Die Gebäudehaftung: § 836 BGB im System der Verkehrssicherungspflichten [1 ed.] 9783428500734, 9783428100736

Der Autor beschäftigt sich mit dem deliktsrechtlichen Sondertatbestand der Gebäude- und Werkhaftung, welcher zutreffend

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German Pages 277 Year 2000

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Die Gebäudehaftung: § 836 BGB im System der Verkehrssicherungspflichten [1 ed.]
 9783428500734, 9783428100736

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JÖRG PETERSHAGEN

Die Gebäudehaftung

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 237

Die Gebäudehaftung § 836 BGB im System der Verkehrssicherungspflichten

Von Jörg Petershagen

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Petershagen, Jörg:

Die Gebäudehaftung : § 836 BGB im System der Verkehrssicherungspflichten / von Jörg Petershagen. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 237) Zug!.: Jena, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10073-5

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10073-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

..Gegen Abend erreichte es ein armseliges kleines Bauernhaus. Das war so windschief, daß es selbst nicht wußte, nach welcher Seite es fallen sollte, deshalb blieb es stehen." Hans Christian Andersen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde bei der juristischen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena im April 1999 als Dissertation eingereicht. Danken möchte ich an dieser Stelle meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Andreas Spickhoff, an dessen Lehrstuhl ich während der Erstellung der Arbeit tätig sein durfte und von dem ich neben moralischer Unterstützung vielerlei Anregungen und Hinweise zur Ausarbeitung des Themas erhalten habe. Zu danken habe ich ebenfalls Herrn Professor Dr. Walter Bayer, welcher das Zweitgutachten übernommen hat und dieses, wie auch Herr Professor Dr. Spickhoff sein Erstvotum, trotz des laufenden Semesters so rasch erstellt hat, daß die mündliche Prüfung noch im Juli 1999 stattfinden konnte. Besonders erwähnt werden soll die Unterstützung meiner Eltern. Diese haben mir nicht nur das Studium und damit letztlich diese Arbeit ermöglicht, sondern auch bei der undankbaren Aufgabe des Korrekturlesens geholfen und mich an etlichen Punkten durch Hinweise von nichtjuristischer Warte aus nochmals zum Nachdenken angeregt. Jörg Petershagen

Inhaltsverzeichnis § I Einleitung .........................................................

21

§ 2 Rechtshistorischer Überblick ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

24

A. Die I. 11. III.

Gebäudehaftung im römischen Recht .......................... Haftung nach der lex Aquilia ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die actio de his qui effuderint vel deiecerint ~.................. Die cautio damni infecti ..................................... 1. Haftungsauslösendes Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 2. Berechtigung zur Kautionsforderung ....................... 3. Verpflichtung zur Kautionsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Rechtsfolgen ............................................. IV. Ergänzende Klagemöglichkeiten .............................. V. Zusammenfassung........................................... Das gemeine Recht und die späteren Kodifikationen in den deutschen Territorialstaaten ................................................ I. Verhältnis zu den Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Entwicklung im 19. Jahrhundert ... ,.......................... Das preußische Allgemeine Landrecht ............................. I. Öffentlich-rechtliche Pflicht zur Gebäudeunterhaltung ........... 11. Privatrechtliche Schadensersatzansprüche ...................... 111. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Das Modell des Code civil anband des badischen Landrechts..... .. .. Die Gebäude- und Werkhaftung in der Entstehung des BGB .........

34 34 35 36 36 37 40 40 42

§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten ...........................

45

A. Österreich ......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Haftungsobjekt des § 1319 ABGB ............................ 1. Überschneidung mit § 1319 a) ABGB .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zu § 1318 ABGB .............................. 11. Person des Verpflichteten und des Berechtigten ................ III. Haftungsauslösendes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Zusammenfassung........................................... B. Schweiz ....................................................... I. Haftungsobjekt ............................................. 11. Person des Verpflichteten und des Berechtigten ................. III. Haftungsauslösendes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 48 49 51 52 54 56 56 57 58 60

B.

C.

D. E.

24 24 26 27 28 29 30 32 32 33

10

Inhaltsverzeichnis

C.

D.

E.

F.

IV. Haftungsmaßstab ............................................ V. Verhältnis zu anderen Tatbeständen ........................... VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Frankreich ..................................................... I. Verhältnis des Art. 1386 zu Art. 1384 I Alt. 2 C.c. .............. H. Haftungsobjekt des Art. 1386 C.c. ............................ III. Person des Verpflichteten und des Berechtigten ................. IV. Haftungsauslösendes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VI. Zusammenfassung........................................... Niederlande .................................................... I. Haftungsobjekt ............................................. H. Person des Verpflichteten und des Berechtigten ................. III. Haftungsauslösendes Ereignis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftungsmaßstab . . .. . . . .. . .. . ... . .. . .. . . .. . . .. . .. . .. . . . . . . .. V. Entlastungsmöglichkeit ...................................... VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Haftung des Grundstücksbesitzers nach den Occupiers' Liability Acts von 1957 und 1984 ..................................... 1. Der Occupiers' Liability Act von 1957 ..................... a) Person des Berechtigten ............................... b) Person des occupier .................................. c) Haftungsgegenstand .................................. d) Umfang der geschuldeten Sorgfalt ...................... e) Entlastungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beweislast ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Occupiers' Liability Act von 1984 ..................... a) Besondere Voraussetzungen und Umfang der Sorgfaltspflicht .............................................. b) Verteidigungsmöglichkeiten des occupier ................ H. Haftung gegenüber außerhalb des Grundstücks befindlichen Personen ........................................................ 1. Public Nuisance ......................................... 2. Private Nuisance ........................................ 3. Haftung nach Rylands v. Fletcher ... . .. . .. . ... . .. . . . . . . . . .. III. Haftung nach dem Defective Premises Act von 1972 ............ IV. Environmental Protection Act von 1990 (statutory nuisance) ..... V. Zusammenfassung........................................... Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ausländischen Haftungssysteme ..........................................................

61 62 63 63 64 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 75 77 77 78 80 80 82 83 83 85 87 88 88 90 91 92 93 95 96 97 98 99

§ 4 Die Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht 103

A. Rechtsnatur des § 836 BGB ...................................... 103

Inhaltsverzeichnis 1. 11.

B. C.

D.

E.

F.

§ 836 BGB als Verschuldenstatbestand § 836 BGB als besonderer Fall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten .............................................. Normzweck .................................................... Das Haftungsobjekt ............................................. 1. Gebäude- und Werkbegriff ................................... 11. Teile von Gebäuden und Werken ............................. III. Exkurs: Haftung für Firmenschilder ........................... IV. Ausdehnung der Verschuldensvermutung auf andere Haftungsobjekte ....................................................... 1. Anwendung auf Bäume und sonstige natürliche Beschaffenheiten des Grundstückes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Analogie bei nicht zweckgerichteten Errichtungen ........... 3. Anwendung auf Aufzüge ................................. Haftungsauslösendes Ereignis ........................ ~ . . . . . . . . . . .. 1. Begriff des Einsturzes und der Ablösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Analogiemöglichkeiten bei Einsturz und Ablösung .............. 1. Relevanz von Höhe und Tiefe bei der Schädigung ........... 2. Anwendbarkeit bei fehlender Ablösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Fehlerhafte Errichtung und Unterhaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Objektivität der Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Sachliche Voraussetzungen des Baumangels . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Kausalitätsfragen ............................................ 1. Kausalität zwischen Baumangel und Einsturz ............... 2. Ursächlichkeit des Mangels beim Tätigwerden von Unternehmern und deren Hilfspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Kausalität zwischen Einsturz bzw. Ablösung und der Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Position der Rechtsprechung ........................... b) Kritik und Lösungsansätze in der Literatur .............. c) Stellungnahme zur Kausalitätsproblematik . . . . . . . . . . . . . .. d) Psychische Kausalität in der Gebäude- und Werkhaftung .. Reichweite der Anspruchsberechtigung ............................ 1. Person des Berechtigten ..................................... 11. Umfang der geschützten Rechtsgüter .......................... III. Umfang des zu ersetzenden Schadens ......................... Die Anspruchsverpflichtung ...................................... 1. Verpflichtung des Besitzers aus § 836 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Nachhaftung aus § 836 11 BGB ............................... III. Verpflichtung aus § 837 BGB ................................ IV. Haftung aus Unterhaltungsverpflichtung nach § 838 BGB ........ 1. Verpflichtung aus Übernahme (§ 838 Alt. 1 BGB) ........... 2. Bedeutung des Innenverhältnisses für die Übernahme ........

11

103 106 107 109 109 115 121 123 124 126 127 129 129 133 133 134 141 141 144 147 148 149 152 153 155 157 161 164 164 167 169 171 172 174 179 186 187 194

12

Inhaltsverzeichnis 3. Unterhaltungspflicht durch Nutzungsrecht (§ 838 Alt. 2 BGB) a) Anzeigepflicht des Nießbrauchers gern. § 1042 S. I BGB ., b) Nutzungsrecht der Eltern gern. § 1649 11 BGB ........... V. Ersetzung des Eigenbesitzer- durch das Haltermodell ............ G. Beweislastfragen ................................................ I. Zum Beweistherna des Geschädigten gehörende Umstände ....... 11. Reichweite der Vermutung des § 836 I 2 BGB ................. 1. Bezug zu den Voraussetzungen des Tatbestandes ............ 2. Analogiemöglichkeit beim Mitverschulden .. . . . . . . . . . . . . . . .. III. Schema zur Beweislastverteilung ............................. H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten ................ I. Erbringung der zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Sorgfalt 1. Maßstäbe der zur Gefahrabwendung erforderlichen Sorgfalt . .. 2. Einschaltung Dritter zur Abwendung der Bauwerksgefahr .... 11. Nachweis der fehlenden Kausalität des Verschuldens ............ 1. Zusammenfassung...............................................

196 198 199 201 204 204 207 207 211 212 212 213 213 219 222 224

§ 5 Die Versicherbarkeit der Haftung aus §§ 836-838 BGB ................. 226

A. Bedeutung des Haftungsobjektes und seiner Nutzung für die Versicherungsform ...................................................... B. Abgrenzung nach der Art des schädigenden Ereignisses ............. C. Einbeziehung von Hilfs- und Betreuungspersonen .... . . . . . . . . . . . . . .. D. Ertrag .........................................................

227 230 232 233

§ 6 Die Bedeutung der §§ 836-838 BGB im heutigen Deliktsrecht .......... 235

A. Verhältnis zur Haftung nach § 823 I BGB ......................... B. Verhältnis zu sonstigen Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. C. Relevanz des § 836 BGB für die Entwicklung der Produkthaftung .... I. Beweislastverteilung bei der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB ...................................................... 11. Bedeutung des Verschuldensbegriffes im Produkthaftungsgesetz .. 1. Fehlerbegriff des § 3 ProdHaftG als Basis einer Verschuldenshaftung ................................................. 2. Ausschlußtatbestand des § 1 11 Nr. 5 ProdHaftG als Verschuldensvermutung .......................................... 3. Ergebnis................................................

235 240 244 244 246 247 251 253

§ 7 Ergebnisse der Arbeit ............................................... 255

Literaturverzeichnis ..................................................... 261 Sachwortverzeichnis .................................................... 272

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

am angegebenen Ort

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)

Abl.EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

A.C.

The Law Reports, Appeal Cases

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

a.E.

Am Ende

a.F.

alte(r) Fassung

AHB

Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherungen

All ER

The All England Law Reports

ALR

Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten vom 1. 6. 1794

A.L.R.

The Australian Law Reports

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

AtomG

Atomgesetz

Aufl.

Auflage

BauGB

Baugesetzbuch

BauR

Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht

BB

Der Betriebsberater

BBR

Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung

Bd.

Band

Bearb.

Bearbeitung

14

Abkürzungsverzeichnis

BG

Bundesgericht (Schweiz)

BGB

Bürgerliches Gesetzb.uch (Deutschland)

BGB!.

Bundesgesetzblatt

BGE

Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts

BGH

Bundesgerichtshof (Deutschland)

BGHSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BIGBW

Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht

BT-DrS

Bundestagsdrucksache

B.W.

Nieuw Burgerlijk Wetboek. Neues Niederländisches Gesetzbuch vom 1.1. 1992

B.W. a.F.

Burgerlijk Wetboek. Niederländisches Gesetzbuch von 1838

bzw.

beziehungsweise

Cass. civ.

Cour de Cassation, Chambre civile (Frankreich)

C.c.

Code civil (Zivilgesetzbuch, Frankreich); Codice civile (Zivilgesetzbuch, Italien)

Ch.

The Law Reports, Chancery Division

D.

Recueil de jurisprudence Dalloz

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

Dig.

Digesten

Diss.

Dissertation

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DS.

Recueil Dalloz-Sirey

EG

Europäische Gemeinschaft

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Deutschland)

Ein!.

Einleitung

eod.

eodem

Abkürzungsverzeichnis EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EvBl.

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Österreich), seit 1946 Beilage der ÖJZ

f.,ff.

folgende

FOG

Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

Gruchot

Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet v. Gruchot

HaftpflichtG

Haftpflichtgesetz (Deutschland)

h.L.

herrschende Lehre

HL Cas.

Clark's House of Lords Cases

h.M.

herrschende Meinung

H.R.

Hoge Raad (Niederlande)

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

Hrsg.

Herausgeber

i.d.F.

in der Fassung

m.a.W.

in der Regel

LE.

im Ergebnis

InsO

Insolvenzordnung

i.S.d.

im Sinne des/der

LS. v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

JBl.

Juristische Blätter (Österreich)

JR

Juristische Rundschau

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

K.B.

The Law Reports, King's Bench Division

15

16

Abkürzungsverzeichnis

KF

Karlsruher Forum, Beilage zum VersR

KO

Konkursordnung

LG

Landgericht

LM

Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

LZ

Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m.a.W.

mit anderen Worten

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Miet

Mietrechtliche Entscheidungen (Österreich)

MilReG

Gesetzgebung der Militärregierung

Mio.

Million

Mot.

Motive

NBauO

Bauordnung des Landes Niedersachsen

Nds.Rpflege

Niedersächsische Rechtspflege

m.N.

mit Nachweis

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NedJur

Nederlandse jurisprudentie

n.F.

neue(r) Fassung

NGefaG

Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungsreport

Nr.

Nummer

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA-RR

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Rechtsprechungsreport

NZV

Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

ÖJZ

Österreichische Juristenzeitung

OGH

Oberster Gerichtshof (Österreich)

OLA

Occupiers' Liability Act

OLG

Oberlandesgericht

Abkürzungsverzeichnis OLGE

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen

OR

Obligationenrecht (Schweiz)

P.I.Q.R.

Personal Injuries and Quantum Reports

pr.

principium

ProdHaftG

Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte

ProdSG

Produktsicherheitsgesetz

Prot.

Protokolle

Q.B.

The Law Reports, Queen's Bench Division

Rn.

Randnummer

Recht

Das Recht

RG

Reichsgericht (Deutschland)

RGZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rspr.

Rechtsprechung

RuS

Recht und Schaden

S.

Seite, Satz

s.

siehe

SchlHA

Schleswig-Holsteinische Anzeigen

sect.

section

SemJur.

La Semaine Juridique

Seuff. Arch.

Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte

SJZ

Schweizerische Juristenzeitung

sog.

sogenannt(-e, -er, -es)

StGB

Strafgesetzbuch (Deutschland)

StVG

Straßenverkehrsgesetz (Deutschland)

SZ

Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen

Thür BauO

Bauordnung des Landes Thüringen

ThürNachbarG

Nachbarrechtsgesetz des Landes Thüringen

2 Peteßhagcn

17

18

Abkürzungsverzeichnis

Thür OBG

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden des Landes Thüringen

Thür PAG

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei des Landes Thüringen

T.L.R.

Annual Digest of the Times Law Reports

u. a.

unter anderem

Ulp.

Ulpian

UmwelthaftG

Umwelthaftungsgesetz (Deutschland)

UTCA

Unfair Contract Terms Act von 1977

u. U.

unter Umständen

v.

vom, von, versus

VerBAV

Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen

VersR

Versicherungsrecht

VfGH

Verfassungsgerichtshof (Österreich)

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vorbem.

Vorbemerkung

VP

Versicherungspraxis

VRS

Verkehrsrechts-Sammlung

VVG

Gesetz über den Versicherungsvertrag

VW

Versicherungswirtschaft

WamR

Wameyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts

WEG

Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Deutschland)

WHG

Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushaltes (Deutschland)

W.L.R.

The Weekly Law Reports

WM

WertpapiermiUeilungen: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

WuM

Wohnungswirtschaft und Mietrecht

z.B.

zum Beispiel

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

Abkürzungsverzeichnis

ZfS

Zeitschrift für Schadensrecht

ZGB

Zivilgesetzbuch (Schweiz/DDR)

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

ZMR

Zeitschrift für Miet- und Raumrecht

ZPO

Zi vilprozeßordnung (Deutschland)

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

zug\.

zugleich

ZVG

Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Deutschland)

19

§ 1 Einleitung Eine Untersuchung der ausdrücklich geregelten Verantwortlichkeit für Gebäude und andere Bauwerke sowie ihrer Stellung im heutigen bürgerlich-rechtlichen Haftungsgefüge ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Zunächst einmal datieren die sich mit diesem Thema befassenden Arbeiten monographischer Art trotz der Tatsache, daß der Normenkomplex der §§ 836--838 BGB bereits seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches Geltung besitzt und seither umfangreiche technische und städtebauliche Entwicklungen zu verzeichnen sind, vornehmlich aus der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts und tragen diesem Fortschritt sowie der daraus resultierenden Urteilspraxis folglich nicht Rechnungi. Dariiberhinaus darf die praktische Bedeutung des Deliktstatbestandes nicht unterschätzt werden. Bei den "Bauwerken im klassischen Sinne", den Wohngebäuden, ist ein Anstieg der potentiellen Haftungsobjekte auf bundesweit knapp 16 Mio. zu verzeichnen 2• Erfaßt sind dabei nur Gebäude mit Wohnraum und bewohnte Unterkünfte; hinzu kommen jedoch noch die reinen Büro- und Fabrikbauten. Auch die sonstigen mit einem Grundstück verbundenen Werke i. S. d. § 836 I 1 BGB sind in dieser Zählung aufgrund ihrer Vielfalt notwendigerweise nicht enthalten. Dem Umfang der Haftungsquellen sind mithin keine statistisch auszulotenden Grenzen gesetzt. Infolgedessen findet sich - gerade in der neueren Rechtsprechung - eine Vielzahl von Entscheidungen, welche sich mit der Gebäude- und Werkhaftung beschäftigen. Deren inhaltliche Spannbreite ist erheblich: Eine Haftung kam etwa für den Schulfall3 von herunterfallenden Teilen der Dachabdeckung 1 Die Werke von Laue und Delius wurden bereits vor Inkrafttreten des BGB geschrieben, die von Katzschner, Kaulfers, Hagedorn, Lotze, und Wolterhoff entstanden noch vor 1930. Die kürzlich erschienene Arbeit von Mull beleuchtet die Gebäudehaftung unter vorwiegend rechtshistorischen Aspekten. Es wird dort allerdings zu Recht darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung des BGH in vielen Punkten auf der des Reichsgerichts aufbaut: Mull, S. 14f. u. S. 165. 2 Quelle: Wirtschaft und Statistik 1997, S. 92, Tabelle 1. Die Zahl ergibt sich aus der Gebäude- und Wohnungsstichprobe in den alten Bundesländern von 1993 (13.149.800) sowie der Gebäude- und Wohnungszählung von 1995 in den neuen Bundesländern (2.603.409). 1968 betrug die Zahl in den alten Bundesländern noch 9,1 Mio., 1987 bereits 12,3 Mio. (Quelle: Wirtschaft und Statistik 1989, S. 483, Tabelle 1). 3 Schon im römischen Recht wurde dies relevant, Ulpian Dig. 39, 2, 24, 4 u. 9, 2,5,2.

22

§ 1 Einleitung

eines Gebäudes4 , einen einstürzenden CarportS bis hin zu defekten Duschkabinen6 und instabilen Grabsteinen in Betracht7 • Schließlich haben die §§ 836ff. BGB nicht unwesentlich zur Entwicklung der Verkehrs(sicherungs)pflichten beigetragen8 , woraus sich mittlerweile freilich die Frage nach der Bedeutung und - rechtspolitisch - sogar der Berechtigung des Spezialtatbestandes in diesem durch Literatur und Rechtsprechung umfassend ausgestalteten System ergibt. Bei der im Verlauf der Arbeit vorzunehmenden Auslegung der Tatbestandsmerkmale der §§ 836-838 BGB wird sich zeigen, daß die Haftung für Gebäude, namentlich bei der Frage des Haftungspflichtigen sowie den die Haftung auslösenden Gegenständen und Ereignissen, nach wie vor Probleme aufwirft. Diese Probleme sind durchaus nicht neu, sondern haben bereits in den Rechtsordnungen vergangener Jahrhunderte eine unterschiedliche Lösung erfahren. Daher wird zu Beginn ein rechtshistorischer Abriß unter besonderer Berücksichtigung des römischen Rechtes gegeben. Ergänzung findet dieser rechtsgeschichtliche Abschnitt durch einen Einblick in die gegenwärtigen Regelungen anderer europäischer Staaten. Ziel des historischen und rechtsvergleichenden Überblicks soll es dabei sein, Anregungen und Erträge für die sich anschließende Darstellung der Anspruchsvoraussetzungen im heutigen deutschen Recht zu gewinnen. Von Belang ist in diesem Zusammenhang auch der Aspekt der Versicherbarkeit des Risikos, dem nicht selten haftungsrechtliche Relevanz zugemessen wird. Um die bereits angedeutete Bestimmung des Stellenwertes im modemen Haftungssystem zu ermöglichen, erfolgt schließlich eine Untersuchung des § 836 BGB in seiner Eigenschaft als besonderer und gesetzlich geregelter Fall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten9 im Verhältnis zu § 823 I BGB, wobei der Schwerpunkt auf beweisrechtlichen Erwägungen ruht. Einblick soll ebenfalls in den Bereich der aus § 823 I BGB hergeleiteten Produzentenhaftung genommen werden, bei der zur Entlastung des Geschädig• BGH NJW 1993, S. 1782 = LM § 836 BGB Nr. 24 sowie das daraufhin erneut ergangene Urteil des OLG Düsseldorf MDR 1996, S. 470; ferner LG Ansbach NJW-RR 1996, S. 278 (Schädigung durch von einer Kirche herabgefallene Dachziegel). Siehe auch § 347 I des ZGB der ehemaligen DDR, welches diesen Fall ausdrücklich in seinen Gesetzeswortlaut aufgenommen hat. s OLG Hamm, NJW-RR 1995, S. 1230. 6 BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21. 7 BGH NJW 1977, S. 1392 =LM § 837 BGB Nr. 2; BGH NJW 1971, S. 2308 = LM § 837 BGB Nr. 1. 8 Grundlegend hierzu RGZ 52, 373 (377). Kritisch Frölich, Gruchot Bd. 57, S. 100ff.; auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 19. 9 BGHZ 55, 229 (235); BGHZ 58, 149 (156); BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20; BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = LM § 836 BGB Nr. 22; BGH WM 1990, S. 1878 (1880) = LM § 838 BGB Nr. 5.

§ 1 Einleitung

23

ten eine Übertragung der Beweislastverteilung des § 836 I 2 BGB stattgefunden hat lO und die in ihrer Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung nach wie vor Zweifel an der selbständigen Bedeutung der inzwischen geschaffenen spezialgesetzlichen Regelungen des Produkthaftungsgesetzes aufgibt.

10

Grundlegend BGHZ 51, 91ff. "Hühnerpest-Urteil".

§ 2 Rechtshistorischer Überblick Ursprünge der Haftung für Gebäude finden sich bereits im römischen Recht. Dessen Regelungen sowie die Wertungen modernerer Kodifikationen, etwa des preußischen Allgemeinen Landrechts, sind bei der Schaffung der §§ 836ff. BGB in die Erwägungen einbezogen, zum Teil aber auch verworfen worden, was sich gelegentlich noch bei der Auslegung des heutigen Rechts auswirkt.

A. Die Gebäudehaftung im römischen Recht Versucht man, sich einen Überblick über die Verantwortlichkeit für Gebäude im römischen Recht zu verschaffen, so bieten sich mehrere Haftungsinstitute als geeignet an. Dabei darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, daß in dieser Rechtsordnung ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, daß der Eigentümer einer Sache im Interesse eines anderen zu einer positiven Tätigkeit verpflichtet war und für eine Verletzung dieser Pflicht Schadensersatz leisten mußte, nicht bestand 1• I. Haftung nach der lex Aquilia Für einen anband des BGB geschulten modernen Juristen liegt es an sich nahe, den Haftungsgrund für mangelhafte Gebäudeerrichtung bzw. -unterhaltung, in der Wurzel des heutigen § 823 I BGB, der lex Aquilia2 , zu suchen. Die hier interessierenden Kapitel Nr. 1 und 3 dieses Gesetzes verpflichteten zum Schadensersatz3 für die widerrechtliche und schuldhafte Tötung eines Sklaven oder eines vierfüßigen Herdentieres oder die widerI Keller, Pandektenrecht, Bd. I, S. 253 unter Verweis auf Dig. 39, 2, 6 u. 39, 2, 7, 1.; Motive 11 zu § 735, S. 814. 2 Vgl. Motive 11 zu §§ 704, 705, S.724; Kaser, Jus 1967, S. 344. Zur Entstehung und dem Streit um das Entstehungsdatum des Gesetzes (3. oder 2. Jhd. v. ehr.): Hausmaninger, S. 8f. m. w.N. 3 Hinsichtlich der Schadensersatzhöhe ist nach dem 1. Kapitel der Höchstwert der Sache im vergangenen Jahr zu ersetzen. Bei Schädigungen nach dem 3. Kapitel ist streitig, ob der Höchstwert der Sache der vergangenen (so Demburg, Pandektenrecht, S. 826; Baron, S. 535; Bilstein, S. 5, diese traditionelle Auffassung ergänzt "erit zu "fuerit oder der kommenden 30 Tage zu ersetzen ist (so Hausmaninger, S. 8 m. w.N.). U

U

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A. Die Gebäudehaftung im römischen Recht

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rechtliche und schuldhafte Beschädigung anderer als in Kapitel 1 genannter Sachen durch Brennen, Brechen oder Verderben4 • Bei der Verursachung genügte dabei leichte Fahrlässigkeits. Der Wortlaut dieser Bestimmungen deutet darauf hin, daß nur unmittelbare Einwirkungen auf Sachen durch positives Tun von der Haftung umfaßt wurden, und in diesem Sinne erfolgte auch die ursprüngliche Auslegung 6 • Für die Gebäudeverantwortlichkeit bedeutete dies, daß die lex Aquilia nicht nur für das Unterlassen der Unterhaltung unanwendbar war, sondern zugleich für das positive Tun der fehlerhaften Errichtung, da hier eine lediglich mittelbare Verursachung vorlag. Das römische Recht verharrte aber nicht auf diesem Entwicklungsstand, sondern wurde durch prätorische Maßnahmen7 dergestalt fortgebildet, daß zum einen Körperverletzungen von Personen der erweiterten8 Anwendung der lex Aquilia unterfielen 9 , zum anderen aber in Ausdehnung des Kausalnexus auch mittelbare Schädigungen die Haftung auslösten lO • Fraglich ist allerdings, ob die bloße Nichtvornahme von baulichen Unterhaltungsmaßnahmen diesen Erweiterungen unterfiel. Prinzipiell verpflichteten zwar nun Unterlassungen zum Schadensersatz, dies allerdings nur bei Hinzutreten von besonderen Umständen 11, wobei hierzu insbesondere die Fälle zählten, in denen die Unterlassung mit einem vorhergehenden positiven Tun verbunden war l2 , oder davon begleitet wurde 13. Bei der Haftung des Hauseigentümers zeigte sich indes, daß selbst nach den erweiterten Grundsätzen für mangelhafte Unterhaltung Schadensersatz 4 Dig. 9, 2, 2 und 9, 2, 27, 5; Baron, S. 535; Demburg, Pandektenrecht, S. 826. Das 2. Kapitel betraf dagegen reine Vennögensschäden: Dig. 9, 2, 27, 4; dazu Bi/stein, S. 4. 5 Baron, S. 536; Demburg, Pandektenrecht, S. 826; Bi/stein, S. 8. 6 Kaser, Römisches Privatrecht, S. 620; Hausmaninger, S. 13. 7 Hierzu z.B. Dulckeit/Schwarz/Waldstein 9 , S. 151 ff. 8 Der Prätor gewährte analoge (actiones utiles) und auf den Sachverhalt zugeschnittene (actiones in factum) Klagen, vgl. z. B. Bilstein, S. 6f. Zur Unterscheidung zwischen beiden: Keller, Band 11, S. 128. 9 Dig. 9, 2, 13; Demburg, Pandektenrecht, S. 828; Baron, S. 537 \0 Kaser, Römisches Privatrecht, S. 620f.; Demburg, Pandektenrecht, S. 827; Bi/stein, S. 6. 11 Demburg, Pandektenrecht, S. 827; Baron, S. 536; Bilstein, S. 7; siehe auch RGZ 33, 204 (207). 12 Kaser, Römisches Privatrecht, S. 621; Dig. 9, 2, 9, 2 (Verhungernlassen nach Einschließen); Dig. 19, 5, 14, 1 (Erfrierenlassen nach Wegnahme der Kleidung); Dig. 9, 2, 27, 9 (Versäumung der Nachbehandlung durch einen operierenden Arzt). 13 Baron, S. 536; Dig. 9, 2, 31 (Unterlassen von Warnungen bei Gerüstarbeiten). Als besonderer Umstand, der für eine Unterlassung haften ließ, wurde ferner die HütersteIlung des Herdfeuerwächters anerkannt, Dig. 9, 2, 27, 9; Hausmaninger, S. 16f.; Demburg, Pandektenrecht, S. 827, Fn. 10.

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§ 2 Rechtshistorischer Überblick

nicht verlangt werden konnte, da eine Garantenstellung für Bauten, welche einen besonderen Umstand im genannten Sinne bildete, nicht anerkannt war l4• Eine Verantwortlichkeit blieb allenfalls bei Identität von Erbauer und Inhaber des Gebäudes denkbar l5 . Mit der lex Aquilia ließ sich eine allgemeine Haftung für fehlerhafte Errichtung und Unterhaltung mithin nicht begriinden l6 .

11. Die actio de his qui effuderint vel deiecerint Nach der actio de his qui effuderint vel deiecerint war derjenige, aus dessen WOhngebäude l7 etwas nach einem öffentlichen Weg oder Platz hin geworfen oder gegossen wurde, für die dadurch verursachten Schäden in Anspruch zu nehmen 18. Hierbei handelte es sich um eine durch den Prätor eingeführte Klage, bei der es auf ein Verschulden des Bewohners nicht ankam. Gegebenenfalls konnte nur gegenüber dem speziellen Schuldigen Regreß genommen werden 19. Ebenfalls in Dig. 9, 3 findet sich die actio de posito vel suspenso, wonach der Eigentümer oder Mieter eines Gebäudes haftete, sofern er Gegenstände nach öffentlichen Wegen oder Plätzen hin so mangelhaft angebracht oder aufgestellt hatte, daß ein Schaden durch Herunterfallen 14 In den Dig. 9, 2, 5, 2 wird eine Haftung für herabfallende Ziegel ausdrücklich verneint. Da im römischen Recht, anders als im modernen Privatrecht, Kausalitätsund Zurechenbarkeitserw?ungen mit der culpa in den Tatbestand gezogen wurden (vgl. Kaser, Studienbuch l , S. 167-169), wäre in dieser Terminologie das Verschulden abzulehnen: Baron, S. 541. In Ulpian Dig. 9, 2, 27, 10 wird zwar eine Haftung des Aufstellers eines Backofens nach der actio in factum erwogen. Hier liegt der Grund der Haftung aber in der Feuer-, und nicht in der Gebäudegefahr. Eine cautio damni infecti wird jedoch für möglich gehalten, siehe auch Dig. 39, 2, 24, 7. Die moderne Rspr. lehnt die Haftung aus § 836 BGB für Feuerschäden unter Kausalitätsaspekten ab, BGH VersR 1987, S. 1096 (1097); OLG Stuttgart, VersR 1997, S.340. IS Für eine Haftung bei schuldhaft-fehlerhafter Errichtung Demburg, Pandektenrecht, S. 399. Dig. 9, 2, 31 betrifft allerdings die Konstellation, in der die Schädigung unmittelbar bei Gerüstarbeiten durch Unterlassen von Warnungen eingetreten ist, der hier interessierende nachträgliche Einsturz von fertigen Gebäuden ist dort nicht angesprochen. 16 Für dieses Ergebnis spricht auch die Einführung der noch anzusprechenden Sonderregelung der cautio damni infecti sowie die in Dig. 39, 2, 6 hierzu gemachte Aussage. Siehe auch Mot. 11, S. 814; Keller, Pandektenrecht, Bd. I, S. 253 m. W.N. 17 Bei anderen Gebäuden kam eine actio utitis in Betracht, so Glück, § 708, S. 397; siehe auch Dig. 9, 3, 6, 3 (analoge Klage für Schiffe). 18 Dig. 9, 3; Baron, S. 538. 19 Keller, Pandektenrecht, Band 11, S. 131; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 628f.; Honsell, Römisches Recht4 , S. 260.

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drohte 2o • Die Zuwiderhandlung hatte eine reine Polizei strafe zur Folge, die keinen Schaden erforderte und pauschal mit 10 Solidi abgegolten werden mußte 21 • Eine individuelle Klage nach eingetretener Schädigung und damit eine der Gebäude- und Werkhaftung des BGB vergleichbare Ersatzmöglichkeit bestand nach dieser Spielart der Digesten 9, 3 grundsätzlich nicht22 • Abhilfe schaffte insoweit nur eine actio de effusis vel deiectis utilis, welche hauptsächlich über Dig. 9, 3, 1, 3 begründet wurde, wonach dem Herauswerfen ein Herabfallen nach dem Aufhängen gleichzuerachten war 3 • Bemerkenswert ist, daß der Tatbestand dieser Institute mit § 366 Nr. 8 StGB a. F. noch in nahezu unveränderter Form Eingang in das modeme Strafrecht gefunden hat. Die Verfasser des BGB konnten sich dagegen zu der zunächst geplanten Einfügung einer derartigen Norm nicht entschließen24 •

.

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Die cautio damni in/ecti

Gleichfalls auf prätorischem Recht beruhte die cautio damni injecti25, welche ein Institut des Nachbarrechts 26 darstellte, das zwar Merkmale der modemen Bauwerksverantwortlichkeit aufwies, sich aber in seiner eigenartigen Ausgestaltung erheblich hiervon unterschied. Kennzeichnend für die cautio damni infecti war einerseits, daß es sich um einen objektiven, nicht aber um einen Verschuldenstatbestand handelte 27 , weil eine Entlastung des Pflichtigen nur über den Einwand der höheren Gewalt begründet werden konnte28 • Insoweit drängt sich eine ParDig. 9, 3, 5, ~13; Baron, S. 543; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 628f. Keller, Bd. 11, S. 132; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 628f.; Weiss, Institutionen, S. 430. 22 Vgl. Glück, § 710, S. 403. 23 Glück, § 706, S. 392, und § 710, S. 412; Wächter, Pandekten, S. 494, Anm. 5 mit Verweis auch auf Dig. 9, 3, 5, 12; vgl. ferner die Erwägungen zu Art. 10201024 des Dresdner Entwurfes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (abgedruckt bei Schuben, Vorentwürfe, S. 923) zur lex Aquilia und der actio de effusis vel deiectis utilis, ebenfalls unter Verweis auf Dig. 9, 3, 1,3 und 9,3,5, 12. 24 Prot. 11, S. 641 ff., 643. Anders haben sich wiederum die Gesetzgeber des modemen österreichischen ABGB mit Einführung des § 1318 entschieden, näher dazu § 3 A) I 2. 25 Dig. 39, 2. 26 Delius, S. 6; Honsell, Römisches Privatrecht4 , S. 154; Kaser, Studienbuch 16, S.IIO. 27 Delius, S. 6; Demburg, Pandektenrecht, S. 399, der aber im Falle des Verschuldens die Anwendung der lex Aquilia für möglich hält, s.o. Fn. 15. 28 Dig. 39, 2, 24, 3 u. 4 sowie 8 u. 9, ferner Dig. 39, 2, 43 pr.; Demburg, Pandektenrecht, S. 399; Honsell, Römisches Recht4 , S. 154; Delius, S.7. Auch das Verschulden Dritter wirkte haftungsbefreiend, Dig. 39, 2, 24, 6 u. 7; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 347. 20

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28

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allele zu heutigen Gefährdungshaftungstatbeständen auf29 . Andererseits war diese strenge Haftung grundsätzlich nur begründet, wenn der Pflichtige vom Berechtigten zuvor auf den gefahrverursachenden Umstand aufmerksam gemacht worden war und diesem gegenüber auf Anordnung des Prätors ein Kautionsversprechen abgegeben hatte, aus dem bei Eintritt eines Schadens eine Klage begründet wurde 3o. Widrigenfalls blieb der Geschädigte auf ein Zurückbehaltungsrecht an den auf sein Grundstück gestürzten Gegenständen beschränkt, was für ihn angesichts von deren meist desolatem Zustand kaum von Nutzen gewesen sein dürfte 3l . 1. Haftungsauslösendes Objekt

Haftungsauslösend wirkte immer nur die fehlerhafte Beschaffenheit des Grundstückes selbst sowie der mit ihm in Verbindung stehenden Objekte. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Gebäude und sonstige einsturzgefährdete Werke (vitium loci, aedium, operis)32 sowie deren Teile33 . Einbezogen waren aber interessanterweise auch Bäume (vitium arborum)34. Andererseits mußte es sich - sieht man einmal von den Bäumen ab - um von Menschenhand geschaffene Zustände handeln. Die natürliche Beschaffenheit des Grundstückes als solche blieb, sofern sie sich nicht in Mängeln an baulichen Anlagen niederschlug, ausgeklammert35 . Vgl. § 7 11 StVG u. § 2 III Nr. 3 HaftpflichtG. Dig. 39, 2, 7 pr.; Kaser, Studienbuch 16, S. 110; Delius, S. 6. Ausnahmsweise konnte Schadensersatz auch ohne Kautionsversprechen verlangt werden, wenn: a) der richterliche Befehl auf dessen Abgabe vom Pflichtigen nicht befolgt worden war (Dig. 39, 2, 7 pr.; Dig. 39, 2, 44 pr.); b) der Richter noch überlegte, ob der Befehl erteilt werden soll (Dig. 39, 2, 15, 28) oder c) der Berechtigte ohne sein Verschulden an der Forderung des Versprechens gehindert war (Dig. 39, 2, 7, 2 u. 39, 2, 8 u. 9). Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang auch die Unzugänglichkeit des Richters für den Berechtigten genannt: Baron, S. 543 mit Verweis auf Dig. 43, 4, 4, 3; Windscheid/Kipp, S. 992 m. w.N. zu den vorher genannten Ausnahmen. 31 Dig. 39, 2, 6; 7, 2 eod. und 9, 1-3 eod.; Motive 11, S. 814; Baron, S. 543; Windscheid/Kipp, S. 992; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 349. Weitergehend will Burckhard, S. lOff. u. 594ff. ein Klagerecht auf Wegnahme gewähren. Dagegen Windscheid/Kipp, a.a.O., Fn. 4. 32 Windscheid/Kipp, S. 992f.; Baron, S. 541; Motive 11, S. 815. Burckhard, S. 146ff., 150f. u. 160f. (m. w.N. zum Streitstand) ist der Meinung, daß das vitium loci immer eine Verbindung mit eltlem vitium aedium oder operis erfordert. 33 Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 44 mit Verweis auf Dig. 39, 2, 24, 2. 34 Dig. 39, 2, 24, 9; Baron, S. 541; Keller, Band I, S. 345; Windscheid/Kipp, S. 993, Fn. 7 sieht die Haftung für Gewachsenes als Unterfall des vitium operis. 35 Dig. 39, 2, 24, 2; Windscheid/Kipp, S. 992; Demburg, Pandektenrecht, S. 400, Fn. 8 m. w.N.; nach a.A. konnten auch natürlich entstandene Gefahrzustände zur Kautionsberechtigung führen, sofern eine Behebung wirtschaftlich zumutbar war: 29

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2. Berechtigung zur Kautionsforderung

Aktivlegitimiert, d. h. berechtigt, die Kaution zu fordern, war in erster Linie der Eigentüme~6, ferner der dinglich Berechtigte des Grundstückes, das durch einen Einsturz bedroht wurde 37 • Im Einzelfall konnten auch schuldrechtliche Gebrauchs- oder Nutzungsinteressen genügen38 . Umstritten ist in diesem Zusammenhang lediglich, ob der gutgläubige Besitzer die Kaution verlangen durfie 39 . Um ein Kautionsversprechen und nachfolgend eine Klage auf Schadensersatz zu erhalten, war folglich immer eine besondere Beziehung zum Grundstück erforderlich und Personen oder bewegliche Sachen außerhalb einer solchen blieben ungeschützt40• Hieran anknüpfend stellt sich die Frage, ob ausschiießlich für Sachschäden gehaftet wurde41 • Hiergegen ließe sich immerhin einwenden, daß das Versprechen auf den Ersatz des gesamten Interesses gegeben wurde42, worin auch Vermögensschäden inbegriffen waren43 • Es scheint ein gewisser Wertungswiderspruch darin zu liegen, daß Keller, Pandekten, Bd. I, S. 345; wohl auch Baron, S. 541; Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 47 u. 663, der dies auf Naturereignisse bezieht, die nicht in der Sache selbst ihren Grund haben; derselbe, cautio damni infecti, S. 25 f. 36 Dig. 39, 2, 5, 2 u. eod. 20. Die Schutzmöglichkeit bestand auch für Miteigentümer, Dig. 39, 2, 27 u. eod. 40, 4; Windscheid/Kipp, S. 993, Fn. 2. 31 Windscheid/Kipp, S. 993; Demburg, Pandektenrecht, S. 401m. w.N. Es mußte sich nicht zwingend um unmittelbar angrenzende Nachbargrundstücke zu handeln: Dig. 39, 2, 13,2; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 345; Baron, S. 541. 38 Berechtigt war z. B. der Käufer eines Grundstückes vor der Übergabe, sofern der Verkäufer ihm nicht haftete, Dig. 39, 2, 18, 7 u. eod. 38 pr.; ferner der Mieter wegen seiner eingebrachten Sachen, Dig. 39, 2, 13, 5; zum ganzen auch Windscheid/Kipp, S. 993; Demburg, Pandektenrecht, S. 401. 39 Dagegen Keller, Pandekten, Bd. I, S. 345. Die Äußerungen von Ulpian (bzw. Marcellus) in Dig. 39, 2, 11 u. eod. 13, 9 sprechen für die Ansicht Kellers, allerdings sollen diese Äußerungen nach einer Vielzahl von Autoren durch die spätere Rechtsentwicklung überholt sein, so z. B. Windscheid/Kipp, S. 993 m. w. N. in Fn. 3; Demburg, Pandektenrecht, S. 401; vgl. auch Baron, S. 541. 40 Keller, Pandekten, Bd. I, S. 345; Motive 11, S. 815; Delius, S. 8; Dig. 39, 2, 13, 3 u. 4: Besucher eines Grundstücks, Kunden eines Ladeninhabers. 41 So Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 36f. Auch Burckhard, S. 130 sieht den Hauptanwendungsfall der cautio damni infecti in der Substanzverletzung eines Grundstükkes. 42 Demburg, Pandektenrecht, S. 402; Windscheid/Kipp, S. 995 m. w. N. 43 So der Schaden des Vermieters, der ihm durch den Auszug seiner Mieter bzw. der Unvermietbarkeit aufgrund des gefahrdrohenden Zustandes entstand, Dig. 39, 2, 28f. u. 37; ferner die Kosten für präventive Abstützungsmaßnahmen des eigenen Hauses, Dig. 39, 2, 28; Keller, Pandekten, Bd, I, S. 347; Windscheid/Kipp, S. 995. Burckhard, S. 518f. spricht von einem Schaden, der ohne wirklichen Eintritt des Ereignisses ersetzt verlangt werden kann; Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 36 nennt dies einen mittelbaren Schaden.

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Verletzungen von Personen, welche am Grundbesitz berechtigt waren, nicht ersatzfähig gewesen sein sollen, zumal immer wieder betont wird, die Kaution sei nur für Personen und bewegliche Sachen unabhängig vom Grundstück unanwendbar gewesen44 , was immerhin den Umkehrschluß der Einbeziehung von Personen und beweglichen Sachen in Abhängigkeit vom Grundstück zuläßt45 . Festzuhalten bleibt für den Bereich der Aktivlegitimation jedenfalls, daß diese auf einen mit dem bedrohten Grundstück in spezieller Beziehung stehenden Personenkreis beschränkt wurde. Bemerkenswert ist dabei, daß diese Berechtigung, wie auch die übrigen Voraussetzungen, lediglich durch einen Gefährdeeid46 nachgewiesen zu werden brauchte. Vollends Beweis angetreten werden mußte erst dann, wenn eine Klage aus der Kaution stattfinden sollte47 • 3. Verpflichtung zur Kautionsleistung

Hinsichtlich des gefahrbringenden Grundstückes verpflichtet war zunächst einmal dessen Eigentümer, ferner dinglich Berechtigte, aber auch der gutgläubige Besitzer48 • Eine Verpflichtung bestand ebenso bei Errichtung eines Bauwerkes durch Private auf öffentlichem Grund, allerdings beschränkt auf dieses Werk49 • Für den Bereich der Gebäudehaftung weniger relevant, aber im Rahmen der cautio damni infecti dennoch erwähnenswert ist schließlich, daß für gefahrbringende Tätigkeiten eine Kautionsstellung gefordert werden durfte 5o. Dabei konnte es sich sowohl um Tätigkeiten auf 44 Delius, S. 8; Kaulfers, S. 6; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 345; Motive 11, S. 815; vgl. auch die Überlegungen zu Art. 1028 des Dresdner Entwurfes zum BGB in: Schuben, Vorentwürfe, S. 958, wonach Schäden an Mobilien auf dem Grundstück ersatzfahig waren. 45 Im modemen englischen Recht stellt sich im übrigen beim in etwa vergleichbaren Institut der private nuisance ebenfalls das Problem der Ersatzfahigkeit von Personenschäden, dort wird ähnlich argumentiert: Baker, Tort6 , S. 285. Siehe auch § 3 E) 11 2. 46 Iuramentum calumniae = Schwur, jemanden nicht falsch anzuklagen. 47 Dig. 39, 2, 13, 3 u. 12; Windscheid/Kipp, S. 994; Keller, Bd. I, S. 345f.; Weiss, Institutionen, S. 219. 48 Demburg, Pandektenrecht, S. 402, Windscheid/Kipp, S. 994, welcher aber den Grunddienstbarkeitsberechtigten ausklammert; Delius, S. 7f.; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 346, der auch den bösgläubigen Besitzer unter Verweis auf Dig. 39, 2, 39, 1 einbezieht. 49 Dig. 39, 2, 24 pr. u. Windscheid/Kipp, S. 994 m. w. N.; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 349. 50 Der Begriff opus soll in doppelter Anwendung sowohl das fertige Werk als auch die dazu führende Tätigkeit meinen: Windscheid/Kipp, S. 998f.; anders Demburg, Pandektenrecht, S. 400, Fn. 11, der den Begriff offensichtlich nur auf das Unternehmen beschränken will.

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eigenem51 als auch auf fremdem 52 Grund handeln. Der Kreis der Verpflichteten war mithin ebenfalls eingeschränkt, was wegen der Haftungsanknüpfung an den Zustand von Gebäuden freilich weniger überrascht als die oben ausgeführte Begrenzung des Kreises der. Berechtigten, welche sich aus dem nachbarrechtlichen Charakter dieses Klagerechts heraus erklärt. Bei mehreren Verpflichteten befreite die Leistung des Versprechens durch einen von ihnen auch die übrigen 53 . Eine Differenzierung war aber insoweit geboten, als Eigentümer und gutgläubige Besitzer die Sicherheit durch bloßes Versprechen bewirken konnten, während alle übrigen Bürgschaft zu stellen hatten 54 • Die Verpflichtung aus dem Versprechen konnte jedenfalls im Wege der Universalsukzession übergehen 55 , für die Einzelrechtsnachfolge wurde dies aber bestritten56 • Nach dieser Auffassung mußte eine neue Kaution vom Singularsukzessionar verlangt werden, sofern nicht der Rechtsvorgänger erklärt hatte, weiterhaften zu wollen57 • Eine generelle Entledigung von der Obligation war im übrigen zwar möglich, erforderte indes die völlige Preisgabe des Grundstückes58 .

51 Dig. 39, 2, 24, 12: Grabungen, die zum Einsturz von Nachbarwänden führen können; Windscheid/Kipp, S. 999. 52 Dig. 39, 2, 9, 1 u. 3: Wegnahme von Gegenständen, die ein fluß auf fremde Grundstücke gespült hat; Windscheid/Kipp, S. 999; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 350. 53 Vgl. insbesondere Dig. 39, 2, 9, 4 u. 5; eod. 10; Windscheid/Kipp, S. 994; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 346 m. N. zum Innenausgleich. Eine Abweichung galt bei Miteigentümern, welche von vorneherein nur entsprechend ihrem Anteil verpflichtet waren, Dig. 39,2,27; eod. 40, 3; Demburg, Pandektenrecht, S. 401, Fn. 8. Sofern das Eigentum im Streit stand, traf die Verpflichtung nach Dig. 39, 2, 39, I nur den Besitzer, er kann aber gegebenenfalls beim Eigentümer Regreß nehmen, siehe auch Windscheid/Kipp, S. 994, Fn. 10. 54 Demburg, Pandektenrecht, S. 401 f. m. w. N.; Windscheid/Kipp, S. 994; Baron, S. 541 f., der dies auch für den Fall der Errichtung eines Werkes auf fremdem Grund kraft einer Dienstbarkeit bejaht (siehe Dig. 39, 2, 30); so auch Keller, Pandekten, Bd. I, S. 350. Die Sicherheitsleistung bei Bauten auf öffentlichem Grund erfolgte ebenfalls durch Stellung einer Bürgschaft (Dig. 39, 2, 15, 2-9), welche bei Werken an öffentlichen Flüssen auf 10 Jahre begrenzt war, Dig. 39, 2, 7 pr. u. eod. 15,2; dazu auch Keller, Pandekten, Bd. I, S. 349. 55 Dig. 39, 2, 24, I; Keller, Pandekten, Band I, S. 347; Windscheid/Kipp, S. 995. 56 Windscheid/Kipp, S. 995 m.w.N. Keller, Pandektenrecht, Band I, S. 347 hält dagegen wohl im Falle der Singularsukzession einen Übergang der Verpflichtung aus dem Kautionsversprechen für möglich. Spiegelbildlich wird dieser Streit übrigens auch für den Fall der Nachfolge in die Position des Berechtigten geführt und entschieden, Windscheid/Kipp, a. a. O. 57 Windscheid/Kipp, S. 995, Fn. 21. 58 Dig. 39, 2, 9 pr.; eod. 7, 1; Windscheid/Kipp, S. 992.

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4. Rechtsfolgen Als Rechtsfolge bei gestellter Kaution ergab sich die schon angesprochene Klagemöglichkeit auf Schadensersatz im Falle der Verwirklichung der Gebäudegefahr. Die cautio damni infecti war jedoch anderen Ansprüchen gegenüber subsidi~9. Ferner galt das Kautionsversprechen nur für eine vom Prätor bestimmte Frist, wobei eine Verlängerung im Einzelfall aber möglich war60• Wurde das Versprechen verweigert, so konnte der durch den Einsturz Bedrohte zwar dieses oder die Vornahme der notwendigen Reparatur nicht direkt erzwingen61 • Er hatte indes die Möglichkeit, sich durch den Prätor in den Mitbesitz des Grundstückes einweisen zu lassen (sog. missio ex primo decreto) und die Ausbesserung selbst vorzunehmen62 • Wollte er nicht selbst reparieren und war die Kaution noch immer nicht geleistet, so wurde dem Kläger nach Ablauf einiger Zeit das Recht des Beklagten übertragen63 . Der Rechtserwerb beruhte dabei im Falle des Eigentums letztlich nicht direkt auf dem Magistratsbeschluß, sondern auf alleiniger Einweisung in den Besitz (sog. missio ex secundo decreto) und darauffolgender Ersitzung64 • IV. Ergänzende Klagemöglichkeiten

Mittels einer actio aquae pluviae arcendae65 konnte das durch Anlagen oder Veränderungen des Nachbargrundstückes verursachte übermäßige Einströmen von Regenwasser abgewehrt werden66 • Es handelte sich auch hierbei um eine nachbarrechtliche Klagemöglichkeit, welche zusätzlich dadurch eingeschränkt war, daß nur Feldgrundstücke geschützt wurden67 • Zudem lag der Schwerpunkt des Schutzes im präventiven Bereich, d. h. der Beseitigung S9 Vgl. nur Dig. 39, 2, 32 (Ausgleichsanspruch unter Miteigentümern); ferner Dig. 39, 2, 33 (Klagemöglichkeit des Mieters aus dem Mietvertrag); Baron, S. 542; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 346 m. w.N. 60 Dig. 39, 2, 4; Windscheid/Kipp, S. 995; Demburg, Pandektenrecht, S. 402 m.w.N. 61 Delius, S. 8; Windscheid/Kipp, S. 995. 62 Kaser, Studienbuch 16, S. 110; Baron, S. 542. Die Reparaturkosten waren ersatzfahig. Zur Geltendmachung konnte zum einen die Räumung des Gebäudes bis zur Zahlung verweigert werden, zum anderen aber eine direkte Klage erfolgen: Dig. 39, 2, 15, 34; Windscheid/Kipp, S. 995, Fn. 24. 63 Baron, S. 542; Keller, Pandekten, Bd. I, S. 348. 64 Dig. 39, 2, 7 pr.; eod. 15, 16; Windscheid/Kipp, S. 996, Fn. 27; Demburg, Pandektenrecht, S. 402, Fn. 15 m. w.N. 6S Dig. 39, 3. 66 Kaser, Studienbuch 16 S. 110; derselbe, Römisches Privatrecht, S. 126 u. 407; 4 Honsell, Römisches Recht, S. 153.

A. Die Gebäudehaftung im römischen Recht

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der schadensbringenden Anlagen68 , Schadensersatz durfte nur für die nach Prozeßbeginn aufgetretenen Schäden verlangt werden69 • Die operis novi nuntiatio70 war ebenfalls eine Nachbarklage 71 . Sie enthielt ein privates Bauverbot, ~ttels dessen die Fortführung von unvollendeten Bauten verhindert werden konnte, sofern eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung drohten. Es wurde wiederum nur ein rein präventiver Schutz gewährt, wobei bemerkenswerterweise eine Verzahnung mit der cautio damni infecti in der Form erfolgte, daß letztere durch das Bauverbot erzwungen werden konnte73. V. Zusammenfassung Eine lückenlose und allgemeine Haftung für die durch Gebäude verursachten Schädigungen hat nach römischem Recht nicht bestanden. Die cautio damni infecti, welche sich aufgrund des Verzichts auf ein Verschulden auf den ersten Blick als ein recht scharfes Instrument darstellte, unterlag als Institut des Nachbarrechts doch etlichen Kautelen, von denen sich die Begrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten sowie das grundsätzliche Erfordernis einer vorherigen Anmahnung der drohenden Gefahr bei dem Verpflichteten für einen Geschädigten am gravierendsten ausgewirkt haben dürften. Die in Dig. 9, 3 angesiedelte actio de posito vel suspenso betraf wiederum in loser Verbindung mit dem Gebäude stehende Gegenstände, die zudem nach öffentlichen Wegen oder Plätzen hin angebracht sein mußten. Eine Haftung für Gebäudeteile im heutigen Sinne war damit noch nicht angesprochen. 67 Dig. 39, 3, 1, 17 u. 20; Demburg, Pandektenrecht, S. 403; Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 202; Weiss, Institiutionen, S. 217 (Rechtsmittel agrarischen Charakters); Keller, Bd. I, S. 343 spricht nur vom Erfordernis der Beeinträchtigung durch ein Feldgrundstück. 68 Hatte der Nachbar die Anlage selbst errichtet, so mußte er diese auch beseitigen; andernfalls hatte er die Beseitigung nur zu dulden, die Kosten fielen dem Kläger zur Last: Dig. 39, 3, 5; eod. 6, 7; Kaser, Sudienbuch l6 , S. 110; Demburg, Pandektenrecht, S. 406. 69 Dig. 39, 3, 6, 6; Demburg, Pandektenrecht, S. 405, der frühere Schäden nach den Grundsätzen der cautio damni infecti für ersatzfähig hält (a.a.O., Fn. 16); Keller, Bd. I, S. 344. 70 Dig. 39, 1. 71 Vgl. Kaser, Studienbuch l6 , S. 110; Honsell, Römisches Privatrecht4 , S. 154. 72 Demburg, Pandektenrecht, S. 406; Kaser, Studienbuch l6 , S. l1Of.; Weiss, Institutionen, S. 218. 73 Dig. 39, 1, 1, 16f. u. 19; Demburg, Pandektenrecht, S. 407; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 408, Fn. 41. 3 Petershagen

§ 2 Rechtshistorischer Überblick

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Andere Klagemöglichkeiten boten dagegen entweder nur in Ausnahmefällen (so die lex Aquilia) oder aber vornehmlich präventiven Schutz vor Schäden, wobei letzterer ebenso wie bei der cautio damni infecti immer ein offenes Zutagetreten des Mangels und dessen Erkennen durch den Bedrohten erforderte. Schließlich beschränkte sich der präventive Schutz auf bestimmte Werke und Vorrichtungen, und mit der cautio damni infecti ließ er sich nur auf Umwegen, nämlich durch die Besitzeinweisung und Selbstvornahme der Reparatur, erreichen.

B. Das gemeine Recht und die späteren Kodifikationen in den deutschen Territorialstaaten Das gemeine Recht in Deutschland war - mehr noch als das anderer europäischer Staaten - durch die Rezeption des römischen Rechts beeinflußt 74• Daneben waren die Relikte deutschen Rechts, die aus Reichsgesetzen sowie aus älteren Landes- oder Gewohnheitsrechten bestanden, von geringerer Bedeutung75. I. Verhältnis zu den Koditikationen Der Einfluß der gemeinen Rechtssätze auf die neueren Kodifikationen in Deutschland war unterschiedlich. Teils bestand noch eine ergänzende Funktion im Sinne einer Subsidiarität, d. h. es wurde darauf rekurriert, sofern das Landesrecht keine speziellen Bestimmungen traf, teils flossen einzelne Institute des gemeinen Rechts in die Kodifikationen ein und ein hilfsweiser Rückgriff war nicht vorgesehen76. Im Verhältnis der Subsidiarität befand sich das gemeine Recht beispielsweise zum Hamburger Stadtrecht77 • Gehaftet wurde nach älterem Stadtrecht seitens des Eigentümers für den Einsturz von Häusern und auf dem Helgen liegenden, d. h. im Bau befindlichen Schiffen sowie seitens der unterhaltungspflichtigen Anwohner von Brücken für deren Zustand. Bedingung hierfür war allerdings die vorherige Beschuldigung beim Rat78. Auch nach dem neueren Stadtrecht von 1603 war der Eigentümer gern. Art. 66 St. IV grundsätzlich nur nach vorausgegangener Aufforderung zur Reparatur verantwortlich 79• Indes wurde zunehmend eine Haftung bei bloßer privater 74 75 76

77 78

Roth, System, Bd. I, S. 2f.; Wieacker, S. 226ff. u. 245; Gerber, S. 2f. Roth, System, Bd. I, S. 2f.; Gerber, S. I u. 3f. So verhielt es sich bei dem preußischen ALR, unten C. Roth, System Bd. I, S. 238; Baumeister, Bd. I, Vorwort S. I. Baumeister, Bd. I, S. 406.

B. Recht und Kodifikationen in den deutschen Territorialstaaten

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Warnung oder sonstigem Kennen oder Kennenmüssen des baufälligen Zustandes befürwortet8o• Eine Hinwendung zur modernen Verkehrssicherungspflicht läßt sich in dieser Rechtsauslegung bereits erkennen. 11. Entwicklung im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert stellten sich Rechtsprechung und Lehre überwiegend auf den Standpunkt, daß das gemeine Recht das Institut der cautio damni infecti, wie es bereits dargestellt wurde81 , in seinen wesentlichen Grundzügen nach wie vor umfaßte82 • So wurde etwa die Kautionsverbindlichkeit immer noch von der Stellung eines gerichtlichen Antrages abhängig gemacht83 • Modifikationen ergaben sich aber mit der Einführung der ZPO dergestalt, daß die missio ex primo und ex secundo decreto für obsolet erklärt wurden und man statt dessen die einstweilige Verfügung für geeignet hielt84 • Prozessual änderte sich auch, daß die Voraussetzungen für das Kautionsversprechen glaubhaft gemacht werden mußten, ein bloßer Gefährdeeid 85 genügte nicht mehr86 • Beweisrechtlich blieb es aber im übrigen 79 Art. 66 des 4. Teils der Hamburger Statuten von 1603 lautete: "Würde jemand wegen eines niederfallenden Gebäudes an seiner Gesundheit, oder Leib und Leben beschädiget: So soll der Eigenthumsherr, wofern ihm zuvor solchen sorglichen Schaden zu bessern, ist denunciirt, darzu zu antworten schuldig seyn". Dazu Baumeister, Bd. I, S. 407. Neben Art. 66 IV galten die allgemeinen Grundsätze der cautio damni infecti und der actio de his qui effuderint vel deiecerint, Niemeyer, Hamburger Privatrecht, S. 257. 80 Baumeister, Bd. I, S. 410, Fn. 21 m.N. zur weiteren Entwicklung; Niemeyer, Hamburger Privatrecht, S. 256 hält nach wie vor eine Anzeige für nötig, wobei ein solche an Polizei und Behörden oder eine Warnung durch dieselben genüge. Daneben soll aber die lex Aquilia anwendbar bleiben. 81 Oben A III. 82 Vgl. RGZ 35, 123ff.; RGZ 35, 149ff.; RGZ 30, 114ff.; ferner OAG Lübeck Seuff.Arch. Bd. 32, S. 318; Obertribunal Berlin Seuff.Arch. Bd. 31, S. 188f.; Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 152f.; Demburg, Pandektenrecht, S. 402f., Fn. 17; Hellmann, Festgabe f. Planck, S. 269; Motive 11, S. 817. 83 RG JW 1899, S. 109 Nr. 59; OAG Lübeck Seuff. Arch. Bd. 32, S. 318; Motive 11, S. 817. 84 Hellmann, Festgabe f. Planck, S. 270; Demburg, Pandektenrecht, S. 402f., Fn. 17; Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 152; Laue, S. 21. Demburg, a.a.O. u. Hellmann, a. a. 0., S. 269 übten Kritik an der Praxis, mit stattgebendem Urteil die Kaution als geleistet zu fingieren. Klage und Urteil sollten alternativ auf Kautionsleistung oder Eigentumsabtretung lauten, wobei Hellmann, a. a. 0., S. 270 auch bei dieser Lösung den materiellrechtlichen Anspruch der missio ex secundo decreto als nicht genügend berücksichtigt erachtete. Zur Problematik finden sich auch Äußerungen im Dresdner Entwurf zu Art. 1028 BGB, abgedr. bei Schubert, Vorentwürfe, S. 957 m. w. N. 8S Vgl. dazu oben bei Fn. 46. 86 RGZ 35, 123 (125).

§ 2 Rechtshistorischer Überblick

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dabei, daß der Versprechende sich bei Eintritt des Schadens nur durch den Nachweis der Unabwendbarkeit entlasten konnte 87 • Der Charakter der cautio damni infecti als insoweit gefährdungshaftungsähnliches Institut hatte sich somit nicht gewandelt.

C. Das preußische Allgemeine Landrecht Eine der - mit über 19.000 Paragraphen - umfangreichsten und zugleich bedeutendsten Kodifikationen in der deutschen Geschichte ist das preußische Allgemeine Landrecht88 , welches am 1. Juni des Jahres 1794 in Kraft getreten ist. Das Gesetzeswerk ging im wesentlichen auf die vemunftrechtlich motivierten Bestrebungen Friedrichs des 11. zurück89 und hatte eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des bisher bestehenden Rechts zum Ziel90 • Es trat - unter teilweiser Aufnahme und Berücksichtigung von dessen Grundsätzen - an die Stelle des bisherigen gemeinen Rechts, hatte aber seinerseits nur eine ergänzende Funktion gegenüber den Provinzialrechten91 • I. Öffentlich-rechtliche Pflicht zur Gebäudeunterhaltung Die Gebäudeverantwortlichkeit betreffende Bestimmungen finden sich in den Regelungen über das Eigentum im achten Teil des ersten Titels des ALR. Der Bürger war in der Nutzung und Handhabung seines Eigentums grundSätzlich frei, er durfte dabei aber nicht die "wohlerworbenen Rechte anderer" verletzen, noch die in den Gesetzen des Staates vorgeschriebenen Schranken überschreiten (§ 26 I 8 ALR). Eine solche Schranke bildete § 37 I 8 ALR, wonach der Eigentümer städtischer Gebäude, die an öffentliche Plätze oder Straßen stießen92 , verpflichtet wurde, diese "soweit es ... zur Verhütung allen Schadens und Nachtheils für das Publikum notwendig ist, in baulichem Stand zu unterhalten". Allerdings bestand diese Pflicht nur dem Publikum gegenüber, sie bezog sich nicht auf die inneren Teile des Gebäudes93 •

RGZ 35, 149 (152). Nach Roth, System, Bd. 1, S. 1 galt das ALR im Jahre 1877 für ca. 18.()()().()()() Personen. 89 Zur umfangreichen Entstehungsgeschichte: Conrad, Bd. 11, S. 387 ff. 90 Conrad, Bd. 11, S. 388. Dabei traten hinsichtlich der Allgemein verständlichkeit angesichts der Normenfülle Zweifel an der Erreichung dieses Zieles auf, was zur parallelen Herausgabe einer gekürzten Version führte, Conrad, a. a. 0., S. 389 f. 91 Conrad, Bd. 11, S. 388 u. 390. 92 § 36 I 8 ALR. 87

88

C. Das preußische Allgemeine Landrecht

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Bei Vernachlässigung war der Eigentümer behördlich zur Einhaltung anzuhalten, erforderlichenfalls war die Behörde zur Ersatzvornahme berechtigt (§ 39 I 8 ALR)94. Er konnte sich aber - wie auch im römischen Recht - durch Dereliktion zwecks Wiederherstellung von seiner Verbindlichkeit befreien95 .

ß. PrivatrechtIiche Schadensersatzansprüche Nun ergab sich freilich das Problem, daß die genannte Verpflichtung des Eigentümers rein öffentlich-rechtlicher Natur war. Es bedurfte mithin einer Umschaltnorm, um den Individualanspruch auf Schadensersatz zu begründen. Eine geeignete Regelung stellte § 26 I 6 ALR, ein Vorläufer des § 823 11 BGB 96, dar. Hiernach mußte derjenige "welcher ein auf Schadensverhütungen abzielendes Polizeygesetz vernachläßigt, für allen Schaden, welcher durch die Beobachtung des Gesetzes hätte vermieden werden können, ebenso haften, als wenn derselbe aus seiner Handlung unmittelbar entstanden wäre". Bei strenger Beachtung des Wortlautes dieser Bestimmung ergibt sich dabei eine Fiktion der Kausalität der Übertretung für den Schaden97 . Überwiegend wurde dem Beklagten aber der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens in der Form zugestanden, daß er den Gegenbeweis antreten konnte, die Beachtung des Polizeigesetzes habe den Schaden nicht verhindern können98 . Hiernach enthielt die Norm eine widerlegliche Kausalitätsvermutung99, deren Anwendung aber die schuldhafte Übertretung des Polizeigesetzes erforderte 1OO, wobei das Verschulden bei objektivem Geset93 RG Gruchot Bd. 31,921 (923); RG JW 1890, S. 259 Nr. 13; Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 1/2, S. 518, Fn. 3. 94 Dazu v. Rönne, Bd. I, Anm. zu § 39 I 8 ALR; Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 1/2, S. 518f. 95 v. Rönne, Bd. I, Anm. zu § 37 I 8 ALR m. N. 96 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 5. 97 In diesem Sinne v. Rönne, Bd. I, Anm. 1 b) zu § 26 I 6 ALR; Gruchot in: Gruchot Bd. 3, S. 480; w.N. bei Kiefer, S. 265, der in Gruchot Bd. 34, S. 474-476 einen erneuten Wandel der Rspr. sieht. 98 RGZ 52, 297 (299); RGZ 43, 369 (374); RG Gruchot Bd. 37, 1001 (1003) Nr. 55; Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 2, S. 902; v. Rönne, Bd. I, Anm. lc), Abs. 1 zu § 26 I 6 ALR m.N., der damit seiner Aussage in Anm. 1 b), a.a.O. (vgl. vorige Fußnote) widerspricht; ebenso RG Gruchot, Bd. 25, S. 428 Nr. 18; Lenz, S. 26 m.N.; Kiefer, S. 264 m. w.N. An sich ergibt sich die Einschränkung schon aus den Worten "durch Beobachtung des Gesetzes hätte vermieden werden können", vgl. Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 8 f. 99 Kiefer, S. 264; vgl. auch Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 6f.

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§ 2 Rechtshistorischer Überblick

zesverstoß ebenfalls vennutet wurde\Ol. Zu ergänzen ist, daß auch diese Kausalitätsvennutung nicht schrankenlos angewendet wurde, sondern der eingetretene Schaden mußte gerade ein solcher gewesen sein, der durch die Beachtung des Polizeigesetzes verhindert werden sollte \02. Es fanden folglich der Sache nach bereits Erwägungen zum Schutzbereich der Nonn . statt \03. Die Anwendbarkeit des § 26 I 6 ALR erforderte die Übertretung eines der Schadensverhütung dienenden Polizeigesetzes, also einer Rechtsnonn, die eine hinreichend spezielle Anordnung in Fonn eines Ge- oder Verbotes an den einzelnen enthielt und Schäden beim Publikum verhindern sollte 104. Als ein solches Polizeigesetz war § 37 I 8 ALR anerkannt\05, so daß jedenfalls im städtischen Bereich eine Gebäudehaftung bestand. Fraglich war hingegen die Unterhaltungspflicht und Haftung für Gebäude in ländlichen Gebieten. Nach § 60 I 8 ALR galt das, "was von städtischen Grundstücken verordnet ist", auch für Grundstücke auf dem Lande, "die als eigne für sich bestehende Stellungen oder Nahrungen in den Steuer- oder Lagerbüchern eingetragen sind". Zum Teil wird hieraus der Schluß gezogen, daß eine Unterhaltungs- und Schadensersatzpflicht für Rustikalbauten ebenfalls möglich war H16 • Die Gegenmeinung verweist darauf, daß die Nonn mit Aufhebung der alten Agrarverfassung ihre Gültigkeit verloren habe \07. 100 RGZ 52, 297 (299); RGZ 38, 266 (272); RGZ 37, 198 (203); RG JW 1893, S. 166 Nr. 12; Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 2, S. 901; Kiefer, S. 264. 101 § 26 I 6 ALR nonnierte also eine doppelte Vennutung: RGZ 38, 266 (272); RG JW 1891, S. 277f. Nr. 28; Striethorst's Archiv 63, Nr. 59, S. 273; Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 2, S. 901; Lenz, S. 25f. m.w.N.; unklar RG JW 1893, S. 166 Nr. 12, wo die Klage mangels festgestellten Verschuldens abgewiesen wurde; anders Kiefer, S. 264 unter Verweis auf Striethorst's Archiv 60, S. 76 (78). 102 RGZ 52,297 (302); RG Gruchot Bd. 27, S. 737 Nr. 21; RG Gruchot, Bd. 25, S. 952 Nr. 68; v. Rönne, Anm. 1 c) Abs. 2 zu § 26 I 6 ALR. 103 Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 7 m. w.N.; Kiefer, S. 265. Nach RGZ 43, 369 (374) war auch ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Übertretung und dem Schaden notwendig. Ebendort wird auch festgestellt, daß bei gleichzeitigem Gesetzesverstoß des Geschädigten die Vennutungen sich gegenseitig aufheben konnten. 104 RGZ 6, 62 (64); v. Rönne, Anm. 2 b) u. c) zu § 26 I 6 ALR; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 7f.; Lenz, S. 27. lOS Koch, Allg. Landrecht, Bd. I, § 37, Anm. 74; Delius, S. 8; auch Motive 11, S.815. 106 Delius, S. 8; Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 112, S. 518, Fn. 8; Koch, Bd. I, § 64 I 8 ALR, Anm. 87; Kaulfers, S. 11, Fn. 3; wohl auch Motive 11, S. 815, wo auf § 60 I 8 ALR verwiesen wird. 107 v. Rönne, Bd. I, Anm. zu §§ 60-64 I 8 ALR m. w. N.; im Ergebnis ebenso RGZ 31, 246 (248). Dagegen Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 1/2, S. 519, Fn. 8, der auf eine gesetzlich angeordnete Fortgeltung des § 60 I 8 ALR und die

c. Das preußische Allgemeine Landrecht

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Gegen die Begründung eines Schadensersatzanspruches aus § 26 I 6 i. V. m. §§ 60 u. 37 I 8 ALR ließ sich immerhin anführen, daß § 60 I 8 ALR eher fiskalischen Interessen, nämlich der Sicherung von Abgaben, gedient haben dürfte 108. Insoweit kann man sich auf den Standpunkt stellen, daß die Bestimmung nicht als Polizeigesetz anzusehen war, weil nicht Schäden beim Publikum vermieden, sondern Staatsinteressen gewahrt werden sollten. Auch mit den oben dargestellten Schutzbereichserwägungen kam eine Ausklarnmerung der Haftung zugunsten Privater in Frage. Wenig diskutiert ist hingegen, ob sich eine Erweiterung der Haftungsobjekte nicht in Verbindung mit strafrechtlichen Bestimmungen hat herleiten lassen. Dies mag auch daran gelegen haben, daß die Gebäudehaftung in Städten virulenter wurde, man dort aber den § 37 I 8 ALR als genügend empfand. Nach § 765 11 20 ALR war ,jeder Eigenthümer ... schuldig, seine Gebäude dergestalt in baulichem Stand zu unterhalten, daß durch deren Einsturz oder Abfall den Einwohnern oder Vorübergehenden kein Schaden widerfahre". § 76611 ALR bedrohte Zuwiderhandlungen mit Geldoder "verhältnismäßiger Leibesstrafe". Strafrechtliche Bestimmungen dieser Art konnten durchaus ein Polizeigesetz im Sinne des § 26 I 6 ALR darstellen, was etwa für Gefährdungsdelikte wie den § 366 Nr. 8 StGB a. F. (welcher der römischen actio de effusis vel deiectis nachgebildet war) sowie den § 367 Nr. 12 StGB a. F., der ein Sicherungsgebot hinsichtlich Baugruben, Brunnen u.ä. enthielt, als anerkannt galt!09. Es spricht daher einiges dafür, daß die Haftung im ländlichen Bereich sich zumindest über § 26 I 6 i. V.m. § 765 11 20 ALR begründen ließ llO, womit konsequenterweise auch dem im Hausinneren Geschädigten ein Anspruch zugestanden hätte, was nach dem zu § 37 I 8 ALR Gesagten mangels Unterhaltungspflicht für die Innenräume abgelehnt wurde!!!. Entscheidung des RG Gruchot Bd. 34, S. 884 verweist, wo die Unterhaltungspflicht für Gebäude in Landgemeinden anerkannt wird. 108 Vgl. § 61 18 ALR und folgender. 109 Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 6; Nachweise bei v. Rönne, Bd. I, Anm. 2f.) u. g) zu § 26 I 6 ALR. Vgl. auch RGZ 6, 261 bezüglich Sicherungsmaßnahmen für Bauten nach § 367 Nr. 14 StGB a. F. 110 In diesem Sinne wohl Demburg, Preußisches Privatrecht, Bd. 1/2, S. 520, Fn. 10. Vgl. auch RG Gruchot Bd. 31, 921 (923), wo §§ 765-767 11 20 ALR gegen § 37 I 8 ALR abgegrenzt wird. Allerdings wurde 1851 mit dem Einführungsgesetz zum preußischen StGB (Art. 11 v. 14.04. 1851) der Titel 11 20 ALR bis auf wenige (zivilrechtliche Sachverhalte betreffende) Ausnahmen aufgehoben, dazu v. Rönne, Bd. 4, zu §§ 1271, 1272 11 20 ALR; Koch, Bd. 4, zu §§ 1271, 1272 11 20 ALR. Nach Inkrafttreten des allgemeinen StGB bedurfte es gern. § 367 Nr. 13 StGB a. F. für die Strafbarkeit (und auch Haftung) einer vorherigen polizeilichen Aufforderung zur Ausbesserung. 111 Allerdings wurde eine Haftung für allgemeines deliktisches Versehen für möglich gehalten, RG JW 1890, S. 260 Nr. 13.

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§ 2 Rechtshistorischer Überblick

ill. Zusammenfassung

Das preußische Allgemeine Landrecht erreichte seine Gebäudehaftung in erster Linie durch das Zusammenspiel von Polizei-und allgemeinem Deliktsrecht. Der einschlägige § 26 I 6 ALR enthielt eine - nach überwiegender Auffassung widerlegliche - Vermutung der Kausalität der Übertretung eines Polizeigesetzes für einen Schaden. Verpflichtet war nach allen oben diskutierten Polizeigesetzen der Eigentümer eines Gebäudes. Hinsichtlich der Berechtigung entfiel die aus dem römischen Recht geläufige Beschränkung durch das Erfordernis nachbarlicher Beziehungen. Das Publikum sollte in seiner Allgemeinheit geschützt werden, wobei sich eine Schwäche der öffentlich-rechtlichen Unterhaltungspflicht darin offenbarte, daß im Haus befindliche Personen von dem Schutz der Norm nicht umfaßt waren. Ob sich bezüglich des Haftungsobjektes Begrenzungen auf städtische Territorien ergaben, ist für § 37 I 8 (bzw. § 60 I 8) ALR umstritten, war aber zumindest nach den strafrechtlichen Bestimmungen anzunehmen. Das ALR normierte gegenüber dem römischen Recht alles in allem eine weitergehende und für den Geschädigten unkompliziertere Haftung, die, was noch zu zeigen sein wird, in beweisrechtlicher Hinsicht mit der Vermutung des Verschuldens bei objektivem Pflichtverstoß tendenziell in die Richtung des heutigen § 836 BGB weist.

D. Das Modell des Code civil anband des badischen Landrechts Der Code civil von 1804, welcher ab 1807 als Code Napoleon bezeichnet wurde, beeinflußte die Rechtsentwicklung insbesondere in den rheinischen Territorien 112, wenngleich die Rezeption nur in wenigen Staaten tatsächlich vollendet wurde 113. Hierzu zählte das Großherzogtum Baden, welches mit 112 Ebenfalls als Vorlage diente Art. 1386 C.c. für den § 351 des bürgerlichen Gesetzbuches des Königreichs Sachsen. Hiernach war ,,Der Eigentümer eines Bauwerkes ... dem Nachbar für den Schaden verantwortlich, welchen die Baufälligkeit desselben verursacht, wenn sie in Fehlern der Bauart oder im Mangel der erforderlichen Unterhaltung ihren Grund hat". Erfaßt war hiennit der völlige oder teilweise Einsturz eines Bauwerkes, die Vorschrift bot aber nur nachbarrechtlichen Schutz, Siebenhaar/Siegmann, Comrnentar, Anmerkung zu § 351. In den §§ 1554, 1558 des sächsischen BGB findet sich auch die. aus dem römischen Recht bekannte Haftung für das Herausgießen oder Hinauswerfen aus Wohngebäuden sowie gefährlich aufgestellte oder aufgehängte Sachen, Dig. 9, 3 (oben All). \13 Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte 2 , S. 211 unter Verweis auf die Kodifikationen in Westfalen, Berg und Baden. Um 1880 hatte das französische Recht in sechs Bundesstaaten Bedeutung, nämlich Baden, Bayern, Preußen, Hessen-Darmstadt, Oldenburg und Elsaß-Lothringen (Roth, System, Bd. I, S. 2), die Zahl der

D. Das Modell des Code civil anband des badischen Landrechts

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dem Badischen Landrecht von 1809 ein einheitliches bürgerliches Gesetzbuch besaß, das im wesentlichen auf einer Übersetzung des Code civil beruhte. Durch mittels Buchstaben gekennzeichnete Zusatzartikel wurden Erweiterungen eingebracht, welche den bisher bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten in Baden Rechnung trugen 1l4• Die bisher geltenden Stadt- und Landrechte waren außer Kraft gesetzt und lediglich das römische Recht konnte in den Fällen, in denen das Landrecht keine Regelung getroffen hatte, ergänzend angewandt werden 1l5 . Die Gebäudehaftung fand sich in Art. 1386 des Badischen Gesetzbuches geregelt. Es war "Der Eigentümer eines Baues ... für den Schaden verantwortlich, den er durch Einsturz verursacht, sobald solcher in Fehlern der Bauart oder im Mangel der Unterhaltung seinen Grund hatte". Hier wurde also ausdrücklich eine Haftung normiert, die sowohl Nachbarn als auch sonstigen Personen zugute kam und verschuldensunabhängig war 116 • Der Geschädigte mußte allerdings beweisen, daß der Einsturz infolge eines Konstruktionsfehlers oder einer mangelhaften Unterhaltung des Bauwerkes eingetreten war, mithin die mangelhafte Baubeschaffenheit und deren Kausalität für das schädigende Ereignis belegen 117. Allerdings konnte der Eigentümer sich in diesem Fall dadurch entlasten, daß nicht ein Mangel der Sache, sondern "von außen wirkende Kräfte", also höhere Gewalt, den Einsturz verursacht habe 118. Art. 1386 des Badischen Gesetzbuches wurde als Ausnahmetatbestand empfunden, dessen Einschlägigkeit bei noch nicht abgenommenen oder im Bau befindlichen Neubauten aus diesem Grunde verneint wurde 119. Eine mittelbare Entlastung wurde dem Eigentümer schließlich dadurch gewährt, daß er bei Errichtungsmängeln gern. Art. 1792 des Badischen Gesetzbuches innerhalb von zehn Jahren beim Baumeister oder Bauunternehmer Regreß nehmen konnte 120. Der Sache nach kam die Gebäudehaftung im Badischen Landrecht (und folglich auch im Code civil) einer Gefährdungshaftung des Eigentümers nahe, allerdings mit der wichtigen Einschränkung, daß zunächst einmal ein von diesem Recht betroffenen Bürger betrug ca. 7.600.000 Bürger (Roth, System, Bd. 1, S. 1). 114 Roth, System, Bd. 1, S. 146. ll5 Roth, System, Bd. 1, S. 147. Zur Subsidiarität des gemeinen Rechts s.o. B) I. 116 RG JW 1900, S. 407 Nr. 37. 117 RG JW 1889, S. 148 Nr. 49; Brauer, Bd. 3, Anm. zu Satz 1386; siehe auch Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, Anmerkung zu Art. 1386. 118 RG JW 1889, S. 148 (149) Nr. 49. 119 RG JW 1900, S. 407 Nr. 37. 120 Brauer, Bd. 3, Anm. zu Satz 1386. Diese Frist begann gern. Art. 1792 a) des Badischen Gesetzbuches erst mit der letzten Prüfung nach vollendeter Aroeit zu laufen.

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§ 2 Rechtshistorischer Überblick

Baumangel dargelegt werden mußte l21 . Dennoch erhielten Geschädigte einen umfassenden Schutz, da sie zum einen - wie auch im preußischen ALR - ohne Rücksicht auf das Bestehen nachbarlicher Beziehungen Ansprüche stellen konnten, zum anderen aber auf ein Verschulden verzichtet wurde. Schließlich bestand gegenüber dem Code civil im Zusatzartikel 1386 a) des Badischen Gesetzbuches noch die landesrechtliche Besonderheit, daß der Nachbar ..bey besorglicher Gefahr eines Schadens '" auf Wegschaffung des Baufälligen oder Sicherheitsleistung für dessen Unschädlichkeit" klagen konnte. Im nachbarrechtlichen Bereich wurde also auch ein präventiver Schutz, ergänzt um den Gedanken der cautio damni infecti gewährt.

E. Die Gebäude- und Werkhaftung in der Entstehung des BGB Die Entstehungsgeschichte der §§ 836ff. BGB ist bereits Gegenstand anderer, umfangreicher Abhandlungen gewesen l22 , weshalb an dieser Stelle nur die für die spätere Auslegung der Norm wesentlichen Punkte hervorgehoben werden sollen. Bei der Entwicklung der Gebäudehaftung hatten die Verfasser des BGB verschiedene Probleme anzugehen und dabei eine Mehrzahl von Lösungsansätzen vor Augen, wie sie in diesem Abschnitt bereits dargestellt wurden I 23. Zum einen stellte sich die Frage, ob nach dem Vorbild des französischen Rechtes, aber auch der römischen cautio damni infecti, ein verschuldensunabhängiger und gefährdungshaftungsähnlicher l24 Tatbestand geschaffen werden oder aber ein Verschulden für die Haftungsauslösung nötig sein sollte. Bereits im § 735 des Entwurfes der 1. Kommission l25 fand sich eine 121 Im der modernen Gefährdungshaftung nach § 7 StVG hat der Geschädigte zwar die Kausalität des Betriebes für seinen Schaden zu beweisen, siehe Grege~, § 7 StVG, Rn. 502, nicht aber z.B. einen Fahr- oder technischen Fehler (vgJ. § 7 11 1 StVG). 122 Hagedorn, S. 16ff.; Mull, S. 39ff.; Herrmann, S. 211 ff. zur Person des Verpflichteten in §§ 836ff. BGB; kurze Zusammenfassung auch bei Staudinger/Schäfer 12, § 836, Rn. 1. 123 Daneben fanden auch das österreichische ABG von 1811, das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch, das Schweizer Obligationenrecht sowie die Kodifikationsentwürfe Hessens und Bayerns Eingang in die Überlegungen: Motive 11, S. 815 u. 8I8f.; vgJ. auch Staudinger/Coing, EinJ. BGB 12, Rn. 59. Nach dem Willen der Vorkommission sollten dem BGB das gemeine römische Recht sowie die allen deutschen Kodifikationen gemeinsamen Sätze als Grundlage dienen: Staudinger/Coing, EinJ. BGB l2 , Rn. 59 u. 75. 124 In den Protokollen zum 2. Entwurf ist von einer Veranlassungshaftung die Rede, Protokolle 11, S. 654. 12S Abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Beratungen, S. 989.

E. Die Gebäude- und Werkhaftung in der Entstehung des BGB

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Entscheidung zugunsten des Verschuldensprinzips 126, weil die Abwälzung eines bloßen Zufalls vom Beschädigten auf den Besitzer oder Eigentümer als unbillig empfunden wurde l27 • Im Gegensatz zum ersten Entwurf erachtete man bei der Schaffung von § 759 des 2. Entwurfes 128 allerdings beweisrechtlich eine Verschuldensvermutung zu Lasten des Pflichtigen als angemessen 129, was in ähnlicher Form schon aus Regelung und Praxis des preußischen allgemeinen Landrechts bekannt war 130. Eng mit der Entscheidung zugunsten des Verschuldensprinzips verbunden war die Frage der Festlegung des Pflichtigen. Hatte man nach den meisten als Vorbild dienenden Kodifikationen auch den Eigentümer in Anspruch zu nehmen, so wurde diese Lösung doch als nicht sachgerecht verworfen, weil der Besitzer aufgrund seiner Sachnähe eher zur InstlUldhaltung in der Lage sei und umgekehrt dem Eigentümer bei Divergenz von Besitz und Eigentum häufig kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. könne und der Geschädigte leer ausgehe l31 • Konsequenz dieser Erwägungen war die grundSätzliche Verpflichtung des Besitzers, wobei schon die 1. Kommission diesbezüglich an den Eigenbesitzer dachte 132 , dies von der 2. Kommission ebenfalls ausgesprochen wurde 133 und schließlich als Ergänzung mit dem Inhalt des heutigen § 836 m BGB in den 2. Entwurf aufgenommen wurde 134. Erwähnenswert ist ferner, daß der 2. Entwurf in § 759 11, der dem heutigen § 836 11 BGB entsprach, die Nachhaftung des Besitzers normierte, um eine Enthaftung durch bloße Besitzaufgabe - vergleichbar der Dereliktion im römischen Recht 135 - zu verhindern 136. 126 Motive 11, S. 817. Art. 1028 des Dresdner Entwurfes (abgedruckt bei Jakobs/ Schuben, Beratungen, S. 985) war, was die mangelhafte Unterhaltung anging, insofern noch unklar, Motive 11, a.a.O. 127 Protokolle 11, s. 655; auch Motive 11, S. 817f. 128 Abgedruckt bei Jakobs/Schuben, Beratungen, S. 996. 129 Protokolle 11, S. 655. Zu den Erwägungen, diese Vermutung zu streichen, welche aber in § 820 der Reichstagsvorlage nicht berücksichtigt wurde: Jakobs/Schuben, Beratungen, S. 997. 130 Anders als in § 26 I 6 ALR wird diese Vermutung allerdings nicht durch den Verstoß gegen ein Polizeigesetz ausgelöst, sondern es genügt der Nachweis fehlerhafter Errichtung oder Unterhaltung. 131 Protokolle 11, S. 655f.; Motive 11, S. 818f. 132 Motive 11, S. 818, wo allerdings vorbehaltlich des noch zu schaffenden allgemeinen Besitzbegriffes formuliert wurde; Herrmann, S. 211 ff. Art. 1028 des Dresdner Entwurfes ging dagegen noch vom Eigentümer als Haftendem aus. 133 Protokolle 11, S. 653, wo die Einstandspflicht des Mieters o. Pächters vorbehaltlich der Regelung des § 760 verneint wird. Auch findet sich dort ein Hinweis auf die noch vorzunehmenden Änderungen des Sachenrechtes; siehe auch He"mann, S. 214. 134 Jakobs/Schuben, Beratung, S. 996; Herrmann, S. 214. 135 s.o. All, 2 u. Dig. 39, 2, 9 pr.

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§ 2 Rechtshistorischer Überblick

In den Entwürfen des BGB entwickelte sich mithin der Gedanke des Grundstücksbesitzers als alleinigem Pflichtigen, ergänzt um die Haftung des Werkbesitzers und des Unterhaltungspflichtigen, der - bis auf wenige redaktionelle Änderungen - in der nachfolgenden Kodifikation übernommen wurde. Was das Problem des Haftungsobjektes anging, welches in den vergangenen Jahrhunderten und Rechtsordnungen immer wieder virulent wurde, so sollte sich die besondere Haftung nach dem Willen der Gesetzesverfasser auf Gebäude und mit dem Grundstück verbundene Werke beschränken, für Bäume und "vitia loci" dagegen nicht in Betracht kommen I37 . Beim haftungsauslösenden Ereignis wurde im 2. Entwurf wiederum klarstellend hinzugefügt, daß nicht nur der Einsturz, sondern ebenfalls die Ablösung von Teilen des Gebäudes den Tatbestand erfüllen konnten 138. Die Gesetzesverfasser haben sich mithin insgesamt gegen das Modell der cautio damni infecti des römischen Rechts entschieden, was sich auch darin zeigte, daß weder von einer Beschränkung des Kreises der Berechtigten, noch von einer vorherigen Ermahnung des Pflichtigen zur Ausbesserung die Rede war. Nicht durchgesetzt hatte sich ferner eine Beweislastumkehrregelung, welche tatbestandlich an das gefährliche Aufstellen oder Aufhängen von Gegenständen, also die actio de posito vel suspenso, gebunden war 139 . Hierauf wird bei der Bestimmung der Gebäudeteileigenschaft noch zurückzukommen sein.

136 Protokolle 11, S. 656. Einer Erwägung zu § 820 der Reichstagsvorlage, die Nachhaftung auf die Fälle zu begrenzen, in denen kein Besitznachfolger vorhanden war (vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen, S. 997) wurde allerdings nicht gefolgt. 137 Motive 11, S. 816. In § 735 des 1. Entwurfes wird anders als in § 759 des 2. Entwurfes eine Verbindung des Werkes mit dem Grundstück zwar nicht ausdrücklich gefordert, andererseits muß aber von einer solchen ausgegangen worden sein, da die Haftung für bewegliche Gegenstände in den Motiven, a. a. O. vemeint wird. 138 Anders noch der 1. Entwurf, hierzu auch RGZ 52, 238. 139 Oben A 11.

§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten Wie bereits in der Einleitung angedeutet, soll in diesem Abschnitt Einblick in die Regelungen der Gebäudehaftung anderer europäischer Staaten genommen werden. Die dabei aufzuzeigenden Gemeinsamkeiten und Abweichungen sind zunächst einmal als Vergleichs- und Abgrenzungsmoment zu den noch darzustellenden Normen des deutschen BGB zu verstehen. Ihre Betrachtung bietet sich aber auch im Hinblick auf eine Annäherung der europäischen Deliktsrechtssysteme 1 an, ein Aspekt, der angesichts des Zusammenwachsens der europäischen Staatengemeinschaft, ihrer Rechtsordnungen und nicht zuletzt der Versicherungsmärkte 2 verstärkt Gegenstand auch nationaler rechtspolitischer Überlegungen sein sollte.

A. Österreich Das österreichische Deliktsrecht basiert zwar ursprünglich auf dem Verschuldensprinzip, entwickelte jedoch in Sondergesetzen zunehmend Gefahrdungshaftungstatbestände. Insoweit ist eine parallele Entwicklung zum deutschen Recht zu verzeichnen 3 . Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, daß dem österreichischen ABGB das Instrument der verschuldensunabhängigen Haftung von vornherein bekannt war4 .

Sedes materiae der Gebäudehaftung in Österreich ist § 1319 ABGB. Ein Rückgriff auf die Generalklausei des § 1295 ABGB bzw. auf § 1311 S. 2, Alt. 2 ABGB bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz (insbesondere einer Bauordnungsvorschrift) bleibt aber möglich5 • I Hierzu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 362ff.; siehe auch Blaurock, lZ 1994, S. 270ff. für die allgemeine Europäisierung des Privatrechts. Zur Diskussion um die Schaffung eines europäischen Zivilgesetzbuches: Müller-Graff, NJW 1993, S. 23; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 370. 2 Vgl. hierzu Hübner, EuzW 1995, S.1 sowie ausführlich HübnerlMatuscheBeckmann, EuZW 1995, S. 263 ff. 3 v. BarlSchilcherlKleewein, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Österreich, S.95f. 4 Vgl. v. BarlSchilcherlKleewein, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Österreich, S. 96. Zu nennen ist § 833 S. 1 für das deutsche BGB und § 1318 ABGB für das österreichische Recht. s SZ 53/143: Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften ist zulässig, falls § 1319 mangels Verwirklichung der Gebäudegefahr abzulehnen ist; siehe auch SZ 37/97,

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

§ 1319 ABGB bestimmt:

"Wird durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatze verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe."

I. Haftungsobjekt des § 1319 ABGB § 1319 ABGB trifft eine Zweiteilung zwischen Gebäuden und anderen auf dem Grundstück aufgeführten Werken. In Ermangelung unterschiedlicher Rechtsfolgen geht der Gebäudebegriff in der Praxis jedoch in dem allgemeineren Werkbegriff auf, eine genauere Abgrenzung hält man für überflüssig 6 •

Einigkeit herrscht darüber, daß es sich bei einem Werk um einen künstlichen Aufbau handeln muß7 • Vertiefungen, wie beispielsweise Baugruben, zählen ebenfalls dazu 8 • Darüber hinaus verlangt die Rechtsprechung jedoch, daß das Werk einem bestimmten Zweck zu dienen und eine feste Verbindung mit dem Erdkörper aufzuweisen habe9 • Das Merkmal der festen Verbindung darf aber nicht, wie dies in Art. 6:174 des niederländischen B.W. kodifiziert wurde lO , zu eng im Sinne einer dauerhaften Verbindung interpretiert werden, sondern es sind z.B. auch Baugerüste als Werke anerkannt ll . Diese Rechtsprechung relativiert die an sich strenge Definition, jedoch genügt beispielsweise die bloß zeitweise Aufstellung einer Maschine für eine feste Verbindung nicht I2 • Das Erfordernis des bestimmten Zweckes dürfte hingegen nur in Ausnahmefällen von Bedeutung sein. Zu denken wo die Haftung aus § 1319 ABGB bereits arn Werkbe§riff scheitert. Mit § 1311 ABGB soll Konkurrenz vorliegen können, Dittrich/Tades 4, § 1319, E 64 m.N. 6 Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 3; Dittrich/Tades34 , § 1319, E 2ff. verzichten ganz auf eine Erläuterung des Gebäudebegriffes und definieren nur das Werk; vgl. insoweit auch EvBI. 1965/48. 7 EvBI. 1965/48; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 3; Dittrich/Tades34 , § 1319, E 2. 8 EvBI. 1957119; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 3 m.w.N. in Rn. 4. 9 EvBI. 1957/19; Diurich/Tades34 , § 1319, E 4; a.A. Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 3. 10 Näher dazu unter D I. 11 EvBI. 1965/48: Steher eines Gerüstes als Teil eines Werkes; Koziol/Welser, Schuldrecht 110, S. 491. 12 SZ 37/97, dort handelte es sich um einen auf einer Messe aufgestellten Traktor; ablehnend Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 7, wo eine analoge Geltung des § 1319 ABGB befürwortet wird.

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wäre etwa an die Ausklammerung von zufalligen Erdaufwerfungen im Zuge von Bauarbeiten oder Grabungen\3. Als Teil eines Werkes gilt wiederum, was mit diesem in organischer oder mechanisch fester Verbindung steht, z. B. Dachziegel, Geländer, Fahrstühle etc. 14 • Mit der analogen Anwendung der Vorschrift auf Gegenstände, welche an sich nicht unter die vorherigen Begriffe fallen, verfahrt die Rechtsprechung zwar grundsätzlich zurückhaltend. Immerhin soll jedoch für Bäume als Werk und für Äste als deren Teile eine Haftungsmöglichkeit bestehen 15, nicht hingegen für aufgestellte Maschinen 16 und auch nicht für Dachlawinen, sofern nicht zugleich Ziegelsteine oder ähnliches mit herabgerissen werden 11. Auch bei der Analogie wird anscheinend eine gewisse Festigkeit der Verbindung des fraglichen Gegenstandes mit Grundstück oder Werk zur Voraussetzung gemacht, um die Gebäudehaftung nicht zu konturlos zu gestalten 18 • Demgegenüber fordern Teile der Literatur einen großzügigeren Umgang mit der sinngemäßen Anwendung des Werk- bzw. Werkteilbegriffes. Namentlich bei Dachlawinen dürfe der Geschädigte nicht auf Ansprüche nach allgemeinen Grundsätzen beschränkt bleiben 19 • Neben der Frage der Analogiefahigkeit stellt sich beim Werkbegriff die der Schnittstellen und Konkurrenzen zu benachbarten Normen des ABGB. § 1319 ABGB findet sich eingebettet zwischen der objektiven Haftung des § 1318 ABGB einerseits, welcher im wesentlichen der schon aus dem römischen Recht bekannten actio de his qui effuderint vel deiecerint sowie de posito vel suspenso in Dig. 9, 3 entspricht20, und der Verschuldenshaftung des Halters für den mangelhaften Zustand von Straßen und Wegen nach § 1319 a) ABGB andererseits. 13 VgJ. insoweit zum deutschen Recht RGZ 60, 138 u. Münchener Kommentar/ Stein, § 836, Rn. 8 m. w. N. 14 Dittrich/Tades34 , § 1319, E 31 ff.; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 5 m.w.N. nennt auch Bäume. IS EvBJ. 1970/294; SZ 59/121. 16 VgJ. oben, SZ 37/97: keine sinngemäße Anwendung. 17 JBl 1965, S. 469; SZ 45/32; Dittrich/Tades34 , § 1319, E 32; Gschnitzer, Schuldrecht BT2 , S. 524; a.A. Koziol/Welser, Schuldrecht BT 110, S. 492 m.w.N.; offengelassen in JBI 1978, S. 543. 18 SZ 37/97 verweist darauf, daß eine direkte Anwendung oder eine Analogie das Merkmal des Aufführens auf dem Grundstück völlig entbehrlich machen würde. JBI 1965, S. 469 (470) begründet die Ablehnung der Analogie für Dachlawinen damit, daß § 1319 ABGB die mangelhafte Beschaffenheit eines Werkes erfordere, wovon in diesem Zusammenhang keine Rede sein könne. 19 Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 10; Koziol 11 2 , S. 396; Koziol/Welser, Schuldrecht Bd. 110, S. 492 m.w.N. 20 VgJ. § 2 A 11.

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

1. Überschneidung mit § 1319 a) ABGB

§ 1319 a) ABGB privilegiert einen Wegehalter 1 dergestalt, daß dieser für im Rahmen der widmungsgemäßen Nutzung des Weges aufgetretene Personen- und Sachschäden nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zur Verantwortung gezogen wird. Bei unerlaubter oder widmungswidriger Benutzung und deren Erkennbarkeit ist die Haftung für die Mangelhaftigkeit ganz ausgeschlossen22 . Als Grund für die Besserstellung des Wegehalters hinsichtlich des Haftungsmaßstabes23 wird dessen Interessenneutralität und die Möglichkeit der unentgeltlichen Nutzung durch andere, welche mit einem geringeren Haftungsrisiko verbunden sein müsse, genannt24 . Im Vergleich mit der Gebäudehaftung steht der pflichtige Wegehalter auch beweisrechtlich günstiger, weil der Geschädigte den mangelhaften Zustand des Weges und einen besonders evidenten objektiven Sorgfaltsverstoß im Sinne einer groben Fahrlässigkeit nachweisen muß, während der Halter sich hernach durch Nachweis fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit entlasten kann 25 .

Weg ist nach der Legaldefinition des Abs. 2 "eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist,,26. Dem Normbereich unterfallen aber ebenfalls dem Verkehr dienende Anlagen, wie die demon21 Wegehalter ist, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und die Verfügungsgewalt darüber hat, Rummel/Reischaue~, §1319 a), Rn. 8 m. w. N., der die Errichtung und Unterhaltung als Alternativmerkmale versteht; Edlbacher, Karlsruher Forum 1983, S. 20. 22 § 1319 a) Abs. 1, S. 2 ABGB. 23 Im Bereich der Leutehaftung soll § 1319 a) I 1 ABGB dagegen eine Haftungsverschärfung darstellen, weil anders als in § 1315 ABGB der Halter bereits für grobe Fahrlässigkeit seiner Gehilfen einstehen muß, was ein Minus gegenüber der in § 1315 ABGB normierten Untüchtigkeit bedeute, so Rummel/Reischaue~, § 1319 a), Rn. 12 mit Kritik. 24 Rummel/Reischaue~, § 1319 a), Rn. 12; kritisch v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 246f. Der VfGH erklärte die Vorschrift für verfassungsgemäß, siehe ÖJZ 1979,301. 25 Rummel/Reischaue~, § 1319 a), Rn. 18. § 1319 ABGB erfordert dagegen nur den Nachweis eines Mangels sowie dessen Ursächlichkeit für Einsturz und Schaden, näher dazu unten. 26 Eine generelle Widmung steht der Wegeeigenschaft also nicht entgegen, nachträgliche Einzelverfügungen können sie jedoch ausschließen, Edlbacher, Karlsruher Forum 1983, S. 20. Zu den Wegen zählen u. U. (bei unentgeltlicher Nutzung) auch Skipisten, wegen des Vorrangs der Vertragsregeln gehören Mautstraßen aber nicht dazu, v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 246 mit Kritik; Rummel/Reischaue~, § 1319 a), Rn. 25 f. Zwar wurde eine PrivileSierung durch § 1319 a) bei Mautstraßen per Gesetz angeordnet, vgl. DittrichlTades 4, Einleitung zu § 1319 a); näher Koziol/Welser, Schuldrecht Bd. 110, S. 481. Jedoch wurde die Norm inzwi-

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strative27 Aufzählung von Brücken, Stützmauern, Futtennauern, Durchlässen, Gräben und Pflanzungen zeigt. Gerade bei diesen letztgenannten Anlagen kommt es zu Überschneidungen mit § 1319 ABGB 28 , die aber meist keiner Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Nonn zugeführt werden, weil die Rechtsprechung die Privilegierung des § 1319 a) ABGB nicht als ausschließlich ansieht, sondern beide Vorschriften nebeneinander anwendet 29 • 2. Verhältnis zu § 1318 ABGB

Diffiziler zu behandeln sind die Randbereiche zwischen der Gebäudehaftung und der Verantwortlichkeit des Wohnungsinhabers für das Herabfallen einer gefahrlich aufgehängten oder aufgestellten Sache und das Herauswerfen oder Herausgießen aus einer Wohnung 30 , da beide Vorschriften im Verhältnis der Ausschließlichkeit zueinander stehen dürften 31 • Die in der Systematik der Paragraphen stringente Abgrenzung wirft in der Praxis erhebliche Probleme auf. So sollen z. B. herabgefallene Fenster wegen ihrer Verschraubung als Gebäudeteil zählen 32, Geschäftsschilder aber unter § 1318 ABGB fallen 33 • Eine diesbezügliche Entscheidung kann nicht dahingestellt bleiben, weil zum einen die Person des Gebäudehalters und des Wohnungsinhabers 34 schen durch den VfGH aufgehoben, siehe DittrichlTades (Taschenausgabe)18, Anmerkung zu § 1319 a) ABGB m.N. 27 Rummel/Reischaue?, § 1319 a), Rn. 5. 28 Bei mangelhaftem Straßenbelag (z. B. ungenügender Streuung bei Glätte) fehlt es i. d. R. am Einsturz, da sich nach h. M. die Gefahr der Höhe oder Tiefe des Werkes verwirklichen muß, näher dazu unten. 29 EvBl. 1994/8; SZ 55/179; Rummel/Reischaue?, § 1319 a), Rn. 29; Dittrichl Tades 34 , § 1319, E 82. 30 Anders als bei der römischen actio de posito vel suspenso handelt es sich nicht um eine Popularklage mit pauschalierter Strafzablung (vgl. oben § 2 All), sondern um einen individuellen Schadensersatzanspruch. 31 Soweit menschliche Handlungen in Rede stehen, ergibt sich ohnehin kein Konkurrenzverhältnis, und gefährlich aufgehängte oder aufgestellte Sachen werden wiederum nicht als Gebäudebestandteil i.S.d. § 1319 ABGB anerkannt: SZ 37/145; vgl. auch EvBl. 1968/192; Gschnitzer, Schuldrecht BT2, S. 522f.; Koziol/Welser, Schuldrecht Bd. 110, S. 492. 32 EvBl. 1968/192; a.A. Gschnitzer, Schuldrecht BT2 , S. 523 33 SZ 14/235. Im deutschen Recht ergibt sich diese Abgrenzungsproblematik mittelbar, da die actio de posito vel suspenso dort zwar nicht Gesetz geworden ist, aber als "unsichtbare Barriere" fungiert, näher dazu § 4 C) 11. 34 Wohnungsinhaber ist derjenige, welchem die tatsächliche Verfügungsgewalt zukommt, u.a. auch Mieter oder Pächter: JBI 1989, S. 40; Rummel/Reischaue?, § 1318, Rn. 3 m. w. N. zur analogen Anwendung auf Geschäftslokale in Rn. 5. 4 Petershagen

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nicht identisch sein müssen, zum anderen aber § 1318 ABGB eine objektive, d. h. verschuldensfreie Haftung begründees, bei der sich der Pflichtige durch den Nachweis der Vornahme der zur Schadensabwendung objektiv erforderlichen Maßnahmen entlasten kann 36, was bei § 1319 ABGB überwiegend differenzierter gesehen wird37 • Zusätzliche Unsicherheiten ergeben sich daraus, daß man zu den aufgestellten und aufgehängten Sachen Analogien bildet und auch für gefährlich verwahrtes Öl oder Wasser haften läße s, weshalb z. B. Wasserrohrbrüche, welche an sich wegen des weiten Werkbegriffes ebensogut der Gebäudehalterhaftung zugeordnet werden könnten 39, zumeist mittels § 1318 ABGB behandelt werden40 • Dabei genügt die Tatsache eines Wasserrohrbruches für die analoge Haftung aus § 1318 ABGB nicht. Eine Wasserleitung stellt mithin für sich genommen noch keine Gefahrenquelle dar41 • Sowohl bei direkter, wie auch bei der analogen Anwendung ist ein gefährlicher Zustand erforderlich, der danach zu bemessen ist, ob den besonderen Umständen nach der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich und die Funktionsstörung objektiv vorhersehbar ist42 • Gefährlichkeit in diesem Sinne hält man ebenfalls dann für 35 JBI 1989, S. 40; Koziol/Welser, Schuldrecht Bd. 110, S. 492; Gschnitzer, Schuldrecht BT2, S. 523; anders früher SZ 9/120. 36 JBI 1987, S. 40; EvBI 1989/48; Dittrich/Tades34 , § 1318, E 4; v. Bar/Schilcher/Kleewein, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Österreich, S. 99; anders Rummel/Reischaue?, § 1318, Rn. 9 a) u. 16, der auf die Einhaltung der objektiv zu bestimmenden Sorgfalt abstellt und, um § 1318 und § 1319 ABGB einheitlich zu interpretieren, die objektive Nichterkennbarkeit der notwendigen Maßnahmen als entlastend ansieht. Gschnitzer, Schuldrecht BT2 , sieht in der Judikatur die Tendenz zur verobjektivierten Verschuldenshaftung. Siehe insofern auch EvBI 1989/48, wonach ebenfalls die objektive, nicht aber die subjektive Erkennbarkeit der Gefahr entlasten soll. 37 Näher dazu unter V. 38 Nachweise bei Rummel/Reischaue?, § 1318, Rn. 10, näher sogleich im Text. 39 Offengelassen in Miet 37.204; dagegen Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 4. Im deutschen Recht wird ein Wasserrohr problemlos als Werk und der Rohrbruch als Ablösung von Teilen dieses Werkes angesehen: BGHZ 55, 229 (235); weitere Nachweise bei Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 14. Das deutsche BGB enthält allerdings auch keine dem § 1318 ABGB vergleichbare Norm. 40 Nachweise bei Rummel/Reischaue?, § 1318, Rn. 10. Als gefährliche Verwahrung von Wasser kommen ferner laufende Wasserhähne, Boiler, Waschmaschinen u.ä. in Betracht, vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Dittrich/Tades34 , § 1318, E 21-34 a). 41 JBI 1989, S. 40 (41). 42 Rummel/Reischaue?, § 1318, Rn. 9; JBI 1989, S. 40 (41): Dort ging es um eine Leih-Kaffeemaschine, deren Wasserleitung defekt war und bei der innerhalb von 2 Tagen zweimal Funktionsstörungen behoben werden mußten, was den Schluß auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes zuließ. Für wahrscheinlich gehal-

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gegeben, wenn für den Schadenseintritt als solchen zwar eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dessen Ausmaß aber erheblich zu werden droht43 . Prinzipiell hat der Kläger im Prozeß diese Gefahrlichkeit zu beweisen, jedoch wird ihm häufig der "Anscheinsbeweis zur Verfügung stehen44 • Der Beklagte kann dann seinerseits den Anscheinsbeweis erschüttem4S oder den Beweis der Ungefahrlichkeit antreten, also darlegen, daß keine gefahrliche Aufhängung oder Aufstellung vorgelegen hat46 • Darüber hinaus bleibt bei feststehender Gefahrlichkeit stets die schon ausgeführte Entlastungsmöglichkeit des Treffens der objektiv notwendigen Maßnahmen zur Gefahrabwehr.

11. Person des Verpflichteten und des Berechtigten Der Gesetzestext in § 1319 ABGB geht von dem Besitzer des Gebäudes oder Werkes als Verpflichtetem aus, wobei in diesem Zusammenhang an sich an die Bestimmung des § 309 ABGB zu denken wäre, dessen Satz 2 für die Annahme von Besitz den Willen, die Sache als eigene zu haben, postuliert. In Rechtsprechung und Literatur besteht aber unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien Einigkeit darüber, daß der Besitzbegriff in § 1319 ABGB autonom zu interpretieren sei. Besitz erfordert nach dieser Lesart eine Beziehung zum Werk, welche es ermöglicht, die Gefahr durch geeignete Maßnahmen abzuwenden47 • In Anlehnung an die Tierhalterhaftung in § 1320 ABGB wird diese Position häufig auf den Begriff des Gebäudehalters reduziert48 • ten werden mußte ein Schadenseintritt auch bei einem jahrelang nicht gewarteten Öltank: SZ 60/38. 43 JBI 1989, S. 40 (41). Der Gedanke, daß für die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens ein Konnex zwischen Gefahr und Ausmaß des drohenden Schadens besteht, findet sich auch im öffentlichen Gefahrenabwehrrecht. So sind nach § 22 11 des österreichischen Sicherheitspolizeigesetzes zum Schutz bestimmter Rechtsgüter Maßnahmen bereits vor dem Beginn eines Angriffes zulässig. Im deutschen Polizeirecht sieht man im Bereich der Gefahrerforschung, d. h. bei Ungewißheit, ob überhaupt ein Gefahrenzustand gegeben ist, das Treffen von endgültigen Maßnahmen nur dann als rechtmäßig an, wenn sie zum Schutze besonders wichtiger Rechtsgüter geboten erscheinen: Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht6, Rn. 70. Der genannte Zusammenhang weist wieder auf die römisch-rechtliche Wurzel des § 1318 ABGB, der actio de posito vel suspenso, hin, bei der es sich um eine Polizei strafe gehandelt hat (oben § 2 A) 11). 44 JBl 1989, S. 40 (41); Rummel/Reischauer, §1318, Rn. 16; anders früher SZ 37/140, wonach der Beklagte die Ungeflihrlichkeit von vornherein beweisen sollte. 45 JBI 1989, S. 40 (41); Rummel/Reischauer, § 1318, Rn. 16. 46 Vgl. JBl 1989, S. 40 (41). 47 EvBl 1994/8; SZ 61/132; SZ 59/121. 4'

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Konsequenz dieser eher auf faktische Gegebenheiten abstellenden Definition ist, daß z.B. auch Fruchtnießel9 und MieterO Besitzer im genannten Sinne darstellen können51 • Bei der Person des Berechtigten werden keinerlei Einschränkungen gemacht, so daß nach dieser Norm prinzipiell jeder Geschädigte Schadensersatz verlangen kann. Jedoch ist immer ein Mitverschulden nach § 1304 ABGB wegen unbefugten Betretens des Grundstückes in die Überlegungen einzubeziehen52 • Die Auslösung des Ereignisses durch den Geschädigten schließt einen Schadensersatzanspruch an sich aber nicht aus 53 • ID. Haftungsauslösendes Ereignis Die Haftungsbegründung erfordert zunächst einmal den Einsturz oder die Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder Werkes. Ein Einsturz wird in einem gänzlichen Zusammenbrechen des Werkes (bzw. Gebäudes) zu sehen sein54, das Umstürzen wird dem gleichgeachtet55 . Allein von der Warte der Rechtsfolge her betrachtet weist die Ablösung demgegenüber keinen Unterschied auf. Sie liegt nicht nur dann vor, wenn ein Teil aus seinem Zusammenhang mit dem Gesamtwerk getrennt wird, sondern auch bei bloßer Lokkerung im Gesamtgefüge56 • Geht man nun von diesen Alternativen und insbesondere dem Wortlaut aus, so könnte man zu dem Schluß verleitet werden, daß § 1319 ABGB immer eine Bewegung des Werkes oder eines Teiles desselben erfordere. Es 48 So Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 12; Gschnitzer, Schuldrecht BT2 , S. 523; siehe auch SZ 61/132. 49 EvBI 1963/337; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 12. 50 EvBI 1968/192; weitere Nachweise bei Dittrich/Tades34 , § 1319, E 47; a.A. Koziol Ie, S. 399: Der Mieter sei nach § 1097 ABGB nur zur Anzeige des Mangels an den Vennieter verpflichtet, dagegen Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 13. 51 Unerheblich ist es also auch, ob der Beziehung zum Werk ein dingliches oder obligatorisches Rechtsverhältnis zugrundeliegt, SZ 37/145 (Wohnungseigentümer); weitere Nachweise bei Dittrich/Tades34 , § 1319, E 45. 52 Vgl. SZ 58/13: Unbefugtes Parken auf einem Privatgrundstück, wo allerdings bereits (hypothetisch) die Sorgfaltswidrigkeit des Gebäudehalters verneint wird; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 19 m.w.N. 53 SZ 41127; Dittrich/Tades34 , § 1319, E 71; vgl. auch SZ 36/103, wo zweckwidrige Überbeanspruchung eines Geländers lediglich zur Anrechnung von Mitverschulden führte. 54 Vgl. JBI 1986, S. 523: Zerfall eines Regenwasserableitungskanals. 55 SZ 27/37 (Grabstein); referierend SZ 53/143. 56 Dittrich/Tades34 , § 1319, E 39; EvBI 19711280: Der Wind stieß ein Gartentor auf, welches dabei ein Auto beschädigte; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 8 hält für diesen Fall eine analoge Anwendung für angezeigt.

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wird jedoch allgemein anerkannt, daß sich die Gebäudehaftung hierin nicht erschöpft, sondern auch Stürze des Geschädigten, beispielsweise vom Gebäude oder in ungesicherte Baugruben, die Haftung auslösen könnens7 . Anders ausgedrückt muß nicht das Werk aktiv den Schaden bewirken, sondern es genügt, daß sich das Opfer am Werk den Schaden zuzieht, wobei es einer analogen Anwendung der Bestimmung bedarf58 • Einschränkend wird verlangt, daß der Schaden auf die Höhe oder Tiefe des Werkes zurückzuführen sein müsse, wofür beispielsweise das plötzliche Hochschnellen einer Schranke aufgrund einer Verbiegung des Materials als nicht ausreichend erachtet wurde59 . Diese Restriktion sieht sich allerdings erheblicher Kritik ausgesetzt. Nach anderer Auffassung sollen mit dem Merkmal "Einsturz oder Ablösung" allgemein Gefahren, welche sich aus der Statik oder Dynamik eines Werkes ergeben, erfaßt sein60 . Die ältere Rechtsprechung hatte es für die Haftung genügen lassen, daß ein Windstoß ein Gartentor in seiner Aufhängung (!) gegen einen Wagen schleuderte und diesen beschädigte61 , so daß von einer Verwirklichung der Gefahr der Höhe oder Tiefe an sich keine Rede sein konnte. In den neueren Entscheidungen wurde das Problem im Ergebnis offengelassen, da sich jeweils die typische Gebäudegefahr der Höhe oder Tiefe verwirklicht habe 62 . Einsturz und Ablösung müssen aber auch in der erweiternden Auslegung immer auf einem Mangel beruhen, und es genügt beispielsweise nicht, daß Bauarbeiten an einem Werk den Schaden verursacht haben63 . Ein Mangel liegt wiederum vor, wenn ein Werk den an seinen normalen und erkennbaren Zustand vernünftigerweise zu stellenden Anforderungen nicht genügt64 • 57 SZ 61/132: ungesicherte Baugrube; EvBI 1961/526; IBI 1986, S. 523: Sturz wegen einer ca. 10 cm tiefen Mulde im Gehweg; referierend SZ 531143; Rummell Reischaue?, § 1319, Rn. 14. 58 Für eine analoge Anwendung EvBI 1961/526; RummellReischaue?, § 1319, Rn. 14. 59 SZ 531143; Koziol 112 , S. 394. 60 RummellReischaue?, § 1319, Rn. 2. 61 EvBI 19711280, wo nicht einmal die Frage der Analogie andiskutiert wurde, vgl. o. Fn. 56. 62 EvBI 1994/8; IBI 1986, S. 523 (vgl. o. Fn. 54 u. 57); kritisch zu dieser letzten Entscheidung RummellReischaue?, § 1319, Rn. 2. In der Entscheidung wird allerdings nicht auf die 10 cm tiefe Mulde im Gehweg, sondern auf den darunterliegenden, eingestürzten Regenabwasserkanal als Werk abgestellt. Ob hier von einer Höhe gesprochen werden kann, bleibt fraglich. Anzunehmen gewesen wäre dies für das zum Kanal führende Regenfallrohr, auf das aber gerade nicht Bezug genommen wurde. 63 RummellReischaue?, § 1319, Rn. 9; Dittrich/Tades34 , § 1319, E 43 m.N. 64 VgJ. SZ 361103 (Geländer); IBI 1986, S. 523f. m.N.; siehe auch RummellReischauer, § 1319, Rn. 9 u. in Rn. 17 zum Entlastungsbeweis.

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

Die notwendige doppelte Kausalität zwischen Mangel und Einsturz einerseits und Einsturz und Schaden andererseits ist auch dann erfüllt, wenn kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Einsturz und Schaden besteht. So genügte es in der schon angesprochenen, den Einsturz eines Regenwasserkanales betreffenden Entscheidung6S , daß sich der durch eine Mulde ausgelöste Fall der Klägerin erst einige Zeit nach dem Einsturz des darunterliegenden Werkes ereignet hatte. Die im deutschen Recht noch anzusprechende Einschränkung des Erfordernisses der "bewegend wirkenden Kraft" des Einsturzes als Ursache für den Schaden wird also offensichtlich nicht gemacht. Noch plastischer kam dies in der Entscheidung EvBl. 1958/5 zum Ausdruck, wo die Schädigung zwar darauf beruhte, daß Ziegel vom Dach herabstürzten, die Klägerin dies aber nur akustisch wahrnahm und aus Furcht vor einem Gebäudeeinsturz floh und zu Fall kam 66 • Anzumerken bleibt, daß die Beweislast für das Vorhandenseins eines Mangels sowie dessen Ursächlichkeit für den Einsturz und den Schaden den Geschädigten trifft67 • Häufig wird sich dieser allerdings auf den Beweis des ersten Anscheins berufen können68 . IV. Haftungsmaßstab Die Frage nach der Art der in § 1319 ABGB normierten Haftung, also des Haftungsmaßstabes, hängt von der Interpretation der Entlastungsmöglichkeit ab. Sofern ein Mangel und dessen Kausalität für Einsturz und Schaden feststehen, kann sich der Gebäudehalter nur dadurch von der Haftung befreien, daß er beweist, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben. Zum Teil wird darauf hingewiesen, daß der Nachweis eines Mangels am Werk als Schädigungsursache Verschuldensmomente nicht enthalte. Sofern dem Halter trotz Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt der Entlastungsbeweis nicht gelänge, führe dies sogar zu einer reinen Erfolgshaftung. Die Gebäudehalterhaftung stehe der Sache nach gewissermaßen zwischen der Gefährdungs- und der Verschuldenshaftung69 • Hintergedanke dieser InterJBI 1986, S. 523. Es lag also ein Fall psychischer Kausalität vor. Die Klage wurde allerdings abgewiesen, weil nicht nachgewiesen werden konnte, daß es gerade das Haus des Beklagten war, von dem sich die Ziegel gelöst hatten. 67 EvBI 1965148; SZ 59/121; Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 16; Gschnitzer, Schuldrecht BT2, S. 523; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 244, Fn. 1392. 68 Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 16 m.w.N.; Gschnitzer, Schuldrecht BT2 , S. 523; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 244, Fn. 1392. 69 Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 15f.; i.E. ebenso Koziol S. 224: Nachweis der objektiv erforderlichen Vorkehrungen entlastet; Koziol Ie, S. 400f.; v. Bar/Schilcher/Kleewein, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Österreich, S. 98f. 65

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pretation dürfte es auch sein, die im Bereich der Gebäudehaftung sich häufig parallel anbietenden Tatbestände der § 1318 und § 1319 ABGB aneinander anzunähern, um die im Einzelfall unliebsame Abgrenzung 70 zumindest nicht zu unterschiedlichen Haftungsresultaten führen zu lassen71. Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur sehen § 1319 ABGB demgegenüber als Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast an 72. Für den Entlastungsbeweis komme es allerdings nicht auf subjektive Umstände an73, sondern der Beklagte müsse nachweisen, alle Vorkehrungen getroffen zu haben, die nach Auffassung des Verkehrs erwartet wurden 74, oder aber, daß die Gefahr objektiv nicht erkennbar gewesen sei7s • Praktische Unterschiede dieser beiden Interpretationsansätze dürften sich dann ergeben wenn es dem Gebäudehalter an der Verschuldensfähigkeit fehlt, wie z.B. einern MindeIjährigen bis zum Alter von 14 Jahren 76 • Nimmt man - trotz der objektivierenden Ansätze durch die Rechtsprechung - deren Einordnung als Verschuldenshaftung ernst, so läßt sich nur mit dem Konzept der Annäherung an die Erfolgshaftung ein Anspruch aus § 1319 ABGB bejahen77 .Auf einern anderen Blatt stünde wiederum, ob den Aufsichtspflichtigen nicht seinerseits eine Haftung gemäß § 1309 ABGB wegen Verletzung der Aufsichtspflicht träfe78, da keine schuldhafte Handlung (bzw. in diesem Zusammenhang Unterlassung) des Schutzbefohlenen zur Voraussetzung gemacht wird79 • Auf diese Frage wird im deutschen Recht noch zurückzukommen sein.

Vgl. oben I. Rummel/Reischauer, § 1318, Rn. 2 u. 8 a). 72 SZ 611132; SZ 59/121; Dittrich/Tades34 , § 1319, E 65 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen; Gschnitzer, Schuldrecht BT2 , S. 523; v. Bar, Oemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 245; Koziol/Welser, Schuldrecht Bd. 110, S. 492 mit Darstellung des Streitstandes. 73 Der österreichische Verschuldensbegriff stellt in Abgrenzung hierzu grds. auf subjektive Vorwerfbarkeit ab: Rummel/Reischauer, § 1294, Rn. 20; Koziol S.204f. Siehe auch die Vermutung in § 1297 ABOß. 74 SZ 59/121; vgl. auch SZ 611132; insofern zustimmend Rummel/Reischauer, § 1319, Rn. 17: Sorgfalt als objektiver Begriff. 7S EvBI 1983/63; Dittrich/Tades 34 , § 1319, E 50f. 76 Vgl. § 153 ABOB. 77 Vgl. Rummel/Reischauer, § 1319, Rn. 17; deutlicher in § 1318 (der parallel interpretiert wird), Rn. 14 u. 16. 78 Wobei er sich auch mit subjektiven Umständen entlasten könnte, Rummel/Rei· schauer, § 1309, Rn. 9. 79 Rummel/Reischauer, § 1309, Rn. 3. v. Bar, Oemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 163 will bei Schutzbefohlenen nur für den Fall haften lassen, daß der Schaden durch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt vermieden werden konnte. Die reine Halterhaftung des Kindes soll den Aufsichtspflichtigen hingegen nicht zum Scha70 71

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V. Zusammenfassung

Als Eckpunkte der österreichischen Gebäudehaftung sind zum einen der recht weitgefaßte Werkbegriff, insbesondere seine entsprechende Anwendung auf Bäume sowie die großzügige Auslegung des Merkmales "Einsturz und Ablösung" zu markieren. Die Rechtsprechung steht der Figur der Analogie zumindest in letzterem Bereich recht offenherzig gegenüber. Auch die Kausalität des Einsturzes für den Schaden erfährt keine restriktive Handhabung; ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang wird nicht verlangt. Die im deutschen Recht als Problem der "bewegend wirkenden Kraft" des Einsturzes diskutierten Fälle der ÖI- oder Wasserschäden machen dem österreichischen Rechtsanwender weniger Schwierigkeiten, da diese mit der - wiederum analogen - Handhabung des § 1318 ABGB einer Lösung zugeführt werden. Die Schwierigkeit liegt an dieser Stelle auf einer anderen Ebene, nämlich der Abgrenzung der objektiven Haftung des § 1318 ABGB zur Verschuldenshaftung des § 1319 ABGß. Insofern erscheint, der Kritik Reischauerio folgend, eine Angleichung der Haftungsmaßstäbe der Normen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen sinnvoll.

B. Schweiz Das außervertragliche Schweizer Haftpflichtrecht unterteilt sich, wie dies in den meisten anderen europäischen Staaten auch der Fall ist, in solche Tatbestände, welche in der privatrechtlichen Hauptkodifikation niedergelegt und solche, die in Spezialgesetzen geregelt sind, wobei letztere Gefahrdungshaftungen verschiedenster Art beinhalten81 • Eine Besonderheit der Hauptkodifikation, des ZGB, besteht darin, daß sich dort nur einige wenige deliktische Haftungsnormen finden. Das, was man im deutschen Recht als ,,klassisches Deliktsrecht" bezeichnen würde, nämlich die §§ 823 ff. BGB, hat der Schweizer Gesetzgeber dem ZGB in einem gesonderten Teil, dem Obligationenrecht, angegliedert, dessen geänderte Fassung gemeinsam mit dem ZGB am 1. 1. 1912 in Kraft getreten ist82 • densersatz verpflichten, weil eine etwaige Verletzung der Aufsichtspflicht hierfür nicht kausal würde. 80 In: Rummel/Reischauer, § 1318, Rn. 8 a). 81 v. Bar/Keller, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Schweiz, S. 7. Beispiele sind die Eisenbahn-, Straßenverkehrs- und Rohrleitungsanlagenhaftung, v. Bar/Keller, a. a. 0., S. 11. Zur Unterscheidung zwischen einfacher und strenger Kausalhaftung v. Bar/Keller, a.a.O., S. 10. 82 Zur Systematik und Entstehung: Tuor/Schnyder, ZGB 11, S. 20f.

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Ebendort ist auch die einschlägige Bestimmung über die Haftung für Werke angesiedelt, welche für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung ist. Art. 58 I OR sieht vor, daß "Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes den Schaden" zu ersetzen hat, "den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen". Nach Absatz 2 bleibt der Rückgriff gegenüber denjenigen Personen, welche den Schaden zu verantworten haben, offen83 • I. Haftungsobjekt

Der Werkbegriff des Schweizer Rechtes steht dem anderer Länder nicht nach, sondern übertrifft diese sogar in mancher Beziehung. Für Gebäude ist kennzeichnend, daß sie Bauten darstellen, welche durch künstlich errichtete oder durch künstliche Aushöhlung geschaffene Wände irgendwie geartete Räume umschließen84 • Prinzipiell könnte man nun, entsprechend der österreichischen Praxis85 , davon ausgehen, daß der engere Gebäudebegriff vom weiteren Werkbegriff gleichsam aufgesogen wird. Es finden sich in Theorie und Praxis aber Bestrebungen, zur Konturierung des Werkbegriffes eine Gebäudeähnlichkeit zu verlangen86 , so daß die vorige Definition zwingend geboten wäre, um eine Bezugnahme überhaupt zu ermöglichen. Demgegenüber stellen sich die neuere Judikatur und eine Mehrzahl von Autoren auf den Standpunkt, daß zu den Werken jedwede Art von baulichen oder technischen, mithin künstlich hergestellten oder angeordneten, Anlagen zählen, die direkt oder indirekt fest mit dem Erdboden verbunden sind87 . Die nötige Stabilität erfordert dabei auch nach der schweizerischen Jurisdikition keinesfalls eine auf Dauer angelegte Verbindung mit dem Erdboden, wie dies im niederländischen B.W. der Fall ist88 • Baugerüste89 und sogar fahrbare Gegenstände wie landwirtschaftliche Maschinen90 zählen ebenfalls dazu. . Dazu BGE 106 11, 203. Kommentar zum OR/Schnyder, Art. 58, Rn. 11; Oftinger/Stark, Bd. 11 14 , S. 185. 85 Vgl. A I, Fußnote 6. 86 v. Tuhr, Obligationenrecht3 , S. 457; vgl. auch Oftinger/Stark, 11 1 4, S. 185ff. m. w. N. zur älteren Rechtsprechung, wo für die Gebäudeanalogie auf die tatsächliehe, die wirtschaftliche oder die Gefahrenähnlichkeit abgestellt wird. 87 BGE 106 11, 203; Kommentar zum OR/Schnyder, Art. 58, Rn. 12; Guhl, ORs, S. 193 (Anknüpfung an den Gebäudebegriff); Oftinger/Stark, 11 14 , S. 188. 88 Oftinger/Stark,1I 14 , S. 189; v. Tuhr, OR3 , S. 457. Zu Art. 6:174 Abs. 3 B.W. unter D) I. 89 BGE 96 11, 355 (359). 90 BGE 47 11, 425ff. (Dreschmaschine); BGE 77 11, 308 (Seilwinde . zum Pflügen). 83

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Bei den transportablen Gegenständen muß aber ein gewisses Maß an Reststabilität verbleiben91 , was z. B. bei einem PKW nicht mehr gegeben sein soll92. Anders ausgedruckt darf eine Konstruktion, um sie als Werk qualifizieren zu können, zwar transportabel, aber eben nur schwer transportabel sein. In diesem Punkt geht das Schweizer Deliktsrecht über die meisten der hier dargestellten Rechtsordnungen hinaus 93 . Zur Komplettierung dieses umfassenden Werkverständnisses muß angemerkt werden, daß der Werkbegriff auch Teile, die mit dem Boden oder einem Werk fest verbunden sind einschließt94, womit beispielsweise auch Aufzüge als Werk gelten95 • Streng gehandhabt wird dagegen das Kriterium der künstlichen Errichtung, so daß Bäume, sofern sie nicht besonders angepflanzt oder verändert wurden, keine Haftung nach Art. 58 I OR auslösen96 . Trotz dieser letztgenannten Einschränkung bleibt es bei der zuvor getroffenen Feststellung, daß sich eine vergleichsweise große Zahl von Subsumtionsmöglichkeiten für den Werkbegriff ergibt, die sich in der Rechtsprechung in einer buntgefächerten Palette von Entscheidungen manifestieren. An Beispielen aus der Praxis seien nur Straßen und Wege97 , Wasserleitungen98 , Gruben und anderweitige Öffnungen99 sowie Eishockeyfelder 1oo und Wasserrutschen\Ol genannt. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben sich also darum bemüht, den mit künstlichen Errichtungen in Zusammenhang stehenden Unfällen mittels Art. 58 I OR umfassend Rechnung zu tragen lO2 .

D. Person des Verpflichteten und des Berechtigten Das Schweizer Recht nimmt mit seiner Gebäudehaftung den Eigentümer in die Pflicht und folgt insoweit dem noch darzustellenden Modell des Ojtinger/Stark,1I 14 , S. 225 u. 189ff.; Guhl, OR8 , S. 193. BGE 4211,42 (43); v. Tuhr, OR3, S. 457f. 93 Man vergleiche nur den schon zum österreichischen Recht dargestellten Fall des zeitweisen AufsteIlens eines Traktors auf einer Ausstellung, was für die Haftung nach § 1319 ABGB nicht ausreichte: SZ 37/97. 94 BGE 106 11, 203; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 194ff.; v. Tuhr, OR 3 , S. 457, Fn. 5. 95 BGE 91 11, 206ff.; v. Tuhr, OR3 , S. 457, Fn. 5. 96 Kommentar zum OR/Schnyde?, Art. 58, Rn. 12; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 191; v. Tuhr, OR3, S. 458. 97 BGE 91 11,281 (283); BGE 10211, 343 (344). 98 BGE 81 11, l30f. 99 BGE 61 11,255 (Lehmgrube); BGE 10611,201 (Kelleröffnung). 100 BG SJZ 78, S. 61. 101 Schwyz, Bezirksgericht Höfe, SJZ 92, S. 214 (Nr. 24). 102 Eine ausführliche Darstellung von Beispielen aus der Rechtsprechung findet sich bei Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 216ff. 91

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Art. 1386 des französischen Code civil. Grundsätzlich entscheidet dabei die fonnale Eigentümerstellung, so daß beispielsweise bei treuhänderisch übertragenem Eigentum der Treuhänder haftet 103 •

Die Rechtsprechung sah sich indes gelegentlich zur Durchbrechung dieses Grundsatzes genötigt. So wurde entschieden, daß bei einem öffentlichen Fußweg, der als Dienstbarkeit zu Lasten eines Privatgrundstückes eingetragen war, nicht der Eigentümer, sondern der Dienstbarkeitsberechtigte und Unterhaltungspflichtige, nämlich die Gemeinde, haften sollte. Begründet wurde .dieses Ergebnis damit, daß derjenige, welcher die Anlage erstelle, unterhalte und über sie verfüge, auch dafür haftbar sei lO4 • Obwohl in späteren Entscheidungen stets betont wurde, daß das Abgehen vom Eigentümer als Verpflichteten nur in Sonderfällen. in Betracht käme 105, nämlich insbesondere dann, wenn der Eigentümer zur Ausbesserung rechtlich gar nicht in der Lage sei 106, und ferner die Abweichung - soweit ersichtlich - bisher nur zu Lasten der öffentlichen Hand erfolgte, wird diese Rechtsprechung dahingehend kritisiert, daß sie die mit dem Eigentümerbegriff geschaffene Rechtsklarheit in nicht vorhersehbarer Weise aufweiche lO7 • Ungeachtet dieser Kritik hält man jedoch an der einzelfallweisen Ersetzung des Eigentümer- durch das Halterprinzip festIOs. Parallel zum französischen Recht lO9 ist wiederum die Rückgriffsmöglichkeit nach Art. 58 II OR ausgestaltet, wobei hier neben Architekten und Verkäufern auch Mieter oder Pächter in Rede stehen können llo. Hinsichtlich der Anspruchsberechtigung gilt, wie in der Mehrzahl der hier besprochenen ausländischen Rechtsordnungen, das ,,Jedennanns-Prinzip". Schadensersatz kann also - bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen - im Grundsatz immer derjenige verlangen, der einen Schaden erlitten hat. Eine Trennung nach Grundstücksinhabern und Vorübergehenden, wie sie die römische cautio damni infecti vornahm, geschieht nicht. Indes kann - was deliktsrechtstypisch ist und zu erwähnen fast überflüssig anmutet - ein Mitverschulden zur Anspruchskürzung führen lll . Kommentar zum ORISchnyde?, Art. 58, Rn. 8; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 177f. BGE 91 11, 283ff. 105 z. B. BGE 106 11, 204. 106 BG SJZ 92, S. 170. Dort haftete die für die Wasserversorgung verantwortliche Gemeinde für den Bruch eines Entleerungshahnes einer Wasserzuleitung. 107 Guhl, OR8 , S. 195; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 235. lOS Gegen die Kritik ausdrücklich BG SJZ 92, S. 170. 109 VgI. Art. 1792 C.c. 110 Guhl, OR8, S. 195; Kommentar zum ORISchnyder, Art. 58, Rn. 20. 111 Kommentar zum ORISchnyde?, Art. 58, Rn. 5; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 229, Fn. 350. Zur Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch Alleinverschulden näher unter IV. 103

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III. Haftungsauslösendes Ereignis Art. 58 I OR weicht von der (noch darzustellenden) französischen und der österreichischen Gesetzesdiktion insoweit ab, als daß es nicht darauf ankommt, ob der Schaden auf einem Einsturz beruht. Entscheidend ist vielmehr, daß der Unfall durch einen Mangel des Werkes, der auf fehlerhafte Anlage oder Herstellung oder mangelhafte Unterhaltung zurückzuführen ist l12 , verursacht wurde. Für Mangel und Verursachung obliegt - im Gleichklang mit den übrigen Rechtsordnungen - dem Geschädigten die Erbringung des Beweises. Indes ist es dem Gericht möglich, aus der Schädigung auf den Mangel zu schließen 113. In diesem Punkt zeigt die Schweizer Gebäudehaftung also keine grundlegenden Abweichungen.

Mangelhaftigkeit ist dann anzunehmen, wenn ein Werk nicht die für seinen bestimmungsgemäßen Gebrauch erforderliche Sicherheit bietet" 4 . Zusätzlich wird hierbei die Verkehrsüblichkeit als Maßstab bemüht" 5 • Sofern der Sicherungsaufwand im Verhältnis zu den möglicherweise eintretenden Schäden für den Werkeigentümer eine Unzumutbarkeit bedeuten würde, ist ein Werkmangel abzulehnen 116. Es spielen bei der Mangeleigenschaft mithin nicht nur technische, sondern auch ökonomische Erwägungen eine Rolle ll7 . Umgekehrt steigt der Anspruch an den Eigentümer bezüglich der Mangelfreiheit, je größer der von einem Werk drohende Schaden ist und je leichter sich hiergegen Vorkehrungen treffen lassen" 8 • So werden z. B. bei Gebäuden mit großem Publikumsverkehr äußerst strenge Maßstäbe angelegt 119. Bei der Schweizer Gebäudehaftung führt jeder Mangel prinzipiell zu einem Schadensersatzanspruch, da ein Einsturz oder die Verwirklichung einer aus der Höhe oder Tiefe des Gebäudes resultierenden Gefahr l20 nicht Nicht also beipielsweise höhere Gewalt, siehe OR/Schnyde?, Art. 58, Rn. 14. Kommentar zum OR/Schnyder, Art. 58, Rn. 19; Oftinger/Stark, 11 14 , S.213f. 114 BGE 11611,422 (423ff.); BGE 11711,50 (52); Kommentar zum OR/Schnyder, Art. 58, Rn. 13; Oftinger/Stark, 11 14 , S. 203. 115 BGE 76 11,215; BGE 91 11,201 ff.; Guhl, OR8 , S. 194; v. Tuhr, OR 3 , S. 458. 116 Vgl. BGE 11711, 399ff.; Kommentar zum OR/Schnyde?, Art. 58, Rn. 16; v. Tuhr, OR3 , S. 458 m. w.N. Siehe auch Bezirksgericht Rohrschach SJZ 91, S. 136: Ständige Kontrolle einer Waldstraße auf herüberhängende Äste unzumutbar; Kantonsgericht Graubünden SJZ 91, S. 137: Fortlaufendes Sanden und Splitten eines Weges bei anhaltendem Schneefall unzumutbar. 117 Kommentar zum OR/Schnyde?, Art. 58, Rn. 16. 118 BGE 11711,399 (400); Kommentar zum OR/Schnyde?, Art. 58, Rn. 13. 119 BGE 11811,36 (38f.); BGE 11711,399 (400); Kommentar zum OR/Schnyder, Art. 58, Rn. 17. 120 Anders im österreichischen Recht, s. o. A) III. 112

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verlangt wird. Somit kann eine Haftung für glatte oder unebene Böden, ungenügend gestreute Straßen etc. problemlos begründet werden 12l •

IV. Haftungslnaßstab In der Schweiz wird im Bereich des Haftpflichtrechtes üblicherweise zwischen Verschuldens-, Gefährdungs- und Kausalhaftung getrennt l22 • Die Begriffe der Verschuldens- und Gefährdungshaftung sind von der deutschen Terminologie her geläufig, und einer näheren Einordnung bedarf demgemäß nur die Kausalhaftung. Gegenüber der Verschuldenshaftung zeichnet sich diese dadurch aus, daß mangelnde Urteilsfähigkeit 123 den Schädiger nicht entlastet, Verschulden also entbehrlich ist. Notwendig bleibt aber der Nachweis des charakteristischen Tatbestandsmerkmales der Norm 124 und des Kausalzusammenhanges mit dem Schaden 125. Unter diesen Aspekten stellt sich die Gefährdungshaftung als ein Unterfall der Kausalhaftung dar, angereichert um das Kriterium, daß es sich um per se Gefahren für die Umwelt verursachende Tätigkeiten oder Vorrichtungen handeln muß 126 • Die schweizerische Haftpflichtrechtsdogmatik nimmt mithin die schon anderweitig angedeutete l27 Feindifferenzierung vor, lehnt wegen des erforderlichen Mangelnachweises eine Qualifikation des Art. 58 I OR als Gefährdungshaftungstatbestand ab und läßt das, was v. Bar 128 als objektive Zustandshaftung bezeichnet, unter der Kausalhaftung firmieren 129. Da es sich nicht um eine Haftung für vermutetes Verschulden handelt, kann sich der Eigentümer nicht durch die Einhaltung der notwendigen Sorgfalt von der Inanspruchnahme befreien 130. Dies wird erst bei einer Unterbrechung des Kausalzusammenhanges möglich, wobei die Fälle der höheren Gewalt, des Verhaltens Dritter und des massiven 131 Verschuldens 121 Siehe insoweit die umfangreichen Nachweise zur Judikatur bei Oftinger/ Stark, 11 14 , S. 216f. u. 241 ff. 122 Oftinger, 14 , Allg. Teil, S. 14ff. 123 Vgl. Art. 54 OR. 124 Was bei der Werkhaftung dem Mangel des Werkes entspricht. 125 Oftinger, 14 , Allg. Teil, S. 16. 126 Oftinger, 14 , Allg. Teil. S. 20. 127 Oben § 2 D. 128 Siehe unten zum französischen Recht C V. Fn. 194. 129 Kommentar zum OR/Schnyde? Art. 58. Rn. 3; Ojtinger/Stark, 11 14 • S. 162ff.; Guhl. ORs. S. 193. Abweichend hiervon v. Tuhr. OR3 • S. 456 (Gefährdungshaftung). 130 Kommentar zum OR/Schnyde? Art. 58. Rn. 5. 131 Obergericht Zürich. SJZ 91. S. 137; in der Entscheidung des Appellationshofes des Kantons Bern. SJZ 91. S. 137 wird sogar alleiniges Verschulden des Geschädigten oder des Dritten gefordert.

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des Geschädigten zu nennen sind l32 • In diesem Punkt wendet sich die Gebäudehaftung nach Art. 58 I OR wieder dem französischen Gebäudehaftungsmodell zu. V. Verhältnis zu anderen Tatbeständen

Eine Ergänzung im präventiven Bereich findet die Werkhaftung in Art. 59 I OR, wonach bei drohendem Schaden durch Werke vom Eigentümer sichernde Maßnahmen verlangt werden können. Bezüglich der allgemeinen Verschuldenshaftung nach Art. 41 OR ist anzumerken, daß diese zwar nach überwiegender Ansicht durch Art. 58 I OR verdrängt wird, indes dann wieder aufleben kann, wenn ein Tatbestandsmerkmal der Werkhaftung nicht gegeben ist 133 • Diffiziler stellt sich das Verhältnis zu Art. 679 ZGB dar. Nach dieser Norm kann - neben anderen Rechtsfolgen - auf Schadensersatz geklagt werden, wenn ein Grundeigentümer durch Überschreitung seines Eigentumsrechtes jemanden schädigt. Angesprochen wird hiermit die tatsächliche, nicht die rechtliche Überschreitung des Grundstücksrechtes 134 • Ebenso wie Art. 58 I OR erfordert Art. 679 ZGB kein Verschulden 135 , der Nachweis eines Mangels ist indes nicht Anspruchsbedingung. Nun wird eine konkurrierende Anwendung beider Tatbestände zwar für möglich gehalten 136, allerdings ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wann eine solche Konkurrenz vorliegt. Art. 679 ZGB verpflichtet einerseits in erster Linie den Eigentümer des Grundstückes, anders als bei Art. 58 I OR wurde der Anwendungsbereich jedoch auf dinglich und obligatorisch Berechtigte erweitert 137 • Ferner handelt es sich um eine Norm aus dem Nachbarrecht, und zur Einforderung von Schadensersatz sind damit nur Eigentümer sowie dinglich oder obligatorisch Berechtigte von Nachbargrundstücken befugt; eine bloß momentane Beziehung zum Grundstück genügt nicht 138 • Schließlich bezieht sich der Anspruch aus Art. 679 ZGB typischerweise auf eine Schädigung durch dauernde Beeinträchtigung in Form von Immissionen i.S.d. Art. 684 ZGB I39 , der aus Art. 58 I OR dagegen meist auf ein 132 BGE 81 11, 454; 108 11, 54; 116 11, 422 (427); Guhl, ORs, s. 194; Ojtinger/ Stark, 11 14 , S. 229f. 133 Kommentar zum ORISchnyde?, Art. 58, Rn. 4; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 174 u.204. 134 Tuor/Schnyder, ZGB)), S. 724; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 170. 135 v. Tuhr, OR3 , S. 460; Tuor/Schnyder, ZGB I1 , S. 725f. 136 BGE 91 11,486; III 11,436; Kommentar zum ORISchnyde?, Art. 58, Rn. 2. J37 BGE 104 11, 19ff., wonach daneben aber auch der Eigentümer haften kann; Tuor/Schnyder, ZGB 11, S. 725 m. w. N. 138 BGE 104 11, 18; Tuor/Schnyder, ZGB I1 , S. 724. 139 Tuor/Schnyder, ZGB)), S. 727; Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 170.

C. Frankreich

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Momentanereignis, wobei diese Charakterisierung eben nur typisch, aber nicht zwingend ist l40 • Es läßt sich mithin feststellen, daß eine Konkurrenz der Schadensersatzansprüche des nachbarrechtlichen Art. 679 ZGB mit Art. 58 I OR nur auftritt, wenn ein im Eigentum eines Grundstücksberechtigten stehendes mangelhaftes Werk den an einern anderen Grundstück Berechtigten schädigt l41 •

VI. Zusammenfassung Die Schweizer Gebäude- und Werkhaftung dürfte mit zu den strengsten Bauwerkshaftungen Europas zählen. Sie bezieht sich in vielen Punkten auf das französische Modell, wie es in Art. 1386 C.c. festgehalten ist l42 • Zu nennen sind der 'Eigentümer als Pflichtiger sowie der objektive Charakter der Haftung, welchem beschränkte Entlastungsmöglichkeiten korrespondieren. Ausgesprochen weiten Anwendungsbereich gewinnt die Vorschrift durch den Verzicht auf den Einsturz, es genügt - wie auch im niederländischen Recht l43 - die Schadensverursachung durch einen Baumangel. Der Eigentümer von stabilen Gegenständen hat damit umfangreich für die auftretenden Fehlfunktionen einzustehen. Ob diese Risikozuweisung im genannten Umfang gerechtfertigt ist, kaQn immerhin in Frage gestellt werden. In jedem Fall hat sie den Vorzug der Rechtsklarheit und -einheitlichkeit für sich, weil angesichts der problemlosen Anwendung auf Wasserleitungen, Straßen etc. die Frage der Analogie oder der spezialgesetzlichen Regelung nicht gestellt werden muß.

c.

Frankreich

Als älteste noch in Kraft befindliche europäische Kodifikation der Gebäudehaftung l44 ist Art. 1386 des französischen Code civil zu nennen l45 , welche für viele Rechtsordnungen in Europa Modellcharakter besessen hat l46 und in diesem Zusammenhang deshalb von besonderem Interesse ist. Ojtinger/Stark,II 14 , S. 184 u. 17lf. m.w.N. Bei Ojtinger/Stark, 11 14 , S. 172 findet sich das Beispiel einer fehlerhaft konstruierten und mit dem Boden verbundenen Maschine, welche durch Grobimmissionen Schäden am Nachbarhaus verursacht. 142 Dazu gleich unter C. 143 Dazu unter D. 144 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 235 f. bezeichnet die Gebäudehaftung allgemein als ein Stück zeitloses Deliktsrecht. 14S Vgl. insoweit schon die Ausführungen zum badischen Landrecht im rechtsgeschichtlichen Teil, oben § 2 D. 146 Vgl. nur Art. 1405 des niederländischen B.W. a. F. und Art. 2053 des italienischen C.c. 140 141

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

Art. 1386 C.c. legt fest, daß

"Der Eigentümer eines Gebäudes ... für einen aus dessen Baufalligkeit entstandenen Schaden" haftet, "falls dieser als Folge mangelhafter Unterhaltung oder durch einen Baumangel entstanden ist." I. Verhältnis des Art. 1386 zu Art. 1384 I Alt. 2 C.c. Eine Besonderheit, welche die Entwicklung der französischen Gebäudehaftung gleichsam auf den Kopf stellt, ist die Ausgestaltung der Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs.l Alt. 2 C.c. durch die französische Rechtsprechung, die zum besseren Verständnis den Erläuterungen der einzelnen Tatbestandsmerkmale vorangestellt werden soll. In Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. hat der französische Gesetzgeber festgelegt, daß man (auch) für Sachen haftet, deren Halter man ist. Ursprünglich wurde diesem Passus keine eigenständige Bedeutung zugemessen, sondern darin vielmehr ein Hinweis auf die nachfolgende Tierhalter- und Gebäudehaftung erblickt l47 • Mit fortschreitender Industrialisierung und zunehmender Technisierung, insbesondere in der Arbeitswelt, entstand jedoch das Bedürfnis nach einem für das Opfer leicht zu erlangenden Anspruch im Falle der Schädigung durch Sachen. Zur Erreichung dieses Zieles wurde die bisher eher als "Wegweiser" verstandene Vorschrift durch die Rechtsprechung zu einem eigenständigen Tatbestand ausgebildet l48 , der schließlich in eine verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage mündete, bei welcher der Schädiger eine Enthaftung lediglich durch den Nachweis höherer Gewalt, eines schadensursächlichen Verhaltens des Geschädigten oder eines Dritten erreichen konnte 149. An diesen Grundsätzen hielten die vereinigten Zivilkammern des Kassationshofes fest, fügten jedoch noch hinzu, daß es nicht darauf ankomme, ob der Gegenstand durch menschliche Hand gelenkt werde. Ferner wurde ein besondere Gefahren begründender Mangel desselben für nicht notwendig befunden l50 • Der so ausgeformten Haftungsvermutung ("presomption de responsabilite,,)ISI kommt bis in die heutige Zeit eine gesetzesähnliche Wirkung zu. 141 Dazu ZweigertlKötz 3 , Rechtsvergleichung, S. 664; Malaurie/Aynes 8 , S. 99; TerrelSimlerlLequette6 , S. 585. 148 Zur Entwicklung wiederum ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung 3 , S. 664; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 118 ff. 149 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 122; FeridlSonnenberger, Bd. 11 2, § 4, Rn. 2 0 335ff. m.w.N. ISO Cass. eh. reunies 13. 2. 1930, D. 1930, 1,57 (,,.land' heur"). 151 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 122; Malaurie/Aynes 8 , S. 101 m.N. zur Entwicklung auf S. 99f.

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Eine Einschränkung wird allerdings dahingehend gemacht, daß der Gegenstand "cause generatrice du dommage" gewesen sein muß und keine rein passive Rolle gespielt haben darf152, was dadurch konkretisiert wird, ob sich die Sache an ihrem üblichen Platz befunden hat, oder nicht 153. Zweck dieser Restriktion ist es, solche Fälle aus der Sachhalterhaftung auszugliedern, in denen ein Gegenstand nicht entscheidend an der Rechtsgutsverletzung mitgewirkt hat und es an dem von Art. 1384 Abs. 1 C.c. geforderten "fait de la chose" fehlt l54 . Dabei erscheint die Einordnung dieser Einschränkung mangels eindeutiger Äußerungen der Rechtsprechung problematisch: Zum Teil wird eine Anlehnung an den Adäquanzgedanken, zum Teil aber auch der Anklang eines Verschuldensmomentes angenommen i55 . Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß es sich bei der Sachhalterhaftung nach der Rechtsprechung um einen objektiven Haftungstatbestand handelt l56 , der für den Geschädigten erhebliche Vorteile gegenüber der Verschuldenshaftung aus Art. 1382 c.c. mit sich bringt. Als Sache i. S. d. Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. werden alle körperlichen Gegenstände eingeordnet, für die keine haftungsrechtlichen Sonderregelungen gelten 157. Hinsichtlich des "gardien"-Begriffes wird an die Tierhalterhaftung in Art. 1385 C.c. angeknüpft, wonach - auf einen Nenner gebracht - derjenige zum Sachhalter wird, welcher Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt ist 158 • Beim Eigentümer geht man diesbezüglich von einer widerlegbaren Vermutung aus 159 • 152 Malaurie/Aynes 8 , S. 105; Terre/SimlerlLequette 6 , S. 601; Hübner, VersR 1980, S. 796. 153 Carbonnie?O, S. 432f.; ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung 3 , S. 666. 154 Ferid/Sonnenberger, Bd. 11 2, § 4, Rn. 2 0 318; ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung3 , S. 666f., die das Beispiel des Aufprallens eines Fahrzeuges auf eine Mauer nennen. ISS Für letzteres ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung 3 , S. 667: Der Nachweis des ordnungsgemäßen Zustandes einer Sache ähnele dem des fehlenden Verschuldens. Zur Adäquanz tendieren FeridlSonnenberger, Bd. 112 , § 4, Rn. 2 0 318, wo auf die Vorhersehbarkeit des Schadens abgestellt wird. Zur Beweislastverteilung Ferid/ Sonnenberger, a.a.O., Rn. 20319 m.w.N. 156 ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung3 , S. 667; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 177 m. w. N. 157 FeridlSonnenberger Ie, § 4, Rn. 2 0 31Of., wonach es auf den A~gregatzu­ stand nicht ankommen soll. Ebenso ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung , S. 665; vgl. auch Starck 15 , S. 265 zum Sonderregime; Malaurie/Aynes 8 , S. 102f. 158 Cass. civ. 9. 6. 1993, Sem. Jur. 1994 H, 22.202; Carbonnie?O, S. 429; ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung 3 , S. 667; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 122; FeridlSonnenberger, Bd. 112 , § 4, Rn. 2 0 322 m. w.N., wo die Verfügungsgewalt um das Erfordernis des Gebrauches im eigenen Interesses erweitert wird. 159 Starck 15 , S. 250; Carbonnie?O, S. 429; FeridlSonnenberger, Bd. 11 2 , § 4, Rn. 20323. 5 Petershagen

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Die Skizzierung der Tatbestandsmerkmale der Sachhalterhaftung und ihrer Entwicklung durch die Rechtsprechung läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß es sich um ein relativ weitgefaßtes, einer Gefährdungshaftung äußerst nahekommendes Institut handelt, welches dem Geschädigten eine im Vergleich mit der reinen Verschuldenshaftung recht bequeme Ersatzmöglichkeit bietet, sofern nicht das Prinzip des non-cumul von Delikts- und Vertragsanspruchen l60 gilt. Das Dilemma des französischen Deliktsrechts besteht nun darin, daß man die Haftung für Bauten an sich ohne größere Schwierigkeiten in diese Rechtsfortbildung einbetten könnte l61 , eine Kumulation der Anspruche aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 und Art. 1386 C.c. aber unter Berufung auf die Spezialität des letzteren abgelehnt wird l62 • Die klassische Gebäudehaftung nach Art. 1386 C.c., welche vom Gesetzgeber als Verbesserung gegenüber der einfachen Verschuldenshaftung und als Wohltat für das Unfallopfer gedacht war 163 , erweist sich heute als ein gerufener, aber nicht loszuwerdender Geist, da die Norm schon ihrem Wortlaut nach den für den Geschädigten nicht immer einfachen Beweis eines Baurnangels bzw. der mangelhaften Unterhaltung erfordert l64 und auch der prima-facie-Beweis bei erfolgtem Einsturz 165 kein vollwertiges Äquivalent gegenüber Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. schaffen kann. Vor diesem Hintergrund muß das Bestreben nach einer restriktiven Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 1386 C.C. I66 , welche nachfolgend dargestellt sind, gesehen werden. 11. Haftungsobjekt des Art. 1386 C.c. Art. 1386 c.c. normiert an sich nur eine Haftung für Gebäude, worunter inzwischen aber in erweiterter Auslegung auch sonstige Bauwerke verstanden werden. Gebäude sind mithin fest mit dem Boden verbundene, nicht notwendig zum Wohnen bestimmte und von Menschenhand errichtete BauNäher" dazu unten zu Art. 1386 C.c. So v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, s. 48. 162 Cass. civ. 12. 7. 1966, D. 1966, Jur. 632; Starck 15 , S. 296; v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, S. 48. Kritisch z. B. Benabent, Obligations, S. 302. 163 Dazu Benabent, Obligations, S. 301; Malaurie/Aynei, S. 94; Schreiber, Sachhalterhaftung, S. 7. 164 MalaurielAynei, S. 95; Benabent, Obligations4 , S. 302; ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung 3, S. 665f. IM Dazu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 244, Fn. 1391 m.N. 166 Malaurie/Aynes 8 , S. 94; Benabent, Obligations4 , S. 302; Schreiber, S. 7 m.N. und Kritik de lege ferenda auf S. 8. 160 161

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werke 167 • Eine solche dauerhafte Verbindung wird unter anderem abgelehnt für vorübergehend aufgestellte Baracken oder Gerüste 168 • Diese sind - für den Geschädigten günstiger - nicht dem Regime des Art. 1386 c.c., sondern dem des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. zuzuordnen. Aus dem Kriterium des Herrührens von Menscheilhand läßt sich wiederum schließen, daß natürlich Gewachsenes, insbesondere Bäume, ebenfalls nicht zu den Gebäuden zählt 169• Folgerichtig kann man diesbezüglich ebenso auf die Sachhalterhaftung zurückgreifen 170. Für die öffentlich gewidmeten Straßen und Wege ist hingegen das öffentlich-rechtliche Haftungssystem anzuwenden 171.

m.

Person des Verpflichteten und des Berechtigten

Bei der Person des Verpflichteten wird in der französischen Gebäudehaftung an die Eigentümerstellung angeknüpft, was dem Geschädigten in den meisten Fällen die diesbezügliche Beweisführung erleichtern dürfte 172. Unerheblich ist, ob der Eigentümer zugleich "gardien" des Bauwerkes ist 173 • In konsequenter Fortführung dieser strikten Eigentümerverpflichtung nimmt man· an, daß mit Eintreten des Eigentumsverlustes auch die Haftung entfällt, eine Nachhaftung also nicht existiert 174. Sofern Miteigentum in Rede steht, haftet jeder Miteigentümer für den Schaden 175, wobei für Wohnungseigentum allerdings die Regelung von Art. 14 Abs. 4 des Wohnungseigentumsgesetzes 176 zu beachten ist, nach der bei Einsturz von Gemein161 Malaurie/Aynes 8 , S. 95; FeridlSonnenberger, Bd. le, § 4, Rn. 2 0 348f.; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 237 m. w.N. zur Rspr., nach der auch unterirdische Konstruktionen, wie z. B. Leitungen, genügen, vgl. z. B. Cass. civ. 28. 11. 1949, D. 1950, Jur 105; Cass. civ. 25. 6.1952, D. 1952, Jur 614. 168 Benabent, Obligations4 , S. 301; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 238 m. w. N. 169 Malaurie/Aynes 8 , S. 95; Starck 15 , S. 294f.; FeridlSonnenberger, Bd. 11 2 , § 4, Rn. 20348. 110 Hübner, VersR 1980, S. 796; auch FeridlSonnenberger, Bd. 112, § 4, Rn. 2 0 348. 111 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 245, Fn. 1399 m. w.N. 112 So die Erwägungen zugunsten des Eigentümerprinzips in der Entstehung des deutschen BGB, Prot. 11, S. 655. 113 FeridlSonnenberger, Bd. 112 , § 4, Rn. 2 0 352; v. Bar, Gemeineuropäisches De1iktsrecht, S. 247. Siehe ferner Carbonnie?O, S. 420; Terre/SimlerlLequette6 , S.603. 114 Cass. civ. 3. 3. 1964, D. 1964, Jur. 245; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 247. 115 FeridlSonnenberger, Bd. le, § 4, Rn. 2 0 352; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 247; zur Solidarhaftung v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, S. 51 ff. 116 Loi noo 65-557 du 10 juillet 1965, abgedr. in D. 1965, Ugislation, S. 222ff. Neugefaßt durch loi no O 85-1470, abgedruckt in DS. 1986, Ugislation, S. 141 ff.

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schaftseigentum die Gemeinschaft, bei dem von Sondereigentum aber nur der einzelne haftbar gemacht wird 177. Erwähnung verdient an dieser Stelle noch, daß der Eigentümer nicht zwingend allein den Schaden tragen muß, sondern bei Vorliegen von Baumängeln gegebenenfalls seinerseits gegen den Erbauer oder den Verkäufer Rückgriff nehmen kann 178. Hinsichtlich der Berechtigung zum Ersatz von Schäden findet sich - wie in den meisten modemen Kodifikationen - an sich keine Einschränkung. Eine Ausnahme hiervon kann sich allerdings dann ergeben, wenn zwischen Eigentümer und Geschädigtem zugleich vertragliche Beziehungen bestehen, welche dem Deliktsrecht korrespondierende Schutzpflichten beinhalten, z. B. im Rahmen eines Mietverhältnisses. Nach dem von der französischen Rechtsprechung entwickelten Prinzip des "non-cumul" von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen wird Art. 1386 c.c. in diesem Fall ver·· tl79 . drang IV. Haftungsauslösendes Ereignis

Gehaftet wird für den durch BaufaIligkeit entstandenen Schaden, sofern dieser sich als Folge eines Baumangels oder mangelhafter Unterhaltung erweist. Nach der Interpretation durch die Rechtsprechung ist es genügend, aber auch notwendig, daß ein Gebäude oder ein Teil desselben einstürzt l80 . Auch in Frankreich kann man für einen heruntergefallenen Dachziegel nach den Regeln der Gebäudehaftung zur Verantwortung gezogen werden 181. Es muß sich aber stets um einen Sturz des Bauwerkes oder Werkteils handeln. Die bloße Mangelhaftigkeit oder Funktionsuntüchtigkeit als solche genügt nicht l82 , so daß z.B. glatte oder unebene Böden die Gebäudehaftung nicht auslösen I 83. Am Einsturz soll es auch dann fehlen, wenn die Schädigung auf Bauarbeiten zurückzuführen ist l84 • Daß - wie auch schon beim Gebäudebegriff - mittlerweile ein engerer Terminus des Einsturzes befürwortet Dazu Ferid/Sonnenberger, Bd. le, § 4, Rn. 2 0 352. Siehe Art. 1792 c.c.; Ferid/Sonnenberger, Bd. le, § 4, Rn. 2 0 355 m. w. N. zum Rückgriff gegen Mieter, Pächter u.a. 179 Paris 6. 3. 1952, D. 1952, Jur. 293i vgl. auch Cass. civ. 11. 10. 1967, D. 1968 I, Jur. 106; Ferid/Sonnenberger, Bd. 11 , Rn. 2 0 353; v. Bar/Gotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, s. 14f.; ausführlich v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 429ff. u. S. 249. IBO Cass. civ. 12. 7. 1966, D. 1966, Jur. 632; Carbonniero, S. 419; Benabent, Obligations4 , S. 301. 181 Aix-en-Provence 8. I. 1951, D. 1951, Jur. 223; Benabent, Obligations4 , S. 301. 182 Malaurie!Aynes 8 , S. 95; Benabent, Obligations4 , S. 301; Starck 15 , S. 295. 183 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 241; Starck 15 , S. 295; vgl. auch Malaurie!Aynes 8 , S. 95 m.w.N. 177 178

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wird, um den Weg zur Sachhalterhaftung freizumachen, wurde bereits angedeutet 185 . Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang Gesetzgeber und/oder Rechtsprechung auf die dargestellte Ungereimtheit im französischen Deliktsrechtsgefüge reagieren. Eine Entwicklung in eine für den Geschädigten ungünstige Richtung, die weniger durch normsystematische denn durch rechtspolitische Erwägungen getragen wurde, hat schon in der Vergangenheit stattgefunden. Auf Druck der Versicherungswirtschaft wurde der heutige Art. 1384 Abs. 2 C.c. eingeführt, der bei durch Brand verursachten Schäden eine dem Geschädigten wegen der Beweisschwierigkeiten ungünstige Verschuldenshaftung vorsieht. Art. 1384 Abs. 2 C.c. schließt nun seinerseits die Gebäudehaftung aus 186, was die Unklarheiten im Bereich der Haftung für Gegenstände noch vermehrt. V. Haftungsmaßstab An die Frage des haftungsauslösenden Ereignisses schließt sich wiederum die der Beweislast sowie der Rechtsnatur der Haftung an. Für den Bau- oder Unterhaltungsmangel trägt prinzipiell der Geschädigte die Beweislast 187 . Wie in den meisten Rechtsordnungen wird aber häufig vom Einsturz bzw. der Baufälligkeit auf den Mangel geschlossen1 88 . Sind der Bau- oder Unterhaltungsmangel bewiesen, so kann sich der Eigentümer von der Haftung nur durch den Nachweis höherer Gewalt, der Einwirkung eines Dritten oder einer Mitwirkung des Geschädigten entlasten 189, während dem fehlenden Verschulden des Eigentümers insoweit keine befreiende Wirkung zukommt 190. 184 Malaurie!Aynes B, s. 95; FeridlSonnenberger, Bd. 11 2 , § 4, Rn. 2 0 351 m. w. N.; einschränkend v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242, der das Problem bei der Gefahrverwirklichung ansiedelt und gerade bei Reparaturarbeiten eine Haftung nicht für ausgeschlossen hält. 185 Oben I. Siehe auch Schreiber, S. 7; FeridlSonnenberger, Bd. 11 2 , § 4, Rn. 2 0349. 186 FeridlSonnenberger, Bd. 112, § 4, Rn. 20351 u. 357ff. m.w.N. 187 Cass. civ. 11. 10. 1967, D. 1968, Jur. 106; ferner die in Fn. 164 Genannten; Starck 15 , S. 296. Bewiesen werden muß auch die Kausalkette zwischen Baumangel und Schaden: TerrilSimlerlLequette6 , S. 605. 188 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 244, Fn. 1391 f.; Carbonnie?O, S.419. 189 Starck IS, S. 297ff.; Carbonnie?O, S. 420f.; v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, S. 48, wo auch auf die Fälle des unbefugten Betretens hingewiesen wird. Bei Naturgewalten soll es bereits am Merkmal der mangelhaften Unterhaltung fehlen, so FeridlSonnenberger, Bd. 112 , Rn. 20354. 190 Starck IS , S. 297; Carbonnie?O, S. 420; v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, S. 48; Schreiber, Sachhalterhaftung, S. 8 m. w. N.

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

Nimmt man dies als Fixpunkt hin, so kann das Verschuldensprinzip als Haftungsgrund nicht mehr ernsthaft in Betracht gezogen werden 19l. Aber auch die Annahme einer reinen Risiko- oder Garantiehaftung für das Eigentum trifft den Kern der Sache nicht, weil immer noch ein Mangel baulicher Art und ein daraus resultierender Einsturz hinzuzutreten hat l92 . Ob man diese Haftung nun als Garantiehaftung fur die Folgen eigenen oder fremden Fehlverhaltens 193, oder aber als objektive Zustandshaftung 194 bezeichnen will, ist letztlich nur eine Frage der Terminologie, die an der bestehenden Gemeinsamkeit, der Verschuldensunabhängigkeit der Haftung, nichts ändert. Folgerichtig muß, entsprechend der oben dargestellten Lösung in der Sachhalterhaftung, auch der minderjährige oder aus anderen Gründen schuldunfähige Gebäudeeigentümer für den Baumangel einstehen. Wie schon im österreichischen Recht stellt sich dann die Frage nach der Haftung der Aufsichtspflichtigen, besonders der Eltern nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. für das Unterlassen ihres Kindes, was wegen der dadurch faktisch bewirkten Ausweitung der Gebäudeunterhaltungsverpflichtung nicht unproblematisch erscheint 195 • VI. Zusammenfassung

Die französische Gebäudehaftung hat in zweifacher Hinsicht Modellfunktion. Zum einen wird bei der Pflichtigkeit nicht primär auf die Möglichkeit der Gefahrbeherrschung in der Form des Besitzes bzw. der "garde" abgestellt, sondern es hat sich stets der Eigentümer zu verantworten. Zum anderen enthält Art. 1386 C.c., gemessen arn Verschuldensprinzip, eine strikte Haftung, welche allerdings immerhin den Nachweis eines Baurnangels erfordert. Nimmt man als kennzeichnend für eine Gefahrdungshaftung an, daß hierbei an die erlaubte Setzung einer übermäßigen Gefahr angeknüpft wird l96, so will die Einordnung der französischen Gebäudehaftung in diese Kategorie nicht recht passen, zumal nur der Einsturz und nicht jedweder 191 MalaurielAynes 8 , S. 94; zum Streitstand Schreiber, Sachhalterhaftung, S. 8 m.w.N. 192 MalaurielAynes 8 , S. 94. 193 So v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, S. 48. 194 So v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 245. 19S Zur Elternhaftung im Bereich der "gardien"-Haftung siehe Cass. civ. 10. 2. 1966, D. 1966, Jur. 332. Ablehnend zum Nebeneinander von Halter- und Elternhaftung v. BarlGotthardt, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, S. 34, Fn. 184. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 166 differenziert: Die Eltern sollen nur bei Einsichtsflihigkeit des Minderjährigen haften, da keine Pflicht bestehe, das Kind anzuhalten, andere wie ein Erwachsener vor Gefahren zu schützen. 196 Deutsch, Unerlaubte Handlungen3 , Rn. 7; kritisch LarenziCanaris, SchR Hf 213, § 84 I 2 a).

D. Niederlande

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Mangel haftbar macht 197. Nach überwiegender Ansicht knüpft die Norm jedenfalls nicht an das Verschulden des Eigentümers an, sondern enthält eine objektive Haftung. Ungelöst bleibt nach wie vor der Widerspruch, daß der Schutzumfang des Art. 1386 C.c. durch die extensive Interpretation einer GeneralklauseI übertroffen wurde, da üblicherweise die Gebäudehaftung für den Geschädigten günstiger konzipiert ist als die allgemeine Haftung für den Zustand von Sachen. In diesem Zusammenhang wäre etwa der noch zu besprechende § 836 BGB im Vergleich mit der Haftung für die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht aus § 823 I BGB zu nennen. Zumindest wird aber eine Angleichung des Haftungsmaßstabes zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen vorgenommen, wofür das in der Folge darzustellende neue niederländische Recht mit Art. 6:173 und 6:174 B.W. ein gutes Beispiel bildet 198 .

D. Niederlande Die Entwicklung der Gebäudehaftung in den Niederlanden muß - wie überhaupt das gesamte Burgerlijk Wetboek - unter dem Licht des Einflusses des französischen Code civil betrachtet werden, da mit der Einverleibung durch das napoleonische Frankreich im Jahre 1810 den Unterworfenen diese Kodifikation zunächst aufoktroyiert wurde, aber auch nach der Befreiung von der Fremdherrschaft - wie in einigen Teilen Deutschlands l99 - nach wie vor erheblichen Einfluß behielt und in die neue Gesetzgebung Eingang fand 2°O. So enthielt Art. 1405 des alten B.W. von 1838 eine dem Art. 1386 des französischen C.c. praktisch gleichlautende Bestimmung, wonach der Eigentümer eines Gebäudes für dessen ganzen oder teilweisen Einsturz haftete, "wenn dieser auf eine Unterhaltspflichtverletzung oder auf einen Konstruktions- oder Baufehler zurückzuführen ist,,201. Überwiegend nahm man 197 Vgl. auch § 7 11 StVG, wo der technische Mangel des Kraftfahrzeuges den Entlastungsbeweis gerade ausschließt. Gelen eine reine Risikohaftung für Eigentum aus diesem Grunde auch Malaurie/Aynes , S. 94. 198 Die beim Sondertatbestand des § l318 ABGB diesbezüglich bestehende Unstimmigkeit im österreichischen Recht ist unter A I 2 und V bereits angesprochen worden. 199 Vgl. oben § 2 D. 200 Zur Geschichte des Burgerlijk Wetboek siehe Voss, Fahrlässiges Delikt, S. 117 f.; ferner v. Bar/Hondius/van Dam, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Niederlande, S. 7. 201 Die gesamte Bestimmung findet sich abgedruckt bei Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 125. .

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

hier einen verschuldensunabhängigen Tatbestand an 202 . Um zu einer möglichst umfassenden Haftung zu kommen, wurde jedoch der Begriff des Gebäudes 203 und der des Einsturzes 204 weit ausgelegt. Die modeme niederländische Gesetzgebung hat nun diese extensive Entwicklung rezipiert und in Art. 6: 174 des Deliktsrechtes des neuen Burgerlijk Wetboek, das am 1.1. 1992 in Kraft getreten ist 205 , niedergelegt. Art. 6:174 Abs. 1 des neuen B.W. bestimmt: "Der Besitzer eines Bauwerkes, das den Anforderungen, die man unter den gegebenen Umständen stellen darf, nicht genügt, und dadurch eine Gefahr für Personen oder Sachen darstellt, haftet, wenn sich diese Gefahr verwirklicht, es sei denn, daß die Haftung aufgrund des vorhergehenden Abschnittes auch dann entfiele, wenn er diese Gefahr zum Zeitpunkt ihres Entstehens gekannt hätte".

I. Haftungsobjekt Anders als im alten B. W. beschränkt sich die Haftung nicht mehr allein auf Gebäude, sondern erstreckt sich allgemein auf Bauwerke. Eine Legaldefinition des "opstal" bringt Art. 6:174 Abs. 3 des neuen B.W. Hiernach sind unter Bauwerken "Gebäude oder Einrichtungen zu verstehen, die dauerhaft mit dem Boden verbunden sind, sei es unmittelbar oder durch Verbindung mit anderen Gebäuden oder Einrichtungen". Einerseits kommt es entscheidend auf die dauerhafte Verbindung mit dem Boden an, so daß Baugerüste oder Zelte aus dem Werkbegriff herausfallen 206 • Andererseits 202 Hohlbein, S. 35 unter Verweis auf H.R. 29. 5. 1925, NedJur 1925, S. 750; siehe auch H.R. 28. 6. 1951, NedJur 1952, S. 985 (986). 203 Nach H.R. 29. 5. 1925, NedJur 1925, S. 750 fällt hierunter alles, was durch Bauen hergestellt wird. Siehe ferner v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 237 m.N. zur Rechtsprechung, die u.a. auch Grabsteine und Wasserleitungen zu den Gebäuden LS.d. Art. 1405 B.W. a.F. zählte. Überwiegend hat man für das Bauwerk verlangt, daß es seiner Bestimmung nach dauerhaft an einem Platz bleiben soll: Hankamp, Verbintenissenrecht, S. 171; Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 33 m.w.N. In Art. 6:174 des neuen B.W. manifestiert sich diese Tendenz der Rechtsprechung, vgl. Jonas, Haftung für Sachen, S. 111 (noch zum Gesetzesentwurf). 204 Dazu Hankamp, Verbintenissenrecht, S. 172; Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 34 mit Hinweis auf H.R. 28. 6. 1951, NJ 1952, S. 985, wo das Herabstürzen einer Feuerleiter für den Einsturz genügte. 20S Hierzu v. Bar/Hondius/van Dam, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Niederlande, S. 7; Vranken, AcP 191 (1991), S. 412. 206 Hankamp, Verbintenissenrecht, S. 172; Jonas, Haftung für Sachen, S. 112f., der darauf hinweist, daß - im Gegensatz zur sachenrechtlichen - eine rein mechanische Verbindung genügt, und ansonsten die Absicht der dauerhaften Aufstellung als entscheidend herausstellt; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 238, Fn.1356.

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ergibt sich mittelbar aus dem Kreis der Anspruchsverpflichteten in Art. 6:174 Abs. 2 B.W., daß auch für mit einem Gebäude wenig Gemeinsamkeiten aufweisende Gegenstände wie Leitungen 207 und Straßen208 gehaftet wird. Die Haftung für öffentliche Straßen wird durch Art. 6: 174 Abs. 5 dahingehend spezifiziert, daß darunter sowohl der Straßenkörper als auch die Ausstattung der Straße zu verstehen ist. Von der Bauwerkshaftung ausgenommen sind dagegen Bäume, Pflanzen und anderes Gewachsenes 209 . Sollte die Werkeigenschaft mangels einer dauerhaften Verbindung mit Grund und Boden verneint werden, ist immer noch eine vom Haftungsmaßstab her kongruente Verantwortlichkeit für besondere Gefahren bergende bewegliche Sachen nach Art. 6:173 B.W. in die Überlegungen einzubeziehen 21O• 11. Person des Verpflichteten und des Berechtigten

Hinsichtlich der Berechtigung hat sich auch im neuen Gesetz nichts geändert. Berechtigt wird also prinzipiell jeder, der durch den Mangel eines Bauwerkes von einem Schaden betroffen wird. Verantwortlich ist nach Art. 6:174 B.W., anders als in Art. 1405 B.W. a. F., in erster Linie der Besitzer, wobei man hierunter den Eigenbesitzer211 zu verstehen hat212 . Um dem Geschädigten den diesbezüglichen Beweis zu erleichtern, stellt Art. 6:174 Abs. 4 B.W. die Vermutung auf, daß der als Eigentümer des Grundstückes oder Bauwerkes Eingetragene auch dessen Besitzer see l3 • Art. 6:174 Abs. 2 B.W. enthält aber eine Ausnahme von dieser Grundregel. So haftet im Falle der Erbpacht der Besitzer des Erbpachtrechts214 , bei öffentlichen Straßen die Straßenbaubehörde und bei Leitungen deren VerDazu Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 172 mit weiteren Beispielen. Siehe auch v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 246. 209 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 136 und 247, Fn. 1409 m.N., es soll bei der allgemeinen Verschuldenshaftung verbleiben; Jonas, Haftung für Sachen, S. 112, Fn. 201: Bäume sind einerseits nicht künstlich geschaffen, somit kein Bauwerk, andererseits aber auch keine bewegliche Sache i.S.d. Art. 6:173 B.W. (= Art. 6:325 des Entwurfes). Schon während der Geltung des alten B.W. wurde die Gebäudehaftung für Bäume abgelehnt, siehe Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 172. 210 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 238, Fn. 1356 für Gerüste; vgl. auch Jonas, Haftung für Sachen, S. 112, noch zum Gesetzesentwurf. 211 Art. 3:107 B.W. 212 Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 176; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 249. Eigenbesitz kann gern. Art. 3:107 B.W. sowohl unmittelbarer, als auch mittelbarer Art sein. 213 Dazu Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 103 (noch zum Entwurf); v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 249. Gemäß Art. 6:180 Abs. 1 B.W. haften Mitbesitzer gesamtschuldnerisch. 207

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walter. Für Leitungen, welche sich in einem Werk, d. h. Gebäude oder Einrichtung, befinden und dessen Ver- oder Entsorgung dienen, verbleibt es allerdings bei der Haftung des Besitzers215 und ebenso muß konsequenterweise für als Werk zu qualifizierende Privatwege entschieden werden. Eine weitere Ausnahme von der Verantwortlichkeit des Besitzers normiert schließlich Art. 6:181 B.W., wonach die Haftung für Bauwerke, welche in Ausübung eines Gewerbes genutzt werden, den Gewerbetreibenden trifft, sofern der Schaden mit der Gewerbeausübung in Zusammenhang steht. In diesem Fall tritt die Verantwortlichkeit des Gewerbetreibenden an die Stelle derer des Eigenbesitzers bzw. des in Art. 6: 174 Abs. 2, S. 1 B.W. genannten Erbpachtbesitzers216•

ID. Haftungsauslösendes Ereignis Eine wesentliche - und möglicherweise für andere europäische Rechtsordnungen wegweisende - Neuerung bringt das Gesetz in bezug auf das haftungsauslösende Ereignis. Der Besitzer haftet jetzt allgemein für sein Bauwerk, wenn es den Anforderungen, die man unter den gegebenen Umständen stellen darf, nicht genügt und dadurch eine Gefahr für Personen oder Sachen darstellt. Anders als bei dem am französischen Code civil ausgerichteten Art. 1405 B.W. a.F. ist ein auf einem Konstruktions- oder Unterhaltungsfehler beruhender ganzer oder teilweiser Einsturz nicht mehr erforderlich, weshalb z. B. die durch eine Bodenabsenkung verursachte Explosion einer Gasleitung nach neuem niederländischen Recht einen Anspruch auslösen sole l7 • Allgemeiner gesprochen können nun Bauwerksmängel aller Art, welche einen Schaden verursachen, zu einem Anspruch führen 218 • 214 Nicht aber der Nießbraucher, da dieser anders als der Erbpachtsberechtigte nicht verpflichtet ist, die außergewöhnlichen Kosten der Sache zu tragen: Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 176; Jonas, Haftung für Sachen, S. 117 f. 215 Vgl. Art. 6:174 Abs. 2, S. 2, Halbsatz 2; Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 176; Jonas, Haftung für Sachen, S. 118. 216 Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 177; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 249. 217 Beispiel nach Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 174. Anders wird dies im deutschen Recht gehandhabt, vgl. nur RGZ 172, 156 (161), näher dazu unten in § 4. 218 Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 119; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242, der allgemeiner von einem verkehrsunsicheren Zustand spricht; Jonas, Haftung für Sachen, S. 114, will eine wertende Betrachtung vornehmen, Sicherheitsvorschriften sollen Indizwirkung haben, a. a. 0., S. 73 f. Ob finanzielle Engpässe der Straßenbaubehörde der Mangelhaftigkeit einer Straße entgegenstehen, erscheint angesichts des sonst objektiven Maßstabes der Norm fragwürdig, dagegen Jonas, a.a.O., S. 119 m.w.N.

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IV. Haftungsmaßstab Eine mit dem haftungsauslösenden Ereignis eng verbundene Frage ist die der Beweislast und der Rechtsnatur der Haftung. Als Ausgangspunkt ist die Verschuldensunabhängigkeit von Art. 6:174 B.W. zu fixieren 219 • Häufig wird angemerkt, daß es sich um einen Gefährdungshaftungstatbestand handele 22o• Problematisch an dieser Ansicht ist indes, daß der Wortlaut der Norm die Verwirklichung einer Gefahr, welche aus dem Zurückbleiben hinter den baulichen Erfordernissen resultiert, verlangt. Anders als bei der Gefährdungshaftung, die typischerweise an ein generell als gefährlich zu qualifizierendes Verhalten, wie z. B. Autofahren, anknüpft221 , müßte dieser Mangel und dessen Ursächlichkeit für den Schaden an sich noch dargelegt werden222 • ' Unter Geltung des alten Gesetzbuches war allerdings anerkannt, daß ein Einsturz den Baumangel und dessen Ursächlichkeit für den Schaden indizieren konnte 223 • Ein prima-facie-Beweis dürfte auch im neuen Recht zumindest bei Vorliegen eines Einsturzes nach wie vor eingreifen224, so daß der niederländische Gesetzgeber durch den Verzicht auf das Erfordernis des Einsturzes einer lupenreinen Gefahrdungshaftung für Bauwerke immerhin recht nahegekommen ist. Wie auch im französischen Recht läßt sich diese Verantwortlichkeit aber wohl immer noch zutreffender als objekti ve Zustandshaftung charakterisieren225 • V. Entlastungsmöglichkeit Die objektive Haftung für Bauwerke im niederländischen B.W. besteht allerdings nicht uneingeschränkt. So haftet der Eigenbesitzer nach der sog. "tenzij" (= es sei denn)-Klausel des Art. 6:174 Abs. 1 B.W. nicht, sofern sich eine Haftung nach dem, allgemeine Vorschriften über unerlaubte Handlungen enthaltenden, vorhergehenden Abschnitt' auch dann nicht ergäbe, 219 v. BarlHondiuslvan Dam, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Niederlande, S. 12; Vranken, AcP 1991 (191), S. 420; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S.245. 220 v. BarlHondiuslvan Dam, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Niederlande, S. 12; Vranken, AcP 1991 (191), S. 421. 221 Vgl. schon die Ausführung zum französischen Recht, oben C VI. 222 Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 71, noch zum Gesetzesentwurf; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 243, Fn. 1390. 223 HR 29.5. 1925, NedJur 1925, S. 750; Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 173. 224 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 243, Fn. 1390; Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 71, der aber auf Seite 73 ebenfalls von einer Gefahrdungshaftung ' spricht; Jonas, Haftung für Sachen, S. 115, Fn. 212. 2~ v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 245.

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wenn der Besitzer die durch den Mangel begründete Gefahr im Zeitpunkt ihres Entstehens gekannt hätte. Mit diesem beim ersten Lesen nicht unbedingt eingängigen Vorbehalt soll bewirkt werden, daß der Pflichtige in den Fällen höherer Gewalt nicht für entstandene Personen- oder Sachschäden226 einstehen muß227 , wozu auch die Konstellation gehört, daß der Geschädigte den gefahrbringenden Zustand selbst in rechtswidriger Weise verursacht hat228 . Zugleich wird aber auch auf die in Art. 6:163 B.W. gesetzlich niedergelegte Schutznormlehre229 verwiesen 23o. Daß die "tenzij"-Klausel dennoch nichts arn objektiven Maßstab der Norm ändern soll, erschließt sich unter anderem aus Art. 6: 181 Abs. 1 B.W., wonach sich der Verantwortliche weder auf sein jugendliches Alter, noch auf geistige oder körperliche Gebrechen berufen kann. Mangelnde Zurechnungsfähigkeit23I entlastet den Besitzer des Bauwerkes also nicht. Anders als bei der Halterhaftung für gefahrbergende bewegliche Sachen oder der Tierhalterhaftung tritt auch nicht die Verantwortlichkeit des Aufsichtspflichtigen an die Stelle derer des Minderjährigen unter 14 Jahren, da Art. 6:183 Abs. 2 B.W. (anders als beispielsweise Art. 6:180 Abs.l und 6:181 Abs. 1 B.W.) die Bauwerkshaftung nicht erwähnt232 . Der niederländische Gesetzgeber hat sich damit des in anderen Rechtsordnungen noch ungelösten Problems der Aufsichtshaftung für minderjährige Gebäudehalter ausdrücklich angenommen.

226 Reine Vennögensschäden sind nicht ersatzfahig, dies soll sich schon daraus ergeben, daß der Mangel eine Gefahr für Personen oder Sachen bilden muß: Jonas, Haftung für Sachen, S. 115 f. 227 Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 175; Vranken, AcP 1991 (191), S. 423, der zusätzlich einen Verweis auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr annimmt; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 244 m. w. N. 228 Hartkamp, Verbintenissenrecht, S. 175, der auch eine Unterscheidung zwischen Besuchern und unbefugt Betretenden macht. 229 Nach Art. 6:163 B.W. besteht keine Verpflichtung zum Schadensersatz, wenn die übertretene Nonn nicht gegen einen solchen Schaden schützt, wie ihn der Geschädigte erlitten hat. 230 Vranken, AcP 1991 (191), S. 423 nimmt darüber hinaus einen allgemeinen Verweis auf die Regeln des Schadensersatzrechtes an. 231 Das Verschulden im engeren Sinn, d. h. die Vorwerfbarkeit, bildet nach der neuen Gesetzeslage neben Gesetz und Verkehrsauffassung nur einen der Gründe für die Zurechnung, Art. 6:162 Abs. 3 B.W.; dazu v. BarlHondiuslvan Dam, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Niederlande, S. 9; Vranken, AcP 1991 (191), S. 416. 232 v. Bar, Gemeineuropäisches De1iktsrecht, S. 163f. m. w.N., auch eine Haftung aus Art. 6:169 B.W. soll entfallen; mißverständlich Vranken, AcP 1991 (191), S. 421.

E. England

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VI. Zusammenfassung Das niederländische Recht legt im Bereich der Gebäude- und Werkhaftung einen objektiven Maßstab an. Recht weit gefaßt erscheint auch das haftungsauslösende Ereignis, da das Gesetz auf das Merkmal des Einsturzes ganz verzichtet hat, was einerseits unliebsame Differenzierungen in Grenzfällen vermeidet und damit zur Schaffung von Rechtsklarheit beiträgt233 , andererseits aber das Schadensrisiko erheblich zu Lasten des Bauwerkbesitzers ausdehnt. Positiv zu erwähnen ist - wiederum unter dem Aspekt der Rechtsklarheit - die ausführliche Normgestaltung, der sich das neue Gesetzbuch befleißigt. Neben der Haftungsproblematik bei Minderjährigen ist insbesondere die Legaldefinition des Bauwerkes, gekennzeichnet durch eine dauerhafte Verbindung, zu erwähnen, wobei allerdings immer die Alternative einer objektiven Haftung nach Art. 6:173 B.W. ins Kalkül gezogen werden muß, eine Erweiterung der Haftung also auch in diese Richtung bestehen kann 234 • Als Motiv steht hinter dieser insgesamt umfangreich ausgestalteten Haftung neben der Billigkeitserwägung der Beweisnot des Geschädigten ebenso die Überlegung, daß es in den Niederlanden für einen Werkbesitzer relativ günstige Möglichkeiten gibt, sich gegen derartige Risiken zu versichern und den Schaden auf diese Art und Weise auf einen finanzkräftigen Versicherer abzuwälzen235 •

E. England Das englische tort-law nimmt sich der Gebäudehaftung in zweifacher Hinsicht in untypischer Weise an. Zum einen wird, wie noch zu zeigen ist, in Divergenz zu der Mehrzahl der kontinental-europäischen Kodifikationen nicht nur das Bauwerk und dessen Einsturz zum Ausgangspunkt der Haftung gewählt, sondern überwiegend an das gesamte Grundstück zuzüglich der darauf befindlichen Gegenstände angeknüpft. Zum anderen zeigt sich rechtssystemintern die Besonderheit, daß geschriebenes Recht in ungewöhnlicher Dichte zur Handhabung der Materie geschaffen wurde. Indes muß die zuletzt gemachte Aussage dahingehend modifiziert werden, daß die Gesetze, welche die Haftung für Bauten betreffen, zum Teil nur der Spezifizierung der common-law- Tatbestände dienen und überdies letztere neben 233 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242 f. mißt dem niederländischen Recht insofern Modellcharakter bei. 234 Zustimmend zu diesem Gleichklang des Haftungsmaßstabes für bewegliche und unbewegliche Sachen v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 244 f. 23S Hohlbein, Neuere Entwicklung, S. 73; Vranken, AcP 1991 (191), S. 420.

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ersteren zur Anwendung kommen können. Namentlich mit den Tatbeständen der negligence und nuisance ergeben sich Überlappungen, die nicht immer leicht zu erfassen sind. Zur anschaulicheren Darstellung dieses Geflechtes von common-law und gesetztem Recht orientiert sich die Darstellung in der Folge nicht streng an der bisher gewohnten Aufteilung nach Haftungsobjekt, Verpflichteten, Berechtigten usw., sondern es werden die einzelnen torts der Reihe nach aufgeführt und in ihren Haftungsvoraussetzungen diskutiert.

I. Haftung des Grundstücksbesitzers nach den Occupiers' Liability Acts von 1957 und 1984 Um die Regelungen der Occupiers' Liability Acts von 1957 und 1984 nachzuvollziehen, muß man sich zunächst den vormals und auch heute noch subsidiär geltenden Rechtszustand im common-law vergegenwärtigen. Eine generelle Haftung für das - im Bereich der Gebäudehaftung unter rechtsvergleichenden Aspekten besonders interessierende - Unterlassen nach negligence gab und gibt es nicht236• Ähnlich der Situation bei den Verkehrssicherungspflichten im deutschen Recht bedarf es besonderer Umstände, um eine entsprechende duty zu begründen237 • Als pflichtenbegründend anerkannt ist indes die Herrschaft über ein Grundstück, woraus eine gewisse Verantwortlichkeit des Inhabers sowohl gegenüber Personen auf dem Grundstück, als auch außerhalb dessen resultiert238 . Vor Erlaß des Occupiers' Liability Act von 1957 nahm das common-law eine differenzierte Einteilung des Haftungsumfanges abhängig von der Zugehörigkeit zu verschiedenen Personenkategorien vor. So konnten zunächst einmal nur außerhalb des Grundstückes geschädigte Personen sowohl aus negligence als auch aus nuisance klagen239 • Für diejenigen, welche beim Betreten des Grundstückes, also in der Machtsphäre des Grundstücksinhabers, geschädigt wurden, war jedoch eine sorgfaltige Abstufung der duty 0/ care vorgesehen. Sofern jemand zum Zwecke der 236 Neuerdings dezidiert Smith v. Littlewoods Organisation Ltd. {l987J 2 A.C. 241 (247); Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 7-28. 237 Baker, Tort6 , S. 140ff. Solche besonderen Umstände sind u.a. gegeben, wenn das Unterlassen von einem Tun begleitet wird oder ein verantwortungsbegründendes Verhalten vorausging, wie z. B. im Fall Mercer v. South Eastem and Chatham Railway Companies' Managing Committee {1922J 2 K.B. 549, wo sich der Kläger auf die sonst übliche Praxis der beklagten Eisenbahngesellschaft verlassen hatte, bei Herannahen eines Zuges die Schranken zu schließen, dies aber nicht geschehen war. 238 Zu letzterem Goldman v. Hargrave {1967J 1 A.C. 645; Leakey v. National Trust { 1980J Q.B. 485; Baker, Tort6 , S. 141. 239 Baker, Tort6 , S. 234.

E. England

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Erfüllung eines Vertrages Zutritt erhielt, wurde der vertragliche Sorgfaltsmaßstab angelegt oder in Ermangelung dessen eine Sorgfaltspflicht mit dem Inhalt, Grundstück und Gebäude in einem für die Vertragszwecke vernünftigerweise zu erwartenden sicheren Zustand zu erhalten, angenommen240 • Entscheidender Beweggrund für die Schaffung der beiden Occupiers' Liability Acts war aber, worauf im Rahmen von deren Erläuterung noch zurückgekommen wird, die im übrigen vorgenommene Einteilung der Besucher in invitees, licensees und trespassers 241 • Der invitee, welchem ein größeres Maß an Sorgfalt geschuldet wurde, zeichnete sich dadurch aus, daß er nicht nur die Erlaubnis des Grundstücksinhabers zum Betreten besaß, sondern dieses Betreten auch gerade im Interesse des letzteren lag. Als Schulbeispiel hierfür kann der Eintritt eines Kunden in ein Geschäft gelten 242 . Der licensee unterschied sich vom invitee dadurch, daß er zwar eine ausdrückliche oder konkludente Betretungsbefugnis hatte, der occupier einem solchen Betreten aber neutral gegenüberstand, wie z. B. bei Duldung der Nutzung eines Pfades auf einem Privatgrundstück als Abkürzung. Ein solcher licensee mußte lediglich auf verborgene Gefahren aufmerksam gemacht werden243 • Anzumerken ist, daß sich diese Pflichtenabstufung von invitee zu licensee nur auf aus dem Zustand der premises resultierende Pflichten bezog, während Aktivitäten auf dem Grundbesitz, wie z. B. Autofahren, Schießen etc. einem einheitlichen Sorgfaltsmaßstab unterlagen 244 • Das geringste Maß an Sorgfalt seitens des Inhabers war schließlich einem trespasser, also einem unbefugt Betretenden, geschuldet. Bis 1972 mußten diesem gegenüber lediglich bewußte oder grob fahrlässige schädigende Handlungen vermieden werden245 • Mit der Entscheidung British Railways Board v. Herrington 246 etablierte sich indes eine duty 0/ common humanity, welche sich nach der Schwere der Gefahr, den Anhaltspunkten für ein unbefugtes Betreten und den finanziellen Ressourcen des occupier 240 Pannett, Torts 8 , S. 79; Baker, Tort6 , S. 235; Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 512 sprechen von einem "requirement of positive action" des occupier. 241 Siehe hierzu die dezidierten Ausführungen in Latham v. Johnson (R.) & Nephew Ltd. {l9J3] 1 K.B. 398 (410); Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 7-04. 242 Baker, Tort6 , S. 235; Pannett, Torts 8 , S. 79. 243 Baker, Tort6 , S. 235; Pannett, Torts 8 , S. 79. 244 Slater v. Clay Cross Co. Ltd. {l956] 2 Q.B. 264; Riden v. A.C. Billings & Sons Ltd. [1957~ 1 Q.B. 46 (56); Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10. . 03; Cooke/Oughton, Obligations, S. 513. 24S Robert Addie & Sons (Collieries) Ltd. v. Dumbreck {l929] A.C. 358 (365) (Lard Hailsham); Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 518. 246 {l972] A.C. 877. Dort war ein Kind durch ein Loch des Zaunes einer Bahnlinie auf dieselbe gelangt und verletzt worden. Entscheidend wirkte sich aus, daß der Bahngesellschaft die Schadhaftigkeit des Zaunes und das dortige Spielen von Kindern bekannt war.

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bemaß247 , wobei ein subjektives Gepräge der Haftung nicht zu verkennen ist. Mit der richterlichen Einführung dieses humanity-Kriteriums erübrigten sich immerhin die Windungen der Rechtsprechung zur Aushebelung der als zu rigide empfundenen trespasser-Doktrin. So hatte man unter anderem zugunsten von Kindern eine inzidente Betretungsbefugnis unterstellt, wenn der Inhaber eine für diese verlockende Gefahrenquelle besaß und mit dem Zutritt rechnen mußte248 . 1. Der Occupiers' Liability Act von 1957

Bei dem Occupiers' Liability Act von 1957 handelt es sich um eine gesetzliche Ausformung der common-law-negligence249 • Genauer formuliert wird im Rahmen des negligence-Tatbestandes eine duty 01 care statuiert, welche an die Stelle der common-law-duty treten soll250. a) Person des Berechtigten Mit der Person des Berechtigten ist zugleich die Hauptintention angesprochen, die unliebsam gewordene Unterteilung in invitees und licensees einzuebnen251. Folgerichtig wird zur Ausfüllung des Begriffes visitor auf die Regeln des common-law rekurriert252 und schlicht der invitee und licen247 British Railways Board v. Herrington [1972J A.c. 877; Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 519; Pannett, TortS, S. 89. 248 Glasgow Corp. v. Taylor [1922J 1 A.C. 44. (Verzehr von giftigen Beeren auf dem Grundstück des Beklagten). Eine inzidente Betretungsbefugnis und damit eine Ausnahme von der trespasser-Regel wurde auch bei Kenntnis des fortlaufenden un. befugten Betretens an~enommen: Cooke/Oughton, Obligations 2 , S. 518; ausführlich Clerk & LindseIl, Tort 7, Rn. 10-72 m. w. N. 249 Stanton, Tort, S. 193: "Species of negligence liability"; Baker, Tort6 , S. 234. 250 Sect. 1 (preliminary) (1) OLA 1957 formuliert das so: "The rules enacted by the next two following sections shall have effect, in place of the rules of the common law, to regulate the duty which an occupier of premises owes to his visitors in respect of dangers due to the state of the premises or to things done or omitted to be done on them": Siehe auch sect. 1 (2): "The rules so enacted shall regulate the nature of the duty imposed by law in consequence of a person's occupation or control of premises ... "; Baker, Tort6 , S. 236. 251 Sect. 1 (2) Halbsatz 2 OLA 1957: " ... accordingly for the purpose of the rules so enacted the persons who are to be treated as an occupier and as his visitors are the same as the persons who would at common law be treated as an occupier and his invitees and licensees ... "; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-02; v. Bar, Gemeineuropäisches De1iktsrecht, S. 360. 252 Sect. 1 (2) Halbsatz 1 OLA 1957: " ... but they shall not alter the rules of the common law as to the persons, on whom a duty is so imposed or to whom it is owed ... "; so auch Greenhalgh v. British Railways Board [1969J 2 Q.B. 286 (292).

E. England

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see im visitor-Begriff verschmolzen253 • Begünstigt sind auch die kraft Vertrags mit dem occupier Betretungsberechtigten. Allerdings sind bei der Haftung vorrangige vertragliche Regeln zu beachten254 . Hinzu kommen noch solche Personen, denen kraft Gesetzes ein Betretungsrecht zusteht, wie beispielsweise Polizei beamte mit Durchsuchungsbefehl oder Angestellte der öffentlichen Gas- oder Wasserwerke. Auf ein Einverständnis des occupier kommt es in diesen Fällen nicht an 255 .

Gehalten hat sich im übrigen der Grundsatz, daß ein visitor nur im Rahmen seiner Besuchszwecke als solcher behandelt wird und bei deren sowohl bewußtem als auch unbewußtem Überschreiten - zum trespasser wird 256 . Nicht unter den OLA 1957 fallen solche Personen, die öffentliche oder private Wegerechte nutzen257 • Bei privaten Wegen bleibt indes eine Haftung nach dem OLA 1984 denkbar, während sect. 1 (7) OLA 1984 diese Möglichkeit für öffentliche Wege ausschließt258 . Grund für diese Haftungsprivilegierung des Verpflichteten dürfte neben dem formalen Argument, daß derjenige, welcher den Zugang wegen eines Rechtes dulden muß, gerade keine Erlaubnis erteilt259 , der sein, den occupier gegenüber einer für ihn nicht 253 Greenhalgh v. British Railways Board [1969J 2 Q.B. 286; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-14. 254 Sect. 5 (1) OLA 1957; Baker, Tort6 , S. 244; Buckley, Negligence, S. 307. Bei Winfield & Jolowicz, Tort l4 , S. 226, Fn. 14 wird darauf hingewiesen, daß dies bezüglich Körperverletzungen wegen des Haftungsausschlußverbotes von sect. 2 UTCA 1977 meist dem Geschädigten günstigere Regeln sein werden. 255 Sect. 2 (6) OLA 1957; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-23; Pannett, Tort8 , S.82. 256 Vgl. sect. 2 (2) OLA 1957: duty "to see that the visitor will be reasonably safe in using the premises for the purposes for which he is invited or pennitted by the occupier to be there"; Pannett, Tort8 , S. 81; zum common law: Mersey Docks and Harbour Board v. Procter {1923J A.C. 253 (Verirren im Nebel). Bei Kindern kann dieser Statuswechsel durch das schon bekannte Institut des allurements, also des Besitzes von bekanntennaßen verlockenden Gefahrenquellen, umgangen werden: Stanton, Tort, S. 197 m.w.N. 257 Me Geown v. Nonhem Ireland Housing Executive {1995J 1 A.C. 233; Holden v. White {1982J Q.B. 679; Greenhalgh v. British Railways Board {1969J 2 Q.B. 286; Stanton, Tort, S. 196. 258 Buckley, Negligence, S. 313; Cooke, Tort3 , S. 141; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-24 f. Bei öffentlich unterhaltenen Straßen obliegt der Straßenverwaltung eine Pflicht nach dem Highways Act 1980: Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-13; Buckley, Negligence, S. 321 f., ebendort auch zur Haftung des Inhabers eines mit einem öffentlichen Wegerecht belasteten Grundstückes nach common-law-Grundsätzen. 259 Vgl. Holden v. White [1982J Q.B. 679. In diese Richtung weist auch sect. 2 (6) OLA 1957, wo die gesetzlich Betretungsbefugten als geschützte Personen gerade gesondert aufgeführt werden, also nicht schon per se als visitor zählen. 6 Pe.. rshagen

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unbedingt überschaubaren Zahl von Personen vor zu weitgehenden Sicherungspflichten zu bewahren260• Bemerkenswert ist schließlich, daß der Aktivlegitimierte neben Personenauch Eigentumsschäden einklagen kann, und zwar auch dann, wenn das Eigentum eines anderen als des Besuchers betroffen war61 • b) Person des occupier Eine Verzahnung des OLA 1957 mit den allgemeinen negligence-Grundsätzen findet ebenso bei der Bestimmung der Person des Verpflichteten statt. Der occupier wird nicht legal definiert und somit besitzt die Rechtsprechung von vor 1957 diesbezüglich nach wie vor ihre Gültigkeit262 . Occupation setzt nicht unbedingt physischen Besitz oder gar Eigenbesitz an dem Haftungsobjekt voraus263 • In Wheat v. E. Lacon & Co. Ltd. 264 wird ausgeführt, daß occupier jeder ist, der "... a sufficient degree of control over premises to be able to ensure their safety ..." hat. Es kommt also auf die Einwirkungsmöglichkeiten zur Gefahrvermeidung an 265 • Occupier können mithin ein Mieter oder Pächter von Gebäuden oder Wohnungen und sogar Bauunternehmer einerseits266, andererseits aber auch ein Vermieter sein, sofern dieser Teile des Hauses, wie beispielsweise Eingangshalle oder Treppe, von der Überlassung ausgenommen hat267 • Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß die Inhaberschaft auf mehrere Personen verteilt sein kann, die dann als Beklagte in Betracht kommen. In der Entscheidung Wheat v. E. Lacon & Co. Ltd. 268 besaß eine Brauerei im Erdgeschoß eines Gebäudes einen Ausschank, der von einem Geschäftsführer betrieben wurde. Diesem war zugleich ein Stockwerk höher Wohnraum überlassen worden. Im unbeleuchteten Treppenhaus kam nun 260 Vgl. Me Geown v. Northern Ireland Housing Exeeutive [1995J I A.c. 233 (243ff.): Holden v. White [1982J Q.B. 679. 261 Sect. 1 (3) b) OLA 1957; Cooke/Oughton, Obligations 2 , S. 513. 262 Greenhalgh v. British Railways Board {I969J 2 Q.B. 286; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-08. 263 Wheat v. E. Laeon & Co. Ltd. [1966J A.C. 552 (577-579); Cooke/Oughton, Obligations 2 , S. 513f.; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-08. 264 [1966J A.C. 552, 577-579. 265 In diesem Sinne auch Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 514. 266 Wheat v. E. Laeon & Co. Ltd. [1966J A.C. 552 (580): A.M.F. International Ltd. v. Magnet Bowling Ltd. {1968J I W.L.R. 1028; Clerk & Lindsell, Tort 17 , Rn. 10-09; Stanton, Tort, S. 195. 267 Vgl. Wheat v. E. Laeon & Co. Ltd. [1966J A.C. 552. Dies bildet zugleich eine Ausnahme vom Haftungsp.rivileg des Verpflichteten für ein privates Wegerecht, siehe Clerk & LindseIl, Tort 7, Rn. 10-24f. 268 {1966J A.C. 552.

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ein Gast zu Fall und verstarb aufgrund einer Schädelfraktur. Hier wurde die Brauerei neben dem Wohnungsbesitzer als occupier angesehen, weil sie ein hinreichendes Maß an Sicherungsmöglichkeiten für die Treppe besaß. Folge dieser multiplizierten InhabersteIlung ist es, daß ein Geschädigter einer Person gegenüber visitor, gegenüber der anderen aber trespasser sein kann269 . c) Haftungsgegenstand Gehaftet wird seitens des occupier gern. sect. 1 (1) OLA 1957 für den Zustand von premises. Es entsprach freilich schon nicht mehr der früheren Rechtspraxis, gemäß dem Wortsinn nur Grundstücke und Gebäude einzubeziehen 27o. Sect. 1 (3) a) OLA 1957 macht sich diese Entwicklung zu eigen und erklärt denjenigen für haftbar, der hinreichende Kontrolle über " ... any fixed or moveable structure, including any vessel, vehicle or aircraft ..." hat. Folglich können auch bewegliche Gebilde unter den act subsumiert werden271 , wobei sich allerdings das Problem stellt, ob bei deren Überlassung an Personen auf dem Grundstück überhaupt noch eine occupier-Stellung des Überlassenden besteht. So wurde in dem Fall Wheeler v. Copas272 ein Bauarbeiter verletzt, dem eine schadhafte Leiter überlassen worden war. Eine Haftung des Überlassenden als occupier wurde mangels Inhaberposition abgelehnt, statt dessen kam aber eine allgemeine Haftung aus negligence zum Tragen. Allgemein gesprochen regelt der OLA 1957 also die Haftung für Gefahren, welche von einem Grundstück ausgehen, wobei auch natürlich Gewachsenes zu diesem Gefahrpotential zählt273 . d) Umfang der geschuldeten Sorgfalt Der OLA 1957 stellt, wie schon erwähnt, eine spezielle Form der negligence-Haftung dar. Geschuldet wird dem rechtmäßigen Besucher eine "common duty of care,,274, also die Sorgfalt, welche den konkreten Umständen nach angemessen ist, um den Besucher im Rahmen der ihm gestatteten Nutzung vor Gefahren, welche aus dem Grundstück resultieren, 269 Ferguson v. Welsh and olhers [1987] 3 All ER 777; Pannell, Tort8 , S. 81; Buckley, Negligence, S. 303. 270 Dazu Baker, Tort6 , S. 238. 27l Bunker v. Charles Brand & Sons LId. {l969] 2 Q.B. 480, dort ging es um Baumaschinen. 272 {l981] 3 All ER 405; dazu auch Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-07. 273 Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 10-06. Noch zum common-Iaw siehe Glasgow Corporalion v. Taylor [1922J 1 A.C. 44 (Verzehr giftiger Beeren durch Kinder). 274 Sec.. 2 (I) OLA 1957.

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zu schützen275 • Umstritten ist, ob diese Sorgfaltspflicht auch für Aktivitäten auf dem Grundstück gilt, worauf sect. 1 (1) OLA 1957 hindeutet 276 , oder aber die Rechtslage hinsichtlich der Handlungen unverändert läßt und nur den Zustand betrifft, wofür sect. 1 (2) spricht, der sich nur auf "occupation or control of premises" bezieht. Die Gesetzesdiktion ist (insofern) widersprüchlich. Überzeugender wirkt freilich die Interpretation als Zustandshaftung, weil bei Aktivitäten mangels Unterteilung des Fahrlässigkeitsmaßstabes nach Besuchergruppen im common law für den Gesetzgeber kein Handlungsbedarf bestand277 • Im übrigen dürften sich auch praktisch wenig Unterschiede ergeben, da die geschuldete common duty 0/ care sich von der im Rahmen der negligence nicht merklich abhebt278 • Der Sorgfaltsmaßstab der common duty 0/ care wird in zwei Richtungen spezifiziert: Zum einen hat der Inhaber eines Grundstücks zu vergegenwärtigen, daß Kinder weniger auf sich selbst achtgeben als Erwachsene, so daß er ihnen gegenüber ein größeres Maß an Vorsorge walten lassen muß 279 . Andererseits darf er davon ausgehen, daß Personen, denen die Betretung zur Ausführung bestimmter Tätigkeiten gestattet ist, sich auch gegenüber den damit verbundenen Gefahren vorsehen 280 . So blieb beispielsweise die Klage der Hinterbliebenen von zwei Schornsteinfegern, die bei ihrer Arbeit durch Kohlenmonoxiddämpfe getötet worden waren, erfolglos, weil diese das Risiko bewußt auf sich genommen hatten 281 . Umgekehrt haftet der occupier, wenn er die Gefahr fahrlässig verursacht hat und der Gerufene sich trotz Aufbietung seiner fachmännischen Fertigkeiten verletzt282 • Anzumerken bleibt, daß auch dem aufgrund Vertrages Betretungsberechtigten vorbehaltlich besonderer vertraglicher Regelungen über Sorgfaltspflichten eine "common duty of care" nach dem OLA 1957 geschuldet wird283 • In diesem Fall ist eine Klage aus tort möglich284 . Vgl. Sect. 2 (2) OLA 1957. regulate the duty ... due to the state of the premises or to things done or omitted to be done on them". m Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 513; Baker, Tort6 , S. 237 bringt den Gesichtspunkt, daß die Haftung für Aktivitäten, wie beispielsweise Autofahren, nicht typischerweise an die Inhaberschaft eines Grundstückes anknüpft. Sect. 1 (I) OLA 1957 soll so zu verstehen sein, daß "things done" nur solche Aktivitäten betrifft, die sich im Zustand des Grundstücks niederschlagen. In diesem Sinne auch Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-03. 278 Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 513; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-03. 279 Sect. 2 (3) a) OLA 1957. 280 Sect. 2 (3) b) OLA 1957. 281 Roles v. Nathan [1963J 2 All ER 908. 282 Entschieden wurde dies für Feuerwehrleute bei der Bekämpfung eines Brandes: Ogwo v. Taylor [1987J 3 All ER 961; ebenso schon Salmon v. Seafarer Restaurants ud. [1983J 3 All ER 729 (736). 275

276 " •••

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e) Entlastungsmöglichkeiten Gegenüber dem Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung kann sich der occupier auf verschiedene Arten und Weisen verteidigen. Der wohl naheliegendste Einwand ist der, daß die geschuldete Pflicht erfüllt wurde. Diesbezüglich sieht das Gesetz zwei Spezialfälle vor: Zum einen kann der Inhaber sich durch eine Warnung entlasten. Wichtig ist hierbei, die Warnung so genau zu erteilen, daß der Besucher sich ausreichend gegenüber der konkreten Gefahr vorsehen kann, und es genügen z. B. allgemeine Hinweise, vorsichtig zu sein, diesen Anforderungen nicht285 • Zum anderen wird, sofern ein Schaden durch die mangelhafte Ausführung von Bau- oder Reparaturarbeiten auf dem Grundstück durch einen unabhängigen Unternehmer entstanden ist, der Sorgfaltspflicht dann Genüge getan, wenn der occupier diesen sorgfältig ausgewählt und mit den Aufgaben betraut hat 286 • Es kann indes zusätzlich erforderlich sein, den Unternehmer während der Arbeiten einer qualifizierten Überwachung, beispielsweise durch einen Architekten, zu unterwerfen 287 • Wenn man den Begriff Einwand so auffaßt, daß hierdurch nur die Vernachlässigung einer Pflicht gerechtfertigt wird, so handelt es sich bei dem bisher Gesagten nicht um eine solchen. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang aber das Prinzip des "volenti non fit iniuria", also die bewußte und gewollte Inkaufnahme des Risikos, das in sect. 2 (5) OLA 1957 unter Bezugnahme auf das ungeschriebene Recht Erwähnung findet. Der Unterschied zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht durch Warnung ist nicht allzu groß und häufig finden sich Überschneidungen. Die zur Differenzierung entscheidende Betonung liegt auf der Einwilligung, welche Kenntnis der Gefahr voraussetzt. Die Einwilligung kann aber auch dann wirksam entlasten, wenn mangels hinreichender Warnung die Sorgfaltspflicht verletzt, die Kenntnis der Gefahr aber auf anderem Wege erlangt wurde. Umgekehrt kann natürlich trotz fehlender Einwilligung die Entlastung durch ausreichende Warnung erreicht werden 288 •

Sect. 5 (I) OLA 1957. Siehe bereits oben I 1 a) zur Person des Berechtigten. Sole v. WJ Hallt Ltd. (I973] 1 All ER 1032; Buckley, Negligence, S. 307; Baker, Tort6 , S. 244. 285 Sect. 2 (4) a) OLA 1957; Buckley, Negligence, S. 308; Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 10-41; Pannett, Tort8 , S. 86. 286 Sect. 2 (4) b) OLA 1957; dazu Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-60; Buckley, Negligence, S. 310. 287 A.M.F. International Ltd. v. Magnet Bowling Ltd. {1968] 1 W.LR. 1028 (1044); Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 10-60; Cooke/Oughton, Obligations2, S. 517. 288 Zum ganzen: Buckley, Negligence, S. 309; Pannett, Tort, S. 86 u. 211 f. 283

284

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Eine weitere, der Einwilligung verwandte Verteidigung liegt in der Möglichkeit eines vorherigen Haftungsausschlusses. Unerheblich ist im Ergebnis, ob dieser Ausschluß vertraglich oder durch bloßen Hinweis erfolgt289 . Wichtig ist hingegen die Frage der geschäftlichen oder privaten Nutzung der Grundstücke. Bei ersterer greift der Unfair Contract Terms Act v. 1977, der sowohl für ausdrückliche vertragliche Regelungen als auch für bloße Hinweise gilt290 . Nach sect. 2 (1) UTCA 1977 kann die Haftung für negligence 291 bei Tötung oder Körperverletzung überhaupt nicht ausgeschlossen werden und die Haftung für sonstige Schäden, beispielsweise am Eigentum, ist gern. sect. 2 (2) des UCTA 1977 nur im Rahmen der Angemessenheit abdingb~92. Auf Privatgrundstücken bleibt ein Haftungsausschluß dagegen weitgehend möglich. Erforderlich ist lediglich, daß ein entsprechender Hinweis sich als deutlich lesbar darstellt293 . Erwähnenswert ist, daß der Unfair Contract Terms Act 1977 das zuvor geschilderte Verteidigungsmittel der Warnung völlig unberührt läßt, weil die Warnung bereits die Pflichtverletzung ausschließt, während sich der Haftungsausschluß gerade auf Pflichtverletzungen erstreckt294 . Ein Verbot für Haftungsausschlüsse besteht ferner gegenüber Personen, die in Ausübung ihrer gesetzlichen Befugnisse das Grundstück betreten29S . Dies wird aus dem Passus "... in so far as he is free to ..." in sect. 2 (1) OLA 1957 geschlossen. Der Grundstücksinhaber ist also durch die gesetzliche Betretungsbefugnis insoweit eingeschränkt296 .

Sect. 2 (1) OLA 1957: " ... except in so far he is free to and does extend, or e~clude his dUf~ to any visitor or visitors by agreement or otherWlse ... ; Clerk & LindseIl, Tort ,Rn. 10-48. 290 Vgl. Sect. 2 des Unfair Contract Terms Act v. 1977; dazu Baker, Tort6 , S.223f. 291 Wozu nach sect. 1 (1) c) des Unfair Contract Terms Act 1977 auch der OLA 1957 gezählt wird. 292 Zur Angemessenheit näher sect. 11 (3) u. (4) Unfair Contract Terms Act 1977 sowie Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10--57. 293 Stanton, Tort, S. 116; siehe auch Winfield & Jolowicz, Tort l4 , S. 240, wo dieses Ergebnis deshalb für gerechtfertigt gehalten wird, weil der Besuch ja ohnehin ganz untersagt werden könnte. In Ashdown v. Samuel Williams & Sons [1957J Q.B. 409 sowie White v. Blackmore [1972J 2 Q.B. 651 wurde klargestellt, daß ein Hinweis genügt und nicht etwa ein Vertrag erforderlich ist. Es kommt nur auf die Möglichkeit des Lesens an, eine tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht notwendige Bedingung, Pannen, Tort8 , S. 87. 294 Vgl. sect. 2 des Unfair Contract terms Act von 1977; Cooke/Oughton, Obligations2, S. 518. 29S Vgl. sect. 1 (6) OLA 1957. 296 Winfield & Jolowicz, Tort l4 , S. 240; auch Cooke/Oughton, Obligations 2 , S.518. 289

re~trict, .~odify

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Schließlich kann ein vereinbarter Haftungsausschluß keine Wirksamkeit gegenüber Dritten entfalten, welche zwar nicht Vertragspartner sind, aber aufgrund des Vertrages ein Zugangsrecht besitzen297 • Der Schutz dieser Haftungsausschlußbegrenzung gilt insbesondere Arbeitnehmern des Vertragspartners des occupier, weil diese aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses zum Betreten gezwungen sind298 • Dergestalt Zugangsberechtigten können umgekehrt sogar Haftungserweiterungen aus dem Vertragsverhältnis zugute kommen 299 • Abschließend sei zum Bereich der Einwendungen noch das Mitverschulden des Geschädigten genannt, welches der OLA 1957 zwar nicht erwähnt, aber entsprechend dem lAw Reform (Contributory Negligence) Act v. 1945 einbezogen wird3OO• f) Beweislast

Erleichterungen bezüglich der Entstehung oder Durchsetzung des Anspruchs sind für den Geschädigten durch den OLA 1957 nicht vorgesehen301 • Es bleibt folglich bei der allgemeinen Beweislastverteilung der common-law-negligence, wonach der Geschädigte die Sorgfaltspflichtverletzung, den Schaden und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden nachzuweisen haeo2 • Beweiserleichterung kann lediglich der Grundsatz ,,res ipsa loquitur" schaffen303 , welche man im deutschen Recht unter dem Begriff des Anscheinsbeweises firmieren lassen würde 304• Der Beklagte hat natürlich die Möglichkeit, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern oder sich ganz zu entlasten305 •

Sect. 3 (1) OLA 1957. Buckley, Negligence, S. 317. 299 Sect. 3 (1) OLA 1957. In der Terminologie des deutschen Zivilrechtes könnte man dies als einen gesetzlich geregelten Fall des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bezeichnen. 300 z.B. Sole v. WJ Hallt Ltd. [1973J 1 All ER 1032; Baker, Tort6 , S. 241; Buckley, Negligence, S. 309. 301 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 360 m. w.N. 302 Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 5-01; zu den einzelnen Voraussetzungen v. Bar/Shaw, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Großbritannien, S. 15ff. 303 Vgl. Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 5-92f. 304 V. Bar/Shaw, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Großbritannien, S. 29. Der Kläger muß lediglich Fakten darlegen, die verdeutlichen, daß der Schaden ohne Fahrlässigkeit normalerweise nicht eingetreten wäre. Die Tatsachen müssen ferner auf eine Fahrlässigkeit speziell des Beklagten und nicht etwa auf andere mögliche Geschehensursachen hindeuten, Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 5-88. 305 Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 5-103. 297

298

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2. Der Occupiers' Liability Act von 1984

Der OLA 1984 stellt im wesentlichen eine Reaktion des Gesetzgebers auf den auch nach der Entwicklung der duty 0/ common humanity in der Entscheidung British Railways Board v. Herrington 306 als unklar und unzureichend empfundenen Pflichtenkreis des Grundstücksinhabers gegenüber Nicht-Besuchern dar307 • Es handelt sich um eine gesetzliche Ausformung der duty 0/ care des negligence-Tatbestandes308 , welche zugleich eine Ergänzung der schon bestehenden Gebäude- und Grundstückshaftungsgesetzgebung bildet. Diese Komplementärfunktion manifestiert sich einerseits darin, daß die Bestimmung des occupier und der premises ebenso wie bei dem OLA 1957 erfolge09 • Andererseits ergibt sich die Berechtigung aus dem act nur für solche Personen, die nicht visitor sind31O • Hierunter fallen neben dem in der Mehrzahl der Fälle relevanten trespasser und denjenigen, welche kraft Zugangsvereinbarung oder -anordnung gemäß dem National Parks and Access to the Countryside Act von 1949 Zutritt erhalten311 ebenso die Nutzer eines privaten Wegerechtes, welche ja, wie oben ausgeführt 312 , nicht unter dem OLA 1957 klagen können 313 • a) Besondere Voraussetzungen und Umfang der Sorgfaltspflicht Der OLA 1984 birgt im Vergleich zu seinem den legalen Besucher betreffenden Vorläufer von 1957 Besonderheiten, die sich nur aus der Privilegierung des erwünschter- oder erlaubterweise Betretenden erklären lassen. So wird dem trespasser - der hier stellvertretend für den vom OLA 1984 angesprochenen Personenkreis genannt sein soll - nach sect. 1 (8) nur Personen-, nicht aber Sachschaden ersetze l4 • 306

307

tion.

[1972J A.C. 877, vgl. oben unter Fn. 246. Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 519 m. w. N. zur gesetzgeberischen Inten-

308 Vgl. secl. 1 (1) OLA 1984: duty " ... in place of the rules of the common law ... ". 309 Secl. I (2) a) OLA 1984. 310 Secl. I (1) a) i.V.m. secl. 1 (2) b) sowie secl. I (3) OLA 1984. 311 Umkehrschluß aus secl. 1 (4) OLA 1957, wonach diese Personen nicht geschützt sind; Stanton, Tort, S. 200. 312 Oben E) I 1 a). 313 Für öffentliche Wege gewährt der OLA 1984 nach secl. 1 (7) ausdrücklich keine Haftung. Bei öffentlich unterhaltenen Wegen bleibt im Falle unterlassener Sicherungsmaßnahmen allerdings ein Anspruch nach dem Highways Act v. 1980 möglich, während der Geschädigte bei privat unterhaltenen Wegen auf das common law verwiesen wird: Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 519; Baker, Tort6 , S. 247; ausführlich Buckley, Negligence, S. 321 f. 314 Anders der OLA 1957 in secl. 1 (3) b), vgl. oben bei Fn. 261.

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Ferner unterliegt der Anspruch einer Art Zwei-Stufen-Test. In einem ersten Schritt wird geprüft, ob der unbefugt Betretende überhaupt schutzwürdig ist. Dies richtet sich nach sect. 1 (3) OLA 1984. Hierbei wird gefragt, ob der occupier 1. um die Gefahr wußte oder vernünftige Anhaltspunkte für deren Vorliegen besaß315 2. wußte oder wissen mußte, daß der Geschädigte von der Gefahr betroffen war oder werden konnte316 und 3. das Risiko so beschaffen war, daß nach den Umständen des Einzelfalles Schutzmaßnahmen zugunsten des Geschädigten billigerweise erwartet werden durften 317 • Unklar ist lediglich, ob das Schutzwürdigkeitskrlterium in sect. I (3) a) und b) positive Kenntnis der Gefahr bzw. der sie begründenden Umstände erfordert und damit einen - dem Geschädigten ungünstigeren - subjektiven Maßstab anlegt, oder aber objektiv grobfahrlässige Unkenntnis der gefahrbegründenden Tatsachen genügen läße 18 • Die Rechtsprechung scheint sich entsprechend dem Wortlaut an dem subjektiven Maßstab zu orientieren319 • . Hat man die Schutzwürdigkeit des Geschädigten im ersten Schritt festgestellt, so muß in einem zweiten Schritt der Umfang der Sorgfaltspflicht umrissen werden. Inhalt der Pflicht nach sect. 1(4) OLA 1984 ist " ... to take such care as is reasonable in all the circumstances of the case to see that he does not suffer injury on the premises by reason of the danger concerned". Ein gravierender Unterschied zur common duty 01 care in sect. 2 (2) OLA 1957 sowie der allgemein aus negligence begründeten Sorgfaltspflicht ist auf den ersten Blick nicht auszumachen. Es spielen indes mangels Betretungsbefugnis nicht die Zwecke einer Erlaubnis die entscheidende Rolle, sondern es kommt auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere eines Schadens, auf die Person und Zwecke des Eindringlings sowie auf das Verhältnis des Schadens zu den Kosten für den Sicherungsaufwand an 320• So wird einem Kind, welches ein Grundstück unbefugt betritt, sicherlich ein größeres Maß an Vorsicht geschuldet als einem erwachsenen Einbrecher321 . Sect. 1 (3) a) OLA 1984. Sect. I (3) b) OLA 1984. 317 Sect. 1 (3) c) OLA 1984. 318 Sect. 1 (3) a) und b) stellen darauf ab, ob der occupier um die Gefahr bzw. Gefahrnähe des Opfers wußte oder "reasonable grounds to believe" hierfür hatte, was auf eine subjektive Sicht hindeutet. Eindeutig objektiv wäre der Passus ,,knows or ought to have known" gewesen: v. Bar/Shaw, Deliktsrecht in Europa, S. 39f.; Stanton, Tort, S. 200. Vgl. insofern konträr sect. 4 (2) Defective Premises Act von 1972: "... if the landlord knows ... or ... ought ... to have known of the relevant defect.". 319 Clerk & LindseIl, Tort 17 , Supplement, Ergänzung zu Rn. 10-74 unter Verweis auf die Entscheidung Swain v. Puri [1996] P.I.Q.R. P 442. Ebenso Cooke, Tort3 , S. 149; a.A. Stanton, Tort, S. 200. 320 Cooke/Oughton, Obligations 2 , S. 520; Salmond & Heuston, Tort2 1, S. 281; Winfield & Jolowicz, Tort l4 , S. 244; Pannett, TortS, S. 91. 315

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Zu beachten ist jedoch, daß der OLA 1984 im Bereich von sect. 1 (4) unstreitig eine objektive Sorgfalt normiert 322 • Anders als nach der Entscheidung British Railways Board v. Herrington 323 kommt es beispielsweise nicht auf die finanziellen Ressourcen speziell des Beklagten, sondern auf das objektive (Miß-) Verhältnis der Kosten für die Sicherung zum drohenden Schaden an 324 • Im Zusammenhang mit der Pflichtverletzung stellt sich, wie schon beim OLA 1957, die Frage, ob der Sorgfaltsmaßstab nur für Zustands- oder aber auch für Handlungspflichten normiert wurde, da sect. 1 (1) a) OLA 1984 neben dem "state of premises" wiederum "things done or omitted to be done on them" nennt. Hier hat sich die Rechtsprechung in der Entscheidung Revill v. Newberry325 dahingehend geäußert, daß für den OLA 1984 nur der Zustand des Gebäudes interessiere. Das Niederschießen eines Einbrechers wurde folglich der allgemeinen negligence unterworfen 326 . b) Verteidigungsmöglichkeiten des occupier Der occupier kann sich zunächst einmal durch den Nachweis der Erfüllung der Sorgfaltspflicht, insbesondere in Form von Warnungen, entlasten327 • Des weiteren ist der schon bekannte Einwand "volenti non fit iniuria" möglich328 • Unklar bleibt, ob die Haftung gänzlich, etwa durch Aufstellen von Schildern, ausgeschlossen werden kann. Gegen die Möglichkeit des Haftungsausschlusses spricht zum einen, daß diese im OLA 1984 im Gegensatz zu 321 Sofern bei letzterem nicht schon ohnehin die Schutzwürdigkeit mangels Vorhersehbarkeit der Gefahmähe und wegen Unbilligkeit von Schutzvorkehrungen gern. sect. 1 (3) b) u. c) OLA 1984 zu verneinen ist. Hierzu Baker, Tort6 , S. 248; Stanton, Tort, S. 200. 322 Fabarius, S. 26 mit Fn. 161. Dies ist von der zuvor angesprochenen Problematik des Maßstabes für die Schutzwürdigkeit gern. sect. I (3) a) und b) OLA 1984 zu trennen. 323 [1972] A.C. 877. 324 Cooke/Oughton, Obligations 2 , S. 520; Pannett, TortS, S. 90; Stanton, Tort, S.200f. 325 [l996] 1 All ER 291; so zuvor bereits Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-74, Fn. 88 und Supplement, Ergänzung zu Rn. 10-76, wo auf die Entscheidung Bezug genommen wird. 326 "Things done" bezieht sich nach dieser Lesart also wieder nur auf solche Aktivitäten, die sich im Zustand des Gebäudes niederschlagen: Baker, Tort6 , S. 248. Die Kriterien des OLA 1984 wurden in der Entscheidung aber bei der Bestimmung der common law duty zu Rate gezogen und wirkten somit mittelbar, dazu Revill v. Newberry, a. a. O. S. 298ff. (Neill U.) sowie Baker, a. a. 0., S. 248. 327 Sect. 1 (5) OLA 1984. 328 Sect. 1 (6) OLA 1984; vgl. dazu oben E I I e).

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seinem Vorläufer von 1957329 nicht ausdrücklich vorgesehen ise 3o• Ferner läßt sich das rechtspolitische Argument bringen, daß der OLA 1984 nun einmal gerade das notwendige Minimum an Sorgfalt enthält, welches einer das Grundstück betretenden Person geschuldet wird 33l • Aus der Verneinung des Haftungsausschlusses ergibt sich allerdings ein Widerspruch: Entgegen der sonst üblichen Privilegierung des visitors gegenüber dem trespasser soll die Haftung nur ersterem gegenüber ausgeschlossen werden können. Um dies zu vermeiden, müßte man also entgegen dem Schweigen des Gesetzes die entsprechende Freizeichnungsmöglichkeit annehmen 332 • Folgt man dieser letzteren Ansicht, so wird ein trespasser zwar zusätzlich dadurch "bestraft", daß der Unfair Contract Terms Act 1977, welcher auf den OLA 1984 keinen unmittelbaren Bezug nimme 33 , als Auffangnetz entfälle 34• Ein solcher dem trespasser gegenüber bestehender Nachteil ließe sich aber immerhin dadurch rechtfertigen, daß er eher als die zuvor angeführte Einebnung des Privilegierungsgefälles mit der Gesetzesintention in Einklang gebracht werden kann 33s • II. Haftung gegenüber außerhalb des Grundstücks befindlichen Personen

Die zuvor dargestellten Occupiers' Liability Acts befassen sich lediglich mit der Möglichkeit der Haftung des Grundstücksinhabers gegenüber dem Betretenden. Nun können die Dinge freilich so liegen, daß die Schädigung nicht auf dem Grundstück selbst stattfindet, sondern beispielsweise ein Passant auf dem Fußweg oder aber ein Nachbar im angrenzenden Garten von Vgl. sect. 2 (1) OLA 1957. Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 10-82; Salmond & Heuston, Tort2l , S. 282; Pannett, Tort8 , S. 91; Buckley, Negligence, S. 317. In Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 7-163 wird auf die mittels sect. 20LA 1984 in sect. I (3) UTCA 1977 inkorporierte Ergänzung um die Möglichkeit des Haftungsausschlusses bei nicht geschäftszweckgebundener Betretungsgestattung zu pädagogischen oder Erholungszwecken hingewiesen. Dies betrifft aber gerade nicht Personen, die als trespasser anzusehen sind, vgl. Buckley, Negligence, S. 318. 331 Vgl. Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-82; Cooke, Tort3 , S. 151, der aber darauf verweist, daß der OLA 1984 ein größeres Maß an einzuhaltender Sorgfalt enthält als die für unabdingbar gehaltene duty 0/ common humanity aus British Railways Board v. Herrington. 332 Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 10-83; Cooke, Tort3 , S. 152. 333 Zur Möglichkeit des Haftungsausschlusses bei Betretungsgestattung zu pädagogischen oder Erholungszwecken vgl. Fn. 330. 334 Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-84. 335 Stanton, Tort, S. 201 hält zudem die unter dem common law etablierte - subjektiv zu bestimmende - duty 0/ common humonity als unabdingbaren Minimalstandard für möglich. 329

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herabfallenden Gebäudeteilen getroffen wird. Eine Klage wegen Mangelhaftigkeit des Gebäudes nach dem OLA von 1957 oder 1984 ist dann nicht möglich. 1. Public Nuisance

Die sog. highway-Fälle, in denen jemand bei Nutzung eines öffentlichen Weges zu Schaden kommt, werden durch das Institut der public nuisance abgedeckt. Eine public nuisance nimmt man dann an, wenn - an vernünftigen Maßstäben gemessen - eine Störung das Wohlbefinden einer Mehrzahl von Personen beeinträchtigt336• Es handelt sich um Vergehen, die unter Unterlassungsgesichtspunkten von Staatsanwalt und den örtlichen Behörden verfolgt werden können 337 . Einer Einzelperson wird ein Anspruch aus tort jedoch dann zugestanden, wenn diese durch die Störung einen direkten und substantiellen Schaden erleidet, der über das Maß des Betroffenseins der Allgemeinheit hinausgehe38 • Als public nuisance, welche die zuvor genannten Kriterien erfülle 39 und gegebenenfalls zum Schadensersatz berechtigt, gilt auch das Verfallenlassen eines an öffentliche Wege angrenzenden Gebäudes 340• Diese Spielart der Gebäudehaftung erweist sich als relativ strikt. In Wringe v. Cohen 341 wurde festgestellt, daß der Zusammensturz eines reparaturbedürftigen Gebäudes zu einer Haftung des occupier oder des Eigentümers, welcher eine Reparatur336 Attomey-General v. P.Y.A. Quarries Ltd. [1957] 2 Q.B. 169 nennt generalisierend die Nachbarschaft und stellt für die erforderliche Anzahl betroffener Personen auf die Umstände des Einzelfalles ab. Zur Parallele der public nuisance mit § 823 11 BGB: Spickhojj, Gesetzesverstoß, S. 42f. 337 Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 18-45 u. 18-02; Stanton, Tort, S. 402; Winfield & Jolowicz, Tort l4 , S. 402f. 338 " ••• particular damage, which ... is direct and substantial", so Vanderpant v. Mayfair Hotel Co. [1930] 1 Ch. 138; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 18-94. Instruktiv zur Unterscheidung zwischen private nuisance und public nuisance ist die Entscheidung Tate & Lyle 1ndustries Ltd. v. G.Lc. [1983] 2 A.C. 509. Dort war es durch Bauarbeiten der Beklagten zu einer Verschlammung des flußbettes der Themse gekommen, so daß die Schiffe der Klägerin ihre Mole nicht mehr erreichen konnten. Da die Mole selbst unbeeinträchtigt blieb und das flußbett andererseits keinerlei Privatrechten der Klägerin unterlag, wurde die Begründung der Klage aus private nuisance abgelehnt. Die Kosten für die notwendigen Ausbaggerungsarbeiten konnten aber über public nuisance eingefordert werden, da das öffentliche Recht der Klägerin auf Befahren des flusses tangiert wurde. 339 Zur Frage des Verschuldenserfordernisses siehe Spickhojj, Gesetzesverstoß, S.45 m.w.N. 340 Harrold v. Watney [1898] 2 Q.B. 320 (Schädigung durch unsicheren Zaun); Mint v. Good [1951] 1 K.B. 517; Heap v. 1nd. Coope and Allsopp Ltd. [1940] 2 K.B. 476; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 18-102. 341 [1940] 1 K.B. 229.

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verpflichtung übernommen hat, führt 342 . Unerheblich sind grundsätzlich das Kennen oder Kennenmüssen der Reparaturbedürftigkeit. Entlasten soll den Pflichtigen, daß die Gefahr durch einen unbefugten Dritten hervorgerufen wurde, oder aber auf einem im Verborgenen entstandenen Mangel beruhte 343 • Man kann dies durchaus als Vermutung, der Beklagte habe seiner Pflicht zur Überwachung und Reparatur nicht genügt, umschreiben 344 - eine dem § 836 I BGB vergleichbare Beweislastverteilung. Die so beschaffene Verpflichtung rechtfertigt sich im übrigen allein durch die Errichtung eines Werkes von Menschenhand und umstürzende Bäume fallen beispielsweise nicht hierunter345 . Es zeigt sich also, daß einsturzgefährdete Bauwerke nicht nur in vielen Rechtsordnungen des europäischen Festlandes, sondern auch in England als besonderes Risiko angesehen werden. 2. Private Nuisance

Die private nuisance betrifft primär das Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn 346, obwohl sie sich hierauf nicht beschränke47 . Der Kläger muß bezüglich eines Rechtes an einem Grundstück oder in dessen Nutzung in einem nicht mehr tolerablen Maße beeinträchtigt sein 348 . Für die AnspruchsbegTÜndung wird dabei grundsätzlich ein besonderes Interesse des Geschädigten an dem beeinträchtigten Land verlange49 . Die Entscheidungen Khorasandjian v. Bush 350 sowie Hunter v. Canary Wharf Ltd. 351 342 In der Entscheidung wird ferner festgestellt, daß die Ersatzpflicht auch gegenüber an angrenzenden Grundstücken Berechtigten gilt. 343 Wringe v. Cohen [1949J 1 K.B. 229. Allerdings hält man es für schwer vorstellbar, daß eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen des Mangels außerhalb dieser Ausnahmeumstände nicht besteht, so daß die Regel Wringe v. Cohen als zwischen strikter und schuldhafter Haftung liegend charakterisiert wird, so z. B. Winfield & lolowicz, Tort 14, S. 438f. m.N. 344 Winfield & lolowicz, Tort 14 , S. 439; Markesinis/Deakin, Tort 3 , S. 452f. 34S Noble v. Harrison [1926] 2 K.B. 332; British Road Services Ltd. v. Slater [1964J 1 All ER 816; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 18-102 und 18--61; Baker, Tort6 , S. 300m.w.N. 346 Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 536; Cooke, Tort3 , S. 215; Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 18-05. 347 Baker, Tort6 , S. 275. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Fall Khorasandjian v. Bush [1993J Q.B. 727, wo die private nuisance zur Abwehr von Telefonanrufen, mit denen die Tochter eines Ehepaares belästigt wurde, zum Zuge kam. 348 "Unlawful interference with a person's use or enjoyment of land, or some right over, or in connection with it", so Winfield & lolowicz, Tort 14, S. 404 m. w.N. zur Rechtsprechung. Siehe auch v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 276. 349 Salmond & Heuston, Tort21 , S. 62f. m. w. N.; auch v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 276. 3SO [1993J Q.B. 727, vgl. oben Fn. 347.

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haben jedoch verdeutlicht, daß ein solches Interesse zumindest nicht allein absolute Herrschaftsrechte umfaße 52 • Umstritten bleibt freilich, ob der erforderliche Bezug zum Grundbesitz den Ersatz von Personenschäden ausschließe53 • Schuldhaftes Verhalten setzt die private nuisance nach ihrer Grundkonzeption - im Kontrast zur negligence - nicht voraus, sondern es genügt eine unangemessene Beeinträchtigung354 • Die Lage des beeinträchtigten Grundstückes (z.B. Industriegebiet oder Wohngebiet) wird dabei nur dann ins Kalkül gezogen, wenn es sich um Störungen handelt, welche sich nicht in materieller Fonn niederschlagen355 . Eine dauerhafte Beeinträchtigung wird der nuisance- Klage häufig zugrundeliegen und ist auch notwendige Bedingung für deren Erfolg356 • Aber auch die in rechtsvergleichender Hinsicht interessierenden Schädigungen durch mangelhafte Bauwerke können hierunter fallen 357 , wobei man im gefahrdrohenden Zustand eine dauerhafte Beeinträchtigung findee 58 . Bei nachgewiesenem Mangel an einem künstlich errichteten Bauwerk wird man entsprechend der Regel Wringe v. Cohen 359 von einer Beweislastverschiebung auszugehen haben 360• Gehaftet wird in anderen Fällen jedoch 351 [1996J 1 All ER 482, dort wurden Wohnungsinhaber durch die Errichtung eines Gebäudes in ihrem Fernsehempfang beeinträchtigt. Zu beiden Entscheidungen: Clerk & LindseIl, Tort 17 , Supplement, Rn. 18-39. 352 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 276f. weist darauf hin, daß durch Khorasandjian v. Bush die traditionellen Grenzen des Deliktstatbestandes überschritten wurden, weil dort im Ergebnis nicht ein Interesse am Land, sondern die Persönlichkeit der Klägerin geschützt werden sollte. 353 So Salmond & Heuston, Tort21 , S. 64: Der negligenee-Tatbestand würde andernfalls in nicht gerechtfertigter Weise umgangen. Kritisch zur Unterscheidung zwischen Sach- und Personenschäden Baker, Tort6 , S. 285. Zur parallel gelagerten Problematik bei der eautio damni in/eeti im römischen Recht oben § 2 A III 2. 354 Cooke, Tort3 , S. 212; Salmond & Heuston, Tort21 , S. 72; v. Bar/Shaw, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Großbritannien, S. 53. 355 v. Bar/Shaw, Deliktsrecht in Europa, Länderbericht Großbritannien, S. 53. In der wegweisenden Entscheidung St. Helen's Smelting Co. v. Tipping (1865) 11 HL Cas. 642 (die entscheidenden Passagen finden sich abgedruckt bei Weir, Casebook8 , S. 434) hatten Dämpfe aus einer Kupferfabrik zum Absterben von Strauchwerk geführt. Siehe auch Cooke/Oughton, Obligations2 , S. 539f.; Baker, Tort6 , S. 282f. m.w.N. 356 Stanton, Tort, S. 393; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 277. 357 Sedleigh-Denfield v. 0' Callaghan [1940J A.C. 880, dort verursachte ein verstopfter Abzugskanal die Überschwemmung des Nachbargrundstückes; Wilkins v. Leighton [1932J All ER 55; St. Anne's Weil Brewery Company v. Roberts (1928) 44 T.LR. 703 (Teil weiser Einsturz einer alten Stadtmauer). 358 Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 18-13; Stanton, Tort, S. 393. 359 {1940J 1 K.B. 229. Vgl. schon zuvor zur publie nuisanee. 360 v. Bar/Shaw, Länderbericht Großbritannien, S. 54. Vgl. insoweit die Ausführungen zur publie nuisanee.

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nur bei Kennen oder Kennenmüssen der Störerquelle361 • Damit sind in diesem Bereich der private nuisance deutlich Verschuldenselemente erkennbar, und diese lassen die Frage nach der Selbständigkeit des Tatbestandes im Verhältnis zur negligence aufkommen 362 • 3. Haftung nach Rylands v. Fletcher

Eine ursprünglich strikte Haftung enthielt die im Fall Rylands v. Fletche?63 entwickelte, ebenfalls nachbarrechtliche Beeinträchtigungen betreffende Regel, wonach für künstlich auf das Land verbrachte, gefährlich aufbewahrte Objekte, die bei ihrem Entweichen Schaden anzurichten drohen, gehaftet wird 364 • Die Verwandschaft zur private nuisance läßt sich hierbei nicht leugnen365 •. Indes wurde der Haftungstatbestand im Verlaufe der Rechtsentwicklung dahingehend zurückgebildet, daß nur ein unnatürlicher - im Sinne von unüblicher - Gebrauch des Landes zur Ersatzberechtigung führt366 und schließlich der Schaden seiner Art nach vorhersehbar sein muß 367 • Ferner wurde ein "escape from land" für notwendig befunden, womit klargestellt war, daß die Schädigung sich nicht auf dem Grundstück des Beklagten 361 Wilkins v. Leighton [1932J All ER 55 (58); Sedleigh-Denfield v. 0' Calaghan [1940J A.G. 880 (Schaffung der Störerquelle durch Dritte); St. Anne's Weil Brewery Company v. Roberts (1928) 44 T.L.R. 703; Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 18-59. 362 Zur Haftung aus negligence siehe Charlesworth & Percy, Negligence 9 , Rn. 7169ff. Allgemein zum Verhältnis von nuisance und negligence v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 277 ff. Siehe auch die Äußerungen von Lord Goff in Cambridge Water Co. v. Eastem Counties Leather [1994J 1 All ER 53 (71f): Dort wird zwischen selbstgeschaffenen und sonstigen Störerquellen unterschieden. Nur bei letzteren soll eine Annäherung an den negligence-Tatbestand bestehen. Ähnlich Salmond & Heuston, Tort21 , S. 72. 363 Rylands v. Fleteher, House 01 Lords (1868) LR. 3 H.L. (abgedruckt auch in Weir, Casebook8 , S. 459ff.). 364 Im Fall Rylands v. Fleteher ging es um ein künstlich angelegtes Wasserreservoir, durch welches eine auf dem Nachbargrundstück befindliche Mine überflutet wurde. Entlastend wirkte nur der Nachweis höherer Gewalt oder des Eigenverschuldens des Klägers. Betroffen sind zumeist Nachbargrundstücke, jedoch wird für die Zulässigkeit der Klage ein Interesse am Land zumeist nicht für erforderlich gehalten: Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 19-14; Cooke, Tort3 , S. 237; Stanton, Tort, S. 41Of. m.w.N. 365 Cambridge Water Co. Ltd. v. Eastem Counties Leather [1994J 1 All ER 53 (69) (Lord GoJf); Stanton, Tort, S. 407. Ebenso wie bei der private nuisance ist die Haftung für Personenschäden unklar, vgl. die Nachweise bei Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 19-15. 366 Rickards v. Lothian [1913J A.C. 263 (280); Read v. J. Lyons & Co. Ltd. [1947J A.G. 156 (169). 367 Cambridge Water Co. Ltd. v. Eastem Counties Leather [1994J 1 All ER 53.

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ereignet haben durfte 368 • Durch diese Entwicklung hat sich die ehedem objektive Haftung ihrer Vorteile gegenüber den Ansprüchen aus nuisance und negligence weithin begeben369 • Für die vorliegende Untersuchung ist die Regel Rylands v. Fleteher freilich ohnehin von geringerer Bedeutung, weil eine unübliche Nutzung im bloßen Halten eines Gebäudes nicht gefunden werden kann 37o .

ID. Haftung nach dem Defective Premises Act von 1972 Bei der im Rahmen dieser Arbeit behandelten Zustandshaftung für Bauwerke 371 ergab sich im common law immer wieder das Problem, ob und inwieweit ein Vermieter oder Verpächter für die Nichtvornahme von Reparaturen an Gebäuden in die Verantwortung genommen werden konnte. Sofern ihm nicht ohnehin ein Teil der Inhaberschaft verblieben war und damit insbesondere eine Haftung nach dem OLA 1957 ermöglicht wurde 372, befand er sich weitgehend im Zustand der Immunität gegenüber Regreßansprüchen 373 • Dieses Privileg wurde durch sect. (4) des Defective Premises Act von 1972 zumindest teilweise beseitigt. Nach dieser Vorschrift wird dem Vermieter, der einem Mieter gegenüber eine Verpflichtung zur Unterhaltung oder zur Vornahme von Reparaturen bezüglich des überlassenen Grundstückes übernommen hae 74 , eine Sorgfaltspflicht gegenüber solchen Personen, die vernünftigerweise durch Zustandsmängel betroffen sein können, aUferlegt 375 • Inhaltlich muß für die angemessene Sicherheit Read v. J. Lyons & Co. Ltd. {l947J A.C. 156. Siehe Baker, Tort6 , S. 314; Stanton, Tort, S. 413f.; auch v. Bar/Shaw, Länderbericht Großbritannien, S. 43. Der australische High Court sieht die Regel als von der negligence absorbiert an: Burnie Port Authority v. General Jones Pty Ltd. (1994) 120 A.LR. 42 (67). 370 St. Anne's Weil Brewery Company v. Roberts (1928) 44 T.L.R. 703 (705); auch Wilkins v. Leighton [1932J All ER 55 (58); Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 19368

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10.

371 Vermieter - und auch Verkäufer - haften zudem bei mangelhafter Errichtung oder Reparatur vor Überlassung von Gebäuden und Grundstücken, was durch sect. 3 des Defective Premises Act von 1972 klargestellt ist, dazu wiederum Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10-66; Baker, Tort6 , S. 254; Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 7-127f. 372 Vgl. Wheat v. E. Lacon Ltd. (l966J A.C. 552 (579) und oben I 1 b). 373 Grundlegend Cavalier v. Pope [1906J A.C. 428. Zur weiteren Entwicklung: Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 10--64; Stanton, Tort, S. 282. 374 Nach sect. 4 (4) genügt sogar das bloße Recht zur Reparatur, sofern die Reparaturpflicht nicht eigentlich dem Mieter obliegt. Als übernommen gilt nach sect. 4 (5) des Defective Premises Act von 1972 auch eine gesetzliche Reparaturpflicht, wie sie im Landlord and Tenant Act von 1985 für Wohngebäude, die weniger als 7 Jahre vermietet sind, vorgesehen ist, vgl. Cooke, Tort3 , S. 153f.; Markesinis/Deakin, Tort3 , S. 303 f.

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vor Personen- oder Sachschäden gesorgt werden 376. Gehaftet wird aber nur bei Kennen oder Kennenmüssen des Mangels 377 . Nach sect. 6 (3) ist die so statuierte Haftung schließlich unabdingbar. Die Schädigung braucht nicht zwingend auf dem Grundstück selbst eingetreten zu sein, weshalb Überschneidungen mit den nuisance-Tatbeständen möglich sind31s . Der Eigentümer, welcher nicht zugleich unmittelbarer Besitzer ist, haftet dort allerdings nur, wenn er vor der Besitzüberlassung um den zur nuisance führenden Zustand wußte oder hätte wissen müssen 379 , ferner dann, wenn ihn eine Reparaturpflicht trifft oder er zumindest eine diese Reparatur ermöglichende Kontrolle über das Grundstück besitzeso.

IV. Environmental Protection Act von 1990 (statutory nuisance) Daß der gefahrliche Zustand von Gebäuden sanktionsbedürftig ise S1 , manifestiert sich ferner im Environmental Protection Act von 1990. Neben schädlichen Emissionen erklärt dieses Gesetz in sect. 79 (1) a) "any premises in such astate to be prejudicial to health or a nuisance" zu einer statutory nuisance. Primär resultieren hieraus - insofern vergleichbar der public nuisance - lediglich öffentlich-rechtliche Maßnahmemöglichkeiten. Zunächst einmal ergeht durch die zuständige Behörde eine Aufforderung, den gefabrlichen Zustand zu beseitigen3s2. Adressat ist bei Mängeln baulicher 375 In Cavalier v. Pope, a. a. O. (Fn. 373) scheiterte die Klage der verletzten Ehefrau eines Mieters nicht zuletzt daran, daß nicht sie selbst, sondern ihr Mann Vertragspartei war. 376 Sect. 4 (I) Defective Premises Act 1972. 377 Sect. 4 (2) Defective Premises Act 1972 "if the landlord knows ... or ... ought ... to have known ... ". Hier handelt es sich eindeutig um einen objektiven Maßstab, vgl. aber die Problematik zum OLA 1984 bei I 2 a) mit Fn. 318. 378 Cooke, Tort3 , S. 154; Clerk & LindseIl, Tort 17, Rn. 10-68; CookelOughton, Obligations2 , S. 532. Die Anwendbarkeit des common law bleibt gern. sect. 6 (2) des Defective Premises Act 1972 unberührt. 379 Brew Brothers Ltd. v. Snax (Ross) Ltd. [1970J 1 Q.B. 612; MarkesinislDeakin, Tort3 , S. 438. 380 Mint v. Good [1951] 1 K.B. 517; Stanton, Tort, S. 401; ausführlich MarkesinislDeakin, Tort 3, S. 438. 381 Siehe auch sect. 165 des Highways Act von 1980, der bei Gefahren nahe öffentlichen Wegen Eingriffsbefugnisse eröffnet. Nach sect. 38 des Building Act von 1984 kann wiederum die Verletzung von ministeriellen Baurichtlinien zivilrechtliche Haftungsfolgen nach sich ziehen, dazu Clerk & LindseIl, Tort 17 , Rn. 7-93, Fn. 47; Baker, Tort , S, 254 f. 382 Sog. "abatement notice". Diese muß den beanstandeten Zustand, die zur Beseitigung erforderliche Maßnahme sowie eine Beseitigungsfrist enthalten, sect. 80 7 Pelershagen

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Art der Eigentüme~83, nicht der occupier. Bei Nichtbeachtung der Beseitigungsaufforderung macht sich der Eigentümer eines Vergehens schuldig384, welches mit Bußgeld bewehrt ise 85 . Ferner können die Strafgerichte dem Geschädigten mittels einer compensation order nach dem Powers 01 Criminal Courts Act 1973 Schadensersatz zusprechen386.

V. Zusammenfassung

Die englische Gebäudehaftung bietet mit ihrem Zusammenwirken von gesetzlichen und ungeschriebenen Haftungstatbeständen ein recht komplexes Gebilde. Insbesondere die Differenzierung bezüglich des Haftungsmaßstabes gegenüber Personen auf dem Grundstück selbst und solchen, die sich außerhalb dessen bewegen (Haftung aus der gesetzlich ausgeformter negligence in den beiden Occupiers' Liability Acts einerseits und aus nuisance andererseits) vermag nur bedingt zu überzeugen. Um das schon öfter zitierte Beispiel des herabgestürzten Dachziegels zu bemühen: Es hängt vom Zufall ab, ob derjenige, welcher ein Grundstück betreten will, noch auf dem öffentlich gewidmeten Weg getroffen wird. (dann möglicherweise public nuisance) oder aber erst nach dem Schließen der Gartenpforte (dann OLA 1957 bzw. 1984). Abgemildert wird diese Divergenz indes einerseits dadurch, daß auch bei der nuisance der Erkennbarkeit des Mangels am Gebäude Bedeutung zukomme 87 , womit letztlich ein Verschuldenselement in diesen Tatbestand inkorporiert wird, andererseits aber bei der Fahrlässigkeitshaftung nicht selten mit einer prima-facie-Vermutung gearbeitet wird388 . Einfacher erschiene es allerdings, einen einzelnen Haftungstatbestand zum Ausgangspunkt zu nehmen und die geschuldete Pflicht von der Person des Geschädigten und der Art der Schädigung abhängig zu machen 389.

(1) Environmental Protection Act 1990. Dazu auch Winfield & lolowicz, Tort 14 ,

S. 4OOf.; Baker, Tort6 , S. 303. 383 Sect. 80 (2) b) Environmental Protection Act 1990. Nach deutschem Gefahrenabwehrrecht würde man von einem Zustandsstörer sprechen, vgl. § 5 11 des Musterentwurfes zum Polizeigesetz. Konträr dagegen sect. 165 des Highways Act 1980, wo Eigentümer und occupier alternativ genannt sind. 384 Sect. 80 (4) Environmental Protection Act 1990. 385 Sect. 80 (5) u. (6) Environmental Protection Act 1990. 386 Winfield & lolowicz, Tort 14, S. 401. 387 Oben unter 11 1 und 2. 388 Siehe Charlesworth & Percy, Negligence9 , Rn. 5-92f. 389 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 278, erwägt die nuisance allgemein als besonderen Fall der Fahrlässigkeitshaftung.

F. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ausländischen Haftungssysteme

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F. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ausländischen Haftungssysteme Versucht man, bei den dargestellten ausländischen Gebäudehaftungssystemen einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, so kristallisiert sich als Grundbedingung der Nachweis eines Gebäude- oder Werkmangels heraus. Das bloße Halten eines Bauwerkes als solches genügt nicht, wobei dieses Dogma selbst in Ländern mit einer ansonsten strikt ausgebildeten Haftung, wie den Niederlanden oder der Schweiz390, gilt. Hinsichtlich der Haftungsobjekte läßt sich die Tendenz verzeichnen, daß deren Kreis umso enger gefaßt ist, je strikter sich der Haftungsmaßstab ausnimmt391 • So wird in England392 und Österreich393 auch für nicht künstlich errichtete Gegenstände wie Bäume gehaftee94, während die objektiven Haftungssysteme im Extremfall eine dauerhafte Verbindung des Werkes mit dem Boden verlangen395 • Bei der Person des Haftpflichtigen wird der Besitzer bzw. Halter genannt (England und Österreich), ansonsten der Eigentümer. Die Inanspruchnahme des Eigentümers geschieht vornehmlich in Ländern mit objektivem Haftungsmaßstab, so in der Schweiz und Frankreich396 • Aus dieser Systematik Oben BIlIund D III. Daß nur von einer Tendenz gesprochen werden kann, verdeutlicht das Schweizer Recht, wo eine dauernde Verbindung des Werkes mit dem Erdboden nicht bestehen muß und sogar Baumaschinen als solches zählen können. 392 Fahrlässigkeitshaftung nach den OLA von 1957 und 1984. 393 § 1319 ABGB, nach h. M. Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast. 394 Oben A I und EIl c). Siehe aber auch Eil zur Haftung wegen nuisance im englischen Recht. 395 Art. 6:174 Abs. 3 B.W. der Niederlande. Bei der diesbezüglichen Interpretation des Art. 1386 des französischen C.c. ist zu beachten, daß diese wegen des dann möglichen Rückgriffes auf die strengere Sachhalterhaftung dem Geschädigten häufig günstiger ist, oben C 11. 396 Vgl. auch § 347 Abs. 2 und 3 des ZGB der DDR, wo primär der Eigentümer, ansonsten der allein unterhaltungspflichtige Nutzungsberechtigte haftet. Siehe ferner Art. 2053 des italienischen c.c., wonach der Eigentümer eines Gebäudes oder sonstigen Bauwerkes für den durch dessen Einsturz verursachten Schaden haftet, wenn er nicht nachweist, daß dieser (Einsturz) nicht auf fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung beruht. Es ist umstritten, ob es sich hierbei um eine objektive Haftung oder aber eine gesetzliche Schuldvermutung handelt, v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 245 mit Fn. 1396; Cian/Trabucchi, Comrnentario5 , Art. 2053 unter V. m. w. N. Strenger als beispielsweise das deutsche Recht ist dieser Tatbestand in jedem Fall deshalb, weil den Eigentümer der Nachweis der fehlenden Kausalität des Mangels für den Einsturz trifft, vgl. hierzu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 243 f. mit Fn. 1392. Anders § 836 I I BGB, wonach der Geschädigte an sich den Baumangel und dessen Kausalität für den Einsturz beweisen 390

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§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

schert nun das neue niederländische B.W. aus, indem es den (Eigen-)Besitzer in die Pflicht nimme 97 . Unter dem Aspekt der Möglichkeit und Effektivität der Gefahrenabweru-J98 erscheint die unmodifizierte Verantwortlichkeit des Eigentümers in der Tat nicht zweckgerecht399 , zumal der Gedanke der Beweisnot des Geschädigten, welcher für das Eigentümerpflichtigenmodell spricht400, selten so virulent sein dürfte, als daß die fehlende Flexibilität hierdurch aufgewogen wird. Nur wenig weitergehenden Ertrag bringt die alleinige Inanspruchnahme des Eigenbesitzers, weil es sich hier um eine nur teilweise Abkehr vom Eigentümermodell handelt4ol • Das neue niederländische B.W. sieht sich denn auch zu Ausnahmen genötigt402 • Ob der Fremdbesitzer - besonders der Mieter - daneben oder gar statt dessen haftet, sollte aus den zuvor genannten Gründen ebenfalls nicht pauschaliert, sondern unter anderem unter Berücksichtigung der Ausgestaltung des jeweiligen Vertragsverhältnisses beantwortet werden, wobei der noch darzustellende § 838 BGB ein Beispiel bildet403 • Die Pflichtigkeit darf sich keines starren Schemas bedienen, da die so geschaffene Rechtsklarheit auf Kosten der durch die Wirklichkeit gebotenen Gerechtigkeitserwägungen gehen kann und die Rechtsprechung - wie in der Schweiz geschehen404 - zu unliebsamen Ausweichmanövern zwingt. Insgesamt stellt sich deshalb die aus Österreich und England geläufige Orientierung am Halterbegriff, welche sich vornehmlich nach den Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten richtet, als vorzugswürdig dar405 • Beim haftungsauslösenden Ereignis zeigen die ausländischen Rechtsordnungen zwei Ansatzpunkte, nämlich den - engeren - Einsturz- bzw. Ablö-

muß. Dort kann dem Geschädigten wieder nur der Anscheinsbeweis zu Hilfe kommen, Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836 BGB, Rn. 35 m.w.N. 391 Oben D 11. Anders noch Art. 1405 B.W. a.F., der dem französischen Modell folgte. 398 Dies berührt den Gesichtspunkt der Schadensprävention im Haftungsrecht, hierzu Larenz, SchR 114, S. 423; Ojtinger/Stark 15 , S. 12 mit Fn. 32; StolZ, Haftungsfolgen, S. 217f. m.w.N., der der Haftung eine "verhaltenssteuernde Nebenwirkung" zumißt. 399 Siehe das Problem im Schweizer Recht, oben B 11. 400 V gl. oben C III. «11 Vgl. die auf das Eigentum gegründete Eigenbesitzervermutung des Art. 6: 174 Abs. 4 B.W. 402 Siehe oben D 11. «13 Siehe auch die Ausführungen zum Defective Premises Act von 1972 im englischen Recht, oben E III. 404 Oben B 11. «15 Insofern diente nun doch wieder die Gefährdungshaftung als Leitbild, wo die Gefahrbeherrschung als verantwortungsbegründend angesehen wird: Koziol S. 219; LarenziCanaris, SchR 1112\3, § 84 I 2 a) m.w.N.

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F. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ausländischen Haftungssysteme 101

sungsbegriff und - weitergehend - die Schädigung durch einen Mangel des Bauwerkes. Ein Konnex zum Haftungsmaßstab läßt sich dabei nicht ausmachen. So knüpfen sowohl die Niederlande als auch die Schweiz mit ihren strengen und objektiven Maßstäben an den Mangel an, während das - nach h. M. verschuldensabhängige - österreichische Recht Einsturz und Ablösung von Teilen zum Ausgangspunkt nimmt. Das Einsturzerfordernis führt freilich, wie sich auch im deutschen Recht noch zeigen wird, zu Ungereimtheiten und nötigt zu Analogien, beispielsweise bei Stürzen in ungesicherte Gruben oder Kelleröffnungen406 • Daß die neueren Gesetzgebungen in England407 und den Niederlanden408 hierauf verzichten, könnte auch für andere Rechtsordnungen Anlaß bieten, die eigenen Regelungen diesbezüglich zu revidieren409. Der Haftungsmaßstab variiert zwischen objektiver Haftung (Frankreich, Schweiz und Niederlande), Verschuldenshaftung mit Beweislasturnkehr (Österreich) sowie einfacher Fahrlässigkeitshaftung (England). Wie bereits eingangs dieses Gliederungspunktes erwähnt, findet sich die Gemeinsamkeit in dem notwendigen Nachweis eines Bauwerks- bzw. Grundstücksmangels. Eine reine (Gebäude-)Gefährdungshaftung ist in keiner der untersuchten Rechtsordnungen verwirklicht worden410 • Andererseits kann im Wege des Anscheinsbeweises gegebenenfalls auf einen Baumangel geschlossen werden, was bei den objektiven Haftungssystemen eine starke Annäherung an die reine Gefährdungshaftung bedeutet411 • Der endgültigen Qualifikation als solcher steht aber entgegen, daß es hierbei nach überwiegender Ansicht typischerweise nicht auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ankommt, sondern vielmehr der Gedanke des erlaubten Risikos die tragende Grundlage So im österreichischen Recht, oben A III. Sowohl die OLA von 1957 und 1984, als auch der Defective Premises Act von 1972. Die im common law im Bereich der nuisance etablierte Beweislastverschiebung aus Wringe v. Cohen knüpft sich allerdings an den Einsturz eines künstlichen Bauwerkes, oben E 11. 408 Oben D m. 409 Für einen Verzicht auf den Einsturzbegriff: v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242f. In Frankreich steht allerdings schon jetzt die Sachhalterhaftunl aus Art. 1384 I Alt. 2 C.c. als Reserve bereit, vgl. Ferid/Sonnenberger, Bd. 11 , Rn. 2 0 349; auch Schreiber, S. 7. 410 Anders § 347 I ZGB der DDR, wo ein Baumangel nicht erwähnt ist, sondern es auf den Einsturz des Gebäudes, das Versagen seiner Einrichtungen oder die Ablösung von Teilen ankommt, vgl. Kötz, Deliktsrecht8 , Rn. 373; auch van Veenroy, SchlHA 1980, S. 66, Fn. 8. Gedanke war aber auch hier die Schadensprävention durch Instandhaltung, daneben spielte die Versicherbarkeit des Risikos eine Rolle: Göhring/Posch, Zivilrecht 2, S. 224. 411 Koziol S. 221 u. 224 sieht in dem erforderlichen Mangel (und dessen Nachweis) offenbar kein Hindernis für die Einordnung der Gebäude- in den Kreis der Geflihrdungshaftungen. . 406

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102

§ 3 Rechtslage in anderen europäischen Staaten

bildet412 • Ein reparaturbedürftiges Gebäude wird jedoch in einer Vielzahl von Fällen dem Bauordnungsrecht widersprechen, womit systemwidrig der rechtswidrige Zustand als Regelanknüpfungspunkt gewählt würde.

412 Fikentscher, SchR9 , Rn. 1319; Deutsch, Unerlaubte Handlungen 3 , Rn. 7; ähnlich Kürschner, NZV 1995, S. 7; kritisch LarenziCanaris, SchR 1112 13, § 8411 2 a).

§ 4 Die Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht Die historische und rechtsvergleichende Betrachtung in § 2 und § 3 hat ergeben, daß die Gebäudehaftung in den verschiedenen Rechtsordnungen in unterschiedlichem Gewand auftritt. Die nun folgende Untersuchung der heutigen deutschen Gebäude- und Werkhaftung soll einerseits eine Einordnung in diese Systematik zum Ziel haben. Im Gegenzug wird versucht, die teilweise problematische und umstrittene Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale mit Hilfe der gewonnenen Kriterien einer Lösung zuzuführen.

A. Rechtsnatur des § 836 BGB Um der eingangs angedeuteten Zielsetzung folgen zu können, ist es erforderlich, sich zunächst einmal Klarheit über die Rechtsnatur des § 836 BGB zu verschaffen. I. § 836 BGB als Verschuldenstatbestand Es entspricht der heute ganz h. M., daß es sich bei § 836 BGB um einen Verschuldenstatbestand handelt, welcher lediglich die Beweislast für das Verschulden und dessen Ursächlichkeit umkehrtl. Dafür spricht schon der Wortlaut der Norm, der für den Entlastungsbeweis die "zum Zwecke der Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderliche Sorgfalt" postuliert (§ 836 I S. 2 BGB), was mit dem Fahrlässigkeitsbegriff in § 276 I S. 2 BGB übereinstimmt2 • Als Kontrast wäre im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuches neben § 833 S. 1 BGB - die einen Vertrag voraussetzende Erfolgshaftung des Gastwirtes nach § 701 BGB zu nennen 3, wo Absatz 3 zur Entlastung I BGHZ 55, 229 (234f.); BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291; RG JW 1904, S. 91; RG JW 1915, S. 580; OLG Karlsruhe, VersR 1979, S. 59 (60); PalandtlThoTrUls59 , § 836, Rn. 1; RGRKIKre[t12, § 836, Rn. 2; SoergellZeuner l2 , § 836, Rn. 2; StaudingerlBellinglEberl-Borges l , § 836, Rn. 1; WeiTrUlr, VP 1968, S. 173; früher schon Delius, S. 11. Mißverständlich OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340. 2 Delius, S. 11 f.; Kaulfers, S. 17. Dasselbe gilt für andere Verschuldenstatbestände, vgl. § 831 Abs. 1, S. 2; § 833 S. 2 und § 834 S. 2. A.A. Eckstein, Gruchot

Bd. 58, S. 331, dem selbst diese Formulierung nicht deutlich genug erscheint. 3 PalandtlThoTrUlS59 , § 701, Rn. 1; StaudingerlWemer l3 , Vorbem. § 701, Rn. 5 m. w. N. zum Streitstand, ob es sich um eine Gefährdungshaftung handelt.

104 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

nur Verursachung durch den Geschädigten bzw. seine Begleitpersonen, die Beschaffenheit der Sache oder höhere Gewalt genügen läßt. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien finden sich eindeutige Äußerungen zugunsten des Verschuldensprinzips, während das Erfolgsprinzip verworfen wurde4 . Immerhin hat es dennoch vereinzelte Versuche gegeben, die Norm in einen verschuldensunabhängigen Tatbestand umzudeuten, so daß entgegen §§ 827, 828 BGB Deliktsunfahige der Haftung unterworfen sein könnten5 • Für diese Interpretation lassen sich im wesentlichen systematische Überlegungen ins Feld führen. So könnte man annehmen, daß der Gesetzgeber bis einschließlich § 832 BGB die Verschuldenshaftung behandelt wissen wollte, dann aber mit § 833 und § 835 BGB 6 aufeinander folgend und in unmittelbarer Nähe des § 836 BGB objektive Tatbestände geregelt habe 7 . Dieser Systemwechsel müsse konsequenterweise bei der Gebäudehaftung seinen Fortgang finden s. Ein weiteres Argument ergibt sich aus § 829 BGB. Dort wird die Billigkeitshaftung als Ausnahme vom Verschuldensprinzip nur für die in §§ 823 bis 826 BGB normierten Fälle genannt, so daß man versucht ist, § 836 BGB als Erfolgshaftung zu werten, für die eine solche Billigkeitsregelung obsolet wäre 9 • Diesen formalen Begründungen kann indes schon auf gleichermaßen formaler Ebene begegnet werden. Zunächst einmal trägt der Gedanke des Systemwechsels von der Verschuldens- zur Gefahrdungshaftung schon deshalb nicht, weil § 834 BGB, welcher eine deutliche Verschuldensvermutung beinhaltet, dieser Argumentation zuwiderläuft 10. Ebenso findet sich mit § 832 BGB wiederum eine Verschuldensvermutung, die in § 829 BGB nicht genannt ist, bei der eine Erfolgshaftung jedoch nicht zur Debatte stehtlI. Überdies hat das Reichsgericht schon recht früh befunden, daß die Interessenlage bei § 836 BGB eine entsprechende Anwendung des § 829 BGB rechtfertige 12, was eine deutliche Absage an die objektive Haftung bedeutet. Motive 11, S. 817 f.; Protokolle 11, S. 655 und oben, § 2 E. Insbesondere Eckstein, Gruchot Bd. 58, S. 330. 6 Der sogenannte Wildschadensparagraph wurde in §§ 29ff. Bundesjagdgesetz neu gefaßt. 7 Eckstein, Gruchot Bd. 58, S. 330. Die Verschuldenshaftung des § 833 S. 2 steht dem nicht entgegen, da diese erst in einer Novelle im Jahre 1908 hinzugefügt wurde. Daß sich allerdings mit § 834 BGB doch wieder ein Verschuldenstatbestand in diese Systematik "eingeschlichen" hat, wird offensichtlich nicht als störend für die Argumentationskette empfunden. 8 Eckstein, Gruchot Bd. 58, S. 330. 9 So Meyer, Recht 1924, S. 281. 10 Vgl. schon zuvor Fn. 7. \I Bei § 831 BGB will Meyer, Recht 1924, S. 280f. dagegen ebenfalls eine objektive Haftung annehmen. 4

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A. Rechtsnatur des § 836 BGB

105

Neben der formalen Begründung, welche - wie gezeigt - schon in sich nicht recht schlüssig wirkt, wurden gelegentlich zusätzliche inhaltliche Erwägungen zugunsten der Erfolgshaftung angestellt. So wurde eingewandt, daß derjenige, welcher die Vorteile aus einer Sache ziehe, deren Lasten, respektive den Schadensersatz, auch dann tragen müsse, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last falle. Überdies könnten solche Risiken durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt werden 13. Ferner werde durch die Existenz eines fehlerhaften Bauwerkes ein dem Betrieb einer Eisenbahn oder Halten eines Tieres vergleichbares Risiko gesetzt, das deshalb ebenso die Belegung mit einer Erfolgshaftung verdiene 14 • Die Annahme der vergleichbaren Gefährlichkeit erscheint jedoch deshalb zweifelhaft, weil sie einerseits nicht empirisch belegt ist und andererseits kein Axiom bildet. Wollte man den Grad der Gefahrdungen vergleichen, so müßte man zumindest die Anzahl der Unglücksfalle zu Rate ziehen, diese aber auch ins Verhältnis zur Menge der möglichen Haftungsquellen setzen. Im Bereich der Gebäude und Werke ist letztere aber selbst dann, wenn man eine Beschränkung auf mangelhafte Bauten zugrundelegt, nahezu unüberschaubar 15 , so daß ein entsprechender Vergleich bestenfalls eine grobe Annäherung bieten kann. Daß jemand die Vorteile aus einer Sache zieht, rechtfertigt für sich genommen eine Erfolgshaftung ebenfalls nicht, da andernfalls § 823 I BGB bezüglich beweglicher Gegenstände konsequenterweise im Sinne einer (objektiven) Sachhalterhaftung nach dem Muster des Art. 1384 Abs. 1, Alt. 2 des französischen C.C. interpretiert werden müßte, was evident der Gesetzeslage widerspricht. Ebenso wie bei dem daran anknüpfenden Gedanken der Versicherbarkeit handelt es sich um rechtspolitische Erwägungen, welche allenfalls de lege ferenda zu Bedeutung gelangen könnten, die geltende Fassung der §§ 836ff. BGB in ihrem Wortlaut aber nicht aushebein dürfen. Mit der heute ganz herrschenden Meinung ist mithin am Verschuldens-Charakter der bürgerlich-rechtlichen Gebäude- und Werkhaftung festzuhalten.

12 RG JW 1915, S. 580f.; heute h.M., siehe nur PalandtIThoma;9, § 829, Rn. 4; StaudingerISchä!er I2 , § 829, Rn. 20 m. w.N. Anders noch RGZ 74, 143 (145). Bei den Ausführungen in der letztgenannten Entscheidung handelte es sich allerdings um ein obiter dictum, zudem wurde die Analogiefähigkeit des § 829 BGB grundsätzlich bejaht. 13 Meyer, Recht 1924, S. 281. 14 Eckstein, Gruchot Bd. 58, S. 330. IS Vgl. die Ausführungen in § 1. Zudem sind Mängel häufig verborgert und statistisch deshalb erst recht nicht zu erfassen.

106 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

11. § 836 BGB als besonderer Fall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten

In Rechtsprechung und Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß es sich bei § 836 BGB um einen gesetzlich geregelten Sonderfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten 16 handelt 17, welche überwiegend bei § 823 I BGB verortet werden l8 • Weitergehend ist sogar die Feststellung getroffen worden, daß der Spezialtatbestand neben denselben überflüssig sei 19. Ob diese letztere These bis in die letzte Konsequenz hinein tragfahig ist, erscheint fraglich. Mindestens würde der Verlauf der Rechtsentwicklung hierdurch auf den Kopf gestellen. An dieser Stelle soll erst einmal die Feststellung genügen, daß das Problem der Erforderlichkeit oder Überflüssigkeit des § 836 BGB gegenüber § 823 I BGB vornehmlich im Bereich der Verschuldensvermutung und ihrem Verhältnis zur fehlerhaften Errichtung und Unterhaltung, also der Beweislastfrage, anzusiedeln ise 1• Da im Bereich der allgemeinen Ver16 Häufig wird dergestalt unterschieden, daß der Begriff "Verkehrssicherungspflichten" im Zusammenhang mit dem Zustand von Sachen gebraucht wird, während sich die "Verkehrspflichten" auf sonstige Gefahren, wie z. B. das Inverkehrbringen von Produkten, beziehen sollen. Hierzu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S.115 mit Fn. 619; Kötz, Deliktsrecht8 , Rn. 233; Esser/Weyers, SchR BT 117 , § 55 11 3 mit Fn. 107. Deutsch, Unerlaubte Handlungen 3 , Rn. 253 plädiert für eine allgemeine Verwendung des Begriffs "Verkehrspflichten". In der Folge wird bei den hier interessierenden Gebäuden und Werken der Begriff "Verkehrssicherungspflicht" verwandt. 17 Grundlegend RGZ 52, 373 (379); BGH VersR 1991, S. 72 = LM § 836 BGB Nr. 23; BGH WM 1990, S. 1878 (1880) = LM § 838 BGB Nr. 5; BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = BGH LM § 836 BGB Nr. 22; BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20; BGH WM 1976, S. 1056 (1058); BGH VersR 1969, S. 517 (518); BGHZ 58, 149 (156); BGHZ 55, 229 (235); Palandt/Thomas59 , § 836, Rn. 1; RGRK/Kreft I2 , § 836, Rn. 1; Wussow/Kuntz I4 , Rn. 607. Kritisch zur Entwicklung der Verkehrs(sicherungs)pflichten aus § 836 BGB unter Bezugnahme auf dessen Ausnahmecharakter: v. Bar, Verkehrspflichten, S. 19. 18 So z.B. Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 88ff.; Larenz/Canaris, SchR 11/2 13 , § 76 III 2 b) m. w.N. Für eine Einordnung bei § 823 11 BGB aber v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157ff. 19 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 19f., aber einschränkend derselbe, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 116f.; in diese Richtung auch Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 2 und Mertens in der Vorauflage, ebenda, Rn. 2, wo eine Anwendung des § 836 in analoger Form, eine Ausdehnung desselben oder die Übernahme der Beweislastregelung in § 823 I als gleichwertige Alternativen ausgewiesen werden. 20 § 836 war Vorbild sowohl für die Verkehrssicherungspflicht, RGZ 52, 373 (379) (Umfallen eines morschen Baumes), als auch für die Beweislastverteilung bei Verkehrspflichten, die nicht allein den Zustand von Sachen betrafen, BGHZ 51, 91 (106) (Produkthaftung). 21 Daneben kann noch der Gedanke der differenzierten Feststellung der Person des Pflichtigen über §§ 836 bis 838 BGB ins Spiel kommen.

B. Normzweck

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kehrs( sicherungs)pflichten je nach Gefahrenbereich Beweiserleichterungen vom Anscheinsbeweis bis hin zur Beweislastumkehr in Betracht kommen 22 , steht dem § 836 BGB zumindest noch das Verdienst der gesetzlichen Normierung und damit der Rechtsklarheit für den Bereich der Gebäude und Werke zu. Einzuräumen ist allerdings, daß die Anwendung und Bedeutung durch die Entwicklung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflichten zurückgedrängt worden ist23 , was sich nicht zuletzt darin dokumentiert, daß es bei nachweislichem Verschulden seiner Heranziehung nicht mehr bedarf24 und umgekehrt auch bei tatbestandlicher Ablehnung25 ein Rückgriff auf dfe deliktische Grundnorm möglich bleibt26 • Im Ergebnis stellt sich die Gebäude- und Werkhaftung heute damit als ein eigenständiges Gefüge dar, welchem im Verhältnis zu § 823 I BGB eine Ergänzungs- und . KOnkretisierungsfunktion27 zukommt.

B. Normzweck Vor dem Eintritt in die Auslegung der Tatbestandsmerkmale empfiehlt sich ein kurzer Blick auf den Normzweck der Bauwerkshaftung des BGB, 22 Vgl. BGH NJW 1986, S. 2757 (2758); Deutsch, Unerlaubte Handlungen3 , Rn. 261; Kötz, Deliktsrecht8 , Rn. 257ff. 23 Vgl. Staudinger/Schäjer12 , § 836, Rn. 3, der § 836 als nicht mehr konstitutiv bezeichnet; Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 2; RGRKIKreft12, § 836, Rn. 3. Dagegen sieht die Rechtsprechung die Bedeutung nach wie vor auch in der Rechtspflicht zur Unterhaltung des Bauwerkes: BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = BGH LM § 836 BGB Nr. 22; BGH LM § 836 BGB Nr. 12 a) = BGH MDR 1968, S. 916. Fikentscher, SchR9 , Rn. 1282 betrachtet § 836 als eigenständige Anspruchsgrundlage. 24 Vgl. BGH VersR 1969, S. 517; Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 2. 2S Dies betrifft nicht den Entlastungsbeweis, dessen Führung ein Verschulden und damit auch § 823 I ausschließt, OLG Düsseldorf, VersR 1952, S. 134 (135). 26 BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2 (Haftung des Friedhofsbesitzers aus § 823 I BGB neben der des aus § 837 BGB verpflichteten Grabsteininhabers); BGH VersR 1969, S. 517 (518); BGH VersR 1969, S. 37; OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340 (Feuer); OLG Saarbrücken, VersR 1985, S. 299 (Dachlawine). Fikentscher, SchR9 , Rn. 1282 spricht zusammenfassend von Anspruchskonkurrenz. Anders aber OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152: Kein eigenständiger Haftungstatbestand. 27 Deutlich wird diese Konkretisierungsfunktion in OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 191: Dort war § 823 I BGB die Anspruchsgrundlage, es wurde aber "in sinnentsprechender Anwendung des § 836 Abs. 2 BGB" eine Haftung des früheren Eigenbesitzers erwogen. Zur Konkretisierungsfunktion auch Medicus, Bürgerliches Recht 18 , Rn. 649; Herrmann, S. 244f. Für eine sinngemäße Anwendung des § 836 Abs. 2 BGB auf die Zustandsverantwortlichkeit bei militärisch beschlagnahmten Grundstücken in der ehemaligen DDR siehe das Urteil des BSG, Die Versorgungsverwaltung 1997, S. 12f.

108 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

wie er sich nach dem heutigen Erkenntnisstand von Rechtsprechung und Schrifttum darstellt, an. Dabei sind zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden: Zunächst einmal geht es um den Grund dafür, daß überhaupt für Gebäude und andere Werke gehaftet wird. Die Gesetzesverfasser weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß durch diese Objekte zahlreiche Dritte in erheblichem Maße geschädigt werden könnten 28 • Der genannte Aspekt hat mit der Entwicklung der Verkehrs(sicherungs)pflichten allerdings an Bedeutung verloren, da die Haftung für den Zustand eifcener Gegenstände der Rechtsanwendung des BGB nun nicht mehr fremd ist 9. Wichtiger ist hingegen die Begründung der Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens, welche zumindest nach der derzeitigen Rechtslage im Bereich der Grundstückshaftung eine Verschärfung gegenüber der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht bewirkt3o• Hierbei finden sich zweierlei Ansätze: Zum einen wird verstärkt auf die spezifische Gebäude- und Werkgefahr abgestellt, der man nur durch Einhaltung der Regeln der Ingenieurund Baukunst bei der Errichtung bzw. sachgerechte Unterhaltung entgegenwirken könne. Aus der Feststellung der hierfür erforderlichen Umstände resultiere häufig eine Beweisnot des Geschädigten, welche durch die Beweislastumkehr behoben werden müsse, zumal dem Eigenbesitzer die Aufklärung eher möglich und zuzumuten sei3 !. Nach diesem Ansatz beruht die Verschuldensvermutung also auf einer Kombination von physikalischen und wertenden Gesichtspunkten. Nach anderer Ansicht soll es vorrangig darauf ankommen, daß der schadensverursachende Mangel dem Bauwerk des Eigenbesitzers anhaftet. Auch hier sind die Beweisprobleme des Geschädigten und die Beweisnähe des Besitzers tragendes Moment, die Begründung stützt sich indes vornehmlich auf den Sphärengedanken, während die spezifische Gebäudegefahr demgegenüber in den Hintergrund tritt32 • Mot. 11, S. 816. Siehe auch Soergel/Zeuner I2 , § 836, Rn. 1. Oben A 11. Siehe auch BGH NJW 1979, S. 309 = LM § 836 BGB Nr. 16; BGHZ 58, 149 (156): Der Haftung des Gebäudebesitzers liege der Gedanke zugrunde, daß jeder für den durch seine Sachen verursachten Schaden einzustehen hat, soweit er ihn bei billiger Rücksichtnahme hätte verhüten können (grundlegend war RGZ 52, 373 (379), vgl. oben Fn. 20). 30 Zu den Bestrebungen in der Literatur, die Beweislastumkehr auszudehnen bzw. auf § 823 I zu übertragen siehe unten C IV. 31 RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 4; Staudinger/Schäjer 12 , § 836, Rn. 4. Die Rechtsprechung leitet hieraus bei der Kausalität das Erfordernis der "Schädigung durch die bewegend wirkende Kraft des Einsturzes oder der Ablösung" her, RGZ 97, 112 (114); BGH NJW 1961, 1670; BGH WM 1976, S. 1056 (1057); BGH VersR 1983, S. 588 = LM § 836 BGB Nr. 19; neuerdings OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340. 32 LarenziCanaris, SchR 1112 13 , § 79 VI 1 a) und 2 a); für eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen allgemein: Prölss, VersR 1964, S. 901 ff.; ablehnend RGRK/Steffen I2 , § 823, Rn. 532; Spickhojf, Gesetzesverstoß, S. 289f. m. w. N. 28

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c.

Das Haftungsobjekt

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Vorweggenommen sei hierbei, daß die Befürworter eines überwiegenden Sphärengedankens der extensiven Anwendung des § 836 BGB, sei es nun in Form der Auslegung, der Gesetzesanalogie oder aber der Übertragung der Beweislastregelung auf § 823 I BGB, erheblich aufgeschlossener gegenüberstehen 33 , während die kombinierte physikalisch-wertende Betrachtungsweise eine Analogie nur ausnahmsweise annehmen möchte 34 • Zusammenfassend läßt sich sagen, daß insoweit Einigkeit über den Grund der Beweislastumkehr herrscht, wie es überhaupt um die Kombination von Bauwerksgefahr und Sphärengedanken geht. Unterschiede ergeben sich erst in der Frage, ob nun physikalische oder normative Elemente bei der Anwendbarkeit dominieren sollen, wobei letzteres für den Geschädigten günstiger ist.

C. Das Haftungsobjekt Nach § 836 I S. 1 BGB 35 wird für den Einsturz von Gebäuden oder Werken oder die Ablösung von Teilen derselben gehaftet. I. Gebäude- und WerkbegritT Der Begriff des Gebäudes findet in verschiedenen Rechtsgebieten Erwähnung. So sind z. B. aus dem Strafrecht die §§ 243 I S. 2 Nr. 1, 306 Nr. 1 u. 2 (= § 306 a I Nr. 1 u. 2 n.F.) StGB und aus dem öffentlichen Recht die einschlägigen Bestimmungen der Landesbauordnungen (vgl. nur § 2 III

33 Vgl. LarenzlCanaris, SchR 1112 13 , § 79 VI 2 a). Für einen weiten Anwendungsbereich, allerdings ohne ausdrückliche Erwähnung des Sphärengedankens, spricht sich auch Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 1ff. aus. Eine allgemeine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens bei Verkehrssicherungspflichten befürwortet v. Bar, Verkehrspflichten, S. 302f. Enger StaudingerlBellingl Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 10-13, wo die analogen Anwendungen mit der Vermeidung von Wertungs widersprüchen begründet und auf Handlungsbedarf für den Gesetzgeber hingewiesen wird. 34 RGRK/KrejtI2, § 836, Rn. 5; StaudingerlSchäfer l2 , § 836, Rn. 5. BGH VersR 1961, S. 806, 808: grundSätzlich keine ausdehnende, insbesondere analoge Anwendung; OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340: keine "faktisch erweiternde Anwendung", um keine allgemeine Haftungsverschärfung für den Gebäudeinhaber zu schaffen, die "ihren irgendwie gearteten Ausgangspunkt in der Gestalt des Gebäudes haben könnten"; vgl. insoweit auch StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 7 u. 10, wo bezüglich des Haftungsobjektes der Errichtungsmangel als Haftungsgrund betont wird, um auf diese Weise natürliche Gegenstände auszugrenzen. 3S Dieser Satz bildet den Grundtatbestand, Abs. I S. 2 regelt dann die Beweislastfrage, während § 836 Abs. 2 und 3, § 837 und § 838 sich allein mit der Bestimmung der Person des Pflichtigen beschäftigen.

110 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Thür BauO, § 2 II NBauO) zu nennen 36• Auch im BGB ist das Gebäude in unterschiedlichem Regelungszusammenhang aufgenommen worden 37 . Im Strafrecht kann der Begriff entsprechend der im Vordergrund stehenden Schutzrichtung variieren38 , Modifikationen finden sich aber ebenso im Zivilreche9 . Für § 836 BGB tritt freilich - anders als z.B. in § 94 11 oder bei § 912 BGB - die Besonderheit hinzu, daß hinter dem Gebäude- der umfassendere Werkbegriff bereitsteht, wobei letzterer an sich zu einer Aufsaugung des ersteren führen könnte40 . In der Rechtsprechung zur Gebäudehaftung wird folglich üblicherweise auf eine eigene Definition des Gebäudes verzichtet und entweder ohne genaue Erläuterung die Gebäudequalität festgestellt41 , allenfalls ergänzende Kriterien angemerkt42 , oder eine Abgrenzung gar ganz außen vor gelassen43 • Die Literatur nimmt sich demgegenüber der Problematik an und bezeichnet als Gebäude "umschlossene Bauwerke, die 36 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 5 m. w.N. auch zum steuerrechtlichen Gebäudebegriff; siehe auch Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 17. 37 Vgl. § 94 BGB (Gebäude als wesentlicher Bestandteil in Abs. 1 und wesentliche Bestandteile eines Gebäudes in Abs. 2; entsprechend § 95 BGB für Scheinbestandteile), § 98 Nr. 1 BGB (Gewerbliches Inventar); § 908 BGB (welcher eine Ergänzung der §§ 836ff. BGB im präventiven Bereich darstellt), § 912 BGB (Überbau), § 1093 BGB (Wohnungsrecht) sowie § 1128 BGB (schuldbefreiende Zahlung eines Gebäudeversicherers im Verhältnis zum Hypothekengläubiger). 38 So muß es sich nach § 243 I S. 2 Nr. 1 StGB um ein Bauwerk handeln, weiches zusätzlich zum möglichen Eintritt von Menschen und der Eignung und Bestimmung zum Schutz von Menschen oder Sachen Unbefugte abhalten soll, Schönke/ Schröder/Ese?S, § 243, Rn. 7. Anders aber in § 305 StGB, wo nicht die im Bauwerk befindlichen Gegenstände, sondern das Bauwerk als solches geschützt werden soll, Schönke/Schröder/Esefls, § 305, Rn. 3. 39 Zum Streit um den erweiterten Gebäudebegriff in § 912 BGB siehe Münchener Kommentar/Säcke~, § 912, Rn. 4 m.w.N. Zumindest rur § 94 11 BGB wird ebenfalls ein weiter Gebäudebegriff vertreten, siehe Erman/Michalski9 , § 94, Rn. 8; weitergehend auch rur § 94 I BGB: Palandt/Heinrichss9 , § 94, Rn. 3 m. w.N. Anders als in Abs. 2 werden in Abs. I allerdings sonstige mit dem Boden fest verbundene Sachen erwähnt, so daß es einer Ausdehnung des Gebäudebegriffes dort an sich nicht bedarf. 40 Jauemig/Teichmann 9 , § 836, Rn. 4 hält die Abgrenzung rur bedeutungslos; ebenso Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 18; Oertmann S , § 836, Anm. 2 sieht das Gebäude als Unterfall des Werkes. Streng genommen dürfte ihm wohl eher Beispielscharakter zukommen, vgl. zu dieser Problematik oben § 3 B I zum schweizerischen Recht. 41 BGH NJW 1993, S. 1782 = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20 (in beiden Fällen ging es um Wohngebäude); BGH WM 1990, S. 1878 = LM § 838 BGB Nr. 5 (Scheunentor als Gebäudeteil); LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278 (Kirchturm). 42 BGH JZ 1951, S. 173 = LM § 836 BGB Nr. I; BGH VersR 1952, S. 207 = LM § 836 Nr. 2 (schadhafte Gebäude auf einem Trümmergrundstück).

C. Das Haftungsobjekt

lU

mit dem Grundstück verbunden sind44, von Menschen betreten werden können und zum Aufenthalt von Menschen oder Tieren oder zur Unterbringung von Sachen bestimmt sind,,45. Der Zustand der Gebäude spielt für die Eigenschaft als solches keine Rolle und so werden folgerichtig vom Krieg zerstörte Häuser46 ebenso wie Rohbauten47 hierzu gerechnet. Hiervon ist wiederum zu trennen, welches Maß an Sorgfalt bei desolatem oder unfertigem Zustand geschuldet wird48 . Als sonstiges Werk bezeichnet man Gegenstände, die einem bestimmten Zweck dienen und nach den Regeln der Baukunst oder der Erfahrung unter Verbindung mit dem Erdkörper von Menschenhand hergestellt worden sind49 . Daß es. sich um eine Errichtung durch Menschenhand handeln muß, ergibt sich schon aus etymologischen Erwägungen heraus, da man als "Werk" sowohl das Ergebnis, als auch die darauf gerichtete Tätigkeit verstehen darf5o. Ausgegrenzt werden auf diese Weise natürlich Gewachsenes51 , aber ebenso künstliche Gegenstände, die nicht willkürlich zusammengefügt wurden 52 . Die Zweckgerichtetheit gebietet es wiederum, Ansamm43 LG Aachen, VersR 1990, S. 63 (Bierpavillion "zumindest" Bauwerk); AG Leutkirch, NJW-RR 1996, S. 859 spricht bei Schäden durch ein Gewächshaus nur von einem Bauwerk. 44 EmumlSchiemann9 , § 836, Rn. 2 verlangt eine feste Verbindung. Dagegen Katzschner, S. 22 f, weil der Gebäudebegriff in § 95 BGB dies nicht erfordere. 45 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 5, wo ergänzt wird, daß die Verbundenheit mit dem Boden auch auf der eigenen Schwere beruhen kann; RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 10 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zu § 912; Soergel/Zeuner I2 , § 836, Rn. 4; JauemiglTeichmann 9 , § 836, Rn. 4; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 17; Kaulfers, S. 24; Katzschner, S. 20f. Hier handelt es sich also um den engeren Gebäudebegriff, wie er sich ähnlich auch im öffentlichen Recht findet, vgl. § 2 III ThürBauO, § 2 11 NBauO. Zur Erweiterung des Gebäudebegriffes s.o. bei Fußnote 39. 46 BGH JZ 1951, S. 173 = LM § 836 BGB Nr. 1; BGH VersR 1952, S. 207 = LM § 836 BGB Nr. 2; BGH VersR 1952, S. 291 = LM § 836 BGB Nr. 4; siehe auch RG WamR 1912 Nr. 78 (für Abbruchbauten). Für im Abbruch befindliche Gebäude a. A. Lotze, S. 62, was angesichts drohender Schutzlücken im Gebäudehaftungssystem nicht überzeugt. Vgl. zur Abbruchsproblematik unten D) IV 2. 47 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20; RG WamR 1912 Nr. 78; JauemiglTeichmann 9 , § 836, Rn. 4. A.A. Lotze, S. 62, dessen Auffassung, wie auch schon im Falle der Abbruchbauten, als zu eng abzulehnen ist. 48 In oder nach Krisenzeiten wird üblicherweise ein geringerer Maßstab angelegt, siehe BGH JZ 1951, S. 173 = LM § 836 BGB Nr. I für durch den 2. Weltkrieg zerstörte Häuser. Auch die derzeitige Bausubstanz in den neuen Bundesländern wird insofern berücksichtigt, OLG Dresden, NJ 1994, S. 225 (226). 49 RGZ 60, 138 (139); RGZ 76, 260 (261). so Vgl. RGZ 60, 138 (139); LarenzlCanaris, SchR 1112 13, § 79 VI 2. Entsprechend verhält es sich mit dem lateinischen Begriff "opus", vgl. WindscheidlKipp, S. 998 f. bei Fn. I; auch Hesse, Rechtsverhältnisse, S. 49 f.; derselbe, cautio, S. 28. Siehe auch Katzschner, S. 19.

112 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

lungen von Gegenständen, welche nur als Nebenprodukte anfallen, nicht dem Kreise der Werke zuzurechnen53 . Nun könnte man gerade bei diesem Kriterium der Zweckgerichtetheit Zweifel anmelden. Immerhin ließe sich argumentieren, daß das Gefahrenpotential eines beispielsweise bei Bauarbeiten aufgeworfenen Schutt- oder Abfallhaufens - eine entsprechende Höhe vorausgesetzt - dem eines Gebäudes vergleichbar wäre. Das Reichsgericht bringt indes verschiedene Gesichtspunkte, die gegen eine solche Argumentation sprechen, in die Waagschale. So soll die Zweckgerichtetheit schon dem Werkbegriff immanent sein54 , wobei dies für sich genommen noch nicht zwingend ist, da der Werkbegriff auch rein tätigkeitsbezogen aufgefaßt werden kann 55. § 836 BGB setze ferner zumindest die Möglichkeit der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung voraus, was die Zweckgebundenheit impliziere56 • Überzeugend ist schließlich der Hinweis auf den Konnex zwischen Gebäude und Werk57 • Hier wird also nicht nur der Beispielscharakter des Gebäudes offenkundig, sondern weitergehend der Gebäudebegriff für die Auslegung des Werkes relevant 58. Im Ergebnis ist deshalb der wortsinnorientierten Interpretation des Reichsgerichtes zuzustimmen59 • Auslegungsbedürftig stellt sich ebenfalls der Terminus der Verbindung des Werkes mit dem Grundstück dar. Erkennt man die Prämisse einer Leit51 RGZ 149, 205 (210) (Fels); auch BGH VersR 1964, S. 975 (976) (Felsbrokken). Diese Entscheidung steht in Einklang mit der Intention der Gesetzgeber, Mot. 11, S. 816 und oben § 2 E). Im römischen Recht wurde für Bäume wegen der ausdrücklichen Erwähnung in Dig. 39, 2, 24, 9 gehaftet, vgl. § 2 A III 1. 52 BGH NJW 1961, S. 1670 = LM § 836 BGB Nr. 12: Bildung einer Flußsperre durch Brückentrümmer, welche allmählich mit Schlamm aufgespült worden waren; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 8, Fn. 39 bezeichnet dies als einen Grenzfall. 53 RGZ 60, 138: Hier handelte es sich um bei Kanalbauarbeiten aufgeschüttete Erdmassen. Vgl. auch OLG Frankfurt, VersR 1978, 157 (Abfallhaufen), wo § 836 BGB nicht einmal erwogen wurde (zudem stand dort auch die chemische Wirkung von ungelöschtem Kalk in Rede, so daß es nach der Rspr. ohnedies am Kriterium der "bewegend wirkenden Kraft" gefehlt hätte); hierzu auch Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 8. 54 RGZ 60, 138 (139). 55 Vgl. oben bei Fn. 50. 56 RGZ 60, 138 (139); zustimmend Lotze, S. 26. 57 RGZ 60, 138 (139). 58 Wie dies z.T. im schweizerischen Recht vertreten wird, oben§ 3 B) I. 59 A.A. Oertmann 5 , § 836, Rn. 2 b) für Sandkippen beim Kanalbau, weil diese notwendiger Teil des Kanals seien; Hagedorn, S. 20f. I.E. ebenso OLG Kiel OLGE 9, 46. Dies berücksichtigt allerdings nicht hinreichend, daß auch ein Bauwerksteil seinen Zweck am Gesamtwerk erfüllen muß, vgl. § 9411 BGB.

C. Das Haftungsobjekt

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bildfunktion des Gebäude- für den Werkbegriff an60, so lassen sich im Zusammenspiel mit den Normen des allgemeinen Teils des BGB die nachfolgenden Ableitungen bilden: Zum einen genügt es für ein Werk nicht, daß es eine völlig lose Verbindung mit dem Grundstück aufweist61 . Dies ergibt sich aus § 94 I BGB, wo für die Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil des Grundstückes eine feste Verbindung gefordert wird, wofür das Gebäude den Regelfall darstellt62 . Dabei ist allerdings zu beachten, daß es sich beim Bezug auf § 94 I BGB nur um einen Orientierungspunkt handeln kann, da § 836 BGB die Festigkeit der Verbindung gerade nicht erwähnt. Zudem dienen die §§ 93ff. BGB der Verhinderung des Wertverlustes von Sachen durch Trennung63 , während § 836 BGB gerade nicht das Bauwerk selbst, sondern Dritte vor dessen Mängeln schützen soll64. Zu eng wäre es deshalb, § 94 I BGB unmittelbar zu übertragen und als Werk nur das anzusehen, was wesentlicher Bestandteil ist65 . Ferner braucht die Verbindung nicht dauerhaft zu sein, sondern es reicht eine vorübergehende Errichtung aus, weil § 95 I S. I BGB 66 die Qualifikation als Gebäude gerade unberührt läßt. Diese Wertung des § 95 I S. I BGB läßt sich im Wege des Erst-recht-Schlusses auf § 836 BGB übertragen: Wenn bei der wirtschaftlichen Zielsetzung der Erhaltung von Sachwerten die Gebäudeeigenschaft durch vorübergehende Verbindung nicht tangiert wird, muß dies ebenfalls im Zusammenhang mit dem Schutz Dritter im Rahmen des deliktischen § 836 BGB gelten67 • Die Rechtsprechung verfolgt in ihrer variantenreichen Kasuistik eine vergleichbare Linie. So wird eine "Schwere, Massivität und Gründung" als notwendig angesehen und diese z. B. bei einem auf dem Grundstück aufgestellten Turmdrehkran bejaht68 • Weitere Beispiele aus der umfangreichen 60 Anders Wolterhoff, S. 9f. Allerdings werden dort keine überzeugenden Alternativen zur Bestimmung des Werkbegriffes genannt. 61 Nicht eindeutig insofern StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 836, Rn. 18, die eine lose Verbindung genügen lassen, jedoch keine klare Grenze ziehen. 62 Münchener Kommentar/Holch 3, § 94, Rn. 5. 63 BGHZ 18, 226 (232); PalandtlHeinriehss9 , Vorbem. § 93, Rn. 1. 64 Zu diesem Schutzzweck BGHZ 58, 149 (155); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 (153); auch BGHZ 51, 91 (106); RGRK/KreftI2, § 836, Rn. 4 m.w.N. sowie oben B. 65 So i.E. auch Münchener Kommentar/Stein 3, § 836, Rn. 6. 66 Der sich auch auf Gebäude bezieht, Münchener Kommentar/Holeh 3, § 95, Rn. 11 m. w. N. Daß § 95 I S. 2 BGB neben dem Gebäude explizit das Werk nennt, bestärkt das hier gefundene Ergebnis. 67 Siehe auch BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2, wo § 95 I BGB der Werkeigenschaft nicht entgegensteht sowie Münchener Kommentar/ Stein 3, § 837, Rn. 5 für die Haftung des Mieters oder Pächters nach § 837 BGB. Für Gebäude a.A. Lotze, S. 20f., der aber den Werkbegriff anwendet, insofern also übereinstimmt.

8 Petershagen

114 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Judikatur wären Gerüste und ähnliche Konstruktionen 69 , Zelte und Buden7o, Licht-, Strom- und Telefonmasten71 , Grabsteine72, Brücken und Schleusen73, aber auch in die Erde hineingebaute74 oder darauf aufgeschüttete 75 Konstruktionen. Die Grenze muß indes dort gezogen werden, wo es an einer hinreichenden Größe76 oder Stabilität des Gegenstandes fehlt. Evident wird dies bei leicht fortzuschaffenden beweglichen Sachen, wie z. B. einer Leiter77 , und Kraftfahrzeuge dürften ebenfalls auf diesem Wege ausscheiden78. Aber auch bei unhandlichen Gegenständen wie Bauzäunen ist, sofern diese sich 68 OLG Hamm, VersR 1997, S. 194; i. E. ebenso OLG Düsseldorf, VersR 1976, S. 94; vgl. auch OLG Düsseldorf, OLG-Rp Düsseldorf 1998, S. 322 (323) sowie LG Aachen, VersR 1990, S. 63 für einen Bierpavillion (Schwere des Gegenstandes ist maßgeblich). Klargestellt ist hierdurch zugleich, daß die Verbindung nicht tiefgründig, z. B. in Form eines Fundamentes, hergestellt werden muß, sondern auch auf der eigenen Schwere beruhen kann, was im übrigen ebenfalls bei Grundstücksbestandteilen i. S. v. § 94 I BGB einzeIfallweise anerkannt wurde, vgl. die Nachweise bei Münchener Kommentarl Holeh 3, § 94, Rn. 9. 69 BGH NJW 1999, S. 2593 = BGH LM § 836 BGB Nr. 26; BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; BGH VersR 1969, S. 37; BGH VersR 1959, S. 694 (Baugerüste); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, S. 1230 (Carport. Eine Gebäudeeigenschaft i.S.d. § 912 BGB verneint hierfür OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, S. 665); OLG Celle, VersR 1985, S. 345 (Kinderschaukel); OLG Stuttgart, VersR 1977, S. 384; auch OLG Braunschweig, RuS 1993, S. 339 (Jagdhochsitz). 70 RG DJZ 1908, S. 341; RG WamR 1909 Nr. 23; OLG Düsseldorf, OLG-Rp 1998, S. 322 und LG Aachen, VersR 1990, S. 63 (heide für einen Bierpavillion); OLG Celle, OLG-Rp 1999, S. 357. 71 RG JW 1935, S. 2196; RG Seuff.Arch. 79, 168 (Starkstromleitung als Werk); OLG Koblenz, VersR 1989, S. 159 (Telefonmast); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 (Telegraphenmast); LG Aachen, NZV 1989, S. 29 (Straßenlaterne); LG Kiel, VersR 1978, S. 1076 (Lichtmast). 72 BGH NJW 1977, S. 1392 = LM § 837 BGB Nr. 2 m.w.N. zur älteren diesbezüglichen Rechtsprechung; OLG München, OLGE 28, 308; neuerdings LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476. 73 BGH, NJW-RR 1988, S. 853 = LM § 836 BGB Nr. 22; BGH VersR 1959, S. 948; OLG Celle, OLG-Rp Celle 1994, S. 281 für Brücken; BGH MDR 1979, S. 206 = LM § 836 BGB Nr. 17 (Staustufe); RG Recht 1930, Nr. 1034; OLG München, VersR 1978, S. 553 (Schleusen). 74 BGHZ 55, 229; OLG Hamm, VersR 1978, S. 1146; OLG Naumburg, VersR 1994, S. 1432; LG Heidelberg, VersR 1976, S. 101 (sämtliche Entscheidungen betreffen Rohrleitungen); BGH WM 1976, S. 1056 (Öltank); RG WamR 1909 Nr. 302 (Baugrube). 7S RGZ 97, 112 (l14);BGHZ 58, 149 (Damm); RG JW 1908, S. 196 (Eisenbahndamm); OLG Oldenburg, VersR 1988, S. 358 (Deich). 76 Für die Größe als Kriterium vgl. RG JW 1916, S. 1019 (Firmenschild); RGRKIKreftI2, § 836, Rn. 12. 71 RGRKI Kreft12, § 836, Rn. 13. 78 Anders offenbar Wolterhoff, S. 9, Fn. 1.

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lose auf dem Grundstück befinden, die Werkqualität abzulehnen 79. Die Verbindung mit dem Grundstück läßt sich damit - kurz gesagt - als eine stabile kennzeichnen, was ein Mehr gegenüber einer beweglichen Sache, aber ein Weniger gegenüber der festen Verbindung im Sinne eines wesentlichen Bestandteiles nach § 94 I BGB bedeutet. Ein solches Ergebnis wirkt bei Einbeziehung des Aspektes des Haftungsmaßstabes nicht unangemessen, da einerseits die Verschuldensvermutung wider den Pflichtigen streitet und somit zur Wahrung seiner Interessen eine Restriktion des Kreises der Haftungsobjekte gebietet, andererseits aber der Entlastungsbeweis möglich bleibt, weshalb diese Beschränkung nicht übertrieben werden darf, weil sonst die Belange des Geschädigten nicht genügend berücksichtigt wären. Das deutsche Recht fügt sich - so verstanden auch in die international zu beobachtende Tendenz des Konnexes von Haftungsmaßstab und Haftungsobjekt einso.

11. Teile von Gebäuden und Werken Im Anschluß an die Ausführungen zum Gebäude- und Werkbegriff läge es an sich nahe, bei den Gebäude- und Werkteilen wiederum Parallelwertungen zu den §§ 93 ff. BGB, insbesondere §§ 94 11 BGB und 95 11 BGB, zu bilden. Genau dieses wird in der Rechtsprechung und von der Literatur hingegen einhellig als zu eng abgelehntSI. Teilweise wird weitergehend formuliert, daß Teile im Sinne von § 836 BGB alle Gegenstände seien, "die mit Gebäuden oder Werken in eine derartige tatsächliche Verbindung gebracht worden sind, daß die dem Besitzer obliegende Fürsorge für die gefahrlose Beschaffenheit des Gebäudes oder Werkes die Vermeidung einer fehlerhaften Errichtung bei der Herstellung der Verbindung oder einer mangelhaften Unterhaltung während deren Dauer mit umfaßt"S2. Bei Lichte besehen handelt es sich hierbei jedoch um eine noch wenig griffige Formel. Kürzer ausgedrückt soll ein Gebäudeteil all das sein, was der Unterhaltungspflicht des Gebäudebesitzers unterliegt. Der Umfang der RG LZ 1921, S. 268; OLG Karlsruhe, VersR 1955, S. 718. Vgl. oben § 3 F. Ähnlich wird im übrigen auch der tatbestandiich vergleichbare § 1319 ABGB interpretiert, vgl. oben § 3 A I. 81 Grundlegend RGZ 107, 337 (339); offengelassen von RGZ 60, 421 (422~; Münchener Kommentar/Stein3 , l836, Rn. 10; StaudingerlBellinglEberl-Borges l , § 836, Rn. 22; PalandtlThomass , § 836, Rn. 4; ErmaniSchiemann9 , § 836, Rn. 4; Eckstein, Gruchot Bd. 58, S. 331 ff., der die Anwendung der §§ 93 ff. BGB teilweise ftir zu weitgehend hält. 82 RGZ 60, 421 (422); RGRK/KreftI2, § 836, Rn. 14; StaudingerlBellinglEberlBorges\3, § 836, Rn. 22. 79

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Unterhaltungspflicht richtet sich jedoch nun gerade mit nach der Definition des Haftungsobjektes, so daß eine petitio principii vorliegt. Von Bedeutung ist immerhin die Erwähnung der tatsächlichen Verbindung. Hier werden Rechtsprechung und Literatur konkreter und normieren die folgenden Voraussetzungen: Es müsse eine "baumäßige Verbindung" gegeben seins3 • Dies erfordere, daß der Gegenstand entweder zur Herstellung oder sonstwie aus baulichen Gründen oder zu baulichen Zwecken eingefügt sei 84 • Der BGH hat die "baulichen Gründe und Zwecke" teilweise als "festen baulichen Zusammenhang, aus dem sich nach der Verkehrsanschauung die Zugehörigkeit zum Bauganzen ergibt" formuliert 8s • Fehlen soll eine bauliche Verbindung z. B., wenn noch keine endgültige Einfügung gegeben sei, wie das bei noch nicht verbautem Material der Fall wäre 86 , oder - umgekehrt - die Einfügung wieder rückgängig gemacht wurde87 • Am Einfügen (durch Menschenhand), und damit am Gebäude- oder Werkteil, mangelt es ebenfalls bei natürlichen Gegenständen 88 • Die Rechtsprechung - und ihr folgend die Literatur - ist hierüber aber noch hinausgegangen. Teile des Gebäudes oder Werkes sind danach ebenso Gegenstände, die nicht mechanisch, sondern nur durch ihre eigene Schwerkraft mit dem Werk verbunden sind. Entscheidend sei nicht das Mittel der 83 RGZ 107, 337 (339); RGRK/KreftI2, § 836, Rn. 16; StaudingerlBellingl Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 22. 84 RGZ 107, 337 (339); StaudingerlBellinglEberl-Borges l3 , § 836, Rn. 22; ähnlich Münchener Kommentar/Stein 3, § 836, Rn. 10; Weimar, ZMR 1960, S. 328. 8S BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21 (Duschkabine); BGH NJW 1961, S. 1670 = LM § 836 BGB Nr. 12; von einem festen, dem Wesen des Bauwerkes entsprechenden Zusammenhang spricht bereits RGZ 107, 337 (339). Die Erwähnung der Festigkeit ist mißverständlich, da selbst § 94 II eine solche nicht ausschließlich und stets gebietet, sondern der Zweck des Gebäudes maßgeblich ist, PaiandtiHeinrichss9, § 94, Rn. 6 m. w.N. 86 BGH LM zu § 836 BGB Nr. 11 (Ziegel auf einem Baugerüst); RG WamR 1912 Nr. 78; weitere Beispiele bei StaudingerlBellinglEberl-Borges l3 , § 836, Rn. 25. 87 Vgl. RG LZ 1921, S. 268: Lösung des Bauzaunteils durch Dritte; dazu auch StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 24 m.N. 88 Üblicherweise werden in diesem Zusammenhang Dachlawinen und Eiszapfen genannt: BGH NJW 1955, S. 300; OLG Köln, VersR 1988, S. 1244; OLG Hamm, NJW-RR 1987, S. 412; OLG Saarbrücken, VersR 1984, S. 299; OLG Stuttgart, MDR 1983, S. 316; OLG Düsseldorf, VersR 1978, S. 545; LG Berlin, VersR 1967, S. 69. Zur Problematik der Haftung wegen Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § 823 I: StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 26; auch Gaisbauer, VersR 1971, S. 199ff. sowie die Nachweise bei Münchener Kommentar/Stein3 , § 836, Rn. 12 mit Fn. 64; zur Rspr. OLG Saarbrücken, VersR 1984, S. 299 m.w.N. sowie neuerdings LG Karlsruhe, MDR 1998, S. 161.

C. Das Haftungsobjekt

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Einfügung, sondern die Einfügung zu einem bestimmten Zweck89 • Diese Entwicklung läßt sich letztlich schon aus der allgemein gehaltenen Formulierung des Reichsgerichts, es müsse eine "dem Zweck des Ganzen dienende und in diesem Sinne organische Verbindung der Sache mit dem Gebäude vOrliegen,,90, entnehmen. Mithin scheinen also eine tatsächliche, unmittelbare91 Verbindung sowie der Bauwerkszweck über das Schicksal eines Gegenstandes als Teil zu entscheiden. Auf die Größe und Massivität kommt es - anders als beim Gebäude oder Werk selbst - offensichtlich nicht primär an92 • Damit ist man indes gar nicht mehr weit entfernt von dem an sich abgelehnten Zusammenhang mit der Vorschrift des § 94 11 BGB. Auch dort wird eine feste Verbindung zum Gebäude 93 nicht zur Voraussetzung erhoben und der Gebäudezweck steht nach h. M. im Vordergrund94 • In den meisten Fällen wird man also bereits mittels § 94 11 BGB zu den von der Rechtsprechung gefundenen Ergebnissen gelangen95 . Dies gilt zumindest für die typischen Gebäudeteile96 wie Dachziegel97 , Schornsteine98 , Fenster und Fensterteile99 , 89 BGH NJW 1997, S. 1853f. = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; BGH VersR 1959, S. 694 (695) (auf einem Baugerüst aufliegende Gerüstbretter); siehe auch OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (253) (Stahlbleche als Dachöffnungsabdeckung); Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 22; RGRK/Krejt12, § 836, Rn. 17. 90 RGZ 107, 337 (339). 91 Daß eine mittelbare Verbindung nicht ausreicht, verdeutlicht auch RG Recht 1907, S. 1404, Nr. 3513, wo eine bewegliche, anband einer Kette mit dem Gebäude verbundene Treppe nicht als Gebäudeteil anerkannt wurde. Instruktiv ist insofern auch die schon mehrfach zitierte Entscheidung RGZ 107, 337 (339), wo die Befestigung eines Spiegels an der Wand mittels Aufhängung und Abstützung durch Haken nicht genügte, ein Einlassen des Spiegels in die Wand dagegen als ausreichend erachtet worden wäre. 92 RGRK/KrejtI2, § 836, Rn. 14; Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 22. Andernfalls wäre der an sich ,,klassische" Gebäudehaftungsfall des herabstürzenden Dachziegels eben kein solcher. 93 Wobei der Gebäudebegriff hier weit ausgelegt wird und auch Werke i. S. d. § 836 BGB mit umfassen kann, siehe oben bei Fn. 39. 94 Palandt/Heinriehss9 , § 94, Rn. 6; Erman/Sehiemann9 , § 94, Rn. 9; Münchener Kommentar/Holeh 3 , § 94, Rn. 14 m.w.N.; zum Streit um den Verwendungszweck des Gebäudes Staudinger/Dileher l3 , § 94, Rn. 21 f. Daß Festigkeit nicht verlangt wird, zeigt z.B. LG Frankenthal, VersR 1978, S. 1106 (zugeschnittener loser Teppich auf Estrich als wesentlicher Bestandteil); zustimmend Münchener Kommentar/ Holeh 3 , § 94, Rn. 18 b) m. w.N. auch zur Gegenmeinung). 95 Deutlich wird das in RGZ 60, 421 (422), wo die endgültige Klärung der Frage, ob ein an Angeln befestigter Fensterladen nur Teil LS.d. § 836 BGB sei, offengelassen wurde, weil jedenfalls § 94 11 BGB zum gleichen Ergebnis führe. 96 Zu § 94 11 BGB vgl. insofern die bei Münchener Kommentar/Holeh 3 , § 94, Rn. 15 f. aufgeführte Kasuistik. 97 OLG Frankfurt, ZfS 1994, S. 79; OLG Frankfurt, NJW-RR 1992, 164; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, S. 1440; OLG Zweibrücken, OLGE 1969, S. 341; OLG

118 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Türen 1OO, Wände, Fußböden und Decken lO1 • Aber auch die ungewöhnlicheren Judikaturbeispiele zu § 836 BGB, wie die in die Wand eingelassene Schultafel 102, der zum Aufhängen von Tierkörpern dienende Haken im Schlachthaus 103 sowie die mit den Wandfliesen verschraubte und auf eine mit dem Mauerwerk verbundene Wanne aufgesetzte Duschkabine 104 dürften durch ihre Zweckbestimmung und unmittelbare Verbindung zugleich § 94 11 BGB unterfallen lOS. Diese Bestimmung des allgemeinen Teils kann damit als Basis für die Abgrenzung von Bauwerksteilen zu den sonstigen Gegenständen dienen. Eine zusätzliche Idee ist es, eine Grenze da zu ziehen, wo der Anwendungsbereich der actio de posito vel suspenso 106 beginnen würde, also Gegenstände gefahrlich aufgehängt oder aufgestellt sind. Nachdem die Einfügung einer solchen Vorschrift in Form einer Beweislastumkehrregelung seitens der Gesetzesverfasser ursprünglich erwogen worden war lO7 , distanzierte man sich später hiervon lO8 und die Norm fand keinen Eingang in das später erlassene BGB. Auch die Rechtsprechung hat verschiedentlich betont, daß über eine ausdehnende Auslegung des § 836 BGB dieses Institut nicht "durch die Hintertür" eingeführt werden dürfe 109. Dieser Gedanke Düsseldorf ZfS 1989, S. 154; LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278 (Kirchturmziegel); AG Trier, ZfS 1988, s. 98; AG Velbert, ZfS 1986, s. 259 sowie (für Dachpappe) BGH NJW 1993, S. 1782 = BGH LM § 836 BGB Nr. 24 mit dem daraufhin erneut ergangenen Urteil des OLG Düsseldorf, MDR 1996, S. 470. 98 OLG Köln, VersR 1992, S. 1019. 99 OLG Koblenz, MDR 1997, S. 838 = OLG Koblenz, NJW-RR 1998, S. 672 (Schaufensterscheibe); RGZ 60, 421; OLG Stuttgart, VersR 1958, S. 865 (Fensterläden); RG WarnR 1909 Nr. 101 (Rolladen); OLG Düsseldorf, VersR 1982, S. 1201 (Dachfenster); LG Aachen, RuS 1989, S. 358 (Fenster). 100 BGH WM 1990, S. 1878 = LM § 838 BGB Nr. 5 (Scheunentor); OLG München, NJW-RR 1995, S. 540 (Garagentor); OLG Hamm, OLG-Rp Hamm 1993, S. 65 (Flugzeughangartor); OLG Köln, VersR 1990, S. 915 (Glastür in einem Hallenbad); LG Hamburg, VersR 1974, S. 915 (Glastür); AG Nürtingen, WuM 1989, S. 184 (Garagentor). 101 BGH LM § 836 BGB Nr. 11 = BGH MDR 1958, S. 680 (Betondecke); RG JW 1904, S. 486; RG JW 1912, S. 242 (Bodenbrett); OLG Düsseldorf, WuM 1995, S. 230 (Balkontrennwand); LG Essen, ZfS 1988, S. 345 (Garagendecke). 102 RG LZ 1921, S. 226; OLG Kiel, OLGE 34, 129. 103 OLG Marienwerder OLGE 28, 310 bei Fn. 10; vgl. ferner RG JW 1913, S. 868 (Nagel zur Befestigung eines Signalmastes). 104 BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21. 105 Vgl. die Nachweise bei Münchener KommentarlHolch 3 , § 94, Rn. 18f., insbesondere OLG Braunschweig, Nds. Rpfl. 1955, S. 193 (Waschbecken und Badewanne). 106 Dig. 9, 3, 5 u. 6-13, vgl. oben § 2 A 11. 107 Mot. 11, S. 80Sf. lOS Prot. 11, S. 641ff., insbes. S. 643.

C. Das Haftungsobjekt

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erhärtet zumindest das Kriterium, daß eine mittelbare oder allzu lockere Verbindung zum Bauwerksganzen nicht genügt, weshalb die Entscheidung des Reichsgerichtes, einen an der Wand aufgehängten und zum besseren Halt auf Eisenklammern aufgesetzten schweren Spiegel nicht als Gebäudeteil anzusehen 11 0, konsequent erscheint. Ebenso wäre für einen an Seilen autbängten Fahrstuhl zu entscheiden 111 . Bedenken bezüglich der bisher gefundenen Ergebnisse kommen freilich auf, wenn man beispielsweise die Baugerüste betreffende Rechtsprechung des BGH betrachtet ll2 . An sich lose aufliegende Bretter als Werkteile zu qualifizieren, wirkt gerade unter dem zuletzt genannten Aspekt fragwürdig. Auch handelt es sich um eine nur vorübergehende Einfügung, so daß unter der Wertung des § 95 II BGB das Tatbestandsmerkmal verneint werden könnte ll3 . In der Tat finden sich Stimmen, die bei nicht auf Dauer angelegter Einfügung im Ergebnis im zuletzt genannten Sinne argumentieren 114. Die neuere Rechtsprechung läßt hingegen eine provisorische Verbindung ausreichen 115.

109 RGZ 107, 337 (338); RG JW 1916, S. 1019; erwogen und i.E. offengelassen von RG JW 1906, S. 423 (424). In diese Richtung auch StaudingerlBellinglEberlBorges 13 , § 836, Rn. 6 u. 49; Katzschner, S. 30. Fragwürdig dagegen OLG Karlsruhe, OLGE 34, 128, wo ein Vorfenster als Gebäudeteil subsumiert, zugleich aber eine Haftung nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 366 Nr. 8 StGB a. F. (= Haftung für gefahrlich aufgehängte Sachen) erwogen wurde. Zutreffend differenziert wird diesbezüglich dagegen in RG WarnR 1909 Nr. 101. llO RGZ 107, 337. III StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 49; für einen Lastenaufzug OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 191; anders aber RG JW 1915, S. 580; Deutsch, Unerlaubte Handlungen3 , Rn. 339; bejahend für § 94 11 BGB: RGZ 90, 198 (200); RG WarnR 1914 Nr. 334 läßt die Frage offen, ob es sich um ein Gebäudeteil oder ein - mittelbar - mit dem Grundstück verbundenes Werk handelt. 112 BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; BGH VersR 1959, S. 694, vgl. o. bei Fn. 89. 113 Allerdings läßt sich diesem Argument speziell für Baugerüste entgegnen, daß diese ihrem Zweck nach ohnehin auf Zeit aufgestellt sind und die Gerüstbretter vielfach von in im wahrsten Sinne des Wortes tragender Bedeutung sind, d. h. die Baugerüste ohne sie ihren Zweck kaum erfüllen. 114 Explizit OLG Celle, OLGE 34, 127 (128) für vom Mieter angebrachte Firmenschilder; Mull, S. 74f. unter Bezugnahme auf RG Recht 1907, S. 1404, Nr. 3513; Eckstein, Gruchot Bd. 58, S. 332, der sich im übrigen von der Anwendung der §§ 93ff. BGB distanziert und deshalb gerade nicht auf § 95 11 BGB bezieht. 1lS BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20 (provisorisches Geländer an einer Loggia); OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (253) (Stahlbleche als Abdeckung für Dachöffnungen), bejaht für provisorische und offengelassen für "ganz kurzfristige" Verbindungen; für Provisorien auch Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 10; Katzschner, S. 29.

120 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Wie schon beim Werkbegriff müssen auch bei der Definition des Teils letztlich Schutzzweckerwägungen angestellt werden, welche Modifikationen gebieten. Hält man eine provisorische Einfügung generell für unzureichend, so stellt man in einem zu starken Maße die sachenrechtliche Bestandteilseigenschaft und damit nicht zuletzt rein wirtschaftliche Überlegungen in den Vordergrund 1l6 . Bei § 836 BGB geht es dagegen um die Gefahrbeherrschung von Gegenständen einerseits und die Interessen des Geschädigten andererseits. Die Person des Pflichtigen bestimmt sich hier letztlich nicht nach dem Eigentum, sondern nach dem Besitz. Die §§ 93 ff. BGB betreffen aber nur dingliche Rechte l17 , zu denen der Besitz unter anderem deshalb nicht gehört, weil gemäß § 865 BGB entgegen der Regel des § 93 BGB gesonderter Besitz an wesentlichen Bestandteilen möglich ist lls . Dann aber macht es wenig Sinn, provisorische Verbindungen schon frühzeitig beim Tatbestandsmerkmal des Gebäude- oder Werkteils auszuscheiden 119. Mit anderen Worten, es müssen die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Momente stärker betont werden, weshalb § 95 n BGB nicht angewendet werden darf. Relevant sind die Eigentumsverhältnisse am Gebäude vielmehr erst für die Feststellung des Eigenbesitzwillens und damit die Person des Verpflichteten. Zwar nennt § 836 I 1 BGB nur den Eigenbesitz an Grundstücken, jedoch ist mit dem BGH auch bezüglich des Werkes und seiner Teile vom Erfordernis des Eigenbesitzwillens auszugehen 120• Was die Festigkeit der Verbindung anlangt, so wird man zur Vermeidung einer Konturlosigkeit zu verlangen haben, daß eine losere tatsächliche Verbindung durch einen desto stärkeren Bezug des Gegenstandes zum Gebäude- oder Werkzweck aufgewogen werden muß 121. So lassen sich die Baugerüstfälle dadurch erklären, daß diese Gerüste ohne die Laufplanken kaum ihren Zweck erfüllen dürften 122. In Abgrenzung hierzu wird es z.B. 116 Zur wirtschaftlichen und steuerrechtlichen Bedeutung von § 94 siehe Münchener KommentarlHolch 3 , § 94, Rn. 25f. Nebenbei bemerkt werden auch im Versicherungsrecht die §§ 93ff. BGB zur Abgrenzung von Rausrat- und Gebäudeversicherung modifiziert: BGR VersR 1992, S. 606; Palandt/Heinrichs59 , § 93, Rn. 1 m.N. t11 Palandt/Heinrichs59 , § 93, Rn. 4; Münchener KommentariHolch 3 , § 93, Rn. 16. 118 Münchener KommentariHolch 3 , § 93, Rn. 19; Staudinger/Dilcher l3 , § 93, Rn. 28. 119 Ähnlich Katzschner, S. 29. 120 BGR LM § 836 BGB Nr. 9 = BGR VersR 1956, S. 348 (349); zum Eigenbesitzwillen an am Gebäude befestigten Gegenständen: OLG Celle, OLGE 34, 127 (128) (Firmenschild). 121 Instruktiv BGR VersR 1969, S. 37, wo ein lose auf einem Schalgerüst aufliegendes Brett, welches die Verbindung zum Treppenhaus herstellte, nicht als Gerüstteil anerkannt wurde, weil es nur gelegentlich zu geringfügigen Arbeiten betreten wurde.

c. Das Haftungsobjekt

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nicht genügen, wenn auf dem Fensterbrett aufgestellte oder daran aufgehängte Blumentöpfe oder Pflanzschalen in Rede stehen, sofern diese nicht eine feste Verbindung oder hinreichende Massivität aufweisen 123 . Auf einen Nenner gebracht kommt es für die Bestimmung des Gebäudeoder Werkteils also auf das Zusammenspiel von der Art der tatsächlichen Verbindung und der Bedeutung des Gegenstandes für den Gebäude- oder Werkzweck an. § 94 II BGB bietet hierfür einen wertvollen Anhaltspunkt, der in vielen Fällen auch zu einem sachgerechten Ergebnis führen wird, aber dennoch in Einzelfallen einer am Schutzzweck des § 836 BGB orientierten Modifikation bedarf. DI. Exkurs: Haftung für Firmenschilder Als Schnittpunkt zwischen Werk und Gebäudeteil erweiSt sich die Problematik der Haftung für Firmenschilder, welche Rechtsprechung und Literatur gelegentlich beschäftigt. Nicht gemeint sind in diesem Zusammenhang die Fälle, in denen das Schild selbständig vor dem Geschäftslokal aufgestellt wurde, da hier unzweifelhaft die Regeln über den Werkbegriff heranzuziehen sind, so daß es auf die Größe des Schildes sowie die Festigkeit seiner Verbindung mit dem Erdboden ankommt l24 • Unklarheit herrscht hingegen dort, wo ein Schild am Geschäftsgebäude selbst angebracht wurde. Häufig wird allein auf den Werkbegriff rekurriert 125, ja weitergehend sogar die Möglichkeit der Eigenschaft als Gebäudeteil nicht in Betracht gezogen, weil eine mechanische Verbindung allein hierfür nicht hinreichend sei und eine Anbringung aus baulichen Gründen oder zu baulichen Zwekken nicht vOrläge 126 • Unausgesprochene Intention dieser Auslegung mag es sein, den Weg zum Regreß beim Mieter eines Gebäudes über § 837 BGB zu eröffnen, weil eine Übernahmeverpflichtung i. S. v. § 838 BGB hinsichtlich des Gebäudes häufig nicht bestehen wird 127 und die Verantwortlichkeit des Eigentümers, welcher zugleich mittelbarer Eigenbesitzer des Gebäudes ist und damit nach § 836 I BGB verantwortlich sein könnte, bezüglich eines vom Mieter befestigten Gegenstandes am fehlenden Eigenbesitzwillen Zur Argumentation auch oben, Fn. 113. So Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 13; ablehnend für Blumentöpfe Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 24; Kaulfers, S. 26. 124 Vgl. OLG Düsseldorf, RuS 1977, S. 57: 3x4 Meter große, mit Pflöcken im Erdreich verankerte Werbetafel. 125 RG LZ 1916, S. 1240; RG JW 1906, S. 423; Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 19; RGRK/Kreft I2 , § 836, Rn. 12; Oertmann S, § 836, Anm. 2 b). 126 Weimar, ZMR 1960, S. 328; anders aber derselbe in VP 1968, S. 173. 127 Vgl. RG JW 1916, S. 1019. 122 123

122 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

scheitert 128 • Dieser Aspekt scheint nun aber eher die Problematik der Person des Pflichtigen zu berühren und spräche dafür, de lege ferenda statt des (Eigen)besitzers die Person zu belasten, welche dem Gefahrenherd tatsächlich näher steht und über bessere Kontrollmöglichkeiten verfügt, also den Halter. Für einen unbefangenen Betrachter liegt es dagegen näher, einen nur mittelbar über ein Gebäude mit dem Grundstück verbundenen Gegenstand unter den Teilbegriff zu subsumieren. So finden sich denn auch Stimmen, die bei Firmenschildern sowohl Werk- als auch Gebäudeteileigenschaft für möglich halten 129. Einer Lösung läßt sich das Problem möglicherweise mit den bereits gefundenen Kriterien 130 zuführen. Der Gebäudeteileigenschaft steht nicht entgegen, daß der Gegenstand zu baulichen Zwecken eingefügt worden sein muß. Immerhin werden, wie schon erwähnt, auch in die Wand eingelassene Schultafeln 131 oder in bestimmten Fällen auch Spiegel 132 als Teile klassifiziert, obwohl sich die Zweckdienlichkeit nicht unmittelbar in der Standfestigkeit oder Bewohnbarkeit des Gebäudes findet, sondern in der Art und Weise von dessen Nutzung. Bei gewerblich genutzten Räumen rechtfertigt es nun der im Vordergrund stehende Geschäftszweck, also die Widmung der Räumlichkeit, eine Einfügung zu baulichen Zwecken anzunehmen. Andererseits muß dem Umstand Rechnung getragen werden, daß ein Firmenschild nicht der unmittelbaren Nutzung eines Gebäudes dient, wie dies etwa bei einer Treppe oder einem Fenster der Fall ist. Aus diesem Grund bedarf es bei der Art der Verbindung einer größeren Festigkeit und Unmittelbarkeit, um den geringeren Gebäudebezug aufzuwiegen. Auf die Größe des Schildes kommt es dabei nur in Ausnahmefallen an 133, weil auch ein Schild größeren Ausmaßes bei loser Aufhängung nicht unter den Schutzzweck des § 836 BGB, sondern den des Entwurfes des § 733 (der actio de posito vel suspenso)134 fallt, der nicht zum gültigen Gesetz geworden ist, OLG Celle, OLGE 34, 127 (128). Geigel/Schlegelmilch22 , Kapitel 19, Rn. 5 u. 9. RG JW 1916, S. 1019: Werkeigenschaft mangels hinreichender Größe (Länge von I, 50 Meter und Breite von 35 cm) verneint und Teileigenschaft mangels hinreichender Befestigung (Bindfaden) abgelehnt. 130 Oben C H. 131 RG LZ 1921, S. 226; OLG Kiel, OLGE 34, 129. 132 RGZ 107, 337 (339). 133 Nämlich für die Fälle der Festigkeit der Verbindung aufgrund eigener Schwerkraft, etwa bei bloßem Aufliegen auf dem Dach eines Geschäftes. Für eine generelle Einbeziehung der Größe aber Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 13; Weimar, VP 1968, S. 173. 134 Vgl. Mot. 11, S. 803 ff. u. 808 f. 128

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C. Das Haftungsobjekt

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und umgekehrt kleinere Schilder bei hinreichend fester Einfügung nicht ausgespart bleiben sollten. Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß sich die am Gebäude befestigten Firmenschilder mit den in diesem Kapitel dargestellten Maßstäben als Gebäudeteil behandeln lassen, so daß es einer Konstruktion als mittelbar mit dem Grundstück verbundenen Werkes nicht bedürfte 135 . Dieses Resultat ließe sich im übrigen auf anderweitige an der Fassade angebrachte Gegenstände übertragen. Dennoch' wird man auf die - parallele - Anwendung eines derartigen Kunstgriffes nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht verzichten können, um den Gefahrnächsten zu verpflichten 136. Auf diese Art und Weise haftet gegenüber dem Geschädigten bei im Fremdbesitz stehenden Gebäuden wenigstens der Besitzer des Schildes über § 837 BGB, während sich der Grundstücksbesitzer auf fehlenden Eigenbesitzwillen berufen kann 137. Ist der Geschäftsinhaber hingegen zugleich Eigenbesitzerdes Grundstückes oder Besitzer des Gebäudes gern. § 837 BGB, so kann es bei der alleinigen Heranziehung des Tatbestandsmerkmales "Gebäudeteil" bleiben. IV. Ausdehnung der Verschuldensvennutung auf andere Haftungsobjekte Nachdem der Kreis der Haftungsobjekte wie vorstehend umrissen wurde, stellt sich die Frage, ob eine Ausdehnung auf andere auf dem Grundstück befindliche Gegenstände möglich und geboten ist. In der Literatur finden sich Stimmen, die eine ausdehnende Gesetzesanwendung umfassend befürworten. So will Mertens 138 und ihm folgend Stein 139 für alle von einem Grundstück herrührenden Umweltrisiken, die auf einer mangelhaften Errichtung oder Unterhaltung beruhen, haften lassen. Dabei soll es im Ergebnis \3S Ablehnend bei mittelbarer Verbindung LG Berlin, VRS 63, 330 (333) (Kaugummiautomat). 136 Dies ist, wie schon angedeutet, wohl die Absicht der Rechtsprechung, vgl. RG LZ 1916, S. 1240; RG JW 1916, S. 1019; RG JW 1906, S. 423. 137 Hierbei ist allerdings nur die Haftung des Eigenbesitzers des Grundstückes nach § 836 betroffen, eine Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § 823 I bleibt unberührt. Bei deren Vorliegen würde vielmehr wegen § 840 m der Eigentümer im Innenverhältnis allein haften, vgl. BGH NJW 1977, S. 1392 = LM § 837 BGB Nr. 2 (Haftung des Eigenbesitzers eines Friedhofes neben der des GrabsteIleninhabers bei umgestürztem Grabstein); Palandt/Thomass9 , § 837, Rn. 3. 138 Münchener Kommentar, 2. Auflage, § 836, Rn. 2. 139 Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 836, Rn. 2. Für eine enge Begrenzung der Analogiefähigkeit dagegen RGRKIKreftI2, § 836, Rn. 4 mit Verweis auf BGH VersR 1961, S. 806 (808); vgl. insofern schon die Ausführungen und Nachweise unter B.

124 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

nicht darauf ankommen, ob sich die Haftung aus einer extensiven Auslegung des § 836 BGB, seiner analogen Anwendung oder einer Übertragung der Beweislastregelung auf die allgemeine Verkehrssicherungspflicht aus § 823 I BGB ergibt 140. Bevor zu einer Pauschallösung übergegangen werden kann, sollte indes zunächst deren Tragfähigkeit im Einzelfall untersucht werden. Zu denken wäre hierbei an die zuvor diskutierten Problemfälle, wozu zum einen natürlich Gewachsenes, wie beispielsweise Bäume, zählt 141 (dazu unter 1.). Aber auch die nicht zweckgerichteten Errichtungen, wie z. B. Erd- oder Geröllmassen, lassen eine Analogie in Betracht kommen 142 (2.). Schließlich soll in diesem Zusammenhang noch die Haftung für aufgehängte, d. h. mittelbar mit dem Gebäude verbundene, Gegenstände, welche aber unmittelbar dem Gebäudezweck dienen, anband des Beispieles der Fahrstuhlkabinen behandelt werden 143 (3.). 1. Anwendung auf Bäume und sonstige natürliche Beschaffenheiten des Grundstückes

Die Anwendung des § 836 BGB auf natürliche Gegebenheiten des Grundstückes, insbesondere Bäume, im Wege der Auslegung, muß, wie im vorhergehenden Abschnitt ausgeführt, am Wortsinn des Begriffes Werk bzw. Werkteil scheitem l44 • Dieser Wortsinn bildet die natürliche Grenze der Auslegung 145. Ein Werk erfordert aber nun einmal die verrichtende Tätigkeit eines Menschen an einem Gegenstand sowie ein daraus resultierendes Ergebnis, was nicht zuletzt in §§ 631 ff. BGB seinen Niederschlag findet. Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes weist mit der eindeutigen Äußerung seiner Verfasser, Bäume hätten außer Betracht zu bleiben, da Nachbar-, Polizei- und Strafrecht insoweit hinreichende Rechtsbehelfe enthielten l46 , in keine andere Richtung. Es ist nicht zuletzt diese Äußerung der Gesetzesverfasser, die den Weg zur Analogie, welchen die Rechtsprechung 140 Mertens, a. a. 0., § 836, Rn. 2. Für eine Übertragung der Beweislastumkehr auf § 823 I: LarenzlCanaris, SchR 11/2 13, § 79 VI 2 a). Weitergehend v. Bar, Verkehrspflichten, S. 19f., der § 836 für überflüssig hält. 141 Vgl. oben C I bei Fußnote 51. Die Diskussion muß sich damit gleichermaßen auf natürliche "Gebäudeteile", wie z.B. Dachlawinen, erstrecken, vgl. oben ellbei Fußnote 88. 142 Vgl. oben C I bei Fußnote 53. 143 Vgl. auch hierzu schon oben bei C 11. 144 Vgl. C I und 11 bei Fußnote 51 und 88. 145 Larenz, Methodenlehre6 , S. 322; Bydlinski, Methodenlehre 2, S. 467ff. m.w.N. 146 Mot. 11, S. 816. Dort wird ferner auf die vitia loei hingewiesen, deren Beseitigung dem Pflichtigen billigerweise nicht zugemutet werden könne. Streitig ist, ob der Begriff des vitium loei nur einen Mangel des Baugrundes in Verbindung mit einem Gebäude, oder aber auch unbebaute Grundstücke umfaßt, sofern der Gefah-

C. Das Haftungsobjekt

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in Österreich für § 1319 ABGB im Hinblick auf die vergleichbare Gefahrenlage immerhin gewählt hat 147 , als ungangbar erscheinen läßt 148 • Selbst, wenn man unter Berücksichtigung der Höhe von Bäumen ein entsprechendes Schädigungspotential 149 und in Zusammenschau mit der Beweisnot des Geschädigten 150 einen vergleichbaren Sachverhalt annimmt, so fehlt es doch angesichts des Erkennens des Problems an einer anfänglichen Regelungslücke 151 • Von einer technischen oder tatsächlichen Entwicklung, welche nicht vorhersehbar war und zu einer nachträglichen Lücke führt 152 , kann keine Rede sein. Auch ein Wertungswandel, wie er etwa im Erlaß neuer Gesetze zum Ausdruck kommt 153 , ist insoweit nicht auszumachen 154 • Sofern man dieses Ergebnis inzwischen als unbillig empfinden mag, handelt es sich dennoch um eine rechtspolitische (Fehl-)Entscheidung, die für eine Analogie nicht hinreicht. Gegen die Erzielung eines entsprechenden Ergebnisses durch Übertragung eines allgemeinen Rechtsgedankens auf § 823 I BGB bzw. der Bildung einer Gesamtanalogie 155 dergestalt, daß bei Schädigung in der Risikosphäre eines anderen und Vorliegen eines objektiven Mangels die Beweisschwierigkeiten des Geschädigten generell zu einer Beweislastumkehr führen und dies auch für den gesamten Bereich der Haftung für Grundstücke zu gelten habe 156, sprechen in gleichem Maße die renzustand von außen verursacht wurde. Dazu Sintenis, § 127, Fn. 42 einerseits und Burckhard, S. 147 andererseits. 147 Siehe § 3 A I. 148 Zur Bewertun~ der Äußerungen der Gesetzesverfasser für die Auslegung: Larenz, Methodenlehre, S. 328ff.; Heck, AcP 112 (1914), S. 105ff. (§ 11); Engisch, EinführungS, S. 95 f. m. w. N. zum Streitstand. 149 In Mot. 11, S. 816, wird die Gefährdung zahlreicher Dritter als Grund für die Gebäudehaftung angegeben, dazu oben B. ISO Hierzu StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 1; RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 4; auch BGHZ 51, 91 (106) und oben B. ISI Zur anfänglichen Regelun~slücke: Larenz, Methodenlehre6 , S. 379f.; Engisch, EinführungS, S. 145f.; Bydlinski , S. 475. Zur Lücke als Voraussetzung der Analogie allgemein: Larenz, Methodenlehre6 , S. 370; Bydlinski2, S. 472ff. m. w. N. zu abweichenden Ansätzen. Kritisch Pawlowski2, Rn. 462. IS2 Larenz, Methodenlehre6 , S. 379f.; Engisch, EinführungS, S. 145 f. IS3 Pawlowski2, Rn. 463; auch Bydlinski2, S. 585 ff. 1S4 Der Baum- und Strauchproblematik nehmen sich zwar die Nachbarrechtsgesetze der Länder an, hierbei stehen jedoch Beseitigungsansprüche bei Nichteinhaltung von Grenzabständen in Rede (vgl. nur § 51 Abs. 1 Thür NachbarG), die für die Beweislastproblematik bei Schadensersatzansprüchen nicht ergiebig sind. Zudem ist in erster Linie der Schutz vor Entzug von Licht intendiert, vgl. zum ba~erischen Nachbarrecht: BayerlGniwotC, S. 160 und für Baden-Württemberg: Pelka l , S. 102. m Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre6 , S. 383 ff., insbesondere S. 387 f., wo auf die verwandte Problematik des § 645 I BGB verwiesen wird. 1S6 LarenziCanaris, SchR 11/2 13 , § 79 VI 2; erwogen auch von Münchener Kommentar/ Mertens 2, § 836, Rn. 2.

126 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

zuvor dargestellten Erwägungen. Überdies ist ein solcher Schluß in seiner Pauschalität nicht haltbar. Die Intensität der auf Grundstücken befindlichen Gefahrenherde ist durchaus unterschiedlich, was gerade im Bereich der verschuldensabhängigen außervertraglichen Deliktshaftung nicht verkannt und überspielt werden sollte 157. Vorzugswürdig ist deshalb die Prüfung einer Analogie im Einzelfall, welche, wie gesagt, bei natürlich Gewachsenem zu verneinen ist. Bei Bäumen und anderen natürlichen Gegebenheiten bleibt es mithin bei der Unanwendbarkeit des § 836 BGB 158 • 2. Analogie bei nicht zweckgerichteten Errichtungen

Daß einem Werk ein Errichtungszweck zugrundeliegen muß, ergibt sich nicht schon aus dem Wortlaut selbst 159 , sondern aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Gebäude- sowie dem Mangelbegriff (fehlerhafte Errichtung oder Unterhaltung)l60. Man kann den gordischen Knoten in den Fällen der nicht zweckgerichteten Nebenprodukte auch nicht durchtrennen, indem man diese zum Teil des Hauptwerkes erklärt 161 , weil nach dem Gedanken des § 94 11 BGB, der nach hier vertretener Ansicht für die Auslegung des § 836 BGB einen Basispunkt bildet 162 , das Teil seinen Zweck an der Hauptsache erfüllen muß. Nun bleibt aber die Überlegung, ob in bestimmten Konstellationen nicht eine Analogie geboten sein kann. Hierfür müßte sich unter anderem eine vergleichbare Sachlage finden, die eine Übertragung rechtfertigt 163 • Vergleichbar sind sicherlich die Beweisprobleme des Geschädigten, welcher auf einem fremden Grundstück, in dessen Unterhaltung er normalerweise keinen Einblick hat, von dem Unglücksfall betroffen wird. Vergleichbarkeit 157 Gegen eine pauschale Beweislastumkehrregelung im Rahmen der deliktischen Haftung durch Übertragung der für das Vertragsrecht entwickelten Gefahrenkreistheorie: Musielak, AcP 176 (1976), S. 484; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 290 unter Hinweis auf die beweisrechtlichen Sonderregelungen des Deliktsrechts. Zur vertragsrechtlichen, aber verwandten Problematik des § 645 I BGB: Larenz, Methodenlehre6 , S. 387 f. mit Hinweisen zur Rechtsprechung, die eine Einzelfallbeurteilung vornimmt. 158 Für eine Analogie aber Wolterhoff, S. 11 f.; auch Pelka l6 , S. 103. 159 Dieser dürfte den Verzicht auf einen Errichtungszweck an sich noch tragen, vgl. oben C I bei Fußnote 55 und 50. 160 Oben C I. 161 So aber Oertmann 5 , § 836, Rn. 2 b) gegen RGZ 60. 138ff. für Sandkippen beim Kanalbau. 162 Oben C 11. 163 Zur Ähnlichkeit Engisch. Einführung 8 • S. 147f., der zugleich auf die teleologischen Aspekte einer Analogie verweist (a.a.O., S. 149); Larenz. Methodenlehre6 , S. 381 ff.; Bydlinski2 • S. 475ff.

c.

Das Haftungsobjekt

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setzte ferner eine gewisse Größe und Massivität der nicht zweckgerichtet hergestellten Gegenstände voraus. Immerhin erscheint dies bei Bauarbeiten größeren Umfanges, in deren Verlauf Erd- oder Geröllmassen aufgetürmt werden, vorstellbar. Indes fehlt es an der notwendigen Regelungslücke im Gesetz. Zwar finden sich, anders als für die natürlichen Gegebenheiten, keine dezidierten Äußerungen der Gesetzesverfasser zum Zweckerfordernis. Der Schluß aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Gebäude- und Mangelbegriff basiert jedoch auf dem ursprünglichen Gesetzeswortlaut. Es läßt sich auch nicht behaupten, daß das Phänomen der Schädigung durch Zufalls- oder Nebenprodukte erst nach der Schaffung des Gesetzes bekannt geworden oder verstärkt aufgetreten sei. Anfanglicher oder nachträglicher Regelungsbedarf ist mithin nicht zu erkennen. Abgesehen von der notwendigen Regelungslücke dürften einer Analogie schließlich teleologische Erwägungen entgegenstehen 164. Liegt der Gebäudehaftung (zumindest auch) der Gedanke zugrunde, daß derjenige, welcher sich auf oder in die Nähe des Grundstückes eines anderen begibt, auf die ordnungsgemäße Errichtung und Unterhaltung der dort befindlichen Gegenstände vertrauen darf165 , so kann ein vergleichbares Vertrauen in bezug auf Gegenstände, denen notwendigerweise eiri gewisses Maß an Instabilität eigen ist und bei denen anerkannte Regeln für eine ordnungsgemäße Errichtung fehlen, nicht angenommen werden. Im Ergebnis ist bei Fehlen eines Errichtungszweckes eine entsprechende Anwendung der Gebäude- und Werkhaftung aus den genannten Gründen abzulehnen. 3. Anwendung auf Aufzüge

Wie bereits gezeigt l66 , hatte sich schon das Reichsgericht mit einem Fall der Schädigung durch einen Aufzug zu beschäftigen 167. Dort entzog man sich allerdings der Problematik der direkten oder analogen Anwendung der Gebäudehaftung dadurch, daß die gelockerte Sperrvorrichtung, welche zum Abreißen des Trageseils geführt hatte, wahlweise als Teil des Gebäudes 164 Zur Einbeziehung der Teleologik in den Analogieschluß: Larenz, Methodenlehre6 , S. 382; Engisch, EinführungS, S. 149. 165 Zum Vertrauensprinzip bei den Verkehrs(-sicherungs)pflichten: v. Bar, Verkehrspflichten, S. ll7ff.; LarenzlCanaris, SchR 11/2 13 , § 76 III 4 e), wo das Prinzip aber vornehmlich bei der Haftung aus Übernahme behandelt wird (a. a. 0., § 76 III 3 b»; für § 836: Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 836, Rn. 3. 166 Oben C 11. 167 RG WarnR 1914, Nr. 334.

128 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

oder eines (mittelbar) mit dem Grundstück verbundenen Werkes angesehen wurde 168. Nun muß man sich aber in der Tat fragen, wie es um die Fahrstuhlkabine selbst bestellt ist. Gegen die Qualifikation als Teil im Sinne der deliktischen Bauwerkshaftung spricht deren mittelbare Verbindung mit dem Gebäude durch Aufhängung. Im Rekurs auf den Gedanken der nicht zum Gesetz gewordenen actio de posito vel suspenso l69 ließe sich also die TeilEigenschaft verneinen. Freilich kann man schon zweifeln, ob die Entscheidung gegen die Einführung einer speziellen Haftung für gefährlich aufgehängte Gegenstände überhaupt Unfälle betrifft, die sich im Gebäudeinneren ereignen 170. Die Erwägungen aus der Entstehungsgeschichte sprechen deshalb nicht zwingend gegen die Einbeziehung der Aufzüge. Es ist zwar nicht zu leugnen, -daß die Verbindung mit dem Gebäude mittels des Seiles nur eine mittelbare ist. Andererseits kommt es, wie erläutert 17l , nicht nur auf die Art der tatsächlichen Verbindung, sondern auch auf die Bedeutung des Gegenstandes für den Gebäudezweck an. Es wurde bereits recht früh im Zusammenhang mit dem für § 836 BGB als Auslegungshilfe geeigneten § 94 11 BGB befunden, daß Personen- und Lastenaufzüge Teile eines Gebäudes sein können 172. Einige der dort gebrachten Argumente überzeugen ebenso im Bereich der Gebäude- und Werkhaftung. So wird ein Aufzug in den Fahrstuhlschacht und damit in das Gebäude eingepaßt. Umgekehrt wird die Gebäudestruktur insoweit sogar auf den Einbau des Fahrstuhls ausgerichtet. Durch seine Treppenersatzfunktion dient er unmittelbar der Nutzung, weist also einen engen Bezug zum Gebäudezweck auf. Schließlich resultiert das Schädigungspotential aus der Höhe der Aufhängung der Kabine, mithin einer typischen Bauwerksgefahr. All dies, sowie der Aspekt, daß man sich bei der Entwicklung des Bürgerlichen Gesetzbuches der Problematik der elektrisch betriebenen Aufzüge 168 RG WarnR 1914, Nr. 334. In einer neueren Entscheidung des OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 191 wurde dagegen das durch Reißen einer Lastenaufzugskette bedingte Herunterschlagen einer Abdeckplatte nicht unter § 836 BGB, sondern § 823 I BGB subsumiert (wobei § 836 Abs. 2 sinngemäß erwogen wurde, oben A 11, Fn. 27). Immerhin wäre hier die Abdeckplatte als Gebäudeteil in Betracht gekommen. 169 Oben C 11. 170 Dig. 9, 3 pr. nennt nur das Ausgießen oder Werfen nach öffentlichen Wegen oder Plätzen hin. Die aetio de posito vel suspenso (Dig. 9, 3, 5, 6) betrifft ebenfalls das Aufstellen oder Aufhängen an öffentlichen Wegen oder Plätzen. 171 Oben C 11. 172 RGZ 90, 198 (200); auch Münchener Kommentar/Holeh 3 , § 94, Rn. 23 m.w.N.

D. Haftungsauslösendes Ereignis

129

in ihrem heutigen Ausmaß nicht bewußt sein konnte 173 , deutet darauf hin, daß, wenn auch eine extensive Auslegung an der Mittelbarkeit der Verbindung scheitert, zumindest eine durch Analogieschluß aufzufüllende Lücke besteht l74 . Der zweifelhaften rechtlichen Konstruktion eines Fahrstuhls als mittelbar mit dem Grundstück verbundenen Werkes l75 bedarf es daher nicht. Generell festzustellen bleibt, daß sich bei den Haftungsobjekten des § 836 BGB eine pauschale Erweiterung verbietet und ein Analogieschluß

bzw. eine Übertragung der Beweislastregelung nur nach sorgfältiger Begründung im Einzelfall vorgenommen werden kann.

D. Haftungsauslösendes Ereignis Zum haftungsauslösenden Ereignis könnte man streng genommen auch das Haftungsobjekt zählen, welches aus Gründen der Übersichtlichkeit vorab behandelt worden ist. Erläuterungsbedürftig bleiben damit die Begriffe des Einsturzes bzw. der Ablösung (I. und 11.), die (objektiv) fehlerhafte Errichtung oder Unterhaltung, also der Bauwerksmangel (III.) und die damit verbundenen Kausalitätsfragen (IV.). I. Begriff des Einsturzes und der Ablösung § 836 1 BGB unterscheidet zwischen dem Einsturz des Gebäudes oder Werkes und der Ablösung einzelner Teile. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ergeben sich keine Divergenzen, da es sich beim Einsturz lediglich um das umfassendere Ereignis handelt, dessen Kennzeichnung im übrigen kaum Schwierigkeiten bereitet. Unter einem Einsturz hat man den Zusammenbruch des gesamten Bauwerkes zu verstehen 176, wobei ergänzend das Umstürzen von Haftungsobjekten, speziell Werken, zu nennen ist 177 • 173 Der Elektromotor wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und in größerem Umfang praktisch genutzt, der erste elektrische Fahrstuhl um 1880 von Werner v. Siemens konstruiert. 174 Für direkte Anwendung: Palandt/Thomas59 , § 836, Rn. 5; Münchener Kommentar/Stein3 , § 836, Rn. 11; Wussow/Kuntz I4 , Rn. 606; bejahend auch RG JW 1915, S. 580. A.A. Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 836, Rn. 49, welche § 836 BGB für technische Einrichtungen und dezidiert Fahrstühle verneinen. Dies verkennt indes, daß es sich bei Aufzügen nicht nur um eine Einrichtung handelt, sondern die Gebäudegestaltung auf den Einbau eines Fahrstuhles ausgerichtet wurde. Gegen die Anwendung von § 836 BGB auf einen Lastenaufzug unter gleichzeitigem Rückgriff auf § 823 I BGB aber auch OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 191 (oben Fn.27). 175 Offengelassen von RG WarnR 1914 Nr. 334. 176 RGZ 97, 112 (114); RG WarnR 1909 Nr. 302 (Baugrube); BGH VersR 1952, S. 291 = LM § 836 BGB Nr. 4 (Giebelmauer); OLG Hamm, NJW-RR 1995, 9 Pe.ershagen

130 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Problembeladener ist nun die Frage, wann man eine Ablösung annehmen darf. Meist wird so formuliert, daß die Trennung des Teiles vorn Ganzen 178, mindestens aber eine Lockerung im Gesamtgefüge erforderlich sei l79 • Weitergehend könne die Trennung oder Lockerung auch nur den inneren Zusammenhang des Teiles selbst betreffen, ohne daß der Rest des Bauwerkes in Mitleidenschaft gezogen würde 180. Die Trennung vorn Gesamtwerk als haftungsauslösendes Ereignis ergibt sich dabei ohne weiteres aus dem Wortlaut der Bestimmung, während die Lockerung erst der Anerkennung durch die Rechtsprechung bedurfte l81 . Zwar setzt eine Ablösung nicht zwingend eine vollständige Trennung voraus. Wegen des systematischen Zusammenhanges mit dem Einsturzbegriff war man sich diesbezüglich dennoch nicht sicher l82 • Die gefundene Interpretation und heute ganz herrschende Meinung birgt aber den Vorzug, zum einen noch vorn Wortsinn gedeckt zu sein und zum anderen unbillige Einzelfallergebnisse und Rechtsunsicherheit zu vermeiden. So wird es meist vom Zufall abhängen, ob beim Durchbrechen eines Fußbodens einzelne Bohlen mit in die Tiefe stürzen 183 , beim Zuschlagen eines mangelhaft befestigten Fensters die Glasscheibe zerbirst oder sich das Fenster vollends aus seiner Verankerung löst l84 • (In all diesen Fällen liegt unzweifelhaft eine Ablösung vor.)

s. 1230 (Carport); Palandt/Thoma;9, § 836, Rn. 7; Weimar, BIGBW 1979, S. 66; derselbe, VP 1968, s. 173. m Vgl. OLG Hamm, VersR 1997, S. 194 (Turmdrehkran); OLG Düsseldorf, RuS 1977, S. 57 (umgewehte Plakattafel); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 (Telegraphenmast); OLG Stuttgart, VersR 1977, S. 384; OLG Braunschweig RuS 1993, S. 339 (Jagdhochsitz); für Grabsteine explizit OLG München, OLGE 28, 308; RGRKIKreft12, § 836, Rn. 18. Zur Gleichbehandlung von Ein- und Umsturz in Österreich oben § 3 A III. 178 BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25 formuliert das als unwillkürliche Aufhebung der Verbindung zum Ganzen. 179 RGZ 133, 1 (6); Palandt/Thomas59 , § 836, Rn. 7; Weimar, BIGBW 1979, S.66. IBO RGZ 133, I (6); RG HRR 1940 Nr. 154; OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (254) m. w.N.; OLG München, NJW-RR 1995, S. 540 (541) für ein herabgefallenes Garagenschwingtor; OLG Karlsruhe, VersR 1979, S. 59 (60); Soergel/Zeuner l2 , § 836, Rn. 12; Geigel/Schlegelmilch22 , Kap. 19, Rn. 10. 181 RG JW 1912, S. 242. 182 Siehe die Erwägungen in RGZ 52, 236 (238). Vgl. auch Prot. 11, S. 653: Absturz von Teilen. § 735 E I sah noch lediglich den Einsturz vor, die Ablösung von Teilen wurde erst mit § 759 Ellhinzugefügt. 183 Vgl. RGZ 52, 236 (238); auch RG JW 1904, S. 486 (Bruch einer Bodenluke); RG JW 1912, S. 242 (kein Herunterfallen von Teilen); BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25 (Durchbrechen eines Baugerüstbretts); BGH VersR 1960, S. 426; OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (254).

D. Haftungsauslösendes Ereignis

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Nicht ohne weiteres am Wortlaut festmachen läßt sich indes die Lockerung oder Trennung des inneren Zusammenhanges des Bauwerkteils. Gemeint sind hierbei z.B. die "Rohrleitungsfälle", in denen ein durch Korrosion entstandener Riß in der Leitung zum Austritt von Wasser oder Gas geführt hat 185. Auch das ufikontrollierte Herabfallen eines Garagentores, welches darauf beruhte, daß eine unsachgemäß angebrachte Notentriegelung versehentlich betätigt wurde und eine Trennung vom elektrischen Antrieb bewirkte, ist als Beeinträchtigung des inneren Zusammenhanges gesehen worden l86 • Streng genommen paßt § 836 BGB hier nicht mehr, da nur die Ablösung von Teilen, aber nicht innerhalb von Teilen genannt ist. Allerdings sind die Übergänge von der Lockerung oder teilweisen Trennung vom Bauwerkganzen zur Lockerung oder Trennung innerhalb des Bauwerksteils dermaßen fließend I87 , daß man sich trotz des unvollkommenen Wortlautes zur Vermeidung von Härten wenigstens einer Analogie bedienen sollte l88 . Hervorzuheben bleibt aber, daß nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur eine so beschaffene Ablösung nicht leichtfertig angenommen werden kann, sondern stets eine Veränderung mechanischer Art, die unmittelbar das fragliche Bauwerksteil betrifft, gegeben sein muß. Es genügt nicht, daß ein Teil lediglich funktionsuntüchtig ist l89 oder nicht wie gewünscht funktioniert, so daß beispielsweise die Schädigungen durch bloßes Zufallen von Türen oder Fenstern, d. h. bei Intaktbleiben von deren Mechanismus, nicht hierher gehören I 90. Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang zur Verdeutlichung auf eine das Herabgleiten eines Roll-

184 RG HRR 1940 Nr. 154 (Zufallen eines Klappfensters aufgrund mangelhafter Befestigung); OLG Düsseldorf, VersR 1982, S. 1201 (Herausfallen von Glassplinern aus dem Rahmen als Ablösung). 18~ RGZ 133, I (6), undichte Wasserleitung; vgl. ferner RGZ 172, 156 (161) für Gas, wo allerdings die Kausalität der Ablösung mangels "bewegend wirkender Kraft" ab~~lehnt wird; BGH WM 1976, S. 1056 (1057) für einen undichten unterirdischen Oltank, ebenfalls unter Verneinung der Kausalität. 186 OLG München, NJW-RR 1995, S. 540. 187 Sofern die Undichte auf einer Lockerung im Übergang von einem Rohrteil zum anderen vorliegt, brauchte nicht mehr auf den inneren Zusammenhang abgestellt zu werden. Auch beim Durchbrechen eines Fußbodens stellt sich die Frage, ob man auf den Boden als Gebäudeteil abstellt (dann Beeinträchtigung des inneren Zusammenhanges), oder aber auf die Bohlen, aus denen er besteht (dann teilweise Trennung des Teils vom Gebäude, so RG JW 1912, S. 242). 188 Einen Grenzfall stellt die in der Entscheidung des OLG Düsseldorf, VersR 1997, S. 711 behandelte geringfügige Deformierung eines Straßenbelages dar. In der Entscheidung wurde die Ablösung verneint. 189 BGH VersR 1961, S. 806 (808) für eine verstopfte Kanalisationsanlage. 190 RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 20; Geigel/Schlegelmilch 22 , Kapitel 19, Rn. 11.

9'

132 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

ladens betreffende Entscheidung des Reichsgerichtes verwiesen l91 . Dort war eine Klemmschraube nicht ordentlich festgezogen, so daß es zu einem Unfall kam. Das Reichsgericht lehnte eine Ablösung ab und verwies in Abgrenzung hierzu auf eine frühere Entscheidung, die das Abreißen des Gurtes eines Rolladens, also eine mechanische Veränderung, betrafl92 . In Anlehnung hieran wurde später beispielsweise auch das Absenken einer sogenannten "Schützentafel" einer Schleuse durch unbefugte Dritte, welches eine Überschwemmung verursachte, nicht unter den Ablösungsbegriff subsumiert l93 • Die "Rolladen-Entscheidung" des Reichsgerichtes ist teilweise als unzutreffend kritisiert worden, weil ebenso wie in der schon geschilderten Garagentor-Entscheidung des OLG München l94 letztlich Mängel der Sperrvorrichtung den Schaden verursacht hätten 195. Ausschlaggebend für die Entscheidung des Reichsgerichtes war indes, daß, anders als bei der Konstellation, über die das OLG München zu befinden hatte, die Konstruktion der Klemmschraube als Befestigung einwandfrei erschien und diese durch Angestellte des Mieters lediglich unsachgemäß bedient, d. h. nicht ordentlich festgezogen worden war. Anders ausgedrückt lag in der unsachgemäßen Betätigung eine mechanische Veränderung, welche zwar nicht den Rolladen, aber immerhin die zum Feststellen bestimmte Schraube betraf. Diese Veränderung beruhte aber nicht auf Fehlkonstruktion oder mangelhafter Unterhaltung, sondern menschlichem Fehlverhalten. Ein solches Fehlverhalten schließt nun die Mangelhaftigkeit zwar nicht generell, aber doch dann aus, wenn der Bauwerksbesitzer sich auf eine ordnungsgemäße Nutzung verlassen bzw. mit der unsachgemäßen Nutzung nicht rechnen konnte 196. So wurde konsequent die Haftung aus § 836 BGB bei unbefugter Absenkung der "Schützentafel" verneint 197 , weil trotz mechanischer Veränderung eben kein Werkmangel gegeben war. Im Fall des herabgleitenden Garagentores 198 handelte es sich dagegen um eine Fehlkonstruktion, bei der die versehentliche Betätigung der Notentriegelung vorhersehbar war. Die eben gemachten Ausführungen verdeutlichen, daß die Entscheidung des Reichsgerichts l99 zwar - soweit es das bloße Herabgleiten des Rolladens betraf - auch den Ablösungsbegriff berührte, indes aber auch Fragen RG WamR 1909 Nr. 101. RG, a. a. O. 193 OLG München, VersR 1978, S. 553. 194 NJW-RR 1995, S. 540, oben bei Fn. 186. 19S Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 14 mit Fn. 75. 196 Unten III 2. 197 OLG München, VersR 1978, S. 553, oben bei Fn. 193. In der Entscheidung wurde allerdings auf das Fehlen einer Ablösung abgestellt. 198 OLG München, NJW-RR 1995, S. 540. 199 RG WarnR 1909 Nr. 101. 191

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D. Haftungsauslösendes Ereignis

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des Gebäudemangels angesprochen wurden, da immerhin die Klemmschraube als Teil in Betracht zu ziehen waroo . ll. Analogiemöglichkeiten bei Einsturz und Ablösung Auch beim Einsturz- und Ablösungsbegriff erhebt sich die Frage, wie weit der Wortlaut interpretiert werden kann und ob darüber hinaus eine entsprechende Anwendung geboten erscheint. Dabei ist zwischen den Fällen zu unterscheiden, in denen sich unzweifelhaft ein Gebäude- oder Werkteil gelöst hat und unmittelbar ein Schaden verursacht wurde 201 , und solchen Konstellationen, in denen es an einer Ablösung im klassischen Sinne fehlt. 1. Relevanz von Höhe und Tiefe bei der Schädigung

Zweifel an der Erfüllung des Tatbestandsmerkmales der Ablösung entstehen beispielsweise dann, wenn die Verriegelung eines Fensters bricht, dieses in seiner Aufhängung seitwärts aufschwingt und eine Person verletzt202 • Bei der österreichischen Gebäudehaftung stellte sich hier die Frage, ob der Schaden auf die Höhe oder Tiefe eines Werkes zurückzuführen sein muß203 • Im deutschen BGB wäre es ebenfalls möglich, zu dieser Einschränkung zu gelangen: Der Wortlaut des Einsturzbegriffes impliziert eine Abwärtsbewegung. Die Ablösung von Teilen, welche ein Weniger gegenüber dem Einsturz darstellt, könnte sich also diesbezüglich am umfassenderen Begriff orientieren. Diese systematische Auslegung innerhalb des Tatbestandes des § 836 BGB wäre zusätzlich dadurch gerechtfertigt, daß bei dem schon untersuchten "doppelten" Tatbestandsmerkmal "Gebäude und Werk" dem Gebäude ebenfalls Auslegungsrelevanz zugemessen wurde204 • Eine solche Auslegung führt indes zu Wertungswidersprüchen, da es wenig plausibel ist, demjenigen, welcher (noch) in der Auf- oder Seitwärtsbewegung des vom Bauwerk abgelösten Teiles getroffen wird, die Beweiserleichterung zu versagen, während einen Augenblick später - nämlich in der Abwärtsbewegung - die Gebäudehaftung unzweifelhaft greift205 • Die 200 Vgl. insofern RG WamR 1914 Nr. 334 für die Sperrvorrichtung eines Fahrstuhls. 201 Die Fälle der mittelbaren Schädigung und des fehlenden Wirkens der kinetischen Energie sollen im Anschluß bei der Kausalität behandelt werden. 202 Vgl. den Fall EvBI 19711280 zum österreichischen Recht (Aufschwingen eines Gartentores), oben § 3 A III. 203 Oben § 3 A III. 204 Oben C I in diesem Abschnitt.

134 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Vermeidung dieses Wertungswiderspruches bedarf auch keiner Analogie, da eine Ablösung für sich genommen nicht durch die Schwerkraft beeinflußt sein muß. Die Rechtsprechung tendiert offenbar ebenfalls in diese Richtung206 • So wurde eine Beweiserleichterung nach § 836 BGB einem Kläger gewährt, der auf einer noch nicht fertiggestellten Loggia einer Wohnung an einer provisorischen Brüstung, welche· durch zwei von außen an einen Stützbalken angenagelte Bretter gebildet wurde, Halt gesucht hatte 207 . Der BGH ging bei der Lösung der Bretter ohne Problematisierung von einer Ablösung aus, wobei allerdings nicht verkannt werden darf, daß in diesem Fall die Rechtsgutsverletzung im Ergebnis doch wieder auf der Gebäudehöhe beruhte, da der Kläger sich seine Verletzungen beim Absturz zuzog. Dennoch ist es geboten, den Ablösungsbegriff im vorstehenden Sinne ebenso auf Auf- und Seitwärtsbewegungen von Bauwerksteilen zu erstrekken, sofern nur zuvor eine Ablösung, d. h. eine mechanische Veränderung des - oder innerhalb des - Teiles, stattgefunden hat. 2. Anwendbarkeit bei fehlender Ablösung

Läßt sich die Anwendung der Haftung für Bauten bei mechanischen Veränderungen des Gebäude- oder Werkteils in den meisten Fällen noch durch Auslegung bewerkstelligen, so muß diese versagen, wenn es gänzlich an einer solchen Veränderung fehlt. So hat die Rechtsprechung beispielsweise einen Anspruch aus § 836 BGB abgelehnt, wenn es um das Übergreifen von Feuer von einem Gebäude auf ein anderes ging208 • Bei den Flammen handelte es sich nicht um Gebäudeteile, die sich ablösten. Argumentieren könnte man immerhin, daß das den Brandherd bergende Bauwerk seinerseits ebenso den Flammen ausgesetzt ist, wie das beeinträchtigte Rechtsgut, so daß eine physische Veränderung vorliegt. Indes fehlt es bei der Schädigung durch Flammen mindestens an der Ursächlichkeit einer solchen Veränderung für die Rechtsgutsverletzung 209 • Der Wortlaut der Norm gelangt insofern an seine GrenlOS Vgl. BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21, wo die Glastür einer Duschkabine zersprang und der Kläger von den herabfallenden Teilen verletzt wurde. 206 Siehe z.B. OLG Stuttgart, VersR 1964, S. 1275 für das Hochschleudem eines Kanaldeckels. 7lf1 BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20. 208 BGH VersR 1987, S. 1096; neuerdings OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340. Keine Frage des Ablösungsbegriffes wäre es im übrigen, wenn sich info1ge eines Brandes Gebäudeteile lösen und eine Rechtsgutsverletzung verursachen. Hier stellt sich lediglich das Problem, ob ein etwaiger Baumangel für die Ablösung kausal wurde.

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zen, wobei sich die Rechtsprechung auch einer Analogie gegenüber verschließt210 • Noch deutlicher tritt der Problemkreis hervor, wenn es an einer physischen Veränderung des Bauwerkes gänzlich fehlt und sich der Geschädigte seine Verletzung am Werk und nicht durch das Werk zugezogen hat. Beispiele hierfür sind recht leicht zu finden, man denke nur an das Hinfallen auf glatten oder unebenen Böden oder den Sturz in ungesicherte Baugruben oder Kelleröffnungen. In all diesen Fällen liegt unzweifelhaft keine Ablösung von Teilen gemäß dem Wortsinn des § 836 BGB vor. Die österreichische Rechtsprechung hat sich bezüglich Gruben und Öffnungen indes nicht gescheut, den Weg der Analogie zu gehen 211 • In Deutschland wurde einer solchen Lösung hingegen eine Absage erteilt und die Haftung auf § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 367 Nr. 12 StGB a. F. beschränkt212 • Im Schrifttum finden sich indes weitergehende Ansätze, die letztlich auf einer stärkeren Betonung des Sphärengedankens beruhen213 . Zum Teil wird dieser Gedanke ganz in den Vordergrund gerückt und unter Zurückstellung der Normkriterien eine allgemeine Beweislastumkehr für Grundstücks- und Gebäudemängel kreiert214 • Zurückhaltender ist der Ansatz von Belling und Eberl-Borgei 15 , welche eine Analogie für Ereignisse, die einem Einsturz oder der Ablösung von Teilen im wesentlichen ähneln, befürworten, um Wertungs widersprüche zu So OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340. Deutlich OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340; im Ergebnis auch BGH VersR 1987, S. 1096 (1097). 211 Oben § 3 A III. 212 BGH VersR 1965, S. 514 (Bei Bauarbeiten ausgehobene Grube); BGH VersR 1959, S. 467 (Kelleröffnung); deutlich die Haftung aus § 836 verneinend, wenn es sich lediglich um einen gefahrlichen Zustand in Form der fehlenden Abdeckung eines offenen Kanalisationsschachtes handelt: OLG Stuttgart, VersR 1964, S. 47. Zugleich eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 367 Nr. 12 a. F. StGB wird behandelt von BGH VersR 1967, S. 801 (Kellerschacht) und BGH VersR 1956, S. 617 (Grube). Für glatte Wege siehe BGH NJW-RR 1993, S. 27; dazu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 241 mit Fn. 1377. Anderes ergibt sich auch nicht aus RG WarnR 1909 Nr. 302, wo zwar eine Haftung für eine Baugrube angenommen wurde, der Schaden in Form der Absenkung des Nachbarhauses aber unzweifelhaft durch den Einsturz der Grube verursacht wurde. 213 Zur Gewichtung der physikalischen und normativen Aspekte beim Normzweck, oben B. 214 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 1 ff.; auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 302f. u. 308f. bezüglich der inneren Sorgfalt. Vgl. im übrigen schon C IV hinsichtlich der Haftungsobjekte. 215 In: Staudinger lJ , § 836, Rn. 12ff. 209

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venneiden. Beachtlich sein sollen demnach alle Bauwerksmängel, die in einem kurzen Zeitraum mit erheblicher Wirkintensität zur Verursachung schwerer Schäden in der Lage seien. Dergestalt relevante Konstruktionsfehler lägen beispielsweise in dem Fehlen von sichernden Geländern, aber auch in der Verwendung von leicht brennbarem Baumaterial oder dem Mangel an Brandfluchtwegen und der daraus folgenden Schädigung durch Feuer oder Rauch. Nicht hinreichen solle wegen des längeren Wirkungszeitraumes dagegen die Verwendung giftiger Farben, die durch ständiges Einatmen zu Schäden führen 216 • Für eine Erstreckung der Gebäude- und Werkhaftung auf jedwede Art von Baumängeln spricht immerhin, daß die neueren gesetzlichen Regelwerke in England217 und den Niederlanden218 auf den Einsturzbegriff verzichten. Dies kann man als Anstoß zu einer entsprechenden Vereinheitlichung für von Bauwerken herrührende Gefahren werten, wobei der Vorzug der verstärkten Rechtssicherheit und -klarheit auf der Hand liegt219 • Dennoch stehen, trotz des beachtlichen Gesichtspunktes der Europäisierung des Zivilrechts22o, massive Bedenken dagegen, die Erreichung einer solchen Zielvorgabe allein der Rechtsprechung zu überantworten, wie dies durch extensive Anwendung des § 836 BGB oder Übertragung der Beweislastverteilung auf § 823 I BGB geschehen könnte. Zum einen ist es noch zu früh, diesbezüglich von einer gefestigten Entwicklung auszugehen. Es ist derzeit nicht abzusehen, ob andere Staaten, welche den Einsturzbegriff zugrunde legen, wie beispielsweise Frankreich, Österreich und Italien, nicht doch auf dem bisherigen Zustand verharren. Eine dennaßen umfassende Umgestaltung der deutschen Gebäudehaftung sollte schon deshalb der Legislative überlassen werden. Für eine - von der Rechtsprechung und wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum mit dem Hinweis auf die Besonderheit der Gefahrenlage grundsätzlich abgelehnte22l - vorsichtige Handhabung der Analogie im Bereich der §§ 836ff. BGB ist zudem die hohe Regelungsdichte des Nonngefüges anzuführen. § 836 I BGB verwendet sowohl beim Haftungsobjekt (Gebäude und Werk) als auch beim haftungsauslösenden Ereignis (Einsturz und Ablösung) zur Umschreibung ein doppeltes Tatbestandsmerkmal. Auch die geschützten Rechtsgüter (PersoStaudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 12. Zum Occupiers' Liability Act von 1957 und 1984 oben § 3 EI. 218 Zum Baumange1 als Tatbestandsmerkmal des Art. 6:174 B.W. oben § 3 D III. 219 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242f. 220 Zur Mitwirkung der Judikative an der Harmonisierung des Europäischen Rechtes: v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 396ff.; Odersky, ZEuP 1994, S.2. 221 BGH VersR 1961, S. 806 (808); auch OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340; RGRKIKreftI2, § 836, Rn. 5. 216

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nen und Sachen) sowie die Person des Pflichtigen (§ 836 Abs. 2 und 3, §§ 837, 838 BGB) werden detailliert festgelegt. Dem Normgeber eines so differenzierten Regelungswerkes kann nun nicht einfach das pauschale Übersehen anderweitiger Bauwerksgefahren unterstellt werden, sondern Einsturz und Ablösung stellten aus damaliger Sicht nun einmal die typischerweise erhöhten Schädigungsrisiken dar222 . Eine grundsätzliche nachträgliche Entwicklung, welche einen derartig umfassenden Brückenschlag zur Einzelanalogie bzw. - was im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft - der Übertragung des Rechtsgedankens auf § 823 Abs. 1 BGB gestatten würde 223 , ist bei Gebäudemängeln ebenfalls nicht zu verzeichnen. Sicherlich sind seit Entstehung des BGB in stärkerem Maße gefahrbergende Baustoffe, wie etwa Asbest, beim Bauen eingesetzt worden. Andererseits handelt es sich bei der Mehrzahl der Mängel, wie etwa den glatten oder unebenen Fußböden, um Gefahrenherde, die bereits lange vor Beginn unseres Jahrhunderts zu Unfällen geführt haben. . So wünschenswert eine klare und dem Geschädigten günstigere Regelung in dem genannten Bereich auch sein mag, so wenig darf eine solche rechtspolitische Entscheidung mittels der Brechstange einer umfassenden richterlichen Rechtsfortbildung durchgesetzt werden, wenn Wortlaut und Entstehungsgeschichte einem solchen Vorgehen dermaßen entgegenstehen224 • Ein vergleichbares Problem hat sich, wie dies im Zusammenhang mit der Bestimmung des Haftungsobjektes schon angedeutet wurde225 , im Werkvertragsrecht bei dem die Gefahrtragungsregelung des § 644 ergänzenden § 645 BGB ergeben, wonach der Werkunternehmer vom Besteller anteilige Vergütung sowie Ersatz seiner Auslagen verlangen kann. Es gab Bestrebungen, diese Regelung auf alle in der Sphäre des Bestellers liegenden Umstände, die zur Verschlechterung, Untergang oder Unausführbarkeit des Werkes führen, auszudehnen. Überwiegend wird diese sog. Sphärentheorie unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte und das Fehlen einer nachträglichen, solche Rechtsfortbildung rechtfertigende Entwicklung abgelehnt und auf die hinreichende Möglichkeit der Einzelanalogie verwiesen 226 • 222 Für die Gefährdung zahlreicher Dritter durch den Einsturz als Haftungsgrund vgl. Mot. 11, S. 816. 223 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 2 läßt die Frage der methodischen Begründung der umfassenden Beweislastumkehr ausdrücklich offen. 224 Für eine eingeschränkte Analogiefähigkeit und einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers auch StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 13. 225 Oben bei Fn. 157. 226 ErmanlSeiler, § 836, Rn. 11; PaiandtiSprau 59 , § 645, Rn. 10 m.N. zur Rechtsprechung, deutlicher in der 57. Auflage. Bei der hier gezogenen Parallele ist allerdings zu berücksichtigen, daß § 645 Abs. I BGB eine vertragliche Regelung beinhaltet und es zudem auf ein Verschulden nicht ankommt, vgl. § 645 Abs. 2 BGB.

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Für den außervertraglichen Tatbestand des § 836 BGB käme hinzu, daß es sich hierbei zwar nach heute ganz h. M. nicht um die Ausprägung einer verschuldensunabhängigen Gefahrdungshaftung handelt227 , für welche die Analogiefahigkeit unter Hinweis auf deren Spezialitätscharakter abgelehnt und auf den Regelungsbedarf des Gesetzgebers hingewiesen wird228 . Die Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens verbindet sich in der Rechtsprechung aber nicht selten mit einem Beweis des ersten Anscheins, welcher für das Vorliegen eines Mangels und dessen Ursächlichkeit für die Rechtsgutsverletzung spricht229 • Eine so gefaßte und praktizierte Regelung kann im Ergebnis einer Gefahrdungshaftung recht nahe kommen 230 , was für den Geschädigten angesichts seiner Beweisnot zu begrüßen ist, zur Wahrung der Interessen des Pflichtigen aber einen behutsamen Umgang mit dem Institut der Analogie gebietet231 • De lege lata sollte deshalb ein Ausgleich zwischen der Vermeidung von Härten für einen Geschädigten und dem notwendigen Maß an Rechtssicherheit dadurch gefunden werden, daß man eine Analogie nicht grundsätzlich ausschließt, jedoch eng auf die typischen Gefahrenlagen der Bauwerkshaltung, für die § 836 BGB ursprünglich geschaffen wurde, begrenzt. Worin liegen nun derartige typische Gefahren eines Bauwerkes? Der Ansatz von Belling und Eberl-Borgei 32 bezieht sich hierbei, wie schon ausgeführt, nicht nur auf Stabilitäts-, sondern auch auf sonstige Konstruktionsmängel, wenn sich diese potentiell in einem plötzlichen Ereignis, welches die Gefahr erheblicher Rechtsgutsbeeinträchtigungen heraufbeschwört, Dazu oben A I in diesem Abschnitt. RGZ 78, 171 (172); BGHZ 55, 229; BGH NJW 1960, S. 1345. Kritisch de lege ferenda: Kötz, Deliktsrecht8 , Rn. 373. 229 Neuerdings BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25. Für eine Umkehrung der Beweislast für die Ursächlichkeit einer Verkehrssicherungspflichtverletzung im Gebäudebereich: v. Bar, Verkehrspflichten, S. 308 f.; ähnlich StolI, AcP 176 (1976), S. 163. 230 Bezeichnenderweise spricht das OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340 bei der Nichtanwendung von § 836 BGB auf einen Brand davon, " ... daß eine die Haftung faktisch erweiternde entsprechende Anwendung abzulehnen ist, um nicht eine allgemeine Gefährdungshaftung des Gebäudeeigentümers oder Gebäudebesitzers für alle Schäden zu schaffen, die ihren irgendwie gearteten Ausgangspunkt in der Gestalt des Gebäudes haben könnten ... ". Zur Annäherung an eine objektive Haftung durch Umkehr der Beweislast: v. Bar, Verkehrspflichten, S. 279; StolI, AcP 176 (1976), S. 161. 231 Gegen eine allgemeine Übertragung des Sphärengedankens auf das Deliktsrecht: Musielak, AcP 176 (1976), S. 484; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 290. Für eine differenzierte Handhabung der Beweislastumkehr im Deliktsrecht allgemein spricht sich auch StolI, AcP 176 (1976), S. 161 aus, da andernfalls das im Deliktsrecht im Vordergrund stehende Verschuldensprinzip zurückgedrängt werde. Vgl. schon oben bei Fn. 157. 232 In: Staudinger 13 , § 836, Rn. 12ff. 221 228

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niederschlagen. Begründet wird dies mit der Venneidung von Wertungswidersprüchen sowie der Entwicklung neuer Bautechniken und -materialien, die beim Inkrafttreten der Vorschrift noch nicht bekannt gewesen seien233 • Hinsichtlich der Brandgefahren sind dabei freilich Zweifel anzumelden. Die Gefährdung durch feuergefährliche Baustoffe war im vorigen Jahrhundert in einem womöglich noch stärkerem Ausmaß gegeben und geläufig, wobei in diesem Zusammenhang etwa die Brandanfälligkeit von Holzbauten oder aber von in ländlichen Gegenden auch heutzutage nicht selten anzutreffenden Dachabdeckungen mit Reet zu nennen wären. Daß hier ein eine unbestimmte Personenzahl betreffendes234 Gefährdungspotential vorhanden ist, darf nicht den Blick dafür verstellen, daß bereits der historische Nonngeber dieses ohne weiteres in seinem Regelungsplan hätte berücksichtigen können. Letztlich entscheidend gegen eine Analogie in diesem Bereich spricht, daß die Rechtsgutsverletzung nicht unmittelbar durch das Bauwerk verursacht, sondern durch Brand oder Rauch vermittelt wird. Eine mittelbare Verursachung muß für ein Eingreifen der Gebäude- und Werkhaftung zwar nicht hinderlich sein23s , jedoch sollte dies auf die Fälle beschränkt werden, in denen eine Ablösung in dem oben definierten Sinne, d. h. zumindest in Fonn der Lockerung eines Teiles, unzweifelhaft vorliegt. Ist dieses, wie in den in diesem Abschnitt angesprochenen Konstellationen, nicht der Fall, so empfiehlt sich eine Einengung auf direkt an der Werkssubstanz zugezogene Verletzungen, um die Grenzen zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten nicht einzureißen. Damit dem letztgenannten Ziel Rechnung getragen werden kann, bietet sich zusätzlich die kumulative Anbindung an den Einsturzbegriff an, womit man - wohlgemerkt nur für den Bereich der Analogie - beim Kriterium der Auswirkung der Schwerkraft, also der Höhe und Tiefe des Bauwerkes angelangt ist236 • Folgt man dieser Interpretation, so kann es zu einer entsprechenden Anwendung auf durch Feuer oder Rauch verursachte Schäden nicht kommen. Auch die bloße mangelhafte Beschaffenheit von Böden, sei es durch Glätte oder durch Unebenheiten, bleibt von der Beweislastumkehr ausgespart. Raum für eine Erstreckung des Anwendungsbereiches der Bauwerkshaftung ist in den hier diskutierten Fällen somit nur bei Stürzen von Gebäuden bzw. in Werke, wie beispielsweise ausgehobene und ungesicherte Gruben. Eine solche Erstreckung bedarf jedoch, um der schon angedeuteStaudingerIBellingIEberl-Borges J3 , § 836, Rn. 12. Zur Gefährdung zahlreicher Dritter als Haftungsgrund: Mot. 11, S. 816; StaudingerIBellingIEberl-Borges J3 , § 836, Rn. 8. 235 Näher dazu bei der Frage der Kausalität von Einsturz und Ablösung für die Rechtsgutsverletzung. 236 Anders verhält sich dies nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung, sofern eine im Sinne der Norm "echte" Ablösung stattgefunden hat, oben DIll. 233

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ten, nach der derzeitigen Gesetzeslage abzulehnenden, Ausuferung und Kontudosigkeit des Tatbestandes entgegenzuwirken, der sorgfältigen Begründung im Einzelfall. So wird es sich, vereinfacht gesagt, um einen Sturz handeln müssen und ein bloßes Stolpern oder Ausgleiten nicht genügen, weil wegen der Anbindung an den Einsturzbegriff nun einmal eine gewisse Höhe des Werkes schadens stiftend im Spiel gewesen sein muß. Mit dieser Feststellung ist allerdings erst das Anwendungsfeld umrissen, aber noch nichts über die formale und innere Rechtfertigung dieser Analogie ausgesagt. Immerhin ließe sich einwenden, daß dem Gesetzgeber das Problem von ungesicherten Öffnungen oder Balkonen bewußt sein konnte, wie dies zuvor für den Einbau feuergefährlicher Stoffe dargelegt wurde und es deshalb an einer Regelungslücke fehlt. Schon damals bestimmte § 367 Nr. 12 StGB a.F., daß eine Übertretung beging, "wer auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, auf Höfen, in Häusern und überhaupt an Orten, an welchen Menschen verkehren, Brunnen, Keller, Gruben, Öffnungen oder Abhänge dergestalt unverdeckt oder unverwahrt läßt, daß daraus Gefahr für andere entstehen kann". Diese letztlich baupolizeiliche Vorschrift wurde in der Folge aus dem Strafgesetzbuch entfernt und der Regelung durch den Landesgesetzgeber überantwortet 237, wobei die heutigen Landesbauordnungen einschlägige Vorschriften enthalten, deren Nichteinhaltung zu baupolizeilichen Maßnahmen führen kann238 . Nun wird in den Motiven hinsichtlich der sog. vitia loei auf den genügenden Schutz durch polizei- und strafrechtliche Bestimmungen verwiesen239 . Daß die genannte Bemerkung in den Motiven einen endgültigen Ausschluß der Gebäude- und Werkhaftung für ungesicherte Öffnungen oder ähnliche Gefahrenherde im Auge hatte, muß freilich bezweifelt werden. Zum einen bezog sich die intendierte Haftungsbegrenzung in den Motiven, wie gesagt, auf den Begriff des vitium loei, dessen genauer Umfang allerdings streitig war240 und der überdies dem nachbarrechtlichen Institut der cautio damni infecti entstammte und deshalb auch in diesem nachbarrechtlichen Licht gesehen werden mußte. Zudem paßt das in den Motiven für den Ausschluß der vitia loei zusätzlich gebrachte Argument, die Beseitigung derselben könne "dem Eigentümer oder Besitzer oft ohne die größten Unbilligkeiten nicht angesonnen werden,,241, schwerlich auf die Absiche237 Zur Abschaffung der Übertretungstatbestände allgemein Schönke/Schröder/ Eser2S , § 12, Rn. 2 u. 15ff. 238 Siehe nur § 37 ThürBauO für die Umwehrung von Gebäudeteilen und die Abdeckung von Öffnungen sowie § 14 Abs. 2 ThürBauO für die Absicherung von Baustellen. 239 Mot. 11, S. 816 mit Bezug auf Dig. 39, 2, 24, 2-5. 240 Oben bei Fn. 146. 241 Mot. 11, S. 816.

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rung von Öffnungen in Häusern oder auf Grundstücken gegen Stürze, da hierzu kein größerer Aufwand betrieben werden muß. Zum anderen war die Diskussion über das haftungsauslösende Ereignis mit dem Einsturz, auf welchen sich die Äußerung bezieht, noch nicht beendet, was sich deutlich aus der nachträglichen Einfügung des Ablösungsbegriffes ergibt242 , so daß eine abschließende Lösung aus den Motiven heraus nicht erkennbar wird. Geboten ist die Analogie letztlich durch einen Wertungswiderspruch, der im Gesetzesentwicklungs- und -gebungsverfahren offensichtlich nicht gesehen wurde: Wenn schon die mangelhafte Sicherung - etwa durch ein morsches Brett oder eine lose Brüstung - eine Beweislastumkehr rechtfertigt, dann ist eine solche Beweislastumkehr erst recht angezeigt, wenn auf derartige Sicherungen ganz verzichtet wurde 243 . Die Rechtsprechung hat sich nicht gescheut, § 836 BGB auf Stürze anzuwenden, die lediglich zu einer Lockerung oder teilweisen Ablösung von Teilen geführt haben, also streng genommen die Personenschädigung am Werk durch Schwerkraft bewirkt wurde 244 • Es wäre nur konsequent, dann auch den letzten Schritt zu wagen, und bei dem durch Höhe oder Tiefe des Werkes bedingten, auf einen Baumangel zurückgehenden Sturz generell die Gebäude- und Werkhaftung zu bejahen. lli. Fehlerhafte Errichtung und Unterhaltung

Einsturz und Ablösung müssen sich als Folge einer fehlerhaften Errichtung oder einer mangelhaften Unterhaltung darstellen. Bei unbefangener Betrachtung entstehen dabei zwei Fragenkreise. 1. Objektivität der Begriffe Zunächst ist festzuhalten, daß es sich in beiden Fällen um rein objektiv zu bestimmende Begriffe hande1t245 • Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob die Mangelhaftigkeit des Bauwerkes auf ein schuldhaftes Verhalten einer bestimmten Person, insbesondere des in Anspruch genommenen Besitzers, zurückzuführen ist246 . Eine anderslautende Interpretation verVgl. Prot. 11, S. 653. Ähnlich StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 836, Rn. 12. 244 Siehe oben bei Fn. 183 in diesem Abschnitt. 245 Vgl. Prot. 11, S. 655 ("objektiver Mangel"); BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; BGH VersR 1962, S. 1105 (1106); BGH VersR 1952, S. 291 = LM § 836 BGB Nr. 4; StaudingeriSchiijer l2 , § 836, Rn. 40; Soergel/Zeuner 12 , § 836, Rn. 13. 246 BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; BGH VersR 1952, S. 291 = LM § 836 BGB Nr. 4 (für mangelhafte Unterhaltung); OLG Koblenz, 242 243

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bietet sich schon unter dem Aspekt des Charakters der Norm als Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr. § 836 Abs. 1 S. 2 BGB nennt als Entlastungsmöglichkeit die Wahrung der zum Zwecke der Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Wollte man die schuldhaJt-fehlerhafte Errichtung oder Unterhaltung als - vom Geschädigten zu beweisende - Tatbestandsvoraussetzung ansehen, so liefe die Beweislastumkehr praktisch ins Leere247 • Der Vorteil würde sich darin erschöpfen, daß nicht das diesbezügliche Verschulden einer bestimmten Person zu beweisen wäre. Damit wäre der Beweisnot des Geschädigten, welche ein tragendes Element der Verschuldensvermutung bildet248 , jedoch nur geringfügig abgeholfen, da der Nachweis des Verschuldens anderer Personen als der in §§ 836-838 BGB benannten Pflichtigen (nach dessen Erbringung die Vermutung des § 836 BGB zu Lasten der Pflichtigen nach dem hier hypothetisch diskutierten Ansatz greifen würde), also beispielsweise Architekten oder Bauunternehmern, gerade dann, wenn die Errichtung länger zurückliegt, nicht leicht gelingen dürfte. Eine andere denkbare Variante wäre es, unter der fehlerhaften Errichtung und mangelhaften Unterhaltung die Außerachtlassung der äußeren Sorgfalt durch den Inanspruchgenommenen zu verstehen249 • Der Geschädigte müßte demnach konkret dem Pflichtigen ein unsachgemäßes Verhalten nachweisen, während letzterer sich (lediglich) bezüglich der Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung sowie der Fähigkeit zur Erbringung der äußeren Sorgfalt zu entlasten brauchte25o• Diese Ineinssetzung von Pflichtverletzung und Nichteinhaltung der äußeren Sorgfalt wird immerhin ebenso für die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten vertreten 251 • Auf diese Art und Weise würde zugleich der These v. Bars, daß die Entwicklung der Verkehrs(sicherungs)pflichten § 836 BGB erübrigten 252, ein weiterer Grundstein hinzugefügt, da sich in Rechtsprechung und Literatur in diesem Zusammenhang die Tendenz zur Indikation der Verletzung der inneren NJW-RR 1998, S. 672 (673), insoweit nicht mit abgedruckt in MDR 1997, S. 838; RGRK/ Kreft12, § 836, Rn. 23; Palandt/Thomas59 , § 836, Rn. 8; Delius, S. 15; Kaulfers, S. 27; Wolterhoff, S. 15. 247 Ähnlich Wolterhoff, S. 15. 248 Oben B.

249 Vgl. insoweit die Erwägungen von Herrmann, S. 28lff.; auch Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 311. 250 Zu diesem Umfang der äußeren und inneren Sorgfalt: Deutsch, Unerlaubte Handlungen 3 , Rn. 121. Ablehnend zur Differenzierung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt: Kötz, Deliktsrecht8 , Rn. 118 m.w.N. Referierend Fuchs, Deliktsrecht2 , S.64ff. 251 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 174f.: Identität mit der äußeren Sorgfalt im Höchstmaß; LarenzlCanaris, SchR 11/2 13 , § 75 11 3 d). 252 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 19 f. Vgl. auch oben A 11.

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durch die feststehende Verletzung der äußeren Sorgfalt herausgebildet hat 253 , deren Fortentwicklung die normierte Gebäude- und Werkhaftung in ihrem originären Anwendungsfeld in Frage stellte. Freilich kann diese Hypothese der Identität von fehlerhafter Errichtung und Unterhaltung mit der äußeren Sorgfalt nur dann überzeugen, wenn man, wie v. Bar dies im Einklang mit Rechtsprechung und herrschender Lehre im Schrifttum vertritt254 , überhaupt zwischen äußerer und innerer Sorgfalt trennt255 , weil andernfalls der mit § 836 I 2 BGB intendierte Beweisvorteil verloren wäre 256 . Aber auch bei Anerkennung der Trennung von äußerer und innerer Sorgfalt bedeutete die Bejahung der zur Diskussion gestellten Interpretationsmöglichkeit eine Reduzierung des Beweisvorteils, die von der Konzeption des Gesetzes so nicht vorgesehen wird und deshalb unnötig verengend wirkt. Genannt wird eben nur die fehlerhafte Errichtung oder Unterhaltung - ohne Bezugnahme auf den Pflichtigen. Anders liegt dies beim Entlastungsbeweis nach § 836 I 2 BGB, wo der Beklagte sich nur durch die von ihm persönlich eingehaltene Sorgfalt entlasten kann. Eine Aufweichung dieses im Gesetz angelegten Schutzes durch Einbringung subjektiver Umstände in § 836 I 1 BGB, die über den Besitz an dem mangelhaften Bauwerk hinausgehen, ist folglich abzulehnen. Fehlerhafte Errichtung und Unterhaltung sind also - dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend - frei von subjektiven Bezügen jedweder Art auszulegen 257 . In dieser Form hat die Rechtsprechung im übrigen auch für die Beweislastverteilung im m BGH NJW 1994, S. 2232 (2233); BGH NJW 1986, S. 2757 (2758): Indikation oder wenigstens Anscheinsbeweis; Deutsch, Unerlaubte Handlunfen 3 , Rn. 121; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 116f.; Kötz, Deliktsrecht , Rn. 118 findet hierin einen Anhaltspunkt für die Einebnung der Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt 2S4 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 174ff. m Kritisch z. B. Kötz, Deliktsrecht, Rn. 118; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. l13ff.; auch Staudinger/Oechsler 13 , Ein!. ProdHaftG, Rn. 41. Ausführlich die Arbeit von Fabarius, die beim Bezug der Sorgfalt auf äußere Umstände eine Kumulation von äußerer und innerer Sorgfalt ablehnt, a. a. 0., S. 100 f. 2S6 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 516: Der Geschädigte hat die tatsächlichen Voraussetzungen der Pflichtverletzung/Fahrlässigkeit vorzutragen und zu beweisen. 257 Erman/Schiemann 9 , § 836, Rn. 6: Fehler muß nicht die Folge eines verkehrspflichtigen Verhaltens des Grundstücksbesitzers sein; wohl auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht 2 , S. 52: § 836 BGB steht der Fehlerhaftung näher als der verletzten Verkehrspflicht; LE. ebenso Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 31: Fehlerfrei sind Gebäude, wenn sie weder einstürzen, noch sich Teile von ihnen ablösen und sie daher die Rechtsgüter Dritter nicht gefährden; aus der Rechtsprechung: BGRZ 58, 149 (155); neuerdings OLG Koblenz, NJW-RR 1998, S. 673 (674) = MDR 1997, S. 838: Objektiv gefahrdrohender Zustand; ähnlich OLG Düsseldorf, NZA-RR 1998, S. 289 (290); einschränkend inzwischen auch v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 116.

144 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Rahmen der Produkthaftung aus § 823 I BGB auf die Gebäude- und Werkhaftung Bezug genommen und die Darlegung eines in der Sphäre des Herstellers entstandenen Produktfehlers als Schadensursache genügen lassen 258 • Nicht beantwortet ist damit allerdings immer noch die Frage, ob die spezielle Gebäude- und Werkhaftung nicht durch eine Verschärfung des Kataloges der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten, welche im Ergebnis der Haftung für einen mangelhaften Zustand mit der Beweislastregelung des § 836 I 2 BGB gleichkommt, abgelöst worden sein könnte. Dieser Gesichtspunkt berührt die hier festzuhaltende Objektivität der fehlerhaften Errichtung bzw. mangelhaften Unterhaltung indes nur mittelbar und soll deshalb erst im Zusammenhang mit der Bedeutung des Spezialtatbestandes im heutigen System der Verkehrssicherungspflichten erörtert werden 259 • 2. Sachliche Voraussetzungen des Baumangels

Der Terminus der fehlerhaften Errichtung läßt an die Nichtbefolgung von gesetzten oder anerkannten Regeln der Baukunst denken. In Rechtsprechung und Literatur herrscht jedoch Einigkeit darüber, daß § 836 BGB in diesem Punkt weitergehend zu verstehen ist. Fehlerhaft errichtet ist demnach ein Bauwerk, das sich als instabil erweist, also die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen und der Verletzung Dritter an den durch § 836 BGB geschützten Rechtsgütern in sich birgt260 • Damit ist nicht gesagt, daß der Nichtbefolgung von Normen und Regeln, etwa der Landesbauordnungen oder Unfallverhütungsvorschriften, keine Bedeutung zukäme. Vielmehr liegt es so, daß die Nichtbefolgung derartiger Vorschriften eine fehlerhafte Errichtung regelmäßig indiziert261 , während ihre Einhaltung BGRZ 51,91 (l06f.); BGRZ 80, 186 (l96f.). Siehe § 6 A. 260 BGH VersR 1962, S. 1105 (1106); BGRZ 58, 149 (155); neuerdings BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; OLG Köln, VersR 1992, S. 1019; OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (254); StaudingerISchä!er 12 , § 836, Rn. 43 f.; RGRK/ Kreft12, § 836, Rn. 22; Delius, S. 15; Weimar, VP 1968, S. 173 f. 261 BGH VersR 1962, S. 1105 (1106); OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, S. 1230 (für einen nicht standsicheren Carport); OLG München, NJW-RR 1995, S. 540 (541); OLG Düsseldorf, NVwZ 1992, S. 1122 (Rechtswidrige Baugenehmigung); auch LG Tübingen, VersR 1957, S. 689 (690) (Nichteinhaltung von Unfallverhütungsvorschriften). Anders LG Kiel, RuS 1998, S. 153 für die Uberbelastung einer ohne Baugenehmigung errichteten Siloabdeckung. Eine Unterteilung in formelle und materielle Baurechtswidrigkeit hinsichtlich des Fehlerbegriffes erscheint in der Tat sinnvoll. In jedem Fall mußte hier aber die Kausalität verneint werden, wobei das LG Kiel letztlich ebenfalls zu diesem Ergebnis kommt, indem zusätzlich der "innere Zusammenhang" zwischen fehlender Genehmigung und Einstun verneint wird, a.a.O., S. 153. Ebenso BGH NJW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20 für eine fehlende Baugenehmigung. 258

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aber nicht den Umkehrschluß auf die Fehlerfreiheit zuläßt 262 • Nun darf man aus dem Gesagten aber keinesfalls folgern, daß ein Einsturz oder eine Ablösung von Bauwerksteilen den Nachweis einer fehlerhaften Errichtung überflüssig machen 263 • Zwar arbeitet die Rechtsprechung in diesem Bereich mit dem Institut des Anscheinsbeweises 264 . Dieser ist jedoch einer echten Beweislastumkehr nicht gleichwertig und bedarf zudem stets der Prüfung im EinzelfaU265 . Fehlerhafte Errichtung ist immer durch die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit einer Gefahr bedingt, wobei dies anband des Verkehrsüblichen zu bestimmen ist und die äußeren Umstände, also Art und Lage des Bauwerkes, eine Rolle spielen266 • Als Konsequenz ergibt sich, daß Naturkatastrophen267 sowie die Herbeiführung eines Einsturzes durch Menschenhand268 bei der Erbauung nicht zu berücksichtigen sind und die Fehlerhaf262 Möglicherweise entfallt in diesen Fällen das Verschulden, vgl. BGH VersR 1962, S. 1105 (1106) sowie StaudingerlSchäjer12 , § 836, Rn. 43. Dieses gehört jedoch wegen der Verschuldensvermutung zum Beweisthema des Pflichtigen und ist nicht mit der vom Kläger zu beweisenden (objektiv) fehlerhaften Errichtung zu vermengen. 263 Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1982, S. 1201; auch OLG Hamburg, VersR 1987, S. 747 (748), dort auch zur Wahlfeststellung zwischen mangelhafter Unterhaltung und der fehlerhaften Handhabung einer Dachluke, welche zu einem Anspruch aus § 823 I BGB führt. 264 BGH NJW 1999, S. 2593 = BGH LM § 836 BGB Nr. 26; BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25 (Durchbrechen eines Baugerüstbretts beim Betreten); BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24 (Ablösen von Dachteilen bei Sturm); ebenso OLG Köln, VersR 1992, S. 1018 (1019); OLG Zweibrücken, OLGE 1969, S. 341 (342). 265 So wird z. B. ein Erfahrungssatz, daß das Bersten unterirdischer Wasserleitungen die Folge fehlerhafter Errichtung oder Unterhaltung ist, nicht anerkannt, so OLG Karlsruhe, VersR 1979, S. 59 (60). Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises vgl. die Erwägungen von BGH NJW 1997, S. 1853 (1854) = BGH LM § 836 BGB Nr. 25. Siehe ferner LG Kiel, RuS 1998, S. 153, wo der Anscheinsbeweis bei zweckfremder Überbeanspruchung eines Werkes verneint wird. 266 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf, VersR 1982, S. 1201 (Fehlen einer Feststellvorrichtung für ein Fenster eines Privathauses ist auch dann keine fehlerhafte Errichtung, wenn beim Zuschlagen des Fensters herabfallende Glassplitter einen PKW beschädigen. Anders aber wenn eine Feststellvorrichtung vorhanden, diese aber defekt ist: LG Aachen, RuS 1989, S. 358); auch OLG Hamm, VersR 1978, S. 331 (332); StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 31 f.; SoergeilZeuner 12 , § 836, Rn. 13. 267 BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; OLG München, OLGE 28, 309 (310) für das Herabfallen von Teilen eines Gerüstes bei "sehr starkem" Sturm. 268 RG Recht 1915 Nr. 2493; OLG Celle, VersR 1991, S. 1382 (1383) (Unbefugtes Herausheben eines Gullyrostes durch Dritte); OLG Hamm, VersR 1978, S. 331 (332) für eine nicht sachgerechte Überbeanspruchung einer Betonplatte durch Aufstellen eines Kranes; OLG Stuttgart, VersR 1977, S. 384 (Sicherheit von unbefugt

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tigkeit verneinen lassen, sofern sie unvorhersehbar waren. Dabei stellt die Rechtsprechung gerade bei durch Sturm ausgelösten Schäden äußerst hohe Anforderungen. Demzufolge muß man in unseren Breiten bei der Hauserrichtung unter Umständen selbst orkanartige Böen einkalkulieren269 • Mangelhaft unterhalten ist ein Bauwerk dann, wenn keine regelmäßige Überprüfung stattfindet, ob hieran Ausbesserungs- oder Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen sind, wobei die Nichtbeseitigung der (Einsturz- und Ablösungs-)Gefahren letztlich den Ausschlag gibt27o• Auch hier folgt aus der Verletzung von bautechnischen (Prüf-)Normen und Richtlinien die Bejahung des Tatbestandsmerkmales271 , während der Nichtvorhersehbarkeit im gerade zuvor erläuterten Sinne haftungsbefreiende Wirkung zukommt272 • Der Kontrast zur fehlerhaften Errichtung wird hauptsächlich dadurch gebildet, daß bei jener die Instabilität schon zum Zeitpunkt der Erbauung angelegt ist und auf einem aktiven Tun beruht, während bei der mangelhaften Unterhaltung ein solcher Zustand erst im Nachhinein und auch durch bloßes Unterlassen, z.B. durch Witterungseinflüsse, entstehen kann 273 • Beide Alternativen sind in der Praxis oft schwer zu trennen, so daß die einen Jagdhochsitz besteigenden Erwachsenen muß nicht gewährleistet werden), dort auch zum Zusammenhang mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § 823 I BGB; vgl. ebenfalls OLG Stuttgart, VersR 1966, S. 1086 (Herausbrechen der Vermauerung des Tores eines unbewohnten Hauses durch spielende Kinder unvorhersehbar); LG Hamburg, VersR 1974, S. 915 für das Zersplittern einer Glasscheibe, zu dem es nach dem Sachverständigengutachten nur deshalb kommen konnte, weil zuvor mit einem spitzen Gegenstand hierauf eingewirkt worden war. Für eine Anwendung dieses Gedankens hätte sich übrigens auch die Entscheidung des OLG München, VersR 1978, S. 553 (unbefugtes Absenken der "Schützentafel" einer Schleuse durch Dritte) geeignet, wo bereits die Ablösung verneint wurde, vgl. oben D I bei Fn. 193. 269 BGH NJW 1999, S. 2593 = BGH LM § 836 BGB Nr. 26; BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24 für einen Sturm mit Windstärke von 12-13 Beaufort; OLG Köln, VersR 1992, S. 1018 (1019); OLG Zweibrücken, OLGE 1969, S. 341 (343); LG Tübingen, VersR 1990, S. 1245; AG Schweinfurti NZV 1992, S. 412; AG Wuppertal, Zts 1991, S. 295; auch Geigel/Schlegelmilch 2, 19. Kapitel, Rn. 12. 270 Vgl. BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = BGH LM § 836 BGB Nr. 22; BGH MDR 1979, S. 206 = BGH LM § 836 BGB Nr. 17; BGH VersR 1987, S. 1096 sowie BGH VersR 1952, S. 291 = LM § 836 BGB Nr. 4; Palandt/Thomass9 , § 836, Rn. 8; Delius, S. 15; ungenau insofern Weimar, VP 1968, S. 174, der nur die fehlende Prüfung nennt. Zu eng auch Geigel/Schlegelmilch 22 , 19. Kapitel, Rn. 12, wo nur auf die Beseitigung erkannter gefährlicher Zustände abgestellt wird. Eine solche Auslegung wird aber dem schon zuvor dargelegten objektiven Charakter des Baumangelbegriffes nicht gerecht und engt den Schutzbereich des § 836 BGB unnötig ein. 271 Vgl. BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = BGH LM § 836 BGB Nr. 22. 272 BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; BGH VersR 1960, S. 426 (428); OLG München, OLGE 28, 309 (310).

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Rechtsprechung in ihren Urteilen häufig nicht mehr in die eine oder andere Richtung entscheidet274 und konsequenterweise angesichts der gleichen Rechtsfolge der Tatbestandsmerkmale eine Wahlfeststellung zugelassen hat, wobei der Entlastungsbeweis dann in beide Richtungen zu prüfen ist27s • Faßt man die vorgenannten Kriterien unter einer materiellen Betrachtungsweise zusammen, so reduziert sich die fehlerhafte Errichtung und mangelhafte Unterhaltung im Endeffekt auf den Begriff des Baumangels im Sinne einer im Bauwerk liegenden Instabilität, die unter Zugrundelegung einer zweckgerechten Nutzung und Belastung zu Einsturz oder Ablösung führen kann276• Von dogmatischer Bedeutung ist der Begriff der fehlerhaften Errichtung aber deshalb, weil hierdurch verdeutlicht wird, daß es sich bei der Gebäude- und Werkhaftung um keine reine Unterlassenshaftung handelt, sondern auch die Fälle mittelbarer Schädigung durch Tun erfaßt sind277 • Es wird also an die Schaffung oder Unterhaltung eines gefahrbringenden Zustandes angeknüpft. Nur so erklärt sich schließlich die Übertragung der Beweislastregelung auf die Produkthaftung aus § 823 I BGB 278 , die ja ein Herstellen, also (auch) eine Handlung voraussetzt. IV. Kausalitätsfragen

Beim haftungsauslösenden Ereignis zeigt sich in der Gebäude- und Werkhaftung die Figur der "doppelten Kausalität". Hierunter hat man zu verste273 Vgl. BGH VersR 1952, S. 291 = LM § 836 BGB Nr. 4 (Giebelmauer auf einem Trümmergrundstück, die freistehend und Witterungseinflüssen ausgesetzt war). 274 Vgl. RG JW 1932, S. 1210; BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; OLG Koblenz, NJW-RR 1998, S. 672 (673), insoweit nicht mit abgedruckt in MDR 1997, S. 838: ,,Die Ablösung war die Folge mangelhafter Errichtung und Unterhaltung"; OLG Köln, VersR 1992, S. 1019 zum Anscheinsbeweis. 27S BGH VersR 1962, S. 1105 (1106). Dort wird zugleich festgestellt, daß fehlerhafte Errichtung und Unterhaltung auch kumulativ gegeben sein können. Zum ganzen auch RGRKI Kreftll, § 836, Rn. 23. 276 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 243; auch Delius, S. 15. § 1319 des österreichischen ABGB spricht insoweit klarer von der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes. Vgl. ferner aus der Rspr.: BGHZ 58, 149 (155); OLG Düsseldorf, OLG-Rp 1998, S. 322 (323); OLG Düsseldorf, NZA-RR 1998, S. 289 (290); OLG Koblenz, NJW-RR 1998, S. 673 (674) = MDR 1997, S. 838; OLG Celle, VersR 1985, S. 345 ("Objektive Fehlerhaftigkeit"). Vgl. ferner § 2 Abs. 1, S. 2 u. 3 HaftpflichtG für die Haftung bei fehlerhaften Anlagen. Anders als bei § 836 BGB wird nach der Fassung des § 2 Abs. I, S. 2 HaftpflichtG (" ... , es sei denn ... ") die Fehlerhaftigkeit vermutet, so daß sich der Inhaber der Anlage entlasten muß: Fitthaut4 , § 2 HaftpflichtG, Rn. 79; Geigel/Kunsche,.rl, Kapitel 22, Rn. 55. 277 Anders Wolterhoff, S. 18. 278 BGHZ 51,91 (106). Kritisch hierzu Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 67.

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hen, daß Einsturz und Ablösung einerseits ursächlich für die Rechtsgutsverletzung sein müssen, diese ihrerseits aber wiederum adäquat kausal auf der zuvor beschriebenen fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung des Bauwerkes zu beruhen haben. 1. Kausalität zwischen Baumangel und Einsturz

Die Kausalität zwischen Baumangel und Einsturz bzw. Ablösung darf nicht verwechselt werden mit der Frage, ob überhaupt ein Baumangel vorliegt, wenn auch die Übergänge in diesem Bereich fließend sein mögen. So ist es, wie gezeigt, keine fehlerhafte Errichtung und Unterhaltung, wenn auf nicht vorhersehbare Ereignisse wie Naturkatastrophen oder Verursachung des Einsturzes durch menschliches Verhalten bei Erbauung und Unterhaltung keine Rücksicht genommen wurde, sofern das Gebäude den gewöhnlichen Anforderungen, die daran zu stellen waren, genügte279 . Von den Voraussetzungen her anders, aber im Ergebnis ebenso, liegt der Fall, in dem zwar eine Instabilität, also ein Bauwerksmangel, besteht, das unfallauslösende Ereignis jedoch nicht hierauf, sondern entscheidend auf einem Naturereignis28o, oder aber auf dem Dazwischentreten eines Dritten oder des Geschädigten selbst beruht281 • Hervorzuheben ist aber auch in diesem Zusammenhang, daß die vorgenannten Ereignisse nach Lage und Zweck des Bauwerkes unvorhersehbar und daher auch bei zweckgemäßer Errichtung und Unterhaltung unvermeidbar gewesen sein müssen 282 • Eben zuvor unter III 2. RGZ 76, 260 (262); BGHZ 58, 149 (153); OLG Köln, VersR 1992, S. 1018 (1019) für einen durch Windeinwirkung abgestürzten Schornstein, an dem ein Stahlprofil mit Fernsehantenne befestigt war; ausführlich StaudingeriSchäjer l2 , § 836, Rn. 42. 281 RG JW 1913, S. 868 (869) (Entfernen eines Nagels aus einem Signalmast durch spielendes Kind kein unvorhersehbares Ereignis); BGH VersR 1960, S. 426 (428) (Ablösen einer stark verrosteten Wellblechplatte bei Sprung auf ein Dach kein unvorhersehbares Ereignis); OLG Koblenz, MDR 1997, S. 838 = OLG Koblenz, NJW-RR 1998, S. 672 (673) (Kausalität bejaht für das Anlehnen an eine nachweislich zu dünne Schaufensterscheibe); OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (254); LG Kiel, RuS 1998, S. 153 (Überbeanspruchung einer Siloabdeckung durch Aufstellung eines Baggers, vgl. Fn. 261); LG Essen, ZfS 1988, S. 345 (346) (Keine Haftung trotz fehlerhafter Errichtung eines Garagendaches durch Nichtbeachtung der Herstellerangaben, weil der mitursächliche Sprung vom Nachbardach "völlig unwahrscheinlich" war). Vgl. ferner OLG Karlsruhe, VersR 1998, S. 1389 für das Durchbrechen einer zu dünnen Zwischendecke bei unbefugtem Betreten durch Kinder, wo § 823 I BGB angenommen wurde, sich aber auch die Anwendung von § 836 BGB angeboten hätte. 282 RGZ 76, 260 (262); BGHZ 58, 149 (153) sowie die in den beiden Fußnoten zuvor genannten Entscheidungen; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 33; StaudingerlSchäjer12 , § 836, Rn. 42. 279 280

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Andererseits hat keinesfalls jedes Mitwirken von Naturereignissen oder menschlichem Verhalten anspruchsausschließende Folgen283 • Bei Naturereignissen wie Stürmen wird umgekehrt sogar häufig prima facie von einern Baumangel sowie dessen Kausalität für die Ablösung ausgegangen284 , was zusätzlich gerechtfertigt sein mag, wenn die Gebäude oder Werke vor der fraglichen Natureinwirkung eigentlich Schutz bieten sollten, dieser also gewachsen sein müßten 285 . Der Gedanke des Anscheinsbeweises im Zusammenhang mit dem Versagen einer Einrichtung bei bestimmungsgemäßer Nutzung kommt dabei ebenso für das Mitwirken menschlichen Verhaltens zum Tragen286 . 2. Ursächlichkeit des Mangels beim Tätigwerden von Unternehmern und deren Hiljspersonen

Interessante Kausalitäts- und Schutzzweckerwägungen müssen angestellt werden, wenn der Gebäude- oder Werkbesitzer einen Unternehmer mit Arbeiten arn Bauwerk betraut hae87 • Dabei ist unstreitig, daß ein Anspruch dann entsteht, wenn Einsturz oder Ablösung sich unabhängig von diesen Tätigkeiten vollzogen haben 288 . Im übrigen findet sich in der Rechtsprechung eine Zweiteilung zwischen Abbruchunternehmern und mit sonstigen Arbeiten, wie z. B. Reinigung, Anstrich oder Reparatur, Beauftragten. Während letzteren der Anspruch zustehen kann und allenfalls ein Mitverschulden ins Kalkül gezogen wird289 , ist bei ersteren der (persönliche) SchutzbeRGRK/Kreji12, § 836, Rn. 21 m.w.N. BGH NJW 1999, S. 2593 (2594) = BGH LM § 836 BGB Nr. 26; BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; BGH VersR 1960, S. 426 (428); RG JW 1908, S. 196 (Absenken eines Bahndammes). Siehe auch BGHZ 58, 149 (154) für die Ablösung von Teilen eines Dammes durch Auteinwirkung. 285 Zu denken wäre an Häuser (Schutz vor Wind und Regen), vgJ. BGH NJW 1993, S. 1782 = BGH LM § 836 BGB Nr. 24, aber auch Deiche als Schutz vor Auteinwirkungen kämen in Betracht, VgJ. die Erwägungen von BGHZ 58, 149 (154f.). 286 BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25 für das Durchbrechen eines Baugeriistbretts beim Betreten durch einen mit Dachstuhlarbeiten betrauten Zimmermann; siehe auch OLG Kiel OLGE 34, 129 (Herabfallen einer Schultafel bei deren Reinigung auf Geheiß des Lehrers). 287 Bereits flir eine undifferenzierte Ablehnung der Gebäudeeigenschaft im Falle eines Abbruchbaus l..olze, S. 62, der unter anderem auf den entfallenden Widmungszweck hinweist. Diese Auffassung ist wegen der drohenden Schutzlücke im Gebäudehaftungssystem jedoch nicht hinnehmbar, da Gebäudemängel sich auch im Falle des Abbruches noch auswirken können. 288 BGH NJW 1979, S. 309 = LM § 836 BGB Nr. 16. Ebenso Slaudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 34. 289 BGH VersR 1965, S. 801 (802); BGH VersR 1960, S. 426; OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (254); OLG Hamm, VersR 1972, S. 1173 (1174). 283

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reich der Nonn für nicht einschlägig befunden worden, wenn die Rechtsgutsverletzung vorwiegend auf der Abbruchtätigkeit beruht290. Gerechtfertigt werden diese Differenzierung und ihre Ergebnisse von der Rechtsprechung vorwiegend durch Schutzzwecküberlegungen. Nach § 836 BGB schutzbedürftig seien Dritte, die sich durch bestehende oder vom Sicherungspflichtigen geschaffene Zugangsmöglichkeiten .den Gefahren des Werkes aussetzten. Ein Abbruchunternehmer schaffe aber nun gerade durch seine Tätigkeit eine neue, vom Pflichtigen nicht mehr beherrschbare Gefahrenquelle, vor der er sich kraft seiner Erfahrung und seines Wissens selbst schützen müsse291 . Offen gelassen wurde dieser Gedanke der Schutzbereichsbegrenzung vom BGH bisher für verborgene Mängel, die dem Abbruchunternehmer nicht erkennbar waren und die als primäre Ursache durch Zusammentreffen mit den Abrißarbeiten die Ablösung oder den Einsturz verursacht haben292 . Die Literatur steht einer Einschränkung in diesen Fällen ablehnend gegenübe~93. Diese Haltung des Schrifttums verdient Zustimmung, weil der Gedanke der Übernahme eines berufsspezifischen Risikos, welcher für die Schutzbereichsüberlegungen der Rechtsprechung im Endeffekt tragend wurde, seine Grenze an der Venneidbarkeit der Gefahr durch die üblicherweise zu erwartenden beruflichen Fertigkeiten finden muß. In dem Augenblick, wo sich ein verborgener Mangel auswirkt, ist der Grund für die Verschiebung des Haftungsrisikos entfallen, da der Unternehmer keine neue primäre Haftungsquelle begründet, sondern an der Verwirklichung der schon bestehenden Bedrohung (nämlich des Bauwerkmangels) lediglich 290 BGH NJW 1979, S. 309 = LM § 836 BGB Nr. 16; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 für den Abbau eines Telegraphenmastes. Zum Teil wird bereits der Einsturz oder die Ablösung verneint, so z.B. PalandtITho.9 , § 836, Rn. 7; Münchener Kommentar/Stein3 , § 836, Rn. 14; dagegen zutreffend v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242. 291 So BGH NJW 1979, S. 309 = LM § 836 BGB Nr. 16 und OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 (153); neuerdings OLG Jena, VersR 1998, S. 903 (904). Allein auf Kausalitätserwägungen im engeren Sinne stützt sich RG Recht 1912 Nr. 1790. Zwar habe der Baumangel den Einsturz womöglich beschleunigt, diese Ursächlichkeit trete aber gegenüber der Abbruchtätigkeit zurück; ähnlich van Veenroy, SchlHA 1980, S. 65, der die Einengung des Schutzbereichs deshalb für überflüssig hält und ablehnt. Nicht erwogen wird die zusätzliche (mittelbare) Verursachung des Einsturzes durch den Mangel dergestalt, daß der Unternehmer zum Abriß gerade wegen der Abbruchreife des Gebäudes oder Werkes bestellt wird. Dogmatisch überzeugender erscheint aus diesem Grund der von der neueren Rechtsprechung gebrachte Schutzzweckgedanke. 292 BGH NJW 1979, S. 309 = LM § 836 BGB Nr. 16. 293 Verneinend MÜDchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 30; ebenso Staudingerl Schäjer12 , § 836, Rn. 54. Siehe auch OLG Karlsruhe, VersR 1957, S. 617, wo die Mitursächlichkeit von Fußbodenarbeiten für den Einsturz einer Mauer als einer Bejahung des § 836 BGB nicht hinderlich gesehen wurde.

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beteiligt ist, was es aber nicht rechtfertigt, ihn entgegen den allgemeinen Regeln nicht als einen durch die Vorschrift geschützten Dritten zu behandeln. Im Ergebnis ebenso argumentiert übrigens die englische Rechtsprechung, indem sie eine Verantwortlichkeit verneint, wenn die Aufbietung der beruflichen Fähigkeiten die Verletzung hätte vermeiden können 294 • Fraglich ist, ob dieses Prinzip auf den Abbruchunternehmer beschränkt bleiben sollte29s • Intention der zu diesem Resultat kommenden Judikatur mag es sein, daß der Abbruchunternehmer die typische Gebäudegefahr geradezu vorsätzlich verwirklicht und sich deshalb in besonderem Maße hiergegen sichern muß, während sonstige Berufsgruppen von Einsturz oder Ablösung überraschend getroffen werden. Für eine zurückhaltende Handhabung der Einengung des Schutzbereiches spricht ferner, daß mit dem nach § 254 BGB zu berücksichtigenden Mitverschulden ein flexibleres Instrument zur Handhabung der Problematik zur Verfügung steht. Dennoch gebietet eine gleiche Interessenlage die Schutzbereichsbegrenzung ebenso bei anderen Personen als Abbruchunternehmern und deren Gehilfen. Sofern etwa bei Reparaturen die Loslösung mangelhafter Bauteile gerade geschuldet wird, kommt also eine Berufung auf § 836 BGB nicht in Betracht, wenn sich das spezifische Risiko der Erfüllung dieser Pflicht verwirklicht296 • Auf einer anderen Ebene liegt es wiederum, wenn unmittelbar bei Gebäudearbeiten unbeteiligte Dritte zu Schaden kommen 297 • Genaugenommen beruht diese Tätigkeit ihrerseits auf dem Gebäudemangel, da sie ohne denselben nicht begonnen worden wäre298 • Die adäquate Kausalität ist schwer hinwegzudiskutieren, weil selbst die unsachgemäße Ausführung von Bauarbeiten zumindest in Form des leicht fahrlässigen Handeins nicht völlig unwahrscheinlich ist. Andererseits verwirklicht sich die typische Gebäudegefahr der Instabilität nur mittelbar. Mit dem Charakter der Norm als Haftung für einen mangelhaften Zustand ist es nicht zu vereinbaren, wenn das schadensauslösende 294 Das Problem wird dogmatisch am Umfang der geschuldeten Sorgfalt festgemacht, vgl. Roles v. Nathan [1963J 2 All ER 908 einerseits und Salmon v. Seafarer Restaurants Ltd. [1983J 3 All ER 729 (736) sowie Ogwo v. Taylor [1987J 3 All ER 961 andererseits. Dazu oben § 3 EIl d). 295 Für eine Erweiterung auf sonstife Unternehmer, die Arbeiten am Werk durchführen: Münchener Kommentar/Stein, § 836, Rn. 30. 296 In BGH VersR 1965, S. 801 (802) war der Kläger bei Dachdeckarbeiten durch ein - von ihm nicht erkannt - morsches Bodenbrett eingebrochen. Der BGH erwog lediglich Mitverschulden. Anders wäre nach hier vertretener Auffassung zu entscheiden gewesen, wenn der Kläger bei der Tätigkeit der Loslösung von Dachziegeln zu Schaden gekommen wäre. A.A. wohl Wussow/Kuntz 14 , Rn. 608. 297 BGH NJW 1979, S. 309 (310) = LM § 836 BGB Nr. 16. 298 Siehe schon Fußnote 291.

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Ereignis von einem gerade auf Einsturz oder Ablösung gerichteten Handeln dominiert wird, mag dieses auch in äußerer Verbindung mit dem Baumangel stehen. Eine Befreiung des Gebäudebesitzers von der Haftung aus § 836 BGB kann folglich dann eintreten, wenn die Schädigung primär auf die Tätigkeit des Abbruchs oder der Reparatur, nicht aber auf den Zustand des Werkes zurückzuführen ist299• Dogmatisch müßte dieses Ergebnis wieder am Zurechnungszusammenhang bzw. - genauer - dem sachlichen Schutzbereich der Norm3OO festgemacht werden 301 . Anders wäre dann zu urteilen, wenn sich der Baumangel nicht als eine lediglich mittelbare Ursache in dem zuvor dargestellten Sinne erweist, sondern etwa ein Gebäude während der Unterbrechung von Bauarbeiten aufgrund seiner Instabilität zusammenstürze02 • Generell ist eine Einengung des Schutzbereiches gegenüber Dritten mindestens ebenso vorsichtig zu handhaben, wie gegenüber dem tätigen Unternehmer selbst, weil bei dem Letztgenannten, wie aufgezeigt, das Argument des Selbstschutzes kraft Sachkunde hinzutritt 303 , welches bei überraschend betroffenen Passanten oder Grundstücksnachbarn entfällt. 3. Kausalität zwischen Einsturz bzw. Ablösung und der Rechtsgutsverletzung

Nicht geringe Schwierigkeiten, die, ähnlich wie der Einsturz- und Ablösungsbegriff selbst, elementar an den Anwendungsbereich der Gebäudeund Werkhaftung rühren, zeigen sich bei der Verursachung einer Rechtsgutsverletzung durch diese Ereignisse.

299 Vgl. BGH VersR 1987, S. 1096 (1097) für einen unsachgemäßen Abriß; ferner Filthaut, NZV 1989, S. 462 zur vergleichbaren Zustandshaftung für fehlerhafte Anlagen gern. § 2 Abs. 1, S. 2 HaftpflichtG. 300 Zur Terminologie: Deutsch, Unerlaubte Handlungen 3, Rn. l06ff. 30t Vgl. BGH VersR 1987, S. 1096 (1097). Ähnlich v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242; Weimar, VP 1968, S. 174; siehe auch zum österreichischen Recht bei Rummel/Reischaue?, § 1319, Rn. 9 m. w.N. Anders Staudinger/Belling/ Eber/-Borges t3 , § 836, Rn. 34, die bei Schädigungen auf benachbarten Grundstükken im Zusammenhang mit Abbrucharbeiten generell den Schutzbereich des § 836 betroffen sehen und nur eine Entlastung bei sorgfaltiger Auswahl und Instruktion des Unternehmers zulassen wollen. 302 Vgl. BGH LM § 836 BGB Nr. 12 a) = BGH MDR 1968, S. 916 für einen bei Umbauarbeiten abgestürzten Giebel einer Scheune. 303 Diese Sachkunde könnte den Schutzbereich zu Lasten des geschädigten Unternehmers an sich noch viel mehr einengen, wenn dem nicht, wie schon erwähnt, durch das flexiblere und deshalb vorzugswürdigere Institut des Mitverschuldens Rechnung getragen würde.

D. Haftungsauslösendes Ereignis

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a) Position der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang schon seit langem die Einschränkung etabliert, daß die Schädigung auf die "bewegend wirkende Kraft" von Einsturz oder Ablösung zurückzuführen sein müsse 304 . Dabei will man dieses Kriterium keinesfalls so verstanden wissen, daß nur eine unmittelbare Einwirkung des eingestürzten Bauwerkes bzw. des abgelösten Teiles angesprochen ist. Es genüge mittelbare Verursachung dergestalt, daß die Verletzung auf "Vermittlung von durch Einsturz oder Ablösung in Bewegung gesetzter anderer Massen" beruhe30s . Auf diese Weise sind etwa die Schädigungen von durch Dämme zurückgehaltenem Wasser, das nach deren Bruch eine Überschwemmung zur Folge hatte, dem Regime des § 836 BGB unterworfen worden, obwohl die abgelösten Dammteile selbst keine direkte Beeinträchtigung zur Folge hatten306. Dasselbe gilt auch in kleinerem Maßstab, nämlich für die aus dem Bruch von Wasserleitungen resultierenden Nässeschäden307. Mittelbarer Art ist schließlich die Verursachung einer Verletzung, die eine Person sich beim Einbrechen durch Decke oder Boden zuzieht, wobei sich die Rechtsprechung auch in diesen Fällen der Gebäudehaftung gegenüber nicht versperre08 . Bemerkenswerterweise muß bei den mittelbar herbeigeführten Verletzungen die Ablösung und der dadurch ausgelöste Bewegungsvorgang anderer Massen in keinem engen zeitlichen Zusammenhang stehen309 , sofern nur eine bereits vorhandene Masse freigesetzt wurde 31O.

304 z.B. ROZ 172, 156 (161); BOH VersR 1991, S. 72 (73) = LM § 836 BOB Nr. 23; BOH WM 1976, S. 1056 (1057); OLO Stuttgart, VersR 1997, S. 340; OLO Stuttgart, VersR 1964, S. 1275. 30S ROZ 97, 112 (114); RO HRR 1930, Nr. 1104; BOH NJW 1961, S. 1670 (1671) = LM § 836 BOB Nr. 12; BOH WM 1976, S. 1056 (1057). 306 ROZ 97, 112 (114); RO HRR 1930, Nr. 1104; BOHZ 58, 149; vgl. auch BOH MDR 1979, S. 206 = LM § 836 BOB Nr. 17 (für eine Staustufe). 307 ROZ 133, I (6); BOHZ 55, 229 (235). 308 ROZ 52,236 (239); BOH NJW 1997, S. 1853 = BOH LM § 836 BOB Nr. 25 sowie oben D I. 309 Dazu RO JW 1913, S. 868 (869) für einen Signalmast, bei dem der zur Sicherung gegen ein Umkippen eingelegte Nagel entfernt worden war (= Ablösung), eine Haftung aber auch für den Fall als möglich erachtet wurde, wenn der Mast auch ohne den Nagel eine Weile in seiner Stellung verharrt hätte und erst dann umgekippt wäre; dazu StaudingerISchä!er 12 , § 836, Rn. 47; RORK/KreftI2, § 836, Rn. 26. 310 Verneint wurde die Kausalität deshalb von BOH VersR 1983, S. 588 = LM § 836 BOB Nr. 19 für eine Abwasserrohrleitung, die durch die Ablösung lediglich verstopft war, und wo der Nässeschaden erst im Nachhinein infolge eines durch Regen allmählich entstandenen Rückstaues im Rohr verursacht wurde.

154 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Es fragt sich, wann es überhaupt an der "bewegend wirkenden Kraft" von Einsturz und Ablösung mangelt. Der Kasuistik folgend sind zwei Bereiche zu unterteilen, nämlich zum einen die direkte Schädigung durch das abgelöste Teil selbst und zum anderen eine solche durch freigesetzte Materien: Bei unmittelbaren Verletzungen wurde die Kausalität verneint, wenn der abgelöste Gegenstand sich bereits im Ruhezustand befand, weil von der Auswirkung kinetischer Energie keine Rede mehr sein könne 3 !!. Auf diese Weise führt beispielsweise nur der Dachziegel, der eine Person beim Herabfallen trifft, zur Beweislastumkehr. Liegt derselbe dagegen auf dem Gehweg und man stolpert, ist allenfalls die allgemeine Verkehrssicherungspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB nicht erfülle!2. Die sonstigen Fälle, in denen es an der Auswirkung von kinetischer Energie der Ablösung fehlen soll, zeigen sich weniger transparent. So wurde entschieden, daß ein Feuer oder eine Explosion, welche auf einer undichten Gasleitung beruhte, auch bei Bejahung des Tatbestandsmerkmales Ablösung nicht auf deren "bewegend wirkende Kraft" zurückzuführen war3!3. Ferner verneint wurde die Kausalität bei der Verschmutzung von Boden und Grundwasser durch einen leckgeschlagenen Öltank3!4. Man kann diese Fälle, welche mittelbar durch Ablösung hervorgerufene Rechtsgutsverletzungen betreffen, nur so auf einen Nenner bringen, daß es sich, anders als bei den oben geschilderten Überschwemmungs- und Nässeschäden, um Schädigungsverläufe handelte, bei denen durch die Ablösung schon keine "anderen Massen" freigesetzt wurden 3!5 oder eine rein chemische Wirkung vorlag3!6. Ausschlaggebend müßte nach dieser Lesart folglich eine durch wägbare Stoffe 3!7 physisch herbeigeführte Rechtsgutsbeeinträchtigung sein, 311 RG Recht 1910 Nr. 3921; BGH VersR 1991, S. 72 (73) = LM § 836 BGB Nr. 23; BGH NJW 1961, S. 1670 = LM 1836 BGB Nr. 12; OLG Stuttgart, VersR 1964, S. 1275; zustimmend RGRK/Kreft1 , § 836, Rn. 27. 312 Vgl. RG Recht 1910 Nr. 3921; OLG Jena, JW 1933, S. 1667 (Herabgefallene Telegraphendrähte); BGH VersR 1991, S. 72 (73) = LM § 836 BGB Nr. 23; OLG Celle, VersR 1991, S. 1382 (1383) (durch Dritte herausgehobener Gullyrost); OLG Stuttgart, VersR 1964, S. 1275 für einen abgelösten Kanaldeckel; LG Konstanz, MDR 1958, S. 691. Hierzu auch Filthaut, NZV 1989, S. 461 m. w.N. Großzügiger OLG Karlsruhe, OLGE 28, S. 310, wo es keine Rolle spielen sollte, ob das verletzte Pferd selbst oder der davor fahrende Wagen die Verschiebung des Kanaldekkels bewirkt hatte. 313 RGZ 172, 156 (161). Ähnlich OLG Stuttgart, VersR 1997, S. 340 für Feuerschäden, dort dürfte es aber bereits an der Ablösung von Teilen gefehlt haben, vgl. oben D 11 2. 314 BGH WM 1976, S. 1056 (1057). 3lS Wozu auch der schon erwähnte Fall des lediglich verstopften Abwasserrohres, das sich erst im Nachhinein mit Regen auffüllt, zu zählen ist, vgl. Fn. 310. 316 Auf diese chemische Verursachung stellt BGH WM 1976, S. 1056 (1058) ab.

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wobei es sich bei dem Stoff nach der schon erwähnten Auslegung durch die Judikatur nicht um das abgelöste Teil selbst zu handeln braucht. b) Kritik und Lösungsansätze in der Literatur Die Kritik an diesen richterrechtlich geschaffenen Kausalitätserwägungen setzt im wesentlichen an der Inkonsequenz der Kasuistik an. So befand man § 836 BGB für einschlägig, wenn elektrische Oberleitungen herabgefallen waren und der Geschädigte einen elektrischen Schlag erlitt318 . Hier ging es also um Gegenstände, die sich unzweifelhaft im Ruhezustand befanden. Die freigesetzte elektrische Energie ist überdies kein wägbarer Stoff319 , so daß diese Rechtspraxis - §emessen an den von ihr selbst errichteten Maßstäben - fragwürdig W~2 • Erklären läßt sie sich letztlich nur mit dem wünschenswerten Bestreben, dem Geschädigten die Beweislast abzunehmen, was vor Erlaß des heutigen § 2 des Haftpflichtgesetzes321 anders nicht erreicht werden konnte. Allerdings hätte dann der Bereich der Schädigungen durch Elektrizität ausdrücklich vom Kriterium der "bewegend wirkenden Kraft" ausgenommen werden müssen, wobei die Ungleichbehandlung des Austrittes von Gas einer zusätzlichen Rechtfertigung bedurfte. Als weiteres Beispiel der inneren Unstimmigkeit wird die Verletzung infolge eines Einbrechens des Geschädigten durch Decke oder Boden 317 In Abgrenzung zu § 906 Abs. I, S. 1 BGB. Die Rechtsprechung hat diese Begrenzung auf wägbare Stoffe allerdings nie ausdrücklich vorgenommen, die Ablehnung der Tatbestandsmäßigkeit bei Schädigung durch Gas legt diese Interpretation indes nahe. 318 RG JR 1925 Nr. 1633; RG JW 1935, S. 2196; RG JW 1938, S. 1254. 319 Es ließe sich zwar argumentieren, daß die Rechtsprechung eine Begrenzung auf wägbare Stoffe nie ausdrücklich erklärt hat und es sich zudem bei den elektrischen Ladungsträgern um Materie handelt. Solche Teilchen nach der Formel der Rechtsprechung als ..durch die Ablösung (der Leitung) in Bewegung gesetzte Massen" zu bezeichnen, fällt jedoch nach dem natürlichen Sprachgefühl schwer, zumal die Rechtsprechung eine derartige Begründung in den Stromleitungsentscheidungen nicht gegeben hat. Selbst, wenn man über dieses rein sprachlich begründete Argument hinwegsieht und sich an der physikalischen Terminologie orientiert oder, wie z.B. das Reichsgericht in RGZ 97, 112 (114), den Begriff der durch die Ablösung in Bewegung versetzten Materien verwendet, bleibt immer noch das Argument, daß die Ladungsträger nicht erst durch die Ablösung in Bewegung gerieten. 320 Kritisch Soergel/Zeuner l2 , § 836, Rn. 17; auch RGRK/KreftI2, § 836, Rn. 27; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 28. 321 Die Gefährdungshaftung bestand gern. § 1 a) ReichshaftpflG (Ges. v. 15. 8. 1943, RGBI. 1489) zunächst nur für Elektrizität und Gas, heute wird nach § 2 HaftpflichtG auch für von Rohrleitungsanlagen ausgehende Flüssigkeiten gehaftet. Zur Entwicklung: RGRK/Kreft I2 , § 836, Rn. 27; auch Geigel/Kunsche,r2, Kapitel 22, Rn. 41.

156 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

genannt. Hier ist die Verletzung nicht durch die bei der Ablösung in Bewegung gesetzten Massen, sondern an der in Bewegung gesetzten Materie, nämlich dem Körper des Verletzten, eingetreten, sofern, wie in der Mehrzahl der Fälle, die Schädigung erst beim Aufprall entsteht322 . Bei der Befassung mit dem Problem der "bewegend wirkenden Kraft" ist zu bemerken, daß in den Fällen mittelbarer Verletzung die Kausalitätseinschränkung in Form des Ausschlusses von Einwirkungen unwägbarer Stoffe sowie solcher rein chemischer Natur nach wie vor ihre Bedeutung hat. Für die Schädigung durch Gas oder Elektrizität, aber auch Wasser, wird zwar eine Entschärfung der Diskussion durch § 2 HaftpflichtG konstatiert323 . Jedoch läßt das Haftpflichtgesetz Lücken, zu deren Auffüllung § 836 BGB doch wieder in Frage kommt. Zu erwähnen ist dabei der Haftungsausschlußkatalog des § 2 Abs. 3 HaftpflichtG, wobei insbesondere Abs. 3 Nr. 1 (Schadensentstehung innerhalb eines Gebäudes durch eine darin befindliche Anlage oder auf einem im Besitz des Inhabers der Anlage befindlichen befriedeten Grundstück) den Bereich der Gebäudehaftung nur unvollkommen abdecke 24• Ferner gewährt das Haftpflichtgesetz kein Schmerzensgeld oder einen Anspruch auf entgangene Dienste entsprechend § 845 BGB 32s , wonach folglich das - nach § 12 HaftpflichtG unberührte - Deliktsrecht des BGB von Interesse bleibt326 • Zur Entwirrung der durch die uneinheitliche Kasuistik geschaffenen Komplikationen werden nun verschiedene Lösungsansätze angeboten. KreJf27 folgt dem Ansatz der Rechtsprechung, äußert aber Bedenken hinsichtlich der Stromleitungsentscheidungen. Letztlich lassen sich diese Bedenken so interpretieren, daß die "bewegend wirkende Kraft" einer konsequenteren und dadurch einheitlichen Anwendung bedarf.

Gänzlich ablehnend stehen dagegen Belling und Eberl-Borges328 der Judikatur gegenüber. Die inneren Widersprüche, in die sich die Rechtsprechung verstricke, beruhen auf der Verkennung der kinetischen Energie als Siehe dazu die Kritik von Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 836, Rn. 44. RGRKIKrejtI2, § 836, Rn. 28; Staudinger/Belling/Eberl-Borges J3 , § 836, Rn. 44. Siehe auch § 22 II des Wasserhaushaltsgesetzes für die Verseuchung von Erdreich und Grundwasser durch Öl: BGH WM 1976, S. 1056. 324 Zum Ausschlußtatbestand: Filthaut4 , § 2 HaftpflichtG, Rn. 56ff.; Geigel/Kunscherr22, Kapitel 22, Rn. 58. 32!5 Hierzu Filthaut, NZV 1989, S. 463 mit gleichzeitigem Hinweis auf die Haftungsbetragsgrenzen nach §§ 9, 10 HaftpflichtG. 326 Dasselbe gilt übrigens für den in diesem Zusammenhang häufig genannten Anspruch aus § 22 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes. 321 In: RGRK I2 , § 836, Rn. 27. Ebenso Staudinger/Schäjer l2 , § 836, Rn. 50. Zustimmend zur Rechtsprechung auch Jauemig/Teichmann 9 , § 836, Rn. 7. 328 In: Staudinger l3 , § 836, Rn. 44. 322 323

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typischer Gebäudegefatrr329 • Die hieraus hergeleitete Grenze des Ruhezustandes als Schadensursache führe zu willkürlichen Ergebnissen, da es keinen Unterschied machen dürfe, ob ein Gegenstand gerade auf die Straße gefallen sei und ein Autofahrer diesem nicht mehr ausweichen könne 33o, oder ob er einige Zeit später die gefährliche Stelle passiere33\. Eine sinnvolle Abgrenzung zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten könne nicht auf derartigen Adäquanz-, sondern nur auf Schutzzweckerwägungen beruhen. Anhaltspunkte hierfür böten die Gemeingefährlichkeit des Risikos, dessen Herrühren aus der Bauwerkssubstanz sowie die Beweisnähe des Gebäudebesitzers und die Beweisnot des Geschädigten. Auch die Erkennbarkeit der Gefahr soll eine Rolle spielen332 • Vermittelnd ist der von Mertens 333 entwickelte Vorschlag, welcher zwischen dem AspeKt der Art des Verletzungsgegenstandes sowie dessen Energiezustand differenziert. Für eine Unterscheidung zwischen Schädigungen durch Wasser einerseits und Öl und Gas andererseits fehle es an einer inneren Rechtfertigung 334 • Bei im Ruhezustand befindlichen abgelösten Gegenständen könne der Schutzbereich des § 836 BGB dagegen schon eher als überschritten angesehen werden335 • c) Stellungnahme zur KausaJitätsproblematik Eine Stellungnahme zu diesen Ansätzen macht es zunächst erforderlich, terminologische Klarstellungen zu treffen. Bei der Einengung des Anwendungsbereiches des § 836 BGB durch die "bewegend wirkende Kraft von Einsturz oder Ablösung" handelt es sich nicht um eine Kausalitätserwägung im engeren Sinne, sondern um eine Schutzzwecküberlegung336, die jedoch thematisch an Einsturz und Ablösung anknüpft und deshalb auch sinnvoll StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 44. Beispiel nach BGH VersR 1991, S. 72 = LM § 836 BGB Nr. 23. Dort wurde § 836 BGB für ein auf die Straße gefallenes Regenfallrohr unter dem Aspekt der fehlenden Ausweichmöglichkeit bejaht. 331 StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 836, Rn. 43. 332 StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 45ff. 333 In: Münchener Kommentar, 2. Auflage, § 836, Rn. 2 u. 27 f.; ihm folgend Münchener Kommentar/Stein3 , § 836, Rn. 2 u. 27f. Ebenso Zeuner in: Soergel 12 , § 836, Rn. 17, der auch die Stromleitungsfalle einbezieht. 334 Münchener Kommentar/ Mertens, 2. Auflage, § 836, Rn. 28; ebenso Ermanl Schiemann9 , § 836, Rn. 7; Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 65. 33S Münchener Kommentar/ Mertens, 2. Auflage, § 836, Rn. 28. Allerdings soll unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz eine Haftung des PfIichtigen möglich sein, wobei in Erinnerung zu behalten ist, daß Mertens die Beweislastverteilung durch die Rechtsprechung bei allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflichten als im Ergebnis dem § 836 BGB gleichkommend bewertet, a.a.O., Rn. 27. 329

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den in diesem Zusammmenhang auftretenden Kausalitätsfragen zugeordnet werden kann. Ungenau ist es ferner, von einem Postulat der kinetischen Energie eines Gebäudes als typischer Gebäudegefahr zu sprechen337 . Auch die Rechtsprechung verlangt lediglich ein Bewirken durch die kinetische Energie von Einsturz oder Ablösung, nicht aber des Bauwerkes selbst. Für die Auswirkung der kinetischen Energie ist auch nicht zwingend der Zeitpunkt der Ablösung des Bauwerkteiles maßgeblich, sofern danach noch ein Energiepotential in der freigesetzten Materie vorhanden ise38 . So handelt es sich mit anderen Worten nur um einen - wenn auch charakteristischen - Anwendungsfall des § 836 BGB, daß einem Gebäude bzw. seinen Teilen durch seine Höhe Lageenergie innewohne 39 , die sich bei Einsturz oder Ablösung unmittelbar in kinetische Energie umwandele40 • Andererseits setzt der Ablösungsbegriff gerade nicht zwingend die Umwandlung solcher Lageenergie voraus34I , so daß die durch die Rechtsprechung entschiedenen Fälle der mittelbaren Schädigung, insbesondere der Deich- und Wasserrohrbrüche, unter diesem Aspekt nicht zu kritisieren sind342 . Wie ist dem Konstrukt der "bewegend wirkenden Kraft" nun zu begegnen? Die Lösungsvorschläge reichen, wie gezeigt, von der vollen Beibehaltung dieses Ansatzes bis hin zu dessen völliger Ablehnung. Angesichts der weiten Interpretationsmöglichkeiten, die insbesondere der Ablösungsbegriff läßt, sollte jedoch nicht pauschal auf diese Schutzzweckerwägung verzichtet, sondern zumindest eine vermittelnde Lösung in der Art, wie sie von Mertens angedeutet worden ise 43 , gesucht werden. Hintergedanke muß es 336 ErmanlSchiemann 9 , § 836, Rn. 7; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 27; JauemiglTeichmann 9 , § 836, Rn 7; nicht deutlich wird dies bei Staudingerl BellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 41 u. 44f. 337 So aber StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 836, Rn. 44. 338 Ähnlich das Reichsgericht in dem schon geschilderten "Signalmast-Fall", RO JW 1913, S. 868 (869). Die Kritik von StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 44, beim Einbruch durch schadhafte Decken sei das zeitliche Moment nicht gewahrt, beruht auf der Verkennung des Unterschiedes von kinetischer und Lageenergie. Zutreffend ist aber der dort gebrachte Einwand, daß die Verletzung einer Person in diesen Fällen nicht durch freigesetzte, sondern an Materien, nämlich dem Körper des Verletzten, eingetreten ist, vgl. oben im Text bei Fn. 322. Insofern ist die Formel der Rechtsprechung zu eng. 339 Deutsch, Unerlaubte Handlungen3, Rn. 338, bezeichnet § 836 BOB als eine spezielle Verkehrssicherungspflicht gegen die Auswirkung der Schwerkraft. 340 Insoweit übereinstimmend StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 42 u.44. 341 Oben DIll in diesem Abschnitt. 342 AnderS StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 836, Rn. 44. 343 In: Münchener Kommentar, 2. Auflage, § 836, Rn. 27 f.

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dabei stets sein, eine möglichst klare und einheitliche Abgrenzung zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten zu schaffen. Bei der unmittelbaren Schädigung durch oder an abgelösten Gebäudeoder Werkteilen erscheint es deshalb durchaus sinnvoll, die Frage nach dem bei der Verletzung noch vorhandenen Energiepotential dieser Gegenstände zu stellen. Allerdings empfiehlt sich zur Vermeidung von Härten eine vorsichtige Erweiterung dergestalt, daß die Bauwerkshaftung trotz Ruhezustandes des Gegenstandes so lange nachwirkt, wie die neu entstandene allgemeine Verkehrssicherungspflicht faktisch nicht erfüllbar war344 • So wäre in der schon genannten Entscheidung des BGH34s , in welcher der Sachverhalt eines auf die Straße gestürzten Regenfallrohres zu beurteilen war, eine Haftung nach § 836. BGB trotz Ruhezustandes auch dann anzunehmen, wenn das Unfallauto so kurz nach der Ablösung auf das Hindernis auffuhr, daß der für den Zustand der Straße Sicherungspflichtige diesen Unfall keinesfalls verhindern konnte346 • Dieser Gedanke kann übrigens ebenso auf die selteneren - Fälle der mittelbaren Schädigung angewandt werden, in denen es sich bei der freigesetzten Masse um einen festen Körper handelt347 • Zu den mittelbaren Schäden ist im übrigen anzumerken, daß die Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen der Wirkung von wägbaren und unwägbaren Stoffen einerseits und innerhalb der wägbaren Stoffe zwischen physikalischer und chemischer Wirkung nicht überzeugt und auch hier eine einheitliche Lösung anzustreben ist. So sind die Nässeschäden durch Wasserrohrbruch, bei denen § 836 BGB angewandt wurde 348 , wenigstens dann, wenn sie auf längerem Stehenbleiben von ausgelaufenem Wasser beruhen, nicht in einern stärkeren Maße auf Bewegungsenergie zurückzuführen als 344 StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 49 stellen demgegenüber auf die Erkennbarkeit der Gefahr durch den Geschädigten ab. 34S BGH VersR 1991, S. 72 = LM § 836 BGB Nr. 23. Vgl. schon oben bei Fn.330. 346 Der BGH, a. a. 0., S. 73 stellte darauf ab, daß das Rohr "so kurz vor das herannahende Fahrzeug fiel, daß dieses praktisch in das herabstürzende Hindernis hineinfuhr", wobei nach dem Tatbestand unklar blieb, ob eine noch nicht abgeschlossene Abwärtsbewegung, oder aber ein unmittelbar vorher eingetretener Ruhezustand vorgeieBen hatte. Siehe hierzu die zutreffende Kritik von StaudingerlBellinglEberlBorges ,§ 836, Rn. 43. 347 Meist wird der feste Körper zwar ohnehin Gebäude- oder Werkteil sein. Fehlt es aber an dieser Eigenschaft, oder wird das freigesetzte Bauwerksteil seinerseits nicht abgelöst, wie etwa beim bloßen Herunterklappen eines Mastes wegen Fehlens eines Sicherungsbolzens (RG JW 1913, S. 868, siehe oben bei Fn. 309), so ist die Sachlage vergleichbar und deshalb für den Übergang zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ebenso zu beurteilen. 348 RGZ 133, 1 (6); BGHZ 55, 229; BGH VersR 1985, S. 740; OLG Karlsruhe, VersR 1979, S. 59 (allerdings Verneinung der Fehlerhaftigkeit der Leitung).

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chemische Verunreinigungen durch einen ausgelaufenen Heizöltank349. Auf die Fragwürdigkeit der Einbeziehung von herabgefallenen Stromleitungen ist bereits hingewiesen worden 350. Hier ist eine Ungleichbehandlung gegenüber Gasexplosionen aufgrund Rohrundichtigkeit, bei denen meist eine erheblich größere Anzahl von Dritten gefährdet ist, in der Tat nicht zu rechtfertigen351. Die "bewegend wirkende Kraft" ist, wie diese Widersprüche und Unsicherheiten in der Kasuistik zeigen, demnach nur bei Ablösung bzw. Freisetzung fester Körper ein taugliches Kriterium für die Abgrenzung zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Bei Vorrichtungen zur Leitung oder Aufbewahrung von Energie sollte, eine Ablösung vorausgesetzt, eine Haftung dennoch möglich sein. Zum einen steht der Wortlaut hier nicht entgegen, zum anderen trifft die ursprünglich tragende Erwägung für die Schaffung des § 836 BGB, nämlich die Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Personen, aber auch der Gedanke der Beweisnähe des Besitzers352 , auf diese Konstellationen in womöglich noch stärkerem Maße zu. Die Gebäude- und Werkhaftung des Bürgerlichen Gesetzbuches ist somit geeignet, die Lücken, die insbesondere § 2 des Haftpflichtgesetzes noch läßt, aufzufüllen. Einschränkend sollte aber in diesen Fällen ein zeitlich enger Zusammenhang von Ablösung und Schädigung verlangt werden, wobei die faktische Beseitigungsmöglichkeit des durch die Ablösung herbeigeführten gefährdenden Zustandes durch den Sicherungspflichtigen353 , wie schon bei den abgelösten festen Körpern, die entscheidende Zäsur bilden könnte 354. Tritt das Öl durch das Leck im Tank also nicht plötzlich und in größeren Mengen aus, sondern versickert über einen längeren Zeitraum ins Erdreich, oder wird der Tod eines Menschen durch allmählich ausströmendes, nicht sofort tödlich wirkendes Gas aus einer korrodierten 349 Auf diese Ungereimtheit weisen Belling und Eberl-Borges in: Staudinger 13 , § 836, Rn. 44 hin. Die Rechtsprechung wendet dennoch in diesem Fall § 836 BGB

an, siehe BGH VersR 1985, S. 740, wo ein Anspruch am fehlenden Verschulden scheiterte und statt dessen ein (verschuldensunabhängiger) nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2, S. 2 BGB gewährt wurde. Vgl. auch ganz deutlich RG HRR 1930 Nr. 1104 für einen Deichbruch; ferner BGH VersR 1983, S. 588 = LM § 836 BGB Nr. 19, wo die Haftung allerdings daran scheiterte, daß das Wasser erst nach der Ablösung in das Rohr lief, also nicht "freigesetzt" wurde. 350 Oben bei Fn. 319. 351 Ablehnend deshalb Soergel/Zeuner I2 , § 836, Rn. 17; Münchener Kommentar! Mertens, 2. Auflage, § 836, Rn. 28; Erman/Schiemann9 , § 836, Rn. 7. 352 Mot. 11, S. 816 und oben B) zum Normzweck. 353 Der nach § 836 BGB Pflichtige wird meist identisch mit dem hinsichtlich des infolge der Ablösung geschaffenen Zustandes Verkehrssicherungspflichtigen sein. 354 Ähnlich ist der - allerdings zur Analojiefähigkeit - gemachte Lösungsvorschlag von Staudinger/Belling/Eberl-Borges l , § 836, Rn. 12, nur plötzlich eintretende Schädigungen der Gebäude- und Werkhaftung zu unterwerfen. In der Mehrzahl der Fälle wird sich dieser Ansatz mit dem hier gefundenen Ergebnis decken.

D. Haftungsauslösendes Ereignis

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Gasleitung verursacht oder liegt eine Stromleitung schon längere Zeit am Boden, so ist die Haftung aus § 836 BGB ausgeschlossen. Verzichtet man bei mittelbar durch die Ablösung verursachten Verletzungen in derartiger Weise auf die Formel der "bewegend wirkenden Kraft", so entfernt man sich in Einzelfällen von den Ergebnissen der traditionellen Rechtsprechung, gewinnt aber andererseits eine größere Klarheit bei der Normanwendung und untermauert umgekehrt bisher zweifelhafte Anwendungsfälle des § 836 BGB. So dürfte es etwa im Ergebnis völlig unstreitig sein, daß beim Bruch eines Fußbodens und Sturz durch denselben aus § 836 BGB gehaftet wird, weil eine Ablösung vorliegt, die Substanz und Höhe des Gebäudes eine entscheidende Rolle spielen und die Schädigung unmittelbar auf die Ablösung folgt. Die Judikatur hat sich diesbezüglich, ähnlich wie in den Stromleitungsfällen, unbewußt in zu starkem Maße selbst eingeengt355 . d) Psychische Kausalität in der Gebäude- und Werkhaftung Um eine besondere Konstellation der mittelbar verursachten Rechtsgutsverletzung handelt es sich, wenn letztere auf einem eigenen Willensentschluß des Geschädigten beruht. Diese psychische Kausalität kann auch bei der Bauwerkshaftung auftauchen und hat beispielsweise die österreichisehe Rechtsprechung schon beschäftige 56• Unproblematisch zu bejahen ist die Haftung jedenfalls dann, wenn der Verletzte einem vom Bauwerk herabfallenden Gegenstand ausweicht und dabei, etwa durch ein Kraftfahrzeug, zu Schaden komme 57 • Hier wirkt sich, wenn auch psychisch vermittelt, die bewegend wirkende Kraft der Ablösung aus. Angesichts der drohenden Körperverletzung, der sich der Geschädigte entziehen wollte, käme eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges, ähnlich den Kriterien der Herausforderung bei den Verfolgungsfällen 358 oder des billigenswerten Motivs für eine Selbstgefährdung359 , allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht360, da das Ausweichen erzwungen ise61 • Vgl. oben bei Fn. 322 und zu den Stromleitungsfällen bei Fn. 319. EvBI. 1958/5 und § 3 A III. 357 Wussow/Kuntz I4 , Rn. 608; Weimar, VP 1968, S. 174. 358 Hierzu BGHZ 57,25 (28 u. 31); BGH NJW 1996, S. 1533 m.w.N. Kritisch Deutsch, Unerlaubte Handlungen J , Rn. 67. Zusammenfassend Medicus, Bürgerliches Recht l8 , Rn. 653ff. 359 Für die Fälle von Rettung oder der Nothilfe für andere, siehe BGHZ 101, 215ff.; Gei&eIlRixecke?2, Kapitell, Rn. 19 m. w.N. zur Rspr.; Medicus, Bürgerliches Recht ,Rn. 653 c). 360 So etwa, wenn ein leichter, zur Verletzung erkennbar ungeeigneter Gegenstand langsam herunterfällt und der Geschädigte überstürzt auf eine stark befahrene Straße läuft. Jedoch wird es sich bei solchen Gegenständen in der Regel schon nicht um Gebäudeteile handeln. 355

356

11 Petershagen

162 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Schwieriger wird es dann, wenn etwa ein Stück Mauerwerk herabfällt und eine Person aus Angst vor einem Einsturz des gesamten Gebäudes aus dem Haus läuft und sich dabei verletzt oder aber das Gebäudeteil sich gar von einem Nachbargebäude abgelöst und der beim Herauslaufen Geschädigte nur irrtümlich angenommen hat, daß dem Haus, in dem er sich aufhielt, der Einsturz drohte 362 • In diesen Fällen macht ein Abstellen auf die noch vorhandene kinetische Energie, beispielsweise eines Dachziegels, wenig Sinn, wenn man nicht ganz auf § 836 BGB verzichten möchte 363 • Gegen einen solchen umfassenden Verzicht spricht aber, daß die Schädigung nicht auf den Ruhezustand zurückzuführen ist, sondern der Willensentschluß zur Flucht gerade unmittelbar aus der Bewegung des abgelösten Teils, welche die Ablösung weiterer Teile impliziert, herrührt. Zur notwendigen Haftungsbegrenzung erscheint es vielmehr sinnvoll, auf die Herausforderungsrechtsprechung zurückzugreifen. Ein Gefahrenzustand in Form des Gebäudeeinsturzes oder der Ablösung weiterer Teile in größerem Umfang muß damit zumindest nahegelegen haben 364 • Ist dies der Fall, so kann man angesichts von drohenden Körperverletzungen oder Tod eine Herausforderung bejahen, da das, was für fremdnützige Tätigkeit gilt365 , für eigennütziges Handeln schwerlich verneint werden kann. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob die Selbstgefährdung und die dadurch drohenden Verletzungen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten (Rettungs-)Erfolg standen366 • So wird es für einen Sprung aus dem dritten Stock eines Hauses keinen hinreichenden Anlaß bieten, wenn sich ein Stück Putz von der Wohnzimmerwand löst. Die Parallele zu den Verfolgungsfällen legt schließlich nahe, eine Auswirkung der gesteigerten Fluchtgefahr (in Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko) zu verlangen 367 , so daß etwa ein Sturz in einem frisch gebohnerten Treppenhaus, der sich auch 361 Unter anderem für ein solches Erzwungensein hat BGHZ 58, 162 (168) bei den "Grünstreifen-Fällen" den Zurechnungszusammenhang bejaht, wobei es dort allerdings um vorsätzlich durch Dritte herbeileführte Eigentumsschäden ging. Kritisch aber z.B. Medicus, Bürgerliches Recht I , Rn. 653. 362 Vgl. EvBI. 1958/5. 363 Katzschner, S. 33 verneint i. E. in den Fällen drohenden oder beginnenden Einsturzes die Kausalität. 364 Wobei es genügt, daß dieser Eindruck objektiv entstehen konnte, da man von dem Geschädigten kaum die Verifizierung seiner Vermutung durch Abwarten des Einsturzes verlangen kann. 3M Vgl. BGHZ 101, 215 (221) für eine Nierenspende. 366 Die Prilfung von Herausforderung und Angemessenheit der GefährdungshandJung geht ineinander über, dennoch nimmt die Rechtsprechung diese Zweiteilung vor: BGHZ 101,215 (221); BGHZ 63, 189 (193); BGHZ 57,25 (31). 367 Zum gesteigerten Verfolgungsrisiko siehe BGH NJW 1996, S. 1533; BGHZ 63, 189 (196); BGHZ 57, 25 (32). Siehe auch Deutsch, Unerlaubte Handlungen J , Rn. 68. Differenzierend Geigel/Rixecke?2, Kapitel I, Rn. 18. Für den Fall der

D. Haftungsauslösendes Ereignis

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bei normalem Gehen ereignen konnte, nicht unter die Gebäude- und Werkhaftung fällt. Um einen Fall psychisch vermittelter Kausalität handelt es sich ebenfalls beim Dazwischentreten Dritter368 • Für eine diesbezügliche Prüfung geeignet hätte sich der Fall BGHZ 57, 245Jf., wo ein Haus aufgrund fehlerhafter Errichtung teilweise eingestürzt war. Daraufhin ordnete das Bauaufsichtsamt die Abtragung des Mauerwerkes bis zum ersten Obergeschoß an. Im Zuge dieser Abtragungsarbeiten wurde nun die im Miteigentum der Klägerin stehende Giebelmauer ebenfalls abgerissen, wofür sie u. a. vom Architekten, der nachweislich schuldhaft gehandelt hatte, Schadensersatz nach § 823 I BGB verlangte. Der BGH hat der Klage stattgegeben. Es wurde festgestellt, daß die Verfügung der Baubehörde selbst dann, wenn sie technisch nicht erforderlich gewesen sein sollte, dennoch vorhersehbar gewesen sei und deshalb den Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen habe 369 • Ebenso hätte bezüglich der Vorhersehbarkeit für die Klage gegen den Hausbesitzer argumentiert werden können. Der Einsturz hatte ein Tätigwerden der Baubehörde zur Folge. Wenn diese typische Gefahrenlage ein (Fehl)Verhalten Dritter nahelegte, war es möglicherweise geboten, entsprechend den allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen den Zurechnungszusammenhang als nicht unterbrochen anzusehen37o• In dem entschiedenen Fall konnte überdies ein weiterer Einsturz nicht ausgeschlossen werden, so daß jedenfalls die Ursächlichkeit dieses Mangels für die Schädigung durch Abbruch in Erwägung zu ziehen gewesen wäre. Im Ergebnis muß einem Kläger in der geschilderten Konstellation die Beweislastvergünstigung des § 836 I BGB jedoch aus Schutzzweckgesichtspunkten heraus versagt bleiben, weil es bei dem planvollen Abriß am notwendigen engen Zusammenhang mit der Verwirklichung der Gefahr des mangelhaften Zustandes fehle 7l • Die Fallgruppen der psychischen Kausalität sind im Rahmen der Gebäude- und Werkhaftung mithin zwar nicht ausgeschlossen, bedürfen aber stets der Begutachtung unter dem Blickwinkel des besonderen Schutzbereiches der Norm.

Schädigung eines Feuerwehnnannes bei Löscharbeiten nach fahrlässiger Brandstiftung vgl. BOH VersR 1993, S. 843. 368 Deutsch, Unerlaubte Handlungen 3 , Rn. 64. 369 BOHZ 57, 245 (255). 370 Zur Fallgruppe des vorhersehbaren (Fehl-)verhaltens Dritter: Palandt/Heinric~9, vor § 249, Rn. 74; Lange, Schadensersatz2 , S. 145. 371 Vgl. BOH VersR 1987, S. 1096 (1097). Zum sachlichen Schutzbereich der Norm bei Abbrucharbeiten siehe oben D) IV 2.

164 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

E. Reichweite der Anspruchsberechtigung Die Anspruchsberechtigung weist sowohl einen personen- als auch einen rechtsgutsbezogenen Aspekt auf. Letzterer wird unmittelbar durch das Gesetz umrissen, während bei ersterem weitergehende Erwägungen angestellt werden müssen.

I. Person des Berechtigten Bei der Person des Anspruchstellers stellt sich die Frage nach Einschränkungen grundsätzlich nicht. Die Anspruchsberechtigung kann also im Ausgangspunkt - wie in den meisten Rechtsordnungen - jedermann erwachsen372 • Dies gilt ebenso für einen Mieter373 und sonstige Geschädigte, die sich innerhalb eines Gebäudes befanden374 • Als Ausnahmen werden üblicherweise die unbefugt Betretenden sowie die mit Abbrucharbeiten betrauten Unternehmer genanne75 • Allerdings führen beim Unternehmer nur differenzierte Schutzzwecküberlegungen zum Anspruchsausschluß376• Die unbefugte Betretung oder nicht sachgerechte Belastung eines Gebäudes oder Werkes steht wiederum im Zusammenhang mit der (objektiven) Fehlerhaftigkeit des Bauwerkes oder der Kausalität des Mangels377 , wobei immer die flexiblere Alternative des Mitverschuldens zu erwägen ist378 • Eine Einschränkung des Schutzbereiches ist des weiteren auch dann zu überlegen, wenn es sich bei dem Geschädigten ebenfalls um eine nach §§ 836-838 BGB für das Bauwerk verantwortliche Person handelt. Da hier eine teilweise Personalunion mit der aus vermutetem Verschulden haftenden Schädigerseite bestehe79 , der Verletzte also ebenfalls für die Gefahrabwendung zuständig war, heben sich die Vermutungen für schuldhaft-kausales 372 Anders stellt sich dies z. B. im römischen Recht und dem modernen englischen Recht dar, vgl. oben § 2 A III 2 sowie § 3 EIl a) und 11 I u. 2. 373 Z.B. BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20; OLG München, NJW-RR 1995, S. 540. 374 Im preußischen A.L.R. wurde eine Haftung für Schäden im Gebäudeinneren nach § 37 I 8 i. V.m. § 26 I 6 ALR abgelehnt, vgl. oben § 2 C 11 am Ende. Zur Anwendung der römischen actio de posito vel suspenso auf im Gebäude aufgehängte oder aufgestellte Gegenstände siehe in diesem Abschnitt C IV 3. 375 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 30; StaudingerIBellingIEberl-Borges J3 , § 836, Rn. 56 (für Abbruchunternehmer). 376 Oben 0 IV 2 in diesem Abschnitt. m ObenOm2undIV 1. 378 Zum Mitverschulden bei unbefugtem Betreten: StaudingerIBellingIEberl-Borges J3 , § 836, Rn. 58 m.w.N. Siehe auch BGH VersR 1960, S. 426; LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476.

E. Reichweite der Anspruchsberechtigung

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Verhalten bezüglich Baumangel und Rechtsgutsverletzung gewissermaßen gegenseitig aue 80 . Im Zusammenhang mit der Schädigung von Wohnungssondereigentum durch Gemeinschaftseigentum wird § 836 BGB freilich für anwendbar gehalten381 . Der Besonderheit, daß der zu Schaden gekommene einzelne Wohnungseigentümer zugleich Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft ist, soll offenbar Rechnung getragen werden, indem der Schadensersatzanspruch um eine der Größe des Anteiles am Gemeinschaftseigentum entsprechende382 Mithaftungsquote gekürzt wird383 . Rechtsdogmatisch ist dieses Ergebnis bei feststehendem Verschulden über die Anwendung von Mitverschulden begründet worden 384. Verallgemeinerungsfahig ist dieser Gedanke aber keinesfalls. Zum einen werden Schadensersatzprozesse zwischen Wohnungseigentümer und der Wohnungseigentümergemeinschaft im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit geführe 85 , in welchem nach § 12 FGG der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, so daß § 836 I 2 BGB nur Bedeutung für die objektive Beweislast zukomme 86. Eine Rolle dürfte auch die intensive Binnenstruktur der Wohnungseigentümergemeinschaft spielen. Der einzelne steht hier einer engen Handlungs- und Haftungsgemeinschaft gegenübe~87, was die (teilweise) Personenidentität zwischen Schädiger und Geschädigtem abschwächt und die grundSätzliche Anwendbarkeit der Gebäude- und Werkhaftung, gekürzt um einen Mithaftungsanteil, rechtfertigen mag. Entscheidend ist schließlich, daß sich mit dem Miteigentumsanteil ein konkreter Anhaltspunkt für eine angemessene Verteilung des Schadens bietet.

379 Dritten gegenüber haften mehrere aus §§ 836ff. Verantwortliche gern. § 840 I BGB als Gesamtschuldner: OLG Dresden, NJ 1994, S. 225; Staudinger/Belling/ Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 68. 380 Vergleichbar wird in RGZ 43, 369 (374) bei beiderseitigem Verstoß gegen ein Polizeigesetz für die Kausalitätsvermutung aus § 26 I 6 ALR argumentiert. 381 OLG Frankfurt, OLGE 1993, S. 188; auch OLG Düsseldorf WuM 1995, S. 230; OLG Frankfurt, OLGE 1985, S. 144; Bärmann/Pick/Merle7, § 14 WEG, Rn. 62. 382 Vgl. § 16 I 2 WEG sowie § 1611 WEG zur Lastentragung. 383 So für nachweisliches Verschulden OLG München, ZMR 1992, S. 352; i. E. offengelassen von OLG Frankfurt, OLGE 1993, S. 188. 384 OLG München, ZMR 1992, S. 352. 38S OLG Frankfurt, OLGE 1985, S. 144; Bärmann/Pick/Merle7 , § 43 WEG, Rn. 25 m. w. N. 386 Vgl. Bärmann/Pick/Merle7 , § 44 WEG, Rn. 12; siehe auch OLG Frankfurt, OLGE 1985, S. 144. 387 Die Rechtsnatur der Wohnungseigentümergemeinschaft ist allerdings höchst umstritten, hierzu z.B. Bärmann/Pick/Merle7 , Einl. WEG, Rn. 22ff.; Münchener KommentarlRölP, vor § I WEG, Rn. tOff. "Körperschaftliche Züge" werden konstatiert von Baur/Stümer l1 , § 29 B 12 c); Weimar, JR 1973, S. 9.

166 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

An einern solchen Anhaltspunkt fehlt es indes in den meisten sonstigen Konstellationen, so z. B. im Verhältnis von gegenwärtigem und früherem Besitze~88, weil das Verschulden gerade nur vermutet wird und konkrete Ursachenbeiträge nicht feststehen 389. Dieser Umstand läßt es geboten erscheinen, eine analoge Anwendung des § 836 I 2 BGB auf § 254 I BGB grundsätzlich abzulehnen390 und die Lösung des aufgezeigten Problems der teilweisen Identität von Verpflichteten und Geschädigtem auf der Ebene der Haftungsbegründung zu suchen. Prinzipiell muß es deshalb bei der Neutralisierung der Vermutung bleiben. Dem Geschädigten sollte allerdings die Möglichkeit gegeben werden, die Verschuldensvermutung im Verhältnis zum Mitverpflichteten wiederzuerlangen, indern er die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beweist, also in eigener Sache den Entlastungsbeweis antritt. Denn nun steht fest, daß er seiner Gefahrabwendungspflicht genügt hat und der Nachweis der zur Verwirklichung der Bauwerksgefahr führenden Unsorgfältigkeit des anderen Unterhaltungspflichtigen bringt ihn in der Regel in dieselben Beweisnöte wie einen außenstehenden Geschädigten. Es wäre beispielsweise widersinnig, den Verletzten in bezug auf die Haftung des Vorbesitzers ab dem Zeitpunkt der Inbesitznahme schlechterzustellen als in dem Moment, welcher dieser Inbesitznahme unmittelbar vorangeht, wenn ihm die Möglichkeit der Untersuchung des baulichen Zustandes und damit der Gefahrabwendung gleichermaßen fehlt. Demnach kann Schadensersatz im Verhältnis von gemäß §§ 836-838 BGB Verpflichteten nur dann erlangt werden, wenn entweder ein Verschulden des anderen festgestellt ise91 , oder fehlendes Eigenverschulden dargelegt wird und der Entlastungsbeweis des Mitverantwortlichen mißlingt. Ähnlich wird im übrigen bei der Vorschrift des § 840 III BGB geurteilt, welche die Ausgleichspflicht zweier Schädiger im Innenverhältnis betrifft392. Hier kann der wegen vermuteten Verschuldens haftende Bauwerksverantwortliche393 von einern durch diese Vorschrift nicht erfaßten Dritten, z. B. dem aus § 823 I BGB verantwortlichen Erbauer394 vollen 388 Zu deren Solidarhaftung im Außenverhältnis: OLG Dresden, NJ 1994, S. 225; OLG Düsseldorf, NJW 1952, S. 134. 389 Zur Bedeutun~ des Verschuldens im Rahmen des § 254 BGB: Münchener Kommentar/Grunsky , § 254, Rn. 61 ff. 390 Siehe auch Lange, Schadensersatz2 , S. 563. 391 Dann Haftung aus § 823 I BGB. 392 Im Außenverhältnis wird immergesamtschuldnerisch gern. § 840 18GB gehaftet: RGRKI Kreftl2, § 836, Rn. 36. 393 Zum Entfallen der Privilegierung des § 840 III BGB bei nachgewiesenem Verschulden: Erman/Schiemann9 , § 836, Rn. 15; Jauemig/Teichmann 9 , § 840, Rn. 7. 394 Erman/Schiemann9 , § 836, Rn. 15. Der Erbauer hat nur die Errichtung, nicht aber die Unterhaltung des Werkes übernommen und haftet deshalb nicht nach § 838 BGB.

E. Reichweite der Anspruchsberechtigung

167

Ausgleich verlangen, wenn Einsturz oder Ablösung von Teilen ihn einer anderen Person gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet haben. Stehen aber nur die Verschuldensvermutungen der §§ 836-838 BGB gegeneinander, so gilt dieses Privileg nicht und der Innenausgleich muß über ein eventuell bestehendes Vertragsverhältnis bzw. § 426 BGB gefunden werden 395 • 11. Umfang der geschützten Rechtsgüter In rechtsgutsbezogener Hinsicht nennt § 836 I BGB die Tötung eines Menschen, die Verletzung von Körper und Gesundheit sowie die Beschädigung von Sachen. Eine Ausdehnung dieses Kanons wird unter Berufung auf den Spezialcharakter der Norm überwiegend abgelehnt, so daß insbesondere primäre Vermögensschäden nicht ersatzfähig sind396 • Mertens will dagegen den Schutzbereich um die absoluten Rechte des § 823 I BGB erweitern und bezieht insbesondere das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb mit ein. Geschützt wäre aber konsequenterweise auch die körperliche Bewegungsfreiheit als absolutes Reche97 • Zur Rechtfertigung dieser Erweiterung wird darauf verwiesen, daß die Bestimmung als besonderer Fall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § 823 I BGB auch sämtliche der dort genannten Rechtsgüter schützen müsse 398 • Es fällt allerdings bereits schwer, ~raktisch relevante Beispielsfälle für eine derartige Erweiterung zu finden 99. Denkbar wäre etwa die faktische Behinderung der Gewerbeausübung durch (teilweise) Versperrung des Eingangs gemieteter Ladenräume durch Gebäudetrümmer4OO•

Die Auffassung von Mertens beruht letztlich auf dem Gedanken der Nivellierung von § 823 I und § 836 BGB401 • Es darf indes nicht verkannt werden, daß die allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflichten aus der Gebäude- und Werkhaftung heraus entwickelt wurden und nicht umgekehrt. 395 PalandtlThomass9 , § 836, Rn. 12; RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 36; Ennanl Schiemann9 , § 836, Rn. 15. 396 BGH WM 1976, S. 1056 (1058); RGRK/KreftI2, § 836, Rn. 25; Wolterhoff, S. 17; Weimar, VP 1968, S. 173. 397 Ablehnend aber z.B. StaudingerlBellinglEberl-Borges l3 , § 836, Rn. 53; RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 25. 398 Münchener Kommentar/ Merteni, § 836, Rn. 24. Dem folgend Münchener Kommentar/Stein 3, § 836, Rn. 24. 399 Auch Mertens, a. a. 0., § 836, Rn. 24 räumt ein, daß in der Mehrzahl der Fälle ohnehin die in § 836 BOB genannten Rechtsgüter betroffen seien. 400 Zur Fallgruppe der faktischen Behinderung der Gewerbeausübung siehe Münchener Kommentar/Stein 3, § 823, Rn. 511; StaudingerlSchä!erl2 , § 823, Rn. 179; vgl. auch BOH VersR 1961, S. 831 (832) und BOHZ 62, 361 (364). 401 Dazu oben A 11 in diesem Abschnitt.

168 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Die §§ 836ff. stellen ein eigenständiges Normgefüge dar402 , dessen tatbestandliehe Voraussetzungen nicht mittels der deliktischen Grundnorm unterlaufen werden dürfen. Eine umfassende Erweiterung in der von Mertens angedeuteten Weise ginge über eine bloße Konkretisierung der durch die Bauwerkshaftung geschützten Rechtsgüter hinaus und ist daher abzulehnen. Ebenfalls diskutiert findet sich die Auslegung des Begriffes der Sache. Teilweise werden herrenlose Gegenstände nicht hierzu gerechnet403 . Immerhin läßt sich das Erfordernis, daß der beschädigte Gegenstand (schon) im Eigentum eines anderen stehen muß, dem § 836 I BGB nicht entnehmen. Ersatzberechtigt ist der Verletzte und nicht der Eigentümer. Eine derartige Einschränkung ließe sich nur im Wege eines Rekurses auf den Eigentumsbegriff des § 823 I BGB erreichen. Aber auch bei einer solchen unselbständigen Interpretation der geschützten Rechtsgüter kommt man zu keinem anderen Ergebnis, da Aneignungsrechte für herrenlose Sachen anerkanntermaßen zu den dort geschützten "sonstigen Rechten" gehören404 . Eigentum an der beschädigten Sache ist mithin nicht erforderlich405 • Zur Vermeidung einer unkonturierten Obligation aus der speziellen Bauwerkshaftungsnorm erscheint freilich der Begriff des "sonstigen Rechtes" als Grenze der Berechtigung bei Sachbeschädigungen geboten406 • Beispielsweise wird es bei obligatorischen Rechten deshalb darauf ankommen, ob diese zum Besitz der Sache berechtigen407 und wie weit diese Berechtigung reicht408 .

Oben A 11. So Weimar, VP 1968, S. 173. 404 Palandt/Thomas S9 , § 823, Rn. 16; Münchener KommentarlMertens 3 , § 823, Rn. 139. 40S I.E. ebenso Delius, S. 22. 406 Siehe aber auch Delius, S. 22, der neben der dinglichen die obligatorische Berechtigung nennt, wobei bei letzterer eine Betroffenheit in der Ausübung des Rechtes oder eine Ersatzpflicht Dritten gegenüber erforderlich sein soll. 4(17 Jedenfalls für diesen Fall ist der Besitz als "sonstiges Recht" anerkannt, siehe Erman/Schiemann9 , § 823, Rn. 43; LarenziCanaris, SchR 11/2 13 , § 76 11 4f.), die allerdings nicht den Besitz als solchen, sondern das obligatorische Recht zum Besitz geschützt sehen; Münchener KommentarlMertens3 , § 823, Rn. 144ff. m.w.N., dort auch zum Begriff des Haftungs-, Nutzungs- und Verwendungsschadens. Zum Schadensersatz des nichtberechtigten Besitzers vgl. Medicus, Bür§erliches Recht l8 , Rn. 607 m.w.N. und die Kritik von LarenziCanaris, SchR 11/2 1 , § 76 11 4f.), wo aber ein Anspruch aus § 82311 i. V.m. § 858 BGB erwogen wird. 408 Begrenzungen können sich z. B. bei Substanzschäden an der Sache ergeben, so etwa Erman/Schiemann9 , § 823, Rn. 43; auch Staudinger/Schäfer 12 , § 823, Rn. 99; zur möglichen Kollision von Ansprüchen des Nutzungsberechtigten und des Eigentümers aber Medicus, Bürgerliches Recht l8 , Rn. 609 m. w.N. Vgl. auch bereits Delius, S. 22. 402 403

E. Reichweite der Anspruchsberechtigung

Irr.

169

Umfang des zu ersetzenden Schadens

Für den Umfang des zu ersetzenden Schadens wird auf die allgemeinen Regeln des Deliktsrechts verwiesen, es gelten also die §§ 249ff., inklusive des § 254409 , aber auch §§ 842ff. BGB 410• Grundsätzlich kann der Geschädigte gern. § 847 I BGB ebenfalls die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangen411 • Ein gänzlicher Ausschluß dieses Anspruches, etwa im Wege einer teleologischen Reduktion, wie sie für § 833 S. 1 BGB erwogen wird412 , verbietet sich bei der Gebäude- und Werkhaftung, weil es sich hier um eine Verschuldens- und nicht um eine Gefahrdungshaftung handelt413 , bei der das Schmerzensgeld keinen Ausnahmefall darstellt und auch der Gedanke der Genugtuungsfunktion prinzipiell als geeignet herangezogen werden könnte414 . Problematisch ist jedoch die Höhe· des Schmerzensgeldes im Hinblick auf den Grad des Verschuldens des Schädigers, welcher überwiegend zu einem Faktor für die Bemessung erhoben wrrd415 • Da es sich bei § 836 BGB um eine Verschuldenshaftung mit Beweislasturnkehr handelt, könnte man versucht sein, diesen Bemessungsfaktor zum Beweisthema des Beklagten zu zählen416, der, wenn er sich nicht schon völlig exkulpie409 Neuerdings z.B. BGH NJW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20; LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476. Allerdings findet die Beweislastregelung des § 836 BGB nicht etwa umgekehrt im Rahmen des § 254 BGB zu Lasten eines geschädigten Gebäudebesitzers (entsprechende) Anwendung, so BGHZ 79, 259 (264) = LM § 836 BGB Nr. 18. 4\0 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 29; StaudingerIBellingIEberl-Borges l3 , § 836, Rn. 53. 411 BGH NJW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20; OLG Köln, VersR 1989, S. 637; LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476 412 LarenziCanaris, SchR 1112 13 , § 84 11 1f.). 413 Oben A I in diesem Abschnitt. 414 Für eine Untauglichkeit dieses Kriteriums bei· der Gefährdungshaftung siehe z.B. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt2 , S. 342; Kürschner, NZV 1995, S. 9, der dies für die Zumessung eines Schmenensgeldes jedoch nicht als hinderlich ansieht; ähnlich Kötz, VersR 1982, S. 626; zweifelnd Küppersbusch, VersR 1982, S. 619. Allerdings ist in einer Neuregelung des § 253 BGB ein Schmenensgeld für schwere und dauerhafte Körper- oder Gesundheitsschäden geplant, hienu Deutsch, ZRP 1998, S. 293. 41S Speziell zur Gebäudehaftung LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476 (477); auch OLG Köln, VersR 1989, S. 637; LG Tübingen, VersR 1957, S. 689 (690); siehe auch BGH, NJW 1985, S. 1076 (1077), wo eine besondere Verwerflichkeit bei fehlender Baugenehmigun~ mangels inneren Zusammenhanges mit dem Unfall verneint wird; PalandtlThomas 9, § 847, Rn. 11; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 847, Rn. 34; Deutsch, ZRP 1998, S. 292; zur gerichtlichen Praxis siehe Musielak, VersR 1982, S. 614f. Hiergegen z.B. E. Lorenz, Anm. zu LG Göttingen v. 28. 11. 1996, VersR 1997, S. 622. 416 Normalerweise hat der Geschädigte die für die Bemessung des Schmenensgeldes relevanten Umstände vonubringen, Baumgärtel/Laumen2 , § 847, Rn. 2.

170 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

ren kann, zumindest den Nachweis fehlenden groben Verschuldens erbringen müßte, um einer Erhöhung des Schmerzensgeldes zu entgehen. Ein solches Ergebnis erweckt indes Bedenken, da dem Bauwerksbesitzer mit der Verschuldensvermutung sowie der Anwendung des Anscheinsbeweises beim haftungsauslösenden Ereignis417 bereits eine weitgehende Beweislast auferlegt wird. Noch schwerer wiegt, daß der Genugtuungsgedanke, der nach überwiegender Ansicht als Basis für die Berücksichtigung des Verschuldensmaßes bezüglich der Höhe des Schmerzensgeldes dient418 , bei der Verschuldensvermutung weitgehend ins Leere läuft419 , weil es im Unklaren bleibt, ob die Schädigung auf besonders rücksichtsloses Verhalten420 zurückzuführen ist. Geboten ist es deshalb, zugunsten des Besitzers nur einfache Fahrlässigkeit anzunehmen und lediglich bei feststehendem schwereren Verschulden entsprechende Erwägungen in die Bemessung des Schmerzensgeldes einzubeziehen421 . Es spricht weitergehend sogar einiges dafür, die (bloß vermutete) leichte Fahrlässigkeit als fakultative Minderungsmöglichkeit zu berücksichtigen422 • Zwar mag man gegen diese Art der Beweislastverteilung einwenden, daß bei vom Kläger bewiesenem groben Verschulden ohnehin schon eine Haftung aus § 823 I BGB begründet wäre423 , weshalb der Beweisvorteil des § 836 I 2 BGB im Bereich des immateriellen Schadens zu stark reduziert würde. Nicht verkannt werden sollte dabei indes, Oben D III 2, Fn. 264 und D IV 1. So BGHZ 18, 149 (157 f.). Zumindest für vorsätzliches Verhalten tut dies noch BGHZ 128, 117 (l20f.); siehe auch Wussow/Kürschner I4 , Rn. 1853; Lange, Schadensersatz2, S. 443; Kürschner, NZV 1995, S. 8f.; kritisch zur Genugtuungsfunktion allgemein, insbesondere im Bereich des Verkehrshaftungsrechts: Kötz, Deliktsrecht8 , Rn. 521; referierend Spickhoff, VersR 1994, S. 1156f.; gegen die Genugtuungsfunktion als Basis der Berücksichtigung von Verschulden Münchener Kommentar/Stein3 , § 847, Rn. 34, da die Ausgleichsfunktion insoweit genüge; ähnlich StolI, Haftungsfolgen, S. 203. 419 Gegen die Einschlägigkeit der Genugtuungsfunktion bei Verschuldensvermutungen allgemein: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2 , S. 209; derselbe, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt2, S. 342f. 420 Nach einem Referentenentwurf zum 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften ist in § 847 11 BGB n. F. bei unerheblichen Schäden ein Schmerzensgeld nur bei vorsätzlichem Verhalten vorgesehen. Kritisch hierzu Deutsch, ZRP 1998, S. 294. 421 Vgl. OLG Köln, VersR 1989, S. 637; LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476 (477); LG Tübingen, VersR 1957, S. 689 (690). 422 Für eine Minderungsmöglichkeit bei einer ganz leichten Sorgfaltsverletzung Münchener Kommentar/Stein 3 , § 847, Rn. 34; Staudinger/Schiijer12 , § 847, Rn. 64 sowie bereits BGH GZS 18, 149 (158). Nach BGH, VersR 1958, S. 849f. ist dies jedoch kein allgemeiner und zwingender Grundsatz 423 So in der Tat LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476 (477) und OLG Köln, VersR 1989, S. 637, die beide Anspruchsgrundlagen nennen. 417 418

F. Die Anspruchsverpflichtung

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daß der Pflichtige im Zuge der ihm obliegenden Exkulpation nicht selten gerade die Umstände vortragen wird, aus denen sich die Schwere seines Verschuldens herleitet424 • Der Antritt des Entlastungsbeweises kann sich somit im Falle seines Mißlingens als zweischneidige Waffe erweisen, die dem Geschädigten bei der Geltendmachung eines Schmerzensgeldes zugute kommt. Unberührt von all diesen Überlegungen zum Verschuldensmaß bleiben im übrigen die sonstigen Umstände, die der Richter zur Bestimmung der angemessenen immateriellen Kompensation zu berücksichtigen hat425 • Im Zusammenhang mit § 847 I BGB ist noch zu erwähnen, daß nach dessen Wortlaut an sich auch bei Freiheitsentziehungen Schmerzensgeld gewährt wird. Hier scheint sich das überraschende Ergebnis zu zeigen, daß die Freiheit zwar kein im Rahmen des § 836 BGB geschütztes Rechtsgut ist und für die materiellen Schäden folglich kein Ersatz verlangt werden kann, die immaterielle Beeinträchtigung jedoch kompensiert wird426 • Der scheinbare Widerspruch löst sich indes dadurch auf, daß § 847 I BGB an das tatbestandIiche Vorliegen eines deIiktischen Anspruchs gekoppelt ist427 und ein Schmerzensgeld folglich nur zugesprochen wird, soweit Körper, Gesundheit und Freiheit auch in dieser Grundnorm geschützt sind428 • Im Rahmen der speziellen Gebäude- und Werkhaftung führt die Freiheitsentziehung also ebenfalls nicht zur immateriellen Kompensation. Hierfür bedarf es vielmehr des Nachweises eines Verschuldens, d. h. einer Haftung aus § 823 I BGB.

F. Die Anspruchsverpflichtung Das BGB folgt mit seiner Bauwerkshaftung bei der Anspruchsverpflichtung dem weitaus flexibleren Besitzer- anstatt dem insbesondere aus dem französischen Recht bekannten Eigentümermode1l429 • Tragender Gedanke für diese Entscheidung ist es, den Gefahrnächsten in die Pflicht zu nehmen43o • Denn es wäre einerseits unbillig, bei einem gefahrfemeren Vgl. LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476; LG Tübingen, VersR 1957, S. 689. Hierzu grundlegend BGH GZS 18, 149 (157ff.), wonach das Schwergewicht beim Ausmaß der Lebensbeeinträchtigung liegt; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 847, Rn. 18ff.; Palandt/Thomass9 , § 847, Rn. 10f. m.w.N. 426 So Mull, S. 159f. unter Ablehnung der Einbeziehung der Freiheit in den Kreis der durch die Gebäude- und Werkhaftung geschützten Rechtsgüter auf S. 97. 427 Erman/Schiemann 9 , § 847, Rn. 3; siehe auch Münchener Kommentar/Stein 3 , § 847, Rn. 10: § 847 I BGB ist kein selbständiger Haftungstatbestand. 428 RGRK/Kreft 12 , § 847, Rn. 20; Soergel/Zeuner 12 , § 847, Rn. 2; Jauemig/ Teichmann 9 , § 847, Rn. 2. 429 Zum Modell des französischen Rechts oben § 3 C III. Ausführlich zur Verpflichtung des Besitzers und der sonstigen Personen aus §§ 83fHl38 BGB: Herrmann, S. 208ff. . 430 So Herrmann, S. 233. 424

425

172 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Eigentümer ohne oder mit nur geringen Einwirkungsmöglichkeiten Regreß zu nehmen und diesem für einen Folgeprozeß gegen den Besitzer die Gefahr von dessen Insolvenz aufzuerlegen431 , andererseits gebietet es aber auch der effektive Schutz potentieller Geschädigter, der Person mit den besseren Kontrollmöglichkeiten über die Gefahrenquelle die Verantwortung für deren ordnungsgemäßen Zustand aufzuerlegen432 . Bei der Betrachtung des differenzierten Systems der §§ 83~838 BGB müssen diese Erwägungen stets im Auge behalten werden. I. Verpflichtung des Besitzers aus § 836 I BGB § 836 I S. 1 BGB nennt lediglich die Vetpflichtung des Grundstücksbesitzers; erst durch Abs. 3 wird spezifiziert, daß der Eigenbesitzer gemeint ist433 . Inzwischen nicht mehr bestritten wird die prinzipielle Obligationsmöglichkeit aus mittelbarem Besitz nach § 868 BGB434 und Erbschaftsbesitz (also der auf den Erben übergegangene Eigenbesitz des Erblassers) nach § 857 BGB43S . In die Begründung der Pflicht fließt jedoch in erheblichem Maße die Möglichkeit zur Gefahrabwendung ein, was sich neben der Feststellung, daß es auf die Gut- oder Bösgläubigkeit des Eigenbesitzers nicht ankommt436, unter anderem darin dokumentiert, daß für den Erbschaftsbesitz im Zusammenhang mit der Gebäude- und Werkhaftung überwiegend zusätzlich die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft verlangt wird, wobei auch ein Vertretenmüssen einer etwaigen Unkenntnis genügen so1l437. Erwogen wird weitergehend eine Entlastung von der Vetpflichtung 431 Mot. TI, S. 818 f.; ähnlich Prot. 11, S. 655 f.; Laue, S. 30f.; Wolterhoff, S. 27 f. Das schweizerische Recht ist durch die Starrheit seiner Eigentümerverpflichtung zu Ausweichmanövern gezwungen worden, dazu oben § 3 B 11. Kritisch, insbesondere zur Begründung der 2. Kommission, welche das Verschuldenserfordernis heranzieht, Herrmann, S. 232f. 432 Dieser Gedanke liegt sowohl § 836 BGB, als auch den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten zugrunde, vgl. Hemnann, S. 296 und zur Gefahrbeherrschungsmöglichkeit auf S. 231. 433 Zum gemeinrechtlichen Besitzverständnis, welchem der "animus domini" immanent war, siehe Herrmann, S. 212f. und 224f. 434 BGH NJW 1985, S. 1076 = LM § 836 BGB Nr. 20; OLG München, NJWRR 1995, S. 540 (beide für Mietverhältnisse); StaudingerlBellinglEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 62; Delius, S. 16. Zum früher bestehenden Streit siehe Wolterhoff, S. 31 ff. m.N. 43S BGH LM § 836 BGB Nr. 6; ErmaniSchiemann 9 , § 836, Rn. 8; auch Baurl Stümer17 , § 8 I 2. 436 Vgl. BGH LM § 836 Nr. 9 = BGH VersR 1956, S. 348 (349); LG Tübingen, VersR 1990, S. 1245; StaudingerlBellinglEberl-Borges 13 , § 836, . Rn. 62; Lotze, S. 54; Delius, S. 16. Dieses Prinzip gilt allgemein für § 872 BGB: PalandtlBassengeS9 , § 872, Rn. 1; Münchener KommentarlJoost 3 , § 872, Rn. 3.

F. Die Anspruchsverpflichtung

173

bei Unübersichtlichkeit des Nachlasses438 • Dieser Aspekt betrifft aber die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei der Ermittlung und Unterhaltung der Nachlaßgegenstände nach Bekanntwerden des Erbfalles und sollte deshalb sinnvoller als ein vom Erben zu beweisender Umstand i.S. v. § 836 I S. 2 BGB einzuordnen sein439 • Beim mittelbaren Besitz i. S. v. § 868 BGB wird entsprechend dem heutigen Verständnis dieser Norm auch bei der Gebäude- und Werkhaftung kein rechtlich wirksames Besitzmittlungsverhältnis mehr vorausgesetzt440 . Eine Schwäche des Haftungsgefüges der §§ 836-838 BGB besteht freilich darin, daß der Besitzmittler, sofern er Fremdbesitzer ist, den Gefahrenherd möglicherweise besser kontrollieren kann. In diesem Zusammenhang ist besonders an Mietverhältnisse zu denken, wo den Mieter im Verhältnis zum Vermieter lediglich "eine Mängelanzeigepflicht gern. § 545 BGB trifft. Eine Eigenhaftung des Fremdbesitzers aus § 836 BGB ist angesichts des Wortlautes des § 836 III BGß ausgeschlossen441 und die §§ 837 und 838 BGB helfen nur bedingt442 • Der Eigenbesitz erfordert einen darauf gerichteten Besitzwillen443 , wobei nach überwiegender Ansicht ein natürlicher Wille ausreicht444 , so daß 437 BGH LM § 836 BGB Nr. 6; RGRK/ Kreftl2, § 836, Rn. 32. Weitergehend aber BaurIStümer17 , § 8 I 2, wonach auch bei Unkenntnis vom Erbfall nach § 836 BGB gehaftet werden soll. Dieses Ergebnis wirkt angesichts der fehlenden Gefahrabwendungsmöglichkeit allerdings unangemessen. Noch enger als hier Herrmann, S. 274f., welche die genannte zu vertretende Unkenntnis nicht im Hinblick auf den Erbfall als solchen, sondern auf den Eigenbesitz des Erblassers deutet. 438 Herrmann, S. 275. 439 Siehe dazu BGH LM § 836 BGB Nr. 6, wo die Unaufkärbarkeit der Kenntnis vom Erbfall zur Rückverweisung führte, also nicht der Verschuldensvermutung zugerechnet wurde, während zur "Wahrung der Verkehrssicherungspflichten" mindestens eine Unterrichtung über die Erbmasse und das Ergreifen von erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen verlangt wurde. 440 Allgemein PalandtlBassenge S9 , § 868, Rn. 10; Münchener Kommentar/ Joos?, § 868, Rn. 15 m. w. N.; siehe auch BaurIStümer17 , § 7 B III 1 b) dd) m. N. zur älteren Rspr. Speziell zu § 836 BGB Herrmann, S. 266ff. 441 Vgl. OLG Celle, OLG-Rp 1999, S. 357. Anders in Österreich, wo eine dem § 836 III BGB vergleichbare Regelung fehlt und der Besitzbegriff selbständig interpretiert wurde, dazu oben § 3 A 11. 442 Dazu näher sogleich unter III und IV. 443 Dieser Besitzwille muß auch gerade das schadensverursachende Werk mit all seinen Teilen umfassen, vgl. BGH LM § 836 Nr. 9 = VersR 1956, S. 348 ~349) für einen nicht vom Grundstückseigentümer errichteten Stollen; RGRK/ Kreftl , § 836, Rn. 32 m. w. N. 444 Münchener Kommentar/Joos?, § 872, Rn. 4; SoergellMühl 12 , § 872, Rn. 3; differenzierend PalandtlBassengeS9 , § 872, Rn. 2. Für Geschäftsunfähige anders Flume, 114 , § 13 Nr. 11 c). Zur Problematik auch Wolterhoff, S. 29 m. w. N., der dies im Ergebnis offen läßt.

174 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

zumindest die Haftung eines beschränkt Geschäftsfähigen nicht etwa schon an der Möglichkeit des Bauwerksbesitzes, sondern an §§ 827, 828 BGB scheitert445 • Nicht geboten ist ein Eigenbesitzwille dagegen beim Erbschaftsbesitz, sondern der (Eigen-)Besitz des Erblassers geht auf die Erben über446, weshalb sich die zuvor erläuterte Voraussetzung der Kenntnis vom Erbfall auch nicht mit fehlendem Besitzwillen, sondern nur aus teleologischen Erwägungen heraus erklären läßt447 • Festzustellen bleibt, daß sich das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinem Besitzbegriff auch bei der Haftung für Bauwerke vorwiegend an den sachenrechtlichen Regeln orientiert448 , den deliktsrechtlichen Charakter und Zweck der Norm aber nicht aus dem Blick verliert. Es darf daher nicht überraschen, daß im Einklang mit dem allgemeinen Besitzrecht auch juristische und quasi-juristische Personen als Träger dieser Verpflichtung anerkannt sind449 •

II. Nachhaftung aus § 836 II BGB Normzweckorientierte Überlegungen müssen ebenfalls bei der Kombination vom Erbschaftsbesitz mit der Nachhaftung aus § 836 11 BGB angestellt werden. Die Nachhaftung erlegt dem früheren Besitzer die Obligation zur Entlastung auf, sofern der Schadensfall durch Einsturz oder Ablösung aufgrund fehlerhafter Errichtung oder Unterhaltung450 - binnen eines Jahres nach Besitzbeendigung eintritt, wobei zur Fristberechnung die §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB herangezogen werden451 • Grund für die Schaffung dieser Zu deren Anwendbarkeit oben, A I in diesem Abschnitt. BGH LM § 836 BGB Nr. 6; Soergel/MühI 12 , § 872, Rn. 5; Münchener KommentarIJost3 , § 872, Rn. 7. Anders wohl Wolterhoff, S. 27, Fn. 1, der als Verteidigungsmöglichkeiten, basierend auf der Unkenntnis vom Erbschaftsbesitz, alternativ mangelnden Eigenbesitz und fehlendes Verschulden erwägt. 447 Vgl. auch Prot. 11, S. 655 f., wo die möglicherweise fehlende Kenntnis vom Erbfall als Grund für die Entscheidung gegen das Ei.~entümerpflichtigenmodell genannt wird. Dort ging man offenbar noch nicht vom Ubergang des Erblasserbesitzes aus. 448 Das verdeutlicht der Hinweis der 2. Kommission auf das damals ebenfalls in der Entwicklung befindliche Besitzrecht, siehe Prot. 11, S. 653. Zur Entstehung des Besitzbegriffes im Rahmen des § 836 BGB ausführlich Herrmann, S. 211 ff. 449 RG HRR 1935 Nr. 1515 (Aktiengesellschaft); vgl. auch BGH VersR 1991, S. 72 = LM § 836 BGB Nr. 23; OLG Celle, OLG-Rep Celle 1994, S. 281 (Träger der Straßenbaulast); OLG Düsseldorf, NVwZ 1992, S. 1122 (Kommanditgesellschaft); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 (Bundespost); LG Freiburg, NJWRR 1996, S. 476 (Gemeinde); siehe ferner OLG Dresden, Neue Justiz 1994, S. 225 für eine Immobiliengesellschaft. Zum ganzen Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 836, Rn. 97f. m. w. N. 4SO Dieser Zusatz steht zwar nicht in Absatz 2, ergibt sich aber aus der Bezugnahme auf Absatz I, vgl. Baumgärtel/Laumen 2 , § 836, Rn. 10. 445

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F. Die Anspruchsverpflichtung

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Regelung war es, dem Besitzer den Weg zur Aucht aus der Verantwortung durch bloße Besitzaufgabe oder -übertragung zu verbauen 452 • Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob ein Erbe sich auch für die Besitzzeit des Erblassers zu entlasten hat, was das schon geschilderte Einrücken in dessen Eigenbesitzerstellung an sich nahelegt. Es wird zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses vertreten, daß trotz dieses Einrückens der Erblasser als Besitzvorgänger angesehen werden müsse, weil dem Erben eine derartig weitgehende Entlastung nicht zugemutet werden könne453 • Sieht man den Erblasser dergestalt als früheren Besitzer i. S. v. § 836 11 BGB an454 , so ist weiter zu erwägen, dessen Obligation gern. § 1967 11 BGB als Erblasserschuld auf den Erben überzuleiten455 • Eine so beschaffene Überleitung der Haftung würde indes dem Regelungsgehalt der Norm nicht gerecht, da der Gedanke der Verhinderung der Enthaftung durch Besitzaufgabe oder -übertragung auf willkürliches Verhalten, nicht aber auf das Versterben des Erblassers und den daraus resultierenden Besitzübergang paßt. Zudem kann der Erblasser den Entlastungsbeweis aus § 836 11 BGB nicht mehr führen und dem Erben ist dies mangels genügenden Einblickes in die Sphäre des Erblassers in den allermeisten Fällen nicht möglich456 . Die Nachhaftung sollte deshalb teleologisch reduziert und auf den speziellen Fall des Erblassers als früheren Besitzer nicht angewandt werden .. Der Erbe eines Bauwerkes hat folglich den Entlastungsbeweis nur für die Zeit nach dem Erbfall anzutreten. Ein sich allgemein bei der Nachhaftung aus § 836 11 BGB stellendes Problem ist das Verhältnis dieser Haftung des früheren zu der des jetzigen Besitzers aus § 836 I BGB. Das Gesetz schweigt sich darüber aus, so daß entsprechend der allgemeinen Regel des § 840 I BGB eine gesamtschuldnerische Haftung eingreifen könnte457 • Vertreten ließe sich aber auch, daß diese Haftungsalternativen einander gegenseitig ausschließen458 . Letzteres 451 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 3; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 67. 452 Prot. 11, S. 656f.; Delius, S. 17; Lotze, S. 55; Schaeffer, S. 40. Die Beschränkung der Nachhaftung auf 1 Jahr nach Besitzaufgabe wird mit dem Argument der nötigen Rechtssicherheit begründet, so Prot. 11, S. 656; Laue, S. 3lf. Herrmann, S. 302 und 305, sieht die Nachhaftung dagegen bereits in der Haftungsstruktur des § 836 I begründet und mißt dem § 836 11 BGB nur die Bedeutung der Begrenzung dieser Haftung bei. 453 OLG Kassel, OLGE 28, 311 (312). 454 StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 67; RGRK/Krejt12, § 836, Rn. 34; Weimar, MDR 1971, S. 369. 455 So Weimar, MDR 1971, S. 369. Nicht hinderlich für das Entstehen einer Erblasserschuld ist das Eintreten der Folge der unerlaubten Handlung erst nach dem Todesfall: LangeiKuchinke4 , S. 1129; Münchener Kommentar/Siegmann 3 , § 1967, Rn. 12 m. w.N. Eine parallele Haftung von früherem und aktuellem Besitzer ist nicht ausgeschlossen, näher sogleich im Text. 456 OLG Kassel, OLGE 28, 311 (312).

176 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

ist indes deshalb nicht stichhaltig, weil sich der Fall konstruieren läßt, in dem beiden Pflichtigen der ihnen obliegende Entlastungsbeweis mißlingt459 und aus der fehlenden ausdrücklichen Regelung nicht einfach auf einen gänzlichen Ausschluß der einen oder anderen Verpflichtung geschlossen werden kann, wie dies in § 837 BGB der Fall ist460• Eine prozeßrechtliche Frage, die bei der Nachhaftung immer wieder aufgerührt wird, ergibt sich aus der Entlastung des früheren Besitzers durch den Nachweis des Verschuldens seines Nachfolgers461 • Da die Rechtskraft eines die Klage des Geschädigten abweisenden Urteiles sich nicht auf den Folgeprozeß gegen den gegenwärtigen Besitzer erstreckt462 , ist immerhin denkbar, daß das nun entscheidende Gericht die Tatsachen anders würdigt und ein Verschulden verneint, so daß der gegenwärtige Besitzer (ebenfalls) entlastet ist und der Geschädigte aus beiden Prozessen kompensationslos hervorgeht. Als Lösung wird eine Streitverkündung gem. § 72 ZP0463 durch den Geschädigten an den Unterhaltungspflichtigen, auf dessen Verschulden sich der Inanspruchgenommene beruft, vorgeschlagen464 • Die Streitverkündung setzt aber auch in der von der Rechtsprechung vorgenommenen weiten Interpretation ein - zumindest teil weises - Alternativverhältnis zwischen den Ansprüchen gegen den Prozeßgegner und den Dritten voraus465 . Liegt es dagegen so, daß der Anspruch gegenüber beiden Personen geltend 457 Zur Möglichkeit der gesamtschuldnerischen Haftung aus § 840 I z. B. OLG Dresden, Neue Justiz 1994, S. 225 (226); Kaulfers, S. 38f.; Lotze, S. 57; Wolterhoff, S.4lf. 458 Delius, S. 17. 459 Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1952, S. 134 (135); siehe auch Kaulfers, S. 39. Daß der Nachweis des Verschuldens des späteren den früheren Besitzer entlastet, besagt nicht, daß dieser Nachweis schon durch das Mißlingen des Entlastungsbeweises des späteren Besitzers angetreten ist. 460 Wolterhoff, S. 4lf. 461 § 836 11, Alt. 2 BGB. Nach RGRK/ Krejt12, § 836, Rn. 40 müssen keine konkreten Unterlassungen, sondern nur die generelle Möglichkeit zur Abwendung der Gefahr dargetan werden. 462 Weder in objektiver Hinsicht, da es sich beim Verschulden um eine Tatsachenfeststellung handelt, die nicht an der Rechtskraft teilhat (Thomas/Putzo 22 , § 322, Rn. 29 m.N.; Jauemig, Zivilprozeßrecht25 , § 63 III 1), noch in subjektiver Hinsicht (vgl. § 325 I ZPO). 463 Die Interventionswirkung nach §§ 74, 68 ZPO erfaßt auch tatsächliche Feststellungen, auf denen eine Entscheidun~ beruht, Thomas/Putzo 22 , § 74, Rn. 4 und § 68, Rn. 5; Jauemig, Zivilprozeßrecht2 , § 84 11 und § 83 V. 464 Delius, S. 17; Kaulfers, S. 39; Lotze, S. 56. 46S BGH NJW 1989, S. 521 (522); BGHZ 70, 187 (191); Jauemig, Zivilprozeßrecht25 , § 84 I. Zur weiten Interpretation auch Wieczorek/Schütze/Mansel , § 72, Rn. 4 und 53ff.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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gemacht werden kann, wie dies bei in voller Höhe haftenden Gesamtschuldnern der Fall ist, fehlt es an der Voraussetzung zur Streitverkündung466 . Fraglich ist nun, ob der hier untersuchte Fall der Haftung aus § 836 I und 11 BGB ein solches Gesamtschuldverhältnis begründet. Wolterhoff bejaht dies, indem er die Befreiungsmöglichkeit des § 836 11, Alt. 2 BGB nur auf das Innenverhältnis zum aktuell Unterhaltungspflichtigen bezieht und dem nachgewiesenen Verschulden des späteren Besitzers nur dann befreiende Wirkung zukommen lassen will, wenn dieses rechtskräftig festgestellt ist und der Geschädigte Kompensation erhalten hat467 . Als Konsequenz dieser Auffassung lehnt er eine Streitverkündungsmöglichkeit ab468 • Diese Ansicht findet indes weder in Wortlaut und Systematik des Gesetzes, noch in dessen Entstehungsgeschichte einen Anhaltspunkt. § 836 11, Alt. 2 BGB nennt den Nachweis der Gefahrabwendungsmöglichkeit durch Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt seitens eines späteren Besitzers als Entlastungsmöglichkeit. Die Zusammenschau mit dem gegenüber dem Geschädigten wirkenden § 836 I 2 BGB sowie der Kontrast zu dem unzweifelhaft das Innenverhältnis betreffenden, aber für das Verhältnis von nachhaftendem und gegenwärtigen Besitzer nicht anwendbaren469 § 840 rn BGB ergibt, daß sich dieser Entlastungsbeweis ebenfalls auf das Außenverhältnis beziehen muß. Ebenso ist der Entstehungsgeschichte zu entnehmen, daß man sich der möglichen Unbilligkeiten der Nachhaftung für den früheren Besitzer bewußt war, was sich nicht zuletzt in der Begrenzung durch die Jahresfrist zeigt47o • Eine Beschränkung der Entlastungsmöglichkeit auf das Innenverhältnis wäre angesichts des für den ehemaligen Besitzer durch den Zeitablauf und den Besitzwechsel ohnehin schon problematischeren Entlastungsbeweises nicht zu rechtfertigen. Die Frage nach dem Gesamtschuldverhältnis bei § 836 I und 11 BGB läßt sich nicht undifferenziert beantworten. Daß eine gesamtschuldnerische Haftung bei Mißlingen beider Entlastungsbeweise möglich ist, wurde schon gesagt. Dies ist jedoch eine Besonderheit der normierten Verschuldensvermutungen, die nicht zuletzt daraus resultiert, daß mit dem Mißlingen der Exkulpation des späteren Besitzers nicht notwendig dessen Verschulden i. S. d. § 836 11, Alt. 2 BGB bewiesen wird471 • Üblicherweise liegt es bei der gesamtschuldnerischen Haftung gern. § 840 I BGB so, daß die Feststellung des Verschuldens eines Schädigers die Haftung des anderen nicht BGHZ 100,257 (259); BGHZ 70, 187 (189); Thomas/Putzo 22 , § 72, Rn. 7. Wolterhoff, S. 41 f. 468 Wolterhoff, S. 40. So i. E. auch Mull, S. 143 f. 469 Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 69; Lotze, S. 57. Siehe bereits oben, E I am Ende. 470 Vgl. Prot. 11, S. 656; Jakobs/Schubert, Beratung, S. 990f.; Herrmann, S. 300f. 471 Vgl. schon Fn. 459. 466

467

12 Pe'el1lhagen

178 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

logisch-zwingend ausschließt. Für die Gefahrabwendungsmöglichkeit des späteren Besitzers regelt § 836 11, Alt. 2 BGB dies indes genau anders; die Feststellung seines Verschuldens ist hier tragender Entscheidungsgrund für die Klageabweisung472 • Die Intention des § 72 ZPO und der Bindungswirkung gern. §§ 74 m, 68 ZPO, den Streitverkünder vor dem Risiko zu bewahren, sowohl Vor- als auch Folgeprozeß zu verlieren, obwohl er nach materiell-rechtlicher Lage in einem der beiden Prozesse obsiegen müßte473 , ist zumindest dann kongruent mit der hier behandelten Interessenlage, wenn sich der frühere Besitzer auf das Verschulden des späteren beruft, so daß man sich gegenüber dem Institut der Streitverkündung nicht versperren sollte. Für die Anwendung des § 72 ZPO spricht schließlich, daß die Alternativhaftung zum Zeitpunkt der Streitverkündung lediglich als möglich erscheinen muß474 • Verfolgt man diesen Gedanken, dann wäre auch eine Streitverkündung an den früheren Besitzer bei der - praxisrelevanteren475 - primären Inanspruchnahme des gegenwärtigen Grundstücksbesitzers vertretbar476 . Denn hier droht genauso die Gefahr des gelungenen Entlastungsbeweises im ersten und des Nachweises des Verschuldens, also einer abweichenden Beweiswürdigung, im Rahmen der Nachhaftung im folgenden Prozeß. Zuzugeben ist freilich der Unterschied, daß mit gelungener Exkulpation nach § 836 I 2 BGB - materiell-rechtlich gesehen - nicht notwendig der frühere Besitzer belastet wird, wie das bei § 836 11, Alt. 2 BGB für den späteren Besitzer der Fall ist. Einschränkend könnte daher als Voraussetzung der Streitverkündung zu verlangen sein, daß die Berufung auf das Verschulden des früheren Besitzers zur Entlastung vorgetragen wird477 • Indes findet sich ein ausreichendes Bindungselement zur Begründung des Alternativverhältnisses schon darin, daß die Enthaftung des früheren Besitzers an das Verschulden des gegenwärtigen Besitzers gekoppelt ist, so daß es der genannten Einschränkung nicht bedarf. Vielmehr geht es hier um die Reichweite der Interventionswirkung, die sich auf das fehlende Verschulden des gegenwärtig Pflichtigen beschränkt478 •

472 Nur die das Urteil tragende Grundlagen muß der Dritte gegen sich gelten lassen, so z. B. BGHZ 116, 95 (102); BGHZ WO, 257 (262). 473 BGHZ 116, 95 (100)· BGH NJW 1989, s. 521 (522); BGHZ 100, 257 (262); WieczoreklSchützelMansel 3, § 72, Rn. 4; Jauemig, Zivilprozeßrecht 2S , § 84 I. 474 BGHZ 65, 127 (133); WieczoreklSchützelManseP, § 72, Rn. 64 m. w.N. m Vgl. Wolterhoff, S. 40. 476 So Kaulfers, S. 39. m In diese Richtung Delius, S. 17 und Kaulfers, S. 39. 478 Anders verhält es sich, wie schon erwähnt, bei der Entlastung des früheren Grundstücksbesitzers nach § 836 11, Alt. 2 BGB, weil es hier gerade auf den Nachweis des Verschuldens des späteren ankommt, s. o. bei Fn. 472.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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Letztlich resultiert die Möglichkeit zur Streitverkündung bei der Nachbaftung also daraus, daß die Gesamtschuldnerschaft von früherem und jetzigem Besitzer zwar möglich, aber nicht zwingend ist. Es handelt sich in beiden diskutierten Konstellationen auch nicht um Fälle natürlicher Alternativität, bei der zur Vermeidung einer Beweislastverschiebung die Unanwendbarkeit von § 72 ZPO vertreten wird479, sondern diese Beweislast obliegt bereits kraft materiellen Rechtes den Grundstücksbesitzern, denen deshalb der Nachweis fehlenden Verschuldens in einem fremden Prozeß zugemutet werden kann48o •

m.

Verpflichtung aus § 837 BGB

Während nach § 836 BGB der Besitzer eines Grundstückes für die darauf befindlichen Gebäude oder Werke verantwortlich ist, setzt § 837 BGB an seine Stelle denjenigen, welcher auf einem fremden Grundstück in Ausübung eines Rechtes ein solches Bauwerk besitzt. Die Beschaffenheit dieses Rechtes muß nicht zwingend dinglicher Natur sein, sondern es genügt eine obligatorische Berechtigung481 • Entscheidend ist jedenfalls das Auseinanderfallen des Besitzes am Grundstück einerseits und am Bauwerk andererseits 482 • Hinter dieser Regelung steht erneut die Überlegung, daß man demjenigen, von dem man eine effektive Gefahrenabwehr am ehesten erwarten kann, diese Verpflichtung auch auferlegt483 • Folgerichtig ist es ohne Belang, ob das Recht, das die Grundlage des Besitzes bildet, tatsächlich wirksam ist484 • Mit anderen Worten ist der Terminus "in Ausübung eines Rechtes" - ähnlich wie beim Eigenbesitzwillen - subjektiv aus der Sicht des Besitzers zu bestimmen48S • Vorgeschlagen wurde, auch den Fremdbesitzer eines Bauwerkes über § 837 BGB in die Pflicht zu nehmen486 . Der Wortlaut der Norm läßt diese

Interpretation immerhin ZU487 , so daß beispielsweise der Mieter eines Hauses in der Pflicht stünde. Hierfür spräche, daß der unmittelbare Fremd479

z.B. Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 184ff. und 195ff.; ZöllerIVollkomme?-l,

§ 72, Rn. 8; dagegen WieczorekISchützeIMansez3, § 72, Rn. 62.

480 Vgl. Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 197, der in den Fällen der Beweislastumkehr von einer Steigerung zur rechtlichen Alternativität spricht. 481 Mot. 11, S. 819; Lotze, S. 57; im Ergebnis zustimmend auch Herrmann, S. 308. 482 RGZ 59, 8 (10); Herrmann, S. 308. 483 Vgl. Mot. 11, S. 819; RGRK/KreftI2, § 837, Rn. 1; Kaulfers, S. 40. 484 RG JW 1916, S. 39 (40); RGRK/Kreft I2 , § 837, Rn. 2; lauemiglTeichmann9 • § 837, Rn. 2; ausführlich Herrmann, S. 309f. 48S RG JW 1916, S. 39 (40); Münchener Kommentar/Stein), § 837, Rn. 3; lauerniglTeichmann9 , § 837, Rn. 2. 486 So Kaulfers, S. 43; Delius, S. 18f. 12'

180 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

besitzer dem Mangel faktisch näher ist als der mittelbare Eigenbesitzer, im genannten Beispiel also der Vermieter. Der Einwand, daß diesem gemäß § 536 BGB die Instandhaltung obliegt und einen Mieter nach § 545 BGB lediglich eine Mängelanzeigepflicht trifft488 , ließe sich durch den Hinweis begegnen, daß diese Norm das vertragliche Innenverhältnis zum Vermieter, nicht aber die deliktische Haftung gegenüber einem außenstehenden Dritten betrifft489 . Dennoch ist die Haftung eines Fremdbesitzers allgemein und damit auch die des Mieters im Ergebnis abzulehnen. § 837 BGB nimmt Bezug auf die Tatbestandsmerkmale des § 836 BGB und damit ebenso auf den dort in Abs. 3 genannten Eigenbesitz490. Noch schwerer wiegt, daß die (verschärfte)491 Haftung des Grundstücks(eigen)besitzers im Falle der Überlassung des Gebäudes an einen Fremdbesitzer verlorengehen würde492 , obwohl er in aller Regel Nutzungen, insbesondere in Form des Mietzinses, zieht. Zudem muß seine Kontrollmöglichkeit über das Gebäude im Innenverhältnis nicht aufgehoben sein, sondern kann in Form von Betretungsrechten zu bestimmten Zwecken fortbestehen493 . Eine völlige Schutzlosigkeit des Dritten gegenüber Säumigkeiten des Fremdbesitzers trittebenfalls nicht ein, da eine Haftung aus § 823 I BGB möglich bleibt494 . § 837 BGB beinhaltet nach derzeitiger Gesetzeslage mithin nur den Eigenbesitz an einem Bauwerk49s . 487 Dies gibt für Kaulfers, S. 43, den Ausschlag. Allerdings verlangt auch Kaulfers, a. a. 0., einen abgesonderten Besitz vom Grundstück und will deshalb in der Mehrzahl der Fälle zu den Ergebnissen der herrschenden Meinung gelangen. 488 Vgl. RGZ 59, 8 (10). 489 Vgl. die Argumentation von Rummel/Reischauefl, § 1319, Rn. 13 m.w.N. zum österreichischen Recht. 490 RGZ 59, 8 (9); anders aber Kaulfers, s. 43; Delius, S. 19. 491 Eine Haftung aus § 823 I BGB bleibt immerhin denkbar, vgl. dazu die folgenden Ausführungen zur parallelen Haftung aus § 836 und § 837 BGB im Text. 492 Der in § 837 BGB Genannte haftet statt des Grundstücksbesitzers. 493 Bei Mietverhältnissen beispielsweise zur Vorbereitung eines Verkaufes oder zur Feststellung von Mängeln, vgl. Palandt/Putzo S9 , § 535, Rn. 39; Münchener KommentarlVoeiskow3 , § 535, Rn. 69. 494 OLG Köln, NJW-RR 1990, S. 224, wo allerdings der Grundsatz der Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers bzw. Eigenbesitzers betont wird; LG Bad Kreuznach, VersR 1986, S. 199; vgl. auch BGH NJW-RR 1993, S. 27 für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht des Pächters einer Autobahnraststätte; Staudinger/ Belling/Eberl-Borges\3, § 837, Rn. 7. Zur Haftung bei Übernahme einer Unterhaltungsverpflichtung seitens des Mieters nach § 838 BGB siehe BGH WM 1990, S. 1878 = LM § 838 BGB Nr. 5. 49~ So RGZ 59, 8 (10); RG JW 1916, S. 39 (40); BGH WM 1990, S. 1878 (1879) = LM § 838 BGB Nr. 5; OLG Frankfurt, VersR 1978, S. 966 (967); Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 837, Rn. 4; Lotze, S. 58.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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Nicht geschlossen werden darf aus dem Vorstehenden, daß ein Mieter stets der Haftung aus § 837 BGB entzogen bleibt. Handelt es sich um ein nur vorübergehend, beispielsweise für die Dauer der Mietzeit, errichtetes Werk, so kann dieses nach § 95 I I BGB Gegenstand besonderer Rechte sein, also im Eigentum des Mieters stehen und einen haftungsbegründenden Eigenbesitz ermöglichen bzw. darauf hinweisen496 • Anerkannte Rechte im vorgenannten Sinne sind beispielsweise Grunddienstbarkeiten, Erbbaurechte sowie Miete und Pacht497 , auch öffentlichrechtliche Beziehungen gehören hierzu498 . Dingliches Recht könnte auch das Eigentum sein, sofern man § 837 BGB so auslegt, daß es sich um ein Recht sowohl am Grundstück, als auch am Werk selbst499 handeln kann, was der Wortlaut zuläßt. Sachlich dürfte sich dadurch praktisch nichts ändern, zumal zu diesem Eigentum normalerweise ein Nutzungsrecht am Grundstück hinzutreten wird5OO • Bestritten wird die Geeignetheit als Recht für den ebenfalls häufig genannten Nießbrauch, weil nach § 1030 BGB dieses Nutzungsrecht nicht auf ein Gebäude beschränkt werden und folglich kein vom Grundstück separater Besitz bestehen könne501 . Dem ist zuzugeben, daß die nach § 1030 11 BGB mögliche Nutzungsbeschränkung sich in der Tat nicht auf eine einzige Nutzung, hier die des Gebäudes, verdichten darf502 . Es ist aber beispielsweise der Fall denkbar, daß der Nießbraucher eines Grundstückes eine Anlage errichtet, die nicht wesentlicher Bestandteil desselben wird, was nach § 1037 11 BGB ausdrücklich gestattet ist503 • Hier wird die Anlage in Ausübung des Nießbrauchsrechts am Grundstück besessen504 • Diskussionswürdig ist schließlich die Haftung bei einem entschul496 z.B. OLG Frankfurt, VersR 1978, S. 967; Kaulfers, S. 42; Lotze, S. 59. Zur Indizfunktion des Eigentums für den Eigenbesitzwillen näher sogleich im Text. 497 Statt vieler Palandt/Thoma/'9, § 837, Rn. 2; Delius, S. 18. Besitzer seiner zur Werkausführung erforderlichen Bauten nach § 837 BGB ist auch der kraft Vertrages zur Betretung des Grundstückes berechtigte Unternehmer, so z.B. BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25 und BGH VersR 1969, S. 37 (Baugerüst); OLG Hamm, VersR 1997, S. 194 und OLG Bamberg, RuS 1989, S. 357 (Turmdrehkran); RGRKIKreftI2, § 837, Rn. 5. 498 z.B. bei aufgrund des Telegrafenwegegesetzes errichteten Femmeldemasten, OLG Stuttgart, VRS 7, 246; vgl. auch OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152. Für den GrabsteIlenbesitz als Ausübung eines öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechte BGH NJW 1971, S. 2308 = LM § 837 BGB Nr. 1; Wussow/Kuntz 14 , Rn. 269. Zum ganzen RGRKI Kreft12, § 837, Rn. 5. 499 Gemeint sind die Fälle des § 95 I BGB. 500 Vgl. BGH VersR 1961, S. 353 (355f.). 501 Herrmann, S. 306f. 502 Münchener Kommentar/PetzoltP, § 1030, Rn. 30; Baur/Stümer17 , § 3211 1 b). 503 Palandt/Bassenge59 , § 1037, Rn. 1; Münchener Kommentarl PetzoltP, § 1037, Rn. 6 m. w. N., dort auch zum Streit, ob über § 1037 11 BGB hinaus die Errichtung von Gebäuden zulässig ist.

182 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

digten und deshalb gern. § 912 BGB zu duldenden Überbau. Besitzer (und auch Eigentümer) des Überbaues wird der Eigentümer des Grundstückes, von dem dieser ausgeht50S , während die Eigentumslage an dem überbauten Grundstücksteil unberührt bleibtS06 . Da bei der Verpflichtung aus der Bauwerkshaftung, wie schon ausgeführt, tatsächliche und nicht rechtliche Elemente in den Vordergrund rücken, darf es auf die Rechtmäßigkeit des dem Besitz zugrundeliegenden Zustandes nicht ankommenS07 . Zur Vermeidung von Schutzlücken in diesem Bereich wird man deshalb den entschuldigten Überbau als "in Ausübung eines Rechtes" errichtet ansehen müssen, wenngleich es sich hier lediglich um eine Duldungspflicht handeltso8 • Ebenso zu lösen ist die Frage für den einverständlichen Überbau, bei dem die Eigentumsverhältnisse ja gleich liegen509 • Beim unentschuldigten Überbau kommt es nach h. M. dagegen zu einer Vertikalteilung am GebäudeeigentumSlO . Der Besitz verbleibt jedoch gewöhnlich beim Überbauenden, so daß zwischen diesem und dem Eigentümer des überbauten Grundstückes ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis entstehtSli. Offengelassen wurde vom BGH allerdings, ob der besitzende Überbauer Eigen- oder Fremdbesitzer des Überbaus ist512 • Die §§ 93ff. BGB sind auf den Besitz als solchen nicht anwendbar 13 und der Eigenbesitzwille erfordert lediglich, daß man die tatsächliche Sachherrschaft ausüben will wie ein Eigentüme~14, so daß gesondertes Eigentum am Werk (und dessen Teilen) zwar regelmäßig auf einen solchen Willen hindeuten, aber nicht zwingend verlangt werdenS 15. § 837 504 Delius, S. 18. sm BGHZ 1l0, 298 (300); BGHZ 62, 141 (l45f.); PalandtlBassengeS9 , § 912, Rn. 12; a.A. Münchener Kommentar/Säcke?, § 912, Rn. 42ff., der den Gedanken des § 947 BGB fruchtbar machen möchte und für die Unmöglichkeit einer Hauptteilsbestimmung §§ 741 ff. BGB heranzieht. S06 Soergel/Baur I2 , § 912, Rn. 25. SI1I Der entschuldigte Überbau begründet nach h. M. einen zwar rechtswidrigen, aber zur Vermeidung der Zerstörung wirtschaftlicher Werte ausnahmsweise zu duldenden Zustand, so BGHZ 62, 141 (l44f.); PalandtlBassenge S9 , § 912, Rn. 1; a.A. Münchener Kommentar/Säcke?, § 912, Rn. 12. 508 So im Ergebnis Kaulfers, S. 41. S09 BGHZ 62, 141 (l45f.); BaurIStümer17 , § 25 C) n 2 d). Zur mit dem umstrittenen Tatbestandsmerkmal der objektiven Rechtswidrigkeit (Fn. 507) zusammenhängenden Frage, ob §§ 912ff. BGB auch für den einverständlichen Überbau gelten siehe Münchener Kommentar/Säcke?, § 912, Rn. 12. SIO BGH NJW 1985, S. 789 (791); PalandtlBassengeS9 , § 912, Rn. 16; Baurl Stümer17 , § 25 n 1; a.A. Soergel/Baur 12 , § 912, Rn. 24. m BGHZ 27, 204; PalandtlBassengeS9 , § 912, Rn. 16. m BGHZ 27, 204 (205). m Vgl. o. bei Fn. 117. SI. RG JW 1916, 39 (40); Münchener KommentarlJoosr, § 872, Rn. 3 m. w. N.; BaurIStümer17 , § 7 E I I. m Ähnlich Wolterhoff, S. 31. Anders Lotze, S. 58.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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BGB setzt nur einen vom Grundstück separaten Eigenbesitz voraus, was bei wesentlichen Bestandteilen eines Grundstückes auf Teilbesitz i. S. d. § 865 BGB hinausläuft. Um nun solchen Teilbesitz zu erlangen, muß die Sache gesondert beherrschbar sein~516. Dies ist bei einem Überbau jedoch regelmäßig möglich, so daß der Überbauende, solange er den Gebäudeteil wie ein Eigentümer für sich nutzt und den Besitz daran nicht aufgibt, gemäß § 837 BGB haftet. Wird dagegen durch den Überbau auch der Besitz arn überbauten Grundstücksteil entzogen517 , so ergibt sich die Verantwortlichkeit des für sich selbst besitzenden Überbauers bereits aus § 836 I BGB. Es bleibt somit festzuhalten, daß es auch bei § 837 BGB nicht in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse, sondern auf den Eigenbesitz ankommt518 , was sich als konsequente Fortführung der Entscheidung der Gesetzesverfasser für das Besitzer- und gegen das Eigentümermodell darstellt. Einwenden mag man zwar, daß von dem Tatbestandsmerkmal "in Ausübung eines Rechts" im Verhältnis zum Eigenbesitz nicht mehr viel übrig bleibe519 • Nicht verkannt werden sollte dabei indes, daß sowohl den Eigentumsverhältnissen (§§ 93 ff. BGB), als auch dem Umfang der Nutzungsberechtigung aus dem (sonstigen) wirklich oder vermeintlich zugrundeliegenden Recht nicht jegliche Bedeutung abgesprochen wird, sondern sich im Gegenteil daraus wichtige Indizien für einen vom Grundstück gesonderten (Eigen-)Besitz, den § 837 BGB nun einmal voraussetzt, ergeben. Ein gutes Beispiel hierfür sind erneut die Miet- oder Pachtverhältnisse. Ist ein gemietetes Gebäude wesentlicher Bestandteil eines Grundstückes, so wird der Mieter mangels Eigentum keinen Eigenbesitzwillen haben und sein (Fremd-)Besitzwille sich regelmäßig auch auf die Nutzung des Grundstücks erstrecken, so daß es zugleich arn Eigenbesitz und an einem getrennten Besitz von Grundstück und Bauwerk fehlt 52o• Auf der Überlegung der Gefahrabwendungsmöglichkeit basiert wiederum das Gedankenspiel einer parallelen Haftung von Grundstücksbesitzer (§ 836 516 Vgl. Münchener KommentarlJoosr, § 865, Rn. 4; auch Münchener Kommentar/Holch 3 , § 93, Rn. 19 sowie RGZ 108,269 (272). Sl7 Vgl. BGHZ 27, 204 (206). 518 Wie hier Münchener Kommentar/Stein 3 , § 837, Rn. 3. Siehe auch BGH VersR 1961, S. 353 (355 f.), wo die Haftung des GrabsteIleninhabers alternativ (!) aus seiner EigentümersteIlung gern. § 95 BGB oder seinem öffentlich-rechtlichen Nutzungsrecht begründet wird. Enger RGZ 59, 8 (10), wo bei Bestandteilseigenschaft des Gebäudes eine abgesonderte Besitzmöglichkeit verneint wird. Das koppelt die Verpflichtung aber zu eng an die §§ 93ff. BGB, was dem heutigen Besitzverständnis und dem Gedanken der Gefahrkontrollmöglichkeit nicht gerecht wird. 519 Wolterhoff, S. 31 hält nicht einmal mehr die Angabe eines Rechtsgrundes für den Eigenbesitz für geboten. 520 StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 837, Rn. 7; Münchener Kommentar/ Stein 3 , § 837, Rn. 5.

184 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

BGB) und Bauwerksbesitzer nach § 837 BGB. Die Argumentation verläuft dergestalt, daß es Fälle gebe, in denen der Grundstücksbesitzer das Bauwerk mindestens ebenso gut zu kontrollieren vermöge wie dessen Eigenbesitzer. Dies sei im Plan der Gesetzesentwicklung von § 837 BGB aber nicht angelegt, da dieser nur die bessere oder gar alleinige Unterhaltungsmöglichkeit des nach der Norm Verpflichteten im Auge gehabt habe 521 . Das Bestehen einer solchen Lücke lasse nun Raum für eine (gesamtschuldnerisehe) Haftung von Grundstücks- und Werksbesitze~22. So soll im Ergebnis eine Obligation der Friedhofsgemeinde aus § 836 I I BGB neben der des Grabstelleninhabers aus § 837 BGB beim Umstürzen eines Grabsteines bestehen können, weil ersterer kraft Friedhofsordnung oft umfangreiche Gestaltungsanordnungen bezüglich der Grabstelle vorbehalten seien523 . Mit der ganz überwiegenden Auffassung kann man diesem Resultat indes de lege lata nicht beipflichten. Der in Ausübung eines Rechtes ein Werk Besitzende haftet nun einmal anstatt der in § 836 I I genannten Person, und ist nicht etwa neben jener "in gleicher Weise verantwortlich", wie § 838 BGB dies für den Übernehmer der Gebäude- bzw. Werkunterhaltungspflicht vorsieht524 . Die genannte Bemerkung in den Motiven, daß der Bauwerkseigenbesitzer ,,regelmäßig" besser in der Lage sei, die Kontrolle auszuüben525 , eröffnet nicht etwa den Weg zu einer teleologischen Reduktion, sondern versperrt ihn sogar, weil man den Gesetzesverfassern nun nicht mehr unterstellen kann, sie hätten die "unregelmäßige" Sachlage der (möglicherweise sogar besseren) Kontrollmöglichkeit des Grundstücksbesitzers nicht gesehen. Zum Trost mag gereichen, daß der nach § 836 I I BGB an sich Pflichtige nicht gänzlich aus der deliktischen Verantwortung entlassen wird, weil ihm immer noch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht obliegen kann, deren Nichteinhaltung - wenn auch mit ungünstigerer Beweislastverteilung - zu einer gesamtschuldnerischen Haftung aus § 823 I

S21 Nach Mot. 11, S. 819 ist ,,regelmäßig auch nur der Dritte", nämlich der Bauwerkseigenbesitzer, "im Stande ... , die in Rede stehende Verpflichtung zu erfüllen". 522 In diesem Sinne Wussow/Kuntz I4 , Rn. 269. 523 Wussow/Kuntz 14 , Rn. 269. Die in diesem Zusammenhang häufig zitierte Entscheidung KG NJW 1971, S. 661 verneint allerdings lediglich einen gesonderten Besitz des Grabstelleninhabers. Gegen die Annahme von gesondertem Besitz in diesem Zusammenhang Müller-Hannemann, MDR 1975, S. 797. Vgl. auch BGH NJW 1971, S. 2308 = BGH LM § 837 BGB Nr. 1 (Haftung des Grabstelleninhabers nach § 837 BGB); BGHZ 34, 206ff. (Haftung der Kirchengemeinde lediglich aus § 823 I BGB begründet). Für gesonderten Eigenbesitz und Haftung aus § 837 BGB ebenfalls OLG München, OLGE 28, 308. 524 BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2; RGRK/Krejt12, § 837, Rn. 3; StaudingeriBelling/Eberl-Borges J3 , § 837, Rn. 1. 52S Mot. 11, S. 819.

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BGB führt526 und den Bauwerksbesitzer wenigstens im Innenverhältnis über § 840 III BGB entlastet527 • Keine Schwierigkeiten dürfte hingegen unter der hier angenommenen Prämisse des tatbestandlichen Verweises von § 837 BGB auf § 836 BGB die Begründung einer Nachhaftung i. S. v. § 836 11 BGB einschließlich des dort genannten Entlastungsbeweises für einen früheren Gebäude- oder Werkeigenbesitzer bereiten528 , zumal das, was auf die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten übertragen wurde529 , innerhalb des als Vorbild dienenden originären Normenkomplexes in Ermangelung entgegenstehender Anhaltspunkte erst recht Geltung beanspruchen darf. Eine letzte Überlegung zu § 837 BGB sei hier noch für vom Mieter am Gebäude angebrachte Gegenstände angestellt. Auch dann, wenn diese nicht wesentlicher Bestandteil des Gebäudes werden, sondern im Eigentum des Mieters verbleiben (§ 95 11 BGB) wird zwar nach in dieser Arbeit vertretener Auffassung bei hinreichend fester und unmittelbarer Verbindung und Bezug zum Gebäudezweck eine Gebäudeteileigenschaft i. S. d. § 836 BGB möglich sein53o• Dem Vermieter fehlt aber bezüglich des ihm nicht gehörenden Gegenstandes der nötige Eigenbesitzwille, so daß allein der Mieter als Haftender in Betracht kommt531 • Die Rechtsprechung bedient sich dabei der Figur des mittelbar mit dem Grundstück verbundenen Werkes 532 • Diskutabel erscheint es aber, § 837 BGB entsprechend auf solche Gebäudeteile anzuwenden oder - de lege ferenda - unter Verzicht auf den Eigenbesitz auf die Haltereigenschaft des Mieters abzustellen533 , was gegenüber dem mittelbar verbundenen Werk eine Haftungserweiterung bringt, da es nicht mehr vorrangig auf die Größe und Schwere des Gegenstandes an526 BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2; RGRKIKreft12, § 837, Rn. 3. 527 RGRK/ Kreft12, § 837, Rn. 3 und 7; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 837, Rn. 2. 528 So Herrmann, S. 311; Kaulfers, S. 44, der neben der möglichen Haftung von jetzigem und früheren Werkbesitzer darauf hinweist, daß haftbarer ehemaliger Besitzer nach § 836 11 BGB auch der Grundstücksbesitzer sein kann, sofern es keinen früheren Werkbesitzer i. S. d. § 837 BGB gibt. Zu ergänzen wäre allerdings, daß das Werk zum Zeitpunkt der Inbesitznahme des nach § 837 BGB Pflichtigen bereits errichtet sein mußte, da eine Nachhaftung des Grundstücksbesitzers in Ermangelung eigener Errichtungs- oder Unterhaltungsmöglichkeit nicht zu rechtfertigen ist. 529 So OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 191; Münchener KommentarlMertens 3 , § 823, Rn. 221. Siehe auch das Urteil des Bundessozialgerichts, Die Versorgungsverwaltung 1997, S. 12, wo die Nachhaftung angesichts der Nachkriegsverhältnisse über das in § 83611 BGB genannte Jahr hinaus ausgedehnt wurde. 530 Vgl. oben C 11. 531 Vgl. oben C III für Firmenschilder. 532 Oben C III. m Siehe unten F V.

186 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

kommt534 • Nicht zu verhehlen ist, daß auch diese Interpretation unbefriedigende Haftungslücken hinterläßt, wenn es uni locker befestigte Gegenstände geht. Schwer begreiflich ist beispielsweise, warum die Beweislastverteilung bei deliktischen Ansprüchen gegen den Mieter eines Geschäftes für von ihm für die Dauer der Mietzeit angebrachte Fensterläden535 anders sein soll, als wenn ein Firmenschild gleicher Größe, welches aber nur lose über dem Eingang aufgehängt wurde, sich ablöst. Letztlich wird dieses Ergebnis durch die Ablehnung der actio de posito vel suspenso durch die Gesetzesverfasser bewirkt536 , die derzeit hinzunehmen, rechtspolitisch aber zu überdenken ist. Bei der Ablösung von Firmenschildern entschärft sich die Problematik wenigstens dann, wenn der Geschädigte den Laden zu geschäftlichen Zwecken betreten wollte, weil ihm dann ein Anspruch aus culpa in contrahendo zusteht537 • Dort wird bei der Schadensverursachung durch einen nachweislich objektiv verkehrswidrigen Zustand der Sache mit einer Verschuldensvermutung gearbeitet538 •

IV. Haftung aus Unterhaltungsverpflichtung nach § 838 BGB § 838 BGB erweitert den Kreis derjenigen, die für den fehlerhaften Zustand eines Gebäudes oder Werkes einzustehen haben, um die Person des Unterhaltungspflichtigen. Anders als für den Bauwerkseigenbesitzer, der anstatt des Grundstücksbesitzers haftet, wird eine gesamtschuldnerische Haftung i. S. v. § 840 I BGB begründet539, die sowohl im Zusammenhang mit § 836 BGB als auch § 837 BGB entstehen kann540• Inhaltlich gerechtfertigt wird dieses Nebeneinander der Obligationen damit, daß der Grundstücks- bzw. Werkbesitzer sich nicht durch schlichte Delegation der Unterhaltungspflicht an eine mittellose Person von seiner deliktischen Verantwortung befreien können soll, da dem Geschädigten so faktisch sein Anspruch entzogen würde541 • Dennoch erlangt der aus §§ 836, 837 BGB Verantwortliche nach h. M. dadurch eine Erleichterung, daß ihm zur Entlastung der Oben C 11. ZU deren Gebäudeteileigenschaft RGZ 60, 421; OLG Stuttgart, VersR 1958, S.865. S36 Dazu oben C 11. S37 Dazu auch Weimar, ZMR 1960, S. 329. S38 BGH NJW 1986, S. 2757; Soergel/Wiedemann 12 , vor § 275, Rn. 264; Münchener KomrnentarlEmmerich 3 , vor § 275, Rn. 200 m.w.N. S39 JauemiglTeichmann 9 , § 838, Rn. 1. § 840 III BGB bezieht sich nach dessen § 838 BGB einschließendem Wortlaut eindeutig nicht auf das (Innen-)verhältnis zwischen dem Besitzer und dem Unterhaltungspflichtigen. S40 Soergel/Zeuner 12 , § 838, Rn. 1; JauemiglTeichmann 9 , § 838, Rn. 1; Kau/fers, S. 46. S41 So beispielsweise Delius, S. 19; Kaulfers. S. 47; Lotze, S. 63. S34 S3S

F. Die Anspruchsverpflichtung

187

Nachweis der sorgfältigen Auswahl und Überwachung des Übernehmers der Unterhaltung zugute kommt542 . Hier findet sich also der Gedanke der Erfüllung von (Verkehrssicherungs)pflichten durch vom Pflichtigen eingeschaltete Personen 543 in einer gesetzlichen Regelung verkörpert544 . Die Norm enthält zwei Alternativen, nämlich zum einen die Übernahme der Unterhaltungsverpflichtung und zum anderen die Verpflichtung kraft eines bestehenden Nutzungsrechtes.

1. Verpflichtung aus Übernahme (§ 838 Alt. 1 BGB) Der Begriff der Unterhaltung stellt zunächst einmal klar, daß Errichtungsmaßnahmen vom Normzweck nicht erfaßt sind und Bauunternehmer und Architekten schon aus diesem Grund nicht mit der Beweislastumkehr aus § 838 BGB beschwert sind. Die auf den ersten Blick unscheinbare Alternative der Übernahme wirft im übrigen nicht geringe Interpretationsschwierigkeiten hinsichtlich ihrer genauen Beschaffenheit auf. Hierzu sind im wesentlichen - wenn auch gelegentlich mit kleineren Modifikationen - folgende Auffassungen herausgearbeitet worden: Nach einer Ansicht soll eine tatsächliche Übernahme der Unterhaltung des Bauwerkes genügen. Begründet wird dies mit einem systematischen Bezug zu den sonstigen deliktischen Übernahmeverpflichtungen545 , die ausdrücklich eine vertragliche Übernahme statuierten, was für § 838 BGB den Umkehrschluß auf die Entbehrlichkeit eines Vertrages zulasse546 . Haften sollen folglich auch der Geschäftsführer ohne Auftrag und der zur Vermögenssorge verpflichtete gesetzliche Vertrete~47. 542 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 22; RGRK/Kreft12, § 838, Rn. 7; OertmannS , § 838, Rn. 3. Siehe auch OLG Düsseldorf, WuM 1995, S. 230: Haftung der Wohnungseigentümer nur für Eigenverschulden wie Organisationsmängel, unterlassene Mängelanzeigen oder fehlende Mitwirkung bei der Schadensbeseitigung. Anders aber v. Bar, Verkehrspflichten, S. 271. 543 Kritisch zum teilweise verwendeten Begriff der Delegation von Verkehrs(sicherungs)pflichten LarenziCanaris, SchR 1112 13, § 76 III 5 c), weil die Haftung nicht übertragen, sondern lediglich die Verkehrs(sicherungs)pflicht durch Einschaltung eines anderen erfüllt werde. Siehe auch Hemnann, S. 331 f. 544 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 838, Rn. 1; Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 838, Rn. 1; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 271 sieht in § 838 BGB dagegen (lediglich) eine originäre Pflicht des Übernehmers und zieht daraus Rückschlüsse auf die Entlastungsmöglichkeiten, worauf im Zusammenhang mit dem Entlastungsbeweis nach § 836 I 2 BGB noch zurückzukommen sein wird. Kritisch zur vorbehaltlosen Übertragung des Haftungsgedankens auf § 823 I BGB Herrmann, S. 320. 545 Siehe § 831 11, § 83211 und § 834 BGB. S46 Z.B. Lotze, S. 64f.

188 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Es finden sich nicht wenige Stimmen in der Literatur, die das genaue Gegenteil des gerade Dargestellten postulieren und stets das Vorliegen eines Vertrages für nötig halten s48 • Dem Gesetzgeber sei bei § 838 BGB ein Redaktionsversehen unterlaufen. Während er bei den sonstigen deliktischen Übernahmeverpflichtungen im Wege des Nachtrages den Zusatz "durch Vertrag" eingefügt habe, sei dies bei der Gebäude- und Werkhaftung schlicht vergessen wordens49 • Im übrigen sei es unbillig, einem lediglich fremdnützig Tätigen zusätzlich noch das Haftungsrisiko aufzubürden5so . In der Jurisprudenz ist bei streitigen Fragen in aller Regel zwischen den Extrempositionen eine vermittelnde Auffassung zu finden. Wegbereiter für diese "Mittellösung" war bei der Übernahmehaftung im Zusammenhang mit Gebäuden und Werken die Rechtsprechung SS 1. Offengelassen wurde, ob eine gesetzliche Verpflichtung generell eine Übernahme begründe. Jedenfalls dann sei eine gesetzliche Obligation genügend, wenn sie ein vertragsähnliches Verhältnis begründe, insbesondere freiwillig übernommen werde. Dabei komme auch dem Eigeninteresse des Übernehmers eine Bedeutung zu, so daß der Erhalt einer Vergütung für die Tätigkeit die Haftung rechtfertigeSs2 • So haftete ein nach MilReG 52 eingesetzter custodian, der ein Grundstück verwaltete. Gleichgestellt wurden die Person des Konkurs- oder ZwangsverwaltersSS3 • In Weiterentwicklung dieser Position der Rechtsprechung wird schließlich noch vertreten, daß es keines Vertrages bedürfe, sondern eine rein tatsächliche Übernahme dann genüge, wenn mit dieser ein eigenes Interesse verfolgt werdeS54 •

547 Lotze, S. 64f. Für eine Haftung des gesetzlichen Vertreters auch Weimar, MDR 1957, S. 272; derselbe, VP 1968, S. 174, dort wird auch eine Haftung im Rahmen von Gefälligkeitsverhältnissen befürwortet. Im Ergebnis ähnlich Herrmann, S. 338ff.: Analogie für den gesetzlichen Vertreter. 548 JauemigiTeichmann 9 , § 838, Rn. 1; Geigel/Schlegelmilch 22 , 19. Kapitel, Rn. 21; Kaulfers, S. 46f.; Delius, S. 19. Herrmann, S. 313ff., die zusätzlich noch (Fremd-)Besitz des Übemehmers verlangt (a. a. 0., insbesondere S. 335) und § 838 BGB analog auf den nicht unterhaltungspflichtigen Fremdbesitzer einerseits und den gesetzlichen Vertreter andererseits anwendet (a.a.O., S. 336ff.). 549 So Herrmann, S. 316. 5SO Oertmann S , § 838, Rn. 2 a). 551 BGHZ 21, 285 (291 f.) = BGH LM § 836 BGB Nr. 10. S52 BGHZ 21, 285 (292) = BGH LM § 836 BGB Nr. 10. Ebenso Soergel/Zeuner l2 , § 838, Rn. 2f.; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 838, Rn. 4ff.; Ermanl Schiemann9 , § 838, Rn. 1. 553 BGHZ 21, 285 (292) = BGH LM § 836 BGB Nr. 10. 554 RGRK/Kreft I2 , § 838, Rn. 3; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 838, Rn. 2, Fn. 2 sowie Mertens in der Vorauflage, ebenda.

F. Die Anspruchsverpflichtung

189

Eine Entscheidung für oder gegen eine der genannten Auffassungen fällt schon deshalb nicht leicht, weil die Gesetzesmaterialien wenig zur Erhellung beitragen555 • Der systematische Vergleich mit §§ 831 11, 832 11 und 834 BGB ist, wie dies in den Lösungsvorschlägen anklingt, ebenfalls nicht eindeutig, da das Fehlen des Zusatzes "Vertrag" zwar einerseits den besagten Umkehrschluß der Entbehrlichkeit zuläßt, andererseits aber genausogut zur Vermeidung eines Systembruches im Rahmen der deliktischen Beweislastumkehrregelungen dessen gedankliche Hinzufügung gebieten könnte. Die Lösung des Problems hängt letztendlich mit der Beantwortung der Frage zusammen, wie es sich rechtfertigen läßt, daß ein Vorgang, welcher zunächst nur das Zwei-Personen-Verhältnis zwischen Eigenbesitzer und Übernehmer betrifft, deliktsrechtliche Außenwirkung zugunsten Dritter entfaltet, was auch bei vertraglichen Verhältnissen immerhin nicht selbstverständlich ist556 . Bei der Untersuchung wird von dem praktisch wohl häufigsten Fa1l557 , der Übernahme der Unterhaltung im Rahmen eines Vertrages, ausgegangen. Soll nun das Bestehen einer Pflicht gegenüber Dritten von der Wirksamkeit eines solchen Vertrages abhängen ?558 Ein solches Ergebnis ist deshalb abzulehnen, weil sich so eine mit der Pflichterfüllung befaßte Person trotz sorgfaltswidrigen Handeins bzw. Unterlassens, beispielsweise durch Anfechtung der auf den Übernahmevertragsschluß gerichteten Willenserklärung, gegenüber einem Dritten befreien könnte, was eine fragwürdige Koppelung von Vertrags- und Deliktsrecht bewirkte. Es darf ebenfalls nicht aus den Augen verloren werden, daß es bei § 838 BGB um die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht eines anderen, namentlich des nach § 836 oder § 837 BGB Pflichtigen geht559 . Das für den Vertrag gebrachte Argument, dieser sei gleichsam der Preis für die den Übernehmer SS5 In den Motiven 11, S. 819, wird zur Begründung der Übernahmehaftung nur auf die Vorschrift des § 734 Abs. 2 des Entwurfes = § 834 BOB verwiesen. Zur Unergiebigkeit dieses Verweises: Hermwnn, S. 324; siehe auch Ulmer, JZ 1969,

S. 165, Fn. 19.

556 Ulmer, JZ 1969, S. 166f. zieht die Parallele zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und erwägt eine Reflexwirkung der Vertragsverletzung für das Deliktsrecht, verwirft diese allerdings im Ergebnis. 557 StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 838, Rn. 4; Weimar, VP 1968, S. 174. 558 So offenbar JauemiglTeichmann 9 , § 838, Rn. 1; für die oft zum Vergleich herangezogenen Verträge gem. §§ 831 11 u. 832 11: Staudinger/Schäjer I2 , § 831, Rn. 254 u. § 832, Rn. 34. 559 BOH WM 1990 S. 1878 (1880) = BOH LM § 838 BOB Nr. 5; Staudinger/ BellingIEberl-Borges d , § 838, Rn. 1. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 271 nimmt dagegen eine eigene Verkehrssicherungspflicht des Übernehmers an. Dies bedeutet jedoch noch keinen Widerspruch, da auch nach hier vertretener Ansicht der Bauwerksbesitzer nach wie vor zu Sicherungsmaßnahmen verpflichtet ist und sich nur unter noch näher darzulegenden Umständen entlasten kann. Vgl. im übrigen schon

Fn.544.

190 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

treffende Beweislastumkebii60, ist auch deshalb nicht stichhaltig. Die den Übernehmer treffende Beweislastumkehr stellt sich vielmehr als konsequente Erweiterung der Haftung des originär Sicherungspflichtigen dar. Anders ausgedrückt ist es nicht nur die Kumulation der Verpflichteten, die von § 838 BGB bezweckt wird, wenngleich eine parallele Haftung möglich ist. Es geht nach richtiger Ansicht vielmehr darum, eine in die originäre Sicherungspflicht eingeschaltete Person in die Verantwortung zu nehmenS61 • Bei Verzicht auf das Erfordernis der Wirksamkeit des VertragesS62 stellt sich aber erneut die Frage nach dem Haftungsgrund. Vorgeschlagen worden ist der (Fremd-)Besitz in Form einer Sachbeziehung nicht nur vorübergehender Art als maßgebliches HaftungselementS63 , so daß auch ein im Innenverhältnis nicht unterhaltungspflichtiger Mieter (§§ 536, 545 BGB) haften würde s64 • Dies mag für den Rechtsverkehr den Vorzug einer klaren Haftungslage haben, birgt aber gesetzestechnische Schwierigkeiten, die sich wohl nicht überwinden lassen. Schon nach dem Wortlaut der Bestimmung ist der Besitz kein kennzeichnendes Merkmals6s • Gefordert wird eben nicht die Übernahme der tatsächlichen Herrschaftsgewalt, sondern einer Obhutsposition für den ordnungsgemäßen baulichen Zustand. Dies ergibt sich aus dem identischen Unterhaltungsbegriff in § 836 I BGB und macht deutlich, daß der Grund für die Haftung aus § 838 BGB im Besitz des Übernehmers allein nicht zu suchen ist. Überzeugender ist der zur Übernahme bei den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten entwickelte Ansatz von Ulmer 66 und Mertens S67 , welche das Vertrauen des Verkehrs sowie des originär Sicherungspflichtigen in die Erfüllung der Pflicht durch den Übernehmer als Haftungsgrund hervorhebenS68 • Aber auch dann, wenn man dem nicht folgt S69 , kommt in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle immer noch zum Tragen, daß der Überneh560 Vgl. Larenz/Canaris, SchR 11/2 13, § 76 III 3 e) und § 79 III 7 zur Übernahme nach § 831 11 BOB; Ulmer, JZ 1969, S. 165. 561 Münchener Kommentar/Stein 3 , § 838, Rn. 1; vgl. auch BOH WM 1990, S. 1878 (1880) = BOH LM § 838 BOB Nr. 5, wo von einem Einrücken in die Oebäudezuständigkeit gesprochen wird; noch weitergehend OLO Düsseldorf, WuM 1995, S. 230: Schadensersatzanspruch in erster Linie gegen den Verwalter von Wohnungseigentum. 562 Herrmann, S. 319ff., insbesondere S. 329. 563 Herrmann, S. 326f., 329 u. 335, welche daneben einen - wenn auch möglicherweise unwirksamen - Vertrag verlangt. 564 Dafür Herrmann, S. 336f., die § 838 BOB freilich nur analog heranzieht. 565 Herrmann, S. 335 verweist diesbezüglich allerdings darauf, daß der Begriff des Fremdbesitzers damals noch nicht geschaffen worden war und deshalb keine Berücksichtigung finden konnte. 566 JZ 1969, S. 17lf. 567 In: Münchener Komment~, § 823, Rn. 227.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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mende durch seine Einschaltung die Vornahme anderweitiger Vorsorgemaßnahmen wenigstens teilweise blockiert570, was letztlich auf den anerkanntermaßen pflichtbegründenden Gedanken der Gefahrerhöhung hinausläuft571 . Geht man nun von der Prämisse des Einrückens des Übernehmers in die Zuständigkeit des Grundstücks- oder Bauwerkseigenbesitzers572 bzw. der Pflichterfüllung durch ihn aus, so spricht nichts dagegen, die gerade angestellten Überlegungen auf § 838 BGB zu übertragen573 , da bereits die besondere Verkehrssicherungspflicht des aus § 836 BGB originär Sicherungspflichtigen mit der Beweislastumkehr verbunden ist und im übrigen das Gefährdungspotential des Gebäudes für Dritte sowie die Beweisnot des Geschädigten574 durch die Übernahme nicht geringer wird. Im Ergebnis ist damit einerseits ein wirksames Vertragsverhältnis zur Begründung der Unterhaltungsübernahme entbehrlich, andererseits aber auch nicht allein der Besitz maßgeblich, weil die Pflicht auf den Vertrauens- und den Gefahrerhöhungsgedanken zu stützen ist. Diese Gedanken passen ebenso für bloße Gefälligkeitsvereinbarungen, welche folglich einzubeziehen sind575 • Auszuscheiden ist allerdings die einseitige "Übernahme" bei Geschäftsführung ohne Auftrag. Dafür bedarf es jedoch nicht des Rückgriffs auf die häufig genannte schützenswerte altruistische Motivation des Geschäftsführers576 . Immerhin könnte sich hierauf ebenso der gefälligkeitshalber Übernehmende berufen. Entscheidend nach dem bisher Gesagten ist vielmehr, daß es zu einer Einschaltung durch den eigentlich zur Gefahrenüberwachung Verpflichteten kommen muß 577 , so daß die Verkehrsteilnehmer sich auf das Tätigwerden des Übernehmers verlassen dürfen und der S68 Der Vertrauensgedanke wird auch von Larenz/Canaris, SchR 1112 13 , § 76 III 3 b) genannt, allerdings nicht auf § 838 BGB übertragen. S69 Herrmann, S. 332ff. lehnt dies ab, weil die Verkehrsteilnehmer über die Verhältnisse von Überlassendem und Übernehmenden nicht informiert seien. S70 RGRK/Steffen 12 , § 823, Rn. 129, der sich aber gegen die zu starke Betonung des Vertrauensgedankens wendet; Larenz/Canaris, SchR 1112 13 , § 76 III 3 b). S71 Ulmer, JZ 1969, S. 171, dem diese Begründung aber noch zu eng ist, weil die Fälle, in welchen dem Erstgaranten keinerlei andere Gefahrabwendungsmittel zur Verfügung stehen, nicht erfaßt würden. Solche Fälle dürften in der Praxis der Gebäude- und Werkhaftung freilich kaum auftauchen. Zum Aspekt der pflichtenbegründenden Gefahrschaffung durch Übernahme auch LarenziCanaris, SchR 1112 13 , § 76 III 3 b). sn BGH WM 1990, S. 1878 (1880) = BGH LM § 838 BGB Nr. 5. m So Münchener Kommentar/Stein 3 , § 838, Rn. 1. S74 ZU den Beweggründen für die Beweislastumkehr siehe oben B). m So für die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten Ulmer, JZ 1969, S. 172 unter Verweis auf RG JW 1906, S. 59; Weimar, VP 1968, S. 174. S76 SO aber Ulmer, JZ 1969, S. 169, der deshalb ein eigenes Interesse verlangt. Dieses Eigeninteresse nennt ebenfalls RGRK/ Kreft12, § 838, Rn. 3. mUlmer, JZ 1969, S. 172 nennt ein "Mindestmaß an Übereinkunft".

192 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Grundstücks- oder Bauwerksbesitzer seinerseits äquivalente Sicherungsmaßnahmen unterläßt. An einer so beschaffenen Einschaltung fehlt es aber bei einer tatsächlichen und einseitigen Übernahme. Eine weitere Einschränkung des Übernahmebegriffes ist dahingehend zu machen, daß die Einschaltung auf seiten des Übernehmers freiwillig erfolgt sein muß, so daß gesetzliche Verpflichtungen, wie beispielsweise die Vermögenssorge des gesetzlichen Vertreters aus §§ 1626 I, 1629 I BGB, nicht hinreichen578 . Dies ergibt sich aus dem Übernahmebegriff, welcher eine Freiwilligkeit impliziert579 • Von einer Übernahme kann keine Rede sein, wenn die daraus resultierende Verpflichtung einer Person bereits kraft Gesetzes obliegt oder nur bei Vorliegen von Befreiungstatbeständen abgewendet werden kann580• Nicht zu verwechseln mit der bloßen gesetzlichen Verpflichtung sind dabei die Konstellationen, in denen eine Vereinbarung getroffen wird, an die der Gesetzgeber die Unterhaltungspflicht geknüpft hat, wie dies beispielsweise für den Verwalter von Wohnungseigentum nach § 27 I Nr. 2 u. 3 WEG gilt. Hier ist neben der Bestellung gern. § 26 WEG eine freiwillige Annahme des VerWalters geboten581 , so daß unstreitig die Übernahme angenommen werden kann582 . Zu klären bleibt die insbesondere von der Rechtsprechung thematisierte Haftung von Konkurs- oder Zwangsverwalter. Daß eine solche Haftung notwendig ist, ergibt sich aus der entfallenden Verfügungs befugnis des Schuldners 583 • Es wäre unbillig, bei ihm persönlich nach § 836 BGB Regreß zu nehmen 584 , wenn er rechtlich und tatsächlich zur Gefahrabwendung nicht in der Lage war585 • Wenigstens· wird man ihm deshalb einen diesbezüglichen Entlastungsbeweis zugestehen müssen. Vorgeschlagen wird im Falle des S78 StaudingerIBellingIEberl-Borges I3 , § 838, Rn. 5; Oertmann 5 , § 838, Rn. 2 a); a.A. Lotze, S. 64f. Herrmann, S. 338ff. zieht allerdings auf der Grundlage des Besitzes als tragendem Verpflichtungsmoment § 838 BGB analog heran. S79 StaudingerISchäjer 12 , § 836, Rn. 8; Herrmann, S. 314f. leitet dies aus dem Gesamtkonzept des Gesetzgebers her, welches für die aus Übernahme resultierende Beweislasturnkehrhaftung einen Vertrag vorgesehen habe. S80 Letzteres ist der Fall beim Vormund (§§ 1780ff. BGB). S81 PalandtlBassenge 59 , § 26 WEG, Rn. 6; Münchener KommentarlRö1l 3 , § 26 WEG, Rn. 8 m. w. N. zum dort geführten Streit um die Vertrags- und Trennungstheorie. S82 Vgl. BGH NJW 1993, S. 1782 = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; OLG Düsseldorf, WuM 1995, S. 230. Die 2. Alternative des § 838 BGB ist deshalb nicht einschlägig, weil dem Verwalter kein Nutzungsrecht zusteht. S83 § 6 KO = § 80 I InsO; § 14811 ZVG. S84 Der Gemeinschuldner bleibt im Konkurs nach h. M. mittelbarer Besitzer, der Konkursverwalter erlangt unmittelbaren Fremdbesitz, so KilgerISchmidt 17 , § 6, Rn. 6 c); JaegerlHenckef, § 6, Rn. 47 mit Hinweis auf die Organtheorie, wonach die Konkursmasse als Besitzer anzusehen ist. Zum mittelbaren Besitz des Schuldners im Falle des § 150 11 ZVG siehe ZellerlStöber l5 , § 150, Rn. 3.5.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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Konkurses bzw. der Insolvenz weitergehend eine Beschränkung der Haftung auf die Masse586 . Wird nun aber der ursprünglich Verantwortliche dergestalt entlastet, wäre es ungerechtfertigt, dies zum Nachteil des Geschädigten gereichen zu lassen und den Verwalter von der Bauwerksverantwortung, in die er ja freiwillig einrückt587 , zu entheben. Zwar erfolgt die Einschaltung in die Pflicht nicht unmittelbar durch den eigentlich Sicherungspflichtigen, sondern das zuständige Gericht588 • Dennoch spricht nichts dagegen, die drohende Schutzlücke durch Anwendung des § 838 BGB zu vermeiden, da nach hier vertretener Auffassung wesentliche Elemente der Übernahme darin zu finden sind, daß diese auf seiten des Übernehmers einerseits freiwillig, andererseits aber nicht einseitig erfolgt. Beide Kriterien sind aber bei der Bestellung durch das Gericht erfüllt589 • Zudem drängt der Vertrauens- bzw. der Gefahrerhöhungsgedanke - womöglich noch stärker als bei einer freiwilligen Einschaltung durch den Grundstücksbesitzer - auf diese Subsumtion hin, weil sowohl der seiner Verfügungs- und Unterhaltungsbefugnis Beraubte, als auch potentielle Geschädigte gar keine andere Wahl haben, als sich auf den eingesetzten Verwalter zu verlassen590 . Festzuhalten bleibt als Normalfall die freiwillige Einschaltung des Übernehmers durch den originär Sicherungspflichtigen. Für Beginn und Ende der Übernahmeverpflichtung könnte, einern Vorschlag Ulmers 591 folgend, auf die berechtigte Erwartung des Eigenbesitzers in die schon beginnende bzw. noch andauernde Tätigkeit des Übernehmenden abgestellt werden. Dies wird meistens mit einer Besitzerlangung bzw. -aufgabe zusammenfallen, zwingend ist das freilich nicht. Auf diese Art und Weise läßt sich verhindern, daß der Übernehmer sich seiner Verantwortung ohne Wissen des Eigenbesitzers faktisch entzieht. Für die Besitzaufgabe wäre zur Vermeidung dieser Enthaftung zwar eine entsprechende Anwendung des § 836 11 BGB hilfreich592 . Diese Lösung versagt aber bei von vornherein nicht 585 Für Konkursverwalter Jaeger/Henckef, § 6, Rn. 50, dort auch zu den Besitzverhältnissen. 586 Jaeger/Henckef, § 6, Rn. 50, insoweit auf die Organtheorie Bezug nehmend. 587 Bestellung nach § 78 I KO = §§ 27 I, 56 InsO, aber keine Pflicht zur Annahme: KilgerISchmidt 17 , § 78, Rn. 2; für die Bestellung des Zwangsverwalters gern. § 150 I ZVG: ZellerlStöber l5 , § 150, Rn. 2.5. 588 § 78 I LV.m. § 71 KO = § 27 I i.V.m. § 2 InsO; § 150 I LV.m. § I ZVG. 589 Auch für den Übernahmevertrag wird allgemein nicht verlangt, daß dieser mit dem Grundstückseigenbesitzer abgeschlossen sein muß: ErmanlSchiemann 9 , § 838, Rn. 2; GeigellSchlegelmilch 22 , 19. Kapitel, Rn. 21. 590 Die alleinige Unterhaltungsbefugnis des Konkursverwalters gibt aus der Sicht von JaegerlHenckef, § 6, Rn. 50 den e~entlichen Ausschlag für dessen Haftung; ebenso StaudingerlBellinglEberl-Borges l , § 838, Rn. 4. 591 JZ 1969, S. 174. 592 So Herrmann, S. 340, die § 836 11 BGB allerdings ohnehin nur als Haftungsbegrenzung ansieht.

13 Petenhagen

194 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

erfolgter Besitzergreifung, was im übrigen ein weiteres Argument gegen den Besitz als tragenden Haftungsgrund des § 838 BGB darstellt. 2. Bedeutung des Innenverhältnisses für die Übernahme

Eine im Zusammenhang mit der Übernahme nach § 838 Alt. 1 BGB häufig erörterte Streitfrage ist die Wirkung des Innenverhältnisses zwischen Eigenbesitzer und Übernehmer. Nach Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bewirkt beispielsweise ein Verwaltervertrag keine Übernahme, wenn die Pflicht lediglich in der Überwachung des Gebäudezustandes und der Anzeige von Mängeln bestand, Maßnahmen zu deren Beseitigung aber nicht getroffen werden durften und auch keine finanziellen Mittel hierfür zur Verfügung gestellt wurden 593 . Ferner soll die Übernahme gerade die Sorge für Bau- und Werkschäden umfassen müssen, wofür die bloße Pflicht, eine Immobilie ,,in Ordnung zu halten" nicht unbedingt genüge594 • Die den Hausverwalter betreffende Rechtsprechung ist auf Kritik gestoßen. So wird argumentiert, daß es dem Geschädigten nicht zuzumuten sei, langwierige Ermittlungen bezüglich des Innenverhältnisses und damit der Passivlegitimation anzustellen s9s • Die Konsequenz, daß der nur zur Überwachung Berechtigte und Verpflichtete ebenfalls hafte, führe zwar zu einer Diskrepanz bezüglich der Haftung eines Mieters, welcher eine zusätzliche Unterhaltungsverpflichtung nicht übernommen habe 596 , und den lediglich nach § 545 BGB die Anzeige-, aber keine Unterhaltungspflicht im Sinne von § 838 BGB treffe. Dies sei aber durchaus gerechtfertigt, weil die Anzeige für den Mieter lediglich eine Neben-, für den Verwalter aber eine Hauptpflicht darstelle 597 . Den Hausverwalter treffe demnach stets die Übernahmehaftung598 • Die genannten Argumente, welche sich im übrigen offenbar auf die Hausverwalterverträge beschränken, überzeugen nur zum Teil. Daß das Innenverhältnis generell eine Rolle spielt, erschließt sich schon aus dem BGH VersR 1952, S. 207 (208) = BGH LM § 836 BGB Nr. 2. RG JW 1916, S. 1019. 59~ Wussow/Kuntz I4 , Rn. 613 unter Berufung auf AG Mainz, VersR 1955, S. 111; Weimar, MDR 1959, S. 724, im Ergebnis offenbar anders allerdings derselbe, VP 1968, S. 174. ~96 Vgl. hierzu BGH WM 1990, S. 1878 (1880) = BGH LM § 838 BGB Nr. 5. Sofern ein gesamtes Grundstück an den Mieter überlassen wird, soll regelmäßig eine zumindest konkludente Übernahme vorliegen, so Wussow/Kuntz l4 , Rn. 614. 597 Weimar, MDR 1959, S. 724f.; ähnlich Wussow/Kuntz l4 , Rn. 614. 598 Staudinger/Schäjer l2 , § 838, Rn. 11; Weimar, MDR 1959, S. 725; Wussow/ Kuntz l4 , Rn. 613. ~93

594

F. Die Anspruchsverpflichtung

195

hier für maßgeblich erachteten Aspekt der Einschaltung durch den originär Sicherungspflichtigen in die Unterhaltung. Um die Beweislastumkehr zu rechtfertigen, muß der übernommene Aufgabenbereich ein gewisses Maß überschreiten. Derjenige, welcher den Zustand eines Gebäudes lediglich überwacht, dem aber keinerlei Befugnisse zur Beseitigung eines etwa auftretenden Mangels zustehen, "unterhält" eben (noch) nicht. Es wurde bereits an anderer Stelle herausgearbeitet, daß Kennzeichen der objektiv mangelhaften Unterhaltung, also einer Anspruchsvoraussetzung des § 836 I BGB, letztlich die Nichtbeseitigung der Einsturz- bzw. Ablösungsgefahr ist599 • Es dürfen an den gleichlautenden Unterhaltungsbegriff in § 838 BGB nun keine erheblich geringeren Anforderungen gestellt werden. Der Hinweis, daß den in keiner Form zur Beseitigung befugten Hausverwalter im Gegensatz zum Mieter immer noch eine Hauptpflicht aus dem Vertrag treffe, ist demgegenüber formalistisch, wenn ersterem im Innenverhältnis rechtlich die Hände gebunden sind. Schwerer wiegt der Einwand der Beweisnot des Geschädigten, welche mit der Berücksichtigung des Innenverhältnisses verbunden ist. Diese Beweisschwierigkeit ist indes hinzunehmen, weil im Gegensatz zu § 837 BGB eine Schuldnermehrheit mit dem Grundstücks- bzw. Werkeigenbesitzer möglich ist. Der Geschädigte hat also in jedem Fall zunächst einmal die Gelegenheit, sich an den Besitzer zu wenden. Häufig wird dieser schon von sich aus das Innenverhältnis zum Hausverwalter offenlegen, um eine Inanspruchnahme aus § 836 I BGB zu vermeiden600• Zustimmung verdient deshalb die von der Rechtsprechung entwickelte Auffassung, wonach die Übernahme einzelner das Bauwerk betreffende Verpflichtungen nicht genügt, sondern nur ein Mindestmaß an Mangelbeseitigungsbefugnissen obligatorisch wirkt601 • Ein solches Mindestmaß wurde auch dann angenommen, wenn Beseitigungsmaßnahmen nur innerhalb eines gewissen finanziellen Rahmens getroffen werden durften und bei dessen Überschreiten genehmigungsbedürftig waren 602 oder sich die Unterhaltungspflicht allein auf die Standsicherheit eines Bauwerkes bezog603 • Letztere Entscheidung bewegt sich freilich bereits im Übergangsbereich, da der VerOben D III 2. Ob er der Inanspruchnahme tatsächlich entgehen kann, steht auf einem anderen Blatt und hängt mit der noch beim Entlastungsbeweis zu behandelnden Frage, inwieweit der Besitzer durch Einschaltung Dritter seiner Sorgfaltspflicht genügen kann, zusammen. 601 BGH WM 1990, S. 1878 (1879) = BGH LM § 838 BGB Nr. 5; BGH VersR 1952, S. 207 = BGH LM § 836 BGB Nr. 2; BGH VersR 1953, S. 340 = BGH LM § 838 BGB Nr. 3; ebenso Münchener Kommentar/Stein3 , § 838, Rn. 3: Die Unterhaltungspflicht könne sich auf bestimmte abgrenzbare Teile eines Gebäudes beschränken, z. B. beim Wohnungsverwalter auf das Gemeinschaftseigentum. 602 BGHZ 6,315 = BGH LM § 838 BGB Nr. 2. S99

600

13·

196 § 4 Voraussetzungen der Oebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

pflichtete nur der Polizei behörde Meldung erstatten mußte, um diese zu einem für ihn kostenlosen Abbruch zu veranlassen. Der BGH gründet sein Urteil in diesem Fall folglich darauf, daß die Entscheidungsfreiheit des Beklagten nicht nur "für kleinere Maßnahmen, sondern vor allem für die erforderlichen Abbrucharbeiten" eröffnet war604 • Die bloße Wamfunktion einer Person ist demnach für eine Übernahme qualitativ ungenügend. Hier bleibt bei schuldhafter Unterlassung nur der Rückgriff auf § 823 I BGB. 3. Unterhaltungspflicht durch Nutzungsrecht (§ 838 Alt. 2 BGB)

Die Unterhaltungspflicht kraft Nutzungsrechtes erfährt in der Literatur meist eine recht stiefmütterliche Behandlung, die sich in der Aufzählung von Beispielen erschöpft. Genannt werden der Nießbraucher, den eine Pflicht aus § 1041 BGB trifft60S , der Inhaber einer Grunddienstbarkeit, welcher in deren Ausübung eine Anlage hält (§ 1020 S. 2 BGB)606 sowie Eltern, denen ein Nutzungsrecht am Vermögen des Kindes zusteht (§ 1649 TI BGB)607. Die Gesetzesmaterialien beschränken sich auf den Hinweis, es solle klargestellt werden, daß der Nutzungsberechtigte nicht nur dem Eigentümer, sondern auch Dritten gegenüber zur Unterhaltung verpflichtet sei, wobei beispielhaft Nießbrauch und Wohnungsrecht aufgeführt sind608 . Das Charakteristische der Haftungsvariante ist damit aber noch nicht herausgearbeitet. Klarheit herrscht insoweit, als das Nutzungsrecht nicht mit gesondertem Eigenbesitz am Bauwerk in Verbindung stehen darf, weil § 837 BGB hier die speziellere Norm darstellt609 . Als Anknüpfungspunkt bietet sich im übrigen die bereits veranschaulichte erste Alternative des § 838 BGB, näm-

603 BOH VersR 1953, S. 340 = LM § 838 BOB Nr. 3. Dieser Entscheidung lag der bereits von BOH VersR 1952, S. 207 = LM § 836 BOB Nr. 2 verhandelte Sachverhalt zugrunde. Die Sache war zur Aufklärung des genauen Umfanges der Unterhaltungspflicht zurückverwiesen worden und gelangte im Wege der Revision erneut vor den BOH. 604 BOH VersR 1953, S. 340 = LM § 838 BOB Nr. 3. 60S Nach niederländischem Recht haftet der Nießbraucher hingegen nicht, vgl. oben § 3 D 11. 606 Mißverständlich wird häufig allein § lO21 BOB genannt, was den Blick dafür verstellt, daß es sich um eine gesetzliche Verpflichtung kraft Nutzungsrecht handeln muß, da die rechtsgeschäftliche Übernahme bereits durch die 1. Alternative des § 838 BOB voll abgedeckt wird. Zutreffend Lotze, S. 65. fm StaudingerIBellinjIEberl-Borges I3 , § 838, Rn. 8; PalandtlThoma;9, § 838, Rn. 1; Soergel/Zeuner l , § 838, Rn. 4; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 838, Rn. 6; RORK/KreftI2, § 838, Rn. 6; Kaulfers, S. 48ff.; Lotze, S. 65ff. 608 Prot. 11, S. 657. 609 Oertmann S , § 838, Anm. 2 b); Herrmann, S. 317f.

F. Die Anspruchsverpflichtung

197

lich die freiwillige Einschaltung, die nicht an das Bestehen eines Nutzungsrechtes gebunden ist, an. Aus dem Wortlaut der 2. Alternative ist zunächst zu entnehmen, daß ein Nutzungsrecht bestehen muß, an das der Gesetzgeber eine Unterhaltungspflicht gekoppelt hat. Über Art und Entstehung des Nutzungsrechtes schweigt sich der Gesetzestext aus. Nun sind diesbezüglich mehrere Varianten denkbar. So könnte man (1.) an ein sowohl gesetzlich entstandenes, als auch freiwillig eingeräumtes Nutzungsrecht denken, bei dem die Unterhaltungspflicht vom Berechtigten freiwillig übernommen wurde. Diese Deutung erscheint aber nicht plausibel, da sie bereits durch § 838 Alt. I BGB voll erfaßt wird61O • Genau entgegengesetzt würde man interpretieren, wenn man (2.) nur gesetzlich entstandene Nutzungsrechte anerkennt, die mit einer gesetzlichen Obligation verbunden sind. Damit wäre zwar der 2. Alternative des § 838 BGB im Verhältnis zur freiwilligen Übernahme ein selbständiger Anwendungsbereich zugewiesen, dieser wäre indes denkbar gering611 . Noch entscheidender spricht gegen eine derartig enge Interpretation, daß die gerade zuvor erwähnten Äußerungen in den Gesetzesmaterialien hierfür keinen Anhaltspunkt bieten. Ernsthaft in Betracht kommen also nur die Ansätze, daß die Obligation aus dem Nutzungsrecht eine gesetzliche ist, das Nutzungsrecht selbst aber (3.) sowohl auf gesetzlicher als auch auf freiwilliger Basis612 oder (4.) nur auf freiwilliger Einräumung beruhen kann613 • Für die Beschränkung auf eine rein freiwillige Einräumung läßt sich die Anbindung an die Übernahme ins Feld führen 614 • § 838 Alt. 2 BGB hätte demnach einen nur deklaratorischen Charakter für Nutzungsrechte, da die freiwillige Übernahme, welche gesetzliche Verpflichtungen nach sich zieht, an sich schon der 1. Alternative zuzuordnen ist615 • Zur Schließung von Schutzlücken sollte man sich mangels gegenteiliger Hinweise in Wortlaut und Materialien indes nicht davor versperren, bei den (zudem praktisch weniger relevanten) Fällen, in denen das Nutzungsrecht kraft Gesetzes zur Entstehung gelangt und ausgeübt wird, die 2. Haftungsalternative zu bejahen. Inhaltlich angemessen ist dieses Ergebnis auch deshalb, weil der gesetzlich Berechtigte den Nutzen aus dem Bauwerk zieht. Die Verpflichtung aus bestehendem Nutzungsrecht besitzt nach dieser Lesart eine teils deklaratorische, teils konstitutive Natur. Vgl. oben bei Fn. 606. Als Fälle des gesetzlich entstandenen Nießbrauches wird beispielsweise die Surrogation nach § 1075 BGB oder § 63 BauGB genannt: Münchener Kommentar/ Petzold3 , vor § 1030, Rn. 25 m.w.N. 612 Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 838, Rn. 8; RGRK/ Kreft12, § 838, Rn. 6. 613 So Herrmann, S. 318. 614 Herrmann, S. 318. 615 Vgl. oben im Text bei Fn. 582. 610 611

198 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Bei der Art des Nutzungsrechtes steht der Einbeziehung von obligatorischen Verhältnissen, wie der Pacht616, nichts im Wege 617 • Die Nennung von dinglichen Rechten in den Materialien618 hat nur einen beispielhaften Charakter und ist dem nicht hinderlich, zumal - wie gerade erwähnt - die freiwillig begründeten obligatorischen Nutzungsrechte mit gesetzlicher Unterhaltungspflicht ohnehin schon durch die Alternative der Übernahme abgedeckt werden. Nachdem die Haftungsvariante wie vorstehend umrissen wurde, soll nunmehr noch auf zwei damit zusammenhängende spezielle Fragen eingegangen werden: a) Anzeigepflicht des Nießbrauchers gern. § 1042 S. 1 BGB Der Nießbraucher ist nach § 1041 S. 2 BGB zur Vornahme von Maßnahmen zur gewöhnlichen Unterhaltung verpflichtet. Bei außergewöhnlichen Maßnahmen oder Erneuerungen trifft ihn nach § 1042 S. 1 BGB eine Anzeigepflicht. Wie liegt es nun, wenn der Nießbraucher eine solche Anzeige unterläßt, ohne daß ihm ein Verschulden nachzuweisen wäre? Wohl überwiegend hält man hier § 838 Alt. 2 BGB für die dem Geschädigten hilfreiche Haftungsvariante619 • Dieses Ergebnis ist durchaus nicht ohne weiteres einleuchtend, da zuvor festgestellt wurde, daß eine auf Wamfunktionen beschränkte Tätigkeit für eine Übernahme nach § 838 Alt. 1 BGB nicht hinreicht620 und die beiden Alternativen einander in weiten Bereichen überschneiden. Der drohende Widerspruch löst sich jedoch dadurch auf, daß Überprüfung und Warnung durchaus als Teilobligation zur Unterhaltung gehören können. Die Übernahme wurde nur für den Fall abgelehnt, in dem keinerlei eigenständigen Gefahrenabwehrbefugnisse bestanden. Dies liegt beim Nießbrauch jedoch anders, da der Nießbraucher nach § 1043 BGB zu außergewöhnlichen Ausbesserungen auch selbst berechtigt ist621 und dafür sogar auf Bestandteile des Grundstückes zurückgreifen darf. Diese weitreichenden Befugnisse rechtfertigen es, ihm die Beweislastumkehr gern. § 838 Alt. 2 BGB bei unterlassener Mängelanzeige aufzuerlegen. Vgl. § 582 I u. § 586 I BGB. So auch Kaulfers, S. 49; Herrmann, S. 317, die zusätzlich noch die Leihe (§ 601 BGB nennt). Enger wohl BGH WM 1990, S. 1878 (1879) = LM § 838 BGB Nr. 5; dem folgend OLG Düsseldorf, NZA-RR 1998, S. 289 (290). 618 Prot. TI, S. 657. 619 Delius, S. 20; Kaulfers, S. 48f.; Lotze, S. 66; a.A. Katzschner, S. 64. In den Gesetzesmaterialien findet sich nur der Hinweis auf die Instandhaltungsverpflichtung, deren Umfang aber nicht näher umrissen wird: Prot. 11, S. 657. 620 Zur Relevanz des Innenverhältnisses oben F IV 2. in diesem Abschnitt. 621 Vgl. insofern auch die Aufwendungsersatzregelung des § 1049 I BGB. 616 617

F. Die Anspruchsverpflichtung

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b) Nutzungsrecht der Eltern gern. § 164911 BGB Das zweite zu erörternde Problem entsteht, wenn Eltern ein ihrem noch minderjährigen Kind gehöriges Bauwerk nutzen. Da die Pflicht zur Vermögenssorge durch Gesetz entsteht, kommt es nach überwiegender und zutreffender Ansicht nicht zu einer Übernahmehaftung622 . Vielfach werden die Eltern jedoch dennoch als verpflichtet angesehen, weil § 1649 11 BGB ein Nutzungsrecht darstelle, welches sie zur Unterhaltung verpflichte623 • Die Intention der wohl h. M. ist unschwer nachzuvollziehen: Der Minderjährige selbst haftet mangels Deliktsfähigkeit allenfalls aus Billigkeitsgründen (§ 829 BGB). Für das Verhalten seiner gesetzlichen Vertreter hat er ebenfalls nicht einzustehen, weil bei § 278 BGB mit der heute ganz überwiegenden Ansicht eine Sonderverbindung zu verlangen ist624 • Um den Geschädigten die Vorteile der Gebäude- und Werkhaftung nicht gänzlich zu entziehen, wird § 838 Alt. 2 i. V.m. § 1649 11 BGB herangezogen. Dies fallt nicht zuletzt deshalb leicht, weil man es nicht als ungerecht empfinden wird, dem Nutznießer einer Sache auch die hiermit verbundenen Unannehmlichkeiten aufzuerlegen. Ein wünschenswertes Ergebnis darf indes nicht den Blick dafür trüben, daß es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Den dogmatischen Hauptmangel der Lösung hat Herrmann formuliert625 : § 838 Alt. 2 BGB setzt voraus, daß die Bauwerksunterhaltungspflicht aus dem Nutzungsrecht resultiert. § 1649 11 BGB ermöglicht zwar eine Nutzung, begründet aber nicht die Unterhaltungspflicht. Die Pflicht entsteht vielmehr unabhängig von der Nutzung626 • Erklärlich wird die h.M. nur dadurch, wenn man sie mit Blick auf die vor dem Erlaß des Gleichberechtigungsgesetzes627 bestehende Rechtslage interpretiert628 • Nach § 1649 BGB a.F. stand dem Inhaber der elterlichen Gewalt629 das Recht zur Nutznießung am KindesverVgl. oben bei Fn. 578. RG JW 1915, S. 580 sowie die in Fn. 607 Genannten. 624 Ablehnend für eine Zurechnung RG JW 1915, S. 580; Weimar, MDR 1957, S. 272; a. A. WindscheidlKipp, S. 953; für den Deliktsunfähigen auch Wolterhoff, S.25. 625 Herrmann, S. 318. 626 Die Vennögenssorge nach § 1626 I BGB erstreckt sich u. a. auf tatsächliche Maßnahmen, die den Grundbesitz betreffen: PalandtlDiederichsen s9 , § 1626, Rn. 18f.; StaudingerIPeschel-Gutzeit I2 , § 1626, Rn. 64 u. 66. 627 Gesetz vom 18.6. 1957, BGBl. I 609. 628 Hierauf beziehen sich noch Latze, S. 66f. sowie Kaulfers, S. 49f.; ebenso Weimar, MDR 1957, S. 272. 629 Als nutznießnungsberechtigt galten wegen des 1953 ins Grundgesetz einführten Gleichberechtigungsgrundsatzes beide Elternteile gemeinsam: StaudingerlEng12 • . ler , § 1649, Rn. 6 m. w.N.; Weimar, MDR 1957, S. 272. 622 623

200 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

mögen zu, er war jedoch gern. § 1654 BGB a. F. zur Tragung der Lasten verpflichtet63o . Hier resultierte die Unterhaltungspflicht eindeutig aus dem Nutzungsrecht. Zudem war es, wie bereits erwähnt, nicht unbillig, der umfangreichen Nutzungsberechtigung des Inhabers der elterlichen Gewalt eine deliktische Haftung mit Beweislastumkehr korrespondieren zu lassen, zumal gern. § 1662 BGB a. F. ein Verzicht auf die Nutznießung möglich war. Diese Interessenlage legitimierte eine Erstreckung der Gebäude- und Werkhaftung auf das gesetzlich entstandene Recht der Eltern631 . Nachdem der Wortlaut des § 838 Alt. 2 BGB wegen der Umgestaltung der farnilienrechtlichen Regelungen diese Haftung heute nicht mehr trägt, wäre nur noch der Analogieschluß zu erwägen. Daß dieser im Ergebnis greift, muß indes angesichts der reduzierten Verwendungsbefugnis des § 1649 11 BGB n. F. und der "Abkehr von der eigennützigen Verwaltung des Kindesvermögens durch die Eltern,,632 bezweifelt werden. Es liegt näher, von einem Handlungsbedarf für den Gesetzgeber auszugehen. Eine mit Beweislastumkehr ausgestattete deliktische Bewehrung der Verletzung von Bauwerksunterhaltungspflichten durch gesetzliche Vertreter, für die offensichtlich Bedarf besteht633 , ließe sich möglicherweise mittels eines, bisher wenig diskutierten, anderen Ansatzpunktes erreichen. Man müßte sich dafür entscheiden, eine mangelhafte Errichtung oder Unterhaltung als unerlaubte Handlung der deliktsunfähigen Person anzusehen, für die nach § 832 I BGB der Aufsichtspflichtige den Nachweis der Erfüllung seiner Pflicht zu erbringen hat. Die Lösung hat für sich, daß der Wortlaut eine solche Subsumtion zuläßt, da ein Verschulden des zu Beaufsichtigenden gerade nicht verlangt wird634 . Inhaltlich tauchen indes Bedenken auf, ob man die Aufsichtspflichtverletzungshaftung wirklich als Substitut für einen inzwischen als unzureichend empfundenen Schutz des § 838 BGB gebrauchen kann. Denn darauf läuft es hinaus, wenn man beispielsweise Eltern generell für die unzureichende Unterhaltung von ihren Kindern gehörigen Gebäuden in die Pflicht nimmt. Effektiver Schutz läßt sich eben nur erzielen, wenn die Eltern über die sonst für § 832 BGB üblichen Anweisungen und Verbote an den Minderjährigen hinaus gewissermaßen im Wege der Ersatzvornahme selbst die notwendigen baulichen Maßnahmen veranlassen. Die bloße Ermahnung zur Ausbesserung muß beispielsweise bei einem ABC-Schützen fruchtlos verlaufen, da dieser die Lage kaum wird überblik630

Zur alten Rechtslage: Staudinger/Engler 12 , § 1649, Rn. 1 ff.

Für die Anwendbarkeit von § 838 Alt. 2 auf gesetzlich entstandene Nutzungsrechte siehe oben bei IV 3. 631

632 633

634

b).

Staudinger/Engler l2 , § 1649, Rn. 9. Herrmann, S. 338 ff. wendet § 838 BGB hierfür analog an. Palandt/Thomas59 , § 832, Rn. 10; Larenz/Canaris, SchR 1112 13 , § 79 IV 2

F. Die Anspruchsverpflichtung

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ken können und insofern auf die Hilfe seiner Erziehungsberechtigten angewiesen ist635 • Dann handelt es sich in Wahrheit aber nicht mehr um ein Einstehen für ein Fehlverhalten des Schutzbefohlenen, sondern um eine verkappte Erweiterung des Pflichtigenkreises der §§ 836ff. BGB - ein in diesem Ausmaß mit der Konzeption sowohl der Aufsichtspflichtigen-, als auch der Gebäude- und Werkhaftung nicht in Einklang zu bringendes Ergebnis. Für § 832 BGB verbleibt demnach der beschränkte Anwendungsbereich, daß der Schutzbefohlene zur Mangelbeseitigung ohne weiteres selbst in der Lage ist und die zur Aufsicht verpflichteten Personen ein auf diese Beseitigung gerichtetes Einwirken unterlassen 636 • Im übrigen muß sich der Geschädigte mit einer beispielsweise aus elterlicher Verfügungsgewalt über das Gebäude637 herzuleitenden Haftung aus § 823 I BGB behelfen und auf ein Tätigwerden der Legislative hoffen. Ob es hierzu kommen sollte, ist nicht zuletzt mit Blick auf andere Rechtsordnungen diskutabel. So hat sich beispielsweise der niederländische Gesetzgeber gegen ein Einrücken des gesetzlichen Vertreters in die Bauwerkshaftung entschieden638 , was sich allerdings (auch) durch deren Ausgestaltung als verschuldensunabhängiger Tatbestand erklären läßt639 • Es spricht zumindest nichts dagegen, die Verantwortlichkeit de lege ferenda um einen die Nutzung aus dem Kindesvermögen ziehenden gesetzlichen Vertreter zu erweitern, da in diesem Fall zu dessen Verwaltungstätigkeit am Grundbesitz ein Eigeninteresse hinzutritt.

V. Ersetzung des Eigenbesitzer- durch das Haltermodell Rechtspolitisch stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, das in §§ 836-838 BGB normierte Modell einfach durch den insbesondere aus der

Gefährdungshaftung geläufigen640 Halter- bzw. Inhaberbegriff zu ersetzen. Verantwortlich wäre demnach derjenige, welcher tatsächlich in der Lage ist, auf das Bauwerk bzw. das Bauwerksteil einzuwirken, die notwendigen Reparaturen daran vorzunehmen und dieses im eigenen Interesse in Gebrauch hat64 !. Es stehen demnach tatsächliche und nicht rechtliche Über63S Zur Ineffektivität der Aufsichtspflicht für die Fälle der Zustandshaftung allgemein: v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 166. 636 Vgl. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 166. 637 Zum Recht zur Inbesitznahme von Kindesvermögen z. B. PalandtlDiederichsen59 , § 1626, Rn. 19; StaudingerIPeschel-Gutzeit I2 , § 1626, Rn. 64. 638 Oben § 3 D V. 639 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 163: Für einen verschuldensunabhängigen Unglücksfall könne ein Aufsichtsversagen nicht kausal sein. 640 Vgl. § 7 StVG; § 2 HaftpflichtG; § 1 UmweltHG; § 22 11 WHG; § 833 S. 1 BGB. 641 Zu diesen Zurechnungsgründen im Rahmen der Gefährdungshafiungstatbestände allgemein: LarenzlCanaris, SchR 11/2 13, § 84 I 2 a). Vgl. im übrigen zu § 2

202 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

legungen im Vordergrund642 • Hierfür könnte bereits die Rechtsentwicklung sprechen, wonach zu verzeichnen ist, daß der Gesetzgeber bei der Haftung für Sachen mehr und mehr auf die Haltereigenschaft bzw. Inhaberschaft übergegangen ist, wobei verschuldensabhängige Tatbestände nicht ausgenommen sind643 • Anderes ergibt sich insoweit auch nicht aus der Herstellerverpflichtung des Produkthaftungsgesetzes644 , weil für die Produkthaftung nicht allein der mangelhafte Zustand einer Sache kennzeichnend ist, sondern der Vorgang des Inverkehrbringens645 , also die Aufgabe der Herrschaftsgewalt zugunsten eines anderen646 • In Österreich orientiert man sich im übrigen bereits de lege lata, trotz der Nennung des Besitzers in § 1319 ABGB, am Gebäudehalterbegrif~7, wobei sich eine entsprechende Auslegung im deutschen Recht angesichts der Definition des Besitzers als Eigenbesitzer (§ 836 III BGB) derzeit verbietet. Gegen die Einführung des Halterbegriffs kann man einwenden, daß im Vergleich zu dem ausdifferenzierten Pflichtigenmodell der §§ 836-838 BGB ein Rückschritt in puncto Rechtsklarheit getan würde. Diesem Einwand läßt sich aber dadurch begegnen, daß die bisherigen Maßstäbe keinesfalls aufgegeben werden müssen, sondern vielmehr in den Halterbegriff einbezogen werden können und sollen. Im Wege einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung empfiehlt es sich insbesondere, das Institut der Nachhaftung (§ 836 n BGB) beizubehalten, um eine Enthaftung durch Dereliktion zu verhindern648 • Demgegenüber ließen sich die durch §§ 837 HaftpflichtG Z.B.: BGH NJW 1989, S. 104; OLG Naumburg, VersR 1994, S. 1432 (Haftung des Verwalters); Geigel/Kunsche,.r2, Kap. 22, Rn. 42; Filthaut, NZV 1989, S. 462, welcher vornehmlich auf die tatsächliche Verfügungsgewalt abstellt. Zu § 1 UmweltHG: StaudingerIKohler 13 , § 1 UmweltHG, Rn. 82 u. 84; Geigel/ Schlegelmilch22 , Kap. 24, Rn. 46 und zu § 22 11 WHG: OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 1069. Für den Halterbegriff nach § 7 StVG: BGRZ 116, 200 (205f.); Geigel/Kunsche,.r2, Kap. 25, Rn. 19ff. Zu § 833 BGB siehe PalandtlThomas59 , § 833, Rn. 9; Münchener Kommentar/Stein 3, § 833, Rn. 18ff. m.w.N. 642 Vgl. BGH NJW 1989, S. 104; Filthaut, NZV 1989, S. 462; StaudingerlKohler 13 , § 1 UmweltHG, Rn. 84; deutlich auch BGRZ 32, 332 (333) m. w.N., wo auf die Bedeutsamkeit wirtschaftlicher Gesichtspunkte hingewiesen wird. 643 Siehe § 833 S. 2 BGB. 644 § 1 I ProdHaftG u. § 4 ProdHaftG. 645 § 1 11 Nr. 1-5, § 3 I c) ProdHaftG. Siehe auch StaudingerIOechsler 13 , § 1 ProdHaftG, Rn. 1, wo dies als zentraler Haftungsaspekt bezeichnet wird. 646 Vgl. PalandtlThomas59 , § 1 ProdHaftG, Rn. 14; Münchener Kommentar/ Cahn3 , § 1 ProdHaftG, Rn. 18 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung. Siehe auch die Legaldefinition in § 3 11 ProdSG. 647 Siehe Rummel/Reischauer2, § 1319, Rn. 12 m.w.N. sowie oben § 3 All. Nach tatsächlichen Gesichtspunkten bestimmt sich auch die Person des occupier nach dem OLA 1957, vgl. oben § 3 EIl b) zur Rechtslage in England.

F. Die Anspruchsverpflichtung

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und 838 BGB erfaBten Fälle bereits mittels des Halterbegriffs abdecken und umgekehrt diese Normen zur Konkretisierung bemühen649 • Weitergehend wird aber eine Flexibilität erreicht, mittels derer besonderen Konstellationen Rechnung getragen werden könnte und welche bei dem momentanen Normgefüge in mancher Hinsicht zu vermissen ist. Nicht plausibel ist insbesondere die unter dem Gesichtspunkt der §§ 836ff. BGB bestehende weitgehende Haftungsimmunität eines nicht unterhaltungspflichtigen Fremdbesitzers. Eine Lücke in der Gebäudehaftung kann beispielsweise - wie schon geschildert - entstehen, wenn der Mieter einer Wohnung für die Dauer seiner Mietzeit einen Fensterladen anbringt, dessen Befestigung arn Gebäude sich löst und der beim Herabfallen einen Unfall verursacht. Der Mieter haftet gegenwärtig - vorbehaltlich .der allgemeinen deliktischen Verantwortlichkeit aus § 823 I BGB - nur nach § 837 BGB, wenn dieser Laden eine gewisse Größe und Schwere aufweist und deshalb als Werk zu qualifizieren ist65o• Mit dem Halterbegriff läßt sich dagegen eine Haftung problemlos begründen651 , wobei eine parallele Verantwortlichkeit des Eigentümers (und mittelbaren Eigenbesitzers) mit der des Mieters durchaus nicht ausgeschlossen wird652 • Auch die Konstellation der gleichwertigen Kontrollmöglichkeit eines Werkes durch dessen Eigenbesitzer (§ 837 BGB) und den Grundstückseigenbesitzer, die z. B. bei umstürzenden Grabsteinen im Verhältnis der Friedhofsgemeinde zum Grabstelleninhaber auftritt653 , ließe sich mit der Möglichkeit einer parallelen Haftung einer sinnvollen Lösung zuführen. Schließlich könnte man auf diese Weise einen gesetzlichen Vertreter, welcher Nutzungen aus dem Kindesvermögen zieht, in die Verantwortung nehmen654 • 648 Ein entsprechender Ansatz findet sich auch im (privaten) Umwelthaftungsrecht mit § 2 11 UmweltHG. Die Dereliktionsproblematik ist im übrigen auch im öffentlichen Gefahrenabwehrrecht in den Polizeiaufgabengesetzen der Länder geregelt worden, vgl. z.B. § 8 III ThürPAG; § 11 III ThürOBG; § 8 III NGefaG. 649 Vgl. z.B. OLG Naumburg, VersR 1994, S. 1432 (Halterhaftung nach § 2 HaftpflichtG bei Abschluß eines Verwaltervertrages). Zur Indizwirkung vertraglicher Abreden bei § 7 StVG: Geigel/Kunsche,.r2, Kap. 25, Rn. 20. 650 Siehe oben F III am Ende und C III. 651 Vgl. nur die österreichische Jurisdiktion zur Gebäudehaftung: .EvBI 19681192; Miet 37.205. Zur Haftung des Mieters nach § 823 I BGB für den von ihm beherrschten Bereich: RGRKI Kreftl2, § 823, Rn. 215. Siehe ferner zur Haftung des Mieters nach § 7 StVG: BGHZ 32, 332 (333); auch BGHZ 116, 200 (205). 652 Siehe RGRKIKreft12, § 823, Rn. 215 zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht; auch OLG Köln, NJW-RR 1990, S. 224; vgl. zum Nebeneinander der Haftung von Vennieter und Mieter für die Haltereigenschaft nach § 7 StVG z. B. BGHZ 32, 332 (333); auch BGHZ 116, 200 (205). Zur Rechtslage in Großbritannien oben § 3 EIl b). 653 BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2; ausführlich oben F III bei Fn. 524.

204 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Es wäre deshalb zu begrüßen, wenn sich der Gesetzgeber - wie schon bei der Schaffung der Gebäude- und Werkhaftling mit der Ablehnung der Eigentümerverpflichtung - zu einem weiteren Schritt in Richtung eines flexibleren und auch unter präventiven Gesichtspunkten655 effizienteren Haftungsmodells entschließen und bei der Bestimmung des Pflichtigen künftig den Halterbegriff zugrunde legen würde.

G. Beweislastfragen Die Beweislastverteilung bei der Haftung für Bauten birgt auf den ersten Blick keine größeren Komplikationen. Solche zeigen sich erst im Zusammenhang mit der Verschuldensvermutung und rühren von der besonderen tatbestandlichen Struktur der Grundnorm (§ 836 I BGB) her. Hiernach obliegt es dem Eigenbesitzer eines Gebäudes oder Bauwerkes, wenn dieses infolge fehlerhafter Errichtung oder Unterhaltung einstürzt oder sich Teile davon lösen und hierdurch ein geschütztes Rechtsgut beeinträchtigt wird, die Einhaltung der zur Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu beweisen. I. Zum Beweisthema des Geschädigten gehörende Umstände

Der Nachweis des gegenwärtigen oder früheren (§ 83611 BGB) Eigenbesitzes gehört nach heute ganz überwiegender Ansicht zum Beweisthema des Geschädigten656, wobei Gleiches bezüglich der die Zustandsverantwortlichkeit begründenden Tatbestände der §§ 837, 838 BGB zu gelten hat657 • Bei § 837 BGB wäre demnach der Eigenbesitz am Bauwerk seitens des Fremdbesitzers am Grundstück658 , bei § 838 BGB die Übernahme der Unterhaltung bzw. das Bestehen eines hierzu verpflichtenden Nutzungsrechtes659 zur Überzeugung des Gerichtes darzulegen. Für den Eigenbesitzer i. S. d. § 836 m BGB wurde eine Vermutung dergestalt erwogen, daß der Inhaber der tatsächlichen Gewalt bis zum Beweis des Gegenteils als ein solcher angesehen werden müsse660• Eine solche Vermutung weist tendenziell immerhin in Was nach richtiger Auffassung derzeit nicht möglich ist, vgl. oben F IV 3 b). Zum - umstrittenen - Stellenwert der Prävention bei Schadensersatz und Haftung allgemein: StolI, Haftungsfolgen, S. 147ff. u. 217ff.; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 293f. m. w.N.; auch Lange, Schadensersatz2, S. 9ff., welcher der Bedeutsamkeit bei der Schadensersatzverpflichtung eher skeptisch gegenübersteht. 6S6 BGH LM § 836 BGB Nr. 9 = BGH VersR 1956, S. 348; Baumgänel/Laumen2 , § 836, Rn. 2; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 71; Jauemigl Teichmann 9 , § 836, Rn. 11. 6S7 Baumgärtel/Laumen 2 , § 837 Rn. 1 u. § 838, Rn. 1. 6S8 Zum Erfordernis des Eigenbesitzes oben F III. 6S9 Hierzu oben F IV 3. 6S4

6SS

G. Beweislastfragen

205

die Richtung des bereits als vorzugswürdig herausgestellten Halterbegriffs. Inhaltlich geht diese Lösung indes zu weit, da die Unterhaltungspflicht und -möglichkeit für Grundstücke und darauf befindliche Gebäude in der Rechtswirklichkeit oftmals nicht - oder wenigstens nicht allein - den unmittelbaren Besitzer treffen wird661 . Auch dogmatisch entbehrt die Lösung einer tragfahigen Grundlage, da § 1006 BGB, über den die Herleitung einer Eigenbesitzvermutung denkbar ist662 , bei Immobilien gerade nicht zur Anwendung gelangt. Eine andere Überlegung wäre es, zu Lasten des im Grundbuch eingetragenen Eigentümers den (Eigen-)Besitz zu vermuten. Hierfür müßte aber zum einen eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, wie dies in den Niederlanden mit Art. 6:174 Abs. 4 B.W. geschehen ist663 , da § 891 BGB lediglich eine Vermutung in rechtlicher Hinsicht beinhaltet664 , die- den Besitz als solchen nicht einschließt. Zum anderen bedeutete dies eine teilweise Hinwendung zum Eigentümerverpflichtetenmodell, dessen UnfIexibilität in bezug auf die Gefahrabwendungsmöglichkeit bereits in den Entwürfen des BGB erkannt und deshalb zu Recht abgelehnt wurde 665 • Darzutun ist ferner das Vorliegen eines Baumangels, also die objektiv fehlerhafte Errichtung oder Unterhaltung eines Bauwerkes sowie der Einsturz oder die Ablösung von Teilen desselben666 • Der Geschädigte hat im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestandes schließlich noch eine Rechtsgutsverletzung sowie die "doppelte Kausalität" hierfür zu beweisen, also die Ursächlichkeit des Mangels für den Einsturz oder die Ablösung und wiederum deren Ursächlichkeit für die erlittene Rechtsgutsverletzung667 • Er muß letztlich darlegen, daß die Schädigung auf einer Verwirklichung der in § 836 I 1 BGB normierten Bauwerksgefahr beruht. ErforderDelius, S. 16 m.N. Nach § 536 BGB ist dies bei Mietverhältnissen der Regelfall. 662 BGH NJW 1994, S. 939 (940); PalandtlBassenge S9 , § 1006, Rn. 4; Münchener KommentarlJoosf, § 1006, Rn. 10. 663 Oben § 3 D 11. 664 Münchener Kommentar/Wacke 3 , § 891, Rn. 1; BaurIStümer17 , § 10 III. 66S Mot. 11, S. 818f.; Prot. 11, S. 655f. und oben § 2 E). 666 Letzteres wird in aller Regel gelingen und bedarf deshalb üblicherweise keiner Erwähnung. Eine Ausnahme bildet der in Österreich entschiedene Fall EvBI. 1958/5, wo nicht nachgewiesen werden konnte, daß sich vom Haus der Beklagten ein Ziegel gelöst hatte. Vgl. dazu § 3 A IV. 667 BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291; Münchener Kommentar/ Stein 3, § 836, Rn. 35; Staudinger/BellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 71; Baumgärtel/Laumen 2 , § 836, Rn. 3 m.w.N. Siehe auch BGH NJW 1999, S. 2593 = BGH LM § 836 BGB Nr. 26 und BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25. Problematisch war der Nachweis der zweiten Kausalkette in BGH NJW 1993, S. 1782 = LM § 836 BGB Nr. 24, weil dort nicht feststand, daß die schädigenden Dachteile gerade vom Haus der Beklagten stammten. 660 661

206 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

lieh ist demnach eine vom gefährlichen Bauwerkszustand herrührende Schadensstiftung, während sich bei einer unmittelbaren Verursachung der Rechtsgutsverletzung durch Abrißarbeiten668 dieses Risiko nicht verwirklicht. In den Fällen psychischer Kausalität in der Form selbstschädigenden Verhaltens669 bedarf es zusätzlich des glaubhaft gemachten Vortrages, daß der aus dem objektiv mangelhaften Zustand resultierende Einsturz eine Herausforderung bedeutete67o• Im Bereich des Mangels, also der objektiv fehlerhaften Errichtung und Unterhaltung sowie dessen Kausalität für Einsturz oder Ablösung wird freilich nicht selten mit dem Institut des Anscheinsbeweises gearbeitet671 . Allgemeine Erfahrungssätze, die auf eine bestimmte Ursache hindeuten, wird man in diesem Zusammenhang beispielsweise dann annehmen können, wenn ein Bauwerk bereits kurz nach dessen Errichtung einstürzt oder sich Teile hiervon ablösen672 • Dasselbe gilt, wenn Witterungseinflüsse in Rede stehen, mit denen gerechnet werden muß, wobei es sich nicht selten um Stürme handelt673 • Der Beweis des ersten Anscheins stellt für den Kläger indes auch im Bereich der Gebäude- und Werkhaftung keine unbedingt verläßliche Milderung der Beweislast dar674, da einerseits nicht jede Art von Einsturz oder Ablösung einen entsprechenden Erfahrungssatz nach sich zieht675 und andererseits die Erschütterung des Anscheinsbeweises mittels Darlegung von Umständen, die eine ernsthafte anderweitige Möglichkeit des Geschehensablaufs nahelegen676, möglich ist677 • Oben D IV 2. Hierzu oben D IV 3 d). 670 Zur Beweislast in den Herausforderungsfallen allgemein: BGH NJW 1981, S. 570; Lange, Schadensersatz2, S. 138. 671 Aus der neueren Rechtsprechung z.B. BGH NJW 1997, S. 1853 = BGH LM § 836 BGB Nr. 25; BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; OLG Koblenz, OLG-Rp Koblenz 1998, S. 104 (105); OLG Celle, OLG-Rp Celle 1994, S. 281; OLG Hamm, OLG-Rp Hamm 1993, S. 65 (67). Ferner Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 73-75; Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 35 m.w.N. 672 Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 74 mit Hinweis auf BGH MDR 1958, S. 326. 673 BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = BGH LM § 836 BGB Nr. 24; OLG Hamm, OLG-Rp Hamm 1992, S. 123; OLG Köln, VersR 1992, S 1018 (1019); OLG Zweibrücken, OLGE 1969, S. 341 (342); LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278; AG Leutkirch, NJW-RR 1996, S. 859; AG Schweinfurt, NZV 1992, S. 412. 674 Siehe hierzu schon oben bei Fn. 265. 67S Verneint für die Fehlerhaftigkeit von Wasserleitungen im Falle eines Wasserrohrbruches: OLG Karlsruhe, VersR 1979, S. 59 (60); LG Heidelberg, VersR 1977, S. 47 (48). Siehe auch LG Kiel, RuS 1998, S. 153: Belastung einer auf einem Grundstück befindlichen Betonplatte durch Aufstellung eines Baggers untypisch. 676 Hierzu BGH NJW 1997, S. 1853 (1854) = BGH LM § 836 BGB Nr. 25 m.w.N. 668 669

G. Beweislastfragen

207

11. Reichweite der Vermutung des § 836 I 2 BGB Die Reichweite der Vennutung des § 836 I 2 BGB betrifft in erster Linie ihr Verhältnis zu den bisher geschilderten Tatbestandsvoraussetzungen (1.). Fraglich ist aber auch ihre Bedeutung bei der Prüfung des Mitverschuldens eines an seinem Gebäude Geschädigten (§ 254 I BGB), wobei der Bezug zum Verschuldensmaß, welcher im Rahmen der Anspruchsberechtigung bereits erörtert wurde678 , ebenfalls eine gewisse Rolle spielt (2.). 1. Bezug zu den Voraussetzungen des Tatbestandes § 836 I 2 BGB begründet nach heute ganz herrschender und zutreffender Auffassung eine Verschuldensvennutung679 • Da der Begriff der fehlerhaften Errichtung oder Unterhaltung objektiv und frei von Verschuldensbezügen jedweder Art ausgelegt werden muß680, ist letztlich die Zurechnung eines fehlerhaften Zustandes und der daraus resultierenden Folgen zum pflichtigen Besitzer angesprochen. Vennutet wird demnach konkret beim Pflichtigen ein (äußerlich) pflichtwidriges Verhalten und dessen Erkennbarkeit681 , wobei eine Diskussion, ob die (äußerliche) Pflichtwidrigkeit systematisch der Tatbestands-, der Rechtswidrigkeits-, oder aber der Verschuldensebene zuzuordnen ist682 , sich als wenig ergiebig erweisen muß, weil diese den beschriebenen Umfang der Beweislast nicht berühren kann683 .

Der Vennutung unterliegt ferner der Zusammenhang der Nichteinhaltung der - so zu verstehenden - im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit dem schädigend gewordenen Baumangel. Die Rechtsprechung und ein Großteil

677 Vgl. OLG Ramm, OLG-Rp Ramm 1993, S. 65 (67): Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 Km/h hätten den Anscheinsbeweis noch zugelassen, unübliche Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Km/h konnten jedoch nicht ausgeschlossen werden; OLG München, OLGE 28, 309 (310): Kein Schluß auf Fehlerhaftigkeit, wenn ein Gerüstbrett sich bei "sehr starkem Sturm" löst. 678 Oben E. 679 Oben A I. 680 Ausführlich oben D III I in diesem Abschnitt. 681 Für eine Trennung von Pflichtverletzung und Verschulden in diesem Sinne: Jauemig/Teichmann 9 , § 836, Rn. Sff. 682 Umstritten ist diese Einordnung bei den allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflichten, für die § 836 BGB anerkanntermaßen einen Sonderfall bildet: Larenzl Canaris, SchR 1112 13 , § 75 11 3 c) und d) m. w. N.; für eine Einordnung auf der Rechtswidrigkeitsebene z.B. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 173f.; derselbe, JuS 1988, S. 173. 683 Auf die Fruchtlosigkeit von Autbau- für Sach-, insbesondere Beweislastfragen, weist Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 310 hin.

208 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

der Literatur verwenden dabei den Tenninus der Kausalität des Verschuldens 684• Daß es sich bei der Vennutung der Kausalität des schuldhaften Verhaltens nicht um ein bloßes Glasperlenspiel handelt, wird anhand der Fälle deutlich, in denen ein verborgener Mangel auch bei sorgfaltiger Untersuchung durch einen Fachmann nicht entdeckt und folglich nicht beseitigt worden wäre685 . Noch etwas komplizierter lagen die Dinge in dem der Entscheidung BGH LM § 836 BGB Nr. 4 zugrundeliegenden Sachverhalt: Dort wurde festgestellt, daß die beklagte Besitzerin eines Trümmergrundstückes aufgrund eines Präsidialerlasses zwar gehindert war, selbst die notwendigen Abbrucharbeiten an einer Giebelmauer vorzunehmen 686 . Sie hatte es aber unterlassen, die zuständige Behörde von der Abbruchreife zu unterrichten und auf den Abbruch zu drängen, was man ihr als Pflichtverletzung anrechnete. Der Einwand der Beklagten, die Behörde wäre auch bei Vornahme der Unterrichtung untätig geblieben, schlug deshalb nicht durch, weil diese Untätigkeit nicht als sicher gelten konnte und diesbezügliche Zweifel zu ihren Lasten gingen687 • Dogmatisch ist mit der Vennutung der Kausalität des Verschuldens das Feld des Zusammenhanges zwischen Pflichtwidrigkeit und schädigendem Ereignis betreten688 , wobei der Begriff der Kausalität in bezug auf konkret unterlassene Unterhaltungsmaßnahmen durchaus nicht unangebracht sein muß, weil mit dem schadensstiftenden Einsturz des objektiv mangelhaften Gebäudes ein von diesem Verhalten des Pflichtigen unabhängiger Vorgang vorliegen kann 689 • Anders ausgedrückt besteht die Möglichkeit, daß es bereits an der Äquivalenz des Unterlassens690 für Mangel und Einsturz 684 BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291; auch RG LZ 1922, S. 232; LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278; RGRKIKreftI2, § 836, Rn. 2; Baumgänel/ Laumen 2, § 836, Rn. 4. 68S Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 836, Rn. 99; siehe auch die Erwägung in BGH, NJW-RR 1988, S. 853 (855) = BGH LM § 836 BGB Nr. 22. 686 Diese rechtliche Hinderung wurde vom BGH zwar in Zweifel gezogen, jedoch bestand insoweit eine Bindung an die Entscheidung des Berufungsgerichtes, weil es sich um auf den Bezirk des Berufungsgerichtes beschränktes und deshalb nichtrevisibles Recht gehandelt hat. 687 BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291 (292). 688 Emum/Schiemann 9 , § 836, Rn. 9 nennt in diesem Zusammenhang den Begriff des rechtmäßigen Alternativverhaltens. 689 Der Begriff der Kausalität wird in Verbindung mit dem Rechtswidrigkeitszusammenhang abgelehnt von Larenz, SchR 114, § 30 I, S. 528; Gotzler, S. 78; anders aber Hanau, S. 15ff., 23ff. u. 83ff., welcher dem Kausalitätsbegriff normative Elemente zubilligt. 690 Die Möglichkeit der Kausalität eines Unterlassens wird aber z. B. abgelehnt von Gotzler, S. 80f.; auch Hanau, S. 34f. Anders Lange, Schadensersatz2 , S. 154f.; Koziol S. 96f.; Rother, Festschrift für Karl Larenz (1983), S. 552; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2 , S. 79f. m. w. N.

e,

G. Beweislastfragen

209

fehlt 691 , wenngleich zuzugestehen ist, daß wegen der notwendigen Frage, ob pflichtgemäßes Handeln den Erfolg verhindert haben würde, ein normativer Bezug besteht692 • Die vorgenannten terminologischen Überlegungen bringen freilich im Rahmen der Beweislastverteilung des § 836 I 2 BGB keine praktisch unterschiedlichen Ergebnisse hervor. Ob man für die Eignung des Kausalitätsbegriffs im Hinblick auf den Pflichtwidrigkeitszusammenhang nun eine Unterscheidung zwischen Handeln und Unterlassen ablehnt693 , von der Vermutung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Verschulden und SChadenseintritt694 , juristischer Kausalität zwischen Pflichtwidrigkeit und Verletzungserfolg695 oder aber dem rechtmäßigen Alternativverhalten696 bzw. dem Rechtswidrigkeitszusammenhang697 spricht, so ist ein gemeinsamer Nenner doch nicht zu leugnen: Angesprochen ist immer die Frage, ob ein hypothetisches normgemäßes Verhalten das schadensstiftende Ereignis hätte verhindern können698 • Und diesbezügliche Zweifel gehen nach der Intention des § 836 I 2 BGB zu Lasten des zur Gefahrabwendung Verpflichteten. Darüber hinaus wird man der Vermutung auch andere Zweifel am Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und schädigendem Ereignis unterwerfen müssen, was sich explizit in § 836 11 BGB zeigt, wo 691 Anders lag dies in dem bekannten Fall BGHSt 11,1, wo ein angetrunkener Radfahrer möglicherweise auch bei Einhaltung des erforderlichen Seitenabstandes durch einen Lkw überfahren worden wäre. An der Ursächlichkeit der tatsächlichen Handlung des Fahrens des Lkw konnte kein Zweifel bestehen, problematisch war vielmehr die Zurechnung, weil auch ein normgemäßes Verhalten den Erfolg möglicherweise nicht verhindert hätte: Larenz, SchR 114, § 30 I, S. 528; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2, S. 78. Hanau, S. 69 sieht dagegen die Kausalität der Pflichtwidrigkeit als entfallen an, nicht aber den Rechtswidrigkeitszusarnmenhang, weil die übertretene Norm den Schaden gerade habe verhindern wollen. 692 Vgl. RGRK/Steffen I2 , § 823, Rn. 101; auch Rother, Festschrift für Karl Larenz (1983), S. 552f.; Kahrs, Kausalität, S. 1. 693 Zu diesem Aspekt Hanau, S. 5 ff m.N., der einheitlich an die Kausalität der Pflichtwidrigkeit anknüpft; auch Gotzler, S. 80f., welcher der Unterscheidung nur Bedeutung für die Entstehung einer Pflicht zumißt. 694 BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291; RGRK/Kreftl2, § 836, Rn. 52; Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 99f. 695 So Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 36. 696 Erman/Schiemann 9 , § 836, Rn. 9. 697 Eine Gleichsetzung des Rechtswidrigkeitszusarnmenhanges mit der Figur des rechtmäßi~en Alternativverhaltens wird abgelehnt von Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht , S. 21Off. Gegen den Begriff des Rechtswidrigkeitszusarnmenhanges allgemein aber z.B. Fikentscher, SchR9 , Rn. 446; zum Streit um die Terminologie auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2, S. 194ff. 698 Vgl. den Ansatz von Gotzler, S. 80f.; ähnlich Larenz, SchR 114 , § 30 I, S. 528, welcher die Relevanz des Normverstoßes für den Schadenserfolg nennt.

14 Petenha8e.

210 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

das Fehlverhalten eines nachfolgenden Besitzers entlastend wirken kann699 • Da der Begriff der Kausalität des unsorgfaltigen Verhaltens jedoch im übrigen, wie gezeigt, für die bei der Gebäude- und Werkhaftung nicht seltenen Fälle der Nichtvomahme erforderlicher Unterhaltungsmaßnahmen seine Berechtigung haben kann, soll dieser in der Folge beibehalten werden, wobei nicht aus den Augen verloren werden darf, daß die Übergänge zu rein normativen Erwägungen fließend sind7OO • Genau genommen wird also sowohl die Ursächlichkeit des pflichtwidrigen Verhaltens 701, als auch der darüber hinausgehende Haftungszusammenhang vermutet. Fraglich ist, ob die so verstandene Vermutung der Ursächlichkeit des Verschuldens sowohl für den ersten Kausalverlauf (Mangel/Einsturz) als auch den zweiten (Einsturz/Rechtsgutsverletzung) zu gelten hat702 . Gegen eine Beschränkung der Vermutung auf die erste der beiden Kausalketten spricht indes bereits, daß diese unmittelbar aneinander anknüpfen und ein Auseinanderreißen bei der Verschuldensvermutung deshalb willkürlich anmutet. Der objektive Ursachenzusammenhang des § 836 I 1 BGB läßt sich durchaus als einheitliches Kausalband zwischen Mangel und Rechtsgutsverletzung beschreiben, in das als tatbestandliehe Besonderheit Einsturz oder Ablösung als notwendige Zwischenbedingung eingeschaltet ist. Es ist deswegen auch kaum möglich, einen Fall zu konstruieren, in dem die beiden objektiven Kausalverläufe bewiesen sind, das Verschulden aber nur für den ersten ursächlich wurde. Entscheidend gegen eine Beschränkung der Vermutung spricht schließlich, daß durch eine derartige Aufspaltung der Beweisvorteil faktisch entwertet wäre, da der Beweis des Ursachenzusammenhanges begriffslogisch nicht ohne den Beweis der Ursache selbst gedacht werden kann und nun doch wieder ein Verschulden dargetan werden müßte. In dem Moment, wo man die Kausalitätsvermutung des schuldhaften Verhaltens - und sei es nur partiell - einschränkt, verzichtet man zugleich auf die Vorteile der Beweislastumkehr, da die bloße Verschuldensvermutung eine leere Hülle bleibt. Rechtsprechung und Literatur stellen sich daher zu Recht auf den Standpunkt, daß (auch) die Kausalität zwischen dem schuldhaften Verhalten des Bauwerksbesitzers und der Rechtsgutsverletzung der Vermutungswirkung unterliegt703. 699

700

Näher dazu unter H 11 zum Nachweis fehlender Kausalität. Zum nonnativen Bezug bei der Kausalität des Unterlassens vgl. zuvor bei

Fn.692.

701 Was keinesfalls mit der vom Kläger zu beweisenden objektiv fehlerhaften Errichtung oder Unterhaltung verwechselt werden darf. 702 Nicht eindeutig insofern Baumgärtel/Laumen2, § 836, Rn. 4, wo nur die Vermutung des Verschuldens für den Zusammenhang zwischen Mangel und Einsturz angesprochen wird; auch RGRK/ Kreft12, § 836, Rn. 2.

G. Beweislastfragen

211

2. Analogiemöglichkeit beim Mitverschulden

Die zuvor beschriebene Vennutungswirkung darf nach ganz überwiegender Ansicht nur zugunsten eines an seinen Rechtsgütern Geschädigten, nicht aber (analog) im Rahmen des Mitverschuldens bei Schädigung des Gebäudes zugunsten des Schädigers berücksichtigt werden704 . Zur Begründung wird die Konzeption des Gesetzes bemüht, wonach eben nur die Beweisnot des Geschädigten tragendes Motiv für die Beweislastumkehr sei705. Selbstverständlich ist ein solches Ergebnis nicht, da immerhin die Betriebsgefahr zu Lasten des Geschädigten in die nach § 254 I BGB vorzunehmende Abwägung einbezogen wird 706 . So könnte argumentiert werden, daß das, was für die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung anerkannt ist, erst recht bei vennutetem Verschulden von Bedeutung sein muß707. Der vorherrschenden Ansicht ist dennoch zuzustimmen, weil bei nachweislicher Instabilität des Bauwerkes und deren Mitursächlichkeit für die Beschädigung - und nur für diesen Fall kommt eine Analogie überhaupt in Betracht - dieser Mangel bereits bei der Schadensbemessung im Wege eines Abzugs "Neu für Alt,,708, in gravierenden Fällen auch der Schadensanlage 709 , in Rechnung gestellt werden kann71O . Der dem Gebäudebesitzer verbleibende Vorteil, daß nicht zusätzlich ein Verschulden anspruchsmindernd zu veranschlagen ist, erscheint nicht so groß, als daß er die Analogie zu den Alternativen des "Alles-oder-Nichts", die aus den Aufklärungsschwierigkeiten bei der Schädigung durch Bauwerke resultie703 BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291 (292): ,,Alle Zweifel, die hinsichtlich des vermuteten ursächlichen Zusammenhangs zwischen Verschulden und Schadenseintritt bestehen, gehen zu ihren" - also der Beklagten - ,,Lasten". Siehe ferner bereits RG LZ 1922, S. 232; auch LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278; Palandt/Thomas59 , § 836, Rn. 1; Soergel/Zeuner I2 , § 836, Rn. 1; Münchener Kommentar/Stein3, § 836, Rn. 36; i.E. ebenso Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 99. 704 BGRZ 79, 259 (264) = LM § 836 BGB Nr. 18; Erman/Schiemann9 , § 836, Rn. 13; Münchener Kommentar/Stein3 , § 836, Rn. 39; a.A. StolI, 25 Jahre Karlsruher Forum, S. 189. 70S BGRZ 79, 259 (264) = LM § 836 BGB Nr. 18; ähnlich Erman/Schiemann 9 , § 836, Rn. 13. 706 Lange, Schadensersatz 2 , S. 563; Münchener Kommentar/Grunsky3, § 254, Rn. 9f. m.w.N. 707 Diese Argument wird von StolI, 25 Jahre Karlsruher Forum, S. 189 gebracht. 708 BGRZ 30, 29; BGRZ 102, 322; BGH NJW 1992, S. 2884; Münchener Kommentar/Grunsky3, § 249, Rn. 9; Lange, Schadensersatz2 , S. 258ff. m.w.N. 709 Dazu Münchener Kommentar/Grunsky3, vor § 249, Rn. 80; Lange, Schadensersatz 2, S. 188ff. 710 Bei der Gefährdungshaftung ist das Fehlen des Nachweises eines Mangels gerade kennzeichnend, so daß das bloße gesteigerte Risiko in der Tat nur durch Anrechnung der Betriebsgefahr in die Schadensabwägung einzubeziehen ist.

212 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

ren, tragen würde. Hinzu kommt, daß ein konkretes Verschulden, z. B. in der Form leichter Fahrlässigkeit sowie dessen Ursächlichkeit gerade nicht erwiesen ist, weshalb es an einem greifbaren Anhaltspunkt für die Schadensverteilung fehlt 71l • Die Anwendung des § 836 BGB im Rahmen des § 254 BGB ist somit grundsätzlich abzulehnen 712.

In.

Schema zur Beweislastverteilung

Die dem Geschädigten obliegende Beweislast sowie die ihn begünstigende Vermutung des § 836 I 2 BGB stellen sich nach den obigen Ausführungen folgendermaßen dar: Beweisthema des Geschädigten im Rahmen des § 836 I I BGB

Eigenbesitz des Bekl.

Baumangel (objektiv)

Kausalität -+

Einsturz o. Ablösung

Kausalität -+

Rechtsgutsverletzung

i ____________~----------__i "Kausalität" Verschulden des Pflichtigen Vennutungswirkung des § 836 I 2 BGB

H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten Der beklagte Grundstückseigenbesitzer - und ihm gleichstehend die nach § 837 oder § 838 BGB verpflichteten Personen - hat im wesentlichen die

folgenden Entlastungsmöglichkeiten: Zum einen kann er nachweisen, die zur Gefahrabwendung erforderliche Sorgfalt aufgebracht zu haben, zum anderen steht ihm nach überwiegender Ansicht der Nachweis der fehlenden Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung offen. Daß sich Schnittstellen zwischen tatsächlichen und normativen Aspekten auch bei der Gebäude711 Vgl. bereits oben E I. Zur Bedeutung des Verschuldensmaßstabs bei § 254 BGB: Münchener Kommentar/Grunskl, § 254, Rn. 61 ff.; Soergel/Mertens l2 , § 254, Rn. 112. 712 Gegen die Anwendung von Verschuldensvermutungen auf § 254 I BGB allgemein: Lange, Schadensersatz2, S. 563; anders StaudingerISchiemann 13 , § 254, Rn. 122.

R. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten

213

und Werkhaftung ergeben und der Begriff der Kausalität deshalb nur unter diesem Vorbehalt verstanden werden darf, wurde bereits zuvor dargelegt7J3 .

I. Erbringung der zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Sorgfalt Die naheliegendere und praktisch relevantere Verteidigung gegen eine Inanspruchnahme ist der Einwand des Verpflichteten, er habe sich bezüglich der Hintanhaltung der Bauwerksgefahr sorgfaltig verhalten. Nicht selten wird hierbei nach den Tatbestandsmerkmalen "objektiv fehlerhafte Errichtung" einerseits und "objektiv mangelhafte Unterhaltung" andererseits unterschieden714 , was insofern stichhaltig ist, als daß es bei dem Nachweis der sorgfaltigen Errichtung seitens des Pflichtigen vorrangig auf die Einhaltung von Bauerrichtungsvorschriften ankommt, während die sorgfaltige Unterhaltung die Überprüfung des Bauzustandes und daraus resultierende Reparaturmaßnahmen beinhaltet. Die Rechtsprechung läßt immerhin eine Wahlfeststellung zwischen den Alternativen zu, wobei für eine Haftung das Mißlingen des Entlastungsbeweises in beide Richtungen festzustellen ist715 . Im übrigen darf diese Differenzierung den Blick dafür nicht trüben, daß es um die Festlegung des geforderten Maßes an aufzubringender Sorgfalt zur Vermeidung von gefahrbringender Instabilität eines Bauwerkes geht716 .

1. Maßstäbe der zur Gefahrabwendung erforderlichen Sorgfalt Zugrundezulegen sind bei der Bemessung der erforderlichen Sorgfalt die von den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten geläufigen Kriterien, was wegen der Modellfunktion des § 836 BGB bei deren Entwicklung nicht überrascht. Die Rechtsprechung formuliert, daß die Norm den allgemeinen Rechtsgedanken enthalte, "daß jeder für den durch seine Sachen verursachten Schaden aufzukommen hat, soweit er ihn bei billiger Rücksichtnahme auf die Interessen anderer hätte verhüten müssen,,717. Daraus wird abgeleitet, daß für die Bestimmung des erforderlichen und zumutbaren Maßes an Gefahrabwendungsvorkehrungen die Größe der bestehenden Gefahr, das G II 1 in diesem Abschnitt. So z.B. Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 84ff.; RGRK/KrejiI2, § 836, Rn. 42ff. 71S BGR VersR 1962, S. 1105 (1106). 716 Zum Übergang zwischen beiden Pflichten v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 243: Bei der Errichtung unterlaufene Baufehler werden bei sorgfältiger Instandhaltung entdeckt und beseitigt. Ebenso BGR VersR 1962, S. 1105 (1106) a.E. 717 Grdlg. RGZ 52, 373 (379); BGHZ 58, 149 (156) m. w. N.; neuerdings z. B. OLG Jena, VersR 1998, S. 903 (904); OLG Dresden, NJ 1994, S. 225 (226). Siehe auch RGRK/ Kreji12, § 836, Rn. 38 m. w. N. 713

714

214 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Ausmaß des drohenden Schadens sowie der Aufwand zu deren Vermeidung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen718. Vorbehaltlich der stets erforderlichen Einzelfallprüfung kann man dabei davon ausgehen, daß die in § 836 BGB angesprochenen, von Bauwerken ausgehenden Einsturzbzw. Ablösungsgefahren als erheblich einzuschätzen sind719 , weshalb an die Sicherungs- und Überwachungspflichten sowie den Beweis von deren Erfüllung tendenziell hohe Anforderungen gestellt werden 720. So müssen z. B. Überprüfungen, um entlastend zu wirken, stets gefahrspezifisch erfolgt sein721 und vorgenommene Reparaturen, die sich nur auf Teilbereiche des Bauwerkes erstrecken, können nicht für dessen gesamten Zustand exkulpieren722 • Ebenso kann sich der Pflichtige nicht auf speziell subjektive Umstände, wie etwa die finanzielle Leistungsunfähigkeit, berufen723 , was sich bereits aus dem nach heute herrschender Lehre verobjektivierten Verschuldensmaßstab724 ergibt. Ein deutliches Indiz für die Nichterfüllung der Sorgfaltspflicht findet sich schließlich darin, daß der Pflichtige trotz weiterer bereits vor dem eigentlichen Unfall erfolgter Ablösungen von Gebäudeteilen untätig geblieben ist725. 718 BGHZ 58, 149 (156): Drohende Verletzung von Leib oder Leben wiegt schwerer als bloße Sachschäden; ähnlich OLG Dresden, NJ 1994, S. 225 (226); zu den Verkehrssicherungspflichten allgemein: LarenziCanaris, SchR 11/2 13 , § 76 III 4 b). 719 Vgl. schon Mot. 11, S. 816. 720 BGH VersR 1976, S. 66 (67); OLG Hamm, OLG-Rp Hamm 1992, S. 123 (124); RGRK/ Kreft12, § 836, Rn. 38. 721 Vgl. BGH LM § 836 BGB Nr. 8 = BGH NJW 1956, S. 506 (Kontrolle eines Kamins durch den Bezirksschornsteinfegermeister auf Feuersicherheit befreit nicht von der Überprüfung auf Standsicherheit); ebenso OLG Köln, VersR 1992, S. 1018 (1020); BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2 (Kontrolle der Standsicherheit von Grabsteinen muß durch Steinmetz und nicht durch Malermeister erfolgen); ferner BGH VersR 1976, S. 66 (67) (Kontrolle der Baubehörde berührt die Verantwortlichkeit für die Überwachung dann nicht, wenn sich die Prüfung nicht auf das abgelöste Gebäudeteil bezogen hat); siehe aber auch BGH NJW 1985, S. 2588 (2589) = LM § 836 BGB Nr. 21 (Keine Pflicht zur Überprüfung einer von Gästen genutzten, relativ neuen Duschkabine auf Montage-, sondern nur auf Abnutzungsmängel); ferner Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 88 m.w.N. 722 BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = LM § 836 BGB Nr. 24; BGH VersR 1989, S. 203 (204) (Keine Haftungsminderung trotz Warnschild vor Einbruchsgefahr, wenn der Einsturz außerhalb der als gefährdet gekennzeichneten Zone erfolgte); LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278. 723 BGH LM § 836 BGB Nr. 6: Fehlender Gewinn aus der Erbschaft befreit nicht von der Unterhaltungspflicht für ein Gebäude. 724 Vgl. BGH NJW 1994, S. 2232 (2233); Deutsch, Unerlaubte Handlungen 3, Rn. 123; Köt" Deliktsrecht8 , Rn. 112f. 72S RG HRR 1935 Nr. 1515 (Mehrfache Durchbrüche von Bodendielen); BGH LM § 836 BGB Nr. 2 = VersR 1952, S. 207 (209); LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278 (Wiederholtes Herabfallen von Kirchturmziegeln).

H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten

215

Als Kriterium wird im übrigen die Verkehrsüblichkeit und -erwartung herangezogen726 • Demnach spielen beispielsweise das Alter, aber auch der Nutzungszweck727 eines Gebäudes eine Rolle, so daß Bauwerke älteren Datums728 oder solche, bei denen mit regem Publikumsverkehr gerechnet werden muß 729 , erhöhten Kontrollrnaßstäben unterliegen, wobei der Häufigkeit der Überprüfung auf vorhandene Baumängel eine praktisch erhebliche Bedeutung zukommt73o . Die Nutzungsart wird nicht zuletzt bei der Vermietung von Räumen relevant, weil die Betretungs- und damit die Kontrollmöglichkeiten des Vermieters eingeschränkt sind. Hier geht die Rechtsprechung davon aus, daß trotz grundsätzlicher Verantwortlichkeit des Vermieters 731 auch dem Mieter über seine Anzeigepflicht gern. § 545 I BGB hinaus eine gewisse Gefahrzuständigkeit und damit eine Verantwortung zum Schutz Dritter erwächst732, so daß unter Umständen ein deutlicher Hinweis auf den Mangel zur Entlastung genügen kann und somit die dem Vermieter obliegende Pflicht gemildert ist733 • Instabile Gebäudestrukturen führen ausnahmsweise sogar zu einer Minderung der Verantwortlichkeit, sofern diese nicht nur singulär, sondern durch die besonderen örtlichen und zeitlichen Umstände bedingt allgemein auftreten und so die Verkehrserwartungen herabgesetzt sind, was z. B. kurz nach dem 2. Weltkrieg sowie nach der Wende in den neuen Bundesländern ange-

726 z.B. BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = LM § 836 BGB Nr. 24; BGH NJW 1985, S. 1076f. = LM § 836 BGB Nr. 20; Münchener Kommentar/Mertens3 , § 823, Rn. 232. 727 VgJ. OLG Karlsruhe, VersR 1998, s. 1389 (1390) (An die Sicherungsmaßnahmen in einem Schulgebäude sind wegen der ins Kalkül zu ziehenden kindlichen Abenteuerlust besondere Anforderungen zu stellen). 728 VgJ. BGH NJW 1993, S. 1782 (1783) = LM § 836 BGB Nr. 24; OLG Hamm, OLG-Rp Hamm 1992, S. 123 (124); LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278. 729 BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21 (Pension); BGH VersR 1959, S. 694 (695) (Baugerüst an belebten Verkehrswegen); auch BGH LM § 836 BGB Nr. 5; OLG Hamm, OLG-Rp Hamm 1992, S. 123 (124) (an die Straße unmittelbar angrenzendes Haus); siehe auch OLG Celle, VersR 1985, S. 345 (346) (Kinderschaukel). 730 RG JW 1932, S. 1210; BGH VersR 1976, S. 66 (67); OLG Hamm, VersR 1997, S. 194 (195); OLG Düsseldorf, MDR 1996, S. 470; OLG Düsseldorf, NVwZ 1992, S. 1122 (1123) (Exkulpation durch ständige Überprüfung); OLG Hamm, OLG-Rp 1992, S. 123 (124); siehe aber auch BGH NJW 1985, S. 2588 (2589) = LM § 836 BGB Nr. 21 (Keine Pflicht zur Überprüfung einer Duschkabine in einer Pension innerhalb 5 Monaten nach deren Montage). 731 VgJ. RG LZ 1916, S. 57 Nr. 14; RG WarnR 1930 Nr. 153; RGZ 59, 8. 732 Dies gilt für sämtliche Mietverhältnisse und darf nicht mit der Übernahme einer Unterhaltungspflicht i. S. v. § 838 Alt. 1 BGB verwechselt werden, dazu oben

FIVl. 733

BGH NJW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20.

216 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

nommen wurde734. In diesen Fällen genügen möglicherweise Warnungen oder Absperrungen zur Pflichterfüllung735 • Örtliche Gegebenheiten sind es schließlich, die für die Vorkehrungsmaßnahmen gegenüber Natureinflüssen, wie Stürmen, das Maß des Verkehrsüblichen bilden. Hier müssen also die geographischen Eigenheiten in Rechnung gestellt werden, wobei ein bisher nur vereinzeltes Auftreten von Unwettern nicht von Vorkehrungen befreit736 . Der Maßstab der Verkehrserwartung hat, bezogen auf die Person des Geschädigten, zur Folge, daß vor offensichtlichen Gefahren, die jedermann vor Augen stehen müssen, nicht geschützt werden muß. Die Judikatur spricht bildhaft von einer ..Gefahr, die vor sich selbst warnt"737, hat diese Regel aber, soweit ersichtlich, im Rahmen des § 836 BGB zu Lasten des Geschädigten noch nicht durchgreifen lassen, was nicht zuletzt durch die Möglichkeit begründet sein dürfte, dem Aspekt bereits durch geringere Anforderungen bei der Erbringung des Entlastungsbeweises738 sowie der Anrechnung von Mitverschulden Rechnung zu tragen. In der Person des Verletzten liegende Umstände können eine Minderung der ihm geschuldeten Sorgfalt ferner dann bewirken, wenn dieser über besondere Fähigkeiten, insbesondere beruflicher Art verfügt, die es erwarten lassen, daß er sich selbst ausreichend gegenüber den Bauwerksgefahren vorsieht739 . Hier findet sich ein Übergang zu der bereits erwähnten Einschränkung des Schutzbereiches der Norm bei Abriß- oder Reparaturarbeiten74o , wobei der Unterschied darin liegt, daß es bei der Einschränkung des Schutzbereiches auf die beim Gebäude- oder Werkbesitzer vermutete Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt nicht mehr ankommt741 . 734 1995 betrug der Anteil der bis 1900 errichteten Wohngebäude in den neuen Bundesländern 28 %, nur knapp 30 % wiesen keine Schäden auf. Quelle: Wirtschaft und Statistik 1997, S. 94 u. 97. 735 Vgl. OLG Dresden, NI 1994, S. 225 (226) für die Gebäudestrukturen in den neuen Bundesländern. Zur Milderung der Pflichten für Trümmergrundstücke nach dem 2. Weltkrieg: BGHZ I, 103 (l05) = IZ 1951, S. 173 = LM § 836 BGB Nr. 1; BGH VersR 1953, S. 479 (480). 736 BGH VersR 1976, S. 66 (67); OLG Köln, NIW-RR 1992, S. 1018 (1019); OLG Frankfurt, VersR 1978, S. 967. 737 Grdlg. BGH NIW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20; dem folgend BGH WM 1990, S. 1878 (1880) = LM § 838 BGB Nr. 5. 738 Auch in diesem Zusammenhang werden Absperr- und Wamhinweise als möglicherweise ausreichend in Erwägung gezogen: BGH NIW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20. 739 BGH NIW 1999, S. 2593 (2594) = BGH LM § 836 BGB Nr. 26: Entfernen eines Gerüstfreigabeschildes genügt u. U. zur Warnung für fachkundige Benutzer. Besondere Sachkunde kann im übrigen zur Anrechnung von Mitverschulden führen: RG HRR 1938 Nr. 436 (Schädigung eines bausachverständigen Käufers bei der Besichtigung eines Hauses); BGH VersR 1965, S. 801 (802). 740 Oben D IV 2.

H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten

217

Die Verkehrsüblichkeit und -erwartung setzt sich nach dem bisher Gesagten aus der bauwerksimmanenten Komponente der Struktur und des Nutzungszweckes des Gebäudes einerseits und den bauwerksexternen Umständen, also seiner Beziehung zur Außenwelt sowie der Person des Verletzten in Form von deren Möglichkeit und Fähigkeit zum Selbstschutz andererseits zusammen. Einfacher ist die Bestimmung der Verkehrserwartung, wenn das Maß des zur Gefahrvermeidung Erforderlichen durch konkret gefaßte Normen geregelt wird, wobei dem Bauordnungsrecht eine herausragende Rolle zukommt. Allerdings werden hier nur Mindeststandards festgelegt, deren Befolgung zwar in aller Regel entlastet742 • Jedoch darf sich der Bauwerksbesitzer gegenüber neuen Erkenntnissen über mögliche Gefahren nicht verschließen, so daß beispielsweise ein bei Erteilung der Baugenehmigung verborgen gebliebener und später entdeckter Mangel beseitigt werden muß743 , aber auch offenbar gewordene neue wissenschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen sind744 • Fraglich ist, ob sich das gerade Gesagte auf behördliche Maßnahmen, wie Genehmigungen sowie Vorschriften nichtstaatlicher Institutionen, wie z. B. DIN-Normen, beschränkt, oder ob auch in Gesetzen und Verordnungen nur die Minimalanforderungen normiert werden745. Immerhin könnte man für denjenigen, welcher sich den Bestimmungen des gesetzten Rechtes gemäß verhält, bis zum Erlaß neuer Normen bezüglich seiner zivilrechtlichen Haftung auf deren Legalisierungswirkung plädieren746 • Eine derartige Differenzierung ist indes schon deshalb abzulehnen, weil die Gesetzeslage oft das Erfordernis einer hierauf basierenden behördlichen Verfügung vorsieht, und deshalb keine getrennte Betrachtung von legislativen und behördlichen Maßnahmen möglich ist. So wird eine Baugenehmigung nur in Einklang mit den Bestimmungen des öffentlichen Baurechtes erteilt747 • Überdies überzeugt es im Bereich des Einstehenmüssens für den Zustand eines Bauwerkes unabhängig von der rechtlichen 741 OLG Jena, VersR 1998, S. 903 (904) stellt alternativ auf die fehlende Schutzbedürftigkeit einerseits und das Entfallen des Verschuldens andererseits ab. 742 Vgl. BGH VersR 1962, S. 1105 (1106). 743 Vgl. BGH VersR 1976, S. 66 (67); BGH VersR 1962, S. 1105 (1106). 744 Vgl. BGH MDR 1979, S. 206 = LM § 836 BGB Nr. 17 für die Bildung von Faulgas in einer Staustufe, das zu einer Explosion führte; auch BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = LM § 836 BGB Nr. 22. 74S Offengelassen von RG JW 1935, S. 2196 (2198). 746 So die Argumentation der Beklagten in RG JW 1935, S. 2196, wobei es sich dort allerdings nicht um Gesetze oder Verordnungen, sondern um von insbesondere der Stromindustrie entwickelte Errichtungsvorschriften gehandelt hat, weshalb das Reichsgericht den Einwand der Rechtskraft der Vorschriften verwarf. 747 Vgl. § 70 I ThürBauO und die parallelen Vorschriften der übrigen Bundesländer.

218 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Beschaffenheit generell nicht, einer Vorschrift oder Maßnahme, welche zur Gefahrverhütung für Dritte bestimmt ist und damit allein präventiv deren Schutz bewirken soll, eine strikte Ausschlußwirkung für die zivilrechtliehe Deliktshaftung des Pflichtigen zuzubilligen748. Hierdurch würde ein dem potentiellen Opfer ungünstiger Zustand zementiert und die Verkehrssicherungspflichten mitsamt ihrem flexiblen Maßstab unterlaufen. Entscheidend ist nicht zuletzt, daß der Besitzer die Kontrolle über sein Bauwerk innehat, weshalb ihm ein Schritthalten mit neuen Erkenntnissen angesonnen werden kann749 • Der Bauwerksbesitzer hat zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt mithin auch trotz geringerer gesetzlicher Anforderungen gegen neu auftretende und erkennbare Gefahren Vorkehrungen zu treffen, wobei seinen Interessen durch die aus der Größe der Gefahr und dem Ausmaß des drohenden Schadens zu ermittelnde Zumutbarkeitsgrenze hinreichend Rechnung getragen wird75o• Eine Entlastung ist. im übrigen nur dann möglich, wenn es sich um für den Adressaten zwingende751 Vorschriften oder Verwaltungsakte handelt, die ihm trotz erkannter Gefährdung bezüglich der notwendigen Maßnahmen rechtlich die Hände binden752. Aus der Qualifizierung als Minimalanforderung ergibt sich, daß Verstöße gegen Bestimmungen oder Anordnungen, die der Gebäudesicherheit dienen, wie z. B. das Fehlen einer Baugenehmigung, stets ein Außerachtlassen der gebotenen Sorgfalt i.S.d. § 836 I 2 BGB beinhalten753 . Zu weit würde man allerdings gehen, wenn man in diesen Fällen eine Entlastungsmöglichkeit generell verneinte754, weil mit der h.L. immer noch der Nachweis der fehlenden Kausalität dieser Pflichtverletzung möglich bleibt755. In Abgrenzung 148 So LarenzlCanaris, SchR 11/2 13, § 76 III 4f.) zur Verkehrs(sicherungs)pflichtverletzung allgemein. 149 Problematischer ist dies beim Inverkehrbringen von Produkten, weshalb das Produkthaftungsgesetz in § 1 11 Nr. 5 ProdHaftG zumindest bezüglich der Konstruktionsfehler auf den Stand von Wissenschaft und Technik zu diesem Zeitpunkt abstellt. 150 Zur Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze durch Interessenabwägung siehe RG JW 1935, S. 2196 (2198); BGHZ 58, 149 (156) sowie die obigen Ausführungen. Vgl. ferner OLG Hamm, VersR 1997, S. 200 (201) zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht: Keine Pflicht zur lückenlosen Anpassung sämtlicher Gebäudeteile eines alten Hauses an nachträglich erlassene bauordnungsrechtliche Vorschriften. m Vgl. insoweit auch den Ausschlußtatbestand des § 1 11 Nr. 4 ProdHaftG. 152 Vgl. BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291 für einen Baurnaßnahmen untersagenden Präsidialerlaß. 153 OLG Hamm, NJW-RR 1995, S. 1230; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 86. 154 Pauschalierend etwa StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 86. 155 z. B. in dem schon genannt Beispiel, daß ein Baumangel auch bei Erteilung der Baugenehmigung nicht entdeckt worden wäre. Zur Entlastung bei fehlender Kausalität der Pflichtverletzung gleich unter 11.

H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten

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hierzu scheitert die Haftung bereits am Vorliegen eines Baumangels, wenn der Bau bei fehlender Genehmigung zwar formell, aber nicht materiell rechtswidrig ist756 . Nicht jeder verschuldete (Bau-)Rechtsverstoß löst also die Haftung des Pflichtigen aus. 2. Einschaltung Dritter zur Abwendung der Bauwerksgejahr

Nicht selten trägt der Bauwerksbesitzer zu seiner Entlastung vor, er habe Dritte mit der Errichtung oder Unterhaltung betraut, weshalb ihn persönlich kein Verschulden treffe. Diese Einschaltung Dritter wird zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt sogar notwendig, wenn es dem Besitzer an der erforderlichen Sachkunde fehlt 757 oder er durch Abwesenheit oder Krankheit an seiner Pflichterfüllung gehindert ist758. Der Entlastungsbeweis gelingt nun fraglos, wenn die beauftragte Person die nach den Umständen gebotene Sorgfalt eingehalten hat759 • Schwierig wird es hingegen, wenn ein Gehilfenversagen feststeht oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Die Rechtsprechung läßt hier eine Exkulpation ZU 760, stellt diesbezüglich aber hohe Anforderungen. So muß der Gehilfe nicht nur sorgfältig ausgewählt761 und instruiert762 sein, sondern seine Tätigkeit bedarf auch der Überwachung durch den Geschäftsherren763, wobei hierzu gegebenenfalls ebenso eine fachkundige Person zu bestellen ist764 • Schließlich darf der originär Pflich156 Siehe oben D III 2 bei Fn. 261. Die Rechtsprechung neigt in diesem Fall dazu, den inneren Zusammenhang zwischen Mangel und Einsturz, also den Schutzzweckzusammenhang zu verneinen: BGH NJW 1985, S. 1076 (1077) = LM § 836 BGB Nr. 20; LG Kiel, RuS 1998, S. 153. 151 BGH NJW 1977, S. 1392 (1393) = LM § 837 BGB Nr. 2; OLG Hamm, VersR 1997, S. 194 (195); OLG Köln, NJW-RR 1992, S. 1018 (1020); OLG Celle, VersR 1985, S. 345 (346); auch LarenzlCanaris, SchR 1112 13, § 76 III 5 c) zur Verkehrssicherungspflicht allgemein. 158 BGH LM § 836 BGB Nr. 6 für im Ausland lebende Erben. 159 OLG Düsseldorf, NVwZ 1992, S. 1122 (1123); OLG Düsseldorf, NJW 1951, S. 134 (135); LG Halle, RuS 1994, S. 97 (Keine Haftung, wenn ein verborgenes Gewölbe eingebrochen ist). 160 z.B. RG JW 1932, S. 1210 (1211); RG LZ 1922, S. 232; RGZ 76, 260; BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21 (Fehlerhafte Montage einer Duschkabine). 161 BGH VersR 1959, S. 694 (695); OLG Celle, BauR 1992, S. 251 (254); OLG Celle, VersR 1985, S. 345 (346). 162 Vgl. BGH NJW-RR 1988, S. 853 (854) = LM § 836 BGB Nr. 22 (Nichtinformation nachgeordneter Dienststellen über neue wissenschaftliche Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Stabilität von Brücken betrafen); BGH VersR 1976, S. 66 (67) (Unterrichtung des Grundstücksverwalters darüber, daß längere Zeit keine Kontrollen stattgefunden haben); LG Freiburg, NJW-RR 1996, S. 476 (Abstrakte Anweisung, die Sicherheit öffentlicher Grünanlagen zu überprüfen, genügt bezüglich der Standsicherheit von Grabsteinen nicht).

220 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht tige, sofern er eine Gefahr erkannt hat765 oder diese sich ihm aufdrängen mußte 766 , nicht untätig bleiben. Diese von der Rechtsprechung und einem überwiegenden Teil der Literatur767 vertretene Auffassung ist nicht unbestritten geblieben. Für die Verkehrssicherungspflichten allgemein, insbesondere aber auch den Bereich der Gebäudehaftung, hat sich v. Bar gegen eine haftungs befreiende Pflichtendelegation768 im Falle des Gehilfenversagens ausgesprochen769 . Bei den Verkehrs(sicherungs)pflichten handele es sich um beschränkte Erfolgseinstandspflichten, deren Charakter auch in die Haftung für Hilfspersonen hineinwirke 77o • Die Gebäudeüberwachungspflicht stelle ein Mehr gegenüber der Pflicht zur sorgfaltigen Auswahl und Überwachung eines Gehilfen dar, und die Einhaltung der Pflicht minderer Intensität könne nicht exkulpieren771 • Zum selben Ergebnis führt hinsichtlich der Einstandspflicht für Gebäude ein von Vollmer entwickelter Ansatz 772 • Voilmer geht davon aus, daß es in bestimmten Fällen entsprechend einer Gefährdungshaftung oder § 278 BGB zu einer Haftungskanalisierung auf den originär Verkehrssicherungspflichtigen kommen müsse, was im Außenverhältnis schlechthin eine Haftung für Fehlverhalten bewirke. Eine solche unbedingte Einstandspflicht für andere ergebe sich, wenn ein erhöhtes Gefahrenpotential bestehe, der Gehilfe als 163 BGH VersR 1976, S. 66 (67); RG JW 1932, S. 1210 (1211); RG JW 1916, S. 1019 (1020); OLG Hamm, VersR 1997, S. 194 (195). 164 Vgl. BGH LM § 836 BGB Nr. 12 a) für die Beaufsichtigung eines Abrisses. 165 BGHZ 1, 103 (106) = JZ 1951, S. 173 = LM § 836 BGB Nr. 1; vgl. auch OLG Düsseldorf, WuM 1995, S. 230 (Haftung der Wohnungsmiteigentümer für den Hausverwalter dann, wenn eine Mängelanzeige an diesen unterlassen oder bei der Schadensbeseitigung nicht mitgewirkt wurde); LG Ansbach, NJW-RR 1996, S. 278; LG Halle, RuS 1994, S. 97 (98). 166 BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21 (Fehlerhafte Montage einer Duschkabine); ähnlich BGH LM § 836 BGB Nr. 12 a) (Erkundigung beim Bauleiter über eine beim Abriß entstandene Instabilität erforderlich); RG LZ 1916, S. 1239 (1240); Staudinger/Belling/Eberl-Borges 13 , § 836, Rn. 86; weitergehend RG JW 1932, S. 1210 (1211): Bei Kenntnis von einer unter Umständen eintretenden Gefährdung kann sich der Hausbesitzer auf deren Prüfung und Beseitigung durch den Bausachverständigen verlassen. 161 Aus der Literatur z.B. Soergel/Zeuner 12 , § 836, Rn. 22; Baumgärtel/Laumen 2 , § 836, Rn. 7; Erman/Schiemann 9 , § 836, Rn. 9. 168 Gegen den Begriff der Delegation von Verkehrs(sicherungs)pflichten aber LarenziCanaris, SchR 1112 13, § 76 III 5 c): Die Hilfsperson werde in die Erfüllung der Pflicht eingeschaltet. 169 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 270f. 110 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 271; ähnlich Westen, FS für v. Hippel, S. 624, der eine Garantie- und Risikohaftung kraft Zuständigkeit für einen Herrschaftsbereich auch für Hilfspersonen annimmt. 111 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 271. 112 Vollmer, JZ 1977, S. 371ff.

H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten

221

Schuldner mangels finanziellen Hintergrundes nicht geeignet wäre, der an sich Verkehrssicherungspflichtige für das Schadenspotential als zuständig erscheine und ihm die Haftung wirtschaftlich zuzumuten sei. Für diese Beurteilung seien im übrigen der Versicherungspraxis wertvolle Anhaltspunkte zu entnehmen. Eine wirtschaftliche Kanalisierung auf den Hauseigentümer werde dadurch geschaffen, daß die Grundstückshaftpflichtversicherung sowohl seine, als auch die Haftung seines Verwalters abdecke. Hierdurch sei zugleich eine materiell-rechtliche Verantwortung des Pflichtigen für seinen Gehilfen angezeigt773. Wie auch immer man diese Garantiehaftung des originär Pflichtigen begründet, so bedeutet sie doch im Ergebnis zumindest ein Einstehenmüssen entsprechend § 278 BGB, was im Deliktsrecht nicht vorgesehen ist774, und darüber hinaus eine dem Gesetzgeber zu überlassende und deshalb in dieser Form nicht akzeptable Hinwendung zur objektiven Haftung. Der Sicherungspflichtige ist beispielsweise im Falle mangelnder eigener Sachkunde gerade gezwungen, eine sachverständige Person in die Pflichterfüllung einzuschalten, weil er andernfalls schon wegen der notwendig fehlerhaften Eigenausführung haftet77s . Hat er nun alle erforderlichen Vorkehrungen zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung der Hilfsperson getroffen, so konnte er den Schadensfall nicht verhindern, weshalb für die Haftung faktisch an den Bauwerksbesitz angeknüpft wird. Der Einwand, es liege ja immer noch eine Pflichtverletzung der Hilfsperson vor776, überzeugt nicht, weil dem Besitzer, um dessen Verantwortlichkeit es eigentlich geht, keine Wahl bleibt. Mit der Rechtsprechung und der h.L. ist dem für den Bauwerkszustand Verantwortlichen deshalb trotz schuldhaften Verhaltens des Gehilfen die Exkulpationsmöglichkeit zuzubilligen. Dem Erfordernis des Verkehrsschutzes kann ausreichend durch die anerkannt strengen Maßstäbe bezüglich Auswahl und Überwachung des Gehilfen Rechnung getragen werden.

Mertens hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, der Sicherungspflichtige müsse bei der sorgfältigen Auswahl ebenfalls die Solvenz der in die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht eingeschalteten Person beTÜcksichtigen777 • Mit dem Zweck des § 836 BGB ist dies indes nicht zu vereinbaren, da dessen Pflichtenprogramm lediglich den Schutz der dort genannten absoluten Rechte intendiert, nicht aber das jeden Geschädigten treffende allgemeine Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners778. Vollmer, JZ 1977, S. 375. Ablehnend hierzu LArenziCanaris, SchR 1112 13 , § 76 III 5 c); Ulmer, JZ 1969, S. 171. 11S Vgl. oben bei Fn. 757. 116 Vollmer, JZ 1977, S. 376. 111 Münchener KommentarlMertens 3 , § 823, Rn. 226. 773

114

222 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

II. Nachweis der fehlenden Kausalität des Verschuldens Verschuldensvermutung und Entlastungsmöglichkeit bilden typischerweise ein einander korrespondierendes Gegensatzpaar. Bei § 836 I 2 BGB zeigt sich freilich die Besonderheit, daß das Verschulden des Besitzers sowie dessen Kausalität779 für Einsturz und Rechtsgutsverletzung vermutet wird, die Entlastung aber nur im Wege der Darlegung der zur Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erfolgen kann. Bezüglich der Kausalitätsvermutung besteht diese Möglichkeit, dem Wortlaut des Gesetzes folgend, nicht. Mit einer solchen partiell unwiderleglichen Vermutung wäre ein Schritt in Richtung einer verschuldensunabhängigen Haftung getan, was der Norm eine gemischte Rechtsnatur verleihen würde. Hiergegen sprechen indes gewichtige Bedenken. In systematischer Hinsicht ist festzustellen, daß alle übrigen Vermutungstatbestände des 25. Titels des BGB den Nachweis der fehlenden Kausalität des Verschuldens zulassen78o• Aber auch inhaltlich leuchtet es nicht ein, einerseits die Pflichtwidrigkeit einer konkreten Person zum Haftungsgrund zu erheben, diese Person aber andererseits ohne Rücksicht auf deren Zusammenhang mit dem Verletzungserfolg haften zu lassen. Ein derartiges haftungsbegründendes versari in re illicita ist selbst für die Erfolgshaftung nach § 848 oder § 287 S. 2 BGB 781 nicht vorgesehen. Der Bauwerksbesitzer stünde zudem günstiger da, wenn ihm ein unsorgfaItiges Verhalten nachgewiesen wäre und man ihn aus § 823 I BGB in Anspruch nähme, weil er sich dort über das Fehlen des Rechtswidrigkeitszusammenhanges 782 fraglos entlasten kann 783. Man käme also zu dem widersinnigen Ergebnis, daß der Pflichtige sich hinsichtlich seiner Unsorgfältigkeit zunächst einmal selbst belasten müßte, um sich hinterher mit deren fehlender Relevanz für die Rechtsgutsverletzung exkulpieren zu können. Diese Unstimmigkeit würde zwar aufgelöst, wenn man § 836 BGB bei nachweislich unsorgfältigem Verhalten neben § 823 I BGB anwendete und die Verpflichtung trotz fehlender Kausalität des bewiesenen Verschuldens aus dem Spezialtatbestand herleitete. Indes dient die Verschuldensvermutung dem Zweck der Behebung der Beweisnot des Geschädigten784 • Steht das Ver778 Vgl. LarenzlCanaris, SchR 11/2 13 , § 76 III 5 c): Kein Schutz gegenüber allgemeinen Vermögensschäden durch das Deliktsrecht. 779 Zur Verschleifung des Begriffes der Kausalität der Pflichtwidrigkeit mit normativen Elementen oben G 11 1. 780 Auf diesen systematischen Gesichtspunkt weist beispielsweise Weimar, ZMR 1960, S. 328 hin. 781 Siehe § 287 S. 2, Halbsatz 2 BGB. 782 Zum dogmatischen Umstrittenheit dieses Begriffes vgl. die Nachweise in Fn.697. 783 Vgl. z.B. Münchener Kommentar/Mertens 3 , § 823, Rn. 47f.; auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2 , S. 21Off.

H. Möglichkeiten der Entlastung für den Verpflichteten

223

schulden fest, so ist dieser Nonnzweck nicht mehr angesprochen, weshalb dem Rückgriff auf die Vennutung des § 836 I 2 BGB eine Absage zu erteilen ist785 und der aufgezeigte Widerspruch erhalten bleibt. Die vorstehenden systematischen und inhaltlichen Erwägungen lassen nur den Schluß zu, daß den Gesetzesverfassem ein Redaktionsversehen unterlaufen ist. Es ist mithin davon auszugehen, daß der Verpflichtete sich in der Gebäude- und Werkhaftung durch den Nachweis des fehlenden Zusammenhanges von Pflichtwidrigkeit und Rechtsgutsverletzung entlasten kann786 • § 836 I 2 BGB ist gedanklich um den Passus "oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde" zu ergänzen. Darüber hinaus kann sich der Bauwerkspflichtige aber auch auf den Nachweis sonstiger den Haftungszusammenhang unterbrechender Konstellationen berufen, wobei es nicht selten um den Einwand des Fehlverhaltens Dritter geht787 . Ein Beispiel hierfür findet sich in BGH VersR 1953, S. 479 (480): Dort war der Besitzer eines Trümmergrundstückes zwar zunächst untätig geblieben, die Schädigung beruhte aber letztlich darauf, daß das zuständige Trümmeramt bei seinen Abbruchmaßnahmen den gefahrdrohenden Zustand noch intensiviert hatte788. Hier durfte sich der Hausbesitzer auf ordnungsgemäße Abbrucharbeiten verlassen, so daß sein ursprünglich schuldhaftes Unterlassen eine Haftung seinerseits nicht mehr begründete789 • Diese Entscheidung des BGH verdeutlicht, daß mit der Vermutung der Kausalität des pflichtwidrigen Handeins bzw. Unterlassens durch § 836 I 2 BGB zugleich über die bloße Ursächlichkeit hinausgehende Zurechnungsfragen angesprochen sind790, weil die Unterlassung der Siehe oben B in diesem Abschnitt zum Normzweck. Zur Entbehrlichkeit des § 836 BGB bei festgestelltem Verschulden oben A 11 mit Fn. 24. 786 So die heute ganz h.M.: RG LZ 1922, S. 232; BGH LM § 836 BGB Nr. 4 = VersR 1952, S. 291; BGH NJW-RR 1988, S. 853 (855) = BGH LM § 836 BGB Nr. 22; OLG Celle, OLG-Rp Celle 1994, S. 281; RGRK/Krejt12, § 836 Rn. 52; StaudingerIBellingIEberl-Borges 13 , § 836, Rn. 99; ErmaniSchiemann 93 § 836, Rn. 9; SoergellZeuner 12 , § 836, Rn. 21; Münchener Kommentar/Stein, § 836, Rn. 36; BaumgärtellLaumen 2 , § 836, Rn. 9; Weimar, ZMR 1960, S. 328. Die Entlastungsmöglichkeit wird dagegen beispielsweise nicht genannt von Laue, S. 30. Siehe ferner die Nachweise bei Wolterhoff, S. 35, welcher aber selbst den Entlastungsbeweis der fehlenden Kausalität zuläßt, allerdings insofern nicht nachvollziehbar den vom Kläger zu beweisenden objektiven Tatbestand als nicht erfüllt ansieht. 787 Vgl. schon oben zur psychischen Kausalität unter D IV 3 d) sowie G 11 1. 788 Davon zu unterscheiden ist das Entfallen des Schutzbereichs, wenn die Schädigung unmittelbar durch die Abbrucharbeiten, also eine Handlung, hervorgerufen wird, oben D IV 2 am Ende. 789 Siehe aber auch BGH LM § 836 BGB Nr. 12 a): Keine Entlastung bei ungenügender Überwachung der Abbrucharbeiten. 790 Oben G 11 1. 784 785

224 § 4 Voraussetzungen der Gebäude- und Werkhaftung im deutschen Recht

Instandsetzung immerhin adäquat kausal für das letztlich schadensbringende Einschreiten der Behörde war791 und nur deren pflichtwidriges Dazwischentreten bei der Beseitigung der Gefährdung befreiend wirkte. Einen gesetzlich geregelten Fall der Haftungsbefreiung durch pflichtwidriges Dazwischentreten Dritter enthält schließlich die in § 836 11 BGB normierte Nachhaftung des früheren Besitzers. Dieser kann sich zum einen selbstverständlich auf die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt während seiner Besitzzeit berufen. Daneben steht ihm aber der Nachweis offen, ein späterer Besitzer habe die Gefahr seinerseits durch Einhaltung der gebotenen Sorgfalt abwenden können. Mit der schuldhaften Nichtvornahme erforderlicher Unterhaltungsmaßnahmen des gegenwärtig Pflichtigen sind mithin die Voraussetzungen eines novus actus interveniens durch Unterlassen792 erfüllt.

J. Zusammenfassung Eine Betrachtung der Gebäude- und Werkhaftung nach §§ 836ff. BGB, wie sie sich nach derzeitiger Rechtslage darstellt, führt zu einer ambivalenten Einschätzung, da die Interessen der geschädigten Person berücksichtigt werden, aber auch der Verpflichtete nicht für jedweden durch sein Bauwerk verursachten Schaden einzustehen hat. Einerseits erlegt der Normkomplex dem Verpflichteten mit dem Nachweis der Erbringung der zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Sorgfalt eine recht weitgehende Beweislast auf93 , welche durch die Praktizierung des Anscheinsbeweises bei der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung 794 noch erschwert wird und dadurch dem Sphärengedanken und der Beweisnot des Geschädigten 795 Rechnung trägt. Der Kreis der Verpflichteten wird unter Zugrundelegung des Eigenbesitzermodelles differenziert beschrieben und ermöglicht - nicht zuletzt durch das Institut der Nachhaftung - eine recht flexible, wenn auch durch Übergehen auf ein Haltermodell noch zu verbessernde 796, Inanspruchnahme.

791 Vgl. BGHZ 57, 245 (255): Abriß einer Grenzmauer durch die zuständige Behörde bei baurechtswidrigem Zustand des übrigen Grundstückes ist vorhersehbar. 792 Zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges durch Unterlassen z. B. Deutsch, Unerlaubte Handlungen3, Rn. 65 m. w.N. Siehe auch BGH NJW 1985, S. 671 mit Anmerkung von Deutsch. 793 Zur Beweislastverteilung oben G in diesem Abschnitt. 794 D IV 1. 795 Vgl. oben B. 796 Oben F V.

J. Zusammenfassung

225

Andererseits handelt es sich dennoch um eine Verschuldens- und nicht um eine Erfolgshaftung. Der Sondercharakter gebietet zudem einen behutsamen Umgang mit dem Institut der Analogie, was sich bei den Beschränkungen der Objekte, für die gehaftet wird797 , sowie der Art des haftungsauslösenden Ereignisses798 auswirken muß. Im europäischen Vergleich dürfte das deutsche Recht die engsten Parallelen zur österreichischen Gebäudehaftung nach § 1319 AGBG aufweisen, wobei letztere durch den Verzicht auf den Eigenbesitz799 noch einen Schritt voraus ist. Die historischen Wurzeln der römisch-rechtlichen cautio damni infecti hat das BGB wiederum insbesondere dadurch gekappt, daß der rein nachbarrechtliche Anknüpfungspunkt für eine Schadensersatzberechtigung entfällt8OO • Auch die actio de posito vel suspenso hat - anders als in Österreich 801 - eine deutliche Ablehnung erfahren802 , was bei der Anwendung des § 836 BGB zu widersprüchlichen Ergebnissen führt und deshalb - in Zusammenschau mit einer Abkehr vom Eigenbesitzerfordernis - zu überdenken wäre 803 •

797 798

799 800

SOl

802 803

Oben C. Oben D. Anders § 836 III BGB. Vgl. aber § 908 BGB. § 1318 AGBG. Oben § 2 Allund E. Siehe F III am Ende.

I S Petershage.

§ 5 Die Versicherbarkeit der Haftung aus §§ 836-838 BGB Die Versicherbarkeit des vorstehend beschriebenen Haftungsrisikos ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil die Neigung zur Zurechnung eines Schadens zu einer Person - in den Grenzen des geltenden Haftungsrechtes - fraglos größer ist, wenn ein finanzkräftiger Schuldner in Form einer Versicherungsgesellschaft die Regulierung übernimmtl. Teilweise wird dieser Gesichtspunkt zum Anlaß genommen, um weitergehende materiell-rechtliche Wertungen für die Haftungsbegründung zu treffen 2, was allerdings abzulehnen ist, wenn hierdurch über die Wertungen gesetzten Rechtes hinaus faktisch eine wirtschaftliche Praxis den Gesetzgeber bzw. die für die Normanwendung zuständige Judikative substituiert3 • Abgedeckt werden die mit Gebäuden und Grundstücken verbundenen Gefahren über eine Haftpflichtversicherung. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich in §§ 149ff. VVG, §§ Hf. der AHB sowie den besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherungen4 • Die spezifische Versicherungsform hängt wiederum von der Art des Haftungsobjektes, dessen Nutzungszweck sowie dem schädigenden Ereignis ab. Sofern es sich um privat genutzte Wohngebäude handelt, wird häufig bereits die Privathaftpflichtversicherung für den Schadensausgleich zuständig sein. Für die dort nicht abgesicherten Risiken muß eine Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung abgeschlossen werden, während 1 Zu diesem Aspekt z.B. Münchener Kommentar/Mertens 3 , § 823, Rn. 49; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2 , S. 13; ausführlich v. Bar, AcP 181 (1981), S. 289 ff. Bei feststehender Haftungsbegründung wird im übrigen das Bestehen einer Haftpflichtversicherung in die Erwägungen zur Bemessung des Schmerzensgeldes einbezogen: BGHZ (GSZ) 18, 149 (165ff.); siehe aber auch OLG Frankfurt, VersR 1990, S. 1287. Eine Berücksichtigung erfolgt ebenso im Rahmen der Billi~keitshaf­ tung nach § 829 BGB, vgl. BGH NJW 1979, S. 2096; PalandtlThomas , § 829,

Rn. 3.

2 v. Bar, AcP 181 (1981), S. 324ff.; vgl. auch Vollmer, JZ 1977, S. 375 zur wirtschaftlichen Kanalisierung auf den Geschäftsherren bei der Haftung für schuldhaftes Verhalten des Gehilfen. Dazu oben § 4 H I 2. 3 Für eine grundsätzliche Ausrichtung der Versicherung nach der Haftung z. B. PrölssIMartinIVoir26 , § 149 VVG, Rn. 39. Näher unten D. 4 Hierbei handelt es sich um Allgemeine Versicherungsbedingungen, die typischerweise den Verträgen in dem betreffenden Versicherungszweig zugrundegelegt werden, von denen Abweichungen im Einzelfall aber möglich sind: Späte, Vorbem. AHB, Rn. 24; PrölssIMartinIVoir26, Vorbem. zu den BBR, S. 1211.

A. Bedeutung und Nutzung des Haftungsobjektes

227

rein betrieblich genutzte Gebäude bereits in der Betriebshaftpflichtversicherung Berücksichtigung finden 5 •

A. Bedeutung des Haftungsobjektes und seiner Nutzung für die Versicherungsform Die besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung (BBR)6 sehen typischerweise vor, daß "... die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens - mit Ausnahme der Gefahren eines Betriebes, Berufes, Dienstes, Amtes (auch Ehrenamtes), einer verantwortlichen Betätigung in Vereinen aller Art oder einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung ... " versichert ist. In Nr. 1.1 bis 1.8 BBR wird eine beispielhafte7 Aufzählung solcher Gefahren des täglichen Lebens vorgenommen, wobei den einzelnen Beispielen für den von ihnen umschriebenen Bereich zum Teil eine Ausschlußfunktion zukommt8 • Nach Nr. 1.3 BBR besteht Versicherungsschutz für Personen "als Inhaber a) einer oder mehrerer Wohnungen (bei Wohnungseigentum als Sondereigentümer) - einschließlich Ferienwohnung - .... , b) eines im Inland gelegenen Einfamilienhauses, c) eines im Inland gelegenen Wochenendhauses, sofern sie vom Versicherungsnehmer ausschließlich zu Wohnzwecken verwendet werden, einschließlich der zugehörigen Garagen und Gärten sowie eines Schrebergartens .... ". Das Erfordernis des Wohnzweckes bewirkt eine Abgrenzung zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken. Die Ausübung des Berufes oder Gewerbes innerhalb der Räumlichkeiten schließt den Versicherungsschutz nur dann riicht aus, wenn diese Aktivitäten sowie die dazu notwendigen Betriebsmittel den Wohncharakter nicht übermäßig beeinträchtigen9 • Der Begriff des "Inhabers des Wohnraums" muß freilich in einem weiterem Sinne verstanden werden. Es findet keine dem § 836 ßI BGB entsprechende Beschränkung auf den Eigenbesitzer statt, so daß, ebenso wie bei Hierzu Heimbücher, Einführung 3 , S. 122 u. 128. Abgedruckt z. B. bei Späte, Teil C, S. 671 ff. 7 Der Beispielscharakter wird durch den vorangestellten Tenninus "insbesondere" verdeutlicht: Prölss/Martin/Voir6 , PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 4. 8 Prölss/Martin/Voir6 , PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 4 u. 13. 9 Bei Prölss/Martin/Voir6 , PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 16 wird u. a. auf Schriftsteller- und Heimarbeitertätigkeiten verwiesen. S

6

IS·

228

§ 5 Die Versicherbarkeit der Haftung aus §§ 836-838 BGB

der Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung, neben dem Eigentümer auch sonstige Berechtigte, wie z. B. MieterIO und Nießbraucher, hierzu zählen 11. Die Inhaberschaft verlangt auch keine zeitlich dauernde oder räumlich ausschließliche Nutzung l2 . Dies ergibt sich aus der Einbeziehung der Wochenendhäuser in den Versicherungsschutz l3 sowie daraus, daß nach BBR Nr. 1.3 ausdrücklich die gesetzliche Haftpflicht aus der Vermietung von bis zu drei einzelnen Räumen mitversichert wird. Die Absicherung des gerade genannten Vermieterrisikos bezieht sich allerdings nur auf die Anmietung zu privaten Zwecken, während die mietweise Überlassung von ganzen Wohnungen, einzelner Räume, welche vom Mieter gewerblich genutzt werden 14 sowie von Garagen unberücksichtigt bleibt. Ist einer dieser Ausschlußtatbestände erfüllt, so bedarf es zur Regulierung von Schäden grundsätzlich einer zusätzlichen Absicherung. Von diesem Grundsatz wird indes eine Ausnahme zugelassen: So ist die Privathaftpflichtversicherung, beispielsweise im Falle der Vermietung von ganzen Wohnungen, in gleichem Maße zuständig, wenn sich bei dem Schadensfall nicht das typische Vermieterrisiko verwirklicht hat. Um ein solches Risiko geht es zweifelsohne, wenn ein Mieter innerhalb der gemieteten Räume einen von deren mangelhaftem Zustand herrührenden Schaden erleidet I 5. An der Gefahrverwirklichung fehlt es hingegen bei der Schädigung anderer Personen als der des Mieters durch eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Vermieters außerhalb der Mieträume, beispielsweise auf einem nicht gestreuten Gehweg, wobei es sich nach einem Urteil des OLG Karlsruhe l6 auch um Besucher des Mieters handeln kann l7 • Eine sinnvolle Grenzziehung sollte hier mittels der Figur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter möglich sein l8 • Mitversichert wären damit jedenfalls Unfälle von Besuchern des Versicherungsnehmers l9 sowie außenstehender 10 Zur wegen § 4 I Ziffer 1 AHB problematischen Versicherbarkeit bei der Übernahme von Unterhaltungspflichten entgegen § 5368GB siehe aber Dtto, WuM 1977, S. 27. 11 Späte, Priv.H, Rn. 20. 12 OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101), wo die Inhaberschaft für den Fall der Vermietung des gesamten Wohnraums offengelassen wird. 13 So die Argumentation des OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101). 14 In diesem Zusammenhang kommt es nicht auf das gewerbliche Handeln des Inhabers, sondern den Nutzungszweck des Mieters an: BGH VersR 1996, S. 495 (496). IS Späte, Priv.H, Rn. 21; KuwertlErdbrügge?, Rn. 3085. 16 OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101); zum Vermieterrisiko auch Prölssl MartinlVoir26 , PrivathaftPfl. Nr. I, Rn. 16. 17 Weitergehend auch für den Mieter: Späte, Priv.H, Rn. 21; KuwertlErdbrügge?, Rn. 3084. 18 Heimbücher, VW 1978, S. 996 stellt auf den inneren Zusammenhang mit dem Vermieterrisiko ab.

A. Bedeutung und Nutzung des Haftungsobjektes

229

Passanten20, nicht aber von Personen, soweit diese in den Schutzbereich des Vertrages zwischen Vermieter und Mieter einbezogen sind21 , weil dem Vermieter insoweit Schutzpflichten erwachsen22 , die ihm über die deliktischen Verkehrssicherungspflichten hinaus zusätzliche Risiken aufbürden und folglich gesondert versichert werden müssen23 • Anders als im Rahmen der eben geschilderten Privathaftpflichtversicherung entfällt dagegen der Versicherungsschutz bei der Betriebshaftpflichtversicherung im Falle der Vermietung an betriebsexterne Personen im ganzen 24 • Eine vergleichbare Begrenzung des Ausschlusses auf das typische Vermieterrisiko findet also nicht statt, wenn und weil das in der Betriebshaftpflichtversicherung mitversicherte Gebäude - bzw. der Gebäudeteil25 - nicht ausschließlich für die Zwecke des versicherten Betriebes oder für Wohnungszwecke des Versicherungsnehmers und seiner Betriebsangehörigen genutzt wird26 • Gänzlich ausgeschlossen ist im übrigen der Schutz durch die Privathaftpflichtversicherung für Risiken aus der Inhaberschaft von in BBR Nr. 1.3 nicht genannten Haftungsobjekten, beispielsweise Ställen auf landwirtschaftlich genutzten Grundstücken 27 • Für derartige Bauwerke muß wiederum eine gesonderte Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung abgeschlossen werden28 • Im Fall der Lagerung von gewässerschädlichen Stoffen in Anlagen, wozu im Privatbereich in erster Linie Heizöltanks zählen dürften 29 , bedarf es einer zusätzlichen Versicherung dieses Anlagenrisikos 3o .

Prölss/Martin/Voif26 , PrivathaftPfl. Nr. I, Rn. 16. OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101). 21 Zur Reichweite der Schutzwirkung bei Mietverhältnissen siehe z. B. Münchener Kommentar/Gottwald3 , § 328, Rn. 129f. m.w.N. 22 Vgl. Heimbücher, VW 1978, S. 996, der auf die Nebenpflicht des gefahrlosen Zugangs zu den Mieträumen hinweist. 23 Anders aber für Besucher des Mieters OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101). 24 Heimbücher, VW 1978, S. 995. 25 Zur möglichen Beschränkung der betrieblichen Nutzung auf Grundstücks- hzw. Gebäudeteile: Prölss/Martin/Voif6 , Betriebshaftpfl. Nr. 3, Rn. 1. 26 Vgl. Nr. 3 der Besonderen Bedingungen zur Betriebshaftpflichtversicherung, abgedruckt bei Prölss/Martin/Voif26 , S. 1248. 27 OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101). 28 Prölss/Martin/Voif26 , PrivathaftPfl Nr. I, Rn. 24. 29 Prölss/Martin/Voif26 , S. 1228, Rn. 1. Zur Haftung nach § 22 11 WHG in diesem Fall: OLG Frankfurt, VersR 1988, S. 1069. 30 Entsprechende Zusatzbedingungen zur Privat- sowie Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung finden sich abgedruckt bei Prölss/Martin/Voif26 , S. 1228. 19

20

230

§ 5 Die Versicherbarkeit der Haftung aus §§ 836-838 BGB

Besonderheiten birgt die Abdeckung von Risiken, die aus der Stellung als Wohnungseigentümer hervorgehen 3l • Soweit es um Schäden durch privat genutztes Sondereigentum geht, kann gemäß Nr. 1.3 a) BBR die Privathaftpflichtversicherung in Anspruch genommen werden. Nach Nr. 1.3 a) Satz 2 BBR sind ebenso Schäden am Gemeinschaftseigentum, welche durch die Verletzung von aus dem Sondereigentum herrührenden Verkehrssicherungspflichten verursacht wurden, zu ersetzen. Anspruchsberechtigt ist in diesem Fall die Wohungseigentümergemeinschaft. Der Miteigentumsanteil des Sondereigentümers wird indes nach Nr. 1.3 a) S. 3 BBR nicht in die Leistungspflicht einbezogen, weil es sich insoweit um einen von der Haftpflichtversicherung ungedeckten Eigenschaden handelt 32 • Sollen hingegen Risiken aus dem Gemeinschaftseigentum, wie etwa herabfallende Dachziegel, abgesichert werden, so muß die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine besondere Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung abschließen 33 , was gemäß § 21 V Nr. 3 WEG zur ordnungsgemäßen, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechenden Verwaltung gehört. Durch eine solche Versicherung kann abweichend von § 4 n Nr. 2 AHB 34 der Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers gegen die Gemeinschaft abgedeckt werden35 • Einem ausdrücklichen Ausschluß unterliegen aber Schäden am Gemeinschafts- und Sondereigentum, was gleichermaßen für Wohnungs- und Teileigentum gilt. Denn hier wird in jedem Fall der Eigenschadensbereich betreten - sei es als geschädigter Sonder- oder aber als Miteigentümer36•

B. Abgrenzung nach der Art des schädigenden Ereignisses Die Risikobeschreibung der Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung37 dient zugleich der Begrenzung und Umschreibung des nach Nr. 1.3 BBR in der Privathaftpflichtversicherung mitversicherten Risikos. In den besonderen Bedingungen der Haus- und GrundstücksbesitzerhaftHierzu Geiler, RuS 1976, S. 157ff. mit Beispielen. Vgl. Geiler, RuS 1976, S. 158; Späte, Priv.H, Rn. 23; KuwertIErdbrügge?, Rn. 3086. 33 GeIler, RuS 1976, S. 159; Stein, Festschrift für SeuB, S. 278. 34 Siehe auch § 7 Nr. 2 AHB. 35 Genehmigte Zusatzklausel siehe VerBAV 1974, 85. Die Klausel ist auch abgedruckt bei PrölssIMartinIVoir'6, PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 18. Ebenfalls abgesichert sind danach abweichend von § 411 Nr. 2 AHB LV.m. § 7 Nr. 1 AHB Ansprüche des Wohnungseigentümers gegen den Verwalter sowie gegenseitige Ansprüche von Wohnungseigentümern bei Betätigung im Interesse und für Zwecke der Gemeinschaft 36 Vgl. Geiler, RuS 1976, S. 159. 37 Bedingungstext z. B. bei Heimbücher, Einführung 3 , S. 136f. 31

32

B. Abgrenzung nach der Art des schädigenden Ereignisses

231

pflichtversicherung wird vorgesehen, daß die gesetzliche Haftpflicht aus dem Verstoß gegen die aus der Eigenschaft als Haus- und Grundstücksbesitzer38 resultierenden Pflichten versichert ist. Als Beispiele sind die bauliche Instandhaltung, Beleuchtung, Reinigung, Bestreuung der Gehwege bei Winterglätte sowie Schneeräumen auf Bürgersteig und Fahrdamm angeführt. Angesprochen sind damit die Verantwortlichkeit für den ordnungsgemäßen Zustand von Haus und Grundstück und folglich die Verkehrssicherungspflichten39 • Hierzu zählt - was der gesonderten Erwähnung an sich nicht bedarf - ebenso die Obligation aus §§ 836ff. BGB, worin die Nacbhaftung aus § 836 TI BGB eingeschlossen ist, wenn die Versicherung bis zum Besitzwechsel Bestand hatte40 • Mit dem Inhaberrisiko des Nr. 1.3 BBR sind ebenfalls derartige mit der Verkehrssicherungspflicht verbundenen Haftungsgefahren gemeint. Steht die gesetzliche Haftung dagegen lediglich in einem äußeren Zusammenhang mit Grundstück oder Bauwerk, wie etwa bei Aktivitäten auf bzw. innerhalb derselben, so bleibt die Privathaftpflichtversicherung zuständig, wenn sich eine sonstige Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht und der Ausschlußtatbestand der "ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung" gemäß Nr. I Satz I BBR nicht vorliegt41 • Die Privathaftpflichtversicherung muß also bei Fehlen eines inneren Zusammenhanges mit der Grundstücks- und Bauwerksverkehrssicherungspflicht unter Umständen auch dann für einen eingetretenen Schaden aufkommen, wenn dessen Ausgangspunkt auf oder in einem gemäß Nr. 1.3 BBR nicht versicherten Haftungsobjekt gelegen hat. Als Beispiel aus der Rechtsprechung sei hier das mit einer Lötlampe ins Werk gesetzte Ausbrennen des in einem Stall befindlichen Wespennestes durch den Pächter genannt, welches das Abbrennen des Nachbarstalles zur Folge hatte42 • Auch Schäden an vom Mieter eingebrachten Sachen, die durch einen bei Schweißarbeiten des Vermieters ausgelösten Brand entstanden waren, wurden dem Bereich der Privathaftpflichtversicherung zugerechnet43 • Soweit der Wobnrauminhaber jedoch bauliche Maßnahmen, beispielsweise in Form von Umbauarbeiten oder Reparaturen, vornimmt oder vornehmen läßt, sind diese Aktivitäten bereits durch Nr. 1.3 BBR bzw. eine eventuell bestehende Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung Beispielhaft werden Nießbraucher, Pächter und Mieter genannt. OLG Hamm, VersR 1990, S. 775 (776). 40 Hierzu Prölss/Martin/Voij2.6, PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 24; Heimbücher, VW 1968, S. 368. 41 Hierzu BGH VersR 1996, S. 495; OLG Hamm, VersR 1990, S. 775 (776); vgl. auch OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100 (101). 42 OLG Hamm, VersR 1990, S. 775. 43 BGH VersR 1996, S. 495 (496). 38 39

232

§ 5 Die Versicherbarkeit der Haftung aus §§ 836-838 BGB

abgesichert44, wobei allerdings die in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Bausumme nicht überschritten werden darf.

c.

Einbeziehung von Hilfs- und Betreuungspersonen

Den im Rahmen dieser Arbeit interessierenden Haftpflichtversicherungen für Gebäude- und Grundstücksrisiken ist gemeinsam, daß die Haftung der mit der Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten betrauten Personen weitgehend mitversichert wird. Im Bereich der Privathaftpflichtversicherung bestimmt dies Nr. 2.2 Satz 2 BBR, welcher die gesetzliche Haftpflicht gegenüber Dritten von "Personen, die aus Arbeitsvertrag oder gefälligkeitshalber Wohnung, Haus und Garten betreuen oder den Streudienst versehen" einschließt45 • Haftungsauschlüsse wirken im übrigen nur, wenn der betreffende Tatbestand in der Person des Übernehmers erfüllt wird46 , so daß etwa die Vermietung eines Raumes zu gewerblichen Zwecken womöglich den Versicherungsschutz für den vermietenden Versicherungsnehmer, nicht aber für den aus Übernahme Verantwortlichen entfallen läßt47 . Die Mitversicherung der gesetzlichen Haftpflicht von Betreuungspersonen findet sich gleichfalls in der Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung48 • Erwähnt sind in diesem Zusammenhang ebenso der Konkurs- oder Zwangsverwalter, deren Haftung aus § 838 Alt.1 BGB anerkannt ist49 • Parallele Regelungen sehen im übrigen auch die besonderen Bedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung VOriO, so daß es bei rein betrieblicher Nutzung einer zusätzlichen Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung nicht mehr bedarf.

44 Zur Abgrenzung zwischen Bauherren- und Eigentümerrisiko: OLG Hamm, VersR 1983~ S. 257. Zur Bauherrenhaftpflicht und deren Versicherbarkeit: Prölssl MartinlVoir 6 , PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 23; Heimbüeher, VW 1995, S. 1117ff. 45 Hierunter fällt nach dem Wortlaut aber nich~ die entgegen § 536 BGB erfolgte Übernahme von Unterhaltungsmaßnahmen durch den Mieter. 46 Vgl. § 7 Nr. 1 AHB. 47 Vgl. PrölssIMartinIVoir26 , PrivathaftPfl. Nr. 2, Rn. 1; OLG Hamm, VersR 1993, S. 1141 für den Fall des mitversicherten Ehepartners. 48 Zur Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung siehe PrölsslMartinIVoir26 , PrivathaftPfl. Nr. I, Rn. 24. Zum Haftungseinschluß von Betreuungspersonen im Zusammenhang mit Anlagenrisiken siehe § 1 III der ,.zusatzbedingungen zur Privat- sowie Haus- oder Grundstückshaftpflichtversicherung für die Versicherung der Haftpflicht aus Gewässerschäden - Anlagenrisiko -", abgedruckt bei PrölssIMartinIVoir26 , S. 1228. 490ben§4FIV1. so Nr. 3.1.3 und 3.1.4, abgedruckt bei PrölsslMartinlVoir26 , S. 1248; Heimbüeher, Einführung 3, S. 136.

D. Ertrag

233

Im Bereich des Wohnungs- und Teileigentums übernimmt eine von der Eigentümergemeinschaft abgeschlossene Haus- und Grundstücksbesitzerhaftpflichtversicherung die Haftung des Verwalters gegenüber Dritten5 !, aber auch gegenüber dem Einzeleigentümer, sofern nicht Einzel- oder Sondereigentum von der Schädigung betroffen sind. Solche Sachschäden bleiben im Hinblick auf deren Eigenschadenscharakter von der Deckung aus geschlossen52 •

D. Ertrag Insgesamt zeigt sich, daß die aus §§ 836ff. BGB entstehenden Haftpflichtrisiken weitreichend versicherbar sind und in vielen Fällen schon die Privathaftpflichtversicherung für Deckung sorgt. Der umfassende Einschluß der Haftpflicht von Betreuungspersonen darf indes - entgegen der von Vollme~3 vertretenen Auffassung - nicht zum Anlaß genommen werden, das materiell-rechtliche Haftungsrisiko auf den originär Sicherungspflichtigen zu konzentrieren, indem man ihm die Möglichkeit der Entlastung bei schuldhaftem Verhalten von Hilfspersonen gänzlich versagt. Abgesehen von der deliktsrechtlichen Besonderheit des Fehlens einer § 278 BGB gleichzuerachtenden Regelung 54 steht diesem Ansatz der bereits eingangs vorgebrachte Einwand entgegen, daß Praktiken der Versicherungswirtschaft den Entscheidungen von Legislative und Judikative nicht umfassend vorgreifen dürfen. Dies erschließt sich nicht zuletzt aus den versicherungsrechtlichen Bestimmungen55 , welche die Deckung der gesetzlichen Haftpflicht durch die Haftpflichtversicherung vorsehen 56 • Hieraus muß man folgern, daß nicht umgekehrt die Versicherbarkeit zur Verschärfung der Haftung in einem vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Maße führen darf57 • Ein solches haftungserweiterndes Wechselspiel zwischen Versicherung und Haftung ginge zudem in nicht gerechtfertigter Weise zu Lasten der Gemeinschaft der Versicherten, auf welche das erhöhte Risiko des Eintritts eines Versicherungsfalles mittels ansteigender Prämienzahlungen letztlich überwälzt würde58 • 51 Hierzu Weimar, JR 1973, S. 10; Geiler, RuS 1976, S. 159; BärmannlPickl Merle7 , § 21 WEG, Rn. 148. 52 Siehe Geiler, RuS 1976, S. 159 sowie die entsprechende Zusatzklausel, abgedruckt bei PrölsslMartinlVoijl6, PrivathaftPfl. Nr. 1, Rn. 18. 53 JZ 1977, S. 375. 54 Vgl. § 4 H I 2. 55 § 149 VVG. Siehe auch § 1 AHB und Nr. 1 BBR für die Privathaftpflichtversicherung. 56 In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff des materiell-rechtlichen Trennungsprinzips verwandt: Drewitz, S. 53f.; auch v. Bar, AcP 181 (1981), S. 295, Fn.33. . 57 Vgl. Drewitz, S. 50.

234

§ 5 Die Versicherbarkeit der Haftung aus §§

83~838

BGB

Die Möglichkeit des Abschlusses einer Versicherung kann demzufolge nur da eine Rolle spielen, wo es um rechtspolitische Entscheidungen des Gesetzgebers geht oder das bestehende Haftungsrecht dafür ausnahmsweise Raum läßt59 •

58 Auf die Gefahren einer solchen Entwicklung weist v. Bar, AcP 181 (1981), S. 327 hin. Vgl. insoweit auch OLG Frankfurt, VersR 1990, S. 1287. Drewitz, S. 52 nennt in diesem Zusammenhang den Aspekt der unzulässigen Vermischung der Bereiche Unfall- und Haftpflichtversicherung. S9 In den Niederlanden sehen beispielsweise die Art. 6:109 und 6:110 B.W. ausdrücklich die Möglichkeit der Berücksichtigung einer Versicherung bzw. der Versicherbarkeit für die Bemessung des Umfanges der Schadensersatzpflicht vor. Hierzu Vranken, AcP 191 (1991), S. 424.

§ 6 Die Bedeutung der §§ 836-838 BGB

im heutigen Deliktsrecht

Unter Zugrundelegung der in § 4 herausgearbeiteten Anspruchsvoraussetzungen soll nunmehr das Verhältnis zu anderen möglichen Anspruchsgrundlagen einer Betrachtung unterzogen werden. Eine hervorgehobene Bedeutung kommt dabei der Bestimmung des § 823 I BGB zu.

A. Verhältnis zur Haftung nach § 823 18GB Im Verlauf dieser Arbeit ist wiederholt die Möglichkeit angedeutet worden, daß die §§ 836ff. BGB im Zuge der Entwicklung der allgemeinen Verkehrs( sicherungs )pflichten ihre Bedeutung verloren haben könnten I. Ob der Spezialtatbestand der Gebäude- und Werkhaftung tatsächlich zu einem ,,Mauerblümchen am Wegrand der Verschuldenshaftung,,2 verb laßt ist, bedarf einer genaueren Untersuchung. Bisher wurde festgestellt, daß sich die selbständige Stellung des Normenkomplexes im heutigen Deliktsrecht des BGB nicht zuletzt durch eine dem Geschädigten günstigere Beweislastverteilung rechtfertigen läßt3 • Kennzeichnend für diese Beweislastregel ist nach hier vertretener Auffassung die Anknüpfung an den objektiv mangelhaften Zustand eines im Besitz des Inanspruchgenommenen stehenden Bauwerkes4 und die Vermutung schuldhaften Verhaltens bezüglich dieses Zustandes und der daraus resultierten SChädigung5 • Präziser formuliert findet sich der Beweislastvorteil darin, daß nur eine Rechtsgutsverletzung aufgrund objektiv fehlerhafter Errichtung oder Unterhaltung vom Geschädigten darzutun ist, nicht aber eine spezifische Pflichtverletzung des aktuell Sicherungspflichtigen. Dieses Beweisvorteils bedarf es zwar nicht, wenn sich aus den vorgetragenen Tatsachen ohnehin ein äußerlich unsorgfältiges Verhalten des Inanspruchgenommenen ableiten läßt, weil hier mit der Rechtsprechung regelmäßig auf die Verletzung der inneren Sorgfalt geschlossen werden kann 6 • Es kann aber auch so lOben § 4 Allund D III 1. So Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 66; für eine Streichung der §§ 836-838 BGB: v. Bar, Verkehrspflichten, S. 20. 3 Oben § 4 A 11. 40ben§4DIII1. S Oben § 4 G 11 1. 2

236

§ 6 Bedeutung der §§ 836--838 BGB im heutigen Deliktsrecht

liegen, daß nur ein fehlerhafter Bauzustand in Form von Rost7 , Fäulnis8 oder einer von vornherein unsicheren Konstruktion 9 feststeht. Hier ist es für den Geschädigten insbesondere dann, wenn das Bauwerk schon mehrfach seinen Besitzer gewechselt hat, zweifellos günstiger, lediglich den Beweis des schadensursächlichen Mangels an dem im Besitz des Inanspruchgenommenen stehenden Gebäudes antreten zu müssen lO, als eine darüber hinausgehende Pflichtverletzung in Form von zu selten vorgenommenen Prüfungsmaßnahmen oder einer nicht kunstgerechten Bauplanung des Besitzers bzw. seiner Hilfspersonen. Eine für den Geschädigten gleichwertige Beweislastregelung läßt sich nur erreichen, indem man den die Verschuldens- und Kausalitätsindikation 11 auslösenden Verstoß gegen die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten bei Bauwerken abstrahiert und z. B. als Nichtbeseitigung oder Aufrechterhaltung eines instabilen Zustandes durch den· Besitzer formuliert 12. Auf eine Unterscheidung zwischen fehlerhafter Errichtung und Unterhaltung käme es nach dieser Interpretation nicht mehr an, so daß im Ergebnis der bloße Besitz eines mangelhaften Bauwerkes eine Beweislastumkehr bewirken würde, die sich von der des § 836 I 2 BGB nur noch in ihrer dogmatischen Herleitung unterschiede. Bei einer so pauschalen Formulierung liegt der Einwand der Überspannung der Anforderungen an den Verkehrssicherungspflichtigen nahe 13. Es Oben § 4 D III 1. BGH NJW-RR 1988, S. 853 = LM § 836 BGB Nr. 22 (Korrodiertes Brückentragseil); OLG Jena, VersR 1998, S. 903 (Verrostete Metalleiter an einem Schornstein). 8 OLG Düsseldorf, NZA-RR 1998, S. 289 (Dachplatten). 9 BGH NJW 1985, S. 2588 = LM § 836 BGB Nr. 21 (Fehlerhafte Montage einer Duschkabine); RGZ 76, 260 (Zu schwache Bauart einer Regendurchlassrinne); OLG München, NJW-RR 1995, S. 540 (Unsachgemäße Verlegung des Seiles für die Notentriegelung eines Garagenschwingtores). 10 Vgl. OLG Dresden, NJ 1994, S. 225, wo der Hinweis auf die Pflichtwidrigkeit des Vorbesitzers mit dem Einwand abgelehnt wurde, daß dies im Außenverhältnis zur Klägerin allenfalls zu einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 840 I BGB führen würde, sofern der Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 836 I 2 BGB nicht gelänge. Siehe auch BGHZ 58, 149 (155) (Beklagte als jetzige Besitzerin für den Zustand verantwortlich). 11 Bezüglich der Kausalität der Pflichtverletzung arbeitet die Rspr. mit dem Anscheinsbeweis, vgl. z.B. BGH VersR 1974, S. 263 (264); OLG Koblenz, VersR 1997, S. 338 (339) (Anscheinsbeweis für die Kausalität bei fehlendem Handlauf einer Treppe, wenn der Unfall sich im Einwirkungsbereich der Gefahrenstelle ereignet hat). Weitere Nachweise bei RGRK/Steffen I2 , § 823, Rn. 521. 12 In diesem Sinne LarenziCanaris, SchR 1112 13 , § 75 11 3 d); ähnlich v. Bar, Verkehrspflichten, S. 173: Verkehrspflichten sind mit der äußeren Sorgfalt im Höchstmaß identisch. 13 Dies stellt auch v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 116 fest. 6

7

A. Verhältnis zur Haftung nach § 823 I BGB

237

ist überzeugend dargestellt worden, daß eine derartige Überspannung der Schaffung von verdeckten Gefährdungshaftungstatbeständen durch die Rechtsprechung gleichkäme l4 . Mindestens rechtfertigt die Nichtbeachtung eines so pauschalen Verhaltens gebotes aber nicht mehr den Schluß auf die Erkennbarkeit, in der Terminologie der herrschenden Lehre also der inneren Sorgfalt l5 , wobei dieser Aspekt zwar vornehmlich zu § 823 11 BGB herausgearbeitet wurde, Gültigkeit aber gleichermaßen hinsichtlich des Verhaltensprogrammes der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflichten besitzt l6 . So hat es der BGH in einer neueren Entscheidung für eine Haftung nach § 823 I BGB auch zu Recht nicht genügen lassen, daß sich der Boden eines Kaufhauses im Zustand der Feuchtigkeit befand, sondern es mußte zusätzlich festgestellt werden, daß die Glätte auf unzureichenden Sicherungsvorkehrungen, wie z. B. der Auswahl eines ungeeigneten Fußbodenbelages, beruhte l7 . Im Ergebnis ist damit folgendes festzuhalten: Eine Beweislastverteilung, wie sie in § 836 I BGB vorgezeichnet ist, mag für den Bereich der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten bei Gebäuden und Grundstücken wegen des besseren Überblickes des Besitzers über seine Sphäre, der daraus resultierenden Beweisnot des Geschädigten sowie der Versicherbarkeit des Risikosl 8 erstrebenswert sein. Sie -ist aber angesichts der derzeiti14 Esser, JZ 1953, S. 132f.; Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 59ff.; Blaschczok, Gefahrdungshaftung, S. 97 ff. mit umfangreichen Nachweisen zur Grundstücke und Gebäude betreffenden Rechtsprechung auf S. 111 ff. Auf die drohende Aushöhlung des Verschuldensprinzips durch Übersvannung der Verkehrs(sicherungs)pflichten weisen auch LarenzlCanaris, SchR 11/2 3, § 76 III 7 b) hin, die aber deutlich zwischen abstrakter Verkehrs(sicherungs)pflicht und Verschulden trennen. 15 Anders als hier für den Bereich der Grundstücke und Gebäude v. Bar, Verkehrspflichten, S. 302f.: Generelle Beweislastumkehr, weil die Verkehrspflicht an eine abstrakte Gefahr anknüpfe und deshalb ein bestimmtes Verhalten wegen seiner latenten Schadensneigung verbiete. 16 Zum Erfordernis der Konkretisierung von Verhaltenspflichten bei Schutzgesetzen i. S. d. § 823 11 BGB und der parallelen Behandlung der Verkehrs(sicherungs)pflichten: Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 308ff.; RGRK/Steffen I2 , § 823, Rn. 566: Je stärker sich die Norm darauf beschränkt, nur den Verletzungserfolg zu verbieten und auf konkrete Verhaltensanforderungen verzichtet, um so weniger aussagekräftig ist sie für die Feststellung der "inneren Fahrlässigkeit". Siehe auch BGH VersR 1974, S. 263 (264), wo die Anwendung des Anscheinsbeweises bei einer Unfall verhütungsvorschrift, welche allgemein die Sorge für eine betriebssichere Nutzung der Verkehrswege auf einer Baustelle vorschrieb, offengelassen wurde. Gegen eine Beweislastumkehr in diesem Fall: StolI, AcP 176 (1976), S. 165. 17 BGH NJW 1994, S. 2617 (2618); vgl. auch BGH NJW 1986, S. 2757: Dort wird zunächst nur der geflihrliche Zustand des Bodens festgestellt, dann aber auf die fehlerhafte Auswahl des Bodens durch die Beklagte abgestellt. 18 Die Privathaftpflichtversicherung schließt beispielsweise die Haftung für den Zustand nicht gewerblich genutzter Wohngebäude ein, vgl. hierzu OLG Karlsruhe, VersR 1997, S. 100, für andere Gebäude muß eine Haus- und Grundstücksbesitzer-

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§ 6 Bedeutung der §§ 836-838 BGB im heutigen Deliktsrecht

gen differenzierten Ausgestaltung des Deliktsrechts im BGB 19 und der Singularität der Norm2o abzulehnen, so daß der Betroffene wenigstens eine objektive Pflichtverletzung der für die Sicherung zuständigen Person nachzuweisen hat21 • § 836 BGB läßt demgegenüber den Nachweis objektiv fehlerhafter Errichtung oder Unterhaltung irgendeiner Person genügen und stellt damit vom Resultat her auf den fehlerhaften Zustand ab. Daß die Rechtsprechung die Begriffe des mangelhaften Zustandes und der Pflichtverletzung des Beklagten sowohl bei § 823 I BGB 22 , als auch bisweilen bei § 836 BGB 23 synonym verwendet, darf nicht verwundern, da es - wie erwähnt - insbesondere für die mangelhafte Unterhaltung nur eine Frage der Formulierung ist, ob man auf den instabilen Zustand selbst, oder aber abstrakt das Unterlassen von dessen Beseitigung abstellt24 • Für § 836 BGB ist diese Ineinssetzung angesichts der dort klar normierten Beweislastverteilung auch unschädlich, solange es - mit den Begriffen der herrschenden Lehre gesprochen - bei der Vermutung der Nichtbeachtung sowohl der äußeren, als auch der inneren Sorgfalt bleibt. Im Zusammenhang mit den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten muß dies jedoch dann abgelehnt werden, wenn hieran - ohne nähere Feststellungen - die Indikation des Verschuldens geknüpft wird25 • haftpflichtversicherung abgeschlossen werden, siehe OLG Hamm, VersR 1990, S. 775. Näher bereits zuvor in § 5. 19 Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 289 weist im Zusammenhang mit der Sphärenoder Gefahrenbereichslehre auf das Fehlen einer § 282 BGB vergleichbaren Regelung hin; ebenso RGRKIStejJen l2 , § 823, Rn. 532. 20 Die Sonderstellung der §§ 836ff. BGB gegenüber § 823 I BGB zeigt sich deutlich in § 840 III BGB, weil dort der Bauwerkssicherungspflichtige im Innenverhältnis zu einem anderen Schädiger von der Haftung freigestellt wird. 21 Vgl. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 116. 22 Vgl. BGH NJW 1994, S. 2232 (2233): Instabile Bauart eines Glasfensters indiziert das Erkennenmüssen durch den Hauseigentümer. Allerdings war es bereits zuvor zu einem Unfall gekommen, so daß die Verletzung der inneren Sorgfalt insoweit ohnehin begründet war und es der Indikationswirkung nicht bedurft hätte. Den verkehrswidrigen Zustand nennen z.B. auch BGH NJW 1994, S. 2617; BGH NJW 1986, S. 2757; OLG München, VersR 1992, S. 1020; OLG München, VersR 1974, S. 269 (Liegengebliebene Bananenschale. Dort standen allerdings schon mangelhafte Reinigungsanordnungen und damit ein Organisationsverschulden fest). 23 BGH NJW-RR 1988, S. 853 = LM § 836 BGB Nr. 22 (Verrostetes Trageseil einer Brücke als Nachweis objektiv mangelhafter Unterhaltung durch die Beklagte). 24 Bei objektiv fehlerhafter Errichtung muß mit der Nichtbehebung dieses Errichtungsmangels argumentiert werden, so BGH NJW 1994, S. 2232 (2233). Die Errichtungs- geht also nahtlos in die Unterhaltungspflicht über. 2S Vgl. auch BGHZ 80, 199 (204) zur Produktbeobachtungspflicht: Aus einem verkehrsgeflihrlichen Zustand kann noch nicht ohne weiteres eine objektive Pflichtverletzung abgeleitet werden (gegen OLG München, VersR 1974, S. 269, siehe Fn.22).

A. Verhältnis zur Haftung nach § 823 I BGB

239

Der Sondertatbestand der Gebäude- und Werkhaftung hat somit in beweisrechtlicher Hinsicht im heutigen System der Verkehrssicherungspflichten eine eigenständige Bedeutung26 . Ergänzend sei hier noch einmal auf die zusätzlich bestehende Konkretisierungsfunktion bei der Bestimmung des Pflichtigen, insbesondere in der Gestalt der Nachhaftung aus § 836 II BGB, verwiesen27 . Eine Streichung des Nonnkomplexes aus dem Deliktsrecht ist folglich unter Zugrundelegung geltenden Rechtes nicht angezeigt. Die Abschaffung ließe sich allenfalls unter dem Aspekt befürworten, daß § 836 BGB momentan als Barriere für die Schaffung eines gleichartigen Beweisrechtes bei den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten wirkt. Die Erfüllung dieses rechtspolitischen Anliegens würde indes die im Bereich der Gebäude- und Grundstückshaftung bestehende Problematik der Beweislastverteilung noch nicht lösen, sondern allein der Rechtsprechung überantworten. Für eine eindeutige Rechtsanwendung wäre damit noch nichts gewonnen, weshalb es vorzugswürdig erscheint, den Haftungstatbestand des § 836 BGB auf den Nachweis einer Schädigung durch einen (Bau-)Mangel zu reduzieren 28 und auf Einsturz oder Ablösung von Teilen zu verzichten 29 , wenn man, wofür gute Gründe sprechen3o, dem durch das Bauwerk eines anderen zu Schaden Gekommenen so weitgehende Beweiserleichterungen verschaffen möchte. Eine solche Gesetzesänderung befände sich im Einklang mit neueren legislatorischen Entwicklungen des europäischen Auslands 31 und wäre überdies durch den rechtspolitischen Faktor der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos flankiert 32. De lege lata kann man in diesem Bereich für bestimmte Einzelfälle, wie z. B. dem Sturz von einer nicht ordnungsgemäß durch Handlauf gesicherten Treppe33 oder in ungesicherte Baugruben oder Kelleröffnungen 34, mit einer sorgfältig zu begründenden Einzelanalogie helfen 35 . Eine umfassende Übertragung der Beweislastregelung ist wegen des Sondercharakters des Haftungstatbestandes in seinem

26 In diesem Sinne wohl auch neuerdings v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 116, welcher aufgrund der Einordnung der Verkehrs(sicherungs)pflichten auf der Rechtswidrigkeitsebene von einer Rechtswidrigkeitsindikation spricht. 27 Oben § 4 A 11. 28 Vgl. Art. 6:174 des niederländischen B.W., oben § 3 D III. 29 So Staudinger/Belling/Eberl-Borges I3 , § 836, Rn. 104. 30 Ein solcher Grund ist nicht zuletzt in den beim haftungsauslösenden Ereignis bestehenden Wertungswidersprüchen zu finden, vgl. § 4 D 11 2 sowie v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, S. 242f. 31 Vgl. § 3 F. 32 Zur rechtspolitischen Relevanz der Versicherbarkeit siehe § 5 D. 33 Vgl. BGH VersR 1974, S. 263; OLG Koblenz, VersR 1997, S. 338. 34 Vgl. BGH VersR 1965, S. 514; BGH VersR 1959, S. 467. 3S Oben § 4 D 11 2.

240

§ 6 Bedeutung der §§ 836-838 BGB im heutigen Deliktsrecht

originären Anwendungsfeld der Grundstücke und Gebäude jedoch nicht möglich. Ob man über Bauwerke hinaus natürlich Gewachsenes in den Kreis der Haftungsquellen einbezieht, muß infolgedessen ebenfalls Gegenstand legislativer Überlegungen bleiben. Plausibel erscheint eine solche Haftungserweiterung etwa für umstürzende Bäume, weil das Schädigungspotential dem von aufgestellten Masten36 vergleichbar sein dürfte37 , und der Geschädigte sich in nicht geringerem Maße Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sieht. Andererseits darf nicht verkannt werden, daß die von Grundstücken ausgehenden Risiken vornehmlich durch die auf ihnen befindlichen mangelhaften Bauwerke begründet werden38 , was sich in nicht wenigen europäischen Rechtsordnungen nach wie vor in einer im Vergleich zur Verantwortlichkeit für natürliche Gegebenheiten strengeren Haftung manifestiert39 • Zudem sind natürliche Gefahrenquellen, wie z. B. Sträucher mit giftigen Beeren40, in ihrer Entstehung und Eindämmung auf weitläufigen Grundstükken ungleich schwerer zu kontrollieren. Eine umfangreiche, mit einer Beweislastumkehr versehene Zustandshaftung für mit dem Erdboden verbundene natürliche Gegenstände41 erscheint - bei gleichzeitigem Verzicht auf das Einsturzerfordernis - deshalb unangemessen und fragwürdig und könnte letztlich nur mit der Billigkeitserwägung der Versicherbarkeit des Risikos durch den Grundstücksbesitzer begründet werden42 •

B. Verhältnis zu sonstigen Anspruchsgrundlagen Aus der Diskussion über den genauen Inhalt und der damit verbundenen Beweislastverteilung bei den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten für 36 Zu deren Werkeigenschaft siehe z.B. OLG Koblenz, VersR 1989, S. 159 (Telefonmast); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1988, S. 152 (Telegraphenmast) sowie oben

§ 4 C I.

37 Wolterhoff, S. 11 f. befürwortet deshalb eine Analogie für Bäume und Pflanzen, die aber abzulehnen ist, oben § 4 C IV 1. 38 Deutlich wird das nicht zuletzt anhand der in § 4 dargestellten umfangreichen Judikatur zu § 836 BGB. 39 So in der Schweiz, vgl. § 3 B I und den Niederlanden, vgl. § 3 D I. Auch in England wird wegen nuisance für mangelhafte Bauwerke strenger gehaftet, oben § 3 E 11 1 u. 2. In Frankreich klammert man natürliche Gegebenheiten ebenfalls aus der speziellen Gebäudehaftung aus, mittlerweile ist aber die gardien-Haftung zu berücksichtigen, oben § 3 C 11. 40 Vgl. zum englischen Recht: Glasgow Corporation v. Taylor [1922J 1 A.C. 44. 41 Hierfür bereits de lege lata Münchener Kommentar/Stein 3 , § 836, Rn. 2. 42 Zur Einbeziehung von Gärten in die Privathaftpflichtversicherung siehe Nr. 1.3 BBR. Zur Versicherbarkeit der Haftung für Bäume und Hecken: Heimbücher, VW 1995, S. 960.

B. Verhältnis zu sonstigen Anspruchsgrundlagen

241

Grundstücke und Gebäude nach § 823 I BGB erwächst sicherlich ein vorrangiges Problem der speziellen Bauwerkshaftung. Konkurrenzfragen können sich aber auch im Zusammenhang mit anderen Haftungstatbeständen ergeben. Zu nennen ist zunächst die Übertretung von Schutzgesetzen i. S. d. § 823 TI BGB. Einschlägige Bestimmungen finden sich dabei in den Landesbauordnungen, sofern diese konkrete Anforderungen für die Stand- bzw. Verkehrssicherheit eines Bauwerks norrnieren43 • Anerkannt wurde ferner die den Präventivbereich der Gebäude- und Werkhaftung abdeckende Vorschrift des § 908 BGB 44 . Erweiterungen zugunsten des Geschädigten ergeben sich hieraus freilich kaum, da es diesem mindestens obliegt, die Übertretung des relevanten Schutzgesetzes nachzuweisen45 • Die Diskussion um die Beweislastverteilung befindet sich im übrigen - ebenso wie bei den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten - noch im FlUß46 • Aber auch unter Zugrundelegung einer Vermutung bzw. eines Anscheinsbeweises für die Außerachtlassung der inneren Sorgfalt47 und der Ursächlichkeit des pflichtwidrigen Verhaltens48 beim Verstoß gegen ein Schutzgesetz zeigt sich gegenüber der speziellen Haftung für Bauten kein entscheidender Vorteil, weil sich eben diese Vermutung in § 836 I 2 BGB gesetzlich niedergelegt findet und diese darüber hinaus bereits an den Nachweis eines Baumangels anknüpft49 . Ein Vorsprung der Haftung wegen Schutzgesetzverletzung gegenüber einer konkurrierenden Verantwortlichkeit nach §§ 836ff. BGB ergibt sich zwar aus dem nach h. M. verkürzten Verschuldensbezug50 , wonach sich das Verschulden auf den Verstoß gegen das Schutzgesetz beschränken kann und nicht auch die Rechtsgutsverletzung umfassen muß - immer vorausgesetzt, daß 43 Vgl. OLG Koblenz, VersR 1997, S. 338 (339) für den vorgeschriebenen Handlauf einer Treppe. 44 Für §§ 906ff. BGB: RG Recht 1904, S. 447. Ausführlich mit dieser Nonn beschäftigt sich die Arbeit von Herrmann. Vgl. auch RGZ 145, 107 (115) zu § 907 BGB. 4' RGRKISteffen l2 , § 823, Rn. 564; Staudinger/Schäfer l2 , § 823, Rn. 624; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 284 m. w.N. 46 Ausführlich Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 283 ff. und zu Verschulden und Kausalität auf S. 307 ff. 47 Staudinger/Schäfer l2 , § 823, Rn. 624; RGRK/Steffen l2 , § 823, Rn. 564 u. 566 m. w. N. zur Rechtsprechung, der aber eine hinreichende Konkretheit des Schutzgesetzes verlangt; ähnlich Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 310, der auf die notwendige Entwicklung eines äußeren Verhaltensprogrammes bei abstrakt gefaßten Schutzgesetzen hinweist. 48 Zum Beweis der Kausalität: Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 311 ff. 49 Zur Reichweite der Verschuldensvennutung oben § 4 G 11 1. so RGRK/Steffen l2 , § 823, Rn. 560; Ermann/Schiemann9 , § 823, Rn. 159; weitere Nachweise bei Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 221; a.A. z.B. Fikentscher, SchR 9, Rn. 1273. 16 Petershagen

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§ 6 Bedeutung der §§ 836-838 BGB im heutigen Deliktsrecht

dem Schutzgesetz selbst nicht schon eine verschuldete Rechtsgutsverletzung immanent ist51 • Dieser Vorzug ist jedoch schon deshalb eher theoretischer Natur, weil das fragliche Verschulden bezüglich der Rechtsgutsverletzung der Vermutung des § 836 I 2 BGB unterliegt. Zudem wird die praktische Relevanz des verkürzten Verschuldensbezugs generell geleugnet, weil sich kaum Fälle konstruieren ließen, in denen eine Person fahrlässig nur bezüglich des Verstoßes gegen das Schutzgesetz handelte, nicht aber hinsichtlich der daraus resultierenden Folgen52 . Insgesamt gesehen ist ein praktischer Gewinn des Geschädigten bei einem mittels § 823 II BGB hergeleiteten Anspruch gegenüber einem solchen aus §§ 836ff. BGB allenfalls in Ausnahmefällen denkbar. Vielmehr ist es umgekehrt die gesetzlich klar festgelegte Beweiserleichterung des § 836 I 2 BGB, welche ihn im Vergleich mit der Schutzgesetzverletzung privilegiert. Soweit Gebäude und sonstige Werke si