger, S. 521 a. E.; Maurer, in: FS Kern, S. 288 ff.; Paetow, NVwZ 1985, S. 309 (311); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 4; Brohm, NJW 1981, S. 1689 (1691); Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 1; Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 3; vgl. weiter die sehr ausführliche Darstellung des Meinungsstands unter Nennung der untergerichtlichen Rechtsprechung: Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 34; BVerwGE 82, 225 (230 f.). 83
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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tragsbefugnis gemäß § 47 II VwGO wird dabei die Rechtsschutzfunktion des Normenkontrollverfahrens hergeleitet. 89 Die Art und Weise der Kombination beider Verfahrenszwecke divergiert jedoch innerhalb dieser Auffassung. 90 Für den Prüfungsmaßstab bei der Normenkontrolle von Bebauungsplänen kann allerdings festgehalten werden, dass dieser nach allen Ansichten ein objektiv-rechtlicher Maßstab ist. 91 Auch wenn mittlerweile das Nachteilserfordernis 92 in der Antragsbefugnis durch das Erfordernis der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abgelöst worden ist 93, fehlt die damit einhergehende Maßstabseinschränkung in der Begründetheitsprüfung des Verfahrens. 94 Die eigentliche Normenkontrolle ist daher objektive Rechtskontrolle, die nicht auf die Prüfung möglicher verletzter Rechte reduziert ist. 95 Der Bebauungsplan, der Kontrollgegenstand des Normenkontrollverfahrens ist, wird auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft – ohne Einschränkung. Dabei ist das gesamte höherrangige Bundesrecht und, soweit nicht anders vorgesehen, höherrangiges Landesrecht (Landesgesetze und höherrangige Verordnungen von Landesbehörden) 96 Prüfungsmaßstab. 97 Eines Streitentscheids bedarf es für die vorzunehmende Untersuchung nicht. II. Der Bebauungsplan als Kontrollgegenstand Gegenstand des Normenkontrollverfahrens sind gemäß § 47 I Nr. 1 VwGO sämtliche Satzungen, die nach den Vorschriften des BauGB erlassen worden sind. Als Satzung werden insbesondere Bebauungspläne gemäß § 10 BauGB beschlossen, sie sind daher Kontrollgegenstand des Normenkontrollverfahrens. 98 Verordnungen können aufgrund § 246 II BauGB ebenfalls zum Kontrollgegen89
Brohm, NJW 1981, S. 1689 (1691). M.w. N. Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, 1. Aufl., Rn. 23 f. 91 Ibler, Öffentliches Baurecht, S. 119. 92 Vgl. hierzu Maurer, in: FS Kern, S. 289; m.w. N. Krebs, in: FS Menger, S. 198. 93 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung v. 1. 11. 1996, BGBl. I, S. 1626; Brohm, NJW 1981, S. 1689 (1691). 94 Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, 1. Aufl., Rn. 28 f. 95 BVerwG, NVwZ 2002, 83; BVerwGE 82, 225 (232); Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., § 26 Rn. 464; Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 26; Brohm, NJW 1981, S. 1689 (1691); Hoppe, in: FS Menger, S. 775; Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., Rn. 22 a. 96 Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, 1. Aufl., Rn. 93. 97 Papier, in: FS Menger, S. 520; Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 27; Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 18 f. Landesrecht ist nur Prüfungsmaßstab, sofern nicht gesetzlich bestimmt ist, dass die Rechtsvorschrift alleine durch das Landesverfassungsgericht überprüft wird: Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 2. 90
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
stand werden. 99 Gleiches gilt gemäß § 246 II BauGB auch für die als Gesetz erlassenen Bebauungspläne der Stadtstaaten. 100 Voraussetzung für die Kontrolle einer Bebauungsplansatzung ist der abgeschlossene Erlass als Satzung, denn nur verbindliche Bebauungspläne können tauglicher Kontrollgegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein. 101 Das ist dann der Fall, wenn der Bebauungsplan gemäß § 10 III BauGB wirksam bekannt gemacht worden ist und der Norminhalt unabänderlich feststeht. 102 Davor ist der Bebauungsplan aufgrund seiner fehlenden Verbindlichkeit kein tauglicher Kontrollgegenstand. Folglich ist weder der Beschluss des Gemeinderats gemäß § 10 I BauGB noch der gemäß § 10 II BauGB durch die höhere Verwaltungsbehörde genehmigte Plan tauglicher Gegenstand einer Normenkontrolle, sondern lediglich ein unverbindlicher Entwurf. 103 Daher reicht auch ein Satzungsbeschluss bei Planreife gemäß § 33 BauGB nicht aus. 104 Mit der Anknüpfung an eine bestehende Verbindlichkeit als Grundlage für das Normenkontrollverfahren kann das Normenkontrollverfahren zudem keinen präventiven Rechtsschutz gegen einen drohenden Bebauungsplan bzw. Normerlass leisten. 105 Das BVerwG ist mittlerweile der Auffassung, dass gegen funktionslose Bebauungspläne im Rahmen der Normenkontrolle vorgegangen werden kann. 106 Flächennutzungspläne gemäß § 5 BauGB haben im Gegensatz zu den Bebauungsplänen grds. keine Normwirkung und sind daher nicht Gegenstand der Normenkontrolle. 107 98 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 12; Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 15 Rn. 14; Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 10; Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 21; Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 76. 99 Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 21; Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 10. 100 So wie z. B. in Bremen und Hamburg. Grds. unterliegen Parlamentsgesetze nicht der Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Nach Ansicht des BVerfG soll dies nicht für Bebauungspläne gelten, die als Parlamentsgesetz erlassen werden. Vgl. BVerfGE 70, 35 (57); kritisch hierzu: Schenke, DVBl. 1985, S. 1367 (1367 f.); Kosmider, JuS 1988, S. 447 (449). 101 Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 64. 102 BVerwG, BauR 2002, 445 (446); BVerwG, ZfBR 1992, 238 (239). 103 Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 12. 104 Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 10 Rn. 14; Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, 1. Aufl., Rn. 71; Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 12; BVerwG, BauR 2002, 445 f. 105 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., § 26 Rn. 448; Papier, in: FS Menger, S. 530. 106 BVerwGE 108, 71 (72 f.). 107 Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 22; Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 76, insbes. 79a; auf die Darstellungen im Flächennutzungsplan mit den Rechtswirkungen des § 35 III S. 3 BauGB hat das BVerwG, im Fall einer Konzentrations-
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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III. Die Antragsbefugnis Hinsichtlich der Kontrolle von Bebauungsplänen kommt der Antragsbefugnis eine praktische Bedeutung für die Zulässigkeit der Normenkontrolle zu. Gemäß § 47 II S. 1 VwGO sind natürliche und juristische Personen antragsbefugt, wenn sie geltend machen können, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Problematisch hierbei ist der Zurechnungszusammenhang zwischen Bebauungsplan und Rechtsverletzung. Da es regelmäßig Schwierigkeiten bereitet, den Zurechnungszusammenhang zwischen einer Rechtsnorm und einer Rechtsverletzung ohne einen Vollzugsakt zu ermitteln, stellt das BVerwG darauf ab, ob die geltend gemachte Rechtsverletzung bereits in der Norm als Folgemaßnahme angelegt ist. 108 1. Das Nachteilserfordernis Ursprünglich forderte § 47 II VwGO keine Art Klagebefugnis entsprechend § 42 II VwGO, sondern eine spezielle Antragsbefugnis. Zu prüfen war, ob der Antragsteller im Normenkontrollverfahren durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten hat. 109 Maßgeblich war dabei der Nachteil für ein rechtlich geschütztes Interesse und nicht die Verletzung eines subjektiven Rechts. 110 Schwierigkeiten bereitete dabei bei Bebauungsplänen die Begrenzung des zur Normenkontrolle befugten Personenkreises. 111 Mit dem 6. VwGOÄndG 112 wurde auf die Geltendmachung einer Rechtsverletzung – entsprechend der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO – abgestellt. 113 Der Nachteilbegriff wurde dabei als maßgebliches Kriterium für die Antragsbefugnis aufgegeben. 114 fläche für Windenergieanlagen, die Normwirkung bejaht und damit das Normenkontrollverfahren in entsprechender Anwendung von § 47 I Nr. 1 VwGO für anwendbar erklärt. Nach der Begründung des BVerwG erfülle der Flächennutzungsplan im Anwendungsbereich des § 35 III S. 3 BauGB eine dem Bebauungsplan vergleichbare Funktion. Die Darstellungen im Flächennutzungsplan i. S.v. § 35 III S. 3 BauGB bestimmten wie die Festsetzungen im Bebauungsplan Inhalt und Schranken des Eigentums. Siehe BVerwG, NVwZ 2007, 1081 ff. 108 BVerwG, NVwZ 1993, 470 (471); BVerwG, NVwZ 1997, 682 (683). 109 Dürr, DÖV 1990, S. 136 (137); ausführliche Darstellung des Nachteilsebegriffs bei Herr, Die „neue“ Antragsbefugnis, S. 33 ff. 110 Ausführlich zum Begriff des Nachteils: Dürr, Antragsbefugnis, S. 59 ff.; Dürr, DÖV 1990, S. 136 (137 ff.); Dürr, NVwZ 1996, S. 105 (106 f.); Brohm, NJW 1981, S. 1689 (1690); zur Grundsatzentscheidung des BVerwG zum Nachteilsbegriff vgl. Skouris, DVBl. 1980, S. 315 (315 ff.). 111 Dürr, Antragsbefugnis, S. 59 ff. 112 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung v. 1. 11. 1996, BGBl. I, S. 1626.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
2. Das Kriterium der Rechtsverletzung Zu prüfen ist nach der heutigen Fassung des § 47 II S. 1 VwGO, ob der Antragsteller – entsprechend der Möglichkeitstheorie 115 – in seinen eigenen Rechten verletzt sein kann. 116 Die Antragsbefugnis reicht nicht weiter als die Klagebefugnis des § 42 II VwGO, so dass subjektive öffentliche Rechte für die Geltendmachung der Rechtsverletzung in Betracht kommen. 117 Anders als bei der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO reicht gemäß § 47 II S. 1 VwGO nicht nur eine aktuelle, sondern auch eine Rechtsverletzung in absehbarer Zeit aus. 118 Bei der Ermittlung des subjektiven öffentlichen Rechts ist die Schutznormtheorie 119 heranzuziehen. Danach begründen Rechtsnormen subjektiv-öffentliche Rechte, wenn sie nicht nur dem öffentlichen Interesse dienen, sondern auch dem Einzelnen die Rechtsmacht verleihen, sein Interesse an der Einhaltung der öffentlichen Norm durchsetzen zu können und so dem Einzelinteresse dienen. 120 Die subjektiven öffentlichen Rechte können sich sowohl aus den Grundrechten als auch aus dem einfachen Recht ergeben. 121 Für die verbindliche Bauleitplanung wird die Antragsbefugnis durch die mit der Planung häufig verbundenen Beeinträchtigungen durch Art. 14 GG geschützter Rechtspositionen relevant. Das BauGB und die aufgrund des BauGB erlassenen Satzungen bestimmen Inhalt und Schranken des Grundeigentums aus Art. 14 GG. Liegt Grundeigentum in dem überplanten Gebiet eines Bebauungsplans, werden Inhalt und Schranken des jeweiligen Eigentumsrechts durch den Bebauungsplan bestimmt. Wird durch die Bauleitplanung die Nutzung beeinträchtigt, ist der Grundstückseigentümer bereits antragsbefugt. 122 Besonders relevant bei Bebauungsplänen ist die Frage, ob § 1 VII BauGB ein subjektives öffentliches Recht auf eine fehlerfreie Abwägung gewährt.
113 Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 31; Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1042; Herr, Die „neue“ Antragsbefugnis, S. 67 ff. 114 Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 18. 115 BVerwG, NJW 1999, 592; BVerwG, NVwZ 2000, 1296; BVerwG, NVwZ 2004, 1120; BVerwG, ZfBR 2007, 685 (686). 116 Herr, Die „neue“ Antragsbefugnis, S. 73 f.; Kintz, JuS 2000, S. 1099 (1101). 117 Ehlers, Jura 2005, S. 171 (176 f.). 118 Ibler, Öffentliches Baurecht, S. 119. 119 Hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 8 Rn. 8. 120 Krebs, in: FS Menger, S. 201; Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1045. 121 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., Rn. 452. 122 M.w. N. Stüer, DVBl. 2004, S. 83 (88); Kintz, JuS 2000, S. 1099 (1101).
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a) Der Anspruch auf fehlerfreie Abwägung Im Rahmen der Antragsbefugnis gemäß § 47 II VwGO war zunächst umstritten, ob das in § 1 VII BauGB verankerte Abwägungsgebot dem Träger privater Belange ein subjektives öffentliches Recht auf die fehlerfreie Berücksichtigung dieses Belangs in der Abwägung vermittelt. 123 Konkret stellte sich die Frage, ob das in § 1 VII BauGB verankerte Abwägungsgebot drittschützend ist. Der Wortlaut des § 1 VII BauGB, nach dem private Belange in die Abwägung mit eingestellt werden sollen und die öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander gerecht abzuwägen sind, spricht für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts. 124 Das BVerwG hat diese Streitfrage dahingehend entschieden, dass § 1 VII BauGB hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind, drittschützend ist und dem einzelnen dementsprechend ein subjektives öffentliches Recht gewährt. 125 Infolge der Rechtsprechung des BVerwG zum drittschützenden Charakter des § 1 VII BauGB ist die Bedeutung des Austauschs des Nachteilserfordernisses durch das Erfordenis der Rechtsverletzung gering. Nach den zum Nachteilserfordernis (§ 47 II VwGO a. F.) aufgestellten Grundsätzen war ein Nachteil gegeben, wenn das betroffene Interesse zu dem bei der Aufstellung des Bebauungsplans einzustellenden Abwägungsmaterial gehört. 126 Mit der Novellierung der Antragsbefugnis 1996 stellte sich die Frage, inwieweit abwägungserhebliche Belange unterhalb der Ebene subjektiver öffentlicher Rechte weiter für eine Antragsbefugnis ausreichen würden. 127 Nach der Grundsatzentscheidung des BVerwG zum drittschützenden Charakter von § 1 VII BauGB 128 ist aber keine wesentliche Änderung für die Normenkontrolle von Bebauungsplänen eingetreten, sofern der Antragsteller die fehlerhafte Berücksichtigung dieser Belange in der Abwägung als Rechtsverletzung geltend machen kann. 129 Für die Fachplanungen hatte das BVerwG bereits schon früher ein subjektives öffentliches Recht auf eine fehlerfreie Abwägung zuerkannt. 130 In seiner früheren 123 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., Rn. 454; noch zu § 1 VI BauGB: Kintz, JuS 2000, S. 1099 (1101). 124 Ibler, Öffentliches Baurecht, S. 134; Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1049 f.; vgl. kritisch dazu Schütz, Antragsbefugnis nach dem 6. VwGOÄndG, S. 162 ff. 125 BVerwGE 107, 215 (220 ff.). 126 Vgl. mit detaillierter Darstellung des Nachteilsbegriffs Dürr, DÖV 1990, S. 136 (137 f.); von Mutius, Jura 1989, S. 297 (298); kritisch dazu aber Brohm, NJW 1981, S. 1689 (1691 ff.); Brohm lässt dabei nicht jeden in die Abwägung einzustellenden Belang ausreichen, sondern nur Belange, die eine anderweitig anerkannte Rechtsposition gewähren. 127 Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 160. 128 BVerwGE 107, 215 (220 ff.). 129 Vgl. Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1049 f.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Rechtsprechung hatte das BVerwG die Vergleichbarkeit mit den Fachplanungen verneint, da aufgrund des Normcharakters von Bebauungsplänen die Rechtsschutzgrundsätze zu Planfeststellungen nicht übertragen werden könnten. 131 Mit der Annäherung der Antragsbefugnis aus § 47 II VwGO an die für den Rechtsschutz gegen Planfeststellungen maßgebliche Klagebefugnis aus § 42 II VwGO entfalle diese Begründung für die Ungleichbehandlung. 132 Wenn für den Klagenden gegen einen Planfeststellungsbeschluss unbestritten ist, dass es einen Anspruch auf eine fehlerfreie Abwägung gibt, sei kein Grund ersichtlich, warum das dann nicht auch für das Normenkontrollverfahren gelte. 133 Während das BVerwG in seiner älteren Rechtsprechung nicht von einem subjektiven Recht auf eine fehlerfreie Abwägung ausging, 134 hat das BVerwG im Bauplanungsrecht, wie gerade dargelegt, das subjektive Recht auf eine rechtmäßige Abwägung anerkannt. 135 Die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum hat ebenfalls ein subjektives öffentliches Recht auf eine fehlerfreie Abwägung aus § 1 VII BauGB angenommen. 136 Damit der Kreis der Antragsbefugten noch abgrenzbar und individualisierbar bleibt, sind aber nur die Belange rügefähig, die abwägungserheblich und schutzwürdig sind. 137 b) Die neue Verfahrensgrundnorm als subjektives öffentliches Recht? Durch das EAG Bau 2004 wurde die sogenannte „Verfahrensgrundnorm“ 138 § 2 III BauGB in das BauGB eingeführt, wonach bei der Aufstellung der Bebauungspläne alle Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, zu ermitteln 130
BVerwGE 48, 56 (66); BVerwGE 67, 74 (75). BVerwG, NJW 1978, 554 (555). 132 Herr, Die „neue“ Antragsbefugnis, S. 121; Dürr, NVwZ 1996, S. 105 (109). 133 Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 72. 134 BVerwG, NJW 1978, 554 (555). 135 BVerwG, NVwZ 1995, 598; Ebenso hat das OVG Münster seine ablehnende Rspr. mittlerweile aufgegeben; vgl. OVG Münster, NWVBl 2000, 462 (463); OVG Münster NWVBl 2001, 185. 136 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 16 Rn. 2; Dürr, NVwZ 1996, S. 105 (109); Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 21; Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1048 ff.; Ibler, Öffentliches Baurecht, S. 135 f.; m.w. N. vgl. Ziekow, in: Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 47 Rn. 165; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 190; vgl. auch mit einer Übersicht an als drittschützend angesehenen Belangen Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 72 f. 137 BVerwGE 59, 87 (102 f.); BVerwGE 107, 215 (219); BVerwG, NVwZ 2000, 807 (808); BVerwG, NVwZ 2008, 899 (901); zum Kriterium der Abwägungserheblichkeit vgl. unten § 5 B. III. 138 So die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/ 2250, S. 42. 131
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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und zu bewerten sind. Das Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB soll eine verfahrensrechtliche Anforderung an das Aufstellungsverfahren vorsehen. Während sich bisher der Einzelne über das subjektive öffentliche Recht aus § 1 VII BauGB bei fehlerhafter Berücksichtigung eines abwägungsbedeutsamen Belangs im Rahmen der Antragsbefugnis berufen konnte, stellt sich die Frage, ob auch die fehlerhafte Berücksichtigung eines privaten Belangs in dem neuen Verfahren des Ermittelns und Bewertens gemäß § 2 III BauGB für die Antragsbefugnis nach § 47 II VwGO ausreicht. Im Gegensatz zum Wortlaut von § 1 VII BauGB werden die privaten Belange nicht ausdrücklich angesprochen, so dass der drittschützende Charakter nicht ohne Weiteres dem Wortlaut entnommen werden kann. Ob eine Verletzung des § 2 III BauGB für die Antragsbefugnis i. S.v. § 47 II VwGO ausreicht bzw. von dem Anspruch auf eine fehlerfreie Abwägung mit umfasst wird, hängt von der Bedeutung dieser neuen Verfahrensgrundnorm und dem Verhältnis des § 2 III BauGB zum Abwägungsgebot aus § 1 VII BauGB ab. Kann der Einzelne bei der fehlerhaften Ermittlung und Bewertung eines privaten Belangs weiterhin seine Antragsbefugnis über das drittschützende Abwägungsgebot geltend machen oder ist viel eher zu fragen, ob das neue Verfahren selbst drittschützend ist oder nicht. Dieser Frage vorgelagert müssen die Bedeutung und das Zusammenspiel von Abwägungsgebot und dem neuen Verfahren bestimmt werden. Diese Frage ist Gegenstand der Untersuchung im dritten Kapitel. 139 c) Antragsbefugnis von Behörden, Gemeinden und Körperschaften Behörden sind gemäß § 47 II S. 1 2. Alt. VwGO grundsätzlich antragsbefugt und antragsfähig. Sie müssen kein subjektiv-öffentliches Recht geltend machen. 140 Da Behörden grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz haben, besteht für eine Behörde, wenn sie eine anzuwendende Norm für rechtswidrig hält, nur die Möglichkeit des Normenkontrollantrags. Antragsbefugt sind daher nur Behörden, die die für rechtswidrig gehaltene untergesetzliche Norm bzw. den Bebauungsplan anzuwenden haben. Behörden, die die Rechtsvorschrift nicht auszuführen haben, fehlt das besondere Rechtsschutzbedürfnis für eine Normenkontrolle. 141 Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts sind als Träger von Behörden oder zugleich als Träger eigener Rechte gemäß § 47 II S. 1 2. Alt. VwGO antragsbefugt. 142 Macht die Gemeinde die Verletzung eigener Rechte geltend, 139 140 141 142
3. Kapitel § 1 A., S. 210 ff. Ehlers, Jura 2005, S. 171 (175). Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., Rn. 456. Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., Rn. 457.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
muss es sich um Rechte handeln, die der Gemeinde auch zurechenbar sind. Während die Gemeinde sich nicht auf Art. 14 GG berufen kann, sind es die Kernkompetenzen der Gemeinde, wie die Planungshoheit, Selbstverwaltungsangelegenheiten oder das interkommunale Abstimmungsgebot, auf die sich die Gemeinde zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung berufen kann. 143 Eine Gemeinde ist aber nicht nach § 47 II S. 1 2. Alt. VwGO antragsbefugt, wenn sie sich gegen den Bebauungsplan einer Nachbargemeinde wendet. In solchen Fällen kann die Gemeinde jedoch als juristische Person gemäß § 47 II S. 1 Alt. 1 VwGO eine Verletzung ihrer Planungshoheit geltend machen. 144 IV. Das Rechtsschutzbedürfnis Zusätzlich benötigt der Antragsteller das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der Unwirksamkeit der Norm. Das allgemeine Rechtschutzbedürfnis entfällt, wenn sich durch die Unwirksamkeitserklärung der Norm die Rechtsposition des Antragstellers nicht verbessert. 145 Im Zusammenhang mit dem Abwägungsgebot ist die neu eingeführte Präklusionsregel (§ 47 II a VwGO) von Relevanz. 146 Entsprechend der Gesetzesbegründung soll diese neue Präklusionsregel dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis zugeordnet werden. 147 Danach besteht das Rechtschutzbedürfnis nicht, wenn der Antragsteller die Einwendungen bereits im Rahmen der Auslegung oder der Öffentlichkeitsbeteiligung hätte geltend machen können (§ 47 II a VwGO). Im Hinblick auf diese Präklusionsregelung stellt sich die Frage, ob abwägungserhebliche Belange weiter geltend gemacht werden können, auch wenn sie bei der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht geltend gemacht wurden. Das Abwägungsgebot fordert, dass alle abwägungserheblichen Belange in die Abwägung einzustellen sind, unabhängig davon, ob sie geltend gemacht worden sind oder nicht. 148 Die Präklusionsregelung des § 47 II a VwGO schlägt auch nicht auf die Begründetheit der Normenkontrolle durch, so dass objektiv-rechtlich weiterhin alle Belange berücksichtigt werden müssen. 149 Wird der Normenkontrollantrag auf andere als die präkludierten Belange gestützt, führt das zu einer objektiven 143
Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 79. Frenz, Jura 2008, S. 811 (811). 145 BVerwGE 78, 85 (91 f.); BVerwG, NVwZ 1990, 157 (158); BVerwG NVwZ 1994, 268; BVerwG, NVwZ 2000, 194; Redeker / von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 47 Rn. 24. 146 Durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung von Städten, vom 12. 12. 2006, BGBl. I, S. 3316. 147 Regierungsentwurf des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung von Städten, BR-Drucks. 558/06, S. 37; ablehnend aber Ziekow, der die Präklusionsregelung der Klagebefugnis zuordnen will; vgl. hierzu Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1175 f.). 148 BVerwGE 59, 87 (103 f.). 144
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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Rechtskontrolle auch der durch § 47 II a VwGO präkludierten Belange im Rahmen der Begründetheitsprüfung. Um sich die Möglichkeit der Normenkontrolle offenzuhalten, muss folglich eine Einwendung im Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung erhoben werden. Durch die Geltendmachung eines Belangs können nach der Neuregelung alle anderen Belange weiterhin in der Begründetheit überprüft werden. 150 V. Die Antragsfrist Gemäß § 47 II S. 1 VwGO muss die Normenkontrolle innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Vorschrift erhoben werden. Durch das „Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. 12. 2006“ 151 wurde die Antragsfrist von zwei auf nunmehr ein Jahr verkürzt. Bis zur Einführung der Zweijahresfrist durch das 6. VwGOÄndG 152 war die Möglichkeit des Normenkontrollantrags an keine Frist gebunden. 153 Die Einführung der Frist war die Reaktion des Gesetzgebers auf die Möglichkeit, dass Normen für nichtig erklärt werden, die seit langem angewendet wurden und auf die somit vertraut wurde. Die Einführung der Frist sollte damit zu mehr Rechtssicherheit führen. 154 Auf der Kehrseite rief die kurze Antragsfrist Bedenken hervor. Denn insbesondere bei Bebauungsplänen liege eine beachtliche Zeitspanne zwischen Erlass des Bebauungsplans und der Verwirklichung der darin getroffenen Festsetzungen. Der Betroffene erlange daher oftmals zu spät Kenntnis von seiner Betroffenheit. 155 Ob in der Einführung einer Frist auch, wie teilweise vertreten, eine Rechtschutzverletzung liegt, ist eher zweifelhaft. 156 Für die Verletzung der Rechtschutzgarantie müsste dem Betroffenen kein Rechtsweg mehr zur Verfügung stehen, sich gegen die Norm wehren zu können. 157 Nach oder auch während des Fristlaufs besteht für den Betroffenen stets die Möglichkeit der Herbeiführung einer inzidenten Normenkontrolle. 158 149 Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 75 a; Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1175). 150 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1177). 151 BGBl. I, S. 3316. 152 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung v. 1. 11. 1996, BGBl. I, S. 1626. 153 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl., § 19 Rn. 40. 154 Vgl. Begründung BT-Drucks. 13/3993, S. 10. 155 Sachs, in: Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 19 Rn. 125. 156 So aber Schenke, NJW 1997, S. 81 (84); a. A. Ehlers, Jura 2005, S. 171 (176); Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1052. 157 Sachs, in: Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 19 Rn. 135. 158 So auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 13/3993, S. 10; vgl. zudem Schütz, Antragsbefugnis nach dem 6. VwGOÄndG, S. 158.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Ob Art. 19 IV GG ein Normenkontrollverfahren fordert, ist ebenfalls nicht eindeutig geklärt. 159 Nicht verwechselt werden darf der Fristlauf in § 47 II VwGO mit einer Aussage über die Gültigkeit der Norm bzw. hier des Bebauungsplans. 160 Mit Ablauf der Antragsfrist, ohne dass ein Normenkontrollantrag gestellt worden wäre, steht die Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans nicht fest. Es besteht immer noch die Möglichkeit einer Inzidentüberprüfung. Nach Ablauf der Antragsfrist besteht aber nicht mehr die Möglichkeit, die Nichtigkeit bzw. die Rechtsgültigkeit mit allgemein verbindlicher Wirkung durch ein Gericht feststellen zu lassen. 161 Die erneute Fristverkürzung auf ein Jahr soll nach der Gesetzesbegründung der Rechtssicherheit dienen. 162 Diese Wirkung ist jedoch sehr begrenzt, denn den Betroffenen bleibt weiter die Möglichkeit der Herbeiführung einer inzidenten Normenkontrolle. 163 Die ursprüngliche fristlose Möglichkeit des Normenkontrollantrags war Ausdruck eines objektiven Beanstandungsverfahrens, das trotz seiner objektiven Natur subjektive Zulassungsvoraussetzungen an den Betroffenen stellt. Die unbefristete Möglichkeit einer Normenkontrolle war Ausdruck des Bedürfnisses, dem Bündelungszeck der Normenkontrolle zu genügen, während das Nachteilserfordernis den Kreis der Antragsteller beschränken und somit eine Popularklage verhindern sollte. 164 Die nunmehr erneute Verkürzung der Antragsfrist führt zu einer Versubjektivierung des Rechtsschutzes, aber nicht unbedingt zu einer Verkürzung des Rechtswegs. 165 Diese Versubjektivierung des Rechtsschutzes besteht dann in einer Vielzahl von verschiedenen Inzidententscheidungen über einen Bebauungsplan, so dass die Fristverkürzung der Bündelungsfunktion des Normenkontrollantrags entgegensteht. 166
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Vgl. in diesem Kapitel § 1 B. II., S. 10 ff. Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1174). 161 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1174). 162 Regierungsentwurf des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, BR-Drucks. 558/06, S. 37. 163 Bereits zur alten Fassung des § 47 II S. 1 VwGO: Ehlers, in: Planung – FS Hoppe, S. 1052; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., Rn. 450; zur aktuellen Fassung: Schenke / Kopp, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 83 f.; Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1174); Ewer, NJW 2007, S. 3171 (3171). 164 Vgl. bei Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1170). 165 Zu der „Versubjektivierung“ der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle, die bereits in diesem Zusammenhang von Ziekow als „Norm-Anfechtungsklage“ bezeichnet wird, vgl. Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1174). 166 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1171 f.). 160
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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D. Inzidenter Rechtsschutz Angesichts der Fristverkürzung in § 47 II S. 1 VwGO wird der inzidente Rechtsschutz gegen Bebauungspläne an Bedeutung zunehmen, da die Möglichkeit zur Herbeiführung einer Inzidentkontrolle, bspw. über eine Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung, nicht an die Einjahresfrist gebunden ist. Im Unterschied zum Normenkontrollverfahren, welches unmittelbar nach Abschluss des Satzungsverfahrens eingeleitet werden kann, ist eine inzidente Überprüfung erst mit der Durchführung von Vollzugsmaßnahmen aufgrund des Bebauungsplans möglich oder wenn ein Betroffener erfolglos den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, der im Widerspruch zu den planerische Festsetzungen steht. 167 Der Bebauungsplan wird bei einer inzidenten Kontrolle als Vorfrage überprüft, wenn die Rechtsgültigkeit des Plans für den Streitentscheid von Bedeutung ist. 168 Die richterliche Entscheidung über die Gültigkeit der Norm ist dabei nur eine Vorfrage und nicht Gegenstand des Rechtsstreits, so dass sich im Gegensatz zum Normenkontrollverfahren die Rechtskraft der Entscheidung nicht auf die Ungültigkeit der Norm erstreckt. 169 Die Art der Kontrolle bestimmt sich nach dem Einzelakt, der sich auf den Plan stützt, wie z. B. eine Baugenehmigung. 170 Im Rahmen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die Klagen auf Erteilung einer Baugenehmigung, nachbarliche Abwehrklagen, Klagen gegen sonstige Festsetzungen in Bebauungsplänen zum Gegenstand haben, sind die Bebauungspläne häufig Gegenstand einer inzidenten Normenkontrolle. 171 Eine verwaltungsgerichtliche Inzidentkontrolle eines Bebauungsplans ist auch bei einer Feststellungsklage nach § 43 I VwGO denkbar. Die Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der Norm kann auf diesem Weg aber nicht festgestellt werden. Gegenstand der Normenkontrolle ist die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines konkreten Rechtsverhältnisses und der sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. 172 Bei Bebauungsplänen besteht das zu prüfende Rechtsverhältnis zwischen dem Planbetroffenen und der den Bebauungsplan anwendenden Behörde. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Planaufsteller und dem Planbetroffenen ist nicht das zu kontrollierende Rechtsverhältnis. Da nicht das Verhältnis zwischen Normgeber und Normadressat Gegenstand der Feststellungsklage ist, kann die 167
Käß, Inhalt und Grenzen, S. 181. Hoppe, in: FS Menger, S. 755. 169 Papier, in: FS Menger, S. 519. 170 Hoppe, in: FS Menger, S. 770. 171 Papier, in: FS Menger, S. 519. 172 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., Rn. 440; Hoppe, in: FS Menger, S. 772; Papier, in: FS Menger, S. 519 f.; BVerwGE 111, 276 (278). 168
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Feststellungsklage die Gültigkeit der Norm nur als streitentscheidende Vorfrage überprüfen. 173
E. Probleme der Gerichtskontrolle von Planungen Die Gerichtskontrolle knüpft an die Rechtsform des Verwaltungshandelns an. Bei Bebauungsplänen wird an die Rechtsform der Satzung angeknüpft. Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist diese Einordnung nicht unproblematisch. Die Besonderheiten der Pläne und insbesondere der Bebauungspläne bereiten den Gerichten bei der Kontrolle erhebliche Probleme. Ob das von der VwGO für Satzungen vorgesehene Kontrollinstrument, die Normenkontrolle, verfassungsrechtlich geboten ist, kann offenbleiben. Fest steht, dass Art. 19 IV GG auch gegen Bebauungspläne und andere Rechtsnormen Rechtschutz gewährt. Dabei gewährt Art. 19 IV GG den Rechtsschutz überhaupt, aber nicht die Ausgestaltung der Art und Weise des Rechtsschutzverfahrens. 174 Entsprechend Art. 19 IV GG muss der Umfang der Kontrolle des zu kontrollierenden Verwaltungshandelns möglichst vollständig sein. 175 Prüfungsmaßstab ist dabei das Bundesrecht jeden Ranges sowie das Landesrecht höheren Ranges. 176 Das gestaltende Element der Planung und die Ausrichtung der Planung auf die Zukunft bereiten der Gerichtskontrolle Schwierigkeiten. Auf der einen Seite soll die Planung möglichst vollständig überprüft werden, auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach der faktischen Realisierbarkeit einer solchen Kontrolle. Im Folgenden soll daher auf die Voraussetzungen und die Reichweite einer Kontrolle von Planungsnormen sowie auf die Besonderheiten der Kontrolle der Bauleitplanung und insbesondere der planerischen Abwägung näher eingegangen werden.
F. Zusammenfassung § 1 Ausgangspunkt für die gerichtliche Kontrolle von Bebauungsplänen ist die Einordnung der Bebauungspläne als Satzungen. Die Einordnung der Bebauungspläne als Satzungen ist nicht unproblematisch. Die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnorm bestehen bei der materiellen Einordnung der Bebauungspläne fort; denn Bebauungspläne können neben einer Vielzahl von Regelungen auch lediglich eine Einzelregelung bspw. für nur ein Grundstück regeln. Die gängigen Unterscheidungskriterien Adressatenkreis und Regelungsgehalt ermöglichen keine eindeutige Abgrenzung. Die Schwierig173 174 175 176
Vgl. Hoppe, in: FS Menger, S. 763 f. Papier, in: FS Menger, S. 518; vgl. auch oben B. II. Sachs, in: Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 19 Rn. 146. Papier, in: FS Menger, S. 520.
§ 1 Die Gerichtsverfahren zur Kontrolle von Bebauungsplänen
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keiten bei der Einordnung der Bebauungspläne in eine bestehende Rechtsform ist für die Untersuchung der Gerichtskontrolle insoweit von Bedeutung, als dass die noch zu untersuchenden Planerhaltungsregeln (§§ 214 ff.) für Bebauungspläne spezielle Fehlerfolgeregelungen enthalten, die nicht der regelmäßigen Fehlerfolge der Rechtsform Satzung entsprechen. Denn mit der Qualifizierung als Rechtsnorm wurden die Bebauungspläne dem Nichtigkeitsdogma unterworfen, wonach Normen bei Verstoß gegen höherrangiges Recht stets nichtig sind. Mit der formalen Einordnung als Satzung ist von der VwGO für die unmittelbare Kontrolle von Bebauungsplänen das Normenkontrollverfahren gemäß § 47 I Nr. 1 VwGO und damit der anzulegende Kontrollmaßstab vorgegeben. Erachtet das kontrollierende Gericht einen Normenkontrollantrag gemäß § 47 VwGO für zulässig, ist das Gericht nicht an das Interesse des Antragstellers oder die gerügten Fehler gebunden. Das kontrollierende Gericht kann vielmehr anhand eines objektiven Prüfungsmaßstabs den gesamten Prüfungsgegenstand auf Fehler hin überprüfen. Der Bebauungsplan wird im Rahmen des Normenkontrollverfahrens auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Bundesrecht und, soweit nicht anders vorgesehen, auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Landesrecht (Landesgesetze und höherrangige Verordnungen von Landesbehörden) überprüft. Der Antragsbefugnis gemäß § 47 II S. 1 VwGO kommt bei der Kontrolle von Bebauungsplänen eine praktische Bedeutung zu. Regelmäßig bereitet es Schwierigkeiten, den Zurechnungszusammenhang zwischen einer Rechtsnorm (dem Bebauungsplan) ohne Vollzugsakt und der geltend zu machenden Rechtsverletzung zu ermitteln. Das BVerwG stellt daher darauf ab, ob die geltend gemachte Rechtsverletzung bereits in der Norm als Folgemaßnahme angelegt ist. Nach Ansicht des BVerwG gewährt § 1 VII BauGB hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind, ein subjektiv-öffentliches Recht, dessen Verletzung die erforderliche Antragsbefugnis begründet. Gemäß § 47 II S. 1 VwGO muss die Normenkontrolle innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Vorschrift erhoben werden. Die kurze Frist führt zunehmend zu einer Versubjektivierung des Rechtsschutzes; denn die Möglichkeit der Herbeiführung einer inzidenten Kontrolle, bspw. über eine Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung, eines Bebauungsplans unterliegt nicht der Einjahresfrist und steht so der Bündelungsfunktion des Normenkontrollverfahrens entgegen. Die Art der Inzidentkontrolle bestimmt sich nach dem Einzelakt, der sich auf den Bebauungsplan stützt. Die Überprüfung der Gültigkeit des Bebauungsplans im Rahmen der Inzidentkontrolle ist nur eine Vorfrage und nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Im Gegensatz zum Normenkontrollverfahren erstreckt sich dementsprechend die Rechtskraft der Entscheidung nicht auf die Ungültigkeit der Norm.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
§ 2 Kontrolleröffnung und Kontrolldichte bei der Bauleitplanung, insbesondere bei der planerischen Abwägung Die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen ist angesichts der Vielzahl der Betroffenen und der Komplexität der Planung sehr vielschichtig. 177 Um die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen hinreichend erfassen zu können, müssen zuallererst die Voraussetzungen und der zulässige Umfang der gerichtlichen Kontrolle bestimmt werden. Die Gerichtskontrolle setzt zunächst voraus, dass ein Gericht die Kompetenz zur Kontrolle hat bzw. dazu berufen ist. Weiter stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Kontrolle erfolgt und erfolgen darf. Eng mit dieser Frage verknüpft ist die Frage nach der faktisch möglichen Nachprüfbarkeit überhaupt. 178 Gerade bei der komplexen Bauleitplanung ist zu klären, inwiefern die Planung, insbesondere die planerische Abwägung, nachprüfbar ist.
A. Kontrolleröffnungsnormen Kontrolleröffnungsnormen sind Normen, durch die die Nachprüfungsbefugnis und die Eröffnung des Rechtswegs geregelt werden. 179 Die Nachprüfungsbefugnis ergibt sich aus dem vom Gesetzgeber gegebenen Rechtsschutzauftrag und der zur Kontrolle besonders geregelten Organisationslage, wonach eine besondere Kontrollinstanz zur Kontrolle ermächtigt und berufen ist. 180 Die Rechtsform des Kontrollgegenstandes ist für die Kontrolleröffnung wesentlicher Anknüpfungspunkt. Entsprechend der Rechtsform bestimmt die Kontrolleröffnungsnorm das zu wählende Rechtsmittel; so z. B. bei Normen die Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO oder bei Verwaltungsakten die Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage. 181 Die Anknüpfung des Rechtsmittels an die Rechtsform hat jedoch zur Folge, dass Art. 19 IV GG der Verwaltung bei der Wahl der Rechtsform Grenzen setzt. Wird durch die Wahl einer rechtsschutzverschlechternden Rechtsform der Rechtsschutz des Einzelnen unzumutbar und willkürlich beschränkt, ist die Wahl der Rechtsform wegen Formenmissbrauchs unzulässig, wobei die Verwal177 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 109; Parallelfundstelle: Hoppe, in: Grundfragen des Planungsrechts – Ausgewählte Veröffentlichungen, S. 68. 178 Vgl. dazu die von Hoppe vorgenommene Gliederung der Gerichtskontrolle in Kontrolleröffnung, Kontrollmaßstäbe und Kontrolldichte: Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 663 ff.; Hoppe, in: FS Menger, S. 747 ff. 179 Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 296; Schlarmann, in: Rechtsstaat und Planung, S. 5. 180 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (294). 181 Schlarmann, in: Rechtsstaat und Planung, S. 7; Hoppe, in: FS Menger, S. 750.
§ 2 Kontrolleröffnung bei der Bauleitplanung
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tung grundsätzlich nicht dazu verpflichtet ist, in der rechtsschutzfreundlichsten Rechtsform zu handeln. 182
B. Kontrolldichte und Kontrollmaßstäbe Im Vergleich zu anderen Staaten besteht in Deutschland eine hohe Kontrolldichte. 183 Unter dem Sammelbegriff der „Kontrolldichte“ 184 werden die Fragen beschrieben, in welchem Umfang und mit welcher Genauigkeit die Kontrolle ausgestaltet ist, ausgestaltet sein könnte bzw. ausgestaltet sein darf. 185 Die Kontrolldichte ist von der Rechtsgebundenheit der Kontrollgegenstände abhängig. Bindung bedeutet, dass der Kontrollgegenstand sich nicht in einem Freiraum bewegt, sondern dass dieser eingeschränkt ist. Ist der Kontrollgegenstand an Rechtsvorschriften gebunden, deckt sich formal betrachtet die Rechtsgebundenheit mit dem Begriff Rechtsunterworfenheit. 186 Soll Verwaltungshandeln als Kontrollgegenstand überprüft werden, stellt sich die Frage, an welche Rechtsvorschriften das staatliche Handeln gebunden ist. Die Kontrolle in Form einer Nachprüfung ist nur möglich, wenn der Kontrollgegenstand messbar ist. Die Messbarkeit hängt wiederum von dem Maß ab, in dem Normen rechtliche Maßstäbe für das jeweilige Verwaltungshandeln setzen. 187 Folglich kann eine Gerichtskontrolle über die Grenzen der rechtlichen Bindungen hinaus nicht erfolgen, da es an den erforderlichen Kontrollmaßstäben fehlt. 188 Die rechtsstaatliche Bindung der Verwaltung ist durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geprägt, der in Art. 20 III GG verankert ist. Insbesondere der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich Grundrechtseingriffen und der Gesetzesvorrang vor der Verwaltungsentscheidung sind wesentliche Elemente der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. 189 Folglich ist jede Verwaltungsentscheidung und jedes Verwaltungshandeln rechtlich gebunden bzw. es stehen sowohl Handlungs- als auch Kontrollmaßstäbe bereit. 190 Diese Maßstäbe können der 182
Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 67. Vgl. hierzu die rechtsvergleichenden Ausführungen von Nolte, in: Kontrolldichte, S. 289 und Sendler, NJW 1994, S. 1518 (1519 f.). 184 Der Begriff der Kontrolldichte wurde maßgeblich von Lerche geprägt: Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 337. Auf wen der Begriff der Kontrolldichte letztendlich zurückgeht, ist nicht eindeutig geklärt. Vgl. im Gegensatz dazu Hoppe, DVBl. 1975, S. 684 (686), auch Wilke, Jura 1992, S. 186 (187). 185 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 62; Hoppe, in: FS Menger, S. 755; Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 17. 186 Vgl. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (293). 187 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (293); Krebs, Kontrolle, S. 55. 188 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (293); Krebs, Kontrolle, S. 69. 189 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (857). 183
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
gesamten Rechtsordnung entnommen werden. 191 Die Reichweite, mit der das Gericht das Verwaltungshandeln überprüfen kann, reicht nicht weiter als die materiell-rechtliche Bindung der Verwaltung. 192 Mit dieser Feststellung ist jedoch noch nicht die Frage geklärt, wie weit die gerichtliche Kontrolle reichen darf. Die gerichtliche Kontrolle ist entsprechend Art. 20 II GG als eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle und nicht als Zweckmäßigkeitskontrolle ausgestaltet. 193 Sind keine Kontrollmaßstäbe vorhanden, ist eine Gerichtskontrolle nicht möglich. Andernfalls zöge nämlich der Kontrollierende die eigentliche Entscheidung an sich. 194 Das Grundgesetz sieht, gestützt auf die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 IV GG, entsprechend dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 III GG) eine vollumfängliche Überprüfung des Verwaltungshandelns vor. 195 Das bedeutet aber nicht, dass die Gerichte stets eine vollständige Überprüfung vornehmen können, obwohl der Gewaltenteilung entsprechend die Gerichte bei der Nachprüfung das letzte Wort haben sollen. 196 Ausnahmsweise werden der Verwaltung vom Gesetzgeber Gestaltungsspielräume gegenüber der Gerichtskontrolle eingeräumt, wie bspw. bei den Beurteilungsspielräumen und beim Ermessen. Diese prinzipielle Möglichkeit einer Kompetenzzuweisung begrenzt die gerichtliche Kontrollkompetenz und wirkt sich auf den Dichtegrad der gerichtlichen Kontrolle aus. 197 Das Grundgesetz sieht keine Bindung der Gerichte an die von der Verwaltung getroffenen Feststellungen und Wertungen vor. 198 Im staatsorganisatorischen Gefüge kommt den Gerichten folglich grundsätzlich die Kompetenz zur vollen Überprüfung und die Letztentscheidungsbefugnis zu. 199 In der Regel ist dies bei klaren und bestimmten Gesetzesregelungen der Fall. Bei Regelungen, die das Verwaltungshandeln nicht vollständig determinieren bzw. sehr abstrakt sind und einer Konkretisierung durch die ausführende Verwaltung bedürfen, stellt sich die Frage, ob der Verwaltung eine besondere Kompetenz zukommt und ob somit eine Ausnahme des Letztentscheidungsrechts und der gerichtlichen Vollkontrolle besteht. 200 190
Krebs, Kontrolle, S. 55. Krebs, Kontrolle, S. 53. 192 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (857). 193 Vgl. Hoppe, in: FS Menger, S. 755; und die ausführliche Darstellung bei Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 147 ff. 194 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (294). 195 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (857). 196 Vgl. Breuer, AöR 2002, S. 524 (525). 197 Krebs, Kontrolle, S. 92 f. 198 Vgl. Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (857). 199 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 5. 200 Vgl. Breuer, AöR 2002, S. 524 (525 f.). 191
§ 2 Kontrolleröffnung bei der Bauleitplanung
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Die Kontrolldichte ist zunächst dort eingeschränkt, wo es keine Kontrollmaßstäbe gibt oder die Kontrollmaßstäbe nicht genau genug oder zu „grobmaschig“ sind. 201 Als Ausnahme der grundsätzlichen Vollkontrolle bestehen hier gewisse Freiräume. Diese Freiräume werden unterschiedlich bezeichnet. Als Beurteilungsspielräume der Verwaltung, als Verwaltungsvorbehalte, als Einschätzungsprärogative, als autonomer Gestaltungsraum, als Planungsermessen oder als Gestaltungsfreiheit. 202 Diese Räume sind aber keine kontrollfreien Räume, sondern Räume, in denen das Ausmaß gerichtlicher Kontrolle geringer ist, weil die Maßstäbe hier nicht so engmaschig sind. 203 Es stellt sich die Frage nach der Begründung solcher Freiräume. Liegt der Grund der Beschränkung der Vollkontrolle in der faktischen Möglichkeit der Kontrollierbarkeit überhaupt? Angesichts der umfassenden Rechtsbindung aller Ausübung von Staatsgewalt gemäß Art. 20 III GG darf theoretisch kein Raum für solche rechtsfreie und auch kontrollfreie Staatstätigkeit bestehen. 204 Nur je nach Bestimmtheit des jeweiligen Gesetzes bestehen verschiedene Dichtegrade der Bindung staatlichen Handelns und daher auch der Kontrollmaßstäbe. 205 Unproblematisch für eine Vollkontrolle sind die sogenannten Konditionalnormen 206; hier stellen sich Gesetzesauslegung und Subsumtion als reine Rechtsfragen dar. 207 Problematisch für die Vollkontrolle sind Normen, die der ausführenden Verwaltung nur Ziele und Leitgedanken vorgeben. Kern der Frage nach rechtlicher Kontrollierbarkeit ist daher, ob Verwaltungsorgane im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung, z. B. bei der exekutivischen Rechtsetzung, frei sind bzw. wem die Befugnis zur Letzterkenntnis zusteht. 208 Will man eine kontrollfreie Staatstätigkeit dennoch mit einer faktischen Kontrollunmöglichkeit begründen, müsste diese darin bestehen, dass (a) die Rechtsordnung für den zu kontrollierenden Wirklichkeitsbereich keine Aussage bereit hält oder dass (b) die dem staatlichen Handeln zugrunde liegenden Rechtssätze derart vage Begriffe enthalten, die eine objektivierbare rational nachvollziehbare Kontrolle unmöglich machen. 209 Gegen letztere Begründung lässt sich bereits anführen, dass solche unbestimmte Normen nichtig sind und unbestimmte Rechts201
Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 296. Vgl. insbesondere die terminologische Darstellung dieser „kontrollfreien Räume“ bei Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 296; vgl. zudem das Zugeständnis eines autonomen und kontrollfreien Gestaltungsraums bei Stüer, DVBl 1974 (S. 314 ff.). 203 Krebs, Kontrolle, S. 72. 204 Krebs, Kontrolle, S. 72. 205 Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34, 1976, S. 221 (S. 230 f.); siehe auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 4. Kap. Rn. 40. 206 Siehe hierzu unten § 3 C., S. 67 ff. 207 Breuer, AöR 2002, S. 524 (525). 208 Hoppe, DVBl. 1975, S. 684 (690). 209 Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 79. 202
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
begriffe durch Auslegung präzisierbar und damit auch kontrollierbar sind. Wie oben dargelegt, ist über Art. 20 III GG alle staatliche Tätigkeit rechtsgebunden. Damit ist auch jedes staatliche Handeln und jede staatliche Entscheidung durch rechtliche Maßstäbe determiniert. 210 Eine Verwaltungsentscheidung, die immer eine Entscheidung zwischen Alternativen ist, würde sich in einem rechtsfreien und damit kontrollfreien Fall von Entscheidungsmaßstäben leiten lassen, die keine rechtliche Bindung enthalten. 211 Immanent ist einer rationalen Entscheidung immer der Vergleich der Entscheidungsalternativen mit Entscheidungsmaßstäben. 212 Sind jedoch rechtliche Maßstäbe vorhanden, würden die Entscheidungsalternativen durch die rechtlichen Entscheidungsmaßstäbe bindend reduziert bzw. selektiert. 213 Dann wäre infolge der Rechtsbindung auch immer eine Rechtskontrolle möglich. Wie bereits oben dargelegt, ist es verfassungsrechtlich geboten, Verwaltungshandeln an der Rechtsordnung zu messen. Rechtliche Kontrollmaßstäbe sind damit stets vorhanden. Außerrechtliche Kontrollmaßstäbe als solche sind dabei ohne Relevanz. 214 Die Frage nach einer Kontrollgrenze ist demnach eine Frage nach der staatsorganisatorischen Kontrollkompetenz und nicht eine nach der faktischen Kontrollmöglichkeit. 215 Solange daher keine Freiräume ausdrücklich eingeräumt sind, liegt die Befugnis zur Letzterkenntnis entsprechend dem Grundgesetz grundsätzlich bei den Gerichten. 216 Die die Kontrolldichte beschränkenden Freiräume bestehen folglich nur bei ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen. 217 Diese Kompetenzzuweisungen markieren zugleich die Grenzen gerichtlicher Kontrolle. 218 Eine gerichtliche Vollkontrolle ist freilich nur möglich, wenn die zuvor beschriebenen 210
Krebs, Kontrolle, S. 79 f. Siehe hierzu die Ausführungen zu außerrechtlichen Maßstäben bzw. zur Verrechtlichung von Maßstäben durch abstrakte Rechtssätze wie § 1 VII BauGB (Fassung von 1976) bei: Krebs, Kontrolle, S. 74 ff. 212 Krebs, Kontrolle, S. 34. 213 Krebs, Kontrolle, S. 97. 214 Die außerrechtlichen Kontrollmaßstäbe haben aber insofern Bedeutung, als dass sie verrechtlicht werden. Ökonomische, soziale, kulturelle, politische u. a. Maßstäbe werden von der Rechtsordnung inkorporiert und sozusagen verrechtlicht, wenn z. B. nach § 1 VII BauGB einzustellenden Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. Auf diesem Weg werden bspw. standortpolitische Erwägungen zum abwägungsbeachtlichen Belang und müssen somit in die Abwägung nach § 1 VII BauGB mit einbezogen werden. Vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen bei Krebs, Kontrolle, S. 76; Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 63 f. 215 Mit Verweis auf eine herrschende Tendenz dieser Sichtweise Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 296. 216 M.w. N. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (308 f.); ebenso Scholz, VVDStRL 34, 1976, S. 146 (155). 217 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 4. Kap. Rn. 61; BVerfGE 103, 142 (156 f.); BVerfGE 88, 40 (56, 61); BVerfGE 61, 82 (111). 218 Vgl. Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (857 f.). 211
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Kontrollmaßstäbe der Gerichte mit den Entscheidungs- oder Handlungsmaßstäben der Verwaltung identisch sind. 219 Eine durch Kompetenzzuweisung bewirkte Divergenz von Handlungs- und Kontrollmaßstäben führt demnach zu einer geringeren Kontrolldichte. 220 Damit führt nicht jede Verletzung einer Handlungsnorm automatisch zu einer Verletzung der Kontrollnorm. So sind bspw. nicht alle Verstöße gegen von der Behörde zu beachtende Verfahrensnormen bei Aufstellung eines Bebauungsplans gemäß § 214 I S. 1 Nr. 2 BauGB für die Gerichtskontrolle beachtlich. Fraglich ist, ob solch eine durch Kompetenzzuweisung bewirkte Begrenzung der Kontrolldichte mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 IV GG vereinbar ist. Eine strikte Auslegung des Art. 19 IV GG ließe eine solche Begrenzung der Kontrolle freilich nicht zu. Entsprechend der Rechtsprechung des BVerwG ist Art. 19 IV GG so auszulegen, dass auch andere Verfassungsnormen und -grundsätze ausreichend berücksichtigt werden. 221 Folglich sind die einzelnen Kompetenzzuweisungen im Verhältnis zueinander relativ. Somit sind auch die Rechtsschutzaufträge an die Gerichte keine absoluten Kompetenzzuweisungen. 222 Trotz der durchgängigen Rechtsbindung staatlichen Handelns können Handlungsmaßstäbe und Kontrollmaßstäbe zulässigerweise divergieren. 223 Mit der Anerkennung einer Beschränkung der Kontrolldichte kann bei Verwaltungsentscheidungen nicht mehr das Ergebnis des Entscheidungsprozesses des Gerichts mit dem Ergebnis des Entscheidungsprozesses der Verwaltung verglichen werden. Besteht ein kontrollfreier Raum, so muss die Verwaltung bei ihrer Entscheidung zu Entscheidungsalternativen gelangt sein, die nicht mehr durch verbindliche, gerichtskontrollierbare Maßstäbe vordeterminiert werden. 224 Der Fokus der Gerichtskontrolle wird dabei von der Nachprüfung des Entscheidungsergebnisses auf die Überprüfung des Entscheidungsprozesses, d. h. des Verfahrens gerückt. 225 Infolge der Verminderung der Kontrolle der Entscheidung an sich kommt der 219 Zur Unterscheidung von Handlungs- und Kontrollnormen vgl. m.w. N. Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 150; vgl. ferner zu der Voraussetzung von Maßstäben für die Gerichtskontrolle Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 151, der terminologisch „Kontroll- und Funktionsnormen“ unterscheidet. 220 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 150. 221 Das BVerwG spricht in diesem Zusammenhang von der Verfassung als einem „Sinngefüge, bei dem einzelne Gewährleistungen, und mithin auch Art. 19 IV, so auszulegen sind, dass auch anderen Verfassungsnormen und -grundsätzen nicht Abbruch getan wird“. BVerwG, NJW 1982, 2425. 222 Krebs, Kontrolle, S. 94. 223 Vgl. bereits Ehmke, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, S. 51; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 61. 224 Krebs, Kontrolle, S. 97 f. 225 So auch bereits die Rechtsprechung zur verbindlichen Bauleitplanung: BVerwGE 34, 301 (308 f.); BVerwGE 45, 309 (312 ff.).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Verfahrenskontrolle hinsichtlich der geringeren Kontrolldichte eine kompensatorische Funktion zu. 226 I. Verfahrenskontrolle Die Verfahrenskontrolle ist auf die Überprüfung der Richtigkeit des Verwaltungsverfahrens gerichtet. Kontrollmaßstab sind dabei die Verfahrensvorschriften. Verfahrensvorschriften sind Normen, welche die Art und Weise des Zustandekommens einer Entscheidung, den Vorgang der Entscheidungsentstehung – wie etwa die Mitwirkungshandlungen – auf allen Verfahrensstufen regeln. 227 Jedes Verwaltungsverfahren dient der Erledigung einer bestimmten Verwaltungsaufgabe. 228 Primär kommt dem Verwaltungsverfahren die Funktion der Richtigkeitsgewähr der Verwaltungsentscheidung und damit eines „antezipatorischen Rechtsschutzes“ 229 zu. 230 Dieser soll durch die Ausgestaltung des Verfahrens – mit z. B. von Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten – dem Betroffenen im Vorfeld vor Rechtsbeeinträchtigungen schützen. In den Fällen, in denen die Sachrichtigkeit der Verwaltungsentscheidung durch materielle Normen und Kontrollmaßstäbe nicht vollständig gewährleistet werden kann – etwa bei besonderen Kompetenzzuweisungen an die Verwaltung –, soll das Verwaltungsverfahren den Entscheidungsprozess von Willkürelementen freihalten. 231 Aus den Verfahrensvorschriften ergeben sich daher rechtliche Bindungen für den Entscheidungsprozess im Hinblick auf die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, z. B. zur optimalen Sachverhaltsermittlung. In Deutschland enthält die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, abgesehen von einer Indizwirkung, grundsätzlich keine inhaltliche Aussage über die Richtigkeit der Sachentscheidung oder die inhaltliche Richtigkeit der Sachverhaltsermittlung an sich. 232 Die Kontrolle der Richtigkeit 226
Schwarze, Der funktionale Zusammenhang, S. 44 ff.; Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34, 1976, S. 221 (265 f.); Schoch, NVwZ 1990, S. 801 (806); Schenke, DÖV 1982, S. 709 (719). 227 Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 318. 228 Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 202. 229 Scholz, VVDStRL 34, 1976, S. 146 (212). 230 Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (466); Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 489 (490); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 8 Rn. 8; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 47 f. 231 Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (466). 232 So verlangt bspw. das Abwägungsgebot, dass alle abwägungsbeachtlichen Belange in die Abwägung einzustellen sind. Ein Verstoß gegen diese Einstellungs- und Ermittlungspflicht stellt nach bisheriger Abwägungsdogmatik einen inhaltlichen Fehler dar. Dennoch bildet das der Richtigkeit dienende Verwaltungsverfahren mit Beteiligungsregelungen und der Amtsermittlungspflicht einen verfahrensrechtlichen Rahmen und so werden die Ermittlung und Einstellung der Abwägungsbelange auch verfahrensrechtlich teilweise abgebildet. Wurde ein beachtlicher Belang nicht eingestellt, liegt aber ein ma-
§ 2 Kontrolleröffnung bei der Bauleitplanung
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des Verfahrens beinhaltet damit nur eine Aussage darüber, ob die Sachentscheidung in der richtigen Art und Weise bzw. in der richtigen Form ergangen ist. 233 Die Bedeutung des Verfahrens nimmt bei einer fehlenden vollständigen materiell-rechtlichen Determinierung des Verwaltungshandelns oder der Verwaltungsentscheidung zu, wächst allerdings auch nicht über eine der Sachentscheidung „dienende Funktion“ 234 hinaus. 235 Beispielsweise besteht bei der planerischen Abwägung im Bauplanungsrecht eine materiell-rechtliche Steuerungsschwäche. 236 Daraus aber einen Eigenwert des Verfahrens neben der Sachentscheidung zu folgern, gelingt nicht; denn wie oben dargelegt, ist sämtliches Verwaltungshandeln rechtsgebunden. Das materielle Recht determiniert in solchen Fällen die Verwaltungsentscheidung, indem es einen Rahmen spannt, der die Entscheidung ebenfalls materiell-rechtlich determiniert und somit auch inhaltlich kontrollierbar macht. 237 Es bleibt dabei, dass auch bei zunehmender Bedeutung des Verwaltungsverfahrens die Gerichtskontrolle materiell-rechtlich orientiert ist. 238 Dies ist insbesondere durch die grundsätzliche Letztentscheidungsbefugnis der Gerichte bedingt, wonach die Gerichte über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung an sich entscheiden. Dem Verwaltungsverfahren kommt daher nur eine „dienende Funktion“ 239 zu. Diese dienende Funktion kommt gerade dadurch zum Ausdruck, dass materiell rechtmäßige Verwaltungsentscheidungen nicht allein deshalb von den Gerichten aufgehoben werden, weil sie an einem Verfahrensfehler leiden. 240 Der Verfahrensfehler muss kausal ein inhaltlich fehlerhaftes Entscheidungsergebnis herbeigeführt haben. Erst dann ist der Verfahrensfehler beachtlich. 241 Führt der Verfahrensfehler kausal zu einer rechtswidrigen Sachentscheidung, erfolgt die Sanktion in erster Linie wegen des inhaltlichen Fehlers und nicht wegen des Verstoßes gegen Verfahrensrecht 242. Dieser dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens entspricht auch die geringere Sanktionsbewehrung von Verstößen gegen Verfahrensrecht im Vergleich zu Verstößen gegen materielles Recht. 243 Dieses Grundverständnis des dienenden Verfahrens liegt damit insbesondere den Heiterieller Abwägungsfehler vor: Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (983, insbes. 986 f.). Zu den Anforderungen des planerischen Abwägungsgebots siehe unten § 5, S. 119 ff. 233 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 202 f. 234 Vgl. BVerwGE 105, 348 (354); BVerwGE 92, 258 (261). 235 Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (982 f.). 236 Siehe zu den Besonderheiten der materiell-rechtlichen Steuerung von Abwägungsentscheidungen im Bauplanungsrecht unten § 3 D., S. 71 ff. 237 Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (982 f.). 238 Vgl. Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (858). 239 Vgl. BVerwGE 105, 348 (354); BVerwGE 92, 258 (261). 240 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (858). 241 Vgl. Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (858); Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, S. 489 (492). 242 Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (981).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
lungs-, Unbeachtlichkeits- und Präklusionsvorschriften zugrunde, wonach insbesondere Verstöße gegen Verfahrensrecht, wie bspw. in den §§ 45, 46 VwVfG oder in § 214 BauGB, sanktionslos sein sollen. 244 Der Verletzung sogenannter absoluter Verfahrensvorschriften soll aber neben der Richtigkeit der inhaltlichen Sachentscheidung eine eigene und damit sanktionsbewährte Bedeutung zukommen. 245 Absolute Verfahrensvorschriften sind eigenständige und von Drittbetroffenen selbständig durchsetzbare Rechtspositionen – unabhängig vom materiellen Recht. 246 Das BVerwG hat solche absoluten Verfahrenspositionen bei Beteiligungsrechten und im Anspruch auf Durchführung des Verfahrens überhaupt anerkannt. Begründet wurden die absoluten Verfahrensrechte mit bereichsspezifischen Gründen und daher vom BVerwG auf drei Fallgruppen beschränkt. 247 Gegenstand der Verfahrenskontrolle ist bei allen Verfahrensvorschriften, ob die Sachentscheidung in der richtigen Art und Weise bzw. in der richtigen Form ergangen ist. 248 Die Verfahrensvorschriften bestehen in der Regel aus strikt programmierten Tatbeständen und determinieren das Verwaltungshandeln vollständig. 249 Verfahrensverstöße, wie bspw. eine unterlassene Bürgerbeteiligung im Planaufstellungsverfahren gemäß § 3 f. BauGB, sind damit auch in Fällen einer nicht vollständigen materiell-rechtlichen Entscheidungsdeterminierung einfacher zu bestimmen bzw. zu kontrollieren. 250 Die Richtigkeit eines materiell-rechtlich nicht vollständig determinierten Ergebnisses lässt sich allein anhand der Maßgabe der Verfahrensregeln nicht bestimmen.
243
Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 201. Vgl. hierzu insbesondere die Darstellung der Unbeachtlichkeitsvorschriften im Baurecht bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 4 Rn. 41 ff. 245 Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (981). 246 Wahl / Schütz, in: Schoch / Bier / Pietzner / Schmidt-Aßmann, VwGO, September 2007, § 42 II Rn. 73. 247 Angenommen wurden absolute Verfahrensrechte bei enteignungsrechtlichen Verfahrensvorschriften (BVerwG, Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 106, S. 128 (130)), bei luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren hinsichtlich der Beteiligung von Gemeinden und Gemeindeverbänden (BVerwGE 56, 110 (137); BVerwGE 81, 95 (106)), bei Beteiligung anerkannter Naturschutzverbände im Planfeststellungsverfahren (BverwGE 87, 62 (71)). Weitere Fallgruppen hat das BVerwG nicht angenommen. Siehe hierzu die Rspr.-Analyse bei Wahl / Schütz, in: Schoch / Bier / Pietzner / Schmidt-Aßmann, VwGO, September 2007, § 42 II Rn. 73. 248 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 202 f. 249 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 123; Schulze-Fielitz, in: FS Hoppe, S. 1003. 250 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 282. 244
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II. Inhaltliche Kontrolle Im Gegensatz zur Verfahrenskontrolle ist Gegenstand der Inhaltskontrolle die Überprüfung der Richtigkeit des Ergebnisses der Konkretisierung materiellrechtlicher Normen. 251 Überprüft wird, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, unter denen Rechte und Pflichten für ein staatliches Handeln entstehen. 252 Den anzulegenden Kontrollmaßstab bildet dabei jede materiell-rechtliche Anforderung, der eine Verwaltungsentscheidung bzw. das jeweilige Verwaltungshandeln genügen muss. 253 III. Die Vorgangskontrolle Zwischen der Verfahrens- und der Inhaltskontrolle lässt sich systematisch noch eine weitere Phase der gerichtlichen Kontrolle bestimmen – die gerichtliche Kontrolle des Entscheidungsvorgangs bei Entscheidungen mit Ermessen bzw. Gestaltungsspielraum. 254 Gerade beim Erlass eines Bebauungsplans ist auf Grundlage des allgemein anerkannten Abwägungsgebots 255 nicht nur das Abwägungsergebnis, sondern auch der Abwägungsvorgang 256 Kontrollgegenstand der gerichtlichen Überprüfung. 257 Wenn neben dem Abwägungsergebnis auch der Abwägungsvorgang, der zu dem Ergebnis führt, überprüft wird, stellt sich die Frage nach der Unterscheidung zwischen Vorgang und Verfahren, welches ebenfalls zu einer richtigen Verwaltungsentscheidung führen soll. 1. Terminologischer Unterschied zwischen „Verfahren“ und „Vorgang“ Der Begriff „Verfahren“ bezeichnet die Vorgehensweise und Methodik zur Lösung eines Problems. Insbesondere im juristischen Gebrauch wird damit die Art und Weise des Vorgehens zur Erledigung einer Rechtssache beschrieben. 258 Der Begriff „Vorgang“ beschreibt den Prozess und den Ablauf eines Geschehens. 259 In der neueren Sprache wird der Ausdruck „Vorgang“ in der Bedeutung 251
Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 194. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 222. 253 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 63. 254 Schoch, NVwZ 1990, S. 801 (806). 255 Zum planerischen Abwägungsgebot siehe unten § 5, S. 119 ff. 256 Zur Unterscheidung Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis siehe unten § 5 D., S. 134 ff. 257 Vgl. die Darstellung bei Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (470 f.). 258 Köbler, Juristisches Wörterbuch, S. 438; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache; Bd. 9 Tach – Vida, 3. Aufl., S. 4203. 252
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
des lateinischen processus verwendet. 260 Eine etymologische Unterscheidung der beiden Begriffe führt schließlich nicht weiter, da beide Begriffe teilweise synonym benutzt werden könnten. 261 Fraglich ist, ob von einem synonymen Gebrauch der beiden Begriffe ausgegangen werden kann. Für eine differenzierende Verwendung sprechen die Heilungsbzw. Unbeachtlichkeitsregelungen des BBauGB bzw. des BauGB. Während nämlich § 155a BBauGB (1979) die Verletzung von Verfahrensfehlern beschrieb, stellte § 155b II BBauGB (1979) auf die Fehler im Abwägungsvorgang ab. In den folgenden Fassungen der Unbeachtlichkeitsvorschriften des BauGB (§ 214 f. BauGB) wird diese doppelte Benennung von Verfahrens- und Vorgangsfehlern beibehalten. Gleichzeitig wird in den genannten Regelungen stets der Vorgang vom Ergebnis unterschieden. 262 Eine synonyme Verwendung von Vorgang und Verfahren würde diese im Gesetz getroffene Unterscheidung m. E. sinnlos werden lassen. Daher spricht bereits der Wortlaut für eine eigene Kategorie des Vorgangs, so dass auch die Kontrolle dieses Vorgangs als eigene Kontrollphase angesehen werden kann. 2. Systematische Unterscheidung Die Unterscheidung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht könnte bei der Einordnung der Vorgangskontrolle weiterhelfen. Entweder ist der Entscheidungsvorgang einem dieser Pole zuzuordnen oder der Entscheidungsvorgang bewegt sich dazwischen. Die Abgrenzung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht ist allerdings schwierig. 263 Das Verwaltungsprozessrecht ist für die folgende Unterscheidung nicht zu berücksichtigen. Aus Sicht des Prozessrechts ist das Verwaltungsverfahrensrecht ebenfalls Bestandteil des materiellen Rechts. 264 Grundsätzlich kommt, wie bereits oben festgestellt, dem Verfahren neben der materiellen Entscheidung keine eigenständige, sondern eine dienende Funktion zu. 265 Eine besondere Bedeutung kommt dem Verfahren neben der Entscheidung aber dann zu, wenn gewisse Entscheidungsspielräume bzw. eine nicht so dichte materiell-rechtliche Bindung der Verwaltungsentscheidung bestehen. 266 Diese 259 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache; Bd. 10 Vide – Zz, 3. Aufl., S. 3790. 260 Grimm / Bartz / Grimm, Der digitale Grimm, 4. Aufl. 261 Zumindest hinsichtlich der Vorgangs- und Verfahrensweise: Eickhoff, Duden – Das Synonymwörterbuch. Ein Wörterbuch sinnverwandter Wörter, 3. Aufl., S. 1023. 262 Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (470); wobei diese Aussage auch noch für die Fassung des § 214 BauGB (2006) gilt. 263 Haueisen, DVBl. 1962, S. 881 (885); Weyreuther, DVBl. 1972, S. 93 (94 f.); vgl. zur Abgrenzung auch Schmidt-Aßmann, in: HdStR, § 70 Rn. 5 ff. 264 Bettermann, VVDStRL 17, 1958, S. 118 (119 f.).
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Entscheidungsspielräume sollen dann in dem Verfahren, durch auf Grundlage korrekt erhobener Daten und frei von Willkürelementen, konkretisiert werden. 267 Ein Fall geringerer materiell-rechlicher Steuerung wird bereits bei den in § 1 VI BauGB aufgelisteten Belangen deutlich, die in die Abwägung gemäß § 1 VII BauGB einzustellen sind. Gemäß § 1 VI Nr. 4 BauGB soll „die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und der Umbau vorhandener Ortsteile sowie die Erhaltung zentraler Versorgungsbereiche“ bei der Planaufstellung eines Bebauungsplans berücksichtigt werden. Alleine die Feststellung, ob die Planung der Erhaltung, Erneuerung oder Fortentwicklung vorhandener Ortsteile dient, kann im konkreten Fall schwierig zu beurteilen sein. Eine konkrete Aussage, wann die Planung der Erhaltung eines vorhandenen Ortsteils richtigerweise dient, enthält diese Regelung freilich nicht. 268 Gleichzeitig kann bspw. der Belang der Fortentwicklung mit den ebenso zu berücksichtigenden Umweltbelangen nach § 1 VI Nr. 7 BauGB kollidieren. Eine eindeutige Regelung, welcher Belang im konkreten Fall überwiegt, enthält das Gesetz nicht. 269 Das BauGB enthält in § 2 IV BauGB mit der Umweltprüfung ein Verfahren, welches durch eine möglichst vollständige ermittelte Informationsgrundlage allen Umweltbelangen zur Geltung in der nicht vollständig determinierten Abwägung nach § 1 VII BauGB verhelfen will. Zu diesem Zweck hält § 2 IV BauGB auch verfahrensrechtliche Kontrollmaßstäbe bereit – wie „nach gegenwärtigem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden“ –, die aber nur eine Aussage über die Form, nicht aber über die Richtigkeit der Umweltprüfung treffen. In einer solchen, nicht vollständig materiell-rechtlich determinierten Entscheidung zwischen verschiedenen Belangen gewinnen solche formellen Kontrollmaßstäbe an Bedeutung. Unabhängig von den verfahrensrechtlichen Anforderungen stellt das materiell-rechtliche Abwägungsgebot nach bisheriger h. M. selbst Anforderungen an den Entscheidungsprozess, wie bspw. der Zusammenstellung der abwägungsbeachtlichen Belange. 270 Der soeben aufgezeigte Bedeutungszuwachs des Verfahrens neben der Entscheidung geht einher mit den verschwindenden Grenzen von Verfahrensrecht und materiellem Recht. 271 Das materielle Recht ist nicht fest umgrenzt und 265 Vgl. BVerwGE 105, 348 (354); BVerwGE 92, 258 (261); dieses Verständnis ist im deutschen Recht bisher ungebrochen; vgl. Kment, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 103; vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 202. 266 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 202. Siehe auch oben I., S. 54 f. 267 Vgl. Scholz, VVDStRL 34, 1976, S. 146 (163 ff.); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 47 ff. 268 Vgl. Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (982). 269 Vgl. Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (982). 270 Zu den Anforderungen des Abwägungsgebots siehe unten § 5, S. 119 ff. 271 Vgl. hierzu die Ausführungen von Hill zur allgemeinen Struktur von Ermessensentscheidungen: Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 285.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
bedarf der Konkretisierung im Einzelfall. 272 Diese Konkretisierung erfolgt außerdem durch das und im Verfahren, so dass das materielle Recht nicht nur Ziel des Verfahrens ist, sondern durch dieses auch konkretisiert wird. 273 Materielles Recht und Verfahrensrecht sind demnach untrennbar ineinander verwoben. 274 Eine Abgrenzung ist unterdessen aber notwendig, um Verfahrensfehler zuordnen und die Gesetzgebungszuständigkeiten bestimmen zu können. Ein taugliches Kriterium für eine Abgrenzung könnte die Abgrenzung nach Form und Inhalt sein. 275 Aber die Ausführungen zur Konkretisierung materiellen Rechts durch das Verfahrensrecht zeigen, dass nach diesem Kriterium die flüssigen Übergänge nicht auseinandergehalten werden können und eine Abgrenzung nicht möglich ist. 276 Nach einer anderen Ansicht soll anhand des Geltungsgrunds und der Funktion der Norm zwischen materiellem und Verfahrensrecht abgegrenzt werden. 277 Danach sollen alle Normen, die dem Rechtsschutz oder der Verwaltungseffizienz dienen, Verfahrensrecht sein, gleichzeitig soll so das materielle Recht negativ bestimmt werden. Eine funktionelle Abgrenzung erscheint aber schon als schwierig durchführbar, da sich vielen Normen nicht einfach nur eine Funktion zuweisen lässt und die Abgrenzung daher nicht alle Fälle erfassen kann. 278 Eine anschauliche Ansicht möchte das Verfahrensrecht vom materiellen Recht nach Weg und Ziel abgrenzen. 279 Danach sei die Entscheidung das Ziel, welches das materielle Recht regele, und das Zustandekommen der Entscheidung der Weg, welcher vom Verfahrensrecht geregelt werde. Dieser Ansicht wird entgegengehalten, dass sie ein zu enges Verständnis vom materiellen Recht habe. Denn das materielle Recht regle nicht nur die Ziele an sich, sondern viel mehr inhaltliche Vorgaben wie etwa den Adressat und den Gegenstand der Entscheidung. 280 Unter Ziel soll dann nicht nur die abschließende Verwaltungsentscheidung fal272
M.w. N. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 202. Zum Verwaltungsverfahren als Verwirklichungsmodus: Wahl, VVDStRL 41, 1983, S. 153 (153 f.); Scholz, VVDStRL 34, 1976, S. 146 (164 f.). 274 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 2. Kap. Rn. 21; Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, S. 709 (710); Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (470 ff.); Schnapp, AöR 1980, S. 243 (249). 275 Bettermann, VVDStRL 17, 1958, S. 118 (121); Neuser, Gesetzgebungskompetenzen, S. 78 f. 276 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 224. 277 Neuser, Gesetzgebungskompetenzen, S. 82 ff. 278 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 224. 279 Bereits Merkl / Korinek, Allgemeines Verwaltungsrecht, unveränderter reprograf. Nachdruck der Ausgabe Wien und Berlin 1927, 1. Aufl., S. 213 ff., insbesondere S. 215. So auch Schmidt-Aßmann, in: HdStR, § 70 Rn 5. 280 Bettermann, VVDStRL 17, 1958, S. 118 (121); Neuser, Gesetzgebungskompetenzen, S. 79 ff. 273
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len, sondern auch die inhaltlichen Voraussetzungen und der Regelungsgehalt, welche das materielle Recht mitregelt. 281 So bspw. auch, welchen Willen die Verwaltung im Einzelfall haben kann bzw. darf oder muss und mit welchem Inhalt die Entscheidung ergehen kann bzw. darf oder muss. 282 Im Einzelfall mag dabei die Grenze zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht fließend sein. 283 Zum Beispiel enthält das planerische Abwägungsgebot 284 auch materiell-rechtliche Anforderungen an den Entscheidungsprozess, der nach der Unterscheidung zwischen Weg und Ziel doch auch dem verfahrensrechtlichen Weg teilweise zugeordnet werden könnte, wonach das Verfahrensrecht das Zustandekommen, die Form und Bekanntmachung, den Vollzug, die Anfechtung, Änderung und Aufhebung regeln soll. 285 Die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zeigen, dass eine einheitliche und abstrakte Abgrenzung anhand der genannten Kriterien nicht möglich ist und eine Abgrenzung im jeweiligen Rechtsbereich zu erfolgen hat. 286 Hierbei stellt das um den Regelungsgehalt und die inhaltliche Vorgaben einer Verwaltungsentscheidung erweiterte Kriterium von Weg und Ziel ein zumindest anwendbares Unterscheidungskriterium für den Einzelfall dar. 287 Für die Einordnung des Entscheidungsvorgangs bei Entscheidungen mit Ermessenspielraum oder mit Gestaltungsfreiheit ergibt sich folglich, dass dieser sowohl reine Verfahrenselemente des Weges wie die Tatsachensammlung, jedoch auch materiell-rechtliche Bestandteile des Ziels beinhaltet. Das Bauplanungsrecht enthält sowohl materiellrechtliche Anforderungen an einen Abwägungsvorgang als auch verfahrensrechtliche Absicherungen, wie bspw. durch Beteiligungsrechte zur Absicherung der Objektivität des Abwägungsvorgangs und schließlich des Abwägungsergebnisses. 288 Nach der oben dargelegten Abgrenzung handelt es sich somit einmal um Vorschriften des Weges wie die Bürgerbeteiligung und einmal um Anforderungen, die zwar Elemente des Zustandekommens einer Entscheidung beinhalten, aber vielmehr inhaltliche Voraussetzung für das Ziel der Abwägungsentscheidung sind. Mit Vorgang wird damit das Verfahren bezeichnet, das neben der materiellen Entscheidung eine gewisse eigenständige Bedeutung erlangt hat. Im Gegensatz 281
Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 225. Bettermann, VVDStRL 17, 1958, S. 118 (123). 283 Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (981). 284 Siehe zum planerischen Abwägungsgebot und den Anforderungen an den Entscheidungsprozess unten § 5, S. 119 ff. 285 So die „Umschreibung“ des Verfahrensrechts nach Bettermann, VVDStRL 17, 1958, S. 118 (121); ähnl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 224. 286 Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, S. 709 (710). 287 So zumindest m.w. N. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 225. 288 Vgl. unten § 5, S. 119 ff. 282
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
zum Verfahrensrecht bei gebundenen Entscheidungen ist in diesem Fall der Entscheidungsvorgang Teil der materiellen Entscheidung selbst und wird von den materiell-rechtlichen Regelungen über die Entscheidung mitdeterminiert, und zwar als strukturell nicht abtrennbare Vorstufe der materiellen Entscheidung. 289 Im Einzelfall kann es daher geboten sein, auf den Vorgang neben dem Entscheidungsergebnis in einer gesonderten Kontrolle einzugehen. 290 Als Entscheidungsbestandteil unterliegt der Entscheidungsvorgang folglich auch einer materiellrechtlichen Kontrolle. 291 IV. Die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen Gerichtliche Kontrolle ist nur möglich, wenn das Verwaltungshandeln anhand rechtlicher Bindungen messbar ist. 292 Insbesondere bei den Bebauungsplänen stellt sich dabei die Frage nach dem Ausmaß dieser rechtlichen Bindungen. Bei der Bauleitplanung ist die Gestaltung komplexer Sachverhalte für die Zukunft Planungsgegenstand. Planung bedarf eines gewissen Raums an Gestaltungsfreiheit, „weil Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre“. 293 Im Unterschied zu einfachen Verwaltungsentscheidungen kommt den Planungsentscheidungen eine andere qualitative Eigenart und vor allem auch eine quantitative Steigerung zu. 294 Es stellen sich bei der Bauleitplanung umso mehr die bereits oben dargestellten Fragen nach den rechtlichen Bindungen und schließlich nach der Letztentscheidungsbefugnis.
289
Vgl. Hill, der nicht von einem Entscheidungsvorgang spricht, sondern zwischen „innerem und äußerem“ Verfahren unterscheidet. Das „innere Verfahren“ sei demnach der Prozess der Entscheidungsbildung. Das äußere Verfahren sei im Gegensatz dazu die Gliederung des Verfahrensablaufs. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 285 f. 290 Zu der doppelten Überprüfung von Abwägungsergebnis und Abwägungsvorgang siehe unten § 5 D., S. 134 ff. 291 So ähnlich Betterman, der nicht von einem Entscheidungsvorgang spricht, aber Elemente des Entscheidungsvorgangs beschreibt, die überwiegend dem materiellen Recht zuzuordnen seien: Bettermann, VVDStRL 17, 1958, S. 118 (123). Für die Annahme der Zuordnung des Entscheidungsvorgangs zum materiellen Recht spricht ferner die Annahme des Gesetzgebers in der Begründung zum EAG Bau 2004, hier geht der Gesetzgeber von einem Systemwechsel aus. Danach soll die Abwägung Verfahrensbestandteil geworden sein. Folglich muss der Gesetzgeber von einer vorherigen Verortung im materiellen Recht ausgegangen sein. Diese Einordnung ist Gegenstand der späteren Untersuchung und soll hier nicht näher thematisiert werden. Vgl. nur Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (571 ff.). 292 Siehe bereits die Ausführungen zu den Voraussetzungen der Gerichtskontrolle, § 2 B., S. 49 ff. 293 BVerwGE 34, 301 (304). 294 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (295).
§ 2 Kontrolleröffnung bei der Bauleitplanung
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Für Planungen entstammen die rechtlichen Bindungen grundsätzlich dem jeweils einschlägigen einfachen Gesetzesrecht in den Bundes- und Landesgesetzen. 295 Über Art. 1 III GG, Art. 20 III GG und Art. 19 IV GG ist zudem Verfassungsrecht Prüfungsmaßstab der Verwaltungsgerichte für das Verwaltungshandeln. 296 Das BauGB sieht in den §§ 2 ff. BauGB ein detailliertes Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen vor. Aus diesen Verfahrensvorschriften ergeben sich die rechtlichen Bindungen für eine Kontrolle des Planungsverfahrens von Bebauungsplänen. Zusätzlich zu den Verfahrensvorschriften des BauGB finden die Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Erlasses einer Satzung durch das zuständige kommunale Organ Anwendung. Das Bebauungsplanverfahren mündet in der dem Satzungsbeschluss vorangehenden Abwägung (§ 1 VII BauGB). Der beschlossene Plan wird dann auf seine inhaltliche Richtigkeit überprüft, bspw. ob der Bebauungsplan dem Entwicklungsgebot entspricht und ob die Planungsziele aus § 1 V BauGB beachtet wurden. Das BauGB hält hierfür materielle Kontrollvorgaben für eine inhaltliche Kontrolle durch die Gerichte bereit. 297 Bei der planerischen Abwägung gemäß § 1 VII BauGB sollen alle erheblichen Belange ermittelt und gegeneinander abgewogen werden. Bei dieser Planungsphase ist es denkbar, dass mehrere rechtmäßige Entscheidungen getroffen werden können. Der planenden Verwaltung scheint bei der Planungsentscheidung ein gewisser Freiraum eingeräumt zu sein. Hier stellt sich konkret die Frage nach der rechtlichen Bindung bzw. der Messbarkeit. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist daher neben dem Ergebnis der Abwägung auch der Vorgang der Abwägung auf die inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen, soweit die geeigneten Maßstäbe bestehen. 298 Welche Kontrolldichte bei der Überprüfung der Planungsentscheidungen im Bauplanungsrecht besteht, soll im Folgenden untersucht werden. Die vom Einzelfall losgelösten Ausführungen zur Kontrolldichte sollen bei der Einordnung der Dichte der Gerichtskontrolle weiterhelfen. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass die Gerichtskontrolle von Bebauungsplänen durch Kompetenzzuweisungen eingeschränkt sein kann. Theoretisch sind aber kompensatorische Kontrollmaßnahmen denkbar. 299
295
Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 66. Vgl. die Darstellung zu Kontrollmaßstäben bei Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 66. 297 Zu den materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäben siehe unten § 4 A. II., S. 101 ff. 298 Zur Doppelkontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis vgl. unten § 5 D., S. 134 ff. 299 Siehe oben unter § 2 B., S. 49 f. 296
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
C. Zusammenfassung § 2 Im Vergleich zu anderen Staaten besteht in Deutschland eine hohe Kontrolldichte. Unter dem Sammelbegriff der Kontrolldichte werden die Fragen beschrieben, in welchem Umfang und mit welcher Genauigkeit die Kontrolle ausgestaltet ist, ausgestaltet sein könnte bzw. ausgestaltet sein darf. Die Kontrolldichte ist von der Rechtsgebundenheit der Kontrollgegenstände abhängig. In dem Maß, in dem der Kontrollgegenstand an rechtliche Normen gebunden ist, ist eine gerichtliche Kontrolle möglich. Eine Gerichtskontrolle kann nicht über die Grenzen der rechtlichen Bindungen hinaus erfolgen, das es an den erforderlichen Kontrollmaßstäben fehlt. Das kontrollierende Gericht soll das Verwaltungshandeln an rechtlichen Maßstäben messen und die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns feststellen. Voraussetzung für eine Rechtmäßigkeitskontrolle ist ein Maßstab, der die inhaltliche Reichweite der Kontrolle bestimmt. Angesichts der umfassenden Rechtsbindung aller Staatsgewalt gemäß Art. 20 III GG besteht theoretisch kein Raum für rechtsfreie und damit kontrollfreie Staatstätigkeit. Das Grundgesetz sieht, gestützt auf Art. 19 IV GG, entsprechend dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG eine vollumfängliche Überprüfung des Verwaltungshandelns vor. Damit ist aber nicht die Frage geklärt, wie weit die Kontrolle reichen darf. Die Frage nach einer Kontrollgrenze ist die Frage nach der staatsorganisatorischen Kontrollkompetenz und nicht nach der faktischen Kontrollmöglichkeit. Solange keine Freiräume eingeräumt sind, liegt die Befugnis zur Letzterkenntnis grundsätzlich bei den Gerichten. Die die Kontrolldichte beschränkenden Freiräume bestehen folglich nur bei ausdrücklicher Kompetenzzuweisung. Diese ausnahmsweisen Kompetenzzuweisungen, wie bspw. bei Planungsentscheidungen, markieren zugleich die Grenzen gerichtlicher Kontrolle und beschränken den Dichtegrad der gerichtlichen Kontrolle. Im Planungsrecht werden diese Freiräume als autonomer Gestaltungsraum oder als Planungsermessen oder als Gestaltungsfreiheit bezeichnet. Grundsätzlich kommt den Gerichten im staatsorganisatorischen Gefüge die Letztentscheidungskompetenz zu. Die Frage nach der Kontrollgrenze ist damit immer eine Frage der Kontrollkompetenz und nicht der faktischen Kontrollmöglichkeit. Folglich können durch Kompetenzzuweisung Handlungs- und Kontrollmaßstäbe divergieren, mit der Folge, dass nicht jede Verletzung einer Handlungsnorm von einer Kontrollnorm und damit einem Kontrollmaßstab erfasst wird. Die Verfahrenskontrolle hat eine andere Kontrollaussage als die materiellrechtliche Kontrolle. Aus den Verfahrensvorschriften ergeben sich rechtliche Bindungen und damit Kontrollmaßstäbe für den Entscheidungsprozess im Hinblick auf die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, z. B. zur Sachverhaltsermittlung. In Deutschland enthält die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, abgesehen von einer Indizwirkung, grundsätzlich keine inhaltliche Aussage über
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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die Richtigkeit der Sachentscheidung oder die inhaltliche Richtigkeit der Sachverhaltsermittlung, sondern darüber, ob die Sachverhaltsermittlung bspw. in der richtigen Art und Weise erfolgt ist. Dem Verfahren kommt nach deutschem Verständnis eine dienende Funktion zu. In den Fällen, in denen eine vollständig materiell-rechtliche Determinierung des Verwaltungshandelns nicht möglich ist, wächst die Bedeutung des Verfahrens, einen Eigenwert neben der Sachentscheidung erhält es aber nicht. Die Gerichtskontrolle bleibt materiell-rechtlich orientiert. Mit Vorgang wird das Verfahren bezeichnet, das neben der materiellen Entscheidung eine gewisse eigenständige Bedeutung erlangt hat. Im Gegensatz zum Verfahrensrecht bei gebundenen Entscheidungen ist bei nicht völlig materiellrechtlich determinierten Entscheidungen der Entscheidungsvorgang Teil der materiellen Entscheidung selbst und wird von den materiell-rechtlichen Regelungen über die Entscheidung mitdeterminiert, und zwar als strukturell nicht abtrennbare Vorstufe der materiellen Entscheidung. Im Einzelfall ist es daher geboten, auf den Vorgang neben dem Entscheidungsergebnis in einer gesonderten Kontrolle einzugehen. Gerade beim Erlass eines Bebauungsplans ist nicht nur das Abwägungsergebnis, sondern auch der Abwägungsvorgang Gegenstand der gerichtlichen Überprüfun, der nicht vollständig materiell-rechtlich determinierten Planungsentscheidung.
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess im Hinblick auf die Gerichtskontrolle A. Der Prozess der Bauleitplanung Gemäß § 1 I BauGB besteht die Aufgabe der Bauleitplanung darin, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke innerhalb der Gemeinde zu leiten und zu ordnen, um entsprechend § 1 V BauGB eine städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten. Träger der Bauleitplanung sind die Gemeinden. 300 Die Bauleitplanung ist in zwei Stufen unterteilt: In die vorbereitende Bauleitplanung in Form des Flächennutzungsplans und in die verbindliche Bauleitplanung in Form des Bebauungsplans. 301 Mit dem Flächennutzungsplan sollen auf der ersten Stufe der Bauleitplanung die städtebaulichen Entwicklungsvorstellungen für die Bodennutzung im Gemeindegebiet in Grundzügen zum Ausdruck gebracht werden. 302 Aus diesen im Flächennutzungsplan niedergelegten Entwicklungsvor300 301 302
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 1 Rn. 6. Vgl. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 1 Rn. 5. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 6 Rn. 4 u. 7.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
stellungen sind dann entsprechend § 8 II BauGB die konkreten Bebauungspläne zu entwickeln (Entwicklungsgebot 303). Die Gemeinde hat bei ihrer Planung dabei sowohl die überörtliche Planung als auch die Planung der Nachbargemeinden zu berücksichtigen (interkommunales Abstimmungsgebot 304). Im Gegensatz zum Flächennutzungsplan kommt dem Bebauungsplan eine rechtliche Außenwirkung zu. 305 Der Bebauungsplan wird am Ende des Planungsverfahrens als Satzung beschlossen.
B. Plan, Planung und die zugrunde liegende Sachstruktur Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans hat der jeweilige Planungsträger mannigfaltige, miteinander kollidierende private und öffentliche Interessen unter Berücksichtigung aller betroffener Rechtsbeziehungen in einen Ausgleich zu bringen. Dabei betrifft jede Entscheidung, auch wenn sie nur auf einen Belang gerichtet sein soll, gleichzeitig mehrere Belange; denn jeder Eingriff in einen Belang löst eine Art „Kettenreaktion“ 306 aus. Die Interdependenz der einzelnen Interessen und Belange ist ein elementarer Bestandteil der Bauleitplanung. 307 Bei der Berücksichtigung dieses Interessengeflechts muss die planende Behörde aus einer Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten auswählen. Die planende Gemeinde hat aufgrund der mehrpoligen und vielschichtigen Beziehungsgeflechte ein größeres Maß an Aufklärungsarbeit zu bewältigen, um eine ausreichende Informationsbasis für die zu treffende Entscheidung zu haben. Dies zeigt sich in der Forderung nach einer korrekten und vollständigen Zusammenstellung des Abwägungsmaterials gemäß § 1 VI, VII BauGB. In einem nächsten Schritt muss die planende Behörde die Belange zueinander in Relation setzen. Die Bauleitplanung ist dabei stets zukunftsgerichtet, d. h., die komplexen Situationen müssen auch gleichzeitig für die Zukunft gestaltet werden. Die Bauleitplanung ist ihrem Wesen nach daher ein final determinierter Vorgang, der sich naturgemäß grundsätzlich einer vorherigen umfassenden inhaltlichen Normierung verschließt, 308 daher enthalten die die Bauleitplanung regelnden Normen in erster Linie Zielvorgaben, so wie in § 1 BauGB.
303
Vgl. die Darstellung des Entwicklungsgebots bei Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 3. 304 BVerwG, NVwZ 2003, 86 (87); BVerwG, NVwZ 2005, 813 (816 f.); Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 2 Rn. 43 ff. 305 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 6 Rn. 18. 306 BVerwG, BauR 1970, 35 (36). 307 Vgl. Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 22 ff. 308 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 1 ff.; Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31.
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
67
C. Rechtliche Einordnung des Planens I. Definitionsversuche Die Bestimmung einer praktikablen Definition des Plans und der Planung bereitet Schwierigkeiten. 309 Pläne und Planungen ergehen in verschiedenen Rechtsformen. Die jeweiligen Planungsfunktionen und Erscheinungsformen sind darüber hinaus sehr vielfältig. 310 Zu einer Definition bedürfte es der Bestimmung gemeinsamer Merkmale und der Einordnung beider Begriffe in das Rechtssystem, um sie juristisch handhabbar zu machen. 311 Zwar lassen sich bestimmte abstrahierte Merkmale bestimmen, womit Planung zumindest rechtstatsächlich beschrieben werden kann, so etwa die Bestimmung der Planung von Hoppe als „(...) final determiniertes, methodisches Lenkungsmittel zukünftigen Geschehens (...)“ 312. Eine Einordnung in die juristische Systematik kann aufgrund einer solch abstrakten Definition freilich nicht erfolgen. 313 Eine allgemeine und praktikable juristische Definition besteht bisher nicht. 314 Weitere Schwierigkeiten bereitet ebenfalls die begriffliche Unterscheidung von Plan und Planung. Eine sprachlich-logische Abgrenzung sieht die Planung als den zum Plan führenden Vorgang und den Plan als Produkt. 315 Dieser Abgrenzung wird zu Recht entgegengehalten, dass der Planungsprozess nicht mit der Aufstellung des Plans endet. Planung ist auf die Erreichung eines Ziels ausgerichtet und somit fällt auch die Verwirklichung des Plans unter den Begriff Planung. 316 Den juristischen Erkenntnisgewinn, die Einordnung des Planens in den Kanon der Handlungsinstrumente der Verwaltung, können die diversen Definitionsversuche nicht erbringen. 317
309 Siehe insbesondere Hoppe mit der Darstellung einiger Definitionsversuche: Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 666 ff.; ebenso Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 9 ff.; Ossenbühl, in: Gutachten, S. 50 f. 310 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 13 ff. 311 Ossenbühl, in: Gutachten, S. 25 ff.; Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 666. 312 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 6. 313 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 6. 314 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 13 ff.; Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 6 f.; bereits Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 666 ff.; Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 19. 315 So Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 14. 316 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 3. 317 Ossenbühl, in: Gutachten, S. 51; Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 665 ff.
68
1. Kap.: Bestandsaufnahme
II. Einordnung anhand einer Typologie Angesichts der fehlenden brauchbaren juristischen Definition bleibt die Möglichkeit der Systematisierung anhand einer Typologie. Hoppe hat dazu einen Katalog an Einteilungsgesichtspunkten aufgestellt, dessen Ertrag er aber für die Systematisierung eher als „gering“ veranschlagt. 318 Die Einteilung der Pläne nach der Rechtsform zeigt exemplarisch die geringe Ergiebigkeit einer solchen Typologisierung auf. Planung bedient sich mittlerweile aller Rechtsformen. 319 Planungen können als Parlamentsgesetze 320, Verordnungen 321, Satzungen 322, Verwaltungsakte 323, behördeninterne abstrakt-generelle Akte 324, Richtlinien 325 oder als Einzelakte 326 ergehen. Angesichts der Vielzahl dieser Rechtsformen wird der geringe Ertrag einer solchen Einteilung deutlich. Eng verbunden mit der Rechtsform ist die Wirkungsweise eines Plans. Mit der Einordnung in eine bestimmte Rechtsform wird der Plan einem Rechtsregime mit der entsprechenden Wirkungsweise untergeordnet. 327 Der Inhalt des Plans bestimmt so die gewünschte Bindungswirkung, die dann durch die Wirkungsweise der jeweiligen Rechtsform erreicht wird. Die Einordnung als Plan betrifft daher nur den Inhalt, die Rechtsform dagegen ermöglicht nur die jeweilige Umsetzung und Wirkungsweise. 328 Rechtliche Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Kategorisierung angesichts der vielen Kombinationsmöglichkeiten nicht entnehmen, da die Pläne nicht immer reibungsfrei in die vorhandenen Rechtsformen eingepasst werden können. 329 Die Vorgaben aus den Plänen stimmen daher oft nicht mit der Rechtsfolgensystematik der Rechtsformen überein. 330 Beispielsweise entfaltet der Flächennutzungsplan für den Bürger nur mittelbare Rechts318
Siehe die von Hoppe aufgestellte Typologie in: Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 6; Hoppe, in: FS BVerfG I, S. 669 ff. 319 Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 9. 320 Zum Beispiel die Haushaltspläne des Bundes, die gemäß Art. 110 II GG als formelle Gesetze festgestellt werden. 321 Etwa der Landesentwicklungsplan in Baden-Württemberg, vgl. § 10 I i.V. m. § 6 I Nr. 1 LPlG Baden-Württemberg. 322 Gemäß § 10 BauGB im Bauplanungsrecht oder die Haushaltspläne der Gemeinden gemäß § 79 GemO Baden-Württemberg. 323 Als Planfeststellungsbeschluss gemäß § 74 VwVfG. 324 Zum Beispiel Landesentwicklungspläne und Regionalpläne, die nicht durch formelles Gesetz, Satzung oder Rechtsverordnung festgestellt werden; vgl. hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 25. 325 Politische Richtlinien. M.w.N. Ossenbühl, in: Gutachten, S. 46. 326 Vgl. BVerwGE 72, 38 (45) für einen Krankenhausbedarfsplan. 327 Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1989, S. 533 (533 f.). 328 Vgl. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 52. 329 Ossenbühl, in: Gutachten, S. 47; Forsthoff, DVBl. 1957, S. 113 (118). 330 Vgl. die Darstellung bei Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 9.
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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wirkungen. 331 Die den Flächennutzungsplan erlassende Gemeinde ist über das Entwicklungsgebot aus § 8 II BauGB an den Plan gebunden, so wie die öffentlichen Planungsträger gemäß § 7 BauGB an Anpassungspflichten gebunden sein können. Die herkömmlichen Rechtsformen sehen eine solche Rechtsfolgensystematik in dieser Form nicht vor. 332 Ohne dass auf die Rechtsnatur des Planungsaktes eingegangen werden soll, wird deutlich, dass Pläne häufig Ausnahmen von der Rechtsformensystematik erforderlich machen. Diese Besonderheiten müssen bei der dogmatischen Einordnung berücksichtigt werden. 333 So verhält es sich auch bei der Einordnung des Bebauungsplans als Satzung. 334 III. Plan und Planung als eigene Rechts- oder Handlungsform Der Plan bzw. die Planung tritt in den traditionell überkommenen Rechtsformen auf. 335 Wie bereits oben dargelegt, lässt sich der Plan aber nicht einfach in die traditionellen Rechtsformen einpassen. Es stellt sich daher die Frage, ob der Plan eine Zwischenform oder einen Akt sui generis darstellt. 336 Teilweise wird im Schrifttum die Frage nach dem Plan als eigene Rechtsform, aber auch als eigene Handlungsform aufgeworfen. Rechtsformen sind Formen, die das Recht für bestimmtes Verwaltungshandeln bereitstellt. Dabei sind diese Rechtsformen selbst Recht. Die Art der Rechtsform bezeichnet die unterschiedlichen Rechtsquellen. 337 Der Rechtsform ist ein bestimmtes Rechtsregime zugeordnet. 338 Neben dem Handeln in Rechtsformen gibt es auch Verwaltungshandeln, das nicht unter das Regime einer Rechtsform fällt – Realakt oder schlichtes Verwaltungshandeln. Der Begriff Handlungsform umfasst das Verwaltungshandeln in Rechtsformen und das übrige Verwaltungshandeln als Oberbegriff. 339 Für die Einordnung als eigene Rechts- oder Handlungsform könnte sprechen, dass sich immerhin einige Merkmale der Planung identifizieren lassen, die sich zu einem Typ staatlichen Handelns verdichtet haben. 340 Die Vielschichtigkeit 331
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 24. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 6 Rn. 12; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 24. 333 Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 9; Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 14, 18; Ossenbühl, in: Gutachten, S. 47 f. 334 Siehe unten IV., S. 71 f. 335 Ossenbühl, JuS 1979, S. 681 (685). 336 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 16 Rn. 18. Zur sog. „aliudThese“ vgl. Ossenbühl, JuS 1979, S. 681 (685); Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 8 ff. 337 Pauly, in: Wandel der Handlungsformen, S. 32. 338 Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1989, S. 533 (533). 339 Pauly, in: Wandel der Handlungsformen, S. 34. 332
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
und Komplexität der Planung steht der Einordnung der Planung als eine eigene Rechtsform entgegen. 341 Die Planung sei zwar an der „Schwelle zur Rechtsformqualität“ 342 anzusiedeln und stelle ein eigenständiges Rechtsinstitut 343 dar, mehr aber auch nicht. Die Unterschiede zwischen den Rechtsformen, denen sich bisher die Pläne bedienen, überwiegen gegenüber den bisher nur sehr abstrakten Gemeinsamkeiten. 344 Eine derart ausgestaltete Rechtsform Planung ist ebenso wenig, wie die Definitionsversuche, tauglich, die administrativen Handlungsweisen voneinander abzugrenzen. 345 Es wird jedoch vertreten, die Planung als eigenständige Handlungsform anzusehen. 346 Entsprechend der Ausführungen zur Unterscheidung von Handlungs- und Rechtsform, soll zur rechtlichen Systematisierung Planung unter dem juristischen Oberbegriff der Handlungsform zusammengefasst werden. 347 Dieser Ansicht wird ebenfalls entgegengehalten, dass eine sinnvolle einheitliche Verdichtung der Planungsmerkmale nicht erfolgt ist. 348 Die Befürworter der Planung als Handlungsform müssen dabei selbst anerkennen, dass diese Kategorie sehr weit und heterogen ist. 349 Eine solch abstrahierte Handlungsform kann ebenfalls die gewünschte Differenzierung nicht leisten. 350 Eine allgemeine rechtliche Einordnung der Planung ist nicht möglich. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist anhand des Plangegenstands und anhand des Planinhalts, die der jeweiligen Planung ihre Besonderheiten verleihen, die rechtliche Einordnung zu bestimmen. 351 340 Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 18. 341 Bertrams, in: Planung – FS Hoppe, S. 976. 342 Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 1. Aufl., S. 198; dieser Ansicht ausdrücklich zustimmend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 97. 343 Nach dieser Auffassung soll das Institut sich aus den der Planung immanenten gemeinsamen Merkmalen ergeben. Das Institut bündele diese Merkmale, um typische Rechtsprobleme lösen zu können. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., S. 333; Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 8 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., S. 303. 344 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 55. 345 Vgl. Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 18. 346 Müller, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 56 Rn. 2 ff.; a. A. Ossenbühl, JuS 1979, S. 681 (685). 347 Müller, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 56 Rn. 4. 348 Ossenbühl, JuS 1979, S. 681 (685). 349 Vgl. Müller, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 56 Rn. 4, insbesondere Rn. 12, wonach Plan als „offene Kategorie“ des Verwaltungsrechts bezeichnet wird. 350 Schmidt-Aßmann geht zwar von der Planung als Handlungsform aus, sieht aber auch keine kategorische Trennung von den anderen Handlungsformen: Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 97 f.; so auch Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 18; Plan und Planung seien keine eigenen Handlungsform, so Ossenbühl, JuS 1979, S. 681 (685).
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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IV. Die rechtliche Einordnung des Planens im Bauplanungsrecht Der Bebauungsplan ergeht gemäß § 10 BauGB in der Rechtsform der Satzung. Eigentlich wäre der Bebauungsplan dem üblichen Rechtsregime einer Satzung unterworfen. Ein Vergleich zeigt aber, dass, im Gegensatz zu einer herkömmlichen Satzung, für den Bebauungsplan ein eigenständiges Verfahren in den §§ 2 ff. BauGB normiert ist. Komplementär zu dem eigenständigen Verfahren sehen die §§ 214 ff. BauGB ein eigenständiges Fehlerfolgensystem vor, welches auch insbesondere die Fehler bei der planerischen Abwägung nach § 1 VII BauGB berücksichtigt. 352 In einem Bebauungsplan müssen viele Einzelentscheidungen aufeinander abgestimmt werden. Brohm spricht in diesem Zusammenhang von kleinen Mosaiksteinchen, die zu einem Bild, einem einheitlichen Ganzen, zusammengefügt werden müssen. 353 Die planende Gemeinde hat dabei alle gegenläufigen Interessen in einen Ausgleich zu bringen, hierzu bedarf es der Gestaltungsfreiheit der Gemeinde. 354
D. Die planerische Gestaltungsfreiheit Die zuvor beschriebenen Entscheidungsfreiräume der Verwaltung sind vor allem im Planungsrecht wiederzufinden. Das BVerwG hat diese Freiräume mit Ermessen, später mit Planungsermessen, bezeichnet, häufig taucht der Begriff der planerischen Gestaltungsfreiheit auf. 355 Der Begriff der planerischen Gestaltungsfreiheit wird mittlerweile vom BVerwG bevorzugt. 356 Die Ursache für diesen Entscheidungsfreiraum bildet die Planung selbst. 357 Planung stellt einen 351
Vgl. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 58. Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 9. 353 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 2. 354 Vgl. BVerwGE 34, 301 (304). 355 Vgl. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 36; Rubel, Planungsermessen, S. 1 ff.; Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 30 f.; Hoppe / Buchner / Schlarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen, 3. Aufl., Rn. 515 ff.; zur Bezeichnung administrativer Entscheidungsfreiräume im Planungsrecht als „Ermessen“ vgl. BVerwG, Buchholz 407.4 § 17 FStrG, Nr. 1, S. 1 (4); BVerwG, Buchholz 407.4, § 1 FStrG, Nr. 1, S. 2; zur Bezeichnung als „Planungsermessen“ vgl. BVerwGE 34, 301 (304); BVerwG, DÖV 1973, 785, hier ist nur von „planerischem Ermessen“ die Rede; zur Bezeichnung „planerische Gestaltungsfreiheit“ vgl. BVerwGE 34, 301 (304), hier wurde die Frage, ob mit „Ermessen“ die planerische Gestaltungsfreiheit voll erfasst wird, offengelassen; BVerwGE 48, 56 (59); BVerwGE 55, 220 (226); BVerwGE 56, 110 (116); BVerwGE 72, 282 (284); BVerwGE 87, 332 (341). 356 BVerwGE 127, 95 (112); BVerwGE 87, 332 (341); BVerwGE 48, 56 (59); BVerwGE 58, 154 (155); BVerwGE 72, 282 (284); BVerwG, NVwZ 2008, 437(438); BVerwG, NVwZ 2008, 678 (680); BVerwG, NVwZ 2009, 910 (912). 352
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
komplexen Vorgang der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen dar. Planung ist zielgerichtet und auf die Zukunft ausgerichtet. Von ihrem Wesen her ist Planung als ein final determinierter Vorgang zu verstehen. 358 Bereits in seiner Leitentscheidung zur Bauleitplanung hat das BVerwG festgestellt, dass mit der Befugnis zur Planung ein gewisser Spielraum mit einhergehen muss, denn Planung ohne Gestaltungsfreiheit sei ein Widerspruch in sich. 359 Dieser Spielraum wird von den Gerichten nur beschränkt kontrolliert. 360 I. Inhalt der planerischen Gestaltungsfreiheit Das BVerwG sieht somit die Ermächtigung zur Planung mit der Einräumung der planerischen Gestaltungsfreiheit untrennbar verbunden. 361 Die planerische Gestaltungsfreiheit erfasst folglich sowohl die Ermächtigung zur Planung als auch den Inhalt der Planung mit den erforderlichen Entscheidungsfreiräumen. 362 Diese Einräumung eines Entscheidungsraums der Verwaltung soll den Entscheidungsprozess zwischen kollidierenden öffentlichen und privaten Belangen dergestalt ermöglichen, dass dabei das Planungsziel verwirklicht wird. 363 In dem vorgegebenen Rahmen ist die Festlegung eines konkreten Planungsziels und dessen Verwirklichung die Aufgabe des Planungsträgers. Dieser Prozess, der dem jeweiligen Planungsträger obliegt, stellt sich als ein „gestalterischer, schöpferisch-technischer Entscheidungsprozess“ 364 dar. Die zeitliche Komponente der Planung darf dabei ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Bei der Auswahl der zu verwirklichenden Ziele und der Methoden zur Verwirklichung sind aufgrund der Planung in die Zukunft hinein Prognosen erforderlich. 365 Exakte Maßstäbe sind hier entweder nicht auffindbar oder nur bedingt anwendbar. 366 Die soeben beschriebene gestalterische Zukunftsorientiertheit der Planung äußert sich in der strukturellen Besonderheit der Planungsnormen. 367 Diejenigen 357
Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31. 359 BVerwGE 34, 301 (304). 360 Vgl. BVerwGE 45, 309 (315, 326); BVerwGE 56, 283 (290). 361 BVerwGE 34, 301 (304); vgl. nur unter der Terminologie des Planungsermessens Badura, in: FS 25 Jahre Bayer. Verfassungsgerichtshof, S. 174. 362 Vgl. Badura, in: FS 25 Jahre Bayer. Verfassungsgerichtshof, S. 174. 363 Hoppe / Buchner / Schlarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen, 3. Aufl., Rn. 516. 364 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 9 f.. 365 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 140. 366 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 140. 367 Zur strukturellen Besonderheit der Planungsnormen siehe unten III., S. 75 ff.; vgl. zudem die Darstellung bei Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31. 358
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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Normen, die darauf gerichtet sind, den Planungsvorgang und das Planungsergebnis zu steuern, werden als Planungsnormen bezeichnet. 368 Die Planungsnormen enthalten keinen abschließend programmierten Tatbestand, sondern fordern eine Abwägung. 369 Die §§ 1 VI, VII BauGB, § 17 I FStrG; § 7 VII ROG stehen exemplarisch für diesen Normtyp. Alle diese Normen verlangen den Ausgleich sich widerstreitender Belange. 370 Die planerische Gestaltungsfreiheit kommt gerade in der Abwägung der Belange zum Ausdruck. Ohne die Einräumung einer Befugnis zu einer autonomen Gewichtung der gegeneinander abzuwägenden Belange könnte der Planungsträger nicht seiner gestaltenden und schöpferischen Aufgabe der Planung nachkommen. 371 Grundvoraussetzung der planerischen Gestaltungsfreiheit ist daher die Ermächtigung der Verwaltung zu dieser schöpferischen Tätigkeit. 372 Im Unterschied zu den anderen Fachplanungen kommt der Bauleitplanung eine besondere Stellung zu. Planungsträger ist bei der Bauleitplanung stets eine Gemeinde. 373 Diese kann sich auf ihre kommunale Planungshoheit stützen, welche in Art. 28 II GG abgesichert ist. In § 2 BauGB ist die planerische Gestaltungsfreiheit für die Gemeinden im Bauplanungsrecht eröffnet, denn gemäß § 2 I BauGB besteht die gemeindliche Planungshoheit für das Bauplanungsrecht, welche zugleich Basis der planerischen Gestaltungsfreiheit ist. 374 Eine ausdrückliche Nennung der planerischen Gestaltungsfreiheit findet sich weder im BauGB noch in den anderen Plangesetzen. 375 Anhaltspunkte für den Inhalt der planerischen Gestaltungsfreiheit liefert weiterhin die Grundsatzentscheidung des BVerwG zur Bauleitplanung. Danach sei die planerische Gestaltungsfreiheit nicht auf einen bestimmten geistigen Vorgang zurückzuführen, sondern umfasse viele verschiedene Elemente, insbesondere die Elemente „des Erkennens, des Wertens und Bewertens sowie des Wollens“. 376 Eine konkrete Festlegung der planerischen Gestaltungsfreiheit ist daher auch nicht aus der Rechtsprechung des BVerwG zu entnehmen, welches diese Inhaltsbeschreibung „stereotyp“ 377 beibehalten hat. 378 368
Vgl. Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 76. Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (981). 370 Vgl. Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 71. 371 Vgl. BVerwGE 48, 56 (64); vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 11. 372 Vgl. Hoppe / Buchner / Schlarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen, 3. Aufl., Rn. 549 ff. 373 Hoppe / Buchner / Schlarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen, 3. Aufl., Rn. 524. 374 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 2 Rn. 20. 375 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 41. 376 BVerwGE 34, 301 (304). 377 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 41. 378 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 43. 369
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Erst die negative Bestimmung der denkbaren Grenzüberschreitungen lässt eine erkennbare inhaltliche Beschreibung zu. 379 Um den Inhalt der planerischen Gestaltungsfreiheit bestimmen zu können, sind daher ihre Grenzen zu definieren. Alle Planungen, die innerhalb der Grenzen liegen, befinden sich demnach in einem kontrollfreien Bereich. Es kann nur negativ festgestellt werden, wenn Planung diesen Raum rechtswidrig überschreitet. 380 II. Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit Die Planungsträger unterliegen bei ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit zahlreichen Bindungen. Die planerische Gestaltungsfreiheit unterliegt ebenfalls den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen. 381 Aufgrund dessen, dass bei Planungen erheblich in die Belange der Planbetroffenen eingegriffen werden kann, ist eine rechtliche Bindung rechtsstaatlich geboten. 382 Diese rechtlichen Bindungen müssen dabei gleichzeitig genügend Freiraum für die gestalterische Entscheidung des Planungsträgers belassen. Die normative Steuerung der Planung erfolgt dabei überwiegend aufgrund Zielsetzungen und Abwägungsgrundsätzen. 383 Insbesondere im Bauplanungsrecht sieht das BauGB zahlreiche Bindungen, in Form von Zielvorgaben, für die Bauleitplanung vor. Die zahlreichen Bindungen schnüren die planerische Gestaltungsfreiheit sozusagen in ein „Korsett“. 384 Beispielsweise muss gemäß § 1 IV BauGB die Bauplanung an die Ziele der Raum- und Landesplanung angepasst werden. Weiter sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die in § 1 VI BauGB aufgestellten Planungsgrundsätze zu berücksichtigen. In § 9 BauGB sind des Weiteren die Festsetzungsmöglichkeiten abschließend aufgezählt. Neben diesen zahlreichen rechtlichen Bindungen der planerischen Gestaltungsfreiheit ist diese nach h. M. zusätzlich durch das Abwägungsgebot 385 aus § 1 VII BauGB gebunden. Das Abwägungsgebot ist ebenfalls 379 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 43; zustimmend auch Sendler, UPR 1995, S. 41 (56 f.). 380 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 42. 381 Bertrams, in: Planung – FS Hoppe, S. 986; Sendler, in: Planung und Plankontrolle – FS Schlichter, S. 56; vgl. auch BVerwGE 34, 301 (304); BVerwGE 87, 332 (341). 382 Wie etwa in Art. 14 GG oder auch die Planungshoheit der Gemeinden aus Art. 28 II GG selbst. Vgl. Bertrams, in: Planung – FS Hoppe, S. 986 f.; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 141. 383 Vgl. hierzu Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (641 ff.), der hauptsächlich auf die besondere Normstruktur der Planungsnormen eingeht. Zur normativen Steuerung der Planung vgl. auch: Hoppe / Buchner / Schlarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen, 3. Aufl., S. 196; Ossenbühl, in: Gutachten, S. 186 ff. 384 Sendler, in: Planung und Plankontrolle – FS Schlichter, S. 56. 385 Vgl. unten § 5, S. 119 ff.
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit, wobei es gleichzeitig der Verwirklichung derselben dient. 386 Die Bindung der Planung an Zielvorgaben, wie soeben beschrieben, wird teilweise als ein struktureller Unterschied zum herkömmlichen Ermessensspielraum der Verwaltung angesehen. Eine Abgrenzung der planerischen Gestaltungsfreiheit von den herkömmlichen Ermessensspielräumen könnte einer genaueren Bestimmung der planerischen Gestaltungsfreiheit und deren Grenzen dienlich sein. 387 III. Abgrenzung Es wird in der Literatur angenommen, dass die planerische Gestaltungsfreiheit sich von den herkömmlichen Ermessenspielräumen unterscheidet. 388 Der Begriff Gestaltungsfreiheit wird herkömmlich bei der Gesetzgebung benutzt. Dem Gesetzgeber wird bei der Gesetzgebung grundsätzlich Gestaltungsfreiheit zugesprochen. 389 Diese ist insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn ein Gesetz am Maßstab höherrangigen Rechts gemessen wird. Die Rechtsprechung hat diesen gestalterischen Willen des Gesetzgebers zu achten. 390 Bei Bebauungsplänen, die als Satzung ergehen, erscheint diese Terminologie bedingt übertragbar. 391 Der Bebauungsplan wird von der Gemeinde, das heißt von der Verwaltung und nicht von der gesetzgebenden Gewalt, erlassen. Nichtsdestotrotz beschreibt der Begriff „planerische Gestaltungsfreiheit“ eine vergleichbare Konstellation, denn die Rechtsprechung hat den Willen der Verwaltung bei Erlass der Satzung ebenso zu achten, soweit die Verwaltung zur Letztentscheidung aufgrund des Gesetzes berufen ist. 392 Für Pläne, die in Rechtsform einer Satzung oder eines Gesetzes ergehen, erscheint die Übertragung dieser Begrifflichkeit als angebracht. 393 Dieses soeben beschriebene Verhältnis von kontrollierender Rechtsprechung und planender Verwaltung soll auch vom Begriff Planungsermessen 394 erfasst sein. Ob der Begriff des Ermessens aufgrund der besonderen Struktur der Planungsnor386
Zur begrenzenden Funktion des Abwägungsgebots siehe unten § 5 A., S. 119 f. Bereits nur unter dem Begriff des Planungsermessens Ossenbühl, in: Gutachten, S. 184 f. 388 Vgl. statt vieler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., § 7 Rn. 2 u. Rn. 63; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, Rn. 10 u. Rn. 49. 389 Badura, in: FS 25 Jahre Bayer. Verfassungsgerichtshof, S. 162. 390 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 77. 391 Vgl. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 4. 392 Hoppe, DVBl. 1975, S. 684 (686 ff., 690 ff.). 393 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 77. Für den Planfeststellungsbeschluss soll der Begriff der planerischen Gestaltungsfreiheit nicht anwendbar sein. Denn die Planfeststellung sei keine echte Planung, wie die Bauleitplanung oder die Fachplanung. So Jarass, DVBl. 1998, S. 1202 (1203). 387
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
men überhaupt anwendbar sei, wird angezweifelt. 395 Unterscheidungskriterium soll dabei die Unterscheidung zwischen konditional- und finalprogrammierten Normen sein. 396 Dieser strukturelle Unterschied, den die Planungsnormen aufweisen sollen, und die damit verbundene Ausklammerung vom herkömmlichen Ermessen werden zunehmend bestritten. 397 IV. Konditionalprogramme Nach dem bisherigen Normverständnis sind Normen in der Regel konditional programmiert. 398 Eine Norm ist entsprechend nach dem sogenannten WennDann-Schema strukturiert. 399 Diese Strukturierung kommt in der Aufteilung der Norm in Tatbestand und Rechtsfolge zum Ausdruck. Danach löst die Erfüllung eines Tatbestands in der Regel eine Rechtsfolge aus. Die klassischen Normen sind demnach „direkte Verhaltensregeln mit abstrakt-genereller Vorwegprogrammierung“ 400. Dieses Normverständnis liegt der Dogmatik zum allgemeinen Verwaltungsermessen zugrunde, wonach streng zwischen Tatbestandsseite und Rechtsfolgeseite einer Norm unterschieden wird. Das Ermessen sei danach nur auf der Rechtsfolgenseite eingeräumt. 401 Auf der Tatbestandsseite hingegen bestehe der Beurteilungsspielraum als Unterbegriff des unbestimmten Rechtsbegriffs. 402
394
So Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 4 ff.; Ossenbühl, in: Gutachten, S. 184 ff.; Badura, in: FS 25 Jahre Bayer. Verfassungsgerichtshof, S. 160 ff.; BVerwGE 34, 301 (304). 395 Vgl. Badura, in: FS 25 Jahre Bayer. Verfassungsgerichtshof, S. 167. 396 Die Unterscheidung von Konditional- und Finalnormen geht auf Luhmann zurück. Vgl. Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung., S. 35 ff.; Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1. Aufl., S. 195 – 204. 397 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 13. Aufl., § 10 Rn. 18 in Abkehr zu der in der Vorauflage von Ossenbühl vertretenen Ansicht; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 186 ff., 188 ff., 191 ff., 208 ff., 217 ff.; Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 37 ff., Rubel, Planungsermessen, S. 48 ff.; Koch / Rüßmann, Begründungslehre, S. 91 ff.; Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1125 ff.); Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 37 ff. 398 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 2. 399 Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 1; Schoch, Jura 2004, S. 462 (462). 400 Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 19; Hoppe, in: FS Menger, S. 747 f. 401 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 7; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 6. 402 Vgl. m.w. N. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 31; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 3 f. und Rn. 24.
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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V. Finalprogramme Die Planungsnormen, die die Verwaltung zur Planung ermächtigen, sind auf die Erreichung künftiger Ziele ausgerichtet. Planungsnormen sind gerade nicht auf die Verhaltenssteuerung gerichtet, sondern auf die Zielorientierung und Gestaltung der sozialen Umwelt angelegt. Planungsnormen seien daher final und nicht konditional programmiert. 403 Die Ziele werden dabei nicht durch eine Wenn-Dann-Struktur, sondern durch ein Zweck-Mittel-Schema determiniert. 404 Eine Aufteilung der Normen in Tatbestands- und Rechtsfolgenseite ist nach der Einordnung als finalprogrammierte Norm nicht möglich. 405 Folglich kann entsprechend der allgemeinen Ermessenslehre auch keine exakte Zuordnung des Ermessens zur Rechtsfolgenseite mehr möglich sein. 406 VI. Abgrenzung anhand der Normstruktur Der Begriff des Planungsermessens ist insofern eingängig, als er die bereits bekannte Einräumung gewisser Spielräume der Verwaltung beschreibt. 407 Nach der bisher überwiegenden Ansicht bestehen jedoch erhebliche Strukturunterschiede zwischen den Planungsnormen und den herkömmlichen Vorschriften, die der Verwaltung einen Ermessensspielraum einräumen. 408 Ein direkter Vergleich zeigt die Unterschiede deutlich auf. Die polizeiliche Generalklausel 409 räumt dem Rechtsanwender mit der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale einen Spielraum auf der Rechtsfolgenseite ein. 410 Entsprechend der herrschenden Er403
Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 47. 405 Eine a. A. geht im Gegensatz dazu aber davon aus, dass auch finalprogrammierte Normen in Tatbestandsseite und Rechtsfolgenseite aufgeteilt werden können. Siehe hierzu die Darstellung unten S. 79 ff. 406 Vgl. Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 20. 407 Vgl. Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 76 f. 408 Hoppe, in: FS Menger, S. 775; Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 19; Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 71; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 3; Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 76 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 63; siehe außerdem die Vorauflage, in der auf die Auffassung verwiesen wird, es bestehe ein qualitativer Unterschied zw. Verwaltungsermessen und Planungsermessen: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., § 7 Rn. 63; a. A. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 12 ff. u. 18. 409 Exemplarisch für alle Bundesländer: Gemäß §§ 1, 3 PolG Baden-Württemberg haben die Polizeibehörden nach pflichtgemäß ausgeübtem Ermessen und im Rahmen der geltenden Gesetze die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um den Einzelnen und die Allgemeinheit vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen; vgl. Würtenberger / Heckmann, Polizeirecht, 6. Aufl., Rn. 348. 410 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., § 3 Rn. 94 ff. 404
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
messenslehre 411 besteht auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl einzelner Rechtsfolgen. 412 Nach der herkömmlichen Ermessensdogmatik besteht kein Ermessen auf der Tatbestandsseite der Norm. Etwaige Handlungsspielräume auf der Tatbestandsseite werden nicht als Ermessen, sondern als Beurteilungsspielräume bezeichnet. 413 Im Gegensatz dazu lässt sich zum Beispiel bei der bauplanungsrechtlichen Abwägung eine bloße Reduzierung auf einen Spielraum hinsichtlich der Rechtsfolge nicht feststellen. 414 Bei den finalprogrammierten Normen ist eine Zuordnung zur Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite gerade nicht möglich. 415 Gemäß § 1 VII BauGB sind die erheblichen Belange abzuwägen und Interessengeflechte zu gestalten. Dieser Vorgang des Abwägens kann nicht ohne Weiteres in eine Tatbestandsseite und Rechtsfolgenseite aufgeteilt werden. 416 Ebenso wird man das kommunale Abstimmungsgebot nach § 2 II BauGB nicht einfach in einen Tatbestand und eine Rechtsfolge im Sinne der herkömmlichen Normstruktur einordnen können. 417 Bei der Planung kann der Planungsträger in einem gesetzten Rahmen sowohl Planungsziele als auch die Mittel zur Erreichung dieser Ziele frei wählen. 418 Die Planungsnormen tragen durch ihre besondere Normstruktur dieser zukunftsorientierten, finalen Handlungsweise Rechnung. 419 Der soeben gezogene Vergleich zu herkömmlichen Ermessensnormen zeigt, dass der gestalterische Spielraum bei der Planung nicht nur auf die Rechtsfolge beschränkt ist. 420 Als Reaktion auf diese strukturellen Unterschiede kann versucht werden, das sogenannte Planungsermessen als ein aliud von der herkömmlichen Ermessenslehre zu begreifen. Andererseits besteht die Möglichkeit, diese besonderen Normstrukturen in die Ermessensdogmatik zu integrieren. Nach einer beträchtlichen Meinung im Schrifttum und nach Ansicht der Rechtsprechung ist anhand dieser Strukturunterschiede das sogenannte Planungsermessen bzw. die planerische Gestaltungsfreiheit vom herkömmlichen Ermessen 411
Vgl. nur Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 1 ff. u. Rn. 27 ff. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 7; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 46. 413 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 26 f. 414 Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 10 ff.; Hoppe, DVBl. 1994, S. 1033 (1034 f.); Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn 71 ff. 415 Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 44; Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (641 ff.); Badura, in: FS 25 Jahre Bayer. Verfassungsgerichtshof, S. 167. 416 Vgl. Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 49. 417 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 77. 418 Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 71. 419 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 78 ff. 420 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 77. 412
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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abzugrenzen. 421 Ausgangspunkt dafür ist die herkömmliche Ermessensdogmatik. Danach sind Tatbestand und Rechtsfolge streng voneinander zu trennen. Vorbedingung dieser Kategorisierung ist die Unterscheidung von konditional- und finalprogrammierten Normen. 422 Folgt man der strukturellen Unterscheidung der Normen, könnte der Begriff Planungsermessen daher dahingehend missverstanden werden, dass dem Planungsträger nur Ermessen auf der Rechtsfolgenseite eingeräumt sei. Bei einer konsequenten Unterscheidung der Planungsnormen von den herkömmlichen Normen erscheint die Bezeichnung als Planungsermessen daher als zu ungenau. 423 Die strenge Unterscheidung von Beurteilungsspielraum und Rechtsfolgeermessen sowie die damit verbundene Kategorisierung einer Norm alternativ als Konditional- oder Finalprogramm führen schließlich dazu, dass das sogenannte Planungsermessen bzw. die planerische Gestaltungsfreiheit von der bisherigen Ermessensdogmatik ausgeklammert wird, denn in diese alternative Kategorisierung kann die planerische Gestaltungsfreiheit nicht eingepasst werden. 424 Die dogmatischen Einordnungsprobleme sprechen für eine terminologische Herausstellung und gegen die Verwendung einer vorbelasteten Bezeichnung. 425 Ausgehend von einer geänderten Ermessenslehre wird auch der Versuch unternommen die planerische Gestaltungsfreiheit dogmatisch in die Ermessenslehre einzubinden, in dem die der Ermessensdogmatik zugrunde liegende strenge Kategorisierung aufgegeben wird. 426 In der Literatur wird so zunehmend an der bisherigen Ermessenslehre 427 Kritik geübt. 428 Danach sei die der Ermessenslehre zugrunde liegende Unterscheidung in Tatbestands- und Rechtsfolgenseite sowie in Konditional- und Finalprogramme dogmatisch nicht durchzuhalten, was am Beispiel der administrativen Entscheidungsräume im Planungsrecht deutlich werde. 429 Die derart verstandene Ermessensdogmatik würde somit die planeri421 Vgl. Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (644); Hoppe, in: HdStR, § 71 Rn. 20; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 63; Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 71; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 10; BVerwGE 34, 301 (304); BVerwGE 48, 56 (59). 422 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 63. 423 Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (644); Hoppe rät hier dazu, den Begriff des Planungsermessens zu „vermeiden“; vgl. auch Hoppe, in: FS Menger, S. 748. 424 Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 10 u. 49. 425 Eine terminologische Änderung hat auch Maurer vollzogen. Während er in der Vorauflage die Überschrift „Das sog. Planungsermessen“ benutzte, heißt die Überschrift in der aktuellen Auflage „Planerische Gestaltungsfreiheit“. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., § 7 Rn. 63; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 63. 426 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 18. 427 Vgl. nur Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 1 ff. u. Rn. 27 ff. 428 Bereits Ehmke, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff; Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34, 1976, S. 221 (221 ff.).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
sche Gestaltungsfreiheit als Teil einer allgemeinen Ermessenslehre ansehen. 430 Die bisherige getroffene Unterscheidung sei eher fließend, nicht kategorial und nicht alternativ. 431 Die Ausgestaltung des Entscheidungsspielraums der Verwaltung als Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite oder als Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite sei austauschbar. 432 Die Zuordnung sei aus Sicht des Gesetzgebers schließlich eine bloße Frage der jeweils gewählten Gesetzesformulierung und austauschbar. 433 Jestaedt weist überzeugend darauf hin, dass ein und derselbe administrative Entscheidungsspielraum inhaltsgleich sowohl als Beurteilungsspielraum als auch als Ermessensvorschrift ausgestaltet werden kann. 434 Nach dieser Ansicht könne die Ermessensermächtigung ebenfalls als eine Ermächtigung zur Tatbestandsergänzung verstanden werden. 435 Bei der Einräumung eines planerischen Entscheidungsspielraums könnte dieser als eine Ermächtigung zur Tatbestandsbildung verstanden werden. 436 Das planerische, das finale Element sei demnach schließlich Teil des Tatbestands und nach diesem Verständnis Teil einer konditional strukturierten Norm. 437 Das besondere Charakteristikum der Finalprogramme bestehe dann in der Einräumung administrativer Entscheidungsfreiräume. 438 Folgt man dieser Ansicht, ist der Unterschied zwischen finalprogrammierter und konditionaler Norm fließend. 439 Bestärkt wird diese Aussage dadurch, dass es auch möglich sei, die final strukturierten Normen als konditional strukturiert zu lesen und umgekehrt. 440 Strukturelle und kategorische Unterschiede bestünden somit nicht mehr. 441 Der normstrukturelle Sitz 429
M.w. N. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 18. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 186 ff., 208 ff. 431 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 14. 432 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 15; vgl. auch Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 39 f. 433 Starck, in: FS Sendler, S. 168; zur Austauschbarkeit von Konditional- und Finalnormen bei Beibehaltung des Norminhalts: Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 39. 434 Vgl. die Darstellung Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 15 am Beispiel einer Gefahrenabwehrregelung zugunsten der Volksgesundheit. Als Beurteilungsermächtigung: „Wenn die Volksgesundheit gefährdet ist und Schutzimpfungen erfolgversprechend erscheinen, hat die Behörde Impfpflichten festzusetzen.“ Als Ermessensvorschrift: „Wenn die Volksgesundheit gefährdet ist, kann die Behörde Impfpflichten festsetzen.“ So auch schon Starck, in: FS Sendler, S. 168. 435 Bereits Koch / Rüßmann, Begründungslehre, S. 89, 90, 239. 436 So nach Koch / Rüßmann, Begründungslehre, S. 91 ff. Bei der Planung gebe es, wie zum Beispiel bei § 1 VI, VII BauGB (Fassung von 1976), keine Tatbestände. Daher handele es sich bei der Planung nicht um eine Tatbestandsergänzung, sondern um eine Tatbestandsbildung. 437 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 16 a. E. 438 So nach Koch / Rüßmann, Begründungslehre, S. 236. 439 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 286; a. A. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., Rn. 55. 430
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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des Entscheidungsfreiraums (als Beurteilungsspielraum oder als Ermessen) verliert dadurch seine Funktion zur Unterscheidung. Vielmehr bilde sich auf diese Weise ein einheitliches „Grundmodell eines administrativen Entscheidungsfreiraums“ 442 heraus, der auch die planerische Gestaltungsfreiheit erfasse. Sowohl nach dieser als auch nach den bisherigen Meinungen zur Abgrenzung der planerischen Gestaltungsfreiheit lässt sich der Inhalt der administrativen Entscheidungsfreiräume nicht positiv bestimmen. Eine Abgrenzung hilft bei der Bestimmung des Inhalts der planerischen Gestaltungsfreiheit nicht weiter, denn letztendlich besteht der Unterschied zwischen planerischer Gestaltungsfreiheit und dem allgemeinen Verwaltungsermessen in dem Umfang der administrativen Entscheidungsfreiheit – unabhängig von der dogmatischen Verortung. Ausgangspunkt der Abgrenzung zum allgemeinen Verwaltungsermessen sind daher die unterschiedlichen Entscheidungsspielräume verschiedener Weite. 443 Für die Gerichtskontrolle der planerischen Abwägung ist daher maßgeblich, inwieweit die planerische Gestaltungsfreiheit durch das Abwägungsgebot begrenzt wird und inwieweit eine Begrenzung verfassungsrechtlich geboten ist. 444 Wie soeben dargelegt, begründet nicht die Unbestimmtheit einer Norm den Umfang der planerischen Gestaltungsfreiheit und die damit einhergehende Reduktion der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. 445 Vielmehr stellt sich die Frage nach der Ermächtigung zur planerischen Gestaltungsfreiheit und deren Reichweite. VII. Eine besondere Zuweisung der Letztentscheidungsbefugnis Der Verwaltung werden in den final programmierenden Plangesetzen allgemeine Zielvorgaben und Abwägungsgrundsätze zur Durchführung der Planung vorgegeben. Darin liegt auch der Auftrag und ggf. die Ermächtigung an den Planungsträger, im Rahmen der planerischen Gestaltungsfreiheit das vorgegebene Planungsziel zu verwirklichen. 446 Standardfassungen solcher programmierenden Gesetze sind die sogenannten Abwägungsklauseln wie § 1 VII BauGB, § 17 I 440
Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 16; bereits anerkennend, dass typische Finalprogramme auch konditionale Elemente enthalten können: Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (644). 441 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 27. In die gleiche Richtung auch Starck, der die strenge Unterscheidung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen rechtstheoretisch und praktisch-dogmatisch für nicht haltbar ansieht: Starck, in: FS Sendler, S. 169. 442 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 27. 443 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 27: „graduell-quantitative Unterschiede“; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 208 ff.; vgl. auch Käß, Inhalt und Grenzen, S. 141. 444 Zum Abwägungsgebot vgl. unten § 5, S. 119 ff. 445 Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 479.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
FStrG, § 8 LuftVG. Diese Normen sind derart offen unter Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe formuliert, dass es in der Regel einer Auslegung und Konkretisierung der Norm bedarf. Der Gesetzgeber beschränkt sich dabei darauf, die von ihm vorgegebenen Ziele der zum Vollzug des Gesetzes berufenen Verwaltung zu überlassen. 447 So gibt der Gesetzgeber bspw. im Bauplanungsrecht dem Planungsträger auf, gemäß § 1 VII BauGB öffentliche und private Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Bei dieser Abwägung hat der Planer insbesondere die in § 1 VI BauGB genannten Belange zu berücksichtigen. So soll ein Bebauungsplan bspw. gemäß § 1 VI Nr. 4 BauGB der Erhaltung, Erneuerung und Fortentwicklung vorhandener Ortsteile dienen. Gleichzeitig sind allerdings auch die Belange des Umweltschutzes gemäß § 1 VI Nr. 7 BauGB gleichwertig zu berücksichtigen. Das BauGB enthält so Zielvorgaben, aber keine konkrete Handlungsanweisung an die Verwaltung. 448 Die Abwägung zwischen diesen Belangen ist im konkreten Fall dem Planungsträger überlassen. Die Rechtskonkretisierung durch die Verwaltung ist dabei aus drei Perspektiven zu betrachten; aus der Perspektive der auslegenden Verwaltung, der zur Letztkonkretisierung ermächtigten handelnden Verwaltung und der verwaltungsgerichtlichen Kontrollperspektive. 449 Zunächst stellt sich bei offen ausgestalteten Normen die Frage nach der Auslegung der Norm. Die Verwaltung soll dabei durch Auslegung Inhalt, Art und Umfang der vom Gesetzgeber vorgesehenen Rechtsanwendung bestimmen. Methodisch stellt die Auslegung reine Rechtserkenntnis dar, die der Verwaltung keinerlei Letztentscheidung überlässt. 450 Die Auslegung der Abwägungsklauseln hilft insofern nicht weiter, als dass sich dadurch keine abschließende Regelung ermitteln lässt; denn schließlich ist die konkrete Verwaltungsentscheidung nicht bereits vollständig in dem abstrakten-generellen Gesetz enthalten und bedarf daher der Konkretisierung auf den Einzelfall. 451 Eine konkrete Regelung lässt sich abstrakt-generellen Gesetzen insbesondere dann nicht entnehmen, wenn es darum geht, bestehende Interessenkollisionen aufzulösen, und der Gesetzgeber zur Bewältigung widerstreitender Interessengeflechte Abwägungs- und Optimierungsgebote 452 aufstellt. 453 Der Gesetzgeber hat sodann die Bewältigung des Konflikts nicht auf abstrakt-genereller Ebene gelöst, sondern hat die Lö446 447 448 449 450 451 452 453
M.w. N. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 478. Vgl. Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (982). Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 21. Vgl. auch Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 480. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 480 f. Zu den Optimierungsgeboten siehe unten § 4 B. II. 6. a), S. 107 ff. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 480.
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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sung dem Rechtsanwender ohne Vorgabe bzw. ohne anwendbare Kollisionsregeln überlassen. 454 Mit der Anordnung zur Abwägung hat der Gesetzgeber der Verwaltungsbehörde eine Entscheidungsstruktur zur Bewältigung nicht abschließend geregelter Konflikte an die Hand gegeben, eine konkrete Lösung beinhaltet allerdings auch diese nicht. 455 Danach sind von der Verwaltungsbehörde grds. die für den Entscheidungsprozess erheblichen Belange zu ermitteln, zu gewichten und abschließend in einen Ausgleich zu bringen. 456 Im nächsten Schritt auf der Konkretisierungsebene stellen sich zwei Fragen: In welchem Umfang ist der Ermächtigte zur eigenen Rechtskonkretisierung, verstanden als „rechtserzeugende Eigenleistung“ 457, befugt (Handlungsperspektive)? Und wem steht, aus der Kontrollperspektive, die Befugnis zur Letztkonkretisierung zu? 458 Daran bemisst sich letztendlich Art und Umfang der Gerichtskontrolle. Folglich handelt es sich hier nicht mehr um ein Problem der Rechtserkenntnis, sondern um ein Problem der Kompetenzzuweisung. 459 Diese Frage stellt sich sowohl beim Beurteilungsspielraum als auch beim Ermessen gleichermaßen. Die normstrukturelle Zuordnung der Letztentscheidungskompetenz zum Tatbestand oder auf die Rechtsfolgenseite spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. 460 Im Schrifttum wird daher auch ein umfassendes oder einheitliches Ermessen vertreten, welches auch den Beurteilungsspielraum erfasst. 461 Diese zwei Fragen stellen die konkrete Ausprägung der Gewaltenteilung im doppelten Sinn dar. 462 Die Ermächtigung der Verwaltungsbehörde, im Rahmen des Gesetzeszwecks eine eigene konkrete Entscheidung zu treffen, bestimmt das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive (oben als Handlungsperspektive bezeichnet). Da das eigenständige Verwaltungshandeln entsprechend Art. 20 III GG dem Gesetzmäßigkeitsprinzip und gemäß Art. 19 IV GG der Rechtsschutzgarantie unterliegt, wird gleichzeitig das Verhältnis von Exekutive und Judikative mitbestimmt und kommt in der Frage der Letztentscheidungskompetenz zum Ausdruck. 463 Mit der Ermächtigung zur Letztentscheidung ist in der Regel eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle verbunden, da dann ausnahmsweise 454
Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 480 f. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 481. 456 Zu den Anforderungen der Abwägung siehe unten § 5, S. 119 ff., insbes. S. 122 ff. 457 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 31. 458 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 21. 459 Vgl. Ossenbühl, in: FS Redeker, S. 61. 460 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 21. 461 Vgl. Starck, in: FS Sendler, S. 167; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 4. Kap. Rn. 48. 462 Starck, in: FS Sendler, S. 172; vgl. auch Bullinger, JZ 1984, S. 1001 (1001); Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 33. 463 Vgl. oben § 2 B., S. 49 ff.; siehe auch Bullinger, JZ 1984, S. 1001 (1003 ff.). 455
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den Gerichten die letzte Entscheidung nicht zusteht. 464 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die Konkretisierungsentscheidung der Verwaltung zu respektieren, soweit sich diese im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung hält. 465 Die Unterscheidung in Handlungs- und Kontrollperspektive macht aber auch deutlich, dass (a) der Verwaltung Konkretisierungskompetenzen zugewiesen werden können und (b) damit nicht notwendigerweise eine Beschränkung der Gerichtskontrolle einhergehen muss. Denn diese muss vom Gesetzgeber erst einmal angeordnet werden. 466 Eine neuere Ansicht verzichtet zur Verdeutlichung dieses Verhältnisses auf die herkömmlichen Begriffe Ermessen und Beurteilungsspielraum. Danach handele es sich um administrative Entscheidungsfreiräume mit Letztentscheidungsmacht oder um administrative Letztentscheidungsermächtigungen 467. Worin die Ermächtigung für die administrative Handlungskompetenz und die Ermächtigung zur Letztentscheidung liegt, wird unterschiedlich beurteilt. 1. Normative Ermächtigungslehre 468 Ausgangspunkt ist der Grundsatz der vollständigen gerichtlichen Kontrolle allen Verwaltungshandelns. Ausnahmsweise besteht eine Kontrollbegrenzung hinsichtlich der Kontrollintensität. Wann dies der Fall ist, soll in den einzelnen einschlägigen Gesetzestatbeständen geregelt sein. 469 Die Kontrollbeschränkung muss vom Gesetzgeber anerkannt und durch Auslegung ermittelbar sein. 470 Demnach folgt eine administrative Handlungskompetenz, nach dieser Ansicht, gerade nicht aus der Natur der zu regelnden Sache, nicht aus der Normstruktur, nicht aus besonderer Sachkunde und auch nicht aus dem prognostischen Charakter einer Entscheidung, sondern aus der materiell-rechtlichen Ermächtigung. 471 Diese Ermächtigung soll zudem dem Gesetzesvorbehalt genügen. 472 Kritiker der normativen Ermächtigungslehre weisen jedoch darauf hin, dass die Gesetze in den wenigsten Fällen derart beschaffen seien, dass ihnen mit der hinreichenden Sicherheit die jeweilige Ermächtigung entnommen werden könne. 473
464 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 188; Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 30 f. 465 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 33. 466 Vgl. die Darstellung bei Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 33. 467 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 188. 468 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS Scholz, S. 549 ff. 469 BVerwGE 100, 221 (225 f.). 470 BVerwGE 94, 307 (309 f.). 471 So Ossenbühl, in: FS Redeker, S. 63 f.; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 33 mit kritischen Anmerkungen zur normativen Ermächtigungslehre. 472 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 34. 473 Zur Kritik vgl. Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 33.
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2. Ermächtigung zur Letztentscheidung nach dem Entscheidungstyp Die Rechtsprechung und Teile der Literatur stellen bei der Einräumung der Gestaltungsfreiheit vorrangig auf die zugrunde liegende Materie ab. Aufgrund der komplexen Sachstruktur, der Multipolarität der Entscheidung und der mannigfaltig miteinander kollidierenden Rechtsbeziehungen wird der planenden Gemeinde von der Rechtsprechung aufgrund der beschriebenen besonderen Sachstruktur die Gestaltungsfreiheit eingeräumt. 474 Mit der Zuordnung der Verwaltungsentscheidung zur Planung erhält die Gemeinde somit die erforderliche Gestaltungsfreiheit eingeräumt. 475 Unproblematisch ist auch diese Ansicht nicht. Die Ableitung rechtlicher Folgen aus der faktischen Eigenart der Planung ermöglicht häufig eine plausible Verteilung von Letztentscheidungsbefugnissen. Dabei darf der grundsätzliche Unterschied von Sein und Sollen nicht außer Acht gelassen werden. 476 Die planende Gemeinde kann die abschließende Abwägungsentscheidung immer nur mit Rücksicht auf die konkrete Planungssituation und die konkrete Besonderheit der Interdependenz der Belange bei der Planung treffen. Die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse, die der Planung zugrunde liegen, bestimmen dabei konkret auch die Reichweite der planerischen Gestaltungsfreiheit. 477 3. Auswirkungen auf die Bestimmung der Reichweite der planerischen Gestaltungsfreiheit Nach beiden Ansichten lässt sich festhalten, dass der planenden Verwaltung neben der Handlungskompetenz zur rechtserzeugenden Rechtskonkretisierung auch die Kompetenz zur Letztentscheidung im Verhältnis zur Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeräumt werden muss. Unabhängig davon, ob diese Ermächtigung normativ bestimmbar oder anhand der Zuordnung zum Planungsrecht erfolgt, bewegt sich die planerische Gestaltungsfreiheit stets in dem Feld, das nur negativ definiert wird. Eine positive Aussage über den Inhalt der planerischen Gestaltungsfreiheit enthält allerdings auch die Ermächtigung nicht. 478 Im Folgenden soll daher konkret auf die planerische Gestaltungsfreiheit in der Bauleitplanung eingegangen werden, da es keine abstrakte positive Feststellung der planerischen Gestaltungsfreiheit gibt. 474 BVerwGE 34, 301 (304); BVerwGE 48, 56 (59); vgl. auch Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 38 f.; Hoppe, in: FS Scupin, S. 121 ff.; Hoppe, in: FS Menger, S. 747 ff., insbesondere S. 776 f.; Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 31. 475 Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, § 10 Rn. 44; vgl. Ossenbühl, in: FS Redeker, S. 61 f. 476 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 46. 477 Vgl. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 46 f. 478 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 38.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
E. Auswirkungen der Gestaltungsfreiheit auf die Kontrolldichte bei der Überprüfung von Bebauungsplänen I. Kontrollfreistellung oder Kontrollreduktion Mit der Einräumung der Gestaltungsfreiheit gemäß Art. 28 II GG, § 2 I BauGB wird der Gemeinde im Bauplanungsrecht in der Regel auch gegenüber den Verwaltungsgerichten ein gewisses Maß an administrativer Letztentscheidungsbefugnis eingeräumt. 479 Diese Letztentscheidungsermächtigungen reduzieren die Intensität der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. 480 Freigestellt ist die Verwaltung von einer Kontrolle aber nicht; denn die Einräumung eines Entscheidungsfreiraums ist niemals schrankenlos. Nur punktuell kann von einer Kontrollfreistellung gesprochen werden, nämlich dann, wenn es um Aspekte der Verwaltungsentscheidung geht, die von der Ermächtigung zur Letztentscheidung erfasst werden. 481 Folgt man der normativen Ermächtigungslehre, muss zur Wahrung subjektiv-öffentlicher Rechte gemäß Art. 19 IV GG die Verwaltung ihre Letztentscheidungsbefugnis in einer ermächtigungszweckkonformen und beurteilungsfehlerfreien / ermessensfehlerfreien Weise ausüben. 482 Die Rechtsschutzgewährleistung aus Art. 19 IV GG gewährt eine vollumfängliche Kontrolle der öffentlichen Gewalt, 483 wobei sich vollumfänglich auf den Kontrollmaßstab, an dem die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung gemessen wird, bezieht. 484 Im Wege des Individualrechtsschutzes sichert Art. 19 IV GG so die von Art. 20 III GG angeordnete Gesetzesbindung der Verwaltung. Ist die Verwaltung bei ihrer Entscheidung nicht fremdprogrammiert, besteht in diesem Rahmen keine Gesetzesbindung der Verwaltung. 485 Daher bedürfe es bei der Einräumung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen auch keiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Hinblick auf Art. 19 IV GG. 486 Andere sehen in der Einräumung der Letztentscheidungsbefugnis eine Lockerung der Gesetzesbindung. 487 Anders als nach der ersten Ansicht besteht 479
Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 72. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 4. Kap. Rn. 69; grundlegend auch BVerwGE 34. 301 (304); BVerwGE 45, 309 (318); vgl. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (298). 481 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 41. 482 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 38. 483 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 255. 484 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 38. 485 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 38; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 184; so auch Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 62. 486 Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 38; a. A. vgl. m.w. N. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 258. 480
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hier eine, wenn auch gelockerte, Gesetzesbindung fort. Demnach gilt die von Art. 19 IV GG geforderte Vollumfänglichkeit der Rechtmäßigkeitskontrolle anhand der gelockerten Maßstäbe fort. 488 Findet eine vollumfängliche Kontrolle auch aufgrund der gelockerten Gesetzesbindung nicht statt, bedarf es folglich einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. 489 Nach dieser Ansicht besteht zudem keine Grenze richterlicher Kontrolle, wo die Fremdprogrammierung aufhört. Denn die öffentliche Verwaltung ist auch auf der Kontrollseite durchgängig an das Recht gebunden; dort, wo das einfache Recht keine Maßstäbe vorgibt, gilt die Bindung an Art. 1 III, Art 20 III GG fort. 490 Die Besonderheiten der Planung vermögen es nicht allein, einen Eingriff in Art. 19 IV GG zu rechtfertigen. 491 Der Planbetroffene muss in der Lage sein, seine subjektiv-öffentlichen Rechte gemäß Art. 19 IV GG vor einem Gericht zu verteidigen. 492 Die Respektierung der bestehenden planerischen Gestaltungsfreiheit verlangt es daher, sich an einer Verfahrens- und materiellen Plausibilitätskontrolle zu orientieren, entsprechend der Fehlerlehre der Ermessenskontrolle. 493 Das BVerwG hat im Bauplanungsrecht ein differenziertes Kontrollsystem entwickelt, das über die Ermessensfehlerlehre hinausgeht. 494 Die planerische Gestaltungsfreiheit wird in einem System von Schranken näher ausgestaltet. Dieses Schrankensystem ist in formell-rechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht ausdifferenziert. 495 Dabei werden die verschiedenen rechtlichen Bindungen auf den verschiedenen Ebenen des Planungsvorgangs berücksichtigt. 496 Dieses sehr ausdifferenzierte System soll dem Erfordernis der Vollumfänglichkeit der Gerichtskontrolle aus Art. 19 IV GG entsprechen und gleichzeitig die Kompetenz zur planerischen Gestaltungsfreiheit ausreichend berücksichtigen. 497 Die Kontrolldichte ist folglich dort eingeschränkt, wo die Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit keine ausreichenden Kontrollmaßstäbe mehr bilden, bzw. ermöglicht den Verwaltungsgerichten eine begrenzte Rechtsanwendungskontrolle, ohne die Planungsentscheidung selbst zu treffen. 498 Die Frage nach der Reich487
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 6. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 7 Rn. 6. 489 Vgl. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 257. 490 Vgl. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 258. 491 Vgl. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 267. 492 Vgl. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 267. 493 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 96; Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (644 f.). 494 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 209; vgl. auch unten § 4, S. 93 ff. u. § 5, S. 119 ff. 495 Vgl. für die Fachplanung m.w. N. BVerwGE 56, 110 (117). 496 BVerwGE 56, 110 (118). 497 Vgl. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 266 f. 498 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 4. Kap. Rn. 69; im Ergebnis auch Sachs, in: Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 19 Rn. 146. 488
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
weite der Kontrollintensität ist nach allen Ansichten jeweils im konkreten Fall zu stellen. Die Kontrolldichte ist nicht fest vorgegeben, sondern kann von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. 499 Die Kontrollmaßstäbe variieren dementsprechend. 500 II. Die Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit in der Bauleitplanung Die sich in der Normstruktur der Planungsnormen niederschlagende Gestaltungsfreiheit hat dazu geführt, dass im Bauplanungsrecht versucht wird, die richterliche Kontrollproblematik in Orientierung an die Normstruktur zu bewältigen. 501 In einem Katalog sind in § 1 V, VI BauGB die in die Abwägung einzustellenden Belange aufgelistet. Die in die Abwägung einzustellenden Belange sind dabei nach Ansicht der Rechtsprechung 502 als unbestimmte Rechtsbegriffe ausgestaltet, die sowohl in ihrer Auslegung als auch in ihrer Anwendung uneingeschränkt gerichtlich kontrollierbar sind. 503 Methodisch stellt die Auslegung dieser Belange eine reine Rechtserkenntnis, d. h. eine reine durch den Gesetzgeber gesteuerte Rechtsanwendung dar. 504 Diese Rechtsanwendung ist gerichtlich voll kontrollierbar. 505 Die Abwägung der Belange dagegen fällt in den Bereich der planerischen Gestaltungsfreiheit und ist somit nur beschränkt kontrollierbar. 506 Normtheoretisch wird diese Kontrollbeschränkung mit dem fehlenden subsumierbaren Tatbestand des § 1 VII BauGB begründet. 507 Vielmehr werde in den Planungsnormen nur ein Ziel vorgegeben, welches durch die Verwaltung konkretisiert werden soll. Ein subsumierbarer Tatbestand sei darin nicht enthalten. Beispielsweise lässt sich im BauGB ohne Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten anhand einiger Tatbestandsmerkmale nicht bestimmen, 499
Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 32. Zur genaueren Bestimmung der Kontrolldichte vgl. unten § 4, S. 93 ff. u. § 5, S. 119 ff. 501 Ossenbühl, in: FS Redeker, S. 60. 502 BVerwGE 45, 309 (323); a. A. Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (641 ff.); Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34, 1976, S. 221 (254 ff., insbes. Fn. 115.). 503 Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 1 Rn. 50; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 98. 504 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 20; BVerwGE 45, 309 (323). 505 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 102. 506 Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 1 Rn. 50, Rn. 89 ff., Rn. 102 ff. 507 Vgl. bei Rubel, Planungsermessen, S. 64 ff.; vgl. auch Ossenbühl, in: Gutachten, S. 161 ff. 500
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wann und wo ein Bebauungsplan auszuweisen ist, wie die einzelnen Grundstücke zueinander genutzt werden sollen. 508 Daher muss der Gesetzgeber die Planungsnormen im BauGB derart offen ausgestalten und die Konkretisierung der jeweiligen Planungsinstanz überlassen. Da die Planungsnormen aufgrund der offenen Ausgestaltung keine tauglichen Kontrollmaßstäbe bieten können, bedarf es anderer Kontrollmaßstäbe, die eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle ermöglichen. 509 Als weitere Rechtsfindungsmethode wird daher im Planungsrecht neben der Subsumtion die Abwägung gesehen, 510 welche die notwendigen Kontrollmaßstäbe bzw. Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit liefern soll. Das BVerwG bleibt dabei aber bei der herkömmlichen Trennung von Rechtsfolge und Tatbestandsseite. Dabei wird die planerische Gestaltungsfreiheit in die Nähe des Rechtsfolgeermessens entsprechend § 114 VwGO gerückt. Erst die abschließende Abwägungsentscheidung sei nicht mehr durch Subsumtion ableitbar und folglich nicht völlig kontrollierbar. Auf der Tatbestandsseite geht das BVerwG weiter von voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen aus. 511 Teilweise wird eine Konditionalisierung der Planungsnormen vorgenommen. Danach sei durch Planungsleitsätze und Optimierungsgebote die Planungsentscheidung besser vorausbestimmbar und besser kontrollierbar. Letztendlich hat die Rechtsprechung dennoch die von den Planungsnormen in ihrer Struktur vorausgesetzte planerische Gestaltungsfreiheit zu berücksichtigen, sofern diese der Verwaltung vom Gesetzgeber eingeräumt wurde. Dieses heißt nach Di Fabio: „[...] den Direktionsgehalt planungsrechtlicher Normen nicht zu überschätzen“ 512. Folglich ist die Kontrolldichte erst einmal durch die besondere Kompetenzzuweisung beschränkt, was auch in geringen Kontrollmaßstäben seinen Niederschlag findet. Im Ergebnis wird damit zwischen Handlungsnormen und Kontrollnormen unterschieden, wobei davon ausgegangen wird, dass dem Planungsträger autonome Elemente eingeräumt sind, die sich der Gerichtskontrolle entziehen. Die Kontrolldichte bestimme sich daher nach den verschiedenen Entscheidungsstufen und nach der konkreten Situation im jeweiligen Kontext. 513 Nach der Ansicht, die nicht mehr von der Unterscheidung von Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen, sondern von einem einheitlichen Ermessen und den sogenannten administrativen Letztentscheidungsermächtigungen ausgeht 514, stellt sich die Frage 508
Vgl. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 3. Zu den Voraussetzungen einer Gerichtskontrolle vgl. oben § 2, S. 48 ff. 510 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 11. 511 BVerwGE 45, 309 (323). 512 Di Fabio, in: FS Hoppe, S. 82. 513 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 90 ff.; 98 ff.; 105 ff.; 116, 121 ff. 509
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
nach der Überprüfung der unbestimmten Rechtsbegriffe, zum Beispiel in § 1 VI BauGB. Nach der Auffassung des BVerwG sind die unbestimmten Rechtsbegriffe grundsätzlich voll kontrollierbar, nur im Ausnahmefall soll eine Einschränkung der Kontrolle möglich sein. 515 Gemäß der Vorstellung eines einheitlichen Grundmodells eines administrativen Entscheidungsfreiraums erstreckt sich dieser sowohl auf den unbestimmten Rechtsbegriff und die Zuordnung eines Beurteilungsspielraums als auch auf das Rechtsfolgeermessen. 516 Zu unterscheiden seien die Freiräume danach, ob dem administrativen Entscheidungsfreiraum eine Befugnis zur Letztentscheidung eingeräumt sei. Im Grunde genommen geht es in der herkömmlichen Terminologie darum, ob es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum 517 handelt. 518 Im Einzelfall muss daher geprüft werden, ob ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum vorliegt, was in der Regel nicht der Fall ist. 519 Die bereits in den §§ 1 V, VI BauGB erwähnten unbestimmten Rechtsbegriffe sind keine mit Beurteilungsspielraum, 520 also nach dieser Ansicht administrative Entscheidungsfreiräume ohne Letztentscheidungskompetenz, die ebenfalls gerichtlich voll kontrollierbar sind. 521 Das BVerwG hat Kontrollmaßstäbe entwickelt, die je nach Entscheidungsstufe eine höchstmögliche gerichtliche Kontrolle ermöglichen, welche gleichzeitig die planerische Gestaltungsfreiheit des Planträgers ausreichend berücksichtigen soll.
F. Zusammenfassung § 3 In einem Bebauungsplan müssen viele Einzelentscheidungen aufeinander abgestimmt werden. Brohm spricht von Mosaiksteinchen, die zu dem Bild, einem einheitlichen Ganzen, zusammengefügt werden müssen. 522 Die planende Gemeinde hat dabei alle gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen, auch zukunftsgerichtet und unter Berücksichtigung aller betroffenen Rechtsbeziehun514
Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 188. BVerwGE 94, 307 (309); BVerwGE 100, 221 (225). 516 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 27. 517 Vgl. zur sog. Lehre vom Beurteilungsspielraum: Bachof, JZ 1955, S. 97 (98 ff.); Bachof, in: Götz / Klein / Starck – Göttinger Symposium, S. 179 f.; Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 16 f. 518 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 33. 519 Vgl. Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, § 31 Rn. 19 f. 520 Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 1 Rn. 50. 521 Vgl. Jestaedt, in: Erichsen / Ehlers, 14. Aufl., § 11 Rn. 33. 522 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 2. 515
§ 3 Bauplanung und Planungsprozess
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gen, in einen Ausgleich zu bringen. Hierzu bedarf es der Gestaltungsfreiheit der Gemeinde. Die Gemeinde hat aufgrund der zugrunde liegenden komplexen Sachstruktur eine ausreichende Informationsbasis für die zu treffende planerische Entscheidung zu schaffen. Dies zeigt sich in der Forderung nach einer richtigen und vollständigen Zusammenstellung des Abwägungsmaterials gemäß §§ 1 VI, VII BauGB. In einem nächsten Schritt sind dann die Belange in Relation zueinander zu setzen. Die Bauleitplanung ist damit ihrem Wesen nach ein final determinierter Vorgang, der sich einer vorherigen umfassenden inhaltlichen Normierung verschließt. Bereits in seiner Leitentscheidung zur Bauleitplanung hat das BVerwG festgestellt, dass mit der Befugnis zur Planung ein gewisser Spielraum mit einhergehen muss; denn Planung ohne Gestaltungsfreiheit sei ein Widerspruch in sich. 523 Die planerische Gestaltungsfreiheit erfasst damit sowohl die Ermächtigung zur Planung als auch den Inhalt der Planung mit den erforderlichen Entscheidungsfreiräumen. Die Normen, die darauf gerichtet sind, den Planungsvorgang und das Planungsergebnis zu steuern, enthalten keinen abschließend programmierten Tatbestand, sondern fordern eine Abwägung. Die §§ 1 VI, VII BauGB stehen exemplarisch für diesen Normtyp, der den Ausgleich sich widerstreitender Belange über eine Abwägung anordnet. Die planerische Gestaltungsfreiheit bewirkt, dass der Planungsträger in einem gesetzten rechtlichen Rahmen sowohl die Planungsziele als auch die Mittel zur Erreichung dieser Ziele frei wählen kann. Das in § 1 VII BauGB verankerte Abwägungsgebot verwirklicht und begrenzt die planerische Gestaltungsfreiheit zugleich. Der Planungsträger hat gemäß § 1 VII BauGB öffentliche und private Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Aus dieser Regelung lässt sich auch nicht durch Auslegung eine abschließende Regelung für den konkreten Fall ermitteln. Die konkrete Verwaltungsentscheidung ist nicht vollständig in dem abstrakt-generellen Gesetz enthalten. Das Gesetz beinhaltet in diesem Fall lediglich eine Entscheidungsstruktur mit den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine gerechte Abwägung der Belange, die auch die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit markieren. Beispielsweise enthält das BauGB zu berücksichtigende Zielvorgaben wie Belange des Umweltschutzes, aber auch Belange der Fortentwicklung einer Ortschaft. Kollidieren diese Belange, enthält das Gesetz keine Handlungsanweisung an die planende Verwaltung. Lediglich das Abwägungsgebot enthält für solche Fälle eine Entscheidungsstruktur. Aus der Handlungsperspektive stellt sich dennoch für den normanwendenden Planungsträger die Frage: In welchem Umfang ist die planende Verwaltung zur eigenen Rechtskonkretisierung – verstanden als rechtserzeugende Eigenleistung – befugt? Aus der Kontrollperspektive stellt sich die Frage: Wer ist zur Letztkonkretisierung befugt? Diese Fragen sind die konkrete Ausprägung der Gewaltenteilung. Mit der Ermächtigung zur Letztentscheidung ist in der Regel eine Beschränkung der 523
BVerwGE 34, 301 (304).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
gerichtlichen Kontrolle verbunden, da in diesem Fall den Gerichten ausnahmsweise die letzte Entscheidung nicht zusteht. Die Verwaltungsgerichte haben die Konkretisierungsentscheidung der Verwaltung zu respektieren, soweit sich diese im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halten und soweit mit der Ermächtigung gleichzeitig eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle angeordnet wird. Der Inhalt der planerischen Gestaltungsfreiheit, der den Umfang der eigenen Rechtskonkretisierung der Verwaltung bestimmt, lässt sich nicht positiv, sondern nur negativ über die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit bestimmen. Die planerische Gestaltungsfreiheit unterscheidet sich vom allgemeinen Verwaltungsermessen in dem unterschiedlichen Umfang der administrativen Entscheidungsfreiheit. Das BVerwG hat im Bauplanungsrecht ein differenziertes Kontrollsystem entwickelt, dass über die Ermessensfehlerlehre hinausgeht. Die planerische Gestaltungsfreiheit wird in einem System von Schranken näher ausgestaltet. Dieses sehr ausdifferenzierte System soll dem Erfordernis der Vollumfänglichkeit der Gerichtskontrolle staatlichen Handelns aus Art. 19 IV GG entsprechen und gleichzeitig die Ermächtigung zur planerischen Gestaltungsfreiheit ausreichend berücksichtigen. Die Kontrolldichte reicht bei der Kontrolle dementsprechend von einer Evidenz- über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle. Die in die Abwägung einzustellenden Belange in den §§ 1 V, VI BauGB sind als unbestimmte Rechtsbegriffe in ihrer Auslegung und Anwendung voll inhaltlich überprüfbar. Die Abwägung der Belange ist dementsprechend in der Kontrolle nur beschränkt kontrollierbar. Hier besteht keine Kontrollfreistellung, sondern eine grobmaschigere Kontrolle infolge der Lockerung der Kontrollmaßstäbe. Pläne und Planungen ergehen in verschiedenen Rechtsformen. Der Bebauungsplan wird am Ende des Planaufstellungsverfahrens als Satzung beschlossen. Als Satzung wäre ein Bebauungsplan grundsätzlich dem üblichen Rechtsregime der Rechtsform Satzung unterworfen. Ein Vergleich zum Rechtsregime einer herkömmlichen Satzung zeigt aber, dass für den Bebauungsplan ein eigenständiges Aufstellungsverfahren in den §§ 2 ff. BauGB normiert ist. Komplementär zu dem eigenständigen Verfahren sehen die §§ 214 ff. BauGB ein eigenständiges Fehlerfolgensystem vor, welches insbesondere die Fehler bei der planerischen Abwägung nach § 1 VII BauGB berücksichtigt.
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle A. Die Systematik der anzulegenden Kontrollmaßstäbe Ausgangspunkt ist die aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit beschränkte gerichtliche Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Der verringerten Kontrolldichte entspricht ein System an Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit, welches dem Schutz subjektiver Rechte genügen soll. 524 Aus dem BauGB lassen sich dabei unterschiedliche Rechtsbindungen entnehmen, die für die Planungsentscheidung den erforderlichen Kontrollmaßstab bilden. Hinsichtlich der Systematisierung der Kontrollmaßstäbe bestehen verschiedene Ansätze. Grob dargestellt bestehen drei Kontrollebenen der jeweiligen Planungsentscheidung. 525 Zuallererst bilden rechtsverbindliche Zielprogramme den ersten Maßstab. Danach stehen sogenannte „Beachtens- / Berücksichtigungspflichten“ 526, welche auch als „Planungsleitsätze“ 527 bezeichnet werden, und schließlich folgt das Abwägungsgebot aus § 1 VII BauGB. 528 Während in der Literatur und Rechtsprechung 529 diese unterschiedlich intensiven Gesetzesbindungen identifiziert werden, bestehen vor allem terminologische Differenzen bei der Bestimmung der Kontrollmaßstäbe. 530 Es bestehen darüber hinaus unterschiedliche systematische Einordnungen. Brohm unterscheidet, in konsequenter Fortführung der Einordnung der planerischen Gestaltungsfreiheit als Planungsermessen, zwischen äußeren und inneren Ermessensgrenzen. 531 Danach seien die äußeren Ermessensgrenzen der Rahmen, der dem Ermessen der Verwaltung durch Gesetz gezogen wird. 532 Diese Gesetze seien zwingende Vorgaben, die erfüllt sein müssten, bevor die Verwaltung mit den Ermessenserwägungen überhaupt beginnen könne. 533 Die inneren Ermessensgrenzen befinden sich demnach innerhalb des Ermessensrahmens. Hierunter 524
Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 209 f., insbes. Rn. 211. So nach Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101 f. 526 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101 f. 527 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 12 u. 24 ff. 528 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101 f. 529 BVerwGE 34, 301 (308 f.); BVerwGE 45, 309 (323): Entsprechend dieser Rechtsprechung werden die generellen Planungsziele gemäß § 1 V BauGB und die gesetzlich aufgeführten Belange aus § 1 VI BauGB als vollkontrollierbare unbestimmte Rechtsbegriffe angesehen. Die reduziertere Kontrolle erfolgt nach der Rechtsprechung bei der Kontrolle der Abwägung. Siehe hierzu ferner unten § 5 B., S. 122 f. 530 Zur terminologischen Unklarheit vgl. nur Hoppe, UPR 1995, S. 201 (201 ff.). 531 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 5 ff. u. §§ 12, 13. 532 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 7. 525
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
fallen sodann die für das Planungsrecht modifizierten Fehler der Ermessensfehlerlehre. 534 Unter einer anderen Systematisierung geht Brohm folglich, so wie Krebs, von einem der eigentlichen Planungsentscheidung vorgelagerten oder auch vorbereitenden Bereich aus. In diesem bilden strikte Normen sowohl die Handlungs- als auch die Kontrollmaßstäbe. Diese Normen, die in der Grobeinteilung unter „Beachten- / Berücksichtigungspflichten“ 535 zu verstehen sind, fallen nach Brohm in die äußere Ermessensgrenze. Zu berücksichtigen ist nach der oben gefolgten Grobeinteilung zunächst das verbindliche Zielprogramm bestehend aus Oberzielen und Unterzielen aus § 1 V BauGB und aus § 1 I, III BauGB. 536 Diese sind derart abstrakt und final formuliert, dass sie eher negativ abgrenzen, welche Ziele mit der jeweiligen Planung nicht angestrebt werden dürfen. Als erster Schritt bestimmen sie damit den „spezifischen Abwägungsraum“ 537, dessen Grenzen nicht überschritten werden dürfen. 538 Anhand dieses Kontrollmaßstabs können die Verwaltungsgerichte vorab überprüfen, ob das planerische Instrumentarium zugunsten der vorgesehenen Ziele angewendet wurde. 539 Während die normtheoretische Unterscheidung zwischen Final- und Konditionalprogrammen 540 zur Begründung der Gestaltungsfreiheit nicht zielführend ist, kann die unterschiedliche Normstruktur zur Systematisierung der Kontrollmaßstäbe fruchtbar gemacht werden. 541 So differenziert Hoppe bei der Bestimmung der Kontrollmaßstäbe zwischen konditional programmierten gesetzlichen Vorgaben, die zwingend bei der Planung zu berücksichtigen sind, und weniger verbindlichen, der Subsumtion nicht zugänglichen Planvorgaben. 542 Begrifflich 533
Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 7. Vgl. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 8. 535 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101 f. 536 Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 119 f.; Erbguth / Wagner, Grundzüge des öffentlichen Baurechts, 4. Aufl., § 5 Rn. 119 f. Erbguth / Wagner sehen in § 1 V BauGB „generelle Planungsziele“. Diese werden durch die Ziele in § 1 I, III BauGB ergänzt bzw. vervollständigt: Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 102. 537 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 173. 538 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 102. Ähnlich auch Brohm, der diese allgemeinen Ziele als zu unbestimmt betrachtet. Daher seien damit nur extreme Fehlgriffe rechtlich auszuschließen. Die allgemeinen Planungsziele werden nach Brohm durch konkretere Zielbestimmungen ergänzt und fließen in die Abwägung (innere Ermessensgrenze) mit ein. Vgl. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 9. 539 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 102. 540 Vgl. hierzu die Ausführungen § 3 B. III. 541 Vgl. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 52. 534
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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unterscheidet er die Normtypen (konditional- / finalprogrammiert) in „Planungsleitsätze und Abwägungsnormen“. 543 Planungsleitsätze sind demnach zwingende rechtliche Regelungen, die ihrem Inhalt nach keine Gestaltungsfreiheit eröffnen und in der Abwägung auch nicht überwunden werden können. 544 Die Rechtskonkretisierung erfolgt bei den Planungsleitsätzen über die Subsumtionsmethode. Im Ergebnis besteht nach allen Ansichten eine Reihe von Kontrollmaßstäben aus zwingenden Rechtsnormen, die vollständig durch die Verwaltungsgerichte überprüfbar sind. Es handelt sich dabei um Konditionalnormen, welche als „äußere Ermessensgrenze“ 545, als „Beachtens- / Berücksichtigungspflicht“ 546 oder als „Planungsleitsätze“ 547 bezeichnet werden. Gemeinsam beschreiben diese Begrifflichkeiten zwingende gesetzliche Regelungen, die der eigentlichen gestalterischen Entscheidung vorgelagert sind und die Entscheidung in gewisser Weise vordeterminieren. Diese strikt zu beachtenden planerischen Vorgaben sind somit auch der Abwägung gemäß § 1 VII BauGB entzogen, denn diese zu berücksichtigenden Vorgaben sind folglich nicht zugunsten anderer Belange relativierbar. 548 Die Abwägungsnormen sind nach Hoppe final strukturiert und wegen eines fehlenden Tatbestands schon daher nicht der Subsumtionsmethode zugänglich. Diese steuerten die Abwägung viel mehr und kommen nach der oben gefolgten Grobeinteilung erst im Rahmen der Abwägung an sich zum Tragen. 549 Mit seiner Terminologie knüpft Hoppe dabei an die Rechtsprechung des BVerwG im Planungsrecht an. 550 Die Rechtsprechung geht bei den „Planungsleitsätzen“ von unbestimmten Rechtsbegriffen aus, die bei der Gerichtskontrolle sowohl in ihrer Auslegung als auch in ihrer Anwendung voll nachprüfbar sind. 551 Diese Systematik der Kontrollmaßstäbe geht bereits auf die Leitentscheidung des BVerwG zum Abwägungsgebot zurück, wonach das BVerwG die in die Abwägung einzustellenden Belange (§ 1 VI BauGB) und andere Planungsleitsätze als voll kontrollierbare Maßstäbe festgelegt hat. 552 Der kontrollkritischere 542
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 18 ff. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 11 ff. u. Rn. 21 ff. 544 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 21; vgl. zur Planfeststellung auch Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 183. 545 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 7. 546 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 103. 547 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 21; vgl. zur Planfeststellung auch Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 183. 548 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 103. 549 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 11 ff. 550 Vgl. BVerwGE 71, 163 ff. 551 BVerwGE 34, 301 (308); BVerwGE 45, 309 (324). 552 BVerwGE 34, 301 (308). 543
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Teil folgt erst im Abwägungsvorgang selbst. Hier divergieren die oben dargestellten Meinungen; 553 denn an dieser Stelle stellt sich die Frage, wie weit die Kontrollmaßstäbe für die gerichtliche Überprüfung reichen dürfen, ohne den administrativen Entscheidungsfreiraum zu verletzen. 554 Das BVerwG hat ein Kontrollsystem entwickelt, das auf verschiedenen Stufen das jeweilige Maß an planerischer Gestaltungsfreiheit berücksichtigt. 555 Zunächst wird so der „spezifische Abwägungsraum“ 556 bestimmt und die eigentliche Abwägungsentscheidung wird schließlich über das Abwägungsgebot kontrolliert. 557 Dieses Kontrollsystem wird im Wesentlichen von der Literatur mitgetragen. 558 Im Folgenden soll auf die anzulegenden Kontrollmaßstäbe auf den verschiedenen Stufen des entwickelten Kontrollsystems im Bauplanungsrecht eingegangen werden.
B. Gesetzliche Vorgaben I. Formelle Kontrollmaßstäbe / Verfahrenskontrolle Formelle Kontrollmaßstäbe ergeben sich aus den Bindungen der planenden Gemeinde aus dem vorgeschriebenen Verwaltungsverfahren. 559 Die planende Behörde muss bei ihrer Planung die jeweiligen Verfahrensvorschriften befolgen. 560 Die Bedeutung der formellen Kontrollmaßstäbe für die Gerichtskontrolle wird bereits daran deutlich, dass gerade auch Verfahrensfehler zur Verwerfung der Bebauungspläne durch die Gerichte führen. Der Anteil an den zur Verwerfung führenden Fehler liegt in etwa bei einem Drittel; also zu gleichen Teilen beim Verfahren, dem Planinhalt und bei der Abwägung. 561 Im Hinblick auf die Neuerungen des EAG Bau 2004 stellt sich die Frage, ob der Anteil an Verfahrensfehlern nicht noch gewichtiger geworden ist. 562
553 Die Kritik an der Auffassung des BVerwG zur Einordnung der Belange als unbestimmte Rechtsbegriffe vgl. Papier, DVBl. 1975, S. 461 (462 f.); im Kern geht die Auseinandersetzung um die Reichweite der planerischen Gestaltungsfreiheit, welche erst im Rahmen des Abwägungsgebots relevant wird. Siehe dazu unten § 5., S. 119 ff. 554 Vgl. Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 107 a. E. 555 Vgl. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 45. 556 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 173. 557 Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (469). 558 Vgl. Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101. 559 Vgl. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 46. 560 BVerwGE 69, 256 (263 ff.). 561 Scharmer, Bebauungspläne in der Normenkontrolle, S. 10. 562 Vgl. dazu 3. Kapitel, S. 210 ff.
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Gerade im Hinblick auf die besondere Normstruktur im Planungsrecht erleichtern die Verfahrensvorschriften aufgrund ihrer klaren Strukturierung die Gerichtskontrolle. Die Verfahrensvorschriften sind konditional strukturiert. Die Handlungsanweisungen der Verfahrensvorschriften sind in der Regel präzise und stellen weder den Rechtsanwender noch das kontrollierende Gericht vor Auslegungs- oder Wertungsprobleme. 563 Grundsätzliche Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht. 564 Es bestehen im Bauplanungsrecht Wechselwirkungen zwischen Verfahrensrecht und materiellen Bindungen. Gerade dort, wo der Verwaltung ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt ist, soll das Verfahrensrecht das Fehlen einer normativen materiellen Fremdprogrammierung ausgleichen. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist daher die Einhaltung des Verfahrens umso mehr geboten; 565 denn dadurch, dass das Verfahren zu einer gewissen Entscheidungsgrundlage beiträgt, hat es auch eine gewisse Einwirkung auf die sich anschließende Entscheidung. Andererseits soll dem Verwaltungsverfahren nur eine „dienende Funktion“ 566 zukommen, was auch durch die teilweise untergeordnete Fehlerbeachtlichkeit deutlich wird. 567 Das BauGB sieht für die Aufstellung eines Bebauungsplans ein bestimmtes Verfahren vor. Insofern ist auch der Weg zu einer abschließenden Planungsentscheidung geregelt. 568 Diese durch das BauGB dem Verfahren zugeordnete Normen bilden vornehmlich die formellen Kontrollmaßstäbe. Die zu beachtenden Verfahrensregeln sollen eine geordnete Entscheidungsfindung gewährleisten. 569 Transparenz und eine starke Öffentlichkeitsbeteiligung sind daher Elemente des Verwaltungsverfahrens, die ein gewisses Maß an Sachrichtigkeit einer Entscheidung realisieren sollen. 570 Der Rechtsschutz wird auf diese Weise in das Verfahren vorverlagert, um das materielle Defizit an einer Richtigkeitsgewähr zu kompensieren. 571
563
Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 52. Vgl. zu den Schwierigkeiten bei der Differenzierung im Fachplanungsrecht: Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 53 ff. 565 Schwarze, Der funktionale Zusammenhang, S. 24 ff., 62 f., 66 ff. 566 Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (465). 567 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (858); vgl. oben die Ausführungen zur Verfahrenskontrolle in § 2, S. 54 ff. 568 Vgl. die Ausführungen oben unter § 2 III., S. 57 f. zur Abgrenzung von Verfahrensrecht und materiellem Recht. 569 Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 146. 570 Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (466). 571 Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (472); Schmidt-Preuß, DVBl. 1995, S. 485 (492). 564
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Die folgende kurze Darstellung des Verfahrens soll diese Rechtsschutzelemente aufzeigen. Im Gegensatz zu der Stellung der Verfahrenskontrolle in anderen Rechtsordnungen ersetzt die Verfahrenskontrolle aber nicht die Gerichtskontrolle der Planungsentscheidung. Die formellen Bindungen im Bauplanungsrecht bewirken eine Optimierung des Planungsprozesses; eine Richtigkeitsvermutung für die Planungsentscheidung geht von dem Verfahren jedoch nicht aus. 572 1. Das Aufstellungsverfahren Das BauGB regelt in den §§ 2 –4 c, 6, 10 und § 13 BauGB das Aufstellungsverfahren der Bauleitpläne. Die Bauleitplanung ist gemäß § 2 I BauGB Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden i. S.v. Art. 28 II GG. Das jeweilige Landesrecht enthält in den entsprechenden Gemeindeordnungen ergänzende Regelungen hinsichtlich der Zuständigkeit und dem Beschlussverfahren der Gemeinden. 573 Neben dem BauGB enthalten auch die Gemeindeordnungen Regelungen zu Verfahrensfehlern. 574 Das Aufstellungsverfahren besteht aus mehreren Stufen: a) Der Planaufstellungsbeschluss Gemäß § 2 I S. 2 BauGB werden mit dem Planaufstellungsbeschluss die Planung und Planerarbeitung in Gang gesetzt. Die Zuständigkeit für den Planaufstellungsbeschluss ist in der jeweiligen Gemeindeordnung geregelt. Der Planaufstellungsbeschluss ist gemäß § 2 I BauGB ortsüblich bekannt zu machen. Der Planaufstellungsbeschluss muss keine inhaltlichen Aussagen beinhalten, sondern lediglich das Plangebiet bestimmen. 575 Die Gemeinde fertigt daraufhin einen Planentwurf an, der gemäß § 9 VIII BauGB (1998) eine Begründung beinhalten muss. Die Begründungspflicht ist durch das EAG Bau modifiziert worden. b) Die Verfahrensbeteiligung benachbarter Gemeinden und Träger öffentlicher Belange Gemäß § 2 II BauGB sind die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden untereinander abzustimmen. Das eigentliche formelle Abstimmungsverfahren wird in § 4 BauGB (1998) geregelt. Die Gemeinde ist ein Träger öffentlicher Belange i. S.v. § 4 BauGB (1998). Neben einer materiellen Ausprägung ist an dieser Stelle des 572
Vgl. hierzu die Ausführungen zur Verfahrenskontrolle in § 2, S. 54 f. Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 110. 574 Vgl. Schmidt-Aßmann / Röhl, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 1. Kap. Rn. 98 f. 575 Vgl. Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 2 Rn. 4. 573
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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Verfahrens auch die formelle Seite des interkommunalen Rücksichtnahmegebots verankert. 576 Den Gemeinden wird über § 2 II BauGB ein formeller Anspruch auf die Abstimmung der Planung gewährt. Die Einholung der Stellungnahmen der betroffenen Träger öffentlicher Belange gemäß § 4 II BauGB stellt schon in einem frühen Planungsstadium die Schaffung einer möglichst vollständigen Entscheidungsgrundlage sicher. Die Beteiligung der Behörden wird ebenfalls durch das EAG Bau modifiziert. 577 c) Die Öffentlichkeitsbeteiligung Das Aufstellungsverfahren im BauGB sieht eine zweistufige Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 3 BauGB vor. Die Öffentlichkeit soll dadurch möglichst frühzeitig und detailliert über die Planung informiert werden. 578 Ausgehend von diesem Informationsstand sollen die Bürger dazu Stellung nehmen können (vgl. § 3 I BauGB). Im zweiten Schritt ist bei Fortschritt der Planung der beschlussfähige Planentwurf gemäß § 3 II BauGB öffentlich auszulegen. Die Pläne sind gemäß § 3 II BauGB ortsüblich bekannt zu machen. Die daraufhin ergangenen Stellungnahmen müssen entsprechend § 3 II S. 4 BauGB berücksichtigt werden. d) Die Beschlussfassung An das Auslegungsverfahren anschließend wird der Bebauungsplan gemäß § 10 BauGB als Satzung beschlossen. Hinsichtlich des Satzungsbeschlusses sind ergänzend die Regelungen der Gemeindeordnungen zu berücksichtigen. Die öffentliche Bekanntmachung nach § 10 III BauGB bildet den Abschluss des Aufstellungsverfahrens. Die Bekanntmachung des Bebauungsplans ist durch das EAG Bau in § 10 III BauGB zwar modifiziert worden, bildet aber weiterhin den Abschluss des Aufstellungsverfahrens. 2. Die Umweltprüfung (UP), ehemals Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) Neben den einzelnen Stufen des Aufstellungsverfahrens bietet die Umweltprüfung gemäß § 2 IV BauGB noch zu berücksichtigende formelle Kontrollmaßstäbe bei der Aufstellung von Bebauungsplänen. Die Umweltprüfung ist Ausfluss einer Entwicklung, die mit der Umsetzung von Unionsrecht 579 durch das Gesetz 576 Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 153; so auch für die Neuregelung durch das EAG Bau: Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 11 f. 577 Vgl. Wagner / Engel, BayVBl. 2005, S. 36 (33 ff.). 578 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 113.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
über die Umweltprüfung begann. 580 Sinn und Zweck der UP / UVP ist es, Pläne, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, möglichst frühzeitig hinsichtlich der Auswirkungen auf die Umwelt zu erfassen, um auf dieser Grundlage eine entsprechende Abwägung vorzubereiten. 581 Eine intensive und formalisierte Beteiligung der Öffentlichkeit, von Behörden und Träger öffentlicher Belange prägt die Umweltprüfung. 582 Insbesondere durch das Scoping-Verfahren 583 gemäß § 4 I BauGB, die Behördenbeteiligung nach § 4 II BauGB und die Pflicht zur Auslegung umweltbezogener Informationen nach § 3 II 2 BauGB sollen die Öffentlichkeit und die Behörden möglichst frühzeitig und möglichst umfänglich über alle möglicherweise betroffenen Umweltbelange informiert werden. 584 Die UP vollzieht sich wie schon bereits die UVP nach dem UVPG in drei Stufen: die Ermittlung des relevanten Tatsachenstoffs; die Bewertung und die Berücksichtigung der Bewertung; 585 die auf diese Weise gewonnene Erkenntnis über die Umweltverträglichkeit ist gemäß §§ 2 IV, 2a BauGB in einem Umweltbericht festzuhalten und ist als Belang in die Abwägung einzustellen. 586 Im Wesentlichen entspricht die UP damit dem bisherigen Verfahren im Rahmen der UVP zur Erfassung der Umweltbelange in der Bauleitplanung. 587 Die von der planenden Behörde bislang vorzunehmende Umweltverträglichkeitsprüfung war entsprechend den §§ 2 I S. 1, 17 S. 1 UVPG als unselbständiges Verfahren ausgestaltet. Die UP ist ebenso in das Aufstellungsverfahren des Bebauungsplans integriert. 588 Im Unterschied zur UVP ist die neue UP als Regelverfahren grundsätzlich für alle Bebauungspläne vorgesehen. 589 Nach dem UVPG war der 579 EG-Richtlinie 85/337 vom 27. 6. 1985; UVP-Änderungsrichtlinie 97/11 vom 3. 3. 1997; Richtlinie 96/61 vom 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie). 580 Vgl. die Darstellung bei Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 107 ff.; Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 163 ff. 581 Vgl. die Ausführungen zur Umweltprüfung, die auch für die UVP gelten, bei Wagner / Engel, BayVBl. 2005, S. 36 (33 ff.). 582 Schrödter, LKV 2008, S. 109 (109). 583 § 4 I BauGB verweist auf § 2 IV S. 2 BauGB, wonach die Gemeinde für jeden Bebauungsplan festlegen muss, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad die Ermittlung der Belange für die Abwägung erforderlich ist. Diese Entscheidung soll nach der Gesetzesbegründung kein selbständiger Verfahrensschritt und damit auch nicht selbständig anfechtbar sein (= Scoping). Vgl. Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 171 mit Verweis auf die Gesetzesbegründung. 584 Schrödter, LKV 2008, S. 109 (109). 585 Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 110; dieser dreistufige Prüfungsaufbau gilt auch weiterhin für die Umweltprüfung; vgl. Wagner / Engel, BayVBl. 2005, S. 36 (34). 586 Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 110. 587 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 871.
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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eigentlichen UVP die Abgrenzung UVP-pflichtiger von nicht UVP-pflichtigen Vorhaben vorgelagert. Die UVP-Pflicht hing bei Bebauungsplänen davon ab, ob es um die Begründung der Zulässigkeit eines der im Anhang zum UVPG aufgeführten Vorhaben ging. 590 Bereits mit der Einführung des UVPG wurden die in die Abwägung einzustellenden Umweltbelange nicht anders gewichtet. Dies ist Ausdruck des rein verfahrensrechtlichen Charakters der UVP. 591 Die UP enthält ebenso keine materiellrechtlichen Vorgaben. 592 Im Grunde genommen fasst die Umweltverträglichkeitsprüfung formal zusammen, was bei einer ordnungsgemäßen Planung ohnehin zu berücksichtigen ist. 593 Der UP / UVP kommt damit die Funktion zu, der bestmöglichen Verwirklichung materiellen Rechts zu dienen. 594 Ziel ist es, durch einen hohen Informationsstand eine höhere Richtigkeitsgewähr zu erreichen. 595 Mit der Neuregelung durch das EAG Bau wird in der Bauleitplanung die Durchführung einer Umweltprüfung erheblich zunehmen. Während nach der alten Fassung erst einmal die UVP-Pflichtigkeit festgestellt werden musste, wird die Umweltprüfung zum standardisierten Regelverfahren bei der Bauleitplanung. 596 Materielle Veränderungen gehen mit der Neuregelung nicht einher. Regelungssystematisch ergibt sich die Verpflichtung zur Umweltprüfung aus dem BauGB selbst; auf das UVPG ist nicht mehr zurückzugreifen. 597 II. Materielle Kontrollvorgaben / Sachkontrolle Systematisch können die materiellen Kontrollvorgaben danach eingeordnet werden, ob ihre Einhaltung vollständig oder nur eingeschränkt kontrollierbar ist. Wie bereits dargelegt, bestimmen einige Regelungen zunächst den „spezifischen Abwägungsraum“ 598. Erst im Anschluss daran folgt die aus Gründen der 588 Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 110; vgl. für die Umweltprüfung Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 165. 589 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 872. 590 Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 164. 591 Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 5 Rn. 174. 592 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 874; Schrödter, LKV 2008, S. 109 (110). 593 Zur Umweltprüfung aber auf die UVP übertragbar; vgl. Wagner / Engel, BayVBl. 2005, S. 36 (34); Schink, UPR 2004, S. 81 (94). 594 BVerwG, DVBl. 1993, 886 (887); vgl. Breuer, in: FS Sendler, S. 387. 595 Vgl. Schmidt-Preuß, DVBl. 1995, S. 485 (492). 596 Wagner / Engel, BayVBl. 2005, S. 36 (33 ff.); Schink, UPR 2004, S. 81 (89). 597 Schink, UPR 2004, S. 81 (83). 598 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 173.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
planerischen Gestaltungsfreiheit nur eingeschränkt kontrollierbare Abwägungsentscheidung. 599 Im Unterschied zu den formellen Kontrollmaßstäben ermöglichen die materiellen Kontrollmaßstäbe eine Richtigkeitsgewähr der Sachentscheidung der Verwaltung. 600 1. Planungsziele Das BauGB beinhaltet ein grobmaschiges Zielprogramm für den Planungsträger. In § 1 V nennt der Gesetzgeber die obersten Ziele der Bauleitplanung. Oberstes Ziel ist es, nach § 1 V S. 1 BauGB eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten. Die Nachhaltigkeit ist zentrales Prinzip der Bauleitplanung. 601 Demnach soll die Bauleitplanung gemäß § 1 V BauGB eine „sozialgerechte Bodennutzung“, eine gesicherte „menschenwürdige Umwelt“ und eine geschützte „Entwicklung natürlicher Lebensgrundlagen“ verwirklichen helfen. Mit den Neuerungen des EAG Bau soll zudem der Klimaschutz und die Erhaltung und Entwicklung des Orts- und Landschaftsbildes gewährleistet werden. 602 Die Gewährleistung der Verwirklichung des Prinzips der Nachhaltigkeit wird durch §§ 1 I, III S. 1 BauGB flankierend verstärkt. Die Bauleitplanung soll auf diese Weise eine städtebauliche Entwicklung ermöglichen, die auch die Verantwortungsübernahme für künftige Generationen gewährleistet. Diese Zielbestimmungen werden sowohl als „allgemeine Ziele“ 603 als auch als „generelle Planungsziele“ 604 unter dem Oberbegriff „Abwägungsdirektiven“ 605 zusammengefasst oder als „Zielprogramm“ 606 bezeichnet. Unabhängig von der terminologischen Bezeichnung, besteht Einigkeit darüber, dass diese sehr abstrakten Ziele einer Konkretisierung bedürfen. Auf dieser abstrakten Ebene gelingt eine Kontrolle anhand dieser Zielvorgaben nur, wenn in eklatanter Weise gegen diese Ziele verstoßen wird. So ist der Planungsträger durch diese Zielvorgaben positiv dazu verpflichtet, eine Bauleitplanung nur zur städtebaulichen Entwicklung vorzunehmen. Erlässt der Planungsträger einen Bebauungsplan zur Wirtschafts- und Wettbewerbsförderung, verstößt dieser gegen die allgemeinen Zielbestimmungen. 607 Mittels dieser Planungsziele kann daher nur eine grobma599
Vgl. hierzu die Darstellung unter § 4 A., S. 93 f. Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 (466). 601 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 102. 602 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/ 2250, S. 37 f. 603 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 13 Rn. 3. 604 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 24. 605 Unter Abwägungsdirektiven sind Normen zu verstehen, die die Abwägung nach § 1 VII BauGB steuern. Vgl. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 24 ff. 606 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 102. 600
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schige Grenze gezogen werden, um negativ abgrenzen zu können, was keinesfalls in den Bereich der planerischen Gestaltungsfreiheit fällt. 608 2. Die Planerforderlichkeit Das BauGB enthält in § 1 III BauGB das Merkmal der städtebaulichen Erforderlichkeit. Die Gemeinde darf nicht bzw. hat zu planen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Der § 1 III BauGB ist konditional formuliert, so dass die Rechtskonkretisierung der Subsumtionsmethode zugänglich ist. 609 Die Planerforderlichkeit ist daher normstrukturell gesehen eine strikte Regelung, die einen vollkontrollierbaren Maßstab bildet. 610 Das Tatbestandsmerkmal der städtebaulichen Erforderlichkeit ist als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet. Die Planerforderlichkeit ist daher durch Auslegung zu ermitteln. 611 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG sind unbestimmte Rechtsbegriffe sowohl in ihrer Auslegung als auch in ihrer Anwendung vollständig überprüfbar. 612 Bei der Auslegung ist jeweils die planerische Konzeption der Gemeinde zu berücksichtigen, welche grundsätzlich der Gemeinde und ihrer städtebaulichen Vorstellungen überlassen bleibt. 613 Diese Konzeption ist selbst nicht vollständig nachprüfbar. Denn diese ist Ausdruck der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde. Folglich stellen sich auch bei den strikten Kontrollmaßstäben „Vorwirkungen der planerischen Gestaltungsfreiheit“ 614 mit ein. Allerdings kann aus der Planerforderlichkeit auch eine Planungspflicht werden, wenn „qualifizierte Gründe von besonderem Gewicht vorliegen“. 615 In erster Linie geht es bei der Planerforderlichkeit um die Frage, ob der Bebauungsplan in Beziehung zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung steht. Bejahendenfalls ist der Bebauungsplan generell zulässig. 616 Nicht damit verwechselt werden darf, ob unter Berücksichtigung der Alternativen für die konkrete Planung ein Bedarf besteht. Diese Frage ist im Rahmen der Abwägung zu beurteilen. 617 607
Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 102. Vgl. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 173. 609 Vgl. zur Konditionalnormen und zur Subsumtionsmethode oben § 3 D. III., S. 75 f. 610 Vgl. die Darstellungen zur Systematik der Kontrollmaßstäbe oben § 4 A., S. 93 f. 611 Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 72. 612 BVerwGE 34, 301 (308); BVerwGE 45, 309 (324). 613 W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 33; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 1 Rn. 30. 614 Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 185; ebenso für die Fassung des BauGB nach dem EAG Bau: Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 72. 615 BVerwG, DVBl. 2004, 239 (241 f.). 616 BVerwGE 34, 301 (305); BVerwGE 45, 309 (312). 617 BVerwG, NVwZ 1984, 718 (721); BVerwG, DVBl. 1985, 900 (902). 608
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
3. Die Anpassungspflicht an Ziele der Raumordnung Ein weiterer materieller Kontrollmaßstab bildet die Anpassungspflicht aus § 1 IV BauGB. Die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinde wird entsprechend § 1 IV BauGB dahingehend beschränkt, dass die Gemeinde ihre inhaltliche Plangestaltung auf andere Raumplanungen anpassen muss. 618 Bei § 1 IV BauGB handelt es sich um eine strikt verbindliche Norm. Folglich kann die Anpassung an die Ziele der Raumordnung, ganz anders als das in § 2 II BauGB verankerte Gebot interkommunaler Rücksichtnahme 619, nicht in der Abwägung überwunden werden. 620 Die Anpassungspflicht aus § 1 IV BauGB lässt der Gemeinde keine planerische Gestaltungsfreiheit bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Bebauungspläne. 621 Die Gemeinde ist daher diesbezüglich vollständig rechtlich gebunden und die Entscheidungen sind insoweit vollständig gerichtlich nachprüfbar. Wie bereits oben dargelegt, wird der „spezifische Abwägungsraum“ 622 durch solch strikte Normen bestimmt. Eine weitere strikt beachtliche Anpassungspflicht ergibt sich aus § 38 BauGB. 623 Danach beschränken privilegierte Fachplanungen ebenfalls die Gestaltungsfreiheit der Gemeinde. 624 Die von § 1 IV BauGB genannten Ziele der Raumordnung werden nach den Bestimmungen des ROG landesrechtlich festgesetzt. 625 Das ROG enthält Regelungen hinsichtlich der Bestimmung der Ziele und der Zulässigkeit dieser Ziele. Über § 1 IV BauGB werden diese für die Gemeinde derart verbindlich, dass die Gemeinde in ihrer Planungshoheit aus Art. 28 II GG eingeschränkt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind solche raumbedeutsamen Ziele verbindliche Vorgaben, die keiner weiteren baurechtlichen oder landesplanerischen Abwägung unterliegen. 626 Die anderen Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumplanung sind in der bauplanerischen Abwägung nach § 1 VII BauGB zu beachten, wo sie ggf. überwunden werden können. 627 618
Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 7 f. Zum interkommunalen Rücksichtnahmegebot vgl. unten; zur Einordnung des interkommunalen Abstimmungsgebots vgl. BVerwGE 40, 323 (331); BVerwGE 84, 209 (217); BVerwG, BauR 2004, 443 (447); BVerwGE 117, 25 (35 ff.). 620 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 7 f.; W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 36, Rn. 66. 621 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 7 f. 622 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 173. 623 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 103. 624 BVerwGE 81, 111 (112 ff.); BVerwG, DVBl. 1998, 46 (47). 625 Vgl. zu den Zielen der Raumordnung insbesondere zur Abgrenzung von sonstigen Erfordernissen: W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn 37 ff.; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 4 Rn. 34 ff.; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 11 ff. 626 BVerwGE 90, 329 (332 f.). 627 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 4 Rn. 34. 619
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
105
4. Das Entwicklungsgebot Gemäß § 8 II BauGB sind die Bebauungspläne aus den Flächennutzungsplänen zu entwickeln. 628 Ausgehend von dem Flächennutzungsplan besteht eine Grundkonzeption, die den Rahmen für die Ausgestaltung eines Bebauungsplans vorgibt. 629 Insoweit ist die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinde eingegrenzt. 630 § 8 II BauGB ist konditional strukturiert und ist eine zwingende Regelung. 631 Das Entwicklungsgebot bindet die Verwaltung vollständig und ermöglicht eine vollumfängliche Überprüfung. Das BVerwG lässt auch Abweichungen von der Grundkonzeption des Flächennutzungsplans zu, wenn sich diese „Abweichungen aus dem Übergang in eine konkrete Planungsstufe rechtfertigen und die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans unberührt lassen“. 632 Dem Entwicklungsgebot ist folglich ein zeitliches Element immanent. Der Flächennutzungsplan muss grundsätzlich dem Bebauungsplan zeitlich vorgehen. Das BauGB lässt gemäß § 8 III BauGB ausnahmsweise beide Pläne parallel aufstellen. Für die Gerichtskontrolle ist die inhaltliche Abgestimmtheit maßgeblich, die zeitliche Komponente tritt dabei in den Hintergrund. 633 Die Verstöße gegen ein formal verstandenes Entwicklungsgebot sollen dementsprechend gemäß § 214 II BauGB unbeachtlich sein. 634 Im Vordergrund des Entwicklungsgebots steht aber die materiell-rechtliche Anforderung, dass die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende städtebauliche Konzeption durch die inhaltlich richtige Abstimmung von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan gewahrt wird. 635 5. Der Typenzwang der Baugebiete Der Verordnungsgeber hat in der BauNVO abschließend festgelegt, welche Baugebiete als welcher Baugebietstyp festgesetzt werden. Die planende Gemeinde kann bei der Planung daher keine neuen Baugebietstypen schaffen. 636 Wird ein Baugebiet in einem Bebauungsplan ausgewiesen, werden die entsprechenden Regelungen der BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans. 637 628
BVerwGE 48, 70. Vgl. Erbguth / Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl., Rn. 209; Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 110. 630 Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 36. 631 Vgl. die Einordnung bei Brohm als „zwingende gesetzliche Vorgabe“; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 36. 632 BVerwG, NVwZ 2000, 197 (198); BVerwG, BauR 2004, 1264 (1265); BVerwGE 48, 70 (75). 633 BVerwGE 70, 171 (178), BVerwGE 56, 283 (286). 634 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1234. 635 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 428 u. Rn. 1234. 636 BVerwG, BauR 1991, 169. 629
106
1. Kap.: Bestandsaufnahme
6. Die gesetzlichen Gewichtungsmaßstäbe Während die zuvor beschriebenen Beschränkungen der planerischen Gestaltungsfreiheit alle bauplanerischen Belange zum Inhalt hatten, die strikt beachtlich, d. h. nicht relativierbar sind, sind auch bestimmte Belange bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen, die relativierbar sind, weil sie in der Abwägung überwindbar sind. 638 Diese Belange sind entsprechend ihres Gewichtes in die Abwägung einzustellen. 639 Solche Belange werden vom BauGB, wie auch von anderen Gesetzen (z. B. § 50 BImSchG) dem Planer zur Berücksichtigung vorgegeben. Im BauGB enthält § 1 VI BauGB einen nicht abgeschlossenen Katalog zu berücksichtigender Belange. Die dort aufgeführten Belange sind Konkretisierungen der allgemeinen Planungsziele. Diese konkretisierenden Belange werden auch „Leitpunkte“ 640 oder „Planungsleitlinien“ 641 genannt. Das BVerwG wertet die in dem Katalog aufgeführten Belange als unbestimmte Rechtsbegriffe, die sowohl bei der Auslegung als auch bei der Anwendung vollständig gerichtlich überprüfbar sind. 642 Die Bestimmung und Anwendung der in § 1 VI BauGB normierten Belange und deren Gewichtung sind folglich, nach Ansicht des BVerwG, uneingeschränkt gerichtlich nachprüfbar. Inwieweit diese Belange uneingeschränkt überprüfbar sind, ist in der Lehre umstritten und soll später erörtert werden. Ausgangspunkt der Abwägung gemäß § 1 VII BauGB ist, dass die in die Abwägung einzustellenden Belange grundsätzlich abstrakt von gleichem Gewicht sind. 643 Folglich muss der Ausgleich widerstreitender Belange im konkreten Fall gefunden werden. 644 In bestimmten Fällen wird angenommen, dass der Gesetzgeber bereits vorab manchen Belangen durch sogenannte Optimierungsgebote 645 oder andere Gewichtungsvorgaben 646 ein besonderes Gewicht beimisst, welches andere Belange zu überwinden hilft. Für den Fall, dass solche besonderen gesetzlichen Gewichtungsvorgaben bestehen, welche die Abwägung steuerten, können diese auch taugliche Kontrollmaßstäbe bilden. 647 637
Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 37. Vgl. Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (18). 639 Vgl. Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (17). 640 Schmidt-Aßmann, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 306. 641 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 25; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 13 Rn. 4. 642 BVerwGE 34, 301 (308). 643 Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (17); Koch, in: Abwägung im Recht, S. 11; ständige Rspr. BVerwG vgl. BVerwG, ZfBR 1993, 197 (199); Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 89. 644 Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (17); Koch, in: Abwägung im Recht, S. 11. 645 Siehe unten a) S. 107. 646 Siehe unten b) S. 109. 638
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
107
a) Optimierungsgebote Nach der Definition des BVerwG erfordert ein sogenanntes Optimierungsgebot „eine möglichst weitgehende Beachtung bestimmter Belange (...)“. 648 Folge ist die Zumessung eines besonderen Gewichts für diesen Belang. Es besteht Einigkeit darüber, dass einigen Belangen durch Gesetz in der Abwägung ein besonderes Gewicht verliehen wird. 649 So wird bspw. § 50 BImSchG als Optimierungsgebot angesehen. 650 Die konkrete Rechtswirkung solcher Gewichtungsvorgaben ist dabei unklar. 651 Einmal wird ein Optimierungsgebot als relative Vorrangregel gesehen, welche dem Belang ein besonderes Gewicht zumisst. 652 Andere sehen in den Optimierungsgeboten die Pflicht, den Belang für sich genommen in der Abwägung maximal zu berücksichtigen. Dabei wird dem Belang bei gleichzeitiger Zurückstellung konfligierender Belange ein absoluter Gewichtsvorrang eingeräumt. 653 Es geht dabei aber nicht darum, die gesamte Planung dementsprechend zu optimieren, sondern nur um die Gewichtung des optimierten Belangs in der Abwägung. 654 Letztendlich ist damit aber nicht die Frage geklärt, welche Folgen die Gewichtsstärkung hat. 655 Ein erhöhter Argumentationsbedarf zur Überwindung eines besonders gewichteten Belangs ist nach beiden Ansichten erforderlich. 656 Mit dem erhöhten Argumentationsbedarf geht das Erfordernis nach einer vollständigen Entscheidungsgrundlage einher. 657 Andererseits helfen die „Optimierungsgebote“ nicht weiter, wenn verschiedene Optimierungsgebote miteinander kollidieren. Dann bleibt schlussendlich wieder nur die Lösung über eine Abwägung. 658
647 Vgl. zur Steuerungskraft Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 30; zur Funktion als Kontrollmaßstab: Schulze-Fielitz, in: FS Hoppe, S. 1004; Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (861 f.). 648 BVerwGE 71, 163 ff.; BVerwG, NVwZ 1991, 75 ff. 649 Wahl / Dreier, NVwZ 1999, S. 607 (617). 650 BVerwGE 71, 163 (165). 651 Wahl / Dreier, NVwZ 1999, S. 607 (617); Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 215 ff.; Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (853). 652 Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 103; Sendler, UPR 1995, S. 41 (43 f.); a. A. Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (859); der in dem Optimierungsgebot ein aliud gegenüber einer lediglich relativen Vorrangregel sieht; Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (909). 653 So nach Hoppe, UPR 1995, S. 201 (202); Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 30. 654 Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (18); Sendler, UPR 1995, S. 41 (45). 655 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 243. 656 Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (860); Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 259 ff. 657 Vgl. Wahl / Dreier, NVwZ 1999, S. 607 (617). 658 Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (18).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Für die Gerichtskontrolle ergibt sich aus der höheren Regelungsdichte zum Schutz dieser bestimmten Belange eine erhöhte Kontrolldichte. Die Optimierungsgebote liefern den erforderlichen Kontrollmaßstab dazu. 659 Besonders durch Optimierungsgebote geschützt bzw. besser gerichtlich nachprüfbar sollen Belange des Lärmschutzes, des Schutzes vor Schadstoffbelastung und das Bodenschutzgebot sein. Dagegen hat das BVerwG explizit § 8a BNatSchG nicht als Optimierungsgebot eingestuft. 660 Die Annahme eines Optimierungsgebots wird zunehmend kritisch beurteilt. 661 Die Kritik stützt sich insbesondere auf die oben genannte Konfliktlage zweier widerstreitender Optimierungsgebote, wo die Optimierungsgebote keine Hilfestellung leisten. 662 Weitere Kritik entstammt aus der Anwendungspraxis, wonach sich die Optimierungsgebote bei der Bauleitplanung nur schwer umsetzen lassen. 663 Die Annahme von die Abwägung steuernden Optimierungsgeboten ist zudem auf verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen. 664 Nimmt man eine durch ein Optimierungsgebot generell vorgegebene Gewichtung eines Belangs an, stellt sich die Frage, wie mit solchen vorgegebenen Gewichtungen bei konkreten Grundrechtsverletzungen einzelner umzugehen ist. Administrative Grundrechtseingriffe erfordern, unabhängig von den gesetzlichen Zweckbestimmungen, stets eine rechtfertigende Verhältnismäßigkeitsprüfung unter den konkreten Voraussetzungen. 665 Regelt der Gesetzgeber die planerische Abwägung nicht abschließend und überlässt er die konkrete abschließende Regelung der Verwaltung, kann die Verwaltungsentscheidung nur im Wege einer verhältnismäßigen Abwägung im konkreten Fall erfolgen. 666 Der Versuch, über Optimierungsgebote generelle Regelungen für Konfliktfälle zu schaffen, welche gleichzeitig weder abschließend noch tatbestandlich vollständig erfasst werden können, sind mit dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt und bestehenden verwaltungsrechtlichen Abwägungsvorbehalten oder Entscheidungsspielräumen unvereinbar. 667 Nicht zuletzt haben wohl auch die terminologischen Unklarheiten 668 dazu geführt, dass das BVerwG insgesamt von dem Optimierungsgebot Abstand zu nehmen scheint. 669 Für ein 659 Schulze-Fielitz, in: FS Hoppe, S. 1004; Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (861); Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 128. 660 BVerwGE 104, 68 (74). 661 Vgl. nur Bartlsperger, DVBl. 1996, S. 1 (1 f.); Bartlsperger, in: FS Hoppe, S. 138 f. 662 Vgl. Fn. 583. 663 Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 193. 664 Bartlsperger, DVBl. 1996, S. 1 (11). 665 Bartlsperger, DVBl. 1996, S. 1 (11). 666 Bartlsperger, DVBl. 1996, S. 1 (11 f.). 667 Bartlsperger, in: FS Hoppe, S. 139 f. 668 Vgl. Sendler, UPR 1995, S. 41 (45) und Hoppe, UPR 1995, S. 201 (202). 669 Das BVerwG hat in einer Entscheidung zum Trennungsgrundsatz § 50 BImSchG als „Abwägungsdirektive“ bezeichnet; vgl. BVerwGE 108, 248 (253). Zu den bereits
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
109
Absehen von den sogenannten Optimierungsgeboten spricht außerdem, dass der Gesetzgeber mit den Neuregelungen zum EAG Bau die Umweltbelange zwar durch Verfahrensvorschriften aufgewertet, diese aber gleichzeitig der normalen Abwägung unterworfen hat. 670 Im Zuge des EAG hat der Gesetzgeber den Katalog der Umweltbelange in § 1 VI Nr. 7 a – i BauGB erweitert. Ergänzt wird dieser Katalog u. a. mit der Bodenschutzklausel aus § 1a III BauGB, durch die Eingriffsregelung des § 1 III BauGB und durch § 34 BNatSchG. Ein Vorrang der Umweltbelange in der Abwägung wird dadurch aber nicht begründet. 671 b) Sonstige Gewichtungsvorgaben Das BVerwG hat, wie dargelegt, 672 § 8a BNatSchG ausdrücklich nicht als Optimierungsgebot qualifiziert. 673 Gleichzeitig hat es in der Entscheidung Gewichtungsvorgaben für die Naturschutzbelange erkannt. Das BVerwG hat den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege in der Abwägung ein „erhöhtes inneres Gewicht“ 674 zuerkannt. Dabei soll die Struktur der Abwägung erhalten bleiben. Gleichzeitig wird jedoch anerkannt, dass der Gesetzgeber vor allem verfassungsrechtlich geschützte Belange (z. B. der Schutz und die Entwicklung natürlicher Lebensgrundlagen gemäß Art. 20a GG) mit einem besonderen Gewicht ausgestattet hat. 675 Diese besondere Gewichtung muss im Rahmen der Abwägung jedoch stets in der konkreten Planungssituation ermittelt werden. Das „besondere“ Gewicht besteht demnach in den gesteigerten Anforderungen hinsichtlich der Ermittlung dieser Belange. 676 So müssen beispielsweise die besonders geschützten Naturschutzbelange in der Abwägung berücksichtigt und dürfen nicht übersehen werden. Für eine Zurückstellung der Naturschutzbelange müssen – dem erheblichen Gewicht entsprechend – gewichtige Gründe angeführt werden; es besteht also ein erhöhter Begründungsbedarf. 677 Die Zurücksetzung eines vom Gesetzgeber besonders geschützten Belangs hat dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen und bedarf einer besonderen Rechtfertigung durch gewichtige Gründe. Dies gilt insbesondere für durch Art. 14 GG besonders geschützte Belange. 678 ebenso als Optimierungsgebote bezeichneten Belangen sind seither keine weiteren Entscheidungen des BVerwG ergangen. 670 W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 77 c. 671 Schrödter, LKV 2008, S. 109 (110); Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1509. 672 Siehe oben a), S. 107. 673 BVerwGE 104, 68 ff. 674 BVerwGE 104, 68 (77). 675 BVerwGE 104, 68 (76). 676 BVerwGE 104, 68 (77 f.). 677 Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (19).
110
1. Kap.: Bestandsaufnahme
Im Ergebnis stellt diese „innere Gewichtung“ die Ansicht derer dar, die unter den Optimierungsgeboten eine relative Gewichtung verstehen. 679 Ähnlich der relativen Vorrangregeln wird die Abwägung nicht neu systematisiert. Der Abwägungsvorbehalt bleibt der Verwaltung erhalten. Im konkreten Fall ist in der Abwägung die konkrete Gewichtung der Belange zu bestimmen. Eine erhöhte Regelungsdichte bzw. ein Kontrollmaßstab besteht demnach hinsichtlich der Berücksichtigungspflicht eines geschützten Belangs und des Erfordernisses eines erhöhten Begründungsaufwands bei der Zurückstellung. 680 Eine solche normative relative Vorrangregelung steht grundsätzlich im Widerspruch mit der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Belange als Ausgangspunkt der Abwägung. Der Gesetzgeber darf aber die grundsätzliche Gleichgewichtigkeit durch gesetzliche Vorgaben ändern und die Gewichtung durch normative Vorgaben beeinflussen. 681 Der Gesetzgeber könnte nur durch verfassungsrechtliche Regelungen an den normativen Gewichtungsvorgaben gehindert werden; solche sind aber nicht ersichtlich. 682 Die Bedeutung der durch relative Gewichtungsvorgaben geschützten Belange ist stets im planerischen Einzelfall zu bestimmen. Somit sind jeweils die konkrete Bedeutung und Betroffenheit zu berücksichtigen. Der normativ gewichtete Belang ist damit in der Abwägung ebenfalls überwindbar, so dass eine Abwägung der Belange jederzeit möglich ist, die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. 683 Ein durch normative Gewichtungsvorgaben gestärkter Belang kann bspw. bei tatsächlich minimaler Betroffenheit im konkreten Planungsfall nicht gewichtigere Belange im konkreten Fall einfach überwinden. 684 Im Unterschied zu der teilweise bei den Optimierungsgeboten vertretenen absoluten Vorabgewichtung bleibt bei den relativen Gewichtungsvorgaben die Struktur der Abwägung aber bestehen. Es bleibt damit dabei, dass im Rahmen der bauplanerischen Abwägung stets die individuellen Besonderheiten der jeweiligen Sachlage sowie die spezifische Zielsetzung der jeweiligen Planung im Vordergrund stehen. 685
678 679 680 681 682 683 684 685
Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (19). So wie Sendler, UPR 1995, S. 41 (45). So auch Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (861). Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 90. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 90. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 90. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 90. Vgl. Kuschnerus, ZfBR 2000, S. 15 (19).
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
111
C. Ungeschriebene Kontrollmaßstäbe Neben den kodifizierten Kontrollmaßstäben hat die Rechtsprechung noch weitere Kontrollmaßstäbe entwickelt. Dazu gehört das Gebot der Planrechtfertigung 686, welches bereits vor der Abwägung zu prüfen ist. Die Rechtsprechung hat aber auch sogenannte „Planungsgrundsätze“ 687 entwickelt, die im Zusammenhang mit der planerischen Abwägung stehen. Aus den strikt zu beachtenden Normen sowie den Beachtens- und Berücksichtigungspflichten aus den §§ 1 III – VI BauGB hat die Rechtsprechung das Rücksichtnahmegebot 688 und das Gebot der Konfliktbewältigung 689 entwickelt. Diese Gebote beruhen auf verfassungsrechtlichen, umweltrechtlichen und ähnlichen Erwägungen und befinden sich in einer ständigen Fortentwicklung. 690 Diese Planungsgrundsätze beeinflussen den Ausgleich der Belange in der Abwägung. Inwieweit diese Grundsätze die Abwägung beeinflussen, hängt von ihrem Gewicht in der konkreten Situation ab. Den Abwägungsgrundsätzen kommt dabei eine relative Wirkung zu, da sie wie andere Belange in der Abwägung überwunden werden können. 691 Diese Planungsgrundsätze liefern aufgrund ihrer relativen Wirkung keine Regelung der jeweiligen Ausgleichsentscheidung selbst. Andererseits erhöhen diese Grundsätze die Regelungsdichte hinsichtlich des Ausgleichs der Belange in der Abwägung für die konkrete Planungssituation und können so als „ergänzende Maßstäbe für den Ausgleich verschiedener Belange“ 692 für die Gerichtskontrolle herangezogen werden. I. Die Planrechtfertigung Das BVerwG hat in ständiger Rechtsprechung eine weitere Schranke der planerischen Gestaltungsfreiheit entwickelt. Nach Ansicht des BVerwG bedürfen Bauleitpläne einer Planrechtfertigung. 693 Fehlt sie, ist nach Ansicht des BVerwG der Bauleitplan rechtswidrig. 694 Das Erfordernis der Planrechtfertigung wird § 1 III 686
Siehe unten C. I., S. 98. So die Bezeichnung nach Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 27, Rn. 131; sowie nach Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 106; ähnlich auch Schmidt-Aßmann, BauR 1978, S. 99 (102 ff.), der von Leitsätzen spricht. 688 Siehe unten C. II., S. 114; vgl. auch Schulze-Fielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, S. 336. 689 Siehe unten C. III., S. 116. 690 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 27. 691 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 27, 139. 692 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 256. 693 BVerwGE 34, 301 (305), BVerwGE 45, 309 (312); BVerwGE 71, 166 (168), BVerwGE 85, 44 (51). 687
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
BauGB entnommen, wobei das BauGB die Begriffe Planrechtfertigung oder Schranken der Planrechtfertigung nicht kennt. 695 Die Begründung des BVerwG für diese weitere Schranke der planerischen Gestaltungsfreiheit lautet, dass „eine hoheitliche Planung ihre Rechtfertigung nicht etwa in sich selbst trägt, sondern im Hinblick auf die von ihr ausgehenden Einwirkungen auf Rechte Dritter für die konkrete Planungsmaßnahme rechtfertigungsbedürftig ist“ 696. Demnach ist das Erfordernis der Planrechtfertigung gerade wegen der möglichen Auswirkungen der Planung auf die Rechte Dritter erforderlich. Wird in die Rechte Dritter eingegriffen, muss die Planung objektiv erforderlich sein und der Planungsträger muss das Instrument der Planung dem BauGB entsprechend anwenden. 697 Insbesondere dient das Gebot der Planrechtfertigung dem grundrechtlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 I GG. 698 Die Bauleitpläne dienen einem öffentlichen Zweck, indem sie die Bodennutzung vorbereiten und leiten. 699 Dadurch wird im Rahmen des BauGB der Inhalt des Eigentums konkretisiert. Die gesetzliche Ermächtigung im BauGB ermöglicht der Bauleitplanung eine Inhaltsbestimmung des Eigentums. 700 Zur Rechtfertigung dieser Eigentumsbeschränkung muss die Bauleitplanung den Zwecken des BauGB entsprechen. Die Bauleitplanung darf nicht nur privaten Interessen dienen, sondern muss stets von Anfang an auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung ausgerichtet sein. Die alleinige Berücksichtigung privater Interessen ist dabei nicht rechtfertigbar. 701 Die Gemeinde muss das Instrument der Planung stets zur Verwirklichung der konkreten Planungsziele anwenden. 702 Bauleitplanung wird in erster Linie als Inhaltsbestimmung des Eigentums verstanden. 703 Eine enteignungsrechtliche Vorwirkung, die am Rechtfertigungsmaßstab des Art. 14 III GG zu messen wäre, wurde vom BVerfG 704 und vom BVerwG 705 verneint, da der Bebauungsplan insoweit keine verbindliche Entscheidung über die Zulässigkeit einer Enteignung durch planerische Festsetzun694
BVerwGE 45, 309 (312). Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 130; Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 57 ff. 696 BVerwGE 71, 166 (168); BVerwG, NVwZ 2002, 350 (353). 697 BVerwG, DVBl. 1985, 900 (901); BVerwG, DVBl. 1986, 416 (417). 698 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 16; Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 58. 699 Vgl. Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 1 Rn. 10 f. 700 de Witt, LKV 2006, S. 5 (6). 701 BVerwG, BauR 1997, 263. 702 de Witt, LKV 2006, S. 5 (6). 703 de Witt, LKV 2006, S. 5 (6); Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 54. 704 BVerfGE 74, 264 (282, 288). 705 BVerwGE 71, 108 (117, 121); BVerwGE 77, 86 (88). 695
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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gen treffe. Teilweise wird vertreten, der Bebauungsplan entfalte eine geminderte „enteignungsrechtliche Vorwirkung“ 706. Begründet wird diese Annahme damit, dass mit dem Bebauungsplan der Standort und der Gemeinwohlbezug des Planungsvorhabens feststehen. Insoweit wird damit auch eine Vorentscheidung über die Zumutbarkeit des Zugriffs auf Eigentum getroffen, die jedoch noch nicht hinreichend ist, wohl aber bereits Vorwirkung hat. 707 In der Literatur wird das Kriterium der Planrechtfertigung als systemwidrig kritisiert, 708 denn mit der Entscheidung über die Planrechtfertigung ist die Frage nach der Zulässigkeit einer Inhaltsbestimmung des Eigentums oder einer Enteignung noch nicht geklärt. Wird die Planrechtfertigung bejaht, ist es für die Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Planung auch dem Abwägungsgebot entspricht. Die eigentliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in grundrechtlich geschützte Belange wird in der konkreten Abwägung getroffen. 709 Die Bestimmung des z. B. für die Enteignung erforderlichen Allgemeinwohls muss entsprechend Art. 14 III GG im Wege einer einzelfallbezogenen Abwägung erfolgen. 710 Damit ist die planerische Abwägungsentscheidung letztlich allein ausschlaggebend dafür, ob das erforderliche Gemeinwohl dadurch gewahrt wird oder nicht. 711 Lehnt man die geminderte enteignungsrechtliche Vorwirkung ab, stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit ebenfalls an anderer Stelle, nämlich bei der konkreten Prüfung der Zulässigkeit der Enteignung. 712 Die Planrechtfertigung kann dagegen nur eine Aussage darüber treffen, ob die Ermächtigung zur Planung auch konform mit den Planungszielen des BauGB erfolgt. 713 Diese Frage entscheidet letztendlich bereits vorab, ob sich der Bebauungsplan im Rahmen der Ermächtigung zu Eingriffen hält. Ein Bebauungsplan, der sich nicht in dem durch die Ziele des BauGB gesteckten Rahmen bewegt, ist bereits nicht vollzugsfähig. Die so verstandene Funktion der Planrechtfertigung entspricht damit der Funktion einer auf dem Gesetzesvorbehalt beruhenden Ermächtigungsgrundlage. 714 Diese Frage wird folglich nicht systemwidrig vorab 706
Schmidt-Aßmann, JuS 1986, S. 833 (838); Dolde, in: FS Sendler, S. 233. Vgl. Dolde, in: FS Sendler, S. 233. 708 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 16; Erbguth / Schink, UVPG 2. Aufl., § 12 Rn. 60; a. A. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 4. 709 BVerwGE 71, 166 (170). 710 BVerwGE 71, 166 (170). 711 Vgl. BVerwGE 72, 365 (367); BVerwG DVBl. 1990, 589 (591); Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 131. 712 Vgl. Erbguth / Schink, UVPG 2. Aufl., § 12 Rn. 60. 713 Vgl. so aber bezogen auf das Fachplanungsrecht de Witt, LKV 2006, S. 5 (7). 714 So die These bei Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 141 ff., insbes. S. 149, S. 157, S. 169 f., der diese These im Rahmen einer ausführlichen Auslegung der entsprechenden „Ermächtigungsnormen“ im Fachplanungsrecht festigt. 707
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
gestellt, denn die Frage nach der gesetzlichen Ermächtigung ist zwingendes Recht. Das Erfordernis der Planrechtfertigung ist demnach einzuhalten, „[...] damit Eingriffe in Rechte Dritter durch planerische Gestaltungsfreiheit überhaupt erst legitimiert werden können“ 715. Insoweit ermöglicht das Gebot der Planrechtfertigung eine gerichtliche Kontrolle. II. Das Rücksichtnahmegebot Der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde kann zudem durch das vom BVerwG entwickelte Rücksichtnahmegebot eine Grenze gesetzt werden. 716 Demnach sind geschützte Individualinteressen bei der Abwägung ausreichend zu berücksichtigen. 717 Bei dem Rücksichtnahmegebot handelt es sich nach der Auffassung des BVerwG um ein einfachrechtliches Gebot, welches die gesetzlichen Regelungen konkretisiert. 718 Das Rücksichtnahmegebot wurde entwickelt, um betroffenen Dritten einen Rechtsschutz einzuräumen, wenn diese in einer besonderen Weise verletzt wurden. 719 Das Gebot war eine Reaktion auf ein im Hinblick auf subjektive Rechte restriktives Normverständnis. 720 Dementsprechend legte das BVerwG eine enge Schutznormtheorie bei der Ermittlung subjektiver Rechte zugrunde. Die Schutznormtheorie 721 geht davon aus, dass vor dem Rückgriff auf grundrechtlichen Schutz zuerst zu fragen ist, ob einfachrechtliche Normen auch Schutznormen sind, welche den ausreichenden Schutz für die Rechtspositionen Dritter bieten. 722 Ein drittschützender Charakter gemäß der Schutznormtheorie kann nur angenommen werden, wenn man voraussetzt, dass die Grundrechte den Gesetzgeber dazu verpflichten, neben dem Verhältnis öffentliche Interessen zu Privatinteressen ebenfalls gegenläufige Privatinteressen ausreichend zu berücksichtigen. Für die Bauleitplanung wird in erster Linie Art. 14 I GG den Gesetzgeber dazu verpflichten, die Bodennutzung nicht nur im Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Interessen, sondern auch widerstreitende Privatinteressen in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. 723 Nach der strengen Schutznormtheo715
Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 141. Vgl. grundlegend Weyreuther, BauR 1975, S. 1 (3). 717 Vgl. Weyreuther, BauR 1975, S. 1 (3). 718 Es handelt sich gerade nicht um ein eigenständiges ungeschriebenes Gebot; vgl. BVerwG, DVBl. 1984, 143 (145); BVerwG, DVBl. 1985, 122; BVerwG, ZfBR 1985, 192 (193); BVerwG, DVBl. 1987, 476 (477); BVerwGE 107, 215 (219). 719 BVerwGE 52, 122 ff. 720 Vgl. Jäde, JuS 1999, S. 961 (962). 721 Zur Schutznormtheorie oder auch Schutznormlehre vgl. die Darstellung bei Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 127 ff. 722 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 127 ff. 716
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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rie war für die Annahme des drittschützenden Normgehalts erforderlich, dass die zu untersuchende Norm einen fest abgrenzbaren Kreis Begünstigter erkennen lasse. 724 Davon ist das BVerwG abgekommen und verlangt mittlerweile einen nur qualitativ abgrenzbaren Bereich Begünstigter. 725 Der Plangeber ist gemäß § 1 VII BauGB dazu verpflichtet, die öffentlichen und privaten Belange gerecht abzuwägen. Das Rücksichtnahmegebot ist bei der Ermittlung der Belange in der Abwägung derart zu berücksichtigen, als es dem Plangeber ein „Interpretationskonzept“ 726 zur richtigen Ermittlung geschützter Interessen an die Hand gibt. Für die Gerichtskontrolle bedeutet das Rücksichtnahmegebot einen ergänzenden Kontrollmaßstab, der bei der konkreten Abwägungsentscheidung einzig zur Kontrolle hinzugezogen werden kann. Dogmatisch stellt das Rücksichtnahmegebot somit keinen Rechtssatz dar, sondern eine Konkretisierung einfachrechtlicher Vorschriften wie bspw. bei dem Tatbestandsmerkmal des „Sicheinfügens“ i. S.v. § 34 I BauGB. 727 Der Drittschutz wird über die einfachrechtlichen Vorschriften i.V. m. dem Rücksichtnahmegebot vermittelt. Das Rücksichtnahmegebot besteht nicht losgelöst von den einfachrechtlichen Vorschriften. 728 Die terminologische Bezeichnung als Gebot wird teilweise im Schrifttum als unzutreffend erachtet, da es kein eigenständiger Rechtssatz ist. Vorgeschlagen wird stattdessen, von einer Theorie oder einem Grundsatz der Rücksichtnahme zu sprechen. 729 Einen gebietenden Charakter wird man dem Rücksichtnahmegebot aber nicht völlig absprechen können; denn diesem liegt die grundrechtliche Verpflichtung insbesondere aus Art. 14 GG zugrunde, die Nutzung von Grund und Boden auch im Verhältnis widerstreitender Privatinteressen einfachgesetzlich und untergesetzlich zu regeln. 730 Indem das Rücksichtnahmegebot einfachgesetzliche Vorschriften als drittschützend zu konkretisieren vermag, bildet es insoweit einen tauglichen Kontrollmaßstab. Nur von einer Theorie zu sprechen, vermag dann nicht ausreichend zu sein.
723
Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 243. BVerwGE 52, 122 (130 f.). 725 BVerwG, DVBl. 1987, 476 (477); das BVerwG bezieht sich dabei auf Marburger, in: Gutachten C, S. 32 ff. 726 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 244; vgl. auch Krebs, in: FS Hoppe, S. 1070. 727 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 153; vgl. auch Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1603 f. 728 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 244. 729 So auch Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 153; ähnlich auch Krebs, der von einer Rücksichtnahmelehre spricht: Krebs, in: FS Hoppe, S. 1070. 730 Vgl. zur der dem Rücksichtnahmegebot zugrunde liegenden Grundrechtspflicht: Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 243. 724
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
III. Der Grundsatz der Konfliktbewältigung Der Grundsatz der planerischen Konfliktbewältigung 731 ist vom BVerwG 732 entwickelt worden und im Abwägungsgebot gemäß § 1 VII BauGB verankert. 733 Entsprechend dem Grundsatz der planerischen Konfliktbewältigung muss der Plangeber die Probleme, die er durch die Planung erst schafft, bereits durch die Planung einer Lösung zuführen. 734 Der Grundsatz ist verletzt, wenn das durch die Planung hervorgerufene Problem ungelöst bleibt und dem Betroffenen dadurch nach Lage der Dinge ein unzumutbares Opfer abverlangt wird. 735 Dieser Grundsatz ist somit eine „Grundvoraussetzung für die Planung“ und greift auf diese Weise lenkend in die Abwägungsstruktur der Bauleitplanung ein. Das Gebot der planerischen Konfliktbewältigung ist damit ein zusätzlicher Handlungs- und Kontrollmaßstab, der in der jeweiligen Planungssituation bei der Abwägung ergänzend hinzugezogen werden kann. 736 Die Planungsgrundsätze und insbesondere der Planungsgrundsatz der Konfliktbewältigung sind insofern die die Abwägung ausdifferenzierenden Handlungsmaßstäbe. 737 Versteht man die Planungsgrundsätze als Konkretisierungshilfen der Abwägung, werden insoweit auch die Anforderungen des Abwägungsgebots an den Plangeber gestellt. 738 Aufgrund der relativen Wirkung dieser Planungsgrundsätze können sie in der Abwägung stets überwunden werden. 739 Insofern bieten die Planungsgrundsätze eine „Argumentationsfigur“ 740 zur richtigen Ausübung der Abwägung in typischen Planungskonstellationen an, die so weit auch gerichtlich nachprüfbar ist. Die Planungsgrundsätze treffen aufgrund ihrer relativen Wirkung keine Wertungen hinsichtlich der Gewichtigkeit eines eingestellten Belangs. Diese ergibt sich jeweils aus dem objektiven Gewicht der konkret auszugleichenden Belange. 741 Der Grundsatz der Konfliktbewältigung ist ergebnisoffen ausgestaltet, schafft aber eine gesicherte Entscheidungsgrundlage, von der ausgehend eine Abwägungsentscheidung getroffen werden kann. Konfliktbewältigung bedeutet 731 Vgl. die ausführlich Darstellung dazu m.w. N. bei Pfeifer, Konfliktbewältigung, S. 10 ff. 732 BVerwGE 47, 144 (155 f.); BVerwGE 57, 297 (300); BVerwGE 61, 307 (311). 733 BVerwG, ZfBR 1994, 286 (287). 734 BVerwGE 57, 297 (300); BVerwGE 61, 307 (311); vgl. auch Weyreuther, BauR 1975, S. 1 (5 f.). 735 BVerwG, NVwZ-RR 2000, 146 (147). 736 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 256. 737 So bereits Schmidt-Aßmann, BauR 1978, S. 99 (104 f.). 738 Vgl. Pfaff, Planungsrechtsprechung, S. 158 f. 739 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 27. 740 Pfeifer, Konfliktbewältigung, S. 34. 741 Pfeifer, Konfliktbewältigung, S. 35.
§ 4 Die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle
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dabei nicht Konfliktfreiheit, sondern dass die Planung zur Milderung des Konflikts beiträgt. 742 Anders als im Planfeststellungsverfahren bedarf es bei der Bauleitplanung zur Verwirklichung eines Einzelvorhabens noch eines nachgeordneten Zulassungsverfahrens. 743 Die verbindliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens wird im Bebauungsplan nicht getroffen. Das BVerwG hat daher mittlerweile anerkannt, dass die dem Bebauungsplan zurechenbaren Konflikte nicht alle bereits in dem Plan selbst gelöst werden müssen, sondern auch einem dem Bauleitplanverfahren nachfolgenden Verwaltungshandeln überlassen werden dürfen. Das BVerwG zieht dabei die Grenze einer zulässigen Konfliktverlagerung, wenn offensichtlich ist, dass in dem der Planung folgenden Verfahren eine sachgerechte Lösung nicht möglich ist. 744
D. Zusammenfassung § 4 Die gerichtliche Kontrolldichte ist bei der Kontrolle von Bebauungsplänen nicht fest vorgegeben, sondern variiert entsprechend der unterschiedlichen Kontrollmaßstäbe. Zuallererst bilden rechtsverbindliche Zielprogramme den ersten Maßstab. Danach folgen sogenannte „Beachtens- / Berücksichtigungspflichten“ 745, welche auch als „Planungsleitsätze“ oder „Abwägungsdirektiven“ bezeichnet werden, und schließlich bildet das Abwägungsgebot aus § 1 VII BauGB den anzulegenden Kontrollmaßstab. Die rechtsverbindlichen Zielprogramme definieren durch die abstrakt gefassten Ober- und Unterziele die Grenzen des spezifischen Abwägungsraums negativ, wie bspw. durch das Prinzip der Nachhaltigkeit gemäß §§ 1 I, III BauGB. Bei den Beachtens- und Berücksichtigunspflichten handelt es sich um zwingende gesetzliche Regelungen, welche beispielsweise auch als „Planungsleitsätze“ bezeichnet werden. Diese strikt zu beachtenden planerischen Vorgaben sind der gestalterischen Entscheidung vorgelagert, sie sind nicht gegenüber anderen Belangen relativierbar und sind dementsprechend nicht Teil der planerischen Abwägung gemäß § 1 VII BauGB. Der kontrollkritischere Teil folgt erst in der planerischen Abwägung selbst, denn hier stellt sich die Frage, wie weit die Kontrollmaßstäbe reichen dürfen, um gleichzeitig die Verwaltung in ihrer Letztentscheidungskompetenz bzw. in ihrem Entscheidungsfreiraum nicht zu beschränken. Die Verfahrenskontrolle erfolgt hinsichtlich der Einhaltung des Planaufstellungsverfahrens. Die im BauGB dem Planaufstellungsverfahren zugeordneten Normen bilden die Kontrollmaßstäbe der Verfahrenskontrolle. Gerade im Hin742 743 744 745
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 135. Vgl. Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 205. BVerwG, ZfBR 1994, 286 (287 f.). Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101 f.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
blick auf die Gestaltungsfreiheit und die besondere Struktur der Planungsnormen erleichtern die Verfahrenvorschriften aufgrund ihrer klaren Strukturierung die Gerichtskontrolle. Die Handlungsanweisungen der Verfahrensvorschriften sind in der Regel präzise und stellen weder den Rechtsanwender noch das kontrollierende Gericht vor Auslegungs- oder Wertungsprobleme. Die zu beachtenden Verfahrensvorschriften sollen eine geordnete Entscheidungsfindung gewährleisten. Transparenz und eine starke Öffentlichkeitsbeteiligung sind Elemente des Planaufstellungsverfahrens, die ein gewisses Maß an Sachrichtigkeit der Entscheidung realisieren sollen. Dem Planaufstellungsverfahren und der Kontrolle desselben kommt aufgrund der nicht vollständig gesetzlich determinierten Planungsentscheidung eine gesteigerte Bedeutung zu. Diese Bedeutung kann im Zuge der Neuregelung der Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern durch das EAG Bau erheblich zugenommen haben. Nach der Rechtslage vor dem EAG Bau kam dem Planaufstellungsverfahren trotz gesteigerte Bedeutung entsprechend dem herkömmlichen Verständnis lediglich eine dienende Funktion zu. Die Gerichtskontrolle ist dementsprechend auf die Kontrolle der Sachrichtigkeit der Planentscheidung ausgerichtet. Die materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe können systematisch danach eingeordnet werden, ob ihre Einhaltung vollständig oder nur eingeschränkt kontrollierbar sind. Die materiell-rechtlich vorgegebenen Planungsziele, wie bspw. die Gewährleistung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung gemäß § 1 V S. 1 BauGB, bedürfen einer Konkretisierung. Auf dieser abstrakten Ebene gelingt eine Kontrolle anhand dieser Zielvorgaben nur, wenn in eklatanter Weise gegen diese Ziele verstoßen wird. Die Planerforderlichkeit, die Anpassungspflicht an Ziele der Raumordnung, der Typenzwang der Baugebiete und das Entwicklungsgebot sind zwingende, konditional strukturierte, materiell-rechtliche Anforderungen an die Planaufstellung, die vollständig gerichtlich überprüfbar sind. In § 1 VI BauGB ist ein Katalog bei der Abwägung zu berücksichtigender Belange enthalten. Das Gesetz enthält bzgl. bestimmter Belange eine besondere Gewichtung. Diese Gewichtungen werden als Optimierungsgebote oder aber einfach als Gewichtungsvorgaben bezeichnet. Mit der Struktur der Abwägung sind nur Gewichtungsvorgaben in Form einer normativen relativen Vorrangregelung vereinbar; denn es muss im Rahmen der Abwägung jederzeit möglich sein, einen normativ stärker gewichteten Belang im Einzelfall aufgrund konkreter und individueller Umstände hinter einen anderen Belang zurückzustellen. Die Gewichtungsvorgaben sind für die Gerichtskontrolle insofern relevant, als die normative Gewichtung zu erhöhter Regelungsdichte und damit zu einem weiterreichenden Kontrollmaßstab im Hinblick auf die Berücksichtigung des Belangs führt, indem die Zurückstellung des Belangs eines erhöhten Begründungsaufwands bedarf. Neben den kodifizierten Kontrollmaßstäben hat die Rechtsprechung ungeschriebene materiell-rechtliche Anforderungen (sogenannte Planungsgrundsätze)
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
119
und damit materiell-rechtliche Kontrollmaßstäbe an die Planaufstellung, wie das Gebot der Planrechtfertigung, das Rücksichtnahmegebot oder das Gebot der Konfliktbewältigung entwickelt. Diese ungeschriebenen materiell-rechtlichen Anforderungen schaffen eine gesicherte Entscheidungsgrundlage, von der ausgehend eine Abwägungsentscheidung getroffen werden kann. Damit liefern diese ungeschriebenen Anforderungen ergänzende Maßstäbe für den konkreten Ausgleich der Belange, die zur Kontrolle hinzugezogen werden können.
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots A. Rechtliche Bindungen als Voraussetzungen eines Maßstabs Das Abwägungsgebot stellt den notwendigen Ausgleich zwischen der Anerkennung eines eigenständigen Rechtserzeugungsbeitrags der Verwaltung und der Gewährleistung einer gerichtlichen Kontrolle her. 746 Die Gerichtskontrolle umfasst dabei die Abwägungen, die im Planungsrecht vorgenommen werden, um kollidierenden Bodennutzungsansprüche zu koordinieren. Beispielhaft werden die in die Abwägung einzustellenden Belange in § 1 VI BauGB aufgelistet. Diese Belange sind grundsätzlich alle abstrakt gleichrangig. 747 Die prinzipielle Gleichrangigkeit der Belange ist Ausgangspunkt der Abwägung. 748 Diese gilt, solange keine vom Gesetzgeber positivierten Gewichtungsvorgaben betroffen sind. 749 Sobald diese betroffen sind, hat der Planungsträger diese abstrakt positivierte Gewichtung in der Abwägung zu berücksichtigen. Die Gewichtung eines Belangs in der Abwägung kann somit aus abstrakten positivierten Gewichtungsvorgaben und der Beimessung des jeweiligen Gewichts im konkreten Planungsfall durch die jeweiligen Umstände bestehen. 750 Die Gewichtung eines Belangs und der Ausgleich widerstreitender Belange beinhaltet auch in einem solchen Fall eine subjektive Wertentscheidung der Behörde. 751 Der Gewichtungsspielraum der planenden Behörde ist bei der Betroffenheit besonders gesetzlich gewichteter Belange aber eingeengt. 752 Dennoch bedarf es der Abwägungsentscheidung in der konkreten Entscheidungssituation, in der der Planungsträger 746 747
S. 12. 748
749 750 751 752
Vgl. Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 125. Koch, in: Abwägung im Recht, S. 11; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 89. Siehe oben § 4 B. II. 6., S. 106 ff. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 93 f. Siehe oben § 4 B. II 6., S. 106 ff. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 93 f.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
die Gewichtung eines Belangs und den Ausgleich mit den anderen Belangen konkret vornehmen muss. Die Gewichtung der Belange und eine damit verbundene ausgleichende Entscheidung kann aber nicht vollständig auf der abstrakten Ebene getroffen werden ohne die Struktur der Abwägung zu verändern. 753 Die Ausgleichsentscheidung ist nicht fremdprogrammiert vorgegeben, sondern zur Rechtskonkretisierung der Verwaltung überlassen. 754 Zur Konkretisierung bedarf es somit des konkreten Sachverhalts, in dem der konkrete Ausgleich der Belange gefunden werden kann. 755 Beispielsweise kann nur anhand der konkreten Umstände ermittelt werden, ob die positiviert besonders gewichteten Belange des Umweltschutzes 756 Vorrang vor gewerblichen Belangen erhalten und umgekehrt. Die Abwägungsentscheidung ist aufgrund der prinzipiell vorausgesetzten Ergebnisoffenheit keine Billigkeitsentscheidung. Die Abwägung ist, anders als die Billigkeitsentscheidung, auf das Gewichten der konfligierenden Belange anhand eines Maßstabs ausgelegt. 757 Die Abwägung befindet sich daher zwischen den beiden Polen, einmal der voll gesetzlichen fremdprogrammierten Entscheidung und einmal der Billigkeitsentscheidung. Die zentrale Schwierigkeit bei der Abwägung besteht darin, geeignete Maßstäbe zu finden, anhand derer die konkret betroffenen Belange rational nachvollziehbar gewichtet werden können. 758 Das BVerwG hat in seiner Grundsatzentscheidung zur planerischen Abwägung das Abwägungsgebot entwickelt, um einen Maßstab für die Gewichtung der Belange in Abwägung zu gewinnen. 759 Wie bereits oben dargelegt, füllt die Abwägung die Spielräume der Verwaltung aus, in denen die Rechtskonkretisierung nicht mehr fremdprogrammiert ist. 760 Die Rechtskonkretisierung kann demnach nur im Wege der Abwägung stattfinden. 761 Angesichts der komplexen und multilateralen Beziehungsgeflechte und gegenläufiger öffentlicher Interessen soll die planerische Abwägung die verschiedenen Rechtspositionen systematisieren und vertretbar gegeneinander relativieren. 762 Wegen der zugrunde liegenden Sachstruktur kann die Abwägung freilich nicht in einem einzigen Vorgang den Freiraum der Verwaltung ausfül753
Vgl. Koch, in: Abwägung im Recht, S. 11; vgl. oben § 4 B. II. 6. b), S. 109. Siehe oben § 3, S. 65 ff. 755 Vgl. Koch, in: Abwägung im Recht, S. 20. 756 Siehe oben § 4 B. II. 6., S. 106 ff. 757 M.w. N. Gassner, Methoden und Maßstäbe, S. 20. 758 Gassner, Methoden und Maßstäbe, S. 20. 759 BVerwGE 34, 301 (307 ff.). 760 Vgl. § 3 D. III., S. 75 ff.; Vgl. auch Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 124. 761 Vgl. Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 124. 762 Vgl. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 50. 754
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
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len. Die planerische Abwägung besteht aufgrund des Bedürfnisses nach einer vollständigen Informationsbasis aus der Schaffung einer geeigneten Entscheidungsgrundlage und der Gewichtung der einzelnen entscheidungserheblichen Belange. Die planerische Abwägung bietet letztendlich dem Plangeber eine Entscheidungsstruktur zur Gestaltung der Freiräume in der konkreten Planungssituation in einer rechtsstaatlich konformen Weise. 763 Die planerische Abwägung ist nach allgemeiner Meinung auch der Ort, an dem sich die planerische Gestaltungsfreiheit verwirklicht. Das vom BVerwG entwickelte Abwägungsgebot ist die Grenze der in der Abwägung verwirklichten planerischen Gestaltungsfreiheit. 764 Die Abwägungsergebnisse entstammen mit dem Bereich der planerischen Gestaltungsfreiheit. Aus der Kontrollperspektive bestehen folglich keine Maßstäbe, anhand derer gemessen werden könnte, ob die Entscheidung rechtmäßig ist oder nicht, solange die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit nicht überschritten werden. 765 Gleichzeitig besteht wegen der konkreten Situationsbezogenheit der verbindlichen Bauleitplanung das Bedürfnis einer möglichst umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle. 766 Das BVerwG hat als Reaktion auf die fehlenden Kontrollmaßstäbe bei der planerischen Abwägung Fehlergruppen entwickelt, anhand derer die Abwägungsentscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden soll. 767 Als der Gesetzgeber das Erfordernis einer gerechten Abwägung zum ersten Mal in § 1 IV S. 2 BBauG (1960) 768 formulierte, bestand Unklarheit über Inhalt und Struktur der in § 1 IV S. 2 BBauG (1960) aufgestellten Forderung, die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. 769 In seiner Grundsatzentscheidung vom 12. 12. 1969 770 konnte das BVerwG nach einer Reihe von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe seine die planerische Abwägung strukturierenden Überlegungen zum Wesen rechtsstaatlicher Planung und deren Kontrolle festschreiben. 771 Aufgrund der hohen Grundrechtsbetroffenheit durch die Bebauungspläne bedarf es eines hohen Maßes an Kontrolle der 763
Vgl. bereits § 3 D. VII., S. 81 ff. BVerwGE 34, 301 (307 ff.); BVerwGE 45, 309 (312 ff.). 765 Vgl. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 152. 766 Vgl. Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (295). 767 Grundlegend zur Abwägungsfehlerlehre BVerwGE 34, 301 (308 ff.); BVerwGE 45, 309 (314 ff.); vgl. auch Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 1 Rn. 93 ff.; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 187 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 209 ff.; Köck, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 37 Rn. 106 ff.; Schoch, in: Enders / Osterloh / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR III, § 50, Rn. 280 f.; zur Abwägungsdogmatik im Fachplanungsrecht vgl. nur BVerwGE 48, 56 (63 f.); BVerwGE 56, 110 (122 f.). 768 Gesetz vom 23. 6. 1960, BGBl I, S. 341 ff. 769 Hoppe, DVBl. 2003, S. 697 (700); Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 135. 770 BVerwGE 34, 301 ff. 771 Hoppe, DVBl. 2003, S. 697 (699 f.). 764
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Planung bei gleichzeitiger Anerkennung des Gestaltungsspielraums. Wie das BVerwG in der 2. Grundsatzentscheidung, der Flachglas-Entscheidung, anführt, bedarf es bei der Bauleitplanung eines Höchstmaßes dessen, was sich an rechtlich kontrollierbarer Bindung der Planung erreichen und vertreten lässt. 772 Die zentrale Frage dabei ist, wie weit die Rechtsbindung der Planung reicht. 773
B. Die Entwicklung des Abwägungsgebots durch das BVerwG Gemäß § 1 VII BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“. Zwar hat sich der Standort des im § 1 BauGB verankerten Abwägungsgebots geändert, der Inhalt ist jedoch stets gleich geblieben. 774 Die weite und offene Formulierung des Abwägungsgebots wurde erstmals im Bundesbaugesetz von 1960 gebraucht. 775 Die Abwägungsdogmatik steckte zu diesem Zeitpunkt noch in ihren Anfängen, und der Gesetzgeber war sich der Reichweite dieser Norm nur in Ansätzen bewusst. 776 Konkretisiert wurde das Abwägungsgebot erst durch eine Grundsatzentscheidung des BVerwG. 777 Darauf basierend hat sich die Abwägungsdogmatik entwickelt, welche mittlerweile als ein „prätorisches Meisterwerk“ 778 gilt. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG stellt das Abwägungsgebot folgende Forderungen an die planerische Abwägung: Erstens muss eine Abwägung stattfinden. Zweitens müssen in die Abwägung die Belange eingestellt werden, die nach Lage der Dinge einzustellen sind. Drittens darf weder die Bedeutung der privaten und öffentlichen Belange verkannt werden noch darf der Ausgleich zwischen den Belangen derart vorgenommen werden, dass der vorgenommene Ausgleich zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange außer Verhältnis steht. 779
772
BVerwGE 45, 309 (324). Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 98. 774 Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 186. 775 Siehe § 1 IV S. 2 BBauG (1960). 776 Siehe den von Käß geführten Nachweis: Käß, Inhalt und Grenzen, S. 135 f. insbes., Fn. 2 u. 3; vgl. zudem Schmidt-Aßmann, in: FS Schlichter, S. 12; Hoppe, DVBl. 2003, S. 697 (700). 777 BVerwGE 34, 301. Vgl. zur Entwicklung des Abwägungsgebots Hoppe, DVBl. 2003, S. 697. 778 Franßen, in: FS Weyreuther, S. VI f. 779 Vgl. nur BVerwGE 34, 301 (308 ff.); BVerwGE 45, 309 (314 ff.). 773
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
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Spiegelbildlich stellen die entwickelten Abwägungsfehler Handlungsanweisungen an die planende Behörde dar, die Fehler vermeiden helfen. 780 Verstößt der Plangeber mit seiner Planung gegen eine der spiegelbildlichen Handlungsnormen, stellt diese Rechtsverletzung eine Verletzung des Abwägungsgebots dar. Auf diese Weise besteht für die Gerichtskontrolle ein tauglicher Kontrollmaßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abwägungsentscheidung. 781 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG wird zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis unterschieden. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass allgemein bei Plänen eine Unterscheidung zwischen „dem Planen als Vorgang und dem Plan als Produkt dieses Vorgangs“ 782 getroffen werden muss. Hinsichtlich der oben skizzierten Anforderungen des Abwägungsgebots an die Abwägung stellt sich die Frage, ob die Anforderungen nur an eine Ebene der Abwägung (Vorgang oder Ergebnis) oder an beide Ebenen gleichzeitig zu stellen sind. 783 Dem BVerwG ist eine exakte Analyse des Planungsvorgangs und seiner verschiedener Elemente gelungen. 784 Das BVerwG hat in § 1 VII BauGB einen rechtsstaatlichen Grundsatz erkannt, so dass seither das Abwägungsgebot als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips anerkannt ist. 785 Dem planerischen Abwägungsgebot ist damit Rechnung zu tragen, auch wenn es nicht in § 1 VII BauGB positiviert wäre, und es gilt damit für Planungsentscheidungen unmittelbar. 786 Die im Bauplanungsrecht entwickelte Abwägungsdogmatik wurde daraufhin auf die gerichtliche Kontrolle anderer Planungsentscheidungen außerhalb des Bauplanungsrechts übertragen. 787
780 Aus dem ursprünglich als Kontrollmaßstab entwickelten Abwägungsgebot wurde dieser auch in eine Art Handlungsanweisung an die planende Behörde umgedeutet. Koch / Hendler, Baurecht, 4. Aufl., § 17 Rn. 14 f.; ähnlich auch Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905 f.); Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 7; vgl. ferner Hofmann, Abwägung, S. 175. 781 Vgl. Hofmann, Abwägung, S. 175 f. 782 BVerwGE 45, 309 (312 f.). 783 Siehe zu dieser Frage unten D., S. 134 ff. 784 Hoppe, DVBl. 2003, S. 697 (702). 785 BVerwGE 41, 67 (69). 786 Ständige Rspr. vgl. BVerwGE 34, 301 (307); BVerwG, DVBl. 1973, 40 (42); Schoch, in: Enders / Osterloh / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR III, § 50, Rn. 279. 787 Vgl. zur fachplanerischen Abwägung § 17 S. 2 FStrG, § 8 I S. 2 LuftVG, § 18 S. 2 AEG, § 13 I S. 2 WaStrG.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
I. Die Abwägungsphasen Das BVerwG geht entsprechend seiner Definition des Abwägungsgebots von drei Phasen aus. 788 Die Bezeichnung Phasen wird dabei nicht als verfahrensmäßige Abfolge im engeren Sinne verstanden, sondern als theoretische Denkstufe. 789 Die erste Phase des Abwägens dient der Zusammenstellung der von dem Planungsvorhaben betroffenen Belange. 790 Diese Phase der Planung enthält somit auch prognostische Elemente, da die Behörde dazu die zukünftige Betroffenheit verschiedener Belange ermitteln muss. 791 Nachdem das Abwägungsmaterial von der planenden Behörde zusammengestellt wurde, müssen in der zweiten Phase der Abwägung die einzelnen Belange gewichtet werden. 792 Dem Gewichtungsvorgang folgt die dritte Phase der Abwägung: die Abwägungsentscheidung selbst, welche Belange bevorzugt und welche Belange zurückgestellt werden. 793 II. Die Abwägungsfehler in Entsprechung zu den Abwägungsphasen Das BVerwG hat den einzelnen Phasen die entwickelten Abwägungsfehler zugeordnet. Für die oben genannten Fehlergruppen hat sich zurückgehend auf Hoppe eine allgemein anerkannte Terminologie der Abwägungsfehler durchgesetzt. 794 Ein eigentlich vorgelagerter Abwägungsfehler ist der sogenannte Abwägungsausfall. Danach ist das Abwägungsgebot verletzt, wenn erst gar keine Abwägung der einzelnen Belange vorgenommen wurde. 795 Von der planenden Behörde wird eine eigenverantwortliche Rechtskonkretisierung durch die Abwägung verlangt. 796 Nimmt der Plangeber zu Unrecht an, er sei in seiner Abwägungsentscheidung bereits gebunden und vollzieht deshalb keine eigene Abwägung, liegt eine Verletzung des Abwägungsgebots vor. 797 788
So auch Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 147. Vgl. Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 13. 790 BVerwGE 45, 309 (322); BVerwGE 48, 56 (64). Grundlegend zur Ermittlung und Einstellung von Belangen: Just, Ermittlung und Einstellung. 791 Vgl. zum Element der Prognose bei gestalterischer Verwaltungstätigkeit Tettinger, DVBl. 1982, S. 421 (421 ff., 425). 792 BVerwGE 45, 309 (322); zustimmend Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (301 f.). 793 BVerwGE 34, 301 (309). 794 Zur terminologischen Begriffsbildung der Verletzungstatbestände des Abwägungsgebots nach Hoppe vgl. Hoppe, BauR 1970, S. 15 (17); Hoppe, DVBl. 1974, S. 641 (644). 795 BVerwGE 34, 301 (309), BVerwGE 45, 309 (314 ff.). 796 Mit weiteren Rspr.-Nachweisen Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 128. 789
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Der nächste Abwägungsfehler bezieht sich auf die Phase der Informationsgewinnung. Das sogenannte Abwägungsdefizit liegt vor, wenn in die Abwägung nicht alle Belange eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen. 798 Dazu gehören nach Ansicht des BVerwG sämtliche Belange, die im konkreten Fall erheblich und schutzwürdig und für die planende Behörde auch erkennbar betroffen sind. 799 Um zu bestimmen, ob ein Belang abwägungserheblich ist oder nicht, ist Voraussetzung, dass der Belang bereits ermittelt wurde. Folglich muss die Planungsbehörde zunächst sämtliche Belange ermitteln. Eine Abwägungsfehleinschätzung / Abwägungsfehlgewichtung liegt vor, wenn die Gewichtigkeit des einzelnen Belangs falsch bemessen bzw. verkannt wurde. 800 Eng mit diesem Abwägungsfehler verknüpft ist die Abwägungsdisproportionalität, welche vorliegen soll, wenn die getroffene Ausgleichsentscheidung außer Verhältnis zur objektiven Gewichtigkeit des Belangs steht und deshalb unverhältnismäßig ist. 801 Das BVerwG unterscheidet jeweils zwischen den beiden Fehlern. 802 III. Korrelierung von Kontrolldichte und Fehlergruppen in den einzelnen Phasen Die Abwägungsfehlerlehre stellt kein „monolithisches Gebäude und schematisch zu handhabendes Prüfraster dar“ 803. Die vom BVerwG entwickelte Fehlerlehre unternimmt den Versuch, Fallgruppen hinsichtlich der jeweils entsprechenden Kontrolldichte zu bilden. Die Fehlergruppen entsprechen damit den unterschiedlich weiten rechtlichen Bindungen, die in den einzelnen Phasen der planerischen Abwägung bestehen. Entsprechend der bestehenden Bindungen kann die Kontrolldichte bei der Abwägung von einer Evidenzkontrolle bis hin zu einer inhaltlichen Vollkontrolle reichen. 804 Die gebildeten Fall- bzw. Fehlergruppen können dabei nur Anhaltspunkte für die Intensität der Kontrolldichte liefern, 797 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 217 ff.; Alexy, JZ 1986, S. 701 (711 f.). 798 BVerwGE 34, 301 (309), BVerwGE 45, 309 (314 ff.). 799 BVerwGE 100, 238 (244); BVerwG, DVBl. 1999, 100 (101 f.); BVerwGE 87, 332 (341). 800 BVerwGE 34, 301 (309), BVerwGE 45, 309 (314 ff.). 801 BVerwGE 34, 301 (309), BVerwGE 45, 309 (314 ff.); BVerwGE 47, 144 (146); BVerwGE 48, 56 (63 f.); BVerwGE 56, 110 (122 f.); BVerwGE 71, 166 (170 f.). 802 BVerwGE, 34, 301 (309); BVerwGE 45, 309 (315); vgl. auch Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 144 und Alexy, JZ 1986, S. 701 (711, insbes. Fn. 116) und Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (300), die aus begrifflichen Gründen die relative Gewichtung und die Ausgleichsentscheidung auf einer Stufe sehen. 803 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 90. 804 Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 32.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
denn die die Kontrolldichte bestimmenden Faktoren sind jeweils in der konkreten Planungssituation neu zu bestimmen und zu gewichten. Die Intensität der Kontrolldichte ist aus diesem Grund stets im konkreten Fall zu bestimmen. 805 1. Abwägungsausfall Ob die erforderliche Abwägung überhaupt durchgeführt wurde, ist nach Ansicht des BVerwG vollständig gerichtlich überprüfbar. 806 2. Abwägungsdefizit Die Ermittlung der in die Abwägung einzustellenden Belange ist nach der Rechtsprechung des BVerwG vollständig gerichtlich nachprüfbar. 807 Das Ermitteln 808 und Zusammenstellen des Abwägungsmaterials werden als ein Vorgang verstanden, der durch Subsumtion erfolgt. Das Kriterium zur Bestimmung der abwägungsbeachtlichen Belange nach Lage der Dinge erscheint dabei sehr weit und wenig konkret. 809 Zunächst müssen daher in einem ersten Schritt abstrakt-begrifflich die abwägungserheblichen Gesichtspunkte bestimmt werden, während in einem zweiten Schritt zu entscheiden ist, welche konkret vorliegenden Umständen darunter subsumiert werden können. 810 Das BVerwG hat die Abwägungsbeachtlichkeit dahingehend konkretisiert, dass nur solche private und öffentliche Belange erheblich sind, die von mehr als geringfügiger Bedeutung sind, deren Betroffenheit wahrscheinlich ist und deren Beachtlichkeit für die Abwägung für die planende Behörde erkennbar ist. 811 Rechtstechnisch versteht das BVerwG das Kriterium der Abwägungsbeachtlichkeit als unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. 812 Der Vorgang der Bestimmung abwägungsbeachtlicher Belange unterscheidet sich damit nicht von dem Vorgang typischer Rechtsanwendung. 813 Damit geht das BVerwG davon aus, dass die Zusammenstellung 805
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 90. BVerwGE 34, 301 (309). 807 BVerwGE 34, 301 (308 f.). 808 Im Folgenden wird noch nicht auf den Begriff „Ermitteln / Ermittlung“ i. S. d. § 2 III BauGB abgestellt. Zur Konkretisierung dieses mit dem EAG Bau neu eingeführten Gesetzesbegriffs siehe ausführlich unten 3. Kapitel § 1 A. I., S. 211 f. 809 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung Iblers zur Fachplanung: Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 223 ff., insbes. S. 228 f. 810 BVerwGE 45, 309 (322 f.). 811 Zu den Anforderungen an die in die Abwägung einzustellenden Belange siehe BVerwGE 59, 87 (102 f.); BVerwG, NVwZ 2000, 807 (808); BVerwG, NVwZ 2008, 899 (901). 812 BVerwGE 34, 301 (308). 813 BVerwGE 45, 309 (322f.). Ebenso Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (301 f.). 806
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fremdprogrammiert ist und die Kontrollmaßstäbe somit nicht aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit eingeschränkt sind. 814 3. Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität Nach der Auffassung des BVerwG verbleibt lediglich bei der Gewichtung, der Bewertung 815 und dem Ausgleich der Belange Raum für die planerische Gestaltungsfreiheit. 816 Damit geht das BVerwG auch von einer eingeschränkten Kontrolldichte aus, wenn es die planerische Abwägungsentscheidung auf die Abwägungsfehler Fehleinschätzung und Disproportionalität hin überprüft. 817 Ersichtlich wird eine Einschränkung daraus, wenn das BVerwG beide Verletzungstatbestände lediglich daraufhin untersucht, ob die Gewichtung verschiedener Belange zueinander nicht derart erfolgt ist, dass durch sie die objektive Gewichtigkeit eines Belangs völlig verfehlt wird. 818 Das BVerwG ist der Ansicht, dass das Abwägungsgebot grundsätzlich nicht verletzt ist, wenn der Plangeber bei kollidierenden Belangen den einen Belang bevorzugt und notwendigerweise den anderen zurückstellt. Diese Ausgleichsentscheidung ist folglich von der planerischen Gestaltungsfreiheit gedeckt. Rechtsfehler bei der Entscheidung über die Vor- und Zurückstellung widerstreitender Belange sind nur gerichtlich fassbar, wenn die Gewichtung der verschiedenen Belange zueinander, zur objektiven Gewichtigkeit eines dieser Belange, unverhältnismäßig ist. 819 Die Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs ist daran ersichtlich, dass das BVerwG von einer sachgerechten Abwägung ausgeht, auch wenn kein eindeutiges Übergewicht für einen Belang, z. B. bei Gleichgewicht, besteht. 820 In diesen Konstellationen kann es zu unterschiedlichen Gewichtungen von Planungsbehörde und Gericht kommen. Dennoch ist die Ausgleichsentscheidung nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht fehlerhaft; es liegt kein Verstoß gegen das Abwägungsgebot vor. 821 Insoweit besteht nämlich 814
BVerwGE 34, 301 (308); BVerwG, DVBl. 1980, 999 ff. Im Folgenden wird noch nicht auf den Begriff „Bewerten / Bewertung“ i. S. d. § 2 III BauGB abgestellt. Zur Konkretisierung dieses mit dem EAG Bau neu eingeführten Gesetzesbegriffs siehe ausführlich unten 3. Kapitel § 1 A. II., S. 220 f. 816 BVerwGE 34, 301 (309), BVerwGE 45, 309 (314 ff.). 817 Vgl. BVerwGE 56, 119 (126). 818 BVerwGE 45, 309 (315 ff.); vgl. außerdem die Darstellung der Rechtsprechungsansicht bei Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 144 ff. 819 BVerwGE 56, 100 (126); diese Formulierung ist eine Zusammenfassung beider Verletzungstatbestände. 820 BVerwGE 71, 166 (171); BverwGE 75, 214 (253 f.). 821 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 250 f.; siehe auch Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 145 f. 815
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
kein ausreichender Kontrollmaßstab für die Gerichtskontrolle. Auch eine Vertretbarkeitskontrolle der Ausgleichsentscheidung soll nach Ansicht des BVerwG nicht vorgenommen werden. Nach Ansicht des BVerwG wird die Ermächtigung zur planerischen Gestaltung nur rechtsgebunden gewährt. Es ist mit Art. 19 IV GG daher nicht vereinbar, auf eine Rechtskontrolle zu verzichten, indem anstelle der Rechtmäßigkeit nur noch planerische Vertretbarkeit überprüft wird. 822 Das BVerwG geht zur Durchführung einer Rechtmäßigkeitsprüfung von einem anderen Anknüpfungspunkt aus, indem es eine Trennung von objektiver Gewichtung und dem Abwägen vornimmt. 823 Anknüpfungspunkt für die Gerichtskontrolle ist die Bewertung der einzelnen Belange. Die Abwägungsentscheidung stützt sich auf die objektive Gewichtung der einzelnen Belange, so dass die Gewichtung eng mit der Ausgleichsentscheidung verbunden ist. Daher könnte auch bei der Einzelgewichtung der Belange die Gerichtskontrolle zur Wahrung der planerischen Gestaltungsfreiheit des Plangebers begrenzt sein. 824 Das BVerwG geht aber davon aus, dass die Bestimmung des objektiven Gewichts eines Belangs theoretisch gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar ist, da es sich dabei um Rechtsanwendung handelt. 825 Die Bestimmung des objektiven Gewichts eines Belangs ist eine gebundene und somit vollständig überprüfbare Entscheidung. 826 Nach der Auffassung des BVerwG können die Gerichte daher selbst eine eigenständige Gewichtung der einzelnen Belange vornehmen. Eine Bindung der Gerichte an die Bewertung der Behörde besteht demnach gerade nicht. Für die Annahme einer eigenen Bewertung durch die Gerichte spricht auch, dass nach der objektiven Gewichtigkeit, d. h. nach der sachlichen und unparteiischen Gewichtigkeit gefragt ist. Ohne eine eigene Bewertung des objektiven Gewichts durch die Gerichte können diese keinen Vergleichsmaßstab bilden, um überprüfen zu können, ob die objektive Gewichtung eines Belangs verkannt wurde. Die im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle vorgenommene Gewichtung ist demnach einzig richtiger und tauglicher Kontrollmaßstab, anhand dessen die von der Behörde getroffene Gewichtung gemessen werden kann. 827 Nach Ansicht des BVerwG führt die theoretische Trennung zwischen der Bestimmung des objektiven Gewichts eines Belangs und der sich anschließenden Ausgleichsentscheidung nicht zum Ausschluss der planerischen Gestaltungsfreiheit beim Vorgang der Bestimmung der objektiven Gewichtigkeit, denn das 822
BVerwGE 75, 214 (254). BVerwGE 56, 119 (126); BVerwGE 75, 214 (254); vgl. zudem die Darstellung bei Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 145 f. 824 So auch Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (300). 825 BVerwGE 34, 301 (308); BVerwGE 45, 309 (324); BVerwGE 47, 144 (150). 826 BVerwGE 75, 214 (254). 827 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 249 f.; Ibler, JuS 1990, S. 7 (12); Ibler, DVBl. 1989, S. 639 (641). 823
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Gericht nimmt einen Rechtsfehler nur an, sofern die von der Behörde vorgenommene Gewichtung des Belangs im Vergleich zu der vom Gericht vorgenommenen Gewichtung schlechthin unverhältnismäßig ist. 828 Erst dann liegt die Verkennung der Bedeutung eines Belangs vor. Innerhalb dieser Grenze kann die Behörde folglich eine andere objektive Gewichtung vornehmen und es besteht so Raum für planerische Gestaltungsfreiheit. 829 Das BVerwG erkennt insofern an, dass die theoretisch vorgenommene Trennung in der Praxis meist nicht streng vollzogen werden kann. Andererseits behält sich das BVerwG dennoch die Möglichkeit einer grundsätzlich möglichen unbeschränkten Kontrolldichte hinsichtlich der Bestimmung der objektiven Gewichtigkeit vor, 830 was Sendler auch als den „drohenden Knüppel aus dem Sack“ 831 bezeichnet hat. Die Annahme einer unbeschränkten Kontrolle der objektiven Gewichtung eines Belangs reduziert jedoch die planerische Gestaltungsfreiheit auf den Ausgleich der Belange. Gerade vor dem Hintergrund der nur schwer durchführbaren Trennung von objektiver Gewichtung und Ausgleich der Belange würde die Folge einer vollen Kontrolle sein, dass es keines gestalterischen Abwägen, sondern nur noch eines „Rechenwerks“ 832 bedarf, da die jeweilige Gewichtigkeit der Belange ja bereits vollkontrollierbar bestimmt ist und damit feststeht, welcher Belang überwiegt und welcher unterliegt. 833 Vollkontrollierbar bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass die Letztentscheidung über die Gewichtigkeit eines Belangs nicht beim Planungsträger, sondern bei den kontrollierenden Gerichten liegt. 834 Zugegebenerweise trifft die Reduzierung des Ausgleichs der Belange auf reines Rechenwerk nur in den Fällen sich ausschließender oder konkurrierender Belange zu, wo rein nach dem Gewicht des Belangs vor- oder zurückgestellt werden kann. In den Fällen, in denen Belange jeweils von gleichem Gewicht sind, kann der Planungsträger im Rahmen der Gestaltungsfreiheit sich für den einen oder den anderen Belang entscheiden. 835 Ein solch reduziertes Verständnis der planerischen Gestaltungsfreiheit ist aber nicht mit dem vom BVerwG entwickelten Verständnis rechtsstaatlicher Planung vereinbar, wonach Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre. 836 Eine über die vom BVerwG entwickelte, wie oben dargelegt, hinausgehende Kontrolle der objektiven Ge828
BVerwGE 45, 309 (324). Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 251. 830 BVerwGE 45, 309 (324). 831 Sendler, in: Planung und Plankontrolle – FS Schlichter, S. 66. 832 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (299 f.). 833 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (299 f.); Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 38. 834 Zu Gestaltungsfreiheit und Letztentscheidungskompetenz siehe oben § 3 D. VII., S. 81 ff. 835 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 41. 836 BVerwGE 34, 301 (304). 829
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
wichtigkeit eines Belangs ist mit der gewährten planerischen Gestaltungsfreiheit somit nicht vereinbar.
C. Die Ansichten in der Literatur I. Die Abwägungsphasen Während einige Stimmen dem dreiphasigen Abwägungsmodell des BVerwG folgen, werden im Schrifttum auch zweiphasige und vierphasige Abwägungsmodelle vertreten. 1. Das zweiphasige Modell Die Vertreter des zweiphasigen Modells gehen davon aus, dass die planerische Abwägung in zwei Denkstufen zu bewältigen ist. Die erste Phase besteht aus der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. In der zweiten Phase erfolgt die eigentliche Abwägung, nämlich das Gewichten und Ausgleichen der verschiedenen Belange. Nach dieser Ansicht wird der enge Zusammenhang zwischen dem Gewichten und der Ausgleichsentscheidung als zumindest praktisch untrennbar berücksichtigt. 837 Daher wird angenommen, dass es nur eine einheitliche Denkstufe der relativen Gewichtung gibt. 838 2. Das vierphasige Modell Im Unterschied zum dreiphasigen Abwägungsmodell entsteht die vierte zusätzliche Phase durch die Aufteilung der Phase der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials in die Phase der Ermittlung und in die Phase der Einstellung des Abwägungsmaterials. 839 Im Prinzip steht das vierphasige Modell nicht im Widerspruch zum Modell der Rechtsprechung, denn es stellt eine Ausdifferenzierung desselben dar. 840 Die erste Phase der Ermittlung beinhaltet die Erfassung aller generell abwägungsbeachtlichen, d. h. aller erkennbaren, mehr als geringwerti837
Schulze-Fielitz, Jura 1992, S. 201 (205). So im Ergebnis auch Söfker, der diese Phase als die „Ausgleichsfunktion der Abwägung“ bezeichnet: Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 185; ablehnend wegen weniger Objektivität und mangelndem Ordnungsvermögen Erbguth, JZ 2006, S. 484 (489). 838 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 59. 839 So nach Hoppe: Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (906 f.); Hoppe, DVBl. 1992, S. 853 (856 f.); Hoppe hat sich damit von der vom BVerwG und auch von ihm früher vertretenen dreiphasigen Abwägung abgewandt. Vgl. zur früheren Ansicht Hoppes: Hoppe, in: Ernst / Hoppe, ÖffBauR, 2. Aufl., Rn. 284 ff.; a. A. und der Rspr. beipflichtend Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 147. 840 Vgl. m.w. N. Erbguth, JZ 2006, S. 484 (489).
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
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gen und schutzwürdigen Belange. Hoppe sieht in der ersten Phase eine grobe Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. 841 In einem zweiten Schritt soll in der zweiten Phase konkret ermittelt werden, welche Belange in die Abwägung einzustellen sind. 842 Diese zweite Phase stellt demnach eine Art „Feinselektion“ 843 des Abwägungsmaterials dar. In der dritten Phase werden die einzelnen in die Abwägung eingestellten Belange gewichtet, d. h., es wird, wie nach dem Modell der Rechtsprechung, die objektive Gewichtigkeit des einzelnen Belangs bestimmt. 844 Die drei vorausgegangenen Phasen bereiten so die vierte Phase, nämlich die Abwägungs- oder Ausgleichsentscheidung zwischen den Belangen, vor. 845 II. Die Korrelierung von Kontrolldichte und Fehlergruppen in den einzelnen Phasen nach den Literaturansichten 1. Im zweiphasigen Abwägungsmodell Die erste Phase der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials ist, nach den Vertretern des zweiphasigen Abwägungsmodells, konditional strukturiert. 846 Folglich werden die Belange im Wege der Auslegung und der Subsumtion ermittelt. Für die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials im Wege der Rechtsanwendung bestehen damit ausreichend Kontrollmaßstäbe für eine vollständige gerichtliche Überprüfung. 847 Insoweit bestehen hinsichtlich der Gerichtskontrolle in der ersten Phase keine Unterschiede zur Ansicht des BVerwG. Die zweite Phase der Gewichtung vereinigt die Bestimmung des objektiven Gewichts und die anschließende Planungs- bzw. Ausgleichsentscheidung. Fraglich ist, ob die für die Ausgleichsentscheidung angenommene planerische Gestaltungsfreiheit nun die Kontrolldichte für die gesamte zweite Phase einschränkt. Folgt man Dreier, der maßgeblich die zweiphasige Abwägung vertritt, besteht die zweite Phase sowohl aus „heteronomen“ als auch aus „autonom-politischen“ Elementen. 848 Für die Gerichtskontrolle lässt sich daraus folgern, dass, obwohl die zweiphasige Abwägung nicht von einer Trennung von Gewichtsbeimessung 841
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 40 ff. Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (907); Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 33 f. 843 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 34. 844 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (907). 845 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (907). 846 Vgl. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 66 f. 847 Vgl. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 66 f., insbes. 69 ff., 72 ff.; siehe insoweit auch BVerwG 34, 301 (308 f.). 848 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 63 f. 842
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
und Ausgleichsentscheidung ausgeht, es dennoch heteronome Determinanten gibt, die auf die Gewichtsbeimessung und gleichzeitig auf die Ausgleichsentscheidung Einfluss nehmen. Insofern gibt es auch Kontrollmaßstäbe für eine Gerichtskontrolle. Dreier selbst sieht normativ oder durch andere Kriterien (wie bspw. der Grundsatz „Ausbau vor Neubau“, das Gebot der Konfliktbewältigung oder das Rücksichtnahmegebot) bestimmte Gewichtskomponenten, die heteronom erkannt werden. 849 Die Zuteilung der Gewichtskomponente wird als autonom angesehen. 850 Aufgrund der nicht vorgenommenen Trennung zwischen Gewichtsbestimmung des einzelnen Belangs und der Ausgleichsentscheidung muss die Gerichtskontrolle anhand normativ vorgegebener Gewichtung 851 bestimmter Belange in einer „apriori relativen Gewichtung“ 852 erfolgen. Zwar werden auf diese Weise heteronome Gewichtungen einzelner Belange berücksichtigt, was gerichtlich auch nachprüfbar sein soll. Gleichzeitig werden diese Gewichtungen in die von der planerischen Gestaltungsfreiheit gedeckte Ausgleichsentscheidung von Anfang an mit vermengt. Im Vergleich zu der Ansicht des BVerwG führt dies m. E. zu einer geringeren Kontrolldichte, denn der isolierte Schritt der Gewichtsbestimmung ermöglicht eine vollständigere Berücksichtigung des normativ zugewiesenen objektiven Gewichts. Bei einer gleichzeitigen Vermengung mit den Gewichten anderer Belange erscheint der Umfang der heteronomen Maßstäbe wegen der geringeren Entflechtung der unterschiedlichen Belange beschränkt. 853 2. Im vierphasigen Abwägungsmodell Mit dem vierphasigen Modell soll einer behaupteten Uferlosigkeit 854 bei der Ermittlung und Zusammenstellung des Abwägungsmaterials entgegengewirkt werden. Nach Ansicht des BVerwG sind die in die Abwägung einzustellenden Belange durch Auslegung und Subsumtion zu ermitteln. 855 Um in dem dreiphasigen Abwägungsmodell durch Subsumtion konkretisieren zu können, welche Belange abwägungsbeachtlich sind, bedarf es vorausgehend einer möglichst vollständigen Ermittlung aller relevanten Belange. Nur so kann im Wege 849 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 64, insbes. S. 86 f., wobei Dreier dem Rücksichtnahmegebot und dem Gebot der Konfliktbewältigung nur eine geringe Maßstabsfunktion beimisst. 850 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 64. 851 Zu den normativen Gewichtungsvorgaben, die auf diese Weise die Abwägung steuern sollen, vgl. Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 76 ff. 852 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (489). 853 Vgl. zur Gewähr des objektiven Gewichts im Vergleich zur zweiphasigen Abwägung Erbguth, JZ 2006, S. 484 (489). Hieraus kann auch im Umkehrschluss auf einen geringeren Umfang an Kontrollmaßstäben geschlossen werden. 854 Vgl. Hoppe, DVBl. 1975, S. 684 (688 f.). 855 BVerwGE 45, 309 (322 f.); so auch Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (301 ff.); Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 223 f.
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der Subsumtion konkretisiert werden, welcher Belang abwägungserheblich ist. Auf diese Weise werde die Ermittlung der Belange uferlos und überfordere die planende Behörde. 856 Dem vierphasigen Abwägungsmodell Hoppes liegt bereits ein anderes Normverständnis zugrunde. Danach sind die abwägungsbeachtlichen Belange erst gar nicht durch Auslegung und Subsumtion ermittelbar. Die Ermittlung beinhalte bereits wertende und prognostische Elemente und sei daher final gesteuert. 857 Des Weiteren handele es sich, nach dem finalen Normverständnis, bei den Kriterien zur Bestimmung der Abwägungsbeachtlichkeit (Schutzwürdigkeit, Gewichtigkeit und Erkennbarkeit) nicht um unbestimmte Rechtsbegriffe. 858 Die Abwägungsbeachtlichkeit werde autonom und gerade nicht anhand heteronomer Maßstäbe bestimmt. Hoppe versteht die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials als „Prozess der Informationsgewinnung“ 859. Die Bereitstellung des Abwägungsmaterials wird dabei auch heteronom durch die Planungsleitsätze 860 aus § 1 VI BauGB gesteuert. In maßgeblicher Hinsicht sei der Prozess aber ein Auswahlprozess. 861 Die planende Behörde entscheidet dabei bereits bei der Ermittlung der Belange autonom, denn bereits die Ermittlung der Belange enthalte Wertungen und Prognosen. 862 Die Gerichtskontrolle ist nach dieser Ansicht folglich bereits in der ersten Phase bei der Ermittlung durch die in der finalen Normstruktur zum Ausdruck kommende planerische Gestaltungsfreiheit eingeschränkt. 863 Hoppe unterscheidet in der ersten Phase Ermittlungsfehler und Prognosefehler, die er jeweils ähnlich der Abwägungsfehlerlehre ausdifferenziert. 864 Bestandteil der Ermittlung sei die Prognose der planenden Behörde diesbezüglich, welche Belange durch die Realisierung der Bauleitplanung betroffen sein könnten. Dabei stehe dem Plangeber zwar kein Beurteilungsspielraum, aber ein Spielraum bei der Prognose zu, für den es ebenfalls keine Kontrollmaßstäbe gebe. 865 Das 856 So Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 305; Hoppe, DVBl. 1977, S. 136 (139); Just, Ermittlung und Einstellung von Belangen bei der planerischen Abwägung, S. 101; anders Ibler, der die Schlussfolgerung einer uferlosen Ausweitung für nicht zwingend hält. Vielmehr könne durch Auslegung eine Präzisierung vorgenommen werden: Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 225. 857 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 99; Hoppe, in: Ernst / Hoppe, ÖffBauR, 2. Aufl., Rn. 186, 312 a; Hoppe, in: FS Scupin, S. 134. 858 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 100. 859 Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 305. 860 Siehe oben § 4 A., S. 93 ff. 861 Hoppe, in: FS BVerwG I, S. 306. 862 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 100; vgl. SchulzeFielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, S. 320 f. 863 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 40, 99; im Ergebnis zustimmend Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 133 ff. 864 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 90 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Prognoseergebnis als solches sei nicht gerichtlich kontrollierbar. Hinsichtlich des Prognoseergebnisses könnten die Gerichte nur eine Vertretbarkeitskontrolle vornehmen. 866 Die Prognosebasis sei hingegen voll kontrollierbar. 867 Insgesamt zeichnet Hoppe ein Bild einer sehr ausdifferenzierten Kontrolldichte in der ersten Abwägungsphase, die im Unterschied zu der Ansicht des BVerwG aufgrund der Annahme finaler Normstrukturen auch mehr eingeschränkt sein kann. In der zweiten Phase stellt sich die Frage, inwieweit gerichtlich überprüft werden kann, ob die konkret abwägungsbeachtlichen Belange vollständig in die Abwägung eingestellt worden sind. Auch bei der Einstellung handele es sich um Wertungsfragen, die der gerichtlichen Kontrolle entzogen sind. Hoppe geht hier von einer Evidenzkontrolle aus. Kontrollmaßstab soll an dieser Stelle der Sorgfaltsmaßstab sein. 868 Auch in der dritten Phase, der Gewichtung, sieht Hoppe einen autonomen Teil, so dass trotz gesetzlicher Gewichtungsvorgaben die Kontrolldichte in dieser Phase ebenfalls eingeschränkt sein soll. 869 Die in der vierten Phase getroffene Planungsentscheidung sei dann weitgehend kontrollfrei. 870 Hinsichtlich des Ausgleichs der widerstreitenden Belange könne wie nach Ansicht des BVerwG eine Evidenzkontrolle vorgenommen werden. Hoppe, der unter Optimierungsgeboten die maximale Berücksichtigung des zu optimierenden Belangs versteht, nimmt hier eine besondere Kontrolldichte hinsichtlich der Ausgleichsentscheidung an. Die höhere Kontrolldichte korrespondiert mit dem zusätzlichen Kontrollmaßstab. 871
D. Die Doppelkontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis In seiner Rechtsprechung zum Abwägungsgebot unterscheidet das BVerwG 872 zwischen dem Prozess der Abwägung (Abwägungsvorgang) und dem fertigen Produkt, dem Ergebnis des Abwägens (Abwägungsergebnis). Diese Unterschei865
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 101. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 108 f. 867 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 106. 868 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 115. 869 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 117. 870 Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 125; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 121. 871 Vgl. dazu oben § 4 B. II. 6., S. 106 ff. 872 Ständige Rspr. des BVerwG: BVerwGE 45, 309 (314 f.).; BVerwGE 41, 67 (71); BVerwG, NVwZ 1987, 578 (582 ff.). 866
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dung wird allgemein getragen. 873 In § 214 III S. 2 BauGB hat der Gesetzgeber diese Differenzierung ebenfalls übernommen. 874 Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots in gleichem Umfang sowohl an den Vorgang als auch an das Ergebnis anzulegen ist, also ob die Kontrollmaßstäbe jeweils identisch sind und so eine Doppelkontrolle erfolgen soll. 875 Das BVerwG geht davon aus, dass sowohl Abwägungsvorgang als auch das Abwägungsergebnis gesondert anhand der Anforderungen des Abwägungsgebots überprüft werden. 876 Anerkannt ausgenommen von der Doppelkontrolle des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses ist das Erfordernis einer Abwägung überhaupt. Der Fehler des Abwägungsausfalls kann nur bei der Überprüfung des Abwägungsvorgangs relevant werden, so dass das Abwägungsergebnis dahingehend nicht mehr überprüft werden muss. 877 Ansonsten ist der Umfang der Überprüfung des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses anhand der Anforderungen des Abwägungsgebots im Schrifttum umstritten. Die Ansichten reichen von einer bloßen Vorgangskontrolle, einer bloßen Ergebniskontrolle, über eine differenzierte Kontrolle nur bestimmter Abwägungsfehler nur im Vorgang oder Ergebnis bis hin zu einer Doppelkontrolle anhand identischer Maßstäbe. Koch vertritt die Beschränkung der Kontrolle auf den Abwägungsvorgang. 878 Aus der Ermessensfehlerlehre leitet er für die planerische Abwägung die Differenzierung zwischen Begründung und Begründbarkeit ab. Diese Differenzierung stecke hinter der Differenzierung Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. 879 Unter einer Begründungsprüfung ist dabei die Prüfung zu verstehen, ob die von der planenden Behörde gegebene Begründung und somit der Vorgang fehlerfrei ist. 880 Bei der Begründbarkeitsprüfung hingegen ist zu prüfen, ob sich das Ergebnis bzw. der Bebauungsplan vernünftigerweise rechtfertigen ließe. 881 Eine fehlerfreie Begründung liefert damit eine Rechtfertigung und schließt eine 873 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 187; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 127; Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 138; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 13 Rn. 15. 874 Der Gesetzgeber hat diese Differenzierung bereits durch die Beschleunigungsnovelle von 1979 in § 155b II S. 2 BBauG übernommen. 875 Die Maßstabsidentität bejahend und die Rspr. bestärkend Ibler, DVBl. 1988, S. 469; ähnlich auch Käß, Inhalt und Grenzen, S. 178 f.; Bell / Rehak, UPR 2004, S. 296 (297); a. A. Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1129); Koch / Hendler, Baurecht, 4. Aufl., § 17 Rn. 62 ff.; im Ergebnis ebenso Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 159 ff.; ablehnend auch Heinze, NVwZ 1986, S. 87 (89 f.); differenzierend nach Abwägungsfehlern Erbguth, DVBl. 1986, S. 1230 (1233 ff.). 876 BVerwGE 45, 309 (315); BVerwGE 64, 33 (34 ff.). 877 Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 108. 878 Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1132). 879 Koch, DVBl. 1989, S. 399 (399 f.). 880 Vgl. Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1127).
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fehlerfreie Begründbarkeit des Ergebnisses mit ein. 882 Folglich ist zunächst zu fragen, ob die planende Behörde eine dem Abwägungsgebot genügende Begründung vorgenommen hat. Ob die Begründung fehlerfrei sei, könne bereits bei der Kontrolle des Abwägungsvorgangs festgestellt werden. Genügt der Abwägungsvorgang den Anforderungen des Abwägungsgebots, sei das Ergebnis, der Plan, auch stets begründbar. Ausnahmsweise solle die Begründbarkeit in dem Fall gesondert überprüft werden, in dem die fehlerhafte Begründung ergebniskonservierend wirke; also um einen fehlerhaft begründeten Plan zu retten. 883 Heinze hingegen beschränkt die Kontrolle auf die Überprüfung des Abwägungsergebnisses. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anforderungen des Abwägungsgebots bezögen sich nur auf das Abwägungsergebnis und nicht auf den Vorgang. Aus rechtsstaatlicher Sicht werde weder ein bestimmtes Zustandekommen noch eine bestimmte Begründung verlangt. 884 Erbguth geht nicht von einer Maßstabsidentität bei der Gerichtskontrolle aus. 885 Seiner Meinung nach sind die Anforderungen des Abwägungsgebots differenziert einmal dem Vorgang und einmal dem Ergebnis zuzuordnen. Seiner Ansicht nach sind dem dynamischen Prozess des Abwägungsvorgangs die Anforderungen des Abwägungsgebots, kein Abwägungsausfall, kein Abwägungsdefizit, keine Abwägungsfehleinschätzung als Kontrollmaßstäbe zuzuordnen, denn diese Fehlerquellen seien gerade auf den prozesshaften Charakter des Vorgangs zugeschnitten. 886 Das statische Abwägungsergebnis hingegen sei nur hinsichtlich einer Abwägungsdisproportionaltität zu überprüfen. 887 Eine im Ergebnis zu Erbguth identische Fehlerzuordnung zu Vorgang und zu Abwägungsergebnis nimmt Özdemir vor. 888 Im Gegensatz zu Erbguth ordnet Özdemir die Fehler nicht nach den Kriterien statisch / dynamisch jeweils dem Abwägungsvorgang oder -ergebnis zu, sondern sie ist der Ansicht, dass aus der Kontrollperspektive die letzte Phase der Abwägung – die Ausgleichsentscheidung – nur anhand des Abwägungsergebnisses überprüft werden kann. 889 Der Abwägungsvorgang hingegen treffe keine Aussage über den letztendlich vorge881
Vgl. Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1126 f.). Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1128); Koch / Hendler, Baurecht, 4. Aufl., § 17 Rn. 64. 883 Vgl. Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1127). 884 Vgl. Heinze, NVwZ 1986, S. 87 (89 f.). 885 Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 141; Erbguth, DVBl. 1986, S. 1230 (1233). 886 Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 143; Erbguth, DVBl. 1986, S. 1230 (1233). 887 Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 143; Erbguth, DVBl. 1986, S. 1230 (1233). 888 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 63 ff. 889 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 63. 882
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
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nommenen Ausgleich. Ob der Ausgleich der Belange unverhältnismäßig bzw. abwägungsdisproportional ist, lasse sich nur anhand des fertigen Plans – d. h. dem Abwägungsergebnis – bemessen. 890 Ob alle abwägungsbeachtlichen Belange in die Abwägung eingestellt worden sind, lasse sich widerum gerade nicht aus dem Abwägungsergebnis entnehmen, denn anhand planerischer Festsetzungen des fertigen Plans lasse sich das nicht überprüfen. 891 Mangels einer Aussage des Abwägungsergebnisses ist der Abwägungsvorgang auf Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit und Abwägungsfehlgewichtung zu überprüfen. Eine gesonderte Überprüfung des Abwägungsergebnisses sei auch nicht überflüssig, selbst wenn die Zusammenstellung und Gewichtung im Abwägungsvorgang fehlerfrei erfolgt seien. Der Ausgleich der Belange stelle auch bei fehlerfreier Gewichtung keine rein rechnerische Vor- bzw. Zurückstellung entsprechend der vorgenommenen Gewichtung dar. Dies gelte insbesondere in den Fällen konfligierender Belange. 892 Unter konfligierenden Belangen versteht Özdemir eine Konfliktlage zwischen betroffenen Belangen, die zur Auflösung nicht des Ausschlusses eines der betroffenen Belange bedarf. Anstelle des Vor- und Zurückstellens wird die Konfliktlage über den kompromisshaften Ausgleich der Belange gelöst (wie bspw. über die Reduzierung des geplanten Vorhabens, um so dem grundsätzlichen Ausschluss des Planvorhabens zu entgehen). 893 In diesem Fall bedürfe es, trotz fehlerfreier objektiven Gewichtung der Belange, der Überprüfung des Abwägungsergebnisses auf eine Abwägungsdisproportionalität hin. 894 Die Doppelkontrolle anhand identischer Maßstäbe im Sinne des BVerwG bejaht dagegen Ibler. Seiner Ansicht nach ergibt sich die Differenzierung zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis aus den Kontrollgegenständen. Bei der Ergebniskontrolle ist der Planinhalt selbst Kontrollgegenstand. Ob das Abwägungsergebnis fehlerhaft ist, ergibt sich aus dem Planinhalt und aus dem Bezug des Plans zu dessen örtlicher Situation. Der Planinhalt und die Festsetzungen lassen in einer Kontrolle erkennen, dass der Plangeber bestimmten Belangen ein besonderes Gewicht eingeräumt und einen Ausgleich in der festgesetzten Weise vorgenommen hat. 895 Folglich lässt sich bei einer Ergebniskontrolle insbesondere die Abwägungsdisproportionalität feststellen. Gleiches gilt auch für die Abwägungsfehleinschätzung, die eng mit der Abwägungsdisproportionalität verbunden ist. Wird ein objektiv gewichtiger Belang nicht berücksichtigt, der auch nicht in einer Abwägung überwindbar ist, kann die Ergebniskontrolle auch ein Abwägungsdefizit aufdecken. 896 Die Fehlerfreiheit des Abwägungsergebnisses lässt dabei gerade nicht auf einen fehlerfreien Abwägungsvorgang schließen. 890 891 892 893 894 895
Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 63 ff. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 56. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 64. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 25 f. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 64. Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (472).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Ein fehlerhafter Abwägungsvorgang kann trotz fehlerfreiem Abwägungsergebnis immer noch vorliegen. Kontrollgegenstand der Vorgangskontrolle ist der Entscheidungsfindungsprozess des Planungsträgers. In die Kontrolle mit einbezogen werden daher nicht nur die Planbegründung, sondern auch Protokolle und Akten, die die zeitliche Entwicklung und Vorgehensweise des Plangebers aufzeigen. Diese Kontrollgegenstände werden als Kontrollgegenstände der äußeren Seite des Abwägungsvorgangs bezeichnet, weil Fehler daraus objektiv erfassbar sind. 897 Die Fehler auf der inneren Seite des Abwägungsvorgangs sind der Vorgangskontrolle nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht zugänglich. 898 Kontrollgegenstände der inneren Seite des Abwägungsvorgangs sind die Entscheidungsmotive und Vorstellungen der an der Planung Beteiligten. 899 Allein anhand des Planinhalts lassen sich oft nicht alle Fehler ermitteln. Werden nun unterschiedliche Kontrollgegenstände anhand identischer Maßstäbe geprüft, ist es gerade nicht überflüssig, diese auf dieselben Fehler zu untersuchen. 900 Ungeachtet der Kritik aus dem Schrifttum hält das BVerwG und halten Teile der Literatur an der Doppelkontrolle anhand identischer Maßstäbe fest. 901 Aus der Perspektive des kontrollierenden Gerichts ist der Schluss Kochs von einem fehlerfreien Vorgang zu einem fehlerfreien Ergebnis nämlich keineswegs zwingend. So können Belange, die für die planende Behörde nicht erkennbar waren und so nicht in den Vorgang einzustellen waren, immer noch zu einem disproportionalen Abwägungsergebnis führen. 902 Die Ansicht Kochs bietet zudem weitere Angriffspunkte. Es wird bereits angezweifelt, dass Kochs Unterscheidung von Begründungs- und Begründbarkeitskontrolle der gerichtlichen Unterscheidung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis entspricht. 903 Das BVerwG hat zum Kontrollgegenstand ausgeführt, dass Kontrollgegenstand die von der planenden Behörde erlassene Planung ist. Die Frage, auf welche Weise abwägungsfehlerfrei hätte geplant werden können, ist dabei gerade nicht der Kontrollgegenstand. 904 Folglich geht das BVerwG von einer „Begründungsprüfung“ sowohl im Vorgang als auch im Ergebnis aus. 905 Kochs Unterscheidung, die Vorgangskontrolle als Begründungskontrolle und die Ergebniskontrolle als Begründbarkeitskontrolle zu verstehen, ist folglich nicht zwingend. 906 Fraglich 896
Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (472). BVerwGE 56, 110 (128); BVerwGE 64, 33 (38 ff.); BVerwGE 128, 238 (245). 898 Vgl. dazu unten § 6 D. V., S. 151 f. 899 BVerwGE 56, 110 (128); BVerwGE 64, 33 (38). 900 Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (472). 901 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (489); siehe auch bei Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 158 ff. 902 Vgl. m.w. N. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 177. 903 Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (471). 904 Vgl. BVerwG, NVwZ 1989, 152 (153). 905 Vgl. m.w. N. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 171. 897
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ist ferner, wie die Ansicht Kochs mit dem Wortlaut von § 214 III S. 2 letzter Hs. BauGB vereinbar ist, wonach Fehler des Abwägungsergebnisses stets beachtlich sind und nur Fehler im Vorgang unbeachtlich sein können. Dem liegt die gesetzgeberische Erwägung zugrunde, dass nicht bereits jede fehlerhafte Erwägung beim Vorgang der Planung nicht gleich zu einem rechtswidrigen Plan führe. 907 Die Ansicht Kochs, dass eine Ergebniskontrolle (verstanden als Begründbarkeitskontrolle) überflüssig sei, ist nur schwer mit dem Wortlaut des § 214 III S. 2 letzter Hs. BauGB zu vereinbaren. 908 Gegen Heinzes Reduzierung auf eine Ergebniskontrolle spricht, dass die der planenden Gemeinde eingeräumte planerische Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf die Ergebniskontrolle nur eine eingeschränkte Kontrolle ermöglicht. Dem Abwägungsvorgang kommt daher eine diese Einschränkung kompensierende Funktion zu. Der Abwägungsvorgang soll eine nach allen Seiten richtige Entscheidung garantieren. Auf eine Gerichtskontrolle darf aufgrund der besonderen Bedeutung des Abwägungsvorgangs für die Entscheidung nicht verzichtet werden. 909 Bereits Heinzes Grundannahme, das Rechtsstaatsprinzip beziehe sich nicht auf den Abwägungsvorgang, vermag er selbst nicht zu begründen 910 und ist Gegenstand der Kritik. 911 Erbguths Zuordnung der Fehlerarten, wie sie vom BVerwG gebildet werden, zu der dynamischen Komponente (Abwägungsvorgang) und statischen Komponente (Abwägungsergebnis) ist nicht durchzuhalten, da Fehler bei der Ausgleichsentscheidung nicht nur der statischen Komponente zugeordnet werden können. 912 Der Ausgleichsentscheidung geht ein Inbeziehungsetzen der einzelnen Belange in einem Entscheidungsprozess voraus. Die Ausgleichsentscheidung enthält folglich auch dynamische Komponenten. Umgekehrt enthält die objektive Gewichtung der Belange, sobald sie getroffen wurde, auch eine statische Komponente. 913 906
Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (471). Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 161. Vgl. zudem Ibler, wonach ein Abwägungsvorgang nicht rechtsfehlerhaft sei, weil nicht sachgerechte Erwägungen angestellt werden, diese aber noch während des Vorgangs wieder aufgegeben werden: Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (473 f.). 908 Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (471). 909 Vgl. Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 157. 910 Vgl. die Ausführungen bei Heinze, NVwZ 1986, S. 87 (98), wonach der Anspruch auf rechtliches Gehör unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip ausnahmsweise auch Verfahrensanforderungen aufstelle. Diese inkonsequente Argumentation analysiert Ibler als Zweifel Heinzes an der eigenen Auffassung. Vgl. zur ausführlichen Kritik an der Ansicht Heinzes: Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 269 f. 911 Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 269; zustimmend und ausführlich mit weiterer Kritik an Heinze: Käß, Inhalt und Grenzen, S. 172 f. 912 So auch die Kritik von Özdemir, die darauf abstellt, dass aus der Handlungsperspektive der Ausgleich der Belange zum Abwägungsvorgang gehöre: Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 65. 907
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Obwohl die Rechtsprechung des BVerwG stets an der Maßstabsidentität festgehalten hat, versucht Erbguth aus dieser Rechtsprechung verschiedene Maßstäbe abzuleiten, was zu Recht auf Kritik gestoßen ist. 914 Ebenso leitet Özdemir explizit aus der Flachglas-Entscheidung 915 die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe ab, 916 obwohl in dieser Entscheidung das BVerwG die doppelte Überprüfung anhand identischer Maßstäbe ausdrücklich vorgenommen hat. 917 Auch trägt die Begründung, aus dem fertigen Plan lasse sich kein Abwägungsdefizit in der Gerichtskontrolle erkennen, nicht. Wie dargelegt, hat Ibler aufgezeigt, dass sich anhand des Plans als Kontrollgegenstand ein Abwägungsdefizit erkennbar messen lässt. 918 In der Weise, in der Özdemir den Plan als Kontrollgegenstand definiert, ist ihre Argumentation nachvollziehbar. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass immer der Plan in Bezug zu dessen örtlicher Situation Kontrollgegenstand ist und nicht der Plan alleine. Anhand des Plans und des Bezugs zur örtlichen Situation lassen sich, wie dargelegt, auch ein Abwägungsdefizit oder eine Abwägungsfehlgewichtung in der Kontrolle feststellen. 919 Insgesamt vermag nur die Ansicht, die mit der Rechtsprechung anhand der Kontrollgegenstände unterscheidet, zu überzeugen. 920 Die Doppelkontrolle ist der notwendige Schluss aus den eingeschränkten Kontrollmaßstäben bei der planerischen Abwägung. 921 Die jeweils gesonderte Prüfung von Vorgang und Ergebnis ist berechtigt. Ohne eine gesonderte Ergebniskontrolle könnten Fehler übersehen werden, die bei einer reinen Vorgangskontrolle für die Gerichte nicht ersichtlich sind. 922 Für das Abwägungsgebot als Ausfluss des Rechtsstaatsgebots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt es gerade auf die Fehlerfreiheit des Ergebnisses an, was eine gesonderte Prüfung des Ergebnisses erfordert. 923 Dem Abwägungsvorgang hingegen kommt eine Ausgleichsfunktion zu. 924 Die Aner913
Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (471); die strenge Zuordnung von Fehlerarten ebenfalls ablehnend: Käß, Inhalt und Grenzen, S. 174. 914 Jeweils mit Nachweisen aus der Rspr. Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (471); Koch, DVBl. 1989, S. 399 (402). 915 BVerwGE 45, 309. 916 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 66. 917 BVerwGE 45, 309 (315). 918 Siehe oben S. 137 f. 919 Siehe oben S. 136 f. 920 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 178 f.; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 187; a. A. Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 141; im Ergebnis diesem zustimmend Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 130; ebenso Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 188; im Ergebnis auch Durner, Konflikte, S. 324. 921 Vgl. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 178 f. 922 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 178 f. 923 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 178 f.
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
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kennung der Kompetenz zur Rechtskonkretisierung der Verwaltung durch die Gerichte wird durch eine Kontrolle des Vorgangs ausgeglichen. Auf diese Weise ist der Abwägungsvorgang Ausdruck und Instrument der Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Aufgrund der Angewiesenheit der von der Planung berührten Rechtsposition auf eine sachgerechte Abwägung darf auf eine Kontrolle des Abwägungsvorgangs nicht verzichtet werden. Die Vorgangskontrolle dient letztendlich der Überprüfung des Abwägungsergebnisses. 925 Der unterschiedliche Kontrollgegenstand macht die Prüfung auf die Fehlertypen, wie Ibler dargelegt hat, auch nicht überflüssig. 926 Vielmehr hat das BVerwG einen einheitlichen und hinreichenden Weg zur Kontrolle der Abwägung unter Wahrung der funktionalen Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit gefunden. 927 Gesondert zu betrachten ist im Folgenden die Frage, inwiefern sich Fehler im Abwägungsvorgang auf das Abwägungsergebnis auswirken. In § 214 III S. 2 BauGB a. F. hat der Gesetzgeber bereits bestimmte Anforderungen des Abwägungsgebots jeweils dem Vorgang oder dem Ergebnis zugeordnet, indem er bestimmte Fehler im Abwägungsvorgang für unbeachtlich erklärt und so die Kontrolle teilweise auf eine Ergebniskontrolle beschränkt. 928 Die Frage nach der Relevanz von Fehlern im Abwägungsvorgang stellt sich bei § 214 III S. 2 BauGB. 929 Festgestellt werden kann ferner, dass alle zuvor dargestellten Ansichten davon ausgehen, dass der Abwägungsvorgang keine verfahrensrechtlichen, sondern materielle Fragen zur Sachrichtigkeit der Abwägungsentscheidung beinhaltet. 930 Dem Abwägungsvorgang wird aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit neben der materiellen Entscheidung eine eigenständige Bedeutung beigemessen. Entsprechend den Ausführungen zur Vorgangskontrolle ist der Abwägungsvorgang kein Verfahrensrecht. 931
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Vgl. Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 157. Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (473). 926 Ibler, DVBl. 1988, S. 469 (472); Käß, Inhalt und Grenzen, S. 178 f. 927 Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 157. 928 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 187. 929 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 179. 930 Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (298); m.w. N. Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 156; Kraft, UPR 2004, S. 331 (331); Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 214; Koch, DVBl. 1983, S. 1125 (1127); Bettermann, in: FS H. Huber, S. 47 f. 931 Vgl. hierzu die Ausführungen zur systematischen Einordnung des Entscheidungsvorgangs in § 2 B. III. 2., S. 58 f. 925
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
E. Zusammenfassung § 5 Die planerische Abwägung ist der Ort, an dem sich die planerische Gestaltungsfreiheit verwirklicht. Das vom BVerwG entwickelte Abwägungsgebot stellt den notwendigen Ausgleich zwischen der Anerkennung eines eigenständigen Rechtserzeugungsbeitrags der Verwaltung und der Gewährleistung einer gerichtlichen Kontrolle her. Die planerische Abwägungsentscheidung ist wegen der vorausgesetzten Ergebnisoffenheit und der fehlenden normativen Fremdprogrammierung keine Billigkeitsentscheidung. Gerade aufgrund der konkreten Situationsbezogenheit der verbindlichen Bauleitplanung besteht das Bedürfnis nach umfassend rechtmäßigen Abwägungsentscheidungen. Die planerische Abwägung ist auf das Gewichten und das Inausgleichbringen der sich widerstreitenden Belange ausgelegt. Die zentrale Schwierigkeit bei der planerischen Abwägung besteht darin, geeignete Maßstäbe zu finden, anhand derer die konkret betroffenen Belange rational nachvollziehbar gewichtet werden und in einen Ausgleich gebracht werden können. Das BVerwG hat in seiner Grundsatzentscheidung zur planerischen Abwägung das Abwägungsgebot entwickelt, um einen Maßstab für die Gewichtung der Belange in der Abwägung zu gewinnen. Das BVerwG hat im Abwägungsgebot einen rechtsstaatlichen Grundsatz erkannt, so dass seither das Abwägungsgebot als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips anerkannt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG stellt das Abwägungsgebot folgende Anforderungen an die planerische Abwägung: Erstens muss eine Abwägung stattfinden. Zweitens müssen in die Abwägung die Belange eingestellt werden, die nach Lage der Dinge einzustellen sind. Drittens darf weder die Bedeutung der privaten und öffentlichen Belange verkannt werden noch darf der Ausgleich zwischen den Belangen derart vorgenommen werden, dass der vorgenommene Ausgleich zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange außer Verhältnis steht. Spiegelbildlich stellen die entwickelten Abwägungsfehler Handlungsanweisungen an die planende Behörde dar, deren Verletzung ein gerichtlich kontrollierbarer Verstoß gegen das Abwägungsgebot darstellt. Für die gerade beschriebenen Fehlergruppen hat sich zurückgehend auf Hoppe eine allgemeine Terminologie der Abwägungsfehler, nämlich Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität durchgesetzt. Die Abwägungsfehlerlehre stellt kein „monolithisches Gebäude und schematisch zu handhabendes Prüfraster dar“. Die vom BVerwG entwickelte Fehlerlehre unternimmt den Versuch, Fallgruppen hinsichtlich der jeweils entsprechenden Intensität der Kontrolldichte zu bilden. Die Fehlergruppen entsprechen so den unterschiedlich weiten rechtlichen Bindungen, die in den einzelnen Phasen der planerischen Abwägung bestehen. Entsprechend der bestehenden Bindungen kann die Kontrolldichte bei der Abwägung von einer Evidenzkontrolle bis hin zu einer inhaltlichen Vollkontrolle reichen. Während das BVerwG davon aus-
§ 5 Der Kontrollmaßstab des Abwägungsgebots
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geht, dass die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials inhaltlich voll auf den Fehler des Abwägungsdefizits kontrollierbar ist, verbleibt bei der Gewichtung, der Bewertung und dem Ausgleich der Belange Raum für die planerische Gestaltungsfreiheit. Damit ist die gerichtliche Kontrolldichte eingeschränkt, wenn die planerische Abwägungsentscheidung auf die Abwägungsfehler Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionaltität hin überprüft wird. Um eine Rechtmäßigkeitsprüfung durchführen zu können, nimmt das BVerwG eine theoretische Trennung zwischen objektiver Gewichtung eines Belangs und dem späteren Abwägen mit den widerstreitenden Belangen vor. Die Bestimmung des objektiven Gewichts eines Belangs ist von den Gerichten auf ihre Richtigkeit hin überprüfbar. Die planerische Gestaltungsfreiheit der planenden Behörde bleibt insoweit gewahrt, als dass das kontrollierende Gericht nur einen Fehler annimmt, wenn die von der Behörde vorgenommene Gewichtung des Belangs im Vergleich zu der vom Gericht vorgenommenen Gewichtung schlechthin unverhältnismäßig ist; der gerichtliche Kontrollmaßstab ist insoweit beschränkt. Rechtsfehler bei der Ausgleichsentscheidung über die Vor- und Zurückstellung widerstreitender Belange sind nur gerichtlich fassbar, wenn die Gewichtung der verschiedenen Belange zueinander, zur objektiven Gewichtigkeit eines dieser Belange, unverhältnismäßig ist. Die theoretische Trennung von objektiver Gewichtung und der darauf folgenden Ausgleichsentscheidung nach der Rechtsprechung wird als die planerische Gestaltungsfreiheit zu beschränkend bemängelt. Kritisiert wird, dass wenn die Gerichte die objektive Gewichtung der einzelnen Belange inhaltlich überprüfen könnten, die Ausgleichsentscheidung nur noch bloßes Rechenwerk sei. Dem ist zu entgegnen, dass auch bei der objektiven Gewichtung die Kontrollmaßstäbe bereits eingeschränkt sind und auf diese Weise Raum für die planerische Gestaltungsfreiheit verbleibt. Nach dem Modell der zweiphasigen Abwägung wird nicht zwischen Gewichten der Belange und der Ausgleichsentscheidung unterschieden. Dementsprechend sind die Kontrollmaßstäbe bei Gerichtskontrolle weiter eingeschränkt als nach der Ansicht der Rechtsprechung. Das ebenfalls vertretene vierphasige Modell ist eine Ausdifferenzierung des Modells der Rechtsprechung. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zwischen der groben Zusammenstellung und der anschließenden Feinselektion der Belange unterschieden wird. Wesentlicher Bestandteil der vom BVerwG entwickelten Abwägungsfehlerlehre ist die auch in § 214 III S. 2 BauGB vollzogene Unterscheidung in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Sowohl das Abwägungsergebnis als auch der Abwägungsvorgang sind jeweils auf die Abwägungsfehler hin zu überprüfen. Der Abwägungsvorgang umfasst dabei das inhaltliche Zustandekommen des Abwägungsergebnisses und ist daher gerade kein Verfahrensrecht. Die Vorgangskontrolle ist Teil der Ergebniskontrolle. Neben der Überprüfung des Planinhalts
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
kommt dem Vorgang damit eine eigenständige Bedeutung zu, so dass dieser zusätzlich kontrolliert wird. Die Anknüpfung an die unterschiedlichen Kontrollgegenstände macht die Doppelprüfung auf die Abwägungsfehler nicht überflüssig. Die von der Rechtsprechung und der Literatur vorausgesetzten Abwägungsphasen sind Denkstufen zur Strukturierung der Abwägung. Eine Qualifizierung bestimmter Teile des Abwägens als Verfahren kann anhand der Phasen daher nicht vorgenommen werden.
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften als Ausnahme der Gerichtskontrolle A. Begriffsbestimmung Die Planerhaltungsvorschriften im BauGB knüpfen sowohl an Fehler als auch an Mängel oder Rechtsverstöße an. Die §§ 214 I, II Nr. 1 u. Nr. 2, IV BauGB stellen auf die Verletzung von Vorschriften ab. In den §§ 214 I Nr. 1, III S. 2, 215 I Nr. 3, II BauGB wird der Begriff des Mangels verwendet. Aus dem Gesetz sind keine systematischen Gründe für diese terminologische Differenzierung ersichtlich. 932 Die Begriffe Fehler, Mangel und Rechtsverstoß können und werden damit im Folgenden synonym gebraucht. Ein Fehler, Mangel oder Rechtsverstoß bezeichnet demnach die Verletzung einer Rechtsvorschrift. Ist ein Plan mangelhaft, ist dieser aufgrund einer Rechtsverletzung rechtswidrig. Es ist daher auch möglich, von einem rechtswidrigen Plan zu sprechen. 933
B. Die Entwicklung der Planerhaltungsvorschriften Ausgangspunkt für die Einführung der „Unbeachtlichkeits-,“ 934 „Heilungs-“ 935 oder „Planerhaltungsvorschriften“ 936 war die besondere Fehleranfälligkeit und somit Nichtigkeit von Bebauungsplänen. 937 Infolge des hohen Fehleraufkommens herrschte bei den Gemeinden ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit. Bereits in 932
Rude, Planreparatur, S. 31. Rude, Planreparatur, S. 31. 934 Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (803); Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 10 ff.; Gern / Schneider, VBlBW 1988, S. 125 (125 ff.); Wiggers, Planerhaltung im Recht der Raumordnung, S. 183. 935 Teilweise wurden die Planerhaltungsvorschriften so bezeichnet: vgl. Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 251. 936 Der Gesetzgeber hat die Vorschriften unter dem Titel Planerhaltung durch das BauROG 1998 zusammengefasst. 933
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
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der Baurechtsnovelle von 1976 938 führte der Gesetzgeber, als Reaktion auf die zunehmende Rechtsunsicherheit, erstmals eine Fehlerfolgenbegrenzungsregelung ein, um den Bestand der Bebauungspläne zu erhalten. 939 In dem neu geschaffenen § 155a BBauG (1976) sollten formelle Fehler nach Ablauf einer einjährigen Rügefrist unbeachtlich werden. Zusätzlich wurde in § 155a S. 4 BBauG (1976) eine absolute Unbeachtlichkeit für bestimmte formelle Fehler geregelt. Die Vorschrift bezog sich zunächst nur auf Satzungen des BBauG. Diese Vorschrift stellt den Grundstein für die folgenden Regelungen zur Planerhaltung dar. 940 Im Kern findet sich diese Regelung auch in den §§ 214 ff. BauGB bis zum EAG Bau und teilweise auch danach wieder. Die Geltung der Planerhaltungsregelungen nur für die Gerichtskontrolle wurde bereits mit der Einführung des § 155a BBauG (1976) angelegt. 941 Die gegenwärtig gültigen Planerhaltungsvorschriften sind gemäß § 216 BauGB (2007) nur für die Gerichtskontrolle wirksam, nicht aber für die aufsichtsbehördliche Kontrolle. Im Rahmen der Beschleunigungsnovelle 1979 942 wurden die Planerhaltungsregelungen erstmals auf materielle Fehler ausgedehnt. 943 Der Anwendungsbereich des § 155a BBauG (1979) erfasste neben den Bebauungsplänen außerdem Flächennutzungspläne. In einem neuen Absatz konnte die Gemeinde gemäß § 155a V BBauG (1979) einen mit Verfahrens- oder Formfehlern behafteten Bebauungs- oder Flächennutzungsplan rückwirkend wieder in Kraft setzen, wenn sie zuvor den Fehler behoben hatte. Mit dem § 155b I BBauG (1979) wurde eine weitere Planerhaltungsvorschrift eingeführt, die einen weiteren Katalog an Mängel beinhaltete. In § 155 II S. 2 BBauG (1979) wurde die Beachtlichkeit von 937
Bis zur Einführung eines Großteils der Unbeachtlichkeitsvorschriften am 1. 8. 1979 im BBauG stellte Pagenkopf fest, dass von 870 Bebauungsplänen in einer Großstadt nur 10 bis 30 wirksam seien, wenn man alle Anforderungen der Rechtsprechung anlege: Pagenkopf, BauR 1979, S. 1 (1 f.). Eine Auswertung von Normenkontrollentscheidungen, die die Zulässigkeitshürde übersprungen haben, ergibt, dass 1978 71,4% erfolgreich waren. Vgl. Scharmer, Bebauungspläne in der Normenkontrolle, S. 185: Scharmer stellt dazu fest, dass bis 1983 die Rspr., insbes. die Obergerichte, die formellen und materiellen Anforderungen an die Bebauungspläne „deutlich“ überspannt haben und diese damit der Bauleitplanung „einen schlechten Dienst“ erwiesen haben. Scharmer, Bebauungspläne in der Normenkontrolle, S. 132; vgl. auch Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 250 f. 938 Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18. 8. 1976; BGBl. I S. 2221. In dem neu geschaffenen § 155a BBauG sollten formelle Fehler nach Ablauf einer Einjahresfrist unbeachtlich werden oder nach § 155a S. 4 BBauG für die Rechtsverbindlichkeit des Plans keine Rolle spielen. 939 BT-Drucks. 7/2496, S. 62. 940 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 66. 941 Vgl. Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 10; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 66. 942 Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht vom 6. 7. 1979, BGBl. I, S. 949. 943 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 11.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Abwägungsmängeln geregelt. Danach sollten Fehler im Abwägungsvorgang nur beachtlich sein, wenn sie offensichtlich und von Einfluss auf das Abwägungsergebnis waren. In Satz 1 wurde bestimmt, dass für die Abwägung die Sach- und Rechtlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung maßgeblich sein soll. Im Rahmen der Beschleunigungsnovelle wurde außerdem der § 155c BBauG (1979) neu eingeführt. Dieser hielt gesetzlich die unterschiedlichen Kontrollmaßstäbe für die Gerichtskontrolle und die aufsichtsbehördliche Kontrolle fest, die zuvor bereits in § 155a BBauG (1976) angelegt waren. Die Planerhaltungsvorschriften wurden im neuen Baugesetzbuch von 1986 neu strukturiert und in einem Abschnitt unter dem Titel Wirksamkeitsvoraussetzungen zusammengefasst. In § 214 BauGB wurde die Regelung des § 155b BBauG übernommen. Die Regelungen des § 155a BBauG finden sich in § 215 BauGB wieder. In § 216 BauGB wurde die Regelung des § 155c BBauG übernommen. 944 Trotz der Einführung und Weiterentwicklung der Planerhaltungsvorschriften bestand das Bedürfnis nach einer gesteigerten Planerhaltung fort. Es bestand immer noch eine hohe Erfolgsquote bei den Normenkontrollanträgen. 945 Die Planerhaltungsvorschriften zeigten bereits, auch wenn nicht durchschlagende, Wirkungen hinsichtlich der Verminderung von nichtigen Bebauungsplänen wegen Verfahrens- oder Formfehlern. Infolgedessen verlagerte sich jedoch die Feststellung von Fehlern auf den materiellen Teil der Bauleitplanung. 946 Der Gesetzgeber modifizierte die Planerhaltungsvorschriften erneut durch das BauROG 1998 947. Die Unbeachtlichkeitsregelungen wurden nun unter dem Titel „Planerhaltung“ zusammengefasst. 948 Eine Neuerung war in diesem Rahmen die Einführung des ergänzenden Verfahrens in § 215a BauGB (1998). Fehler, die nicht bereits nach den §§ 214 – 215 BauGB (1998) unbeachtlich waren, konnten von nun an in einem ergänzenden Verfahren behoben werden. Zur Anpassung an die UVPÄnderungsrichtlinie wurden die Planerhaltungsvorschriften erneut auf Fehler erweitert, die im Zusammenhang mit Verfahrensvorschriften zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Planung von Bebauungsplänen auftreten können. 949 944 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 80; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 16 f. 945 Scharmer, Bebauungspläne in der Normenkontrolle, S. 55 f. 946 Voge, Bebauungspläne vor Gericht, S. 8, 18. 947 Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuches und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung vom 18. 8. 1997, BGBl. I, S. 2081. 948 Sendler, DVBl. 2005, S. 659 (661); Käß, Inhalt und Grenzen, S. 82; Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 87; Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 3. 949 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 25.
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
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Die soeben skizzierte Rechtsentwicklung zeigt die kontinuierliche Ausweitung der Planerhaltungsvorschriften. 950 Die Systematik zur Erhaltung der Bebauungspläne und Flächennutzungspläne wurde vom Gesetzgeber bereits in den ersten Regelungen angelegt. 951 Bei den Bemühungen, die Pläne weniger rechtsmittelanfällig zu machen, musste der Gesetzgeber stets einen Ausgleich zwischen gewünschter Rechtssicherheit, Rechtsschutz und der Rechtmäßigkeit des Plans herstellen. 952 Die Entwicklung der Planerhaltungsvorschriften ist die Reaktion auf die Einordnung der Bebauungspläne als Satzungen. Die damit verbundene Unterwerfung der Bebauungspläne unter das für Normen geltende Nichtigkeitsdogma 953 hat zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei der Bauleitplanung geführt. 954 Die Entwicklung einer eigenen Fehlerlehre zeigt auch, dass die verbindliche Bauleitplanung nicht völlig in die Rechtsform der Satzung passt. Die Planerhaltungsvorschriften passen die Fehlerlehre der Rechtsform Satzung der besonderen Komplexität der Planung an. 955 Die stetige Ausweitung der Planerhaltungsvorschriften zeigt damit, dass ein Bebauungsplan viel mehr rechtsmittelanfällig ist als eine herkömmliche Satzung. 956
C. Die Rechtswirkungen der Vorschriften zur Bestandssicherung von Bebauungsplänen Im Verwaltungsrecht sind verschiedene Systeme zum Umgang mit Fehlern beim Erlass von Satzungen oder Rechtsakten bekannt. Allen gemeinsam ist dieselbe Rechtswirkung; fehlerhafte Rechtsakte werden zur vollen Rechtswirksamkeit geführt. 957 Es stellt sich die Frage, auf welche Weise die §§ 214. ff. BauGB zur Planerhaltung beitragen. Ein Regelungsinstrument zur Verbesserung der Bestandssicherheit sind Präklusionsvorschriften. 958 Charakteristisch für eine Präklusionssituation ist das verspätete Vorbringen von Einwendungen in einen Entscheidungsprozess. 959 Der Gesetzgeber kann an eine Präklusion unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen. Die 950
Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (11); Stüer / Rude, ZfBR 2000, S. 85 (85). Käß, Inhalt und Grenzen, S. 85; Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (11). 952 Vgl. Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 98 ff. 953 Zum Nichtigkeitsdogma als Fehlerfolgenregelung vgl. die Darstellung bei Wiggers, Planerhaltung im Recht der Raumordnung, S. 8 f.; siehe auch Ossenbühl, NJW 1986, S. 2805 (2806 f.). 954 Maurer, in: FS Bachof, S. 217 f.; Ossenbühl, NJW 1986, S. 2805 (2806 ff.). 955 Vgl. Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 257. 956 Vgl. Schmaltz, DVBl 1990, S. 77 (77). 957 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 34 f. 958 Thiel, DÖV 2001, S. 814 (814 f.); Hufen, JuS 1999, S. 313 (314 f.); Brandt, NVwZ 1997, S. 233 (233). 951
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Berücksichtigung verspäteter Einwendungen wird so teilweise in das Ermessen der Behörde gestellt oder auch ausgeschlossen. 960 Der Ausschluss von präkludierten Einwendungen kann dabei bis in den Verwaltungsprozess hineinwirken. Es wird hinsichtlich der Rechtswirkung zwischen formeller und materieller Präklusion unterschieden. 961 Bei der materiellen Präklusion sind die Einwendungen oder Ansprüche des Betroffenen nicht nur im Verwaltungsverfahren, wie bei der formellen Präklusion, sondern auch im verwaltungsgerichtlichen Prozess ausgeschlossen. 962 Dem Betroffenen wird bei der Entscheidungsfindung eine Mitwirkungslast auferlegt. Kommt er dieser nicht oder verspätet nach, überwiegt die durch die Präklusionsvorschriften gewollte Rechtssicherheit. Die Beeinträchtigung des Betroffenen bleibt dann folgenlos. Die Präklusionsvorschriften knüpfen zeitlich an die Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit an, die noch vor der Entscheidung und deren Wirksamkeit liegt. Die Rechtswirkung der Präklusionsvorschriften tritt nur gegenüber einem bestimmten Adressatenkreis ein. 963 Nur diejenigen, die ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht nachkommen, sind von der Präklusionswirkung betroffen. Beispielsweise gilt die Präklusionswirkung im Planfeststellungsverfahren gemäß § 73 IV S. 1 VwVfG nur für diejenigen, deren Belange durch das Vorhaben berührt werden. 964 Ein weiteres Regelungsinstrument zur Bestandssicherung ist die Heilung. In § 45 VwVfG ist beispielweise die Heilung von Fehlern beim Erlass von Verwaltungsakten geregelt. Dem fehlerhaften Rechtsakt wird zur vollen Rechtswirksamkeit verholfen, indem die verletzte Rechtshandlung nachgeholt werden kann. 965 Das bestehende Rechtmäßigkeitsdefizit wird bei der Heilung beseitigt. 966 Mit der Heilung ist der betroffene Rechtsakt rechtmäßig. 967 Die Heilungswirkung wirkt inter omnes und ist nicht wie die Präklusionsvorschriften an einen bestimmten Personenkreis gebunden. 968 Die Rechtswirkung der Heilung tritt in der Regel ex nunc ein. 969 Die wohl noch h. M. geht aufgrund des offenen Wortlauts des § 45 959 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 22; Stüer / Rieder, DÖV 2003, S. 473 (475). 960 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 22; Stüer / Rieder, DÖV 2003, S. 473 (476); Thiel, DÖV 2001, S. 814 (815). 961 Vgl. die Darstellung bei Thiel, DÖV 2001, S. 814 (815 f.). 962 Vgl. die ausführliche Unterscheidung bei Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 23 f. 963 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 26. 964 Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 26. 965 Kopp / Ramsauer, VwVfg, 11. Aufl., § 45 Rn. 12. 966 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 20; Rude, Planreparatur, S. 95. 967 Kopp / Ramsauer, VwVfg, 11. Aufl., § 45 Rn. 12; Dolde, BauR 1990, S. 1 (1 f.); Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 263; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 10 Rn. 39; Keßler, Die Abwertung, S. 254; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 46 f. 968 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 27.
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
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VwVfG von einer Rechtswirkung ex tunc aus. 970 Der Gesetzgeber hat mit dem in § 214 IV BauGB geregelten Verfahren auch ein Verfahren zur Heilung von Fehlern im Bebauungsplan zu den Planerhaltungsvorschriften hinzugefügt. In § 214 IV BauGB ist eine auch rückwirkende Heilungswirkung ausnahmsweise für Satzungen ausdrücklich vorgesehen. Mit der rückwirkenden Inkraftsetzung einer geheilten Satzung ist der Widerspruch zur Rechtsordnung behoben. In den §§ 214 ff. BauGB schließlich hat der Gesetzgeber zur Planerhaltung Voraussetzungen normiert, die die Beachtlichkeit von Verstößen gegen bestimmte Normen einschränken. 971 Vor allem im Bereich der Verfahrens- und Formvorschriften, aber auch der planerischen Abwägung gibt es Regelungen, die nach ihrem Wortlaut eingehalten werden sollen, deren Nichtbeachtung jedoch nach den Planerhaltungsvorschriften für die Wirksamkeit des Bebauungsplans, entgegen der üblichen Rechtsfolge bei Verstößen, keine Rolle spielt. 972 Mit den Unbeachtlichkeitsregelungen hat der Gesetzgeber Regelungsinstrumente geschaffen, die auf der Ebene der Fehlerfolgen ansetzen. 973 Verstöße gegen Verfahrens- oder Formvorschriften nach den Planerhaltungsvorschriften sind bei der gerichtlichen Überprüfung nur beachtlich, wenn sie von § 214 I BauGB erfasst werden. Alle anderen Verstöße gegen Verfahrens- und Formvorschriften sind bereits unbeachtlich, so dass diese Verstöße keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Rechtsakts haben. Der Verstoß bleibt damit ohne Folgen. 974 Die Folge der Unbeachtlichkeit korrigiert aber nicht den durch den Fehler entstandenen Widerspruch zur Rechtsordnung. 975 Der Fehler wird nicht behoben, so dass ein rechtswidriger Bebauungsplan dennoch wirksam ist. 976 Diese Konsequenz wird vom BauGB ausdrücklich in Kauf genommen, da die Genehmigungsbehörde gemäß § 216 BauGB weiterhin verpflichtet bleibt, die Einhaltung der Vorschriften zu prüfen, auch wenn deren 969 So nach Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 98; Schoch, Jura 2007, S. 28 (32); Kopp / Ramsauer, VwVfg, 11. Aufl., § 45 Rn. 14; a. A. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 10 Rn. 39. 970 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 10 Rn. 39; Meyer, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl., § 45 Rn. 15; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 18; vgl. eine Darstellung des Meinungsstreits bei Sodan, DVBl. 1999, S. 729 (732). 971 Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 256 f. 972 Stüer / Rude, ZfBR 2000, S. 85 (85). 973 Rude, Planreparatur, S. 53 f.; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 17 f. 974 In diesem Zusammenhang wird teilweise auch von sanktionslosen Normen gesprochen. Vgl. Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 256 f.; siehe auch Käß, Inhalt und Grenzen, S. 45 u. S. 100. 975 Rude, Planreparatur, S. 53. 976 Zur Bestimmung der Rechtswirksamkeit in Abgrenzung zur Rechtswidrigkeit vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 10 Rn. 20. Für das Bauplanungsrecht siehe: Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 19; Rude, Planreparatur, S. 52 f.; Stüer / Rude, ZfBR 2000, S. 85 (85); Käß, Inhalt und Grenzen, S. 100.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Verletzung entsprechend den §§ 214 ff. BauGB für die Rechtswirksamkeit unbeachtlich ist. 977 Würden die Unbeachtlichkeitsvorschriften den Widerspruch mit der Rechtsordnung auflösen, müsste eine Überprüfung durch die höhere Verwaltungsbehörde gemäß § 216 BauGB stets in der Feststellung der Einhaltung der von den §§ 214 ff. erfassten Vorschriften enden. Die gesonderte Überprüfung der Verletzung mittlerweile unbeachtlicher Verfahrens- oder materieller Fehler bei der Bauleitplanung wäre dann überflüssig. 978 Die Planerhaltungsvorschriften im BauGB gehen von einem „Zweiklassensystem der Fehler“ 979 aus, indem nur für bestimmte Fehler eine Beachtlichkeit für den Bebauungsplan angenommen wird. Um eine höhere Bestandssicherheit zu gewährleisten, hat sich der Gesetzgeber für den Umgang mit den Fehlern der Regelungsinstrumente der Heilung und der Unbeachtlichkeit von Fehlern bedient. 980 Präklusionsvorschriften sind in dem Abschnitt Planerhaltung nicht enthalten. Auch wenn § 215 I BauGB eine Rügefrist zur Geltendmachung für die dort genannten Verfahrens- / Formmängel und sonstigen Mängel im Abwägungsvorgang enthält, liegt keine Präklusionssituation vor. Die in § 215 I BauGB enthaltene Rügefrist richtet sich nicht – wie bei einer Präklusionssituation 981 – an einen durch eine tatsächliche oder rechtliche Betroffenheit bestimmten Adressatenkreis, sondern an jedermann. 982 Dementsprechend ist die Rechtswirkung des § 215 I BauGB nicht nur auf denjenigen, der seine Mitwirkungsobliegenheit verletzt, beschränkt, sondern gilt ebenfalls für jedermann. 983 Bei § 215 I BauGB handelt es sich damit um eine Unbeachtlichkeitsregel. 984 Bei den Unbeachtlichkeitsregelungen kann zwischen einer absoluten Unbeachtlichkeit oder einer relativen Unbeachtlichkeit von Fehlern unterschieden werden. 985 Bei der absoluten Unbeachtlichkeit bedarf es keiner zusätzlichen Voraussetzungen. Die relative Unbeachtlichkeit hingegen tritt erst mit dem Ablauf von Rügefristen ein. 986 Die Rechtswirkung ist bei beiden dieselbe; beide stellen eine materielle Regelung der Folgen von Verletzungen von höherrangigem Recht dar. 987 Die Planerhaltungsvorschriften wirken inter omnes, was sich 977
Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 20. Vgl. Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 9; Schmaltz, DVBl 1990, S. 77 (77 f.). Vgl. zum aktuellen BauGB: Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 10. 979 Stüer / Rude, ZfBR 2000, S. 85 (85). 980 Stüer / Rude, ZfBR 2000, S. 85 (85). 981 Siehe oben S. 147 f. 982 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 27. 983 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 27. 984 Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 27 f. 985 Zur Begriffsbildung vgl. Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 262; Ossenbühl, NJW 1986, S. 2805 (2810). 986 Vgl. § 215 I BauGB (1997); siehe auch Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 263. 978
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
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auch aus jedermanns Rügeberechtigung ergibt. 988 Die Planerhaltungsvorschriften stellen ein geschlossenes Fehlerfolgensystem dar, das zwei unterschiedliche Regelungsinstrumente beinhaltet (Unbeachtlichkeitsvorschriften und Heilungsvorschriften). Während bei Präklusionsvorschriften an die Verwirkung eines Rechtsanspruchs aufgrund der Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit angeknüpft wird, 989 steht bei den beiden Regelungsinstrumenten der Planerhaltung im BauGB der Erhaltungsgedanke im Vordergrund, was auch durch die Bezeichnung im BauGB als Planerhaltungsvorschriften zum Ausdruck gebracht wird. 990
D. Die Bestandsaufnahme der Planerhaltungsvorschriften vor dem EAG Bau Mit dem EAG Bau hat der Gesetzgeber insbesondere die Planerhaltungsvorschriften, die Abwägungsmängel erfassen, verändert. Damit scheint eine neue Systematisierung der Anwendungsbereiche der einzelnen Planerhaltungsregelungen mit einherzugehen. 991 Um die Änderungen identifizieren zu können, soll im Folgenden eine Bestandsaufnahme der Planerhaltung bei Abwägungsmängeln vor dem EAG Bau erfolgen. Dazu ist es erforderlich, auf die Systematik und die Anwendungsbereiche der einzelnen Planerhaltungsvorschriften vor dem EAG Bau einzugehen. Die Planerhaltungsvorschriften waren 2007 erneut Gegenstand einiger Änderungen durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte 992. Relevant für die Planerhaltung von Abwägungsmängeln ist nur die Verkürzung der Rügefrist in § 215 I BauGB auf ein Jahr. 993 Gegenstand der Untersuchung bleiben damit die Änderungen der Planerhaltungsregelungen hinsichtlich Abwägungsmängel durch das EAG Bau. I. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- / Formfehlern Die Systematik der Planerhaltungsvorschriften ist insofern von Bedeutung, als dass das EAG Bau insbesondere hinsichtlich der Abwägungsfehler die bisher 987
Käß, Inhalt und Grenzen, S. 127. Im Gegensatz zu den Präklusionsvorschriften sind die Planerhaltungsvorschriften gerade nicht auf bestimmte Personenkreise festgelegt. Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 27. 989 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 28 f. 990 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 29 f. 991 Siehe unten 2. Kapitel, S. 174 ff. 992 Gesetz vom 21. 12. 2006, BGBl. I, S. 3316. 993 Siehe unten 2. Kapitel § 2, S. 181 f. 988
152
1. Kap.: Bestandsaufnahme
angelegte Systematisierung nicht gänzlich zu übernehmen scheint. 994 Im Folgenden werden daher die Anwendungsbereiche der bisherigen Planererhaltungsregelungen dargelegt. Bisher waren die Anwendungsbereiche der Planerhaltungsvorschriften strikt nach Planerhaltungsvorschriften für jeweils Verfahrens- und Formfehler und materielle Fehler unterteilt und voneinander getrennt. Gemäß § 214 I BauGB (a. F.) waren alle in dieser Vorschrift benannten Verfahrens- und Formfehler beachtlich. Die übrigen Verfahrens- und Formfehler waren unbeachtlich. Insoweit war die Aufzählung der beachtlichen Verstöße in § 214 I BauGB (a. F.) abschließend, als dass alle nicht ausdrücklich benannten Verstöße gegen Form- und Verfahrensfehler der absoluten Unbeachtlichkeit unterfallen. 995 Streng genommen regelte § 214 I BauGB (a. F.) zunächst die Beachtlichkeit von Verstößen gegen Verfahrens- und Formvorschriften. 996 Nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB (a. F.) waren Verstöße gegen die Vorschriften über die Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange gemäß § 3 II, III BauGB (a. F.) und der §§ 4, 4 a, 13, § 22 IX S. 2, § 34 V S. 1 und § 35 VI S. 5 BauGB (a. F.) für beachtlich erklärt worden. Alleine das Vorliegen eines der benannten Verstöße führte nicht immer zur Beachtlichkeit. In § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB (a. F.) war eine interne Unbeachtlichkeitsklausel enthalten, wonach weiterhin die Verstöße gegen die vereinfachte Bürgerbeteiligung gemäß § 3 II BauGB (a. F.) bzw. § 13 BauGB (a. F.) unbeachtlich blieben, sofern die Voraussetzungen des Verfahrens verkannt wurden. 997 Aus dem Tatbestandsmerkmal des Verkennens wurde geschlossen, dass eine gewollte Missachtung jedoch beachtlich bleiben soll. 998 Auch das Unterlassen der Angabe, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 3 II S. 2 BauGB (a. F.) durchgeführt wurde, wurde von der internen Unbeachtlichkeitsklausel erfasst. Verstöße gegen Vorschriften über den Erläuterungsbericht und die Begründung der Bebauungspläne gemäß § 2 a, § 3 II, § 5 I S. 2 Hs. 2 und V, § 9 VIII, § 22 X BauGB (a. F.) waren nach § 214 I S. 1 Nr. 2 BauGB (a. F.) beachtlich. Auch in diesem Fall bestand eine interne Unbeachtlichkeitsklausel. Unbeachtlich waren demnach gemäß § 214 I S. 2 BauGB (a. F.) die unvollständige Begründung oder der unvollständige Erläuterungsbericht sowie der unvollständige Umweltbericht, als selbständiger Teil der Satzungsbegründung. Verstöße gegen die in § 214 I S. 1 Nr. 3 BauGB (a. F.) genannten formellen Vorschriften waren dagegen stets, also absolut, beachtlich. 999 Eine interne Unbe994
Siehe unten 2. Kapitel § 2, S. 174 ff. Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 256; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 15. 996 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 88. 997 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 105. 998 Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 20. 999 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 89. 995
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
153
achtlichkeitsklausel bestand nicht. Die von § 214 I BauGB (a. F.) für beachtlich erklärten Mängel führten, soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, zur Nichtigkeit. 1000 Insgesamt wurden von § 214 I BauGB (a. F.) nur Verstöße gegen Vorschriften erfasst, die den äußeren Ablauf des Planungsverfahrens regeln. 1001 Das Gleiche galt für die Unbeachtlichkeit von Verstößen gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 214a BauGB (a. F.). Die Unbeachtlichkeitsregelung des § 214 I a BauGB (a. F.) bezieht sich dabei nur auf das Verfahren. Fehler, die bei der Durchführung des Bauplanungsverfahrens gemäß dem BauGB und insbesondere bei der Abwägung (§§ 1 VI i.V. m. § 1a II Nr. 3 BauGB (a. F.)) auftraten, waren nicht nach § 214 I a BauGB (a. F.) unbeachtlich. Eine Unbeachtlichkeit dieser Fehler konnte sich allerdings aus den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 und 214 III S. 2 BauGB (a. F.) ergeben. 1002 II. Die Unbeachtlichkeit von sonstigen materiell-rechtlichen Fehlern Im Unterschied zu Absatz I bezog sich § 214 II BauGB (a. F.) und bezieht sich die Fassung des § 214 II BauGB nach dem EAG Bau auf Verstöße gegen materielle Vorschriften. 1003 In § 214 II BauGB ist die Beachtlichkeit von Verstößen gegen Vorschriften, die das Verhältnis von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan regeln, normiert. Die Beachtlichkeit der Verstöße gegen materielle Fehler war in § 214 II und III BauGB (a. F.) ebenfalls abschließend geregelt. Die Sanktionslosigkeit konnte gerade bei den schwerwiegenderen materiellen Fehlern nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage erfolgen. 1004 III. Die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Abwägung Der Gesetzgeber hat die Regelung über den maßgeblichen Zeitpunkt im Kern auch nach dem EAG Bau beibehalten. In § 214 III S. 1 BauGB ist der maßgebliche Zeitpunkt geregelt, der von den Gerichten bei der Kontrolle der planerischen 1000 Vgl. zur Nichtigkeitsfolge Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 8; so auch in der aktuellen Fassung des BauGB: Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 8; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 109; zu den gesetzlichen Ausnahmen vgl. § 215a BauGB (a. F.); Schmaltz, DVBl 1990, S. 77 (77). 1001 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 109. 1002 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 90. 1003 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 109. 1004 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 109.
154
1. Kap.: Bestandsaufnahme
Abwägung zugrunde zu legen ist. Gemäß § 214 III S. 1 BauGB (a. F.) ist die Sachund Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bauleitplan (jetzt seit dem EAG Bau gemäß § 214 III S. 1 BauGB: „die Satzung“) maßgebend. Damit soll verhindert werden, dass bei einer gerichtlichen Kontrolle nachträgliche Änderungen der tatsächlichen Umstände oder Rechtsverhältnisse zugrunde gelegt werden, die bei der Beschlussfassung für die Gemeinde noch nicht ersichtlich waren. 1005 Mit der Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Gerichtskontrolle schafft der Gesetzgeber Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, anstatt dass nachträgliche Änderungen in der Sach- und Rechtslage noch Einfluss auf den Plan ausüben. 1006 Die Regelung in § 214 III S. 1 BauGB dient entsprechend den Planerhaltungsregelungen der Rechtssicherheit. Im Gegensatz zu den anderen Planerhaltungsregelungen wird in § 214 III S. 1 BauGB keine Fehlerfolgenregelung getroffen. Es wird weder die Unbeachtlichkeit noch die Heilung von Abwägungsmängeln geregelt. 1007 Nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage werden zwar grundsätzlich für den beschlossenen Bauleitplan unerheblich; bei schwerwiegenden Änderungen der Sach- und Rechtslage wird ausnahmsweise ein Verschieben des maßgeblichen Zeitpunkts angenommen. 1008 Systematisch ist § 214 III S. 1 BauGB daher eher den Wirksamkeitsvoraussetzungen zum Abwägungsgebot, somit § 1 VII BauGB zuzuordnen. 1009 2. Mängel im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) In § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB ist die Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang geregelt. Der Gesetzgeber hat die frühere Regelung des § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) in dem neuen Hs. 2 des § 214 III S. 2 BauGB beibehalten. Der durch das EAG Bau eingeführte 1. Hs. in § 214 III S. 2 BauGB und das redaktionelle Voranstellen der Wörter „im Übrigen“ vor die ansonsten wortgleiche Regelung des § 214 III S. 2 BauGB deuten eine Änderung der Systematik der Planerhaltung von Abwägungsvorgangsmängeln an. Insbesondere wirft die Neuregelung die Frage auf, ob Fehler im Abwägungsvorgang von den Planerhaltungsregeln in der Kategorie Verfahrensfehler und auch in der Kategorie materiell-rechtlicher Fehler erfasst werden. 1010 Um einen verlässlichen Maßstab 1005
Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 91. Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 130. 1007 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 91. 1008 Vgl. hierzu Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 132 ff. 1009 Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 214 Rn. 68. 1010 Siehe die ausführliche Darstellung der neu geregelten Planerhaltungsvorschriften nach dem BauGB unten 2. Kapitel § 2, S. 181 ff. 1006
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
155
zur Identifikation der Veränderungen zu gewinnen, soll die bisherige Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang dargestellt werden. Der Systematik der Planerhaltungsvorschriften zu den Verfahrensvorschriften folgend, regelte § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) die Fehlerfolgenbegrenzung von Abwägungsmängeln. Ausgangspunkt für die Fehlerfolgenbegrenzung ist die Trennung der planerischen Abwägung in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. 1011 Die Fehlerfolgenbegrenzung des § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) erfasste der Trennung entsprechend nur Mängel im Abwägungsvorgang. Mängel im Abwägungsergebnis wurden nicht erfasst. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die mit Mängeln im Abwägungsvorgang zusammenfallen können, waren zunächst getrennt nach § 214 I BauGB (a. F.) zu behandeln und wurden nicht von der Fehlerfolgenregelung bei Mängeln im Abwägungsvorgang erfasst. 1012 Beruhte ein Mangel im Abwägungsvorgang aber auf einem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, so war dessen Beachtlichkeit ebenfalls selbständig an § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) zu messen. 1013 Gemäß § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) waren nur Mängel im Abwägungsvorgang beachtlich, die offensichtlich und von Einfluss auf das Abwägungsergebnis sind. Alle anderen Mängel im Abwägungsvorgang waren damit unbeachtlich, ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedurfte. Die Einschränkung der Beachtlichkeit von Abwägungsvorgangsmängeln auf offensichtliche Mängel und Mängel, die auf das Abwägungsergebnis von Einfluss sind, ist auch nach dem EAG Bau bestehen geblieben. Insofern nehmen die Neuregelungen auf die bisherige Regelung Bezug. Der terminologischen Unterscheidung folgend, ordnete § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) für die unbeachtlichen Mängel im Abwägungsvorgang die sogenannte absolute Unbeachtlichkeit an. Für Mängel im Abwägungsergebnis sah der Gesetzgeber in § 215 I Nr. 1 BauGB (a. F.) eine relative, nicht aber eine absolute Unbeachtlichkeit vor. 1014 Die Auswirkungen der Mängel im Abwägungsvorgang auf das Abwägungsergebnis sowie das Kriterium der Offensichtlichkeit waren und sind dabei weiterhin Abgrenzungskriterien für die Beachtlichkeit der Mängel im Abwägungsvorgang.
1011
Käß, Inhalt und Grenzen, S. 169. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 168; vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 30. 3. 1990, 7 B 3551/89, Juris, Rn. 23 f. 1013 OVG Münster, Beschl. v. 30. 3. 1990, 7 B 3551/89, Juris, Rn. 23 f. 1014 Vgl. unten IV., S. 158. 1012
156
1. Kap.: Bestandsaufnahme
a) Offensichtlichkeit Mit dem Kriterium der „Offensichtlichkeit“ wollte der Gesetzgeber die Überprüfung des Abwägungsvorgangs durch die Gerichte beschränken. Es sollte vermieden werden, dass die Erwägungen der einzelnen, an der Planungsentscheidung beteiligten Mitglieder im Abwägungsprozess überprüft werden. Die Gerichtskontrolle sollte darauf beschränkt sein, ob offen erkennbare und erklärte sachwidrige Erwägungen mit in den Abwägungsvorgang einbezogen worden sind. 1015 Im Hinblick auf das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Abwägungsgebot, die Rechtschutzgarantie aus Art. 19 IV GG und gerade als Inhalts- und Schrankenbestimmung von Art. 14 I GG muss die Einschränkung der Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln durch die Planerhaltungsvorschriften stets verfassungsrechtlich rechtfertigbar sein. 1016 Um verfassungsrechtlichen Bedenken einer zu weitreichenden Unbeachtlichkeitsfolge von Abwägungsmängeln zu begegnen, legt das BVerwG das Kriterium der Offensichtlichkeit eng aus. Im Wege dieser verfassungskonformen Auslegung stellt das BVerwG fest, dass sämtliche auf objektiv erfassbaren Sachumständen beruhende Abwägungsmängel, das sind alle Mängel auf der äußeren Seite des Abwägungsvorgangs, offensichtlich seien. Damit sind alle Abwägungsmängel, die sich aus Protokollen, Akten, Entwurfsoder Planbegründung und anderen dem Beweis zugänglichen Unterlagen ergeben, offensichtlich i. S.v. § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB. Die Offensichtlichkeit sollte auch gegeben sein, wenn das Gericht die Mängel erst einmal aufklären musste. 1017 Offensichtlich bedeutet daher nicht nur leicht erkennbar. Mängel auf der inneren Seite (Vorstellungen, Entscheidungsmotive der einzelnen Entscheidungsträger) sind nach der Grundsatzentscheidung des BVerwG gerade nicht offensichtlich. 1018 Eine weitere Ausdehnung der Vorgangskontrolle wird damit verhindert. 1019 Das BVerwG hat seine Rechtsprechung mittlerweile noch weiter eingeschränkt. Danach darf ein Mangel im Abwägungsvorgang nur noch angenommen werden, wenn die konkreten Umstände bei der Aufstellung des Bauleitplans positiv und klar auf einen Mangel hindeuten. 1020 Dass sich ein Mangel aus den Umständen 1015
Vgl. die Begründung des 15. Bundestagsausschusses in der Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht, BT-Drucks. 8/2885, S. 46. 1016 Vgl. Rude, Planreparatur, S. 68. 1017 Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 37. 1018 Grundlegend zur Offensichtlichkeit vgl. BverwGE 64, 33 (38); vgl. auch BVerwG, NVwZ-RR 2002, 8 (11); das BVerwG spricht hinsichtlich der Erwägungen auf der inneren Seite des Abwägungsvorgangs auch von einem „Beweisermittlungsverbot“: BVerwG, ZfBR 2004, 287 (288). 1019 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 191.
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
157
ergibt, reicht damit für die Offensichtlichkeit des Mangels nicht mehr aus. 1021 Während die leichte Erkennbarkeit eines Mangels nach der anfänglichen Rechtsprechungsansicht nicht zur Bejahung der Offensichtlichkeit ausreichen sollte, hat das BVerwG das Kriterium durch die Einschränkung einem Kriterium der Evidenz angenähert. 1022 b) Von Einfluss auf das Abwägungsergebnis Der Mangel im Abwägungsvorgang ist gemäß § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB nur erheblich, wenn dieser offensichtlich und auch von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen ist. Das BVerwG hat die Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Einflusses konkretisiert. Danach ist ausgehend vom Telos der Vorschrift die Beeinflussung des Ergebnisses dann anzunehmen, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel anders geplant worden wäre. 1023 Die abstrakte Möglichkeit einer alternativen Planung genügt für die Beachtlichkeit des Mangels nicht, es bedarf unterdessen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass eine mangelfreie Planung hätte rechtsfehlerfrei ausfallen können. 1024 Ohne eine solche Eingrenzung würde dieses Tatbestandsmerkmal kein taugliches Abgrenzungskriterium mehr für die Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln sein; denn angesichts der planerischen Gestaltungsfreiheit besteht in den meisten Fällen immer die abstrakte Möglichkeit einer Alternativplanung. 1025 Teilweise wird vertreten, dass es für die Beachtlichkeit eines Abwägungsmangels eines positiven Kausalitätsnachweises bedarf. 1026 Folgt man dieser Ansicht, ist von der Unbeachtlichkeit der meisten Abwägungsfehler im Abwägungsvorgang auszugehen, denn ein solcher Nachweis lässt sich in der Praxis so gut wie nie erbringen. 1027 Daher ist der Auslegung des BVerwG zu folgen, wonach die konkrete Möglichkeit im Einzelfall dann zu bejahen ist, wenn sich der Planungsträger von einem unzutreffenden Belang hat leiten lassen und andere Belange, die anstelle des unzutreffenden Belangs das Abwägungsergebnis hätten rechtfertigen können, nicht ersichtlich sind. 1028 1020
BVerwG, ZfBR 1992, 138 (139). Vgl. Rude, Planreparatur, S. 68. 1022 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 187 ff. 1023 Grundlegend BVerwGE 64, 33 (39). An diesen Grundsätzen hat das BVerwG festgehalten. Vgl. BVerwG, ZfBR 1992, 138 (139); BVerwG, ZfBR 2004, 167 (168). 1024 BVerwGE 64, 33 (39); m.w. N. der Rspr. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 38. 1025 Vgl. Käß, Inhalt und Grenzen, S. 193. 1026 So Dolde, BauR 1990, S. 1 (6); Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (278 f.). 1027 BVerwGE 64, 33 (39). 1028 BVerwGE 64, 33 (39); Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 38. 1021
158
1. Kap.: Bestandsaufnahme
Die vom BVerwG postulierten Auslegungsrichtlinien der zwei Tatbestandsmerkmale für die Beachtlichkeit bringen Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit in einen verhältnismäßigen Ausgleich. 1029 IV. Die relative Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern In § 215 BauGB ist die Rechtsfolge der sogenannten relativen Unbeachtlichkeit des Eintritts der Unbeachtlichkeitsfolge nach einem Fristablauf geregelt. § 215 I Nr. 1 BauGB (a. F.) bezog sich dabei, entsprechend der Trennung von materiellen und formellen Fehlern, auf die in § 214 I S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BauGB (a. F.) für beachtlich erklärten Verfahrens- und Formmängel. Mit Fristablauf wurden und werden weiterhin die grundsätzlich beachtlichen Verstöße gegen Verfahrensund Formvorschriften des BauGB gemäß § 215 I Nr. 1 BauGB unbeachtlich. Die Rechtswirkung ist dabei dieselbe wie bei § 214 BauGB. 1030 Die Rechtswidrigkeit bleibt folglich bestehen, führt aber nicht zur Nichtigkeit der Norm bzw. des Bebauungsplans. Voraussetzung für die Unbeachtlichkeit ist, dass die Verletzung der Verfahrens- und Formvorschriften des Plans nicht innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht wird. Rügeberechtigt ist dabei jedermann. Die Unbeachtlichkeit kann aber nach § 215 II BauGB nur eintreten, soweit die Gemeinde bei Inkraftsetzung des Plans auf die Voraussetzungen einer Rüge und auf die Rechtsfolgen des § 215 I BauGB hingewiesen hat. V. Die relative Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln Eine Neuerung des EAG Bau ist die Vereinheitlichung der Rügefristen zur Geltendmachung von Verfahrens- / Formfehlern und Mängeln der Abwägung. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des EAG Bau auch die relative Unbeachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsergebnis neu geregelt. 1031 Insbesondere die relative Unbeachtlichkeit von Abwägungsergebnismängeln war vor dem EAG Bau Gegenstand geäußerter Kritik an der gesetzlichen Regelung. Mit Hinblick auf die Neuregelung im Rahmen des EAG Bau ist die Rechtslage vor dem EAG Bau für die Qualifizierung der Änderungen der Fehlerbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln von Relevanz. Von § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) wurden auch „Mängel der Abwägung“ erfasst. Diese Regelung war damit die am weitesten reichende Planerhaltungsvor1029 1030 1031
Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 99. Vgl. Rude, Planreparatur, S. 72 ff.; Schmaltz, DVBl 1990, S. 77 (79). Siehe unten 2. Kapitel § 2 A. III., S. 190.
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
159
schrift. 1032 War das Abwägungsgebot verletzt, betrug die Rügefrist gemäß § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) sieben Jahre. Die Anforderungen zur Geltendmachung einer Rüge waren dieselben wie bei § 215 I Nr. 1 BauGB (a. F.). Die Regelung in § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) war Ausdruck der Absicht des Gesetzgebers, Rechtssicherheit und Rechtmäßigkeit in einen Ausgleich zu bringen. 1033 Mit § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) trug der Gesetzgeber dazu bei, die Rechtsmittelanfälligkeit von Bebauungsplänen zu reduzieren, indem auch Abwägungsmängel nach sieben Jahren unbeachtlich wurden. Nach dem Ablauf von sieben Jahren hatte der Gesetzgeber die Rechtssicherheit gegenüber der Rechtmäßigkeit als höher bewertet. 1034 Wegen dieser weitreichenden Wirkung wurde in der Literatur die Verfassungsmäßigkeit des § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) angezweifelt. 1035 Andererseits waren Vertrauensschutz und Rechtssicherheit ein legitimer Zweck für den Gesetzgeber. 1036 Für die Verhältnismäßigkeit dieser Regelung sprach auch die lange Frist von sieben Jahren. Innerhalb von sieben Jahren war davon auszugehen, dass Pläne weitgehend realisiert waren, so dass planerische Mängel weitgehend sichtbar sein mussten. 1037 Es bestanden ferner keine schwierigen Verfahrensanforderungen zur Geltendmachung einer Rüge. 1038 Die Gemeinde musste auf die Möglichkeit zur Geltendmachung von Abwägungsfehlern hinweisen. Grundsätzlich hatte der Gesetzgeber mit dieser Regelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen. 1039 Vom Wortlaut her erfasste § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) anders als der neue § 215 I Nr. 3 BauGB und anders als § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) bzw. § 214 III 1032
Käß, Inhalt und Grenzen, S. 209. Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 100. 1034 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 101 f. Teilweise wird auf diese Weise die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift begründet. Der Gesetzgeber dürfe nämlich die Rechtssicherheit höher bewerten als das Prinzip der Rechtmäßigkeit: vgl. Dürr, VBlBW 1987, S. 201 (203) und Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 257, 264 f. 1035 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 211 ff.; Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 105; Schmalz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 7; Maurer, in: FS Bachof, S. 243; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1984, S. 582 (586 f.); Dolde, BauR 1990, S. 1 (8 f.); Peine, NVwZ 1989, S. 637 (639); a. A: Gaentzsch, in: FS Weyreuther, S. 264 f.; Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 215 Rn. 5; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 59. 1036 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vom 15. 10. 1986, BT-Drucks. 10/6166, S. 134; Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 100. 1037 So die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vom 15. 10. 1986, BT-Drucks. 10/6166, S. 134; vgl. auch Schmalz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 4 u. 7; Peine, NVwZ 1989, S. 637 (638). 1038 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 102; a. A. Dolde, BauR 1990, S. 1 (10). 1039 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 102. 1033
160
1. Kap.: Bestandsaufnahme
S. 2 Hs. 2 BauGB die „Mängel der Abwägung“, also sowohl Mängel im Abwägungsvorgang als auch Mängel im Abwägungsergebnis. 1040 Die von § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) erfassten Mängel im Abwägungsvorgang durften daher nicht bereits gemäß § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) absolut unbeachtlich sein. Folglich handelte es sich bei den von § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) erfassten Mängeln im Abwägungsvorgang um offensichtliche Mängel, die konkret das Abwägungsergebnis beeinflusst haben. 1041 In Fällen solcher grober Verstöße gegen das Abwägungsgebot wurde in der Literatur angezweifelt, dass der in § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) geregelte Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Rechtmäßigkeit noch verhältnismäßig war. 1042 Während bei Mängeln im Abwägungsvorgang, die der Findung eines gerechten Ergebnisses dienen, die Wahrung der Rechtssicherheit gegenüber der Rechtmäßigkeit überwog, wäre das bei schwerwiegenden Abwägungsmängeln, die sich unmittelbar auf den Interessenausgleich auswirkten und nicht nur auf die Anforderungen an eine gerechte Entscheidungsfindung, nicht mehr gegeben. 1043 Mängel im Abwägungsergebnis können Grundrechtsverletzungen Betroffener enthalten. 1044 Grundrechtsverletzungen verfallen aber nicht durch einen Fristablauf. 1045 Aus diesen Gründen wurde die Verfassungsgemäßheit des § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) angezweifelt. 1046 Diese Zweifel konnten auch die vom Gesetzgeber angeführte Vergleichbarkeit mit der materiellen Präklusion von grundrechtlich geschützten Belangen im Planfeststellungsverfahren oder bei der Angrenzerbenachrichtigung nicht beseitigen. 1047 In den genannten Verfahren ist die materielle Präklusion von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen aufgrund des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit rechtfertigbar. 1048 Wie bereits dargelegt, knüpft die Präklusion an die Unterlassung einer Mitwirkung der Betroffenen an, dass heißt zeitlich noch vor der Entscheidung. 1049 Ein Verfassungsverstoß einer bereits zustande gekommenen untergesetzlichen Norm, wie einem Bebauungsplan, ist damit nicht vergleichbar. 1050 Eine Satzung mit schwerwiegenden Grundrechtsverstößen kann nicht dauerhaft von der Nichtigkeitsfolge freigestellt werden. 1051 Ein sachwidriger Plan kann insbesondere vor Art. 14 I 1040
Käß, Inhalt und Grenzen, S. 210. Vgl. oben unter IV., S. 158. 1042 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 103. 1043 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 212. 1044 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 211 f. 1045 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6; Schmalz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 7. 1046 Bereits Fn. 1035. 1047 Vgl. die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vom 15. 10. 1986, BT-Drucks. 10/6166, S. 134; a. A. Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6; Rude, Planreparatur, S. 78 f. 1048 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6. 1049 Vgl. oben unter C., S. 147 ff. 1041
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
161
S. 2 GG nicht dauerhaft bestehen. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit hat der Planungsträger die Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Das Vertrauen in einen grob sachwidrigen Plan ist nicht schutzwürdig. Die Rechtssicherheit vermag den Ausschluss der Nichtigkeitsfolge dann nicht mehr zu rechtfertigen. 1052 Teilweise wurde in der Literatur vertreten, die Vorschrift sei damit verfassungswidrig und nichtig. 1053 Andere reduzierten den Anwendungsbereich der § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) im Wege einer telelogischen Reduktion dahingehend, dass Mängel im Abwägungsergebnis, die auch noch nach sieben Jahren vorhanden sind, beachtlich bleiben. 1054 Voraussetzung einer eingeschränkten Anwendbarkeit der Vorschrift durch eine teleologische Reduktion ist das Vorliegen einer sog. Ausnahmelücke. Unter einer solchen Lücke ist zu verstehen, dass eine gesetzliche Vorschrift entgegen ihrem Wortsinn, aber gemäß der immanenten Teleologie des Gesetzes einer Einschränkung bedarf, die dem Gesetzestext nicht zu entnehmen ist. 1055 Die zur teleologischen Reduktion erforderliche Gesetzeslücke war dabei in der fehlenden Einschränkung des § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) zu sehen. 1056 Nach dem Wortlaut erfasste § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) sämtliche Abwägungsmängel, obwohl es verfassungsrechtlich geboten sein könnte, dass nur bestimmte und nicht so schwerwiegende Abwägungsmängel erfasst sein durften. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass nach sieben Jahren alle Abwägungsmängel entdeckt worden sind. Die Ausnahmesituation hatte der Gesetzgeber dabei nicht geregelt. 1057 Richtigerweise war daher im konkreten Fall danach zu fragen, ob trotz des Mangels noch eine sachgerechte Planung vorliegt. 1058 Bei Mängeln im Abwägungsergebnis dürfte eine sachgerechte Planung nicht mehr vorliegen. 1059 Wäre ein solcher Mangel von § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) erfasst worden, scheint ein angemessener Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Rechtmäßigkeit nicht mehr bestanden zu haben. Folglich sollten schwerwiegende Mängel im Abwägungsvorgang und Mängel im Abwägungsergebnis nicht von § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) erfasst werden. Das BVerwG 1050
Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6; Schmalz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 5; Dolde, BauR 1990, S. 1 (9); Käß, Inhalt und Grenzen, S. 213. 1051 Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1984, S. 582 (587). 1052 Schmalz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn 7. 1053 Dolde, BauR 1990, S. 1 (6 ff.); Gern / Schneider, VBlBW 1988, S. 125 (129 f.). 1054 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 105. 1055 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 5. Aufl., Rn. 902 ff.; Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 104 f. 1056 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 105. 1057 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 104 f. 1058 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 105. 1059 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 219.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
hat die Bedenken im Schrifttum aufgegriffen und hielt eine Reduzierung des Anwendungsbereichs des § 215 I Nr. 2 BauGB bei schweren Mängeln im Abwägungsergebnis ebenfalls für angebracht. 1060 Indem das BVerwG nur bei Mängeln im Abwägungsergebnis von einer Reduzierung des Anwendungsbereichs ausging, ist umgekehrt davon auszugehen, dass schwerwiegende Mängel im Abwägungsvorgang gemäß § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) nach Fristablauf unbeachtlich wurden. 1061
E. Die Auswirkungen der Unbeachtlichkeitsregelungen auf die Gerichtskontrolle der Abwägung I. § 216 BauGB In § 216 BauGB wird der Prüfungsmaßstab für die Genehmigungsbehörde bestimmt, die entsprechend dem BauGB den Bebauungsplan oder den Flächennutzungsplan genehmigen muss. Dabei ist die Genehmigungsbehörde verpflichtet, auch die Einhaltung der Vorschriften zu prüfen, die von den §§ 214, 215 BauGB erfasst sind und sich damit nicht auf die Rechtswirksamkeit des zu genehmigenden Plans auswirken. 1062 Im Verhältnis der Gemeinde zur Genehmigungsbehörde sind damit alle Rechtsverstöße relevant. § 216 BauGB stellt damit klar, dass die Planerhaltungsvorschriften nur für das gerichtliche Verfahren im Verhältnis Bürger und Gemeinde die Fehlerfolgen begrenzen. 1063 Mit der Regelung des § 216 BauGB soll der den Planerhaltungsvorschriften innewohnende Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Vertrauensschutz auf der einen und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns auf der anderen Seite aufgelöst werden. 1064 II. Auswirkungen der absoluten Unbeachtlichkeit nach § 214 BauGB Ist ein Fehler gemäß § 214 BauGB unbeachtlich, dürfen die Gerichte bei der Kontrolle des betroffenen Bebauungsplans diese Fehler nicht beachten. Die §§ 214 ff. BauGB regeln zum einen materiell-rechtlich die Fehlerfolgen von Ver1060
Vgl. BVerwG, ZfBR 2001, 418 (418). Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 102. 1062 Vgl. zu den Rechtswirkungen der §§ 214, 215 BauGB oben D. I –VII. 1063 Vgl. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 1; Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 216 Rn 1 f.; Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 121. 1064 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (499). 1061
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
163
stößen gegen Rechtsnormen und zum anderen prozessual den jeweils anzulegenden Prüfungsmaßstab der kontrollierenden Gerichte. 1065 Den Voraussetzungen zur Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang kommt dabei eine besondere Bedeutung zu; denn diese bilden die Maßstäbe für eine gerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs. 1066 Das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit in § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) (seit dem EAG Bau in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB) beschränkt die Kontrollintensität auf die äußere Seite des Abwägungsvorgangs. Eine Motivforschung wird damit ausdrücklich ausgeschlossen. 1067 Indem das BVerwG das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit nicht als reines Evidenzkriterium versteht, reicht die Kontrollintensität der Gerichte insofern etwas weiter als bei einer reinen Evidenzkontrolle. 1068 Wirkt sich ein Mangel im Abwägungsvorgang auf das Ergebnis aus, dann ist die von der planerischen Gestaltungsfreiheit vorausgesetzte Ergebnisoffenheit des Abwägungsprozesses nachhaltig gestört. Derartige Fehler müssen beachtlich sein. 1069 Das BVerwG überprüft anhand seiner Auslegungskriterien, ob im Einzelfall eine Ergebnisrelevanz vorliegt. 1070 Liegt diese nicht vor, ist die Aufgabe des Abwägungsvorgangs, eine Ergebnisrichtigkeit zu fördern, nicht verfehlt worden. 1071 Der Gesetzgeber ist beim Fehlen des Einflusses auf das Ergebnis pauschal davon ausgegangen, dass in diesem Fall der Plan auf die gleiche Art und Weise der erlassen worden wäre. 1072 Insoweit wird die Beachtlichkeit und damit die Kontrolldichte im Hinblick auf die nicht ergebnisrelevanten Abwägungsmängel im Abwägungsvorgang durch § 214 III S. 2 BauGB eingeschränkt. 1073 Indem das BVerwG die Unbeachtlichkeit von Fehlern im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 BauGB verfassungskonform ausgelegt hat, hat es die grundsätzliche Beschränkbarkeit der gerichtlichen Überprüfung des Abwägungsvorgangs akzeptiert. Die eingeschränkte Kontrolldichte ist mit Art. 20 III GG, Art. 19 IV GG und Art. 14 I GG vereinbar. 1074
1065
Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 32; Dolde, BauR 1990, S. 1 (11). 1066 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 195. 1067 Siehe oben D. III. 2., S. 154 ff.; grundlegend BVerwGE 64, 33 (37 f.); vgl. auch Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 37; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 47 f.; von Komorowski / Kupfer, VBlBW 2003, S. 49 (64). 1068 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 197. 1069 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 197. 1070 Zu den Auslegungskriterien des BVerwG siehe oben D III. 2. b), S. 154 f. 1071 Zur Funktion des Abwägungsvorgangs vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. III., S. 57 ff. 1072 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 197. 1073 Vgl. Dolde, BauR 1990, S. 1 (6 f.).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
III. Auswirkungen der relativen Unbeachtlichkeit nach § 215 I BauGB Fristgerecht gerügte Fehler i. S.v. § 215 I BauGB sind von den Gerichten zu beachten. 1075 Vor Ablauf der Rügefrist hat der Gesetzgeber festgelegt, dass in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle die noch rügbaren Fehler vollständig berücksichtigt werden müssen. 1076 Die Kontrolldichte der Gerichte wird in dieser Zeit nicht eingeschränkt. 1077 Mit Eintritt der Unbeachtlichkeit der in § 215 I BauGB genannten Fehler sind fehlerhafte Bebauungspläne der gerichtlichen Kontrolle insoweit entzogen. Im Unterschied zu der neu geregelten relativen Unbeachtlichkeit von Fehlern im Abwägungsvorgang in § 215 I Nr. 3 BauGB erfasste § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) vor dem EAG Bau auch Mängel im Abwägungsergebnis. 1078 Es stellte sich die Frage der Reichweite der Unbeachtlichkeitsregelung nach alter Rechtslage. Würde § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) uneingeschränkt angewendet, wären inhaltlich fehlerhafte Bebauungspläne der Gerichtskontrolle in erheblichem Umfang entzogen. 1079 Ohne Rüge fände keine Gerichtskontrolle des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses mehr statt. 1080 Bei Verstößen gegen das Abwägungsgebot konnte der Bebauungsplan nur gemäß § 216 BauGB (a. F.) von der Aufsichtsbehörde beanstandet werden. Die Literatur und das BVerwG gingen dagegen von einer teleologischen Reduzierung des § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) aus. Erhebliche Mängel im Abwägungsergebnis waren somit auch noch nach Fristablauf beachtlich und einer Gerichtskontrolle zugänglich. 1081 Gemäß § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) konnten auch Mängel im Abwägungsergebnis unbeachtlich werden. Nach dem EAG Bau dagegen können gemäß § 215 I Nr. 3 BauGB nur noch Mängel im Abwägungsvorgang unbeachtlich werden. Nach beiden Regelungen können Verstöße gegen das Abwägungsgebot unbeachtlich werden und damit nicht mehr Kontrollgegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein. Es stellte sich die Frage, ob Rechtsschutzsuchende durch § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unzumutbar beschränkt wurden. Der neue und reduzierte Anwendungsbereich der relativen 1074
Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 149; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 216. 1075 Rude, Planreparatur, S. 76. 1076 Vgl. BT-Drucks. 13/7589, S. 31. Zur vorhergehenden Diskussion vgl. Schmaltz, DVBl 1990, S. 77 (79 f.). 1077 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 48. 1078 Siehe unten 2. Kapitel § 2 A. III., S. 190 ff. 1079 Vgl. Dolde, BauR 1990, S. 1 (2). 1080 Dolde, BauR 1990, S. 1 (2). 1081 Käß, Inhalt und Grenzen, S. 219; Quas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 6.
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
165
Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln nach dem EAG Bau in § 215 I Nr. 3 BauGB greift die Bedenken einer zu weiten Einschränkung des Rechtsschutzes durch Planerhaltungsregeln auf. 1082 Die Planerhaltungsregelungen beschränken durch die Regelung der Fehlerfolgen das Normverwerfungsrecht des Richters und beschränken damit den Rechtsschutz des Einzelnen. Teilweise wird in der Literatur angenommen, dass die Planerhaltungsvorschriften nicht mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes vereinbar seien. 1083 Diese Ansicht verkennt jedoch den Schutzbereich des Art. 19 IV GG. 1084 Das Gebot effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 IV GG gewährleistet die vollständige gerichtliche Überprüfung hoheitlicher Maßnahmen, sofern jemand durch diese Maßnahmen in seinen Rechten verletzt wurde. Die Anforderungen zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind gering. Damit der Schutzbereich des Art. 19 IV eröffnet ist, muss aber zunächst ein subjektives Recht bestehen, das verletzt wurde. Dadurch, dass der Gesetzgeber die Beachtlichkeit bzw. die Unbeachtlichkeit bestimmter Rechtsverstöße geregelt hat, fehlt es regelmäßig an der notwendigen Rechtsverletzung. Mit den Planerhaltungsregelungen präzisiert der Gesetzgeber die subjektiven Rechte dadurch, dass er dem materiellen Recht Schranken setzt. 1085 Wenn der Gesetzgeber festlegt, dass bestimmte Rechtsverletzungen unter bestimmten Voraussetzungen unbeachtlich sind, fehlt bereits das erforderliche subjektive Recht; der Schutzbereich des Art. 19 IV GG ist somit nicht eröffnet. 1086 Es ist daher zudem zweifelhaft, welche Kontrollmaßstäbe aus Art. 19 IV GG an die Planerhaltungsvorschriften angelegt werden können, wenn bereits die Verletzung eines subjektiven Rechts fehlt. 1087 Andererseits darf der Gesetzgeber nicht jegliche Verstöße gegen Rechtsnormen für unbeachtlich erklären, so dass sich die Frage nach den Grenzen für den Gesetzgeber stellt. Eine überprüfbare Grenze, die den Gesetzgeber bei der Unbeachtlicherklärung von Fehlern beschränkt, ergibt sich aus den materiellen Grundrechten und insbesondere aus Art. 14 GG. 1088 Verstöße gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen dürfen nicht einfach unbeachtlich werden. Daneben ergibt sich eine weitere Grenze aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG. 1089 Das vom Verfassungsgeber gewählte Modell des subjektiven Rechtsschutzes darf durch den 1082
Zur Neuregelung siehe unten 2. Kapitel § 2 A. III., S. 190 f. Kirchhof, NJW 1981, S. 2382 (2386 f.) aber bereits zur Baurechtsnovelle 1979. 1084 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 97. 1085 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 303. 1086 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 97; vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 32. 1087 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 303. 1088 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 216; Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 97; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 334 f.; Peine, NVwZ 1989, S. 637 (639). 1083
166
1. Kap.: Bestandsaufnahme
einfachen Gesetzgeber nicht unterlaufen werden, indem dieser durch die materiell wirkenden Planerhaltungsregelungen den Umfang subjektiver Rechte und damit die Reichweite des Art. 19 IV GG beschränkt. 1090 Daher wirkt Art. 19 IV GG auch auf den Inhalt und den Umfang des materiellen Rechts ein. 1091 Bei der Anordnung der Unbeachtlichkeit für bestimmte Verstöße gegen Rechtsnormen hat der Gesetzgeber diese Grenze zu beachten. Neben dem Gesetzgeber müssen auch die kontrollierenden Gerichte diese Einwirkung auf das materielle Recht beachten, indem die Planerhaltungsvorschriften rechtsschutzfreundlich auszulegen sind. 1092 Die teleologische Reduktion des § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) ist Ausdruck einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung. Mängel im Abwägungsergebnis sind demnach auch noch nach Fristablauf beachtlich. 1093 § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) ist damit trotz der Einschränkung der Kontrolldichte bei Abwägungsmängeln mit Art. 19 IV GG vereinbar. 1094 Mängel im Abwägungsvorgang konnten demnach bereits nach bestehender Rechtslage vor dem EAG Bau nach Fristablauf unbeachtlich werden. IV. Systematische Betrachtung Die Planerhaltungsvorschriften erklären insbesondere Verstöße gegen Verfahrens- und Formvorschriften für unbeachtlich. 1095 Dementsprechend sind die Anwendungsbereiche der Planerhaltungsvorschriften klar zwischen Verfahrens- und Formfehlern und materiellen Fehlern unterteilt. Mit der Einführung der Planerhaltungsvorschriften wurden die Verfahrensvorschriften im BauGB stetig „abgewertet“ 1096. Indem der Gesetzgeber versucht hat, die Fehleranfälligkeit aufgrund von Verfahrensfehlern zu reduzieren, hat das gleichzeitig zu einer verstärkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Sachentscheidung bei gleichzeitig abnehmender Verfahrenskontrolle geführt. 1097 Die in den Planerhaltungsvorschriften angelegte Unterscheidung in Verfahrens- und Sachkontrolle entspricht den Bindungen der planenden Behörde zum einen aus Verfahrensvorschriften und zum 1089 1090 1091
303.
1092
Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 303. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 303. Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 122 ff., 130,
Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 216. Vgl. oben D. V., S. 158. 1094 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 97; vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 216; Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 303; vgl. mit der Einschränkung auf die Rechtsverletzung von einfachem Recht Peine, NVwZ 1989, S. 637 (639). 1095 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 5. 1096 Vgl. Keßler, Die Abwertung, S. 267; Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 8. 1097 Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 8. 1093
§ 6 Die Planerhaltungsvorschriften
167
anderen aus materiell-rechtlichen Vorschriften; insbesondere den Bindungen aus dem Abwägungsgebot gemäß § 1 VII BauGB. Das Abwägungsgebot wird demnach insgesamt, bezogen auf Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis, als materiell-rechtliche Anforderung an die Planung verstanden. 1098 Das Ausmaß der Abwägungsbindung und damit der Abwägungskontrolle hängt auch vom Ausmaß der Verfahrenskontrolle ab. 1099 Mit der Abwertung der Verfahrensvorschriften wurde die gerichtliche Kontrolle von der Verfahrenskontrolle auf die Sachkontrolle der Abwägung „kanalisiert“. 1100 Der Verstoß gegen Verfahrensvorschriften soll demnach nicht für die Beachtlichkeit ausreichen. Beruht auf diesem Verstoß möglicherweise auch eine Verletzung des Abwägungsgebots, so wird der Bebauungsplan anhand der materiell-rechtlichen Kriterien des Abwägungsgebots auf diesen Fehler hin überprüft. 1101 Die Kontrolldichte der verwaltungsgerichtlichen Gerichte bei der Überprüfung eines Bebauungsplans ist damit nicht stetig reduziert worden, 1102 allerdings schränken die Planerhaltungsvorschriften insgesamt die Kontrolldichte erheblich ein. 1103
F. Zusammenfassung § 6 Die Planerhaltungsregelungen wurden seit ihrer ersten Einführung kontinuierlich ausgeweitet. Die den §§ 214 ff. BauGB zugrunde liegende Systematik wurde bereits in den ersten Regelungen angelegt. Die Entwicklung der Planerhaltungsvorschriften ist der Einordnung der Bebauungspläne als Satzungen geschuldet. Die mit dieser Einordnung verbundene Unterwerfung der Bebauungspläne unter das für Normen geltende Nichtigkeitsdogma hat zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt. Die Planerhaltungsvorschriften waren und sind das vom Gesetzgeber gewählte Regelungsinstrument, die Pläne weniger rechtsmittelanfällig zu machen. Der Gesetzgeber musste und muss mit den Planerhaltungsregeln stets einen Ausgleich zwischen gewünschter Rechtssicherheit, Rechtsschutz und der Rechtmäßigkeit des Plans herstellen. Die Entwicklung einer eigenen Fehlerlehre für Pläne und insbesondere für die Bebauungspläne zeigt, dass der Bebauungsplan nicht völlig reibungsfrei in die Rechtsform der Satzung eingepasst werden kann. 1098
Koch, DVBl. 1989, S. 399 (400); Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (572); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807); vgl. auch oben § 2 B. III., S. 57 f. 1099 Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 9; Keßler, Die Abwertung, S. 131; 174, 193 f., 204 f. 1100 Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 9. 1101 Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 9. 1102 So zur Beschleunigungsnovelle von 1979 Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 9. 1103 Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 17 Rn. 39.
168
1. Kap.: Bestandsaufnahme
Die Planerhaltungsregelungen im BauGB (§§ 214 ff. BauGB) beinhalten die Regelungsinstrumente der Heilungs- und Unbeachtlichkeitsvorschriften. Während im ergänzenden Verfahren gemäß § 214 IV BauGB (§ 215a BauGB a. F.) die Mängel geheilt werden, ist die Unbeachtlichkeit von Fehlern die Folge der übrigen Planerhaltungsvorschriften. Die Rechtsfolge der Unbeachtlichkeit von Fehlern besteht darin, dass der Rechtsverstoß nicht korrigiert wird und der Widerspruch zur Rechtsordnung bestehen bleibt. Der Fehler wird nicht behoben, so dass ein mit einem unbeachtlichen Fehler behafteter Bebauungsplan wirksam ist, obwohl dieser rechtswidrig ist. Diese Konsequenz wird vom BauGB ausdrücklich in Kauf genommen, da die Genehmigungsbehörde gemäß § 216 BauGB weiterhin verpflichtet bleibt, die Einhaltung der Vorschriften zu prüfen, auch wenn deren Verletzung entsprechend der §§ 214 ff. BauGB für die Rechtswirksamkeit bei der Gerichtskontrolle unbeachtlich ist. Die §§ 214 ff. BauGB regeln damit zum einen materiell-rechtlich die Fehlerfolgen von Verstößen gegen Rechtsnormen und zum anderen prozessual den anzulegenden Kontrollmaßstab der kontrollierenden Gerichte. Bei den Unbeachtlichkeitsregelungen kann zwischen einer absoluten Unbeachtlichkeit oder einer relativen Unbeachtlichkeit von Fehlern unterschieden werden. Bei der absoluten Unbeachtlichkeit bedarf es keiner zusätzlichen Voraussetzungen. Die relative Unbeachtlichkeit hingegen tritt erst mit dem Ablauf von Rügefristen ein. Mit dem EAG Bau hat der Gesetzgeber insbesondere die Planerhaltungsvorschriften, welche die Abwägungsmängel erfassen, verändert. Damit scheint eine neue Systematisierung der Anwendungsbereiche der einzelnen Planerhaltungsregelungen mit einherzugehen. Bisher waren die Anwendungsbereiche der Planerhaltungsvorschriften vor dem EAG Bau strikt nach Planerhaltungsvorschriften für jeweils Verfahrens- und Formfehler und materiell-rechtliche Fehler unterteilt und voneinander getrennt. Dementsprechend wurden von § 214 I BauGB (a. F.) nur Verstöße gegen Vorschriften erfasst, die den äußeren Ablauf des Planungsverfahrens regeln. Für Verstöße gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 214 I a BauGB (a. F.) galt das Gleiche. Materiell-rechtliche Mängel im Abwägungsvorgang wurden hingegen von § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) geregelt. Mängel im Abwägungsergebnis wurden in § 215 I Nr. 1 BauGB mit der Folge der relativen Unbeachtlichkeit erfasst. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die mit Mängeln im Abwägungsvorgang zusammenfallen können, wurden entsprechend der systematischen Trennung der Anwendungsbereiche zunächst von § 214 I BauGB (a. F.) erfasst. Beruhte ein Mangel im Abwägungsvorgang jedoch auf einem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, so war dessen Beachtlichkeit ebenfalls an § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) zu messen.
§ 7 Zusammenfassung 1. Kapitel
169
Mängel im Abwägungsvorgang sind nur beachtlich, wenn diese gemäß § 214 III S. 2 BauGB offensichtlich und von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sind. Das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit beschränkt den gerichtlichen Prüfungsmaßstab auf die äußere Seite des Abwägungsvorgangs. Nur die ergebnisrelevanten Mängel im Abwägungsvorgang beeinträchtigen die Ergebnisoffenheit der Abwägung und sind damit i. S.v. § 214 III S. 2 BauGB beachtlich. Die Unbeachtlichkeitsfolge von Verstößen gegen das Abwägungsgebot gemäß § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) nach Fristablauf musste verfassungskonform dahingehend teleologisch reduziert werden, dass Mängel im Abwägungsergebnis auch nach Fristablauf beachtlich blieben. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sollten schwerwiegende Mängel im Abwägungsvorgang hingegen nach Fristablauf von sieben Jahren unbeachtlich werden. Der Gesetzgeber hat versucht mit den Planerhaltungsvorschriften die Fehleranfälligkeit aufgrund von Verfahrensfehlern zu reduzieren. Das hat gleichzeitig zu einer verstärkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Sachentscheidung bei gleichzeitig abnehmender Verfahrenskontrolle geführt. Das Abwägungsgebot wird dabei insgesamt, bezogen auf Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis, in der Systematik der Planerhaltungsvorschriften als materiell-rechtliche Anforderung an die Planung verstanden.
§ 7 Zusammenfassung 1. Kapitel Bereits in seiner Leitentscheidung zur Bauleitplanung hat das BVerwG festgestellt, dass mit der Befugnis zur Planung ein gewisser Spielraum einhergehen muss; denn Planung ohne Gestaltungsfreiheit sei ein Widerspruch in sich. 1104 Die planerische Gestaltungsfreiheit erfasst damit sowohl die Ermächtigung zur Planung als auch den Inhalt der Planung mit den erforderlichen Entscheidungsfreiräumen. Die planerische Gestaltungsfreiheit bewirkt, dass der Planungsträger in einem gesetzten rechtlichen Rahmen die Planungsziele sowie die Mittel zur Erreichung dieser Ziele frei wählen kann. Das Abwägungsgebot enthält aus der Handlungsperspektive eine Entscheidungsstruktur für die planende Behörde zur rechtmäßigen Bewältigung dieser Freiräume. Mit der Ermächtigung zur Letztentscheidung ist eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle verbunden, da in diesem Fall die letzte Entscheidung ausnahmsweise nicht den kontrollierenden Gerichten zusteht. Dennoch darf angesichts der umfassenden Rechtsbindung aller Staatsgewalt gemäß Art. 20 III GG theoretisch kein Raum für rechtsfreie und damit kontrollfreie Staatstätigkeit bestehen. Das Grundgesetz sieht dementspre1104
BVerwGE 34, 301 (304).
170
1. Kap.: Bestandsaufnahme
chend, gestützt auf Art. 19 IV GG, eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung allen Verwaltungshandelns vor. In dem Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis einer effektiven Rechtskontrolle und der planerischen Gestaltungsfreiheit wurde für das Bauplanungsrecht ein sehr differenziertes Kontrollsystem entwickelt, das aber auch die Letztentscheidungsbefugnis der Gemeinde beachtet. 1105 Dieses Kontrollsystem beinhaltet Elemente der Verfahrens- und Sachkontrolle. Infolge der verminderten Kontrolldichte bei der Sachkontrolle der Planungsentscheidung kommt der Verfahrenskontrolle grundsätzlich eine kompensierende Funktion zu. 1106 Das BauGB sieht ein detailliertes Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen vor. Aus diesen Verfahrensvorschriften ergeben sich rechtliche Bindungen für die Kontrolle des Planungsverfahrens. Die Verfahrenskontrolle des Planaufstellungsverfahrens hat aber eine andere Kontrollaussage als die materiell-rechtliche Kontrolle der Planung. Aus den Verfahrensvorschriften ergeben sich rechtliche Bindungen und damit Kontrollmaßstäbe für den Entscheidungsprozess im Hinblick auf die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, z. B. zur Sachverhaltsermittlung. In Deutschland enthält die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, abgesehen von einer Indizwirkung, grundsätzlich keine inhaltliche Aussage über die Richtigkeit der Sachentscheidung oder die inhaltliche Richtigkeit der Sachverhaltsermittlung, sondern darüber, ob die Sachverhaltsermittlung bspw. in der richtigen Art und Weise erfolgt ist. Dem Verfahren kommt nach deutschem Verständnis eine dienende Funktion zu. In den Fällen, in denen eine vollständig materiell-rechtliche Determinierung des Verwaltungshandelns nicht möglich ist, wächst die Bedeutung des Verfahrens, einen Eigenwert neben der Sachentscheidung erhält es aber nicht. Die Gerichtskontrolle bleibt materiell-rechtlich orientiert. Mit der Anordnung zur Abwägung hat der Gesetzgeber der planenden Behörde eine Entscheidungsstruktur zur Bewältigung nicht gesetzlich abschließend geregelter Konflikte an die Hand gegeben. In der Abwägung findet die Gestaltungsfreiheit ihren Niederschlag. 1107 Der damit verringerten Kontrolldichte entspricht ein System an Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit, welches dem Schutz subjektiver Rechte genügen soll. Die planerische Gestaltungsfreiheit wird nur negativ über ihre Schranken bestimmt. Die Kontrolldichte ist nicht fest vorgegeben, sondern variiert entsprechend der unterschiedlich weiten Kontrollmaßstäbe. Zuallererst bilden rechtsverbindliche Zielprogramme den ersten Maßstab. Danach stehen sogenannte „Beachtens- / Berücksichtigungspflichten“, welche auch als Abwägungsdirektiven oder als Planungsleitsätze bezeichnet werden, und schließlich folgt der Kontrollmaßstab aus dem Abwägungsgebot aus 1105 Vgl. zur Letztentscheidungsbefugnis oben § 3 D. VII., S. 81; Käß, Inhalt und Grenzen, S. 151. 1106 Vgl. oben § 2 B., S. 49 ff. 1107 Vgl. oben § 3 C. IV., S. 71 ff.
§ 7 Zusammenfassung 1. Kapitel
171
§ 1 VII BauGB. 1108 Der kontrollkritischere Teil folgt erst im Abwägungsvorgang selbst. Davor besteht eine gerichtliche Vollkontrolle. 1109 Zur Kontrolle der planerischen Abwägung hat die Rechtsprechung die Abwägungsfehlerlehre entwickelt. Wesentlicher Bestandteil der Abwägungsfehlerlehre ist die auch in § 214 III S. 2 BauGB vollzogene Unterscheidung in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Sowohl das Abwägungsergebnis als auch der Abwägungsvorgang sind jeweils auf die Abwägungsfehler hin zu überprüfen. 1110 Der Abwägungsvorgang umfasst dabei das inhaltliche Zustandekommen des Abwägungsergebnisses und ist daher gerade kein Verfahrensrecht. Die Vorgangskontrolle ist Teil der Ergebniskontrolle. 1111 Neben der Überprüfung des Planinhalts kommt dem Vorgang damit eine eigenständige Bedeutung zu, so dass dieser zusätzlich kontrolliert wird. 1112 Die Anknüpfung an die unterschiedlichen Kontrollgegenstände macht die Doppelprüfung auf die Abwägungsfehler nicht überflüssig. Die von der Rechtsprechung. und der Literatur vorausgesetzten Abwägungsphasen sind Denkstufen zur Strukturierung der Abwägung. 1113 Eine Qualifizierung bestimmter Teile des Abwägens als Verfahren kann anhand der Phasen daher nicht vorgenommen werden. 1114 Mit der Entwicklung der Abwägungsfehlerlehre hat das BVerwG einen einheitlichen und hinreichenden Weg zur Kontrolle der Abwägung unter Wahrung der funktionalen Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit gefunden. 1115 Eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei der Überprüfung von Bebauungsplänen bewirken allerdings die Planerhaltungsvorschriften. Da Bebauungspläne im Vergleich zu herkömmlichen Satzungen besonders fehleranfällig sind, wurden mit den Planerhaltungsregelungen besondere Fehlerfolgenreglungen eingeführt. Für den Umgang mit den Fehlern hat sich der Gesetzgeber der Regelungsinstrumente der Heilung und der Unbeachtlichkeit von Fehlern bedient, um eine höhere Bestandssicherheit zu gewähren. 1116 Mit den Unbeachtlichkeitsregelungen hat der Gesetzgeber Regelungsinstrumente geschaffen, die auf der Ebene der Fehlerfolgen ansetzen. 1117 Indem die Unbeacht1108 So nach Krebs, in: Schmidt-Aßmann / Schoch, BesVerwR, 14. Aufl., 4. Kap. Rn. 101 f. 1109 Vgl. oben § 3 E., S. 86 f. u. § 4 A., S. 93 ff. 1110 Vgl. oben § 5 B., S. 122 ff. 1111 Vgl. § 5 D., S. 134; Happ, NVwZ 2007, S. 304 (304). 1112 Vgl. oben § 2 B. III., S. 49 f.; § 5 D., S 134 ff. 1113 Vgl. oben § 5 B. I., S. 124 f. 1114 Vgl. Erbguth, JZ 2006, S. 484 (489). 1115 Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 157. 1116 Vgl. § 6 C., S. 147 f.; Stüer / Rude, ZfBR 2000, S. 85 (85). 1117 Vgl. oben § 6 C., S. 147 f.; Rude, Planreparatur, S. 53 f.; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 17 f.
172
1. Kap.: Bestandsaufnahme
lichkeitsreglungen Verstöße gegen höherrangiges Recht für unbeachtlich erklären, regeln die §§ 214 ff. BauGB zum einen materiell-rechtlich die Fehlerfolgen von Verstößen gegen Rechtsnormen und zum anderen prozessual den jeweils anzulegenden Prüfungsmaßstab der kontrollierenden Gerichte. 1118 Mängel im Abwägungsvorgang sind nach dem Prüfungsmaßstab der Planerhaltungsregeln nur beachtlich, wenn diese gemäß § 214 III S. 2 BauGB offensichtlich und von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sind. Durch das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit wird der gerichtliche Prüfungsmaßstab auf die „äußere Seite“ des Abwägungsvorgangs beschränkt. Es sind nur die ergebnisrelevanten Mängel im Abwägungsvorgang, welche die Ergebnisoffenheit der Abwägung beeinträchtigen und die damit i. S.v. § 214 III S. 2 BauGB beachtlich sind. 1119 Nach der bisherigen Systematik der Planerhaltungsvorschriften wurde strikt zwischen Planerhaltungsvorschriften für jeweils Verfahrens- und Formfehler und Planerhaltungsvorschriften für materiell-rechtliche Fehler unterschieden. Dementsprechend wurden von § 214 I BauGB (a. F.) nur Verstöße gegen Vorschriften erfasst, die den äußeren Ablauf des Planungsverfahrens regeln. Für Verstöße gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 214 I a BauGB (a. F.) galt das Gleiche. Materiell-rechtliche Mängel im Abwägungsvorgang wurden hingegen von § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) geregelt. Mängel im Abwägungsergebnis wurden in § 215 I Nr. 1 BauGB mit der Folge der relativen Unbeachtlichkeit erfasst. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die mit Mängeln im Abwägungsvorgang zusammenfallen können, wurden entsprechend der systematischen Trennung der Anwendungsbereiche zunächst von § 214 I BauGB (a. F.) erfasst. Beruhte ein Mangel im Abwägungsvorgang aber auf einem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, so war dessen Beachtlichkeit ebenfalls an § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) zu messen. Mit den Unbeachtlichkeitsregelungen präzisiert der Gesetzgeber die subjektiven Rechte i. S.v. Art. 19 IV GG dadurch, dass er dem materiellen Recht Schranken setzt. 1120 Die Unbeachtlichkeitsregelungen sind, solange kein subjektiv-öffentliches Recht verletzt wird, grundsätzlich mit Art. 19 IV GG vereinbar. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG bildet dennoch eine Grenze für die Unbeachtlicherklärung von Verstößen gegen höherrangiges Recht, indem Art. 19 IV GG auch auf den Inhalt und den Umfang des materiellen Rechts insoweit einwirkt, als der einfache Gesetzgeber den subjektiven Rechtsschutz nicht unterlaufen kann. 1121 1118 Vgl. oben § 6 C., S 147 f.; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 32; Dolde, BauR 1990, S. 1 (11). 1119 Vgl. oben § 6 D. V., S. 158. 1120 Vgl. § 6 E. II., S. 162 f.; Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 303.
§ 7 Zusammenfassung 1. Kapitel
173
Mit den Planerhaltungsvorschriften wollte der Gesetzgeber die Fehleranfälligkeit aufgrund von Verfahrensfehlern reduzieren. Das hat gleichzeitig zu einer verstärkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Sachentscheidung bei gleichzeitig abnehmender Verfahrenskontrolle geführt. 1122 Das Abwägungsgebot wird, nach der bisherigen Abwägungsdogmatik, insgesamt, bezogen auf Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis, als materielle Anforderung an die Planung verstanden. 1123
1121 Vgl. § 6 E. II., S. 162 f.; Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 122 ff., 130, 303. 1122 Vgl. § 6 E. III., S. 164 f.; Götz, in: Rechtsfragen der Bauleitplanung, S. 8. 1123 Vgl. § 6 E. III., S. 164 f.; Koch, DVBl. 1989, S. 399 (400); Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (572); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807); vgl. auch oben § 2 B. III., S. 57 ff.
2. Kapitel
Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004 § 1 Die Anpassung des BauGB an die europarechtlichen Vorgaben A. Die umzusetzenden Richtlinien Mit den Neuregelungen im Baugesetzbuch durch das EAG Bau hat der deutsche Gesetzgeber auf die europarechtlichen Vorgaben reagiert. 1 Das Europarecht hatte bereits vor dem EAG Bau Einfluss auf das nationale Bauplanungsrecht genommen. 2 Insbesondere zwei EG-Richtlinien veranlassten den deutschen Gesetzgeber dazu, das Baugesetzbuch an das europäische Recht anzupassen 3, zum einen die Plan-UP-Richtlinie 4 und zum anderen die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 5. I. Die Plan-UP-Richtlinie Die Plan-UP-Richtlinie 6 hat die Einführung einer Prüfung der Umweltauswirkungen von Plänen zum Ziel. 7 Die Plan-UP-Richtlinie ist auf das Aarhus1 Kraft, UPR 2004, S. 331 (331); vgl. auch die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/2250, S. 27. 2 Vgl. mit Beispielen Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 103. 3 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/ 2250, S. 27. 4 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 6. 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABlEG Nr. L 197, S. 30 – 37 – nachfolgend: Plan-UP-Richtlinie. 5 Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61 EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABlEG Nr. L 156, S. 17 – 25 – nachfolgend: Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 6 ABlEG Nr. L 197, S. 30 – 37. 7 Vgl. Grund (4) ff. Plan-UP-Richtlinie.
§ 1 Die Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben
175
Übereinkommen 8 zurückzuführen, wonach bei Entscheidungsverfahren der Umweltschutz verbessert werden soll. Die Mittel, die nach dem Aarhus-Übereinkommen zu einem besseren Umweltschutz beitragen sollen, sind im Wesentlichen der Zugang zu staatlichen Informationen, die Verstärkung der Partizipation an Entscheidungsprozessen und der Drittrechtsschutz. 9 Im Rahmen der Plan-UP-Richtlinie sollen zur Verminderung der Umweltauswirkungen durch Pläne einheitliche Verfahrensanforderungen einen Mindestrahmen für eine Umweltprüfung festlegen. 10 Wie schon in der Aarhus-Konvention sollen durch Elemente der Transparenz und der Öffentlichkeitsbeteiligung die jeweiligen Verfahrensvorschriften dahingehend modifiziert werden. 11 Gemäß der Terminologie des Unionsrechts ersetzt der Begriff Öffentlichkeitsbeteiligung den nationalen Begriff der Bürgerbeteiligung. 12 Anknüpfungspunkt der Richtlinie sind nach der Begründung nur Verfahrensaspekte. 13 Dementsprechend trifft die Richtlinie nur Regelungen zu bestimmten Verfahrensvorschriften. 14 Einige der Regelungen der Richtlinie enthalten zeitliche Vorgaben, die die Öffentlichkeitsbeteiligung von außen auf das Planungsverfahren garantieren, um auf diese Weise eine vollständigere Entscheidungsbasis zu erreichen. 15 Weitere Vorschriften wie Art. 6 I Plan-UP-Richtlinie stellen sicher, dass der Planentwurf der Öffentlichkeit bekannt gemacht wird. Nach Art. 9 Plan-UP-Richtlinie ist schließlich der Plan bekannt zu machen und es ist darzulegen, inwiefern die Umwelterwägungen in den Plan einbezogen wurden, wie der nach Art. 5 Plan-UP-Richtlinie zu erstellende Umweltbericht, die einzuholenden Stellungnahmen von Behörden und der Öffentlichkeit (Art. 6 Plan-UP-Richtlinie) und wie die nach Art. 7 Plan-UP-Richtlinie Konsultationen berücksichtigt wurden.
8 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. 6. 1998. 9 Zur Arhus-Konvention vgl. Ekardt, NuR 2006, S. 221 (222). 10 Vgl. Grund (8) und (9) Plan-UP-Richtlinie. 11 Vgl. Grund (14) und (15) Plan-UP-Richtlinie. 12 Vgl. Rn. 21, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Novellierung des BauGB, Berlin, August 2002, hrsg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, erhältlich auf der Homepage des Ministeriums: „www.bmvbs.de“ (folgend zitiert: Bericht der Unabhängigen Expertenkommission). Die Kommission wurde im Dezember 2001 vom Bundesminister einberufen. Sie bestand aus 13 ständigen Mitgliedern aus Praxis und Wissenschaft sowie 3 ständigen Gästen aus dem Bundesministerium und 4 weiteren Gästen aus dem Bundesministerium und der Wissenschaft. Die Geschäftsstelle der Kommission war beim Institut für Deutsches und Internationales Baurecht e.V. an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt. 13 Siehe Grund (9) Plan-UP-Richtlinie. 14 Vgl. Art. 4 f. Plan-UP-Richtlinie. 15 Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 105; vgl. auch Art. 4 I, Art. 6 II Plan-UP-Richtlinie.
176
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
II. Die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie Die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtline 16 zielt, ähnlich wie die Plan-UP-Richtlinie, darauf ab, Entscheidungsverfahren unter der Beteiligung der Öffentlichkeit transparenter zu gestalten. Gleichzeitig soll mit der Einbindung der Öffentlichkeit in das Entscheidungsverfahren die Akzeptanz für getroffene Entscheidungen erhöht und das Problembewusstsein für Umweltbelange in der Öffentlichkeit geschärft werden. 17 Die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie geht ebenfalls auf das Aarhus-Übereinkommen zurück. 18 Im Unterschied zur Plan-UP-Richlinie steht bei dieser Richtlinie neben einem ausgewogenen Entscheidungsprozess die Einbindung der Öffentlichkeit im Vordergrund. 19 Die Kernregelung des Art. 2 II Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL legt fest, „dass die Öffentlichkeit frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit erhält, sich an der Vorbereitung und Änderung oder Überarbeitung der Pläne oder der Programme zu beteiligen [...]“. 20 Gemäß Art. 3 ff. Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL wird damit ein Grundkonzept für die Öffentlichkeitsbeteiligung angelegt, das sich auch auf die UVP-Richtlinie 21 und die IVURichtlinie 22 auswirkt und diese dementsprechend verändert. 23 Die Öffentlichkeit soll derart in den Entscheidungsprozess einbezogen werden, dass sie das Recht hat, in dem Entscheidungsprozess Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern. 24 Diese Stellungnahmen und Meinungsäußerungen müssen gemäß Art. 2 II c Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL angemessen berücksichtigt werden. Über die Entscheidungsgründe, das Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren und die Entscheidung muss die Öffentlichkeit unterrichtet werden. 25 Der Zeitrahmen für den Entscheidungsprozess muss für eine angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung ausreichend bemessen sein. 26 Neben der Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung in
16
ABlEG Nr. L 156, S. 17 – 25. Grund (3) Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 18 Vgl. Grund (5) – (12) Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. Siehe auch Fisahn, ZUR 2004, S. 136 (136 ff.); Bunge, ZUR 2004, S. 141 (141 ff.). 19 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 107. 20 Art. 2 II Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 21 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABlEG Nr. 175, S. 40, i. d. F. der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. 3. 1997, ABlEG Nr. L 73, S. 5. 22 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABlEG Nr. 257, S. 26 –40. 23 Vgl. auch Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 107. 24 Art. 2 II b Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 25 Art. 2 II d Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 26 Art. 2 III Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 17
§ 1 Die Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben
177
den Entscheidungsverfahren wird das Recht der Öffentlichkeitsbeteiligung durch einen „weiten Zugang“ 27 zu den Gerichten zusätzlich abgesichert.
B. Ein europäischer Systemvergleich Das BauGB sollte aufgrund der oben dargelegten Richtlinien durch das EAG Bau an das Europarecht angepasst werden. In den Vorarbeiten zum EAG Bau wird ein Anpassungsbedarf nur der formalen Anforderungen an das Planungsverfahren identifiziert. 28 Die oben dargestellten Anforderungen der Richtlinien sollen in nationales Verfahrensrecht umgesetzt werden. Materiell-rechtliche Änderungen sollen die Richtlinien nicht bewirken. Beispielsweise führt Pietzcker in seinem Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie aus, dass die Umweltprüfung nach der Richtlinie die Aufbereitung und Bewertung des umweltrelevanten Abwägungsmaterials umfasst, aber nicht die materielle Gewichtung der Belange. 29 Dieser in den Richtlinien ausgesprochenen Betonung der Bedeutung des Verfahrensrechts im Europarecht steht die oben im 1. Kapitel dargelegte stetige Abwertung der Verfahrensvorschriften 30 im deutschen Bauplanungsrecht gegenüber. 31 Der größere Stellenwert des Verfahrensrechts im Unionsrecht im Gegensatz zum nationalen deutschen Recht entspricht außerdem der Kontrollpraxis des EuGH. Danach sind Verstöße gegen Verfahrensvorschriften stets beachtlich. 32 Gemäß Art. 263 AEUV (Art. 230 EGV) ist bei Verletzung „wesentlicher Formvorschriften“ die Nichtigkeitsklage gegen Rechtsakte der Union zulässig. Unter den in Art. 263 AEUV (bisher Art. 230 EGV) genannten Formvorschriften sind auch Verstöße gegen Verfahrensvorschriften zu verstehen. 33 Sind Entscheidungen von Verwaltungsorganen mit eingeräumtem Ermessen Kontrollgegenstand, überprüft der EuGH die Einhaltung der Verfahrensvorschriften. Auf die materielle Richtigkeit der Ermessensentscheidung kommt es nicht mehr an. Ein Grund für die reduzierte materiell-rechtliche Kontrolle durch den EuGH liegt auch in der geringeren Regelungsdichte des Unionsrechts und der Einräumung 27 Art. 3 Nr. 6; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 109. 28 Krautzberger / Schliepkorte, UPR 2003, S. 92 (93). 29 Pietzcker, Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie, S. 80. 30 Siehe oben 1. Kapitel § 6 insbes. E., III., S. 164. 31 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 37; Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10 f.); vgl. Ehlers, DVBl. 2004, S. 1441 (1451). 32 Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (9 f.); EuGH, Urt. v. 27. 6. 1991, Rs. C-49/88, Al-Jubail Fertilizer / Rat Slg. 1991, I-3187, Rn. 7 ff. (25); EuGH, Urt. v. 21. 11. 1991, Rs. C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991, I-5469 Rn. 13 ff. (28 f.). 33 Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (9 f.).
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
vergleichsweise großer Ermessensspielräume der Verwaltung im Unionsrecht. 34 Unter Ermessensentscheidungen im Unionsrecht fallen alle Verwaltungsentscheidungen mit Ermessens-, Beurteilungs- oder Planungsspielraum. 35 Im Vergleich zu den deutschen Verwaltungsgerichten gibt es weniger Konstellationen für den EuGH, Ermessensentscheidungen der Verwaltung zu überprüfen. Der EuGH überprüft aber bspw. im europäischen Beihilferecht die Kommissionsentscheidungen, welche über ein weites Ermessen verfügen. 36 In diesen Fällen beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die Fragen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der richtige Sachverhalt zugrunde gelegt wurde und dieser nicht fehlerhaft gewürdigt wurde und ob kein Ermessensmissbrauch vorliegt. 37 Die Anknüpfung der Gerichtskontrolle an das Verfahren und der besondere Stellenwert des Verfahrens im Unionsrecht ist insbesondere in Fällen, in denen es einer Beurteilung durch einen Sachverständigen bedarf, ersichtlich. Der EuGH überprüft dann lediglich das Verfahren etwa der Auswahl des Sachverständigen, entscheidet aber nicht in der Sache. 38 Das Verfahren hat nach Ansicht des EuGH einen höheren Stellenwert als in Deutschland; denn es ist aus Sicht des EuGH Garant eines sachgerechten Ergebnisses. 39 Das Verfahren ist nach diesem Verständnis ein Garant für die Sachrichtigkeit der Entscheidung. 40 Das Ergebnis des Verfahrens selbst wird dann nicht mehr gerichtlich überprüft, so dass dadurch auch nicht die Unerheblichkeit eines Verfahrensfehlers für das Verfahrensergebnis festgestellt werden kann. 41 Folglich werden nach der EuGH-Rechtsprechung Verfahrensfehler grundsätzlich als beachtlich angesehen. 42 34
Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (9 f.). Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10). 36 Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10). 37 EuG, Urt. v. 27. 1. 1998, Rs. T-67/94, Ladbroke Racing, Slg. 1998, II-1 Rn. 148; EuG, Urt. v. 6. 10. 1999, Rs. T-110/97, Kneisel Dachstein Sportartikel, Slg. 1999, II-2881 Rn. 46. 38 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 36 f.; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 37. 39 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 36 f.; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 169 f.; Everling, in: Diskussion in Kontrolldichte, S. 300; Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10). 40 EuGH, Urt. v. 21. 11. 1991, Rs. C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991, I-5469 Rn. 13 ff. (28 f.); vgl. Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10); Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 176 f.; anders in Deutschland vgl. Lerche, in: Kontrolldichte, S. 253; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 37; Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (863). 41 So aber noch die nationale Verfahrenskontrolle in Deutschland: vgl. Ekardt, NuR 2006, S. 221 (227); vgl. Franßen, DVBl. 1998, S. 413 (420 f.); Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 122. 42 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 37. 35
§ 1 Die Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben
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In Deutschland hingegen wird von einer grundsätzlichen Vollkontrolle der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung ausgegangen. Daraus ergibt sich die oben beschriebene Möglichkeit, dass Fehler im Verwaltungsverfahren durch das gerichtliche Verfahren ersetzt werden können. 43 In den Fällen, wie bspw. den Abwägungsentscheidungen, in denen auch in Deutschland die Verwaltungsentscheidung nicht mehr von dem kontrollierenden Gericht ersetzt werden darf, erreicht das Verfahren dennoch nicht denselben Stellenwert, wie bspw. im Europarecht. So müssen sich in Deutschland die Verfahrensfehler, wie etwa gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB, ergebniskausal ausgewirkt haben, damit sie in der Gerichtskontrolle berücksichtigt werden. 44 Die unterschiedliche Gewichtung der Partizipations- und Verfahrensvorschriften führt zu einer unterschiedlichen Beachtlichkeit bei der Gerichtskontrolle im Vergleich zwischen der Gerichtskontrolle des EuGH und den deutschen Gerichten. Nach unionsrechtlichem Verständnis wird von einer eigenständigen Richtigkeitsgewähr durch Verfahren ausgegangen; deshalb sollen Verfahrensfehler selbständig rügbar sein. 45 Die Einschränkung der Kontrolldichte bei Verfahrensvorschriften durch Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, die das Europarecht kennt, 46 ist daher viel geringer als im deutschen nationalen Recht. 47 So wie der EuGH für die EU der Verwaltung eine Art kontrollfreien Bereich einräumt, wird ein solcher Eigenbereich der Verwaltung auch in anderen Rechtssystemen, wie in Frankreich, in Großbritannien, in Italien, in Österreich, in der Schweiz und in Spanien, eingeräumt. 48 In Frankreich etwa dürfen sich die Gerichte ausdrücklich nicht an die Stelle der Verwaltung setzen. Eine gerichtliche Überprüfung scheidet insoweit aus. 49 Dies gilt, wie oben dargelegt, im Ergebnis auch für die Kontrolle der Abwägungsentscheidungen in Deutschland. 50 In Deutschland benötigt allerdings jede Einschränkung gerichtlicher Kontrolle als 43 M.w. N. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 122; in diesem Fall der Vollkontrolle hat das Verfahren nur dienenden Charakter und keinen Eigenwert. Vgl. Franßen, DVBl. 1998, S. 413 (420 f.). 44 Vgl. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 179. 45 Zur Verfahrensrüge bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung vgl. Fisahn, ZUR 2004, S. 136 (137). 46 Siehe ausführlich bei Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 38 ff. 47 Vgl. Ekardt, NuR 2006, S. 221 (228); Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 37; vgl. bereits zur Heilungsmöglichkeit von Verfahrensfehlern Franßen, in: FS Zeidler Bd. I, S. 437. 48 Sendler, NJW 1994, S. 1518 ff. mit Verweisen auf die Untersuchungen der jeweiligen Autoren in Frowein, Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung. 49 Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 142. 50 Siehe oben 1. Kapitel § 5, S. 119 ff.
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Ausnahme einer Legitimation, denn es gilt der Grundsatz einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle allen Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. 51 Grundannahme der Kontrollkonzeption bspw. in Frankreich ist die Annahme einer grundsätzlichen Beschränkung gerichtlicher Kontrolle bzw. Kontrolldichte. 52 Die Positionierung des EuGH im Organgefüge ist erkennbar von diesem französischen Verständnis der Kontrolle von Verwaltungshandeln geprägt. 53 Im Unterschied zum französischen Kontrollansatz geht der EuGH aber ebenfalls nicht von einem Grundsatz der beschränkten Kontrolle aus, sondern wie in Frankreich gesteht der EuGH gleichzeitig den Organen der Union weite kontrollbeschränkte Spielräume zu. 54 Demgegenüber praktiziert der EuGH eine strikte Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung des korrekten Verfahrens. 55 Die Betonung der Kontrolle des Verfahrens gegenüber der Kontrolle der Sachrichtigkeit einer Entscheidung ist ein Weg der Gerichtskontrolle, der ebenfalls von direkten Nachbarn wie der Schweiz beschritten wird. 56 Neben der Schweiz wird in vielen anderen europäischen Staaten der Schwerpunkt gerichtlicher Kontrolle von den Fragen der materiellen Richtigkeit auf das Verfahren der Entscheidungsfindung verschoben. 57 Das Unionsrecht, geprägt von den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, geht von einer Richtigkeitsgewähr durch Verfahren bei gleichzeitiger Reduzierung der materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe aus. 58 Dieser Kontrollsystematik liegt das aus der französischen Rechtsordnung entstammende Verständnis des EuGH im Zusammenspiel der Organe zugrunde. 59 Wie oben dargelegt, sind in der Plan-UP-Richtlinie vorwiegend verfahrensrechtliche Instrumente enthalten. Mit der Umsetzung der unionsrechtlichen vorgegebenen Verfahrensanforderungen in nationales Recht stellt sich die Frage, wie sich das Unionsrecht auf die deutsche Konzeption des Verfahrensrechts und insbesondere dessen Stellenwert bei der Gerichtskontrolle auswirkt. Für die Gerichtskontrolle der Abwägungsentscheidungen könnte die unionsrechtliche Verfahrensund Kontrollkonzeption einen Wechsel von der materiell-rechtlichen Kontrolle zu zumindest einer teilweisen Verfahrenskontrolle der Abwägungsentscheidung bewirken. 60 51
Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 175. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 176; vgl. Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10 f.). 53 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 36; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 176. 54 Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 176. 55 Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 177. 56 Oeter, in: Kontrolldichte, S. 148. 57 Lerche, in: Kontrolldichte, S. 264. 58 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (862). 59 Siehe oben Fn. 54. 60 Siehe dazu unten 3. Kapitel, S. 210 ff. 52
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
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§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004 A. Die Neuregelung der Planerhaltungsregelungen des BauGB gemäß den §§ 214, 215 BauGB im Hinblick auf die Abwägung Mit dem EAG Bau hat der Gesetzgeber die oben dargelegten europarechtlichen Vorgaben hinsichtlich einer verstärkten Öffentlichkeitsbeteiligung, des Monitorings und des Umweltberichts in das Planaufstellungsverfahren von Bebauungsplänen integrieren wollen. 61 Nach der Gesetzesbegründung sollten aber nicht nur die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorgaben umgesetzt werden, sondern auch das BauGB an das europäische Rechtsverständnis der europarechtlichen Verfahrensanforderungen angepasst werden; damit mussten auch die Planerhaltungsvorschriften angepasst werden. 62 Im Vorfeld zu den Vorarbeiten des EAG Bau hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Anschluss an ein Gutachten 63 über den Umsetzungsbedarf der Richtlinien eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, welche maßgeblich Vorarbeiten für das EAG Bau leistete. Die unabhängige Expertenkommission griff die in den Richtlinien enthaltenen verfahrensrechtlichen Instrumente auf und schlug vor, die umzusetzende Plan-UP-Richtlinie vollumfänglich in das bestehende Verfahren der Bauleitplanung zu integrieren. 64 Daneben sollte die Novellierung des BauGB zum Anlass genommen werden, ebenfalls andere einzelne Regelungen des BauGB – wie etwa die §§ 214 ff. – zu verbessern und zu vereinfachen. 65 Nach dem Vorschlag der unabhängigen Expertenkommission sollte durch die Stärkung der Verfahrensvorschriften die Bestandssicherheit von städtebaulichen Plänen und Satzungen erhöht werden. Insbesondere die Planerhaltungsregelungen sollten daher an die neue Betonung der Verfahrensvorschriften angepasst werden und waren somit zentraler Gegenstand vorzunehmender gesetzlicher Änderungen. 66 Die unabhängige Expertenkommission hat dabei einen Weg vorgeschlagen, wonach die bisherige Überprüfung 61 Siehe zu den umzusetzenden Richtlinien oben § 1 A., S. 174 ff.; Pietzcker, Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie, S. 4; Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/2250, S. 1. 62 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 63 Pietzcker, Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie, S. 1 ff. 64 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 269; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 110. 65 Steinwede, Planerhaltung im Städtebaurecht, S. 241. 66 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 122 ff.
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
des Abwägungsvorgangs, einer bisher materiell-rechtlichen Kategorie, durch die Überprüfung verfahrensbezogener Elemente ersetzt wird. Diesen vorgeschlagenen „Paradigmenwechsel“ 67 von bisher unter dem Begriff Abwägungsvorgang zusammengefassten materiell-rechtlichen Standards zu Verfahrensanforderungen ist der Gesetzgeber seiner Begründung nach gefolgt. 68 Novelliert wurden durch das EAG Bau unter anderem die §§ 2 III, 214 und 215 BauGB. 69 Konzeptionell knüpfen die neuen Planerhaltungsregelungen an die Vorgängerregelungen an. In § 214 I bis III BauGB ist die absolute Unbeachtlichkeit von Rechtsverstößen geregelt. In § 215 BauGB ist weiterhin deren relative Unbeachtlichkeit geregelt. 70 Systematisch entspricht § 214 BauGB seiner Vorgängerregelung, da in § 214 BauGB die beachtlichen Mängel abschließend benannt werden bei gleichzeitiger Beibehaltung von Ausnahmereglungen der Beachtlichkeit (sogenannte interne Unbeachtlichkeitsklauseln). 71 Die nicht ausdrücklich genannten Rechtsverstöße sind entsprechend der bisherigen Systematik der §§ 214 ff. unbeachtlich. 72 Im Gegensatz zu den Vorgängerregelungen hat der Gesetzgeber die Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln in den Planerhaltungsregelungen neu geregelt. Die Vorschrift, in der das Abwägungsgebot verankert ist, wurde durch das EAG Bau unverändert einen Absatz nach unten verschoben in § 1 VII BauGB übernommen. 73 Nach den neuen Planerhaltungsvorschriften soll anstelle der bisherigen Abwägungsvorgangsprüfung an eine Überprüfung der neuen Verfahrenselemente des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange angeknüpft werden. 74 Es stellt sich dann aber die Frage, was aus den materiellen Anforderungen des Abwägungsvorgangs (kein Abwägungsdefizit, keine Abwägungsfehlgewichtung und keine Abwägungsdisproportionalität) bei dem angestrebten Wechsel zu den Verfahrensanforderungen geworden ist. 75 Inwieweit die Kontrolle der planerischen Abwägung in den Planerhaltungsvorschriften neu ge67
Kraft, UPR 2004, S. 331 (331). Siehe hierzu unten ausführlich zum Bericht der unabhängigen Expertenkommission, B. I., S. 193 ff.; Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/ 2250, S. 63 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 138. 69 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63 ff. 70 Zu den Begrifflichkeiten vgl. oben 1. Kapitel § 6 D. IV., V., S. 158 ff. 71 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 113. 72 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63; Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (12). 73 Siehe die Darstellung der Änderungen in BT-Drucks. 15/2250, S. 11; W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 1 Rn. 186. 74 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 68
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
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regelt worden ist, soll anhand der Neuregelungen und deren Entwicklung im Folgenden untersucht werden. I. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB i.V. m. § 2 III BauGB In den §§ 214 I S. 1 Nr. 1 –3 BauGB sind die grundsätzlich beachtlichen Verfahrens- und Formfehler ausdrücklich und abschließend benannt. Gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB sind Verstöße gegen Verfahrens- und Formvorschriften beachtlich, wenn entgegen § 2 III BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und von Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens geworden ist. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB regelt somit die Fehlerfolgen von Verstößen gegen die sogenannte „Verfahrensgrundnorm“ 76 § 2 III BauGB. 77 Die unzutreffende Ermittlung oder Bewertung der von der Planung berührten Belange sind nach dieser Konzeption beachtliche Verfahrensfehler. 78 Gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB wird entsprechend § 2 III BauGB zwischen Mängeln bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials und Mängeln bei der Bewertung des Abwägungsmaterials unterschieden. 79 Ermittlungs- und Bewertungsfehler sind gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB nur beachtlich, wenn in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden ist und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. Für die Abwägung sollen geringfügige und unerhebliche Belange nicht beachtlich sein. Insofern knüpft die Neuregelung an die alte Rechtslage an. 80 Diese Einschränkung der Beachtlichkeit von Rechtsverstößen galt in den alten Planerhaltungsvorschriften nur für Mängel im Abwägungsvorgang. 81 Die alte an den Abwägungsvorgang anknüpfende Regelung in § 214 III S. 2 BauGB (a. F). ist nur von geringfügig anderem Wortlaut. 82 Anstelle der Anknüpfung an das nicht zutreffende Ermitteln und Bewerten nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB waren gemäß § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. 75 76
S. 42. 77 78
S. 63. 79 80 81 82
So ähnlich auch Happ, NVwZ 2007, S. 304 (304). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Stelkens, UPR 2005, S. 81 (82). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Stelkens, UPR 2005, S. 81 (81). Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 g. Vgl. oben 1. Kapitel § 6 D., S. 151 ff. Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 g.
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Ein weiterer Unterschied ist, dass in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB an den Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens und nicht mehr an das Abwägungsergebnis angeknüpft wird. Das Zusammenstellen des Abwägungsmaterials wurde nach bisheriger Dogmatik ebenfalls dem Abwägungsvorgang zugerechnet. 83 Die Neuregelung beinhaltet demgegenüber eine Fehlerfolgenregelung von Verstößen gegen Verfahrensvorschriften, die das Zusammenstellen des Abwägungsmaterials als Regelungsgehalt haben. Entsprechend der Gesetzesbegründung soll die Neuregelung des § 214 I Nr. 1 Hs. 1 BauGB den vom Gesetzgeber vollzogenen „Wechsel vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange in den Vorschriften über die Planerhaltung nachvollziehen“. 84 Die neuen Verfahrensvorschriften sollen somit nach dem Willen des Gesetzgebers die wesentlichen Arbeitsschritte umfassen, die für eine sachgerechte Zusammenstellung des Abwägungsmaterials erforderlich sind. 85 In § 2 III BauGB ist wenig konkret das Abwägungsmaterial legal definiert. Danach gehören alle Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, zum Abwägungsmaterial. Fraglich bleibt dabei, was unter Ermitteln und Bewerten zu verstehen ist und was „für die Abwägung von Bedeutung“ heißt. 86 Der bisherigen bauplanerischen Abwägungsdogmatik sind diese beiden Begriffe fremd. 87 Weitere Fragen stellen sich hinsichtlich der Bedeutung der internen Unbeachtlichkeitsklausel in § 214 I S. 1 Nr. 1 Hs. 2 BauGB, wonach nur ergebnisrelevante Mängel beachtlich sind. Kann hier auf die bisherige Rechtsprechung zu § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) zurückgegriffen werden? Die Differenzierung zwischen Fehlern in Abwägungsvorgang und Fehlern im Abwägungsergebnis trifft § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB jedenfalls nicht mehr. Die Neurregelung in den §§ 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. 2 III BauGB spricht insoweit nur von Verfahrensfehlern. Dem § 2 III BauGB kommt bei der Formalisierung des Abwägungsvorgangs eine zentrale systematische Stellung zu. Mit dem ausdrücklichen Verweis auf § 2 III BauGB in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB werden Verstöße gegen diese neue Verfahrensgrundnorm für die ge83 84
S. 63. 85
S. 42. 86
Vgl. oben 1. Kapitel § 5 D., S. 134 ff. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Siehe unten 3. Kapitel § 1, S. 210 ff. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 2; Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905); Stelkens, UPR 2005, S. 81 (83); a. A. Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168 f.), der eine Konkretisierung der Begriffe bereits den Vorschriften zur Umweltprüfung im BauGB entnehmen will. 87
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richtliche Kontrolle beachtlich, sofern sie offensichtlich und von Einfluss auf das Verfahrensergebnis sind. Seiner Konzeption nach bewirkt § 2 III BauGB auf den ersten Blick eine Formalisierung gewisser Bestandteile der planerischen Abwägung. 88 Die Anwendungsbereiche der neuen Planerhaltungsvorschriften erfassen dabei nicht strikt voneinander getrennt Verfahrensfehler und materiell-rechtliche Fehler sowohl nach § 2 III BauGB und Mängel i. S.v. § 1 VII BauGB. 89 Nach dem gesetzgeberischen Konzept handelt es sich bei § 2 III BauGB um die Verfahrensgrundnorm des Bauleitplanverfahrens. In § 2 III BauGB ist somit die zentrale Aufgabe des Planaufstellungsverfahrens formuliert. Eine Ausgestaltung des Verfahrens zur Bewältigung dieser Aufgabe enthält die Verfahrensgrundnorm jedoch nicht, welche daher durch § 2 IV BauGB und die §§ 3 ff. BauGB näher ausgestaltet wird. 90 Spiegelbildlich zum Verfahrensrecht sollen demgegenüber in § 1 BauGB und § 1a BauGB die materiell-rechtlichen Voraussetzungen gebündelt werden. 91 Das materiell-rechtliche Abwägungsgebot aus § 1 VII BauGB wurde nicht verändert, so dass man entsprechend der gesetzgeberischen Konzeption nicht von einer völligen Absorbierung des materiellen Rechts durch das Verfahrensrecht ausgehen kann. 92 Die Qualifizierung eines Mangels als Verstoß gegen Verfahrensrecht oder als Verstoß gegen das materielle Abwägungsgebot ist schließlich im Wesentlichen eine Frage der Auslegung des § 2 III BauGB und dessen Verhältnis zu § 1 VII BauGB. 93 Es ist somit durch Auslegung zu ermitteln, was im Einzelnen unter die Begriffe des Ermittelns und Bewertens gemäß § 2 III BauGB fällt. 94 Mit der Neuregelung muss zur Bestimmung der Beachtlichkeit von nun an zwischen Verfahrens- und materiellen Fehlern unterschieden werden. Der Qualifizierung eines Mangels als Mangel bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials kommt durch die Neuregelung eine Schlüsselrolle bei der Beurteilung der Beachtlichkeit von Mängeln bei der Abwägung zu. Mit der gesetzlichen Einordnung der Fehler als Verfahrensfehler können diese Fehler nach bisherigem deutschen Verständnis der Bedeutung von Verfahrensvorschriften besonders leicht als unbeachtliche Fehler eingestuft werden. 95 Indem § 2 IV BauGB die allgemein gehaltene Regelung des § 2 III BauGB im Hinblick auf die europarechtlich vorgegebenen Umweltbelange konkretisiert, 96 wird der von § 2 IV BauGB vorgesehene Prozess der Umweltprüfung über den 88 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63; Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490), a. A. Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 89 Kalb / Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 25 b. 90 Vgl. Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 e. 91 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 29 f., 36 f., 42; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 4. 92 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 93 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 e. 94 Siehe unten 3. Kapitel § 1 A., S. 210 f. 95 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (81).
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Verweis auf § 2 III BauGB in den Regelungsbereich des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB mit einbezogen. Damit erfasst § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB neben Verstößen gegen rein nationales Recht auch Verstöße gegen Rechtsvorschriften mit europarechtlichem Hintergrund. 97 Mit der Neuregelung hat der Gesetzgeber die Umweltprüfung vollständig in das Planaufstellungsverfahren integriert und hat auf diese Weise die Anforderungen der Plan-UP-Richtlinie in das nationale Recht umgesetzt. 98 Die Plan-UP-Richtlinie betrifft das Verfahren 99 und sieht insbesondere in Art. 5 I Plan-UP-Richtlinie das Ermitteln, Beschreiben und Bewerten der Belange für die Umweltprüfung vor. Weitergehende Anforderungen an den Prozess des Zusammenstellens des Abwägungsmaterials werden nicht gestellt. 100 Mit der Integration in das Planaufstellungsverfahren wird die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials für die Umweltprüfung ebenfalls den nationalen Planerhaltungsvorschriften unterworfen. 101 Auf Europarecht basierende Verstöße gegen das Verfahren des Ermittelns, Beschreibens und Bewertens der Belange können folglich nach nationalem Recht gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich werden. 102 II. § 214 III S. 2 BauGB (Abwägungsmängel) Die Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln ist in § 214 III S. 2 BauGB neu geregelt worden. Nach § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB können Mängel, die Gegenstand der Regelung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB sind, nicht als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden. Der Gesetzgeber zieht mit dieser Regelung die Konsequenz aus der Einordnung der offensichtlichen und ergebnisrelevanten Ermittlungs- und Bewertungsfehler nach § 2 III i.V. m. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB als Verfahrensfehler. 103 Diese Verfahrens- und Formfehler sollen nicht gleichzeitig als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden können. 104 In dem neu geregelten Verfahren zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials in § 2 III BauGB sollen die bisher von der Rechtsprechung des BVerwG verlangten 96 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/ 2250, S. 42. 97 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. 98 Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 42. 99 Grund (9) Plan-UP-Richtlinie. 100 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 152. 101 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129 f. 102 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129 f. 103 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/ 2250, S. 65. 104 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/ 2250, S. 65.
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Anforderungen an den Abwägungsvorgang gesetzlich geregelt sein. Dementsprechend werden die bisher von § 214 III S. 2 BauGB (a. F.). erfassten Mängel im Abwägungsvorgang von § 214 I S. 1 Nr. 1 i. V. m § 2 III BauGB erfasst. 105 Die Anforderungen der Rechtsprechung an das in § 1 VII BauGB verankerte Abwägungsgebot, eine Abwägung überhaupt durchzuführen, alle betroffenen Belange zu ermitteln und in die Abwägung einzustellen, die abwägungsrelevanten Belange zutreffend zu gewichten und schließlich der vertretbare Ausgleich der betroffenen Belange, sollen nach der Neuregelung in § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB dem ersten Anschein nach nur noch als Verfahrensfehler gemäß §§ 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. 2 III BauGB rügbar sein. 106 Die übrig verbleibenden Mängel im Abwägungsvorgang werden von der Beachtlichkeitsregelung in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB erfasst. Die in § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB geregelte Abgrenzung der Beachtlichkeitsregelungen zwischen der Beachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern und den Abwägungsvorgangsfehlern „im Übrigen“ ist allerdings nicht so eindeutig, wie es scheint. 107 Durch die Bezugnahme auf § 2 III BauGB in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB muss erst einmal bestimmt werden, was von Ermitteln und Bewerten i. S. v § 2 III BauGB überhaupt erfasst wird bzw. welche Anforderungen des Abwägungsvorgangs zu Verfahrensfehlern geworden sind. Bisher waren die Anwendungsbereiche der Planerhaltungsvorschriften entsprechend der Unterscheidung verfahrensrechtlicher Fehler und materiell-rechtlicher Fehler voneinander abgegrenzt. 108 Mit der Aufladung des Verfahrensrechts mit materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs stellt sich die Frage der Abgrenzung neu. Die Neuregelung wirft daher einige Abgrenzungsfragen auf. Die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Ermittelns und Bewertens aus § 2 III BauGB ist dabei von zentraler Bedeutung. Der Wortlaut der Abgrenzungsreglung in § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB wirft in diesem Zusammenhang selbst Fragen auf. Der Wortlaut des § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB spricht nur von Mängeln der Abwägung. Damit stellen sich die Fragen, ob auch Mängel im Abwägungsergebnis von den neuen Verfahrensvorschriften erfasst werden und diese somit ebenfalls nicht mehr als materielle Abwägungsfehler geltend gemacht werden können. 109 Konsequenz eines solchen Verständnisses wäre, dass Mängel im Abwägungsergebnis – wie Verfahrens- und Formfehler – gemäß § 215 I BauGB nach einem Jahr unbeachtlich werden. 110 105
S. 65. 106
107 108 109 110
Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Vgl. Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (14). Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 79. Siehe oben 1. Kapitel § 6 D. III. 2., S. 154 ff. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (82). Vgl. hierzu die Ausführungen zu § 215 I Nr. 1 BauGB unten bei III., S. 190.
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Die Regelung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB i.V. m. § 2 III BauGB unterscheidet zwischen Fehlern bei der Ermittlung und bei der Bewertung der von der Planung berührten Belange. Bisher kam bei der gerichtlichen Kontrolle des Abwägungsergebnisses der Beachtung bestimmter Verfahrens- und Formerfordernisse zur Ermittlung des Abwägungsmaterials keine eigenständige Bedeutung zu. 111 Dem Verfahren kam entsprechend dem bisherigen Verständnis nur eine dienende Funktion zu. 112 Im Mittelpunkt der deutschen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle stand die Kontrolle der Sachrichtigkeit und nicht nur die Frage, ob das Abwägungsmaterial ermittelt wurde, sondern ob das richtige Abwägungsmaterial ermittelt wurde. Versteht man § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB i.V. m. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auch für Fehler im Abwägungsergebnis als abschließend, wird damit in letzter Konsequenz fingiert, dass die Einhaltung des Verfahrens mit der Sachrichtigkeit der Ermittlung des Abwägungsmaterials gleichzusetzen ist. 113 Ein Mangel im Abwägungsergebnis, der sich auf einen Ermittlungsfehler zurückführen lässt, könnte folglich nicht mehr als Abwägungsfehler geltend gemacht werden. Andererseits kann § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auch so verstanden werden, dass von dieser Regelung nur die unmittelbaren Ermittlungsmängel erfasst werden, so dass zwischen unmittelbaren Ermittlungsfehlern bei dem Prozess des Zusammenstellens einerseits und darauf beruhenden Fehlern des Ergebnisses andererseits unterschieden werden kann, wobei diese Fehler nicht gleichgesetzt werden dürfen. 114 Für ein solches Verständnis spricht bereits die bisherige Dogmatik zu den Planerhaltungsvorschriften, wonach auch nach altem Recht Fehler, die auf Verfahrensfehlern beruhen, als materielle Abwägungsfehler geltend gemacht werden konnten. 115 Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass die Neuregelung an die Stelle der bisherigen Regelung zur Beachtlichkeit von Fehlern im Abwägungsvorgang treten soll. Die Mängel im Abwägungsergebnis werden dabei nicht erwähnt. 116 Fehler im Abwägungsergebnis bleiben somit einer Gerichtskontrolle zugänglich und beachtlich. 117 Viel mehr als vom Ermitteln könnten vom Bewerten Mängel des Abwägungsergebnisses erfasst werden. Der Wortlaut des § 214 I Nr. 1 BauGB i.V. m. § 2 III BauGB ließe es zu, das unter Bewerten zu verstehen, was nach bisheriger Abwägungsdogmatik als Abwägungsfehleinschätzung verstanden wurde. Auch eine 111 112 113 114 115 116
S. 65. 117
Stelkens, UPR 2005, S. 81 (82). Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. I., S. 54 f. Vgl. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (82). Stelkens, UPR 2005, S. 81 (83). Vgl. oben 1. Kapitel § 6 D. IV., S. 158 f. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 135 b; Lemmel, in: Schlichter, BK zum BauGB, 3. Aufl., § 214 Rn. 11; Stelkens, UPR 2005, S. 81 (83).
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
189
Abwägungsdisproportionalität, welche einen Mangel im Abwägungsergebnis begründen kann, könnte von Bewerten gemäß den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB erfasst werden. Das Verfahren des Bewertens müsste damit im Sinne des bisherigen Gewichtens im Rahmen der Abwägung verstanden werden. 118 Diese Unklarheiten verdeutlichen, dass der Bestimmung des Begriffspaars Bewerten und Ermitteln eine Schlüsselrolle bei der Frage nach der Gerichtskontrolle zukommt. Denn nur wenn feststeht, welche Fehler dieses neue Verfahren erfasst, können die Anwendungsbereiche der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB und § 214 III S. 2 BauGB tauglich voneinander abgegrenzt werden. Obwohl laut der Gesetzesbegründung die neuen Verfahrensvorschriften die Arbeitsschritte des bisherigen Abwägungsvorgangs erfassen sollen, 119 regelt § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB die Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang. Gemäß § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB ist geregelt: „[...]‘ im Übrigen sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind“. Bis auf die vorangestellten Wörter „im Übrigen“ stimmt der 2. Hs. mit der Regelung der Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang in § 214 III S. 2 BauGB überein. Nach der Gesetzesbegründung soll der Regelungsgehalt des § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) damit in den neu geregelten § 214 III S. 2 BauGB ergänzend mit aufgenommen werden. 120 Daher kann hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale offensichtlich und von Einfluss auf das Ergebnis auf die bisherige Rechtsprechung zu § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) verwiesen werden. 121 Der Gesetzesbegründung zufolge soll mit dem 2. Hs. sichergestellt werden, dass die bisher durch § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) erreichte Bestandskraft von Bauleitplänen auch für den Fall erhalten bleibt, dass bei einer zu engen Auslegung der Begriffe Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB i.V. m. § 2 III BauGB nicht alle Anforderungen an das Abwägungsgebot durch die Verfahrensvorschriften erfasst werden. 122 Der Regelung in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB soll somit nur noch hinsichtlich der Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang eine ergänzende Auffangfunktion zukommen. 123
118 119
S. 42.
Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
120 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 95 f. 121 Vgl. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 37 u. 38; vgl. oben 1. Kapitel § 6 D. III. 2., S. 154 ff. 122 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 95, sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BT-Drucks. 15/2996, S. 71; Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 214 Rn. 73.
190
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
III. § 215 BauGB (Relative Unbeachtlichkeit) Liegt ein nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB bzw. nach § 214 III S. 2 BauGB beachtlicher Fehler vor, ist anhand § 215 BauGB zu prüfen, ob dieser Fehler zwischenzeitlich unbeachtlich geworden ist. 124 Gemäß § 215 BauGB bestehen Fristen, innerhalb derer die nach den §§ 214 I S. 1 Nr. 1 – 3, 214 II, 214 III S. 2 BauGB beachtlichen Fehler gerügt werden müssen, damit diese nicht unbeachtlich werden. 125 Der neu gefasste § 215 I BauGB greift die Umwandlung der Anforderungen an den Abwägungsvorgang zu Verfahrensvorschriften mit der Folge auf, dass es zu einer Vereinheitlichung der Rügefristen für die Geltendmachung von Rechtsverstößen kommt. Die bisherige Unterscheidung hinsichtlich der Fristen zur Geltendmachung von Verstößen gegen die in § 214 I S. 1 Nr. 1 und 2 BauGB (a. F.) bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften und zur Geltendmachung von Abwägungsmängeln wird mit der Neuregelung aufgegeben. Die bisherigen Mängel im Abwägungsvorgang sind, soweit sie von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst werden, als neue Verfahrensvorschriften in der gleichen Frist geltend zu machen wie die Verstöße gegen die anderen Verfahrensvorschriften. 126 Die Gleichbehandlung trägt der Umadressierung als Verfahrensvorschriften Rechnung und ist insoweit konsequent. 127 Gemäß § 215 I BauGB werden die in § 214 I Nr. 1 – 3 BauGB bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften und die in § 214 III S. 2 BauGB bezeichneten beachtlichen Mängel im Abwägungsvorgang unbeachtlich, wenn die Mängel nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Flächennutzungsplans oder der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Benennung der Verstöße geltend gemacht werden. 128 Zunächst wurden durch die Fristenregelung im EAG Bau mit der Zweijahresfrist die Fristen für die ursprünglichen Verfahrensfehler verdoppelt, während sich die Frist für die bisherigen Mängel im Abwägungsvorgang von sieben auf zwei Jahre verkürzt. 129 Die Zweijahresfrist wurde durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben 2007 130 einheitlich auf eine Einjahresfrist verkürzt. Ziel der Neuerungen 123 Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 96, sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BT-Drucks. 15/2996, S. 71; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 135 a; Lemmel, in: Schlichter, BK zum BauGB, 3. Aufl., § 214 Rn. 61. 124 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (510). 125 Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 2 f.; vgl. zur sog. relativen Unbeachtlichkeit oben 1. Kapitel § 6 D. IV, S. 158 ff. 126 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 17a.; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 123 f.; Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 1 f. 127 Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1543). 128 Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 215 Rn. 1. 129 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 17 a.
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
191
war bereits beim EAG Bau die Vereinheitlichung mit der Antragsfrist des § 47 II S. 1 VwGO. 131 Die früher in § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) geregelte relative Unbeachtlichkeit von materiellen Abwägungsmängeln hat der Gesetzgeber nicht mehr in § 215 BauGB geregelt. Während gemäß § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) Mängel der Abwägung innerhalb von sieben Jahren seit Bekanntmachung des Flächennutzungsplans oder der Satzung unbeachtlich werden konnten, stellt die Neuregelung in § 215 I Nr. 3 BauGB auf die nach § 214 III S. 2 BauGB beachtlichen Mängel der Abwägung ab. Mit der Bezugnahme auf § 214 III S. 2 BauGB können gemäß § 215 I Nr. 3 BauGB nur noch Mängel im Abwägungsvorgang unbeachtlich werden, wobei die ursprüngliche Siebenjahresfrist für Mängel im Abwägungsvorgang durch die Einjahresfrist ersetzt wird. Der in § 215 I Nr. 3 BauGB geregelte Anwendungsbereich entspricht insoweit dem durch das BVerwG teleologisch reduzierten Anwendungsbereich der Vorgängerregelung. 132 Mängel im Abwägungsergebnis können nicht mehr verfristen. Der Gesetzgeber sieht Mängel im Abwägungsergebnis als erhebliche Rechtsverstöße an, welche mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar seien und aus verfassungsrechtlichen Gründen die Ungültigkeit des Plans nach sich ziehen. 133 Die Verfristung sei unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt, wenn das Ergebnis der Planung aufgrund der schwerwiegenden Mängel der Abwägung „schlechterdings nicht haltbar“ 134 ist. 135 Die für die gerichtliche Überprüfung der planerischen Abwägung relevanten Änderungen des § 215 BauGB sind die Vereinheitlichung der Fristen zur Geltendmachung von Rechtsverletzungen und die differenzierte Behandlung der Abwägungsfehler. Fehler bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials, also bisherige Mängel im Abwägungsvorgang, können nur noch innerhalb eines Jahres gerügt werden. Mängel im Abwägungsergebnis sind zeitlich unbeschränkt rügbar. Für den Rechtsschutzsuchenden bedeutet die Änderung, dass die Abwägungsmängel ein Jahr nach Bekanntmachung der Satzung unerheblich werden, soweit keine Rüge erfolgt ist. Das gilt auch für die Fehler des 130 Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. 12. 2006 (BGBl. I, S. 3316). 131 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BT-Drucks. 15/2996, S. 71. 132 Siehe oben 1. Kapitel § 6 D. V., S. 158 ff. 133 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65. 134 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BT-Drucks. 15/2996, S. 71. 135 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65; Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 96; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 17 b.
192
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Ermittelns und Bewertens, welche offensichtlich und erheblich waren und so das Abwägungsergebnis beeinflusst haben. 136
B. Der ursprüngliche Regelungsentwurf Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs sollen mit der verfahrensrechtlichen Neuregelung die bisherigen vom BVerwG entwickelten Anforderungen an den Abwägungsvorgang kodifiziert und ersetzt werden: „Diese vorgeschlagenen Regelungen [gemeint sind: die §§ 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. 2 III BauGB] sollen an Stelle der nach bisherigem Recht vor allem aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangten Anforderungen im Hinblick auf den Abwägungsvorgang sowie der diesbezüglichen Unbeachtlichkeitsklausel des Absatzes 3 Satz 2 [gemeint ist: § 214 III S. 2 BauGB (a. F.)] treten.“ 137 Entgegen der ausdrücklichen Bekundung des Gesetzgebers kommt dieser postulierte Wille in der Neuregelung, wie bereits oben dargelegt, nicht eindeutig zum Ausdruck. In den Gesetzesmaterialien hingegen kommt der gesetzgeberische Wille zum Systemwechsel des Abwägungsvorgangs von einer materiell-rechtlichen Kategorie hin zum Verfahrensrecht und der entsprechenden gerichtlichen Kontrolle deutlich zum Ausdruck. 138 Unter der Überschrift „Gewähr materieller Rechtmäßigkeit des Bauleitplans durch ein ordnungsgemäßes Verfahren“ führt der Gesetzgeber bereits in der allgemeinen Begründung aus: „Die Regelungen des bisherigen § 214 Abs. 3 Baugesetzbuch sollen im neuen Abs. 1 an die Betonung des Verfahrens in den neuen Regelungen zur Bauleitplanung angeglichen werden, indem anstelle der bisherigen Überprüfung des Abwägungsvorgangs an die Überprüfung der verfahrensbezogenen Elemente des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange angeknüpft wird.“ 139 In der Detailbegründung zu § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB kommt der gesetzgeberische Wille zu einem Systemwechsel noch deutlicher zum Ausdruck: „Sie soll [gemeint ist die Vorschrift § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB] den durch die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorgaben hervorgerufenen Wechsel vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange in den Vorschriften über die Planerhaltung nachvollziehen. 140 Im Folgenden soll daher auf die Gesetzesgenese eingegangen werden.
136 137
S. 65. 138
Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (16). Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 31 f. 139
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
193
I. Bericht der unabhängigen Expertenkommission 141 Die Grundkonzeption für den Systemwechsel wurde in dem Bericht der unabhängigen Expertenkommission aufgestellt. Der Bericht stellt den Anpassungsbedarf der Beachtlichkeitsregelungen von Verfahrensfehlern bei der Planaufstellung bzw. deren Stellenwert an die europarechtlichen Vorgaben fest. Zentrales Element der Kommissionsvorschläge ist die stärkere Betonung der verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Planung. 142 Neben der Anpassung an europarechtliche Vorgaben sollte die Novellierung des Baugesetzbuches gleichzeitig zum Anlass genommen werden, einzelne Regelungen des BauGB zu vereinfachen. Im Zuge der Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie behandelte der Kommissionsbericht die europarechtlich vorgegebene Stärkung des Verfahrensrechts, welche mit den Regelungen zur Fehlerbeachtlichkeit städtebaulicher Planungen und Satzungen verbunden werden sollte. 143 Mit den Novellierungsvorschlägen der Kommission sollte das Recht der Planerhaltung vereinfacht werden. Dabei sollte der gegenwärtige Rechtszustand auf einer die tragenden Prinzipien benennenden Grundlage konsolidiert werden. 144 Der erreichte Stand an Bestandssicherheit sollte dabei gewahrt bleiben. 145 Neben der Festschreibung des Grundsatzes der Planerhaltung 146 waren die Vorschläge der Kommission ebenfalls von der Stärkung der verfahrensrechtlichen Anforderungen an das Planungsverfahren getragen. 147 Die Verletzung dieser verfahrensrechtlichen Anforderungen dürften nicht unbeachtlich bleiben. Die Kommission schlug daher vor, § 214 BauGB derart neu zu regeln, dass darin die wesentlichen Verfahrensvorschriften benannt werden, welche bei der Planaufstellung gewahrt werden müssen. 148 Zentrales Mittel zur Stärkung der Verfahrensanforderungen ist der Vorschlag der Kommission, an die fehlerfreie Einhaltung der Verfahrensvorschriften für die Aufstellung des Bauleitplans zugleich eine widerlegbare gesetzliche Vermutung zu knüpfen, „[...] dass die mit dem Verfahren angestrebten materiellen Ziele und damit die materiell-rechtlichen Anforderungen gewahrt sind, insbesondere 140
S. 63. 141
Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12). Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 135; Krautzberger / Schliepkorte, UPR 2003, S. 92 (95). 143 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 122. 144 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 125. 145 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 134; Dolde, NVwZ 2003, S. 297 (300). 146 Zum Grundsatz der Planerhaltung vgl. m.w. N. Sendler, DVBl. 2005, S. 659 (660 ff.). 147 Dolde, NVwZ 2003, S. 297 (301); Stüer / Upmeier, ZfBR 2003, S. 114 (117). 148 Dolde, NVwZ 2003, S. 297 (301); Stüer / Upmeier, ZfBR 2003, S. 114 (117). 142
194
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
dass die Planung auf einer vollständigen und zutreffenden Ermittlung und Bewertung der Tatsachen beruht“. 149 Mit Einhaltung des Verfahrens wird folglich vermutet, dass die mit dem Verfahren angestrebten materiellen Ziele und Anforderungen gewahrt sind. 150 Es wird mit der fehlerfreien Durchführung des Verfahrens für den konkreten Fall vermutet, dass auch die Abwägungsentscheidung auf Grundlage einer vollständigen Ermittlung und bei zutreffender Bewertung der maßgeblichen Belange ergangen ist. 151 Die Kommission übernimmt damit aus dem Europarecht eine an das Verfahren geknüpfte Rechtmäßigkeitsvermutung. Die Expertenkommission weist in ihrem Bericht darauf hin, dass bereits im nationalen Recht bei der Einhaltung gewisser Verfahrenvorschriften ebenfalls von einer indiziellen Wirkung hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsgewähr der Sachentscheidung ausgegangen wird. 152 Nach der Auffassung der Kommission indiziert folglich die Fehlerhaftigkeit oder Ordnungsgemäßheit des Verfahrens die Fehlerhaftigkeit oder Ordnungsgemäßheit der Abwägung. 153 Bemerkenswert ist dabei die von der Kommission vorgenommene Zuordnung bestimmter bisheriger Anforderungen des Abwägungsgebots an das neue Planaufstellungsverfahren. Dieser Zuordnung geht eine von der Kommission vorgenommene Zuordnung bestimmter Anforderungen des Abwägungsgebots einmal an den Abwägungsvorgang und einmal an das Abwägungsergebnis vorweg. 154 Nach Ansicht der Kommission erfüllt das neue Verfahren der Ermittlung, der Zusammenstellung und der Bewertung der Belange die bisherigen materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang. 155 Der Abwägungsvorgang und das auf die Ermittlung, Zusammenstellung und Bewertung der Belange bezogene Verfahren seien „zwei Seiten ein und derselben Medaille“. 156 Prüfungsmaßstab für Planungsentscheidungen soll nach Ansicht der Kommission das neue Verfahrensrecht mit der Rechtmäßigkeitsvermutung sein. Der Abwägungsvorgang soll demnach für die gerichtliche Überprüfung keine Rolle mehr spielen. 157 Die den Abwägungsphasen der Ermittlung, Zusammenstellung und Bewertung entsprechenden Fehler ordnet die Kommission dementsprechend eindeutig 149
Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 136; Dolde, NVwZ 2003, S. 297 (301). 150 Kraft, UPR 2004, S. 331 (331). 151 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 136; Krautzberger / Schliepkorte, UPR 2003, S. 92 (95). 152 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 136. 153 Dolde, NVwZ 2003, S. 297 (301 f.). 154 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 138; zur Diskussion dieser Zuordnung in der Abwägungsdogmatik vgl. oben 1. Kapitel § 5 D., S. 134 ff. 155 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 138. 156 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 138. 157 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (575).
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
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dem Verfahren des Ermittelns, des Zusammenstellens und des Bewertens zu. Die Phase des Ausgleichs der Belange und die dazugehörigen Fehler werden von der Kommission hingegen nur dem Abwägungsergebnis zugeordnet, welche stets beachtlich sein sollen. 158 Bereits vor dem Vorschlag der Kommission war in § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) eine Zuordnung gewisser Fehler nur in den Abwägungsvorgang angelegt. 159 Die von der Expertenkommission vorgenommene klare Aufteilung der Fehler in Fehler des Abwägungsvorgangs bzw. des Verfahrens des Ermittelns, Zusammenstellens und Bewertens und in Fehler des Abwägungsergebnisses geht deutlich über die bisherige Zuordnung hinaus und lässt die kumulative Überprüfung des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses anhand der identischen Anforderungen des Abwägungsgebots mit der Neuregelung als überflüssig erscheinen; 160 denn mit Zuordnung bspw. von Fehlern bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials wird demnach nur noch das Verfahren des Ermittelns, Zusammenstellens und Bewertens auf das bisherige Abwägungsdefizit untersucht. Das Abwägungsergebnis wird nicht mehr auf diese Fehler hin untersucht werden. Die vorgeschlagene Neuregelung stellt somit klar, auf welche Fehler der Abwägungsvorgang und auf welche Fehler das Abwägungsergebnis gerichtlich überprüft werden sollen. 161 Eindeutig trennt der Kommissionsvorschlag dementsprechend zwischen Bewerten des Belangs, verstanden als Bestimmung seines objektiven Gewichts ohne Inbezugsetzung mit anderen Belangen und der relativen Gewichtung im Verhältnis zu anderen Belangen. 162 Insoweit knüpft die Expertenkommission an die Abwägungsdogmatik des BVerwG an. 163 Fehler bei der isolierten Gewichtung werden nach der Konzeption der Kommission dem Verfahren, Fehler bei der relativen Gewichtung im Verhältnis zu anderen Belangen dem Abwägungsergebnis zugeordnet. 164 Die Regelung über die relative Unbeachtlichkeit von Fehlern in § 215 BauGB (a. F.) soll an den von der Kommission umgestalteten § 214 BauGB angepasst werden. Eine besondere Fristenregelung für Abwägungsmängel ist nach Ansicht der Expertenkommission entbehrlich. 165 Mängel im Abwägungsvorgang werden nach dem Konzept der Expertenkommission von § 214 BauGB als Verfahrensfehler erfasst. Folglich sollten diese Fehler hinsichtlich der Frist zur Geltendma158
Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 139. Vgl. oben 1. Kapitel § 5 D., S. 134 ff. 160 Vgl. Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (574). 161 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (574). 162 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (575). 163 Vgl. zur theoretischen Trennung von der Bestimmung des objektiven Gewichts eines Belangs und der relativen Gewichtung im Verhältnis zu anderen Belangen oben 1. Kapitel § 5 B. III., S 125 ff. Zu den anderen in der Literatur vertretenen Ansichten vgl. oben 1. Kapitel § 5 C., S. 130 ff. 164 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 139. 165 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 143. 159
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
chung nicht anders behandelt werden als die Verfahrensfehler. 166 Da die Mängel im Abwägungsergebnis nach Ansicht der Kommission stets beachtlich sind, können diese selbst nicht nach einer längeren Frist wie in § 215 I Nr. 2 BauGB (a. F.) unbeachtlich werden. 167 Die Expertenkommission schlägt daher eine einheitliche Frist für die Geltendmachung der in dem von der Kommission geänderten § 214 BauGB bezeichneten Fehler von einem oder zwei Jahren vor. 168 Dadurch, dass die Expertenkommission die Beachtlichkeit von Verstößen gegen das Abwägungsgebot in ihrem Bericht neu geregelt wissen will, werden neue Elemente in die bisherige Abwägungsdogmatik eingeführt. Die Vorschläge beschränken sich auf Änderungen der Regelungen zur Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln. Die Vorschrift, die das materiell-rechtliche Abwägungsgebot enthält, ist nicht Gegenstand der Neuregelungsvorschläge der Kommission. 169 Das Planungsverfahren tritt nach den Empfehlungen der Expertenkommission bei der gerichtlichen Überprüfung von Planungsentscheidungen eindeutig in den Vordergrund. In sich ist das vorgeschlagene System stimmig. 170 Die bisherige materiell-rechtliche Kontrolle des Abwägungsvorgangs soll durch eine Verfahrenskontrolle mit materiell-rechtlicher Indizwirkung kompensiert werden. Der Wechsel von der materiell-rechtlichen Kontrolle zur Verfahrenskontrolle wird konsequent verfolgt, so dass mit der Streichung des § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) nur noch von Verfahrensfehlern beim Ermitteln, Zusammenstellen und Bewerten ausgegangen wird. Angesichts der bisherigen Abwägungsdogmatik ist die ausdrückliche Zuordnung von Verstößen gegen das Abwägungsgebot zu Vorgang oder Ergebnis bemerkenswert, auch wenn eine solche Zuordnung bereits bei der Frage nach der Doppelkontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis in der Literatur diskutiert wurde. 171 Die kumulative Überprüfung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis diente nach der Abwägungsdogmatik des BVerwG einer einheitlichen und hinreichenden Kontrolle der Abwägung unter Wahrung der funktionalen Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. 172 Nach den Vorstellungen der Kommission soll der Abwägungsvorgang nicht mehr Instrument dieser funktionalen Aufgabenverteilung sein, sondern das Planungsverfahren mit Vermutungswirkung. Insoweit wird im Kommissionsvorschlag die Gerichtskontrolle der Abwägung nachhaltig verändert. Zu beachten bleibt, dass das materielle Abwägungsgebot in dem 166
Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 143. Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 143. 168 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 144; Stüer / Upmeier, ZfBR 2003, S. 114 (117). 169 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (575). 170 Vgl. Krautzberger / Schliepkorte, UPR 2003, S. 92 (95). 171 Vgl. oben 1. Kapitel § 5 D., S. 134 ff. 172 Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 157. 167
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
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Bericht nicht neu geregelt wurde. Der Abwägungsvorgang als eigene Kategorie besteht demnach fort; Verstöße dagegen bleiben jedoch unbeachtlich. 173 II. Der Referentenentwurf 174 Auf der Grundlage des Berichts der Expertenkommission wurde ein Referentenentwurf erarbeitet, welcher im Anschluss Gegenstand der Anhörung von Ländern, Verbänden und kommunalen Spitzenverbänden war. 175 Die darin enthaltenen Vorschläge zu den Planerhaltungsvorschriften zeigen bereits anhand der beibehaltenen Regelungssystematik, dass die Vorschläge der Kommission nur zum Teil in dem Entwurf umgesetzt wurden. Während die Kommission § 214 BauGB (a. F.) derart neu fassen wollte, dass darin die beachtlichen Verfahrensvorschriften benannt werden, ist es in dem Referentenentwurf bei der hergebrachten ausdifferenzierten Struktur der Planerhaltungsvorschriften geblieben. 176 Der Referentenentwurf sieht vor, den Abwägungsvorgang in das planungsrechtliche Verfahren gemäß § 2 III BauGB-E zu übernehmen. Im Zusammenspiel der §§ 2 III und 214 I Nr. 1 BauGB-E werden die bisher im Abwägungsvorgang zusammengefassten materiell-rechtlichen Anforderungen als verfahrensrechtliche Anforderungen an das Planungsverfahren verstanden, da im Referentenentwurf ebenfalls davon ausgegangen wird, dass das in § 2 III BauGB-E genannte Verfahren des Ermittelns und Bewertens die bisherigen materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang umfasst. 177 Der bisherige § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) wird im Regelungsentwurf gestrichen. Insoweit wird im Referentenentwurf der im Bericht der Expertenkommission angelegte Systemwechsel zum Verfahrensrecht beschritten. 178 Die von der Kommission vorgeschlagene Rechtmäßigkeitsvermutung, dass die Planung mit Einhaltung der Verfahrensanforderungen auf einer vollständigen Ermittlung und Bewertung der Tatsachen beruht, findet sich nicht in den neu gefassten Planerhaltungsvorschriften, sondern nur in der Begründung wieder. 179 Danach könne die Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans von nun an anhand des ordnungsgemäß eingehaltenen Verfah-
173
Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (575). Referentenentwurf des EAG Bau, federführend das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz EAG – Bau) – Stand: 3. 6. 2003. 175 Schliepkorte, ZfBR 2004, S. 124 (124). 176 Krautzberger / Stüer, BauR 2003, S. 1301 (1307); Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 177 Krautzberger / Stüer, BauR 2003, S. 1301 (1307); Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 178 Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 179 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (305); Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 174
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
rens anstelle des Abwägungsvorgangs überprüft werden. Die Maßstäbe seien identisch, so dass es des § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) nicht mehr bedürfe. 180 Hinsichtlich der relativen Unbeachtlichkeit folgt der Referentenentwurf dem Vorschlag der Kommission einer einheitlichen Frist zur Geltendmachung. Gemäß § 215 BauGB-E müssen sämtliche Verfahrensrügen innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden. 181 Der Vorsitzende der Expertenkommission Gaentzsch sieht den Referentenentwurf im Hinblick auf den Wortlaut in § 214 I Nr. 1 BauG-E als zu eng an. 182 Zwar sei aus dem Referentenentwurf erkennbar, dass durch das Zusammenspiel der §§ 2 III und 214 I Nr. 1 BauGB-E auch Mängel im Abwägungsvorgang erfasst werden sollen. Der Wortlaut in § 214 I Nr. 1 BauGB-E knüpfe aber nur an die Verletzung von Verfahrensvorschriften an. Da der Abwägungsvorgang aber eine materiell-rechtliche Kategorie bleibe, selbst wenn Abwägungsvorgangsmängel nach den neuen Planerhaltungsvorschriften als Verfahrensfehler behandelt werden, könnte der Entwurf insoweit missverstanden werden, als dass die materiellrechtliche Seite des Abwägungsvorgangs nicht von § 214 I Nr. 1 BauGB-E erfasst werde. 183 III. Der Regierungsentwurf 184 Die Ergebnisse der Anhörungen zum Referentenentwurf sind in den darauf folgenden Regierungsentwurf mit eingeflossen. 185 Hinsichtlich der Fehlerfolgenregelungen wurde im Entwurf der Bundesregierung im Vergleich zum Referentenentwurf klargestellt, dass § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB-E auch die Mängel des Abwägungsvorgangs erfasst, indem § 214 III S. 2 BauGB-E eine neue klarstellende Regelung enthielt: 186 „Mängel, die Gegenstand der Regelung in [§ 214] Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 sind, können nicht als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden.“ 187 Dadurch sollte sichergestellt werden, dass die bisherigen 180 Referentenentwurf des EAG Bau, federführend das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz EAG – Bau) – Begründung Besonderer Teil, Stand: 3. 6. 2003, S. 14 f., 70 f. 181 Krautzberger / Stüer, BauR 2003, S. 1301 (1307). 182 Vgl. Hohwiller, UPR 2004, S. 21 (23). 183 Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137. 184 Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum EAG Bau v. 17. 12. 2003, BT-Drucks. 15/2250. 185 Krautzberger / Schliepkorte, UPR 2003, S. 92 (124). 186 Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 187 Vgl. die Regelung in BT-Drucks. 15/2250, S. 21 f.
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
199
Anforderungen an den Abwägungsvorgang nun in dem vorgeschlagenen § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB geregelt seien. 188 In der Begründung zu diesem neuen S. 2 des § 214 III BauGB-E wird angeführt, dass mit der Neuregelung ein durch die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorgaben hervorgerufener Wechsel vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange vollzogen wird. 189 Insoweit beschreitet der Regierungsentwurf diesen Weg des Systemwechsels konsequenter als der Referentenentwurf, 190 denn neben den neuen verfahrensrechtlichen Anforderungen soll der Abwägungsvorgang als eigenständige Kategorie nicht mehr fortbestehen. 191 Folglich soll eine eigenständige gerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs entfallen. 192 Mit der Neuregelung des § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) besteht in der Fassung des Regierungsentwurfs konsequenterweise auch keine Regelung mehr über die Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang. 193 Es bleibt dem Regierungsentwurf zufolge neben der gerichtlichen Überprüfung des Verfahrens im Unterschied zur bisherigen Abwägungsdogmatik nur noch die Überprüfung des Abwägungsergebnisses bestehen. 194 Mit der Schaffung des neuen in § 2 III BauGB-E vorgesehenen Verfahrens werden Abwägungsfehler einmal dem neuen Verfahren und einmal dem Abwägungsergebnis zugeordnet. Die neue „Verfahrensgrundnorm“ 195 versteht Fehler bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials als Verfahrensfehler. Das Abwägungsergebnis soll entsprechend dieser systematischen Einteilung nur noch auf Fehler der Abwägungsdisproportionalität hin überprüft werden. Mit dieser in dem Entwurf vorgenommenen klaren Zuordnung soll die Abwägungsdogmatik vereinfacht werden. Die in der Abwägungsdogmatik umstrittene Frage nach der Doppelprüfung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis sollte damit geklärt sein. 196 188
S. 64. 189
S. 63. 190
Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 S. 63; vgl. zudem Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (576); Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1544); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (804). 192 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (577). 193 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 138. 194 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (577). 195 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 42. 191
200
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Der Gesetzestext des EAG Bau in der Fassung des Regierungsentwurfs enthält, entgegen des Vorschlags der Expertenkommission, keine ausdrückliche an die Einhaltung des Verfahrens geknüpfte Vermutungsregelung über die Richtigkeit des Ermittelns und Bewertens der abwägungsbeachtlichen Belange im Planaufstellungsverfahren. 197 Dennoch tauchen in der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Vermutungsregelung auf. Die Gewähr materieller Rechtmäßigkeit durch die Einhaltung eines ordnungsgemäßen Verfahrens wird in der allgemeinen Gesetzesbegründung unter gleichlautender Überschrift ausdrücklich als Regelungsinstrument angesprochen, welches insbesondere mit den Fehlerfolgenregelungen verknüpft werden soll. 198 Dementsprechend sollen der bisherige § 214 III BauGB (a. F.) und § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB (a. F.) an die Stärkung des Verfahrensrechts angeglichen werden, indem anstelle der bisherigen Abwägungsvorgangsprüfung an die Überprüfung des Verfahrens des Ermittelns und Bewertens angeknüpft wird. 199 Die Indizwirkung eines ordnungsgemäß durchgeführten Verfahrens für die materielle Sachrichtigkeit wird unter Bezugnahme des Berichts der unabhängigen Expertenkommission ausdrücklich als Sinn und Zweck des gestärkten Verfahrens beschrieben, welcher stärker berücksichtigt werden müsse. 200 Eine solche ausdrückliche Benennung der Indizwirkung des Verfahrens für die materielle Sachrichtigkeit einer Entscheidung lässt sich in der Detailbegründung zu den §§ 2 III und 214 BauGB nicht finden. 201 Entsprechend der Gesetzesbegründung sind die §§ 2 III und 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB Ausdruck des Wechsels vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang hin zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens. Verstöße gegen diese neuen Verfahrensvorschriften sollen dann vorliegen, wenn die von der Planung berührten Belange überhaupt nicht ermittelt und bewertet worden sind, die nach Lage der Dinge hätten ermittelt und bewertet werden müssen, oder wenn die Bedeutung der ermittelten Belange verkannt worden ist. 202 Neben der Bestimmung der Verfahrensfehler werden in der Gesetzesbegründung keine Ausführungen zu der Wirkung der neuen Betonung des Verfahrens auf die materielle Richtigkeit der Planungsentscheidung gemacht. Zur Bestimmung, wann ein Verfahrensfehler i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. 196 197 198
S. 31. 199
S. 31. 200
S. 32. 201
Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (577). Kraft, UPR 2004, S. 331 (333); a. A. Schliepkorte, ZfBR 2004, S. 124 (126). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 42 u. S. 63. Siehe außerdem Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). 202 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63.
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
201
2 III BauGB vorliegen soll, wird in abgewandelter Weise auf die hergebrachte Formel des BVerwG zum Abwägungsgebot zurückgegriffen: 203 „Das Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.“ 204
Nach der Gesetzesbegründung zu § 214 BauGB werden die Verfahrensfehler dann in Anlehnung an diese Formel wie folgt bestimmt: „Mängel im Planungsprozess und damit Verfahrensfehler im Sinne der neuen Nummer 1 liegen vor, wenn die von der Planung berührten Belange überhaupt nicht ermittelt und bewertet worden sind, die nach Lage der Dinge hätten ermittelt und bewertet werden müssen, oder wenn die Bedeutung der ermittelten Belange verkannt worden ist.“ 205
Entsprechend der Formel des BVerwG zum Abwägungsgebot sind die Fehler aber nicht auf einzelne Verfahrensschritte beschränkt, sondern umfassen mehrere Elemente des Planungsprozesses. Es drängt sich die Frage auf, ob der Gesetzgeber davon ausgeht, dass neben den neuen Verfahrensvorschriften noch weitere Fehler bestehen können. Diese Annahme spricht somit auch gegen die vorgesehene Vermutungsregel, dass bei Einhaltung des Verfahrens die Abwägungsentscheidung auf einer vollständigen und sachrichtigen Ermittlung und Bewertung der Belange ergeht. 206 Insgesamt kann festgehalten werden, dass aus den betrachteten Gesetzesreglungen selbst und den dazugehörigen Gesetzesbegründungen keine an das Verfahren geknüpfte Vermutungsregelung entnommen werden kann, kraft der die Richtigkeit des Ermittelns und Bewertens der abwägungsbeachtlichen Belange aufgrund eines ordnungsgemäßen Verfahrens zu vermuten ist. 207 Die europarechtlich motivierte Betonung des Verfahrensrechts erfolgt allein über Sanktionierung von Verfahrensverstößen in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB. 208 203 204 205
S. 63. 206
BVerwGE 34, 301 (309); vgl. zudem Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). BVerwGE 34, 301 (309). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15); Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905); Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1545 f.). 208 Vgl. Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (515). 207
202
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
C. Abweichungen von Entwurf und tatsächlicher Umsetzung Ein Vergleich von Regierungsentwurf und EAG Bau zeigt, dass der eingeschlagene Weg zum Systemwechsel nicht konsequent vollzogen wurde. 209 Während nach dem Entwurf Mängel im Abwägungsvorgang neben dem neuen Verfahren keine eigenständige Bedeutung mehr haben sollten, regelt die in Kraft getretene Fassung des EAG Bau in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB wieder die Beachtlichkeit von Fehlern im Abwägungsvorgang. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde § 214 III S. 2 BauGB um folgenden Halbsatz erweitert: „(...); im Übrigen sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind“ 210.
Dieser 2. Halbsatz geht auf die Bedenken im Bundesrat zurück, ob mit den Begriffen des Ermittelns und Bewertens, bspw. bei einer zu einengenden Auslegung, noch alle Anforderungen des Abwägungsvorgangs erfasst werden würden. 211 Nach Ansicht des Bundesrates sollte die mit den bisher geltenden Planerhaltungsvorschriften erreichte Bestandskraft von Bebauungsplänen durch den angestrebten Systemwechsel nicht verringert und zumindest erhalten bleiben. 212 Laut der Gesetzesbegründung der Bundesregierung soll dem 2. Halbsatz aber nur eine ergänzende Bedeutung zukommen. Demnach soll der Regelung zur Erheblichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang im 2. Halbsatz eine Art Auffangfunktion zukommen. 213 An die im Gesetzesentwurf geregelte „Betonung der Verfahrenselemente des Ermittelns und Bewertens der von der Abwägung berührten Belange gegenüber dem Abwägungsvorgang“ soll mit der Auffangregelung angeknüpft werden. 214 Zur Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs wurde § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB-E ebenfalls an die Erheblichkeitsregelung in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB angepasst. Während die ursprüngliche Regelung des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB-E an die Voraussetzungen für die Unbeachtlichkeit eines Verfahrensfehlers anknüpfte, wurde entsprechend § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB an die Voraussetzungen für die Beachtlichkeit eines Mangels angeknüpft: „(...) und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist“ (§ 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB). 215 Aufgrund der Empfehlung des federführenden Ausschusses 209 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (577); Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905); Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1551); Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490). 210 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 95 f. 211 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 2), S. 87 f. 212 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 2), S. 87. 213 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 95 f. 214 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 95 f. 215 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 96.
§ 2 Das neue BauGB nach dem Erlass des EAG Bau 2004
203
wurde § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB gegenüber der Entwurfsfassung noch sprachlich verbessert; weitergehende Veränderungen wurden nicht vorgenommen. 216
D. Die Neuregelung des ergänzenden Verfahrens (§ 214 IV BauGB) Das bisher in § 215a BauGB (a. F.) geregelte ergänzende Verfahren hat der Gesetzgeber erheblich vereinfacht und aus „systematischen Gründen“ 217 in § 214 IV BauGB neu geregelt. 218 Fehlerhafte Satzungen und Flächennutzungspläne können gemäß § 214 IV BauGB geheilt und bei Fehlerbehebung auch rückwirkend wieder in Kraft gesetzt werden. Während in der Vorgängerregelung zwischen Mängeln bei Satzungen und Mängeln beim Flächennutzungsplan unterschieden wurde, erfasst der Anwendungsbereich der Neuregelung Mängel beider Arten von Plänen unterschiedslos. 219 Eine weitere Unterscheidung zwischen Verfahrensfehlern und materiellen Fehlern, die zuvor hinsichtlich der Möglichkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung der Pläne getroffen wurde, hat der Gesetzgeber fallen gelassen. 220 Die in § 215a BauGB (a. F.) getroffene Begrenzung besteht somit nicht mehr. 221 Die Neuregelung führt aber nicht dazu, dass jeder Fehler durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Vielmehr ist die Neuregelung in Anerkennung der bisherigen Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des ergänzenden Verfahrens erfolgt. 222 Zur Durchführung eines ergänzenden Verfahrens, insbesondere bei materiellen Fehlern, kann somit auf die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen und Einschränkungen verwiesen werden. 223 Demnach können bspw. materielle Mängel, die von solcher Art und Schwere sind, dass die Planung als Ganzes von vornherein infrage gestellt wird, oder die die Grundzüge der Planung berühren, nicht nach § 214 IV BauGB geheilt werden. 224 Dies gilt insbesondere für Mängel im Abwägungsergebnis. Bei 216 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BT-Drucks. 15/2996, S. 43 f.: In § 214 I S. 1 Nr. 1 wurde „im Sinne von § 2 III“ durch „entgegen § 2 III“ ersetzt. 217 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65. 218 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65. 219 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 153. 220 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65. 221 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 51. 222 Vgl. Sendler, DVBl. 2005, S. 659 (665). 223 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 54 f.
204
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Mängeln im Abwägungsergebnis kommt eine Heilung nur in Betracht, wenn diese das Grundgerüst der Abwägung nicht betreffen. 225 Eine Erweiterung der Regelung ist nur bzgl. der oben genannten Ausweitung auf Flächennutzungspläne und im Hinblick auf die Rückwirkung erfolgt. 226 Die in § 215a BauGB (a. F.) getroffene Unterscheidung zwischen der Nichtigkeit und der Unwirksamkeit einer städtebaulichen Satzung hat der Gesetzgeber nicht in die Neuregelung übernommen. Nach der Gesetzesbegründung sollte damit „klargestellt“ 227 werden, dass eine städtebauliche Satzung bis zur Behebung eines Fehlers – sofern dieser behebbar ist – im ergänzenden Verfahren auch schwebend unwirksam sein kann. 228 Die Nichtigkeit beziehe sich nicht auf das durchgeführte Verfahren, sondern auf das Ergebnis die Satzung selbst. Die Wiederholung des Verfahrens einer nichtigen Satzung könne zur Heilung des Verfahrens ab dem Punkt führen, an dem der Fehler eingetreten ist. Einer Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit bedürfe es daher nicht mehr. 229 Dementsprechend wurde durch Art. 4 EAG Bau das Normenkontrollverfahren in § 47 V S. 2 VwGO dahingehend neu geregelt, dass eine von dem kontrollierenden Gericht für rechtswidrig gehaltene Norm nicht für nichtig, sondern für unwirksam zu erklären ist. 230
§ 3 Zusammenfassung 2. Kapitel Mit dem EAG Bau hat der Gesetzgeber die europarechtlichen Vorgaben aus der Plan-UP-Richtlinie und der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie hinsichtlich einer verstärkten Öffentlichkeitsbeteiligung, des Monitorings und des Umweltberichts in das Planaufstellungsverfahren von Bebauungsplänen integrieren wollen. 231 Nach der Gesetzesbegründung sollten aber nicht nur die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorgaben umgesetzt werden, sondern auch das BauGB 224 225 226 227
S. 65.
Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 54 f. Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 54. Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 52. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
228 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65 u. S. 74 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 145 ff. 229 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65 u. S. 74 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 147 ff. 230 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65 u. S. 74 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 145 ff.
§ 3 Zusammenfassung 2. Kapitel
205
an das europäische Rechtsverständnis der europarechtlichen Verfahrensanforderungen angepasst werden; damit mussten auch die Planerhaltungsvorschriften angepasst werden. Der EuGH räumt in seiner Kontrollpraxis der Einhaltung von Verfahrensvorschriften einen größeren Stellenwert ein als die deutschen Gerichte bei der Kontrolle von Verfahrensrecht. Sind Entscheidungen von Verwaltungsorganen mit eingeräumtem Ermessen Kontrollgegenstand, überprüft der EuGH die Einhaltung der Verfahrensvorschriften. Auf die materiell-rechtliche Richtigkeit der Ermessensentscheidung kommt es nicht mehr an. Das Verfahren ist nach Ansicht des EuGH Garant eines sachgerechten und richtigen Ergebnisses. 232 Das unterschiedliche Verständnis vom Stellenwert der Verfahrensvorschriften führt zu einer unterschiedlichen Beachtlichkeit der Verfahrensfehler bei der Gerichtskontrolle durch ein nationales Gericht und bei der Gerichtskontrolle durch den EuGH. In Deutschland wird von einer grundsätzlich Vollkontrolle der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung ausgegangen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass Fehler im Verwaltungsverfahren durch das gerichtliche Verfahren ersetzt werden können. 233 In den Fällen, wie bspw. den Abwägungsentscheidungen, wo auch in Deutschland die Verwaltungsentscheidung nicht mehr vom kontrollierenden Gericht ersetzt werden darf, erreicht das Verfahren dennoch nicht denselben Stellenwert wie etwa im Unionsrecht. So müssen sich in Deutschland die Verfahrensfehler, wie bspw. gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB, ergebniskausal ausgewirkt haben, damit sie in der Gerichtskontrolle berücksichtigt werden. 234 Die dem EAG Bau zugrunde liegende Plan-UP-Richtlinie enthält dem unionsrechtlichen Verfahrensverständnis entsprechend vorwiegend verfahrensrechtliche Regelungsinstrumente. Mit der Umsetzung der von der EU vorgegebenen Verfahrensanforderungen in nationales Recht stellt sich die Frage, wie sich das Unionsrecht auf die deutsche Konzeption des Verfahrensrechts und insbesondere dessen Stellenwert bei der Gerichtskontrolle auswirkt. Für die Gerichtskontrolle der Abwägungsentscheidungen könnte die europarechtliche Verfahrensund Kontrollkonzeption einen Wechsel von der materiell-rechtlichen Kontrolle 231 Siehe zu den umzusetzenden Richtlinien oben § 1 A., S. 174 ff.; Pietzcker, Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie, S. 4; Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 1. 232 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 36 f.; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 169 f.; Everling, in: Diskussion in Kontrolldichte, S. 300; Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (10). 233 M.w. N. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 122; in diesem Fall der Vollkontrolle hat das Verfahren nur dienenden Charakter und keinen Eigenwert. Vgl. Franßen, DVBl. 1998, S. 413 (420 f.). 234 Vgl. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 179.
206
2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
zu zumindest einer teilweisen Verfahrenskontrolle der Abwägungsentscheidung bewirken. 235 Die laut der Gesetzesbegründung angestrebte Anpassung an das europäische Rechtsverständnis der Verfahrensanforderungen führte zu der Neureglung der Planerhaltungsvorschriften. Fehler im Abwägungsvorgang werden gemäß der Neuregelung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB als Verfahrensfehler behandelt. Der neue § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB verweist auf § 2 III BauGB und regelt somit die Fehlerfolgen von Verstößen gegen die sogenannte „Verfahrensgrundnorm“. 236 Seiner Konzeption nach bewirkt der § 2 III BauGB eine Formalisierung gewisser Bestandteile der planerischen Abwägung. 237 Die Norm, in der das materielle Abwägungsgebot verankert ist (§ 1 VI BauGB (a. F.)), wurde durch das EAG Bau in § 1 VII BauGB in einem neuen Absatz unverändert beibehalten. Das bloße redaktionelle Verschieben der Regelung ist ein klarer Hinweis darauf, dass der bestehende Regelungsgehalt nicht geändert werden sollte. 238 Die neuen Planerhaltungsvorschriften erfassen damit entsprechend ihrer Anwendungsbereiche Fehler i. S. d. neuen Verfahrens nach § 2 III BauGB und Fehler i. S. d. materiellrechtlichen Abwägungsgebots aus § 1 VII BauGB. 239 Die Qualifizierung eines Mangels als Verstoß gegen Verfahrensrecht oder als Verstoß gegen das materielle Abwägungsgebot ist im Wesentlichen eine Frage der Auslegung des § 2 III BauGB und dessen Verhältnis zu § 1 VII BauGB. 240 Die § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB zugrunde liegende Befürchtung einer einengenden Auslegung der Begriffe des Ermittelns und Bewertens durch die Gerichte hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, eine Auffangklausel in § 214 III S. 2 2. Hs. aufzunehmen. 241 Diese „Sicherheitsreserve“ 242 ruft in der gesetzgeberischen Konzeption eines Wechsels vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens den Verdacht hervor, dass bestimmte Elemente des Abwägungsvorgangs nicht von dem neuen Verfahren erfasst werden und somit ein konsequenter Systemwechsel nicht vollzogen worden ist. 243 Das gesetzgeberische Konzept, Mängel im Abwägungsvorgang als Verfahrensfehler und Mängel im Abwägungsergebnis weiterhin als 235 236 237
S. 63. 238
Siehe dazu unten 3. Kapitel, S. 210 ff. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (82). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (74). Kalb / Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 25 b; vgl. oben § 2 A. I., S. 183 f. 240 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 e; vgl. oben § 2 A. I., S. 183 f. 241 Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 122 f. 242 Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 243 Vgl. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 122 f. 239
§ 3 Zusammenfassung 2. Kapitel
207
materielle Fehler zu behandeln, hält der Gesetzgeber mit der Sicherheitsreserve in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB nicht mehr durch. 244 Konsequenter war da hingegen die Regelung im Regierungsentwurf, wonach der 2. Hs. fehlte und somit das Ermitteln und Bewerten von Belangen der Abwägung nur als Verfahrensfehler geltend gemacht werden konnte. 245 Aus der Gesetzesgenese kommt der gesetzgeberische Wille zu einem Systemwechsel der materiellen Überprüfung des Abwägungsvorgangs hin zu der Verfahrenskontrolle des Zusammenstellens, Ermittelns und Bewertens der abwägungsbeachtlichen Belange deutlich zum Ausdruck. Dieser gesetzgeberische Wille wird aber durch die in Kraft getretene Fassung des § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB infrage gestellt bzw. relativiert. 246 Die von der Expertenkommission vorgeschlagene, an die Einhaltung des Verfahrens geknüpfte Vermutungsregel, ist nicht Bestandteil des EAG Bau geworden. Es tauchen zwar Anhaltspunkte für eine solche Regelung im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung auf; aus den Gesetzesbegründungen zu den einschlägigen Vorschriften und aus den Vorschriften selbst lässt sich eine solche Regelung aber nicht folgern. 247 Das Europarecht hingegen, geprägt von den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, geht von einer Richtigkeitsgewähr durch Verfahren bei gleichzeitiger Reduzierung der materiellen Kontrollmaßstäbe aus. 248 Mit der Umsetzung der in den Richtlinien vorgegebenen Verfahrensanforderungen in nationales Recht stellt sich die Frage, wie sich das Unionsrecht auf die deutsche Konzeption des Verfahrensrechts und insbesondere dessen Stellenwert bei der Gerichtskontrolle auswirkt. Mit der inkonsequenten Zuordnung der Abwägungsfehler zu den materiellen und zu den Verfahrensfehlern hat das EAG Bau nicht für Klarheit gesorgt. 249 Vielmehr sind die neu entstandenen Auslegungsfragen und weitere offene Fragen zu klären. Die Gesetzesgenese des EAG Bau ist zur Klärung der offenen Fragen nur wenig aussagekräftig. 250 Mit der teilweise vorgenommenen Zuordnung der Fehler zu Verfahren oder Abwägungsergebnis gewinnt die in den neuen Planerhaltungsvorschriften vorgenommene Differenzierung der Fehlerarten an Bedeutung. Die verschiedenen 244
Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1544). Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65 mit Verweis auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 138; siehe auch Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1545). 246 Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 247 Siehe oben § 2 B. III., S. 198 f. 248 Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (862); vgl. oben § 1 B., S. 177 f. 249 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (515); Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579); Stelkens, UPR 2005, S. 81 (87). 250 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (81). 245
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2. Kap.: Die Neuregelungen durch das EAG Bau 2004
Fehlerarten werden durch die Neuregelung Abgrenzungskriterien für die Anwendungsbereiche verschiedener Fehlerfolgenregelungen. 251 Die Abgrenzung anhand der Fehlerarten ist schwierig, da diese nicht trennscharf abgrenzbar sind. 252 Fehler bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials, sprich bisherige Mängel im Abwägungsvorgang, können gemäß § 215 I Nr. 1 BauGB nur noch innerhalb eines Jahres gerügt werden. 253 Mängel im Abwägungsergebnis sind zeitlich unbeschränkt rügbar. 254 Die verkürzte Frist entspricht der ebenfalls verkürzten Antragsfrist im Normenkontrollverfahren in § 47 II S. 1 VwGO. 255 Für den Rechtsschutzsuchenden bedeutet die Änderung des § 215 BauGB, dass die Abwägungsmängel ein Jahr nach Bekanntmachung der Satzung unerheblich sind, soweit keine Rüge erfolgt ist. Das gilt gemäß § 215 I Nr. 3 BauGB auch für die Fehler des Ermittelns und Bewertens, welche offensichtlich und erheblich waren und so das Abwägungsergebnis beeinflusst haben. 256 Der Gesetzgeber hat die Neuregelung des ergänzenden Verfahrens in § 214 IV BauGB dazu genutzt, die Rechtswirkungen von fehlerhaften Bebauungsplänen bis zu ihrer Heilung neu zu regeln. Gemäß § 47 V S. 2 VwGO ist der fehlerhafte Bebauungsplan bis zur Heilung unwirksam. 257 Der Gesetzgeber hat die Anpassung an das Europarecht zum Anlass genommen, die Planerhaltungsregelungen für Mängel im Abwägungsvorgang im BauGB neu zu regeln. Europarechtlich umsetzungsbedürftig waren die Planerhaltungsregelungen im Hinblick auf Fehler bei der Ermittlung und Bewertung von Belangen, die für eine Umweltprüfung gemäß § 2 IV BauGB von Belang sind. 258 Die anderen von den Planerhaltungsregeln erfassten Abwägungsvorgangsmängel haben einen rein nationalen Bezug. 259 Die umzusetzende Plan-UP-Richtlinie verlangt für die Umweltprüfung ein Verfahren des Ermittelns, des Beschreibens und des Bewertens von Belangen. Über das Verfahren hinausgehende Anforderungen werden in der Richtlinie nicht festgelegt. Die in § 214 III S. 2 BauGB benannte weitere Kategorie des Abwägungsvorgangs geht folglich über die Anforderungen der Richtlinie hinaus. Die Regelung in § 214 III S. 2 BauGB setzt damit an einem Punkt an, an dem die Regelungskraft der Plan-UP-Richtlinie endet. 260 251
Stelkens, UPR 2005, S. 81 (81). Vgl. oben 1. Kapitel § 5 B. III., S. 125 ff. 253 Die Einjahresfrist wurde bereits von der Unabhängigen Expertenkommission empfohlen. Vgl. Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 144. 254 So auch bereits die Empfehlung der unabhängigen Expertenkommission; vgl. Bericht der unabhängigen Expertenkommission (Fn. 12), Rn. 143. 255 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 17 b, c. 256 Siehe oben § 2 B. III., S. 198 ff. 257 Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1552); vgl. oben § 2 D., S. 203 f. 258 Vgl. oben § 1 A., S. 174 ff. 259 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. 252
§ 3 Zusammenfassung 2. Kapitel
209
Insgesamt kann festgehalten werden, dass das EAG Bau – entgegen der ursprünglichen Zielsetzung – das überkommene System einer durch die Rechtsprechung detailreichen und sehr differenzierten Regelung fortschreibt. 261 Unklarheit schafft die Neuregelung hinsichtlich der bisherigen Abwägungsdogmatik der kumulativen Überprüfung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis anhand identischer Maßstäbe. Soll mit der teilweisen Zuordnung bestimmter Anforderungen des Abwägungsgebots an das Verfahren und an das Abwägungsergebnis die bisherige kumulative Überprüfung aufgegeben werden? 262 Bei Fortbestehen der Kategorie des Abwägungsvorgangs 263 stellt sich die Folgefrage nach der Abgrenzung zwischen Abwägungsvorgang und dem neuen Verfahren des Ermittelns und des Bewertens. 264
260 261 262 263 264
Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 152. Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 142. Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579). Vgl. oben § 2 A.II., S. 186 f. Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579).
3. Kapitel
Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle § 1 Die Rolle des materiell-rechtlichen Abwägungsvorgangs in der Gerichtskontrolle nach den Neuerungen durch das EAG Bau A. Eingeleiteter Systemwechsel durch die Änderung? Der in der Gesetzesbegründung benannte Systemwechsel kommt in den neuen Planerhaltungsregelungen deutlich, insgesamt jedoch auch inkonsequent zum Ausdruck. 1 Die ausdrückliche Benennung des Abwägungsvorgangs in § 214 III S. 2 BauGB spricht dagegen allerdings dafür, dass neben Verfahren und Ergebnis die Kategorie des Abwägungsvorgangs fortbesteht. 2 Ursprünglich als sogenannte Sicherheitsreserve 3 eingeführt, ist diese Regelung nun Anlass der Abgrenzung des materiellen Rechts zu den Verfahrensanforderungen. Dabei scheinen die neuen Planerhaltungsvorschriften nicht von einer völligen Negierung des Abwägungsvorgangs auszugehen. 4 Die gerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs ermöglichte bisher eine Überprüfung der inhaltlichen Sachrichtigkeit der im Abwägungsvorgang gewonnenen Informationsgrundlage für die sich anschließende Abwägungsentscheidung. Demgegenüber dient die Verfahrenskontrolle der „Abschichtung eher tatsächlich feststellbarer äußerer prozeduraler Umstände“ 5. Ein, wie in der Gesetzbegründung vorgeschlagener, Systemwechsel der Planerhaltungsvorschriften bedeutet demnach eine gerichtliche Überprüfung anhand anderer als den bisherigen Kontrollmaßstäben mit einer anderen Kontrollaussage, nämlich über die Ordnungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit des Verfahrens und nicht mehr über die Richtigkeit der Sachentscheidung. 6 Aufgrund der unklaren gesetzlichen Regelung gilt es zunächst zu untersuchen, inwiefern dem 1
Vgl. oben 2. Kapitel § 2 C., S. 202 f.; Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (64 ff.). Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905). 3 Vgl. oben 2. Kapitel § 2 A. II., S. 186 f. 4 Kraft, UPR 2004, S. 331 (333); so auch Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1545); vgl. oben 2. Kapitel § 2 A., S. 181 ff. 5 Kraft, UPR 2004, S. 331 (333); vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. III. 2., S. 58 f.; § 4 B. I., S. 96 f.; § 5 D., S. 134 ff. 2
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
211
Gesetzgeber der vorgeschlagene Systemwechsel gelungen ist. Im Wege der Gesetzesauslegung soll ermittelt werden, inwieweit der Systemwechsel vollzogen worden ist. Es stellt sich dabei insbesondere die Frage nach der Rolle des Abwägungsvorgangs im Zusammenspiel mit den neuen Verfahrensregelungen und nach einer möglichen Deckungsgleichheit von Abwägungsvorgang und neuem Verfahren. Dabei kommt es maßgeblich auf die Auslegung der Begriffe Ermitteln und Bewerten an und darauf, inwieweit diese die ursprünglichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang erfassen. Es ist dabei möglich, das Ermitteln und Bewerten i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB rein verfahrensrechtlich als eigenes Verfahren neben dem materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu verstehen oder aber bis hin zu einer materiell-rechtliche Regelung, die den Abwägungsvorgang vollständig erfasst. Es drängt sich im Hinblick auf den vom Gesetzgeber angestrebten Systemwechsel ebenfalls die Frage auf, ob ein solcher Systemwechsel vom Gesetzgeber überhaupt zulässig vollzogen werden kann. I. Mängel bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials Gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB liegt ein beachtlicher Verfahrens- oder Formfehler vor, wenn „entgegen § 2 III die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt worden sind [...]“. Fraglich ist, ob die nach bisheriger Abwägungsdogmatik verstandene Zusammenstellung des Abwägungsmaterials davon vollumfänglich erfasst wird. Das Abwägungsgebot hat bisher materiell-rechtliche Anforderungen an die Zusammenstellung der abwägungsbeachtlichen Belange gestellt. Die Zusammenstellung der abwägungsbeachtlichen Belange war dementsprechend auf ihre Sachrichtigkeit zu überprüfen. 7 1. Wortlautauslegung „ermitteln“ Gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB ist nach der Konzeption des Gesetzes eine in wesentlichen Punkten nicht zutreffende Ermittlung der abwägungsbeachtlichen Belange grundsätzlich ein beachtlicher Verfahrensfehler. Voraussetzung für die Beachtlichkeit eines solchen Fehlers ist gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB ein Verstoß gegen § 2 III BauGB, wonach das Verfahren der Ermittlung der abwägungsbedeutsamen Belange geregelt ist. 8 Ermittlung, allein vom Wortlaut her verstanden, bedeutet zunächst das Prozedere zur Ausfindigmachung bestimmter Tatsachen, nämlich der abwägungsbeachtlichen Belange. 9 Dabei knüpft § 214 I 6 Vgl. zu den unterschiedlichen Kontrollmaßstäben oben 1. Kapitel § 4 B. I., S. 96 ff. u. II., S. 101 ff. 7 Vgl. oben 1. Kapitel § 5, S. 119 ff. 8 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 c.
212
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
S. 1 Nr. 1 BauGB an die „zutreffende“ Ermittlung der Belange an. Es stellt sich dabei die Frage, was unter zutreffend zu verstehen ist. Zutreffend kann zum einen die ordnungsgemäße Einhaltung des Ermittlungsverfahrens bedeuten und zum anderen die materiell-rechtliche, sprich die sachrichtige Ermittlung der abwägungsbeachtlichen Belange. 10 Die Frage, ob die bisher materiell-rechtlichen Anforderungen an die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials von dem neuen Verfahren des Ermittelns erfasst werden oder nicht, ist damit nicht geklärt. Der Wortlaut lässt insoweit beides zu. 2. Historische Auslegung „ermitteln“ Nach der Gesetzesbegründung soll § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB für die Planerhaltungsvorschriften den Wechsel vom materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu den verfahrensbezogenen Elementen des Ermittelns und Bewertens der von der Planung berührten Belange nachvollziehen. 11 Der Gesetzgeber versteht dementsprechend das Ermitteln und Bewerten der Belange ausdrücklich als verfahrensrechtliche Anforderungen. 12 Folglich geht der Gesetzgeber mit der Neuregelung davon aus, dass die bisherigen Anforderungen an den Abwägungsvorgang zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials von nun an verfahrensrechtlicher Natur sein sollen bzw. zumindest von den Fehlerfolgenregelungen von Verfahrensfehlern erfasst werden. 13 Anstelle der bisher von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an den Abwägungsvorgang sollen diese Anforderungen von dem neuen Verfahren nach § 2 III BauGB erfasst werden. Die Regelung zur Be- oder Unbeachtlichkeit von Verstößen gegen dieses Verfahren ist in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB geregelt. 14 Gleichzeitig soll die Ausschlussregelung in § 214 III S. 2 BauGB, wonach Fehler beim Ermitteln und Bewerten gemäß § 2 III BauGB nicht mehr als Abwägungsfehler geltend gemacht werden können, sicherstellen, dass die Beachtlichkeit der ursprünglichen Abwägungsvorgangsmängel von nun an als Verfahrensmängel in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB geregelt sind. 15 Insoweit wollte der Gesetzgeber den hohen Stellenwert des Verfahrensrechts im Europarecht für das nationale Recht nachvollziehen. 16 Laut der Gesetzesbegründung 9
Zur Bedeutung des Wortes Ermittlung vgl. Grimm / Bartz / Grimm, Der digitale Grimm, 4. Aufl.; vgl. zudem Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807). 10 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 11 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 12 Kraft, UPR 2004, S. 331 (332 f.); Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (576). 13 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (12). 14 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 64. 15 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 65.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
213
ist die fehlende Ermittlung von Belangen, die nach Lage der Dinge hätten ermittelt werden müssen, ein Verfahrensfehler. 17 Die Gesetzesgenese spricht aber dafür, das ‚zutreffende Ermitteln‘ verfahrensrechtlich weit zu verstehen, so dass neben der formellen Seite auch die materielle Seite des Abwägungsvorgangs erfasst wird. 18 Zu § 2 III BauG führt der Gesetzgeber aus, dass diese Vorschrift inhaltlich der bisherigen sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage entspricht, nach der die Berücksichtigung aller bedeutsamen Belange in der Abwägung zunächst deren ordnungsgemäße Ermittlung und zutreffende Bewertung voraussetzt. 19 Die Gesetzesbegründung ist im Hinblick auf den angestrebten Systemwechsel jedoch nicht so eindeutig. 20 Mit der Beibehaltung einer Fehlerfolgenregelung für die Fehlerfolgen bei Verstößen gegen die Anforderungen des Abwägungsvorgangs in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB geht der Gesetzgeber anscheinend noch davon aus, dass weiterhin materiell-rechtliche Anforderungen des Abwägungsvorgangs neben dem neuen Verfahren des zutreffenden Ermittelns fortbestehen, 21 wobei der Gesetzgeber mit § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB mögliche Regelungslücken vermeiden will. Das bisher erreichte Schutzniveau der Bestandskraft von Bebauungsplänen sollte nicht durch die Neuzuordnung materiell-rechtlicher Anforderungen zu den Verfahrensanforderungen in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB geschwächt werden. 22 Der Gesetzgeber wollte damit einer möglicherweise in der Praxis engen Auslegung des neuen Verfahrens begegnen. Indem der Gesetzgeber die Gefahr einer einengenden Auslegung erkannt und er gleichzeitig eine Regelung für den Fall einer einengenden Auslegung vorgesehen hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diese Auslegungsfrage bewusst der Klärung durch die Gerichte überlassen wollte. Aufgrund der gleichen Rechtsfolge von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB konnte der Gesetzgeber außerdem nicht davon ausgehen, dass in der Praxis diese Auslegungsfrage alsbald geklärt werden würde. Mit der Beibehaltung der Kategorie des Abwägungsvorgangs behält der Gesetzgeber aber gleichzeitig eine Kategorie bei, die noch im Regierungsentwurf zum EAG Bau nicht mehr fortbestehen sollte. 23 Im Gleichschritt zu der Beibehaltung einer eigenen Fehlerfolgenregelung für Mängel im Abwägungsvorgang 16
S. 63. 17
S. 63. 18
19
S. 42. 20 21 22
Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Vgl. oben 2. Kapitel § 2 B., S. 192 ff. Vgl. Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579 f.). Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 96 f.
214
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
übernimmt der Gesetzgeber nicht die ursprünglich von der unabhängigen Expertenkommission geplante, an die Einhaltung des Verfahrens geknüpfte Vermutungsregelung für die Richtigkeit der Ermittlung und Bewertung der Belange. 24 Die dem Systemwechsel immanente Aufwertung des Verfahrensrechts findet so nur teilweise Eingang in die Neuregelung. Der Gesetzesbegründung ist der Wille zu einem Systemwechsel zu entnehmen, die Gesetzesgenese und die Begründung weisen allerdings auch einen nicht konsequent vollzogenen Systemwechsel auf. Die Frage, inwiefern ein im Sinne des Systemwechsels weit und damit die materiell-rechtlichen Anforderungen umfassend verstandenen Ermittelns von den materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang an die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials abzugrenzen ist, wird in den Gesetzesmaterialien nicht angesprochen. Die historische Auslegung hilft damit nicht weiter. Sicherlich kann eine Abgrenzung entsprechend einer systemwechselkonformen Auslegung vorgenommen werden. Alleine aber aufgrund des in der Gesetzesgenese vorgeschlagenen Systemwechsels als Regelungsziel kann nicht einfach auf den bestehenden Regelungsgehalt geschlossen werden, unabhängig davon, was von den vorgeschlagenen Elementen eines Systemwechsels im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen und letztendlich zum Gesetz geworden ist. 25 Dementsprechend kann bei der historischen Auslegung der Wille zum Systemwechsel nur insoweit berücksichtigt, werden, als Anhaltspunkte für die Aufgreifung und Aufnahme in die gesetzliche Regelung sprechen. Wie soeben dargelegt, ist die Gesetzesgenese zu dem neuen Verfahren widersprüchlich und damit ist unklar, was von dem geplanten Systemwechsel im Ergebnis Gesetz geworden ist. 26 3. Systematische Auslegung „ermitteln“ Die Neuregelung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB knüpft an die sogenannte Verfahrensgrundnorm in § 2 III BauGB an, die regelt, dass bei der Planaufstellung die abwägungsbedeutsamen Belange zu ermitteln und bewerten sind. Damit liefert § 2 III BauGB einen, wenn auch nicht sehr konkreten, Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Ermittlung der Belange. 27 Die sich aus § 2 III BauGB ergebende Verpflichtung zur Ermittlung des Abwägungsmaterials im Verfahren der Planaufstellung ist ebenfalls in § 1 VII BauGB bereits materiell-rechtlich geregelt. 28 Die in § 1 VII BauGB verankerten Anfor23
Zum Regierungsentwurf siehe oben 2. Kapitel § 2 B. III., S. 198 f. Siehe oben 2. Kapitel § 2 C., S. 202 f. 25 Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (66). 26 Vgl. Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (66). 27 Vgl. Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306); vgl. Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 e. 28 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 2 Rn. 141. 24
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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derungen, dass eine Abwägung stattfindet, dass die von der Planung berührten Belange ermittelt und in die Abwägung mit einbezogen werden und dass ein gerechter Ausgleich der Belange vorgenommen wird, gelten weiterhin fort. Das neue Verfahren des Ermittelns der Belange weist damit augenscheinlich eine Übereinstimmung mit der Anforderung des Abwägungsgebots auf, das Abwägungsmaterial zusammenzustellen. 29 Fraglich ist, inwieweit hier konkret eine Übereinstimmung besteht. Gesetzessystematisch stehen sich die neue Verfahrensgrundnorm in § 2 III BauGB und die materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebots aus § 1 VII BauGB polartig gegenüber. 30 Neben der verfahrensrechtlichen Verpflichtung zur Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials besteht im BauGB ebenfalls die materiell-rechtliche Verpflichtung zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials fort. 31 Im Unterschied zur verfahrensrechtlichen Verpflichtung fordert nach dem oben dargelegten Verständnis von materiellem und Verfahrensrecht die materiell-rechliche Norm ein inhaltlich richtiges Zusammenstellen der Belange, während nach Verfahrensrecht die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens des Ermittelns verlangt wird. 32 Das Verfahren der Ermittlung und Bewertung aus § 2 III BauGB ist Ausdruck der stärkeren Betonung des Verfahrens durch das EAG Bau. 33 Die ausdrückliche Anknüpfung an die Verfahrensgrundnorm spricht für eine rein verfahrensrechtliche Auslegung des Ermittelns in Abgrenzung zu den materiell-rechtlichen Anforderungen aus § 1 VII BauGB. Andererseits ist unklar, inwieweit die bisherigen materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang durch den neuen § 2 III BauGB formalisiert wurden und vom Verfahren des Ermittelns erfasst werden. 34 Es stellt sich somit die Frage, ob Ermitteln verfahrensrechtlich weit (die ursprünglichen materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs mit umfassend) oder eng (rein verfahrensrechtliche Anforderungen umfassend) auszulegen ist. Der Wortlaut des § 2 III BauGB für sich gesehen und der systematische Verweis des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auf das Verfahren des Ermittelns in § 2 III BauGB sprechen zunächst für eine verfahrensrechtlich enge Auslegung des Ermittelns, da § 214 I BauGB die Beachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern und nicht von materiell-rechtlichen Fehlern regelt. Über den Verweis in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB wird aber nicht mehr nur das Ermitteln der Belange allein 29
Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 2 Rn. 145. Vgl. oben 2. Kapitel § 2 B. I., S. 193 ff.; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 4. 31 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 2 Rn. 141. 32 Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B., I. u. II., S. 54 ff. u. S. 57. 33 Siehe oben 2. Kapitel § 2, S. 181 ff. 34 Vgl. Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490). 30
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
nach § 2 III BauGB verlangt, sondern außerdem müssen über die Ergänzung des Wortes „zutreffend“ aus § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB die Belange zutreffend ermittelt werden. Das Wort „zutreffend“ vermag es möglicherweise aus den in § 2 III BauGB aufgestellten Anforderungen, Anforderungen materiell-rechtlicher Art zu machen. 35 Andererseits besteht weiterhin die Möglichkeit, „zutreffend“ Ermitteln entsprechend der Systematik rein verfahrensrechtlich zu verstehen, und zwar als verfahrensrechtlich korrektes Ermitteln. Demnach ist bspw. zwischen der Nichteinhaltung der Verfahrensschritte zur Ermittlung der Belange und der der Nichtberücksichtigung eines zu ermittelnden Belangs zu unterscheiden. 36 Bernhardt sieht die Konkretisierung des Begriffs des Ermittelns im BauGB selbst. In den §§ 2 IV S. 1 –3 BauGB würde der Begriff des Ermittelns und der Begriff des Bewertens konkretisiert. 37 Gemäß § 2 IV S. 1 – 3 BauGB wird für die in der Umweltprüfung zu beachtenden Belange ausgeführt, dass für diese Belange eine Prüfung durchgeführt werde, in der die erheblichen Auswirkungen ermittelt und in einem Bericht beschrieben und bewertet werden. Für den konkreten Planungsfall soll die Gemeinde den Umfang und den Detaillierungsgrad, der für die Ermittlung der Belange erforderlich ist, festlegen. Bei der Ermittlung der von der Planung berührten Belange müssen gemäß § 4a I BauGB die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung berücksichtigt werden. Diese Vorschriften zur Umweltprüfung liefern insoweit Maßstäbe, anhand derer konkret die Richtigkeit des Verfahrens der Ermittlung überprüft werden kann. 38 Hinsichtlich der Sachrichtigkeit dieses Verfahrens stellen diese Regelungen zunächst keinerlei Kontrollmaßstäbe auf. Entsprechend § 2 IV S. 1 – 3 BauGB werden lediglich verfahrensrechtliche Kontrollmaßstäbe, wie „nach gegenwärtigem Wissensstand“, „nach allgemein anerkannten Prüfmethoden“ und „nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Bauleitplans“, für das Verfahren des Ermittelns aufgestellt. „Zutreffend Ermitteln“ bedeutet in diesem Kontext daher verfahrensrichtig zu ermitteln. 39 Bernhardt sieht in der Neuregelung eine Unterscheidung in Abwägungsmaterial und Abwägung angelegt. 40 Inwieweit das Verfahren des Ermittelns mit den bisherigen Anforderungen an den Abwägungsvorgang deckungsgleich ist, sei irrelevant, da der Gesetzgeber die Abwägungsdogmatik nur in europarechtliche Systematik und Begrifflichkeiten kleiden wollte. Am verfassungsrechtlich zwingenden Niveau der Abwägungskontrolle wollte der Gesetzgeber dadurch nichts ändern. 41 Als Abgrenzungskriterien wählt Bernhardt die Abgrenzung zwischen Abwägungsmaterial und Abwägung. 35 36 37 38 39 40 41
So Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 94. Vgl. Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168). Vgl. Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168). Vgl. Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168 f.). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168 f.). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
217
Der Konkretisierung des Ermittelns durch die Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung steht jedoch entgegen, dass § 2 IV BauGB das Verfahren des Ermittelns nur für die Umweltbelange in Form der Umweltprüfung konkretisiert. 42 Die Umweltprüfung wird auf diese Weise integrierter Bestandteil des Aufstellungsverfahrens eines Bebauungsplans. 43 Für diesen Bestandteil des allgemeinen Planaufstellungsverfahrens wird § 2 III BauGB durch § 2 IV BauGB konkretisiert; nicht aber umgekehrt. Auch § 2 IV BauGB unterscheidet zwischen der Ermittlung und Bewertung der Umweltbelange und der eigentlichen Abwägung. 44 In § 214 I BauGB werden eingangs die später in S. 1 Nr. 1 benannten Fehler beim Ermitteln ausdrücklich als Verfahrens- oder Formverstöße bezeichnet. Mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Verfahrensgrundnorm in § 2 III BauGB sind die Fehler beim Ermitteln und Bewerten nach der Gesetzessystematik anhand der verfahrensrechtlichen Anforderungen des § 2 III BauGB zu messen. Im Kontext der Gesetzessystematik ist die zutreffende Ermittlung der Belange rein verfahrensrechtlich auszulegen. 45 Würde „zutreffend Ermitteln“ materiellrechtlich ausgelegt werden, würde § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB aus § 2 III BauGB eine materiell-rechtliche Norm machen, da sie ein materiell zutreffendes Ermitteln vorschreibt. 46 Das Verfahren des Ermittelns würde dementsprechend auch die Anforderungen an die Berücksichtigung aller zu ermittelnden Belange in der Abwägung umfassen. Verfahrensrechtlich ausgelegt, würde das Verfahren lediglich die Verfahrensschritte zur Ermittlung der Belange umfassen. Die Nichtberücksichtigung eines zu ermittelnden Belangs und die Nichteinhaltung der Verfahrensschritte – wie bspw. die ordnungsgemäße Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung – zur Ermittlung der Belange sind unterschiedliche Fehler, die entsprechend der Systematik der Planerhaltungsvorschriften von unterschiedlichen Normen erfasst werden. Versteht man „zutreffend Ermitteln“ zudem als materiell-rechtliche Anforderung, stellt sich gleichzeitig die Frage nach dem verbleibenden Anwendungsbereich von § 1 VII BauGB, der die materiell-rechtlichen Anforderungen an die planerische Abwägung weiterhin regelt. Das bloße redaktionelle Verschieben der Regelung ist ein klarer Hinweis darauf, dass der bestehende Regelungsgehalt durch das EAG Bau nicht geändert werden sollte. 47 Der Regelungsgehalt des § 2 III BauGB würde sich damit mit dem Regelungsgehalt des § 1 VII BauGB decken und keinen substantiellen Regelungsgehalt darüber hinaus haben. 48 42 43 44 45 46 47
Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 2 Rn. 63. Vgl. Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (74).
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Die Gesetzessystematik der neuen Planerhaltungsregelungen legt es nahe, von einer Aufspaltung der bisher einheitlich als materiell-rechtlich verstandenen Anforderungen des Abwägungsgebots gemäß § 1 VII BauGB auszugehen. 49 Denn in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB ist die Beachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern bei der Ermittlung und Bewertung abwägungsbeachtlicher Belange geregelt. In § 214 III S. 2 BauGB hat der Gesetzgeber die Beachtlichkeit von Verstößen gegen die materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang geregelt. 50 Insofern geht der Gesetzgeber auch von einem eigenen fortbestehenden Regelungsgehalt von § 1 VII BauGB neben § 2 III BauGB aus. 51 Auch wenn der Zweck des neuen § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB i.V. m. § 2 III BauGB die Zuordnung bisher materiell-rechtlicher Elemente des Abwägungsvorgangs zum Verfahrensrecht ist, bestehen in § 214 I BauGB Beachtlichkeitsregelungen, die in ihrem Anwendungsbereich von dem des § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB abzugrenzen sind. Das Fortbestehen einer eigenen Unbeachtlichkeitsregelung für materiell-rechtliche Mängel im Abwägungsvorgang spricht dafür, dass der Anwendungsbereich des Verfahrens des Ermittelns nicht alle materiell-rechtlichen Anforderungen an die Ermittlung des Abwägungsmaterials erfasst. 52 So hat bspw. die planende Gemeinde trotz fehlender Beteiligung eines im Plangebiet liegenden Grundstückseigentümers dessen Belange zu berücksichtigen. Die Gesetzessystematik legt ein enges verfahrensrechtliches Verständnis von Ermitteln i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB nahe, denn nur so kann sich die Neuregelung widerspruchsfrei in die Gesetzessystematik einfügen. 53 Würde das Ermitteln weit ausgelegt werden, hätte dies zur Folge, dass die materiellen bisherigen Abwägungsvorgangsfehler von § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 214 III S. 1 BauGB abschließend geregelt würden. Sind die abwägungsbeachtlichen Belange materiell-rechtlich fehlerhaft in dem Verfahren des Ermittelns zusammengestellt worden, könnte dieser Fehler nicht mehr als eigenständiger materieller Fehler geltend gemacht werden, auch wenn die Planerhaltungsregelungen eine spezielle Beachtlichkeitsregelung für materielle Fehler im Abwägungsvorgang enthalten. 54
48 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306) mit Verweis auf Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905). 49 Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 4. 50 Vgl. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 4. 51 Vgl. Kalb / Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 25 b. 52 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 46 f. 53 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 54 Vgl. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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4. Teleologische Auslegung „ermitteln“ Mit dem Verfahren der Ermittlung des Abwägungsmaterials soll das Verfahrensrecht an Bedeutung gewinnen und zur Richtigkeit der Abwägungsentscheidung beitragen. Insgesamt wird das Planaufstellungsverfahren durch die Neuregelungen gestärkt und konkretisiert. Ermitteln ist ein typischer Prozess des Verfahrensrechts. 55 Das neue Verfahren soll eine vollständige Ermittlung der von der Planung betroffenen Belange sichern. Insoweit entspricht das neue Ermitteln gemäß den §§ 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. 2 III BauGB der dienenden Funktion von Verfahrensvorschriften. 56 Das neue Verfahren zur Ermittlung der Belange stellt somit erhöhte Anforderungen an den Ermittlungsprozess, der erstmals verfahrensrechtlich überprüft werden soll. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die materiell-rechtlichen Schritte im Abwägungsvorgang in das Verfahrensrecht überführt werden, was für ein weites materiell-rechtliches Verständnis von Ermitteln spricht. 57 Ein materiell-rechtliches Verständnis von „zutreffend Ermitteln“ erfordert auch einen materiell-rechtlichen Maßstab, anhand dessen überprüft werden kann, ob die Ermittlung der Belange richtig und vollständig erfolgt ist. Der als Verfahrensgrundnorm konzipierte § 2 III BauGB liefert diesen Maßstab nicht. 58 Verfahrensrechtlich unzutreffend ermittelt wurde hingegen dann, wenn Auskünfte nicht eingeholt wurden, sich aufdrängende Ermittlungen unterlassen wurden, Sachverständige nicht befragt wurden. 59 Eine Aussage über die Sachrichtigkeit der Ermittlung des Abwägungsmaterials trifft § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB jedenfalls nicht. 60 Dazu fehlt es beispielweise an einer – wie von der Expertenkommission vorgeschlagenen – an das Verfahren geknüpften Vermutungswirkung hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der ermittelten Belange für die planerische Abwägung. 61 Sinn und Zweck des Verfahrens des Ermittelns ist es daher, der Sachrichtigkeit zu dienen. Auch wenn der Gesetzgeber die materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang in der Verfahrensregelung erfassen wollte, kann das neue Verfahren keine Antwort im Hinblick auf die Richtigkeit der Erfüllung der bisherigen materiell-rechtlichen Anforderungen geben. Den materiellen Charakter des „zutreffend Ermittelns“ – also das richtige Ermitteln der richtigen Be55
Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. I., S. 54 f. 57 Vgl. Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 b. 58 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 59 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 60 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 61 Vgl. zur vorgeschlagenen, aber nicht umgesetzten Vermutungswirkung oben 2. Kapitel § 2 B. III., S. 198 ff. 56
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
lange – als Gegenstand kann der Gesetzgeber nicht wider den materiellen Inhalt einfach verfahrensrechtlich regeln. 62 Die Nichteinhaltung der Verfahrensschritte zur Ermittlung der Belange ist somit nicht zwingend mit der Nichtberücksichtigung eines zu ermittelnden Belangs gleichzusetzen. 63 Kraft weist zutreffend darauf hin, dass eine Gemeinde trotz fehlender förmlicher Beteiligung eines im Plangebiet liegenden Grundstückseigentümers dessen Belange der Sache nach berücksichtigt haben kann. 64 Gleichzeitig kann die ordnungsgemäße Beteiligung des Grundstückeigentümers die angemessene Berücksichtigung in der Abwägung nicht garantieren. 65 Die enge verfahrensrechtliche Auslegung zugrunde gelegt, ist anhand des Verfahrens des Ermittelns der Belange nach § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB zu überprüfen, ob die Ermittlung der Belange ordnungsgemäß (bspw. durch die zuständige Behörde, unter Berücksichtigung der Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung) vorgenommen wurde. Folglich sind die nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB beachtlichen Ermittlungsfehler Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die den Prozess der Ausfindigmachung der Belange regeln. Dieses Verständnis von Ermitteln entspricht damit dem Sinn und Zweck der Regelung, nämlich der materiellen Rechtskonkretisierung zu dienen. II. Mängel beim Bewerten des Abwägungsmaterials Der Begriff des Bewertens gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB ist im Zusammenhang mit dem planerischen Abwägungsgebot bisher, zumindest mit einem feststehenden Inhalt, unbekannt. 66 Wie bei dem Begriff des Ermittelns wird über die Verweisung in § 214 I S. 1 Nr. 1 auf § 2 III BauGB ein zutreffendes Bewerten verlangt. „Zutreffend Bewerten“ im Sinne von § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB kann materiell-rechtlich als sachrichtig oder verfahrensrechtlich als verfahrensrechtlich korrekt ausgelegt werden. 67 Verfahrensrechtlich ausgelegt heißt, dass Bewerten als Bestandteil des Planaufstellungsverfahrens verstanden wird, welches ordnungsgemäß durchgeführt werden muss, so dass richtig bewertet wurde, wenn bspw. das zuständige Organ die Bewertung vorgenommen hat und die Abwägungsbeachtlichkeit der Belange objektiv bestimmt wurde. Materiell-rechtlich ausgelegt heißt Bewerten, dass die Belange richtig gewichtet wurden, das heißt, dass die Bedeutung eines Belangs nicht verkannt wurde. 62 63 64 65 66 67
Vgl. Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 44. Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). So ähnlich Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905). Vgl. Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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1. Wortlautauslegung „bewerten“ Nach dem Wortlaut des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB sind Verfahrens- und Formfehler grundsätzlich beachtlich, wenn die von der Planung berührten Belange in wesentlichen Punkten nicht zutreffend bewertet worden sind. Der Begriff des Bewertens ist dem bisherigen Bauplanungsrecht fremd. 68 Sprachlich beschreibt Bewerten einen Vorgang der Beimessung, Bestimmung und Einschätzung eines gewissen Wertes einer Sache oder einer Leistung. 69 Bewerten kann demnach insoweit auch als Gewichtung verstanden werden. 70 Fehler bei der objektiven Gewichtung der einzelnen Belange, so wie sie das BVerwG vorsieht, könnten demnach ebenfalls vom Verfahren des Bewertens i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst werden. 71 Damit könnten dem Wortlaut nach unter § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auch die Abwägungsfehlgewichtungsfehler fallen, die bisher an den Abwägungsvorgang materiell-rechtliche Anforderungen gestellt haben. Wird, wie es der Wortlaut zulässt, Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB als Gewichten verstanden, könnte unter Bewerten außerdem verstanden werden, was bisher unter dem Begriff Abwägungsdisproportionalität verstanden wurde, da die Gewichtung und die Ausgleichsentscheidung nahe beieinander liegen. 72 Eine Abwägungsdisproportionalität liegt vor, wenn der Ausgleich zwischen den Belangen derart vorgenommen wird, dass der vorgenommene Ausgleich zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange außer Verhältnis steht. 73 Damit würden ebenfalls Fehler beim Ausgleich der Belange von dem neuen Verfahren erfasst und geregelt werden. Für diejenigen, die nicht zwischen der objektiven Gewichtung und der Ausgleichsentscheidung unterscheiden, würde das neue Verfahren, wenn Bewerten als Gewichten verstanden wird, sowohl die Fehler der Abwägungsfehleinschätzung als auch der Abwägungsdisproportionalität regeln. 74 2. Historische Auslegung „bewerten“ Der Gesetzgeber definiert in der Gesetzesbegründung Bewertungsmängel, wie schon die Ermittlungsmängel, als Verfahrensfehler, 75 die vorliegen sollen, „wenn 68
Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 3. Aufl., § 5 Rn. 2. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 8. Aufl., S. 268. 70 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 71 Vgl. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85). 72 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84); Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 214 Rn. 72. 73 Vgl. nur BVerwGE 34, 301 (308 ff.); BVerwGE 45, 309 (314 ff.); vgl. oben 1. Kapitel § 5 B. III. 3., S. 127 f. 74 Vgl. hierzu die Ausführungen im 1. Kapitel § 5 C. II. 1., S. 131 f. 69
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
die von der Planung berührten Belange überhaupt nicht ermittelt und bewertet worden sind, die nach Lage der Dinge hätten ermittelt und bewertet werden müssen, oder wenn die Bedeutung der ermittelten Belange verkannt worden ist.“ 76 Für ein weites Verständnis des Verfahrens des Bewertens i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB, die materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs mit einschließend, spricht, dass der Gesetzgeber auch die typischerweise als rein materiell-rechtliche Kategorie verstandene Verkennung der Belange als Mangel des Verfahrens des Bewertens versteht. 77 Die Verkennung der Bedeutung der Belange ist bisher als ein materiell-rechtlicher Gewichtungsfehler, als Abwägungsfehleinschätzung, qualifiziert worden. Das BVerwG nimmt nach der bisherigen Abwägungsdogmatik eine Verkennung der Bedeutung der Belange nur an, sofern die von der Behörde vorgenommene Gewichtung des Belangs im Vergleich zu der vom Gericht vorgenommenen Gewichtung schlechthin unverhältnismäßig ist. 78 Erst dann liegt die Verkennung der Bedeutung eines Belangs vor. 79 Da der Gesetzgeber die Verkennung der Bedeutung der Belange als Verfahrensfehler beim Bewerten versteht, spricht die Gesetzesgenese für ein weites, auch materiell-rechtliches, Verständnis von Bewerten, nämlich im Sinne von Gewichten. 80 Auch die Bezugnahme auf die ursprüngliche Formulierung des BVerwG in der Gesetzesbegründung spricht für ein weites und nicht nur für ein rein verfahrensrechtliches Verständnis von Bewerten. 81 Der Gesetzgeber nennt in seiner Definition der Bewertungsfehler, wie gerade dargestellt, die Abwägungsfehleinschätzung nach der bisherigen Abwägungsdogmatik des BVerwG. Fehler beim Ausgleich der Belange werden ausdrücklich nicht angesprochen. Daraus kann man schließen, dass der Gesetzgeber Bewerten zwar weit versteht, aber nicht so weit, dass auch Fehler beim Ausgleich der Belange davon erfasst werden. Hierfür spricht m. E. auch, dass der Gesetzgeber ursprünglich die Abwägungsfehler einmal dem neuen Verfahren und einmal dem Abwägungsergebnis zuordnen wollte. Die Abwägungsdisproportionalität sollte dementsprechend dem Abwägungsergebnis und nicht dem Abwägungsverfahren zugeordnet werden. 82 Es ist daher nicht davon auszugehen, dass eine Abwägungsdisproportionalität auch bei einem weiten Verständnis des neuen Bewertens erfasst wird. 83 75 76
S. 63. 77
S. 63. 78 79 80 81 82
Vgl. oben § 1 A. I. 2., S. 212 f. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, BVerwGE 45, 309 (324). Vgl. oben 1. Kapitel § 5 B. III. 3., S. 127 f. So auch Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). Vgl. m.w. N.. oben 2. Kapitel § 2 B., S. 192 ff.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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3. Systematische Auslegung „bewerten“ Das Bewerten steht in dem zuvor beschriebenen systematischen Zusammenhang mit § 2 III BauGB und § 1 VII BauGB und muss aus diesem heraus bestimmt werden. 84 Das Verfahren des Bewertens ist systematisch gesehen eng mit dem neuen Verfahren des Ermittelns verknüpft. 85 Beide werden von der Gesetzessystematik dem Verfahren gegenüber den materiellen Anforderungen aus § 1 VII BauGB zugeordnet. Insofern gilt für die systematische Stellung des Bewertens das Gleiche wie beim bereits oben dargestellten Ermitteln. 86 Würde das Bewerten materiell-rechtlich ausgelegt, das heißt i. S.v. Gewichten nach der bisherigen Abwägungsdogmatik, würde § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB aus § 2 III BauGB eine materiell-rechtliche Norm machen, da sie dann ein materiell zutreffendes Bewerten vorschreibt. 87 Der verfahrensrechtliche Anwendungsbereich des Bewertens ist aber aufgrund der systematischen Stellung des § 2 III BauGB verfahrensrechtlich eng i. S.v. verfahrensrechtlich korrekt auszulegen, so dass ein selbständiger Regelungsbereich des § 1 VII BauGB bestehen bleibt. 88 Des Weiteren besteht kein Bedarf, das Bewerten i. S. d. § 214 I S. 1 Nr. 1, § 2 III BauGB als weit zu verstehen, da die materiell-rechtlichen Bewertungsfehler, verstanden als Gewichtungsfehler, entsprechend der herkömmlichen Abwägungsdogmatik vom speziellen Regelungsbereich des § 214 III S. 2 BauGB für die materiellrechtlichen Verstöße gegen das Abwägungsgebot nach § 1 VII BauGB erfasst werden. 89 Die Regelung in § 214 III S. 2 BauGB ist somit Ausdruck der systematischen Aufspaltung des Abwägungsvorgangs in eine verfahrensrechtliche und eine materiell-rechtliche Seite. Das „zutreffend Bewerten“ in den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB ist insofern rein verfahrensrechtlich als verfahrensrechtlich korrekte objektive Bestimmung der Abwägungsbeachtlichkeit eines Belangs zu verstehen. 90 Nur so verstanden fügt sich § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB widerspruchslos in die nach dem EAG Bau bestehende Gesetzessystematik ein. 91 Die Fehler Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität werden damit erst recht nicht von Bewerten i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB erfasst. 92 83
Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). Siehe die Ausführungen zu Ermitteln oben § 1 A. I. 3., S. 214 f. 85 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 86 Siehe die Ausführungen zu Ermitteln oben § 1 A. I. 3., S. 214 f. 87 Vgl. Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 88 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307); so i. E. auch Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905). 89 Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 36. 90 Vgl. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 36; ähnlich auch Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 91 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 92 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 84
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Das Bewerten wird in § 2 IV BauGB für die Umweltbelange im Rahmen der Umweltprüfung ebenfalls ausdrücklich benannt und konkretisiert. Wie bereits oben dargestellt, hat mit dem EAG Bau das Planaufstellungsverfahren als Trägerverfahren die Umweltprüfung inkorporiert. Aus der Systematik des § 2 IV zu § 2 III geht jedoch hervor, dass zwischen der Bewertung der Umweltbelange und der planerischen Abwägung der Umweltbelange mit anderen Belangen zu unterscheiden ist. 93 Eine an § 2 IV BauGB orientierte Auslegung scheidet aber aus, da § 2 IV BauGB das Verfahren des Ermittelns und Bewertens nur für die Umweltbelange in Form der Umweltprüfung konkretisiert und nicht für das gesamte Planaufstellungsverfahren. 94 4. Teleologische Auslegung „bewerten“ Das vom Gesetzgeber gestärkte Planaufstellungsverfahren soll, entsprechend der Funktion der Verfahrensvorschriften, der materiellen Richtigkeit dienen. Neben der vollständigen Ermittlung der Belange soll in dem neuen Verfahren die Abwägungsbeachtlichkeit der Belange bestimmt werden. Eine vollständige Entscheidungsgrundlage soll die Richtigkeit der planerischen Entscheidung sichern. Ein materiell-rechtliches Verständnis von Bewerten i. S.v. Gewichten würde das Verfahren des Bewertens mit genuin materiell-rechtlichen Elementen aufladen, so dass das Verfahren nicht nur der Sachrichtigkeit dienen kann, sondern die Sachrichtigkeit selbst zum Gegenstand hat. 95 Um die Sachrichtigkeit zu gewährleisten und überprüfen zu können, bedarf es allerdings eines anwendbaren Maßstabs. Der als Verfahrensgrundnorm konzipierte § 2 III BauGB liefert diesen Maßstab nicht. 96 Insoweit liefert § 2 III BauGB nur einen Handlungs- und Kontrollmaßstab mit entsprechender Aussagekraft. Als Verfahrensnorm trifft die Einhaltung der darin aufgestellten Anforderungen nur eine Aussage über die Korrektheit des Verfahrens, nicht aber über die materielle Richtigkeit. Entsprechend dem oben beschriebenen Verständnis des Verfahrensrechts in Deutschland dient dieses der Herbeiführung einer sachrichtigen Entscheidung. 97 Der Sinn und der Zweck des Bewertens i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB besteht entgegen den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzgebers nicht darin, die Richtigkeit der bisherigen materiell-rechtlichen Anforderungen durch das neue Bewerten, verstanden als eine zutreffende objektive Gewichtung der Belange, zu gewähr93 W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 2 Rn. 63; Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 94 Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129; vgl. zudem oben § 1 A. I. 3., S. 214 f.; a. A. W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 2 Rn. 63; Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168 f.). 95 Vgl. Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). 96 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 97 Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. I., S. 54 ff.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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leisten. Die Regelung liefert, entsprechend ihrem Sinn und Zweck, Handlungsund Kontrollmaßstäbe zur richtigen Durchführung des Bewertungsverfahrens. Die Bewertung ist demnach richtig, wenn das zuständige Organ die Bewertung vorgenommen hat und die Abwägungsbeachtlichkeit der Belange objektiv bestimmt wurde. Unter zutreffender Bewertung ist nach der engen verfahrensrechtlichen Auslegung der Vorgang bei der Ermittlung der Belange zu verstehen, der die Belange als abwägungsrelevant bestimmt. 98 „Zutreffend Bewerten“, verfahrensrechtlich eng verstanden, ist damit auch mit dem Wortlaut der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB vereinbar. 99 III. Die übrigen Mängel im Abwägungsvorgang In § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB ist die Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang geregelt: „(...) im Übrigen sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind“. Mit der Formulierung „im Übrigen“ wird der Anwendungsbereich von der Regelung der Beachtlichkeit von materiell-rechtlichen Mängeln im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB von den Fehlern des Ermittelns und Bewertens, deren Beachtlichkeit von § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB geregelt wird, abgegrenzt. 100 Aus der Gesetzesgenese geht hervor, dass die Beachtlichkeitsregelung für Fehler im Abwägungsvorgang als eine Art Reserveregelung für die Fälle eingeführt wurde, dass nicht alle materiell-rechtlichen Anforderungen von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst werden. 101 Aus der Reservefunktion kann jedoch nicht geschlossen werden, dass von § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB nur Ausnahmefälle erfasst werden. 102 Vielmehr war sich der Gesetzgeber über die Reichweite der Neuregelung in § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB nicht sicher. Damit hat er allerdings anerkannt, dass neben dem neuen Verfahren bisheriger materiell-rechtliche Anforderungen an den Abwägungsvorgang fortbestehen. „Im Übrigen“ führt daher nicht zu einer eingeschränkten Anwendung für Ausnahmefälle, sondern ist als Abgrenzung zu den Verstößen gegen § 2 III BauGB zu sehen. 103 98
Vgl. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 2 Rn. 17; ähnlich auch: Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 2 Rn. 147; W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 2 Rn. 62 f.; a. A. für eine weite Auslegung, die den Abwägungsvorgang sowohl verfahrensrechtlich als auch materiell-rechtlich erfasst: Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 99 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 100 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 137. 101 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250 (Anlage 3), S. 95 f. 102 So aber: Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167). 103 Vgl. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, 6. Aufl., § 214 Rn. 36; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 137.
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
IV. Konsequenzen der Auslegung Nach der Gesetzesbegründung soll das neue Verfahren die bisherigen Anforderungen an den Abwägungsvorgang erfassen. Gleichzeitig sollen in der Neuregelung, zumindest nach der Gesetzesbegründung, bestimmte Fehlerarten dem Verfahren bzw. Vorgang oder dem Abwägungsergebnis zugeordnet sein. Folglich müssten die Abwägungsfehler Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit und Abwägungsfehleinschätzung als neue Verfahrensfehler erfasst sein. Bei einem verfahrensrechtlichen Verständnis von „zutreffend Ermitteln“ kann so die bisherige Fehlerkategorie des Abwägungsausfalls von der Nichtdurchführung einer Ermittlung der Belange erfasst werden. Ob Fehler beim Ermitteln der Belange alle Fehler erfasst, die bisher unter Abwägungsdefizit zusammengefasst wurden, ist in einem nächsten Schritt zu fragen. Das sogenannte Abwägungsdefizit liegt vor, wenn in die Abwägung nicht alle Belange eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen. 104 Voraussetzung für die Einstellung der Belange ist deren Ermittlung. Fehler bei der Ermittlung der Belange sind nach dem EAG Bau Verfahrensfehler und stellen einen einzelnen Verfahrensschritt dar. In der Gesetzesbegründung definiert der Gesetzgeber die neuen Verfahrensfehler in derselben Weise, wie das BVerwG in seiner Grundsatzentscheidung das Abwägungsdefizit definiert hat. 105 Der Gesetzgeber greift bei der Definition von Verfahrensfehlern in der Gesetzesbegründung auf eine ähnliche Formulierung zurück. 106 Nach bisheriger Ansicht des BVerwG sind nach Lage der Dinge sämtliche Belange, die in dem konkreten Fall erheblich und schutzwürdig und für die planende Behörde erkennbar betroffen sind, in die Abwägung einzustellen. 107 Dieser Vorgang lässt sich nicht mehr allein dadurch bewältigen, dass das Verfahren der Ermittlung ordnungsgemäß durchgeführt wird; vielmehr geht es dabei darum, die Belange vollständig und richtig zu ermitteln. 108 Die Anlehnung an die Formulierung des BVerwG bei der Definition der Verfahrensfehler spricht für die enge verfahrensrechtliche Auslegung und dafür, dass vom Verfahren des Ermittelns nicht alle bisherigen Abwägungsdefizitfehler erfasst werden. Die enge verfahrensrechtliche Auslegung des Ermittelns macht es erforderlich, dass neben dem Verfahren weiterhin die Sachrichtigkeit des Ermittelns zu überprüfen ist. 109 Der materiell-rechtliche Bestandteil des Ab104
BVerwGE 34, 301 (309), BVerwGE 45, 309 (314 ff.); siehe oben 1. Kapitel § 5 B. II., S. 124 f. 105 Siehe BVerwGE 34, 301 (309). 106 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 107 BVerwGE 100, 238 (244); BVerwG, DVBl. 1999, 100 (101 f.); BVerwGE 87, 332 (341). 108 Vgl. Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807). 109 Kraft, UPR 2004, S. 331 (334).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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wägungsvorgangs bleibt somit entsprechend der bisherigen Abwägungsdogmatik fortbestehen. Denkbar wäre es, die bisherigen materiellen Abwägungsdefizitmängel, die eine fehlerhafte Ermittlung der Belange darstellen, von dem neuen Verfahren des Ermittelns vollumfänglich zu erfassen, indem an das Verfahren zur Ermittlung die widerlegliche Vermutung der Vollständigkeit und Sachgerechtigkeit der ermittelten betroffenen Belange geknüpft wird. 110 Damit könnte auch das Verfahren über die materiell-rechtliche Seite des Abwägungsvorgangs eine Aussage treffen. Ohne eine solche Vermutungsregelung ist von der Aufspaltung des Abwägungsvorgangs in eine verfahrensrechtliche und eine materiell-rechtliche Seite auszugehen. Die enge verfahrensrechtliche Auslegung ermöglicht insofern eine Abgrenzung zwischen den verfahrensrechtlichen Ermittlungsfehlern und den materiell-rechtlichen Fehlern bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. Verstöße gegen das Ermitteln gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB können nach der engen verfahrensrechtlichen Auslegung nur Verstöße gegen das Verfahren des Ermittelns sein. Verfahrensrechtlich unzutreffend ermittelt wurde dementsprechend dann, wenn Auskünfte nicht eingeholt, sich aufdrängende Ermittlungen unterlassen und Sachverständige nicht befragt wurden. 111 Unzutreffend Bewerten verfahrensrechtlich eng ausgelegt umfasst damit Fehler beim Verfahren der Bewertung. Verfahrensfehler bei der Bewertung der Belange können beispielsweise die Vornahme einer Bewertung durch das falsche Organ sein oder dass erst gar keine Bewertung der Belange vorgenommen wurde. 112 Unter Bewertung ist dann die Feststellung der objektiven und abstrakten Abwägungsbeachtlichkeit eines Belangs ohne die Feststellung, dass der Belang nach Lage der Dinge in die Abwägung einzustellen ist, zu verstehen. 113 Konsequenz der engen verfahrensrechtlichen Auslegung ist eine neue Kategorie bei der Abwägung, nämlich die des Abwägungsverfahrens. 114 Dieses Verfahren erfolgt vor der eigentlichen Abwägung. In einem ersten Schritt werden die Belange zusammengestellt und die objektive Abwägungsbeachtlichkeit festgestellt. In diesem Schritt findet noch keine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Abwägungsrelevanz des Belangs für die konkrete planerische Abwägung statt. Erst in einem zweiten Schritt folgen die planerische Abwägung und die Bestimmung der konkreten Abwägungsrelevanz der Belange. Die bisherigen 110
Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). 112 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 113 Ähnlich Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 114 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (578); so im Ergebnis auch Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 144; für Umweltbelange im Ergebnis auch Hoppe, NVwZ 2004, S. 903. 111
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Fehlerkategorien Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit setzen im Anschluss an das Verfahren bei der Frage an, ob die Belange nach Lage der Dinge in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen. In der Praxis sollten die Abwägungsdefizitfehler daraufhin an Bedeutung abnehmen, denn das zuständige Organ kann bei der Einstellung der Belange auf ein durch das Verfahren sehr weites und aufwendig zusammengestelltes Abwägungsmaterial zurückgreifen. 115 Konsequenz der engen verfahrensrechtlichen Auslegung ist aber auch, dass die angestrebte klare Zuordnung der Abwägungsfehler entweder zum Verfahren oder zum Ergebnis nicht Gesetzesform geworden ist. Die Kategorie des Abwägungsvorgangs besteht weiterhin, so dass entsprechend der herkömmlichen Dogmatik die doppelte Überprüfung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis neben der Überprüfung des Abwägungsverfahrens fortbesteht. Immerhin lässt sich eine neue Strukturierung des Abwägungsvorgangs in einen Verfahrens- und in einen inhaltlichen Teil feststellen. Wird die enge verfahrensrechtliche Auslegung der Begriffe „zutreffend Ermitteln und Bewerten“ i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB zugrunde gelegt, hat der in den Gesetzesmaterialien angekündigte Systemwechsel nicht vollständig stattgefunden. 116 Das bisherige System der Abwägungskontrolle ist lediglich modifiziert worden.
B. Zulässigkeit eines Systemwechsels der Kontrolle der planerischen Abwägung Der vom Gesetzgeber ursprünglich angestrebte Systemwechsel hat den Wechsel von einer Kontrolle der Sachrichtigkeit planerischer Abwägungsentscheidungen hin zur Verfahrenskontrolle zum Gegenstand. I. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Änderung der bestehenden Abwägungsdogmatik Es ist heute allgemein anerkannt, dass das planerische Abwägungsgebot ein Bestandteil des aus dem Rechtsstaatsprinzips abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist. 117 Es ist damit selbst unmittelbar geltendes Verfassungsrecht und bedarf keiner Kodifizierung mehr. 118 Würde sich dabei der Verfassungsrang 115
Vgl. im Ergebnis übereinstimmend Bernhardt, JA 2008, S. 166 (170). Vgl. Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 144. 117 Siehe nur mit ausführlichen Rspr.- und Literaturnachweisen Durner, Konflikte, S. 301, Fn. 162; BVerfG, NVwZ 2008, 775 (776). 118 BVerwGE 41, 67 (69); BVerwGE 61, 295 (301); BVerwGE 64, 270 (272 f.); BVerwG, DVBl. 1997, S. 828 (830 f.). 116
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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des Abwägungsgebots auf die Untergliederung dieses Gebots in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis i. S. d. bisherigen Verwaltungsrechtsprechung erstrecken, wäre zweifelhaft, ob die Umadressierung zum Verfahrensrecht durch das EAG Bau verfassungsrechtlich zulässig ist. Folglich kommt es darauf an, welche Bestandteile des Abwägungsgebots Verfassungsrang haben und deshalb dem einfachen Gesetzgeber Grenzen setzen können. In der Flachglas-Entscheidung 119 hat das BVerwG deutlich gemacht, dass sich die Anforderungen des Abwägungsgebots nicht nur auf das Abwägungsergebnis, sondern auch auf den Abwägungsvorgang beziehen. 120 Im Gegensatz zur direkten Herleitung aus dem Rechtsstaatsgebot hat das BVerfG die Abwägungsanforderungen aus der verfassungskonformen Auslegung von § 1 VII BauGB gewonnen. 121 Das BVerfG hat § 1 VII BauGB insbesondere dahingehend verfassungskonform ausgelegt, dass bei der Aufstellung der Bebauungspläne als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, die Interessen des Eigentümers mit den Allgemeinwohlbelangen in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Neben Art. 14 I GG muss das Abwägungsgebot aus § 1 VII BauGB dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG genügen. Das BVerfG folgert als Anforderungen des so hergeleiteten Abwägungsgebots, dass (1) der erhebliche Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wird, dass (2) anhand des Sachverhalts alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zugrunde gelegt werden und dass (3) diese Belange und Interessen umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen worden sind. 122 Aus dieser weniger differenzierten Definition des BVerfG der Anforderungen des Abwägungsgebots wird in der Literatur geschlossen, dass die von BVerwG und Schrifttum vorgenommene Differenzierung der Anforderungen des Abwägungsgebots nicht verfassungsrechtlich gefordert wird. 123 Insbesondere die Differenzierung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis könnte nicht von verfassungsrechtlichen Anforderungen umfasst sein. 124 Im Vergleich zu den allgemein an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestellten Anforderungen sind die Anforderungen an das bauplanerische Abwägungsgebot ausdifferenzierter. Es stellt sich folglich die Frage, ob die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Anforderungen an das bauplanerische Abwägungsgebot über eine Verhält119
BVerwGE 45, 309. BVerwGE 45, 309 (315): „Dabei gibt der vorliegende Fall Anlass, klarstellend hinzuzufügen, dass sich die damit umrissenen Forderungen sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis richten.“ Siehe außerdem BVerwGE 64, 33 (35). 121 BVerfG, NVwZ 2003, 727 (727 f.); vgl. zudem Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167). 122 BVerfG, NVwZ 2003, 727 (727 f.); ähnlich auch BVerfGE 95, 1 (22 f.). 123 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (582 f.). 124 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (582 f.). 120
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
nismäßigkeitsprüfung hinausgehen und so gewisse Anforderungen nicht mehr verfassungsrechtlich geboten sind. Konkret ist zu fragen, inwieweit eine Übereinstimmung zwischen rechtsstaatlichem Abwägungsgebot und bauplanerischem Abwägungsgebot besteht. Relevante Unterschiede ergeben sich zwischen verwaltungs- und verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Abwägung. Dort, wo die Abwägung einfachgesetzliche Belange zu berücksichtigen hat, die nicht lediglich Ausfluss der zu prüfenden Verfassungsnormen sind, bestehen Kontrollunterschiede, denn die Verfassungsgerichte haben nur zu überprüfen, ob sich die Abwägung in den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen hält. 125 Das rechtsstaatliche Abwägungsgebot verpflichtet nur zur Berücksichtigung solcher Belange, die durch die Verfassung selbst geschützt sind. Einfachgesetzlich geschützte Belange sind grundsätzlich nach den Anforderungen des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots nicht zu berücksichtigen. 126 Insoweit bildet das rechtsstaatliche Abwägungsgebot einen Kernbereich auch einfachgesetzlicher Abwägungsprogramme, welcher die verfassungsrechtlich geschützten Belange umfasst. 127 Für das bauplanerische Abwägungsgebot geht demzufolge auch das BVerwG ausdrücklich davon aus, dass die Anforderungen des bauplanerischen Abwägungsgebots über die Anforderungen des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots hinausgehen können. 128 Gerade im Bauplanungsrecht besteht aufgrund der hohen Grundrechtsrelevanz (insbesondere Art. 14 GG) bei Bebauungsplänen eine große Deckungsgleichheit von einfachgesetzlich und verfassungsrechtlich geschützten Belangen, so dass die Abweichungen nicht allzu groß sind. 129 Die Anforderungen des Abwägungsgebots sind nur insoweit verfassungsrechtlich geboten, als dass sie nicht über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausgehen. Das BVerfG hat insoweit die Anforderungen des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots in seiner Rechtsprechung konkretisiert. Diese Anforderungen beziehen sich auf alle drei Phasen der planerischen Abwägung. Alle Anforderungen, die über die des BVerfG hinausgehen, sind demnach nicht mehr von verfassungsrechtlichem Kern. Indem nun die „strukturelle Verwandtschaft“ 130 des Abwägungsgebots mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dafür angeführt wird, eine Beschränkung der Anforderungen des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots auf das Abwägungsergebnis zu begründen, vermag dies nicht zu überzeugen. 131 Danach entspreche 125
Bertrams, in: Planung – FS Hoppe, S. 987. So Durner, Konflikte, S. 330 mit Verweis auf Bertrams, in: Planung – FS Hoppe, S. 993. 127 Durner, Konflikte, S. 330. 128 BVerwG, DVBl. 2000, 1858 (1859 f.). 129 Vgl. BVerwG, DVBl. 2000, 1858 (1859 f.). 130 Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (582). 126
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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die Prüfung der Verhältnismäßigkeit allein der Überprüfung der Abwägungsdisproportionalität des Abwägungsergebnisses. Materiell-rechtliche Anforderungen an den Entscheidungsvorgang würden nicht von der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfasst werden. 132 Gegen die Beschränkung spricht, dass auch der Vorgang des vollständigen und zutreffenden Ermittelns des Sachverhalts sowie des umfassenden und nachvollziehbaren Abwägens vom BVerfG ausdrücklich dem verfassungsrechtlichen Kern zugeordnet wird. 133 Die Überprüfung des Abwägungsvorgangs dient im Ergebnis der Ergebnisprüfung. 134 Die Überprüfung des Abwägungsvorgangs erlangt nur eine eigenständige Bedeutung, da die planerische Entscheidung an sich aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit nicht vollständig überprüfbar ist. 135 Das Abwägungsergebnis kann daher nur daraufhin überprüft werden, ob beim Ausgleich der abwägungsbeachtlichen Belange die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten wurden. Gerade für das Abwägungsgebot als Ausfluss des Rechtsstaatsgebots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt es aber auf die Fehlerfreiheit der Abwägungsentscheidung an. Eine Planungsentscheidung soll nicht nur fehlerfrei sein, sondern soll auch alle betroffenen Interessen berücksichtigen. 136 Dabei vermag es bereits der materiell-rechtliche Entscheidungsvorgang, interessenausgleichend und die Fehlerfreiheit fördernd auf die abschließende Planungsentscheidung einzuwirken. Die Unterscheidung von Vorgang und Ergebnis bei der gerichtlichen Kontrolle ist damit ebenfalls Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, denn sie dient der Fehlerfreiheit von planerischen Entscheidungen. 137 Die gesonderte Überprüfung des Vorgangs stellt demnach keine über die Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausgehende Anforderung an das Abwägungsgebot dar, sondern soll die getroffene Entscheidung nachvollziehbar und besser kontrollierbar machen und dient damit der Rechtssicherheit. Die Rechtssicherheit ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, so dass die Unterscheidung des Abwägungsgebots in Vorgang und Ergebnis als verfassungsrechtlich geboten erscheint. 138 Der Rechtssicherheit kann aber auch dadurch gedient sein, wenn durch die neue Differenzierung zwischen einem Verfahren der Abwägung und inhaltlicher Richtigkeit der Abwägung erreicht wird, dass ein nachvollziehbarer und voraussehbarer Planungsprozess zu bestandskräftigeren Bebauungsplänen führt. Für die 131 132 133 134 135 136 137 138
Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (583). Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (583). BVerfG, NVwZ 2003, 727 (728). Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. III., S. 57 f.; § 5 D., S. 134 f. Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B. III., S. 57 f.; § 5 D., S. 134 f. Schulze-Fielitz, in: FS Hoppe, S. 1007. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 272. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 272.
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Herabstufung des Abwägungsvorgangs zum Verfahrensrecht und der gleichzeitigen Unterwerfung unter die Planerhaltungsregelungen für Verfahrensvorschriften fehlt dem einfachen Gesetzgeber wegen der bisher verfassungsrechtlich gebotenen Überprüfung des Abwägungsvorgangs die Dispositionsbefugnis. 139 Eine eindeutige Zuordnung der Anforderungen des Abwägungsvorgangs als Verfahrensanforderungen ist der Rechtsprechung des BVerfG nicht zu entnehmen, 140 ein Verbot einer solchen Zuordnung allerdings auch nicht. Kritisch wird es insbesondere, wenn mit einer solchen Zuordnung versucht wird, die Gerichtskontrolle zum Schutz des Bestands der Pläne zu ändern. 141 II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Wechsels der Gerichtskontrolle hin zur Verfahrenskontrolle Der Systemwechsel hätte die Verschiebung von der Kontrolle der Sachrichtigkeit zur Kontrolle der Verfahrensrichtigkeit zur Folge. Die Kontrolle der Sachrichtigkeit wäre demzufolge im Vergleich reduziert. 142 Die inhaltliche Kontrolle wäre bei dem angestrebten Systemwechsel allein auf die Kontrolle des Abwägungsergebnisses reduziert. Der wahre Kern der Frage nach der Zulässigkeit einer reduzierten Kontrolle der Inhaltsrichtigkeit bei verstärkter Kontrolle der Verfahrensrichtigkeit ist die Frage der Kontrolle von planerischen Entscheidungen der Verwaltung mit Letztentscheidungskompetenz im Gefüge der Gewalten. 143 Wie weit reicht die gerichtliche Überprüfungskompetenz, wie weit darf sie reichen und wie weit muss sie reichen? Die planerische Gestaltungsfreiheit hat sich nach der bisherigen Abwägungsdogmatik des BVerwG beim Ausgleich der Belange verwirklicht. Der Abwägungsvorgang ist dementsprechend auf die Abwägungsfehler Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität inhaltlich überprüfbar. 144 Der vorgeschlagene Systemwechsel hätte zur Folge, 139 Im Ergebnis auch Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1545); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807); Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (17). 140 So aber Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (583); während Wickel / Bieback in dem Verweis auf die Anhörung in BVerfGE 95, 1 (22 f.) eine Zuordnung der Ermittlungspflicht als Verfahrensanforderung sehen, findet sich díeser Verweis in den folgenden BVerfG-Beschlüssen nicht wieder, vgl. BVerfG, NVwZ 2003, 727 (728); BVerfG, NVwZ 2008, 775 (776). 141 Siehe hierzu den folgenden Abschnitt. 142 Vgl. Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (808). 143 Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2005, S. 751 (762); Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 175. 144 Siehe oben 1. Kapitel., § 5, S. 119 ff.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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dass die planerische Abwägungsentscheidung nicht mehr auf die Abwägungsfehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und nicht mehr bei der Gewichtung der einzelnen Belange inhaltlich überprüft werden könnten, da eine Überprüfung dieser Anforderungen des Abwägungsgebots nur noch auf die Verfahrensrichtigkeit möglich wäre. 145 Bisher hat die inhaltliche Kontrolle der bisherigen Anforderungen an den Abwägungsvorgang die eingeschränkte Kontrolldichte bei der Kontrolle der Ausgleichsentscheidung der Belange kompensiert. Aus diesem Grund hat der Vorgang eine eigenständige Bedeutung neben dem Planergebnis erhalten. 146 Im Gegensatz dazu soll beim vorgeschlagenen Systemwechsel die materielle Kontrolldichte noch mehr reduziert werden. 147 Diese reduzierte materielle Kontrolle sollte dann mit den gestärkten Verfahrensregeln und im Entwurf der Expertenkommission mit der daran geknüpften Vermutungsregel kompensiert werden. Wie bereits oben dargelegt, verlangt die Rechtsschutzgewährleistung aus Art. 19 IV GG eine grundsätzliche vollumfängliche gerichtliche Kontrolle der öffentlichen Gewalt. 148 Die Einschränkung der bisherigen inhaltlichen Kontrolle des Abwägungsvorgangs ist daher an Art. 19 IV GG zu messen und bedarf deshalb im Falle eines Eingriffs einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. 149 Voraussetzung einer Einschränkung des von Art. 19 IV GG bisher gewährleisteten Rechtsschutzes ist zunächst die gesetzgeberische Entscheidung für die Einschränkung der Kontrolldichte. Voraussetzung für einen solchen Eingriff ist wiederum eine hinreichend deutliche Regelung, die den intendierten Eingriff des Gesetzgebers zu belegen vermag. 150 Eine hinreichend eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers, die den gewollten Eingriff in Art. 19 IV GG belegt, ist dem EAG Bau nicht zu entnehmen. 151 Fraglich ist, ob ein Systemwechsel zur Kontrolle des Verfahrensrechts überhaupt zulässig ist, wenn es die Möglichkeit einer teilweisen inhaltlichen Kontrolle des Abwägungsvorgangs gibt. Nach dem bisherigen deutschen Verständnis verlangt Art. 19 IV GG eine grundsätzliche vollständige Rechtsanwendungskontrolle von Verwaltungshandeln. Eine reduzierte Kontrolldichte ist bei planerischen Abwägungsentscheidungen aufgrund der Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung zulässig, soll aber nur eine Ausnahmeregelung sein. 152 Folglich 145
Siehe oben 2. Kapitel., § 2 B., S. 192 ff. Siehe oben 1. Kapitel § 2 B. III. 2., S. 58 f.; § 5 D., S. 134 f. 147 Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21. 148 Vgl. oben 1. Kapitel § 3 E., S. 86 f., mit Verweis u. a. auf Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 255. 149 Vgl. zur Einschränkung gerichtlicher Kontrolle Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 175. 150 Kraft, UPR 2004, S. 331 (334) mit Verweis auf Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 92. 151 Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). 146
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
muss bei einem Wechsel der Kontrolle bauplanerischer Abwägungsentscheidungen von der materiell-rechtlichen Kontrolle zur verfahrensrechtlichen Kontrolle die fehlende inhaltliche Kontrolle kompensiert werden können. Nach Ansichten in der Literatur ist dies nur möglich, wenn die geringere Kontrolldichte durch strikte Verfahrensregeln „erkauft“ wird. 153 Entgegen dem bisherigen deutschen Verständnis von der dienenden Funktion des Verfahrensrechts 154 müsste dieses dazu erst einmal aufgewertet werden. Solange aber noch eine inhaltliche Kontrolle des Verfahrensergebnisses in Form der inhaltlichen Abwägungsvorgangskontrolle erfolgt, kommt diesem keine eigenständige Bedeutung zu. 155 Der Gesetzgeber kann den Gerichtsschutz grundsätzlich ausgestalten. Die Neuausgestaltung in Form der Verfahrenskontrolle schmälert die bisher bestehende Kontrolldichte bei planerischen Abwägungsentscheidungen und ist deshalb auch bei einem gestärkten Verfahrensrecht ein Eingriff in Art. 19 IV GG. Der Kernbereich ist durch den Systemwechsel aber nicht betroffen. Der Eingriff ist daher grundsätzlich rechtfertigbar. Art. 19 IV GG wird vorbehaltlos gewährt. Eine Rechtfertigung kann sich daher nur aus kollidierendem Verfassungsrecht ergeben. 156 Denkbar wäre, dass der Gesetzgeber die Effektivität des Rechtsschutzes als kollidierendes Verfassungsrecht selbst als Rechtfertigung geltend machen könnte. 157 Dem EAG Bau fehlt bereits eine hinreichend deutliche Regelung, die einen vom Gesetzgeber intendierten Eingriff in Art. 19 IV GG belegen könnte. 158 Erst recht sind keine vom Gesetzgeber geltend gemachten Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Die Einschränkung der Kontrolldichte muss nicht nur mit Art. 19 IV GG, sondern auch mit Art. 14 I GG vereinbar sein. Im Wege der verbindlichen Bauleitplanung werden Inhalt und Schranken des Eigentums i. S.v. Art. 14 I S. 2 GG bestimmt. 159 Das Abwägungsgebot regelt im konkreten Fall den Interes152 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 4. Kap. Rn. 62 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 IV Rn. 183 f.; Franßen, DVBl. 1998, S. 413 (419). 153 Schulze-Fielitz, in: FS Hoppe, S. 1007 m. Verweis auf Würtenberger, VVDStRL 58, 1999, S. 139 (169 f.). Siehe auch bei Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). 154 Vgl. oben 1. Kapitel § 2 B., S. 49 ff.; siehe Sodan, DVBl. 1999, S. 729 (732); Pöcker, DÖV 2003, S. 980 (980); Kahl, VerwArch. (95.) 2004, S. 1 (6 f.). 155 Vgl. Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1275); Franßen, DVBl. 1998, S. 413 (420 f.); vgl. zudem Weyreuther, BauR 1977, S. 293 (298), der eine Rücknahme der Sachkontrolle aufgrund einer verstärkten Verfahrenskontrolle der planerischen Abwägung nicht als rechtfertigbar ansieht. Verfahrenskontrolle eigne sich niemals dazu, eine mögliche Sachkontrolle zu ersetzen. 156 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 313 f., insbes. Rn. 319. 157 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV Rn. 318, insbes. Rn. 320. 158 Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). 159 Kraft, UPR 2004, S. 331 (334).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
235
senausgleich der Grundeigentümer innerhalb und außerhalb des Plangebiets. Die eigentumsregelnde Wirkung von Bebauungsplänen verlangt die umfassende Berücksichtigung der von Art. 14 GG geschützten Belange. Zum Schutz des betroffenen Eigentums ist daher eine möglichst umfassende Kontrolle der Abwägungsentscheidung erforderlich. Insofern stellt Art. 14 I S. 2 GG auch Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des gesamten Entscheidungsprozesses und an dessen gerichtliche Kontrolle. 160 Eine Kompensation einer eingeschränkten Kontrolldichte bei der planerischen Abwägung ist daher zum Schutz der von Art. 14 GG geschützten Belange erforderlich. Die gesonderte Überprüfung des Abwägungsvorgangs hat bereits eine kompensierende Wirkung der durch die planerische Gestaltungsfreiheit eingeschränkten Kontrolldichte und ist im Hinblick auf Art. 14 I GG von besonderem Gewicht. 161 Bei einem Systemwechsel bedarf es daher zur Kompensation der nun noch mehr eingeschränkten materiellrechtlichen Kontrolle erst recht strikter Verfahrensregeln, welche den Schutz des Eigentums ausreichend gewähren. Bereits anerkannt ist die Gewährleistung von Verfahrensgarantien für das Eigentum. 162 Wesentliches Element der Eigentumsgewährleistung bleibt aber das Gebot effektiven Rechtsschutzes mit der Forderung nach einer möglichst vollständigen inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle. 163 Die Reduzierung der gerichtlichen Prüfung nur noch auf eine materiell-rechtliche Abwägungsergebniskontrolle stellt eine Verkürzung eines wesentlichen Elements der Eigentumsgarantie dar, welches verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden muss. Grundsätzlich ist der Wechsel zu einer Verfahrenskontrolle daher mit Art. 14 I GG vereinbar, sofern die Beschränkung der materiell-rechtlichen Kontrolle über strikte Verfahrensregelungen kompensierbar und rechtfertigbar ist. Ohne die Einführung strikter Verfahrensregelungen zur Kompensierung einer Beschränkung materiell-rechtlicher Kontrolle ist eine an die Einhaltung des Verfahrens geknüpfte Vermutungsregelung über die inhaltliche Richtigkeit bei eigentumsbeschränkenden Planentscheidungen – wie ursprünglich im Entwurf der Expertenkommission vorgesehen 164 – nicht mit Art. 14 I GG vereinbar. 165 Würde an die Einhaltung des Verfahrens die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials geknüpft, wäre die materiell-rechtliche Gerichtskontrolle auf die Kontrolle des Abwägungsergebnisses beschränkt. Ein wesentliches Element der Eigentumsgewährleistung wäre damit beschnitten. 166 160
Breuer, NVwZ 1982, S. 273 (279); Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 43 ff. Kraft, UPR 2003, S. 367 (370). 162 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 43 ff. 163 Vgl. Kraft, UPR 2003, S. 367 (370); Kraft, UPR 2004, S. 331 (334 f.); vgl. zudem Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 46. 164 Siehe oben 2. Kapitel § 2 B. I., S. 193 f. 165 So Kraft, UPR 2004, S. 331 (334 f.). 161
236
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
C. Aktueller Meinungsstand Der Meinungsstand zu dem durch die Neuregelungen beabsichtigten Systemwechsel reicht von der Annahme des Vollzugs des Systemwechsels hin zu der Ansicht, dass überhaupt kein Systemwechsel durch die Neuregelungen erfolgt ist. Im Folgenden soll der Meinungsstand dargestellt und bewertet werden. I. Die Ansicht der Rechtsprechung Das BVerwG betrachtet Mängel des Ermittelns und Bewertens i. S.v. § 2 III BauGB im Hinblick auf die Fehlerbeachtlichkeit sowohl als Verfahrensmängel nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB als auch als Mängel des Abwägungsvorgangs gemäß § 214 III S. 2 BauGB. 167 Da die Mängel im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 BauGB dieselbe Rechtsfolge wie die Verfahrensmängel in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auslösen, wird in der Praxis keine klare dogmatische Abgrenzung erfolgen. 168 Diese Annahme wird durch die bisher zu den neuen Planerhaltungsregelungen ergangene Rechtsprechung bestätigt. 169 Das BVerwG hat die Ermittlungs- und Bewertungsfehler gemäß der §§ 2 III, 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB im Rahmen der bisherigen Abwägungsdogmatik konkretisiert. Dabei setze § 2 III BauGB die vom BVerwG entwickelten Voraussetzungen „stillschweigend“ voraus, welche in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB geschrieben für die Planerhaltung nachvollzogen werden würden. 170 Demnach regelt das Ermittlungs- und Bewertungsverfahren i. S.v. § 2 III BauGB die Bestimmung der Abwägungsbeachtlichkeit der Belange. Ein Ermittlungsfehler liegt dementsprechend dann vor, wenn von der Planung berührte Belange nicht ermittelt wurden, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Hinsichtlich des Erfordernisses der Ergebnisrelevanz verweist das BVerwG auf seine bisherige Rechtsprechung. 171 Das BVerwG geht allerdings vom Fortbestehen der Anforderungen an den Abwägungsvorgang aus, nur mit der Annahme, dass die Fehler beim Ermitteln und Bewerten von den anderen Fehlern im Abwägungsvorgang unterschieden werden würden. 172 Dabei stellt das BVerwG ausdrücklich 166
So Kraft, UPR 2004, S. 331 (334 f.). So ausdrücklich BVerwGE 128, S. 238 (245 f.). 168 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 39 b; Lemmel, in: Schlichter, BK zum BauGB, 3. Aufl., § 214 Rn. 23. 169 Vgl. hierzu die Rspr. des VGH Mannheim, der „zur Vermeidung unergiebigen Abgrenzungsaufwands“ keine klare dogmatische Abgrenzung vornimmt: VGH Mannheim, Urt. v. 9. 6. 2009, 3 S 1108/07, Juris, Rn. 39; VGH Mannheim, Urt. v. 9. 2. 2010, 3 S 3064/ 07, Juris, Rn. 86. 170 BVerwG, NVwZ 2008, 899 (901). 171 BVerwG, NVwZ 2008, 899 (901). 167
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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fest, dass durch die Einführung des § 2 III BauGB keine Änderung der inhaltlichen Anforderungen an eine fehlerfreie Abwägung erfolgt sei. 173 Ausgehend von dieser Feststellung stellt sich dennoch die Frage nach der Abgrenzung zwischen dem Verfahren des Ermittelns und Bewertens nach § 2 III BauGB und dem fortbestehenden materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang nach § 1 VII BauGB. Auch wenn § 2 III BauGB der bisherigen sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage entsprechen soll, ist damit die Unterscheidung von Ermitteln und Bewerten und dem Abwägungsvorgang nicht geklärt. Eine Konkretisierung des Begriffs Bewerten nimmt das BVerwG nicht vor. Bei der Bestimmung der Ergebnisrelevanz eines Belangs unter Rückgriff auf die bisherige Rechtsprechung führt das BVerwG aus: „Auch das Gewicht des betroffenen Belangs in der Abwägung kann für die Ergebnisrelevanz von Bedeutung sein (...). Besteht bei einem offensichtlichen Mangel hiernach die konkrete Möglichkeit, dass die Gemeinde, wenn sie die abwägungsbeachtlichen Belange zutreffend ermittelt und bewertet hätte, im Ergebnis anders geplant hätte, ist der Mangel für die Wirksamkeit des Plans beachtlich.“ 174 Diese Aussage lässt darauf schließen, dass unter dem verfahrensrechtlichen Bewerten i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB auch das Gewichten zu verstehen ist. Andererseits geht das BVerwG in den folgenden Sätzen in derselben Entscheidung davon aus, dass Mängel im Abwägungsvorgang neben den Fehlern beim Ermitteln und Bewerten weiterhin fortbestehen: „Vor dessen Inkrafttreten [gemeint ist das EAG Bau] wurden Fehler beim Ermitteln und Bewerten der von der Planung berührten Belange nicht von anderen Mängeln im Abwägungsvorgang unterschieden.“ 175 Aus dem Wortlaut dieser Aussage lässt sich jedoch schließen, dass die Ermittlungsund Bewertungsfehler weiterhin Mängel des Abwägungsvorgangs sind, denn das BVerwG unterscheidet nicht zwischen Ermittlungs- und Bewertungsfehlern und Fehlern im Abwägungsvorgang, sondern zwischen Ermittlungs- und Bewertungsfehlern und den anderen Fehlern im Abwägungsvorgang. Nach dem Wortlaut der Entscheidung des BVerwG entstammen die Fehler einer Ebene. Dieses Verständnis spricht wiederum gegen eine völlige Umwandlung der bisherigen materiellrechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs beim Zusammenstellen des Abwägungsmaterials in Verfahrensrecht und für eine verfahrensrechtliche Auslegung von Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB. Hierfür würde auch sprechen, dass das BVerwG nicht von einer Änderung zu der sich bisher aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage ausgeht. Nach der Ansicht des 1. und 8. Senats des OVG Rheinland-Pfalz tritt das von nun an als Verfahren ausgestaltete Gebot der Ermittlung und Bewertung der 172 173 174 175
BVerwG, BVerwG, BVerwG, BVerwG,
NVwZ NVwZ NVwZ NVwZ
2008, 2008, 2008, 2008,
899 899 899 899
(901). (900). (901). (901).
238
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
abwägungsbeachtlichen Belange als selbständiger Teil vor die inhaltlichen Anforderungen an die verhältnismäßige Gewichtung und den gerechten Ausgleich der Belange gemäß § 1 VII BauGB. 176 Inhaltlich entspreche das in § 2 III BauGB vorausgesetzte Verfahren des Ermittelns und Bewertens der sich bisher aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage. Der Senat versteht dabei unter Bewerten i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 III BauGB die Feststellung des jeweiligen Gewichts des Belangs. 177 Bewerten wird damit mit dem bisherigen Gewichten der einzelnen Belange gleichgesetzt. Der 1. Senat geht somit von einem weiten Verständnis des Begriffs Bewerten aus. An die vorgenommene Bewertung soll sich dann die Abwägungsentscheidung anschließen. 178 Diese Ausführungen sprechen dafür, dass das OVG von einer Veränderung der Kontrolle des Abwägungsvorgangs hin zu einer Verfahrenskontrolle ausgeht. Dementsprechend werden Ermittlungs- sowie Bewertungs- und Gewichtungsfehler auf die Beachtlichkeit nur anhand § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB überprüft. 179 Eine Auseinandersetzung hinsichtlich der Abgrenzung zu den Abwägungsvorgangsfehlern bleibt bei dieser Entscheidung freilich aus. In einer kurz vorher ergangenen Entscheidung des 8. Senats des OVG Rheinland-Pfalz ist der Senat von einem Nebeneinander verfahrensrechtlicher (§ 2 III BauGB) und inhaltlicher Anforderungen (§ 1 VII BauGB) ausgegangen. Ohne sich auf den Verstoß gegen eine der Anforderungen der einen oder anderen Seite festzulegen, hat der Senat die Beachtlichkeit der Fehler gleichzeitig anhand beider Regelungen in § 214 I S. 1 Nr. 1 und § 214 III S. 2 BauGB überprüft. 180 Anders als das OVG Rheinland-Pfalz unterscheidet das OVG Münster zwischen Mängeln beim Ermitteln, Bewerten und der wertenden Gewichtung. 181 Bewerten wird demnach nicht als Gewichten verstanden. Die von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfassten Fehler sollen sich auf die Sammlung und Aufbearbeitung der abwägungsbeachtlichen Belange beziehen. 182 Gleichzeitig hat derselbe Senat die fehlerhaft eingeschätzte Schutzbedürftigkeit als Bewertungsfehler i. S.v. 176 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 31. 7. 2008, 1 C 10193/08, Juris, Rn. 31 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18. 6. 2008, 8 C 10128/08, Juris, Rn. 16; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 15. 3. 2010, 1 B 11357/09, Juris, Rn. 27; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 8. 6. 2011, 1 C 11239/10, Juris, Rn. 33 ff. 177 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 31. 7. 2008, 1 C 10193/08, Juris, Rn. 32. 178 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 31. 7. 2008, 1 C 10193/08, Juris, Rn. 32. 179 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 31. 7. 2008, 1 C 10193/08, Juris, Rn. 46; so im Ergebnis auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16. 12. 2004, 2 K 277/02, Juris, Rn. 59 f. 180 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18. 6. 2008, 8 C 10128/08, Juris, Rn.16. 181 OVG Münster, Urt. v. 24. 11. 2008, 7 D 109/07, Juris, Rn. 97; vgl. OVG Münster, Urt. v. 15. 4. 2011, 7 D 68/10.NE, Juris, Rn. 60 f. 182 OVG Münster, Urt. v. 27. 11. 2006, 7 D 118/05.NE, Juris, Rn. 115; so ähnlich auch der 10. Senat des OVG Berlin-Brandenburg, wonach ein Bewertungfehler i. S.v. § 214 I Nr. 1 BauGB die Verkennung der objektiven Abwägungsrelevanz sei: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26. 10. 2010, 10 A 13.07, Juris, Rn. 52.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
239
§ 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB angesehen. 183 Eine Abgrenzung zwischen der objektiven Gewichtung des Belangs und der fehlerhaften Sammlung und Aufbearbeitung des Abwägungsmaterials erscheint demzufolge nicht mehr möglich. Das so verstandene Bewerten überschneidet sich damit zumindest mit dem objektiven Gewichten eines Belangs. Das OVG versucht, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Ermittelns und Bewertens zu überprüfen. 184 Die so angelegte Überprüfung bewegt sich m. E. damit nicht in den verfahrensrechtlichen Kontrollmaßstäben zur Überprüfung eines Verfahrens. Vielmehr bleibt eine inhaltliche Überprüfung der Richtigkeit der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und ggf. der Gewichtung der Belange in neuer Terminologie. Hierfür spricht zudem die Ausführung des OVG, wenn es zu einer Fehleinschätzung eines schutzwürdigen Belangs ausführt, dass es sich nunmehr um eine fehlerhafte Bewertung i. S. d. maßgeblichen Terminologie des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB handele. 185 Der 1. Senat des VGH München trifft, wie der 12. Senat des OVG Berlin-Brandenburg, bei der Überprüfung der Anforderungen an das Abwägungsgebot keine Unterscheidung zwischen den neuen Verfahrens- und den Abwägungsvorgangsfehlern und damit auch nicht in der Anwendung von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und § 214 III S. 2 BauGB. 186 Nur bei eindeutigen Ermittlungsfehlern wird allein § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB zur Überprüfung hinzugezogen. 187 Der 2. Senat des OVG Berlin-Brandenburg hingegen qualifiziert Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials als Fehler im Abwägungsvorgang (hier als Abwägungsdefizit), ohne überhaupt auf das neue Verfahren des Ermittelns und Bewertens einzugehen. Die Beachtlichkeit des Mangels wird dementsprechend ausschließlich an § 214 III S. 2 BauGB überprüft. 188 Der 2. Senat des OVG Berlin-Brandenburg sieht keine inhaltliche Änderung gegenüber den in der Rechtsprechung des BVerwG entwickelten Anforderungen zum Abwägungsgebot, soweit die Ermittlung und Bewertung der abwägungserheblichen Belange in § 2 III BauGB nunmehr als verfahrensbezogene Pflicht ausgestaltet worden ist. 189 183
OVG Münster, Urt. v. 6. 3. 2006, 7 D 124/05.NE. Juris, Rn. 72. OVG Münster, Urt. v. 27. 11. 2006, 7 D 118/05.NE, Juris, Rn. 121. 185 OVG Münster, Urt. v. 27. 11. 2006, 7 D 118/05.NE, Juris, Rn. 119. 186 VGH München, Urt. v. 5. 2. 2009, 1 N 07.2713, Juris, Rn. 59; VGH München, Urt. v. 25. 10. 2005, 25 N 04.642, NJOZ 2007, S. 1001 (1008 f.); VGH München, Beschl. v. 14. 8. 2008, 1 NE 08.1074, Juris, Rn. 145; VGH München, Beschl. v. 2. 4. 2008, 1 NE 08.25, Juris, Rn. 35; VGH München, Beschl. v. 14. 12. 2009, 1 NE 09.2377, Juris, Rn. 40 f.; VGH München, Urt. v. 31. 1. 2011, 1 N 09.582, Juris, Rn. 33; so auch OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12. 5. 2006, 12 A 28/05, LKV 2007, S. 32 (38); ebenso VGH München, Urt. v. 7. 12. 2010, 15 N 06.257, Juris, Rn. 47; nach Fehlern unterscheidend, aber anders der 2. Senat des VGH München: VGH München, Urt. v. 17. 3. 2011, 2 N 10.2071, Juris, Rn. 26. 187 VGH München, Urt. v. 5. 2. 2009, 1 N 07.2713, Juris, Rn. 67 f. 188 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14. 2. 2006, 2 A 16.05, Juris, Rn. 46 ff. 184
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Der VGH Mannheim geht von einer grundsätzlichen Formalisierung der materiell-rechtlichen Abwägungsvorgangsfehler bei Fortbestehen eines „Restbestandes“ an sonstigen Fehlern im Abwägungsvorgang aus. 190 Zu dem „Restbestand“ soll dem VGH Mannheim zufolge insbesondere die Fallgruppe des Abwägungsausfalls gehören. 191 Die bisherigen materiell-rechtlichen Fehler der Fallgruppe Abwägungsdefizit ordnet der VGH Mannheim hingegen dem neuen Verfahren des Ermittelns und Bewertens gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB zu. Ebenso soll die Fehlbeurteilung des Abwägungsmaterials ein Fehler des neuen Verfahrens sein. 192 Was mit den Fehlern Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität ist, differenziert der VGH Mannheim nicht aus. Mit Verweis auf die gleiche Rechtsfolge von Verfahrensfehlern und Vorgangsfehlern sieht der VGH keinen Bedarf für eine weitere Differenzierung oder Zuordnung von Abwägungsfehlern zum Verfahren. 193 Letztendlich nimmt der VGH Mannheim auch keine konsequente Zuordnung bestimmter Abwägungsvorgangsfehler zum Verfahren vor. Im konkreten Fall hat der VGH Mannheim die fehlende Berücksichtigung von Immissionen bei einer Betriebserweiterung als Verfahrensfehler i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB verstanden. Dieses Abwägungsdefizit kann folglich nicht mehr als Mangel des Abwägungsvorgangs begriffen werden; insoweit besteht kein Restbestand für diesen konkreten Fehler mehr im Abwägungsvorgang. Dennoch scheint der VGH Mannheim davon auszugehen, dass es dennoch Raum für andere Abwägungsdefizitfehler im Abwägungsvorgang geben kann; denn unter der Einschränkung, sofern „noch Raum“ neben dem neuen Verfahren des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB besteht, überprüft der VGH Mannheim unter Rückgriff auf die bisherige Abwägungsdogmatik den Abwägungsvorgang auch auf Abwägungsdefizitfehler. 194 Der VGH hält es demnach für möglich, dass es auch beachtliche Rest-Abwägungsdefizitfehler im Abwägungsvorgang geben kann. Anderenfalls wäre nicht ersichtlich, warum der Abwägungsvorgang grundsätzlich, sofern noch Restraum besteht, auf die Fehlergruppe Abwägungsdefizit hin überprüft werden soll. Eine Fehlerzuordnung von bestimmten Abwägungsvorgangsfehlern zum Verfahren kann der Entscheidung demnach nicht entnommen werden. In einer neueren Folgeentscheidung überprüft der VGH die Anforderungen des Abwägungsgebots wie bisher. Eine gesonderte verfahrens189
OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28. 5. 2009, 2 A 13.08, Juris, Rn. 54. Vgl. ferner ohne eine Differenzierung der unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Planerhaltungsvorschriften OVG-Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16. 4. 2010, 2 A 20.08, Juris, Rn. 39; OVG-Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26. 11. 2010, 2 A 32.08, Juris, Rn. 41. 190 VGH Mannheim, Urt. v. 9. 6. 2009, 3 S 1108/07, Juris, Rn. 39; VGH Mannheim, Urt. v. 6. 5. 2009, 3 S 3037/07, Juris, Rn. 23; VGH Mannheim, Urt. v. 9. 2. 2010, 3 S 3064/ 07, Juris, Rn. 86. 191 VGH Mannheim, Urt. v. 6. 5. 2009, 3 S 3037/07, Juris, Rn. 23. 192 VGH Mannheim, Urt. v. 6. 5. 2009, 3 S 3037/07, Juris, Rn. 23. 193 VGH Mannheim, Urt. v. 6. 5. 2009, 3 S 3037/07, Juris, Rn. 23. 194 VGH Mannheim, Urt. v. 6. 5. 2009, 3 S 3037/07, Juris, Rn. 32.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
241
rechtliche Überprüfung nimmt der VGH Mannheim ausdrücklich nicht vor, um den „unergiebigen Abgrenzungsaufwand gegenüber dem ‚Restbestand‘ an sonstigen Fehlern im Abwägungsvorgang“ zu vermeiden – auch wenn, wie der VGH selbst ausführt, die Prüfung rechtssystematisch aufzuteilen wäre. 195 Aufgrund der identischen Anforderungen an die Beachtlichkeit von verfahrensrechtlichen Fehlern im Sinne des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und der sonstigen materiellrechtlichen Abwägungsvorgangsfehlern i. S. d. § 214 III S. 2 BauGB könne die Prüfung der Ermittlungs- und Bewertungsfehler im Rahmen der Überprüfung des Abwägungsvorgangs auf derselben Ebene erfolgen. 196 Insgesamt ergibt sich aus der bisher ergangenen Rechtsprechung keine klare Abgrenzung zwischen dem neuen Ermittlungs- und Bewertungsverfahren und dem Abwägungsvorgang. Die vom BVerwG dargelegte Ansicht, dass sich die inhaltlichen Anforderungen an die planerische Abwägung nicht durch das EAG Bau geändert haben, scheint in der Rechtsprechung vorzuherrschen. Vielmehr scheinen einige Gerichte sich bei der Planüberprüfung nur der neuen Terminologie anzupassen, ohne die Kontrollmaßstäbe entsprechend dem angestrebten Systemwechsel neu auszurichten. Von einem Systemwechsel scheint die Rechtsprechung damit nicht auszugehen. II. Die Ansicht von Krautzberger / Stüer Krautzberger / Stüer gehen hingegen von einem Wechsel der Abwägungsvorgangskontrolle hin zur Kontrolle des Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens nach den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB aus. 197 Dementsprechend unterscheidet Stüer nur zwischen Abwägungsverfahren als Vorgang und Abwägungsergebnis als Produkt der Abwägung. 198 Damit sieht Stüer die europarechtlich vorgegebene Stärkung des Verfahrensrechts in den neuen Planerhaltungsvorschriften, wie von der unabhängigen Expertenkommission vorgeschlagen, als nachvollzogen an. 199 Das Verfahren des Ermittelns und Bewertens soll dementsprechend die materielle Richtigkeit der Abwägungsentscheidung gewährleisten. 200 Stüer sieht mit dem Wechsel von der Abwägungsvorgangskontrolle zur Kontrolle des Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens durch das EAG Bau eine 195
VGH Mannheim, Urt. v. 9. 6. 2009, 3 S 1108/07, Juris, Rn. 39; so auch später VGH Mannheim, Urt. v. 9. 2. 2010, 3 S 3064/07, Juris, Rn. 86. 196 VGH Mannheim, Urt. v. 9. 2. 2010, 3 S 3064/07, Juris, Rn. 86. 197 Krautzberger / Stüer, DVBl. 2004, S. 781 (789); Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 126. 198 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1494. 199 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 126; Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 734. 200 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 127.
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
weitere Änderung der Abwägung verbunden. Mit dem EAG Bau hat der Grundsatz der Nachhaltigkeit Einzug in das Planaufstellungsverfahren erhalten, so dass städtebauliche Belange nicht mehr einfach nur schlicht weggewogen werden dürfen, sondern dass diese nach Möglichkeit in der Ausgleichsentscheidung ihren Platz finden. Unter „schlicht wegwägen“ versteht Stüer das Nichtberücksichtigen des nachrangigen Belangs gegenüber dem überwiegenden Belang ohne eine Kompensationsprüfung für das Unberücksichtigtlassen dieses Belangs. 201 Bewirkt werden die gesteigerten Anforderungen an das Wegwägen in der Ausgleichsentscheidung durch die neuen gesteigerten Verfahrensanforderungen – wie bspw. bzgl. der Belange des Umwelt- und Naturschutzes. 202 Krautzberger / Stüer sehen in den neuen gesteigerten Verfahrensanforderungen des EAG Bau an die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und an die Ausgleichsentscheidung eine Veränderung der Abwägung von der verfassungsrechtlich gewährleisteten Sparabwägung zu einer „Komfortabwägung“ hin; denn wegen des in den Verfahrensanforderungen verbürgten Nachhaltigkeitsgedankens werde nicht mehr nur noch arithmetisch vor- und zurückgestellt. 203 Die Gerichtskontrolle wird dementsprechend auf die verfahrensrechtlichen Anforderungen erweitert und hat bei der Kontrolle der Ausgleichsentscheidung zu überprüfen, ob der Nachhaltigkeitsgedanke durch ein entsprechendes Vorgehen der Kompensationsprüfung ausreichend berücksichtigt wurde. 204 Wie bereits oben dargelegt, ist die Gesetzesfassung des EAG Bau, entgegen der Ansicht Stüers, nicht die genaue Umsetzung der Konzeption der Empfehlung der unabhängigen Expertenkommission. 205 Von der vertretenen Stärkung des Verfahrensrechts kann ebenfalls nicht ausgegangen werden. Die vorgeschlagene Vermutungsregelung ist gerade nicht übernommen worden, so dass im Hinblick auf die Bedeutung für die Sachrichtigkeit dem Verfahren keine Stärkung widerfahren ist. Ganz im Gegenteil hat man das materielle Recht in Verfahrensrecht umadressiert und dieses ebenfalls den verfahrensrechtlichen Planerhaltungsregelungen unterworfen. 206 Die von Stüer vertretene Ansicht der Umsetzung der europarechtlich vorgegebenen Stärkung des Verfahrensrechts kann daher nicht aufrechterhalten werden. Wenn Stüer anführt, das neue Verfahren des Ermittelns und Bewertens gemäß § 2 III BauGB gewährleiste eine materiell richtige Abwägungsentscheidung, übersieht er das Fehlen einer gesetzlich angeordneten Indizwirkung des Verfah201
Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1495 u. 1513. Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 725. 203 Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 725; Krautzberger / Stüer, DVBl. 2004, S. 914 (923); Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1495 u. 1514. 204 Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 732. 205 Siehe oben 2. Kapitel § 2 B. I., S. 193 f. 206 So Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491). 202
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
243
rens auf die Sachrichtigkeit. Ohne diese trifft das Verfahren aber keine Aussage über die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung. Entsprechend der Verfahrensfunktion dient das Verfahren dazu, eine sachrichtige Entscheidung zu fördern, die inhaltliche Richtigkeit kann das Verfahren aber nicht leisten. 207 Stüer geht von einer Veränderung der Abwägungsdogmatik hin zu einer „Komfortabwägung“ für Umweltbelange aus. Ein Umweltbelang soll nicht mehr einfach weggewogen werden können. 208 Die besondere Berücksichtigung ergebe sich aus den gesteigerten Verfahrensanforderungen. Dem ist zu entgegnen, dass Verstöße gegen zwingendes Recht schon gar nicht in den Bereich des ergebnisoffenen Abwägens fallen. 209 Es ist zunächst einmal genau zu unterscheiden, was sich als Verstoß gegen Verfahrensrecht und was sich als fehlerhafte Berücksichtigung in der Abwägungsentscheidung darstellt. Zu denken wäre an Optimierungsgebote, die den Umweltbelangen ein besonderes Gewicht in der Ausgleichsentscheidung verleihen. 210 Den Umweltbelangen aber soll kein Gewichtungsvorrang in der Abwägung zukommen, so dass nicht von einer generellen Optimierung der Umweltbelange im Sinne der Optimierungsgebote auszugehen ist. 211 Es sind damit keine neuen Elemente erkennbar, die die Ausgleichsentscheidung im Vergleich zu vor dem EAG Bau erkennbar verändern. Wenn Stüer davon ausgeht, die bisherige Abwägungsentscheidung sei eindimensional und ende mit einer eindeutigen Punktbewertung für den einen oder anderen Belang, 212 dann wird m. E. diese Sicht der bisherigen Abwägungsdogmatik nicht gerecht. Die Mehrdimensionalität wurde doch gerade in den Schritten der objektiven Gewichtung und der darauf folgenden relativen Gewichtung in der Ausgleichsentscheidung erfasst. Der für die Veränderung der Abwägung angeführte Kompensationsgrundsatz kann ebenso gut im Rahmen der bestehenden Abwägungsdogmatik bei der relativen Gewichtung der Belange im Verhältnis zueinander berücksichtigt werden, ohne dass es eines zusätzlichen Planungs- und Prüfungsschritts bedarf. Der Begriff der Komfortabwägung ist irreführend und insoweit nicht erforderlich; denn inhaltlich hat sich zur Struktur der bisherigen Abwägungsdogmatik keine Veränderung ergeben. 213 Eine Abgrenzung zwischen § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und § 214 III S. 2 BauGB nehmen Krautzberger / Stüer nicht vor. 214 Damit bleibt unbeantwortet, was dem207
Zu der Funktion des Verfahrensrechts siehe oben 1. Kapitel § 2 B. I., S. 54 f. Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 725. 209 Siehe oben 1. Kapitel § 4 A., S. 93 f. 210 Zu den Optimierungsgeboten siehe oben 1. Kapitel § 4 B. II. 6. a), S. 107 f. 211 Vgl. Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 720; Krautzberger / Stüer, DVBl. 2004, S. 914 (923); Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (910). 212 Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 725. 213 So im Ergebnis auch Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (910). 214 Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., Rn. 1252 ff. 208
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
zufolge dieser Ansicht nach in den Anwendungsbereich der Regelung über die Beachtlichkeit der Fehler im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 BauGB fallen soll. III. Die Ansicht von Özdemir Entgegen der oben vorgenommenen Auslegung begründet Özdemir durch die historische und die systematische Auslegung des § 2 III BauGB den materiellrechtlichen Charakter dieser Vorschrift. 215 In § 2 III BauGB würden erstmals die bisher ungeschriebenen Anforderungen an das Abwägungsgebot der Ermittlung und der Bewertung ausdrücklich normiert sein. 216 Die Bewertung sei dabei mit der Gewichtung i. S. d. bisherigen Abwägungsdogmatik gleichzusetzen. Im Rahmen des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB sei daher zu prüfen, ob zutreffend – verstanden als inhaltlich richtig – ermittelt und bewertet worden ist. Nach der Ansicht Özdemirs würden die Abwägungsfehler Abwägungsdefizit und Abwägungsfehlgewichtung entgegen der herkömmlichen Abwägungsdogmatik abschließend als Verfahrensfehler von der Planerhaltungsregelung über Verfahrensfehler in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst werden. 217 In konsequenter Abgrenzung zu § 1 VII BauGB, unter Zugrundelegung der von Özdemir vorgenommenen Auslegung, soll sich das in § 1 VII BauGB verankerte Abwägungsgebot nur noch auf die Phase des Ausgleichs beschränken. 218 Bei der systematischen Auslegung von § 2 III BauGB im Verhältnis zu § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB kommt Özdemir zunächst zu dem Ergebnis, dass es „prima facie“ naheliegend erscheint, § 2 III BauGB als reine Verfahrensvorschrift zu qualifizieren, da die sich auf § 2 III BauGB beziehende Fehlerfolgenregelung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB sich innerhalb des Folgenkatalogs für Verfahrensund Formvorschriften befinde. Özdemir anerkennt, dass sich bei diesem verfahrensrechtlichen Verständnis die Regelung auch im Hinblick auf die Gesetzessystematik zu § 214 III S. 2 BauGB und zu § 1 VII BauGB einfügt und so die Anwendungsräume dieser Regelungen bestehen bleiben können. 219 Aus der Anforderung des zutreffenden Ermittelns und Bewertens aus § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB schließt Özdemir aber darauf, dass die Verwendung dieses Begriffs einen verfahrensrechtlichen Charakter des § 2 III BauGB ausschließe, da nur ohne die Verwendung dieses Begriffs „zutreffend“ ein verfahrensrechtliches Verständnis aus der Gesetzessystematik überzeugend sei. 220 215 216 217 218 219 220
Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 103. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 103. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 103. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 103. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 93. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 94.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
245
Die Möglichkeit eines verfahrensrechtlichen Verständnisses von „zutreffend Ermitteln und Bewerten“ lehnt Özdemir mit derselben Begründung ebenfalls ab. Die Begründung von Özdemir zur Ablehnung des verfahrensrechtlichen Verständnisses von „zutreffend Ermitteln und Bewerten“ gründet auf der Annahme, dass ein verfahrensrechtlicher Charakter nur bei Weglassen des Wortes „zutreffend“ überzeugend sei. Nach ihrer Ansicht müsste die rein verfahrensrechtliche Regelung lauten, dass eine Verletzung von § 2 III BauGB dann anzunehmen ist, „[...] wenn die von der Planung berührten Belange in wesentlichen Punkten – überhaupt – nicht ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist.“ 221 Diese Begründung trägt die Ablehnung eines verfahrensrechtlichen Verständnisses von „zutreffend Ermitteln und Bewerten“ nicht, da von einem unzutreffenden verfahrensrechtlichen Verständnis ausgegangen wird. Bereits bei der Wortlautauslegung von § 2 III BauGB reduziert Özdemir das verfahrensrechtliche Verständnis von § 2 III BauGB dahingehend, dass dieses nur die Frage zum Gegenstand habe, „ob“ ermittelt und bewertet wurde. 222 Dementsprechend fügt Özdemir in die von ihr vorgeschlagene verfahrensrechtliche Gesetzesformulierung m. E. in unzutreffender Weise das Wort „überhaupt“ 223 ein. Diese Reduzierung auf die Frage, ob überhaupt ermittelt und bewertet wurde, wird einem verfahrensrechtlichen Verständnis des zutreffenden Ermittelns und Bewertens i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB nicht gerecht. Das Verfahren erfasst nicht nur die Anforderungen, ob ein Verfahren überhaupt durchgeführt wurde, sondern enthält zudem wie bspw. bei dem Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Planaufstellung detaillierte Anforderungen zur Art und Weise der Durchführung. 224 Wie bereits oben dargelegt, ist auch das zutreffende Ermitteln und Bewerten nicht nur auf die Frage beschränkt, ob überhaupt ermittelt wurde, sondern auch, ob bspw. durch das richtige Organ ermittelt wurde. 225 Ausgehend von dem materiell-rechtlichen Charakter von § 2 III BauGB folgert Özdemir – gestützt auf den vermeintlichen Willen des Gesetzgebers – für das Verhältnis von § 2 III BauGB zu § 1 VII BauGB, dass die dem Ausgleich vorausgehenden Phasen der Abwägung (Ermittlung und Gewichtung) aus dem Abwägungsgebot herausgenommen und ausdrücklich § 2 III BauGB zugeordnet wurden. 226 Das Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB stelle demzufolge keine zusätzlichen Anforderungen an die herkömmliche Abwägung, sondern beinhalte die ursprünglichen Anforderungen des Abwägungsgebots aus 221
Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 94. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 93. 223 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 94. 224 So ähnlich zum Verständnis des Verfahrens auch Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (68 f.). 225 Siehe oben A., S. 210 ff. 226 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 95. 222
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
§ 1 VII BauGB, dessen Regelungsgehalt durch die Neuzuordnung dementsprechend verkürzt worden sei. 227 Gestützt wird diese Annahme auf die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 2 III BauGB, wonach die Vorschrift inhaltlich der bisherigen sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage entsprechen soll. 228 Mit diesem Argument wird auch die Bezeichnung des § 2 III BauGB als Verfahrensgrundnorm in der Gesetzesbegründung überwunden, da der Gesetzgeber insoweit widersprüchlich sei, wenn er gleichzeitig davon ausgehe, dass § 2 III BauGB inhaltlich der bisherigen sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage entspreche, also damit auch materiell-rechtlichen Charakters sein müsse. 229 Die Gesetzesbegründung zu § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB wird von Özdemir als Argument für ein materielles Verständnis angeführt, denn die Definition der Mängel der neuen Verfahrensfehler i. S. d. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB in der Gesetzesbegründung entspreche den bisherigen herkömmlichen Abwägungsmängeltatbeständen bei der Zusammenstellung und Gewichtung des Abwägungsmaterials. 230 Insbesondere werde damit der Abwägungsfehler der Abwägungsfehleinschätzung als Verfahrensfehler von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst. Özdemir kommt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber § 2 III BauGB in die Kategorie der Verfahrensvorschriften einreiht, aber gleichzeitig von einem materiell-rechtlichen Verständnis der Regelung ausgeht. 231 Gegen diesen Willen des Gesetzgebers und dieses materiell-rechtliche Verständnis könne auch die nachträglich eingeführte Regelung über die Beachtlichkeit von Fehlern im Abwägungsvorgang gemäß § 214 III S. 2 BauGB nicht angeführt werden. Mit dieser Regelung sollte nicht der Abwägungsvorgang nach herkömmlicher Dogmatik geregelt, sondern Mängel erfasst werden, die bei einengender Auslegung von Ermitteln und Bewerten nicht erfasst werden würden. 232 Als verbleibenden Regelungsbereich des § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB sieht Özdemir aus der Kontrollperspektive den Abwägungsfehlertatbestand des Abwägungsausfalls. Aus der Handlungsperspektive sei bereits keine Phase der Einstellung ersichtlich, so dass Özdemir folglich anders als Hoppe Einstellungsfehler nicht für möglich hält. 233 227
Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 98. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 98 mit Verweis auf BT-Drucks. 15/2250, S. 42. 229 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 100. 230 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 101 mit Verweis auf BT-Drucks. 15/2250, S. 63: „Mängel im Planungsprozess und damit Verfahrensfehler im Sinne der neuen Nummer 1 liegen vor, wenn die von der Planung berührten Belange überhaupt nicht ermittelt oder bewertet worden sind, die nach Lage der Dinge hätten ermittelt und bewertet werden müssen, oder wenn die Bedeutung der ermittelten Belange verkannt worden ist.“ 231 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 101. 232 Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 101 ff. 228
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
247
Dass nach Özdemir gerade der Abwägungsausfall der verbleibende Anwendungsfehler für die Regelung in § 214 III S. 2 BauGB sein soll, ist verwunderlich, denn bereits nach der bisherigen Abwägungsdogmatik war dieser Fehlertatbestand nur von untergeordneter Bedeutung. 234 Legt man das materiell-rechtliche Verständnis von Ermitteln und Bewerten zugrunde, ist es doch naheliegend, den Abwägungsausfall unter Ermitteln und Bewerten zu fassen, wenn schon das Nichtermitteln und Nichtbewerten zu keinem Ergebnis führen kann. Özdemir argumentiert, beim Abwägungsausfall stehe das Nichtaustarieren, gemeint ist wohl das Nichtabwägen, gegenüber der Nichtvornahme des Ermittelns und Bewertens im Vordergrund. 235 Wenn jedoch zuvor argumentiert wird, dass das neue Verfahren die materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs an eine Abwägung enthalte, dann liegen im Falle des Nichtermittelns und Nichtbewertens die materiellen Anforderungen, die das sogenannte Austarieren erst ermöglichen, ebenso wenig vor. Ein qualitativer Unterschied ist unter der Prämisse eines materiellen Verständnisses von Ermitteln und Bewerten damit nicht ersichtlich. Wie Özdemir selbst anspricht, ist es bereits allein nach dem Wortlaut des § 214 III S. 2 BauGB problematisch, einen Abwägungsausfall als Anwendungsfall anzunehmen. 236 Denn gemäß § 214 III S. 2 BauGB sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sind. Findet keine Abwägung statt, gibt es auch kein Abwägungsergebnis, auf welches sich ein Vorgangsmangel hätte auswirken können. Die Annahme des Abwägungsausfalls als Anwendungsfall von § 214 III S. 2 BauGB erscheint damit zu konstruiert. Die von Özdemir vorgenommene Auslegung ist konsequent. Ihr liegt aber, wie oben dargelegt, ein zu kurz gefasstes Verständnis von Verfahrensvorschriften und deren Kontrolle zugrunde. Aus der Kontrollperspektive ändert sich nach der von Özdemir vorgeschlagenen Auslegung nicht nur, dass ein Abwägungsausfall noch als Anwendungsfall eines Abwägungsvorgangsfehlers gesehen werden könnte. Aus der Kontrollperspektive ändert sich der anzulegende Kontrollmaßstab des kontrollierenden Gerichts, wenn man – wie Özdemir – davon ausgeht, dass die Anforderungen des Abwägungsvorgangs dem neuen Ermittlungs- und Bewertungsverfahren zugeordnet werden. Denn in diesem Fall werden die Zusammenstellung und Gewichtung der abwägungsbeachtlichen Belange nicht mehr auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft, sondern dahingehend, ob das Ermittlungsund Bewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Dieser Kontrollmaßstabwechsel sollte im Gleichklang mit dem zuerst vorgeschlagenen Wechsel von der materiell-rechtlichen Kontrolle hin zur Verfahrenskontrolle erfolgen. Im Rahmen des angestrebten Wechsels wurde vorgeschlagen, zur Stärkung des 233 234 235 236
Zu der Ansicht Hoppes vgl. unten X., S. 260 f. Vgl. Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 221 f. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 106. Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 106 f.
248
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Verfahrensrechts die Anforderungen des Abwägungsvorgangs dem Verfahren zuzuordnen. 237 Die nicht vollzogene Konzeption der Stärkung des Verfahrensrechts berücksichtigt Özdemir bei der historischen Auslegung nicht ausreichend. Der Gesetzgeber hat mit der Beibehaltung einer eigenen Fehlerfolgenregelung für Fehler im Abwägungsvorgang an dieser Kategorie festgehalten, obwohl nach der ursprünglichen Konzeption dafür kein Raum mehr war. Özdemir stellt ebenso die Widersprüche in der Gesetzesgenese fest, so dass es als nicht tragfähig erscheint, das materiell-rechtliche Verständnis von § 2 III BauGB auf einen widersprüchlichen Willen des Gesetzgebers zu stützen. 238 Davon auszugehen, dass der Gesetzgeber § 2 III BauGB in die Kategorie der Verfahrensvorschrift einreiht und gleichwohl von einem materiell-rechtlichen Charakter ausgeht, steht im Widerspruch dazu, dass sich der Charakter einer Norm nach dem Inhalt und nicht nach gesetzgeberischer Dezession bestimmt. 239 Wenn man einen materiellrechtlichen Charakter annimmt, können Verstöße gegen diese Norm allerdings nicht als Verfahrensfehler behandelt werden. IV. Die Ansicht von Bernhardt Die sogenannte Reserveklausel in § 214 III S. 2 BauGB wird von Bernhardt nicht als eine Öffnungsklausel für die Abwägungskontrolle „nach altem Muster“ 240 gesehen. Zweck des § 214 III S. 2 BauGB sei vielmehr die Absicherung der neuen Verfahrenskonzeption gegen die bisherige Rechtsprechungspraxis. 241 Die Neukonzeption lege die Anforderungen an die Abwägung im Gesetz fest und es bedürfe damit der bisherigen richterrechtlichen Abwägungsdogmatik nur, sofern andere materiell-rechtliche Anforderungen bestünden als die geschriebenen. Ausgangsüberlegung Bernhardts ist, dass die neu konzipierten Regelungen des Planaufstellungsverfahrens das Verfahren des Ermittelns und Bewertens gemäß § 2 III BauGB konkretisieren. Die Konkretisierung der Begriffe des Ermittelns und Bewertens für die Umweltprüfung in § 2 IV S. 1 – 3, § 4a I BauGB soll damit für alle städtebaulichen Belange und nicht nur für die Umweltbelange gelten. Begründet wird die Gleichbehandlung der Belange damit, dass kein materiell-rechtlicher Unterschied zwischen den Umweltbelangen und sonstigen städtebaulichen Belangen bestehe, der ein unterschiedliches Ermittlungs- und Bewertungsverfahren für Umwelt- und städtebauliche Belange rechtfertige. 242 237
Vgl. zum angestrebten Wechsel oben 2. Kapitel, § 2 B., S. 192 ff. Ebenso zur Widersprüchlichkeit des Willens des Gesetzgebers Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (64). 239 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306); vgl. unten die Darstellung der Ansicht Happs, XII., S. 265 f.; ähnlich auch Labrenz, Die Verwaltung 2010, S. 63 (71). 240 Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167). 241 Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167). 242 Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167 f.). 238
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
249
Konsequenz der europarechtlich vorgeprägten Konkretisierung des Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens, so Bernhardt, sei die gesetzliche Festschreibung der Unterscheidung zwischen Abwägungsmaterial und Abwägung. 243 Das durch § 2 IV S. 1 – 3, § 4a I BauGB konkretisierte Ermittlungs- und Bewertungsverfahren liefert formale Kontrollmaßstäbe, wie beispielweise nach gegenwärtigem Wissensstand und nach allgemein anerkannten Prüfmethoden, für die Kontrolle der Vollständigkeit der Ermittlung der Belange. 244 Im Umkehrschluss bildet dann die unvollständige oder unzutreffende Ermittlung die möglichen Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. Die Abwägung selbst wird, so Bernhardt, durch die §§ 2 IV S. 4, 4a IV S. 1, 10 IV BauGB konkretisiert. In diesen Regelungen gibt der Gesetzgeber vor, was in die Verfahrensdokumentation der Abwägungsentscheidung aufgenommen werden soll. Gemäß § 10 IV BauGB ist dem Bebauungsplan eine zusammenfassende Erklärung beizufügen über Art und Weise der Berücksichtigung der Belange und warum diese Planungsalternative gewählt worden ist. Bernhardt anerkennt, dass diese gesetzlichen Konkretisierungen keine Maßstäbe für die Richtigkeit der Art und Weise der Berücksichtigung der Belange oder für die Richtigkeit der Planalternative enthalten, schließt aber daraus, dass alles, was entsprechend der Dokumentationspflicht als Abbildung des Verfahrens der Abwägung nicht durchgeführt wird, einen Abwägungsfehler darstellt; denn was dokumentiert werden soll, solle auch durchgeführt werden. Gesetzliche Mängel der Abwägung sind demnach die fehlerhafte Art der Berücksichtigung abwägungsbedeutsamer Belange und die unzureichend begründete Wahl einer Planungsalternative bzw. die fehlende Prüfung einer Planalternative. 245 Damit stellt sich für Bernhardt ebenso die Frage nach der Bedeutung des Begriffs Bewerten. Denn auch seiner Ansicht nach muss zwischen dem Ermitteln und Bewerten des Abwägungsmaterials und der Berücksichtigung in der darauf folgenden Abwägung unterschieden werden. Die Begriffe Bewerten und Berücksichtigen seien vorrangig europarechtliche Begriffe, die ihren Ursprung in europarechtlichen Regelungen zum Umweltschutz haben. Dementsprechend sei eine europarechtliche Auslegung anhand der einschlägigen europarechtlichen Regelungen maßgebend. Entscheidend sei daher, welche Art und Weise der Berücksichtigung der Umweltbelange europarechtlich geboten ist und ab wann die Umweltbelange überwunden werden können. Die Abwägung beginne dann dort, wo an einer inhaltlichen und verfahrenstechnischen Grenze das Beiseitelassen der Umweltbelange möglich sei. 246 Sowohl Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials als auch Fehler bei der Abwägung seien entsprechend der europarechtlichen Konkretisierung der Abwägung Verfahrensfehler. Inwiefern diese geschriebenen Ab243 244 245 246
Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (169). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (170).
250
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
wägungsfehler mit den ursprünglichen materiell-rechtlichen Abwägungsfehlern deckungsgleich sein können, sei irrelevant, da der Gesetzgeber mit den Neuregelungen nur die europarechtlich vorgegebene Systematik und Begrifflichkeit umsetzen wollte; das verfassungsrechtliche Niveau der Abwägungskontrolle habe der Gesetzgeber aber nicht ändern wollen. 247 Erst wenn die neuen geschriebenen Abwägungsfehler hinreichend genau bestimmt sind, sei ein Befund darüber möglich, welche bisherigen Abwägungsfehler noch nicht von der gesetzlichen Regelung erfasst werden, wobei Bernhardt aufgrund fehlender materiell-rechtlicher Maßstäbe bei der Abwägung Raum für die bisherige Abwägungsdogmatik sieht. Durch die Verlagerung der Kontrolle auf das Abwägungsmaterial sei für die Abwägungsfehler Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit kein Raum mehr. Sobald die abwägungsbedeutsamen Belange in dem vorgelagerten Verfahren ermittelt werden, sei eine Nichtberücksichtigung des bereits als abwägungsbedeutsamen Belangs nur noch schwer vorstellbar. 248 Raum sei im Abwägungsergebnis nicht für die bisherigen materiell-rechtlichen Abwägungsfehler. Das so konkretisierte Abwägungsgebot ermögliche einen Interessenausgleich unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, so dass durch die geänderte Kontrolle das verfassungsrechtlich zwingende Niveau der Abwägungskontrolle gewahrt bleibe. 249 Mit seinem Ansatz überwindet Bernhardt das Nebeneinander von nationalem und europarechtlichem Verständnis des Abwägungsgebots. Die unterschiedliche Terminologie kann damit vermieden werden. Die Konkretisierung des neuen Verfahrens gemäß § 2 III BauGB gelingt so aber nur teilweise. Das Fortbestehen der bisherigen Abwägungsdogmatik kann Bernhardt damit gerade bei der Abwägung nicht gänzlich ausschließen, auch wenn er von einer geringeren Bedeutung der bisherigen Abwägungsfehler Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit durch das neue Verfahren ausgeht. Wenig konkret ist die Abgrenzung des Bewertens von Berücksichtigen. 250 Ausreichende Kontrollmaßstäbe für die Berücksichtigung der Belange in der Abwägung kann die Konkretisierung anhand der europarechtlich vorgegebenen Regelungen zur Umweltprüfung ebenfalls nicht liefern. Zwar gelingt durch diese Konkretisierung des Ermittelns und Bewertens ein Systemwechsel hin zu einer verstärkten Verfahrenskontrolle, in letzter Konsequenz muss aber auch Bernhardt die Tür für die bisherigen materiell-rechtlichen Abwägungsfehler offen lassen, da die hinreichende Bestimmung der geschriebenen Abwägungsfehler nicht vollständig gelingt. Auf den inhaltlichen Bruch in den Gesetzesmaterialien geht Bernhardt erst gar nicht ein. Insgesamt ist jedoch schon die Grundannahme Bernhardts anzuzweifeln. Entsprechend der Gesetzesbegründung soll das Umweltverfahren Teil des allgemeinen Planaufstellungsverfahrens werden und nicht umgekehrt. Der Konkretisierung des Ermittelns und Bewertens 247 248 249 250
Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (168). Bernhardt, JA 2008, S. 166 (174). Siehe oben S. 248 f.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
251
aus § 2 III BauGB durch die Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung steht schon der Wortlaut des § 2 IV BauGB entgegen, wonach die Umweltbelange im Rahmen der Umweltprüfung ermittelt und in einem Umweltbericht beschrieben und bewertet werden. Andere Belange werden von § 2 IV BauGB ausdrücklich nicht erfasst. 251 Die Umweltprüfung ist gemäß § 2 IV BauGB integrierter Bestandteil des Aufstellungsverfahrens eines Bebauungsplans. 252 Für diesen Bestandteil des allgemeinen Planaufstellungsverfahrens wird § 2 III BauGB durch § 2 IV BauGB konkretisiert; nicht aber umgekehrt. Einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Belange bedarf es insofern auch nicht, da in der sich anschließenden Abwägung alle Belange gleich behandelt werden. Damit vereinbar scheint es auch ein besonderes Verfahren zur Ermittlung bestimmter Belange vorzusehen. V. Die Ansicht von Kraft Ausgehend von dem gegenläufigen Befund in § 214 III S. 2 BauGB, wonach einerseits Abwägungsfehler zu Verfahrensfehlern gemacht werden (Hs. 1) und andererseits am Abwägungsvorgang festgehalten wird, sieht Kraft die Aufgabe der bisherigen Abwägungssystematik und deren Kontrolle als nicht geboten an. 253 Den in der Gesetzesgenese deutlich erkennbaren Willen des Gesetzgebers zum Systemwechsel sieht Kraft durch die in Kraft getretene Fassung des § 214 III S. 2 BauGB als relativiert an. 254 Kraft geht allerdings von einem teilweisen Systemwechsel aus, in dem er zwischen Ermitteln und Bewerten differenziert und das Ermitteln den verfahrensrechtlichen Anforderungen gemäß § 2 III BauGB zuordnet. Das Bewerten der Belange soll i. S.v. dem Gewichten nach herkömmlicher Abwägungsdogmatik weiterhin aus der Handlungs- und Kontrollperspektive eine materiell-rechtliche Anforderung an den Abwägungsvorgang bleiben. 255 Aus der Definition der Verfahrensfehler in der Gesetzesbegründung schließt Kraft, dass aufgrund der Anknüpfung an die herkömmliche Definition der Abwägungsfehlertatbestände das kontrollierende Gericht über die Kontrolle der Einhaltung der Verfahrensschritte hinaus nach wie vor zu ermitteln hat, ob die zu ermittelnden Belange vollständig erfasst und zutreffend bewertet worden sind. 256 Diese vorgeschlagene Zuordnung füge sich vertretbar in die vom Gesetzgeber grds. dispositionsfähige und konkret vorgenommene systematische Neuzuordnung ein. 257 251 252 253 254 255 256 257
Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. Kraft, UPR 2004, S. 331 (333). Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). Kraft, UPR 2004, S. 331 (333 f.). Kraft, UPR 2004, S. 331 (334). Kraft, UPR 2004, S. 331 (333 f.).
252
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Dieser differenzierenden Lösung ist jedoch, bei stringenter Herausarbeitung der Konsequenzen für die Gerichtskontrolle, entgegenzuhalten, dass über die Verweisung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auf § 2 III BauGB eine zutreffende Ermittlung und eine zutreffende Bewertung verlangt wird. Das unterschiedliche hier dargestellte Meinungsbild zeigt, dass Ermitteln und Bewerten sowohl verfahrensrechtlich als auch materiell-rechtlich verstanden werden können. 258 Warum aber Ermitteln im Gegensatz zu Bewerten als verfahrensrechtliche Anforderung gesehen wird, ist mit dieser Lösung nicht widerspruchslos nachvollziehbar. 259 Vielmehr ist eine Auslegung von zutreffend geboten, nach der der Charakter der Anforderungen des § 2 III BauGB einheitlich bestimmt werden kann. Legt man die vorgeschlagene Differenzierung zugrunde, hätte dies die Folge, dass Ermittlungsfehler von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und Bewertungsfehler von § 214 III S. 2 BauGB erfasst werden, obwohl in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB auf beide Anforderungen ausdrücklich Bezug genommen wird. Ersichtlich ist in diesem Zusammenhang nicht, wie die Bewertungsanforderungen aus dem Anwendungsbereich des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB entgegen dem Wortlaut sozusagen einfach ausgeklammert werden können. VI. Die Ansicht von Uechtritz Uechtritz geht zwar von einer „Umetikettierung“ 260, nicht aber von einem Systemwechsel aus. Die Neuregelungen zur Gerichtskontrolle der planerischen Abwägung hält er nicht für gelungen. 261 Ausgangspunkt der Ansicht von Uechtritz ist die vermehrt vertretene Annahme, dass die materiell-rechtlichen Anforderungen an das Abwägungsgebot weiterhin in § 1 VII BauGB geregelt sind, zu denen auch das Gebot der vollständigen und richtigen Ermittlung und Gewichtung zählt. 262 Diese Anforderungen sind demnach originär materiell-rechtliche Anforderungen, die ihrem Inhalt nach keine verfahrensrechtlichen Anforderungen sein können. 263 Das neu eingeführte Verfahren des Ermittelns und Bewertens gemäß den §§ 2 III, 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB führt nach der Ansicht von Uechtritz zu einer Unterscheidung zwischen dem verfahrensrechtlichen vorgelagerten Ermitteln und Bewerten des Abwägungsmaterials und der eigentlichen Abwägung (verstanden als Herstellung 258
Für ein materielles Verständnis des neuen Verfahrens nach §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB vgl. bspw. oben Özdemir, III., S. 244 ff.; für ein verfahrensrechtliches Verständnis vgl. bspw. unten Happ, XII., S. 265 ff. 259 So ähnlich auch Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 88. 260 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (20). 261 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (20). 262 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 263 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
253
eines Ausgleichs zwischen den Belangen). Für die sich anschließende Abwägung folgert Uechtritz die Annahme eines Doppelcharakters des Abwägungsvorgangs; denn der Ausgleich widerstreitender Belange setze notwendig einen Vorgang des Bewertens voraus, so dass der Abwägungsvorgang eine verfahrensrechtliche und eine materiell-rechtliche Seite nach der Neuregelung hat. 264 Uechtritz wendet sich jedoch dagegen, § 214 I S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB nur verfahrensrechtlich zu verstehen. Dieses Verständnis stehe im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen und sei zudem nicht mit dem Wortlaut der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB vereinbar. Entsprechend dem gesetzgeberischen Willen sei der Begriff Verfahrensvorschrift in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB weit zu verstehen, so dass beide Seiten des Abwägungsvorgangs davon umfasst werden. 265 Die Konsequenz des weiten Verständnisses ist, dass materiellrechtliche Anforderungen an das Abwägungsgebot von den Beachtlichkeitsregelungen für Verfahrensverstöße erfasst werden, so dass keine materiell-rechtliche Überprüfung des Abwägungsvorganges mehr möglich ist. Diesen Widerspruch zu den materiell-rechtlichen „Sachgesetzlichkeiten des Abwägungsvorgangs“ 266 will Uechtritz über eine Fiktion auflösen. Demnach soll für die gerichtliche Kontrolle, entgegen der Doppelnatur des Abwägungsvorgangs, nur die Existenz einer Seite des Abwägungsvorgangs, nämlich die verfahrensrechtliche Seite, fingiert werden. 267 Eine dogmatische Abgrenzung der Anwendungsbereiche zwischen dem neuen Verfahren und dem fortbestehenden Abwägungsvorgang nimmt Uechtritz nicht vor. Bei der Zugrundelegung eines weiten Verfahrensbegriffs dürfte sich eine solche zudem als äußerst schwierig gestalten. Hinsichtlich der Reichweite und Effektivität der durch die Fiktion auf die Verfahrenskontrolle reduzierten Gerichtskontrolle hat Uechtritz keine Bedenken, da es im Ergebnis keinen Unterschied mache, ob das kontrollierende Gericht eine Unwirksamkeit wegen eines Verstoßes gegen die materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebots oder wegen eines Verstoßes gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebots annehme. 268 Problematisch wäre nur eine an das Verfahren geknüpfte Indizwirkung für die Richtigkeit der materiellen Seite des Abwägungsvorgangs. Eine solche Indizregelung sei den Neuregelungen nicht zu entnehmen. 269 Insgesamt fraglich erscheint dabei, worauf Uechtritz seine Formalisierung nur zum Zweck der gerichtlichen Kontrolle im Wege einer Fiktion stützt. Gesetzessystematisch wird § 2 III BauGB über § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB in die 264
Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15); so bereits Gaentzsch zur Entwurfsfassung des EAG Bau: Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137. 266 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 267 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 268 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (16). 269 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 265
254
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
gerichtliche Überprüfung mit einbezogen. Versteht man § 2 III BauGB als Verfahrensnorm, so werden die bisherigen materiellen Anforderungen an den Abwägungsvorgang bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zunächst so weit dem Grunde nach formalisiert, wie die materiell-rechtlichen Anforderungen von dem neuen Verfahren des Ermittelns und Bewertens erfasst werden. Es kann daher gerade keine Formalisierung nur für die Gerichtskontrolle angenommen werden. 270 Versteht man § 2 III BauGB nicht als Verfahrensregelung, sondern als eine materiell-rechtliche Regelung, stellt sich die Frage nach einer Formalisierung überhaupt. Insgesamt kann sich Uechtritz bei der Annahme einer solchen Fiktionsregelung nur auf den vermeintlichen Willen des Gesetzgebers stützen. Der Gesetzessystematik ist eine solche Fiktion für die Gerichtskontrolle jedenfalls nicht zu entnehmen. Wie bereits oben dargelegt, ist der gesetzgeberische Wille nicht eindeutig zu ermitteln. 271 Die Annahme einer Fiktionsregelung, allein auf den Willen des Gesetzgebers gestützt, ist daher m. E. aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht ersichtlich. In seiner Argumentation stützt sich Uechtritz auf die Ausführungen von Gaentzsch zur Entwurfsfassung des EAG Bau. 272 Unter Zugrundelegung der Entwurfsfassung des EAG Bau, welche keine eigene Regelung mehr für materiell-rechtliche Fehler im Abwägungsvorgang enthält, sieht Gaentzsch eine weite Auslegung der Verfahrensvorschriften i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB als geboten an. Denn bei einer rein verfahrensrechtlichen Auslegung würde die materielle Seite des Abwägungsvorgangs nicht von den neuen Verfahrensregelungen und damit auch nicht mehr von den Planerhaltungsregelungen erfasst werden. Dem Abwägungsvorgang käme eine selbständige und größere Bedeutung für die Wirksamkeit des Bebauungsplans zu als vor dem EAG Bau. Daher müssten die Verfahrensvorschriften weit verstanden werden, so dass auch die materiellen Fehler im Abwägungsvorgang erfasst würden. 273 Aufgrund der eigenen Regelung für die Mängel im Abwägungsvorgang in der Gesetzesfassung des EAG Bau in § 214 III S. 2 BauGB stellt sich das Erfordernis einer weiten Auslegung nicht mehr. Somit besteht auch kein Bedürfnis mehr, sämtliche Mängel als Verletzung von Verfahrensvorschriften zu behandeln und somit auch kein Grund für die Annahme einer Fiktion.
270
So der überzeugende Einwand Erbguths: Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490). Vgl. oben 2. Kapitel § 2 B. ff., S. 192 ff. 272 Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15) Fn. 45, 46 mit Verweis auf Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137 f. 273 Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137. 271
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
255
VII. Die Ansicht von Quaas / Kukk Quaas / Kukk gehen davon aus, dass aufgrund des EAG Bau zwischen dem verfahrensrechtlichen Teil des Ermittelns und Bewertens des Abwägungsmaterials und der eigentlichen materiellen Abwägung unterschieden wird. 274 Fehler beim Ermitteln und Bewerten des Abwägungsmaterials würden über eine gesetzgeberische Fiktion in den §§ 2 III, 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB zu Verfahrensrecht. 275 Die Fiktion ermöglicht, dass die Ermittlungsfehler und Bewertungsfehler dennoch entsprechend ihrem sachgesetzlichen Inhalt auch materieller Natur sein und gleichzeitig als Verfahrensfehler entsprechend der Neukonzeption behandelt werden können. 276 Gemäß § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB können diese Fehler dennoch nicht als Abwägungsvorgangsmängel geltend gemacht werden; auf diese Weise wird die Fiktion gesetzlich abgesichert. 277 Mängel, die keinen verfahrensrechtlichen Charakter aufweisen, könnten jedoch nicht als Verfahrensfehler fingiert werden. Mängel bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials, die sich auf das Abwägungsergebnis auswirken, seien immer auch materielle Abwägungsmängel, die nicht von der Fiktion erfasst würden. Die Regelung über die Abwägungsvorgangsmängel in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB sei Ausdruck dessen, dass nicht alle Mängel im Abwägungsvorgang als Verfahrensfehler behandelt werden könnten. 278 Eine ausschließliche Unterscheidung von bisherigen Abwägungsvorgangsmängeln einmal als Verfahrensfehler und einmal als materielle Fehler bei der Abwägungsentscheidung enthalte das Gesetz nicht. Das EAG Bau bewirke nur die Einstufung einer „Teilmenge“ 279 bisheriger Abwägungsvorgangsmängel als neue Verfahrensfehler. Damit sprechen sich Quaas / Kukk ebenfalls gegen ein rein verfahrensrechtliches Verständnis des Ermittelns und Bewertens i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB aus. 280 Insgesamt gehen sie nicht von einer Neustrukturierung und einem Systemwechsel aus. Allerdings stünden die neuen Planerhaltungsregelungen im Widerspruch zur der europarechtlich vorgesehenen Stärkung des Verfahrensrechts. 281 Zweifel hegen Quaas / Kukk an der Verfassungsmäßigkeit der Umwandlung der Anforderungen an den Abwägungsvorgang in verfahrensrechtliche Anforderungen. Das vom Rechtsstaatsprinzip abgesicherte Abwägungsgebot erstrecke sich auch auf den Abwägungsvorgang, so dass dieser nicht einfach zu Verfah274
Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 16. Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 46. 276 Zum sachgesetzlichen Charakter des Ermittelns und Bewertens: Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1550). 277 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 46. 278 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 46. 279 Quaas / Kukk, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 214 Rn. 47. 280 Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1550). 281 Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1551). 275
256
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
rensrecht umgewandelt und damit als Verfahrensfehler gegebenenfalls für unbeachtlich erklärt werden könnte. 282 Nach bisheriger Dogmatik stellten Mängel im Abwägungsvorgang die Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf eine gerechte Abwägung dar. Die sich auf diese Verletzung beziehenden Fehlerfolgenregelungen unterliegen somit einem verfassungsrechtlichen Rechtfertigungszwang, sofern dadurch die eingetretene Eigentumsverletzung nicht zur Unwirksamkeit des Plans führt. 283 Quaas / Kukk zweifeln berechtigterweise, wie bereits oben dargelegt, an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Umwandlung der Anforderungen des Abwägungsvorgangs in verfahrensrechtliche Anforderungen. 284 Wie Uechtritz versuchen Quaas / Kukk, die Anforderungen entsprechend ihrer Sachgesetzlichkeiten als materielle Anforderungen an den Abwägungsvorgang zu belassen. Nur hinsichtlich der Fehlerbeachtlichkeit soll eine Teilmenge der Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials als Verfahrensfehler behandelt werden. Dem ist wieder zu entgegnen, dass § 2 III BauGB gesetzessystematisch eine Formalisierung dem Grunde nach bewirkt und nicht nur für die Planerhaltungsregelungen im Wege einer Fiktion. 285 Indem Quaas / Kukk nur eine Teilmenge, nämlich nur für die Ermittlungs- und Bewertungsfehler mit verfahrensrechtlichem Charakter als Verfahrensrecht fingieren, sollen die materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebots gewahrt bleiben. Es stellt sich jedoch weiterhin die Frage, woraus diese Fiktionsregelung hergeleitet werden soll. Des Weiteren geben Quaas / Kukk keine Antwort darauf, welche Bestandteile des Ermittelns und Bewertens nur verfahrensrechtlichen Charakter haben und welche Elemente in Abgrenzung dazu als materiell-rechtlich zu verstehen sind. VIII. Die Ansicht von Kupfer Kupfer sieht in der Einordnung bisheriger Abwägungsvorgangsfehler als Verfahrensfehler durch das EAG Bau zwar eine „gesetzessystematische Inkonsistenz“ 286, nicht aber eine „Sprengung dogmatischer Prüfungsebenen“ 287. Kupfer unterscheidet dabei zwischen Fehlern des Abwägungsvorgangs, die überwiegend als Verfahrensfehler qualifiziert werden können, und Fehlern des Abwägungsvorgangs, die als vorrangig normativ-materiell qualifiziert werden können. 288 Bei 282 Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1545); so auch Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 214 Rn. 20, 71. 283 Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1546). 284 Siehe zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit oben B. I., S. 228 ff. 285 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490). 286 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (503). 287 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (503). 288 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (501).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
257
Mängeln im Abwägungsvorgang, die auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abwägungsergebnis stehen, trete der Verfahrensbezug hinter dem normativen Charakter der materiellen Abwägung zurück. Der normative Charakter der materiellen Abwägung ergebe sich daraus, dass durch das Ausgleichen der Belange einmal ein Zustand des Ausgewogenseins erreicht werde, gleichzeitig aber der Plan auch für die Zukunft gestaltet werde. 289 Anhand dieser Differenzierung legt Kupfer fest, welche Abwägungsfehler unter den jeweiligen Anwendungsbereich des § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB oder § 214 III BauGB fallen. Die Abwägungsfehler, Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit, werden aufgrund des verfahrensrechtlichen Charakters dem § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB zugeordnet. 290 Die Abwägungsdisproportionalität falle hingegen eindeutig unter § 214 III S. 2 BauGB. Fehler bei der Gewichtung der Belange qualifiziert Kupfer als qualitativ mehr als nur reine verfahrensrechtliche Vorarbeit. Hier überwiege der normativ-materielle Charakter, wobei er die Grenzen zwischen Abwägungsdisproportionaltität und Abwägungsfehlgewichtung beinahe auflöst und Teile des Gewichtens der Belange damit bereits als Teil des Ausgleichs der Belange versteht. 291 Entsprechend der von Kupfer vorausgesetzten Differenzierung unterscheidet er die Abwägungsfehlgewichtung in einen objektiven verfahrensrechtlichen Teil und einen materiell-normativen Teil. Die Abwägungsfehlgewichtung sei daher bei der isolierten, nur auf das Planungsziel gerichteten Gewichtung der Belange von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und bei der Gewichtung unter Einbeziehung der anderen konfligierenden Belange von § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB erfasst. 292 Die von Kupfer vorgenommene eindeutige Zuordnung entspricht vom Ansatz her (abgesehen von der Berücksichtigung des Abwägungsvorgangs) der Zuordnung, die bereits von der Expertenkommission in den Vorarbeiten zum EAG Bau vorgenommen wurde. 293 Die Fehler sind dementsprechend dem Verfahren und dem Ergebnis zugeordnet worden mit der Konsequenz, dass eine doppelte Überprüfung von Vorgang / Verfahren und Ergebnis nicht mehr erfolge. Mit der Beibehaltung einer Beachtlichkeitsregelung für Mängel im Abwägungsvorgang neben dem Verfahren und dem Abwägungsergebnis in § 214 III S. 2 BauGB hat der Gesetzgeber eine derartige Zuordnung gerade aufgegeben. 294 Der Gesetzgeber hat den Abwägungsvorgang wieder in § 214 III S. 2 BauGB erwähnt und 289
Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (501). Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (501). 291 Vgl. Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (502); so die Analyse Erbguths: Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491, Fn. 136). 292 Kupfer, Die Verwaltung 2005, S. 493 (502 u. 508). 293 Bericht der unabhängigen Expertenkommission (2. Kapitel, Fn. 12), Rn. 138; die Expertenkommission ist von der Streichung einer Beachtlichkeitsregelung für Mängel im Abwägungsvorgang ausgegangen und hat diesen bei der Zuordnung dementsprechend nicht mehr berücksichtigt. 290
258
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
ihn damit entsprechend der bisherigen Abwägungsdogmatik zum Kontrollgegenstand gemacht. 295 Diese Abkehr an die eindeutige Zuordnung von Anforderungen bzw. von Fehlern in der Entwicklung der neuen Planerhaltungsregelungen hat Kupfer m. E. außer Acht gelassen und spricht dehalb gegen eine Zuordnung. Das Unterscheidungskriterium, das er anbietet, dürfte ebenso zu Unklarheiten führen. Insbesondere da Kupfer im Sinne einer zweiphasigen Abwägung die Gewichtungsphase der Ausgleichsphase zufügt, wird eine Unterscheidung anhand des überwiegenden Charakters des Fehlers sehr schwierig durchführbar. 296 Ein Gewichtungsfehler kann gleichzeitig verfahrensrechtlich und materiell-rechtlich verstanden werden. Die entscheidende Frage laut Kupfer ist, welcher Fehler überwiegt. Kupfer weicht damit von der Zuordnung der Expertenkommission, die Fehler beim Bewerten als Verfahrensfehler eingestuft hat, ab und schafft mit den normativ-materiellen Gewichtungsfehlern einen Anwendungsfall für § 214 III S. 2 BauGB. 297 Aufgrund der Zusammenfügung der Gewichtungsphase und der Ausgleichsphase wird eine Differenzierung nach dem überwiegenden Charakter bei Gewichtungsfehlern jedoch noch mehr erschwert, da der Schritt der isolierten Gewichtung in der zweiphasigen Abwägung nicht mehr ohne die wertende Berücksichtigung anderer Belange erfolgt. 298 Insgesamt leidet die Ansicht Kupfers aber an keiner klaren Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 2 III BauGB und § 1 VII BauGB, und damit wird die Abgrenzung der Planerhaltungsregeln im Übrigen unscharf. 299 IX. Die Ansicht von Söfker Söfker sieht Fehler im Abwägungsvorgang, die über die Ermittlungs- und Bewertungsfehler i. S.v. § 2 III BauGB hinausgehen, in der Verletzung der Regelbefugnisse und Regelverpflichtungen aus §§ 1, 5, 9 BauGB und der BauNVO. 300 Indem Söfker weitere fortbestehende Mängel im Abwägungsvorgang identifiziert, kann er von einem weiten, auch materiellen, Verständnis von § 2 III BauGB ausgehen. 301 Demnach wird von dem Ermittlungs- und Bewertungsverfahren auch 294
Vgl. bereits oben 2. Kapitel B., S. 192 f.; Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579). 295 Zur Doppelkontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis siehe oben 1. Kapitel § 5 D., S. 134 ff. 296 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491, Fn. 136); zur zweiphasigen Abwägung siehe oben 1. Kapitel § 5 C. I. 1., S. 130. 297 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491); zu der Zuordnung in den Vorarbeiten vgl. den Bericht der unabhängigen Expertenkommission (2. Kapitel, Fn. 12), Rn. 139. 298 Zur zweiphasigen Abwägung siehe oben 1. Kapitel § 5 C. I. 1., S. 130. 299 So ähnlich auch Özdemir, Abwägungsmängel im Planerhaltungssystem des EAG Bau, S. 92. 300 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 187.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
259
das Gewichten der Belange erfasst. 302 Die neue „Verfahrensgrundnorm“ 303 § 2 III BauGB wird dementsprechend von Söfker nicht als reine Verfahrensnorm begriffen, obwohl der Gesetzgeber die Vorschrift im Hinblick auf die Planerhaltung gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB als Verfahrensvorschrift behandele. 304 Aufgrund der gleichen Beachtlichkeit der Verfahrensfehler beim Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und den Abwägungsvorgangsfehlern gemäß § 214 III S. 2 BauGB habe sich aber keine inhaltliche Änderung ergeben, denn beide Regelungen würden gemeinsam alle Fehler erfassen, die zuvor als Mängel im Abwägungsvorgang angesehen wurden. 305 Der Zuordnung von Verstößen gegen die §§ 1, 5, 9 BauGB, gegen die BauNVO und gegen § 38 BauGB zu den Abwägungsvorgangsmängeln i. S. d. § 214 III S. 2 BauGB ist zu entgegnen, dass die Anforderungen an den Abwägungsvorgang keine Verstöße gegen zwingendes Recht beinhalten. Diese von Söfker angeführten neuen Abwägungsvorgangsfehler sind Verstöße gegen Normen, die der Abwägung und somit dem Abwägungsvorgang vorgelagert sind. Im Rahmen der Abwägungsdogmatik bestimmen diese Normen den „spezifischen Abwägungsraum“ 306, sind aber nicht Bestandteil der Abwägung. 307 Söfker konkretisiert nicht, welche Absätze des § 1 gemeint sind. Systematisch gesehen beinhaltet § 1 BauGB, wie oben dargestellt, der Abwägung vorgelagerte Berücksichtigungspflichten, wie die Planerforderlichkeit, das Entwicklungsgebot und die Anpassungspflicht. 308 Diese Verstöße dürfte Söfker als Verstöße gegen § 1 BauGB gemeint haben. 309 Problematisch an dem materiellen Verständnis von Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB ist, dass Söfker damit die Sachgesetzlichkeit des Abwägungsvorgangs als materiell-rechtliche Anforderungen außer Acht lässt. Materielle Fehler werden demnach von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB als Verfahrensfehler behandelt. Gegen das materielle Verständnis spricht zudem die Gesetzesbegründung, wonach § 2 III BauGB eine Verfahrensgrundnorm sein soll. 310 Aus den 301 Für ein materielles Verständnis von Ermitteln und Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB ebenfalls Lemmel, in: Schlichter, BK zum BauGB, 3. Aufl., § 214 Rn. 23. 302 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 185, 188. 303 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 42. 304 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 2 Rn. 143 f. 305 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 2 Rn. 144; so auch Lemmel, in: Schlichter, BK zum BauGB, 3. Aufl., § 214 Rn. 23. 306 Dreier, Steuerung der Abwägung, S. 173. 307 Vgl. hierzu die Ausführungen oben 1. Kapitel § 4 A., S. 93 f., und B. II., S. 101 ff.; so auch Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 308 Zu den der Abwägung vorgelagerten Beachtlichkeitsregelungen siehe 1. Kapitel § 4 B. II., S. 101 f. 309 So im Ergebnis auch Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492 Fn. 162).
260
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
§§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 i.V. m. § 2 III BauGB ergeben sich keine Anzeichen für ein materielles Verständnis von § 2 III BauGB. 311 Der Argumentation, dass es aufgrund der gleichen Rechtsfolge von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und § 214 III S. 2 BauGB keiner Abgrenzung bedarf, kann aus dogmatischer Sicht, wie Erbguth herausgearbeitet hat, nicht zugestimmt werden. 312 X. Die Ansicht von Hoppe Das neue Ermitteln und Bewerten wird im Sinne der vierphasigen Abwägung nach Hoppe in die bestehende Abwägungsdogmatik eingefügt. 313 Aufgrund der von Hoppe vorgenommenen Unterscheidung der Ermittlungsphase als eine Art Grobselektion und der Einstellungsphase als Feinselektion, welcher sich die objektive Gewichtung erst anschließt, wird das neue „Bewerten“ gemäß § 2 III BauGB als Schritt der Einstellung von Belangen verstanden. 314 Damit wird vermieden, dass das Bewerten mit Gewichten gleichgesetzt wird. 315 Im Ergebnis bleibt damit die materiell-rechtliche Qualität des Abwägungsvorgangs, wenn auch geschmälert, erhalten. Gestützt wird die Beibehaltung des materiell-rechtlichen Charakters des Abwägungsvorgangs auf die Gesetzesbegründung zu § 2 III BauGB, wonach diese Regelung inhaltlich der sich aus dem bisherigen Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage entsprechen soll. 316 Von einer Änderung des geltenden Rechts könne daher nicht ausgegangen werden. 317 Der Widerspruch dieser Feststellung zu den anderen Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu dem angestrebten Systemwechsel wird insofern überwunden, als dass die an sich selbst zu einigen Ausführungen der Gesetzesbegründung widersprüchliche Regelung des § 214 III S. 2 BauGB als Argument angeführt wird. Mit der Beibehaltung einer Unbeachtlichkeitsregelung hinsichtlich der Fehler im Abwägungsvorgang in § 214 III S. 2 BauGB sei dem beabsichtigten Wechsel „der 310
S. 42. 311
Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250,
Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). Zur Kritik Erbguths an dem Argument der gleichen Rechtsfolge siehe unten XIII., S. 268 f. 313 Zum vierphasigen Abwägungsmodell siehe oben 1. Kapitel § 5 C. I. 2., S. 130 f. 314 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905); ebenso Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 214 Rn. 20, 71 f. 315 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (907 f.). 316 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905) mit Verweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250. 317 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (904); Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 4. 312
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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Boden entzogen worden“. 318 Es ist damit weiterhin von der Unterscheidung Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis auszugehen. Systematisch betrachtet sieht Hoppe in § 2 III BauGB keinen erkennbaren Regelungsgehalt, der über den verfassungsrechtlich gewährleisteten Regelungsgehalt des Abwägungsgebots in § 1 VII BauGB hinausgeht und eine Änderung bewirken könnte. Aus § 2 III BauGB ergebe sich zudem keine konkrete Regelung, aus der sich ein Systemwechsel ergeben könnte. Die in § 2 III BauGB gewählte Terminologie des „Ermittelns und Bewertens“ sieht Hoppe der Umweltprüfung vorbehalten. Die Begriffe „Ermitteln und Bewerten“ seien durch die Plan-UP-Richtlinie in die deutschen Regelungen zum Planaufstellungsverfahren übernommen worden. Entsprechend der Herkunft dieser Begriffe aus der Plan-UP-Richtlinie seien sie daher auch nur auf die Umweltprüfung bezogen. 319 Das „Bewerten“ sei so nur auf Umweltbelange reduziert und könne nicht mit dem objektiven Gewichten im Rahmen der Abwägung gleichgesetzt werden. 320 Ein Systemwechsel ist nach dieser Ansicht nicht vollzogen worden. Es bleibt bei dem bisherigen materiell-rechtlichen Verständnis der Anforderungen an das Abwägungsgebot, sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis. 321 Aus gesetzessystematischer Sicht ist Hoppe entgegenzuhalten, dass die Geltung von Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB nicht auf Umweltbelange reduziert werden kann. In § 2 III BauGB ist die Ermittlung und Bewertung aller abwägungsbeachtlichen Belange im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens geregelt, welches als Trägerverfahren für die Umweltprüfung dienen soll. Die allgemeinen Anforderungen in § 2 III BauGB gelten somit als eine Art allgemeiner Teil für alle Belange. 322 Die europarechtliche Vorprägung der Bewertung für Umweltbelange schlägt sich damit nicht in der Gesetzessystematik des Planaufstellungsverfahrens nieder. 323 Kritisiert wird die Ansicht Hoppes, die Bewertungsfehler als Einstellungsfehler zu qualifizieren, mit dem Argument, dass bereits der Wortlaut eine solche Qualifizierung nicht zulasse. Bewerten sei synonym mit Gewichten zu verstehen und Bewertungsfehler könnten daher nicht als Einstellungsfehler gewertet werden. 324 Hoppe versteht hingegen Bewerten als Ermittlung der Abwägungsbeacht318
Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905). Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (904 f.). 320 Vgl. Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (904 f.). 321 Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (910); gegen einen Systemwechsel auch Dürr, in: Brügelmann / Bank / Dürr, BauGB, § 214 Rn. 72. 322 Zur systematischen Stellung der §§ 2 III und 2 IV BauGB siehe Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 129. 323 Im Ergebnis so auch Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491); Bernhardt, JA 2008, S. 166 (167). 319
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
lichkeit eines Belangs. Die fehlerhafte Bewertung der Abwägungsbeachtlichkeit stellt demnach einen Einstellungsfehler dar. Mit dem Wortlaut dürfte dieses Verständnis von Bewerten vereinbar sein. Mit seiner engen Auslegung des Begriffs Bewerten vollzieht Hoppe die stärkere Betonung der Zusammenstellung der Belange im Rahmen der Abwägung nach, die durch § 2 III BauGB Eingang in den Gesetzestext gefunden hat. 325 Mit seiner Einordnung als Einstellungsfehler gelingt Hoppe eine Auslegung von Bewerten, die mit dem Wortlaut vereinbar ist, aber möglicherweise dem Willen des Gesetzgebers widerspricht. 326 Aus der Gesetzesgenese geht der gesetzgeberische Wille einer Zuordnung des Abwägungsvorgangs zum Verfahrensrecht zunächst deutlich hervor. 327 Wie bereits oben dargelegt, relativiert der Gesetzgeber seinen Willen durch die Einfügung des § 214 III S. 2 BauGB selbst. 328 Mehr als dieser unklare Wille des Gesetzgebers ist nicht in den Normtext eingegangen, aus dem sich somit keine eindeutige Entscheidung für einen Systemwechsel entnehmen lässt. Durch Auslegung ist dem Normtext daher nicht mehr als diese unklare Wertentscheidung zu entnehmen. 329 Aus diesem Grund steht die Ansicht Hoppes auch nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. XI. Die Ansicht von Stelkens Zur Bestimmung des Inhalts der neu geregelten Planerhaltungsvorschriften beschreitet Stelkens den Weg der Auslegung. Er geht ebenfalls nicht von einem vollzogenen Systemwechsel aus. Im Ergebnis bleibe trotz der Neuregelungen vieles beim Alten. Im Unterschied zu Happ 330 geht Stelkens jedoch davon aus, dass sich die Begründungen des Ergebnisses geändert haben. 331 Im Unterschied zu den Vorgängerregelungen müsse nun der Mangel als Verfahrensfehler oder als materiell-rechtlicher Abwägungsmangel qualifiziert werden, um den Anwendungsbereich der einschlägigen Beachtlichkeitsregelung be324
So die Kritik von Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491). Für die neue, im Gesetz angelegte stärkere Betonung der Phase der Zusammenstellung der abwägungsbeachtlichen Belange auch Bernhardt, der diese stärkere Gesetz gewordene Unterscheidung als Abwägungsmaterial und Abwägung beschreibt: Bernhardt, JA 2008, S. 166 (169). 326 So die Kritik von Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491). 327 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 63. 328 Siehe oben 2. Kapitel § 2 C., S. 202; Kraft, UPR 2004, S. 331 (332). 329 Allgemein zu den Grenzen der Auslegung Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 5. Aufl., Rn. 717 ff., insbes. Rn. 722 ff. 330 Siehe unten XII., S. 265 ff. 331 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (81). 325
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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stimmen zu können. Folge der Qualifizierung als Verfahrensfehler sei, dass entsprechend dem deutschen Verständnis von Verfahrensfehlern Fehler „unter besonders erleichterten Voraussetzungen als unbeachtlich eingestuft werden“ 332 können. Um bestimmen zu können, welche Mängel von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB i.V. m. § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB erfasst werden, grenzt Stelkens diese Mängel zunächst von den immer beachtlichen Mängeln im Abwägungsergebnis ab. Diese Abgrenzung sei erforderlich, da der Wortlaut des § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB nur von Mängeln der Abwägung spreche. Demnach sei es möglich, dass auch Ermittlungs- und Bewertungsmängel, die zugleich einen Mangel im Abwägungsergebnis darstellen, unter § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB fallen und daher gemäß § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB nicht mehr als Abwägungsmängel geltend gemacht werden könnten. 333 Folge dieses auf das Ergebnis erweiterten Anwendungsbereichs ist nach Ansicht Stelkens, dass der gerichtlichen Kontrolle des Ermittlungsund Bewertungsverfahrens eine eigenständige Bedeutung zukommt. Kann gemäß § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB ein sich auf das Abwägungsergebnis durchschlagender Ermittlungsmangel nicht mehr geltend gemacht werden, da dieser abschließend von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB geregelt wird, so findet auch keine materiellrechtliche Kontrolle des Abwägungsergebnisses hinsichtlich dieses Fehlers mehr statt. Damit fingiert § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB, über die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens hinaus, die inhaltliche Richtigkeit der Ermittlung der Belange, da die Gerichtskontrolle damit auf die Kontrolle der Verfahrensrichtigkeit beschränkt ist. 334 Nach Verstreichen der Rügefrist für Verfahrensfehler gemäß § 215 I Nr. 1 BauGB würde ein mit einem beachtlichen Verfahrensfehler belasteter Bebauungsplan wirksam werden. Dieses Ergebnis sei untragbar, so dass Ermitteln so zu verstehen ist, dass von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB nur Mängel erfasst werden, die unmittelbar in der fehlerhaften Ermittlung des Abwägungsmaterials selbst liegen. Auf einem Ermittlungsfehler beruhende Mängel im Abwägungsergebnis sollen nicht unter § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB fallen. Das Bewerten i. S.v. § 2 III BauGB wird von Stelkens ebenfalls restriktiv ausgelegt, um zu verhindern, dass die §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB auch Mängel des Abwägungsergebnisses abschließend regeln. 335 Aus diesem Grund sei Bewerten nicht als Gewichten zu verstehen, denn das Gewichten und die spätere Ausgleichsentscheidung seien kaum sachlich trennbar und somit würde anderenfalls das weit verstandene Bewerten i. S.v. § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB doch abschließend Fehler bei der Ausgleichsentscheidung umfassen. 336 Im Ergebnis versteht Stelkens die Bewertungsfehler als Einstellungsfehler i. S. d. Ansicht Hoppes. 337 Für dieses Verständnis von Bewerten spreche zudem, dass 332 333 334 335 336
Stelkens, Stelkens, Stelkens, Stelkens, Stelkens,
UPR UPR UPR UPR UPR
2005, 2005, 2005, 2005, 2005,
S. 81 S. 81 S. 81 S. 81 S. 81
(81). (81 f.). (82). (84). (84).
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
andernfalls die neue Verfahrensgrundnorm in § 2 III BauGB dem in § 1 VII BauGB verankerten Abwägungsgebot keinen eigenen Regelungsgehalt mehr belasse. 338 Bewerten i. S. d. §§ 2 III BauGB, 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB ist demnach die Feststellung der konkreten Abwägungsbeachtlichkeit entsprechend des von Hoppe ausdifferenzierten Abwägungssystems, was noch als Verfahrenshandlung verstanden werden könnte und sich so in die bestehende Gesetzessystematik einfüge. 339 Im Unterschied zu Hoppe fällt nach der Ansicht Stelkens der Einstellungsfehler der Fehleinstellung nicht zwingend in den Anwendungsbereich des Bewertungsverfahrens gemäß § 2 III BauGB, da sonst Bewerten so weit verstanden würde, dass auch das Gewichten von Bewerten umfasst werden würde. 340 Dieses Verständnis von Ermitteln und Bewerten in Abgrenzung zu Mängeln im Abwägungsergebnis zugrunde gelegt, erfasst die Ausschlusswirkung von § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB nur Mängel im Abwägungsvorgang, nicht aber im Abwägungsergebnis. Folge der von Stelkens vorgenommenen Abgrenzung ist die teilweise Bestimmung des Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens gemäß den §§ 2 III, 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB, welche bei der Abgrenzung zu den ‚übrigen‘ Abwägungsvorgangsfehler i. S.v. § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB hilfreich ist. Demnach könnten Ermittlungsfehler aufgrund der Fiktionswirkung niemals Mängel des Abwägungsvorgangs gemäß § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB sein; denn mit der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens werde die Rechtmäßigkeit des Abwägungsvorgangs schließlich fingiert. 341 Die restriktive Auslegung des Bewertens lässt Raum für das Fortbestehen von Abwägungsvorgangsfehlern. Nach der Ansicht Stelkens sind dies dann Mängel, die sich auf den Abwägungsvorgang insgesamt beziehen. Darunter würde zunächst der vollständige oder der nur teilweise Abwägungsausfall fallen. 342 Ein weiterer fortbestehender Mangel im Abwägungsvorgang sei der „Abwägungsfehlgebrauch“. 343 Insbesondere die Fehleinstellung von Belangen soll unter diesen nicht von der Rechtsprechung zur Abwägungsdogmatik entwickelten Abwägungsfehler fallen. Eine Fehleinstellung soll immer dann vorliegen, wenn Belange in die Planung eingestellt wurden, die nicht nach Lage der Dinge in die Planung einzustellen sind, oder wenn diese Belange überhaupt nicht zur sachgerechten Ordnung der städtebaulichen Entwicklung beitragen können. 344 337
Vgl. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84); zur Ansicht Hoppes vgl. oben X., S. 260 f. Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 339 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 340 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (84). 341 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85). 342 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85). 343 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85); Stelkens verweist auf die Parallelität zu den Ermessensfehlern, insbes. dem Ermessensfehlgebrauch. Dabei verweist er auf die Darstellung dieser Parallelität bei Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 8 f. 338
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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Bei der Definition der Fehleinstellung verweist Stelkens auf die Definition von Hoppe. 345 Insgesamt versteht Stelkens das Bewertungsverfahren restriktiv und i. S.v. Hoppe als Teil der Einstellungsphase in die Abwägung. Wenn die konkrete Bestimmung der Abwägungsbeachtlichkeit dementsprechend Teil des Bewertungsverfahrens i. S.v. § 2 III BauGB sein soll, dann werden die entsprechenden Fehler von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst. Konsequenterweise würde der Fehler der Fehleinstellung ebenfalls in den Anwendungsbereich von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB fallen. Ein Fehler im Abwägungsvorgang kann aber aufgrund von § 214 III S. 1 BauGB nicht mehr vorliegen. Meines Erachtens ist kein Argument ersichtlich, warum die Einstellung eines objektiv nicht abwägungsbeachtlichen Belangs eher dem Gewichten unterfallen soll als die Nichtberücksichtigung eines abwägungsbeachtlichen Belangs. Daher scheint der Abwägungsfehlgebrauch nach Stelkens nicht ein Mangel im Abwägungsvorgang i. S.v. § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB zu sein. Im Abwägungsvorgang fortbestehende Abwägungsfehler sind infolge der restriktiven Auslegung Stelkens’ die Gewichtungsfehler und damit die Abwägungsfehleinschätzung, wobei Fehlgewichtungen, die auf einer Verkennung der Abwägungsbeachtlichkeit eines objektiven gewichtigen Belangs beruhen, und dieser Belang somit nicht in die Abwägung eingestellt wurde, bereits von §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB abschließend erfasst würden. 346 Indem Stelkens, wie Hoppe, die Bewertung als Teil der Einstellungsphase versteht, bleibt die vertretene Kritik bestehen, dass die Ansicht, nach der Bewerten als Gewichten verstanden werden soll, dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, damit der Abwägungsvorgang insgesamt von den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB erfasst werden kann. 347 Wie bereits oben dargelegt, steht die Ansicht Hoppes aber nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. 348 XII. Die Ansicht von Happ Nach der Ansicht von Happ lassen die Änderungen des EAG Bau im Hinblick auf die Abwägung „alles beim Alten“ 349. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist, dass entsprechend dem herkömmlichen Verständnis der dienenden Funktion 344
Stelkens nimmt an dieser Stelle Bezug auf die von Hoppe für die Einstellungsfehler aufgestellte Definition der Fehleinstellung: Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ÖffBauR, 4. Aufl., § 7 Rn. 113. 345 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85 Fn. 33). 346 Stelkens, UPR 2005, S. 81 (85). 347 So die Kritik von Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491) mit Verweis auf die Gesetzesbegründung in Fn. 149. 348 Siehe oben die Ausführungen zu der Ansicht Hoppes unter X., S. 260 f. 349 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307).
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
des Verfahrensrechts, der Neuregelung des Verfahrens des Ermittelns und Bewertens in § 2 III BauGB nur vor dem Hintergrund der materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsgebots aus § 1 VII BauGB eine Funktion zukommt. 350 Diese Annahme stützt Happ auch auf den Wortlaut von § 2 III BauGB, wonach die Belange ermittelt und bewertet werden sollen, die für die Abwägung von Bedeutung sind. 351 Ausgehend von dieser verfahrensrechtlichen Funktion des § 2 III BauGB grenzt er das Verfahren des Ermittelns und Bewertens von den übrigen Mängeln im Abwägungsvorgang ab. Die Ablehnung des in der Gesetzesbegründung angestrebten Systemwechsels begründet Happ mit dem damit verbundenen unzulässigen Eingriff in das aus dem Rechtsstaat abgeleitete Abwägungsgebot. Indem der Abwägungsvorgang als Verfahren geregelt werden soll, werde der inhaltliche Zusammenhang zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis missachtet. Der Abwägungsvorgang sei aufgrund der Ergebnisoffenheit des § 1 VII BauGB selbständiger Prüfungsgegenstand, dabei bleibe er aber Teil der Ergebniskontrolle des fertigen Planinhalts. Eine an das Verfahren geknüpfte widerlegbare Vermutungsregelung, wie von der unabhängigen Expertenkommission vorgeschlagen, wäre zweckfördernd und mit dem Abwägungsgebot vereinbar, nicht aber der angestrebte Systemwechsel. 352 Der inhaltliche Zusammenhang von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis mit den dazugehörigen Interdependenzen wird von Happ auch als Argument gegen die Doppelüberprüfung von Vorgang und Ergebnis anhand identischer Maßstäbe angeführt. 353 Die neue Verfahrensgrundnorm und die neuen Planerhaltungsregelungen würden sich nur in die bestehende Gesetzessystematik einfügen, wenn das Ermittlungs- und Bewertungsverfahren rein verfahrensrechtlich verstanden würde; dann bestehe auch ein eigener Regelungsgehalt der §§ 2 III, 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB neben dem in § 1 VII BauGB verankerten Abwägungsgebot. Gegen den in der Gesetzesbegründung angestrebten Systemwechsel spricht, nach Happ, dass durch das EAG Bau Normen mit originär materiellem Inhalt zu Verfahrensnormen werden sollen. Der Charakter einer Norm bemesse sich aber nicht nach „bloßer gesetzlicher Dezession“ 354, sondern nach dem Inhalt der Norm. 355 Konsequenz dieser Auslegung ist, dass sich die gerichtlichen Kontrollmaßstäbe entsprechend der Kontrolle des Verfahrens oder des materiell-rechtlichen Abwägungsvorgangs unterscheiden. Bei einem weiten Verständnis des Bewertungs- und Ermittlungsverfahrens würde die inhaltliche Richtigkeit bei der gerichtlichen Überprüfung im 350 351 352 353 354 355
Happ, NVwZ 2007, S. 304 (304). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (304). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (304 f.). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (305). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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Vordergrund stehen, wenngleich der Gesetzgeber mit § 2 III BauGB den Wechsel zum Verfahrensrecht erreichen wollte. 356 Dementsprechend regelt § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB die Beachtlichkeit des verfahrensrechtlich unzutreffenden Ermittelns und Bewertens. Die Beachtlichkeit der Mängel im materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang ist in § 214 III S. 2 BauGB geregelt. Fehler beim Ermitteln und Bewerten, die zu einem unmittelbar daraus resultierenden Abwägungsmangel führen, können dann weiter geltend gemacht werden, ohne mit § 214 III S. 2 Hs. 1 BauGB zu kollidieren. 357 Folgt man Happ, so ergeben sich keine wesentlichen Änderungen zur bisherigen Abwägungsdogmatik. 358 Die enge Auslegung des Ermittlungsverfahrens ist, wie bereits dargelegt, mit dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers vereinbar. Gegen ein solches rein verfahrensrechtliches Verständnis des Ermittlungsund Bewertungsverfahrens i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB nach Happ hat sich Gaentzsch bereits im Vorfeld gewendet, indem er davon ausgeht, dass der Gesetzgeber auch die materiell-rechtliche Seite des Abwägungsvorgangs mit § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfassen wollte. 359 Die materiell-rechtliche Seite trete dabei zwar in den Hintergrund, da die Anforderungen an den Abwägungsvorgang durch ein ordnungsgemäßes Verfahren, wie der Bürgerbeteiligung, erfüllt werden. Insgesamt würden aber beide Seiten des Abwägungsvorgangs erfasst. 360 Dieser Kritik an dem rein verfahrensrechtlichen Verständnis kann zunächst entgegengehalten werden, dass Gaentzsch noch von der Entwurfsfassung ausging, in der die Beachtlichkeit von Fehlern auf der materiell-rechtlichen Seite nicht mehr geregelt war. 361 Mit der Regelung in § 214 III S. 2 BauGB hat sich das Bedürfnis nach einer Regelung der Beachtlichkeit von Fehlern auf der materiellrechtlichen Seite des Abwägungsvorgangs nicht mehr gestellt. Ebenso hat sich der gesetzgeberische Wille damit relativiert. Wie bereits oben dargelegt, enthält das Gesetz selbst keine Anhaltspunkte, die dafür sprechen würden, die §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB nicht verfahrensrechtlich zu verstehen. 362 Happ weist in seiner Ansicht darauf hin, dass die neu geregelten Planerhaltungsvorschriften keine Vermutungsregelung von einem ordnungsgemäßen Verfahren hin zu einer richtigen Sachentscheidung enthalten. 363 Insofern sind Verfahrensrichtigkeit und Sachrichtigkeit zu trennen. Insgesamt vermag die Kritik an dem reinen verfahrensrechtlichen Verständnis nicht zu überzeugen. 356
Vgl. Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306 f.). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 358 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 359 Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137; zustimmend Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (15). 360 Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 138. 361 Vgl. Gaentzsch, in: BauGB-Novelle 2004, S. 137. 362 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 363 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (305). 357
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
XIII. Die Ansicht von Erbguth Ausgangspunkt der Ansicht Erbguths ist das Verständnis des § 2 III BauGB als reine Verfahrensvorschrift. Über die Verweisung in § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB wird die neue Verfahrensgrundnorm in den Kontrollbereich der Gerichtskontrolle mit einbezogen. Dabei würden die Anforderungen an das Zusammenstellen des Abwägungsmaterials dem Grunde nach formalisiert. 364 Erbguth widerspricht damit der Annahme von Uechtritz, die Anforderungen würden nur für die Gerichtskontrolle über eine Fiktion zu Verfahrensrecht. 365 Die sich stellende Anschlussfrage ist für Erbguth, inwieweit die materiell-rechtliche Seite des Abwägungsvorgangs und die darauf gerichtete Gerichtskontrolle somit zu Verfahrensrecht „umgerubelt“ 366 worden sind. Die sogenannte Reserveklausel in § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB nimmt er als Indiz, dass keine vollständige Formalisierung der materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang stattgefunden hat. 367 Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel der Aufwertung des Verfahrensrechts sieht er damit als verfehlt an. 368 Stattdessen habe der Gesetzgeber die ursprünglich vorgeschlagene Indizwirkung des Verfahrens verworfen und eine der Anpassung an das Europarecht diametral wirkende Umwandlung materiell-rechtlicher Anforderungen in verfahrensrechtliche Anforderungen vorgenommen und diese den weitreichenderen Planerhaltungsvorschriften der §§ 214, 215 BauGB unterworfen. 369 Im Ergebnis wendet sich Erbguth gegen die Annahme eines Systemwechsels durch das EAG Bau. Gegen die im Schrifttum vorgenommenen Einordnungsversuche wendet sich Erbguth insgesamt. Seines Erachtens muss der Weg der Neuregelung gegangen werden, der das Verfahren durch eine damit verknüpfte Indizwirkung aufwertet und den materiell-rechtlichen Charakter des Abwägungsvorgangs bestehen belässt. 370 Der von dem Gesetzgeber angestrebte Systemwechsel sei in dem EAG Bau nur „halbherzig“ 371 und „widersprüchlich“ 372 vollzogen worden; denn es bleibt weiter unklar, welche Fehler nun Verfahrensfehler oder weiterhin materielle Abwägungsvorgangsfehler i. S.v. § 214 III S. 2 BauGB sind. Aufgrund der durch das EAG Bau erzeugten Widersprüchlichkeiten sieht er keine Aufklärung durch interpretatorische Ansätze. 373 364
Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490); Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21; Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 144. 365 Siehe oben VI., S. 252 f. 366 Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807). 367 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (808). 368 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (490); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (809). 369 Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 23 f. 370 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 371 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 372 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
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So sei der im Schrifttum vorgeschlagene Weg über ein rein verfahrensrechtliches Verständnis von Ermitteln und Bewerten nicht zulässig. Ein solches Verständnis widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, wonach Bewerten i. S.v. Gewichten zu verstehen sei. Auch terminologisch könne das Bewerten nicht nur bezogen auf die Phase der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials verstanden werden. 374 Auch der Ansicht, die den Ausgleich der Belange als Abwägungsvorgang und den fertigen Plan als Abwägungsergebnis begreifen will, erteilt er eine Absage. Das EAG Bau halte an der Unterscheidung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis ausdrücklich fest. Der Abwägungsvorgang könne daher nicht beliebig auf Elemente des Abwägungsergebnisses erweitert werden, nur um eine materiell-rechtliche Kontrolle des Abwägungsvorgangs zu erhalten. 375 Denjenigen, die die Neuregelung nicht als reine Verfahrensvorschriften verstehen wollen, entgegnet Erbguth, dass sich aus den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 Hs. 2, 2 III BauGB keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass es sich bei den Vorschriften nicht um reine Verfahrensvorschriften handelt. 376 Erbguth anerkennt, dass das Ermitteln der Belange als Verfahren zugleich auch materiellen Gehalt haben kann. 377 Diesen Sachgesetzlichkeiten könne der Gesetzgeber nicht zuwiderhandeln und daher nicht abschließend dem Verfahrensrecht unterstellen. 378 Andererseits sei das Nebeneinander von verfahrensrechtlichem und materiellrechtlichem Gehalt in einer Vorschrift kein zwingendes Argument, dieser Vorschrift den verfahrensrechtlichen Charakter abzusprechen. 379 Die Ansicht, dass eine verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Zuordnung wegen der gleichen Rechtsfolge nicht erforderlich sei, teilt Erbguth nicht. 380 Für die Gerichtskontrolle bestehen seiner Ansicht nach sehr wohl Unterschiede. Diese Unterschiede würden bereits aus dem Wortlaut der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III S. 2 BauGB deutlich. Die Erheblichkeitsfilter der Offensichtlichkeit und der Ergebniskausalität scheinen sich auf den ersten Blick in den beiden Regelungen zu entsprechen. Erbguth weist zutreffend darauf hin, dass für das Kausalitätskriterium einmal das Verfahrensergebnis (§ 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB) 373
Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492); Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 22. 374 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (809). 375 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491 f.). 376 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 377 Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807). 378 Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807); Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 144. 379 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 380 Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21; a. A. aber Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (16). vgl. auch oben VI., S. 252 f.
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Bezugspunkt sei und einmal das Abwägungsergebnis (§ 214 III S. 2 BauGB). Damit werde im Gesetz konsequent zwischen den inhaltlichen unmittelbaren Auswirkungen auf den fertigen Planinhalt und den verfahrensrechtlichen Auswirkungen auf das Ergebnis des Planaufstellungsverfahrens unterschieden. Die verfahrensrechtlichen Auswirkungen könnten sich damit nicht selbst auf das Abwägungsergebnis, den fertigen Planinhalt auswirken, sondern nur auf das Verfahrensergebnis. 381 Die berechtigte Frage, was unter dem Verfahrensergebnis zu verstehen ist, lässt Erbguth dabei ausdrücklich offen. 382 Mit der Umwandlung der materiellen Abwägungsbestandteile des Ermittelns und Bewertens / Gewichtens in Verfahrensrecht bei gleichzeitiger Unterwerfung unter die auf Verfahrensfehler gerichteten Fehlerfolgenregelungen geht nach Erbguths Ansicht auch ein Abbau materieller Kontrolldichte einher. 383 Die durch das EAG Bau veränderten Planerhaltungsregelungen beließen den Abwägungsvorgang in seinem materiell-rechtlichen Bestand. 384 Als Konsequenz der Anerkennung der Formalisierung des Ermittelns und Bewertens / Gewichtens als neue Verfahrensvorschriften dem Grund nach verbleibe für die materiell-rechtliche Kontrolle nur noch die Abwägungsentscheidung. 385 Damit aber eine Ausgleichsentscheidung über die Belange ergehen könne, müssten die Belange entscheidungsintern vorgewichtet werden. Aufgrund der Verschiebung der Bewertungsebene der Belange in das neue Verfahren bedarf es nach Ansicht Erbguths dieser entscheidungsinternen Vorgewichtung; denn das verfahrensrechtliche Bewerten könne diese für die Entscheidung unerlässliche Gewichtung nicht mehr leisten. 386 Diese Vorermittlung und Vorgewichtung sind nach Ansicht Erbguths Bestandteil des Abwägungsvorgangs gemäß § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB. 387 Ob allerdings ein verfahrensrechtliches Verständnis von „zutreffend Bewerten“ angesichts des gesetzgeberischen Willens unzulässig ist, erscheint nicht zwingend. Sicherlich spricht die historische Auslegung des Bewertens für ein Verständnis als Gewichten i. S. d. bisherigen Abwägungsdogmatik. 388 Andererseits ist die Gesetzesgenese zu dem neuen Verfahren insgesamt widersprüchlich und damit ist unklar, was von dem geplanten Systemwechsel im Ergebnis Gesetz geworden ist. 389 Im Rahmen der systematischen Einordnung unter Berücksichti381
Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21. Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21 f. 383 Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21. 384 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492); Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 144. 385 Vgl. Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (808). 386 Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (808). 387 Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (808). 388 Vgl. oben A. II. 2., S. 221 f. 382
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
271
gung des gesetzgeberischen Willens ist die enge verfahrensrechtliche Auslegung des Bewertens mit dem Wortlaut und dem doch widersprüchlichen Willen des Gesetzgebers vereinbar, 390 so dass der Weg über die enge verfahrensrechtliche Auslegung nicht verschlossen ist. Klärungsbedürftig bleibt jedoch, anhand welcher Abgrenzungskriterien die interne materiell-rechtliche Vorgewichtung der Abwägungsbelange von dem neuen Verfahren des Ermittelns und Bewertens abgegrenzt werden kann. Letztendlich räumt Erbguth ein, dass die Neuregelung der gerichtlichen Abwägungskontrolle nach dem EAG nur „interpretatorisch einigermaßen zu bändigen [ist].“ 391
D. Stellungnahme Die Anzahl der verschiedenen Ansichten zu den Planerhaltungsregelungen im Hinblick auf Abwägungsfehler nach dem EAG Bau ist Ausdruck eines unklaren Willens des Gesetzgebers. Die an das Europarecht angelehnte Neukonzeption zur verstärkten Verfahrenskontrolle ist in den einzelnen Regelungen sichtbar. Der Gesetzgeber hat es aber versäumt, diesen Systemwechsel konsequent zu vollziehen. Als Resultat stehen sich eine vermeintliche Neuausrichtung auf die Verfahrenskontrolle und eine gleichzeitige Beibehaltung alter materieller Standards gegenüber. I. Argumente für und gegen den Wechsel zu einer Verfahrenskontrolle Wie oben dargelegt, sind in der dem EAG Bau zugrunde liegenden Plan-UPRichtlinie vorwiegend verfahrensrechtliche Anforderungen an die Planaufstellung enthalten. Mit der Umsetzung der von der Union vorgegebenen Verfahrensanforderungen in nationales Recht werden aber verfahrensrechtliche Regelungen übernommen, denen nach unionsrechtlichem Verständnis ein höherer Stellenwert zugrunde liegt als den nationalen verfahrensrechtlichen Regelungen im nationalen Recht. 392 Der EuGH geht für das Unionsrecht, geprägt von den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, von einer Richtigkeitsgewähr durch Verfahren bei gleichzeitiger Reduzierung materiell-rechtlicher Kontrollmaßstäbe aus. 393 Dementsprechend bedient sich der Richtliniengeber dieser verfahrensrechtlichen Regelungsinstrumente. Nach deutschem nationalen Verständnis kommt dem Ver389 390 391 392 393
Vgl. oben 2. Kapitel § 2 C., S. 202. Vgl. oben A. II., S. 220 ff. Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). Siehe oben 2. Kapitel § 1 B., S. 177 ff. Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (862); siehe oben 2. Kapitel § 1 B., S. 177 ff.
272
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
fahrensrecht ein nicht so hoher Stellenwert zu. Die unterschiedliche Gewichtung der Verfahrensvorschriften führt zu einer unterschiedlichen Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern bei der Gerichtskontrolle im Vergleich zwischen der Gerichtskontrolle des EuGH und den deutschen Gerichten. 394 Selbst bei der Kontrolle der planerischen Abwägungsentscheidungen, bei welchen auch in Deutschland die Verwaltungsentscheidung nicht mehr von dem kontrollierenden Gericht ersetzt werden darf, erreichen die Verfahrensanforderungen an die Abwägungsentscheidung nicht denselben Stellenwert wie im Europarecht. Denn in Deutschland müssen sich die Verfahrensfehler gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB ergebniskausal ausgewirkt haben, damit sie in der Gerichtskontrolle berücksichtigt werden. 395 Grundsätzlich bestehen aus europarechtlicher Sicht keine Bedenken. Die vom Unionsrecht und der EMRK eingeforderten Mindeststandards an die gerichtliche Kontrolldichte werden in Deutschland übertroffen. 396 Eine einheitliche Kontrolldichte im europäischen Rechtsschutzsystem wird grundsätzlich nicht gefordert, so dass kein Anpassungsdruck besteht. 397 Aus europarechtlicher Perspektive stellt sich aber die Frage, inwieweit die Durchsetzung und der Rechtsschutz bei der Einhaltung von nationalen Verfahrensvorgaben ausgeschlossen oder beschränkt werden darf. Grundsätzlich ist es Sache der Mitgliedsstaaten, das Verfahrensrecht zu regeln. 398 Es ist anerkannt, dass das Verwaltungsverfahrensrecht der Mitgliedsstaaten anzuwenden ist, soweit nicht spezielle Regelungen des Unionsrechts vorgehen. 399 Die EU hat grundsätzlich keine Kompetenz zur Regelung des mitgliedsstaatlichen Verwaltungsverfahrens und Verwaltungsprozessrechts, aber die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte darf durch nationales Verfahrensund Verfahrensprozessrecht nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. 400 Über die europarechtlichen Grundsätze der Gleichwertigkeit und Effektivität findet die Ausgestaltung des nationalen Verfahrens- und Verwaltungsprozessrechts ihre Grenzen. 401 Damit besteht einerseits keine Verpflichtung zur Vereinheitlichung der Kontrolldichte und kein Anpassungsdruck, andererseits bestehen Grenzen für den nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems. 402 Der deutsche Gesetzgeber kann sich aber nicht den unionsrechtlichen Entwicklungen entziehen. 403 Entsprechend dem Willen des 394 395 396 397 398 399 400 401
(803). 402
Vgl. dazu oben 2. Kapitel § 1 B., S. 177 ff. Siehe oben 2. Kapitel § 1 B., S. 177 ff. Schoch, in: Enders / Osterloh / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR III, § 50, Rn. 264. Schoch, in: Enders / Osterloh / Voßkuhle (Hrsg.), GVwR III, § 50, Rn. 264. Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1276). Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1276). Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1276); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (803). M.w. N. siehe Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1276); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 Vgl. Kment, DVBl 2007, S. 1275 (1276).
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
273
Gesetzgebers des EAG Bau, das deutsche Rechtssystem für den Bereich der Bauleitplanung mit dem Konzept der unionsrechtlichen Vorgaben strukturell zu harmonisieren, „[...,] soll auch die europarechtlich vorgegebene Stärkung des Verfahrensrechts mit entsprechenden Regelungen zur Bestandsicherheit der städtebaulichen Pläne und Satzungen verbunden werden.“ 404 Die dem EAG Bau zugrunde liegende Plan-UP-Richtlinie enthält keine zwingenden Umsetzungsanforderungen hinsichtlich der Änderung des deutschen Verfahrensverständnisses. 405 Ein Bedarf zur Anpassung an das Rechtsschutzsystem besteht, wie oben dargelegt, nicht, so dass dieser nicht als Argument für einen Systemwechsel angeführt werden kann. Für einen Systemwechsel spricht aber der rechtspolitische Wille des Gesetzgebers zur Vereinheitlichung des Verfahrensverständnisses. Die Frage der Europarechtsanpassung des Planungsrechts an das unionsrechtliche Verfahrensverständnis stellt damit die grundlegende Frage nach einer Neubewertung der gerichtliche Kontrolldichte bei Entscheidungen mit Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung. 406 Für den Wechsel zu einer Verfahrenskontrolle spricht, dass die Einhaltung des Verfahrensrechts zunächst einfacher und eindeutig durch die Gerichte zu überprüfen ist. Bei der Einhaltung des Verfahrens verbleibt den Gerichten nur noch eine Begründbarkeitsprüfung der Entscheidung. 407 Ein solcher Kontrollmaßstab dient insofern auch der Planerhaltung, als dass begründbare Planungsentscheidungen trotz materiell-rechtlicher Fehlerhaftigkeit bestehen bleiben können. 408 Die Planerhaltungsvorschriften versuchen, die Planerhaltung bei gerichtlicher Vollkontrolle zu erreichen. Bei einem Systemwechsel bedürfte es der Planerhaltungsvorschriften in dieser komplizierten Form wohl nicht mehr, so dass durch den Systemwechsel eine komplizierte Regelung vereinfacht werden könnte. Solch ein Systemwechsel setzt jedoch voraus, dass sich das nationale Verständnis von der Funktion des Verfahrensrechts ändert. Dem Verfahrensrecht muss eine stärkere Bedeutung beigemessen werden. Solange die Gerichte die Ergebnisrichtigkeit der Abwägungsentscheidung voll überprüfen, kommt dem Verfahren nur eine dienende Funktion zu. 409 Solange ein solcher Paradigmenwechsel nicht stattfindet, kann das Verfahrensrecht bei einem Systemwechsel nur bedingt kom403
Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (802). Wie bereits in der Gesetzesbegründung als Grund für den Wechsel angeführt wird: Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 31. 405 Vgl. zum positiv festgestellten Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie: Pietzcker, Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie, S. 78 ff. 406 Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2005, S. 751 (762); zu dem europäischen Kontrolldichtevergleich siehe oben 2. Kapitel § 1 B., S. 177 ff. 407 Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2005, S. 751 (762). 408 Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2005, S. 751 (762). 409 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 149. 404
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
pensieren; denn die Folge eines solchen Systemwechsels ist die Reduzierung der materiell-rechtlichen Kontrolldichte bei Abwägungsentscheidungen. 410 Das bestehende hohe Maß an Kontrolle gewährt hingegen einen ausgeprägteren Rechtsschutz. Die mit dem ursprünglich vorgesehenen Systemwechsel einhergehende Reduzierung der Kontrolldichte spricht gegen einen Systemwechsel bei der Kontrolle von Abwägungsentscheidungen. Diese Argumentation ist einleuchtend, soweit die Kontrollsysteme abstrakt voneinander unterschieden werden. Konkret stellt sich aber die Frage, ob bei den Abwägungsentscheidungen wirklich eine so hohe materiell-rechtliche Kontrolldichte besteht. Die stetig erweiterten Planerhaltungsvorschriften haben die Kontrolldichte bereits im bestehenden System der materiellen gerichtlichen Kontrolle erheblich reduziert. Die höhere Kontrolldichte kann daher nur noch bedingt als ein Gegenargument für einen Systemwechsel von der Inhalts- zur Verfahrenskontrolle angeführt werden. 411 Konkret ist weiterhin zu klären, inwiefern eine Verfahrenskontrolle überhaupt die fehlende Kontrolle der Sachrichtigkeit zu kompensieren vermag. Denkbar wäre die Durchführung eines Verfahrens nur pro forma. Im Falle der Abwägung könnte ein Abwägungsausfall vorliegen, der aufgrund der formellen Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht beachtet werden würde. 412 Ein Systemwechsel darf daher nicht zulasten des Rechtsschutzes vollzogen werden. Soll anstelle der materiell-rechtlichen Kontrolle der Planungsentscheidung eine Verfahrenskontrolle erfolgen, so muss die geringere materiell-rechtliche Kontrolldichte kompensiert werden. Ein Systemwechsel ist aber gerade nur über eine solche Kompensation möglich, die den Anforderungen aus Art. 14 GG und Art. 19 IV GG genügt. Wesentliches Element der im Bauplanungsrecht stets geforderten Eigentumsgewährleistung ist das Gebot effektiven Rechtsschutzes mit der Forderung nach einer möglichst vollständigen inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle. 413 Ein Systemwechsel kann daher nur erfolgen, sofern die Reduzierung der materiell-rechtlichen Kontrolldichte verfassungsrechtlich rechtfertigbar ist.
410 Vgl. die Ausführungen oben zum europäischen Kontrolldichtevergleich 2. Kapitel § 1 B., S. 177 f. 411 Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 19; zu der Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte durch die Planerhaltungsregelungen siehe oben 1. Kapitel § 6 C., S. 147 ff. 412 Zur Unterscheidung Verfahren und Abwägungsvorgang: Käß, Inhalt und Grenzen, S. 155. 413 Vgl. Kraft, UPR 2003, S. 367 (370); Kraft, UPR 2004, S. 331 (334 f.); vgl. auch Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 46; zu der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Systemwechsels siehe oben § 1 B. II., S. 232 ff.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
275
II. Systemwechsel durch das EAG Bau? Mit der Reform sollten die Planerhaltungsregeln vereinfacht und auf die tragenden Prinzipien zurückgeführt werden. 414 Die Neuregelungen des EAG Bau haben die bisherigen Regelungen hingegen viel mehr verkompliziert. Dieser Befund wird durch das uneinheitliche Meinungsbild in Rechtsprechung und Schrifttum bestätigt. 415 Insgesamt geht die Mehrheit der Meinungen nicht vom Vollzug des angestrebten Systemwechsels bei der Gerichtskontrolle der Abwägungsentscheidungen aus. Innerhalb der ablehnenden Meinungen bestehen, wie oben dargelegt, Differenzen, was den Verbleib der bisher materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang angeht. Selbst die einen Systemwechsel bejahenden Ansichten sind diesbezüglich unklar. 416 Diese Irritationen und Unklarheiten sind nur sehr schwer interpretatorisch zu lösen, 417 da es in den Gesetzesmaterialien an einem eindeutigen Willen des Gesetzgebers fehlt, welcher in die Neuregelung hätte einfließen müssen. Die neu geregelten Planerhaltungsvorschriften können aber nur so weit ausgelegt werden, wie der gesetzgeberische Wille in den Gesetzestext eingegangen ist. 418 Die einen Systemwechsel bejahenden Ansichten berufen sich auf den Willen des Gesetzgebers zu einem Verfahrenswechsel. Dabei lassen diese Ansichten außer Acht, dass der Gesetzgeber diesen Willen in den Gesetzgebungsmaterialien zwar zum Ausdruck bringt, diesen aber nicht konsequent verfolgt und schließlich selbst relativiert. 419 Insofern ist der Wille des Gesetzgebers für den Systemwechsel kein tragendes Argument. Widersprüchlich ist zudem die häufig angeführte Wertentscheidung des Gesetzgebers, mit dem EAG Bau die Planerhaltung und die Gerichtskontrolle der Abwägung an das Europarecht anpassen zu wollen. Mit dem EAG Bau hat der Gesetzgeber die materiellen Anforderungen des Abwägungsvorgangs zu Verfahrensrecht gemacht und Verstöße dagegen den verfahrensrechtlichen Planerhaltungsregelungen unterworfen. Damit hat der Gesetzgeber das Verfahrensrecht nicht gestärkt, sondern die Unbeachtlichkeitsregelung für Verfahrensfehler erweitert. Diese Entwicklung läuft der europarechtlichen Stärkung des Verfahrensrechts entgegen, welche von den Befürwortern eines Systemwechsels als Argument für den Systemwechsel angeführt wird. 420 Für die Anpassung an das 414
Bericht der unabhängigen Expertenkommission (2. Kapitel, Fn. 12), Rn. 125. Zu den unterschiedlichen Meinungen siehe oben C., S. 236 ff.; Hoppe, NVwZ 2004, S. 903 (905). 416 Vgl. oben C., S. 236 ff. 417 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (492). 418 Vgl. Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 5. Aufl., Rn. 722. 419 Vgl. oben 2. Kapitel § 2 C., S. 202 f. 420 Erbguth, JZ 2006, S. 484 (491). 415
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
europäische System der Überprüfung der Verfahrensrichtigkeit dürfen Verstöße gegen Verfahrensrecht gerade nicht vermehrt für unbeachtlich erklärt werden. Den Fortbestand der bisherigen Abwägungsdogmatik können die Befürworter aufgrund der unklaren Systematik ebenfalls nicht ausschließen. Die Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 214 III S. 2 BauGB für die Mängel im Abwägungsvorgang als Reserveklausel oder als Einfallstor für die bisherige Abwägungsdogmatik bereitet sowohl den zustimmenden als auch den ablehnenden Ansichten Schwierigkeiten. Entgegen der Rechtsprechung, die aufgrund derselben Rechtsfolge von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und § 214 III S. 2 BauGB keine klare Abgrenzung der Anwendungsbereiche vornimmt, ist eine dogmatische Abgrenzung unerlässlich. 421 Steht die Beachtlichkeit eines Fehlers eines Bebauungsplans, der aus einem verfahrens- oder formfehlerhaften Flächennutzungsplan gemäß § 214 II Nr. 3 BauGB entwickelt wurde, infrage, ist spätestens dann hinreichend zu klären, worin die Verfahrens- und Formfehler des Flächennutzungsplans gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB bestehen. Eine handhabbare Abgrenzung ermöglicht die enge verfahrensrechtliche Auslegung des neuen Verfahrens. Die verfahrensrechtliche Auslegung des Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens fügt sich dabei, ohne systematische Brüche zu vollziehen in die neue Systematik der Planerhaltungsvorschriften ein. 422 Es gelingt auf diesem Weg, die materiell-rechtlichen Anforderungen ihres materiellrechtlichen Charakters zu belassen und dennoch ein Ermittlungs- und Bewertungsverfahren gemäß § 2 III BauGB als Bestandteil der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zu begreifen. 423 Im Gegensatz zu den anderen ablehnenden Ansichten kann entsprechend der Systematik der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 214 III, 2 III BauGB von einer Formalisierung der Anforderungen des Ermittelns und Bewertens ausgegangen werden. Gleichzeitig bleiben aber die materiell-rechtlichen Anforderungen an das Ermitteln und Bewerten der abwägungsbeachtlichen Belange von materiell-rechtlicher Natur. Diejenigen, die von einem Systemwechsel oder einer Formalisierung der bisherigen materiell-rechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs ausgehen, lassen die Herleitung des Abwägungsgebots aus dem Rechtsstaatsprinzip außer Acht. 424 Der einfache Gesetzgeber kann die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten materiellen Anforderungen des Abwägungsvorgangs nicht zu Ver421 Vgl. zur offengelassenen Abgrenzung VGH Mannheim, Urt. v. 9. 6. 2009, 3 S 1108/ 07, Juris, Rn. 39; vgl. auch oben C. I., S. 236 ff. 422 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). 423 Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306 f.). 424 Zur Herleitung der Anforderungen des Abwägungsvorgangs aus dem Rechtsstaatsprinzip siehe oben § 1 B. I., S. 228 f.
§ 1 Der Abwägungsvorgang in der Gerichtskontrolle
277
fahrensrecht herabstufen, denn aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit und der begrenzten Kontrolldichte vermag bereits der materiell-rechtliche Entscheidungsvorgang interessenausgleichend und die Fehlerfreiheit fördernd im Hinblick auf die abschließende Planungsentscheidung einzuwirken. Für die Herabstufung des materiell-rechtlichen Abwägungsvorgangs zum Verfahrensrecht und der gleichzeitigen Unterwerfung unter die Planerhaltungsregelungen für Verfahrensvorschriften fehlt dem einfachen Gesetzgeber die Dispositionsbefugnis. 425 Indem Happ das Ermitteln und Bewerten gemäß § 2 III BauGB verfahrensrechtlich eng auslegt, legt er außerdem dogmatisch konsequent einen verfahrensrechtlichen Kontrollmaßstab an, der der Funktion des Verfahrensrechts, nach bisheriger Dogmatik, entspricht. 426 So muss sich hingegen Uechtritz 427 fragen lassen, ob er nicht eigentlich eine materiell-rechtliche Kontrolle unter dem Namen der Verfahrenskontrolle vornimmt. In einem solchen Fall würde man, wie teilweise von der Rechtsprechung angedeutet, nur von einer terminologischen Anpassung ausgehen. 428 Ein solches Verständnis führt allerdings nur zu mehr Unklarheit und ist abzulehnen. Das EAG Bau hat das Verständnis der Funktion des Verfahrens nicht geändert. Die verfahrensrechtliche Auslegung fügt das neue Verfahren daher nicht nur in die Gesetzessystematik der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, III, 2 III BauGB bruchlos ein, sondern auch in die Kontrollsystematik der Gerichtskontrolle. Die Reduzierung des Bewertens auf eine verfahrensrechtliche Kategorie ermöglicht eine Auslegung, die mit dem Wortlaut Bewerten vereinbar ist. Im Vergleich zu den anderen Ansichten ermöglicht die enge verfahrensrechtliche Auslegung eine nachvollziehbare Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Bewertungsfehlern nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und Gewichtungsfehlern nach § 214 III S. 2 BauGB. Mit der verfahrensrechtlichen Auslegung können die terminologisch unterschiedlichen Erheblichkeitsfilter der Ergebniskausalität (Einfluss auf das Verfahrensergebnis gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB und Einfluss auf das Abwägungsergebnis) entsprechend der Unterscheidung von Erbguth nachvollzogen werden. 429 Dabei gelingt es, das von Erbguth noch offengelassene Ergebnis des Verfahrens zu konkretisieren. Wird das Ermitteln und Bewerten rein verfahrensrechtlich verstanden, was Bestandteil des Planaufstellungsverfahrens ist, kann bei systematischer Betrachtung nur das Ergebnis des formellen Planaufstellungsverfahrens 425 Im Ergebnis auch Quaas / Kukk, BauR 2004, S. 1541 (1545); Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 (807); Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (17); siehe oben § 1 B. I., S. 228 ff. 426 Vgl. Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306 f.) und oben C. XII., S. 265 ff. 427 Siehe oben C. VI., S. 252 f. 428 Siehe oben C. I., S. 236 ff. mit Verweis auf OVG Münster, Urt. v. 27. 11. 2006, 7 D 118/05.NE, Juris, Rn. 119. 429 Siehe bereits oben C. XIII., S. 268 ff.; Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21.
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
gemeint sein. Im Gegensatz zur Auffassung von Happ liegt in dem Erheblichkeitsfilter keine Verlagerung ins Materielle. 430 Konsequenterweise kann die enge verfahrensrechtliche Auslegung nicht dazu führen, dass verfahrensrechtliche Auswirkungen eines Mangels beim Ermitteln und Bewerten einen Aussagegehalt über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens hinaus haben. 431 An dieser Stelle wollte die unabhängige Expertenkommission mit der widerlegbaren Vermutung für die Fehlerfreiheit des Abwägungsvorgangs anknüpfen. 432 Mit der Vermutungsregelung hätte ein beachtlicher Verfahrensfehler beim Ermitteln und Bewerten auch die materielle Fehlerhaftigkeit im Abwägungsvorgang indiziert. Ohne diese Vermutungsregelung ist der Abwägungsvorgang ebenfalls auf die Fehlerhaftigkeit und die eventuellen Auswirkungen auf das Abwägungsergebnis zu überprüfen. Die damit nicht geklärte Frage, inwieweit das Verfahrensergebnis aus § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB den materiellen Planinhalt, das Planprodukt, beeinflusst, ist Ausfluss der inkonsequenten Regelung durch das EAG Bau. Die enge verfahrensrechtliche Auslegung führt neben Abwägungsergebnis und Abwägungsvorgang zu dem Abwägungsverfahren, welches der eigentlichen Abwägung vorgelagert ist und nur die verfahrensrechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs erfasst. 433 Da die materiell-rechtlichen Anforderungen nicht zu Verfahrensrecht gemacht werden, wird die materiell-rechtliche Kontrolldichte nicht reduziert. Dies darf auch nicht sein; denn das Abwägungsverfahren trifft keine Aussage über die Sachrichtigkeit der Abwägungsentscheidung. Indem der Gesetzgeber von der ursprünglich vorgesehenen widerlegbaren Vermutungsregelung abgesehen hat und die Verfahrensfehler verstärkt den Unbeachtlichkeitsregelungen unterworfen hat, hat er gerade nicht die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung einer reduzierten materiell-rechtlichen Kontrolldichte geschaffen. 434 Die für einen Systemwechsel der Gerichtskontrolle notwendige Kompensation durch striktes Verfahrensrecht hat das EAG Bau nicht vollzogen. Zwar wird im Schrifttum nach dem Sinn einer zusätzlichen Kontrolle des Abwägungsverfahrens gefragt, 435 doch ist diese letztendlich Ausdruck einer inkonsequenten Regelung. Solange nicht die Aufwertung des Verfahrensrechts erfolgt, kann die materiell-rechtliche Kontrolldichte nicht einfach eingeschränkt werden.
430 431 432 433 434 435
So aber Happ, NVwZ 2007, S. 304 (307). Vgl. Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 21. Siehe oben 2. Kapitel § 2 B. I., S. 193 ff. So bereits Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (578). Siehe oben B. II., S. 232 ff. Vgl. Wickel / Bieback, Die Verwaltung 2006, S. 571 (579).
§ 2 Auswirkungen auf die Kontrolldichte
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§ 2 Auswirkungen auf die Kontrolldichte und die Kontrolleröffnung A. Auswirkungen auf die Kontrolldichte Folgt man demnach richtigerweise der verfahrensrechtlichen Auslegung des Ermittelns und Bewertens i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB, dann ist die materiell-rechtliche Kontrolldichte bei der Abwägungsentscheidung nicht reduziert. Die materiell-rechtliche Sachgesetzlichkeit der Anforderungen wird vollständig gewahrt und berücksichtigt. Dementsprechend wird eine materiell-rechtliche Anforderung anhand eines materiell-rechtlichen Kontrollmaßstabs überprüft. Die rein verfahrensrechtliche Seite des Abwägungsvorgangs wird in dem neu geschaffenen Verfahren vollständig gerichtlich überprüft. Aufgrund der engen verfahrensrechtlichen Auslegung, welche die weitere Überprüfung der materiellrechtlichen Anforderungen des Abwägungsvorgangs bewirkt, kommt dem neuen Verfahren dabei im Hinblick auf die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Anforderungen nur ein kleiner Anwendungsbereich zu. Sowohl für die Fehler im Verfahren als auch für die Fehler im Abwägungsvorgang gilt gemäß § 215 I Nr. 1 und Nr. 3 BauGB die einheitliche Einjahresfrist zur Geltendmachung der Mängel, bevor diese unbeachtlich werden und nicht mehr in der gerichtlichen Kontrolle überprüft werden können. Allein im Hinblick auf das Unbeachtlichwerden gemäß § 215 I BauGB besteht zudem kein Unterschied zu den anderen vertretenen Ansichten zum Systemwechsel durch das EAG Bau hinsichtlich der Frist. Das kontrollierende Gericht erklärt den fehlerhaften Bebauungsplan für unwirksam. Für diejenigen, die materielle Fehler als Verfahrensfehler behandelt haben wollen, wird die Unwirksamkeit des Plans dann aufgrund eines Verfahrensfehlers begründet. Für den Rechtsschutzsuchenden ist es nur vordergründig unerheblich, ob die Unwirksamkeit aufgrund eines Verfahrensfehlers, der eigentlich ein materieller Fehler ist, oder wegen eines materiellen Fehlers besteht. 436 Es macht aber durchaus einen Unterschied, ob ein Gewichtungsfehler als Verfahrensfehler nur auf die Ordnungsgemäßheit des Gewichtungsverfahrens oder auf die richtige Beimessung des objektiven Gewichts nach bisheriger Rechtsprechung überprüft wird. Nur die Kontrolldichte im Letzteren ermöglicht die hohe Intensität an Kontrolldichte wie vor dem EAG Bau. Nach Ablauf der Einjahresfrist in § 215 I BauGB sind nur noch Mängel im Abwägungsergebnis beachtlich. Das Abwägungsgebot gemäß § 1 VII BauGB verlangt als Ausdruck des Rechtsstaatsgebots aus Art. 20 III GG einen gerechten Ausgleich der abwägungsbeachtlichen Belange. Verstöße gegen das Abwägungsgebot sind derart schwerwiegend und daher als „schlechterdings nicht haltbar“ 437 zu qualifizieren. Solche Ergebnisse verstoßen gegen den Grundsatz der Verhält436
Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (16).
280
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
nismäßigkeit und dürfen nicht durch Präklusionsregelungen unbeachtlich werden. 438 Es ist denkbar, dass erhebliche Bewertungs- und Gewichtungsfehler im Abwägungsvorgang sich nicht derart im Abwägungsergebnis niederschlagen, so dass das Abwägungsergebnis unvertretbar oder schlechterdings unhaltbar ist. In diesem Fall ist die gerichtliche Kontrolldichte nach rügelosem Verstreichen der Einjahresfrist beschränkt, da dieser Abwägungsvorgangsmangel gemäß § 215 I BauGB nicht mehr beachtlich ist.
B. Die Doppelprüfung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis Die Unterscheidung von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis ist durch das EAG Bau nicht aufgegeben worden. In der Gesetzesgenese war die Aufgabe der Unterscheidung vorgesehen; in dem neu geregelten § 214 BauGB haben beide Kategorien Eingang gefunden. 439 Der Gesetzgeber geht damit vom Fortbestehen der Unterscheidung aus. Dem einfachen Gesetzgeber hätte zudem die Kompetenz zur Aufgabe des Abwägungsvorgangs als eigene Kategorie gefehlt. 440 Konsequenz der engen verfahrensrechtlichen Auslegung des § 2 III BauGB ist die Beibehaltung der Gerichtskontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis wie bisher. Die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials wird einmal als Verfahrensanforderungen und einmal als materiell-rechtliche Anforderungen an den Abwägungsvorgang überprüft. Das Abwägungsergebnis wird auf die identischen Fehler hin überprüft. 441 Die Doppelkontrolle ist Konsequenz der im Abwägungsgebot verankerten Ergebnisoffenheit nach § 1 VII BauGB. Die Maßstabsidentität bei der Doppelkontrolle ist Ausdruck der funktionalen Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. 442 437 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BT-Drucks. 15/2996, S. 71. 438 Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 215 Rn. 17; Kment, Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften, S. 125; teilweise werden die stets beachtlichen Ergebnismängel nur als Fehler der Abwägungsdisproportionalität verstanden wie bei: Stüer, Der Bebauungsplan, 3. Aufl., Rn. 539; wie bereits im 1. Kapitel § 5 D., S. 134 ff., dargelegt, kann das Abwägungsergebnis auch an den anderen Abwägungsmängeln leiden. Vor dem Hintergrund der besonderen Grundrechtsrelevanz bei der Abwägungsentscheidung ist nicht ersichtlich, dass nur ein Abwägungsfehler stets i. S.v. § 215 BauGB beachtlich sein soll. 439 Siehe oben 2. Kapitel § 2 B., S. 192 ff. und C., S. 202. 440 Siehe oben § 1 B. I., S. 228 ff. 441 So im Ergebnis auch der VGH Mannheim, wobei dieser eine verfahrensrechtliche Ausprägung des Abwägungsvorgangs annimmt, die materiell-rechtliche Ausprägung des Abwägungsvorgangs aber gleichzeitig beschränkt: VGH Mannheim, Urt. v. 9. 6. 2009, 3 S 1108/07, Juris, Rn. 39.
§ 2 Auswirkungen auf die Kontrolldichte
281
C. Auswirkungen auf die Kontrolleröffnung Mit der bereits oben erwähnten Verkürzung der Frist in § 215 I Nr. 1 BauGB können Fehler beim Ermitteln und Bewerten i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB nur noch innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden. Dieselbe Frist gilt für die materiellen Abwägungsvorgangsmängel gemäß § 215 I Nr. 3 BauGB. Die Antragsfrist in § 47 II S. 1 VwGO beträgt ebenfalls ein Jahr. 443 Mängel im Abwägungsergebnis sind zeitlich unbeschränkt rügbar. 444 Mit der einheitlichen Einjahresfrist zur Beanstandung von Fehlern bei der Planaufstellung wurden die Bebauungspläne den Bestandsregelungen für Verwaltungsakte angenähert. 445 Durch diese Fristverkürzung gestaltet der Gesetzgeber die Frist kürzer aus und schränkt damit die Kontrolleröffnung im Hinblick auf Fehler bei der planerischen Abwägung erheblich ein. Damit stellt sich die Frage, ob diese Verkürzung noch mit dem Gebot des effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 IV GG vereinbar ist. Um den Anforderungen des Art. 19 IV GG zu genügen, dürfen die prozessualen Anforderungen den Anspruch des Einzelnen auf eine tatsächliche, wirksame gerichtliche Kontrolle nicht unzumutbar machen oder aushöhlen. 446 Battis / Krautzberger / Löhr sehen in der Fristverkürzung keinen Verstoß gegen Art. 19 IV GG. Durch die verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung und der Hinweispflicht im Rahmen der öffentlichen Auslegung gemäß § 3 II S. 2 BauGB, wonach auf den Einwendungsausschluss von Einwendungen, die nicht oder während der Auslegung geltend gemacht wurden, hinzuweisen ist, sei dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes hinreichend Rechnung getragen worden. 447 Bei der isolierten Betrachtung der Fristverkürzung mag man an der ausreichenden Länge der Frist berechtigt zweifeln. Aus Art. 19 IV GG ergibt sich allerdings auch kein Verbot, dem Einzelnen Mitwirkungslasten aufzuerlegen. 448 Mit der Stärkung des Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahrens und der Hinweispflicht wird die verkürzte Frist ausreichend i. S.v. Art. 19 IV GG kompensiert. Unterbleibt ein entsprechender Hinweis, greift die Präklusion gemäß § 47 II a VwGO nicht. Für die Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG spricht auch die Abschaffung der Frist für Mängel im Abwägungsergebnis in § 215 BauGB. Unhaltbare Planergebnisse sind demnach auch nach Ablauf der Präklusionsregelung in § 215 BauGB weiterhin beachtlich. 442
Siehe hierzu die Ausführungen oben 1. Kapitel § 5 D. Siehe die Ausführungen oben 2. Kapitel § 2 A. III., S. 190 f.; Krautzberger, UPR 2006, S. 405 (411). 444 Siehe die Ausführungen oben 2. Kapitel § 2 A. III., S. 190 f. 445 Bernhardt, JA 2008, S. 166 (172). 446 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV, Rn. 320, 335. 447 Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121 (128). 448 Ibler, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG Art. 19 IV, Rn. 338. 443
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3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
Auch wenn die Fristverkürzung mit Art. 19 IV GG vereinbar ist, stellt sich die Frage, ob die Angleichung an die Bestandsregelungen des Verwaltungsakts noch sachgerecht ist. Im Unterschied zum Verwaltungsakt steht dem Betroffenen die Rechtsbelastung durch den Bebauungsplan nicht immer so ausdrücklich vor den Augen wie bei einem belastenden Verwaltungsakt. Im Regelfall wird sich der Planbetroffene erst mit der Realisierung eines Vorhabens gestützt auf den Bebauungsplan seiner Betroffenheit bewusst. 449 Die verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung im Planaufstellungsverfahren soll dem Abhilfe schaffen. Es ist damit eine Frage der Planungspraxis, inwiefern das neue Planaufstellungsverfahren wirklich kompensierend wirkt.
§ 3 Schlussbetrachtung und eigenes Ergebnis Die durch das EAG Bau neu geregelten Planerhaltungsvorschriften sind nicht einfacher und auch nicht weniger kompliziert als die bisherigen Planerhaltungsvorschriften vor dem EAG Bau. Das EAG Bau hat das nationale Rechtsverständnis der Funktion des Verfahrens nicht geändert. Damit ist eine systemwechselkonforme Auslegung des neuen Verfahrens nach den §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB nicht möglich; denn für die Reduzierung der materiell-rechtlichen Kontrolldichte hätte es der Kompensation durch die Aufwertung des Stellenwerts des Verfahrensrechts bedurft. Die enge verfahrensrechtliche Auslegung des neuen Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens ermöglicht eine dogmatisch konsequente Handhabung von Verfahrensfehlern und materiellen Abwägungsmängeln im Planerhaltungssystem des EAG Bau. Dogmatisch konsequent ist die enge verfahrensrechtliche Auslegung, da sie ein konsequentes Sich-Einfügen des neuen Verfahrens in die Systematik der Planerhaltungsvorschriften und in die Abwägungsdogmatik ermöglicht, indem es gelingt, auf diesem Weg die materiell-rechtlichen Anforderungen ihres materiell-rechtlichen Charakters zu belassen und dennoch ein Ermittlungsund Bewertungsverfahren gemäß § 2 III BauGB als Bestandteil der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zu begreifen. 450 Dogmatisch konsequent ist die enge verfahrensrechtliche Auslegung allerdings auch, da im Unterschied zu den meisten anderen vertretenen Lösungsansätzen der entsprechende verfahrensrechtliche Kontrollmaßstab für die Gerichtskontrolle des neuen Verfahrens mit angelegt wird. Konsequenz der engen verfahrensrechtlichen Auslegung ist die neue Kategorie des Abwägungsverfahrens. Dieses Verfahren erfolgt vor der eigentlichen Abwägung. In einem ersten Schritt werden die Belange zusammengestellt 449 450
Vgl. diese Kritik bei Uechtritz, ZfBR 2005, S. 11 (18). Happ, NVwZ 2007, S. 304 (306 f.).
§ 3 Schlussbetrachtung und eigenes Ergebnis
283
und die objektive Abwägungsbeachtlichkeit festgestellt. In diesem Schritt findet noch keine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Abwägungsrelevanz des Belangs für die konkrete planerische Abwägung statt. Erst in einem zweiten Schritt folgen die planerische Abwägung und die Bestimmung der konkreten Abwägungsrelevanz der Belange. Die bisherigen Fehlerkategorien Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit setzen im Anschluss an das Verfahren bei der Frage an, ob die Belange nach Lage der Dinge in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen. Die materiell-rechtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs nach den materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäben der Abwägungsdogmatik besteht fort, eine Zuordnung einzelner Abwägungsfehler zu Verfahren, Vorgang oder Ergebnis wurde gerade nicht vorgenommen. Verstöße gegen das neue Ermittlungs- und Bewertungsverfahren liegen dann vor, wenn bspw. sich aufdrängende Ermittlungen unterlassen wurden, wenn Sachverständige nicht befragt wurden oder wenn bspw. das falsche Organ das Verfahren durchgeführt hat. Unter Bewertung ist somit die Feststellung der objektiven und abstrakten Abwägungsbeachtlichkeit eines Belangs durch das zuständige Organ ohne die Feststellung, dass der Belang nach Lage der Dinge in die Abwägung einzustellen ist, zu verstehen. Verfahrensverstöße gegen das so verstandene Verfahren haben keinen Aussagegehalt über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens hinaus. In der Praxis sollten durch das neue vorgelagerte Verfahren freilich die Abwägungsdefizitfehler abnehmen, denn die Planungsbehörde kann auf ein sehr weites und aufwendig in dem Verfahren zusammengestelltes Abwägungsmaterial zugreifen. Berechtigterweise wird nach dem Sinn einer solchen zusätzlichen Überprüfung der rein verfahrensrechtlichen Elemente des Abwägungsvorgangs gefragt. Diese zusätzliche Überprüfung ist jedoch die Konsequenz einer inkonsequenten Regelung. Mit der verfahrensrechtlichen Auslegung des Ermittelns und Bewertens wird berücksichtigt, dass die Verfahrensrichtigkeit nicht zwingend mit der Sachrichtigkeit verknüpft ist. Eine dementsprechende Aufwertung der Wirkung des Verfahrensrechts könnte hier Abhilfe schaffen. Das EAG Bau sieht zwar mehr Verfahrensanforderungen vor, wertet diese aber nicht über das nationale Verständnis der Wirkung von Verfahrensvorschriften auf. Dementsprechend überprüfen die Gerichte weiterhin die inhaltliche Würdigung der beim Ermitteln und Bewerten gewonnenen Informationen. Mit der Aufwertung des Verfahrensrechts allein wäre ein Systemwechsel der Gerichtskontrolle dennoch nicht geglückt. Solange die Gerichte die Ergebnisrichtigkeit überprüfen, kommt dem Verfahren nur eine dienende Funktion zu. 451 Der Gesetzgeber hätte für einen angestrebten Systemwechsel die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle ändern müssen. Die Änderungen der Planerhaltungsvorschriften vermögen einen solchen Wechsel nicht allein zu vollziehen. Vor allem müsste der Gesetzgeber die Stärkung 451
Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 2. Aufl., 6. Kap. Rn. 149.
284
3. Kap.: Die Auswirkung auf die Gerichtskontrolle
der Verfahrensvorschriften nachvollziehen. Die verstärkte Regelung der Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern steht damit im „diametralen“ 452 Widerspruch zu dem vorgeschlagenen Systemwechsel. Ein konsequent vollzogener Systemwechsel hätte nicht im Rahmen der Planerhaltungsregelungen erfolgen müssen. Dem Ziel der Planerhaltung hätte der Gesetzgeber besser nachkommen können, indem er durch die Verlagerung der Kontrollmaßstäbe die inhaltliche Kontrolldichte zurücknimmt. Die Verringerung der Kontrolldichte bei der Überprüfung der materiell-rechtlichen Abwägung und die Stärkung der Verfahrenskontrolle ist ein Weg, die „Anfälligkeit“ der Bebauungspläne zu verringern. 453 Grundsätzlich ist der Wechsel zu einer Verfahrenskontrolle mit Art. 19 IV GG und Art. 14 I GG vereinbar, sofern die Beschränkung der materiell-rechtlichen Kontrolle über strikte Verfahrensregelungen kompensiert und verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die höhere Kontrolldichte kann dabei nur noch bedingt als ein Gegenargument für einen Systemwechsel von der Inhalts- zur Verfahrenskontrolle angeführt werden, da die stetig erweiterten Planerhaltungsvorschriften die bestehende Kontrolldichte bereits im bestehenden System der materiellen gerichtlichen Kontrolle erheblich reduziert haben. Das EAG Bau vermochte es mit der Beibehaltung der Kontrollmaßstäbe auch nicht, die unterschiedliche Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern bei der Gerichtskontrolle im Vergleich zwischen der Gerichtskontrolle des EuGH und den deutschen Gerichten zu beseitigen. Die inkonsequente Regelung des EAG Bau führt noch mehr zu einem Abbau der Sanktionsbewehrtheit von Verfahrensverstößen. Damit darf jedoch nicht gleichzeitig ein Abbau materiell-rechtlicher Kontrolldichte einhergehen. Die verfahrensrechtliche Auslegung verhindert diesen Abbau zunächst. Betrachtet man zusätzlich die Auswirkungen auf die Kontrolleröffnung durch die BauGB-Novelle von 2007 und die Vereinheitlichung der Antragsfrist in § 47 II VwGO, ist fraglich, ob eine Reduzierung der materiellrechtlichen Kontrolldichte ohne Kompensation vor diesem Hintergrund noch mit Art. 19 IV GG vereinbar ist. 454 Aus diesem Grund sollte keiner Ansicht gefolgt werden, die die materiell-rechtliche Kontrolle bei der planerischen Abwägung beschränkt. Insgesamt sollte der Gesetzgeber sich zu einer Neuregelung entschließen, welche die Bedeutung des Verfahrensrechts für die Gerichtskontrolle zur Kompensation eingeschränkter materiell-rechtlicher Kontrollmaßstäbe konsequent aufwertet, das heißt in ihrer Wirkung auf die Ergebnisrichtigkeit und hin zu einer strikten Beachtlichkeit von Verfahrensverstößen.
452
Happ, NVwZ 2007, S. 304 (305). Vgl. nur zur Folge der Verringerung der Kontrolldichte Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 193. 454 Vgl. zu ähnlichen Bedenken Erbguth, in: Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, S. 25. 453
4. Kapitel
Zusammenfassung in Thesen Die Qualifizierung der Bebauungspläne als Satzungen hat nicht die beabsichtigte Bestandssicherheit der Bebauungspläne bewirkt. Vielmehr haben das für Normen geltende Nichtigkeitsdogma und das Normenkontrollverfahren zu der Nichtigkeit vieler Bebauungspläne geführt. Mit den vorangegangenen und aktuellen Änderungen der VwGO zur Normenkontrolle und mit den Änderungen der Planerhaltungsvorschriften durch vorhergehende Novellen sowie das EAG Bau 2004 und das BauGB 2007 will der Gesetzgeber mehr Bestandssicherheit der Bebauungspläne erreichen. Ausgangspunkt für die gerichtliche Kontrolle von Bebauungsplänen ist die Einordnung der Bebauungspläne als Satzung. Mit dieser Einordnung ist der von der VwGO für die Kontrolle anzulegende Prüfungsmaßstab vorgegeben. Das kontrollierende Gericht kann damit anhand eines objektiven Prüfungsmaßstabs den gesamten Prüfungsgegenstand auf Fehler überprüfen. Die der Bauleitplanung immanente Gestaltungsfreiheit beschränkt die Kontrollmaßstäbe und damit die Kontrolldichte der Gerichte bei der Überprüfung der Bebauungspläne. Ausnahmsweise liegt bei von der planerischen Gestaltungsfreiheit umfassten Planungsentscheidungen die Letztentscheidungskompetenz nicht bei den Gerichten. Kraft Kompetenzzuweisung sind die Kontrollmaßstäbe begrenzt, so dass Handlungs- und Kontrollmaßstäbe auseinanderfallen. Diese Divergenz zwischen Kontroll- und Handlungsmaßstäben führt zu einer geringeren Kontrolldichte. Die planerische Abwägung ist der Ort, an dem sich die planerische Gestaltungsfreiheit verwirklicht. Die Frage nach der Reichweite der Kontrolldichte ist somit stets eine Frage der Gewaltenbalance. Zur Bestimmung der gerichtliche Kontrolldichte sind stets zwei Fragen zu klären: In welchem Umfang ist der Ermächtigte zur eigenen Rechtskonkretisierung, verstanden als „rechtserzeugende Eigenleistung“, befugt (Handlungsperspektive)? Wem steht, aus der Kontrollperspektive, die Befugnis zur Letztkonkretisierung zu? Im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach einer effektiven Rechtskontrolle und der planerischen Gestaltungsfreiheit wurde für das Bauplanungsrecht ein sehr differenziertes Kontrollsystem entwickelt, das die Letztentscheidungsbefugnis der Gemeinde beachtet. Dieses Kontrollsystem beinhaltet Elemente der
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4. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
Verfahrens- und Sachkontrolle. Infolge der verminderten Kontrolldichte bei der Sachkontrolle der Planentscheidung kommt der Verfahrenskontrolle grundsätzlich eine kompensierende Funktion zu. Aus diesen Verfahrensvorschriften ergeben sich rechtliche Bindungen für die Kontrolle des Planungsverfahrens. Die Verfahrensvorschriften treffen aber keine Aussage über die Rechtmäßigkeit der materiellen Entscheidung an sich. Dieses sehr ausdifferenzierte System soll dem Erfordernis der Vollumfänglichkeit der Gerichtskontrolle aus Art. 19 IV GG entsprechen und gleichzeitig die Kompetenz zur planerischen Gestaltungsfreiheit ausreichend berücksichtigen. Die Verfahrenskontrolle hat aber eine andere Kontrollaussage als die materiell-rechtliche Kontrolle. Aus den Verfahrensvorschriften ergeben sich rechtliche Bindungen und damit Kontrollmaßstäbe für den Entscheidungsprozess im Hinblick auf die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, bspw. zur Sachverhaltsermittlung. In Deutschland enthält die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, abgesehen von einer Indizwirkung, grundsätzlich keine inhaltliche Aussage über die Richtigkeit der Sachentscheidung oder die inhaltliche Richtigkeit der Sachverhaltsermittlung, sondern darüber, ob die Sachverhaltsermittlung bspw. in der richtigen Art und Weise erfolgt ist. Dem Verfahren kommt nach deutschem Verständnis eine dienende Funktion zu. In den Fällen, in denen eine vollständig materiell-rechtliche Determinierung des Verwaltungshandelns nicht möglich ist, wächst die Bedeutung des Verfahrens, einen Eigenwert neben der Sachentscheidung erhält es aber nicht. Die Gerichtskontrolle bleibt materiell-rechtlich orientiert. Die planerische Gestaltungsfreiheit beinhaltet sowohl die Ermächtigung zur Planung als auch die notwendigen Entscheidungsfreiräume. Sie lässt sich aber nicht positiv bestimmen. Eine Abgrenzung anhand der Normstruktur von Planungsnormen und herkömmlichen Ermessensnormen hilft bei der Bestimmung des Inhalts der planerischen Gestaltungsfreiheit nicht weiter, denn letztendlich besteht der Unterschied zwischen planerischer Gestaltungsfreiheit und dem allgemeinen Verwaltungsermessen im Umfang der administrativen Entscheidungsfreiheit. Mit der Anordnung zur Abwägung hat der Gesetzgeber der planenden Behörde eine Entscheidungsstruktur zur Bewältigung nicht gesetzlich abschließend geregelter Konflikte an die Hand gegeben. In der Abwägung findet die Gestaltungsfreiheit ihren Niederschlag. Der damit verringerten Kontrolldichte entspricht ein System an Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit, welches dem Schutz subjektiver Rechte genügen soll. Die planerische Gestaltungsfreiheit wird nur negativ über ihre Schranken bestimmt. Die Kontrolldichte ist nicht fest vorgegeben, sondern variiert entsprechend der unterschiedlich weiten Kontrollmaßstäbe. Rechtsverbindliche Zielprogramme bilden den ersten Maßstab. Danach stehen die Beachtens- / Berücksich-
4. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
287
tigungspflichten und schließlich bildet das Abwägungsgebot aus § 1 VII BauGB den Kontrollmaßstab. Der kontrollkritischere Teil folgt erst im Abwägungsvorgang selbst. Davor besteht eine gerichtliche Vollkontrolle. Zur Kontrolle der planerischen Abwägung hat die Rechtsprechung die Abwägungsfehlerlehre entwickelt. Mit der Entwicklung der Abwägungsdogmatik ist der Rechtsprechung eine exakte Analyse des Planungsvorgangs und seiner verschiedenen Elemente gelungen. Die entwickelten Abwägungsfehler stellen spiegelbildlich Handlungsanweisungen an die Behörde dar, um Fehler bei der Abwägung zu vermeiden. Verstößt der Plangeber gegen eine der Handlungsanweisungen, liegt ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot vor. Auf diesem Weg überprüft das BVerwG die Rechtmäßigkeit der Abwägungsentscheidung. Es bestehen drei Abwägungsphasen, denen die entwickelten Abwägungsfehler zugeordnet werden können. Die Bezeichnung Phasen wird dabei nicht als verfahrensmäßige Abfolge im engeren Sinne verstanden, sondern als theoretische Denkstufe. Die drei Phasen werden unterschieden in die Phase der Zusammenstellung der abwägungsbeachtlichen Belange, der Gewichtung der einzelnen Belange und der Ausgleichsentscheidung zwischen den Belangen. Die den Phasen zugeordneten Abwägungsfehler sind die Fehler Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehlgewichtung und Abwägungsdisproportionalität. Die gebildeten Abwägungsfehler stellen Fallgruppen von Fehlern dar, die der jeweils entsprechenden Intensität an Kontrolldichte entsprechen sollen. Die Fehler liefern keine absolute Aussage über die Intensität der Kontrolldichte, da diese jeweils im konkreten Fall zu bestimmen ist. Entsprechend der bestehenden Bindungen kann die Kontrolldichte bei der Abwägung von einer Evidenzkontrolle bis hin zu einer inhaltlichen Vollkontrolle reichen. Der Vorgang der Ermittlung und Zusammenstellung der in die Abwägung einzustellenden Belange ist vollständig gerichtlich nachprüfbar ebenso die Überprüfung, ob die Abwägung überhaupt durchgeführt wurde. Rechtsfehler bei der Entscheidung über die Vor- und Zurückstellung widerstreitender Belange sind nur gerichtlich fassbar, wenn die Gewichtung der verschiedenen Belange zueinander, zur objektiven Gewichtigkeit eines dieser Belange unverhältnismäßig ist. Eine weitergehende Kontrolle erfolgt nicht. Die theoretische Trennung zwischen der Bestimmung des objektiven Gewichts eines Belangs und der sich anschließenden Ausgleichsentscheidung führt nicht zum Ausschluss der planerischen Gestaltungsfreiheit. Beim Vorgang der Bestimmung der objektiven Gewichtigkeit nimmt das kontrollierende Gericht einen Rechtsfehler nur an, sofern die von der Behörde vorgenommene Gewich-
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4. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
tung des Belangs im Vergleich zu der vom Gericht vorgenommenen Gewichtung schlechthin unverhältnismäßig ist. Die vom kontrollierenden Gericht vorgenommene objektive Gewichtung des einzelnen Belangs ist damit die einzig richtige und somit der anzulegender Kontrollmaßstab. Der planenden Behörde verbleibt folglich gestalterischer Spielraum. Wesentlicher Bestandteil der Abwägungsfehlerlehre ist die auch in § 214 III S. 2 BauGB vollzogene Unterscheidung in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Sowohl das Abwägungsergebnis als auch der Abwägungsvorgang sind jeweils auf die Abwägungsfehler hin zu überprüfen. Der Abwägungsvorgang umfasst dabei das inhaltliche Zustandekommen des Abwägungsergebnisses und ist daher gerade kein Verfahrensrecht. Die Vorgangskontrolle ist Teil der Ergebniskontrolle. Neben der Überprüfung des Planinhalts kommt dem Vorgang eine eigenständige Bedeutung zu, so dass dieser zusätzlich kontrolliert wird. Die Anknüpfung an die unterschiedlichen Kontrollgegenstände macht die Doppelüberprüfung auf die Abwägungsfehler nicht überflüssig. Eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei der Überprüfung von Bebauungsplänen bewirken jedoch die Planerhaltungsvorschriften. Für den Umgang mit Fehlern bei der Bauleitplanung hat sich der Gesetzgeber der Regelungsinstrumente der Heilung und der Unbeachtlichkeit von Fehlern bedient, um eine höhere Bestandssicherheit zu gewähren. Die Planerhaltungsvorschriften passen die Fehlerlehre der Rechtsform Satzung der besonderen Komplexität der Planung an. Damit wird deutlich, dass Bebauungspläne nicht vollständig in die Rechtsform Satzung passen. Mit den bisherigen Planerhaltungsvorschriften wollte der Gesetzgeber die Fehleranfälligkeit von Bebauungsplänen aufgrund von Verfahrensfehlern reduzieren. Das hat gleichzeitig zu einer verstärkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Sachentscheidung bei gleichzeitig abnehmender Verfahrenskontrolle geführt. Indem die Unbeachtlichkeitsregelungen Verstöße gegen höherrangiges Recht für unbeachtlich erklären, regeln die §§ 214 ff. BauGB zum einen materiellrechtlich die Fehlerfolgen von Verstößen gegen Rechtsnormen und zum anderen prozessual den jeweils anzulegenden Prüfungsmaßstab der kontrollierenden Gerichte. Mängel im Abwägungsvorgang sind nach dem Prüfungsmaßstab der Planerhaltungsregeln nur beachtlich, wenn diese gemäß § 214 III S. 2 BauGB offensichtlich und von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sind. Das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit beschränkt den gerichtlichen Prüfungsmaßstab auf die „äußere Seite“ des Abwägungsvorgangs. Nur die ergebnisrelevanten Mängel im Abwägungsvorgang beeinträchtigen die Ergebnisoffenheit der Abwägung und sind damit i. S.v. § 214 III S. 2 BauGB beachtlich.
4. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
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Nach der bisherigen Systematik der Planerhaltungsvorschriften wurde strikt zwischen Planerhaltungsvorschriften für jeweils Verfahrens- und Formfehler und Planerhaltungsvorschriften für materiell-rechtliche Fehler unterschieden. Dementsprechend wurden von § 214 I BauGB (a. F.) nur Verstöße gegen Vorschriften erfasst, die den äußeren Ablauf des Planungsverfahrens regeln. Für Verstöße gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 214 I a BauGB (a. F.) galt das Gleiche. Materiell-rechtliche Mängel im Abwägungsvorgang wurden hingegen von § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) geregelt. Mängel im Abwägungsergebnis wurden in § 215 I Nr. 1 BauGB mit der Folge der relativen Unbeachtlichkeit erfasst. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die mit Mängeln im Abwägungsvorgang zusammenfallen können, wurden entsprechend der systematischen Trennung der Anwendungsbereiche zunächst von § 214 I BauGB (a. F.) erfasst. Beruhte ein Mangel im Abwägungsvorgang aber auf einem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, so war dessen Beachtlichkeit ebenfalls an § 214 III S. 2 BauGB (a. F.) zu messen. Mit den Unbeachtlichkeitsregelungen präzisiert der Gesetzgeber die subjektiven Rechte i. S.v. Art. 19 IV GG dadurch, dass er dem materiellen Recht Schranken setzt. Die Unbeachtlichkeitsregelungen sind, solange kein subjektiv-öffentliches Recht verletzt wird, mit Art. 19 IV GG grundsätzlich vereinbar. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG bildet dennoch eine Grenze für die Unbeachtlicherklärung von Verstößen gegen höherrangiges Recht, denn Art. 19 IV GG wirkt insoweit auf den Inhalt und den Umfang des materiellen Rechts ein, als dass der einfache Gesetzgeber den subjektiven Rechtsschutz nicht einfach unterlaufen kann. Die durch das EAG Bau neu geregelten Planerhaltungsvorschriften knüpfen konzeptionell an die Vorgängerregelungen an. Im Unterschied zu der Vorgängerregelung hat der Gesetzgeber die Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln neu geregelt, wobei der Wortlaut des in § 1 VII BauGB verankerten Abwägungsgebots nicht verändert wurde. Das bloße redaktionelle Verschieben der Regelung ist ein klarer Hinweis darauf, dass der bestehende Regelungsgehalt nicht geändert werden sollte. Mit dem EAG Bau hat der Gesetzgeber die europarechtlichen Vorgaben aus der Plan-UP-Richtlinie und der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie hinsichtlich einer verstärkten Öffentlichkeitsbeteiligung, des Monitorings und des Umweltberichts in das Planaufstellungsverfahren von Bebauungsplänen integrieren wollen. Nach der Gesetzesbegründung sollten aber nicht nur die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorgaben umgesetzt werden, sondern auch das BauGB an das europäische Rechtsverständnis der europarechtlichen Verfahrensanforderungen angepasst werden; damit mussten auch die Planerhaltungsvorschriften angepasst werden. Der EuGH räumt in seiner Kontrollpraxis der Einhaltung von Verfahrensvorschriften einen größeren Stellenwert ein als die deutschen Gerichte bei der Kon-
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4. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
trolle von Verfahrensrecht. Sind Entscheidungen von Verwaltungsorganen mit eingeräumtem Ermessen Kontrollgegenstand, überprüft der EuGH die Einhaltung der Verfahrensvorschriften. Auf die materiell-rechtliche Richtigkeit der Ermessensentscheidung kommt es nicht mehr an. Das Verfahren ist nach Ansicht des EuGH Garant eines sachgerechten und richtigen Ergebnisses. Das unterschiedliche Verständnis vom Stellenwert der Verfahrensvorschriften führt zu einer unterschiedlichen Beachtlichkeit der Verfahrensfehler bei der Gerichtskontrolle durch ein nationales Gericht und bei der Gerichtskontrolle durch den EuGH. In Deutschland wird grundsätzlich von einer Vollkontrolle der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung durch die Gerichte ausgegangen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass Fehler im Verwaltungsverfahren durch das gerichtliche Verfahren ersetzt werden können. In den Fällen, wie bspw. den Abwägungsentscheidungen, in denen auch in Deutschland die Verwaltungsentscheidung nicht mehr vom kontrollierenden Gericht ersetzt werden darf, erreicht das Verfahren dennoch nicht denselben Stellenwert wie bspw. im Europarecht. So müssen sich in Deutschland die Verfahrensfehler, wie bspw. gemäß § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB, ergebniskausal ausgewirkt haben, damit sie in der Gerichtskontrolle berücksichtigt werden. Die dem EAG Bau zugrunde liegende Plan-UP-Richtlinie enthält dem unionsrechtlichen Verfahrensverständnis entsprechend vorwiegend verfahrensrechtliche Regelungsinstrumente. Mit der Umsetzung der von der EU vorgegebenen Verfahrensanforderungen in nationales Recht, stellt sich die Frage, wie sich das Unionsrecht auf die deutsche Konzeption des Verfahrensrechts und insbesondere dessen Stellenwert bei der Gerichtskontrolle auswirkt. Für die Gerichtskontrolle der Abwägungsentscheidungen könnte die unionsrechtliche Verfahrens- und Kontrollkonzeption einen Wechsel von der materiell-rechtlichen Kontrolle zu zumindest einer teilweisen Verfahrenskontrolle der Abwägungsentscheidung bewirken. Nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber im Rahmen der Europarechtsanpassung die Abwägungsdogmatik nachhaltig verändert. Anstelle der bisherigen Überprüfung des Abwägungsvorgangs auf Fehler soll nach den neuen Planerhaltungsvorschriften die Richtigkeit des neuen Verfahrens des Ermittelns und Bewertens abwägungbeachtlicher Belange überprüft werden. Der Gesetzgeber möchte damit einen Wechsel von der materiell-rechtlichen zur verfahrensrechtlichen Kontrolle vollziehen. Mit dem EAG Bau wurde mit § 2 III BauGB die neue Verfahrensgrundnorm eingeführt, die spiegelbildlich zum materiellen Recht aus den §§ 1, 1a BauGB die verfahrensrechtlichen Anforderungen zur Aufstellung eines Bebauungsplans regeln soll. Die neuen Planerhaltungsvorschriften bewegen sich zwischen den beiden Polen, mit der Folge, dass jeder Mangel bei der Bauleitplanung erst einmal als verfahrensrechtlich oder materiell-rechtlich qualifiziert werden muss. Dieser Qualifizierung kommt durch die Neuregelung eine Schlüsselrolle zu. Die verschie-
4. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
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denen Fehlerarten werden durch die Neuregelung Abgrenzungskriterien für die Anwendungsbereiche verschiedener Fehlerfolgenregelungen. Die Abgrenzung anhand der Fehlerarten ist aber schwierig, da die Fehlerarten nicht trennscharf voneinander abgrenzbar sind. Welche Anforderungen des Abwägungsgebots nun durch den neuen § 2 III BauGB zu Verfahrensrecht geworden und welche Anforderungen materiell-rechtlicher Natur geblieben sind, ist eine Frage der Auslegung des neuen Verfahrens des Ermittelns und des Bewertens nach § 2 III BauGB. Nur wenn feststeht, welche Fehler das neue Verfahren i. S.v. § 2 III BauGB erfasst, können die Anwendungsbereiche zwischen § 214 I Nr. 1 S. 1 BauGB und § 214 III S. 2 BauGB voneinander abgegrenzt werden; denn trotz der Ankündigung eines Systemwechsels hat der Gesetzgeber eine Regelung über die Beachtlichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang beibehalten, obwohl diese Fehler vom neuen Verfahren und damit von § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst werden sollten. Aus der Gesetzesgenese geht der gesetzgeberische Wille zu einem Systemwechsel der materiell-rechtlichen Überprüfung des Abwägungsvorgangs hin zur Verfahrenskontrolle des Zusammenstellens, Ermittelns und Bewertens der abwägungsbeachtlichen Belange deutlich hervor. Dieser gesetzgeberische Wille wird durch die in Kraft getretene Fassung des § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB relativiert. Insoweit zeigen die Gesetzgebungsmaterialien eine inkonsequente Entwicklung und keinen klaren gesetzgeberischen Willen auf. Der Gesetzgeber hat die Anpassung an das Europarecht zum Anlass genommen, die Planerhaltungsregelungen für Mängel im Abwägungsvorgang im BauGB neu zu regeln. Europarechtlich umsetzungsbedürftig waren die Planerhaltungsregelungen im Hinblick auf Fehler bei der Ermittlung und Bewertung von Belangen, die für eine Umweltprüfung gemäß § 2 IV BauGB von Belang sind. Die anderen von den Planerhaltungsregeln erfassten Abwägungsvorgangsmängel haben einen rein nationalen Bezug und bedurften gemäß der Richtlinie keiner Umsetzung oder Anpassung an das Europarecht. Das EAG Bau schreibt die ausdifferenzierte und komplizierte Regelung der Planerhaltung fort. Eine Vereinfachung der Regelung ist gerade nicht erfolgt. Die Unterscheidung in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis wird durch die Neuregelung nicht aufgegeben. Für die Herabstufung des Abwägungsvorgangs zum Verfahrensrecht und der gleichzeitigen Unterwerfung unter die Planerhaltungsregelungen für Verfahrensvorschriften fehlt dem einfachen Gesetzgeber jedoch die Dispositionsbefugnis. Die gesonderte gerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs kompensiert die durch die planerische Gestaltungsfreiheit eingeschränkte Kontrolldichte und ist verfassungsrechtlich geboten; denn auf diese Weise soll die getroffene Entscheidung besser nachvollziehbar und besser kontrollierbar sein. Die damit gewonnene Rechtssicherheit ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.
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Der Gesetzgeber kann den Gerichtsschutz grundsätzlich ausgestalten. Die Neuausgestaltung in Form der Verfahrenskontrolle schmälert die bisher bestehende Kontrolldichte bei planerischen Abwägungsentscheidungen und ist deshalb auch bei einem gestärkten Verfahrensrecht ein Eingriff in Art. 19 IV GG. Der Kernbereich ist durch den Systemwechsel aber nicht betroffen. Der Eingriff ist damit grundsätzlich rechtfertigbar. Die Einschränkung der Kontrolldichte muss nicht nur mit Art. 19 IV GG, sondern auch mit Art. 14 I GG vereinbar sein. Im Wege der verbindlichen Bauleitplanung werden Inhalt und Schranken des Eigentums i. S.v. Art. 14 I S. 2 GG bestimmt. Das Abwägungsgebot regelt im konkreten Fall den Interessenausgleich der Grundeigentümer innerhalb und außerhalb des Plangebiets. Die eigentumsregelnde Wirkung von Bebauungsplänen verlangt die umfassende Berücksichtigung der von Art. 14 GG geschützten Belange. Zum Schutz des betroffenen Eigentums ist daher eine möglichst umfassende Kontrolle der Abwägungsentscheidung erforderlich. Insofern stellt Art. 14 I S. 2 GG auch Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des gesamten Entscheidungsprozesses und an die gerichtliche Kontrolle desselben. Bei einem Systemwechsel zur Verfahrenskontrolle bedarf es zur Kompensation der nun noch stärker eingeschränkten materiell-rechtlichen Kontrolldichte erst recht strikter Verfahrensregeln, welche den Schutz des Eigentums ausreichend gewährleisten. Wesentliches Element der Eigentumsgewährleistung ist das Gebot effektiven Rechtsschutzes mit der Forderung nach einer möglichst vollständigen inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle. Die Reduzierung der gerichtlichen Prüfung nur noch auf eine materiell-rechtliche Abwägungsergebniskontrolle stellt eine Verkürzung eines wesentlichen Elements der Eigentumsgarantie dar, welche verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden muss. Insgesamt ergibt sich aus dem Schrifttum und der bisher ergangenen Rechtsprechung keine einheitliche Abgrenzung zwischen Ermittlungs- / Bewertungsverfahren und dem bisherigen Abwägungsvorgang. Maßgeblich kommt es aber auf die Auslegung der Begriffe Ermitteln und Bewerten an und darauf, inwieweit diese die ursprünglichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang erfassen. Es ist dabei möglich, das Ermitteln und Bewerten i. S. d. §§ 214 I S. 1 Nr. 1, 2 III BauGB rein verfahrensrechtlich als eigenes Verfahren neben dem materiell-rechtlichen Abwägungsvorgang zu verstehen oder aber auch bis hin zu einer materiell-rechtliche Regelung, die den Abwägungsvorgang vollständig erfasst. Die Mehrheit der vertretenen Ansichten geht zu Recht nicht von einem Systemwechsel aus. Die Anzahl der verschiedenen Ansichten zu den Planerhaltungsregelungen im Hinblick auf Abwägungsfehler nach dem EAG Bau ist Ausdruck eines unklaren Willens des Gesetzgebers. Die an das Europarecht angelehnte Neukonzeption zur verstärkten Verfahrenskontrolle ist in den einzelnen Regelungen sichtbar. Der Gesetzgeber hat es aber versäumt, diesen Systemwechsel konsequent zu
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vollziehen. Als Resultat stehen sich eine vermeintliche Neuausrichtung auf die Verfahrenskontrolle und eine gleichzeitige Beibehaltung alter materieller Standards gegenüber. Sicherlich kann eine Bestimmung des Anwendungsbereichs des neuen Verfahrens des Ermittelns und Bewertens entsprechend einer systemwechselkonformen Auslegung vorgenommen werden. Alleine aber aufgrund des in der Gesetzesgenese vorgeschlagenen Systemwechsels als Regelungsziel kann nicht einfach auf den bestehenden Regelungsgehalt geschlossen werden, und zwar unabhängig davon, was von den vorgeschlagenen Elementen eines Systemwechsels im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen und letztendlich zum Gesetz geworden ist. Dementsprechend kann bei der historischen Auslegung der Wille zum Systemwechsel nur so weit berücksichtigt werden, als dass Anhaltspunkte für die Aufgreifung und Aufnahme in die gesetzliche Regelung sprechen. Die Gesetzesgenese zu dem neuen Verfahren ist jedoch widersprüchlich und damit ist unklar, was von dem geplanten Systemwechsel im Ergebnis Gesetz geworden ist. Die Gesetzessystematik der neuen Planerhaltungsregelungen legt es nahe, von einer Aufspaltung der bisher einheitlich als materiell-rechtlich verstandenen Anforderungen des Abwägungsgebots gemäß § 1 VII BauGB auszugehen. In § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB ist die Beachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern bei der Ermittlung und Bewertung abwägungsbeachtlicher Belange geregelt. In § 214 III S. 2 BauGB hat der Gesetzgeber die Beachtlichkeit von Verstößen gegen die materiell-rechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang geregelt. Insofern geht der Gesetzgeber von einem eigenen fortbestehenden Regelungsgehalt von § 1 VII BauGB neben § 2 III BauGB aus. Das Fortbestehen einer eigenen Unbeachtlichkeitsregelung für materiell-rechtliche Mängel im Abwägungsvorgang spricht dafür, dass der Anwendungsbereich des Verfahrens des Ermittelns und Bewertens nicht alle materiell-rechtlichen Anforderungen an die Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials erfasst. Das Tatbestandsmerkmal „im Übrigen“ gemäß § 214 III S. 2 Hs. 2 BauGB führt nicht zu einer eingeschränkten Anwendung für materiell-rechtliche Abwägungsmängel als Ausnahmefälle. Die enge verfahrensrechtliche Auslegung des neuen Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens erweist sich als ein gangbarer Weg, der sich in die bisherige Abwägungsdogmatik und in die Systematik der Planerhaltungsvorschriften einfügt, indem es auf diesem Weg gelingt, den materiell-rechtlichen Anforderungen ihren materiell-rechtlichen Charakter zu belassen und dennoch ein Ermittlungsund Bewertungsverfahren gemäß § 2 III BauGB als Bestandteil der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zu begreifen. Konsequenz der Auslegung ist die neu hinzutretende Kategorie des Abwägungsverfahrens. Dieses Verfahren erfolgt vor der eigentlichen Abwägung. In einem ersten Schritt werden die Belange zusammengestellt und die objektive Abwägungsbe-
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achtlichkeit festgestellt. In diesem Schritt findet noch keine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Abwägungsrelevanz des Belangs für die konkrete planerische Abwägung statt. Erst in einem zweiten Schritt folgen die planerische Abwägung und die Bestimmung der konkreten Abwägungsrelevanz der Belange. Die bisherigen Fehlerkategorien Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit setzen im Anschluss an das Verfahren bei der Frage an, ob die Belange nach Lage der Dinge in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen. Die materiellrechtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs nach den materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäben der Abwägungsdogmatik besteht fort. Verstöße gegen das neue Ermittlungs- und Bewertungsverfahren liegen dann vor, wenn bspw. sich aufdrängende Ermittlungen unterlassen wurden, wenn Sachverständige nicht befragt wurden oder wenn etwa das falsche Organ das Verfahren durchgeführt hat. Unter verfahrensrechtlicher Bewertung ist demnach die Feststellung der objektiven und abstrakten Abwägungsbeachtlichkeit eines Belangs durch das zuständige Organ ohne die Feststellung, dass der Belang nach Lage der Dinge in die Abwägung einzustellen ist, zu verstehen. Verfahrensverstöße gegen das so verstandene Verfahren haben keinen Aussagegehalt über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens hinaus. Berechtigterweise wird nach dem Sinn einer solchen zusätzlichen Überprüfung der rein verfahrensrechtlichen Elemente des Abwägungsvorgangs gefragt. Diese zusätzliche Überprüfung ist jedoch die Konsequenz einer inkonsequenten gesetzlichen Regelung. Mit der verfahrensrechtlichen Auslegung des Ermittelns und Bewertens wird berücksichtigt, dass die Verfahrensrichtigkeit nicht zwingend mit der Sachrichtigkeit verknüpft ist. Eine dementsprechende Aufwertung der Wirkung des Verfahrensrechts könnte hier Abhilfe schaffen. Das EAG Bau sieht zwar mehr Verfahrensanforderungen vor, wertet diese aber nicht über das nationale Verständnis der Wirkung von Verfahrensvorschriften auf. Dementsprechend überprüfen die Gerichte weiterhin die inhaltliche Würdigung der beim Ermitteln und Bewerten gewonnenen Informationen. In der Praxis sollten durch das neue vorgelagerte Verfahren die Abwägungsdefizitfehler freilich abnehmen, denn die Planungsbehörde kann auf ein sehr weites im Verfahren aufwendig zusammengestelltes Abwägungsmaterial zugreifen. Die enge verfahrensrechtliche Auslegung des Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens fügt sich dabei, ohne systematische Brüche zu vollziehen, nicht nur in die Gesetzessystematik der §§ 214 I S. 1 Nr. 1, III, 2 III BauGB, sondern auch in die Kontrollsystematik der Gerichtskontrolle ein und führt nicht zu einer reduzierten materiell-rechtlichen Kontrolldichte. Konsequenz dieser Auslegung ist die Beibehaltung der Gerichtskontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis wie bisher. Mit der einheitlichen Einjahresfrist zur Beanstandung von Fehlern bei der Planaufstellung wurden die Bebauungspläne den Bestandsregelungen für Ver-
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waltungsakte angenähert. Durch diese Fristverkürzung gestaltet der Gesetzgeber die Frist kürzer aus und schränkt damit die Kontrolleröffnung im Hinblick auf Fehler bei der planerischen Abwägung erheblich ein. Auch wenn die Fristverkürzung mit Art. 19 IV GG vereinbar ist, stellt sich die Frage, ob die Angleichung an die Bestandsregelungen des Verwaltungsakts noch sachgerecht ist. Im Unterschied zum Verwaltungsakt steht dem Betroffenen die Rechtsbelastung durch den Bebauungsplan nicht immer so ausdrücklich vor Augen wie bei einem belastenden Verwaltungsakt. Im Regelfall wird sich der Planbetroffene erst mit der Realisierung eines Vorhabens, gestützt auf den Bebauungsplan, seiner Betroffenheit bewusst. Die neue verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung im Planaufstellungsverfahren soll dem Abhilfe schaffen. Es ist damit eine Frage der Planungspraxis, inwiefern das neue Planaufstellungsverfahren wirklich kompensierend wirkt. Der Gesetzgeber hätte für einen angestrebten Systemwechsel die Kontrollmaßstäbe der Gerichtskontrolle ändern müssen. Die Änderungen der Planerhaltungsvorschriften vermögen einen solchen Wechsel nicht allein zu vollziehen. Vor allem müsste der Gesetzgeber die Stärkung der Verfahrensvorschriften nachvollziehen. Die verstärkte Regelung der Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern steht damit aber im „diametralen“ Widerspruch zum vorgschlagenen Systemwechsel. Ein konsequent vollzogener Systemwechsel hätte nicht nur im Rahmen der Planerhaltungsregelungen erfolgen sollen.
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Sachregister Aarhus-Übereinkommen 175 absolute Unbeachtlichkeit 145 ff., 168, 182 Abwägung, planerische 119 ff., 142 Abwägungsausfall 124 ff., 226 Abwägungsbeachtlichkeit 126, 223 Abwägungsdefizit 125 ff., 143, 226 Abwägungsdirektiven 102 Abwägungsdisproportionalität 125 ff., 137 Abwägungsergebnis – Doppelkontrolle 135, 195 ff., 228 ff., 280 – Fehlerbeachtlichkeit 158 – Unterscheidung 123, 134, 229, 280, 291 Abwägungsfehleinschätzung 125 ff. Abwägungsfehler 123 ff. – Unbeachtlichkeit 154 Abwägungsfehler, Neuregelung – Beachtlichkeit 186 ff., 238 ff. – Zuordnung zum Verfahren 194 ff., 228 ff., 283 Abwägungsfehlgebrauch 264 ff. Abwägungsgebot – Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis 134 – Doppelkontrolle 135 ff. – Drittschutz 39 ff. – Entwicklung 122 ff. – Kontrollmaßstab 119 – Nach dem BVerfG 229 ff. – Nach dem EAG Bau 185 ff. – Verfassungsrang 228 ff. Abwägungsmaterial 184 Abwägungsnormen 95 Abwägungsphasen 124 ff.
Abwägungsraum, spezifischer 94 ff., 117 Abwägungsverfahren 227 ff., 278 ff., 293 Abwägungsvorgang – Aufspaltung 218 ff., 227 – Doppelkontrolle 135 ff., 280 – Fehlerbeachtlichkeit 154, 189, 195, 218, 225 – Materiell-rechtlicher Charakter 61, 141, 227 – Umadressierung 182 ff., 210 ff., 280 ff. – Unterscheidung 123, 134, 229, 280 Allgemeine Rechtsschutzbedürfnis 42 Anpassungsbedarf an Unionsrecht 177 Antragsbefugnis 38 Antragsfrist 43 Aufgabenverteilung, funktionale 196 Aufstellungsverfahren 98 ff. Auslegung – enge verfahrensrechtliche 226 ff., 276 – verfahrensrechtlich weite 213 Autonomer Gestaltungsraum 51 Bauleitplanung 65 Beachtens- / Berücksichtigungspflichten 93 Bebauungsplan – Eigene Fehlerlehre 147 ff. – Rechtsform 26, 71 – Rechtsgebundenheit 63 ff. – Rechtsschutz 28 Belange 42, 119 ff. Beschlussfassung 99 Beurteilungsspielraum 51, 78 Bewerten
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Sachregister
– Historische Auslegung 221 ff. – Systematische Auslegung 223 – Teleologische Auslegung 224 – Wortlautauslegung 221 Bewertungsfehler 227 EAG Bau – Abweichungen von Entwurf 202 ff. – Neuregelung 181 ff. – Referentenentwurf 197 ff. – Regelungsentwurf 192 ff. – Regierungsentwurf 198 ff. Eigentumsgewährleistung 235 ff. Einschätzungsprärogative 51 Entwicklungsgebot 105 Ergänzende Verfahren – Neuregelung 203 Ermessen 76, 78 Ermitteln – Historische Auslegung 212 ff. – Systematische Auslegung 214 ff. – Teleologische Auslegung 219 – Wortlautauslegung 211 Ermittlungsfehler 220, 227 ff. Fehler 144 Flächennutzungsplan 65 Formelle Kontrollmaßstäbe 96 Gerichtskontrolle 48 Gesetzliche Gewichtungsmaßstäbe 106 Gewaltenteilung 83 Grundsatz der Konfliktbewältigung 116 Handlungsmaßstäbe 53 ff. Handlungsperspektive 83 Inhaltskontrolle 57, 210 Inzidentkontrolle 45 Komfortabwägung 242 ff. Kontrolldichte
– Begrenzung 51 ff., 93, 127, 167, 179, 233 – Begriff 49 – Beschränkung 86 ff. – Kompensation 54 ff., 233 ff., 274 – Reichweitte bei Abwägung 125 – Vergleich EuGH 177 ff. – Vollkontrolle 50 ff. Kontrolleröffnung 48, 281 Kontrollfreistellung 86 Kontrollgrenze 52 ff. Kontrollkonzeption – Systemvergleich 179 Kontrollmaßstäbe 49 ff., 89 ff., 210, 224, 277, 284 Kontrollperspektive 83 Kontrollpraxis EuGH 177 ff. Kontrollunmöglichkeit 51 Letztentscheidungsbefugnis 50 ff., 81 ff. Mangel 144 Materielle Kontrollmaßstäbe 101 Materielles Recht 58 ff. Möglichkeitstheorie 38 Nachteilserfordernis 37 Nichtigkeitsdogma 30 Normative Ermächtigungslehre 84 Normenkontrollverfahren 31 – Bebauungsplan als Kontrollgegenstand 35 – Prüfungsmaßstab 35 Offensichtlichkeit 156 Öffentlichkeitsbeteiligung 99 Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtline 176 Optimierungsgebote 107 ff. Plan, Planung – Definition 67 – Handlungsform 70 – Rechtsform 68 ff. Planaufstellungsbeschluss 98 Planerforderlichkeit 103 Planerhaltungsvorschriften – Anwendungsbereiche 166 ff.
Sachregister – Entwicklung 144 ff. – Gerichtlicher Prüfungsmaßstab 162 – Heilung 148 – Neue Anwendungsbereiche 185 ff. – Neuregelung 181 ff. – Präklusion 147 – Rechtsschutz 165 – Systematik 150 ff., 182 ff. – Unbeachtlichkeit 149 ff. Planerische Gestaltungsfreiheit 51 – Abgrenzung 75 ff. – Begriff 71 – Grenzen 74, 85, 121 – Inhalt 72 ff. 85 – Voraussetzung 73 Planrechtfertigung 111 Planungsentscheidungen 62 Planungsermessen 51, 71 ff. Planungsgrundsätze 111 Planungshoheit 73 Planungsleitlinien 106 Planungsleitsätze 93 ff. Planungsnormen 72 ff. Planungsziele 102 Plan-UP-Richtlinie 174 Prinzipales Kontrollverfahren 31 Rechtmäßigkeitskontrolle 25 Rechtsbeanstandungsverfahren 32 Rechtsbindung 51 Rechtschutzgarantie 156 Rechtschutzgewährleistung 281 Rechtsgebundenheit 49, 74, 86 Rechtsnormen – Finalprogrammierte Normen 77 – Konditionalprogrammierte Normen 76 Rechtsschutz, Versubjektivierung 44 Rechtsschutzgarantie 50 ff. Rechtsschutzgewährleistung 86, 233 ff. Rechtsschutzverfahren 32 Rechtssicherheit 231
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Rechtsstaatsgebot 231 Rechtsverstoß 144 Regelungsgehalt 214 Relative Unbeachtlichkeit 150, 158, 168, 182, 190 Reservefunktion 225 Reserveklausel 276 Rücksichtnahmegebot 114 Rügefrist 158, 190 Schrankensystem 87 ff. Schutznormtheorie 38, 114 Sicherheitsreserve 210 Sparabwägung 242 Systemwechsel 210, 232, 271 ff. – Meinungsstand 236 ff. – Zulässigkeit 228 ff. Umsetzungsbedarf, Richtlinien 181 Umweltprüfung 59, 99, 185 Unabhängige Expertenkommission 181, 193 ff. Unbestimmter Rechtsbegriff 88 Unwirksamkeit 204 Verfahren – Bedeutung 55 ff. – Begriff 57 – Stellenwert 215 ff. – Stellenwert im Europarecht 178 ff. Verfahrensergebnis 277 Verfahrensfehler 200 Verfahrens- / Formfehler – Unbeachtlichkeit 166, 183 – Unbeachtlichkeit vor EAG Bau 152 ff. Verfahrensgrundnorm 183 ff., 214 ff. Verfahrenskontrolle 54 ff., 210, 273 Verfahrensrecht 58 – Abgrenzung Materielles Recht 59 – Stellenwert 55, 166, 234, 282 – Stellenwert im Europarecht 177 ff. Verfahrensrichtigkeit 54 ff., 215
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Sachregister
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 231 Vermutung, gesetzliche 193 ff., 214, 227 Verwaltungsvorbehalt 51 Vorgang – Begriff 57 ff.
– Vorgangskontrolle 57, 233 Ziele der Raumordnung 104 Zielprogramme, rechtsverbindliche 117 Zutreffend 212 ff.
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