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German Pages 452 [450] Year 1984
Hegel-Studien In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler
Beiheft 25
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Die Funktion der Kunst in der Geschichte Untersuchungen zu Hegels Ästhetik von Annemarie Gethmann-Siefert
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der Auflage von 1984, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1513-0 ISBN eBook: 978-3-7873-3083-6 ISSN 0073-1578
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I
INHALT Einleitung
1
1.
Hegels Schillerrezeption. Zur Bestimmung der Kunst in den Frühschriften
17
1.1
Revolutionskritik und Bildungsidee
28
1.1.1
Aufklärung als Bildung des Individuums. Zur Deutung des Postulats der „Gottähnlichkeit"
29
1.1.2
Verwandte Grundlagen in Hegels Frühschriften
34
1.1.3
Hegels Auseinandersetzung mit der Revolution der Denkungsart
38
1.2
Revolutionskritik und Ästhetik
49
1.2.1
Die Konzeption der ästhetischen Erziehung
52
1.2.2
Schillers Griechenrezeption: Klassizismus oder Geschichtsreflexion in revolutionärer Absicht
65
1.2.3
Unpolitische Konsequenzen einer Ästhetik in politischer Intention
79
1.3
Religionskritik und Kunstideal
87
1.3.1
Hegels Ideal der Volksreligion und Schillers Bestimmung der Funktion der Kunst
90
1.3.2
Tradition und Utopie. Zur Bestimmung des sogenannten „Klassizismus"
111
1.3.3
Ästhetische Implikationen der Mythologie der Vernunft
126
1.4
Staat als Kunst-Werk. Die utopische Funktion der Kunst in Hegels Frühschriften
132
Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
142
2.
II 2.1
Geschichtsphilosophie versus geschichtliche Funktion der Kunst
145
2.1.1
Ansätze der Schillerkritik
148
2.1.2
Die Integration der Geschichte in die Geschichtsphilosophie
152
2.1.3
Die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst in der „Moderne"
159
2.2 der Ästhetik
Die Entwicklung des philosophischen Sy 163
2.2.1
Die Rolle der Kunst im System der Philosophie
169
2.2.2
Die JCrisis" der Wahrheit der Kunst und die geschichtsphilosophische Begründung der Ästhetik
188
2.2.2.1 Mythologie und Kunst in der griechischen Welt 2.2.2.2 Die Kritik der modernen Poesie 2.2.2.3 Kunst als Modell der Geschichte? Zur „Tragödie im Sittlichen"
192 206 215
2.2.3
Der Vergangenheitscharakter des Griechentums und der Kunst
228
2.3
Modifikation der Ästhetik im Übergang von den Jenaer Entwürfen zu Hegels Berliner Vorlesungen
235
2.3.1
Das Griechentum als Bildungsideal und die gegenwärtige Funktion der Kunst
236
2.3.2
Die historische Relativierung der Einheit von Kunst und Religion
251
2.3.3
Kunst-Ideal und Klassizismus der Ästhetik
256
3.
Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst in Hegels Berliner Vorlesungen zur Ästhetik
275
Die Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik als Ansatz der Bestimmung der Aktualität des Hegelschen Erbes
276
Vorläufigkeit als Revisionsmöglichkeit der systematischen Ästhetik?
276
Die „ästhetikimmanente Kritik"
280
3.1 3.1.1 3.1.2
III 3.2
Die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst Werkbegriff der Ästhetik 285
3.2.1
Kunst als Darstellung der Wahrheit
289
3.2.2
Die Geschichtlichkeit der Wahrheit und die Bestimmung des Werks
294
3.2.3
Epochendifferenzen und Geschichtlichkeit der Kunst
304
3.3
Die Funktion der Kunst in der Moderne: Auflösung oder Konkretion
317
3.3.1
Jdumanus": der neue Heilige der Kunst
319
3.3.2
Hegels Kritik der modernen Idylle
329
3.4
Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik
347
3.5
Integration der frühen programmatischen Bestimmung der Kunst in die Konzeption der Vorlesungen
360
4.
Die Aktualität der Hegelschen Ästhetik
371
Literaturverzeichnis
411
Namensregister
435
Sachregister
440
EINLEITUNG
In der gegenwärtigen Diskussion um den Sinn und die Durchführung einer philosophischen Ästhetik, über die Bestimmung ihrer spezifischen Aufgabe neben den Theorien der Künste greift man beinahe zwangsläufig auf Hegels Ästhetik zurück. Entweder gilt Hegels Werk als der Prototyp einer systematischen Ästhetik, der unter den Bedingungen einer moderateren Erwartung an die Leistungsfähigkeit der Vernunft wiederholt werden soll, oder die Ästhetik gilt als das proton pseudos in der Behandlung der Kunst, als eine Weise, das geschichtliche Phänomen der Herrschaft der Vernunft zu unterwerfen, die um jeden Preis — auch den des totalen Rationalitätsverzichts — vermieden werden müsse. Die letzte Position stützt sich zudem häufig auf eine Bestimmung der Kunst als irrationales Phänomen, das sich jedweder Theoretisierung entzieht. Deshalb soll im Zusammenhang dieser Untersuchung die andere Version eines Bezugs zu Hegels Ästhetik berücksichtigt werden. Philosophie der Kunst hat den Sinn, über die Kunst als geschichtliches Phänomen allgemein verständliche und kritisierbare Äussagen zu machen. Was dies geschichtliche Phänomen gegenüber anderen auszeichnet (sein spezifischer Leistungssinn oder seine Funktion im menschlichen Selbstund Weltverständnis), muß sich durch eine philosophische Reflexion erhellen lassen. Dabei geht es nicht allein darum, wie KANT darzutun, daß sich über Geschmack sehr wohl und mit Gründen philosophisch streiten lasse. Es geht überdies um die ontologische Frage (im Sinne HEIDEGGERS), was das denn für ein Ding besonderer Ärt sein mag, für das die Philosophie eine Konzeption entwickelt, die sich von der Analyse der Erkenntnis und des Handelns unterscheidet. Unter dieser Rücksicht gewinnt die Begründung einer philosophischen Ästhetik von Hegel her den Hinweis, daß eine solche Reflexion die geschichtliche Funktion dieses besonderen Objekts, des Werks, zu analysieren habe, um sein „Wesen" zu bestimmen. Ungeachtet der Frage, ob ein Kunstwerk eher ein rationales, die Vernunft oder den Verstand ansprechendes Objekt sei oder ein irrationales Stimulans des Gefühls und der Empfindung, zeigt sich, daß die Kunst zu allen Zeiten eine Rolle in der Selbstverständigung des Menschen, in der Orientierung seines Handelns und der Äuslegung der Welt, hatte. Es gilt also, diese geschichtliche Funktion der Kunst philosophisch als Weise der Wahrheitserfahrung zu bestimmen. Gegen Hegels systematische Ästhetik werden zwar gravierende Vorwürfe erhoben, aber in einem Punkt stimmen die Interpretationen überein. Wo im Sinne Hegels
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Einleitung
philosophische Ästhetik betrieben wird — sei es in der Kulturphilosophie der Neukantianer, sei es im Marxismus oder Neomarxismus oder in den neueren Diskussionen um die Hermeneutik —, geht man davon aus, daß die Philosophie die geschichtliche und gesellschaftliche Funktion der Kunst bestimmt und daß in der Festlegung dieser Geschichtlichkeit die philosophische „Wesensbestimmung", das Spezifikum der Inhaltsästhetik Hegels, erreicht wird. Häufig wird Hegels Ästhetik inder gegenwärtigen Diskussioni wegen der ihr zugutegehaltenen gesellschaftlichen Relevanz vom Verdikt des Dogmatismus, dem der Hegelsche Idealismus ansonsten unterliegt, wenigstens insoweit freigesprochen, als in ihr wesentliche Ansätze für die Konzeption der Gesellschaftlichkeit der Kunst vorgezeichnet sein sollen. Was Gesellschaftlichkeit der Kunst heißen mag, wird in all diesen Versuchen aus dem Kontext der eigenen metaphysischen, formalen oder inhaltlichen Vorentscheidungen im Umriß festgelegt und bei Hegel in vorläufigen Stadien oder vollständig wiederentdeckt. Das gilt für G. LUKäCS, der den jungen Hegel gegen die spätere (kapitalistische) Version seines Denkens ausspielt, ebenso für TH. W. ADORNO, der trotz seiner Skepsis gegen das philosophische System bei Hegel zahlreiche Anleihen für seine Ästhetische Theorie und die ihr zugrundeliegende Methodenkonzeption, die negative Dialektik, machen kann. In verstärktem Maß gilt dieser Vorbehalt für die mehr oder weniger geschickten Schüler und Nacheiferer dieser beiden, die auf Hegel zurückgreifen, um ihn im Lichte der marxistischen Theorie dieser wie jener Version zu aktualisieren. Dieselbe Schwierigkeit zeigt sich in der Soziologie der Kunst, die in Hegels Ästhetik die fehlende Grundlage ihrer Theorien und den Steinbruch ihrer Ideen entdeckt. Der philosophische Sinn der Rede von der Gesellschaftlichkeit der Kunst bleibt offen. Wenn man sich — wie es de facto geschieht — für dieses Problem aber auf Hegel bezieht, sollte man die Frage nach der möglichen „gesellschaftlichen Bedeutung" der Kunst und der Bedeutung von „gesellschaftlich" an seiner Ästhetik entwickeln und im Anschluß daran modifizieren oder aufgeben. Der Rede von der gesellschaftlichen Bedeutung der Kunst läßt sich nämlich aus Hegels eigenen Problemstellungen und Gedanken, aus seiner Auseinandersetzung mit Theorien und dem „Bedürfnis" seiner Zeit ein Sinn beilegen, der über die eingeschränkten, ideologisch fixierten Positionen der gegenwärtigen Berufung auf Hegel hinausweist.
iMit den verschiedenen Interpretationsansätzen zur Ästhetik und ihren philosophischen Prämissen habe ich mich an anderer Stelle eingehender auseinandergesetzt; vgl. Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel, 237—289; Kunst und Philosophie. Zur Kritik der Hegelschen Ästhetik; Eine Diskussion ohne Ende? Zu Hegels These vom Ende der Kunst, 230 ff.
Einleitung
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Ein analoges Problem zeigt sich in der Bestimmung der Geschichtlichkeit oder der geschichtlichen Funktion der Kunst. Was in diesem Zusammenhang „geschichtlich" heißen kann, variiert von der Trennung einer Eigensphäre des schönen Scheins von der Realität, von der Autonomieforderung im Sinne des hart pour l'art bis zur ideologischen Festlegung der „Erziehungsfunktion" durch die Angabe bestimmter Inhalte, die geschichtlich vermittelt werden sollen. Besonders im Zusammenhang der Diskussion um die Rezeptionsästhetik zeigt sich diese Divergenz möglicher Deutungen des Geschichtlichkeitsbegriffes. Während man im Anschluß an H. R. JAUSS versucht, die Geschichtlichkeit des Kunstwerks unter Rücksicht auf die verschiedenen und nicht fixierbaren Möglichkeiten der Auffassung der Kunstwerke zu definieren, entwickelt die Rezeptionsästhetik im Anschluß an R. WARNEKENu.a. ein Konzept der Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit im Sinne der dialektisch-marxistischen Verhältnisbestimmung von Kunst und Politik.^ Hier geht es darum, Kunstrezeption und -produktion so zu korrelieren, daß die gesellschaftlich erwünschten Effekte garantiert werden, daß der Erfahrungsprozeß im Sinne der gesellschaftlichen „Wahrheit" gesteuert und die Beliebigkeit der Deutung ausgeschlossen wird. Diese Variante der Rezeptionsästhetik sei nur als Beispiel für das Oszillieren möglicher Bedeutungen des Begriffs der Geschichtlichkeit erwähnt. Die Diskussion um die Grundlagen der Rezeptionsästhetik, die sich an die Thesen von H. R. JAUSS anschließt, eröffnet eine Möglichkeit, von der Hermeneutik als Grundlage der Ästhetik wieder auf Hegels Ästhetik zurückzugehen. Diese Diskussion dreht sich nämlich um die Frage, wie sich die „schlechte Unendlichkeit" geschichtlich möglicher Rezeptionsweisen vermeiden lasse bzw. ob der Werk-Kategorie ein Sinn beizulegen sei, der über die Definition des Kunstwerks (seiner „Objektivität") durch die verschiedenen subjektiven Assimilationsprozesse hinausgeht. Der Werkbegriff der idealistischen Ästhetik bietet sich dazu wenigstens insoweit als begriffliches Modell an, als es auch hier darum geht, die geschichtliche Wirklichkeit „Kunst" zu erfassen. In Hegels Ästhetik geht es ähnlich wie in HEIDEGGERS Kunst werk-Aufsatz um die geschichtliche Funktion der Kunst, die mit „Wahrheitsvermittlung" umschrieben und als solche untersucht wird. So legt sich die Frage nahe, ob in der Bemühung um die Grundlagen einer philosophischen Ästhetik nicht eher diese Tradition wieder zu Wort kommen sollte als die speziellere Version der hermeneutischen Philosophie, die H. G. GADAMER entwickelt hat und die bislang die Grundthesen der Rezeptionsästhetik stützt. Als philosophisches Problem wird die Geschichtlichkeit der Kunst, wird ihre Funktion der Wahrheitsvermittlung
2 Vgl. zur neuen Arbeit von H. R. Jauss (Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt 1983): A. Gethmann-Siefert: Kunst als Werk. Zur Kritik des rezeptionsästhetischen und produktionsästhetischen Reduktionismus.
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Einleitung
in der idealistischen Ästhetik erörtert und zwar vor allem im Übergang von der formalen zur Inhaltsästhetik. Es geht in der Gestaltung wie in der Rezeption von Kunstwerken um die Vermittlung von solchen Aussagen über den Menschen, sein Handeln, seine Welt, die Orientierungsfunktion haben. Dies ist der Sinn der Inhaltsästhetik Hegels und dies ist auch der Sinn der Umdeutung der KANxischen Ästhetik, die SCHILLER vorbereitet. Die Entwick-
lung der Philosophie der Kunst als Bestimmung der geschichtlich-gesellschaftlichen Funktion der Kunst wird darum durch die Rekonstruktion der Auseinandersetzung Hegels mit Schiller charakterisiert. Im Zusammenhang der bisherigen Interpretation der Ästhetik bleibt He-
gels ScHiLLERrezeption fast unbeachtet. Meistens wird die Stellung Hegels zur politischen Situation seiner Zeit, wird seine Bestimmung der „Schönheit" und die Konsequenz für die Funktion der Kunst am Verhältnis Hegel-HOLDERLiN dargestellt. Gerade für die Bestimmung der Kunst ergibt sich aber aus der Perspektive des Verhältnisses Hegel-ScHiLLER ein Ansatz, der eine größere Kontinuität der Auseinandersetzung gewährleistet — Hegel greift in den frühen theologiekritischen Schriften ebenso wie in der Ästhetik auf SCHILLER zurück — und der in der Modifikation der ScHiLLERrezeption durch Hegel zugleich die für die Entwicklung der systematischen Ästhetik wichtigen Schritte aufdecken kann. Än Hegels ScHiLLERrezeption läßt sich sowohl die Intention seiner frühen Überlegungen verdeutlichen wie der Übergang zum Konzept der systematischen Philosophie und die Stellung der Ästhetik im System der Philosophie. Die Grundfrage der Ästhetik, wieweit der Kunst eine gesellschaftliche Bedeutung zuzusprechen sei, wird nämlich in Hegels Auseinandersetzung mit SCHILLER nicht nur so behandelt, daß eine Weise der dichterischen Realisation dieser gesellschaftlichen Funktion kritisch geprüft wird. In der Auseinandersetzung mit SCHILLERS Briefen über die ästhetische Erziehung ist dieses Programm von Anfang an auf den Boden der ästhetischen Reflexion gestellt. Es geht um die Frage, ob die Kunst, wie sie de facto erscheint, die Annahme rechtfertige, daß von ihr die Verbesserung der geschichtlichen Situation zu erwarten sei. Zugleich muß sich aber eine Reflexion auf die Geltung dieser ästhetischen (sc. philosophischen) Prämisse anschließen, die Kunst sei grundsätzlich dazu in der Lage, reale Verhältnisse im Sinne der Vernunftprinzipien umzugestalten. Unter dieser Rücksicht erscheint die Auseinandersetzung Hegels mit SCHILLER als philosophische Disputation über die Leistungsfähigkeit der KANTL schen und FiCHiEschen sowie später der ScHELLiNcschen Philosophie hinsichtlich der Bestimmung der Funktion der Kunst in Geschichte und Gesellschaft. Zugleich zieht sich als roter Faden durch Hegels eigene philosophische Entwicklung (von der „Anwendung" der KANxischen Philosophie auf die Probleme der Zeit bis zur „vollendeten" Form des Systems und der Einschränkung der Rolle der Ästhetik wie der Kunst in diesem Kontext) seine Äusein-
Einleitung
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andersetzung mit SCHILLER. Die allmähliche Ablösung von SCHILLERS philosophischer Bestimmung der Kunst und die daran anschließende Kritik seiner Dichtungen zeigen an, wie Hegel seine eigenen frühen Gedanken zum System des absoluten Wissens entwickelt. Ebenso läßt sich hier die Frage erörtern, wo in dieser Entwicklung Revisionsmöglichkeiten liegen, die es erlauben könnten, Hegels „dogmatischen" Idealismus durch eine Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst, d.h. ihrer geschichtlich-gesellschaftlichen Funktion, abzulösen. Unter dieser Rücksicht werden zunächst beider Ansätze der philosophischen Ästhetik kompatibel, nämlich SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung des Menschen und Hegels Frage nach der Bildung des Menschengeschlechts, die er im Anschluß an HERDER und LESSING entfaltet. Darüber hinaus ergibt sich eine Vermittlung der frühen Aussagen Hegels zu den späten der Vorlesungen über die Ästhetik. Die Auseinandersetzung mit SCHILLER wird bei Hegel in doppelter Weise weitergeführt: einmal als die Fortentwicklung des Gedankens der geschichtlichen Funktion der Kunst, zum anderen als die Kritik der Kunst SCHILLERS, die sich aus der systematischen Konzeption der Ästhetik ergibt. Beide Momente der ScHiLLERkritik bieten sich an, Hegels Ästhetik selbst infragezustellen. Denn das Ineinandergreifen von philosophischer Bestimmung, kunsttheoretischer und kunstkritischer Beurteilung sowie historischer Reflexion zeigt sich, wenn irgendwo, an diesem Beispiel.^ Hier läßt ^ Den Zusammenhang von Kunstkenntnissen, theoretischer, historischer und kritischer Beurteilung der Kunst, der in Hegels Ästhetikvorlesungen eine entscheidende Rolle spielt, erforscht eine Arbeitsgruppe des Sonderforschungsbereichs der DFG Wissen und Gesellschaft im 1 9. /«/ir/iMnderf an der Ruhr-Universität Bochum: Die
Wirkung von Hegels Ästhetik auf die Kunsttheorie und Kunstgeschichte des 1 9. Jahrhunderts. Hier geht es zunächst darum, Hegels Kenntnisse von Kunstwerken
und Kunsttheorien zu eruieren und den Stellenwert der empirischen Grundlagen in der philosophischen Konzeption zu erörtern. Dazu werden neben den sonst greifbaren Aussagen vor allem der Briefe die Vorlesungsnachschriften zu Hegels Asthetikvorlesungen der Jahre 1823, 1826 und 1828/29 herangezogen. Hothos Edition der Ästhetik gibt weder ein Bild der fortschreitenden Erweiterung der Kunstkenntnisse Hegels und ihrer Berücksichtigung in der philosophischen Ästhetik noch seiner tatsächlichen Kenntnisse überhaupt. Denn Hotho erweitert — jedenfalls im Vergleich mit den bisher vorliegenden neun Vorlesungsnachschriften bzw. -ausarbeitungen aus der Berliner Zeit — Hegels Beispiele aus seinen eigenen Informationen und setzt sogar häufig andere sachliche Akzente als Hegel. Weil es in der kritischen Auseinandersetzung mit der Hegelschen Ästhetik aber stets um das Problem geht, ob Hegel sich aufgrund systematischer Vorurteile den Blick auf das geschichtliche Phänomen verstellt und ob nicht gerade seine „Fehlurteile" über Kunstwerke dies belegen, wird eine solche Studie zu den Grundlagen nötig. Es zeigt sich nämlich, daß gerade hinsichtlich der „Aktualität" der Hegelschen Ästhetik die bisherige Form, in der Hegels Gedanken überliefert sind, oft zu vermeidbaren Schwierigkeiten führt. An
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Einleitung
sich darum auch erörtern, wieweit Hegel den an seiner Ästhetik gerühmten Vorzug von geschichtlicher Konkretion und begrifflicher Durchdringung selbst nutzt oder ob er — wie umgekehrt die Kritiker betonen — das geschichtliche Phänomen durch den „Begriff", also durch das vorab entworfene philosophische System, verzeichnet. Ein solcher Ansatz der Auseinandersetzung mit Hegel rechtfertigt die „Aktualität" der Ästhetik aus deren Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Lösung gegenwärtig anstehender Probleme einer philosophischen Begründung der Reflexionen über die Kunst. Vorausgesetzt wird die Annahme, daß Hegels Äs f /i ef 1 fc für eine solche philosophische Begründung zumindest tragfähige Ansätze liefert. Die berechtigte Kritik an Hegels Ästhetik muß aber zugleich berücksichtigt werden. Es muß also gelingen, Hegels Philosophie der Kunst so zu rekonstruieren, daß die kritisierten Elemente der philosophischen Bestimmung der Kunst wegfallen. Das ist darum schwierig, weil gerade der Anspruch, daß Hegel mit seiner Ästhetik eine Theorie der Geschichtlichkeit der Künste entwickele, bestritten wird. Die systematische Grundlage, die Hegel dazu nötigt, in der Kunst eine nur eingeschränkt bedeutsame und eine für die nachaufklärerische Vernunft nicht zureichende Wahrheitsvermittlung zu sehen, verhindert es gerade, die Ästhetik durchweg als philosophische Bestimmung der Geschichtlichkeit zu akzeptieren. Diskrimen dieser Deutung ist Hegels These vom Ende, genauer vom Vergangenheitscharakter der Kunst. Hier wird die Kunst als geschichtliche Wahrheitserfahrung und -Vermittlung durch die zureichendere der „wissenschaftlichen" Philosophie ersetzt, und die Geschichtlichkeit der Kunst fällt einem Begriff von Geschichte zum Opfer, der die notwendige Abfolge verschiedener Weisen der Welthabe vorab festlegt. Gegen diese Deutung der Kunst wenden sich schon die Hegelschüler. In der gegenwärtigen Diskussion hat vor allem D. HENRICH mit seiner These von der nur partialen, aber dennoch akzeptablen Wahrheitsvermittlung der Kunst die Grundlage der philosophischen Betrachtung der Kunst zu retten versucht. Fallstudien zur Malerei und zu Hegels Auseinandersetzung mit der orientalischen Poesie und deren „produktiver Rezeption" in Goethes Divan wurde diese Problematik bereits erörtert. Die folgenden Überlegungen zu Hegels Ästhetik (besonders im dritten Kapitel dieser Arbeit) untersuchen einige besonders häufig herangezogene Beispiele aus der Ästhetik. Vgl. dazu die Studie des Verf.: H. G. Hotho: Kunst als
Bildungserlebnis und Kunsthistorie in systematischer Absicht oder die entpolitisierte Version der ästhetischen Erziehung, 229 ff; dann Ä. Gethmann-Siefert und B. Stemmrich-Köhler: Faust — die „absolute philosophische Tragödie“ und die „gesellschaftliche Artigkeit" des Divan, 11 ff; und ebenso die Studie zu einer anderen Variante des Verhältnisses zwischen Hegels Beurteilung von Kunstwerken und der seiner Schüler; A. Gethmann-Siefert: Die Kritik an der Düsseldorfer Malerschule
hei Hegel und den Hegelianern.
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Überlegungen, die sich zur Kritik der Ästhetik allein auf Hegels späte Konzeption der systematischen Philosophie berufen und hier innerhalb der Ästhetik zwischen brauchbaren und unbrauchbaren Theorieteilen unterscheiden, stehen allesamt vor der Schwierigkeit, daß die Auswahl entweder nicht gerechtfertigt wird oder sich aus einem philosophischen Vorurteil implizit ergibt. Hier soll deshalb der Versuch gemacht werden, in der Entwicklung der Gedanken zur Ästhetik die Revisionsmöglichkeiten der Konzeption zu finden. Da es um die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst geht und um Hegels möglichen Beitrag zu deren philosophischer Explikation, muß durch den gewählten Änsatz die These vom Ende der Kunst
eliminiert werden können, ohne daß zugleich die für diese Bestimmung konstitutive Korrelation von Kunst und geschichtlicher Wahrheitserfahrung aufgegeben wird.
Eine solche Interpretation muß gegenüber der gängigen Auseinandersetzung mit Hegel ihre Vorzüge erst beweisen. Das geschieht letztlich in der Durchführung selbst. Die bisherige Auseinandersetzung mit Hegel berücksichtigt allein die Version einer „Philosophie der Kunst", die die späten Berliner Vorlesungen entwickeln. Zunächst steht die entwicklungsgeschichtliche Darstellung deshalb in der traditionellen Ästhetikinterpretation isoliert da. Auch die gängige Interpretation der Ästhetik geht aber von der Tatsache aus, daß die akzeptablen und „aktuellen" Bestimmungen der Kunst in der Geschichte durch die philosophischen Festlegungen des Idealismus als System wissenschaftlichen Philosophierens überlagert werden. Deshalb muß ein Weg gefunden werden, Hegels Ästhetik verstehbar zu rekonstruieren und zugleich (wo möglich noch aus seinen eigenen Überlegungen) die Gründe dafür zu entwickeln, daß und an welchen Punkten Hegel gegen seine eigenen expliziten Darlegungen „besser verstanden" werden muß. Die entwicklungsgeschichtliche Analyse liefert zwar zunächst lediglich eine „hegelimmanente" Argumentation, hat aber den Vorteil, daß man Hegels Intention durch die Rekonstruktion der Entwicklungsstufen der Philosophie der Kunst verdeutlichen und zwischen Intention und (möglicherweise eliminierbaren) Momenten der Durchführung unterscheiden kann. Verstehen und Kritik schließen sich auf diese Weise zusammen. Es kann — wenn überhaupt — nur so gelingen, Hegels Argumente für die gegenwärtige Debatte um die Möglichkeit einer philosophischen Ästhetik wieder zugänglich zu machen und ihre Vorteile gegenüber gängigen Versuchen philosophischer Ästhetik zu erweisen. Dasselbe Anliegen verfolgen auch die bisherigen Interpretationen. Nur werden hier die Hinweise auf die Aktualität der Ästhetik oder auf die Unmöglichkeit, von Hegel her sinnvolle Gedanken zur Ästhetik zu entwickeln, entweder aus der späten „systematischen" Form der Ästhetik gewonnen, die Hegels Vorlesungen erst durch die Bearbeitung seines Schülers H. G. HOTHO erhalten haben, oder aus sonstigen Teilen des Hegelschen
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Einleitung
Systems. Als die banalsten Interpretationsversuche können wohl jene gelten, die inhaltliche Aussagen und Beurteilungen der Ästhetik mit dem Kunstgeschehen der Gegenwart korrelieren. Hier erscheint Hegel entweder als prophetisch begabter Philosoph, der mit der These vom Ende der Kunst den Verfall der modernen Kunst im voraus gebrandmarkt hat, oder er ist durch die konträre Bewertung der modernen Kunst als Philosoph eo ipso widerlegt. Diese letzte Version findet sich vor allem in der vulgärmarxistischen Deutung Hegels, dessen »Erbe" man antritt, wenn man ausgerechnet im sozialistischen Realismus eine Widerlegung der These vom Ende der Kunst und auch der modifizierten These vom Ende ihrer gesellschaftsverändernden und -gestaltenden Aufgabe sieht. Überhaupt scheint die direkte Konfrontation von Phänomen und ästhetischer Theorie — hier der philosophischen Ästhetik Hegels — wenig ergiebig, weil, um beide zu vergleichen, jeweils eine Reihe nicht beachteter Vorurteile über das Phänomen, über die Möglichkeiten seiner geschichtlichen Wirkung und über die Leistungsfähigkeit der philosophischen Reflexion mitgesetzt werden. Demgegenüber gilt als die anspruchsvollste Interpretation die Bemühung um die „Logik" der Ästhetik. Diese Deutung und Kritik der Ästhetik belastet sich nicht allein mit der immensen Kompliziertheit der Hegelschen Logik, sondern zudem noch mit Hegels Anspruch der Einheit von Logik und Metaphysik. Sowohl die Geltung der Wissenschaft der Logik wie ihr systemkonstitutiver Anspruch, mit den Denkformen zugleich die Inhalte zu rechtfertigen, wird verifiziert durch den Nachweis, daß beides in einem Bereich der Metaphysik zusammenspielt, nämlich in der Metaphysik des „Schönen", also im Spezialbereich Kunst und Kunstphilosophie. Diese Kritik der Ästhetik greift den Scheinbegriff auf, um an Hegels „logischer" Abqualifizierung des Scheins die Vorentscheidung zu diagnostizieren, die die gesamte Ästhetik durch die Definition des Ideals als sinnliches Scheinen der Jiee belastet. Die Grundschwierigkeit einer solchen Kritik liegt darin, daß sie sich die Möglichkeit verstellt, Hegels Ästhetik auch gegen die systematische Festlegung, gegen die im Postulat „absoluten Wissens" (und nur hier) eingeschränkte Funktion des schönen Scheins zu lesen. Hegel selbst vermeidet es dagegen, inseinen Vorlesungen zur Ästhetikden Scheinbegriff eindeutig auf das Element der Sinnlichkeit zu fixieren. Er benutzt — das läßt sich durch alle Vorlesungsnachschriften verfolgen — einen Begriff des Scheins, bei dem er bewußt gegen die Bestimmung der Logik das Oszillieren dieses Begriffs beibehält. Der Schein ist dem Wesen wesentlich und zugleich, nicht weil er sinnlich, sondern weil er Dasein oder Existenz der Idee (also eine noch nicht oder nur vorläufig in sich reflektierte Form der Gegebenheit des Wahren) ist, steht er in der ständigen Gefahr, die Täuschung anstelle der wahren Erkenntnis zu setzen. Das Ideal, das die frühen Schriften als die Weise bestimmen, wie die Vernunftidee im Sinne KANTS real, d.h. „ästhetisch" und „mythologisch", wird, kann zwar noch als Wahrheitserfahrung gelten.
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aber nicht als die höchste, weil letztgültige und gesicherte geschichtliche Orientierung angesetzt werden. Dies leistet nach Hegel die Idee: die reflektierte und vermeintlich letztbegründende Vereinigung von Begriff und Wirklichkeit in der Philosophie. Deshalb scheint es plausibler, für den Nachweis der Aktualität der Hegelschen Ästhetik die anscheinenden „Ungereimtheiten" in der Bestimmung des schönen Scheins nebeneinander bestehen zu lassen und eine konsistente Erklärung aller Momente zu suchen, als die Überbetonung des einen Moments zur Jogischen" Kritik der Ästhetik aufzuzäumen. Dadurch läßt sich vielleicht eine Bestimmung des „schönen Scheins" gewinnen, die für die gegenwärtige philosophische Ästhetik akzeptabel ist und möglicherweise der Trennung von schönem Schein und Zweck der Kunst (sc. gesellschaftlich-geschichtlicher Funktion des Kunstwerks) überlegen sein kann. Ansätze zu einer solchen Theorie des schönen Scheins, zur Bestimmung des Verhältnisses von Schein und geschichtlicher Realität, werden hier im Anschluß an SCHILLER und an Hegels Weiterführung der ästhetischen Reflexionen SCHILLERS entwickelt. In ähnliche Schwierigkeiten wie die Rekonstruktion der „Logik" der Äs thetik führt der Versuch, aus der Bestimmung der absoluten Idee die Entwicklung der Ästhetik zu rekonstruieren. Hier geht die Differenzierung der verschiedenen Entwicklungsstufen der „Philosophie der Kunst" verloren. Denn die Aussagen der frühen theologiekritischen Schriften gelten bloß als Vorstufen der vollendeten systematischen Ästhetik, sie selbst können jeweils nur auf ihre „Aufhebung" im System, in der entfalteten Idee, hin ausgelegt werden. Gerade in der Bestimmung der Idee, hier der Idee des Schönen, liegt aber die spezifische Differenz der frühen theologiekritischen Schriften und der späteren, im Zusammenhang des Systems der Philosophie geforderten Überwindung der Kunst durch die Philosophie. Man kann nun nicht eine Bestimmung der Idee als der Einheit von Realität und Begriff auch schon den frühen Überlegungen unterstellen, um sie als ersten Schritt auf einem kontinuierlichen Weg der Entwicklung zur systematischen Ästhetik zu charakterisieren. Zunächst faßt Hegel die Idee nämlich noch im Sinne KANTS als bloße Vernunftidee auf, die in Kunst und Mythologie ihre Realität gewinnen muß, will sie ihren „bloß problematischen" Status überwinden. Durch die Auseinandersetzung mit SCHILLER kommen in Hegels frühen Überlegungen solche zur geschichtlichen Bedeutung der Kunst nicht beiläufig vor, sondern bilden den formalen wie inhaltlichen Kern der frühen Religionskritik. Überdies findet sich eine explizite Formulierung dieser Zusammenhänge in einem Fragment aus Hegels Berner Zeit, im sogenannten ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus.* Hier wird die Poesie — 4 Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Die geschichtliche Funktion der „Mythologie
der Vernunft“ und die Bestimmung des Kunstwerks in der Ästhetik; Vergessene Dimensionen des Utopiebegriffs. Der „Klassizismus" der idealistischen Ästhetik und
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Einleitung
die Kunst, nicht die „Wissenschaft" inklusive der Philosophie — zur Lehrerin der Menschheit erkoren, weil sie die Vernunftidee der Aufklärung allgemein faßlich darstellt und sie damit hinreichend universal zur Wirkung bringt. Diese frühe Konzeption insgesamt, die sich in der Religionskritik des jungen Hegel konkret ausformuliert findet, entfaltet die Grundlagen der Ästhetik als Bestimmung der geschichtlichen Wirkung der Kunst. Hier entstehen die Thesen und Einsichten, die Hegel im Zuge der Entwicklung seines philosophischen Systems sowohl immer wieder aufgreift als auch modifiziert, bis sie ihren endgültigen Sinn durch die Stellung im System der Philosophie und damit in deren konkretem Teil, der Ästhetik, erhalten. In jener Interpretation der Ästhetik, die von der Bestimmung der Idee im Sinne der systematischen Philosophie Hegels ausgeht, unterscheidet sich aber die frühe vorsystematische Konzeption nicht mehr von der späten Entwicklungsstufe. Dadurch wird die Bedeutung der Entwicklung der Ästhetik ebensowenig beachtet wie in den sonstigen Interpretationen, obwohl man gerade auf den entwicklungsgeschichtlichen Aspekt Anspruch erhebt. Gilt die Bestimmung der absoluten Idee als Grundlage aller Äußerungen Hegels, dann verschwindet die Differenz zwischen Kunst und Philosophie, die Hegel bis gegen Ende seiner Frankfurter Zeit zugunsten der Kunst, später zugunsten der Philosophie gewichtet. Die PLAXONische Idee des Schönen als Grundlage der Metaphysik des Schönen nivelliert sich in der frühen und späten Konzeption zur selben Bedeutung. Unterschiede der Wahrheitsvermittlung, die Hegel spätestens mit der Enzyklopädie für Kunst, Religion und Philosophie festlegt, fallen weg. Das Fazit ist, daß ausgerechnet Hegels These vom Ende der Kunst durch die Gleichsetzung von Kunst und Philosophie (als Darstellung des Absoluten) zu einer nur nebenher irrtümlich vertretenen Annahme wird, zu einer These, die Hegel nicht so gemeint haben kann, wie er sie formuliert. Daß aber die These vom Vergangenheitscharakter der Kunst die frühe Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst auch bewahrt, daß hier die Kunst wie in den frühen Überlegungen die Orientierungsfunktion des geschichtlich-gesellschaftlichen Handelns beibehält, wenn auch in historischer Relativierung auf eine vergangene Kultur, fällt bei solcher Sicht der Ästhetik weg. So wünschenswert es sein mag, die leidige These vom Ende der Kunst auf diese elegante Weise aus der Debatte um die Aktualität der Äsf/lef iic auszuschließen, sie wird in ihrer Problematik unterschätzt, wenn man sie als bloßen Lapsus der Formulierung nicht mehr diskutiert. Wo Hegels Ästhetik durch die Analyse ihrer grundlegenden Kategorien in der Wissenschaft der Logik auf ihre generelle Ontologie festgelegt wird.
die gesellschaftskritische Funktion des „schönen Scheins", 119—168; Idylle und Utopie. Zur gesellschaftskritischen Funktion der Kunst in Schillers Ästhetik, 32—67.
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ergibt sich die Schwierigkeit, daß man zur Stützung der Ästhetik Hegels systematische Philosophie mit übernehmen muß. Schon jene Hegelschüler und -anhänger, die versuchten, im Sinne Hegels eine Metaphysik der Kunst weiterzuführen, scheitern an diesem systematischen Anliegen. Das bedeutendste Beispiel einer solchen Umkehr von der „Metaphysik des Schönen" zur geschichtsphilosophischen Beurteilung der Wirkung der Kunst findet sich in F. TH. VISCHERS Ästhetik. VISCHER entwickelt zunächst die Ästhetik als philosophisches System, nimmt aber die Festlegung der Kunst in seinen Kritischen Gängen insoweit zurück, als er nun gerade der Kunst die Möglichkeit vorbehält, den Prozeß der Geschichte zum Ausdruck zu bringen. Der schöne Schein — frei von den religiösen Inhalten — kann aber nur Alternativen zur Wirklichkeit entwerfen, die Kunst sinkt vom Organon der Wahrheit zum Pharmakon, zur Aufhebung der Begrenztheit, herab. Auch TH. MUNDT, ein Schüler und Kritiker Hegels, entwirft in seiner Ästhetik ein System des Wissens über die Kunst und ihre geschichtliche Funktion, das gerade vom Anspruch des absoluten Idealismus absieht und in der Kunst die Möglichkeit entdeckt, neue und nicht vorab abschließend bestimmbare Möglichkeiten der Welterfahrung zu eröffnen.® An die Stelle der geschichtsphilosophischen These vom Vergangenheitscharakter der Kunst tritt die Gegenthese von der Zukunft der Kunst, die sich aus dem Verzicht auf den systematischen Leistungsanspruch der Philosophie ergibt. Problematisch an der „Logik der Ästhetik" ist also vor allem, daß hier die Möglichkeit verloren geht, Hegels geschichtsphilosophische Ansätze von deren Durchführung im System der Philosophie, die sie „aufhebt", zu trennen. Der Vorschlag der hermeneutischen Philosophie, den zunächst H. G. GADAMER im Entwurf der Geschichtstheorie der Hermeneutik formuliert, Hegels Philosophie der Subjektivität abzulösen durch die Restriktion auf Momente, die die Substantialität des geschichtlichen Prozesses betonen, kann in dieser Kritik gar nicht berücksichtigt werden. Die gegenwärtige Diskussion um das Problem der Geschichtlichkeit hat gezeigt, daß die Frage nach der Wahrheit im Sinne HEIDEGGERS wieder mit der nach der Geschichtlichkeit des Wissens und Handelns verknüpft werden muß. Auch der Versuch, diese Problematik im Kontext der Hegelschen Gedanken zur Ästhetik zu erörtern, sollte vor allen Dingen zeigen, wie die Einsichten in das geschichtliche Phänomen und deren philosophische Formulierung erneut mit dem Phänomen Kunst konfrontiert werden können und sich als Erhellung des Phänomens bewähren. Es geht nicht allein darum, eine Metaphysik des Schönen zu entwickeln unter exemplifizierendem Verweis auf Kunstwerke und ihre geschichtliche Bedeutung,
® Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Die Ästhetik in Hegels System der Philosophie, bes. 128 ff; Hegelsches gegen Hegel, 271 ff; sowie: Hegels These vom Ende der Kunst
und der „Klassizismus“ der Ästhetik.
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sondern es muß die spezifische geschichtliche Funktion dieser „Objekte" eruiert und begrifflich gefaßt werden. Hier könnte man erwägen, die geschichtliche Bedeutung der Kunst im Unterschied zur geschichtsbestimmenden Funktion anderer Phänomene dadurch darzustellen, daß man die Ästhetik mit den anderen konkreten Teilen des Systems der Philosophie, etwa der Rechts- und Religionsphilosophie, vergleicht und in Beziehung setzt. Ein Gedanke Hegels selbst möchte dazu verleiten, denn die Bedeutung des Griechentums, der Epoche, in der die Kunst Religion und Polis stiftet, bleibt als Vorbild sowohl des Zusammenhangs von Recht und Staat der Moderne wie der Religion erhalten. Die „gesellschaftliche Funktion" der Kunst, die Hegel (nach G. LUKACS) im Blick auf dieses Vorbild bestimmt, wird aber auf die „Antike" eingeschränkt. Für die geänderte geschichtliche Situation der „Moderne" modifiziert sich entsprechend auch die Funktion der Kunst. Im Blick auf die Weiterentwicklung der frühen Konzeption der Sittlichkeit des Volkes in Hegels Rechtsphilosophie läßt sich nur die „Partialität" der Kunst rekonstruieren, die Hegel im Kontext seines philosophischen Systems behauptet. Die Kritik an dieser Einschränkung, die sich auf die berechtigten Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Philosophie stützt, wird so nicht aus dem Weg geräumt. Was in der Konfrontation von verschiedenen geschichtlichen Wirkungen der Kunst im Blick auf die Rechtsphilosophie mißlingt, könnte dennoch im Blick auf den eigentümlichen Inhalt der Kunst gelingen. Hegel bestimmt als den „großen" Inhalt der Kunst die Religion. So scheint es sich anzubieten, die Ästhetik mit der Religionsphilosopie zusammenzuschließen und die geschichtliche Bedeutung der Kunst durch die Vermittlung der Religion festzulegen, sie aus der Kongruenz oder Differenz zum religiösen Inhalt abzuleiten. Eine religionsphilosophische Kritik der Ästhetik hätte in der Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und Religion vordringlich zu klären, wieweit Hegels Korrelation von christlicher Religion und romantischer Kunstform akzeptiert werden kann oder korrigierbar ist. Denn Hegel entwickelt hier die geschichtsphilosophische Argumentation für die Einschränkung der geschichtlichen Funktion der Kunst durch die Festlegung der Idee des Göttlichen auf die Inhalte der christlichen Offenbarung. Die Aufhebung der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst bestünde dann im Nachweis, daß Hegel auch in der „romantischen Kunstform" Möglichkeiten sieht, das Göttliche auf adäquate Weise zu vermitteln. Von Hegels eigenen Überlegungen her bietet sich diese Kombination an, denn nicht nur die Phänomenologie schließt die Kunst mit den verschiedenen Formen der Religion zusammen und bestimmt beide wechselseitig aus der Funktion, die die Kunst jeweils — aus der Sicht des späteren Systems sagt Hegel dann: „noch" — in der Religion hat. Die symbolische Religion des Orients und die schöne Religion der Griechen sind „Kunstreligion", weil die religiöse Vorstellung n « r in der Weise der Kunst artikulierbar wird. Hier zeigen sich also verschiedene Versionen einer
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Identität von Vorstellbarem und Möglichkeit der Anschauung" im Medium der sinnlichen Repräsentation. Mit der geoffenbarten Religion verliert die Kunst allerdings diese ausschließliche Vermittlerrolle und es wird schwierig, die romantische Kunst durch ihren Bezug auf die Religion eindeutig und ausschließlich festzulegen. Wenn die Kunst hier nur für das „Volk" (in dem Sinn wie es LEIBNIZ und die Aufklärer für die Religion festlegen) ein Mittel der Repräsentation des Göttlichen für die Andacht ist, verliert sie nämlich nach Ansicht Hegels ihren Kunstcharakter. Es ist gleichgültig, ob die Darstellung des Göttlichen schön oder nicht schön ist; wesentlich ist die Funktion der Repräsentation eines Gemeinten unter ohnehin inadäquaten Bedingungen. Hegels spätere Vorlesungen zur Ästhetik können darum die Kunst als Ganzes von der Religion separieren und als einen eigenen, wenn auch mit der Religionsphilosophie verknüpften Systemteil entfalten. Freilich hatte Hegel selbst zunächst Kunst- und Religionsphilosophie in einer Vorlesung zusammen abhandeln wollen. Dies kündigt er als Plan für seine Lehrtätigkeit jedenfalls in einem Brief aus Nürnberg dem Rektor der Berliner Univer sit ät an. Auch finden sich sowohl inder Religionsphilosophie wie in der Ästhetik zahlreiche Verweise aufeinander. Für beide Vorlesungen ist das Verhältnis von Kunst und Religion in der Weise konstitutiv, daß die Differenzierung beider Bereiche gegeneinander Hegel sowohl für die Bestimmung der geschichtlichen Bedeutung von Kunst und Religion die Argumente liefert wie für die (Einschränkung der) Universalität des Geltungsanspruchs der Vermittlung des geschichtlichen Selbst- und Weltverständnisses. Deshalb hat auch diese Version der hegelimmanenten Kritik ebenso wie die Darstellung der „Logik" der Ästhetik den Nachteil, daß sie zwar die Konsistenz des Hegelschen Systems prüfen, nicht aber die Frage entscheiden kann, ob Hegels philosophische Bestimmung der Kunst zutrifft. Der Versuch einer Aktualisierung der Hegelschen Ästhetik wird dadurch erschwert, daß man, um den Sinn der Bestimmung der Kunst festzulegen, zusätzliche Probleme der idealistischen Philosophie mitübernimmt. Man muß aber keinesfalls den Anspruch der Wissenschaft der Lo^iL übernehmen oder kritisieren, wenn man sich mit der Ästhetik auseinandersetzt; man muß ebensowenig den schwierigen Nachweis antreten, daß sich bei Hegel ein Verständnis der christlichen Religion (des Protestantismus) finden lasse, für das die romantische Kunstform eine auch für die Gegenwart (zunächst Hegels) gültige und zureichende Vermittlung des Göttlichen in endlich-anschaulicher Gestalt bleibe. Ohne die angreifbare metaphysische Grundlage des absoluten Idealismus (für die die Wissenschaft der Logik stehen mag) und ohne die Fixierung der Kunst auf einen bestimmten Inhalt (als die u.a. Hegels spätere Absolutsetzung der christlichen Religion gelten darf) kann man die Frage stellen, was aus der — in sich freilich nur lemmatisch begründeten — Ästhetik für die gegenwärtige Diskussion um die Begründung der Philosophie der Kunst
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bzw. gegen die Behauptung der Verzichtbarkeit eines solchen Unternehmens übernommen werden kann. Wenn hier eine eigene Version der hegelimmanenten Kritik entwickelt wird, die beginnend bei den Anfängen der Hegelschen philosophischen Überlegungen die Gedanken zur Kunst zusammenstellt, dann hat dies den Zweck, durch die Nachkonstruktion des Hegelschen Weges von der philosophischen Reflexion zur systematischen Asf lief ifc sowohl den Gedankengang Hegels zu verdeutlichen wie die verzichtbaren ,Fort"-Schritte zu kennzeichnen. Dies Vorgehen legitimiert sich nicht zuletzt dadurch, daß Hegels eigene Ästhetik eher als »work in progress" denn als abgeschlossener Teil des philosophischen Systems gelten kann. Hegel las in verschiedenen Jahren, zunächst 1818 in Heidelberg, dann 1820/21,1823,1826 und 1828/29 in Berlin, über Ästhetik oder Philosophie der Kunst; er hat diese Vorlesungen ständig erweitert und die Schwerpunkte seiner Argumentation verändert. Daß es sich um einen abgeschlossenen Teil des Systems handelt, insinuiert lediglich HOTHOS Bearbeitung der Vorlesungen* zu der systematischen Gestalt, in der die Ästhetik der gegenwärtigen philosophischen Diskussion überliefert ist. HOTHO formierte das ihm vorliegende Material, Notizen Hegels und Nachschriften aus verschiedenen Jahrgängen, im Sinne der ersten Herausgeber von Hegels Werken. Sie wollten nach dessen Tod sein System der Philosophie der Nachwelt überliefern und — wo nötig — die vorliegenden Überlegungen in seinem Sinne zum System vollenden. Hier liegt die Annahme zugrunde, daß Hegel selbst nur aus kontingenten Ursachen nicht mehr die Gelegenheit wahrnahm, das mit der letzten Fassung der Enzyklopädie endgültig entworfene System seiner Philosophie auch in den verschiedenen inhaltlichen Partien durchzuführen, die er vorzüglich in den Vorlesungen erörtert hatte. Für die Ästhetik zeigt sich in den Vorlesungen der verschiedenen Jahrgänge aber gerade kein abgeschlossenes Bild dieses Teils der philosophischen Systematik. Der Blick auf die verschiedenen Vorlesungen — es liegen Nachschriften von 1823, 1826 und 1828/29 vor — enthüllt, daß Hegel an der Darstellung der Kunst, und zwar
* Hier wird meine Edition der Vorlesungsnachschrift von H. G. Hotho einen ersten Hinweis auf die Entwicklung auch der späteren „systematischen" Ästhetik geben. Hothos Nachschrift, das früheste bekannte Zeugnis der Asthetikvorlesungen, stammt aus dem Jahre 1823. Diese Nachschrift gibt einen Einblick in die Ästhetik, die Hegel zu Beginn seiner Berliner Vorlesungstätigkeit (nach der Vorlesung 1820/21) hatte publizieren wollen. Daß Hegels systematische Konzeption im Laufe der Zeit gravierende Änderungen erfährt, zeigt der Vergleich dieser Nachschrift mit den Zeugnissen der späteren Vorlesungen. In der Einleitung zu meiner Edition der Vorlesungsnachschrift von 1823 werde ich darauf näher eingehen; vgl. Die Philosophie der Kunst. Nach dem Vortrage des Herrn Professor Hegel. Im Sommer 1823. Berlin. H. Hotho. Einführung. Hamburg 1985.
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vordringlich an der Entfaltung ihrer Bedeutung in der Geschichte bis zur letzten Vorlesung experimentierend ändert. Es steht zwar fest, daß die Kunst für die Gegenwart durch eine adäquatere Wahrheitsvermittlung, durch die Philosophie, ersetzt werden muß, Hegel überprüft aber an ständig erweitertem Material, welche Bedeutung die Kunst in der Vergangenheit, vor allem in der „symbolischen Kunstform", hatte und welchen Sinn die historische Repräsentation der Künste vergangener Zeiten und Völker für die Moderne haben kann. Streng genommen liegt für Hegel selbst der Sinn der Bedeutung der Kunst fest, denn er entwickelt zusammen mit seiner Systemvorstellung auch die Grundlage einer philosophischen Bestimmung der Kunst. Es wird sich zeigen, daß Hegel seit seiner frühen Religionskritik die Grundprobleme der philosophischen Bestimmung der Kunst erörtert und daß die Grundbegriffe dieser Philosophie der Kunst modifiziert übernommen werden. Durch den verschiedenen theoretischen Rahmen — einmal eine Geschichtsreflexion in pragmatischer Absicht, zum anderen die „wissenschaftliche" Philosophie als System des absoluten Wissens — erhalten hier beinahe gleichlautende Bestimmungen ein anderes Gewicht. Dieses Faktum, dazu Hegels ständiges Bemühen, seine systematische Ästhetik und deren Grundthesen an neuen Beispielen aus der Welt der Kunst wie der verschiedenen theoretischen Bemühungen um die Kunst zu bewähren, und die leitende Vermutung, daß sich beim Verzicht auf die philosophische Systematik Hegels gleichwohl die Möglichkeit einer philosophischen Ästhetik in seinem Sinne demonstrieren lasse, werden im Folgenden zu einer Kritik der Ästhetik zusammengefaßt. Als Fundament dieser Überlegungen bietet sich eine Rekonstruktion der Entwicklung der Ästhetik, die — aus den dargelegten Gründen — durch die Perspektive der Hegelschen ScHiLLERrezeption strukturiert wird. Da Hegel die Grundthesen der Ästhetik weitgehend in Anlehnung an seine früheren Überlegungen formuliert, legt es sich nahe, in der Auseinandersetzung mit der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst die vorsystematische und systematische Version gleicher oder zumindest gleichlautender Grundthesen zu konfrontieren. Als Beispiel wird der Begriff des Kunstwerks aufgegriffen, durch dessen Definition und exemplarische Erörterung Hegel die geschichtliche Funktion der Kunst festlegt. Die Bestimmung des Werkbegriffs, durch die Hegel in der Ästhetik seine Definition des Ideals konkretisiert, und die Erörterung, ob es sich bei verschiedenen Werken der Kunst um „Werke" im Vollsinn handele, zeigen, daß Hegel seinen Ansatz nicht aufgibt. Die Kunst kann nur dann eine Bedeutung haben, wenn sie als Wahrheitsvermittlung, als Orientierung der Auseinandersetzung mit der Welt erscheint. Sie wird daraufhin geprüft, ob sie ebenso wie in der „Antike" auch in der durch das Bedürfnis nach Wissen und Wissenschaft geprägten „Moderne" dieser Bestimmung entspricht und — wenn
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nicht — aus welchen Gründen sie an ihrer geschichtlichen Aufgabe scheitert. Hier ergibt sich ein Ansatz, die Bestimmung der Kunst, die die Vorlesungen inhaltlich diskutieren, als philosophische Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst gelten zu lassen und sie durch die erneute Konfrontation mit dem Phänomen Kunst, d.h. durch den Verzicht auf die in der Ästhetik vorausgesetzte systematische Relativierung dieser Funktion, zu revidieren. Ziel dieser Überlegungen ist es, für die Grundlagendebatte der gegenwärtigen philosophischen Ästhetik, in der man sich häufig auf Hegel beruft, jene Einsichten der Ästhetik zu vergegenwärtigen, die „aktualisiert" werden sollten, weil sie durch das gegenwärtige Problembewußtsein schon aktuell sind. Es lassen sich nämlich aus Hegels Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst, löst man sie aus dem Kontext des philosophischen Systems, sowohl für die Debatte um Deutung und Funktion des „schönen Scheins" Hinweise finden wie für die Frage nach dem „ontologischen Status" des Phänomens Kunst. M.a.W. Hegels Bestimmung des Kunstwerks enthält eine Konzeption sowohl der Funktion der Kunst für die Weltorientierung und das Selbstverständnis des Menschen wie eine „Wesensbestimmung". Beides zusammen stellt Hegel als die Funktion der Kunst in der Geschichte dar.
1. HEGELS SCHILLERREZEPTION. ZUR BESTIMMUNG DER KUNST IN DEN FRÜHSCHRIFTEN Noch in der Einleitung zu seinen Berliner Ästhetikvorlesungen zeichnet Hegel SCHILLERS theoretische Schriften als die ästhetische Reflexion aus, die — obwohl sie der letzten systematischen Konsequenz entbehre — seiner eigenen Position am nächsten komme. Diese Orientierung an SCHILLER ist nicht erst für Hegels späte Philosophie der Kunst symptomatisch. In der Entwicklung seines Denkens kann man gerade an zentralen Punkten feststellen, daß Hegel die eigene Position durch die Auseinandersetzung mit SCHILLER verdeutlicht. Durch SCHILLER vermittelt, gewinnt er ein Verständnis der Kunst, das zunächst im Kontext der frühen religionskritischen Überlegungen nur implizit, als Teil der Suche nach einer neuen Mythologie, greifbar wird. Auch die Änderung der frühen Konzeption und die Ausbildung des Systems der Philosophie macht Hegel (sich) zunächst durch die ScHiLLERkritik deutlich. Die Auseinandersetzung mit SCHILLER, die er zu Beginn seiner Vorlesungen zur Ästhetik führt, markiert also den Endpunkt einer Beschäftigung mit SCHILLER, nicht den Ausgangspunkt. Es ist deshalb wenig sinnvoll, die ScHiLLERkritik der Ästhetik mit SCHILLERS eigenen, an KANT orientierten ästhetischen Schriften zu konfrontieren, denn so vergleicht man letztlich unvereinbare Positionen miteinander. Nur durch eine Darstellung der Entwicklung des Verhältnisses Hegels zu SCHILLER können die gemeinsamen Grundlagen beider, die zu einer vergleichbaren Bestimmung der Kunst führen, hinreichend präzise erfaßt werden. Auf diese Weise zeigt sich außerdem, wie sich beide Konzeptionen auseinanderentwickelt haben, welche anfangs geringfügigen Modifikationen letztlich zu der fundamentalen (und im Sinne Hegels für die an KANT orientierte Position SCHILLERS fatalen) Differenz von sog. „formaler" und „Inhalts"-Ästhetik führen. Denn SCHILLERS ästhetische Theorie spielt nicht nur in Hegels Ästhetikvorlesungen die Rolle eines vorbereitenden Verweises auf die Position des spekulativen Denkens. Auch schon für die frühen Reflexionen Hegels übernimmt SCHILLERS Bestimmung der Kunst diese Rolle einer Problementdeckung, -erhellung und teilweisen -lösung. Dies gilt ebenso für die methodischen Grundlagen, die beide aus der Auseinandersetzung mit der Philosophie KANTS gewinnen, wie für deren Anwendung auf die Kunst und auf die Aktualisierung der Ästhetik an Fragen und Bedürfnissen der politischen Situation. Fragt man also nach den Grundlagen der Hegelschen Philosophie der Kunst, so lassen sich diese eindeutig und in ihren wesentlichen Momenten
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
aus der stets mitthematisierten, sich aber wandelnden Beziehung zu Schillers entsprechenden Überlegungen darstellen. Aus SCHILLERS Ästhetik wer-
den darum vorab jene Gesichtspunkte und Thesen dargestellt, die Hegel als Anknüpfungspunkt dienen. Es sind: die Kritik an der französischen Revolution als Indiz der gemeinsamen Frage nach der Möglichkeit geschichtlichen Fortschritts im Sinne von Vernunft und Freiheit und die Griechenrezeption als Hinweis darauf, daß auch die von Hegel erörterte Mythologieproblematik in diesem Kontext eine wesentliche Rolle spielt. Beide Aspekte entfaltet SCHILLER als Motiv und Grundpfeiler für seine Konzeption der gesellschaftlich-geschichtlichen Funktion der Kunst. Bezeichnenderweise greift Hegel schon in seinen frühen Schriften gerade diese Momente auf, zu denen die Ästhetikvorlesungen abschließend Stellung nehmen; d.h. ihn bewegen offensichtlich die nämlichen Probleme, die SCHILLER in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung und in den anschließenden Schriften erörtert. Auch Hegel entwickelt in seinen frühen philosophischen Überlegungen die eigene Position in Auseinandersetzung mit ROUSSEAU und KANT. Er gelangt dadurch — wenn auch nur als Nebeneffekt der Religionskritik — zu einer programmatischen Festlegung der geschichtlich-gesellschaftlichen Bedeutung der Kunst, und es ist von grundlegender Bedeutung, daß auf die Funktion der Kunst im Griechentum verwiesen wird, wenn es um eine zureichende Formulierung der Bedeutung der Kunst für die Gegenwart, für die Moderne, geht. Auch in SCHILLERS ästhetischen Schriften entdeckt man häufig in vergleichbarer Intention diesen Hinweis auf die griechische Kunst und das Griechentum überhaupt. Es geht ihm wie Hegel darum, das ästhetische Konzept durch den Hinweis auf eine zwar vergangene, aber gelungene Weise der gesellschaftlichen Relevanz der Kunst zu konkretisieren, um so für die in den Briefen postulierte Aktualität der Kunst wie der ästhetischen Reflexion Argumente zu gewinnen. In der weiteren Explikation seines SCHILLER zunächst nahestehenden Programms ergeben sich jene Differenzen, die Hegel in der Einleitung der Vorlesungen zur Ästhetik feststellt. Da die Ästhetik als Teil des philosophischen Systems sowohl unmittelbar nach Hegels Tod als auch in der gegenwärtigen Diskussion umstritten war und ist, weil sich ihre Grundthese vom Vergangenheitscharakter der Kunst und der ihr vorgehaltene „Klassizismus" ebenfalls im Zuge dieser Entwicklung herausgebildet haben, gewinnt die entwicklungsgeschichtliche Fragestellung einen weitergehenden Sinn. Durch die Darstellung von Hegels ScHiLLERrezeption soll zunächst erklärt werden, aus welchen Gründen Hegel von SCHILLERS Position abrückt, sobald er von der frühen Systemvorstellung zu einer umfassenden Konzeption der Philosophie als Wissen des Absoluten fortschreitet. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, den „Fortschritt" Hegels infragezustellen und gegebenenfalls in den für die Ästhetik relevanten Punkten rückgängig zu machen. Unter dieser Rücksicht erweist sich auch für die Entwicklung einer Philosophie
1. Hegels Schillerrezeption
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der Kunst im Anschluß an Hegel die Auseinandersetzung mit seiner Schillerrezeption als tragfähiger Ansatz. Dieser Interpretationsansatz ist insofern neu, als bislang nur Hegels SCHILLERkritik aus den Berliner Vorlesungen zur Ästhetik interpretiert und mit SCHILLERS ästhetischen Schriften sowie mit seiner Dichtung in Beziehung gesetzt wurde. SCHILLER wird in dieser Deutung entweder als Hegelianer ante diem ausgezeichnet, weil sich wesentliche Momente seiner ästhetischen Theorie mit Hegels Dialektikkonzeption treffen, oder Hegel wird als fatale, weil ideologische Vollendung ScHiLLERscher Einsichten kritisiert. i Aus den frühen Überlegungen Hegels wird allenfalls ROSENKRANZ' Hinweis auf die revolutionsbegeisterte Lektüre ScHiLLERscher Jugenddramen referiert. Diese kann aber mit der späten ScHiLLERkritik kaum in direkte Beziehung gesetzt
1 Im erstgenannten Sinn argumentiert schon A. Lewkowitz, der Hegels Dogmatismus im Sinne der Kulturphilosophie des Neukantianismus überwinden will und zu diesem Zweck in Schillers größerer Nähe zu Kant hauptsächlich Anhaltspunkte findet. A. Lewkowitz: Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller; dazu auch H. H. Ewers: Die schöne Individualität; sowie die Besprechung vom Verf. in Hegel-Studien 15 (1980), 348 ff. — E. Cassirer sieht in Schillers Theorie den Punkt, .,an welchem die transzendentale Methode Kants in die dialektische Methode seiner Nachfolger überzugehen scheint" {Die Methodik des Idealismus in Schillers philosophischen Schriften, 98; vgl. 111). Ähnlich argumentiert auch W. Windelband: Schillers transzendentaler Idealismus, 214, 216, 223. — M.E. führt diese Deutung zu Mißverständnissen. Einmal läßt sich zeigen, daß Hegels Dialektik durchaus nicht als wünschenswertes Ziel der philosophischen Begründungsbemühungen anzusetzen ist, wie es sich in diesen Überlegungen doch nahelegt; zum anderen wird die folgende Argumentation versuchen, Hegels Überlegungen da aufzugreifen, wo sie unmittelbar an Schiller anknüpfen, weil sich zeigen läßt, daß Hegels Bestimmung der Kunst und der Bedeutung der Griechenrezeption, solange sein philosophisches System noch nicht vollendet ist, die Grundlagen der späteren Philosophie der Kunst entwickelt. —Als »Hegelianer ante diem" (Böhler: Die Bedeutung Schillers für Hegels Ästhetik. 182) stufen auch G. Rohrmoser (Zum Problem der ästhetischen Versöhnung bei Schiller und Hegel) und B. von Wiese (in seinem Aufsatz fast gleichen Themas) Schiller ein. — Auch E. Cassirer {Die Methodik des Idealismus in Schillers philosophischen Schriften, 94) wieR. Kroner (Von Kant bis Hegel. Bd 2. Tübingen 1961. 46) sehen in Schillers Briefen die Vorbereitung bzw. Andeutung der dialektischen Methode der nachfolgenden idealistischen Philosophie bzw. speziell Hegels (Kroner). In entgegengesetzter Intention greift eine neuere Arbeit auf Glöckners These zurück, um das Kernstück von Hegels Dialektik, die Theorie des spekulativen Satzes, als Explikation der ästhetischen Anschauung zu definieren: G. Wohlfart: Der spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel.
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
werden^, gleichgültig, ob SCHILLER aus Hegelscher Perspektive gedeutet wird, oder Hegel als Rückfall hinter SCHILLERS anscheinend „revolutionäre" Position. J. HOFFMEISTER demonstriert aber in einigen älteren, für den philosophischen Laien entwickelten Überlegungen, daß „ohne die geistige Großtat SCHILLERS" die Entfaltung HöLDERLINS, SCHELLINGS und Hegels nicht möglich und nicht verständlich werde, daß durch SCHILLERS theoretische Schriften „Hegels geschichtsphilosophisches und überhaupt sein konkretes Denken" im Ansatz wie in der Durchführung wesentlich beeinflußt ist. In dieser Beurteilung, so losgelöst vom philologisch-wissenschaftlichen Kontext HOFFMEISTER sie auch entwickelt, liegt für die Frage nach der Bedeutung des Verhältnisses von Hegel und SCHILLER ein beachtenswerter Hinweis. Selbst die aparte Version, die H. GLöCKNER vorschlägt, ist für die Bestimmung des Verhältnisses von Hegel und SCHILLER interessanter als die neueren Deutungen.^ GLöCKNER charakterisiert Hegels gesamtes philosophisches System als „ästhetisch" und vermutet, daß Hegel eben in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen „den Grundriß eines ,ganzen' Systems im Elemente des Ästhetischen" vorfindet. SCHILLER, genauer seine in den Briefen entwickelte Konzeption einer Geschichtsphilosophie auf ästhetischer Grundlage, wird so zum „direkten Vorläufer" Hegels. TH. HAERING differenziert GLöCKNERS generellen Hinweis auf die Identität der Grundbegriffe bei SCHILLER und Hegel für die frühen Schriften. Er vermutet, daß SCHILLERS Freiheitsidee der Umweg war, über den Hegel in Tübingen mit der Philosophie KANTS Kontakt gewann. Sachlich entscheidend für den Rückgriff auf die Anfänge der Hegelschen ScHiLLERrezeption ist die Einsicht, daß sich auf diese Weise die Aktualität der Grundthesen der Ästhetik und bislang unberücksichtigte Interpretations-
^Vgl. dazu die ältere Untersuchung von I. Schüßler zu Hegels Kritik an der deutschen Literatur seiner Zeit (Diss. Freiburg 1963), der es um die — allerdings nicht beantwortete — Frage geht, wie sich „aus der revolutionsschwärmerischen Lektüre der Schillerschen Jugenddramen" (17) die philosophische Einschätzung Schillers in der Ästhetik entwickelt. ^Vgl. ]. Hoffmeister: F. Schiller, 47. — ln seinem Aufsatz über die Bedeutung Schillers für Hegels Ästhetik führt M. J. Böhler verschiedene Positionen in dieser Auseinandersetzung an. Als früheste gilt hier die Auseinandersetzung mit Hegels Beurteilung der Schillerschen Poesie und Dramen bei C. Tomascheck {Schiller in seinem Verhältnis zur Wissenschaft. Wien 1862), B. Bosanquet (A History of Aesthetics) und G. Lukäcs. Diese vergleichen Schillers Dichtung und Hegels Ästhetik, wobei Lukäcs allerdings zugleich Schillers Theorie der modernen Literatur in methodologische Verwandtschaft zu Hegels Kategorien der Phänomenologie setzt (Schillers Theorie der modernen Literatur, 99 ff).Hierauf verweist Lukäcs auch in seiner Darstellung der Philosophie des jungen Hegel. — Von H. Glöckner werden (in der Reihenfolge der Zitate) hier herangezogen: Die Ästhetik in Hegels System der Philosophie, 160; vgl. 165; Philosophisches Lehrbuch. Bd 1.; Hegel. Bd 2. bes. 70 ff.
1. Hegels Schillerrezeption
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Perspektiven im gleichen Zugriff erhellen lassen. Aus der Hegelinterpretation H. GLöCKNERS, R. HAYMS und TH. HAERINGS läßt sich der Hinweis entnehmen, daß der Kunst schon in Hegels frühen Schriften eine Bedeutung zukommt, die durch die ScHiLLERintepretation eruiert werden kann.'* Es kann nicht darum gehen, wie es etwa gegenwärtig in einigen an ADORNO orientierten Studien zu Hegels Ästhetik versucht wird,® die von GLöCKNER beschworene „ästhetische Grundlage" des Hegelschen Systems als methodische Forderung an die Ästhetik zu deuten. Hier heißt es dann etwa, daß eine Theorie des Schönen dadurch in ihrer Validität zu charakterisieren sei, daß und soweit sie sich als „schöne" Theorie darstelle. Diese Verwendung der umgangssprachlichen Doppeldeutigkeit des Wortes „ästhetisch", ihre Erhebung in die philosophische Kategorie, wirft die philosophische Ästhetik insgesamt auf den Status bloß spielerischer und beliebiger Äussagen zur Kunst zurück. Gibt man aber den Geltungsanspruch der philosophischen Äussage auf, dann ist damit weder Hegels absoluter Idealismus gemildert, noch ein sinnvoller Änsatz zur Rekonstruktion der immerhin interessanten und bis heute diskutierten Probleme aufgewiesen, Entweder gilt Hegels philosophischer Anspruch, oder die „Ästhetisierung" der Philosophie verweist auch Hegels spe* Dazu R. Haym: Hegel und seine Zeit. 136, 146; diese Deutung übernimmt auch Lewkowitz (Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller, bes. 51). In der französischen Hegelinterpretation findet sich die entgegengesetzte These, daß die philosophische Bestimmung der Kunst nur im Kontext der systematischen Entfaltung der absoluten Idee vollendet werden könne. Hegels frühe Reflexionen zur geschichtlichen Bedeutung der Kunst liefern kaum Indizien für eine eigenständige ästhetische Reflexion. Deshalb muß dann der Sinn der Frühschriften am Leitfaden zentraler Thesen der späten Äsf/iefifcrekonstruiert werden. ]. Taminiaux: La pensee esthetique du jeune Hegel. 222 ff. Taminiaux geht in der Bestimmung (auch der frühen Schriften) von der Idee des Schönen aus, nimmt diese aber nicht in dem dort unterstellten platonischen Sinn, sondern zugleich in der durch die spätere Ästhetik erarbeiteten Konkretion. Zu dieser endgültigen Bestimmung der Idee des Schönen in der Ästhetik liefern die frühen Schriften dann die „Präfigurationen" der verschiedenen Modifikationen. Für die Einsicht, daß mit dem Griechentum die Idee der Schönheit ihre Funktion verliere, steht vorbereitend die Antinomie Antike-Moderne, so wie sie die Gymnasialaufsätze und Tübinger Aufzeichnungen unreflektiert übernehmen. Die Beschreibung des Geists des Judentums innerhalb der Abhandlung über den Geist des Christentums gilt als Präfiguration der symbolischen Kunst. Rückblickend formuliert Taminiaux die These, Hegels Ästhetik hänge in Prinzipien (Idee) wie fundamentalen Begriffen von den ]ugendschriften ab (a.a.O. 250). Der Unterschied sei lediglich der zwischen theoretischem Versuch und Gewißheit. Vgl. dazu auch: D.
Janicaud: Hegel et le destin de la Grece; V. Basch: Origines et fondements de l’Esthetique, bes. 70 ff. ®Vgl. dazu die ausführliche Kritik in A. Gethmann-Siefert: Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel, bes. 258 ff.
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
kulative Philosophie in die Sphäre der Literatur, des unverbindlichen Vorschlags subjektiv-vermeintlicher Weitsicht. Hegel selbst wird man damit ebensowenig gerecht wie der gegenwärtigen philosophischen Ästhetik, der es um die Frage geht, wie sich Hinweise gewinnen lassen, um die philosophische Bestimmung der Kunst von der Beliebigkeit vermeintlicher Bedeutung zu scheiden. KANTS Kritik der Urteilskraft verfolgt in der Entwicklung einer Analytik des Schönen den Weg von der These des Empirismus, über Geschmack lasse sich nicht streiten, zu der philosophischen Begründung möglichen Streites um die vertretbare Version der Verallgemeinbarkeit des Geschmacksurteils. So will auch Hegel in seiner späten Ästhetik durch die Bestimmung der Funktion der Kunst, die er aus seinen anfänglichen religionskritischen Überlegungen ins System der Philosophie verpflanzt, einen Standpunkt gewinnen, dies selbst nicht-„wissenschaftliche" (im Sinne des philosophisch-emphatischen Begriffs von Wissenschaft) Phänomen als eine Weise der Wahrheitsvermittlung darzustellen und zu beurteilen. Nimmt man aber diese philosophische Bestimmung der Kunst so auf, wie sie die Ästhetik im Kontext des Systems der spekulativen Philosophie bestimmt, dann übernimmt man unnötigerweise die Belastungen des Hegelschen Philosophiebegriffs. Hier soll deshalb der umgekehrte Weg eingeschlagen werden. Die Bestimmungen der Kunst und des Schönen, die Hegel in der ScHiLLER-Rezeption seiner frühen Reflexionen und Schriften vorbereitet, werden in ihrer Entwicklung bis zu den Ästhetikvorlesungen dargestellt. Die symptomatischen Veränderungen der ScHiLLERinterpretation in der Entwicklung der Hegelschen Philosophie klären zugleich den Blick für die neuralgischen Punkte sowohl in SCHILLERS wie in Hegels Bestimmung der Kunst. Zum Beleg, daß sich gerade in Hegels ScHiLLERdeutung die Ansätze zur Analyse der bis heute diskutierten Aporien der Ästhetik finden lassen, sei auf ein frühes „produktives" Mißverstehen der Ästhetik Hegels und ihrer Beziehung auf SCHILLER hingewiesen, das TH. MUNDT in seiner eigenen Ästhetik (1845) thematisiert. MUNDT, der gleichermaßen als Hegelkritiker wie als von Hegel beeinflußter Denker gelten darf, charakterisiert Hegels Verhältnis zu SCHILLER folgendermaßen: „Hegel's Vorliebe für SCHILLER ... hatte keineswegs bloß ihren Grund darin, weil sich in SCHILLER doch dieser Respect vor dem philosophischen Gedanken und diese Zugehörigkeit zu demselben an den Tag gelegt hatte, sondern weil in SCHILLER schon, auf seinem Durchgänge durch die KANT'sche Philosophie, und durch die Ergänzung, welche er dieser letzteren in der Anerkennung einer ästhetischen Einheit des Endlichen und Unendlichen gab, weil sich dadurch in SCHILLER bereits eine Ahnung jener Ineinssetzung von Idee und Wirklichkeit an den Tag legte, die später in dem Hegel'schen System ihre logische Methode fand."* Allerdings führt die „logi-
* Th. Mundt: Ästhetik. 67 f; für das folgende Zitat vgl. a.a.O. 56.
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sehe Methode" dazu, daß die Kunst und mit ihr die Ästhetik aus logischen Gründen zur ersten, untersten Stufe des absoluten Wissens degradiert wird. MüNDT stellt in seiner Ästhetik das System Hegels im Sinne SCHILLERS sowie früherer (damals nicht bekannter) Äußerungen Hegels und SCHELLINGS um. D.h. er selbst gibt durch sein Mißverständnis der Hegelschen Ästhetik einige Änhaltspunkte dafür, wie die systematische Konsequenz vom Ende der Kunst umgangen werden kann. MüNDTS eigene Ästhetik reproduziert — ohne daß dies dem Verfasser bewußt sein kann — frühere Standpunkte Hegels, die dieser noch in enger Änlehnung u.a. an SCHILLER entwickelte. So sieht er z.B. die Ästhetik als eine Philosophie an, deren höchste Idee Unmittelbarkeit im Sinn des Lebens und des lebendigen Fortschritts sein müsse. Das »Warum" des Lebens erörtert die Philosophie überhaupt, das Ästhetische dagegen erscheint als »das Wie des Lebens". Will man also ebensowenig wie dieser frühe Kritiker der Hegelschen Subsumption der Ästhetik unter die Logik folgen, so müßte an der Explikation einzelner Ärgumentationsketten gezeigt werden, wieweit Hegels Gedanken zur Ästhetik selbst in der Weise systemsprengend sein können, daß die »Lebendigkeit" und Zukunft der Kunst mit Hegel gegen Hegel behauptet werden kann. Das heißt aber, daß der Gedanke des geschichtlichen Fortschritts und einer systematisch nicht programmierbaren Entwicklung der Kunst aus Hegels frühen Überlegungen belegt und, wo möglich, gegen das spätere philosophische System als besser begründet geltend gemacht werden muß. In neuerer Zeit schlug D. HENRICH eine Rettungsmöglichkeit der Hegelschen Ästhetik durch die Einschränkung ihres systematischen Änspruchs vor. Seine These von der Partialität der Kunst bewahrt deren geschichtskonstitutive wie gesellschaftskritische Funktion, wie sie Hegel auch im Änschluß an SCHILLERS Überlegungen zunächst entwickelt hat. Sie gibt aber den Änspruch auf Universalität im Sinne der umfassenden Orientierung auf. Darin liegt eine mögliche Version der Äktualisierung der Ästhetik, die aber an Hegels System der Philosophie gebunden bleibt. Stattdessen soll hier Hegels vorsystematische Position gegen die systematische Grundlage der Ästhetik ins Feld geführt werden. Die ScHiLLERkritik bietet sich zunächst an, Hegels anfängliche Überlegungen zur Funktion der Kunst zu eruieren; sie mag dann dazu motivieren, Hegels system-gesteuerte Konzilianz gegen SCHILLERS Theorie wie Dichtung ernster zu nehmen, als Hegel selbst in seinen Vorlesungen zur Ästhetik dies vermag. Hieraus läßt sich nämlich ein Hinweis gewinnen, wie Kunst in der Reflexion auf ihren geschichtlichen Sinn erhellt und als Erfüllung des hier entwickelten Zwecks verstanden werden kann. Dabei wird sich zeigen, daß diese Revision der Ästhetik nicht unbedingt zu derselben Konsequenz führt, die D. HENRICH zieht. Hegels Grundthesen der Ästhetik müssen nämlich nicht in der Weise erhalten bleiben, daß nur die Übernahme der Bedeutungseinschränkung der Kunst die Aktualität Hegels garantiert. Man kann vielmehr umgekehrt in seiner frühen Einschätzung der
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Kunst als „Werk" (wie in der für die Ästhetik spezifischen Wiederholung dieser Grundlage) einen Revisionsansatz entdecken, der die nur innersystematisch plausible Konsequenz: Vergangenheitscharakter, Ende oder „Partialität" der Kunst aufhebt. Für einen solchen Versuch bietet sich die Analyse des Verhältnisses zu SCHILLER geradezu an. Denn während Hegel bei SCHELLING und den Romantikern bloß eine philosophische Gegenthese erörtert und die Dichtungen etwa der Brüder SCHLEGEL mit lapidaren oder gar bewußt boshaften Bemerkungen abtut, während Hegel bei HöLDERLIN zwar Gemeinsamkeiten in Anliegen (nicht zuletzt durch die Orientierung an SCHILLER) und Beginn, aber Differenzen in der Durchführung sieht und die Dichtungen HöLDERLINS in der Ästhetik nicht erwähnt, sieht er sich noch in den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst immer wieder genötigt, die eigene „spekulative Philosophie" im Kontrast zu SCHILLERS ästhetischer Konzeption und zu seiner Dichtung darzulegen. Das bedeutet aber: wenn überhaupt, dann mag in der ScHiLLER-Rezeption an einem Beispiel klar werden, wie und warum Hegel seine Konzeption wandelt. Die genauere Differenzierung verschiedener Entwicklungsstufen seines Verhältnisses zu SCHILLER, das die Entwicklung seiner systematischen Ästhetik widerspiegelt, erörtert mit der Kenntnis der Gründe Hegels für die Absetzung von SCHILLER zugleich die Frage nach der Triftigkeit dieser Gründe. Da Hegel selbst jeweils im Blick auf SCHILLER die grundlegenden Momente der Ästhetik exemplifiziert, nämlich die Bestimmung des Leistungssinns der Kunst im Kontext der geschichtlichen Orientierung, können auch die Revisionsvorschläge, die sich anhand dieser Konfrontation gewinnen lassen, weitreichend sein. Eine entwicklungsgeschichtliche Analyse der Philosophie der Kunst hätte eigentlich zuvor einen Aufriß des gesamten Hegelschen Systems zu entwickeln. Denn nur so wird der Übergang von den frühen programmatischen Überlegungen zu den Ästhetikvorlesungen als Teil des philosophischen Systems (neben anderen) einsichtig. Zunächst scheint beides sich zu widersprechen. Hegels anfängliche Überlegungen zur geschichtlichen Funktion der Kunst, in denen G. LUKäCS nicht zu ünrecht eine Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion der Kunst sieht, scheinen unvereinbar mit der These der späten Berliner Vorlesungen, die Kunst — möge sie sich auch zu nicht vorhersehbarer formaler Vollendung entfalten — sei ihrer höchsten Bestimmung nach zu Ende. Folgt man der Ästhetik, dann kann die Kunst dem Bedürfnis des modernen, wissenschaftsfordernden Geistes nicht genügen, sie kann das Selbst- und Weltbewußtsein eines Volkes, einer Nation weder hervorbringen, noch zureichend repräsentieren. Kurz: was sich für die frühen Überlegungen Hegels als die gesellschaftliche Funktion der Kunst schlechthin umschreiben läßt, das wird ihr gerade in den Vorlesungen, die nun nicht mehr nur beiher, sondern explizit dem Thema Kunst gewidmet sind, für die Gegenwart abgesprochen. Idealiter müßte also eine Erklärung
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dieses „Gedankenfortschritts" bzw. der plausiblen oder auch nur für Hegel sinnvollen Schritte dieses Übergangs aus der Gesamtentwicklung des philosophischen Systems gewonnen werden. Dadurch geriete man aber in ein Dilemma zwischen zureichender Differenziertheit und Unübersichtlichkeit, wenn nicht Undurchführbarkeit der Darstellung. Deshalb wird hier der Weg gewählt, eklektisch einen der zentralen Orientierungspunkte Hegels zu interpretieren und gegebenenfalls anhand weiterer Proben aus den Ästhetikvorlesungen nachzuweisen, daß der Ansatz für zentrale wie für periphere Probleme erschließenden Charakter hat. Auf der Wahl des Ansatzes liegt dabei ein ungewöhnliches Gewicht, sie läßt sich aber dadurch rechtfertigen, daß sich die entscheidenden Schritte in der Entwicklung der Ästhetik und die Grundlagen der Philosophie der Kunst an und durch Hegels ScHiLLER-Rezeption verdeutlichen lassen. In den frühen Überlegungen ist die ScHiLLER-Rezeption der einzige Ansatz, der Hinweise darauf enthält, daß Hegel schon hier eine Konzeption der geschichtlichen Funktion der Kunst entwickelt. Da die Frage nach der Kunst in Hegels frühen Schriften ebenso wie im späteren System der Philosophie in die Frage nach der geschichtlichen Funktion der Philosophie überhaupt integriert bleibt — was sich an der Erörterung der Kunst im Kontext der Mythologieproblematik belegen läßt —, ändert sich auch die Grundkonstellation wenig. Die KANxkritik der frühen Schriften, die in der Absicht geschieht, eine praktische bzw. eine Geschichtsphilosophie zu entwickeln, schließt Hegel nicht nur mit SCHILLER und dessen philosophischen Vorbildern zusammen. Der kritische Ansatz Hegels findet erst im System der Philosophie seinen Abschluß, und Hegel deklariert das System auch als den endgültigen Standpunkt, weil er meint, er habe hier die Lösung der Ausgangsprobleme erreicht. So ist es — jedenfalls was den genuinen Problembestand der Hegelschen Philosophie anbelangt — beinahe zwangsläufig, daß sich in allen Überlegungen zur Ästhetik eine Auseinandersetzung mit SCHILLER findet. An den zentralen Punkten der Argumentation ist es immer Schiller, durch den Hegel seine eigenen Thesen vorbereitet oder bestätigt sieht. Philosophische Themen, die einen Vergleich SCHILLERS mit Hegel in diesem Sinn anregen, sind die Kritik der französischen Revolution und das nachaufklärerische Programm einer poetischen Versöhnung politischer Diskrepanzen sowie die Funktion des Griechentums im Zusammenhang dieser „politischen" Ästhetik. Der „Fortschritt" von den frühen Reflexionen zur Ästhetik als Teil des Systems der Philosophie wird, geht man von dieser Problemstellung aus, sowohl plausibel wie kritisierbar, weil es die wesentlichen Modifikationen der frühen Geschichtskonzeption sind, die Hegel von
D. Henrich: Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart, 11 ft; Zur Aktualität von Hegels Ästhetik, 295 ff.
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der „Reflexionsform" der eigenen Gedanken zur Zeit zum System der spekulativen Philosophie führen. Es gilt zu zeigen, wie in jenen Ansätzen des frühen Hegel SCHILLERS ästhetische und politische Gedanken aufgenommen werden, die den Grund der Bewertung des Griechentums abgeben, und wie die evtl. Modifikation bei Hegel auch diese Beurteilung ändert. Näherhin geht es darum, an Hegels Gedanken eine Möglichkeit zu entwickeln, den vollendeten und vorbildlichen Stand griechischer Humanität, Republik und Kunst in eine — mit SCHILLER — theoretisch wie praktisch „nach vorwärts gewandte" Utopie zu integrieren und so durch die Reflexion die Zerrissenheit der Realität zu überwinden. Nicht ohne Einfluß ScHiLLERscher Gedanken entwickelt Hegel nämlich sein eigenes Konzept einer Mythologie der Vernunft, die — entspringend aus der Religionskritik — jenen Anspruch einer geschichtlich-konkreten Vermittlung von Vernunft und Freiheit, die Möglichkeit ihrer „Habitualisierung" erörtert, die SCHILLERS Briefe über die ästhetische Erziehung sich zum Thema machten. Anhand der Auseinandersetzung mit SCHILLER, der sowohl in seinen Dramen wie besonders in seinen ästhetischen Überlegungen für die Konzeption dieses Programms einer neuen Mythologie wesentliche Hinweise lieferte, muß dann aber gezeigt werden, welche Überlegungen es für Hegel zwingend erscheinen ließen, dieses frühe Programm einer zukunftsgestaltenden, gesellschaftlich wirksamen Kunst in den Entwurf der geschichtlich vergangenen, zwar unverzichtbaren, aber auch unwiederholbaren Leistung zu überführen. Es sollte auf diese Weise gelingen, die nicht nur persönliche, sondern auch philosophische Konsequenz der „revolutionsbegeisterten Lektüre" ScHiLLERscher Jugenddramen darzulegen und zudem die Gründe zu ermitteln, aus denen Hegel sich von der anfänglichen Begeisterung nicht allein über die Kunst SCHILLERS, sondern auch über die Briefe zur ästhetischen Erziehung zur kritischen Distanz und nur partiellen Anerkennung entschließt. Dann kann das „hegelimmanente" Interesse an der Genauigkeit auch die Revisionsmöglichkeiten der „Weiterführung" mitbegründen. In diesem Zusammenhang wird ein Thema wiederaufgegriffen, das die Interpretation und Kritik der Hegelschen Ästhetik schon seit langem erörtert, nämlich deren „Klassizismus", Hegels Rückgriff auf die griechische Kunst und Kultur. Es geht aber nicht um die Wiederholung oder Bekräftigung des „Klassizismus"-Verdachts; dieser ließe sich aus den hier zunächst diskutierten Pfoblemen SCHILLERS wie Hegels wohl kaum eruieren. Stattdessen geht es um die Frage, wie sich SCHILLER und Hegel in der Entwicklung einer Konzeption der Kunst durch die denkerische Auseinandersetzung mit den Folgeproblemen der französischen Revolution des Alten und in mannigfachen Aktualisierungen Überlieferten bedient haben. Es geht im Rückblick auf die griechische Vollendung um den Nachweis, daß die Kunst eine Zukunft heraufzuführen hilft, in der die Postulate der Vernunft und Freiheit
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verwirklicht sein werden. Die Art und Weise, wie hier auf Tradition und Bildungsgut der Zeit zurückgegriffen wird, geht über ein historisches Interesse an der Entdeckung ästhetischer Vorbilder (sc. einen „Klassizismus" im Sinne des gängigen Vorwurfs gegen die Ästhetik) hinaus. Vielmehr geht es in der Frage nach der Antike, nach der „vollendeten" Vergangenheit, um die geschichtliche Bedeutung der Kunst im Kontext der gesellschaftlichen Erneuerung — um eine Frage also, die auch im gegenwärtigen Bemühen, eine philosophische Ästhetik zu begründen, als zentral gilt. Was Hegel im Programm der „schönen Religion" für die frühen religionskritischen Abhandlungen als Vorbild und leitende Vorstellung von der Wirksamkeit der Kunst entwickelt, das wird im kritisierten „Klassizismus" der Ästhetik als die These wiederholt, Kunst habe ihre höchste, d.i. umfassendste Bedeutung in der geschichtlichen Situation des klassischen Griechentums entfaltet. Die Gründe für diese Relativierung und ihre Berechtigung gilt es also zu prüfen. Auch hier gilt, daß selbst der kritisierte „Klassizismus" der Ästhetik (genauer: die Verknüpfung vergangener Realität und Wirksamkeit der Kunst mit jüngst entwickelter philosophischer Deutung) durch den Rückgriff auf SCHILLERS Griechenrezeption eine Profilierung erhält, die Hegel erst im Zuge der Entwicklung seines Systems relativiert. Selbst in den Berliner Vorlesungen bleibt aber die früh entwickelte Modifikation der Griechenrezeption erhalten und erlaubt die Differenzierung zwischen Klassizismus und philosophischer Frage nach der geschichtlichen vollendeten Form eines Phänomens, von der ausgehend man den „Begriff" des Wirklichen schöpfen soll. Sachlich könnte man in der Frage nach der Bedeutung des Griechentums für die Moderne — die Zeit nach der Aufklärung — auch Hegels Diskussion und Kooperation mit HöLDERLIN zum Leitfaden der Interpretation wählen. Ein Vorteil dieses Interpretationsansatzes gegenüber der Darstellung des Verhältnisses von Hegel und HöLDERLIN liegt in der Kontinuität der Auseinandersetzung. Während Hegel sich in seinen Berliner Vorlesungen mit HöLDERLIN überhaupt nicht mehr auseinandersetzt, findet sich dort in allen grundlegenden Fragen eine Konfrontation mit und eine Kritik an SCHILLER. In Hegels ScHiLLERkritik liegt also die größere Kontinuität. Ähnliches gilt für die Äuseinandersetzung mit SCHELLING. Nachdem Hegel sich dem Einfluß HöLDERLINS gegen Ende seiner Frankfurter Zeit endgültig entzogen hat, orientiert er seine ersten expliziten Überlegungen zur Kunst, die er in Jena entwickelt, an SCHELLING. Diese Orientierung entbehrt aber einer grundlegenden Konvergenz, denn es zeigt sich, daß selbst Überlegungen, die denen SCHELLINGS anscheinend verwandt sind, ja vorderhand identisch zu sein scheinen, stets jene kritische Dimension enthalten, die Hegel später dazu motiviert, seine eigene Ästhetik als Gegenpol zu SCHELLINGS Philosophie der Kunst zu gestalten.
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So betont Hegel in den Ästhetikvorlesungen nicht von ungefähr, daß seiner Konzeption am nächsten stehe. Zwar ist auch die ScHiLLER-Rezeption Hegels von Anfang an durch die kritische Auseinandersetzung geprägt, dennoch muß Hegel seine eigene Konzeption nicht gänzlich aus der Verwandtschaft zu SCHILLER lösen. Selbst in der frühen Version enthält die Bestimmung der Philosophie der Kunst bei SCHILLER und Hegel schon eine je eigentümliche Gestalt und führt zu unterschiedlichen Konsequenzen. Man orientiert sich an der gleichen philosophischen (KANT) wie ästhetischen (griechische Klassik) Tradition und verfolgt das gemeinsame Anliegen, nämlich durch die Kritik der Revolution eine Konzeption geschichtlicher Veränderung, geschichtlichen Fortschritts zu gewinnen. Dennoch ist das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks, hier die ästhetische E’"ziehung, dort die Konzeption der geschichtlichen Funktion der Mythologie, bei aller Verwandtschaft unterschiedlich. Wenn Hegel gleichwohl Differenz und Verwandtschaft hervorhebt, die Differenz im wesentlichen noch auf den methodischen Status der ästhetischen Reflexionen beschränkt, mag das einen Sachverhalt andeuten, der sich in der folgenden Untersuchung im einzelnen bestätigt. Hegel sieht sich in seiner philosophischen Ästhetik immer noch in Kontinuität zu seinen anfänglichen Reflexionen zur Kunst, er strebt vor allem immer noch eine Bestimmung ihrer geschichtlichen Funktion an. Auch scheint die inhaltliche Ausformulierung dieser philosophischen Einsichten — zumindest ihm selbst — eine unverändert enge Anknüpfung an SCHILLER ZU erlauben, obwohl zwischen der frühen ScHiLLER-Rezeption und der Kritik der Ästhetik die Ausbildung des Systems der Philosophie liegt, also eben jener Fortschritt methodischer Art, den Hegel bei SCHILLER vermißt. Es kann deshalb — und darum wird hier letztlich die ScHiLLER-Rezeption Hegels als Interpretationsansatz bevorzugt — mit der historisch-kritischen Frage eine systematische Erörterung verknüpft werden, ohne daß man Hegels Anliegen — seine Interessen und grundlegenden Erklärungen in der Ästhetik — negieren müßte. Denn die Unterschiede in der Konzeption Hegels und SCHILLERS können, wo sie thematisiert werden, in der gegenwärtigen Diskussion um die Begründung der Ästhetik und die Bestimmung der Kunst zur Klärung wichtiger Probleme, zur Auflösung von Aporien und vermeidbaren Kontroversen dienen. Neben dem Fortschritt in der Interpretationsgenauigkeit gewinnt man also durch den entwicklungsgeschichtlichen Ansatz einen Vorteil in der sachlichen Perspektive, in der Frage nach der „Aktualität" historischer Positionen. SCHILLER
1.1 Revolutionskritik und Bildungsidee Die Verwandtschaft von SCHILLERS und Hegels sachlichem Anliegen läßt sich ebenso wie die frappierenden Übereinstimmungen und Gemeinsamkei-
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ten inr Denkansatz schon in den frühen Reflexionen entdecken. Bevor beide sich mit der Philosophie KANTS auseinandersetzen und seine „Revolution der Denkungsart" für die eigene Konzeption nutzen, führt der Rückgriff auf gleiche oder vergleichbare philosophische Traditionen zu einer Parallelität der Problemstellung, ln und infolge der Auseinandersetzung mit KANT findet sich bei Hegel wie bei SCHILLER eine Weise der Bewältigung jener Probleme, die sich aus der konkreten geschichtlichen Situation aufdrängen; diese philosophische Affinität rückt wiederum die vorgeschlagenen Lösungen der „Zeitprobleme" in große Nähe zueinander. In diesem Kontext erscheint Hegels Religionskritik, erscheinen mithin seine ersten größeren und umfassenderen Abhandlungen, als Anknüpfung an SCHILLERS Auseinandersetzung mit dem Problem der französischen Revolution und zugleich als Weiterführung der Konzeption SCHILLERS. Denn Hegel stellt sich die Aufgabe — und er bewältigt sie auch teilweise, wie sich zeigen wird —, in der Frage nach Sinn und Zweck des Begreifens der Geschichte die neuralgischen Punkte der Konzeption der ästhetischen Erziehung sowohl aufzudecken wie zu vermeiden.
1.1.1 Aufklärung als Bildung des Individuums. Zur Deutung des Postulats der „Gottähnlichkeit“. Die Idee der Aufklärung findet in SCHILLERS frühesten Gedanken einen Ausdruck, der Hegels Religionskritik als Konsequenz ScHiLLERscher Überlegungen erscheinen läßt. In der Theosophie des ]ulius (1782) entwickelt SCHILLER im künstlerischen Entwurf eine Konzeption der Bildung, des Fortschritts zur Gottähnlichkeit oder Gottgleichheit. Er stellt in den Philosophischen Briefen, in denen die Theosophie später ihren Ort findet, durchweg all das aus philosophischen Schriften (LEIBNIZ, FERGUSON, SHAFTESBURY), „was sich dichterisch fühlen und behandeln läßt" (Brief an Körner vom 15. 4. 1788; Bd 2. 61 ff), in den Zusammenhang der „Vollendung des menschlichen Charakters". Hier entlehnt er z.B. die Bestimmung des „Naturzustands" von SHAFTESBURY und umschreibt diesen: gut zu sein aus „Instinkt, aus unentweihter sittlicher Grazie" (moral grace; NA 20. 114). Der Begeisterung für „Wahrheit", „Tugend", „Schönheit" (NA 20. 119) gilt die Vernunft als „einzige Gewährleistung für Gottheit, Tugend, Unsterblichkeit" (NA 20. 111).8 Noch in den Briefen zur ästhetischen Erziehung geht SCHILLER von der nämlichen Sicht der Welt und des Menschen aus. Denn auch hier betont er: 8 So im Brief an Körner vom 15. 4. 1788; Bd 2. 61 ff. Zum Folgenden vgl. NA 20. 37—75; Über die Tugend in ihren Folgen betrachtet (NA 20. 31 f), wo Schiller die Vollkommenheit der Geisterwelt im Sinne der englischen Empiristen als Folge der Tugend betrachtet und die Glückseligkeit des Einzelnen wie des Ganzen als Folge dieser Vollkommenheit deklariert.
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»Die Anlage zu der Gottheit trägt der Mensch unwidersprechlich in seiner Persönlichkeit in sich; der Weg zur Gottheit, wenn man einen Weg nennen kann, was niemals zum Ziele führt, ist ihm aufgethan in den Sinnen" {NA 20. 343).’ SCHILLER spielt hier auf modifizierte Weise zwei gegenläufige Gedanken durch, die die frühe Konzeption schon enthielt, nämlich auf der einen Seite die Betonung der »Gottgleichheit", auf der anderen Seite die faktisch unumgängliche Kontingenz, die er als »unglückseligen Widerspruch der Natur" beklagt. Es bleibt unübersehbar, daß der Mensch als freier »emporstrebender Geist in das starre unwandelbare Uhrwerk eines sterblichen Körpers geflochten", der Gott »in eine Welt von Würmern verwiesen" ist {NA 20.112). Beide Momente der frühen Konzeption führen zur Einsicht, daß die Erreichung der »Gottheit" eine Sache der Bildung ist, einer Bildung, die der Mensch vermittels der Welt, in der er lebt, erhalten soll. Die Welt ist vorhanden, »mir die mannichfaltigen Äußerungen" des Menschen, des denkenden Wesens, »symbolisch zu bezeichnen"; die Weltgeschichte vergegenwärtigt das Unendliche, das Kunstwerk die »Seele des Künstlers" {NA 20. 116). Dieser Gedanke eines Bildungsprozesses von der Natur zur Vollkommenheit der Menschlichkeit, den SCHILLER bis in seine späten Überlegungen als die »Veredelung" des Charakters zur Vernunft, Freiheit, Moralität diskutiert, läßt sich hier noch individuell wie gesamtgeschichtlich deuten. SCHILLER fügt einen Verweis an, der auch für Hegels religionskritische Schriften entscheidende Bedeutung gewinnen wird. Wie in seiner Rede über die Tugend in ihren Folgen betrachtet (1780) schließt er auch die Theosophie des Julius mit der Behauptung, daß die Liebe, das Band des Zusammenhangs aller denkenden Naturen {NA 20. 32), zur Vollkommenheit, damit zugleich zur Glückseligkeit und letztlich zur „Gottähnlichkeit" {NA 20. 124) führe. Beide Gesichtspunkte meint SCHILLER ZU dieser Zeit noch vereinbaren zu können, denn er bestimmt im Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen (1780) die Vollkommenheit als Resultat der
’Der Hinweis auf die Unendlichkeit des Weges wird erst mit der Fortentwicklung (bes. in den Gedanken zur sentimentalischen Dichtung) erklärlich, die die frühe Behauptung „Gottgleichheit ist die Bestimmung des Menschen" {Philosophie der Physiologie. NA 20. 10) auf den Progreß der Kultur relativieren.—In Über Anmut und Würde übernimmt Schiller in diesem Zusammenhang Goethes Bild der „Sonnenhaftigkeit"; der Mensch werfe nicht „die Strahlen fremder Vernunft zurück ... wenn es gleich die Göttliche wäre, sondern er soll gleich einem Sonnenkörper, von seinem eigenen Lichte glänzen" {NA 20. 277). Goethe entwickelt bezeichnenderweise in seinem Essay über Winckelmann den Gedanken, der auch für Hegel wichtig wird: der Gott sei Mensch geworden, um den Menschen zu Gott zu erheben. Dazu B. v. Wiese: Die Religion F. Schillers, A06(f; P. Böckmann: Schillers Geisteshaltung als Bedingung seines Schaffens, 62.
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»Übung seiner Kräfte durch die Betrachtung des Weltplans", als eine Harmonie im »Organismus der Seelenwirkungen" (NA 20. 42). Wie hier physische und moralische Welt Zusammenhängen, entwickelt SCHILLER in seinen Überlegungen zur Tugend unter Hinweis auf FERGUSONS Bestimmung der Sympathie, die er sich als »weises Wohlwollen" verdeutlicht und zum Grundprinzip der Tugend erhebt. Moralische Handlung führt zur »Vollkommenheit der Geisterwelt" als der ersten Folge der Tugend. In diesem Resultat liegt auch das Kriterium für eine moralische Handlung, denn wir können »jede moralische Handlung nur nach dem Maße schätzen und verdammen, nach welchem sie mehr oder weniger zur Vollkommenheit der geistigen Wesen mitgewürkt hat". Was SCHILLER hier noch als Einheit sieht, die moralische Handlung, die sittliche Gesinnung (Vollkommenheit, Tugend) und die gesellschaftliche wie individuelle Folge (Glückseligkeit; NA 20. 31 f), wird er in den späteren Reflexionen im Sinne KANTS trennen und zu einer systematisch begründeten Einheit nicht mehr zusammenschließen können. Vorderhand meint SCHILLER noch mit gewissem Recht auf Beispiele verweisen zu dürfen, die die Behauptung einer Einheit von Natur und Geistigkeit stützen. Wie HERDER sieht er in der griechischen Welt einen »Nationalcharakter" verwirklicht, in dem sich Vernunftbegabung und Naturabhängigkeit harmonisch verbinden. Darüberhinaus betont er im Versuch über den Zusammenhang, daß der genannte Bildungsprozeß zur Gottähnlichkeit kein bloß individuelles Geschehen bleiben darf, ja als solches gar nicht denkbar wäre. Der Prozeß der Vollendung des Einzelnen kann nur im Zusammenhang seiner Lebenswelt gelingen. Es gilt (mit HERDER formuliert), daß es nur »unter dem feinen griechischen Himmel ... einen HOMER, einen PLATO und PHIDIAS gab; dort nur standen Musen und Grazien auf". Analog muß sich für das eigene Vaterland ein solcher Entwicklungsgang konstruieren lassen. SCHILLER entwirft diesen Gang auch in groben Zügen. Entsprechend der ihn umgebenden »rauhen Natur war der Teutsche... roh wie das Wild... So bald die Arbeitsamkeit die Gestalt seines Vaterlands umänderte, fieng die Epoche seiner Sittlichkeit an" {NA 20. 64 f). Daraus folgert er, man müsse, um ein »Volk aufzuklären ... seinen Himmel verfeinern" {NA 20. 65), denn »der Geist verfeinert sich mit dem feinem Klima" {NA 20. 55). Es gilt also generell, daß sich Vollkommenheit, Glückseligkeit aus der moralischen Handlung und der kontemplativen Betrachtung des Weltplans entwickeln. Im Anschluß an die Auseinandersetzung mit KANT bleibt dieser Gedanke im Begriff der Anmut, der schönen Seele und der erzieherischen (veredelnden) Funktion des guten Geschmacks wie der Religion erhalten. In der Theosophie des Julius schränkt SCHILLER aber die Möglichkeiten der Herstellung einer solchen Harmonie von Natur und Vernunft implizit wieder ein. Im Dialog des Julius mit Raphael erscheint die Möglichkeit, sich unter gegebenen Bedingungen zur Geistigkeit zu bilden als Zwang zur Absetzung
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von der Welt. Diese Realitätsdistanz wird im Bild des hortus conclusus,i° einem aus der Idyllendichtung bekannten Topos, thematisiert. In dessen Unberührtheit von Gesetz und Meinung liegt die Chance, sich von entfremdenden Verhaltensmaßregeln zu eigenverantwortetem Handeln zu befreien. Hier entwickelt SCHILLER also eine Konzeption, wie die Bildung zur Gottähnlichkeit unter den Bedingungen einer ihr widrigen Welt verläuft, wie sie zugleich denkbar und realisierbar ist. In diesem Fall wird nämlich die Vorwegnahme der Gesamtharmonie durch die Ausgrenzung eines harmonisch gestalteten Stückchens Welt unumgänglich. Die Bildung zur Gottähnlichkeit kann nur gelingen, wenn zugleich die Natur so entworfen wird, daß sie in Harmonie zum Trieb nach Gottheit steht, diesen unterstützt. Für diesen Zweck kann nicht auf die faktische Welt zurückgegriffen werden, denn die Realität wird vielmehr, im Lichte einer nichtentfremdenden Natur interpretiert, zum Hemmnis solcher Bildung der eigenen Persönlichkeit. Der Ort der Bildung ist die Enklave des geschützten Gartens, die schon geistgemäß gestaltete Welt. Hier bleibt (wie in den späteren Schriften) die Frage der Transponier bar keit der Idyllenwelt in die Realität unerörtert. Ein interessanter Aspekt der frühen Überlegungen blieb bislang überhaupt unbeachtet, kann möglicherweise erst aus der Wirkungsgeschichte, nämlich aus Hegels ScHiLLER-Rezeption, in seiner Bedeutung erfaßt werden. SCHILLER übernimmt bezeichnenderweise die Vernunft und Freiheitsforderung, die revolutionäre Tendenz der aufklärerischen Gedanken auf eine Weise in seine Kunst, daß sie als Provokation gegen religiöse Vorstellungen und Deutungen erscheint. Er betont die prinzipielle Gottähnlichkeit jedes Menschen, der seiner Vernunft eingedenk und der Möglichkeit seiner Freiheit ansichtig wird. Allerdings ist die Gottähnlichkeit (oft schärfer: „Gottgleichheit" oder „Gottheit") keine faktisch vorhandene, sondern eine prinzipielle Potenz, die es gegen die Faktizität sowohl des gängigen Selbstverständnisses wie der Meinung der Vielen wie der historischen Situation noch zu ergreifen gilt. Gottähnlichkeit ist die Gabe, Begabung des Menschen, die er gegen die Bedingungen seiner faktischen Existenz durchsetzen muß. Durch die Charakteristik dieser Potenz als Gottähnlichkeit (um nur den schwächsten Terminus zu wählen) attackiert SCHILLER jene Instanz, gegen die es die Vernunftund Freiheitsforderung hauptsächlich durchzusetzen gilt: die religiösen Deutungen des Menschen und ihre weltlichen Machtübergriffe in die Gestaltung der politischen Existenz. Diese halten den Menschen unter dem Vorwand unmündig, seine Vernunft- und Freiheitsfähigkeit für ihn zu verwalten, weil und solange er selbst nicht in der Lage sei, sie zu realisieren. Dafür ist sowohl der Anfang der Philosophischen Briefe bezeichnend wie die Situation, die Schiller im Spaziergang unter den Linden oder im Dialog zwischen dem Jüngling und dem Greis schildert. In der Schillerinterpretation wird diese Perspektive erst in jüngerer Zeit beachtet (s.o. Anm. 25).
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selbst thematisiert die Gespaltenheit des Menschen in Natur- und Vernunftexistenz, erhebt die prinzipielle Endlichkeit aber gerade nicht zur Richtschnur menschlicher Möglichkeiten. Die Polemik gegen die Definition des Menschen aus seiner Kontingenz trifft vorderhand die christliche Religion als die vorherrschende Religion. Sie wählt mit der Betonung der Kontingenz eine philosophische Bestimmung des Menschen, die die Verwalterrolle der Kirche in Sachen Vernunft- und Freiheitskapazität des Menschen perpetuiert. Eine prinzipielle Endlichkeit des Menschen rückt die Ablösung der Institution durch mündiges, eigenverantwortetes Handeln aus der Geschichte in ein Jenseits, Gottähnlichkeit erscheint nicht mehr als das Ziel der geschichtlichen Entwicklung. Sowohl um die Grundkonzeption wie um die realen Folgen in der Rechtfertigung bestehender Macht-, Rechts- und Lebensverhältnisse zu vermeiden, legt SCHILLER den Nachdruck auf die zweite Komponente der Bestimmung des Menschen. Gottheit, Gottgleichheit, Gottähnlichkeit wird z< ,m Charakteristikum der Fähigkeit des Menschen aus eigener Verantwortung zu handeln, seine Welt zu bestimmen und sich selbst zu „verfeinern", weil dadurch allein ein Zweck der Geschichte, ein Ziel des Fortschritts genannt ist, das dem Menschen den Zugang zu seiner „Menschheit" offenhält, ihn nicht auf seine „Tierheit" beschränkt. In SCHILLERS frühen theoretischen Versuchen und Gedankendichtungen steckt daher eine Konzeption der Verwirklichung aufklärerischer Postulate, die im künstlerischen Entwurf bereits die Forderungen erfüllt, die die späteren ästhetischen Schriften erst zu explizieren vermögen — und zwar vermittels der KANTrezeption. Der Sache nach bleibt aber die Bestimmung der Kunst, bleibt ihre institutions- und damit religionskritische Ausrichtung, die hier im Vollzug gesetzt wird, in der späten Explikation maßgeblich. Schon SCHILLERS frühe Überlegungen enthalten nämlich von den wesentlichen Momenten der späteren ästhetischen Theorie erstens die Forderung nach einer Charakteristik menschlicher Existenz, die dem Aufklärungsgedanken genügt. Sie enthalten zweitens die Einsicht, daß dieses Postulat der Gottähnlichkeit gegen die faktischen Existenzbedingungen und deren ideologische Stützen (Meinung und Gesetz) durchgesetzt werden muß. Mithin enthalten sie drittens die Idee einer Bildung zur Vernunft bzw. die Einsicht in die Notwendigkeit solcher Bildung, die SCHILLER in den Briefen zur ästhetischen Erziehung genauer konzipiert. Ein viertes Moment dieser frühen Konzeption bildet die Überlegung, wie solche Bildung durchführbar wird. Hier schließt sich SCHILLER durch das gewählte Bild des hortus conclusus als dem möglichen Ort der Bildung zur Gottähnlichkeit zunächst der Ansicht an, daß die Bildung zum mündigen Vernunftgebrauch nur durch Ausblendung der Wirklichkeit möglich wird. Erst post factum soll und kann der zweite Schritt, der lehrende Eintritt in die wirkliche Welt, sinnvoll sein. Dem letzten Moment der Konzeption widmet SCHILLER sich später erneut in der Absicht, es zu modifizieren. Die Briefe zur ästhetischen Erziehung erörtern die MögSCHILLER
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lichkeit einer Vernunftbildung unter den gegebenen historischen Bedingungen. Auch hier bleibt aber die — nun mit Hilfe der KANxischen Philosophie differenzierter formulierte — Konzeption einigen Schwächen des früheren Entwurfs verhaftet. Eben diese Defizite versucht Hegel auszuräumen.
1.1.2 Verwandle Grundlagen in Hegels Frühschriften Die philosophische Tradition, auf der SCHILLERS frühe Versuche fußen, beeinflußt zu einem großen Teil auch Hegels Überlegungen in den Gymnasialaufsätzen, in Tagebuchnotizen und Entwürfen aus der Tübinger Stiftszeit, die er gemeinsam mit SCHELLING und HöLDERLIN verbrachte. Schon in den frühesten schriftlichen Äußerungen Hegels finden sich terminologische Anklänge an SCHILLERS Versuche im Kontext der ästhetischen Theorie, die nicht zufällig sind bzw. zumindest durch die spätere Entwicklung Hegels nicht mehr als zufällige Ähnlichkeit erscheinen.^ Es handelt sich durchweg um Begriffe, die SCHILLER auch schon in seiner vorkantischen Phase benutzt und die durch den KANxianismus entweder verschärft werden, wie der Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft, oder modifiziert, wie die Gottähnlichkeit und die Behauptung einer Vereinbarkeit von Glückseligkeit und Tugend. Hegel liest und exzerpiert die psychologischen Theorien des Schönen (SULZER und BAXXEUX; vgl. Dok. 109 ff, 400; 15, 403), er kennt HERDER (Br. 1. 19) hinreichend gut, um aus dessen Schriften Elemente zu übernehmen, die er noch in den späten Asthetikvorlesungen erneut erörtert, und er sieht vor allem in "SPINOZA, SHAFXESBURY, ROUSSEAU, KANX" Denker, die „die Idee der Moralität rein aus ihrem eigenen Herzen entwickelten und darin als in einem Spiegel die Schönheit derselben erblickten und von ihr entzückt wurden" (Nohl. 51). ROSENKRANZ berichtet von Hegels Entwurf einer „Unterredung zwischen Dreien" (1785), von Hegels
J. Hoffmeister weist in seiner Edition der Dokumente zu Hegels Entwicklung den Einfluß der Aufklärungsphilosophie im einzelnen bis in identische Gedankenführungen nach; Dok. 407 f. Dazu auch die Untersuchung von ]. M. Ripalda: Poesie und Politik heim frühen Hegel, 91 ff. — Die Frage, wieweit dadurch ein Einfluß Schillers vorbereitet wird oder schon bedeutsam geworden ist, wird bislang nicht berücksichtigt. J. Taminiaux weist zwar darauf hin, wie Schillersche Texte in Hegels spätere Gedanken Eingang gefunden haben (z.B. das Gedicht Die Freundschaft in die Bestimmung der Liebe in der Frankfurter Zeit u.a.; vgl. La nostalgie de la gr'ece d l'auhe de l'idealisme allemand, 15 ff). Er beachtet allerdings nicht, daß Hegel in den verschiedenen Phasen seiner denkerischen Entwicklung auch sein Verhältnis zu Schiller modifiziert. — A. Peperzak (Le jeune Hegel et la Vision morale du monde) zeigt, daß die Terminologie der frühen Überlegungen Hegels mit der Schillers weitgehend identisch ist.
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Annahme, der Freiheitsgedanke sei bei den Römern durch Luxus verspielt worden (Ros. 17 f, 452); nicht von ungefähr drängt sich der Vergleich mit SCHILLERS frühen Briefdialogen auf. Wenn Hegel so am Schluß der Phänomenologie des Geistes auf einen Vers aus SCHILLERS Gedicht Die Freundschaft anspielt, dann schließt er darin jene entscheidende Phase der Rezeption ScHiLLERScher Gedanken endgültig ab, in der die unmittelbare Auseinandersetzung mit SCHILLER seine Fortschritte zur eigenen systematischen Konzeption der Philosophie stimuliert hatte. SCHILLERS Gedicht erschien in der Anthologie auf das Jahr 1781 unter dem vollständigen Titel: Die Freundschaft. Aus den Briefen Julius an Raphael, einem noch ungedruckten Roman. Vom selben Roman erscheint in der Thalia 1786 der Text, der unter dem Titel Philosophische Briefe die Bruchstücke der Ausarbeitung zusammenfaßt und von dem die Theosophie des Julius für Hegels frühe Überlegungen entscheidend wird. Im gleichen Jahr erscheint das Gedicht Resignation, aus dem Hegel zitiert, und die Hymne an die Freude, die Hegel zeitlebens schätzt. Hegels Nähe zu SCHILLERS frühen Überlegungen zeigt sich u.a. auch an einer gemeinsamen Quelle, die ein Grundthema der frühen Überlegungen Hegels wie SCHILLERS behandelt. Die von beider Lehrer ABEL 1786 publizierte Abhandlung Über die Quellen der menschlichen Vorstellungen beeinflußt u.a. Hegels Notizen zu einer Philosophie des subjektiven Geistes (1793/94; Dok. 195 ff, vgl. 449 f). SCHILLERS erste theoretische Versuche Philosophie der Psychologie (1779) und Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen (1780) zeugen in ähnlicher Weise vom Einfluß der Lehre ABELS. Für SCHILLERS These von der Gottgleichheit des Menschen, also für die zentrale und radikale Übernahme des Anliegens der Aufklärung, werden hier die Grundlagen geschaffen. SCHILLERS Version der aufklärerischen Religionskritik und das spätere Programm der Briefe, die diese Gottgleichheit durch mündigen Vernunftgebrauch geschichtlich vermitteln sollen, bestimmen Hegels Überlegungen. So verwundert es zunächst nicht, wenn sich auch der für SCHILLER charakteristische Dualismus von Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Moralität, in Hegels Exzerpten aus der philosophischen Literatur findet^^ und offenbar auch für Hegels gedankliche Anfänge suggestive Kraft besitzt. Das bloße Faktum, daß Hegel sich solche Von diesem „Dualismus", allerdings mehr in einer psychologisierend banalisierten Form, zeugen Hegels Exzerpte aus Feders Neuem Emil (Dok. 55 ff), ebenso auch das Exzerpt aus einer Rezension von A. W. Rehberg: Über das Verhältnis der Metaphysik zu der Religion. Berlin 1787 (bes. Dok. 163), die von einem Kantianer verfaßt ist. Hoffmeister schließt daraus auf eine hinreichende Orientierung über den Kantianismus (Dok. 427). Auch in seinen Predigtentwürfen (1792/93) geht Hegel vom Dualismus Sinnlichkeit — Vernunft aus und erwähnt schon hier die Entgegensetzung von Gesetz und Geistigkeit, die später in der Kritik der Positivität der Religion eingehender erörtert wird; vgl. Dok. 177, 180 f, 184 f.
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Gedanken zuarbeitet, besagt hier zwar noch nichts. Aber die spätere Weiterführung der Ansätze SCHILLERS knüpft an diesem Punkt u.a. wieder an, um die Notwendigkeit der Überwindung der ScHiLLERSchen Position plausibel zu machen.
Wichtiger wird aber noch der Versuch zur Überwindung dieses KANxischen Dualismus im Postulat der Harmonie von Tugend und Glückseligkeit. Die Exzerpte dokumentieren die Tendenz der KANxkritik SCHILLERS (nämlich die Überwindung des Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft). Hegel greift hier jeweils Formulierungen heraus, die denen SCHILLERS nahekommen.Eine Affinität zu SCHILLERS frühen philosophischen Reflexionen ergibt sich in diesem Zusammenhang durch die Rezeption der englischen Empiristen. In seinen Überlegungen Uber die Religion der Griechen und Römer geht es Hegel um die Bedeutung der Religion im Leben eines Volkes. Am Beispiel der „Weisen Griechenlands" stellt er die aufklärerische Funktion der griechischen Religion dar. Diese Religion entwickelt einen Begriff der Gottheit, der durch die Bestimmung ausgezeichnet ist, daß die Gottheit „jedem hinlängliche Mittel und Kräfte zu seiner Glückseligkeit gebe und die Natur der Dinge so angelegt habe, daß durch Weisheit und moralische Güte wahre Glückseligkeit erlangt werde" (Dok. 47). Die „moral grace" (SHAFXESBURY, FERGUSON) wird hier zur Grundlage einer Habitualisierung der Moralität, durch die zugleich das aus der ARisxoxELischen Tradition übernommene Problem des Glücks gelöst ist. Auch Hegels anschließende Überlegungen zu den Vorteilen, die das Studium der alten Dichter den „Modernen" bieten könne, sind ohne diese Tradition der englischen Empiristen, aus der KANX wie SCHILLER schöpfen, nicht denkbar. So spricht er hier von der Bildung des Geschmacks als des „Gefühls fürs Schöne" (HOME, SULZER; Dok. 171) und sieht in der Kenntnisnahme der griechischen Kunst und Kultur nicht allein ein — im Sinne der Poetiken des Klassizismus — aufzugreifendes Muster der Vollendung in „edelster Simplizität" und umfassendster Darstellung des Ganzen. Dies Vorbild dient zur Bildung der „empfindenden Kraft unserer Seele", gibt eine sinnlich-lebhafte Darstellung „sowohl der sichtbaren als sittlichen Natur" (Dok. 170), der als Ausdruck der Bildung des Charakters Gedicht Resignation (1786) findet Hegel ein Zentralthema der Theosophie wieder, nämlich den Gegensatz von Liebe und Moralität; vgl. auch NA 20.125; NA 1. 169 und dazu Taminiaux: La nostalgie, 17. Dazu aus der Rehberg Rezension bes. die Behauptung, daß „Tugend und eine ihr genau angemessene Glückseligkeit" bei allen Menschen verbunden seien (Dok. 165) und daß umgekehrt die Glückseligkeit „nicht als etwas an sich Gutes, sondern nur unter Voraussetzung der Tugend und im genauen Verhältnisse zu ihr gewonnen werden kann" (Dok. 166). Dazu auch die Stellen aus den Exzerpten zu Feders Neuem Emil (Dok. 66, 81). Dieses Postulat der Harmonie von Tugend und Glückseligkeit wird zum Anlaß der Schillerkritik im Geist des Christentums.
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der Griechen für die Bildung der Modernen richtungsweisend sein kann (GARVE). Das Anliegen dieser frühen Reflexionen wird in umfassender Form in SCHILLERS Briefen zur ästhetischen Erziehung entwickelt, die sich in ähnlichen Reflexionen und unter Rückgriff auf dieselbe Tradition philosophischer Ästhetik vorbereiten. Auch SCHILLER geht es um Glückseligkeit (Hegel sieht im Griechentum hier eine der möglichen Vorstellungen oder Systeme der Glückseligkeit), und auch SCHILLER entwickelt seine eigenen Gedanken bis zu dem Punkt, an dem das Glückseligkeitsverlangen — religionskritisch formuliert, das Streben nach Gottgleichheit — nicht allein in der Kunst einen Anwalt gegen die widrigen Verhältnisse findet, sondern überdies eine Anleitung zu seiner Realisation. Solche Überlegungen werden bei Hegel erst in dem Augenblick zu einer ausdrücklichen Verpflichtung auf SCHILLERS Anliegen, in dem er die Möglichkeit ins Auge faßt, durch Philosophie verändernd in die Welt einwirken zu können. Aber selbst da, wo beider Verwandtschaft lediglich auf der generellen Übernahme des Gedankenguts und Interesses der Aufklärung beruht, wird diese Perspektive vorbereitet. Hegel findet beispielsweise durch seine Lektüre der Schrift MENDELSSOHNS Über die Frage: Was heißt auf klären? den Zugang zu einer Version von Aufklärung, die das Ideal der Humanität mit der politischen Durchsetzung der Vernunft verbindet. Es geht um Fragen wie die, ob und wieweit gewährleistet ist, daß der Staat die wesentliche Bestimmung des Menschen zur Bestimmung des Bürgers erhebe {Dok. 142). Solange die Aufklärung aller über ihre Möglichkeit zu mündigem Vernunftgebrauch die institutionalisierte Ordnung des Staates ins Wanken bringt, kann der Staat nicht als „glücklich" bezeichnet werden, muß die Diskrepanz von Aufklärungsinteresse und staatlicher Organisation (der Unterschied zwischen dem Menschen und Bürger) zum Umsturz führen. Dieses Problem, wie die Aufklärung „allgemein" gemacht werden könne, wirft Hegel schon in einer Tagebuchnotiz aus seiner Stuttgarter Gymnasialzeit auf. Aufklärung versteht er als das Geschäft der Wissenschaften und Künste, als beschränkt auf den Stand der Gelehrten. Einen „Entwurf von einer Aufklärung des gemeinen Mannes" zu machen (Dok. 37), erscheint Hegel aussichtslos, denn er zögert, die Religion der jeweiligen Zeit als Vermittlung der Aufklärung zu betrachten. Wenn er in seiner Rede beim Abgang vom Gymnasium (1788) die Wichtigkeit des Erziehungsgedankens für die Bildung des Einzelnen betont und dies in der Manier MENDELSSOHNS mit der Forderung korreliert, der Staat müsse der Vernunft und Freiheit des Individuums Rechnung tragen, das er zur Vernunft gebildet habe, sind die Bedingungen für die emphatische Begrüßung der ScHiLLERschen Briefe gegeben. Hegel redet zudem wie SCHILLER von der Verfeinerung der Völker vermittels der Kunst (Dok. 51; Ros. 461) und knüpft in der späteren Religionskritik an diese Gedanken wieder an. Die Überlegung, daß der Religion für die Aufklärung des gemeinen Mannes eine konstitutive Rolle zukomme, wird wiederaufgegriffen, aber im Sinne
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der Skepsis hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der faktischen Religion modifiziert. Die Art, wie Hegel sich in seinen Überlegungen zur Durchsetzbarkeit der Aufklärung an der philosophischen Tradition orientiert, schafft eine gemeinsame Basis für seine folgenden religionskritischen Entwürfe mit SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung. Hegel konstruiert diese Entwürfe nicht allein in zentralen Punkten parallel zu SCHILLERS ästhetischer Konzeption, er argumentiert zugleich aus dem philosophischen und realen Kontext, den SCHILLER sich erst durch seine KANxrezeption erschlossen hat. Auch für
ihn schließt sich also an die frühen Überlegungen eine Auseinandersetzung mit Kant an. Dadurch wird seine Religionskritik unmittelbar mit Schillers Bestimmung der Kunst vergleichbar. Es geht um eine philosophische Konzeption geschichtlicher Veränderung.
1.1.3 Hegels Auseinandersetzung mit der Revolution der Denkungsart Für den Übergang von der Aufklärung weniger Gelehrter zur Aufklärung aller — eine für Hegels gesamte spätere Philosophie charakteristische Problemstellung — wird Hegels eingehende Auseinandersetzung mit der Philosophie KANTS konstitutiv, ebenso die Zuspitzung der geschichtlichen Situation durch die französische Revolution. Hier fand die Aufklärungsphilosophie ihre praktisch-politische Konsequenz, die vom Anspruch der Identität von Mensch und Bürger her folgerichtig erschien, von den realen Durchsetzungen dieser Idee her aber verworfen werden mußte. Über Hegels Auseinandersetzung mit KANT kann man, will man sein Interesse nur einigermaßen in Kontinuität zu den frühesten Denkversuchen sehen, eine Frage aus seinen Reflexionen zu Volksreligion und Christentum setzen, nämlich die, „wie ein Volk überhaupt zur Empfänglichkeit für moralische Ideen und zur Moralität groß gezogen werden könne" (Nohl. 68). Die Tendenz seiner KANTinterpretation ist ohne die Stellungnahme zum Ereignis der französischen Revolution nicht verständlich. Sie impliziert eine Distanzierung von diesem Ereignis unter Aufrechterhaltung der „Triebfedern" der Revolution. Zugleich sieht Hegel die Notwendigkeit, die auch SCHILLER zur Ausarbeitung seines Programms der ästhetischen Erziehung motiviert. Die Aufklärung bzw. die Bildung zur Vernunftmündigkeit und Freiheitsfähigkeit bleibt kein individuelles, sondern wird ein kollektives Problem. Nicht von ungefähr wiederholt Hegel diese Problematik in seiner anschließenden Religionskritik. Hier findet er eine provozierende Formulierung des Problems der Aufklärung, die an die religionskritische Dimension des SCHILLERschen Gottähnlichkeitspostulats erinnert. Man muß in „unsern Tagen ... die Schätze, die an den Himmel verschleudert worden sind", nämlich die Würde des freien, sich seine Gesetze und seinen Staat selbst aus der Einsicht
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der Vernunft schaffenden Menschen ^Is Eigentum des Menschen, wenigstens in der Theorie ... vindizieren" {Nohl. 225). Zwangsläufig schließt sich die Frage an, die Hegel eigentlich nur rhetorisch gemeint haben kann, nämlich: „welches Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht geltend zu machen und sich in den Besitz zu setzen?" {Nohl. 225) H. HEINE hatte zwar zu Hegels Werk kaum eine Beziehung, er faßt aber in Worte, warum Hegel sich in der gemeinsamen geschichtlichen Situation an SCHILLER orientiert und was er in dessen Auseinandersetzung mit der französischen Revolution gesehen haben mag: „SCHILLER schrieb für die großen Ideen der Revolution, er zerstörte die geistigen Bastillen, er baute an dem Tempel der Freiheit ... der alle Nationen, gleich einer einzigen Brüdergemeinde umschließen soU".i^ Schon in Stuttgart, berichtet ROSENKRANZ, entH. Heine. Sämtliche Werke. Bd 7. 47. — Das folgende Fragment ist nicht näher datierbar; vgl. G. Schüler: Zur Chronologie von Hegels jugendschriften, 128. —Für die Deutung der Einflüsse der französischen Revolution auf das Denken Hegels sei nur auf einige Interpretationen verwiesen, die ohne weltanschaulichen Fanatismus urteilen. So z.B. ]. Ritter: Hegel und die französische Revolution, bes. 19 f; Ritters Darstellung läßt zurecht die frühen Versuche in Kontinuität mit dem Anliegen der Rechtsphilosophie erscheinen, denn Hegel selbst meint, mit der späteren Entwicklung seines Systems der Philosophie die in den frühen Schriften unbewältigten Probleme zu lösen. Deshalb betont Ritter, daß Hegels Philosophie wie keine zweite „Philosophie der Revolution" sei und nimmt so die These von G. Lukäcs auf, Hegels Denken sei durch die französische wie auch die englische industrielle Revolution geprägt; vgl. G. Lukäcs: Der junge Hegel. 20 ff, 716 ff. — Rosenkranz suchte Hegel gegen die Vorwürfe Hayms dadurch zu verteidigen, daß er Hegels Philosophie als Vollendung des Kantianismus und damit als die dem preußischen Staat naturgemäß angemessene Philosophie kennzeichnet {Ros. 357). Mag dieses Argument auch in sich unstimmig sein, es wird zumindest darauf hingewiesen, daß Revolutionsbegeisterung wie Abkehr für Hegel nur aus seinen philosophischen Argumenten zu erschließen sind. Vgl. auch: O. Pöggeler: Philosophie und Revolution heim jungen Hegel, 13 ff; ]. F. Suter: Tradition et revolution, 307 ff. Suter sieht in der Bemühung um die Tradition und die Revolution der bestehenden Verhältnisse notwendig komplementäre Weisen der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Im einzelnen weist er nach, daß Hegels Rousseaukritik, die in diesem Kontext entsteht, und die Konzeption der Moral als Einheit von Gesetz und Pflicht in der lebendigen Sittlichkeit mit Burkes Kritik an Rousseau verwandt sind. Uber Burke hinaus entwickelt Hegel in der späteren Rechtsphilosophie eine Theorie der Geschichte, die Revolution und Notwendigkeit der Institution durch den Verweis auf eine vorbildliche (die griechische) Tradition verknüpfen kann (vgl. a.a.O. 315, 324). — K. H. Nusser: Die französische Revolution und Hegels Phänomenologie des Geistes. 276ff; G. Rohrmoser: Subjektivität und Verdinglichung. Theologie und Gesellschaft im Denken des jungen Hegel; ders., Zäsur. — Hegels Anhänger betonen, daß allen Kontroversen um Hegels „Restaurationsphilosophie" zum Trotz, sein gesamtes Werk als Fortsetzung der Revolution verstanden werden müsse. Hegels Selbstverständnis stützt diese Interpreta-
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stand ein Fragment zu einer „Analyse des republikanischen Trauerspiels ROSENKRANZ einen Bericht aus der Zeitung für die elegante Welt, in dem Hegel als begeisterter Redner der Freiheit und Gleichheit dargestellt wird (Ros. 29). Zur revolutionsbegeisterten Lektüre der Jugenddramen SCHILLERS kommt die Auseinandersetzung mit ROUSSEAU und KANT, in Bern die Beschäftigung mit SHAFTESBURY und SPINOZA (Nohl. 51). Es geht ihm wie SCHILLER um das Göttliche im Menschen, das sich in Vernunftgebrauch und Freiheitsforderung manifestiert und das in der Revolution zu einem Reich der Freiheit werden muß. Da Hegel sich zudem in seinen vorangegangenen Überlegungen auf eine philosophische Tradition beruft, die auch für SCHILLER vor der KANTrezeption maßgeblich war, erscheint es beinahe zwangsläufig, daß er sich nun SCHILLERS Stellungnahme soweit zu eigen macht, wie er seine philosophische Lösung des Problems akzeptieren kann. Auf jeden Fall geht er von der gleichen Fragestellung aus wie SCHILLER. Er erwägt, wie eine geschichtliche Revolution ohne die faktisch-unumgängliche Konsequenz: ohne den absoluten Terror möglich sein kann. Genau gesagt geht es um die Möglichkeit einer Revolution, die ohne die Konsequenz der französischen Revolution zur Herrschaft der Vernunft und zur Verwirklichung der Freiheit des Menschen als Bürger führen kann.i® Die philosophische Konsequenz dieser Betroffenheit durch das Ereignis der französischen Revolution ist für die Entwicklung der Ästhetik bedeutsam. J. RITTER weist darauf hin, daß Hegel dem politischen Ereignis ein Problem entnimmt, das er zunächst durch seine Religionskritik und durch eine Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Schönheit glaubt lösen zu können. Es geht ihm darum, das Bewußtsein der Freiheit durch eine „Rechts-
Fiesko" (Ros. 13). Vom Stiftler Hegel überliefert
tion. Vgl. den Sitzungsbericht der philosophischen Gesellschaft, 76. In Hegels Briefwechsel finden sich einige Hinweise, die die positive Einschätzung und die Übernahme des Anliegens der Revolution betonen, wenn auch spätestens mit der Auseinandersetzung in der Phänomenologie die Diskrepanz von Idee und Realität gesehen wird. Vgl. die Briefe an Zellmann vom 23. 1. 1807 (Br. 1. 137), an Niethammer Nov. 1807 (Br. 1. bes. 197). Als prominente Stelle wird wieder auf Hegels späteste positive Äußerung zur Revolution in der Vorlesung über die Philosophie der Geschichte hingewiesen. Vgl. Ber. 13 f, 415. Hegels philosophische Auffassung vom Menschen im Vergleich zu Schiller, Hölderlin und Schelling stellt eine Dissertation dar; G. Geis: Die Tübinger Freundschaftslosungen Hen Kai Pan und Reich Gottes. Hegel und die französische Revolution. 20; zum folgenden vgl. 16 f. — Rosenkranz umschreibt die Revolutionsbegeisterung alf die Faszination, einen „Staat aus der Idee des Staates, aus dem Begriff der für seine Existenz wesentlichen Mächte in die Wirklichkeit treten zu sehen" (Ros. 32).
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form der Freiheit"^* zu verwirklichen. Auch Hegel ist hier geleitet durch die Auseinandersetzung, die SCHILLER dazu motivierte, Errungenschaften des Bewußtseins der Freiheit durch eine vermittels der Reflexion gewonnene Institutionalisierung von Vernunft und Freiheit gegen die faktische Entwicklung des politischen Ereignisses selbst zu sichern und zu realisieren. Ähnlich wie bei SCHILLER entwickelt sich die philosophische Auseinandersetzung auch vermittels der KANxrezeption. Da für Hegel wie für SCHILLER die Erfahrung des Terrors die Begeisterung überschattet, kann die Revolution als geschichtliches Ereignis nicht unreflektiert und undifferenziert akzeptiert werden. Beide verbindet deshalb auch der Gedanke, daß es möglich sein müsse, die „sittliche Wiedergeburt Europas" (Ros. 32) so zu realisieren, daß das Vernunftgesetz nicht per Oktroi, sondern durch Einsicht seine Herrschaft erlange. Die Realisierung der Vernunft kann nicht durch Terror, sondern muß mittels der organischen Umformung bestehender geschichtlicher Verhältnisse und vorhandener Bildung bewerkstelligt werden. Hier gewinnt Hegel seine Anleitung der Auseinandersetzung mit der KANxischen Philosophie,die er in der Frage, wie die Gedanken der Aufklä-
Zur Auseinandersetzung um Hegels Kantrezeption vgl. Ber. 12,13, 15, 16; Ros. 14, 36. Hier weist Rosenkranz darauf hin, daß Hegel in seiner Dissertation von 1790 den Kantischen Dualismus zu überwinden suche (Ros. 32). E. Behler sieht hierin eine Kontinuität des Anliegens von frühen und Jenaer Schriften: Die Geschichte des Bewußtseins, 171 ff. — Für Hegels Auseinandersetzung mit der praktischen Philosophie werden zunächst Schriften der Kantianer bedeutsam. Neben dem genannten Rehberg-Exzerpt (Dok. 156 ff) erlangt Hegel eine mittelbare Bekanntschaft mit Kants Theorie der Freiheit durch eine Rezension des Buches von ]. A. Ulrich: Eleutheriologie, oder über die Freiheit und Notwendigkeit. Jena 1788. In; Allgemeine Literaturzeitung. April 1788. Nr. 188 (Dok. 149 ff). — Die Kontinuität der frühen Auseinandersetzung mit Kant bis zur Frankfurter Zeit betont G. Lukäcs (Der junge Hegel. 40) Lukäcs' Vorwurf, Hegel fasse mit Kant (und Schiller) „gesellschaftliche" Probleme vorwiegend als „moralische Probleme" auf, überspielt, daß es Hegel um ein Verständnis von Geschichte geht, das Schillers Konzeption wesentlich erweitert. Vgl. dazu O. Pöggeler: Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusammenhang und Hegels praktische Philosophie in Frankfurt. — Zur „praktischen" Intention der Kantdeutung siehe auch Th. Haering: Hegel. Bd 1. 211. Für Haym ist hier die Grundlage des späteren Systems gewonnen (Hegel und seine Zeit. 298). — Dazu auch D. Henrich: Das Problem der Grundlegung der Ethik bei Kant und im spekulativen Idealismus; und von den neueren Untersuchungen H. Timm: Fallhöhe des Geistes, bes. 71 ff; Th. Baumeister: Hegels frühe Kritik an Kants Ethik, bes. 113, 124 f; H. Harris: HegeTs Development. 32 ff. i^R. Lauth machte darauf aufmerksam, daß der Begriff „Revolution des Geistes", wie er bei Hölderlin und im Tübinger Freundeskreis als deutsche Version der geschichtlichen Revolution gegenüber dem politischen Desaster der französischen Revolution wichtig wurde, aus Reinholds Briefen über die Kantische Philosophie
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rung praktisch werden, in politische Realität umgesetzt werden können, zu einer Bestimmung der Geschichte erweitern wird. J. HOFFMEISTER weist darauf hin, daß Hegel seit seiner Stuttgarter Gymnasialzeit die Philosophie KANTS in der (oben charakterisierten) Version aufnimmt — in einer Lesart, die zugleich durch das allgemeine philosophische Klima bestimmt wird. Hegel gewinnt durch seine KANTkritik die begrifflichen Mittel für die Auseinandersetzung mit dem Revolutionsproblem. Er bestimmt deshalb die Struktur der Revolution als das allmähliche, unmerkliche Anwachsen eines neuen Bewußtseins, das — bei entsprechender Konzentration des Neuen — mit einem Schlage zum Umbruch führt {Dok. 139 f). Dadurch wird zugleich die Frage aufgeworfen, wie sich die Vorbereitung des neuen Bewußtseins erkennen und allgemein verbindlich machen lasse. Eine erste Umschreibung dieser Aufgabe gibt Hegel durch seine Charakteristik der Aufklärungsphilosophie als Revolution des Geisterreiches und als die Möglichkeit, Vernunft und Freiheit kontrafaktisch zum Wesen des Menschen zu erheben. Hier muß sich die Frage nach der Durchführbarkeit einer „Revolution" aus den theoretischen Vorbereitungen stellen; es muß gezeigt werden können, wie das Gefühl für die eigene Würde zum Prinzip des politischen Handelns werden kann. Hegel rezipiert in dieser Situation des eigenen Fragens und denkerischen Bemühens (1795, als Hauslehrer in Bern) SCHILLERS Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. Seine Begeisterung, die er SCHELLING wie HöLDERLIN mitteilt, erklärt sich eben daraus, daß er eine verwandte Fragestellung und eine Lösung gemeinsamer Probleme durch eine KANTkritik in gleicher Intention findet (Br. 1. 25). Die eigenen Versuche, zu einem Begreifen der Situation und ihrer möglichen Veränderung zu gelangen, sind deshalb Variationen nicht nur der Kantischen prak-
tischen Philosophie, sondern zugleich damit Variationen der Schillerschen Kantdeutung.
Es geht Hegel hierbei um eine „praktische" Perspektive, um die Anwendbarkeit (vgl. Ros. 66) der KANTischen Philosophie auf das Begreifen einer geschichtlichen Situation und die Erkenntnis der notwendigen Veränderungen. Gedanken dieser Art beschäftigen Hegel in Tübingen wie in Bern und er greift zur Erhellung ebenso auf KANTS Schriften zurück wie auf FICHTES Wissenschaftslehre von 1794 (Br. 1. 23 f). Hegel erwartet von der Philosophie die Veränderung der Realität, die von der Revolution des Geistes ausgeheni® und zugleich durch Anwendung von deren Prinzipien eine reale Ändestammt; und zwar aus der Merkur-Fassung von 1790 oder dem Buch von 1792. Vgl. auch Th. Haering: Hegel. Bd 1. 38. 18 Über Hegels Kantdeutung ließe sich ein Motto setzen, durch das Schiller seine eigene Auseinandersetzung mit Kant charakterisiert: „Da wo ich bloß niederreiße und gegen andere Lehrmeinungen offensiv verfahre, bin ich streng kantisch; nur da wo ich aufbaue, befinde ich mich in Opposition gegen Kant" (Brief an F. H. Jacobi vom
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rung vorbereiten soll. Diese Revolution erhofft er ,vom KANiischen System unddessenhöchster Vollendung" (Br. 1.23f; Ros. 70); er sieht sich in seinen eigenen philosophischen Reflexionen aber zugleich vor die Aufgabe gestellt, die KANTische Philosophie erst zu dieser höchsten Vollendung zu führen. Auch hier betont er die Absicht, aus KANTS praktischer Philosophie sowie FICHTES Wissenschaftslehre eine Philosophie zu entwickeln, die es ermöglicht, die Würde des Menschen und sein Vermögen der Freiheit als des Menschen rechtmäßiges Gut zurückzufordern. »Die Philosophen beweisen diese Würde, die Völker werden sie fühlen lernen, und ihre in den Staub erniedrigte(n) Rechte nicht fodern, sondern selbst wieder annehmen, — sich aneignen". Nicht von ungefähr fällt mit dieser dezidiertesten Formulierung der praktischen Absicht der KANrkritik und ihres Zweckes: der Realisierung der Errungenschaften der französischen Revolution für alle, der Hinweis auf die Lektüre von SCHILLERS „Aufsatz über die aesthetische Erziehung des Menschengeschlechts" zusammen, den Hegel sicher nicht nur aus literarischem Interesse „ein Meisterstück" (Br. 1. 25) nennt. Nicht zuletzt die begriffliche wie programmatische Verwandtschaft mit SCHILLER läßt es plausibel erscheinen, daß Hegel sich in seiner Auseinandersetzung mit Kant selbst jenes „produktiven Mißverständnisses"!® schuldig macht, das man SCHILLER vorzuhalten pflegt. Auch für Hegel gilt nämlich, daß er KANT lediglich in Absicht der Entfaltung einer praktischen Philosophie deutet und seine Philosophie in dieser Intention zu einer Geschichtsphilosophie erweitert. An die Auseinandersetzung mit der praktischen Philosophie KANTS in Bern (Ros. 86 f) schließt sich Hegels intensives Studium der Rechtsund Tugendlehre (1797) und der Metaphysik der Sitten (1798) an. Auch hier will Hegel nicht nur kritisch über KANT hinausgehen, sondern er tritt mit „KANT den gesellschaftlich-politischen Tendenzen seiner Zeit entgegen".!’ in diesem Zusammenhang ist es interessant, wieweit Hegel die terminologischen Anleihen zur Lösung jenes Problems umgestaltet, das ihm SCHILLERS Briefe treffend formulieren: zur Aufgabe nämlich, eine Theorie geschichtli29. Juni 1795; Bd 4. 200). Auch Hegel baut seine eigene Geschichtstheorie in derselben „Opposition" gegen Kant auf. — Schon Th. Haering weist darauf hin, daß Schillers Freiheitsidee der Umweg war, auf dem die Stiftler und Hegel mit Kants Philosophie in Kontakt kamen; Hegel. 196 f, 211. Dazu Lewkowitz: Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller. 30, 32 f — Glöckner (Hegel. Bd 2.196) bemerkt, daß Hegel gegen Schiller nie den Vorwurf der „Reflexionsphilosophie" erhoben hat, weil Schillers Weiterentwicklung des Kantianismus, die sich auf die Kritik der Urteilskraft und die geschichtsphilosophischen Aufsätze stützt, ein identisches Anliegen verfolgt. Für die Deutung spricht, daß Hegel selbst noch in den späteren Vorlesungen zur Ästhetik Kant und Schiller häufig in einem Atem nennt, als die Konzeption, die der spekulativen Philosophie am nächsten steht. !’ O. Pöggeler: Hegels praktische Philosophie in Frankfurt, 88.
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eher Veränderung zu entwickeln, die es erlaubt, eine Kontinuität des Fortschritts mit der Abschaffung der menschenunwürdigen Situation physischen wie geistigen Zwanges zu verbinden. Es geht darum, wie SCHILLER es formuliert, daß man, um die Konsequenz der französischen Revolution, den Terror im Namen der Vernunft, zu vermeiden, eine Änderung des Individuums herbeiführen muß, die es für die Prinzipien der Vernunft, Freiheit und Menschheit überhaupt empfänglich macht. Man muß das Bedürfnis der Vernunft so wecken, daß dem Menschen die Realisation seiner Menschheit (der Gottgleichheit) ebenso zum Anliegen und zur Triebkraft seines Handelns wird wie die physische Selbsterhaltung. SCHILLER beeinflußt in ähnlicher Weise wie er auf Hegel wirkt auch HöLDERLIN durch seine Umdeutung der Kritik der Urteihkraft zu einer Ästhetik. Er selbst rechnet die Ästhetik zum Bereich der praktischen Philosophie, weil er — wie er in den persönlichen Briefen an KöRNER noch eindeutiger als in der Fassung der Briefe zur ästhetischen Erziehung ausführt — Schönheit als Freiheitsanalogon konzipiert. HöLDERLIN verpflichtet sich Hegel gegenüber, den Gedanken eines „Ideals der Volkserziehung" zu entwickelnde und kennzeichnet Hegels Beschäftigung mit der Religion als einen Teil dieses Entwurfs, näherhin als die eine Möglichkeit, dieses Ideal empirisch durchzuführen. Auch HöLDERLIN deutet die Kritik der Urteilskraft (bes. § 42) so, daß es gelingt, die Trennung von ästhetischem und intellektuellem Urteil über das Schöne aufzuheben und schon KANT selbst eine Möglichkeit der Vereinigung von Schönheit und Gutheit im Sinne der PcATONischen Philosophie zu unterstellen. Hegel verknüpft mit diesem Anliegen eine frühere Problemstellung, nämlich die Überwindung der Trennung von Sinnlichkeit und Vernunft, die auch SCHILLER, aus gleichen Quellen argumentierend, als Problem mit in die Konzeption der ästhetischen Erziehung übernommen hat. Im Kontext der Revolutionskritik wird das Anliegen einer Überwindung des Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft zu einem geschichtsphilosophischen Thema. Hegel sieht im Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft den Grund für die unter-
20 Hölderlin kündigt Hegel im Januar 1795 Briefe an, die die Durchführung dieses Ideals enthalten sollen (Br. 1. 20); hierauf folgt im April desselben Jahres Hegels Bericht an Schelling über die Lektüre der Schillerschen Briefe. — Zum folgenden vgl. die Hymne an die Schönheit (2. Fassung), der Hölderlin ein Kantisches Motto vorwegschickt mit eben der symptomatischen Umdeutung. Bei Hölderlin heißt es „Die Natur in ihren schönen Formen spricht figürlich zu uns, und die Auslegungsgabe ihrer Chiffernschrift ist uns im moralischen Gefühl verliehen" (ST. A. Bd 1.1, 152); bei Kant dagegen geht es auch um eine Auslegung der „Chiffernschrift... wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht" (KdU § 42, 168), aber er trennt in diesem Zusammenhang das intellektuelle Urteil über praktische Maximen, moralische Gesinnung vom ästhetischen Urteil über Naturschönes.
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schiedliche Bildung, die unterschiedliche Durchsetzung der Aufklärungsgedanken. In den Individuen sind „durch das ungleiche Verhältniß von Sinnlichkeit und Vernunft verschiedene Stufen der sittlichen Bildung" realisiert, denn der Mensch gelangt „nur allmählich dazu ... die Sinnlichkeit den Gesetzen der Vernunft schlechthin zu unterwerfen" (Ros. 36). Auch unter dieser Perspektive trifft Hegel in SCHILLERS Briefen eine verwandte Theorie. SCHILLER geht es darum, die Ungleichheit der faktischen Vernunftbildung durch eine Entwicklung der Sinnlichkeit zur Vernunft, durch einen Weg zur Harmonie aller Kräfte im Menschen zu überwinden. Erst wenn diese Harmonie zum allgemeinen Habitus geworden ist, kann sich die verschiedene Bildung zur einheitlichen Verpflichtung auf die Prinzipien der „Menschheit", auf Vernunft und Freiheit, aufheben. Zugleich mit der Formulierung des Problems findet Hegel also in den Briefen einen Hinweis darauf, wie die Diskrepanz von theoretischer Allgemeinheitsforderung und faktischer Irrealität solcher Vernunftprinzipien im Kontext einer „praktischen" Reflexion aufgehoben werden kann. Für SCHILLER leistet die Kunst diese „Unterwerfung der Sinnlichkeit unter die Vernunft", und auch Hegel gilt die Kunst als ein unverzichtbares Mittel der Bildung zur Vernunft. Die schon hier explizite Tendenz des unbedingten Vernunftprimats in der geschichtlichen Bildung wird in den Schriften der Jenaer Zeit, in der Phase der Ausbildung des philosophischen Systems, dann zur Abwertung der Kunst führen. Hegel greift SCHILLERS Deutung der Schönheit als Freiheit in der Erscheinung in der Bestimmung der (hier noch platonisierend entfalteten) Funktion der Schönheit im Versöhnungsstreben des Menschen auf, das er als das notwendige Resultat der Situation der „Zerrissenheit" deutet. So beginnt er noch seine Überlegungen in der Landstände-Schriit (1798), die dann zu einer Überwindung des ScHiLLERschen Standpunktes führen, mit dem Hinweis, daß „das Bild besserer, gerechterer Zeiten ... lebhaft in die Seelen der Menschen gekommen" sei. „Eine Sehnsucht, ein Seufzen nach einem reinem, freieren Zustande hat alle Gemüther bewegt und mit der Wirklichkeit entzweit" (Ros. 92). SCHILLERS Lösung des Revolutionsproblems wird hier aber nicht mehr akzeptiert. Denn es genügt nicht, daß der Mensch vor den Wirren der äußeren Existenz in eine harmonische innere Welt ausweicht. Wo das Leben, nicht der Verzicht auf die Welt (und damit der Tod) gewählt wird, ist der Mensch gehalten „das Negative der bestehenden Welt aufzuheben, um sich in ihr zu finden, um leben zu können" (Ros. 89). Auch die zweite, für die Revolutionsproblematik grundlegende Komponente, nämlich die geschichtliche Funktion des großen Individuums, erörtert Hegel in diesem Zusammenhang. Die „Revolution des Geisterreiches ist und bleibt in gewisser Weise eine „Revolution von oben", eine Veränderung der Geschichte, die von einem Individuum ausgehen muß. Hegel fragt nach einem solchen „großen Individuum", nach einem Theseus für Deutschland.
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In HöLDERLINS Charakteristik^^ wird dieses Individuum dadurch ausgezeichnet, daß es die Änderung der staatlichen Institutionen im Sinne von Vernunft und Freiheit durchsetzt, dann aber freiwillig die eigene (königliche) Gewalt beschränkt. Auch Hegel fordert eine solche Kombination von Tatkraft und Großmut, geht aber nicht in dem Sinn über SCHILLER hinaus, daß an die Stelle des Revolutions- ein Restaurationskonzept träte. Er zieht nur die Konsequenz aus der radikaleren Forderung, daß das als vernünftig erkannte Wesen des Menschen auch zum Wesen des Bürgers im Staate werden müsse. Dabei vermutet er, daß es hierzu eines „großen Individuums" bedarf, daß in der Person eines Fürsten und in der (diktatorischen) Durchsetzungskraft seines Handelns zunächst einmal ein Volk von freiheitsbewußten Individuen realisiert werden könne und daß zudem aus souveränem Handeln der Übergang zur Freiheit aller vorbereitet werden müsse. Vergleicht man das gebildete Individuum, das SCHILLER als ein über sich, seine Vernunft- und Freiheitskapazität aufgeklärtes Individuum entwirft, dann fällt natürlich sofort ins Auge, daß das vorbildliche Individuum in Hegels wie HöLDERLINS Sicht zugleich das politisch handelnde und zu solchem Handeln ermächtigte Individuum ist. Die Durchsetzung der Aufklärung wird hier gerade nicht vom Rückzug aus der geschichtlichen Welt erwartet, sondern vom verändernden Eingriff. Das bedeutet, daß Hegel vermittels seiner ScHiLLER-Rezeption und Kritik einen frühen Gedanken weiterführen kann. Er versucht, im Kontext seiner als Religionskritik entworfenen Kritik der Revolution die Konzeption einer Geschichtsschreibung in pragmatischer Absicht durchzuführen, auf die er schon in einer Tagebuchnotiz der Stuttgarter Gymnasialzeit anspielt. Die Geschichte enthält nicht bloß Fakten, sondern umreißt Nationalcharaktere, beschreibt — wie es SCHILLER in seinem Vergleich des griechischen und deutschen Nationalcharakters exemplarisch andeutete — mit den Sitten, die sich im gemeinsamen Handeln herausgebildet haben, auch den Einzelnen, zeigt im großen Individuum eines Volkes die Möglichkeiten, zu denen sich jeder entwickeln kann (vgl. Dok. 9 f). Im Zusammenhang der Revolutionskritik erarbeitet Hegel eine solche „pragmatische Geschichte" wie SCHILLER durch den ständigen Vergleich von griechischem und modernem, näherhin deutschem Nationalcharakter und Gemeinwesen. Hegel stellt in diesem Zusammenhang Überlegungen über die Wiederholbarkeit des vorbildlichen griechischen Gemeinwesens an, d.h. er versucht, in der Darstellung der konstitutiven Momente der griechischen Polis MöglichSt. A. Bd 3. 79; Die Idee einer Revolution von oben vertreten auch G. Förster, Ebel und Fichte. Dazu R. R. Wuthenow: Vernunft und Republik. Studien zu G. Försters Schriften. 127; H. Escher: Johann Gottfried Ebel. 39; Johann Gottlieb Fichte: Schriften zur Revolution, 12 f, 35; G. Kurz: „Hyperion“ auf dem Fenster. Auguste von Hessen Homburg und Hölderlin.
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keiten der Institutionalisierung von Vernunft und Freiheit für die spezifische Situation eines modernen Staates zu entwickeln. In der Beurteilung der Tragweite dieses Hinweises auf eine alternative Weltgestaltung will Hegel bewußt über SCHILLER hinausgehen. Die Bedingungen für die Überwindung des ScHiLLERschen Standpunktes schafft er durch den Ansatz bei einer selbst schon institutionalisierten Form der Vernunftvermittlung, nämlich durch die Analyse der Religion. Hegels provozierende Formulierung, die an den Himmel verschleuderten Schätze des Menschen, nämlich die Vernunftautonomie und das Recht auf Freiheit (vgl. No hl. 225), zurückzuerobern, setzt SCHILLERS Impetus der religionskritischen Dimension des Postulats der Gottähnlichkeit fort. Zugleich gibt Hegel einen Ansatz dafür an, wie die bei SCHILLER skizzierte Situation der Bildung des Individuums unter Ausblendung der realen Welt mit einer Bildung aller (eines Volkes) in der geschichtlichen Welt und unter den gewachsenen Bedingungen der Selbstrealisation korreliert werden könnte. Die Gemeinsamkeiten des Anliegens wie des Ansatzpunktes bei Hegel und SCHILLER liegen deshalb ebenso wie die erste grundlegende Differenz in der Umdeutung der KANxischen Philosophie zu einer Konzeption der Geschichte. Ob die Perspektive der Ästhetik oder die der Religionskritik gewählt wird, ist dabei weniger relevant. Hier lassen sich noch weitgehende Parallelitäten entdecken. Brisant wird erst die Kontroverse, die sich in SCHILLERS Konzeption der „idyllischen" Situation der Bildung abzeichnet und die er in den Briefen durch die Konzeption des schönen Scheins untermauert. An Hegels Religionskritik muß sich also seine Stellungnahme zu SCHILLER in der Weise erhellen, daß man die Frage nach der Religion als eine zunächst in der Intention mit der SCHILLERS konvergierende, in der Durchführung aber differierende Bemühung um die Bedeutung inhaltlich konkreter Wahrheiten und Orientierungen für das Programm einer Revolution des Geistes darstellt. Da Hegel dies im wesentlichen in seiner Konzeption der Mythologie der Vernunft vollendet, zeigt sich, daß der Kunst auch im Kontext der Religionskritik eine zu SCHILLERS Bestimmung analoge Funktion zukommt. In der Kunst muß sich das „Programm" der Mythologie der Vernunft zur neuen Religion vollenden, denn die Kunst müßte die in der realen historischen Situation nicht erfahrbare Vernunft und Freiheit kontrafaktisch ins Bild setzen, sie zur allgemeinen Ressource vermittels des Gemüts und der Phantasie machen. Von ersten Reflexionen über die revolutionsbegeisterte Lektüre der frühen Dramen SCHILLERS zur Rezeption der Briefe und der an diese anschließenden ästhetischen Schriften im Zusammenhang des Programms einer Revolution des Geistes zeichnet sich in Hegels Auseinandersetzung mit SCHILLER ein kontinuierlicher Fortschritt ab. Hegel entwickelt in dieser Auseinandersetzung seine eigene geschichtsphilosophische Konzeption, die ihn schließlich zur Überwindung der KANxischen und auch der ScHiLLERschen Position führt. Zunächst reproduziert seine Religionskritik aber den Werdegang der Über-
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legungen SCHILLERS. SCHILLER setzt bei der Rückeroberung der Würde des Menschen an, die ihm durch sein Vernunftvermögen zukommt, d.i. mit der Proklamation der Gottähnlichkeit des Menschen. Er bemüht sich darum (wie auch Hegel), einen Weg zu entdecken, diese dem Menschen wesentliche Auszeichnung aus dem Status bloß philosophischer Konzeption in den realer geschichtlicher Existenz zu überführen. Ganz im Sinne der Aufklärung wird die KANTrezeption auf eines der sonst nur beiher bedachten Probleme ausgeweitet, nämlich wieweit die Kunst und die Religion als Weisen der geschichtlichen Wahrheitserfahrung dem Anliegen der Aufklärung dienen mögen. SCHILLER sieht in der geschichtlichen Funktion der Kunst eine Vermittlung allgemeinen Vernunftgebrauchs. Sein ästhetisches Programm scheitert allerdings an den kategorialen Grenzen der KANTischen Philosophie im Hinblick auf eine Erfassung der Geschichte. Hegel wählt die andere geschichtliche Konkretion, die Religion, und entwickelt ein Programm der Gestaltung der Religion zur Wahrheitsvermittlung und zur Habitualisierung der Mündigkeit, das die Kunst als wesentliches Moment mitumfassen soll. Auch er muß über die zunächst für zureichend erachtete „Anwendung" der KANTischen Philosophie auf die Probleme der Geschichte hinausgehen und entwickelt durch diesen Fortschritt ein eigenes philosophisches System, das für die Kunst im nachhinein eine nur eingeschränkte Möglichkeit der Wahrheitserfahrung zuläßt. Aus den skizzierten Ansätzen entwickelt SCHILLER auf der einen Seite seine ästhetische Theorie. Hegel, der aufgrund vergleichbarer denkerischer Einflüsse zu einem ähnlichen Konzept wie SCHILLER gelangt, schließt seine Reflexionen ebenso selbstverständlich vermittels der KANTrezeption zu einer Geschichtskonzeption ab. Er entwickelt auf der anderen Seite parallel zu SCHILLERS ästhetischem Programm seine Religionskritik, die er in Schriften und Entwürfen abhandelt, die im wesentlichen aus der Tübinger, der Berner und Frankfurter Zeit stammen. Beispielsweise wird hier seine Auseinandersetzung mit der Positivität der Religion bedeutsam, die sich in der sog. Posilivitätsschrift (1795—96) findet, eine Darstellung des Lebens ]esu (1795), mehrfach überarbeitete Reflexionen zum Geist des Judentums, eine bis gegen Ende der Frankfurter Zeit immer wieder modifizierte Schrift zum Geist des Christentums, sowie zahlreiche Splitter zu diesen größeren Texten, die NOHL insgesamt unter dem Titel Theologische Jugendschriften zusammengefaßt hat. Da Hegels KANTrezeption unmittelbar schon die ersten konstruktiven Entwürfe der Religionskritik beeinflußt, findet man auch in den noch in Tübingen begonnenen Ausarbeitungen zu Volksreligion und Christentum (ab 1792/93) eine große Anzahl von Hinweisen auf das Zusammenspiel von Kunst und Religion, das die konstruktive gegenüber der destruktiven Komponente der Religionskritik kennzeichnet. Unter den genannten Fragmenten wird besonders eines wichtig, das den in der Religionskritik mitenthaltenen Sinn der Kunst thematisiert, das sog.„älteste Systemprogramm des deut-
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sehen Idealismus“ (1796). Hegels Religionskritik kann über diese nur skizzierte Bedeutung hinaus im einzelnen nicht weiter erörtert werden. Hinsichtlich der Frage nach der Entwicklung der Ästhetik ergeben sich aber aus der Konzeption der Religionskritik wesentliche Gesichtspunkte für eine Bestimmung der Kunst, die — unter Rückgriff auf den skizzierten formalen Rahmen — im einzelnen analysiert werden müssen. Speziell für diese Fragestellung wird Hegels ScHiLLER-Rezeption als Schlüssel unverzichtbar. Denn die formale Gemeinsamkeit und die verwandten Anknüpfungspunkte von Religionskritik und Programm der ästhetischen Erziehung des Menschen erlauben es, aus den frühen religionskritischen Schriften eine Bestimmung der Kunst zu gewinnen. Diese Bestimmung überdauert in ihren wesentlichen Momenten selbst die Brüche und Umorientierungen, die Hegels Denken bis zur endgültigen Formulierung seines Systems der Philosophie durchläuft und spiegelt sich noch in den Berliner Vorlesungen zur Ästhe'ik wieder. Die Ansätze und Konzeptionen SCHILLERS und Hegels sind erstens vergleichbar durch die gemeinsame Intention, mithilfe des ästhetischen bzw. religionskritischen Programms einen Beitrag zur Bewältigung des geschichtlichen Ereignisses: der französischen Revolution zu leisten. Mögliche Weiterungen der Revolution in einer Veränderung aller gesellschaftlichen Verhältnisse sollen von den Folgen dieser ersten Realisierung der Aufklärungsidee verschont bleiben. Zweitens zeigt sich die KANxische Philosophie als gemeinsamer Ansatz- und Kritikpunkt, und es ergeben sich dadurch bedingt formale Parallelitäten der Entwicklung der Konzeption der ästhetischen Erziehung und des Bildungsideals bzw. des „Ideals der Volkserziehung", das Hegel in seiner Religionskritik formuliert. Schließlich zeigt sich als dritter und für die Bestimmung der Kunst entscheidender Gesichtspunkt eine inhaltliche Verwandtschaft durch die Griechenrezeption, näherhin die darauf fußende Konzeption der elysischen Idylle bei SCHILLER und der „schönen Religion" bei Hegel.
1.2 Revolutionskritik und Ästhetik Hegels ScHiLLERdeutung weist auf eine Möglichkeit hin, die strittige Frage zu entscheiden, wie SCHILLER sich zur französischen Revolution verhalte. Gegenwärtig ist diese Entscheidung äußerst schwierig, denn die Auseinandersetzung mit und die Beurteilung von SCHILLERS Verhältnis zur französischen Revolution ist ebenso vieldeutig wie die weltanschaulichen Stellungnahmen zu Sinn und Möglichkeit der gesellschaftlichen Revolution überhaupt. Im wesentlichen lassen sich in der gegenwärtigen Interpretation drei Deutungstypen charakterisieren, nämlich die Vereinnahmung SCHILLERS als
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Denker der Revolution,^^ die Ablehnung seiner Theorie als „restaurativ" und „bürgerlich", wie sie vor allem die neomarxistische Deutung^s ausspricht, und der Versuch, in SCHILLERS ästhetischer Theorie eine Alternative zum gescheiterten Revolutionskonzept zu sehen. Dieser dritte Typ der Deutung scheint der eigentlich philosophisch relevante und interessante zu sein. Nicht allein Hegel greift SCHILLERS Überlegungen in diesem Sinne auf, auch die differenzierteren Untersuchungen in der gegenwärtigen ScHiLLERdeutung bemühen sich darum, diese Alternativfunktion der philosophischen Konzeption gegenüber der politischen Stellungnahme präzise zu fassen. Hier stehen sich wieder zwei Deutungsmöglichkeiten gegenüber. Auf der einen Seite wird mit SCHILLERS Vorsicht, wenn nicht Abstinenz in politicis begründet, daß die Konzeption der ästhetischen Erziehung selbst Politikfreiheit fordere, näherhin, daß eine Trennung von ästhetischer und praktischer Freiheit wie Vernunft angenommen werden muß. Diese Version steht vor der Schwierigkeit, einen nachträglichen Bezug von Kunst und Realität konstruieren zu müssen. Alle bisherigen Versuche scheitern an dieser Aufgabe, denn entweder bleibt die Kunst auf ihr Reich des Scheins eingeschränkt, oder der Realitätsbezug bleibt dunkel, wird nur vage umrissen oder einfach im Sinne einer prästabilierten Harmonie postuliert.^'* Die zweite DeutungsmögU. Wertheim: Schillers Auseinandersetzung mit den Ereignissen der französischen Revolution, 429—449; H. Mayer: Das Ideal und das Lehen; ]. Müller: Bürgerfreiheit, Nationalbewußtsein und Menschenwürde im Werk F. Schillers, 214—236; H. G. Thalheim: Schillers Stellung zur französischen Revolution und zum Revolutionsproblem, 118—140. Als „restaurativ" interpretiert auch H. H. Ewers Schillers theoretische Bewältigung der Revolutionsproblematik. (H. H. Ewers: Die schöne Individualität.) Ewers nimmt die von G. Lukäcs vorgegebene Interpretation auf, daß Schiller entgegen seiner eigenen Annahme und seinem Grundsatz von einem Denker der Revolution zu einem der bürgerlichen Restauration werde (vgl. G. Lukdcs: Zur Ästhetik Schillers, 17—106), und belegt dies in einer interessanten und im Gegensatz zu den sonstigen Interpretationen minutiösen Textanalyse. Vgl. dazu die Rezension in: Hegel-Studien. 15 (1980), 348 ff. 2* Als exponierter Vertreter dieser Ansicht kann B. von Wiese genannt werden. Er verweist in seinem Schillerhuch sowie in seiner Studie zur Utopie darauf, daß in Schillers theoretischen Schriften die Nachwirkung der Bildungsidee der Karlsschule dazu führt, die Revolutionsidee durch ein Reformkonzept zu mildern. Schiller entwickele eine Bildungsidee, nämlich die Forderung, den Einzelnen zu bilden und dadurch eine allmähliche Humanisierung der Gesellschaft zu erreichen. Wichtig ist ihm, daß „Kunst und Politik... im Ansatz zwei durchaus getrennte Bereiche sind". Da die „zentrale Rolle des ästhetischen für das Politische" trotzdem eruierbar sein soll, legt von Wiese die Deutung der Briefe gegen das von Schiller eingangs ausdrücklich formulierte Anliegen fest. Sie entwickeln das „polare Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik" oder die Idee einer dritten Welt und zweiten Freiheit, der ästheti-
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lichkeit ist die, die auch Hegel gewählt hat. In SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung wird ein — wenn auch noch unzureichender — Entwurf der geschichtlichen Funktion der Kunst, ihrer Fähigkeit zur Bildung des Menschen gesehen. Hier entscheidet sich die Frage, wie die Revolution der Denkungsart zur Revolution — zumindest aber zur Reform — der geschichtlichen Wirklichkeit werden kann. In diesem Zusammenhang wird vor allem der Gedanke der utopischen Funktion des Weltbildes erörtert werden müssen, das die Kunst entwirft. Erst in letzter Zeit wird in der ScHiLLERinterpretation auch diese Perspektive berücksichtigt. Hegels SCHILLERdeutung gewinnt hier gegen die mannigfachen Sichtweisen, die im Lauf der Zeit entstanden sind, eine unerwartete Aktualität. Man rekonstruiert nämlich aus SCHILLERS Hinweis auf die griechische Antike oder, formal gesprochen, aus der Idyllenproblematik, so wie sie in seinem dichterischen Werk auftaucht, die fehlenden Argumente dafür, daß sich ein Einfluß der autonomen Sphäre der Kunst auf die Wirklichkeit konzipieren läßt.^s
sehen neben Natur und Vernunft sowie der im Spiel gewonnenen Totalität des Charakters neben der Humanität aus Vernunft. Dazu B. von Wiese: Schiller, ders.; Schiller und die französische Revolution, 148—169; ders.; Die Utopie des Ästhetischen, 90, 92, 95 f. In der Tendenz ähnlich auch; G. Schulz: Schillers Horen. Politik und Erziehung. Analyse einer deutschen Zeitschrift; P. Böckmann: Politik und Dichtung im Werk Schillers, 192—213. — Differenzierter legen z.B. auch G. Muschg und C. Schmid die Stellung Schillers zur Französischen Revolution dar. Muschg sieht Schillers Kunst als engagierte Dichtung an, nimmt aber einen Bruch zwischen früher und später Periode an {Schiller. Die Tragödie der Freiheit, 218 ff). Schmid verweist darauf, daß Schiller nicht Politik, sondern das Politische selbst zum Gegenstand der Dichtung wie Theorie erhebt, damit aktualistisches Engagement ausschließt, nicht aber die politische Relevanz der Kunst (ebd. 103). — Auch eine neuere Untersuchung von W. Janke hält die Bestimmung der „Alternativfunktion" in der vorgegebenen Weise vage; er betont lediglich, daß „gerade die ästhetische Autonomie" die politische Funktion der Kunst ermögliche {Schiller und die französische Revolution, 19); vgl. auch ders. Historische Dialektik, 210 ff. Hier erweitert Janke seine Überlegung um den Hinweis, daß die Autonomie des Ästhetischen eine symbolische Funktion für die Reform der politischen Wirklichkeit habe; Zur Kritik siehe vom Verf.: Rettung der Dialektik, 275 ff. 25 J. Hoffmeister hat als einer der ersten auf diese Sicht Schillers hingewiesen. Auch er ging dabei von der unmittelbaren Rezeption Schillers aus, die sich in Hegels frühen Überlegungen, ebenso in den gemeinsamen Plänen der Stiftler belegen läßt. — Man mag natürlich einwenden, daß auf diese Weise eine Schillerdeutung nur durch eine beliebige Perspektive der Wirkungsgeschichte ausgezeichnet wird. Für Schillers Selbstverständnis ist es aber bezeichnend, daß die zeitgenössische Diskussion diesen Sinn der Revolutionskritik als Ästhetik ohne irgendwelche Irritation aufgreifen konnte. Als Schlüssel zu seinen philosophischen Reflexionen läßt sich die gewählte Interpretation bewähren, und auch die Frage der Aktualität muß nicht negativ be-
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Folgt man Hegels ScHiLLERdeutung, dann läßt sich die Interpretation des Verhältnisses von Revolutionskritik und Ästhetik, von Kunst und Politik auf die folgende Formel bringen: Revolutionskritik und Ästhetik schließen sich in der Weise zusammen, die die frühe Konzeption der Aufklärung in der Theosophie des Julius bereits vorgezeichnet hat. In den Briefen zur ästhetischen Erziehung findet sich eine Lösung des dort nur angedeuteten Problems der Durchsetzung der Aufklärung unter widrigen Bedingungen, die Schiller als seine konstruktive Version der Revolutionskritik formuliert. SCHILLER selbst verlegt sein "Bekenntnis zur französischen Revolution" in die ästhetischen Reflexionen und in den Zusammenhang seiner KANxrezeption. So kann er dem Freund KöRNER schreiben: Es „ist sehr interessant, gerade in der jetzigen Zeit ein gesundes Glaubensbekenntnis zur Revolution abzulegen; und da es schlechterdings zum Vorteil der Revolutionsfeinde ausfallen muß, so können die Wahrheiten, die den Regierungen nothwendig darin gesagt werden müssen, keinen gehässigen Eindruck machen" (Brief vom 6. Nov. 1792; Bd 3. 225). Man kann deshalb als leitende Ännahme festhalten, daß in SCHILLERS ästhetischen Schriften, besonders in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen, eine philosophisch-reflektierte Stellungnahme zur französischen Revolution vorliegt, die zwischen Begeisterung und Verdammung zu differenzieren gestattet. Die Folgen der Revolution nötigen zur Trennung zwischen Vernunftprinzip und seiner Realisation, und dies so, daß einer revolutionären Durchsetzung der Vernunft die Möglichkeit der Erreichung ihres erklärten Ziels in Äbrede gestellt wird. Der Oktroi der Gesetze der Vernunft unterscheidet sich für ein noch nicht aufgeklärtes Bewußtsein — und als solches erweisen die Ereignisse die von der Revolution betroffenen oder sie tragenden Individuen — nicht von dem der Willkürgesetze. Es gilt also, für die Durchsetzung der Vernunftprinzipien nicht allein ein anderes Vehikel als die Revolution, sondern es gilt vorab ein anderes Bewußtsein der Einzelnen zu schaffen. 1.2.1 Die Konzeption der ästhetischen Erziehung Im genannten Brief an den Freund KöRNER verknüpft SCHILLER das „Glaubensbekenntnis zur Revolution" mit der Bildungsidee der frühen Reflexionen. Er schieden werden, denn die neuesten Versuche der Schillerdeutung gehen von einer verwandten Sicht aus. — In der gegenwärtigen Schillerinterpretation hat G. Kaiser als erster die Problematik der Idylle und (in seiner Unterscheidung von arkadischer und elysischer Idylle) auch die Bedeutung des Griechenverweises ins Zentrum des Interesses gerückt: G. Kaiser: Von Arkadien nach Elysium; dazu A. GethmannSiefert: Idylle und Ufopie, 32 f. Ihm folgen G. Sautermeister: Idyllik und Dramatik im Werk F. Schillers. Stuttgart 1971; A. Siekmann: Drama und seniimentalisches Bewußtsein. Frankfurt a. M. 1980.
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betont, daß er seine Anleitung zur Konzeption der ästhetischen Erziehung in MIRABEAUS Schrift Sur l'Education, näherhin, in der Intention entdeckt habe, der französischen Konstitution in den Wirren ihres Entstehens durch eine zweckmäßige Einrichtung der Erziehung Dauer zu geben (Brief an Körner vom 15. Okt. 1792; Bd 3. 221 f). Ein zweites Vorbild dieser Konzeption findet SCHILLER in LESSINGS Schrift zur Erziehung des Menschengeschlechts.^^ Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Analogie von Staatswerk und Kunstwerk, genauer die Analogie von historischer Teleologie im Plan der Geschichte und ästhetischer Zweckmäßigkeit, die im genialen Entwurf des Kunstwerks als Einheit der Regel und des Vernunftbegriffs einer „möglichen Welt" erscheint. Wie sich in der Welt der Dichtung, der Darstellung des Möglichen, dieselbe Gesetzlichkeit des Handelns rein zu erkennen gibt, die auch in der realen Welt herrschen sollte, so konstruiert die ästhetische Theorie die Parallelität von genialem Künstler und Staatenlenker, deren Handlung die sinnliche Welt dem Gesetz der Vernunft konform gestaltet. Uber die frühen Überlegungen hinaus thematisiert SCHILLER nun eindeutiger das Problem, daß sich die Bildung innerhalb der geschichtlichen Situation, innerhalb jener politischen und orientierungsmäßigen Wirren vollziehen und durchhalten muß, die er als „Zerrissenheit" der Zeit charakterisiert. Durch die Auseinandersetzung mit KANT und dem "KANTianer" FICHTE hofft 2‘>G. E. Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts. Berlin 1780; ders. Hamburgische Dramaturgie; dazu E. Cassirer: Freiheit und Form. 147ff, 160f, 168.
— Normalerweise zieht man in der Schillerinterpretation zur Erhellung dieses Zusammenhangs Schillers Bestimmung der Schönheit als Freiheit in der Erscheinung, als Bürgerin zweier Welten heran. Diese Bestimmung der Schönheit ist aber die von Schiller sozusagen nachgelieferte „objektive" Bestimmung der Schönheit. Primär für die Geschichtskonzeption ist die subjektive Seite dieser objektiven Bestimmung. Deshalb stützt sich die aus der Aufklärungsphilosophie übernommene Parallelität der Charakteristik von Künstler und Staatsmann, Staatenlenker erst in zweiter Linie auf die Analogie von Freiheit als Auszeichnung des Handelns und Freiheit als Charakteristikum des „als-ob" Handelns. Hier liegt Kants Bestimmung des Genies als des Vermögens der Regeln zugrunde. Die Analogie Künstler — Staatsmann ist direkt, die auf der „objektiven Seite" konstruierte Analogie indirekt gemeint. Außerdem spielt in diesem Zusammenhang die Bildungsidee die entscheidende Rolle. Die Handlung als Objekt der Poesie, die für Lessing ebenso wie für Shaftesbury, Hutcheson oder auch Dubos, eine Steigerung der seelischen Energien zur Folge hat, ist formal identisch mit geschichtlichem Handeln überhaupt. Erziehung „gibt dem Menschen ... das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter" (Die Erziehung, § 4). — Diese Formulierung Lessings überträgt Schiller auf die Erziehung durch Kunst statt durch Religion. Als Ordnung der Entwicklung der verschiedenen Kräfte des Menschen gibt Lessing — auch hierin getreu von Schiller wie Hegel kopiert — verschiedene geschichtliche Stufen an. Diese Stufen gelten als Strukturen der individuellen Genese wie der Geschichte überhaupt.
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er, einen Ansatz zu finden, Ästhetik und Geschichtsphilosophie in der Weise zu vereinen, daß sich ein verbindlicher Entwurf der zukünftigen Verwirklichung von Vernunft und Freiheit als notwendiges Resultat ergibt. SCHILLER nimmt hier eine Diskussion auf, die mit ROUSSEAUS Preisschrift Ob die Erneuerung der Wissenschaften und Künste zum Verderb oder zur Hebung der Sittlichkeit gewirkt haben? (1749) ansetzt und die KANT in seinem Mutmaßlichen Anfang des Menschengeschlechts (1786) dahingehend kommentiert, daß die Geschichte der Natur als Werk Gottes vom Guten anfange, dagegen .^ie Geschichte der Freiheit vom Bösen, denn sie ist Menschenwerk" (A14). SCHILLER argumentiert in seiner T/ia/i «-Schrift von 1791 mit KANT, wenn er fordert, daß der Mensch sich aus einem Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft, ,wär es auch nach späten Jahrtausenden, zu einem Paradies der Freiheit hinausarbeiten" solle. Hier gehorchte er dann «dem moralischen 2’’ F. Strack verweist in seiner Studie zu Schiller und Kant darauf, daß Hölderlin in der gleichen Tradition steht; Ästhetik und Freiheit. 101 ff; O. Pöggeler entwickelt dies in seiner Habilitationsschrift für Hegel. — Schiller selbst verweist in der Schrift
Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der Mosaischen Urkunde {NA 17. 398—413) darauf, daß «diese Ideen auf Veranlassung eines Kantischen Aufsatzes in der Berliner Monatsschrift entstanden" seien. Vgl. auch den Brief an Körner vom 29. 8. 1797 (Bd 1. 396 f), in dem Schiller als seinen ersten Einstieg in Kant das Studium von dessen Ideen zu einer Geschichte in welthürgerlicher Absicht erwähnt. — Es wird sich in der Entwicklung der Gedanken Schillers allerdings zeigen, daß die Behauptung, Schiller sei Kantianer, eher für die praktische Philosophie als für die Geschichtsphilosophie zutrifft. Die Geschichtsphilosophie wird (im Entwurf der Ästhetik auf das begriffliche Raster der praktischen Philosophie) im Blick auf Fichte ergänzt. Sie wird so zwar zu einer Theorie der geschichtlichen Bedingungen der Subjektivität (ihrer Eingebundenheit, Verwiesenheit auf Gesellschaft), nicht aber zu einem Begreifen der Geschichte oder Gesellschaft (der institutionellen Ordnung, Legalität). Die Thesen zu Schiller als «Kantianer" faßt Rosalewski in seiner Untersuchung zusammen (Schillers Ästhetik im Verhältnis zur Kantischen). Als Extreme stehen sich hier gegenüber die Behauptung von Lewkowitz, Schiller sei «scharfsinniger Schüler" Kants gewesen und geblieben, der ihm bis in «das minutiöse Detail seiner Arbeit" folge (Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller. 26 f), und der Nachweis Stracks, daß Schiller sein philosophisches Vorbild Kant in grundlegenden Fragen mißverstanden habe (Ästhetik und Freiheit, bes. 22 ff). Der Grund des Mißverständnisses wird allerdings über den philosophischen Vergleich hinaus nicht weiter erörtert. Wo Kant nicht in solcher Weise zum «Kriterium" für Philosophie oder Unphilosophie erhoben wird, liegt ein plausibler Hinweis auf den Grund der Modifikation Kants eben in Schillers Interesse an der Begründung einer Ästhetik. Dazu Ewers: Die schöne Individualität. 11,13 f. W. Düsing: Ästhetische Form als Darstellung der Subjektivität, 22. K. Hamburger weist darauf hin, daß nicht nur Kant Schillers Vorbild sein könne, sondern daß er seine ästhetische Intention in Platon vorgebildet finde. Schiller und Sartre, 37. Zum Problem des Idealismus bei Schiller, 60, 64; vgl. auch B. von Wiese: Schiller. 462.
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Gesetz in seiner Brust eben so unwandelbar ... als er anfangs dem Instinkte gedient hatte" {NA 17. 399). Die Übernahme der praktischen Philosophie KANTS wie der Geschichtsphilosophie legt die Überlegungen der Briefe über die ästhetische Erziehung fest. Denn das Hinaufarbeiten, wie KANT es formulierte, „bis vollkommene Kunst wieder Natur wird ... welches das letzte Ziel der sittlichen Bestimmung der Menschengattung ist" (A 18), entwickelt SCHILLER durch die Frage, wie in der gegebenen Situation dieser Impuls der Aufklärung durch die Kunst selbst übernommen werden kann. Offensichtlich ist der Stand der Moralität noch nicht in allen Individuen verwirklicht und ebensowenig ein unterstützender gesellschaftlicher Rahmen für jene „fortgeschrittenen" Individuen gegeben, denen Freiheit und Vernunftgesetz zur neuen, zweiten Natur geworden sind. Deshalb wird eine Theorie der Veränderung der Bedingungen zum Zweck der Realisation der Sittlichkeit — und zwar der individuellen wie der gesellschaftlichen bzw. institutioneilen — erforderlich. Daß es SCHILLER in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen um diese Konzeption geht, gilt in der Interpretation unbestritten und ist hinreichend diskutiert worden. Interpretationsdifferenzen ergeben sich aber in folgenden drei Punkten: nämlich erstens in der Frage wie SCHILLER dieses Programm einlöst, näherhin ob er nicht in der Durchführung der Briefe die „gesellschaftskritische" Komponente seines Programms zurücknimmt. Damit hängt zweitens die strittige Frage nach der Bestimmung der Autonomie der Kunst und drittens die nach der Funktion des schönen Scheins zusammen. Zum ersten Problem sei hier nur ein formaler Hinweis vorweggeschickt, der sich in der weiteren Darlegung noch im einzelnen bestätigen muß. Zunächst muß festgehalten werden, daß SCHILLERS Verknüpfung von Erziehungsgedanken im Sinne der Aufklärung und Geschichtskonstruktion (KANTS und LESSINGS drei Alter der Welt), gestützt auf die formale Konvergenz der ästhetischen und geschichtlichen Teleologie, die Grundkonzeption der Briefe und damit seiner „politischen" Ästhetik bestimmt. SCHILLER setzt an beim Versuch eines „mündig gewordenen Volks, seinen Naturstaat in einen sittlichen umzuformen" (NA 20. 320), und sieht die prinzipielle Aporie dieses Unterfangens darin, daß der Naturstaat als Notstaat im Sinne des KANTischen „Status civilis"^* real ist, der sittliche oder vernünftige Staat aber als „ein 28 Vgl. die Analyse bei W. ]anke: Historische Dialektik. 211 ff. Janke setzt Schillers „Notstaat" Kants „Rechtsstaat" oder die von Hegel kritisierte „bürgerliche Gesellschaft" gleich. Das ist sinnvoll, weil Schiller selbst — im Anschluß an Kant — prinzipiell argumentieren will und weil es daher gleichgültig ist, ob ihm als Exempel der „Feudalabsolutismus des Ancien Regime" oder die „Tyrannei der Fürstenherrschaft" vorschwebt. — Dazu J. Ebbinghaus: Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung.
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bloß mögliches (wenngleich moralisch notwendiges) Ideal von Gesellschaft" gelten kann. Die Aufhebung des realen zugunsten des problematischen sittlichen Staates gefährdet — wie das historische Ereignis der französischen Revolution vor Augen führt — die Existenz des „physischen und wirklichen" Menschen. Man erreicht bestenfalls, daß „problematischen" Vernunftideen per Oktroi die Allgemeinheit zugestellt wird, die ihnen theoretisch wie praktisch abgeht. Die ästhetische Erziehung soll nun die im Sinne KANTS bloß problematischen, d.h. bloß denkbaren, damit aber nicht garantierten Vernunftideen, durch den lebendigen Vollzug "auf Dauer stellen", ihnen die fehlende Existenz verschaffen. Ihre genaue Funktion bestimmt SCHILLER in seiner Definition des Spieltriebs und in der Festlegung des Zwecks dieses Triebes: der Ausbildung eines „dritten Charakters". Es gilt, durch die Bildung des Individuums, durch die Ermöglichung des „dritten Charakters" als Totalität von sinnlichen und vernünftigen Momenten des Menschseins, die Basis für die Veränderung der Welt, für die Reform oder Revolution der institutionellen Bedingungen des Zusammenlebens zu gewinnen. SCHILLER wählt damit eine seinem formulierten Ziel unangemessene Methode. Denn er meint, ein geschichtsphilosophisch legitimierbares, aber durch diese Legitimation nicht schon realisiertes (eben ein bloß „problematisches") Ziel dadurch zu erreichen, daß er die konstitutiven Bedingungen geschichtlicher Veränderung auf die konstitutiven Bedingungen der Subjektivität, näherhin auf die Prinzipien einer vollendeten Subjektivität, restringiert. Die Allgemeinheit der „transzendentalen Subjektivität", die SCHILLER in der „Totalität des Charakters" erreicht zu haben meint, garantiert quasi automatisch, daß die Analyse in eine geschichts- oder gesellschaftstheoretische Konzeption, in eine Konzeption der Veränderung der bestehenden Verhältnisse im Sinne des Fortschritts von Vernunft und Freiheit nicht allein überführbar ist, sondern übergeht.29 Zwei Überlegungen SCHILLERS bestätigen diese Annahme. Zunächst meint er durch den Rückgriff auf FICHTES Triebbegriff die Konstruktion der subjektiven Bedingungen der Möglichkeit geschichtlichen Fortschritts hinreichend konkretisiert zu haben. FICHTE rechnet allerdings den Trieb zur Gemein29 So kann Schiller den Tatbestand, „daß das Individuum Staat wird", gleichsetzen mit dem „daß der Mensch in der Zeit zum Menschen in der Idee sich veredelt" (4. Brief; NA 20. 316). Die Überlegungen Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte begründen durch diese Identität die Entstehung wie das Begreifen von Geschichte (vgl. NA 17. 374). An den zahlreichen weiterführenden Überlegungen (vgl. die folgenden Ausführungen) läßt sich demonstrieren, daß Schiller selbst dem automatischen Übergang von Vernunfteinsicht zu Vernunfteinrichtung in der Welt (Institution) nicht traut. Schillers philosophischer Gewährsmann für diese Konstruktion ist Fichte, näherhin seine Wissenschaftslehre von 1794; gleichermaßen wichtig sind auch die Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794).
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Schaft, den SCHILLER ausklammert, unter die Grundtriebe. An dessen Stelle setzt er die von FICHTE übernommene Bestimmung des Stoff- und des Formtriebes und als deren Vermittlung den über FICHTE hinausgehend angenommenen Spieltrieb. Unterstellt, SCHILLER habe damit die Totalität des Charakters aus den formal notwendigen Bedingungen entwickelt, so bedarf doch der Übergang von Subjektivitäts- zu Geschichtstheorie, zur Bestimmung realen gesellschaftlichen Handelns und seiner Institutionen, einer zusätzlichen Vermittlung. Weil der Spieltrieb nicht wie FICHTES „Trieb nach Gemeinschaft" den Übergang von der subjektkonstitutiven zur geschichtskonstitutiven Bedingung schafft, reicht die Konzeption der Briefe unter dieser Rücksicht nicht zu. Bezeichnenderweise scheint auch SCHILLER selbst mit der erreichten formalen Konzeption, die ihn als getreueren KANTianer erweist als FICHTE, nicht zufrieden, sondern er versucht, das formale Defizit durch inhaltliche Überlegungen zu überbrücken. Ein wesentlicher Gesichtspunkt liegt in der Modifikation der Bestimmung der Kunsterfahrung, die SCHILLER u.a. in seinen Überlegungen zur Bedeutung der Schaubühne ausführt.Die Kunsterfahrung erreicht in ihrem Medium, dem ästhetischen Genuß, jenen „mittleren" und damit „vermittelnden" Zustand, den der Spielbegriff systematisch entfaltet. Der ästhetische Genuß ist also das Vehikel, das die in der Sphäre der Kunst gewonnene Einsicht und moralische Haltung zur wirklichen und wirklichkeitsverändernden überleitet. Die frühere Konzeption unterscheidet sich davon nur in einem Punkt. In den vorkritischen Reflexionen unterstellte SCHILLER die Kunst ebenso wie jetzt einem Zweck: entweder der Sittlichkeit und deren — mit GARVE und FERGUSON — bestimmten Ziel, der Glückseligkeit, oder der Wahrheit, wie SCHILLER im Anschluß an den Rationalismus BAUMGARTENS in den Künstlern darlegt. Kunst bietet, wie LEIBNIZ es für die Religion beansprucht, jene Möglichkeit der Wahrheitserfahrung und Orientierung im Handeln, die von Einsichtigeren der ungelehrten, nicht wissenschaftlich gebildeten und bildbaren Masse vorgestellt wird. Die geschichtsphilosophische Perspektive der Briefe führt dazu, daß SCHILLER die Kunst nicht in ihrem Bildungszweck aufgehen läßt, sondern daß er ihre Aufgabe selbst „auf Dauer" stellt. Die Kunst wird nicht überflüssig, sobald ihr morali-
„Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchem von dem denkenden, besseren Teil des Volkes das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volks; der Nebel der Barbarei, des finsteren Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht" (NA 20. 97 f). Siehe dazu Cassirers Interpretation der Künstler in Freiheit und Form. 271, 273 f.
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scher Zweck erreicht ist/i sondern ihre Vermittlungsfunktion bleibt unverzichtbar, weil der Prozeß der Aufklärung, der Fortschritt im Bewußtsein und in der Realisierung von Vernunft und Freiheit, unabschließbar ist. Eine Entscheidung über die Frage, wieweit SCHILLER damit im formalen Rahmen der KANTischen Konzeption durch die inhaltliche Bestimmung der Kunst die geforderte Konzeption der Geschichte durchsetzt, wieweit er — mit anderen Worten — seinen eigenen KANTianismus durch die behandelte Materie zureichend korrigiert, ergibt sich aus der näheren Analyse der Kategorien, die SCHILLER zur Bestimmung dieser auf Dauer gestellten Vermittlerrolle der Kunst wählt. In Anknüpfung an KANT sind dies die Autonomie der Kunst und der Scheinbegriff. Beider Bestimmung greift bedingend ineinander. Die Autonomie der Kunst liefert die Garantie dafür, daß die Erziehung durch Kunst unter aufklärungswidrigen Bedingungen überhaupt stattfinden kann; die Bestimmung des schönen Scheins die Argumente für die bislang bloß unterstellte Transponierbarkeit dessen, was in der Kunst erfahren wird, in das Handeln, also letztlich die fehlenden Gründe für die Parallelität von quasi Handeln in der Fiktion und realem Handeln in der Geschichte. Den Gedanken der Autonomie der Kunst, der an die Stelle der Weltausblendung in den vortheoretischen Überlegungen tritt, meint SCHILLER erst mit KANT formulieren zu können. K. PH. MORITZ^Z lehrt, daß das Schöne bloß um seiner selbst willen betrachtet, empfunden und hervorgebracht sein dürfe und SCHILLER meint, daß es mit KANT möglich werde, eine „reine Formel" anzugeben, „um die subjective Wirkung des Aesthetischen auszusprechen, ohne seinen Charakter zu zerstören" {Brief an Goethe vom 17. 8. 1797; NA 29. 116). Da SCHILLER im gleichen Atemzug auf die Aufgabe der Kunst, nämlich die Veredlung eines Volkes durch Vervollkommnung des Charakters anspielen ■’i Vgl. den Brief an Körner vom 9. 2. 1789; Bd 2. 224 ff. Auch im Brief an den Herzog von Auguslenburg vom 13. 7. 1793; Bd 3. 327 ff) formuliert Schiller die Beziehung von Kunst und Moralität noch so, daß, würde die Kunst in der ästhetischen Erziehung ihr Ziel erreichen, sie in dieser Tätigkeit sich erschöpfte, nach Erreichung des Ziels aufhörte. Dazu £. Cassirer: Die Methodik des Idealismus in Schillers Schriften, 95. K. Ph. Moritz: Über die bildende Nachahmung des Schönen. 13; dazu Schillers Briefe an Körner vom 12.12.1788 und vom 2. 2.1789; Bd 2.170f, 216 f. Zum Problem der Autonomie der Kunst nimmt O. Walzel in seiner Einleitung zur Säkularausgabe Stellung, ebenso E. Cassirer {Freiheit und Form. 281, 284 u.ö.). Cassirer meint, daß Schiller mit der Betonung der Autonomie der Kunst seinen eigenen Standpunkt kritisiere (ebd. 274) und die „Unselbständigkeit" sowie die „nur propädeutische Funktion der Kunst" überwinde. Die Neuerung kann aber nicht in der Bestreitung jener Zwecke der Kunst liegen, die sie mit der Sittlichkeit gemein hat (Vernunft und Freiheit), denn diese sind keine kunstfremden Zwecke. Vgl. dazu Schillers Diderotkritik im Brief an Goethe vom 17. 8. 1797; NA 29. 117 ff.
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kann (das „wahrhaft Schöne" verbessert den Menschen „notwendig"), bestätigt sich hier die Vermutung, daß die Autonomie der Kunst nicht ihre Trennung von den Vernunftzwecken bedeutet. Eine Lösung dieser anscheinenden Aporie findet sich wiederum bei KANT, der einsichtig gemacht hat, daß der Bildungseffekt der Kunst nicht in „einem bestimmten Resultat für den Verstand, oder für die moralische Empfindung" liegt, sondern aus ihrer Form folgt. Auch KANT vermochte von der Autonomie des Schönen und seiner Symbolfunktion für die Sittlichkeit gleichzeitig zu sprechen. SCHILLER deutet — in vermeintlich getreuer Anlehnung an KANT — zum Zweck der Vereinbarkeit dieser beiden Thesen der Kritik der Urteilskraft KANTS gesamte ästhetische Konzeption um. Im Briefwechsel mit KöRNER (1792/93) entwickelt er einen „objektiven" Begriff des Schönen,^^ der in den Briefen durch die Bestimmung des „schönen Scheins" modifiziert wird. Der Bezug der Schönheit zum Vernunft- und Freiheitspostulat bzw. zur Sittlichkeit liegt nicht in materialen Konvergenzen der faktischen Imperative, sondern in der formalen Konvergenz ihres Bildungsgesetzes. Das Schöne ist Analogon der reinen Willensbestimmung Vgl. dazu Schillers Briefe an Körner vom 8. 2.1793 und vom 18. 2.1793; Bd 3. 239 ff, 254 ff. ln der Interpretation wird meist betont, daß in dieser Umdeutung Kants der Übergang zu Hegel liege. Es zeigt sich allerdings, daß das aus Gründen — die vor allem in Hegels Kritik an Schillers Position deutlich werden — nicht der Fall ist. Vgl. D.
Henrich: Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik; K. Hamburger: Schillers Fragment „Der Menschenfeind" und die Idee der Kalokagathie, 367 ff; B. C. Engel: Schiller als Denker, bes. 144 ff. — Eine eingehende Untersuchung zum „objektiven Begriff" der Schönheit findet sich bei W. Düsing: Schillers Idee des Erhabenen, bes.
44 ff). Für die Bestimmung der Autonomie der Kunst und ihrer Vernunftgemäßheit zugleich schlägt Düsing den Begriff der „Heautonomie" vor (77 ff). Das Schöne wird, weil vernunftgemäß, zur „freien Individualität", zum „Spiegel der autonomen Persönlichkeit" (77). — Dazu £. Spranger: Schillers Geistesart. 33; Bruno Bauch: Schiller und die Idee der Freiheit. 110; sowie der Kommentar von G. Fricke. In: Schiller. Werke in 5 Bd. München ^1960. Bd 5. 1108 f; B. von Wiese: Schiller. 447 und W. Düsing: Ästhetische Form als Darstellung der Subjektivität. 211 ff. —Die Deutung wie Kritik übersieht im Bestreben, die politische Funktion der Ästhetik am „objektiven Begriff der Schönheit" zu demonstrieren, daß Schiller durchgängig die „formelle" oder nur strukturelle Analogie von Schönheit und Sittlichkeit betont. Das gilt für Schillers „objektiven Begriff der Schönheit" wie für die darin implizierte Übernahme der Kantischen Bestimmung der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit (vgl. Schillers Fragment „Der Menschenfeind" und die Idee der Kalokagathie. 367 ff). Auch B. C. Engel {Schiller als Denker, bes. 144 ff) sowie die Kontroverse zwischenGadamer und Henrich (dazu die Ausführungen in Wahrheit und Methode und in Der Begriff der Schönheit, 541, 544). — Die Zweifel ander Korrektheit von Schillers Kantverständnis entzünden sich ebenso wie die Elogen auf Schillers geniale Umdeutung Kants an diesem Problem.
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im Bereich der objektiven Welt, ist Darstellung der Freiheit im Gegenstand selbst, insofern er nach ihrem Gesetz, nicht nach dem der Naturnotwendigkeit oder der physischen Interessen gebildet scheint. Unter Bezug auf KANTS Systematik betont SCHILLER, daß die Schönheit zum „Fall" der Konzeption der praktischen Vernunft werde. Darin liegt seine vielbeschworene Umdeutung der Ästhetik zur Handlungstheorie, die in der Tat die formulierten Schwierigkeiten des Übergangs von der Ästhetik zu einer Geschichtskonzeption beseitigen würde. Allerdings vermag die „formale Konstruktion" erneut die Grenzen des subjektivitätstheoretischen Ansatzes nicht zu überwinden. Die Prinzipien der praktischen Philosophie gelten in der Ästhetik im Sinne eines „Analog"oder, wie später entwickelt wird, eines „Spiel"-Falles. Die Bestimmung der Schönheit als Freiheitsähnlichkeit, als Analogon zur praktischen Vernunft, läßt SCHILLER das Schöne als Freiheit in der Erscheinung, als „eine Idee, die mit einer Anschauung so verbunden wird, daß beide Eine Erkenntnisregel mit einander theilen" {Brief an Körner vom 18. 2.1793; Bd 3. 254 ff) definieren, bzw. als Imperativ fassen. Schönheit entspringt „denjenigen Handlungen, welche nicht durch praktische Vernunft sind und doch mit ihrer Form übereinstimmen" (Brief an Körner vom 8. 2. 1793; Bd 3. 239 ff). „Existenz aus bloßer Form" gilt als Prinzip der Sittlichkeit wie der Schönheit, allein die Erfüllung der Form differiert. Hier ist Vernunft, dort Natur das, was die Form erfüllt. Der „Imperativ des Schönen" wird, „weil es um eine Eigenschaft der Erscheinungen" geht, durch bloße Natur bestimmt, aber ein Geschmacks- bzw. ästhetisches Urteil als Feststellung des Schönen leistet die „Beurteilung nichtfreier Wirkungen nach der Form des reinen Willens". Dadurch wird aber nur geklärt, wie der Geschmack „Anschauungen zu Ideen veredelt", wie er „selbst die Sinnenwelt gewissermaßen in ein Reich der Freiheit verwandelt" (Üfcfr An «nd Würde. NA 20. 260). Die Schönheit bleibt Bürgerin „zweier Welten", und die formale Konvergenz von Schönheit und Sittlichkeit führt lediglich zu einer scheinbaren Klärung des Bezugs von Kunst und Geschichte. SCHILLER selbst modifiziert — sicher aus Einsicht in das Ungenügen der bisherigen Konzeption — den gesamten Komplex nochmals in den Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen. Die Bestimmung des schönen Scheins als „Reich" des Schönen neben dem Reich des Sittlichen bzw. dem Staat tritt an die Stelle der bisherigen „formalen" Konstruktion der Analogie von Schönheit und Freiheit. Es geht SCHILLER hier um den Nachweis, daß mit KANTS Begriff des (schönen) Scheins die Synthese von geschichtlicher Wirkung und Autonomie der Kunst formulierbar, eine geschichtliche Realisation der Vernunft garantiert und zugleich die rigoristische Trennung von Sinnlichkeit und Vernunft, Neigung und Pflicht aufhebbar sei. In der aktuellen marxistischen Deutung der Ästhetik des deutschen Idealismus spielt SCHILLERS Konzeption des „schönen Scheins" deshalb eine zentrale Rolle, weil sich in der Tat die Möglichkeit
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einer „politischen Ästhetik" in deren konkreter Fassung entscheidet. SCHILLER selbst stellt aber Anforderungen an eine solche politische Ästhetik, die seine Vorstellung von den meisten marxistischen Deutungen radikal unterscheidet. Durch die Betonung, daß es in der Ästhetik um die Bildung zur Vernunft und Freiheit gehen soll, und durch die bisherigen angeführten Deutungsversuche schließt sich von SCHILLER her zwar die gängige Behauptung aus, die Autonomie der Kunst bestünde in ihrer Freiheit von „außerkünstlerischen Zwecken". Diesen Sinn kann die Schönheit in der Definition als „Symbol der Sittlichkeit" nicht annehmen,^^ denn die Annahme, daß eine autonome Kunst mit Wahrheit und Freiheit nichts gemein habe, wird ausdrücklich abgelehnt. Will man SCHILLERS Direktiven erfüllen, daß die Kunst sich weder direkt in aktuelle Ereignisse einmischen, direkt das Handeln bestimmen könne, noch — um ihrer Autonomie willen — vom Zeitkontext gelöst werden dürfe, dann bietet sich einzig eine mögliche Konzeption des schönen Scheins an. E. BLOCH hat sie formuliert, und sie lautet auf SCHILLER angewandt: Man muß nachweisen, daß der ästhetische Staat als Reich des schönen Scheins für den realen Staat die Funktion einer Utopie im Sinne des „Vorscheins" vernunftkonstituierter Wirklichkeit übernimmt. Dies hieße nicht allein, daß der schöne Schein der Kunst, wo er mit der Realität konfrontiert wird, zu ihrer Reform im Sinne der Vernunftgesetzlichkeit und Freiheit als vollkommener Menschlichkeit anleitete. Es müßte sich diese „Anleitung" überdies als Einheit von Ästhetik und Geschichtskonzeption darstellen lassen. Die Analyse der Konzeption des ästhetischen Staates im Verhältnis zum idealen und damit im Verhältnis der Kritik zum realen Staat zeigt demgegenüber, daß zwar SCHILLERS Intention im Sinne der Vermutung des neueren Marxismus ausgelegt werden mag, nicht aber die Durchführung. Vgl. dazu Cassirer: Freiheit und Form. 286. Cassirer identifiziert Schillers mit Hegels Bestimmung der Sittlichkeit. Schiller definiert Sittlichkeit aber im Sinn des Kantischen Begriffs „Moralität" (vgl. den Brief an Körner vom 8. 2.1793; Bd 3. 239 ff). — Die Deutung der Konzeption des schönen Scheins geht — aufgrund der Diskrepanz von Forderung und argumentativer Einlösung — auseinander. Auf der einen Seite wirft man Schiller eine Verquickung von Politik und Kunst vor, die dazu führt, daß er die „Kunst zu einem bloßen Mittel des politisch sozialen Fortschritts" mache {Cassirer, 288), auf der anderen Seite wird moniert, daß die Erziehung durch Kunst zur Erziehung zur Kunst degeneriere. Vgl. K. Fi. Volkmann-Schluck: Die Kunst und der Mensch; Volkmann-Schluck trennt die Kunst von der Wahrheit; dazu: Cassirer, 303 und K. Hamburger {Schillers ästhetisches Denken. Nachwort zu Schiller: Uber die ästhetische Erziehung des Menschen). Hamburger vertritt die These, daß der ästhetische den politischen Freiheitsgedanken ablöse. Jankes Vorschlag, eine „dialektische" (was immer das heißen mag) Vermittlung beider Sphären anzunehmen {Historische Dialektik. 229; vgl. 272 ff, 386), steht gegen Janz' Kritik, daß die Vermittlung beider Sphären unzureichend bestimmt sei (R. P. Janz: Autonomie und soziale Funktion der Kunst).
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Zunächst formuliert SCHILLER die Funktion der Kunst, die er in der Konzeption der ästhetischen Erziehung auf den Begriff bringen will, in einer Weise, die sie in die Nähe von BLOCHS Deutung des schönen Scheins rückt. Es geht in der Kunst nicht um einen „Schein der Wahrheit" oder eine Wahrscheinlichkeit, die als „vorübergehende Täuschung" über die Realität hinwegtröstet. Wahre Kunst darf den Menschen nicht „bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit" versetzen. Sie muß den Menschen dadurch, daß sie die sinnliche Welt in ein „freies Werk des Geistes" verwandelt, befähigen, „das Materielle durch Ideen zu beherrschen", und ihn so „wirklich und in der Tat frei machen" {NA 2. 816 f). Damit wird der Welt des schönen Scheins (in der Formulierung der Briefe: dem ästhetischen Staat) zugemutet, nicht gegen und nicht anstelle der Realität zu stehen, sondern sie auf ihre Wahrheit zu entwerfen. Die Welt des schönen Scheins ist keine Welt der Täuschung über die realen Verhältnisse, nicht Ersatzwelt für die Realität. Ihre Eigensphäre, die Fiktion, muß zwar von der Realität unterschieden sein, um die dort fehlende Ausrichtung auf Vernunft und Freiheit überhaupt gewährleisten zu können, um nicht jeweils durch faktische Verhältnisse (durch Zerrissenheit anstelle der Harmonie) Lügen gestraft zu werden. Dennoch soll durch das Reich des Scheins bzw. des Schönen geschichtliche Wirklichkeit ermöglicht werden. Diese erscheint nicht schon in faktischen Verhältnissen, den historischen Daten, als wahre, humane Wirklichkeit. Sie kann im Bereich gesellschaftlicher Verhältnisse so weder der Erfahrung noch, wie sich zeigen wird, der Idee nach zugänglich werden. Die Autonomie des Ästhetischen gegenüber der Sphäre des Sittlichen bleibt also erhalten. Was SCHILLER für das Erhabene formuliert, gilt auch für das Schöne: Zu Taten kann die Dichtkunst den Menschen berufen, zum vollendeten Menschen (Helden) ihn erziehen, aber weder kann sie ihm raten, „noch sonst eine Arbeit" für ihn übernehmen. „Ästhetische Kraft", die uns ergreift, uns rührt, entspringt zwar unmittelbar aus dem anschaulich dargestellten Sieg der Moralität über physisches Leiden, aber die Wirkung der Kunst beruht „keineswegs auf dem Interesse der Vernunft, daß recht gehandelt werde, sondern auf dem Interesse der Einbildungskraft, daß recht Handeln möglich sey“ (Über das Pathetische. NA 20. 220).
In der Formulierung der Leistungsfähigkeit des „schönen Scheins" stimmt SCHILLER mit BLOCHS späterer Bestimmung der utopischen Funktion der Kunst also überein. Fraglich bleibt allerdings, wieweit sowohl die Kunst wie die Ästhetik diese ihr explizit zugedachte Funktion aufgrund der kategorialen Konstruktion erfüllen können. Das Grundproblem liegt auch hier wieder darin, daß SCHILLER gegen den primären Änschein und gegen seine explizite Intention die Geschichtskonzeption aufgrund der Änalyse der Subjektkonstitution für hinreichend geklärt hält. Er setzt KANTS Theorie des interesselosen Wohlgefallens zwar in eine anscheinend nicht bloß formale Konstruktion verschiedener Reiche: in den ästhetischen idealen und realen Staat, deutet
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aber diese Sphären allein durch Angabe ihrer subjektiven Wirkung wie Konstitution. Wohl im Blick auf FICHTE betont SCHILLER, daß Schönheit immer zugleich „Zustand" und „Tat" sei, sie entspringt der (künstlerischen) Tat und ist zugleich „Zustand unseres Subjekts", Leben. Damit wird die Kultur insgesamt der Forderung unterstellt, durch Herstellung wie Nachvollzug des „mittleren Zustands ästhetischer Freiheit" (2 3. Brief) einen Weg zu weisen, die „sinnlichen und geistigen Kräfte in möglichster Harmonie auszubilden" (21. Brief). „Erziehung zum Geschmack und damit zur Schönheit" (21. Brief Anm.) wirkt individuell wie kollektiv. Jeweils geht der Weg von der „Schönheit... zur Wahrheit" und zur Pflicht, weil die „ästhetische Gemütsstimmung" die erforderliche „Selbsttätigkeit der Vernunft schon auf dem Felde der Sittlichkeit eröffnet", den physischen Menschen soweit veredelt, daß „nunmehr der geistige sich nach den Gesetzen der Freiheit bloß zu entwickeln braucht" (2 3. Brief). Das erste Resultat ist, daß die Welt des Menschen, auch die der bloßen Dinge kultiviert (d.i. der Form der Schönheit unterstellt) wird. Dies ist die Tätigkeit der „edlen Seele", die zur „ästhetischen Kultur" führt, weil sie „in der Form, die sie dem äußern Leben gibt, schon das Innere eröffnet" (2 3. Brief). Übertragen auf die Entwicklung der Gattung folgt hieraus die geschichtsphilosophische Einteilung in einen physischen, ästhetischen und moralischen Zustand; diese kennzeichnen dann jeweils Epochen der Menschheit wie sie vorher Entwicklungsstufen des Individuums charakterisiert haben. SCHILLER meint hierdurch (etwa in dem Sinn, der später Hegel als die Bestimmung des Verhältnisses von Realität, Begriff und seiner Erfassung durch das Denken vorgeschwebt haben mag) KANTS Geschichtskonzeption überwunden zu haben. Diese Überwindung liegt in der schlicht angesetzten Parallelität von Bedingungen der Möglichkeit der Subjektivität des Subjekts, konkreter historischer Individualität und historischer Abfolge im Sinne einer Gattungsgeschichte. Allerdings gerät dadurch die Bestimmung des ästhetischen Zustandes in ein zwiespältiges Licht. SCHILLER spricht ihm eine Doppelfunktion zu, die nicht eigens begründet wird. Der „ästhetische Zustand" gilt nicht nur als „mittlerer" Zustand, sondern zugleich als der (auch gegenwärtig) formal-vermittelnde. Er kann dann aber nicht mehr ohne weiteres für die historische Zäsur verschiedener Epochen des Geistes stehen. SCHILLER muß die Begründung für diese Doppelfunktion schuldig bleiben. Er demonstriert zwar, wie der schöne Schein den Einzelnen ändert, er postuliert aber bloß, daß dadurch eine allgemeingültige und eine umfassend wirksame Veränderung eintritt. Folgende Aporie nötigt ihn dazu, sich dieses Oszillieren in der Funktion des „ästhetischen Zustands" bzw. des schönen Scheins (bewußt oder unbewußt) zunutze zu machen: Die Briefe übernehmen HERDERS geschichtsphilosophischen Entwurf, der die Stufen der Bildung zur Vernunft umreißt. Diese
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teleologische Deutung der Geschichte bleibt aber solange ungesichert, wie sie nicht an wirklichen Verhältnissen ablesbar wird. Dafür nun wieder gibt die Situation selbst, gibt die .»Zerrissenheit der Zeit" keinen Anhaltspunkt. Die Situation läßt nur eine subjektive Vorbedingung der Verwirklichung des Schönen und damit der Vorbereitung von Vernunft und Freiheit zu, die Freiheit vom physischen Bedürfnis und die Aufklärung der Vernunft über ihr Vermögen. Im Reich des Schönen, in der ästhetischen Sphäre oder — mit SCHILLER noch enger auf die Subjektivität hin charakterisiert — im ästhetischen Zustand ist auch die Einbildungskraft von den Fesseln des PhysischWirklichen befreit, freigestellt zur Produktion eines Reichs des „ästhetischen Scheins" (2 6. Brief). Dieser ist als Reich der Schönheit nur dann aufrichtig (nicht Täuschung; sc. „wahr") und selbständig (sc. autonom), wenn er sich von „allem Anspruch auf Realität" und von allem „Beistand der Realität" lossagt. Solcher Schein darf in der moralischen Realität wirken, soll die bloß problematischen Vernunftideen in Wirklichkeit überführen können. Weil sich in der Realität selbst für dieses Reich kein Anhalt findet, d.h. weil die geschichtsphilosophische Konstruktion den „ästhetischen Zustand" nicht als eigene Epoche der Entwicklung faßt, sieht SCHILLER sich legitimiert, das Reich des Scheins nicht nur formal, sondern auch de facto von der Wirklichkeit zu trennen. Der Schein ist nicht nur selbständig gegenüber den Zwecken der Wahrheit und Moralität bzw. Freiheit, sondern hat sein eigenes Reich gegenüber Natur wie Vernunft. Dasselbe Reich des schönen Scheins soll nicht allein die Harmonie der Seelenkräfte des Einzelnen wiederherstellen, es soll zudem den interpersonalen Konflikt — den „Streit der Naturen" — sowie den Konflikt im „verwickelten Ganzen der Gesellschaft" lösen. Dazu müßte die Wirkungsweise dieses eigenständigen Reichs, dieses eigenständigen Phänomenbereichs auf die ihm widersprechende Realität der Natur wie der Vernunft expliziert werden. Mit anderen Worten: SCHILLER zeigt die Bedingungen für die Vollendung des Individuums unter widrigen Bedingungen auf, will aber durch die Darstellung der Triebkräfte und ihrer Resultate, die den Einzelnen zu Vernunft und Freiheit führen, zugleich eine Revolution des Staates vorbereiten. Er greift nämlich auf FICHTES Bestimmung des Staates zurück, übernimmt die Dualität von Rechtsstaat und ethischem Staat der Pflichten und meint, er könne durch seine ästhetische Konzeption FICHTES Forderung erfüllen, der Staat sei in „Gesellschaft" zu überführen. Der Rechtsstaat funktioniert in diesem Zusammenhang so, daß er diesen Übergang möglich macht, der Vernunftbegriff macht ihn notwendig, der ästhetische Staat allein aber wirklich, weil er den Einzelnen „gesellig" macht und so das Bedürfnis, das den Menschen in die Gesellschaft nötigt, im Individuum garantiert. Der Vorwurf, daß diese ästhetische Versöhnung „subjektivistisch" bleibe,^^ trifft insoweit, als die kritische Schillers Subjektivismus wird vor allem in der marxistischen Interpretation kritisiert; vgl. G. Lukdcs: Beiträge zur Geschichte der Ästhetik. VondieserPositionaus
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und reformierende Funktion des ästhetischen Staates mit dieser Begründung nicht gesichert werden kann. Es zeigt sich zumindest eine Diskrepanz zwischen der geforderten Funktion der Kunst, sc. ihrer politisch-gesellschaftlichen Bedeutung und dem begrifflich explizierten und gerechtfertigten Leistungssinn. SCHILLER selbst meint aber wohl, er könne durch den Hinweis darauf, daß die Individuen das Schöne als „Repräsentanten der Gattung" genießen (2 7. Brief), Selbständigkeit wie gesellschaftliche Funktion des Reichs des schönen Scheins gewährleisten (vgl. NA 22. 268, 273). Die kategorialen Mittel, mit denen SCHILLER sein Programm, gesellschaftliche Veränderung im Sinne von Vernunft und Freiheit durch die geschichtliche Funktion der Kunst zu gewährleisten, explizieren und begründen will, heben die Forderungen als ungerechtfertigt bzw. nicht zureichend gerechtfertigt teilweise wieder auf. Die Autonomie der Kunst und die eigene Sphäre des schönen Scheins führen, so wie sie definiert sind, nur zu dem Standpunkt, den SCHILLER schon vorher erreicht hatte, nämlich zur Explikation der Tatsache, daß der Einzelne seine Bildung zur „Menschheit" außerhalb der geschichtlichen Realität in einer Sonderwelt erreichen kann.
1.2.2 Schillers Griechenrezeption: Klassizismus oder Geschichtsreflexion in revolutionärer Absicht Dies Moment, das in den frühen Reflexionen schon enthalten war, entwickelt SCHILLER im Kontext seiner KANTrezeption ebenfalls weiter. Hier tritt an die Stelle der Annahme, daß die Bildung zu mündigem Handeln aus Vernunft eines von der historischen Welt getrennten Ortes zu ihrer primären, individuellen Realisation bedürfte, der Hinweis auf das Griechentum. Diese Überlegungen tauchen im Zusammenhang der formalen Bestimmung der ästhetischen Erziehung stets an den Stellen auf, wo es um den Nachweis geht, daß die bloß problematische Idee einer schönen Welt, eines Menschen, der mit dieser Welt in Harmonie lebt, Existenz wenn nicht hat, so doch haben könnte. Sie fungieren als Nachweis der Realisierbarkeit der formalen Konversucht allein H. Marcuse in einem z.T. selbstkritischen Essay die Bedeutung des Schein-Begriffs der idealistischen Ästhetik wieder hervorzuheben {Die Permanenz der Kunst; dazu Hegel-Studien. 13 (1978), 279 ff). Während v. Wiese in Schillers ästhetischer Versöhnung der realen Äntagonismen von physischer und moralischer Welt eine zureichende Vorbereitung der realen politischen Freiheit sieht, betont G. Rohrmoser von nicht-marxistischer Seite die Äporie, daß die Subjektivität bei Schiller „sich selbst Ursprung und Grund der Versöhnung" sei. Bei Schiller wird damit die „Ohnmacht der objektiven Vernunft endgültig" {Zum Problem der ästhetischen Versöhnung, 134), während Hegels Ästhetikkonzeption diese aufzuheben bestrebt und in der Lage sei.
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zeption. Deshalb liegt die Vermutung nahe, daß — wenn überhaupt — in diesen Exempeln der geforderte Bezug von Kunst und Wirklichkeit in der ästhetischen Theorie plausibel entwickelt wird. In der gängigen Auseinandersetzung mit der Ästhetik des deutschen Idealismus kommt dieser Aspekt in einer Weise in den Blick, die ihn von seiner Relevanz für die ästhetische Konzeption trennt. Der Verweis auf die Vollendung des Griechentums gilt als Jdassizistisches Relikt"^*, damit als Belastung der idealistischen Ästhetik durch ein dogmatisches ästhetisches Vorbild, durch ein inhaltlich ungerechtfertigtes ästhetisches Vorurteil. Von diesem gängigen Vorwurf des „Klassizismus" könnten allenfalls SCHILLERS erste (noch vor-kritische) Erwähnungen des Griechentums betroffen sein. In diesen frühen Überlegungen verweist er häufig und ganz im Sinne der von WINKELMANN und HERDER initiierten Hochschätzung griechischer Klassik auf das Griechentum als Muster und Vorbild einer Schönheit, die es
^*Noch H. R. Jauss behauptet in seinem Vergleich des Studium-Aufsatzes von F. Schlegel mit Schillers Behandlung des gleichen Problems in der Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung, daß nur Schlegel die „Querelle des Aciens et des Modernes" im fortschrittlichen Sinn entscheidet. Nur Schlegel gehe nämlich davon aus, daß auf die nachrevolutionäre bürgerliche Gesellschaft eine neue Kultur folgen müsse, in der die Kunst die Bedeutung zurückgewinnt, die sie im Griechentum hatte. {Schlegels und Schillers Replik auf die „Querelle des Anciens et des Modernes“). Hier wird übersehen, daß Schiller nicht nur den gleichen Anspruch erhebt, sondern daß er ihn auch begründet durchsetzen will. Das ist aber nur ersichtlich, wenn man die Abhandlung Uber naive und sentimentalische Dichtung aus dem Kontext der ästhetischen Schriften, z.B. der Briefe, interpretiert. — H. H. Ewers {Die schöne Individualität) geht zwar auf den Bezug der Antikerezeption zur Revolutionsbegeisterung ein, sieht aber — im Anschluß an Jauss — in der Griechenbegeisterung eines der Momente, die Schillers „restaurative" Tendenz begründen, sein politisches zu einem „Kunst-Ideal" verflachen. Ebenso interpretieren J. Haupt {Geschichtsperspektive und Griechenverständnis im ästhetischen Programm Schillers) und H.H. Schlaffer {Der Bürger als Held. bes. 313 ff). J. Haupt sieht den hier behaupteten Zusammenhang von Griechenrezeption und humanistischem bzw. politischem Ideal {Geschichtsperspektive und Griechenverständnis im ästhetischen Programm Schillers. bes. 421, 430) und weist auch auf Kaisers und Sautermeisters Idylleninterpretation hin (427 ff). Die konstitutive Bedeutung des Hinweises auf geschichtliche Vollendung für die Zukunftsperspektive, die die Kunst eröffnen soll, tut Haupt allerdings mit dem ironischen Hinweis ab, „politische Not" mache „auch zu erfinderisch". Die Verbindung von naiver und sentimentalischer Kunst, die Notwendigkeit ein Bild der Vollendung zu entwerfen, wenn man den „ewigen Fortschritt" der sentimentalischen Kunst nicht zum beliebigen Weg heruntersetzen will {Briefe an Körner von 21. 1. 1802; Bd 4. 336), wird dabei nicht berücksichtigt. — Die Sicht des Griechentums als Paradigma für die Humantität bereitet Goethes Winckelmann-Schrift vor. Vgl. HA 12. 97, 103; dazu M. Fuhrmann: Winckelmann, ein deutsches Symbol. 256 ff.
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wieder und in möglichst entsprechender Weise zu verwirklichen gilt.^’' Schon hier ist aber — vermittelt durch HERDERS Geschichtsbild — der Humanitätsgedanke leitend, denn es geht um eine Wiederholung nicht allein der vollendeten Kunst der Griechen, sondern zugleich um eine Wiederholung bzw. Neuherstellung der Bedingungen, unter denen sich eine solche Kunst entfalten kann (vgl. NA 20. 64 f). Die Beschäftigung mit der Antike, die Konfrontation der modernen Dichtung mit der Simplizität der Alten, reinigt also nicht allein den künstlerischen Geschmack,*® sondern der Verweis auf das „goldene Zeitalter" (NA 20. 55) dient dazu, für den Aufklärungsgedanken ein geschichtliches Vorbild zu finden. Dieses Vorbild enthält anstelle des Aufklärungsgedankens die Wirklichkeit und erlaubt den Schluß auf die Bedingungen zu ziehen, die zu erfüllen wären, um den Schritt vom Programm zur Realisation zu vollziehen. Entsprechend den frühen Reflexionen enthalten selbst SCHILLERS „klassizistisch" erscheinende Überlegungen einen weitergehenden Sinn. Im Brief eines reisenden Dänen (1785) gibt SCHILLER zunächst eine Beschreibung der Antiken der Mannheimer Sammlung, die von derjenigen seiner Vorbilder (LESSING, WINCKELMANN, GOETHE ) kaum unterscheidbar ist.*^ Er schließt aber Hierzu W. Schadewaldl: Der Weg Schillers zu den Griechen, 225-232; ders., Schillers Griechentum, 258-270; Schadewaldt weist auf antike Vorbilder der frühen Dramen hin, die auch für den späteren Versuch, den Gebrauch des Chors in der Tragödie wiederzubeleben, wichtig sind (in der Braut von Messina und — so plant es Schiller — in den Malthesern). Schillers Umgang mit Ph. K. Moritz im Kreise Wielands führt zur Griechenbegeisterung im Sinne Goethes und zur intensivierten Lektüre griechischer Dichter. — B. von Wiese sieht die Griechenbegegnung schon durch die Erziehung der Karlsschule vorbereitet. Cassirer setzt Goethes, W. von Humboldts und Schillers "geschichtsphilosophische Ansicht über das Griechentum" gleich und sieht dann in den Einflüssen Winckelmanns und Herders einen „Klassizismus", der micht unmittelbar" in Schillers „ästhetischem Grundprinzip wurzelt" (Freiheit und Form. 300, 302). F. W. Wentzlaff-Eggebert (Schiller und die Antike, 317-333; Schillers Weg zu Goethe. 281-317) weist auf die Begegnung mit Heinses Ardinghello als konstitutives Moment der Griechenbegeisterung hin. Zum Einfluß Heinses vgl. auch A. Beck: Griechisch-Deutsche Bewegung: weitere Hinweise auf die — wie Wentzlaff-Eggebert betont — dcaum analysierte" Antikenrezeption Schillers finden sich bei W. Rehm: Griechentum und Goethezeit; bes. 228 bei R. Buchwald: Schiller; bei E. Müller: Der junge Schiller; bei Th; Meyer: Der Griechentraum Schillers und seine philosophische Begründung, 125-153. *® Vg. Schillers Brief an Körner vom 20. August 1788; Bd 2.102 ff. Daß selbst diese Beschäftigung mit dem Griechentum zu keinem nachweisbaren „Klassizismus" führt, zeigt Schillers Auseinandersetzung mit Goethe. Vgl. Anm. 43. *’Dazu Lessings Laokoon; über Lessing vermittelt wird auch Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums (1764) bedeutsam, ln Dichtung und Wahrheit erwähnt Goethe gegen Ende des zweiten Buchs seinen Besuch im Mannheimer
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mit einer Reflexion auf den Zweck der Antikenrezeption, der sich von der klassizistischen Konzeption absetzt. Weder Vorbild noch Muster für die Kunst wird gesucht oder gefunden, sondern eine Herausforderung, eine „Ausfoderung des griechischen Volks an alle Völker der Erde", die darin liegt, „daß ein Volk da gewesen, das einem Künstler... Ideale gab — daß dieses Volk an Wahrheit und Schönheit glaubte, weil einer aus seiner Mitte Wahrheit und Schönheit fühlte — daß dieses Volk edel gewesen, weil Tugend und Schönheit nur Schwestern der nemlichen Mutter sind" {NA 20. 106). Selbst der aufklärerische Impetus zu religiöser Mündigkeit scheint bei den Griechen vorbildlich verwirklicht, denn sie „mahlten ihre Götter nur als edlere Menschen, und näherten ihre Menschen den Göttern. Es waren Kinder einer Familie" {NA 20. 105). Veredlung, Vervollkommnung des Charakters ist also Ziel und Zweck der Beschäftigung mit der antiken Kunst.Sie wird in der lebendigen Erfahrung zum Hinweis auf ein Ziel, das die Kunst wieder erreichen soll. Alle Aporien, die die Konzeption der ästhetischen Erziehung zu beseitigen hätte, scheinen in diesem Vorbild vermieden, die Poesie (mithin die Weltanschauung und die Bestimmung des Menschen) verwirklicht bei den Griechen „ohne Begriff" jenen Entwurf, den die ästhetische Konzeption eigens rechtfertigen will. Als erstes scheint der Kantische Dualismus {NA 20. 282 f) überbrückt. In der. Verknüpfung der „Freiheit, die nur im Olympus zu Hause ist", mit dem „Geschäfte der Sinnlichkeit" wird der Gedanke der „schönen Seele" ebenso Antikensaal. Eine in die Verwandtschaft dieser Rezeption der griechischen Antike gehörende Definition der Einheit von Güte, Weisheit, Wahrheit, die jeweils, sinnlich gestaltet, Schönheit seien, gibt auch Herder {Bemerkungen bei Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke, ln; Sämtliche Werke. Hrsg. Von B. Suphan. Bd 8. 106). Zu Schillers Beschreibung der Antiken im Mannheimer Antikensaal vgl. Zeller: Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Belvedere, 78-80; dazu H. Hatfield: Schiller Winckelmann and the Myth of Greece. 122 f. Diese Bestimmung der Nachahmung der Griechen ersetzt den ansonsten unterstellten automatischen Übergang von Vernunfteinsicht in Vernunfteinrichtung. Schiller kann auch diesen Gedanken als Grund dafür verwenden, daß die erzieherische Funktion „auf Dauer" gestellt werden muß. Siehe dazu: Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Zur Interpretation vgl. B. von Wiese: Schiller. 466, 480; E. Cassirer: Freiheit und Form. 204. In beiden Interpretationen bleibt offen, warum eine solche geschichtsphilosophisch reflektierte Konzeption der Bedeutung des Griechentums für die Moderne sich von einer bloßen Wiederbelebung des Winckelmannschen Schönheitsideals unterscheidet. Von Wiese spricht zwar von „geschichtsphilosophischer Benutzung" des Griechentums, klärt diese Redeweise aber nicht weiter; Cassirer nimmt eine formale Übereinstimmung zwischen einer von Herder inspirierten Auffassung der Geschichte (als Organismus) und Kunst an, klärt damit aber ihr Zusammenstimmen nicht weiter als Schiller selbst.
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wie das Ideal der Schönheit, in dem der „Ausdruck der Menschheit" sich vollendet (NA 20. 300), vorab realisiert. Die Grazie der schönen Gestalten ist das Indiz der glücklichen Verknüpfung „jeder Handlung des Instinkts an dem Menschen" mit einem „Ausdruck seiner sittlichen Bestimmung" (NA 20. 255); die Würde manifestiert sich in der Darstellung des Leidens. So vereinigen die Werke griechischer Kunst Anmut und Würde, sie sind nach dem „Ideal menschlicher Schönheit" (NA 20. 301) gebildet. Denn es unterschied „das zarte Gefühl der Griechen... frühe schon, was die Vernunft noch nicht zu verdeutlichen fähig war" (NA 20. 252). Wo SCHILLER in den Kallias-Briefen um ein objektives Prinzip der Schönheit bemüht ist, da gilt ihm der Hinweis auf die griechische Kunst, auf die schöne menschliche Gestalt, als Beleg für die objektive Schönheit. Hegel übernimmt diesen Gedanken und verschärft ihn noch. Schönheit der Gestalt als Schönheit der menschlichen Gestalt findet da ihre Vollendung, wo sie zur Gestalt Gottes wird. Für die griechische Kunst gilt als erfüllt, was die ästhetische Theorie für die Kunst überhaupt postuliert, daß in der Schönheit „die Vernunft ihre Forderung in der Sinnlichkeit erfüllt" sieht und daß ihr überraschend „eine ihrer Ideen in der Erscheinung" entgegentritt (NA 20. 302). In den Briefen (bes. im 6. Brief) integriert SCHILLER (zweitens) diese Funktion der Kunst der Vergangenheit seiner Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst. Durch die Poesie und ihr Menschenbild bildeten sich Individuum und Staat auf vollendete Weise im Sinn der aufklärerischen Vernunft- und Freiheitsforderung. Die Kunst erfüllte die ihr programmatisch zugedachte Funktion der ästhetischen Erziehung, weil sie zur Gestaltung der Wirklichkeit im Sinne der Menschheitsforderung fortschritt. Wie HERDER betont SCHILLER hier, daß die Griechen eine Nation waren, die sich durch ihre Poesie und ihre Tragödie konstitutierte. Den Griechen wurde im „vaterländischen Inhalt der Stücke" ihre spezifische Geistigkeit, „das große überwältigende Interesse des Staats, der besseren Menschheit" (NA 20,1. 99) vor Augen geführt. Im Gegensatz zur Moderne bleibt diese staatsbildende Funktion der Kunst aber nicht reines Postulat, sondern kann als geschichtliche Wirklichkeit angesehen und zum Beleg der Durchführbarkeit der ästhetischen Erziehung herangezogen werden, wie zum Beleg, daß ihre Ziele erreichbar sind. Damit verbindet sich dann eine nicht allein pragmatische Relevanz des Griechenverweises, sondern als drittes Moment eine eigens thematisierte theoretische Bedeutung. Die im Programm der ästhetischen Erziehung entworfene Alternative, die wirkliche Welt, die durch die Welt des schönen Scheins vorbereitet werden soll, zeigt sich nicht allein in dem Sinn als notwendig, daß sie gefordert werden muß. Sie ist zugleich in dem Sinn notwendig, daß sie — aus der Wirklichkeit darf bekannterweise philosophisch auf die Möglichkeit geschlossen werden — in der Geschichte realisierbar ist. SCHILLER entwickelt diesen Gedanken im 15. Brief in seiner Argumentation für die
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Notwendigkeit des Spieltriebs, der zunächst Forderung der Vernunft ^us transzendentalen Gründen" ist. Für Vernunft wie Erfahrung bleibt aber problematisch, wie das hieraus gewonnene Postulat wirksam werden kann, es solle eine vollendete Menschheit existieren, das mit dem indentisch gesetzt wird, es solle eine Schönheit sein. Was für „Menschheit" wie ihre anschauliche Selbstvergewisserung, die Schönheit, „immer nur Idee" (16. Brief; NA 20. 360) bleibt, sich weder durch eine aus dem Begriff resultierende Realität noch (gegenwärtig) durch die faktische legitimieren kann, gewinnt Realität im Verweis auf die Kunst und das geschichtliche Leben der Griechen. In ihren Göttergestalten zeigt sich wahre Freiheit als Resultat einer „höheren Notwendigkeit", in der sich „sowohl der materielle Zwang der Naturgesetze als der geistige Zwang der Sittengesetze verlor". An dieser Stelle fügen sich die Zielvorstellungen von SCHILLERS vorkritischen Überlegungen in die an KANT orientierte Konzeption ein. Denn der Mensch gewinnt — wie SCHILLER es im Brief eines reisenden Dänen ausführte — seine Einheit mit dem Göttlichen auf dem Boden der Kunst. Menschliche Natur wird sich im Bereich der Anschauung als Gattung bewußt, weil die Kunst die menschliche Natur „in einem herrlichen Götterkreis vergrößert auseinanderwarf... so daß der einzelne Gott die ganze Menschheit repräsentiert". Grundlage dieser Leistung der Kunst ist die Einheit von Schönheit und Wahrheit, die Vertauschbarkeit ihrer Bereiche und Methoden und notwendiges Resultat dieser Einheit wiederum dievon Schönheit und Tugend, bzw. ihrer Konsequenz, der Glückseligkeit. Dies gilt nicht nur für den Einzelnen, die „harmonische Totalität des Charakters", sondern zugleich für die Gattung. Denn der Grieche empfängt als Repräsentant der Gattung seine Gesetze nicht durch „Repräsentation aus der zweiten Hand", sondern aus jener Einheit von Selbst- und Weltverwirklichung, die der Geist in Anschauung und Empfindung durch seine poetische Spekulation bzw. spekulative Poesie stiftet: durch die Schaffung eines Götterkreises als Bild der wahren und ganzen Menschheit. Hier könnte die Überlegung der Briefe, wie Vernunftpostulat, Situation und institutionelle Garantie der Vernunft und Freiheit (Legalität) zusammen wirklich werden können, bei WINCKELMANN enden, für den der „einzige Weg für uns, groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden" die Nachahmung der Alten ist. Sie allein scheint zu garantieren, daß die Vernunft- und Freiheitsforderung als Alternative konzipiert und gegen die Realität durchgesetzt werden kann, daß also die Konzeption der ästhetischen Erziehung überhaupt einen Anhaltspunkt und eine inhaltliche Ausrichtung erhält. Die Tragweite der Griechenrezeption zeigt eindeutig in SCHILLERS Plan, eine neue Form der Idylle zu entwickeln. SCHILLER greift hier auf seine vorkritische Konzeption zurück und versucht, die „Eigenwelt", die er in der Kunst als Residuum der Bildung zur Humanität entwirft, den Bedingungen anzupassen, die im Kontext der ästhetischen Erziehung für die Funktion des schönen Scheins entwickelt wurden. Vor allem geht es darum, die Beziehung
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zwischen dem Reich des schönen Scheins, dem ästhetischen Staat, und der Wirklichkeit zu garantieren. Die Idyllenkonzeption schließt deshalb die beiden bislang getrennt laufenden Argumentationen zusammen; sie verbindet m.a. W. die zeitgeschichtliche Dimension der Bildung durch Kunst (sc. die programmatische Bestimmung der Funktion der Kunst im Anschluß an KANT)'*I und die innerästhetische Frage nach der Funktion der Klassik. Hier wird zugleich eindeutig klar, daß SCHILLER seine Griechenrezeption nicht als Ausrichtung der Poesie an einem „Muster" sieht, sondern sie als konstitutives Moment seiner Ästhetik in revolutions- bzw. gesellschaftskritischer Absicht betrachtet. In der Idylle wird der gegenwärtigen künstlichen bzw. Reflexions-Kultur eine vergangene Situation der Harmonie von Natur und Mensch entgegen gehalten. Der thematisierte Zustand „der Harmonie und des Friedens mit sich selbst" fungiert hier aber nicht als „Paradies", „Stand der Unschuld" oder „goldnes Alter" der Völker {NA 20. 468) und Inidividuen vor aller Kultur. Er erscheint im Gegenteil als letztes Ziel, Zweck der Kultur. Nur „die Idee dieses Zustandes... und der Glaube an die mögliche Realität desselben" versöhnt mit den Übeln, denen der Mensch im Prozeß der Kultur unterworfen ist. Da in der Situation des Fortschritts der Kultur dieser Zustand jeweils noch nicht verwirklicht ist, liegt „unendlich viel" daran, „von der Ausführbarkeit jener Idee in der Sinnenwelt, von der möglichen Realität jenes Zustandes eine sinnliche Bekräftigung zu erhalten" {NA 20. 468). Diese Antizipation ist aber nicht in der Realität selbst, sondern nur in der Dichtung möglich und die Idylle bestimmt sich begrifflich aus dieser Hoffnung auf Vollendung als Triebfeder menschlichen Handelns. Die bislang bekannte Idyllendichtung entspricht dieser programmatischen Forderung allerdings nicht, denn sie thematisiert die Harmonieforderung im Rückgriff auf eine vor- oder außerkulturelle Situation. Im Kontext des ästhetischen Programms wird diese sog. „arkadische Idylle“ als bloße Verklärung der Vergangenheit (als die sentimentalische Form der Harmonie von Mensch und Natur, die eine unvertretbare Übergewichtung des sinnlich-natürlichen Elements impliziert) uninteressant. SCHILLER versucht deshalb, eine neue Form der Idylle durch den Rückgriff auf das Griechentum und seine Mythologie (sc. Weltdeutung, in der sich Religion, Schönheit und Humanitätsgedanke zusammenschließen) zu entwickeln. Von diesem Versuch zeugt sowohl seine Auseinandersetzung mit BüRGER und MATTHISSON (1791 und 1794), er prägt aber auch schon die GoEXHEkritik und führt zur Umwertung des „modernen Griechentums", das SCHILLER in GOETHES Dichtung verwirklicht ^iH. Freier geht in seiner Untersuchung Die Rückkehr der Götter dem Zusammenhang von Griechenverweis und Kantianismus nach. Seine Prämisse ist allerdings die, daß die Beschäftigung mit dem Griechentum die Religionsidee ablöse. Die Religion, die an den Grenzen der Vernunft scheitern muß, wird durch Kunst ersetzt bzw. — wie sich in Hegels Bestimmung der romantischen Kunst zeigt — gestützt.
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sieht. GOETHE hat in der Iphigenie — zwar bezeichnenderweise im Wahn des Orest sc. in der zugleich religionskritischen Thematisierung religöser Weltdeutung — den „einzig möglichen Platz" genutzt, „um die schönere Humanität unserer neueren Sitten in eine griechische Welt einzuschieben und so das Maximum der Kunst zu erreichen" {NA 22. 234). Im (brieflichen) Gespräch mit W. VON HUMBOLDT schließt SCHILLER sich dieser alternativen Form der Idylle — der „elysischen Idylle“ — an und legt die thematischen Direktiven dieser Dichtung fest. Als Kontrast zum frühen Gedicht Der Spaziergang aber auch gegenüber dem Gedicht Das Ideal und das Leben muß die Idylle auf der einen Seite den äußersten Stoff für den modernen Poeten enthalten, nämlich den Übergang des „Menschen in den Gott" (NZl 28.119) unddarf auf der anderen Seite „die menschliche Natur nicht verlassen". Auf diese Weise soll es gelingen, das „Ideal der Schönheit objektiv zu individualisieren" und das Gemüt von „allem Unrath der Wirklichkeit" zu befreien (NA 28. 120). Angesichts der Tatsache, daß SCHILLER dieser zunächst inhaltlichen Festlegung in seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (im gleichen Zeitraum: um 1795) ein formales Rückgrat gibt, kann man wohl nicht vom „Scheitern" dieses Projekts reden. Zwar bringt SCHILLER es in der poetischen Realisation bloß zu einigen Ansätzen und Entwürfen, seine spätere Dramendichtung behält aber den hier formulierten Zweck bei.^^ Im Zuge der genannten Abhandlung fordert SCHILLER — was die geläufige Interpretation meist als irrelevant überspringt —, man solle naive und sentimentalische Dichtung nicht einander unterordnen, sondern „unter einem höheren idealischen Gattungsbegriff einander" koordinieren.^3 Versuchsweise wird Brief an v. Humboldt vom 29./30.11.1795; NA 28. 118 f; vom 21. 3. 1796; NA 28. 205; vgl. auch den Brief an Goethe vom 14. 9. 1797; NA 29. 130-133. In bezug
auf die sentimentalische Dichtung wird hier nochmals bestimmt, was zum Poeten und Künstler gehört; nämlich: daß er sich über „das Wirkliche erhebt und daß er innerhalb des Sinnlichen stehen bleibt. Wo beides verbunden ist, da ist aesthetische Kunst ... Die Reduction der Formen auf aesthetische ist die schwierige Operation, und hier wird gewöhnlich entweder der Körper oder der Geist, die Wahrheit oder die Freiheit fehlen" {NA 29.131). — Vgl. auch aus dem Briefwechsel um den Gebrauch des Chors in der Tragödie und um die Braut von Messina die Briefe an Goethe vom 24. 5. 1803 (Bd 7. 43); und an Körnervom 13. 5. 1801 (Bd 6. 276 f); vom 9. 9.1802 (Bd 6. 414 f); vom 1. 11. 1802 (Bd 6. 426 f); vom 10. 3. 1803 (Bd 7. 23 f). ■>3 Hier ist vor allem Schillers Auseinandersetzung mit W. von Humboldt und mit (bzw. über) Goethe aufschlußreich. Die Charakteristik von „Goethes Griechentum" wird symptomatisch für die Festlegung, in welcher Weise ein Griechentum unter den Bedingungen der Moderne wiederholbar ist. Goethe erscheint Schiller als ein „griechischer Geist" unter weniger glücklichen Bedingungen. Statt in der „auserlesenen Natur" unter griechischem, lebt er unter nordischem Himmel. Er ist in eine „nordische Schöpfung" gestellt, und gezwungen, auf dem Umweg über die Reflexion die ursprüngliche Harmonie wieder zu gestalten: „gleichsam von innen heraus auf rationa-
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diese Dichtung der Zukunft, die den Anforderungen des Programms der ästhetischen Erziehung entspricht, als „idealische" Dichtung umschrieben. Auf jeden Fall liegt für SCHILLER ihre Bestimmung fest und er versucht, sie in seinem Gesamtwerk zu realisieren: „ Die Sitten, den Charakter, die ganze Weisheit ihrer Zeit müßte sie, geläutert und veredelt, in ihrem Spiegel sammeln und mit idealisierender Kunst aus dem Jahrhundert selbst ein Muster für das Jahrhundert erschaffen" (NA 22. 246). Mag für die aktuelle ScHiLLERinterpretation die unscheinbare Stelle inmitten der Abhandlung Uber naive und senlimenlalische Dichtung als belanglos gelten, die nähere Umschreibung beweist das Gegenteil. SCHILLER formuliert seine Idyllenkonzeption nicht nur derart, daß sie sich sachlich in den argumentativen Gang der Briefe einfügt; er thematisiert darüberhinaus eben in dieser formalen Bestimmung die Momente seines ästhetischen Programms und der Durchführung des Programms in den eigenen Werken, die in der zeitgenössischen Rezeption aufgegriffen und weitergeführt werden. Es findet sich nämlich nicht allein bei Hegel eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Bestimmung der Kunst, auch SCHELLING übernimmt diese Bestimmung noch in seine Philosophie der Kunst, er wiederholt sie in seinem
lern Wege ein Griechenland zu gebären" (Brief an Goethe vom 23. 8. 1794; NA 27. 25). Diese Rationalität steht der naiven Unmittelbarkeit als „eine Arbeit mehr" bevor, denn die „logische Richtung, welche der Geist bei der Reflexion zu nehmen genötigt ist, verträgt sich nicht wohl mit der ästhetischen, durch welche allein er bildet". Goethe muß das leisten, wozu — wie Schiller im Brief an Körner vom 23. 2.1793 (Bd 3. 265 ff) ausführt — die Sprache als Medium der Poesie allgemein zwingt: „rückwärts Begriffe wieder in Intuition umsetzen und Gedanken in Gefühle umwandeln". Was dadurch der Poesie an Vollendung abgeht, gewinnt dieses Verfahren aber an „Geist". — Im Briefwechsel mit v. Humboldt geht er auf die Auseinandersetzung mit der griechischen Antike in eben diesem Sinn ein. Während von Humboldt Schiller selbst mit den Griechen vergleichen will, weil ein poetischer Geist beide verbinde, obwohl Schillers „Produkte gerade das Gepräge der Selbstthätigkeit an sich tragen" (Brief vom 6. Nov. 1795; NA 36, 1.8), hält Schiller an dem kulturellen Unterschied fest. Gleichzeitig rühmt er sich aber, mit seiner idealischen Dichtung den Griechen Ebenbürtiges zu leisten; vgl. Brief an v. Humboldt vom 8. 9.1795; NA 28. 22 f; vom 29./30. 11.1795; NA 28. bes. 118 f. — Auch in der Kontroverse um die Einschätzung Homers akzentuiert Schiller diese Stellungnahme gegen von Humboldt; vgl. seinen Brief an V. Humboldt vom 26. 10. 1795; NA 28. bes. 84 f; dazu p. Humboldt an Schiller vom 18. 12. 1795; NA 36, 1. 55-58, bes. 56. Angefacht wurde diese Kontroverse durch v. Humboldts Aufsatz Über das Studium des Alterthums und des griechischen insbesondere, den er vor der Veröffentlichung an Freunde, u.a. an Schiller, schickte; vgl. Schillers Randbemerkungen (NA 21. 63-65) sowie seine Lehrstücke Vom Erhabenen (NA 20. 171 ff) und Über tragische Kunst (NA 20. 148 ff), die die Modifikation der Griechenrezeption nach der Auseinandersetzung mit Kant in eben dieser Weise belegen.
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Dflnfe-Aufsatz beinahe wörtlich als Definition der Kunst der Moderne (vgl. GW. 4. 487 U.Ö.). In der „elysischen Idylle" fungiert der Rückgriff auf das Griechentum als Bereitstellung der Bedingungen, eine zur bestehenden Welt alternative Zukunft zumindest ins „Bild" zu fassen. Diese Idylle hat — was in der ScHiLLERinterpretation vor allem im Anschluß an B. VON WIESE oft betont, aber kaum je präzise umschrieben wird — utopische Funktion. Sie entwirft unter den Bedingungen der „Moderne" in der Kunst eine Welt, die das Menschheitspostulat (die Forderung nach mündigem, freien Vernunftgebrauch im geschichtlichen Handeln) realisiert. In der Idylle wird das Ziel der Kultur anschaulich dargestellt, hier wird die Zukunft entworfen, die im Handeln verwirklicht werden muß. Allerdings leistet die Idylle dies dadurch, daß sie uns „theoretisch rückwärts" führt, „indem sie uns praktisch vorwärts führen und veredeln" will (NA 20. 469). Leitet der Dichter den „Menschen, der nun einmal nicht mehr nach Arkadien zurückkann, bis nach Elisium" (NA 20. 472), dann gilt die Idylle zurecht als „Ideal der Schönheit auf das wirkliche Leben angewendet". Die Welt erscheint hier als Harmonie des Individuums und der Gesellschaft, als Ort der „freyen Vereinigung der Neigungen mit dem Gesetze", als eine „ zur höchsten sittlichen Würde hinaufgeläuterte Natur" (NA 20. 472). Weil das Ziel, wo es ins Bild gefaßt wird, aber in die Vergangenheit verlegt werden muß, bleibt auch in dieser Konzeption der Dichtung kein Anhaltspunkt für eine zur Tätigkeit motivierende Hoffnung. In der Darstellung des Ideals als wirklicher Welt ist man gezwungen, zu Mitteln zu greifen, die im Zusammenhang der Forderung nach mündigem Vernunftgebrauch als unNormalerweise wird deshalb in der Schillerinterpretation die „utopische" Versöhnung auch von ihrem Paradebeispiel getrennt erörtert. Dafür ist von Wieses Schillerdeutung maßgeblich, denn er trennt zwischen einer (l) Zukunftsutopie, (2) der „mehr konservativen Kategorie des utopischen Denkens", die die Vollendung in die Vergangenheit projiziert und (3) der Utopie des Ästhetischen. Diese ist von den „realen" Utopien unterschieden (Utopie des Ästhetischen, 83). Die „Rolle des Ästhetischen für das Politische" bleibt allerdings ungeklärt (ß. von Wiese: Schiller. 497 f, vgl. 503 ff; dazu als eine Folgeinterpretation: G. Schulz: Schillers Horen, 7 ff). — Schiller selbst betont die Zukunftsperspektive seines Vergangenheitsverweises, sc. die utopische Funktion des Hinweises auf das Griechentum: Die Griechen „sind, was wir waren; sie sind, was wir wieder werden sollen. Wir waren Natur, wie sie, und unsere Kultur soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freyheit, zur Natur zurückführen. (Sie sind) ... also zugleich Darstellung unserer verlornen Kindheit... (wie) unserer höchsten Vollendung im Ideale" (NA 20. 414). Überdies umschreibt er diese vollendete Humanität mit den Kategorien seiner frühen philosophischen Reflexionen als Einheit von Neigung und Moralität, Sinnlichkeit und Vernunft (NA 20. 436 f; 431 f vgl. dazu im einzelnen A. Gethmann-Siefert: Idylle und Utopie sowie Vergessene Dimensionen des Utopiebegriffs, 119 ff.
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zureichend gelten müssen. Das Streben nach selbstgesetzlicher Freiheit wird durch „erkaufte Ruhe" gestillt. Der „Genuß der Menschheit als Idee", wie ihn auch die Idylle in der Harmonie von Natur und Mensch in der griechischen Mythologie thematisieren würde, wird auf die Rezeptionsweise eingeschränkt, die SCHILLER für die sentimentalische Dichtung entwickelt. Die Utopie im Bild der vollendeten Welt zerfällt, konfrontiert man sie mit der geschichtlichen Wirklichkeit, in einen unendlichen Progreß (NA 20. 415). Für die moderne Kultur kann man den Stand der Kindheit der Vernunft nicht wieder anstreben, wohl aber gewisse Momente dieser vergangenen Wirklichkeit auszeichnen: nämlich die, die als Ziel der Kultur gelten dürfen. Auch hier wirkt es problematisch, daß Schiller fordert, unsere Kultur solle „auf dem Wege der Vernunft und der Freiheit zur Natur" zurückgeführt werden (NA 20. 414). Die Rückführung muß in dem Sinn Fortschritt bleiben, daß die Reflexion als Versicherung von Vernunft und Freiheit nicht ausgeblendet wird. Zwar bleibt dieser Weg auch für die Kunst verbindlich, aber das Resultat ändert sich. Die Vollkommenheit der Griechen war nicht ihr Verdienst, weil sie Werk der Notwendigkeit blieb, die der Modernen wird ihr Verdienst sein müssen, weil sie nur als Werk der Freiheit realisierbar ist. Es bleibt müßig, hier den Gedanken fortzuspinnen, ob SCHILLER ZU einer anderen Beurteilung der utopischen Funktion des Rückverweises an die schon einmal geschichtlich erreichte Vollendung gekommen wäre, hätte er sich — wie nach ihm Hegel — die griechische, durch die Dichtkunst vermittelte Sittlichkeit einer Nation vor Augen geführt. SCHILLER erschöpft weder die Tragweite seines Gedankens, wie eine geschichtliche Vergangenheit zum utopischen Entwurf einer Zukunft werden könnte, noch ergreift er die Möglichkeit, den formalen Standpunkt des KANXianismus zu überwinden. Diese Möglichkeit bietet sich hier an und Hegel wird sie an eben diesem Punkt durch seine Forderung einer „Mythologie der Vernunft" ausschöpfen. Für SCHILLER bleibt die „ästhetische Welt" eine ganz andere als die vollkommenste PLATONische Republik" (Brief an Körner vom 23. 2.1793; Bd 3. 265 ff). Er entwickelt stattdessen aus der Einsicht, daß auch die erweiterte Form der Idylle den erforderlichen theoretischen Schritt von der Idee und vom Ideal zur Realität nicht leisten kann, seine Konzeption der kulturvarianten Funktion der Kunst. Zunächst betont er die Gründe, aus denen eine „Mythologie", ein Bild der Welt im Ganzen, für die Gegenwart nicht mehr die griechische Vergangenheit als Zukunft darstellen kann. Ein erstes Zeugnis für die Tatsache, daß SCHILLER seine eigene Überlegung modifiziert, liefern seine Griechenlandgedichte, auf die Hegel sich immer wieder beruft. Deren verschiedene Fassungen belegen den Übergang von der Annahme, im Griechentum sei die Realisation des bloß „problematischen" Humanitätsideals nachgewiesen, zur Einsicht, daß der Vergangenheitscharakter diese Wirklichkeit auf denselben Status restringiert, den KANT der Vernunftidee zumißt. Deshalb heißt es in
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den Göttern Griechenlands (in der Fassung von 1800), daß die Einheit von Gottheit und menschlicher Natur bloß im Schattenreich der Poesie Dasein gewinne. In den Ki2 denn Hegel stellt seine Überlegungen in den ästhetischen Kontext, den SCHILLER mit KANT und durch FICHTE vermittelt artikulierte. Schönheit soll als „Symbol der Sittlichkeit" konzipiert werden, jedoch so, daß die geschichtliche Funktion dieses Symbols mitthematisiert wird.®^ Für Hegel heißt das: die
Hegel definiert seinen Begriff des Ideals explizit gegen Kants „bloßes" Ideal. Das Ideal einer Religion ist, wie später das Kunstideal, ein Entwurf der geschichtlich-möglichen gegen die faktisch-wirksame Gestalt der Religion. Hegel kennzeichnet es aber durch „Lebendigkeit" gegenüber der starren Gesetzesbefolgung und nimmt diese Charakteristik immer wieder auf, in den Nürnberger Schriften ebenso wie in den Berliner Ästhetikvorlesungen; vgl. Nohl. 142, 143. Bezeichnenderweise entwickelt Hegel diesen Gedanken im Zusammenhang seiner Überarbeitung der PositivitälsSchrift im September 1800. Er knüpft damit an seine früheren Überlegungen (1795 und 1796 im ältesten Systemprogramm) an, modifiziert sie aber in einer Tendenz, die sich in der endgültigen Bestimmung des Ideals als des Daseins oder der Existenz der Idee vollendet. Zunächst ist der Bedeutungswandel dadurch bestimmt, daß Hegel über die nur negative Kritik der Positivität von Anfang an hinauszukommen versucht und deshalb in der Überarbeitung, um Kant endgültig zu überwinden, die Möglichkeit formuliert, daß Moralität des Einzelnen durch Handlungstraditionen in Institutionen übergeht, also zum Prinzip an sich „legaler" Gebilde wird. Im Übergang zwischen diesen beiden Konzeptionen der „Positivität" der Religion stehen die im Folgenden interpretierten Reflexionen. ^^So K. Düsing: Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel, 101 ff. — Über die folgenden Versuche ließe sich als Motto Hegels eigene Behauptung stellen: „Der positive moralische Begriff ist fähig, den Charakter der Positivität zu verlieren, wenn die Tätigkeit, die er ausdrückt, selbst entwickelt wird und Kraft bekommt" Wohl. 375). Hegel integriert in seine Bestimmung der Schönheit an dieser Stelle, ohne es explizit werden zu lassen und (wahrscheinlich) ohne sich dessen bewußt zu sein, Kants und Schillers Bestimmung der Erhabenheit. Schon darin zeigt sich eine Konse-
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Schönheit gilt als Charakteristik des geschichtlich wirksamen, d.i. faktischen Handelns und zugleich als Maßstab dafür, wann ein Handeln dem Ideal entspricht, das Ideal realisiert. Auch diese zweite Komponente, die Angabe der konstitutiven Bedingung, die ein faktisches Tun als moralisch ausweist, fixiert Hegel wieder an einer geschichtlichen Realität: an der Gestalt einer Religion, die solches Handeln zur Grundlage hat und es als gemeinsames Handeln durchsetzt, sc. der .„schönen" Religion. In der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit wird die Vollendung der Welt im Sinne der Humanitätsforderung erfahrbar, zugleich gibt sie aber das Kriterium dafür ab, wann und ob geschichtliches Handeln in dieser Intention geschieht. Die in der Schönheit erfahrbare Vollendung erscheint als Alternative gegenüber der bestehenden Welt ( der Situation der „Zerrissenheit") und wirkt als Aufforderung, diese Situation zu überwinden. Hegel wiederholt damit im Kontext seiner Religionskritik SCHILLERS Konzeption der (elysischen) Idylle. Wo die Welt de facto die Verwirklichung der „Menschheit" verhindert, da wird die „Menschheits"-Forderung im Individuum, und zwar im Handeln des Individuums gegen die Wirklichkeit, aufrechterhalten. Im „Empirisch"-Schönen, nämlich im „schönen Handeln" des Tugendlehrers, wird die Möglichkeit eröffnet, daß die geschlossene Welt der
quenz der Modifikation des Ideals der Volkserziehung zu einem geschichtlichen Programm, näherhin eine durchgreifende Modifikation des Kantischen Ansatzes. Da die in die Schönheit integrierte Charakteristik der Erhabenheit zudem vom Verhältnis Individuum — Natur auf das Verhältnis des individuellen Handelns zur Geschichte übertragen wird, gewinnt Hegel die Möglichkeit, nicht nur im Untergang des moralischen Wesens die Realisierung seiner „Menschheit" gegen die quasi-natürlichen Bedingungen zu sehen, sondern in der Veränderung der Bedingungen selbst. Vgl. dazu Schiller: Über das Erhabene. NA 21. 38 ff. Als wahrscheinlicher Anknüpfungspunkt kommt hier Herders Kalligone in Betracht. Schiller nimmt diese Umdeutung Kants in seine Bestimmung auf, und auch für Hegels Bestimmung der Unendlichkeit der menschlichen Vernunft ist Herders Formulierung des Problems ein Anstoß. Die Erfahrung des „Erhabenen" stürzt den Menschen nicht ins „Grenzen- und Bodenlose", sondern ermöglicht ihm die Erfahrung der eigenen Größe. Eine weitere Auseinandersetzung mit Kants Ästhetik mag Hegel aus der Literatur gekannt haben, nämlich D. ]enisch: Über den Grund und Werth der Entdeckungen des Herrn Professor Kant in der Metaphysik, Moral, und Ästhetik. Ein Accessit der Königlich Preuss. Akademie der Wissenschaften in Berlin. Nebst einem Sendschreiben des Verfassers an Herrn Professor Kant über die bisherigen günstigen und ungünstigen Einflüsse der Kritischen Philosophie. Berlin 1796. Die Integration der Erhabenheit in die Schönheit legt sich aus der Beurteilung des Griechentums nahe (s.u. S. 120, Anm. 73). Hegel setzte zunächst Schönheit und Erhabenheit als Charakteristika der antiken und modernen (Bau-) Kunst gegenüber, im Zuge der „utopischen Deutung" des Griechentums (s.u. S. 132 ff) kann er die ästhetischen Charakteristiken aber sowohl einer Geschichtsphilosophie integrieren wie für die Zukunft miteinander verquicken.
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Idylle — mit SCHILLER: die Sonderwelt der Moralität in der Innerlichkeit des Subjekts — auf die geschichtliche Welt bezogen wird, sie ändert. Das schöne Handeln der Tugendlehrer stiftet nämlich ein Handeln vieler bzw. aller, weil es als Vorbild zur Nachfolge herausfordert. Auch die Charakteristik dieses Verallgemeinerungsprozesses gewinnt Hegel durch den Rückgriff auf den Begriff der Schönheit und damit durch den Verweis auf SCHILLER. Denn die zunächst noch unreflektiert-moralischen Nach-Vollzüge gelten ihm als Leben, das gegen die Positivität der Gesetze steht, als Liebe, nämlich als Alternative zum Gesetzesgehorsam und eben als Schönheit. Schönheit ist Freiheit nicht gegenüber oder in der Natur-Erscheinung, sondern Freiheit, die eine Quasi-Natur (Legalitätswesen wie z.B. eine geordnete Gemeinschaft) als „auf Moralität gegründet" erscheinen läßt. Die „Welt" dieser Freiheit gegen die bestehende Welt, in der positive Gesetze herrschen, umschreibt Hegel zunächst als die „schöne Religion" gegenüber der herrschenden christlichen Religion. Diese „schöne Religion" wäre, wo sie sich als geschichtlich wirksam zeigt, eine solche, die ihrem „Ideal" in der Realität entspricht. Sie gilt als Existenz des Ideals. Wieweit Hegel sich dieser Nähe zu SCHILLER bewußt ist, zeigen seine eigenen Formulierungen. Zwar wird die funktionale Parallelität von schöner Religion und Idyllenkonzeption nicht eigens thematisiert, aber Hegel deutet alle Einzelfaktoren der Bestimmung der „schönen Religion" mit Hilfe SCHILLERscher (sc. modifizierter KANxischer) Kategorien, so daß die konstitutiven Momente der Idyllenkonzeption als die Grundlagen der Bestimmung der „schönen Religion" wiedererscheinen. In den Entwürfen zum Geist des Christentums greift Hegel SCHILLERS Bestimmung der Liebe auf und sieht in ihr die Ermöglichung wie die Aktualisierung der „Göttlichkeit der eigenen Natur" (Nohl. 313), jener Qualität des Individuums, die — mit KANT als Moralität gekennzeichnet — als Grundlage jeglichen Glaubens an das Göttliche gilt. Wie SCHILLER spielt Hegel hier auf die (in der Liebe realisierte) Einheit von Tugend und Glückseligkeit an.^^ Wo im lebendigen Vollzug der Liebe, der
Die Ähnlichkeit dieser Gedanken zur Theosophie des Julius ist an sich schon frappierend, durch den gedanklichen Kontext (die Religionskritik) stellt sich aber mehr als eine bloß verbale Entsprechung her. Vgl. u.a. NA 20.10. Zur Idyllenkonzeption siehe G. Kaiser: Wanderer und Idylle, bes. 22, 86; dazu meine Untersuchung Idylle und Utopie. — Hegel findet Schillers Gedanken der Gottgleichheit zumindest in der Ode an die Freude, die er zeitlebens schätzt (Br. 1. 57); er muß diesem Gedanken ebenso wie den Überlegungen zur Einheit von Tugend und Glückseligkeit aber nicht nur bei Schiller begegnet sein (so greift er z.B. auch die zugrundeliegenden Gedanken der englischen Empiristen-auf). Dennoch spricht die sachliche Nähe für einen Einfluß Schillers. Hegel scheint hier auf Schillers Problem einzugehen, einen „objektiven Begriff der Schönheit" zu entwickeln, das er zwar nicht aus den KalliasBriefen, aber aus Anmut und Wü rde kannte (das muß gegen V. Basch eingewandt werden;
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Schönheit die Göttlichkeit der eigenen Natur sich durch Anerkennung und Beförderung der Göttlichkeit des anderen aktualisiert, da ist jene Gemeinschaft der Geister erreicht, die für jeden menschlichen Zusammenschluß vorbildlich ist. Solange Hegel sich mit dem Problem der Positivität (in der hier charakterisierten Weise) auseinandersetzt, hat er nur die Möglichkeit, die Vereinbarkeit von Legalität und Moralität, die Vernunftgemäßheit der Institutionen zu denken. Er muß sie als lebendige (Liebes-) Gemeinschaft der Individuen interpretieren, als institutionalisiertes Miteinander, dessen Moralität im (allen gemeinsamen) Vollzug garantiert wird. Solche Vollzüge vermitteln die Moralität nicht über Begriffe, sondern über Empfindung, die sich im zweiten Schritt, in der Reflexion, einer begrifflichen Vermittlung nicht sperrt. Obwohl die Wirksamkeit der „schönen Religion" vorderhand bloß individuell bestimmt und gewährleistet ist, enthält sie dennoch ein Kritikpotential gegenüber der Wirklichkeit, zunächst gegenüber der herrschenden Religion, die die bestehenden „VolksVorurteile", die vorhandenen unreflektierten Orientierungen produziert. Wie bei SCHILLER die „idealische Dichtung" das „Ideal der Schönheit auf das wirkliche Leben anwendet" {NA 20. 472 f), so soll in und mithilfe der „schönen Religion" das Ideal der Volksreligion auf die herrschende Religion angewandt und diese im Sinne des Ideals revolutioniert werden. Hegel nimmt also die Idyllenkonzeption SCHILLERS im Vollsinn der theoretisch-reflektierten Bestimmung auf.*^ Die „schöne Religion" hat als Origines et fonäements de l'Esthetique de Hegel, 70). Hegel erörtert dies an der Bestimmung des geschichtlichen Wirkens eines Tugendlehrers (wie des Sokrates oder Jesu) mit Begriffen der Theosophie des Julius. Es geht um die Einübung mündigen Vernunftgebrauchs, um die Einsicht, daß die Menschheit das Bild der Gottheit {Nohl. 123) sein kann, daß die allgemeine Anerkennung der Würde des Menschen {Nohl. 127) das Wissen um die Fähigkeit bedeutet, „aus sich selbst den Begriff der Gottheit... zu schöpfen" {Nohl. 89). Gelänge es, dies Konzept mit Hilfe der kritischen Philosophie durchzuführen, dann wäre die von Schiller beanspruchte Begründung seiner eigenen frühen Versuche durch Kant geglückt. Dem Beweis dieser These steht lediglich ein philologisches Problem im Wege. Es läßt sich nicht nachweisen (aus brieflichen und sonstigen Zeugnissen), daß Hegel Schillers Abhandlung Uber naive und sentimentalische Dichtung direkt rezipiert hat. Sollte Hegel die Abhandlung Schillers nicht gekannt haben, dann ist ihm damit aber allenfalls die direkte Anwendung des Programms der ästhetischen Erziehung — man könnte mit aktuellen Termini sagen: der Funktion der Kunstrezeption — auf ein korrelatives Programm der Kunstproduktion nicht geläufig. Sachlich kann Hegel dieser Gedanke nicht entgangen sein. — Hoffmeister zitiert Garve als die gemeinsame Quelle sowohl für Schillers Überlegungen Über naive und sentimentalische Dichtung wie die Hegelschen Aufsätze von 1788 {Dole. 40). Dadurch ergibt sich der Unterschied zu Winckelmann (vgl. Dok. 408). Vgl. dazu H. Glöckner: Die Ästhetik in Hegels System der Philosophie, 160. Glöckner weist darauf hin, daß Hegel das
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Alternative zur faktischen Religion dieselbe geschichtliche Funktion wie der dichterische Entwurf einer harmonischen Welt gegenüber der „Zerrissenheit der Verhältnisse". Es geht hier wie dort um die Möglichkeit einer nicht bloß formalen, sondern inhaltlich-konkreten Alternative zur bestehenden Welt im Bild (schönen Schein) einer Welt, die die Humanität gewährleistet. Hegel bringt auch hier die für seine Konzeption entscheidene Modifikation mit ein.
Begriffspaar „naiv und sentimentalisch" sowohl aus der Abhandlung Über Anmut und Würde, wie auch aus den Briefen übernommen haben kann (vgl. den Anfang des dritten Briefes). Frappierend bleibt aber, daß Hegel sein Ideal der schönen Religion in weitgehender Ähnlichkeit zu Schillers Idyllenkonzeption entwickelt. Er kann dafür (anders als etwa W. von Humboldt) nur im Kontext der Abhandlung Über naive und sentimenlalische Dichtung Anhaltspunkte gefunden haben. — O. Pöggeler verweist in seiner Habilitationsschrift zudem auf die Nähe dieser Ausführungen zu Schillers philosophischen Gedichten, bes. Die Künstler und zu Hölderlins Hyperion, wo jeweils die Synthese von Güte und Wahrheit in der Schönheit thematisch wird. In seinem Aufsatz Idealismus und neue Mythologie weist Pöggeler überdies daraufhin, daß Hegel hier Gedanken Herders und, über diesen vermittelt, Lessings wiederaufgreift. Die Frage nach der Funktion der Mythologie in der Moderne wird zugunsten der Möglichkeit einer Mythologie entschieden, die nicht nur "Kindheitssprache der Menschheit", sondern — mit Herder — „eine gegenwärtige Möglichkeit vor allem der Dichter" ist und zudem die Aufgabe erfüllt, vor der die bloße Vernunftbegrifflichkeit der Philosophen versagen muß. Die Idee einer neuen Dichtung, die der antiken an Vollendung nicht nachstehe, findet sich inhaltlich auch in Schlegels Studium-Aufsatz (vgl. dazu R. Brinkmann: Romantische Dichtungstheorie in F. Schlegels Frühschriften und Schillers Begriffe des Naiven und Sentimentalischen, 344 ff; P. Szondi: Poetik und Geschichtsphilosophie. Bd 1. 149 ff, 362 f). Sie beschäftigt Hegel später eingehender, wo er in Auseinandersetzung mit Schelling gerade die Möglichkeit eines neuen Epos leugnet. Außerdem rezipiert er Schillers Überlegungen Über Anmut und Würde wohl nicht allein hinsichtlich der Kantkritik und er findet im Programm der Briefe schon eine Bestimmung der griechischen Dichtung im Sinne der zum Ideal der schönen Religion umformulierten Konzeption. — Selbst eine inhaltliche Anspielung auf Schillers Plan der elysischen Idylle bzw. auf das Konzept der idealischen Dichtung (die Reformulierung der Inhalte griechischer Mythologie unter Bedingungen der Aufklärung, der „Moderne") findet sich in Hegels Überlegungen. Er spielt in seinen Gedanken zur Auferstehung Jesu auf die Apotheose des Herkules an, auf Schillers zentrales Idyllenthema: die Vergöttlichung des Menschen im und durch den Tod. Auch diesen Gedanken wendet er auf die Deutung des geschichtlichen Handelns und Wirkens des Tugendlehrers Jesus an. Eindeutig wird die sachliche Nähe zumindest im Systemprogramm; dazu s.o. 1.3.2. — In summa läßt sich hier die analoge Schlußfolgerung rechtfertigen wie bei der Frage, ob dem Hölderlinbrief, der die modifizierte Durchführung eines Ideals der Volkserziehung vorschlägt, eine zustimmende Antwort Hegels entspricht. Das philologische Zeugnis fehlt, die sachliche Konvergenz kann aber als hinreichender Ersatz gelten.
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In der schönen Religion entwickelt er nämlich die Möglichkeit, wie sich die Humanitätsforderung, die Anerkennung der Würde des Menschen, in der Geschichte durchsetzen kann. Im geschichtlichen Handeln und Wirken des Tugendlehrers — so entwickelt er es beispielsweise in seiner Abhandlung über das Leben Jesu — zeigt sich zweierlei „rein" und unverstellt, das in der geschichtlichen Situation (hier noch der Religion) verlorengegangen ist, nämlich der „Trieb der Religion" und der „Geist" des Christentums gegenüber seiner faktischen Gestalt.
Hegel definiert den Trieb nach Religion analog zu Schillers Spieltrieb und zugleich analog zum Resultat des Spieltriebs, zur „schönen Gestalt".
Dieser „Trieb" ist das Bedürfnis, das Subjektive und Objektive, näher hin „die Empfindung und die Forderung derselben nach Gegenständen", in einem sowohl die Phantasie wie den Verstand befriedigenden Schönen, in „einem Gotte zu vereinen" {Nohl. 332). Hegel gibt zwei Wege an, wie der „Trieb", die eigene Menschheit in einem solchen Gottesbild zu vollenden, seine „objektive Erfüllung", finden kann. Der eine Nachweis eines solchen Weges läuft über die Analyse jenes religiösen Inhalts, der die „schöne Gestalt" ihrer Vergänglichkeit enthebt, sie „auf Dauer" in der Welt einrichtet. Hier wiederholt sich im Prinzip SCHILLERS Argument für die elysische anstelle der arkadischen Idylle, und es wiederholt sich die inhaltliche Exposition. In einer Interpretation des Auferstehungsgedankens zeigt Hegel, wie durch die Lehre von der Auferstehung, von der bleibenden Relevanz des in der Welt faßlichen Götterbildes, das Bedürfnis nach Religion ein objektives Korrelat erhält. Er verknüpft dies durch den Vergleich der Auferstehung mit SCHILLERS Idyllenthema: der Apotheose des Herkules, auch inhaltlich mit der dort zugrundeliegenden Argumentation. Reines Andenken an den gestorbenen Gott stellt denselben vor die Phantasie, thematisiert aber nur ein Sehnen nach dem Göttlichen. Die Gemeinde fände durch einen solchen Entwurf auf die Vergangenheit (durch eine — im Sinne der von SCHILLER SO definierten „arkadischen" Idylle — nach rückwärts gerichtete Orientierung) nur das Bedürfnis der Religion artikuliert, aber keine Erfüllung dieses Bedürfnisses. Erfüllung garantiert allein die Zukunftsperspektive der Auferstehung. Während vorher „zur Schönheit, zur Göttlichkeit... dem Bilde das Leben" fehlte, während ihm im bloßen Vollzug der Gemeinde (Liebe) „Bild und Gestalt" fehlte, umfaßt die Vorstellung des Auferstandenen beides: gestaltete Liebe" (Nohl. 334). Eine „durch Einbildungskraft objektivierte Vereinigung in Liebe", wie es Hegel für das Abendmahl im gleichen Sinn festlegt, wird „Gegenstand einer religiösen Verehrung" {Nohl. 297). Der zweite Nachweis betrifft die geschichtliche Konkretion, die „praktische", handlungsrelevante Dimension dieses „auf Dauer" gestellten religiösen Vollzugs. Hegel schildert (vor allem im Lehen Jesu) das Werk des Tugendlehrers als Einheit von Handeln und Lehre, er konkretisiert die „schöne
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Gestalt" zum „schönen Handeln", um ihr den statischen Charakter und dem Nachvollzug die bloß kontemplative Bedeutung zu nehmen. Auch hier drängt sich die Parallele zu SCHILLERS Bestimmung der Funktion der Kunst geradezu auf. Das Ziel des Lehrens und Wirkens Jesu ist dann erreicht, wenn nicht nur Einsicht in die Würde des Menschen, sondern Handeln aus dieser Einsicht, wenn die Herrschaft der Jugendgesetze nicht nur im Menschen (individuell), sondern unter den Menschen (intersubjektiv) gewährleistet ist (vgl. Nohl. 114, 255, 322 f, 327, 350). Wie SCHILLER im „dritten Charakter" die Möglichkeit finden will, die Einheit von Sinnlichkeit und Vernunft im konkreten Menschen zu begreifen, so geht Hegel in den Entwürfen im Anschluß an die Pos/f iVif äfs-Schrift davon aus, daß Moralität nicht „theoretisch-abstrakt", sondern als „Gesinnung", „Geneigtheit" moralisch „zu handeln" aufgefaßt werden müsse {Nohl. 388). Die bloße Individualität muß dabei zugunsten der Vereinigung der Individuen zur Gemeinschaft, das bloß faktische Zusammenleben bzw. Nebeneinanderexistieren muß zu einem lebendigen Miteinander unter einer Quasi-Institution umgedeutet werden. „Gesinnung hebt die Positivität, Objektivität der Gebote auf; Liebe die Schranken der Gesinnung, Religion die Schranken der Liebe" {Nohl. 389). Der „Geist der Wahrheit und der Tugend" {Nohl. 125) wird dann wirksam, wenn aus der Einsicht in die Vernunftmöglichkeiten die Wirklichkeit einer „entwickelten Sittlichkeit" erwächst. Als „Weg" zu diesem Reich führt der Tugendlehrer in der eigenen Existenz die „Veredelung der Triebe der Natur" {Nohl. 80) vor Augen. Das „Reich", das er gegen die herrschende Sicht der Wirklichkeit und gegen die Faktizität errichtet, läßt die moralischen Prinzipien des Handelns eines vorbildlichen Menschen als Gesetz der Gemeinschaft allgemein herrschen. Es ist das „Reich Gottes", in dem im Gegensatz zum Reich der Welt die „verlorene Achtung gegen die weggeworfene Menschheit" wiederhergestellt ist {Nohl. 127). Mit anderen Worten: im Handeln und Lehren des Tugendlehrers, im konkret bestimmten „Bild des Gottes", offenbart sich der „Geist" des Christentums. Da das „Bild" selbst ohne diese Dimension des geschichtlichen Handelns nicht denkbar ist, insoweit dieses Bild nämlich dem Bedürfnis nach Religion, dem Trieb, vollendet entspricht, erscheint auch der „Geist" des Christentums in einer Realität, im Reich Gottes. Im Grundkonzept zum Geist des Christentums faßt Hegel beide Gedanken zusammen. Das Handeln des Tugendlehrers ist: Stiften eines „Ideals" (d.h. der geschichtlichen Wirksamkeit der Idee) der schönen Religion. Das Ideal einer schönen Religion, sofern es für die geschichtliche Revolution des christlichen Selbstverständnisses entworfen wird, kulminiert in der ReichGottes-Vorstellung. Dieses „Reich" konstituiert sich durch einen subjektiven Vollzug, durch „Nachfolge". Sein Gesetz ist ebenfalls ein lebendiger Vollzug: die Liebe; und das Indiz für das Bestehen einer solchen Gemeinschaft ist die „Schönheit" der Verhältnisse, die aus dem „schönen Handeln", der Vorbild-
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Funktion des Tugendlehrers, entspringt.Hegel umschreibt das Reich Gottes deshalb als sittliche Gemeinschaft, als jene „Gesellschaft" im Sinne FICHTES, die den Staat als Institution ablöst. Das Reich Gottes bzw. eine Kirche, die dem „Geist" des Christentums entspräche, könnte wie SCHILLERS elysische Idylle jene Utopie einer besseren Zukunft sein, die — weil sie in der Gegenwart lebendig wirkt — zugleich die Bedingungen der Realisation der Welt überhaupt als besserer Welt enthält. Konzeptuelle wie geschichtliche Funktion dieses Ideals der schönen Religion entsprechen Schillers Konstruktion des idealen Staates so weitgehend, daß mit dem politischen Anliegen der ästhetischen Theorie auch die Schwächen der Durchführung für Hegels Entwurf des Reichs Gottes reproduziert werden. Hat die Reich-Gottes-Idee den Vorteil, die bloße Legalität der Gesetze und Institutionen in die Lebendigkeit einer quasi-Institution, eines „moralischen Wesens" aufzuheben, so bleibt ihr der Nachteil, daß sie faktisch nicht wirksam, nicht zum Prinzip der Gesetze und Institutionen geworden ist. In seiner Bestimmung des Reiches Gottes vereinigt Hegel die Einsicht, daß die geschichtliche Revolution keine bloße Revolution der Geisterwelt bleiben kann, mit der Anerkennung der Notwendigkeit, daß sie als solche beginnen muß. Revolution setzt kontrafaktisch an und steht vor der Schwierigkeit, daß ihre Ideen nur realisierbar sind, wenn die gegebenen Verhältnisse zuvor eine gewisse Affinität zum „Ideal" aufweisen (etwa in dem Sinn, daß es bereits eine „Volksphantasie" als Grundlage der Religion gäbe). Aus der Tatsache, daß dies nicht der Fall ist, zieht Hegel zwei Schlüsse: Die Reich-Gottes-Idee setzt sich von allen bestehenden Verhältnissen ab und sie beschränkt sich auf die Innerlichkeit der Individuen. “ Vgl. zur Problematisierung des Positivitätsbegriffs No hl. 375 auch das Fragment „Die Liebe" (Schüler Nr. 69; 1797). Hegels Hauptargument ist der Verweis auf die „lebendige Einheit", die nicht im Gedanken, sondern im „Leben" — hier umschrieben durch „im Vollzug" — gegeben ist. H. Büchner (Hegel im Übergang von Religion zu Philosophie, bes. 86) weist darauf hin, daß Hegel schon in seiner Schrift über das Leben Jesu das Reich Gottes durch Kants Idee des Sittengesetzes, der Gesetzgebung aus praktischer Vernunft, verdeutlicht. Freiheit als Selbstbestimmung wird hier aber nicht nur zum Prinzip des Individuums, sondern der Gemeinschaft. Hegel wird durch seine Kantkritik in „praktischer" Absicht dazu geführt, die Position Schillers zu übernehmen. Durch „Liebe" definiert er jene nicht positiv gewordene lebendige Moralität, die vorausgesetzt werden muß, will man dem Dilemma des notwendigen Faktisch-Werdens und den damit verbundenen, notwendig bloß als Legalität charakterisierbaren „Sedimentierungen" moralischen Handelns in der Geschichte entgehen, (vgl. auch Nohl. 268, 394 f). — In Griesheims Nachschrift der Ästhetikvorlesung von 1826 findet sich die Formulierung wieder, Liebe sei das Haben des Geistes in der Anschauung. Die Bestimmungen aus Nohl. 379 werden wiederholt, nur unter Voraussetzung der im Lauf der Entwicklung modifizierten Bestimmung der „Anschauung".
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In der Kritik der Positivität der Religion kann Hegel das Grundproblem, die Unvereinbarkeit von Moralität und Legalität, nicht überwinden. Die „Positivität" der Verhältnisse läßt nicht zu, daß Institutionen zu „schönen Verhältnissen" werden. Es müßte vom „Geist" des Christentums eine Veränderung erwartet werden können, die sich aber gegen die bestehende Religion nicht durchsetzen kann. „Sitte, Gewohnheit, Lebensweise der Völker" fixieren das Handeln Gottes in der Geschichte auf einen jenseitigen, aber gesetzesartigen Machteingriff. Deshalb muß Hegel von den geschichtlichen Grundlagen absehen, er muß fordern, sie sollten lieber „gar nicht da sein, damit wenigstens nicht das Gegenteil" menschen- und vernunftwürdiger Verhältnisse da wäre (Nohl. 397). Dennoch darf die Religion auf diese Dimension ihres faktischen Wirkens nicht verzichten, sie muß ersatzweise eine erste Vorbedingung für ihre Realisation schaffen. Mit Hegels Formulierung; Weil „die Schönheit aus allem enflohen ist, so gab... Jesus alles auf, um sie allein zuerst wiederherzustellen" (Nohl. 396). Der ideale Staat, das Gottesreich, das sich im Handeln des Tugendlehrers herstellen soll, bleibt aber selbst „weltlos", wenn man das Handeln, wenn man die vorbildliche „schöne Gestalt" als weltlos charakterisieren muß, um ihr Kritik- und Veränderungspotential garantieren zu können. Solange die Prüfung geschichtlicher Inhalte und Institutionen auf ihre „Vernünftigkeit" bloß negativ ausfallen, sich auf die Feststellung der „Positivität" beschränken muß, kann Hegel die Aporie nicht überwinden, die ihm analog zu SCHILLERS Konzeption hierdurch entsteht. Geschichtliche Veränderung kann durch den Vorbildcharakter der schönen Handlung und durch Nachfolge im Glauben mit den Hegel bislang verfügbaren Argumenten nicht gewährleistet werden. Bleibt nämlich das Individuum, dem man nachfolgt, an dem man sich orientiert, weltlos, so bleibt auch das Handeln aus dieser Orientierung wirkungslos. Die Gemeinde stimmt ein in einen Vollzug, dessen geschichtliche Wirkung geglaubt, nicht gesetzt wird, jedenfalls nicht durch den Menschen selbst. An dieser Stelle führt das Ideal der schönen Religion entweder zwangsläufig in eine Jenseitshoffnung zurück oder seine Realisation steht dahin, d.h. es muß als gescheitert angesehen werden — eine Einsicht, die sich in Hegels ständigem Bemühen um eine Modifikation des Positivitätsbegriffs spiegelt. Der Tugendlehrer als „schöne Gestalt" entspricht SCHILLERS „schöner Seele", die auch nur darum eine Natur mit quasi-moralischer Funktion sein kann, weil und solange sie weltlos bleibt. Durch ihre „Schönheit" steht sie in einem Widerspruch zur Realität, der bei Konfrontation mit den Verhältnissen zum Untergang des Individuums führt.Nicht von ungefähr wird Hegel ^Im Briefwechsel mit Körner bezeichnet Schiller unter Berufung auf die englischen Empiristen die schöne Handlung im Sinne der „moral grace" als ein „ästhetisches Übertreffen der Pflicht" (Brief an Körner vom 19. Febr. 1793). Schillers ,4sthetischer Imperativ" (Körner an Schiller vom 7. Nov. 1794) wird zur Grundlage der Bestim-
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diese Konzeption später in seiner Ästhetik wieder aufgreifen und kritisieren. Im Kontext der Religionskritik führt seine „Anleihe" bei SCHILLER nämlich dazu, daß der Rückschluß vom idealen auf den realen Staat wegfällt, der eine Veränderung des letzteren im Sinne von Vernunft und Freiheit ermöglichte. Die schöne Religion kann aus diesen Gründen nicht zum Ideal im Vollsinn, zur Realität und Wirksamkeit der Vernunftidee werden. Ihre Grundlage, die schöne Handlung, wird nicht zur „Sittlichkeit" aller führen, solange sie selbst nicht im umfassenden Sinn sittlich genannt werden kann, weil sie weltlos bleiben muß. Intersubjektive Anerkennung („Reich Gottes") entbehrt ebenfalls der Dimension, die die Moralität des Individuums, die Moralität der subjektiven Innerlichkeit, auf eine politische Wirklichkeit hin, nämlich zur Konstitution der „Legalitätswesen", erweiterte. Hegel simplifiziert durch die Betonung der Weltlosigkeit des Ideals SCHILLERS komplizierte Konstruktion des Übergangs der Moralität in Gesellschaft (Staat als Vernunftstaat), die im Verhältnis von ästhetischem, idealem und realem Staat entworfen wurde. Trotz der primären Vorteile des Ansatzes bei der Religionskritik statt bei der Bestimmung der Kunst steht der gewählte Inhalt (die Religion) dem „Ideal der Volkserziehung" wieder entgegen. Denn die faktische (christliche) Religion schafft einen Rahmen, der die Defizite der Bestimmung der geschichtlichen Funktion des Ideals der schönen Religion notfalls immer wieder aufhebt. Die Tatsache, daß das Reich Gottes in der Verkündigung gegeben ist, läßt die Erfahrung der Diskrepanz von bestehender zu neuer Welt zunächst hinreichend erscheinen, um nicht in die „Volksvorurteile" der herrschenden Religion zurückzufallen. Die „Versöhnungsgarantie" ist, wenn nicht in der Schönheit, so doch in der Verkündigung gegeben, das „schöne Handeln", wo es nicht verändert wirken kann, „belehrt" immerhin noch über die erforderliche alternative Glaubenshaltung. Dennoch bleibt das zentrale Problem ungelöst. Es ist nicht ersichtlich, wie der
mung der schönen Seele und ist Hegels „Übertreffen der Pflicht" durch die schöne Handlung vergleichbar (vgl. Über Anmut und Würde . NA 20. 287). Zu Schillers Anspruch, er habe mit dieser Konstruktion den Kantischen Rigorismus überwunden, siehe Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten. NA 21. 32 f. Auch Hegels Problem der Vereinbarkeit von Tugend und Glückseligkeit thematisiert Schiller in den nachkantischen Schriften ähnlich wie dieser: Der „Beyfall der Sinnlichkeit" {NA 20. 283) verbürgt zwar nicht die Sittlichkeit, die moralische Handlung muß nicht unbedingt „schöne Handlung" sein. In der schönen Handlung zeigt sich aber — entsprechend der Charakteristik der „Sittlichkeit des Volkes" — die „Congruenz der ganzen Natur-Anlage eines Volkes oder Zeitalters mit dem moralischen Gesetz" (vgl. Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen, NA 21. 24 f). Schiller spricht auch von der Möglichkeit einer „Repräsentation des Sittengefühls durch das Schönheitsgefühl" (NA 21. 23) und unterstellt die wechselseitige Bedingtheit von moralischem und ästhetischem Gefühl (NA 20. 271).
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„Geist" jener Gemeinschaft sich unter den Bedingungen der geschichtlichen Verhältnisse, unter den herrschenden Gesetzen, gegen diese durchhalten kann. M.a.W. wie kann die „Kirche" den Staat im Sinne der Humanität, sc. zum „moralischen Wesen" umformen, wenn sie selbst dem „Geist" des Christentums entgegensteht? Hier zeigt sich, daß Hegels Verständnis vom Reich Gottes, von einer „Welt", die in der realen Welt der Gegenwelt der Vernunftkonformität lebendig wird, denselben konzeptuellen Mangel aufweist wie SCHILLERS Entwurf des „idealen Staates". Überdies wird bei ihm noch SCHILLERS Vermittlungsinstanz: der ästhetische Staat (die Welt der Kunst) auf die Innerlichkeit des Individuums restringiert. Bevor er in seiner Kritik an SCHILLER (faßbar schon in der letzten Fassung des Geists des Christentums) die Konsequenz aus der Einsicht in diesen Sachverhalt zieht, versucht Hegel, sowohl die Frage nach einer tragfähigen Grundlage, nämlich nach dem Ursprung der „Volksphantasie", zu lösen als auch die Realität der Vernunftidee, das Ideal im Vollsinn, zu konstruieren. Er sieht sich — wie auch SCHILLER — zur Lösung der angeführten Aporien auf die exemplarische Verwirklichung seines Ideals der „schönen Religion" in der Welt der Griechen und in ihrer Religion verwiesen, weiß diesen Rückverweis auf eine vergangene Vollendung aber konzeptuell besser zu nutzen als SCHILLER.
1.3.2. Tradition und Utopie. Zur Bedeutung des sog. „Klassizismus“ Die Frage nach der Bedeutung der griechischen Kultur für die Moderne schließt sich nicht allein aus sachlicher Stringenz hier an. Durch diesen Schritt eröffnet sich darüberhinaus in Hegels religionskritischem Ansatz eine Perspektive, die später für die Diskussion um die Ästhetik, besonders für die Frage ihrer „Aktualität" zentrale Bedeutung gewinnt. Es hängt von der Rolle ab, die Hegel dem Hinweis auf die griechische Vollendung sowohl im Kontext der Religionskritik wie später der Ästhetik zuschreibt, ob beide — Religionskritik wie Philosophie der Kunst — durchführbar sind. Genauer geht es um die Frage, ob sich die Berufung auf die Vollendung des Griechentums als ein argumentativ gerechtfertigtes Moment der Geschichtskonzeption darstellt, oder ob dieser Verweis an die Stelle von religionskritischer wie ästhetischer Argumentation tritt. Davon hängt es nämlich ab, wieweit der „Klassizismusvorwurf" zutrifft, ob es sich bei dem Hinweis auf die Griechen und ihre Vollendung um ein „Vorurteil" oder um ein Element der Geschichtsphilosophie handelt. Durch den Ansatz bei Hegels frühesten Überlegungen läßt sich allerdings zeigen, daß der „Klassizismus"-Vorwurf, der dazu führt, daß Hegels Ästhetik als eine diskutable Begründung der philosophischen Ästhetik verworfen wird, im Blick auf die unterschiedliche Bedeutung des Griechenverweises differenziert werden muß.
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Es kann dabei nicht geleugnet werden, daß sich bei Hegel eine ähnliche Entwicklung des Griechenverweises findet wie bei SCHILLER. Auch Hegels früheste Erwähnungen des Griechentums könnten noch als „klassizistisch" eingestuft werden.Solche Hinweise finden sich beispielsweise in Notizen und in den bekannteren Gymnasialaufsätzen Über die Religion der Griechen und Römer (1787) und Über einige charakteristische Unterschiede der alten Dichter (von den neueren) (1788), die HOFFMEISTER in den Dokumenten zu Hegels Entwicklung publizierte (Dok. 43 ff; 48 ff). Hegel selbst revidiert diese Gedanken aber sowohl durch die Integration des Humanitätsideals der Aufklärung in die Frage nach der Bedeutung der griechischen Kunst und Kultur als auch dadurch, daß er sie im Kontext der Religionskritik nochmals modifizierend aufgreift. Wie für SCHILLER wird auch für ihn die Berufung auf die griechische Vollendung erst da zu einem spontanen, eigenen Gedanken, wo er sie als Explikation des Ideals der schönen Religion, d.h. als die geschichtliche Funktion der schönen Religion unter Gelingensbedingungen anführt. Dieser Sinn wird aus der Bestimmung der geschichtlichen Situation des Christentums und seiner Funktion in der modernen Situation der Zerrissenheit deutlich. Hegel zieht in diesem Zusammenhang durch den Hinweis auf das Griechentum das Fazit seiner religionskritischen Überlegungen, und er gewinnt dadurch gleichzeitig die Möglichkeit, seine Religionskritik als philosophische Theorie mit praktischen geschichtlichen Konsequenzen zu begründen. Diese Perspektive des sog. „Klassizismus" zeigt sich in der Bestimmung der „schönen Religion", denn hier formuliert Hegel die Bedingungen, unter denen es gelingt, den entfremdeten Zustand der Religion wie des Staates aufzuheben. Es geht also a) um die Frage nach der Religion unter solchen geschichtlichen Bedingungen, die nicht die „Weltlosigkeit" des Ideals erzwingen, und b) die Aufhebung der bloß individuellen Versöhnung durch die Konstitution der Sittlichkeit des Volkes. Hegels Forderung eines Volkes, in dem die Menschen „durch die Liebe Diese Phase liegt vor der Auseinandersetzung mit Schiller. Die Gymnasialaufsätze enthalten z.B. noch eine Kritik der griechischen Religion, die der der orientalischen Mythologie entspricht (vgl. Dok. 44, 46). „Richtige Begriffe von dem Zustand der ganzen Volksreligion" (Dok. 46) schöpft Hegel hier aus den Gedanken der Weisen. Diese Überlegung berücksichtige ich mit, weil sie sich „teleologisch" interpretieren läßt, d.h. weil Hegel hier schon durch den Rückgriff auf die Aufklärungsphilosophie und die englischen Empiristen eine Exposition des Problems findet, an die er später anknüpfen kann. Eine solche teleologische Deutung der frühen Überlegungen findet sich beispielsweise bei Rosenkranz. Vgl. dazu auch Hoffmeisters Hinweis: Dok. 408 und die Interpretation bei A. Peperzak: Le jeune Hegel et la Vision morale du monde. 21 ff. J. M. Ripalda sieht die Bestimmung des Griechentums im Kontext der Religionskritik zwar richtig, interpretiert aber schon die frühesten Bemerkungen im Lichte dieses späteren Aspekts. Dazu vgl. den Aufsatz Poesie und Politik bei frühen Hegel sowie die entsprechenden Partien seiner Abhandlung The divided Nation.
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aufeinander bezogen sind" (Nohl. 321 f; sc. das „Reich Gottes" verwirklichen), wird durch das griechische Volk erfüllt. Dieses wird also zum Vorbild und zum Bild einer besseren Zukunft der Moderne. Für die Bestimmung der Kunst und ihrer geschichtlichen Bedeutung muß sich hieraus ein Kriterium mit doppelter Unterscheidungsfunktion gewinnen lassen. Die Forderung einer Mythologie der Vernunft muß durch den Nachweis gerechtfertigt werden, daß eine anschaulich-inhaltliche Vermittlung der Vernunftprinzipien, daß deren lebendiger Vollzug im Sinne einer Habitualisierung von Vernunft erforderlich wird. Zudem muß die Kritik solcher Inhalte, insofern sie als Aufklärung des ganzen Menschen gelten sollen, gewährleistet sein. Da sich im Kontext dieser Überlegungen der reflektierteste Standpunkt der Griechenrezeption zeigt, und Hegel hier zugleich den Sinn seiner Griechenrezeption so festlegt, daß alle späteren Modifikationen als Explikationen dieses (nicht des vorangehenden unkritischen Standpunktes) erscheinen, ist es sinnvoll, erst mit dieser Reflexionsstufe anzusetzen. Frühere Versuche gehen nicht verloren, sondern werden hier korrigierend wiederholt und auf eine in ihnen zunächst so nicht ausdrückliche Tendenz hin ausgelegt.Das Der Hinweis auf das Griechentum wird für die Religionskritik ebenso undifferenziert dargestellt wie später in der Auseinandersetzung mit der Astheiik. Eine Differenzierung der verschiedenen Phasen findet sich für die frühe Zeit bei L. P. Luc: Le Statut philosophique du Tübinger Fragment, 69 ff und bei O. Pöggeler: Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusammenhang. — Die Bedeutung der Griechenrezeption im Zusammenhang der Religionskritik wird herausgestellt z.B. bei G. Rohrmoser: Subjektivität und Verdinglichung. 25 ff; breiter wiederholt auch in der neuen Arbeit Zäsur; ebenso O. Pöggeler: Hegels Jugendschriften und die Idee einer Phänomenologie des Geistes. 196 ff; 1. Schußler: Hegels Kritik an der deutschen Literatur seiner Zeit. 18; £. Wolff: Hegel und die griechische Welt, bes. 165 f, 176, 180. Wolff bezieht sich explizit auf die Nähe zu Schillers Konzeption der idealischen Dichtung. Dilthey faßt die Griechendeutung der Gymnasialaufsätze und die im Kontext der Religionskritik mit der spätesten Phase zusammen, mit der „historischen Weltansicht" (Jugendgeschichte, 10). Diese Deutung wird übernommen von L. Sichirollo: Hegel und die griechische Welt, 264,271; ders. Sur Hegel et le monde gr'ec, 159 ff; so auch J. Stenzei: Hegels Auffassung der griechischen Welt. 308 f. — Eine Auslegung, die sich an die Nivellierung der Griechenrezeption im Kontext der Schillerdeutung Hegels mit der späteren „Historisierung" des Griechentums zum Bildungsideal (s.o. 236 ff) anschließt, findet sich in der französischen Hegelinterpretation. Hier redet man von „nostalgischer Vergangenheitsrezitation"; dazu J. Taminiaux: La pensee esthetique du jeune Hegel, 222 ff bes. 250; ders.: La nostalgie de la grece ä Taube de Tidealisme allemand. Kant et les grecs dans l'intineraire de Schiller, de Hölderlin et de Hegel; D. Janicaud: Hegel et le destin de la grece; B. Legros: Le jeune Hegel et la naissance de la pensee romantique, bes. 64, 67 f. — Ähnlich wie H. Kuhn für die Ästhetik (Die Vollendung der klassischen deutschen Ästhetik durch Hegel und Hegels Ästhetik als System des Klassizismus, 90 ff) erheben einige Interpreten den „Klassizismusvorwurf" auch gegen die frühen Phasen des Hegel-
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
heißt präzise, daß Hegel im Zusammenhang der Frage nach der Konkretisierung des Ideals die eigenen (noch klassizistischen) Überlegungen zu den griechischen Kunstwerken, näherhin den Götterbildern, wiederholt und sie als exemplarische Beispiele für die geschichtliche Funktion der „schönen Gestalt" einsetzt. Zugleich erweitert er die Frage nach der Phantasie, die als Vorbedingung einer Volksreligion erscheint, durch die Diskussion um die geschichtliche Funktion der Mythologie, also um die konkret geschichtliche Dimension der Wirkung der Phantasie. Im abschließenden Schritt wird dann die Mythologiedebatte durch die Frage nach der „Mythologie der Moderne" von einer historischen zu einer Fragestellung in praktischer Absicht umgedeutet. Hegel erörtert wie SCHILLER die Möglichkeit, die griechische Mythologie auf dem Boden der modernen Kultur zu wiederholen, sie unter Aufklärungsbedingungen zu reformulieren. Weil er zunächst annimmt, daß dies gelingt, erhält der Traditionsverweis hier eine utopische Funktion. Im Jahre 1794 schreibt HöLDERLIN an Hegel in Bern, KANT und die Griechen seien beinahe seine einzige Lektüre. Diese Kombination gewinnt im Lichte von Hegels ScHiLLER-Rezeption eine konstitutive Bedeutung für die „produktive" Umdeutung der praktischen Philosophie KANTS und der Kritik der Urteilskraft. Geht es HöLDERLIN um eine Vertrautheit mit dem „ästhetischen Teile der kritischen Philosophie", so integriert Hegel KANTS Gedanken zur praktischen Philosophie und zur Urteilskraft in seine Geschichtskonzeption. Auch für ihn gewinnen dabei neben KANT „die Griechen" an Gewicht, aber so, daß das griechische Vorbild dem „Bildungsideal"^° der frühen Schriften, der sehen Denkens. Dazu H. Hatfield: Aesihetic paganism in german literature, bes. 122 f; £. M. Butler: The tyranny of greece over germany; R. Plant: Hegel. Plant redet zwar nur von einer antikenfreundlichen Position Hegels in der „Querelle" der Antiken und Modernen, weil er aber die Differenz zwischen früher Deutung und Deutung im Kontext der Religionskritik nicht beachtet (bes. Hegel. 28), endet die Darstellung wieder mit der Unterstellung eines Klassizismus (ähnlich bei ]. Taminiaux: La pensee etheiique du jeune Hegel. 246). Die Notwendigkeit, Kants Philosophie für eine Geschichtskonzeption zu modifizieren, wird an der Griechenrezeption besonders deutlich. Als Quellen der Griechenbegeisterung führt Dilthey (]ugendgeschichte, 64 ff) Wieland, Herder und in direkter Linie Schiller an. Vgl. auch Th. Haering: Hegel. Bd 1. 105 ff. E. Wolff (vgl. Anm. 69) weist zudem auf Herders Überblick über die innere Einheit der griechischen Welt und Erklärung aus ihren Voraussetzungen hin, sowie auf Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire für die Entgegensetzung von Christentum und Griechentum, die Hegel zur Entwicklung des Ideals der Volksreligion motiviert. — Die weitere Entwicklung des Griechentums zum Bildungsideal in den Jenaer und Nürnberger Schriften stellt O. Pöggeler dar {Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusammenhang). — Als Kontrast zu Hegels Deutung vgl. die spätere Schrift von F. A. Wolf von 1807: Darstellung der Alterthums-Wissenschaft. 813, 882, 886. Hier heißt es, daß „die echte Menschlichkeit des griechischen Charakters" die „harmonische
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Frage nach der geschichtlichen Revolution integriert wird. Hegels Weg zur Überwindung des KANTianismus und damit der bloß formalen Vernunftkritik der Aufklärung führt ebenso wie der seines Vorbildes SCHILLER und der seines Mitstreiters HöLDERLIN über die Rezeption des Griechentums (vgl. Ros. 40). Zunächst hatte er das Griechentum nur als „vorbildliche" Kultur eingeschätzt, die Kunstwerke der Griechen nicht sonderlich gerühmt und statt dessen auf die Funktion der „Weisen" Griechenlands hingewiesen, die dem Volk Vorbilder des reflektierten Urteilens und Handelns gaben. Im Lichte der Überlegungen SCHILLERS, die mit seiner eigenen religionskritischen Intention Zusammentreffen, modifiziert Hegel diese Überlegung zum Hinweis auf einen Staat, der im FiCHXESchen Sinn als „Gesellschaft" angesehen werden kann. Um die Bedingungen eines solchen Staates, der griechischen Polis, darzustellen, kann Hegel seine frühe Konzeption wiederaufgreifen. Denn schon der Gymnasialaufsatz Über einige charakteristische Unterschiede bringt (gegen ROSENKRANZ' These, es handele sich um eine „fast nur theoretisch veränderte" Neuformulierung der Schuldeklamation vom August des gleichen Jahres 1788) eine neue Perspektive in die Diskussion. Während Hegel in den Überlegungen zu den charakteristischen Unterschieden zeigt, wie in der griechischen Polis die Poesie dazu führt, ein eigenes „Volk", die Tradition einer Gemeinschaft zu stiften und dies der Funktionslosigkeit der Poesie in der Moderne schlicht entgegensetzt (vgl. Dok. 49), erörtert er in den Reflexionen Über einige Vortheile, welche uns die Lektüre der alten klassischen griechischen und römischen Schriftsteller gewährt (Dez. 1788) die Möglichkeit, aus der Geschichte zu lernen. Erst hier entwickelt er eine Dimension der Überlegungen, die sich über SCHILLERS (spätere) Entgegensetzung von naiver und sentimentaler Dichtung (vgl. Dok. 50) hinaus für die Anwendung des Entwurfs der „idealischen" Dichtung auf das religionskritische Programm anbietet. Die Rolle der „Weisen Griechenlands", der späteren Tugendlehrer, fällt hier der Poesie zu. Die „aufgeklärteren und erhabeneren Begriffe von der Gottheit", die Einheit von „Weisheit, moralischer Güte" und „wahrer Glückseligkeit" (Dok. 45) vermittelt sich nicht nur für die „polizierteren Stände" (Dok. 49), sondern für das „Volk", wenn die Poesie es überBildung unserer edelsten Kräfte garantiere". Ähnliches findet sich in Wolfs Encyklopädie der Alterthums-Wissensckaft, 13 ff, 31 ff und in Humboldts Abhandlung Uber das Studium des Alterthums und des griechischen insbesondere. Hier gilt der griechische Charakter als der „ursprüngliche Charakter der Menschheit überhaupt" und dessen Studium als dieilsam" für die menschliche Bildung. Philologische Forschung, sofern sie die Antike betrifft, wird im Sinne der Schillerschen Verfeinerung des Charakters beschrieben als eine Angleichung des Auffassenden an das, was er auffaßt (Werke. Bd 2. 19 f, 21). In diesem Sinn bestimmt Humboldt die Griechen als Ideal (Ueher den Charakter der Griechen, die idealische und historische Ansicht desselben. ln: Werke. Bd 2. 65).
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nimmt, sie in „schönen Gestalten" darzustellen. Zudem zeigen sich hier die Bildungschancen, die in der „Erfahrungsweise" der Alten für die Gegenwart liegen.Wird im Griechentum Erkenntnis aus der „Erfahrung" erworben (Dok. 169; vgl. 49) und durch die Sinnlichkeit vermittelt, so zeigt sich die Poesie als die Vermittlungsweise, die beiden Momenten, der Sinnlichkeit und der Vernunft, entgegenkommt. Denn die Tatsache, daß Erkenntnis, die auf Erfahrung basiert, bei den Griechen „sinnlicher" ist als in der Gegenwart, führt dazu, daß sie „lebhafter und leichter zu fassen" ist (Dok. 170). Die griechische Kultur erscheint hier als eines der möglichen „Systeme der Glückseligkeit, welche der Mensch verfolgt" (Dok. 172). Für die „Moderne" werden diese Erfahrungen nutzbar, weil sie sich angesichts der Defiziterfahrung der eigenen Situation als deren Aufhebung darstellen. Charakteristisch für die ästhetische Dimension dieser Überlegungen ist wiederum die „klassizistisch" anmutende Bemerkung, daß die griechische Kultur den Geschmack, das "Gefühl fürs Schöne" (Dok. 171), bilde, durch Nachempfinden Herz und Mitgefühl, d.h. „die empfindliche Kraft unserer Seele", entwickele und stärke. Die aus dem Empirismus (auch bei KANT) übernommene Aufgabe, das Gefühl als ein der Reflexion ebenbürtiges Gemütsvermögen zu akzeptieren und in der Kritik zu rechtfertigen, schwingt
ln Über einige Unterschiede erschien die griechische Kultur als Kindheit, strahlendes Jünglingsalter der Menschheit, deren Vorteil in der „Simplizität« liegt. Vgl. dazu Schiller: Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur mit der menschlichen. 1780. §9, 10; Hoffmeister gibt weitere Quellen an, die für die auch in Hegels späteren Schriften beibehaltenen beiden Stufen der Geschichte: Kindheit (später Jugend) und Mannesalter wichtig werden, bes. für die Analogisierung von Geschichtsbetrachtung und individueller Entwicklung (Ferguson und Garve, Lessing sowie Robertsons Geschichte von Amerika; Dok. 408). — Hegel beruft sich im späteren Aufsatz bei der Bestimmung der Erfahrungsweise der Griechen auf Lessing. Vgl. Ros. 18, 459 f; was er hier noch im Sinne des Schillerschen Gegensatzes von Erscheinung und Ursachenforschung, von Natur und Reflexion darstellt, wandelt sich zur Bestimmung der „Erscheinung" als „Reich des schönen Scheins". Die Verknüpfung von sinnlicher Gewißheit und Mythologie, die Hegel später in eben dem Sinn zur Einheit von Ästhetizität und Mythologie umdeutet, findet sich in einem Exzerpt aus Eberhards Vermutungen über den Ursprung der heutigen Magie. Philosophie und Religion einer jeden Nation gelten hier natürlicherweise anfänglich als Mythologie. Diese vermittelt die „sinnliche Gewißheit", die „bei ganzen Völkern so gut, als bei den einzelnen Menschen vor der vernünftigen vorhergehen" muß (Dok. 144). — Zur Interpretation der Schlußfolgerungen, die Hegel daraus für seine Konzeption der „schönen Religion" zieht, vgl.: W. Rehm: Griechentum und Goethezeit. 254; C.-L. Furck: Der Bildungsbegriff des jungen Hegel. 65, 68, 69. Furck unterscheidet Hegels „politischen Humanismus" von Humboldts Neuhumanismus.
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hier nur mit. Wenn es aber später darum gehen wird, eine Aufklärung des ganzen Menschen, nicht allein die Bildung der Vernunft, zu gewährleisten, gewinnt diese Problemstellung für Hegel eine Relevanz, die über die Versuche KANTS und SCHILLERS hinausweist. Hegel kann in seiner Frage nach der Volksphantasie an diese Gedanken anschließen und zugleich die Frage nach der neuen Phantasie mit der nach der Mythologie verknüpfen. Die Gymnasialaufsätze bereiten durch ihre Gedankenentwicklung die Bestimmung der Funktion des Griechtums im Kontext des Ideals der Volksreligion vor, d.h. sie lassen sich aus der Sicht Hegels in diese Konzeption integrieren. Denn beide nennen die konstitutiven Bedingungen einer solchen Übernahme, obwohl sie sie nicht weiter reflektieren. Hier erscheint als individuelles Bildungsideal, was in den Reflexionen zur Revolution als Modell gesellschaftlichen Handelns entwickelt wird; und hier erscheinen die konstitutiven Merkmale: Differenz von Antike und Moderne sowie Üherführharkeit der Wahrheitserfahrung der einen in die der anderen. Was im Kontext der individuellen Bildung allerdings noch in klassizistischer Einstellung als Entscheidung zugunsten der griechischen Kultur in der Querelle der Antiken und Modernen formuliert werden kann, muß im Zusammenhang der Geschichtstheorie, die Hegel mit der Religionskritik entwickelt, umformuliert werden. Das „Ideal" der Antike, die „schöne Religion" der Griechen und ihre Analyse tritt an die Stelle der noch ausstehenden Realisierung der Vernunftideen Humanität und Freiheit. Hegel kann durch den Rückgriff auf das Griechentum die Forderung nach einer erneuerten Phantasie konkreter fassen: sie wird zur Forderung einer neuen Mythologie. Die erste Formulierung dieser Forderung im sog. „ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus“ (1796) kann ihre Herkunft aus der KANxrezeption ebensowenig verleugnen wie die Tendenz, KANTS Ansatz zu erweitern. Es geht um „eine Ethik", so beginnt das Fragment und es endet in der Forderung, die Vernunftideen „ästhetisch, d.h. mythologisch" zu machen, um ihre allgemeine Rezeption zu gewährleisten. Weil sich in der „schönen Religion" der Griechen eine solche Mythologie findet, meint Hegel, sein „Ideal" zugleich mit „Realität" versehen zu können. Er wiederholt hier also auf der einen Seite SCHILLERS Konzeption der Idylle, weil er wie dieser die griechische Kultur im Spiegel ihrer Mythologie sieht. Zugleich zeigt sich in diesem Versuch die Abweichung von SCHILLERS Position, die Hegel selbst gegen Ende seiner vorsystematischen Überlegungen (in der letzten Fassung zum Geist des Christentums und den anschließenden Entwürfen) thematisieren wird. Die Möglichkeit, eine Konzeption der Mythologie der Vernunft, ein System tradierbarer vernünftiger (d.h. immer zugleich „moralischer") Inhalte zu gewinnen, wird im Bewußtsein Hegels zum Divergenz- und Differenzpunkt seiner Konzeption von der SCHILLERS. Vorderhand wird diese Divergenz dadurch greifbar, daß Hegel seine Forderung der Mythologie der Vernunft durch den Hinweis auf die griechische Tradition legitimiert. Er
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unterstellt damit nämlich, daß diese Mythologie, daß zumindest ihre geschichtliche Wirkung wiederholt werden soll. Die Möglichkeit einer Wiederholung der Vergangenheit als Zukunft wird aber zugleich in einer Weise legitimiert, die auch die kategorialen Mittel SCHILLERS erheblich überschreitet. Der Angelpunkt der beginnenden Absetzung von SCHILLER liegt im Begriff der Kontinuität der Geschichte und einer als vernünftig legitimierbaren Institutionalisierung des Fortschritts im Bewußtsein und der Realisierung der Freiheit. Im Experimentieren an der Lösung dieses Problems wird Hegel über sein KANxisches Vorbild und dessen „Anwendung" hinausgehen, während SCHILLER entgegen der Tendenz seiner Überlegungen an KANT festhält. Der Ansatz beider erscheint zunächst identisch. Er liegt in der Annahme, daß die Vorbereitung des Gemüts für den mündigen Vernunftgebrauch am besten gesichert ist, wenn eine Mythologie unter Bedingungen der aufgeklärten Moderne wiederholt wird, deren geschichtliche Wirksamkeit als Faktum vorliegt und nicht bloße begriffliche Konstruktion ist. Der Rückgriff auf die Vergangenheit, die auch schon für SCHILLER die Zustände realisierte, die durch die ästhetische Erziehung erstrebt werden sollen, wird auch für Hegel notwendig. Man mag es als Vorurteil ansehen, daß das Griechentum als eine solche Vergangenheit gilt; die Art, wie das Griechentum als diese Vergangenheit charakterisiert wird, geht allerdings über ein bloßes Vorurteil, sc. über die Rezeption des ästhetischen Klassizismus, hinaus. Hegel entwickelt SCHILLERS Gedanken der Re-Mythologisierung der Moderne durch eine Kunst, die die Momente der griechischen Mythologie unter geänderten Bedingungen vermittelt, in der Hinsicht konsequenter, daß er sich um eine geschichtsphilosophische Begründung des Sinns inhaltlicher Orientierungen bemüht. Er will dadurch die „schöne Religion" über ihre Funktion als Vernunft-Surrogat hinaus zum Modell einer vernünftigen Gesellschaftsordnung erheben. Religion, Mythologie gilt nicht mehr nur als Indiz individueller Einstimmung in die Legalität als Quasi-Moralität, sondern als konsequent und folgenreich gelebte „Moralität". Dieser Schritt von der notwendigen Bedingung der Vernünftigkeit der Inhalte, die sich in der „Revolution der Geisterwelt" durch den Begriff vorbereitet, zu hinreichenden Bedingungen, unter denen Einsicht geschichtlich wirksam wird, läßt sich an den erörterten Beispielen belegen. Hegel geht es — um die These vorwegzuschicken — um den Nachweis der Objektivität der „schönen Gestalt" bzw. ihrer Wirkung und um die Realität des Reiches Gottes in der Welt. Beides zusammen hebt die Weltlosigkeit des Ideals, das fundamentale Defizit der rechtverstandenen christlichen Religion, auf. Deshalb greift Hegel beispielsweise auf traditionelle Bestimmungen griechischer Göttergestalten zurück, um zu zeigen, wie sie als mythologische Gestalten die Vorbildfunktion der „schönen Gestalt" (der Tugendlehrer) übernehmen, nämlich Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung
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leisten. Im Gedicht Eleusis'^^ verbindet Hegel die Erörterung, wieweit der moderne, wissensorientierte Geist im Phantasiebild das Ewige erfahren kann, mit dem Motto des Tübinger Bundes, der „freien Wahrheit nur zu leben" (Dok. 381). Bewußt nennt er nicht wie SCHILLER (und RAMLER) die griechischen Götter bloß „schöne Wesen aus dem Fabellande", und er sieht auch die „Fabellehre der Griechen und Römer" nicht allein als „interessantes" Sujet an, als Quelle für „Sinnbilder", deren sich die Künstler bedienen können. Die „Sehnsucht" nach der Vergangenheit enthält eine Zukunftsperspektive, weil Hegel die Sinnbilder und Gestalten nicht isoliert aufgreift, sondern zugleich ihren historischen wie sozialen Kontext thematisiert: die schöne 72 Hegel spielt in diesem Zusammenhang auf die Gedichte Schillers an: so. z.B. Die
Götter Griechenlands, aber auch auf Das Ideal und das Leben und auf eine sachlich entsprechende Stelle im Gedicht Der Granatapfel. Schiller betont hier die Distanz von Griechentum und Moderne, die Hegel durch seine Geschichtsreflexion aufheben will. Das Gedicht Eleusis greift noch auf eine andere Tradition zurück als auf den Kanon der Metamorphosen (bzw. den Persephone-Mythos), nämlich auf den Homerischen Hymnus An Demeter, der in der Goethezeit die Metamorphosen ablöst. Dazu: Hamann: Aestetica in nuce. In: Sämtliche Werke. Hrsg, von I. Nadler. Bd 2. 201; Zur Interpretation vgl. H. Anton: Der Raub der Proserpina. Literarische Tradition eines erotischen Sinnbildes und mythischen Symbols; Ch. Siegrist: Proserpina. Ein griechischer Mythos in der Goethezeit. Den Bezug zum Gedicht Eleusis stellt Anton in seiner Interpretation her: „Eleusis". Hegel an Hölderlin, bes. 250 ff; den Unterschied zur späteren Erwähnung Schillers in der Phänomenologie, die Schillers Standpunkt nähersteht (hier sind die Bildsäulen „Leichname"), hat Antons Interpretation nicht präzise gefaßt (vgl. bes. 292). — In der Einschätzung der Bedeutung der Mythologie vgl. als Kontrast zu Hegels Programm: K. W. Ramler: Kurzgefaßte
Mythologie oder Lehre von den fabelhaften Göttern, Halbgöttern und Helden des Alterthums. 1790. Ramler formuliert zu Beginn den Gedanken von der Brauchbar-
keit und dem Interesse an der Mythologie, „ungeachtet sie nicht mehr geglaubt wird", und begründet ihn dadurch, daß man sie in der Kunst verwende, weil (hier klingt Diderots Kategorie des Interessanten an) „sie den gemeinsten Sachen bald einen Schein der Neuheit, bald mehr Anmuth, bald eine höhere Würde ertheilt" (a.a.0.1). — In Fragmenten historischer Studien zu Beginn von Hegels Frankfurter Zeit finden sich Überlegungen, die die Phantasie der Griechen nun nicht mehr als bloß-sinnlich, ihre Gebilde nicht mehr als „roh" charakterisieren. Unter Berücksichtigung von Schillers Klage der Ceres sieht auch Hegel im Klagegesang "bestellter Weiber" eine erste Reflexionsform des Schmerzes, der bloßen Empfindung, die durch den Gesang (durch die „Form des Schönen") vermittelt „das Menschlichste für den Schmerz" ist. In Schillers Klage der Ceres geht Ramlers Ode Der Granatapfel ein. Es geht jeweils um die Versöhnung der Gegensätze Natur-Freiheit, Sein-Sollen im schönen Schein — genauer nun im Bild der griechischen Mythologie. Dazu auch Herder: Von der Horazischen Ode. WW Suphan. Bd 1. 453 ff. — Hegel wird diese Charakteristik in der Ästhetik z.B. auf die Idylle, auf Goethes Schäferlieder anwenden. Vgl. dazu H. Schneider: Hegels Abschrift von Goethes Gedicht „Schäfers Klagelied“, 77 ff.
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Religion. Traditionelle Deutung und Elemente einer vergangenen Mythologie werden hier zum Bild einer Welt insgesamt zusammengeschlossen. Solange Hegel den unmittelbaren Vollzug der Wahrheit (durch Schönheit, Liebe) über die Reflexion setzt, geht es ihm (selbst im Hinweis auf den Verlust vergangener Vollendung) darum, die in der Gegenwart verlorene Harmonie durch den Blick auf die Tradition wiederzugewinnen. LESSINGS Frage: „Haben wir jetzt noch das Publikum und Vaterland der Alten?" würde Hegel zwar wie SCHILLER verneinen, aber auf eine bloße Vorbildlichkeit der griechischen Kultur hinsichtlich des Geschmacks gegenüber der Moderne will er sich nicht beschränken. Deshalb deutet er gerade die Beispiele um, die für die Überlegenheit des Geschmacks, für den Ausschluß der Häßlichkeit (KANT) aus dem Reich der Phantasiebilder sprechen. Der „schöne Genius", durch den die Griechen den Tod darstellen^^^ kann zwar noch als Hinweis auf das „Ideal der Griechen" gewertet werden, wie es Hegel sich bei der Lektüre FöRSTERS notiert. Dann gälte das Griechentum als Zeitalter des ausgereiften Geschmacks, als „Jünglings-" bzw. Mannesalter, dem die christlich geprägte Gegenwart als Verwilderung (erneutes JCindesalter", dem Hegel später die orientalische Welt zuordnet) oder Dekadenz (als der „alternde Genius") gegenübersteht. Freilich wäre ohne diese Vergangenheit die Moderne ein noch armseligeres Zeitalter (Dok. 217 f), aber um eine solche bloß in die Vergangenheit verlegte Chance besserer Erfahrung geht es Hegel nicht. Hegels „Ideal" der Antike umfaßt den Nachweis, daß im „richtigen Gefühl der Griechen" die Moralität zur Triebfeder des Handelns wird, wodurch Handeln nach moralischen Geboten der Vernunft möglich ist, ohne daß man einem legalistischen Gesetzesgehorsam verfällt. In der schönen Religion geht es darum, die moralischen Gesetze „subjektiv oder zu Maximen zu machen", aber so, daß sie die Gesetze des Subjekts bleiben, nicht zu äußerlichen, objektiven degenerieren. Schon in der Posifiuitflfs-Schrift weist Hegel darauf hin, daß das „unverdorbene sittliche Gefühl" (Nohl. 212) der Griechen die von SCHILLER postulierte „Gottgleichheit" realisiere, daß hier die Vernunftnatur zur Natur des Menschen geworden sei. Was SCHILLER durch die ästhetische Erziehung erreichen will, war durch die Wirkung der Kunst im Kontext der schönen Religion schon realisiert. Durch die Einheit von Vernunft und Phantasie ist gewährleistet, daß der „schöne Funken der Vernunft", daß ,/Jas unveräußerliche Menschenrecht... aus seinem Busen sich Gesetze zu geben", wirkmächtig werden kann (Nohl. 213). Von HöLDERLIN kann Hegel hier den Anstoß erhalten haben, aus SCHILLERS Griechenlandgedichten nicht nur eine Bestimmung der Poesie, sondern zugleich eine der griechischen Götterbilder zu entnehmen, die in der Ästhetik als das Schönste gelten werden, was die
” Vgl. dazu Nohl. 27 f, wo Hegel vom Sehnsuchtsbild des „schönen Genius der Völker" spricht; dann Nohl. 47, 358 f; dazu Kant: Kritik der Urteilskraft. § 40.
1.3 Religionskritik und Kunstideal
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Kunst hervorgebracht hat und hervorbingen kann. HöLDERLIN selbst artikuliert sein Griechenlandverständnis durch die Charakteristik des Handelns von Heroen, geschichtlich handelnden Personen. Auch hier mag Hegel eine Anregung dafür finden, die Funktion der Nationalgötter der Griechen mit der des Tugendlehrers gleichzusetzen. In der Art und Weise, wie Hegel diese Einsichten in seine Religionskritik einbaut, geht er aber über beide hinaus. Er nutzt SCHILLERS Idyllenkonzept zusätzlich zu den inhaltlichen Anhaltspunkten und kann dadurch HöLDERLINS Standpunkt in der Kritik der Positivität überwinden. HöLDERLIN hatte die letzte Möglichkeit der Verhinderung des Positivwerdens eines Handelns in moralischer Absicht im freiwilligen Untergang des „Tugendlehrers", des Helden, gesehen. Hier bleibt wie beim christlichen Tugendlehrer das Ideal „weltlos". Hegel entwirft stattdessen das Bild einer Religion, deren Wirkung und deren Durchsetzung Moralität institutionalisiert, Sittlichkeit des Volkes und Staates hervorbringt. Die Wirkung der „schönen Gestalt" beschränkt sich nicht auf eine „subjektive Religion", sondern es wird eine „objektive Religion" erreicht, die gleichwohl der subjektiven nicht widerspricht. Im Bild der griechischen Nationalgötter glückt für Hegel die Synthese des Vorbildcharakters der Tugendlehrer mit der Objektivität ihres Wirkens. Die Götter- und Heroengestalten sind Produkte wie Garantie einer Nationalphantasie, die das Leben nach Vernunftprinzipien,vermittels des Glaubens, des „Nachvollzugs" zu einer „Gewohnheit" werden läßt, die „zur Ausbildung aller Kräfte des Menschen (Nohl. 220) führt. Götter und „Helden der Geschichte des Vaterlandes" (also Geschöpfe einer Phantasie und eine durch die Phantasie gestiftete Tradition) leiten das Handeln. Weil die Nationalphantasie religiöse und politische Phantasie ist (Nohl. 214, 215), stellt sich das öffentliche Leben der Griechen selbst als das Resultat der „Revolution der Geisterwelt" dar. Die Gottähnlichkeit des Menschen, die Hegel mit SCHILLERS Die Betonung der Einheit von Vernunft und Phantasie geht über Schillers bloße Feststellung der Naturharmonie in der griechischen Kultur hinaus. Vgl. schon Volks religion und Christentum {Nohl. 49, 355); dazu Ros. 21, 27 f; ebenso die Entgegensetzung von griechischer und christlicher Phantasie in den anschließenden Fragmenten Nohl. 31 f, 34, 54 f und bes. 363 ff: die Entgegensetzung von griechischer Mythologie und Klopstocks Versuch, den Deutschen eine neue religiöse Phantasie zu geben. — Der Verweis auf Schillers Gedichte in der Kritik an der Positivität der Religion (vgl. Nohl. 34, 54, 208 sowie 204) wird bei Hegel flankiert durch den Hinweis, daß im Griechentum und seinen religiösen Vorstellungen das Problem der Positivität der Wahrheiten nicht auftritt. Der Tugendlehrer Sokrates vollbringt es, die „Einfalt der Sitten, deren Gemälde uns erfreut, uns rührt — deren Verlust wir oft nicht mit Unrecht bedauern" {Nohl. 37), zu bewahren. Hegel selbst gewinnt hier den Anstoß, seine Überlegungen im Sinne Schillers zu erweitern. Es geht um die Ausbildung der Totalität des Charakters, wenn Hegel auch noch klassizistisch-humanistische Formulierungen gebraucht, um dies Anliegen auszudrücken.
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auch später noch als die größere Menschenähnlichkeit der griechischen Götter hervorheben wird, führt hier dazu, daß die Naturgestalten der Götter die Humanität des Menschen als dessen gesellschaftliche Natur stiften. Im Produkt der Kunst wird anschaulich, was das Handeln der „Tugendlehrer" bewirkt, nämlich eine „Religion freier Menschen", die über die Phantasie die Vernunft hervorbringt und ein Volk zur „Vereinigung und Erhöhung aller Kräfte der Seele" bildet, weil sie „die Vorstellung der strengen Pflicht" durch „Schönheit und Frohheit" zugänglich macht (hlohl. 39).Dje schöne Religion ist die Versöhnung von Wahrheit und Schönheit, von Tugend und Glückseligkeit, denn an die Stelle der Gesetze treten „heilige Empfindungen der Menschheit und Gesinnungen oder Handlungen, die denselben angemessen" sind (Nohl. 228 f). Durch die „Übereinstimmung aller guten Menschen" (ebd.) wird hier ein Volk wirklich „zur Empfänglichkeit für moralische Ideen und zur Moralität groß gezogen" {Nohl. 68). Die Aporie der „Positivitätskritik" erscheint damit als grundsätzlich lösbar, weil sie schon einmal gelöst wurde. Hegel dehnt sein Ideal der schönen Religion auf ein politisches Ideal aus, in dem sich der Übergang von religiöser in politische Phantasie dokumentiert. Die „Vorbilder", Götter, Heroen und Tugendlehrer, gestalten durch ihr Handeln die griechische Polis zur Gemeinschaft freier Menschen. Aber die Garantie für die Vernünftigkeit der Institution liegt selbst nicht in deren Gesetzen, sondern in der Tatsache, daß die Regeln des Gemeinschaftslebens durch die Bilder der Götter anschaulich, in den religiösen und kultischen Festen stets neu „vollzogen", tradiert werden, ünter griechischem Klima bilden „Geist des Volks" — mit FöRSTER: „der Geist der Griechen ist Schönheit" {Nohl. 368) — „Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit" eine Einheit. Die Polis ist Garant der Sittlichkeit des Volkes wie ihr Produkt, denn in ihr findet die „Moralität" des Individuums Hegel entdeckt in diesem Zusammenhang z.B. sinnvollere Deutungen religiöser Riten {Nohl. 25), denn die Göttergestalten sind „die einzelnen Vereinigungen, die die Griechen mit dem Schicksal zu machen, den Mut hatten" {Nohl. 369). Hegel entnimmt diesen Gedanken zunächst aus Försters Schriften, eignet ihn sich aber zu, weil er ihn zur Bestimmung der Gottähnlichkeit des Menschen im Kontext der schönen Religion umformt. Vgl. dazu die Bestimmung des Schicksals, des Jenseitsglaubens als Vorstellung menschlichen Glücks: Nohl. 23, 28 f, 70, 243 ff, bes. 260, aber auch noch den Entwurf zum Geist des Christentums; Nohl. 386 und 355 f. Zu Schillers Identifikation der Sittlichkeit mit Kants „Moralität" vgl. die Briefe an Körner vom 18. 2. 1793; Bd 3. 254 ff; vom 8. 2. 1793; Bd 3. 239 ff. Die Sittlichkeit im Sinne Hegels ist davon zu unterscheiden, weil sie sich auf "Rechtsformen der Freiheit", auf deren Vernünftigkeit bzw. Moralität bezieht, nicht auf Individuen also, sondern auf Institutionen. Dazu: ]. Ritter: Moralität und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik, 227. Zur Sittlichkeit als Einheit von Moralität und Legalität vgl. Ros. 8 7. O. Pöggeler: Hegels praktische Philosophie in Frankfurt, 125 f; dazu auch Th. Baumeister: Hegels frühe Kritik an Kants Ethik.
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ihren geschichtlichen wie politischen Niederschlag in Lebensformen, die als Wirklichkeit aus und durch Vernunft gesetzt gelten dürfen. Was Hegel zu erreichen suchte, nämlich den Nachweis der Wirksamkeit der Reich-GottesVorstellung, war im Griechentum bereits erreicht worden. Hegel kann durch den Hinweis auf die Funktion der Religion im Griechentum die Aporie seiner Reich-Gottes-Vorstellung aufheben, denn zumindest in diesem Kontext bleibt das Ideal nicht »weltlos", sondern bringt eine politische Konstellation hervor. Das Ideal der schönen Religion konkretisiert sich zum Bild eines Staates, in dem die Moralität des Einzelnen durch die Bildung aller zur Sittlichkeit gewährleistet ist, der als Staat Gesellschaft im Sinne FICHTES genannt werden kann. Hegel führt auf diese Weise SCHILLERS Idyllenkonzeption durch seine Bestimmung der Mythologie und ihrer geschichtlichen Funktion konsequent zu Ende und gelangt im Ideal der schönen Religion zugleich zu dem geforderten politischen Ideal. Er stellt und löst das Problem der Vereinbarkeit von Moralität und Legalität, wenn auch zunächst nur im Blick auf die Vergangenheit. Auf diese Weise modifiziert Hegel im Zuge der Auseinandersetzung mit SCHILLER seine Bildungskonzeption zu einer umfassenderen Konzeption des geschichtlichen Fortschritts der Menschheit und der Orientierung an der griechischen Vergangenheit.^^ Die — Eine bezeichnende Verkehrung des Institutionsgedankens Wohl. 308) findet sich bei A. Gehlen: Der Staat und die Philosophie. 13. ^^Die Parallelisierung der Entwicklung des Individuums mit der Menschheitsgeschichte kann Hegel in Schillers Briefen finden, hier allerdings als Konstruktion im Sinne der Kantischen transzendentalen Subjektivität, die das empirische Subjekt unter der Rücksicht der allgemein-menschlichen Konditionen entwirft. Als gemeinsame Quellen gibt Hoffmeister Garve und Ferguson an (Dok. 407, 408). Mit Sicherheit muß hier auch Lessing genannt werden, denn auch er parallelisiert individuelle und kollektive Menschheitsgeschichte (Hegel kritisiert Lesssing später eigens ;Phil. der Weltgesch. Bd 1. 150). Die Konstruktion der Menschheitsgeschichte analog zu den Lebensaltern findet sich bei Herder in Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (Suphan. Bd 5. bes. 483). Die Kindheit der zivilisierten Menschheit liegt für ihn aber im Orient, nicht wie bei Hegel — in Umkehrung der Zeitfolge — in einem durch die orientalische Mythologie bestimmten christlichen Zeitalter. Vgl. die Rezension Kants zu Herders Schrift Ideen zur Geschichte der Menschheit, in der Herder den Lebensaltervergleich einschränkt (J. Kant: Gesammelte Schriften. Akademie-Ausgabe. Bd 8. 45). — In seiner späteren Vorrede zu F. Mayer: Kulturgeschichte der Völker. 1798 nimmt Herder im Anschluß an Voltaire den Gedanken auf, sowohl Individuen wie Völker hätten einen »Charakter", der sich durch Sitten und psychische Eigentümlichkeit bestimmt (Bd 20. 340). Zur Interpretation des Verhältnisses Hegels — Herder vgl. £. Schulin: Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients hei Hegel und Ranke. 8 f, 59,130. Der Gedanke der »ästhetischen Erziehung" zu einem Volk findet sich auch bei Hölderlin und Schlegel. Hegel hat aber durch die Art seiner Griechenrezeption im Kontext der Weiterführung der
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
Religion bildet den Einzelnen zum Bürger eines Staates, sie wandelt die Gesetze der Staatsmaschinerie in Maximen der Vernunft. Bereits in den anschließenden historischen Reflexionen und verfassungstheoretischen Überlegungen erhebt Hegel diesen Staat zum Vorbild des modernen Staates, genauer zu der Staatsform, die es in der Moderne wieder zu erreichen gilt.^® Die Polis steht für einen Entwurf der Wirklichkeit, wie sie sein sollte, exemplifiziert die gedankliche Konstruktion an einer geschichtlichen Situation. Aus der Entgegensetzung zweier Kulturen, aus der Unterschiedenheit von griechischem und modernem Geist, folgert Hegel, daß die Kultur, die in der Vergangenheit die umfassende Humanität des menschlichen Lebens und der Gemeinschaft ermöglichte, zum Hinweis auf ein Ziel der Moderne genommen werden kann. ,dClassizismus" oder „Griechenlandsehnsucht" (NIETZSCHES „nostalgie de la grece") werden zur utopischen Funktion des VerganKonzeption einer „pragmatischen Geschichte" (Dok. 9) in der Religionskritik die politische Dimension am konsequentesten durchdacht. Vgl. u.a. das Fragment „Freiheit und Schicksal", dann Ber. 237, 250 f; Dok. 272; Dok. 268 f und zur Landstände-Schrift die Interpretation Ros. 92. Vor allem O. Pöggeler weist auf diese Funktion des Polisgedankens hin, der in Frankfurt in Fortsetzung des Gedankens der geschichtlichen Wirkung der schönen Religion entwickelt wird. Das Fragment Jreiheit und Schicksal" sowie die von Rosenkranz mitgeteilten Fragmente historischer Studien (Ros. 515 ff) stellen insgesamt die Polis als Maß für die politische Freiheit hin; aber doch so, daß zugleich in dieser Vergangenheit die Zukunft der Moderne gespiegelt wird. Vgl. dazu O. Pöggeler: Hegels Jugendschriften und die Idee einer Phänomenologie des Geistes. 174,181. Cassirer beschränkt die Funktion des politischen Ideals zu Unrecht auf die eines Idealbildes, also auf die Vergangenheit (Freiheit und Form. 357 f, 367) — Für die Vereinbarkeit dieses Gedankens mit Fichtes Forderung spricht bei Hegel, daß er in Frankfurt die 1790 erschienene Schrift Schillers Über die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon exzerpiert. Der Staat kann, versteht man ihn im Sinn der griechischen Polis (NA 17. 440), nicht mehr als Maschinerie, sondern wird als „Gesellschaft", als Diener „des höchsten Zwecks der Menschheit" (NA 17. 423 f) aufgefaßt werden. Die Erziehung des Menschen zum Menschen und Bürger erscheint als Werk des Staates, und der Staat selbst definiert sich durch diese Funktion. Er ist „ein fortdauerndes Werk dieser Erziehung" (NA 17. 417 f) Dem entspricht Hegels Überlegung zur Einheit von Schönheit, Liebe und Frieden (Nohl. 245 f) und seine Bestimmung der griechischen Polis. Hegel erwähnt die Gesetzgebung des Solon (Nohl. 254), nivelliert aber Schillers Differenzierungen zwischen Solon und Lykurg. Vgl. Dok. 263, 264. Zur Interpretation vgl. O. Pöggeler: Hegels Option für Österreich, bes. 95, 117 f. Pöggeler zeigt, daß Hegel ein differenzierteres Bild von Griechenlands direkter Demokratie entwickelt als Hölderlin. Furck weist auf die Funktion des Polisgedankens als das „große revolutionäre anschauliche Gegenbild" zum unmittelbaren Erleben der politischen Wirklichkeit hin (Furck: Der Bildungsbegriff des jungen Hegel. 51), ohne aber die geschichtsphilosophische und damit ästhetische Funktion dieses Bildungsideals zu sehen.
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genheitsverweises umgedeutet, in der sich SCHILLERS Konzeption der elysischen Idylle vollendet.^’ Diese Dimension der Griechenrezeption wird für die Entwicklung der Ästhetik relevant, denn Hegel greift in der philosophischen Bestimmung der Kunst auf dieselbe Konstruktion zurück. Durch die Forderung einer Mythologie der Vernunft wird nämlich die geschichtliche Funktion der Kunst mit festgelegt und zwar vorerst im Kontext einer fremden, weil vergangenen Meist wird der Utopiebegriff ungenau zur Kennzeichnung eines irrealen Gegenbildes zur Realität verwandt. Der Bezug zur Wirklichkeit, die kritische und verändernde Funktion bleibt dabei unbestimmt. Als Beispiel aus der Schillerrezeption kann man hier auf B. von Wieses Begriff der utopischen Versöhnung verweisen. Auch in der Hegelinterpretation und in der Beschäftigung mit dem Griechenideal bleibt diese Unbestimmtheit erhalten, obwohl dadurch Hegels Konzeption nicht interpretiert werden kann. Gadamer spricht z.B. von einer Utopie, die „in einer Art von Spiegelung die zu bestimmende Unbestimmtheit von Zukunft überhaupt vertritt" {Über leere und erfüllte Zeit, 234). N. Himmelmann expliziert einen „ästhetischen" Utopiebegriff durch die „rückwärts gewandte Utopie", die auf das Griechentum zurückgreift. Es geht in der Wiederbelebung der Antike um ein bloßes Bild der Welt, ohne die Tendenz, die Realität zu verändern. Als Beispiele nimmt Himmelmann Heinses Ardinghello, Goethe, Schiller und auch Hegel {Utopische Vergangenheit. 39, 23; dazu auch ders.: Über Hirten-Genre in der antiken Kunst. 13 t, 17). Die in der Kunst entworfene „Friedensutopie" hat über die Kunst hinaus keine Relevanz. Dieser ästhetische Utopiebegriff expliziert lediglich die Griechenlandsehnsucht (Taminiaux, Sichirollo, Legros; s.o. Anm. 69), nicht die Zukunftsperspektive, auf der Schiller beharrt und die Hegel ausführt. Schillers elysische Idylle und Hegels Ideal der schönen Religion können utopisch genannt werden, weil sie sowohl die Dimension des Realitätsbezuges von Bild der Welt und Welt thematisieren wie die Dimension einer Handlungsorientierung enthalten (bzw. bei Schiller ; enthalten sollen). — Selbst in der marxistischen Deutung wird dies zu wenig berücksichtigt. Vgl. G. Lukäcs: Der junge Hegel. 73, 285 ff, vgl. 458 ff; dazu R. Bannwald: Marx und die Antike. 27. Auch die Versuche, im Anschluß an Adorno den Utopiebegriff festzulegen, können dem Hegelschen Versuch eines „Ideals" als konkreter Utopie keinen Sinn abgewinnen, sondern definieren Utopie im Sinne der Beckettschen Auflösungen jeglicher geschichtlicher Orientierung. Vgl. F. Tomberg: Utopie und Negation — zum ontologischen Hintergrund der Kunsttheorie Th. W. Adornos. — In der Kunstsoziologie nimmt P. Hahn diese Bedeutung des Utopischen als eines „unerreichbaren Ideals", als Irrealität, wieder auf {Kunst als Ideologie und Utopie, 172 ff). — Einzig H. Marcuse entwickelt in einem Essay zum Scheinbegriff in der Ästhetik des deutschen Idealismus eine Grundlage für die hier erarbeitete Konzeption, formuliert sie aber nicht selbst. Dazu vom Verf. Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel, 239 ff; Idylle und Utopie; Vergessene Dimension des Utopiebegriffs. —Für die Hegelinterpretation scheint einzig der entwickelte Utopiebegriff brauchbar. Die Modifikation des Positivitätsbegriffs, daß nämlich Positivität auch eine akzeptable Weise des Historisch-Werdens der Vernunft sein könnte, läßt sich m.E. nur auf dem Hintergrund dieser Funktion des Griechenverweises zureichend erklären.
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
Kultur. Griechenlands Kunst wird zum Paradigma einer Funktion der Kunst in der Geschichte und für die Gesellschaft. Die utopische Funktion des Traditionsverweises impliziert eine Bestimmung der utopischen Funktion der Kunst. Hier wird deutlich, welche Rolle die Kunst (nicht nur die platonisierende Bestimmung der „Schönheit") in den Überlegungen des jungen Hegel spielt. Wo immer die „schöne Religion" als Alternative zur kritisierten Religion der Juden und Christen herangezogen wird, versäumt Hegel es nicht zu betonen, daß in dieser Religion die Kunst eine zentrale Bedeutung hatte.
1.3.3. Ästhdische ImplikaHonen der Mythologie der Vernunft Durch den Streit um die Zuschreibung des sog. ältesten Systemprogramms des deutschen ldealismus^° wird die Frage akzentuiert, ob Hegels Religionskritik überhaupt hinreichend viele und sachlich entsprechende Annahmen enthält, die es plausibel erscheinen lassen, daß er schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt (1797) eine Bestimmung der Kunst formuliert. Diese Frage läßt sich aus drei Gründen positiv beantworten. Erstens enthalten Hegels Überlegungen zur Bildungsfunktion der Religion die gesuchten Hinweise auf eine Funktion der Kunst, weil er die „Volksphantasie" zur Grundlage der Religion erhebt. Zweitens konstruiert er sein „Ideal der Volkserziehung" formal analog zum Programm der ästhetischen Erziehung, und drittens zeigt der Hinweis auf das Griechentum, daß sich die Bemerkungen zur Kunst nicht auf die Kritik an der Gegenwartskunst beschränken, sondern selbst durchaus programmatischen Charakter gewinnen für eine zukünftige Kunst, die unter Bedingungen der Gegenwart wirkt. Dieser dritte Gesichtspunkt wird im Programm der Mythologie der Vernunft formuliert und in die Religionskritik integriert, d.h. mit den beiden ersten verbunden. Die Funktion der Kunst bestimmt Hegel im Kontext der Religionskritik als Bildung der Phantasie und des Herzens, also als die Herstellung der Grundlage, durch die die Religion die „Sittlichkeit eines Volkes" hervorbringen, die Aufgabe der Zur Auseinandersetzung um das Systemprogramm vgl. die Beiträge der Tagung Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus (Hrsg, von R. Bubner. Hegel-Studien. Beiheft 9). Für eine Autorschaft Hegels argumentieren vor allem O. Pöggeler: Hölderlin, Hegel und das älteste Systempro-
gramm; K. Düsing: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frühen philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels; ]. H. Trede; Mythologie und Idee. Die systematische Stellung der „Volksreligion" in Hegels Jenaer Philosophie der Sittlichkeit. Neue Studien erweitern diese Grundlagen: Mythologie der Vernunft. Hegels ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus. Hrsg, von C. Jamme und H. Schneider. Frankfurt 1984.
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Aufklärung zu mündigem Vernunftgebrauch erfüllen kann (vgl. Nohl. 19, 23). Mit SCHILLERS Worten charakterisiert auch Hegel die Situation der „Zerrissenheit" des Individuums in Sinnlichkeit und moralische Existenz, zugleich fügt er eine Analyse der Gemeinschaft an, für die er diese Charakteristik durch den Hinweis auf die Gespaltenheit in gesonderte Stände — hier zunächst in die Gebildeten und die Vielen, die Masse — wiederholt. Da Hegel über die Aufklärung hinaus nicht nur die Vernunftgemäßheit der Religion, sondern zudem die Notwendigkeit ihrer Konkretion, die Allgemeinheit und Verallgemeinerbarkeit der Phantasie und der aus ihr entspringenden Vehikel der Vermittlung: Sagen und Mythen fordert, kann die Institutionalisierung von Vernunft und Freiheit ohne die geschichtliche Wirksamkeit der Kunst nicht funktionieren. An dieser Einsicht ändert auch die Tatsache nichts, daß Hegel die Frage, ob die Kunst der Gegenwart zu dieser Vermittlungsleistung in der Lage sei, zunächst negativ beantworten muß. Dichter wie KLOPSTOCK u.a. haben es nicht vermocht „die Einbildungskraft des Volkes" in geeigneter Weise zu leiten, ohne gegen die Einsicht der Gebildeten zu verstoßen {Nohl. 356). Hegel schließt daraus, daß die Kunst allein nicht geeignet ist, die Aufklärung aller zu gewährleisten, weil sie gegen die herrschende Religion und den bestehenden Staat nichts ausrichten kann. SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung muß ihm (wie HöLDERLIN) deshalb als unzureichend erscheinen; dennoch zieht er nicht die Konsequenz, daß die Funktion der Kunst, wie sie hier bestimmt wird, suspendierbar sei, sondern er wiederholt sie unter gleichzeitiger Konstruktion eines erweiterten Rahmens. Die Konzeption der ästhetischen Erziehung erhält durch die Religionskritik die erforderliche Konkretisierung im Sinne einer Geschichtskonzeption und einer Bestimmung des Handelns, und die Funktion der Kunst wird in diesem Kontext mit entsprechenden Modifikationen wiederholt. Ihre indirekt-korrektive Wirkung, die SCHILLER durch die Zuordnung von ästhetischem, idealem und realem Staat umreißt, bleibt erhalten, nur wird sie nicht durch eine begriffliche Konstruktion gerechtfertigt, sondern durch die Angabe der geschichtlichen Wirkmächte, die für SCHILLERS Begriffe einsetzbar sind: Kunst, Religion bzw. Mythologie und Staat. Weil es Hegel im Griechenverweis gelingt, SCHILLERS formale Konstruktion historisch zu „verifizieren", kann er das Defizit aufheben, das ihn in der formalen Parallelisierung von Religionskritik und „ästhetischer Erziehung" noch hinderte, den Stand bloß begrifflicher Konstruktion (in der Reich-Gottes-Vorstellung) zu verlassen. Für die Bestimmung der Kunst bedeutet das: sie erhält im Kontext der Mythologieproblematik, näherhin in der Forderung nach einer neuen Mythologie, dieselbe Funktion wie im Programm der ästhetischen Erziehung nur mit dem Unterschied, daß diese Funktion als geschichtliche bestimmbar wird. Durch die Rolle, die der Griechenverweis im Zusammenhang der Religionskritik spielt, entwickelt Hegel nicht nur das Ideal einer vernunftgemä-
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ßen Religion, sondern er bestimmt zugleich die Funktion der Kunst für eine Konkretion der Vernunftreligion zum „Ideal". Ansätze dazu finden sich schon in der Bestimmung der Rolle der Phantasie. Explizit wird die Parallelität des religionskritischen und des ästhetischen Ideals auch in Überlegungen greifbar, in denen Hegel die Bestimmung des schönen Handelns, der „schönen Gestalt" des Tugendlehrers, ausdrücklich mit Kunstwerken vergleicht. Die Funktion des Tugendlehrers für die Einrichtung des Reiches Gottes in der Welt entspricht z.B. der der griechischen Nationalgötter (vgl. Nohl. 389). Im Zusammenhang der frühen Reflexionen erhält dieser Gedanke ein großes Gewicht, weil Hegel für die Verallgemeinerung, d.h. anstelle der gewohnten begrifflichen Fassung, solcher Zusammenhänge selbst wieder auf Vollzüge verweist bzw. sie durch Vollzugscharakteristika umschreibt. Das Wirken des Tugendlehrers wie des Götterbildes und das Bewirkte gelten ihm als Realisation von Leben, Liebe, Schönheit. Der geschichtliche Zusammenhang als ganzer erscheint unter dieser Rücksicht eines gelingenden „schönen Handelns" als „schönes Werk", Schönheit als Humanitätsgarantie des Sich-Einrichtens in der Welt. Der Terminus ad quem dieser Jebendigen Vereinigung" wird nicht vom Vollzug getrennt, sondern erscheint als „Leben". Bezeichnenderweise wiederholt Hegel diese Kategorie bis zu den Vorlesungen zur Asthetikin der Bestimmung des Ideals. Im Zusammenhang der Religionskritik entwickelt er sie durch die Konkretisierung der Forderung einer „Volksphantasie" in der Forderung nach einer neuen Mythologie der Vernunft. Sowohl die Notwendigkeit, eine Mythologie der Vernunft zu gewinnen, wie die, eine geschichtliche Realität als Vorbild für die grundsätzliche Bestimmung der geschichtlichen Aufgabe der Mythologie anzusetzen, bleibt für die Bestimmung der Kunst in der Ästhetik ausschlaggebend. Beides wird also (im Sinn der Philosophie der Weltgeschichte) auch zur Grundlage der „Spezialgeschichte" der Kunst, die sich aus der allgemeinen oder Weltgeschichte erst im Verlauf des Hegelschen Denkens herauskristallisieren wird. Der Blick auf den Kontext der Religionskritik und die Einheit von „ästhetischer" und „mythologischer" Wirkung der Kunst belegt, daß es Hegel nicht um Charakteristika bloßer „Ästhetizität" gehen kann. Es muß ihm in dem später abgesonderten Phänomen Kunst wieder um die Frage der geschichtlichen Funktion, d.h. der Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung im Sinne eines geschichtlichen Handelns gehen, das auf die Humanisierung der Welt ausgerichtet ist. In den Schriften der Berner Zeit entwickelt Hegel diesen Gedanken, besonders die Funktion der Schönheit als allgemeine Vermittlung der Moralität, kongenial mit SCHELLING und HöLDERLIN.»i SCHELLING in seinen Briefen über Zum Vergleich mit Hölderlin siehe u.a. ]. Taminiaux: La nostalgie de la Gr'ece ä V aube de l'idealisme allem and. 157-182; auf Schelling weist hier R. Legros in seinem Kommentar der Berner Schrift zum Leben Jesu hin (R. Leg ros: Le jeune Hegel
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Dogmatismus und Kritizismus, HöLDERLIN in seinem Hj/perio« erheben die Kunst zur Realisation der Schönheit. Die Veränderung der Wirklichkeit im Sinne der Schönheit wird entweder programmatisch postuliert oder durch ein eigens in diesem Sinn konzipiertes Werk angestrebt. Hegel erörtert den Zusammenhang dieser Überlegungen mit seinem eigenen Anliegen in dem genannten Fragment von 1796 das ROSENZWEIG als das „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ bezeichnete. Als Ergebnis der Frage nach einer praktischen Philosophie in geschichtsphilosophischer Perspektive (sc. „einer Ethik") wird hier die Forderung einer neuen Mythologie der Vernunft erhoben. Die Schritte, die zu dieser Forderung führen, wiederholen die bisher an anderen Überlegungen erörterte Problemstellung. Hier gewinnt die Berufung auf die vorbildliche Kultur der Griechen den systematischen Sinn, die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst als die Möglichkeit zur Aufklärung des ganzen Menschen und zur Veränderung der Wirklichkeit im Sinne der Humanität zu sichern. Hegel hatte die Erweiterung seiner Religionskritik durch eine Bestimmung der Kunst, durch die Kritik der Mythologie, die das Christentum beherrscht, vorbereitet und durch die Feststellung besiegelt, daß die Kunst, die Schönheit in diesem Kontext wirkungslos bleibe. Im „Ideal" der „schönen Religion" formuliert er dies auch positiv und er verbindet zugleich die geschichtsphilosophische Thematik, wie der Staat den Charakter des Maschinenwesens verlieren und den der Tradition sittlicher Orientierungen gewinnen kann, mit der Frage nach der Kunst. Der PLATONisch aufgefaßten Idee der Schönheit wird die Versöhnung der disparaten Sphären der Legalität und der lebendigen Moralität (Sittlichkeit) zugeschrieben. Zugleich entwickelt Hegel zwei Gestalten, in denen die „Schönheit" wirkmächtig wird, nämlich eine „ästhetische Philosophie" und die Poesie. Beide gelten als „Lehrerin der Menschheit". Hegel nennt hier zwar über SCHLEGELS Studium-Aufsatz hinaus neben der Poesie (Kunst) auch die Philosophie, ordnet diese Gestalt aber — gemäß seiner Einschätzung der Philosophie bis gegen Ende der Frankfurter Zeit — der Poesie (Kunst) nach. Philosophie thematisiert, was die Idee der Schönheit zum Ideal werden läßt, näherhin das Wirken der Kunst in der Geschichte. Anfänglich schwingt diese Dimension schon in der Bestimmung der „schönen Gestalt" als „schöner Handlung" mit. Hegel führt hier nämlich Beispiele an, die er später in der Ästhetik als Kunstwerke im gleichen Sinn analysiert (so die Maria Magdalena bzw. CORREGIOS Bild). Während sich beim Tugendlehrer die „schöne Handlung" auf eine individuelle geschichtliche Handlung einschränkte, deren „objektive" Wirkung nicht garantiert werden et la naissance de la pensee romatique. bes. 77 ff). Unter Berufung auf die Einheit von Mythologie und Kunst gibt Legros Schelling als Autor des ältesten Systemprogramms an. Philosophische Briefe über den Dogmatismus und Kritizismus. 1795. Brief 1; dazu Br. 1. 36 f.
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kann, verallgemeinert Hegel diesen Ansatz durch den Hinweis auf die Kunst. Die universale Bedeutung der Poesie legitimiert sich eindeutig aus der Aufgabe, die ihr im Kontext der Stiftung einer „sinnlichen Religion", und zwar nicht allein für die Masse („den großen Hauffen"), sondern auch für den Gelehrten zukommt. Die Kunst muß die Ideen zum Ideal konkretisieren, d.h. sie muß „die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen“. Schon hier bestimmt sich der „Werk"-Charakter der Kunst, der für alle folgenden Überlegungen bis zur Ästhetik erhalten bleibt, im Zusammenhang mit dem Mythologieproblem. Hegel legt in diesem Zusammenhang die Einheit von Form und Inhalt fest, die auch die Zlsf/iefiü: postuliert, und die in der Hegelinterpretation noch heute (oft ohne tieferen Sinn) beibehalten wird. Diese Einheit ist Kennzeichen der Idee, der Vernunftidee „Wahrheit" oder „Freiheit", insofern sie „lebendig" wird, als geschichtlich wirksam bzw. als Ideal erscheint. Die „Ästhetizität" jeglichen Kunstgebildes bestimmt sich aus der Fähigkeit, die Idee in eine schöne Gestalt zu übersetzen, sie in einer Mythologie zu konkretisieren. Das geschichtliche Werk kat' exochen, das die Kunst vollbringt, ist „das letzte, größte Werk der Menschheit", die Ausbildung einer neuen Religion, deren Mythologie alle interessiert und bildet, die Vielen und die Gelehrten vereint. Denn wenn die Mythologie im Kunstwerk (hier: in der Poesie) ihren Ausdruck findet, kann sie „das Volk" interessieren; weil sie der Vernunft entspricht, muß sich der Weise ihrer nicht schämen. Was Hegel im Blick auf die gegenwärtige Dichtung vermißt, nämlich die Stiftung einer solchen allen zugänglichen Mythologie des christlichen Glaubens (vgl. No hl. 24, 216 f), eben das sinnt er der Kunst als ihren geschichtlichen Leistungssinn an. Erst dadurch, daß Hegel im Kontext der „schönen Religion", der Mythologie, die Bedeutung der Kunst darstellen kann, ist der „Bann der Aufklärung" soweit gebrochen, daß die inhaltliche Orientierung der geschichtlichen Vernunft, daß die Verfestigung zu Regeln und Traditionen mit ihren Kultformen (d.h. den Institutionen) nicht zur „Positivität" degenerieren muß. Wenn eine Gesellschaftsformation entstünde, die der Gemeinschaft entspräche, die durch die schöne Religion gebildet wird, dann wäre dies eine im Sinne der Vernunft und Freiheit „revolutionierte" Gesellschaft. Es ergibt so einen guten Sinn, das Systemprogramm als Abschluß der Auseinandersetzung mit SCHILLER ZU lesen — als Abschluß freilich, der bei der größtmöglichen Affinität beider Positionen zugleich die Divergenz deutlich werden läßt. Das Systemprogramm erweist sich im Zusammenhang der Schiller-Deutung als eine Erweiterung des Programms der ästhetischen Erziehung und der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst, die SCHILLER zwar in seiner Idyllenkonzeption vorbereitet, durch den KANTianismus seiner Geschichtstheorie aber nicht konsequent durchführen kann. Wo SCHILLER sich auf eine Bildung des Individuums in der Gemeinschaft der (an der Kunst orientierten) Geister beschränken muß, kann Hegel eine reale
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Gemeinschaft unterstellen, die nach den Direktiven der neuen Religion lebt und handelt. Das heißt aber, daß das Programm der Briefe im Sinne der anfangs formulierten Aufgabe einer gesellschaftlichen Erneuerung aufgegriffen und durchgeführt wird. Wo SCHILLER in der Kunst und ihrer geschichtlichen Funktion (der Ausbildung des guten Geschmacks) ein Vernunftsurrogat erreicht sieht, kann Hegel geschichtlich-wirksame, inhaltliche Orientierungen des Weltvollzugs und des Handelns einer Gemeinschaft annehmen, die in der Kunst gegeben sind. Die Forderung der Mythologie der Vernunft hat formalen Charakter hinsichtlich der Rezeption und geschichtlichen Aufarbeitung fremder Mythologien, die in der Folgezeit etwa die Romantiker durchführen. Sie hat aber hinsichtlich des Geschichtlichwerdens der Vernunft, im Gegensatz zum KANXianismus der Geschichtstheorie, eine „materiale Komponente", nämlich inhaltliche und dennoch vernunftkonforme Orientierungen und letztlich Institutionen. Hegels knappe Bemerkung, daß die Ideen „ästhetisch" oder „mythologisch“ werden müßten, definiert also — beachtet man den Kontext des Ideals der schönen Religion — eine gesellschaftskritische Funktion der Kunst. Denn nur die Kunst stiftet die zur Wirksamkeit konkretisierten Ideen; wie Hegel schon hier sagt, sie ist Ideal. Kunst muß nämlich nicht nur irgendeine Mythologie stiften, sondern eine „Mythologie der Vernunft". Wenn Hegel in den Vorlesungen zur Ästhetik die Kunst generell als „mythologisierend" bestimmt, dann liegt darin lediglich eine materiale Erweiterung dieser frühen formalen Festlegung der geschichtlich-politischen Bedeutung der Kunst. Da aber auch die Ästhetik verschiedene Formen der „Mythologisierung" unterscheidet und bewertet, bleibt die frühe Bestimmung selbst hier noch anleitend. Auch die Berliner Vorlesungen legen die geschichtliche Bedeutung der Kunstwerke so fest, daß der Werkcharakter an der Fähigkeit gemessen wird, eine der Vernunftverpflichtung der Moderne entsprechende Mythologie zu liefern. Die Feststellung der „Vernunftkonformität" der geschichtlichen Wahrheitsvermittlung im Kontext einer „Ethik", d.h. einer Handlungsorientierung durch die Religion, liefert Hegel auch in der Ästhetik noch das entscheidende Kriterium für die Bewertung der „Ästhetizität", des vielbeschworenen Kunstcharakters der Kunstwerke. Betrachtet man die Forderung einer neuen Mythologie der Vernunft und ihre geschichtliche Konsequenz (die revolutionierende Aufklärung zu mündigem Vernunftgebrauch) nochmals unter Rücksicht auf die leitenden Begriffe der frühen religionskritischen Gedanken, nämlich Schönheit, Liebe, Leben als Vereinigung der Gegensätze, dann erscheint das Systemprogramm durch seinen Kontext als Erweiterung der „Vereinigungsphilosophie" HöLDERLINS und ScHELLiNGS zur Geschichtskonzeption. Begriffe wie „Schönheit", „Liebe", „Leben" indizieren die Realisation der Vernunftprinzipien in einer individuell freien, weil sozial aus Erfordernissen und Bedürfnissen der „Menschheit" (der Humanität) bedingten Existenz. Die
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Durchsetzung und Stiftung eines solchen lebendigen Zusammenhangs fällt der Kunst zu als ihr geschichtlicher Leistungssinn, wie er sich im Kontext des Ideals der Volksreligion ergibt. Kunst muß die Versöhnung zwischen sozial institutionalisiertem und individuell gelebtem Vernunftgesetz gewährleisten, weil nur in der Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft die lebendige (sc. bei SCHILLER wie Hegel konkret: die politische) Freiheit möglich ist. Dadurch löst sich die Aporie der Positivitätskritik auf. Denn die Schönheit repräsentiert jene im begrifflichen Differenzieren verlorene Totalität, und ihre Realisation als Werk (sc. im „Bild") hat — wie die Berufung auf die Griechen zeigt — zugleich staatsbildende Tendenz. Die Schärfe der späteren Polemik gegen Kunst, die „bloße Träumerei" an die Stelle der Wahrheit setzt — eine Skepsis, die auch F. SCHLEGEL etwa gleichzeitig mit Hegel in Paris artikulierte (1802) —, wird erst verständlich, wenn man die hier vorausgesetzte Rolle der Kunst mitbeachtet. Bei SCHILLER, der ansatzweise um dieselbe Bestimmung der geschichtlichgesellschaftlichen Funktion der Kunst bemüht war, bricht diese Konzeption durch die Art der philosophischen Explikation wieder auseinander. Ästhetische Erziehung, der bewußte Einsatz der Kunst zum Zwecke der Verwirklichung „problematischer" Vernunftprinzipien wie Humanität und Freiheit („Menschheit"), erreicht diese Freiheit immer nur im Reich des schönen Scheins, nicht in der Realität; für das Individuum, das sich auf seine Innerlichkeit konzentriert, nicht für und durch eine Gemeinschaft. Hegel kann diese Konzeption übernehmen und sie — wie er es beansprucht — in der Tat erweitern, wenn er sein „Ideal" als geschichtliche Funktion der Kunst formuliert. Mit der Forderung, daß die Vernunftidee „ästhetisch und mythologisch" gemacht werde, also mit seiner Bestimmung des Ideals, stellt sich Hegel implizit dies Problem, die gesellschaftskritische Funktion der Kunst in der Moderne über die entworfene gesellschaftsstiftende Funktion in der Antike hinaus zu bestimmen. Eine Lösung dieses stets mitschwingenden Problems formuliert Hegel nicht explizit. Sie läßt sich aber aus dem Kontext extrapolieren, den das älteste Systemprogamm mitanspricht: aus der Griechenrezeption.
1.4 Staat als Kunst-Werk. Die utopische Funktion der Kunst in Hegels Frühschriften Im Kontext der Mythologiediskussion gelingt es Hegel, die geschichtliche Funktion der Kunst programmatisch festzulegen, denn er entwickelt hier die Möglichkeit, das „Werk", das er zunächst in der schönen Handlung der Tugendlehrer verwirklicht sieht, als Kunst zu definieren und dem subjektiven Tun damit „Objektivität" zuzuschreiben, ohne die Wirkung — den Werk-
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Charakter — ändern zu müssen. Vorderhand bleibt die Frage unentschieden, ob es auch für die Moderne ein solches Kunstwerk geben könnte, das den griechischen Göttergestalten formal entspricht. Aus der Debatte um die Funktion der neuen Mythologie legt es sich nahe, ein solches Kunstwerk im Bereich der Poesie zu suchen und in der Auseinandersetzung mit ScHELLiNG in Jena wird Flegel sich mit einer solchen Konzeption konfrontiert sehen. Die Frage, ob die gegenwärtige Kunst in der Lage sei, eine „Volksphantasie" auszubilden, hatte Flegel negativ entscheiden müssen. Das besagt aber nicht schon, daß es grundsätzlich unmöglich sei, eine solche Kunst in der Gegenwart zu entdecken oder zu entwickeln. Hier fehlen eindeutige Stellungnahmen. Hegel muß sich aber wohl über den Sachverhalt klar gewesen sein, daß sein „Ideal" der schönen Religion wie der Kunst nur legitimierbar ist, wenn die Kunst ebenso wie die Religion ihre Funktion für die Moderne wiederholen, d.h. unter geänderten Bedingungen dasselbe, eine Bildung des ganzen Menschen, bewerkstelligen kann. In seinen Jenaer Schriften wird er diese Überlegung explizit durchführen. Bis zum Ende der Frankfurter Zeit setzt er an die Stelle der Auseinandersetzung mit einzelnen Werken der Kunst eine generelle Erörterung. Er legt nämlich durch den Blick auf das Griechentum den „Werkcharakter" der Kunstwerke fest und gewinnt damit ein Kriterium der Bestimmung der Kunst aus ihrer geschichtlichen Funktion, das er noch in den Berliner Vorlesungen zur Ästhetik anwendet. In seinen Vorlesungen zur Ästhetik wird Hegel Griechenland wie die Kunst nur dem Nachvollzug einer gebildeten Welt überantworten, die sich durch die Brechung der historischen bzw. bildungstheoretischen Reflexion die Bedeutung des Phänomens vergegenwärtigt. Demgegenüber entwickelt er in seinen frühen Überlegungen Ansätze zu einem Vollzug der Tradition durch die Kunst, der den Sinn des „Ästhetisch"- oder „Mythologisch"-Werdens der Idee erfüllt. Die Grundlage dieser Konzeption findet sich in der aus der Aufklärungsästhetik übernommenen Gleichsetzung der genialen Handlung und des Genies im Bereich des Kunstschaffens wie der Politik. Hegel deutet diese Identifikation analog zur Konkretion der Bestimmung des schönen Handelns im Kontext der griechischen Religion so um, daß die Kunst, die die allgemeine Mythologie stiftet, in diesem Werk strukturell gleiches leistet wie die „großen" Individuen und Staatengründer. Näherhin interpretiert Hegel die Rolle der Kunst im Griechentum so, daß die Bildung der Volksphantasie zugleich zur Bildung der politischen Phantasie gereicht, daß die Handlungsorientierung durch die Mythologie zugleich zur Ausbildung eines politischen Gebildes wird. Bei den Griechen fungiert die Kunst als jene konkrete Handlungsorientierung, die es wiederzugewinnen gilt, um die Situation der „Zerrissenheit" aufzuheben. An der Kultur der Griechen zeigt sich, wie die Kunst im Verbund mit der Religion in der Polis, im Staat, die Funktion der Selbstvergewisserung und Selbstrealisation des Individuums im gesellschaftlichen Sein, d.h. in der „Sittlichkeit eines Volkes", erfüllt.
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
Griechenland erscheint in diesem Hinweis als Ideal nicht nur der Vergangenheit, sondern der Gegenwart und Zukunft, und zwar in dem Sinn, der auch für die spätere Bestimmung des Ideals und des schönen Scheins gilt. Es wird
zum Gegenbild einer Realität, das die Wirklichkeit selbst ändert, weil es Vor-Schein einer geschichtlich möglichen Vollendung, nicht bloße Fiktion ist.
Im Kontext seiner religionskritischen Reflexionen skizziert Hegel also ein „Bild" des Griechentums, das zweierlei enthält. Zunächst zeigt sich die Kultur, die durch die „schöne Religion" gestiftet wird, als Resultat jener Einheit von Mythologie und Vernunft, die das Systemprogramm im Blick auf die „ästhetische" Dimension skizziert. Als Folge dieser Überlegungen wird die geschichtliche Wirkung in ihrem Resultat (dem Werk) so bestimmt, daß eine einheitliche Struktur von Staatswerk und Kunstwerk unterstellt werden kann. Die Kunst „bewirkt" das Entstehen der Polis, weil sie die identischen Vollzüge setzt und evoziert, die sich in der institutionellen Sedimentierung der Sittlichkeit „objektiv" wiederfinden lassen. Hegel weist auf das Werk der Kunst als Bild der Götter, als Poesie hin, um die „Objektivität" der Kunst als Fortschritt gegenüber der „Weltlosigkeit" des schönen Handelns zu behaupten. Darin zeigt sich die Kunst als funktional identisch mit der Polis. Die Götter stiften die Handlungsorientierung, die in der Polis zum „Gesetz", zur vernünftigen Welteinrichtung wird. Analog zur Bestimmung der geschichtlichen Funktion der griechischen Polis und im Blick auf die formale Entsprechung dieser Überlegungen zu SCHILLERS Idyllenkonzeption kann man von einer utopischen Funktion der griechischen Kunst sprechen, die sich durch die Verknüpfung des Ideals mit der geschichtlichen Situation, in der es noch nicht wirksam ist, zu einer utopischen Funktion der Kunst überhaupt erwei-
tert.
Diese Funktion der Kunst wird zum Kriterium für die „Ästhetizität", weil sie die Bestimmung der Kunst überhaupt liefert, wobei Hegel zunächst nicht weiter begründet, ob man damit eine Bestimmung hat, die unter den geänderten Bedingungen nach der Aufklärung auch gilt. Offenbar sieht er die unterstellte strukturelle Identität des schönen und des politischen Handelns (der schönen Religion als Mythologie und der Polis) als hinreichend plausibel an, um sie, falls erforderlich, zum Programm der Kunst umformulieren zu können, an dem sich die faktische Kunst messen lassen muß. Da sich in den religionskritischen Reflexionen nur wenige und versteckte Äußerungen zu Kunstwerken finden, kann man Hegels Konzeption aus dem gedanklichen Stellenwert des Griechenverweises nur erschließen. Dennoch ist G. LUKäCS' Behauptung nicht gerechtfertigt, die Kunst spiele in diesen Überlegungen so gut wie keine Rolle {Der junge Hegel. 91). An Hegels intensiverer Auseinandersetzung mit der Kunst in den Jenaer Schriften und Reflexionen zeigt sich, daß die hier skizzierte Bestimmung der Kunst seine
1.4 Staat als Kunst-Werk
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Intention trifft. Hegel verwendet dies Modell jeweils als Grundlage der konkreten Auseinandersetzung mit der Kunst und kommt nur dadurch zu seinen negativen Schlußfolgerungen. Selbst in den Vorlesungen zur Ästhetik zeigt sich die „utopische" Dimension des Griechenverweises, genauer die vorbildliche Einheit von Kunstwerk und Staatswerk im Griechentum, noch als die Grundlage des angeblichen „Klassizismus". Aus dem Kontext dieser frühen Überlegungen wird nämlich klar, daß Hegel, wenn er meint, im Griechentum habe man das „Vorbild" der Schönheit, nicht allein ein ästhetisches Kriterium angeben will, sondern immer ein „Vernunftkriterium" im Sinn der Religionskritik. Auch hier geht es nicht um eine im Sinne der Poetiken vorbildliche Kunst, sondern um eine im Sinne des Geschichtsentwurfs vorbildliche Funktion der Kunst. Bei SCHILLER fungieren griechische Kunst und der durch sie vollendete Mensch als Vorbild für die Selbstrealisation des Menschen, die es durch das Reich des schönen Scheins, durch den ästhetischen Staat wieder zu ermöglichen gilt. Hegel erhebt das Griechentum zum Vorbild für eine funktionierende Polis überhaupt. Schönheit wird zum Indiz und Konstituens für Freiheit nicht nur des Einzelnen, sondern aller. Da die Kunst niemals losgelöst von der Mythologie aufgefaßt wird, wirkt die Kunst auch auf doppelte Weise. Sie erhält immer da einen geschichtskonstitutiven Sinn, wo sie eine Mythologie stiftet und die Gestalten findet, durch die die Inhalte der Mythologie bzw. der Religion allgemein faßlich werden und im lebendigen Vollzug tradiert werden können. Dann bildet die Kunst eine Tradition, die zur Institutionalisierung der Formen des Selbstbewußtseins und des als moralisch bzw. sittlich legitimierten Handelns führt. In der „Querelle" der Antiken und Modernen votiert Hegel also nicht darum für die Antike, weil sie den überlegenen Schönheitssinn ausbildete und in der Kunst realisierte. Das Griechentum wird zunächst zum Vorbild, weil es als reales Gegenbild zur Moderne gilt und daher im Sinne SCHILLERS ein Ziel repräsentiert, das es mit geänderten Mitteln wieder zu erreichen gilt. Inden Vorlesungen zur Ästhetik liegt die Betonung dann darauf, daß allein die Antike als Zeitalter der Kunst aufgefaßt werden kann. Die Antike wird aber nur darum als die Epoche verstanden, die in der Kunst das Schönste hervorgebracht hat, weil Hegel die geschichtliche Funktion der Kunst überhaupt einschränkt. Selbst die „ästhetische" Beurteilung der Antike im engeren Sinn legitimiert sich aber wieder nur aus der umfassenden Festlegung der geschichtlichen Funktion der Kunst. Was sich in den frühen Überlegungen als Vorbildlichkeit der griechischen Polis und ihrer Verwirklichung der Sittlichkeit des Volkes zeigt, das führt Hegel später durch eine Bestimmung des Werkcharakters der Kunst überhaupt aus, mit deren Hilfe er dann ästhetische Kriterien gewinnt. In der Frage nach der Funktion des Griechenverweises für die frühe Bestimmung des Kunstwerks geht es also weniger darum, diese Konsequenz der Hegelschen Religionskritik überhaupt nachzuweisen. Vielmehr sollen
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
hinreichend viele Anhaltspunkte erschlossen werden, die Hegels implizite Bestimmung der Funktion der Kunst soweit charakterisieren, daß sie sich in der Darstellung der weiteren Entwicklung der Ästhetik als die argumentative Grundlage erweisen kann, aus der einzelne zunächst unverständliche oder undeutliche Ansätze sich klären. Für die Beurteilung des Griechentums als einer geschichtlichen Kultur wird das relativ leicht klar, denn Hegel zieht es immer als Beispiel heran, um zu demonstrieren, daß im „Staatsleben als solchen... die Notwendigkeit der formellen Bildung und damit die Entstehung der Wissenschaften sowie einer gebildeten Poesie und Kunst überhaupt" liege (Phil. d. Weltgesch. 1. 173; vgl. 177, 189). Da sich die Einschätzung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst aber anscheinend in ihr Gegenteil verkehrt, wo Hegel den Blick auf die „Moderne" richtet, könnte man hier größere Probleme vermuten. Das ist aber erstaunlicherweise nicht der Fall. Hegel findet gerade hier eine Formulierung, die den früheren Standpunkt charakterisiert. Er meint nämlich, das schöne öffentliche Leben der Griechen sei seihst als Kunstwerk anzusehen (G W 8. 263). Daran zeigt sich, daß die Parallelisierung von Kunstwerk und Staatswerk bei Hegel selbst durchgängig als die zutreffende Kennzeichnung des „Ideals" gilt. SCHILLER kann diese Strukturgleichheit des Ideals, des ästhetischen und idealen mit dem realen Staat, nur formal konzipieren, weil er bei der begrifflichen Konstruktion des Ideals, bei seiner Genese aus dem Kunstwerk, insofern es das Individuum bildet, stehen bleibt. Hegel erweitert diese formale Parallelität zu einer realen — auch inhaltlich bestimmten — Identität. Im Griechentum sind Kunstwerk und Staat strukturell gleich, weil das „öffentliche Leben" nicht den Charakter des „Maschinenwesens" annimmt, sondern den einer lebendigen sittlichen Gemeinschaft. Hierdurch erhält die ansonsten nur über den Geniebegriff (das Handeln des großen Individuums) zusammengehaltene Zweiheit von Kunst und Gesellschaft ihre „Idealität". An die Stelle der gedanklichen Konstruktion der Orientierung des zukunftsträchtigen Handelns bei SCHILLER tritt bei Hegel eine Geschichte, in der wir noch stehen, die die Ursprungsgeschichte unserer eigenen Kultur und damit unser selbst ist. In diesem Sinn entwickelt die Religionskritik durch die Verknüpfung von Kunst und Mythologie ein Modell, wie Aitiologie zugleich Utopie sein kann.»2 Im Anschluß an G. Lukäcs finden sich in der marxistischen Hegeldeutung Tendenzen, den jungen Hegel gegen die spätere Systematik auszuspielen, weil es Hegel hier gelinge, einen Begriff der „Gesellschaftlichkeit" der Kunst vorzubereiten. — Die marxistische Hegeldeutung interpretiert aber „Gesellschaftlichkeit" entweder wie Lukäcs unter Berufung auf den frühen Hegel gegen den Hegel des Systems und muß dann in der Asthetikden Verfall des frühen Ideals sehen (so H. H. Ewers: Die schöne Individualität: dazu die Rezension in Hegel-Studien. 15 (1980), 348 ff). Oder sie stützt sich wie Adorno auf den Hegel des Systems und sieht in der Gesellschaftlichkeit *2
1.4 Staat als Kunst-Werk
137
In Hegels philosophischer Umgebung finden sich zwei Anhaltspunkte dafür, daß er erwogen haben mag, seine Bestimmung des Ideals auf die angegebene Weise auch für eine generelle Bestimmung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst aufzuarbeiten. Der erste Anknüpfungspunkt ist der schon genannte in SCHILLERS Idyllenkonzeption und in SCHLEGELS daran anschließender Konzeption einer Transzendentalpoesie. Hier wird sicher SCHILLERS Gedanke, daß der „Stoff dieser Idylle" das „Ideal" {Brief an v. Humboldt vom 30. Nov. 1795) sein soll, in der Konzeption der schönen Religion wiederholt. Hegel geht aber nicht den Schritt über SCHILLER hinaus, den SCHLEGEL vollzieht. Er formuliert die Zukunftsperspektive nicht explizit für die Kunst. Der zweite Anknüpfungspunkt kann in Gedanken HöLDERLINS liegen, genauer in HöLDERLINS Begriff der „idealischen Erinnerung". HöLDERLIN erwägt wie Hegel die Möglichkeit, durch eine Erinnerung an die vollendete Vergangenheit sein Ideal der Volkserziehung zu vollenden. Die Poesie übernimmt darin die Aufgabe, die SCHILLER in der elysischen Idylle bzw. der idealischen Dichtung entwirft, ln der auswählenden Auszeichnung gelungener Weisen der Realisation von Vernunft und Freiheit in einem geschichtlichen Volk zeigt die Kunst die Vergangenheit als die Zukunft, die es wieder anzustrehen gilt. Mit HöLDERLINS Überlegungen hat Hegel sich sicher auch auseinandergesetzt. Es sprechen allerdings zwei Gründe dagegen, daß er dadurch seine Konzeption des Ideals der schönen Religion mit der Zukunftsperspektive der Kunst verknüpft. HöLDERLIN bezweifelt nämlich in der Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit Hegel (greifbar in der Arbeit am Empedokles), daß ein im griechischen Geist entwickeltes Handlungsvorbild dem Dilemma des Handelns aus Vernunftprinzipien (d.i. der Notwendigkeit des Positiv-werdens und damit der Entfremdung des Handelns von der impliziten Intention) entgehen könne. Außerdem widersprechen sich HöLDERLINS und Hegels Anamnesisbegriff.83 Die Anamnesis, das „Gedächtnis", repräsentiert die der Kunst lediglich deren systemauflösende Tendenz. Wie undifferenziert mit diesem Begriff der Gesellschaftlichkeit der Kunst umgesprungen wird, zeigen auch die Versuche, Hegels Ästhetik zur Grundlage einer Kunstsoziologie zu erheben. Vgl. dazu vom Verf. Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel, 239 ff. ®^Vgl. D. Henrich: Hegel und Hölderlin, 19 ff; H. Bachmaier greift in seiner Interpretation einen Gesichtpunkt auf, der die anstehende Problematik besser erhellt. Er charakterisiert Hölderlins Erinnerungsbegriff als dichterische Repräsentation der Vergangenheit zum Zwecke der Befreiung und orientiert sich hier an W. Benjamin : Zur Kritik der Gewalt u.a. Aufsätze, IS ii-, H. Marc useiTrieh Struktur und Gesellschaft. 228; ders.: Der eindimensionale Mensch. 117 f. Erinnerung gilt als „Mittel der Befreiung", weil sie zugleich mit der Repräsentation der Vergangenheit den „Ausdruck des Gesetzes der Revolution" schafft (H. Bachmaier: Hölderlins Erinnerungsbegriff in der Hamburger Zeit, bes. 152 f). Hölderlins theoretische Überlegungen schließen sich in dieser Interpretation mit den dichterischen Versuchen zusammen zu einem Ideal der schönen Religion, das dem Hegels entspricht. Bachmaier
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
griechischen Götter allenfalls als tote Gestalten ohne Bedeutung für die Gegenwart (Dok. 261). Nur der lebendige Vollzug der Schönheit und Liebe in der Religion könnte den Geist der schönen Religion wieder wirksam werden lassen. Man muß also Hegels eigene Charakteristik, das schöne öffentliche Leben der Griechen sei Kunstwerk, wörtlicher nehmen als es bislang in der Rekonstruktion der Frage geschehen ist, wieweit der Vergangenheitsverweis grundsätzlich eine Zukunftsperspektive hat. Die griechische Polis entspringt einem Prozeß, der dem Werden und der Wirkung des Kunstwerks entspricht. SCHILLERS „rückwärts" gewandte Utopie wird dann bei Hegel nicht allein durch die Angabe einer historisch greifbaren Kultur konkretisiert, sondern die Bestimmung der Kunst selbst verdankt sich einer solchen kultur- bzw. geschichtsphilosophischen Betrachtung. Hegel greift nämlich SCHILLERS Gedanken so auf, daß er in der Tat für eine philosophische Bestimmung der Kunst verwendbar wird, weil alle Momente der Idyllenkonzeption, die einer solchen Verwendung entgegenstehen, ausgeschlossen werden. Der Vorteil, eine vergangene, aber reale Vollendung „zitieren" zu können, wird verstärkt durch den weiteren Vorteil der Gestaltbarkeit historisch ferner und nur ungenau bekannter Phänomene. So gewinnt Hegel im Traditionsverweis einmal die erforderliche Konkretheit des Ideals, ohne die Nachteile historischer Genauigkeit, die schon in SCHILLERS historischer Darstellung zur Differenzierung zwingen, mit in Kauf nehmen zu müssen. Hinweise inhaltlicher Art, wie die Poesie im Griechentum als Lehrerin des Volkes fungiert, finden sich so gut wie keine, es sei denn, man verkehrte Hegels Kritik an gescheiterten Versuchen, (z.B. denen KLOPSTOCKS) durch die Kunst eine Mythologie zu stiften, in ihr Gegenteil. SCHILLERS historische Versuche, die griechische Gesellschaftsform zu analysieren, die Hegel rezipiert, werden bezeichnenderweise weniger differenziert übernommen (wie die Rezeption der Schrift Über die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon zeigte). Auch die griechische Kunst selbst wird nicht — d.h. nicht über die Bestimmung ihrer geschichtlichen und gesellschaftlichen Funktion hinaus — analysiert. Blickt man aber auf die utopische Funktion des Griechenverweises unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Tatsache, daß hier historische Realität im Sinne eines Entwurfes der Geschichte gestaltet wird, dann legt es sich nahe, in Hegels Konzeption nicht nur die formale Abrundung der Idyllenkonzeption SCHILverweist auf Parallelen zu Schillers Theosophie und zu den Jugenddramen (a.a.0.138 f), die in der Griechenparallele die Ausrichtung auf Freiheit thematisieren und für Hölderlins Hyperion bedeutsam werden. F. Strack führt die Rückwendung an die Antike als Verpflichtung auf die „Schönheit" an und spricht vom „komplementären Bezug antiker Mythen und moderner Bewußtseinsphilosophie" (Ästhetik und Freiheit — Hölderlins Idee von Schönheit, Sittlichkeit und Geschichte in der Frühzeit. 130) in Hölderlins (sic!) Systemprogramm.
1.4 Staat als Kunst-Werk
139
zu sehen. Nicht nur die griechische Polis als Ganzes ist „Kunstwerk", auch Hegels Charakteristik des Wirkens der Kunst in der Polis entspricht — als Erfüllung des Ideals der schönen Religion — einem Kunstwerk. Er entwirft nämlich das Bild einer Welt, wie sie sein sollte, wenn in ihr Vernunftprinzipien durch das Handeln der Menschen Wirksamkeit gewönnen. Löst man den Griechenverweis aus dem religionskritischen Kontext, dann erscheint Hegels Bild der Polis selbst als ein rückwärts orientiertes Bild der Zukunft der Menschheit. Das im Systemprogramm geforderte „Ästhetisch"und „Mythologisch-Werden" der Vernunftideen im geschichtlichen Entwurf, der die Einheit von Moralität und Legalität als Wirkung der Kunst darstellt, findet sich in Hegels Formulierung des Jdeals". Die utopische Funktion des Traditionsverweises enthält in der Weise, wie Hegel sie gestaltet, einen Entwurf der „Erinnerung" des Vergangenen, eine Vermittlungsmöglichkeit der geschichtlichen Wahrheit, der jene im Griechenverweis thematisierten Funktion der Kunst wiederholt. Deshalb entspricht Hegels Griechenverweis im Kontext der schönen Religion auch materialiter der Idyllenkonzeption und hat überdies den Vorteil, die geforderte Einheit von Moralität und Legalität als gelungen darzustellen. Die Kunst erwirkt nicht wie bei SCHILLER durch den „guten Geschmack", die Religion nicht durch die „Quasi-vernunft" der schönen Seele Vernunftsurrogate. Sie konstituiert die Sittlichkeit eines Volkes, orientiert das Handeln aller und die Ausbildung von Institutionen, die, obwohl „Gesetz", doch vernünftig und als solche lebendig vollzogen sind. Im Blick auf die frühen Überlegungen gewinnt Hegels Charakteristik der griechischen Polis als „Kunstwerk“ so einen Doppelsinn. Gemeint ist natürlich, daß die Polis durch die Kunst erwirkt ist. Gezeigt ist aber überdies, daß die Konzeption der polisstiftenden Kraft der Poesie im Kontext der schönen Religion selbst als Bild der Welt, wie sie sein sollte, entworfen ist, selbst als Kunstwerk gesehen werden kann. Hier erfüllt sich nämlich die Aufgabe, die SCHILLER der elysischen Idylle unterstellt: die Orientierung des geschichtlichen Handelns auf eine Zukunft durch den Blick zurück. Damit zeigt sich in Hegels frühen Überlegungen eine Möglichkeit der Behandlung deir Kunst, die im Sinne des Systemprogramms das Ideal der Volkserziehung zur Konzeption der gesellschaftlich-geschichtlichen Wirkung der Kunst erweitert. Der Kunst kommt die Aufgabe zu, durch Konkretion der Vernunftidee zum Bild der Welt, wie sie sein soll, das Handeln auf diese Zukunft zu orientieren. Wenn im folgenden von „Gesellschaftlichkeit" oder Geschichtlichkeit der Kunst gesprochen wird, dann im Sinn dieser Bestimmung, die sich aus der utopischen Funktion des Traditionsverweises ergibt. Hegel selbst behält diese Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst bei. Seine philosophische Behandlung der Kunst kann als die Durchführung und die mehr oder weniger gelingende historische Exemplifikation dieses Programms gelten. LERS
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1. Zur Bestimmung der Kunst in Hegels Jugendschriften
In der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Hegels Griechenbild, die in den „Klassizismusvorwurf" gegen die Ästhetik eingeht, sieht man gerade diese „Idealisierung" Griechenlands als die Krux der Ästhetik an. Diese Einsicht, daß die Moderne ein Griechenbild entwirft, das die antike Kultur „idealischer" ansieht als sie war, formuliert schon W. VON HUMBOLDT (1793). Hegel muß dies Problem gesehen haben und er muß es so gedeutet haben, daß die historische Ungenauigkeit conditio sine qua non der systematischen Bedeutung des Griechenverweises ist. HUMBOLDTS Postulat, diese Idealisierung des Griechentums positiv zu sehen und durchzuführen, gewinnt für Hegel nämlich in SCHILLERS Idyllenkonzeption Gestalt. Bei ihm selbst wird sich zeigen, daß mit der Erweiterung historischer Kenntnis über die Antike das Ideal der schönen Religion in seiner universalen Bedeutung eingeschränkt wird; nur dadurch, daß der „Blick zurück" die historischen Fakten, die über die griechische Antike zur Zeit Hegels in wachsendem Maß aufgearbeitet werden, zu einem Bild verschmilzt, gewinnt die Antikenrezeption utopische Funktion. Nur das Bild einer vergangenen Welt als Entwurf, der Fakten und Idealität zusammenschließt, erscheint als die alternative Wirklichkeit zur Moderne; nur durch die produktive Tätigkeit einer solchen Umdeutung wird die Antike zum Ideal, zur (vergangenen) Realität der Vernunftideen Freiheit und Humanität. Die Idealisierung der Antike ist also zwangsläufig, wenn sie als Humanitätsideal aufgefaßt und von der individualgeschichtlichen zur universalgeschichtlichen Bedeutung ausgeweitet wird, wie es in Hegels Erweiterung der eigenen frühen Überlegungen geschieht. Diese Idealisierung hat eine doppelte Bedeutung. Explizit thematisiert Hegel die schon genannte, daß nämlich das „Ideal" die in der Moderne erst intendierte Realität der Vernunftideen vorab garantiere. Implizit enthält dieser Entwurf aber eine weitere Dimension. Die antike Polis seihst entspricht dem Kunstwerk, wie es Schillers Briefe konzipieren. Die formale Analogie von Kunstwerk und Staatswerk, von der die Aufklärungsästhetik ausgeht, konkretisiert sich hier zu einer realen Identität. Aufgrund dieser Identifikation wird sowohl Hegels Forderung verständlich, die Kunst möge als weltgeschichtliches Werk verstanden werden, wie seine spätere Einschränkung der gegenwärtigen Wirkmöglichkeiten jener Kunst, die der Anforderung, „Werk" zu sein, nicht genügt. Es wird deshalb auch sinnvoll, von der utopischen Funktion des Griechenverweises aus die utopische Funktion der Kunst als den von Hegel bis hin zur Ästhetik unterstellten Leistungssinn der Kunst zu behaupten. Hegel erweitert also durch die Art der Verwendung des griechischen Ideals SCHILLERS Konzeption des „schönen Scheins" in entprechendem Sinn, wie er das „Ideal" erweitert. Er gebraucht die „Idealisierung" der Antike in der Forderung einer neuen Mythologie als Gedankenfigur, die BLOCHS Bestimmung des „Vorscheins" von Vollendung entspricht und die SCHILLERS Trennung von Schein und Realität auch in der Bestimmung der Kunst aufhebt.
1.4 Staat als Kunst-Werk
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In Hegels weiterführenden Bestimmungen zeigt sich, daß er selbst die Konsequenz seiner Überlegungen nicht zieht, denn er verläßt den Standpunkt des „Idealisierens" und setzt an die Stelle seines Entwurfs der Welt die Auseinandersetzung mit der historischen Realität sowohl des Griechentums wie der Kunst. Da beide faktisch vor dem „idealiter" gerechtfertigten Anspruch versagen, folgert Hegel den Vergangenheitscharakter des Griechentums wie der Kunst, d.h. er gibt die utopische Perspektive seines Entwurfs — motiviert durch die Tendenz zur historischen Genauigkeit — auf. Hier zeigt sich der Vorteil jener historischen Ungenauigkeit der Weltanschauungsentwürfe zum Zweck der Weltveränderung, und es soll deshalb im folgenden versucht werden, aus der frühen Konzeption ein Korrektiv für die spätere Entwicklung derselben Gedanken in den Vorlesungen zur Ästhetik zu gewinnen. Komplementär dazu erschließt sich die Bedeutung des Übergangs vom Entwurf geschichtlich wirkmächtiger Alternativen der Weltanschauung zum System der Philosophie. Hegel will eine Gelingensgarantie an die Stelle der utopischen Funktion des „Bildes" der menschenwürdigen Welt setzen, die sich auf der einen Seite aus seiner Geschichtskonzeption in praktischer Absicht nahelegt, sie auf der anderen Seite aber korrumpiert. Diese Tendenz zeigt sich schon in den ersten historisch genauen Analysen sowohl der modernen Staatsverfassungen wie der Kunst. Sie setzt sich in den Schriften der Jenaer Zeit durch und führt zur Konzeption des Systems der Philosophie, und sie wird in den Modifikationen greifbar, die Hegel in den Vorlesungen zur Asthetikan den im Kontext der Religionskritik angedeuteten Bestimmungen der Kunst anbringt. In all diesen Schritten zeigt sich aber, daß die Bestimmung der Kunst, die Hegel im Kontext der Forderung der „Mythologie der Vernunft" mitanspricht, Hegels späterer Bestimmung des Kunstwerks und seiner historisch relativierten Bedeutung zugrundeliegt.
2. DIE ENTWICKLUNG DES SYSTEMS DER PHILOSOPHIE
ALS GRUNDLAGE DER ÄSTHETIK
Die entwicklungsgeschichtliche Darstellung der Ästhetik steht vor einer Schwierigkeit, die nur gelöst werden kann, wenn man die bisherigen entwicklungsgeschichtlichen Analysen nochmals differenziert und die «Zäsuren" in Hegels Denkentwicklung verändert. Vergleicht man nämlich Hegels Schritte auf dem Weg zu einer endgültigen Bestimmung der Kunst mit denen, die zur Ausbildung seines Systems der Philosophie führen, dann erweist sich ein anderer Einschnitt als wesentlich als der bisher angenommene Umbruch in Hegels Jenaer Zeit. Bislang gilt es in der Hegelinterpretation als unbezweifelbar, daß der wesentliche Schritt bzw. Fortschritt in Hegels Jenaer Zeit fällt, etwa in das Jahr 1803.^ Erst hier hat Hegel nämlich die Konsequenz gezogen, die er SCHELLING gegenüber schon 1800 beim Übergang von Frankfurt nach Jena ankündigte und die seine ersten publizierten Schriften prägt: erst hier vollendet sich das «Ideal des Jünglingalters" zum System der Philosophie. Man kann diesen Zeitpunkt auch für Hegels Reflexionen zur Kunst als die Wende zur endgültigen Konzeption angeben. Nur steht man dann vor der Schwierigkeit, daß man den Beginn der Auseinandersetzung mit der Kunst überhaupt in die Jenaer Zeit verlegen muß und daß man dadurch mit einer relativ abgeschlossenen Konzeption der Kunst konfrontiert wird, deren Herkunft nur bis zur Diskussion mit SCHELLING zurückverfolgt werden kann. Hegels Auseinandersetzung mit SCHELLING ist aber ebenso wie ihre sachlichen Probleme älter als die Zusammenarbeit beider in Jena. Die Probleme, um die es speziell bei der Bestimmung der Kunst geht, liegen seit der Tübinger Stiftszeit fest und sie prägen den Entwicklungsgang Hegels, HöLDERLINS wie SCHELLINGS. Der spezielle Einfluß SCHELLINGS kann also für die Konzeption des Systems der Philosophie zwar als konstitutiv gelten, für früher entwickelte und schon differenzierter erarbeitete Fragestellungen Hegels zeigt sich hier ein nur sekundärer Einfluß. Das Begreifen von Geschichte zum Zwecke des weltverändernden Handelns, wie Hegel es in der Religionskritik entfaltete, wird beispielsweise in die Konzeption des Systems der Philosophie erst nachträglich integriert. Dasselbe gilt für das Programm
1 Vgl. dazu die jüngst erschienene Arbeit von P. Kondylis: Die Entstehung der Dialektik sowie die Rezension in Hegel-Studien. 18 (1983), 259 ff.
2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
143
der Mythologie der Vernunft und für die Bestimmung der Kunst, die Hegel im „Ideal" der vernünftigen neuen Religion mitentwirft. In beiden Fragen, nämlich sowohl in der Mythologiedebatte wie in der Frage nach der Kunst, beziehen die Jenaer Schriften erst nach den vorläufigen Systementwürfen, etwa in der Schrift über die Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems erneut Stellung, und zu beiden Problemen findet sich erst nach 1803 jene endgültige Stellungnahme Hegels, die in Grundzügen bis in seine letzten Schriften und Vorlesungen erhalten bleibt. Hegel gibt die Frage nach der Mythologie beispielsweise insoweit auf, als er in der christlichen Religion nun (im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Kritik) eine Religion sieht, die sich als vernünftig rechtfertigen läßt, weil sie als „Vorstellung des Absoluten" in die philosophisch-systematische Explikation integriert werden kann. Ebenso erscheint die Kunst als eine Gegebenheitsweise des Absoluten, aber die Art der Repräsentation führt auch hier zur Änderung der Einschätzung der geschichtlichen Bedeutung. In beiden Fällen erscheint es für eine Rekonstruktion der Hegelschen Gedanken sinnvoller, nicht erst bei der endgültigen bzw. relativ endgültigen Konzeption der Jenaer Zeit einzusetzen, sondern bei der zugrundeliegenden Frage nach der Mythologie der Vernunft. Während das bei der Beschäftigung mit Hegels Religionskritik schon in einigen Untersuchungen berücksichtigt wird,^ entwickelt man diesen Aspekt für die Kunst bislang nicht, denn die Tatsache, daß es relevante Äußerungen zur Bestimmung der Kunst in den Frühschriften gibt, wird so gut wie nicht beachtet. Gerade in der Frage nach der Entwicklung der Ästhetik wird es aber dringlich, die Frage nach dem Hintergrund zu stellen, auf den sich Hegels zumeist nur kritische und ablehnende Äußerungen zur Kunst beziehen. Will man hier nicht nur eine externe Motivation unterstellen, etwa eine Abwendung von HöLDERLIN oder die beginnende Skepsis gegen SCHELLING, dann muß gezeigt werden können, daß Hegel in seinen kritischen Äußerungen zur Kunst ebenso gegen seine eigene frühere Ännahme argumentiert wie gegen ScHELLiNGS ästhetisches System und daß die kritischen Äußerungen gegen SCHELLING wiederum durch eine alternative Konzeption geprägt sind, die Hegel schon hatte, bevor er in die intensivere Diskussion mit SCHELLING eintrat. Diese Konzeption ist greifbar im ältesten Systemprogramm und sie läßt sich als der Hintergrund der Hegelschen Reflexionen eher als der der Ärgumente SCHELLINGS nachweisen, weil Hegel jeweils die hier zugrundeliegende
2 Hier kann vor allem auf Peperzaks Arbeit verwiesen werden (Le jeune Hegel et la Vision morale du monde) sowie H. S. Harris: Hegel's Development. Towards the sunlight. 1770—1801. Harris setzt die Darstellung der Entwicklung Hegels für die Jenaer Zeit fort: Hegel's Development. 11: Night Thoughts (Jena 1801—1806).
144
2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Geschichtskonzeption gegen SCHELLINGS Versuche der „spekulativen Konstruktion" der Historie auf dem Felde der Ästhetik einbringt. Deshalb legt es sich zugleich nahe, eine andere Zäsur in Hegels Entwicklung anzusetzen. Denn der Umschwung in der Beurteilung der geschichtlichen Funktion der Kunst bereitet sich bei Hegel mit den ersten Versuchen vor, ein System der Philosophie zu entwerfen und gegen seine bisherige „Vereinigungsphilosophie", gegen seine bisherige Verwandtschaft mit HöLDERLIN zu setzen. Das heißt; für die Frage nach der Bestimmung der Kunst bereitet sich eine Standpunktänderung schon in Hegels Schriften gegen Ende der Frankfurter Zeit vor, nämlich in der Überarbeitung der PositivitätsSchrift, in der letzten Fassung des Geist des Christentums sowie in dem sog. „Systemfragment von 1800" und in einigen vorbereitenden Überlegungen, die später in der Schrift über die Verfassung Deutschlands wiederaufgegriffen werden. Die Tendenz seiner Standpunktänderung thematisiert Hegel wiederum am merklichsten in seiner ScHiLLERinterpretation, d.h. sowohl in der ScHiLLERkritik im Geist des Christentums wie in einem kurzen Aufsatz über SCHILLERS Wallenstein, der die Konsequenzen für die Bestimmung der Kunst vorbereitet. Hegel hatte sich offensichtlich zunächst von diesem Werk die Darstellung eines „großen Individuums" erhofft, eines weltgeschichtlichen Handelns, in dem Kunst- und Staatswerk noch einmal jeweils ihre einheitlichen Ursprünge dokumentieren könnten. Im Wallenstein entwirft SCHILLER aber stattdessen die Gestalt eines Staatenlenkers in all ihrer individuellen Unzulänglichkeit. Er zeigt eine Entwicklung des Individuums, die mit der Entwicklung „seiner" neuen Welt in kein paralleles Verhältnis zu setzen ist. Was Hegel hier als Kritik eines einzelnen Kunstwerkes formuliert, bestimmt seine Einschätzung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst bis hin zu den Berliner Vorlesungen über Ästhetik, und er führt diese Gesichtspunkte — unter Benutzung der gleichen Argumente — an, wo er in seinen Jenaer Schriften und Reflexionen die „Umwertung" der Bedeutung der Kunst für die Moderne explizit begründet. Gegen die bisherige entwicklungsgeschichtliche Deutung erscheinen also die abschließenden Überlegungen der Frankfurter Zeit und die ersten Publikationen der Jenaer Zeit als kontinuierliche Entwicklung, ünter Rücksicht auf die Entwicklung der Ästhetik erscheint überdies der „Umbruch" um 1803 als definitiver Abschluß dieser kontinuierlichen Entwicklung, als Konzeption jenes Ansatzes, der sich aus den Formulierungen der Aporien der frühen Konzeption einer Geschichtsphilosophie in pragmatischer Absicht bruchlos entwickeln läßt. Gegen diese Deutung spricht, daß Hegel zunächst in seinen verschiedenen „Systementwürfen", die sich in den ersten Schriften und Reflexionen der Jenaer Zeit finden, der Kunst einen Stellenwert im System der Philosophie einräumt, der der abschließenden Einschränkung ihrer Bedeutung widerspricht. Hier scheint sich eher die ursprüngliche umfassende Bedeutung der Kunst widerzuspiegeln, die das älteste Systemprogramm durch die Konzep-
2.1 Geschichtsphilosophie versus geschichtliche Funktion der Kunst
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tion einer Mythologie der Vernunft entwickelte und der Hegel anscheinend in ScHELUNGS Bestimmung der Kunst als Organon der Philosophie wiederbegegnet. Schon die ersten Überlegungen enthalten aber jene Differenzen zu ScHELLiNGS Konzeption, die sich aus der Skepsis gegen die Leistungsfähigkeit der Kunst gegen Ende der Frankfurter Zeit nahelegen, so daß sich auch hier die veränderte Einschätzung der Kunst nach 1803 in Hegels Konzeption einfügt, weil sie als endgültige Formulierung einer schon früher entstandenen Tendenz erscheint. Die Phase von der letzten Überarbeitung des Geist des Christentums (1798/99) bis zum Erscheinen der Phänomenologie des Geistes darf also in der Entwicklungsgeschichte der Ästhetik als Einheit gefaßt werden, nämlich als die Ausbildung der Skepsis gegenüber dem ursprünglichen Programm und als der Versuch, durch Präzisierungen die Aporien des religionskritischen Ansatzes zu bewältigen. Das ist im übrigen der vertretbare Sinn, den man GLöCKNERS These von den „ästhetischen" Grundlagen des Hegelschen Systems der Philosophie beilegen kann. Zugleich kristallisiert sich in dieser Phase des Hegelschen Denkens modellhaft (d.h. in inhaltlichen Schritten und Elementen) die Gestalt der späteren Ästhetik heraus. Auch der Nachweis, daß und auf welche Weise sich die Ästhetik als Teil des Systems der Philosophie aus den frühen religionskritischen Ansätzen entwickelt hat, vereinfacht sich durch diese Periodisierung der Entwicklungsgeschichte. Die Schritte, die Hegel in der Ausbildung seines Systems der Philosophie vollzieht, sind nämlich jeweils auch Schritte der Modifikation der vorher unterstellten Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst. Durch die Rekonstruktion dieses (vermeintlichen) Fortschrittes zeigt sich also zugleich, wo eine Kritik der systematischen Ästhetik, d.h. der Konzeption der späteren Vorlesungen zur Ästhetik, ansetzen kann.
2.1 Geschichtsphilosophie versus geschichtliche Funktion der Kunst Aus Hegels frühen Überlegungen ergibt sich ein Problem, das die kontinuierliche Entwicklung der philosophischen Bestimmung der Kunst aus der geschichtlichen Funktion der „Schönheit" (im Kontext der „schönen Religion") verhindert. Statt an der Konzeption festzuhalten, die er im Systemprogramm formuliert hat und die sich im Griechenverweis näher explizieren ließ, schränkt Hegel die geschichtliche Funktion der Kunst ein. Zunächst wird er schon durch die Divergenz von programmatischer Bestimmung der Kunst und faktischer Gestalt (die er in seiner KorzEBUE-Kritik formuliert) dazu genötigt, sich in der Bestimmung der Funktion der Kunst an einer Vergangenheit zu orientieren, in der die Kunst vollendet war, weil ihre
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geschichtliche Wirkung die Orientierung des gesamten Lebens umfaßte. Daraus folgt die Frage, wie das „Ideal" aus der am Modell vergangener Vollendung entworfenen erforderlichen geschichtlichen Leistung zu einer entsprechenden Leistungsfähigkeit unter geänderten Bedingungen wiederbelebt werden könnte. Hegel setzt sich gegen Ende der Frankfurter Zeit erneut mit SCHILLER auseinander. Seine Reformulierung der Annahme, wie die Einheit von Tugend und Glückseligkeit gedacht werden könne und welchen Stellenwert sie in der geschichtsphilosophischen Konzeption habe, geht Hand in Hand mit einer Kritik an der Gegenwartskunst. Während die frühe KLOPSTOCK-Kritik noch von der Idealvorstellung einer universalen Wirksamkeit der Kunst im Sinne der Ausbildung einer Mythologie der Vernunft geleitet ist, akzentuiert Hegel nun die negative Seite dieser Kritik und betont, daß die Kunst der Moderne gerade nicht fähig sei, dem „Ideal" zu genügen. An der Kunst selbst konstatiert Hegel die Diskrepanz von weltgeschichtlich relevantem Handeln, wie es im Kunstwerk repräsentiert wird, und der erforderlichen Handlung im Sinne der Einrichtung von Vernunft und Freiheit in der Realität. Auch hier könnte Hegel noch seine vorherige Schlußfolgerung aufrechterhalten und statt der vorfindlichen eine neue Kunst fordern, die die Weltanschauung (Mythologie) der Moderne ausbildete. Da diese Konsequenz aber eng mit dem Stand der geschichtsphilosophischen Reflexion zusammenhängt, ändert sie sich, wo Hegel seine bisherigen Entwürfe für unzureichend erklärt. In der Religionskritik und der ihr inhärenten Geschichtskonzeption hatte Hegel nämlich bislang nur eine „Idee" der Leistungsmöglichkeit der Kunst entwickelt und sie an einer Vergangenheit zum „Ideal" konkretisieren können. Nun fragt er näher nach den Bedingungen, unter denen diese Konzeption der Kunst in der Moderne die geschichtliche Konkretheit des griechischen Ideals wieder erreicht, und vermag keine Bedingungen solcher Art zu entdecken. Die Rolle, die die Kunst in der „schönen Religion" der Griechen spielte, kann unter den geschichtlichen Bedingungen der Gegenwart nicht wiederholt werden. In diesem Zusammenhang entwickelt Hegel die Intention und die ersten Ansätze seiner systematischen Philosophie, die den Reflexionsstandpunkt in dem Sinn überbietet, den er bislang den Begriffen Schönheit, Liebe, Leben zuschrieb und die überdies in die Lage versetzt, geschichtliche Inhalte auf ihre Geltung hin zu überprüfen und zu rechtfertigen. Mit der Ausbildung dieser neuen Philosophiekonzeption, die erst in den Schriften der Jenaer Zeit vollendet wird, modifiziert Hegel die geschichtliche Bedeutung der Kunst. Zwar bleibt der vorher entworfene „Leistungssinn", bleibt das Ideal der Kunst identisch, es ändert sich aber die Folgerung, ob das Ideal selbst bloß „vergangen" oder auch zukunftsmächtig sei. Weil Hegel sich für die erste Vermutung entscheidet, hat er die Argumente seiner späteren Ästhetik an der Hand, die griechische Kunst zum Ideal schlechthin zu erheben. Aus der
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Diskrepanz von programmatischem Entwurf und faktischer Gestalt und Wirkung der gegenwärtigen Kunst entsteht also die Schwierigkeit der späteren Ästhetik. Die Kunst scheint — wo die Konzeption abgeschlossen ist — an einem Maß gemessen zu werden, dem sie nicht entsprechen kann, das selbst aber nur durch ein ästhetisches Vorurteil (den Klassizismus) zur Geltung gelangt. Daß diese Folgerung nicht zwingend ist, läßt sich an der Art und Weise belegen, wie Hegel von seiner frühen Konzeption abrückt. Zunächst wird der Klassizismusvorwurf hier ebensowenig gerechtfertigt wie die spätere Kritik, es gehe Hegel nicht mehr um eine geschichtsphilosophische Konzeption der Ästhetik bzw. es könne ihm um eine solche nicht gehen. Sowohl zu Beginn der Modifikation der frühen Überlegungen wie (zumindest teilweise) in der Asthetikhält Hegel an den bislang dargestellten wesentlichen Bestimmungen der Kunst fest. Geändert wird allerdings der Rahmen der Überlegungen, denn die frühe Geschichtskonzeption wandelt sich schrittweise zum "System" des absoluten Wissens. Die komplexen Probleme der Änderung der Philosophiekonzeption können hier nur exemplarisch an den Punkten berührt werden, die für die spätere Gestalt der philosophischen Ästhetik bedeutsam sind, und diese lassen sich wiederum in der Charakteristik der nun beginnenden ScHiLLERkritik gewinnen. Hegel weitet die geschichtsphilosophischen Überlegungen, die es ihm erlauben, sein Programm der Mythologie der Vernunft zu entfalten, zu einer Kritik an SCHILLER aus und in der Folge zu einer Kritik an der Bestimmung der Funktion des Griechenverweises und der Kunst selbst. Hier werden sowohl Tendenzen ablesbar, von der Geschichtsreflexion zum philosophischen System zu gelangen, als auch die damit verbundene Tendenz, faktische Leistungsdefizite der Kunst der Moderne im Kontext des philosophischen Systems zu prinzipiellen zu erheben, damit aber die Bedeutung der Kunst zu relativieren. Es sind im wesentlichen drei Punkte, die Hegel durch eine erneute Äuseinandersetzung mit SCHILLER akzentuiert und die zugleich die wesentlichen Schritte auf dem Weg zu seiner neuen Konzeption der Philosophie markieren. Der erste Punkt liegt in Hegels Skepsis, ob die bisherige Konzeption in der Lage sei, der „vernunftfordernden Vernunft" der Moderne zu genügen, wie er es später in der Schrift über die Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems formuliert. Durch die Äuseinandersetzung mit SCHILLER thematisiert Hegel diesen Punkt im Kontext seiner „praktisch" orientierten Philosophie durch die Frage, ob die Einheit von Tugend und Glückseligkeit hinreichende Vernunftgarantien für die Veränderung der geschichtlichen Welt im Sinne von Vernunft und Freiheit bereitzustellen in der Lage sei. Hier liegt dann die genuine Motivation zur Äusbildung einer „systematischen" Philosophie, die diesem Änspruch genügt. Der zweite Punkt trifft die Frage nach der geschichtlichen Bedeutung der Kunst. Hegel argumentiert hier aber zunächst mittelbar. Er erörtert nämlich das Verhältnis von Ge-
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Schichtskonzeption und Geschichte und bereitet dadurch die Frage vor, ob die bisher zum Ideal erhobene Mythologie, die zwar die abendländische Geschichte geprägt hat, nicht zu unspezifisch sei, eine nationale Phantasie des deutschen Kulturraumes zu stiften. Hier könnte HERDERS Beschäftigung mit einer Mythologie germanischen Ursprungs das formulierte Problem lösen, Hegel greift aber nicht auf diese Überlegung zurück. Statt dessen kritisiert er in einem dritten Schritt nun explizit die Funktion der Kunst, die das Systemprogrammim Kontext der Mythologieforderung mitthematisiert hatte. Auch hier setzt er sich wieder mit SCHILLER auseinander, um das grundsätzliche Problem zu explizieren und zu lösen, ob die der griechischen Kunst entsprechende denkbare Funktion der Kunst in der Moderne nicht sowohl bloß gedankliche Konstruktion bleiben muß als auch als gedankliche Konstruktion schon unzureichend bleibt, weil sie als geschichtsphilosophisches Modell die faktische Geschichte nicht zureichend berücksichtigt.
2.1.1 Ansätze der Schillerkritik Aus Einsicht in einige Defizite seiner eigenen Position, sieht Hegel sich gezwungen, sowohl die Frage nach der Positivität der Religion wie die nach der Funktion des griechischen Ideals nochmals zu erörtern. Die Notwendigkeit einer solchen Revision ergibt sich aus dem Anliegen, das Hegel wie SCHILLER verfolgt, aus dem Versuch nämlich, ein Verständnis des revolutionären Handelns zu entwickeln, das dessen „Vernünftigkeit" garantiert und das damit zugleich den geschichtlichen Fortschritt im Sinne von Vernunft und Freiheit sichert. Hegel thematisiert diese Revision des eigenen Ansatzes an dem Standpunkt, den er sich bislang durch die Auseinandersetzung mit SCHILLER erarbeitet hatte und greift die Formulierung seiner Lösung an, die er als die bislang fortgeschrittenste Möglichkeit der Thematisierung benutzt hatte. Die bisherigen Schritte, die Hegel über SCHILLER hinaus als notwendige Erweiterung des Programms der ästhetischen Erziehung zum Ideal der Volkserziehung gefordert und vollzogen hatte, bleiben erhalten, werden aber nochmals weitergeführt. Schon in seiner bisherigen Konzeption gelangte Hegel zu einer Bestimmung der Kunst und des Ideals, die SCHILLERS Bestimmung der Funktion des „schönen Scheins" im Sinne einer Geschichtsphilosophie erweitert. Durch die Bestimmung der Funktion der Kunst, die Sittlichkeit eines Volkes zu stiften, erweitert er SCHILLERS „Reich des schönen Scheins" zur Konzeption einer geschichtlichen Kultur. Der schöne Schein kann erst dann Ideal im Vollsinn genannt werden, wenn sein Reich die geschichtliche Wirklichkeit selbst ist, wenn er diese im Sinne eines Reichs der Vernunft eingerichtet hat. Erst dann bestimmt nämlich die „ästhetisch" und „mythologisch" gewordene
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Idee die Sittlichkeit aller als die zweite bzw. Vernunftnatur des Individuums. Im Ideal der Volkserziehung geht es deshalb nicht nur um individuelle Einsicht, um die Moralität des Einzelnen. Nur ein Geschichtszusammenhang, in dem die Sittlichkeit aller durch Kunst und Religion gestiftet wird, kann als die umfassendere, die „höhere" Aufklärung (HöLDERLIN) gelten. Da Hegel den Begriff der Sittlichkeit, den auch SCHILLER (dieser aber synonym mit Moralität) verwendet, zur Einheit von Moralität und Legalität in einer Wirklichkeit erweitert hat, die selbst den Vernunftprinzipien entspricht (vgl. Ros. 87), ergibt sich von daher automatisch nicht nur eine KANT-, sondern auch eine ScHiLLERkritik. SCHILLERS Reich des schönen Scheins muß getrennt von der Realität seine Wirksamkeit entfalten, um nicht von einem Reich der Wahrheit zur bloßen Täuschung herabzusinken. Deshalb kann es nicht mehr als adäquate Vorbereitung oder gar Durchsetzung (lebendiger Vollzug) eines allgemeinen mündigen Vernunftgebrauches gelten. Stattdessen muß eine grundlegende Wirkung der Kunst auf die institutioneilen Bedingungen menschlichen Zusammenlebens (nicht nur aufs „Innere" des Menschen) gefordert werden. In der Antike bewirkte die Kunst die Ausbildung von Tradition und Institution der Sittlichkeit aller schlechthin, in der Moderne müßte sie die Umgestaltung der bestehenden Verfassung zumindest mittragen. SCHILLERS Individualisierung des Programms der ästhetischen Erziehung wird durch Hegels Ansatz bei der geschichtlichen Funktion der schönen Religion und durch die Bestimmung der „politischen" (sc. polisstiftenden) Funktion der Kunst sowohl in der Konzeption der geschichtlichen Bedeutung der Religion wie der Kunst vermieden. Daraus ergibt sich die Kritik an SCHILLERS Reich der ästhetischen Versöhnung, das nur dem offensteht, der (dem Künstler kongenial) die innere Welt der Vernunft ins Bild fassen, in einer Welt des schönen Scheins ihre Herrschaft zulassen kann. Es geht eben nicht um eine Erziehung der wenigen gelehrten, also ohnehin schon vernünftigen Individuen, die zu moralischem Handeln in der Lage sind, sondern um die Mündigkeit und Menschenwürde aller. Die Welt des schönen Scheins, die die Realität als die bessere, weil vernünftige Welt ersetzt, läßt das Individuum, das Bürger dieser Welt ist, an der Realität — jedenfalls der der Moderne — scheitern. Deshalb muß Hegel sich mit SCHILLERS Bestimmung der „schönen Seele" erneut auseinandersetzen und diese Bestimmung in den Zusammenhang der Konzeption der „höheren" Aufklärung stellen. Es kann dieser Verallgemeinerung des mündigen Vernunftsgebrauchs nicht nur um eine Quasi-Vernünftigkeit des Individuums gehen, sondern um Sittlichkeit, um ein Handeln und Leben des Einzelnen in der Gemeinschaft aus dem Prinzip der Freiheit und Humanität. Ebenso kann es nicht um ein Reich der Vernunft im Innern des Individuums gehen, ein Reich, das die Kunst neben oder anstelle der Realität aufrichtet, sondern um die Institutionalisierung der Vernunft und Freiheit vermittels der Kunst (im Kontext der schönen Religion). Die Sittlichkeit des Volkes ist so nicht „die Sitte", die Weise, „wie die
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Institutionen subjektiv sind"^, sondern entspringt aus der Einheit von Handlungsorientierung und Stiftung einer Tradition. Hier wird Moralität zur Maxime, zur Handlungsorientierung, weil die Vernunftideen für alle faßlich, weil sie „ästhetisch" geworden sind. Der Vermittlungsvorgang selbst bringt als Tradition eines Selbst- und Weltverständnisses Institutionen, Regeln und Einrichtungen des gemeinsamen Handelns hervor. Die KANxauseinandersetzung der Frankfurter Schriften, die Hegel in der Intention SCHILLERS, nämlich durch den Versuch Legalität und Moralität zu vereinbaren, beginnt, erhält im Begriff der Sittlichkeit des Volkes ihre Vollendung. Hier überwindet Hegel sein Vorbild. Vor allem Hegels Überlegungen zur Verfassung des modernen Staates schließen eine Beschränkung der Revolution der Geisterwelt auf die im schönen Schein vermittelte Innerlichkeit aus. Es mutet wie ein Kommentar zum Abschluß der Briefe an, wenn Hegel vom „Stand des Menschen" redet, den „seine Zeit in eine innere Welt vertrieben hat", dann aber fordert, gemäß dem Bild besserer und gerechterer Zeiten die Entzweiung mit der faktischen Situation auf sich zu nehmen zugunsten der Erreichung eines „reineren, freieren Zustandes" (Ros. 92). Es kann nicht um eine Welt der Innerlichkeit, damit um ein nur wenigen vorbehaltenes Leben nach Maßgabe der Vernunftprinzipien gehen. Darum erscheint SCHILLERS Konzeption der „schönen Seele"“* als unzureichend. Die Aufhebung der Positivität der Gesetze durch Gehlen: Der Staat und die Philosophie. 13. Zur Interpretation des Begriffs der Sittlichkeit bei Schiller und im Unterschied dazu bei Hegel vgl. Kap. 1.3 Anm. 76. “■Für die Hinweise auf die Überarbeitung des Geist des Christentums stütze ich mich auf die Transkription, die C. Jamme mir freundlicherweise zur Einsicht überlassen hat. Jamme setzt die letzte Bearbeitungsstufe auf den Zeitpunkt, den Nohl als den spätesten genannt hat (1799; Nohl. 405). Die Überlegungen, die zur Überwindung der Schillerschen Position führen, nämlich die Modifikation des Positivitätsbegriffs und die skeptischere Sicht der „schönen Seele", finden sich in dieser letzten Bearbeitungsstufe. Die Konzeption der „schönen Seele" hat ihren guten Sinn im griechischen Schicksalsglauben, führt aber im Christentum, in der Bestimmung des Tugendlehrers Jesus, zur „Weltlosigkeit" des Ideals, zur Unfähigkeit, durch schönes Handeln eine neue Geschichte zu stiften. Explizit wird Jesus auch erst in der letzten Bearbeitung als „schöne Seele" charakterisiert (Nohl. 289 f, vgl. 292 f, 315). — Zur Modifikation des Positivitätsbegriffs (Nohl. 261 f; Schüler Nr. 89) finden sich hier erste Ansätze. — Sinngemäß erweitert Hegel auch seine Reflexionen über die bürgerlichen Gesetze (Nohl. 264 f). Der Anfang des Passus Nohl. 276 lautet zunächst: „Der Tugend ist nicht nur Positivität, sondern auch Untugend, Immoralität gegenüber". Hier wird deutlich, daß Hegel wohl auch in seiner Auseinandersetzung mit dem griechischen Ideal zum Begreifen der Möglichkeit der Institutionalisierung von Vernunft fortgeschritten ist, das ihn nun motiviert, über Schillers Position grundsätzlich hinauszugehen. — Ohne Zweifel ist diese letzte Überarbeitung durch Hegels erneute Kritik der Tugend- und Rechtslehre Kants geprägt. Deren theoretischen Niederschlag findet
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die „Geneigtheit so zu handeln, wie die Gesetze gebieten" {Nohl. 268), wird kritisiert im Sinne einer Vereinigung, die mehr leistet als die nur zufällige Konvergenz von Neigung und Pflicht. SCHILLERS KANrkritik wird durch den hier entwickelten Begriff des „Lebens" als der vollendeten Versöhnung überboten. Ein positives Verständnis der schönen Seele entwickelt Hegel allein im Zusammenhang des griechischen Geistes, wie er nun sagt: des Schicksals der Griechen. Das Schicksal des jüdischen Genius macht eine Vermittlung des Ideals, das Jesus lebendig vor Augen stellt, unmöglich. So ist die „Weltlosigkeit" dieses Ideals, der Verzicht auf Wirksamkeit, zwar geschichtlich notwendig, führt aber dazu, daß auch der Tugendlehrer als „schöne Seele" charakterisiert werden muß. Seine Existenz zerbricht an der Welt, die er durch sein Handeln verändern will, die Moralität der Innerlichkeit kann sich nicht in die Sittlichkeit einer Gemeinschaft umsetzen. Zudem gelingt im Kontext dieser Religion und damit im Kontext der aufgeklärten Welt keine konsistente Deutung, die das Scheitern des Individuums in den Versöhnungsgedanken integrierte. Im Griechentum war es kulturimmanent möglich, im Schicksal eine solche Versöhnung von Individuum und Spiel der Mächte, die zu seinem Untergang führen, anzusetzen. Für die Moderne ist der Schicksalsgedanke unakzeptabel. Durch diese Modifikation wird auch die Bedeutung des Griechentums, seiner auf der schönen Religion basierenden Kultur für die moderne Welt eingeschränkt. Das Postulat der Harmonie von Glückseligkeit und Sittlichkeit, d.h. die Grundlage für eine gelingende Versöhnung von Neigung und Gesetz, ließ sich durch den Hinweis auf die griechische Polis, auf eine vergangene geschichtliche Kultur legitimieren. Hier war die Glückseligkeit keine bloß sinnliche, sondern eine durch die Vernunft gerechtfertigte Forderung, denn sie umfaßte die „Würdigkeit zur Glückseligkeit" (Nohl. 238). Deshalb wird die Einheit von Tugend und Glückseligkeit zum Prinzip der Polis, der Gemeinschaft, in der der Glaube diese Einheit von Sinnlichkeit, man sicher in der Überarbeitung der Positivitäts-Schrih (1800), d.h. in dem im Sinn einer Geschichtskonzeption geänderten Begriff der Positivität (vgl. u.a. O. Pöggeler: Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusammenhang, 244 f; Hegels praktische Philosophie in Frankfurt, 92, 126 f, 166). — Die Stelle, an der Schillers „Geneigtheit", nach den Gesetzen zu handeln, als unzureichende Versöhnung durch den Begriff des Lebens überhöht wird, und auch die Zurückweisung der Kantischen Formulierung findet sich in der letzten Überarbeitung (Nohl. 268). Hegel wendet sich gegen Schillers Bestimmung des Spieltriebs als lebendige Gestalt. Für Schiller kann „Schönheit als Konsummation" der Menschheit weder ausschließlich Leben noch Gestalt sein; Hegel setzt das „Leben", als Vereinigung; vgl. auch Nohl. 309 f. Hier fügt sich dann die spätere Reflexion Hegels an (1804; Dok. 307). Hegel umschreibt Leben als den Prozeß von Einheit, Verschiedenheit und wiedergewonnener Einheit und sieht darin die Garantie, daß „Erkennen nicht nur Leben" ist, wie „in der Natur, sondern, als lebendiges, ein Erkennen des Erkennens, Geschichte".
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Herz, Phantasie und Vernunft durch die Kunst gewährleistet und dadurch die Sittlichkeit aller stiftet. Im Geist der Schönheit, im Genius des griechischen Volks, versöhnen sich Sinnlichkeit und Sittlichkeit, trifft die individuelle Forderung eines erfüllten Lebens mit der Sittlichkeit des Volks zusammen, weil die Glückseligkeit des Einzelnen im Handeln für die Gemeinschaft liegt. Im Kontext des Schicksalsglaubens meint Glückseligkeit eo ipso nicht bloße Selbsterfüllung (im Sinne der Aufrechnung diesseitiger Verdienste), sondern die „Würdigkeit" einer Vollendung des Einzelnen durch das sittliche Handeln. Sobald man — wie Hegel — zu der Einsicht gezwungen ist, daß eine solche Versöhnung durch die Verknüpfung mit einem Glauben (dem Schicksalsglauben) nur historisch spezifisch, nur bedingt gelingt, kann man die Annahme nicht aufrechterhalten, daß die Harmonie, die in dieser vergangenen Kultur zwischen Neigung und Gesetz, Tugend und Glückseligkeit herrschte, ohne weiteres in der Moderne wieder ersteht. Weder SCHILLERS Forderung einer Übereinstimmung von Neigung und Gesetz, die im Griechentum realisiert ist, noch das Indiz dieser Übereinstimmung, die Einheit von Tugend und Glückseligkeit — hier die aus der Sittlichkeit entspringende Vollendung des Einzelnen — können die Versöhnung der „Zerrissenheit" gewährleisten. Glückseligkeit ist kein Kriterium jener Sittlichkeit des Volkes, die sich im Individuum realisiert.^
2.1.2 Die Integration der Geschichte in die Geschichtsphilosophie In diesem Zusammenhang entsteht ein weiterer Gedanke, der Hegels spätere Kritik des griechischen Schicksalsglaubens und seine These vom „Vergangenheitscharakter" des Ideals vorbereitet. Es ist die Überlegung, daß das Schicksal der Völker und des jeweiligen Genius dieser Völker den Charakter einer ihm und nur ihm eigentümlichen Geschichte hat. Hegel redet so vom Schicksal des jüdischen Geistes, von dem der christlichen Gemeinde und vom Schicksal im Griechentum, dem er noch die Möglichkeit einer „Versöhnung" zuerkennt. Die Wiederholbarkeit dieser schönen Sittlichkeit und damit die Wiederholung des Wirkens der Kunst für die Moderne wird aber infragegestellt. Zwar ging es von Anfang an nicht um die bloße Wiederholung des Griechentums. Die griechische Religion, die Kunst und damit — in den Frankfurter Überlegungen — die griechische Polis gilt als die Vollendung dessen, was in der Moderne wieder erreicht werden soll. Aber Hegel ist nun skeptisch, ob sich eine adäquate Vermittlung finden läßt. Da ihm nur die 5 Diesen Gedanken formuliert Hegel ausdrücklich als Absetzung von Schillers Ziel (der Einheit von Tugend und Glückseligkeit) in Jena und in der Religionslehre der Nürnberger Zeit (1811/13; Nürnh. Sehr. 106, 111, 155).
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„Erinnerung vergangener Zeiten" (Dok. 261; Nohl. 259) als Konzept einer solchen Vermittlung zu Gebote steht, meint er, daß dadurch das „Schicksal" eines Volkes sich nicht wenden könne. Die Erinnerung vergangener Zeiten kann die „gegenwärtigen ... noch mehr verwirren aber nicht andere Zeiten herbeiführen" (Nohl. 259).* So wird in den weiterführenden Überlegungen, wie Deutschland wieder ein Staat werden könne, die schöne Polis der Antike zum bloßen „Angedenken" (vgl. Ros. 136; Dok. 317). Die griechische Welt ist als Zukunft der Moderne nicht wiederholbar.^ Das gleiche gilt für das Ideal
* Auch der Gedanke, daß das Schicksal eines Volkes, des Volksgeistes darin liege, daß bestimmte Einsichten nicht mehr zu vermitteln sind, wird erst in der letzten Überarbeitung des Geist des Christentums entfaltet. Wichtig ist hier vor allem die betont hervorgehobene Resignation, daß das Schicksal des jüdischen Genius nicht durch das „Ideal" gewendet werden könne (Nohl. 325, 327 u.ö.), die Hegel später auf die Wirkung des vollendeten Ideals, des Griechentums, ausweitet. Der Begriff des Schicksals ist hier zwar noch in dem Sinn neutral gebraucht, als Hegel nicht wie in der späteren Einschränkung der Bedeutung des Griechentums das Schicksal als ein Verhängnis der Notwendigkeit versteht, durch das die Freiheitsforderung der Moderne nun im Griechentum gerade nicht ihr Vorbild finden kann. G. Rohrmoser parallelisiert so zu Unrecht die Erwähnung der Antigone (Nohl. 284) mit der späteren Interpretation des Schicksals (Der Begriff der Religion. Hrsg, von G. Lasson. Hamburg 1952. 272). Antigones Zugeständnis, daß wir gefehlt, weil wir leiden — übrigens (neben dem Verweis Nohl. 300 f) eine der wenigen Erwähnungen von Kunstwerken zu dieser Zeit — wird erst im Kontext der Jenaer Überlegungen so gedeutet (vgl. G. Rohrmoser: Zum Problem der ästhetischen Versöhnung,13S). Schicksal ist hier (auf dem Hintergrund der Herderschen Gedanken) als stärkere Betonung der geschichtlichen Eigentümlichkeit verschiedener Kulturen zu verstehen, die Hegel veranlassen wird, sowohl eine Beschränkung der „Volksgeister" wie einen möglichen Untergang der Kulturen zu erwägen — ein Prozeß, der für die Ästheti k seine Auswirkung in der Historisierung des Griechenideals findet. Zum Schicksalsverständnis siehe hier noch: Nohl. 260, 281 ff; die Weltlosigkeit des Christentums wird auch als Schicksal des Genius charakterisiert: Nohl. 336, 341. — Zur Interpretation der „Krisis der Frankfurter Zeit" vgl. bes. I. Sichirollo: Hegel und die griechische Welt, 266, 272 f; A.
Massolo: Das Problem der Geschichte beim jungen Hegel, 1 0; O. Pöggeler: Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusammenhang, 247 ff. ^ Vgl. dazu die Kontroverse zwischen R. Haym (Hegel und seine Zeit. 160), der
noch das System der Sittlichkeit als Beschreibung des Vorbildes der griechischen Polis interpretiert, und Rosenzweig (Hegel und der Staat. Bd 1. 130, 150, 244), der hier schon eine Verabsolutierung des bestehenden Staates sieht. Ohne Zweifel bleibt auch für die späteren Überlegungen die Polis ein Vorbild, allerdings ein solches, das nicht wiederholbar ist, sondern auf eigenem Weg erreicht werden muß. Soweit argumentiert Hegel hier parallel zu Schillers Differenzierung der Kunst der Antike und Moderne. — Zum folgenden vgl. Ros. 88, die Bemerkung über die verschiedene Vermittlung der Wahrheit in den unterschiedlichen Institutionen Kirche und Staat: „Was diesem das Gedachte, Herrschende ist, ist jener ebendasselbe Ganze als ein
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der schönen Religion (vgl. Ros. 139 f) und für den Gedanken der Mythologie der Vernunft, den Hegel aufgeben muß, wo er die „Idealität des Geistes" nicht mehr durch die Kunst, sondern „unter der Form des Denkens" erfassen will. Die Konsequenz, daß dadurch das „Ideal" der Kunst und der schönen Religion seine „Zukunft" verliert, zu etwas bloß Vergangenem wird, das nicht wiederholt werden kann, formuliert Hegel erst später endgültig. Zunächst scheint die ursprüngliche Konzeption durch den Systemgedanken noch nicht tangiert zu werden. Hegel ordnet in einem ersten Entwurf, der das neue Philosophieverständnis vorbereitet, nämlich im sog. „Systemfragment von 1800"®, die Philosophie noch der Religion unter, d.h. er hält noch an seiner Einschätzung der Reflexion gegenüber dem lebendigen Vollzug fest. Der lebendige Vollzug ist das Primäre und die Aufhebung der reflexiven Zergliederung. In diesem Zusammenhang werden für die Frage nach der Bestimmung der Kunst Überlegungen wieder bedeutsam, die Hegel bereits in der Posiiiviiäis-Schrift formulierte. Es scheint kaum möglich, die Nationalphantasie des deutschen Volkes durch die Produkte anderer Länder und anderer Kulturen (sc. eines fremden geistigen Klimas) wiederherzustellen. Eine neue Mythologie, die durch die Kunst gestiftet wäre, kann nicht als Mythologie des Volks gelten, weil ihr — so kritisierte Hegel es an KLOPSTOCK— die Geschlossenheit der schönen Gestalt fehlt. Sie bricht auseinander in Gelehrten-Wissen von fremden, vergangenen Mythen und banaler —aber dann allgemein verständlicher — Neubelebung. So bleibt es dabei, daß die „Einbildungskraft des Volkes" keine Anleitung hat. Weder Malerei, noch Bildhauerkunst noch Poesie stellen schöne Bilder vor sie hin {Nohl. 358), und die Mythologie fremder Kulturen ist nur für wenige zugänglich oder stellt — wie in den Feenmärchen des Orients und den Ritterromanen — nur eine „bezauberte Welt" dar {Nohl. 206).’ Auch ein Gedanke, den Hegel zunächst lebendiges, von der Phantasie dargestelltes". Diese Unterscheidung gewichten die späteren Überlegungen zugunsten des „Gedachten". »Mit diesem Systementwurf bzw. (gegen Ros. 179) zwei zu einem Entwurf vereinigten Fragmenten {Nohl. 343—351) schließen Hegels Frankfurter Schriften ab. Vgl. zur Interpretation der Reich Gottes Problematik den Hinweis Büchners, daß Hegel nun sehe, daß der lebendige Vollzug des Reiches Gottes keine Änderung der geschichtlichen Bedingungen nach sich zieht. Diese Weiterführung hat aber noch nicht zur Folge, daß Hegel wie in den Jenaer Schriften die Philosophie der Religion überordnet. H. Büchner: Hegel im Übergang von Religion zu Philosophie, bes. 90 f, 93; zur Charakteristik des Fragments a.a.O. 83 f. Dazu auch H. Kim merle: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften, 125,127,159; G. Schüler: Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften, 133, 155. ’ Hegel wendet sich ironisch gegen diese Versuche, in der orientalischen Phantasie oder der der eigenen Vergangenheit (wie es Herder versucht) die Wurzeln der Phantasie der Deutschen zu sehen, besonders scheint es ihm unmöglich, diese „bezauberte Welt" sich so zu eigen zu machen, daß man meint, man könne auf „jene
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im Sinne SCHILLERS (unter Rückgriff auf HERDER als beiden gemeinsame Quelle) formuliert hat, wird nun aufgegeben. Hegel meinte nämlich zunächst, daß auch der Geist der Deutschen einen eigenen Gang genommen hätte, daß man sich „ohne fremde Kultur nach und nach selbst verfeinert" hätte {Dok. 51), wenn es gelungen wäre, eigene deutsche Schauspiele zu entwickeln. Dies wird aber dadurch vereitelt, daß die Form der eigenen Schauspiele von den Griechen entlehnt ist. Das Spektrum der behandelten Kunstwerke — Hegel nennt HöLTY, MUSäUS, BüRGER, KLOPSTOCK, LESSING, WIELAND — wird in der Auseinandersetzung mit der schönen Religion, für die doch die Kunst eine zentrale Rolle spielt, nicht wesentlich erweitert. Deshalb verwundert es nicht, daß auch die modifizierte Geschichtskonzeption keinen Hinweis auf eine Kunst enthält, durch die die religiöse und politische Phantasie der Deutschen analog zur griechischen gebildet würde. Für den Gedanken einer eigenen Phantasie der Deutschen findet Hegel allenfalls in SHAKESPEARE ein Vorbild.“ SHAKESPEARE, SO heißt es bei ihm nämlich, gab den
Dichtungen der Phantasie ein Lehrgebäude der Physik, und auf diese Geburten unserer Tage eine Psychologie" — hier wohl zu verstehen im Sinn einer Lehre vom Menschen: einer Anthropologie — gründen {Nohl. 206). — Hegel geht erst in der Phänomenologie auf Windischmanns Ideen zur Physik(lS05) ein, das Programm der Romantiker sieht aber diese „Übersetzung" orientalischer Mythologie schon früher vor. 10 Rosenkranz weist auf Quellen für die Auseinandersetzung mit der Kunst und Ästhetik, die in Hegels Exzerpten greifbar wird (Ros. 13); zur Klopstockkritik vgl. ebd., dazu bes. Nohl. 358, 364, 217 und Ros. 459, wo Hegel erwägt, daß, wenn „unsere Verhältnisse griechisch wären", auch die Wirkung Klopstocks umfassender sein möchte. Ähnlich meint er im Änhang zur Positivitäts-Schrift (1796), daß der Unterschied zwischen der „Phantasie der gebildeten Teile der Nation" und der „gemeinen Stände" den Gegensatz der Moderne zum Griechentum ausmache und der Grund für die nur geringe Wirkung der „lieblichen Spiele eines Hölty, Bürger, Musäus" sei {Nohl. 216). — Die Überlegungen zum Griechentum erwähnen die Götterbilder des ÄpoU und der Venus {Nohl. 300) und die Antigone {Nohl. 284). Damit sind die wesentlichen Anhaltspunkte für die spätere Ästhetik gegeben; das „schöne Werk" kommt im Zusammenhang des Christentum nur als „schöne Handlung" der Maria Magdalena vor — eine Charakteristik, die Hegel später z.B. als Auszeichnung des Bildes von Corregio wiederholt. Macbeth wird (in der Überarbeitung des Geist des Christentums: Nohl. 280) im Kontext einer Fragestellung erwähnt, die Hegel erst mit der Modifikation des Positivitätsbegriffs ausarbeitet. Erst wo Gesetze ihre eigentümliche Berechtigung für die menschliche Selbstverwirklichung erhalten (im „Ideal" des in der Welt durchzusetzende Reichs Gottes) erörtert Hegel den Sinn des Verbrechens und der Versöhnung mit dem Gesetz. Diese Überlegungen führen ihn dann zur Frage nach einer jeweils eigenen Poesie zurück, nun in der Annahme, daß diese dem Genius und Schicksal des Volkes entspringen und entsprechen muß; vgl. Ros. 90.
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Engländern eigene Schauspiele mit einer Mythologie aus eigenen geschichtlichen Quellen, mit Themen und Darstellungsweisen, die der Zeit angemessen sind. In seinem ersten Entwurf zur „Verfassung des deutschen Reiches" (1798/99) greift Hegel die Überlegung wieder auf, ob es auch für ein modernes Volk Helden gibt, die den Staat gegründet, dem Volk Gesetze gegeben haben und deren Taten in der Kunst lebendig gehalten werden (vgl. Nohl. 215). Die Frage lautet in der Formulierung des Systemprogramms, ob es auch eine Tradition gebe, in der die Vernunftideen ,4sthetisch" und „mythologisch" geworden seien, und Hegel muß diese Frage vorderhand zumindest hinsichtlich der Mythologie verneinen. Die Quellen der Mythologie, die Märchen der Deutschen oder des Orients, bleiben für Hegel bis zur Ästhetik „abenteuerliche Traditionen" (Ros. 459), die nur einen kindischen Stand der Bildung hervorbringen können (vgl. u.a. Hotho. 1823. Ms. 98,125). Anders die Welt des Rittertums, die Hegel in der Ästhetik zu einer eigenen Form der Kunst entfalten wird. Diese entspricht strukturell der Gegenwartskunst; sie ist ebenfalls „romantisch", wie Hegel es später formuliert. Hier ist „die Sage von der Deutschen Freiheit auf uns gekommen, von der Zeit, wie wohl wenige Länder eine hatten, da in Deutschland der Einzelne, ungebeugt von einem Allgemeinen," d.h. ohne Unterwürfigkeit unter einen Staat, „für sich stand, und seine Ehre und sein Schicksal auf ihm selbst beruhend hatte" (Dok. 284). Diese deutsche Freiheit konstruiert Hegel analog zum Heroenzeitalter der Ästhetik als einen „Zustand worin nicht Gesetze, sondern Sitten eine Menge zu einem Volk verbanden, gleiches Interesse, nicht ein allgemeiner Befehl das Volk als Staat darstellte" (ebd.). Den naheliegenden Schluß, daß hier eine Vergangenheit der eigenen Kunst und Weltgeschichte wieder zum Ideal der Zukunft werden könnte, worauf die Parallelisierung mit dem Heroenzeitalter wohl hindeuten möchte, zieht Hegel selbst nicht. In seinen Jenaer Überlegungen und in der Ästhetik erscheint diese Kunst dann als Verherrlichung einer Traumwelt bloß phantastischer Ziele und Zwecke. Entlarvt durch die ironische Brechung im Don Quichotte, kann diese „Welt" des Rittertums nicht als Vorbild und Ermöglichung der Bürgerfreiheit gelten. Auch die Kunst vermag es nicht, eine bessere Zukunft durch den Blick auf eine solche Vergangenheit zu entwerfen, denn anstelle des Ideals findet man hier bloße Fiktion. Die Scheinwelt der ritterlichen Freiheit wird an die Stelle der Realität gesetzt (vgl. schon Dok. 266 f). In diesem Zusammenhang greift Hegel nun SCHILLERS Position in der „Querelle" auf. Es erscheint ihm nämlich unsinnig, sich nach einem Zustand vor aller staatlichen Organisation zurückzusehnen, „als ob er allein Natur wäre ... und den Zustand, worin Gesetze herrschen als nicht notwendig" abzulehnen. Die Art, wie Hegel hier SCHILLERS geschichtsphilosophische Argumente gegen die unreflektierte Verherrlichung der Vergangenheit wendet, setzt die Modifikation des Begriffs der Positivität voraus und bereitet die spätere
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Einschränkung der Bedeutung des Griechentums vor. In seinen Jenaer Überlegungen wiederholt Hegel diese Argumente im Hinblick auf die griechische Polis. Auch jetzt hat er mit SCHILLERS Griechenlandgedichten und historischen Abhandlungen schon die Unterschiede der beiden Zeitalter vor Augen (vgl. u.a. Nohl. 204, 54. 34), nimmt aber das griechische Ideal noch von der geschichtsphilosophischen Einschränkung aus. Anders die eigene (deutsche) Vergangenheit. Hier geht es nicht an, einen vergangenen, in seiner Weise vollendeten Zustand wiederholen zu wollen, einen geschichtlichen Zustand als „Natur", d.h. als den inhaltlichen Maßstab für alles folgende in der Weise anzusetzen, daß die Fortschritte im Bewußtsein und der Realisation der Freiheit und Vernunft (wie Hegel später den Gang der Geschichte umschreibt) auf diesen Zustand festgelegt werden. Durch die Erweiterung der Position SCHILLERS hatte Hegel sich in der Religionskritik grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, die Unvereinbarkeit von Moralität und Legalität zu überwinden. Nun verlegt er den vermittelnden Standpunkt, der im Jdeal" der schönen Religion und der griechischen Polis erreicht war, auf die Ebene der philosophischen Reflexion. Die philosophische Bemühung um die Staatsverfassung selbst muß und kann die geschichtsphilosophische Begründung des Sinnes von Institutionen im Zuge der Festigung, Erhaltung und Überlieferung der „Sittlichkeit" eines Volkes erarbeiten. Hegel betont hier zweierlei: die Notwendigkeit, daß man den Vorteil, den eine geschichtliche Konstellation vor aller Verfassung oder ohne eine formelle Verfassung gegenüber der Moderne hat, eigens rechtfertigen müsse. Wo die „Positivität" der Gesetze je nach der Relation des Einzelnen zu ihnen auch „Vernünftigkeit" vermitteln kann, wird diese Rechtfertigung notwendig, kann die „deutsche Freiheit" oder der heroische griechische oder alt-deutsche Zustand nicht als die schlechthin bessere Alternative zum Zukunftsentwurf werden. Die zweite Einsicht ist die, daß die gegenwärtigen Verhältnisse sich zu einer Komplexität entfaltet haben, für die ein verfassungsloser Zustand als „Zukunft" nicht in Frage kommen kann. Damit sind die geschichtsphilosophischen Gründe vorformuliert, die Hegel in seinen Jenaer Schriften und Reflexionen weiterverfolgt und die schließlich dazu führen, daß er das Griechentum ebensowenig wie die in der eigenen Vergangenheit gesuchten Vorbilder als „utopische Vergangenheit" einschätzen kann. Statt das Griechentum oder die „deutsche Freiheit" zurückzuwünschen, gilt es, einen Zustand zu erreichen, der mit den Mitteln der Moderne und für deren Erfordernisse zureichend einen Staat, Institutionen im Sinne der Vernunft und Freiheit, verwirklicht. Vorderhand bleibt der Vorbildcharakter der griechischen Polis von diesen Überlegungen noch unbetroffen. Auch die Vermittlungsfunktion der Kunst wird nicht grundsätzlich eingeschränkt. Das heißt: Hegel generalisiert das Versagen der Kunst des eigenen Volkes angesichts ihrer geschichtlichen Aufgabe noch nicht zum grundsätzlichen Defizit der Kunst der Gegenwart.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Hier erscheint das Defizit noch als Resultat der Tatsache, daß sich mit der wachsenden Komplexität der politischen Verhältnisse auch die geschichtliche Aufgabe der Kunst differenzieren muß und daß diese Differenzierung bislang nicht stattgefunden hat. In solchen Überlegungen setzt Hegel selbst die aus der Religionskritik (s.o. 1.4) extrapolierte geschichtliche Funktion der Kunst explizit voraus, denn er fragt nach der Möglichkeit einer in der eigenen Geschichte der Deutschen wirksamen Kunst und bestimmt diese im Sinne der griechischen Kunst. Die neue Kunst müßte die Aufgabe der Kunst in der Polis wiederholen, sie soll nämlich die Konstitution des Staates dadurch präsent halten, daß sie die staatsstiftenden Taten „besingt", die zur gegenwärtigen Form der institutionalisierten Gesellschaft und ihrer Gesetze geführt haben. Darin müßte das Werden der eigenen Verfassung für alle verständlich werden; darin soll zugleich der Ursprung des Staates aus der Freiheit dargelegt sein. Wie in der Polis so müßte auch hier die Kunst die Sittlichkeit des Volkes und damit die Einsicht in die Vernunft- bzw. Freiheitsgemäßheit der Verfassung stiften. Zugleich müßte sie den Ursprung der Verfassung, die Freiheit, als deren Zukunft vermitteln. Durch die Auseinandersetzung mit SCHILLER gewinnt Hegel auch hier vorab eine Einsicht, die die Überlegungen im Zusammenhang der Ausbildung des Systemgedankens erst später explizit und in allen Konsequenzen darlegen. Hegel unterscheidet mit SCHILLER den modernen Staat, wie ihn HUME charakterisiert, von der antiken Polis. Im modernen Staat sind die inneren Verhältnisse nicht durch das „bewußtlose freie Leben" in den Institutionen der Sittlichkeit bestimmt, sondern durch eine Rechtsform, die dem Individuum die Tat verwehrt, die das Ganze bestimmen könnte. Vom Ganzen einer Handlung gehört „jedem Handelnden nur ein Fragment" zu, das Werk ist ein Resultat aus unübersehbar vielen Einzelhandlungen, und deshalb bleibt die „weltgeschichtliche Tat", das Werk eines großen Individuums, wie Hegel es in Jena formulieren wird, unmöglich. Selbst „das Bewußtsein der Tat als eines Ganzen ist in keinem der Handelnden" vorhanden. Im Zusammenhang der Ordnung des modernen Staats „treten die meisten nur als Maschinenräder auf", ihr Handeln „ist mehr nur Betragen in einem bestimmten gegebenen Kreis" (Dok. 273 f). Unter diesen Bedingungen kann die Revolution des Staates nicht durch das Handeln, die Tat eines Individuums bewerkstelligt werden. Hegel kommt zu der Einsicht, daß ein „freies großes Volk" ein Widerspruch in sich selbst ist, denn je größer die Gemeinschaft, zu einem desto kleineren Fragment (letztlich zu einem „unendlich kleinen Fragment einer Nationalhandlung"; Dok. 263) schrumpft die Tat des Individuums zusammen. Die Kritik an SCHILLERS Geschichtsschreibung,!^ nämlich die Ab!2Vgl. Ros. 516 ff; Dok. 274 ff. Hoffmeister sieht in Hegels Kritik der Geschichtsauffassung Schillers eine Reproduktion der Kritik in den Tübinger Gelehrten Anzeigen (Dok. 465). Gleichwohl bezieht Hegel diese Überlegungen später in seine Sy-
2.1 Geschichtsphilosophie versus geschichtliche Funktion der Kunst
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lehnung des Versuchs, Weltgeschichte aus der Perspektive des handelnden Individuums zu konzipieren, trifft auch SCHILLERS Dichtung. Denn auch hier geht es um ein weltgeschichtliches Handeln, um die Veränderung der institutioneilen Bedingungen durch das exemplarische und zugleich konkrete politische Handeln des Individuums. Am Unterschied dieser Dichtung von der antiken entwickelt Hegel den konstitutiven Unterschied von modernem und antikem Staat und den Gedanken der Unwiederholbarkeit des Griechentums, der zur Einschränkung auch der utopischen Funktion der Kunst wird. 2.1.3 Die BesHmmung der geschichtlichen Funktion der Kunst in der „Moderne“ Durch den Blick auf SCHILLERS Dramen wird Hegel dazu motiviert, seine Überlegungen zur Kunst grundsätzlicher zu fassen. Seine „revolutionsbegeisterte" Lektüre (Ros. 18) der ScHiLLERschen Jugenddramen weicht einer skeptischen Beurteilung. Hegel stößt sich nun daran, daß man in den Räubern ein Sammelsurium heterogenster Momente findet, vom alltäglichen Getriebe der Räuber angefangen bis zur Darstellung der „himmlischen reinen Seele" (Dok. 265 f). Hier zeigt sich überdeutlich, daß die neuere Menschenwelt nicht durch die Taten der Heroen gestaltet wird, die in der Dichtung vergöttert werden. In den Überlegungen lieber VJallenstein, die in diesem Zusammenhang entwickelt werden, wendet Hegel das Resultat der geschichtsphilosophischen Überlegungen auf die Deutung der Kunst selbst an. Wo die Kunst geschichtsstiftendes Handeln unter den Konditionen der Moderne darstellt, da kann sie — gemessen an der Wirkung der antiken Tragödie — nicht mehr im Vollsinn Kunst genannt werden. Sie ist „nicht tragisch, sondern entsetzlich" (Berl. Sehr. 413). Selbst damit wiederholt Hegel SCHILLERS Bestimmung der Gegenwartskunst, nur daß er die „Erhabenheit" nicht positiv konnotiert. Das „Entsetzliche" dieser Kunst liegt darin, daß sie die Harmonie nicht wiederherstellt, daß sie das Schicksal des Einzelnen nicht durch Reintegration in die Gemeinschaft versöhnt, sondern die Situation der Zerrissenheit perpetuiert. stemkonzeption und die Bestimmung der Kunst ein. — Hegels Kritik von Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges endet bezeichnenderweise in einem Vergleich der stilistisch kritisierten Überlegungen Schillers mit der griechischen Geschichtserzählung. Während Schiller die „Gedanken in der Seele" geschichtsstiftender Individuen schildert, gilt für den griechischen Genius allein die Tat als Geschichte, der große Zweck dieser Tat als die Hauptsache (Dok. 276). Zur Entgegensetzung der „leidenschaftlich, unruhigen Stimmung des Geistes ... die unser Zeitalter charakterisiert" (Dok. 278) gegen die Antike vgl. auch Hegels Bemerkung über das Kartenspiel oder Dok. 267 f, 272.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Die Auseinandersetzung mit SCHILLERS Wallenstein ist zugleich der eindeutige Beweis, daß die aus der Religionskritik gewonnene Bestimmung der Kunst auch Hegel selbst als „seine" Konzeption gilt. Er führt nämlich am „großen Individuum" der Moderne durch, wie sich die Bestimmung der Kunst, die er aus dem Griechentum gewonnen hat, für die veränderte Situation durchhalten ließe. Wenn er mit diesem Versuch scheitert, dann aus Gründen der ursprünglichen Konzeption, nämlich aus dem Unvermögen, die konstitutiven Momente des Kunstwerkes hier wiederzuentdecken. Diese Momente nennt Hegel selbst. Ihn interessiert am Wallenstein die im Kunstwerk gestaltete Einheit von Kunst- und Staatswerk als Genieprodukt. Seine Analyse läuft allerdings darauf hinaus, daß der unterstellte staatsstiftende Charakter des heroischen Handelns nicht nachweisbar ist. In der Ästhetik wird Hegel seine Wallensteinkntik wiederholen und die Charakteristika des Wallenstein zur grundlegenden Bestimmung des „modernen" Kunstwerks erweitern. Hier formuliert er sie noch für den Einzelfall und mit seinen derzeitigen gedanklichen Mitteln als das Aufeinandertreffen zweier „Schicksale" des WALLENSTEIN, zweier divergenter und sich gegenseitig störender „Geschichten". Es geht einmal um die Genese der Tat des WALLENSTEIN, zum anderen um deren (welt-)geschichtliche Wirkung. Beide „Schicksale" entsprechen der Versöhnung von Einzelnem und Allgemeinem im „Schicksal" nicht, die die antike Tragödie darstellt. Das „Schicksal des Bestimmtwerdens eines Entschlusses" (Berl. Sehr. 411) unterscheidet sich von der Übernahme der Sittlichkeit, des als notwendig Erkannten unter Anleitung durch die Götter der Polis. WALLENSTEIN ergreift seinen unbezweifelbar „großen Zweck" nicht selbst als seine Bestimmung, als die Vollendung des Individuums im weltgeschichtlichen Werk. Statt selbst zu handeln, sucht er einen äußeren Anstoß, der ihm das Handeln aufnötigt (Berl. Sehr. 412), er „erschafft sich, was ihm gebiete". Er unterwirft sich also nicht der Macht des Göttlichen, sondern seiner eigenen verzerrenden Deutung des Höheren. Dies wird Hegel auch in der Ästhetik als die Divergenz von antikem und modernem „Schicksal" interpretieren, Die leitenden Mächte sind nicht die Personifikationen der sittlichen Orientierung, der Notwendigkeit der Triebfedern des Handelns, sondern phantastische Entwürfe. Sowohl die Vorstellung der leitenden Mächte, wie die Menschen, mit deren Hilfe er seinen Entschluß in die Tat umsetzen will, existieren nur in der Vorstellung WALLENSTEINS selbst. Als Einzelner kann er die Veränderung der Verhältnisse nicht herbeiführen. Die Gemeinschaft, in der er sich mit seinen Gefolgsleuten wähnt, ist aber selbst nur „Produkt" des eigenen Entschlusses. Der Vorstellung kommt keine Substantialität zu. Wenn darum das erste Schicksal WALDaß Hegel auch Schiller selbst das Bewußtsein der Entgegensetzung von antiker und moderner Tragödie zuerkennt, zeigt das Zitat aus Schillers Xenien (vgl. Dok. 457).
2.1 Geschichtsphilosophie versus geschichtliche Funktion der Kunst
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LENSTEINS, der Entschluß zur Tat, erfüllt ist, so gerät das zweite Schicksal: die Konfrontation der Tat mit der Realität zwangsläufig zum Scheitern des Entschlusses bzw. des Individuums. Die „andere Tragödie" ist ,4as Zerschellen dieses Entschlusses an seinem Entgegengesetzten" (Berl. Sehr. 413). Durch diese Überlegungen charakterisiert Hegel nicht nur SCHILLERS Wallenstein, sondern die Kunst der Moderne überhaupt. Er bestreitet nicht, daß sie Kunst (sc. ästhetisch wertvoll) sei — SCHILLERS Darstellung ist „groß und konsequent" (Berl. Sehr. 412). Aber die Kunst entspricht dem in ihr thematisierten „Schicksal". Sie scheitert an ihrer geschichtlichen Aufgabe, kann dem Leistungssinn, den Hegel im Blick auf das Griechentum wie zugleich auf die Desiderate der eigenen modernen Situation der Zerrissenheit entwickelt, nicht entsprechen. Im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit SCHILLER nimmt Hegel also die spätere Einschränkung der Bedeutung der Kunst vorweg. Diese Einschränkung begründet er aber nicht durch eine Restriktion der Kunst auf den Bereich bloß ästhetischer Wertung, durch die Feststellung ästhetischer Defizite im Vergleich mit dem antiken Vorbild. Die philosophisehe Bestim-
mung der Kunst, die Festlegung ihrer gesehiehtliehen und gesellsehaftliehen Funktion, die Hegel im Blick auf die Funktion der Kunst in der schönen Religion und Polis entwickelt, bleibt vielmehr bestehen. Das Konzept einer
Revolution durch Aufklärung des ganzen Menschen und aller, für das diese Funktion der Kunst konstitutiv ist, nicht die klassizistisch zum „Maß" heraufgespielte Antike, gibt den Grund ab für die Feststellung einer nur eingeschränkten Leistungsfähigkeit. Die gleiche geschichtliche Aufgabe, die der Kunst zugemutet wird, ändert sich aber durch die geschichtliche Situation. Darum scheitert die Kunst der Moderne letztlich an dem Leistungssinn, den Hegel im Kontext der Geschichtsreflexionen seiner frühen Schriften entwickelt. Dies zeigt die Auseinandersetzung mit SCHILLERS Wallenstein. Hegel erörtert hier die Differenzierung der geschichtlichen Aufgabe der Kunst, die durch die geänderten Bedingungen ihres Wirkens in der Moderne entsteht. Bei Unterstellung der gleichen geschichtlichen Funktion scheint die Kunst nun strukturell ungeeignet, die Vernunftforderung der Aufklärung zureichend zu vermitteln, zu realisieren und Vernunft und Freiheit als Grundlage der gesellschaftlichen Institutionen durchzusetzen. Darin liegt auch der Grund, daß Hegel die Forderung nach einer neuen Kunst nun nicht mehr stellt. Obwohl sich SCHILLERS Idyllenkonzeption als die plausible Durchführung seiner Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst anbietet, führt Hegel seinen eigenen Entwurf nicht in diesem Sinn weiter. Hegels Urteil (in Jena), daß das moderne Kunstwerk nicht mehr in der Lage sei, eine Welt aus sich zu bilden, weil es nicht mehr zu der vollendeten Gestalt der griechischen Kunst gelange, setzt SCHILLERS Differenzierung von naiver und sentimentalischer Kunst, setzt den Unterschied der Lebenseinstellung voraus, der in Über Anmut und Würde entwickelt wird. Denn die
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
sentimentalische Kunst wiederholt auf dem Boden der Anschauung, was die Reflexionsphilosophie in der Sphäre des Begriffs zu leisten vermag: die Aufeinanderfolge verschiedener, entgegengesetzter Bestimmungen, die nicht in der Lage sind und nicht in die Lage versetzen, das Ganze als „Totalität" zu erfassen. Die Funktion der sentimentalischen Kunst in der Definition SCHILLERS entspricht der Funktion der Reflexionsphilosophie in Hegels kritischer Einschätzung dieser Philosophie. Auch in SCHILLERS Dichtung findet man nicht mehr jene neue Kunst, die auf dem Boden der Reflexionskultur und unter Einbeziehung der Rationalität des bewußt-zergliedernden Vollzugs der Reflexion die neue Harmonie einer vollendeten Gestalt erreichen soll. Hegel setzt sich auch hier wieder vordringlich mit SCHILLER auseinander, wohl unter dem Eindruck seiner frühen Annahme, in SCHILLERS Jugenddramen möchte die Freiheit als „Triebfeder" des Handelns der dramatischen Personen vermittelt werden. Er wendet sich aber von dessen Vorschlag ab, in der Gestaltung der elysischen Idylle die Vernunftideen zugleich „ästhetisch" und „mythologisch" — also zum Ideal — werden zu lassen. In der Folge gibt Hegel überhaupt den Gedanken auf, die Kunst könne die Freiheit zur Grundlage der Mechanismen staatlicher Verfassung erheben und die differenzierten Begründungen der notwendigen wie verzichtbaren Momente der Institutionalisierung ersetzen. Anstelle seines Jdeals des Jünglingalters" fordert er eine leistungsfähigere Vermittlung, die dann im System der Philosophie gefunden wird. An der ScHiLLERkritik zeigt sich eindeutig, wie die Einsicht in die Undurchführbarkeit des bisher entworfenen „Ideals", in die Unwiederholbarkeit des griechischen Urbildes, konstitutiv in die Forderung und Durchführung eines Systems der Philosophie eingeht. Wo Hegels Begeisterung für die Realisierung der Aufklärung der Reflexion auf die Durchsetzbarkeit weicht, sucht er nach institutionellen und gedanklich gesicherten Ansätzen, um SCHILLERS Problem, daß die ideale Existenz nicht auf Kosten der realen physischen durchgesetzt werden könne, endgültig zu lösen. In der Zuwendung zu den „positiven" Gesetzen und den bestehenden Institutionen geht es darum, Reformmöglichkeiten dieser Bedingungen der freien Existenz zu entwickeln, ohne zur totalen Negation der „Verfaßtheit" gezwungen zu sein. Der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit soll zu einem Fortschritt in ihrer Realisation führen. In den Überlegungen, wie Hegel sie etwa in der Verfassungs-Schrift erarbeitet, bereitet sich so zwar die spätere Affirmation der bestehenden Institution Staat vor. Zunächst geht es aber um den „revolutionären" Versuch, die intendierte reale Durchsetzung der Vernunftprinzipien zu gewährleisten, also um die Weiterführung des Revolutionsgedankens. Für die Entwicklung der Ästhetik sind solche Überlegungen nur noch bedingt wichtig. Sie entfalten die Vermittlungsmöglichkeiten von Vernunft und Freiheit, die nach der Ablösung der Kunst nötig werden, und ihre inhaltliche Bestimmung begründet die Einschränkung der geschichtlichen
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Bedeutung der Kunst, die die Äsihetikvorlesungen der Berliner Zeit als gegeben voraussetzen. Im folgenden wird die Entwicklung der Reflexion zum System nur insoweit berücksichtigt, als sich aus der Diskrepanz von Leistungsanspruch — der aus der frühen Bestimmung der Funktion der Kunst auf die Philosophie übertragen wird — und dessen Durchführung Gesichtspunkte für die Revision der Grundlagen der Philosophie der Kunst ergeben. Im Blick auf die Entwicklung der Ästhetik in Jena möchte man ROSENKRANZ' oder VISCHERS Diktum anläßlich des Verlustes der religiösen Inhalte der Kunst umformulieren: nur mit dem Sinken der Kunst kann die Ausbildung des Systems steigen. Die Tendenzwende, die sich in Frankfurt vorbereitet, führt zur Unterscheidung von antiker und moderner Sittlichkeit und damit zu einer Inkongruenz der geschichtlichen Funktion der Kunst in verschiedenen Kulturen. Zwar wird zunächst noch — unter dem Einfluß ScHELLiNGs — das System der Philosophie durch die Kunst als höchstem Systemteil vollendet. Dennoch steht Hegels Skepsis gegen die Wahrheitsvermittlung der modernen Kunst einer Integration der Kunst in die neue Form des Wissens im Wege. Diese Diskrepanz zwischen den Systementwürfen und der faktischen Einschätzung eines Teils dieses Systems führt dazu, daß auch die Rolle der Kunst im System der Philosophie im Sinne der späteren Ästhetik eingeschränkt wird. Hegel gewinnt ein historisierendes Modell der systematischen Bestimmung der Kunst mit der Herausarbeitung der drei Kunstformen, wie sie sich in der Phänomenologie schon vorbereitet, und damit den Ansatz für die spätere systematische Gestalt der Ästhetik. Auch dieser Schritt kann als eine Konsequenz der „Querelle" aufgefaßt werden, aber nun als die radikale, daß mit der skeptisch betrachteten modernen Kunst, die ihrem Leistungssinn nicht gerecht wird, die Bedeutung der Kunst überhaupt verloren geht. Der Rückgriff auf die Alten, der Versuch, am Muster einer vollendeten gesellschaftlichen Realisation eine neue Kunst oder die alte neue zu gewinnen, verbietet sich aus systematischen Gründen. Je weiter sich Hegel von seinen früheren Leitbildern löst und ein eigenes System der Philosophie entwickelt, desto weitgehender schränkt er auch sein frühes Programm einer neuen Mythologie und der Poesie (Kunst) als Lehrerin der Menschheit ein.
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems als Grundlage der Ästhetik Die Gesichtspunkte, die Hegel gegen Ende seiner Frankfurter Zeit als Kritik gegen seine frühere Konzeption anführt, werden in den ersten Druckschriften, in Vorlesungen und sonstigen Reflexionen, die in Jena unter dem Einfluß ScHELLiNGS entstehen, weiter entfaltet. Än die Stelle der geschichtlichen Rolle
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
der Kunst tritt hier die Funktion eines Systems der Philosophie, einer Totalität des gesicherten Wissens. Die Aufgabe dieses Systems umreißt Hegel zunächst noch unter Rückgriff auf die Bestimmung des „Ideals", der Mythologie wie der Kunst, denn die Entfaltung beider gilt als Abschluß der Philosophie. Erst in der Realphilosophie (1805-06) entwickelt Hegel eine Konzeption, die ScHELLiNGs Bestimmung der Kunst als Organon der Philosophie aufgibt. Im Aufriß der Ästhetik gewinnt hier nicht mehr der Gedanke eines Systems der Philosophie durch die Anspielung auf die im Systemprogramm entwickelte Funktion der Kunst Gestalt, sondern der Kunst wird umgekehrt im Kontext des Systems der Philosophie ihre geschichtliche Bedeutung zugemessen. Damit findet die Integration der Historie in die philosophische Geschichtskonzeption ihren Abschluß, die Hegel gegen Ende der Frankfurter Zeit ansatzweise entwickelte. Dieser Entwicklungsgang des Systems der Philosophie spiegelt sich in gleichzeitigen, zwar sparsamen, aber jeweils exemplarischen Ausführungen zu verschiedenen Künsten. Stellt man diese Äußerungen Hegels zusammen und konfrontiert man sie mit SCHELLINGS gleichzeitiger Ästhetikvorlesung, dann zeigt sich, daß der formale Aufriß der Ästhetik, wie er sich in der Realphilosophie zeigt, schon in Jena die inhaltliche Ausgestaltung erhält, die Hegel in den Berliner Vorlesungen zur Ästhetik nicht prinzipiell erweitert, sondern nur materialreicher vorträgt. In allen drei Punkten, die Hegel aus seinen abschließenden Frankfurter Überlegungen weiterführt, in der Systemvorstellung, der Geschichtsreflexion und der Kritik der Künste, zeichnet sich die geschichtliche Funktion der Kunst ab, die, im folgenden nur geringfügig modifiziert, zur Grundlage der Ästhetik wird. Die entwicklungsgeschichtliche Darstellung der Ästhetik setzt deshalb meistens mit den Systementwürfen der Jenaer Zeit an und mit der Interpretation der Kunst, die Hegel in einigen Reflexionen entwickelt. Denn — so das geläufige Argument — in den Schriften der Jenaer Zeit gibt Hegel die PcATONisierende Rede von der Schönheit zugunsten der konkreten Bestimmung der Kunst auf. Auch die Intention der frühen Schriften, nämlich die Verknüpfung der Vorbildfunktion des Griechentums mit der Bestimmung des „Ideals" der Kunst, bleibt in den Jenaer Schriften erhalten. Ebenso gibt es nun mehrere Systementwürfe, die die Stellung der Kunst im Kontext der Philosophie festlegen, bis hin zur systematischen Entwicklung der Totalität der Künste selbst in der Geistphilosophie der Realphilosophie von 1805/06. Paradoxerweise gewinnt man aber mit dem Ansatz der Interpretation in den Jenaer Schriften keinen Gesichtspunkt, der über die spätere, endgültige systematische Form der Ästhetik in den Vorlesungen hinausführen bzw. diesen Standpunkt relativieren könnte. Während sich Hegels Religionskritik selbst einer gesellschaftskritischen Motivation verdankt und darum auch die ihr implizite Bestimmung der Kunst der Aufgabe unterstellt, humanere
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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Verhältnisse zu ermöglichen, wird diese Intention in den Jenaer Überlegungen nicht mehr ohne weiteres greifbar. Stattdessen erscheint die Kunst als selbständiges geschichtliches Phänomen.i'* Im folgenden wird demgegenüber die Intention der geschichtlichen Bestimmung der Kunst, die sich aus den religionskritischen Überlegungen ergeben hat, auch für die Jenaer Reflexionen und Systementwürfe unterstellt. Gegen den Anschein, daß dies schon darum unmöglich ist, weil Hegels System der Philosophie die vorrangige Bedeutung von Kunst wie Religion aufhebt, läßt sich nämlich zeigen, daß Hegels Überlegungen auch hier nur darum einen Zusammenhang bilden, nur darum als kohärente Argumentation hinsichtlich der Kunst erscheinen können, weil der Leistungssinn erhalten bleibt, den er in der Religionskritik für die Kunst entworfen hat. Die Kohärenz dieser Entwicklung ist allerdings nicht ohne weiteres ersichtlich. Zunächst schränkt Hegel nämlich die Bedeutung der Kunst kontinuierlich weiter ein und gelangt zu einer Bestimmung, die dem ursprünglichen Programm zu widersprechen scheint. An die Stelle der gesellschaftskritischen Funktion des Ideals tritt die These vom Vergangenheitscharakter der Kunst, an die Stelle der utopischen Funktion des Griechenverweises tritt Hegels Hinweis in der Phänomenologie, daß die griechischen Götter tot seien, mithin die Vermittlung von Wahrheit durch Schönheit für die Moderne nicht wiedererlangt werden könne. Durch die ScHiLLERkritik gegen Ende der Frankfurter Zeit wird allerdings deutlich, was Hegel zu diesen Veränderungen motiviert. Hegel greift nämlich in Jena die neuralgischen Punkte seiner frühen geschichtsphilosophischen Konzeption explizit auf. Wegen der Präzisierung der Geschichtskonzeption kann er in der Kunst nicht mehr die Garantie dafür sehen, daß eine Handlungsorientierung, selbst wenn sie formal der Vernunft entspricht, schon geschichtliche Inhalte mit Wahrheitsqualität vermittelt. Für diese zweite Komponente der Aufklärung will er begründete Garantien geben. Dadurch ist Hegel aber gezwungen, seine Vermutung aufzugeben, daß die Kunst grundsätzlich in der Lage sei und zureiche, die „Sittlichkeit eines i^Vgl. dazu den Aufsatz von K. Düsing: Idealität und Geschichtlichkeit der Kunst in Hegels Ästhetik. Düsing löst die Bestimmung der Kunst vom „Ideal" des
Jünglingsalters und sieht in den Jenaer Überlegungen den Ansatz zur Bestimmung der Autonomie der Kunst und zur Ästhetizität, zum „Kunstcharakter" der Kunstwerke, den er eher im Sinne Kants als Hegels interpretiert, d.h. als Lösung von ästhetik-transeunten Zwecken versteht. — H. Glöckner und H.-G. Gadamer nehmen an, daß Hegel erst in Heidelberg die endgültige Gestalt der Ästhetik entwickelt habe. O. Pöggeler zeigt dagegen, daß in der Entwicklung des Systemgedankens in Jena zugleich die systematische Gestalt der Ästhetik abgeschlossen wird, bis hin zum Entwurf der Kunstformen symbolische, klassische und romantische Kunst in der Phänomenologie. Für diese Interpretation ergeben sich aus der hier gewählten entwicklungsgeschichtlichen Perspektive z.T. ergänzende Belege, z.T. Erweiterungen.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Volkes" für die vernunftfordernde Moderne zu stiften. Er begründet seine Skepsis nicht durch eine Änderung des Begriffs der Kunst. Deren funktionale Bestimmung bleibt identisch, aber diese Bestimmung der Kunst im Kontext der Mythologieforderung wird nun zum Kriterium für den Kunstcharakter der gegenwärtigen Kunst erhoben. Hegel vergleicht deren faktische Leistungsfähigkeit mit dem programmatischen Entwurf. Die Kunst, wie man sie vorfindet, erfüllt ihre geschichtliche Bestimmung nicht, denn sie gibt keine Handlungsorientierung. Nicht nur, daß sie auf die Individualität beschränkt bleibt, sie artikuliert sich darüberhinaus als „Instinct und Gefühl", wie Hegel es in seiner jACOBikritik ausführt. Eine solche Kunst erreicht die „Lebendigkeit und Schönheit" der griechischen Sittlichkeit nicht wieder, ist zur Realitätserfahrung nicht mehr fähig, sondern geht als bloßer Traum einer schöneren und besseren Welt an der Wirklichkeit vorbei. Solange die Kunst die Innerlichkeit des Gemüts nicht überschreitet, kann sie ebensowenig wie das „Ideal" der theologischen Schriften (die Gestalt Jesu) die reale Welt in sich fassen, auf diese einwirken. Hegels Gedanken zu einer neuen Kunst, die, anders als die faktisch vorfindliche, dem Ideal genügen könnte, sind spärlich, aber auf dem Hintergrund der frühen Überlegungen eindeutig. Eine solche Kunst kann es aus geschichtsphilosophischen Gründen nicht geben, sie kann vernünftigerweise nicht erwartet werden. Hegel zieht hieraus eine systematische Konsequenz und erklärt die Philosophie zum Medium und zur Erfüllung der Versöhnungsforderung. Ähnlich wie SCHILLER sucht er also einen Äusweg aus dem Dilemma, daß die Kunst die programmatische Forderung einer Durchsetzung der Revolution nicht erfüllt. Die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst bleibt jeweils erhalten, wird aber hier wie dort relativiert. SCHILLER streicht die Forderung der faktischen Realisierung von Versöhnung der zerrissenen Verhältnisse und verlegt die neue Harmonie in die Innerlichkeit. Hegel kann diese Konsequenz nicht ziehen, weil sie sich aus der frühen Bestimmung des Ideals verbietet und münzt statt dessen die Kritik an der faktischen Kunst zu einer grundsätzlichen historischen Relativierung ihrer Bedeutung und zu einem Ersatz der Kunst durch die Philosophie um. So kommt es zu einer paradoxen Konstellation. Das „Ideal" der religionskritischen Schriften führt zu einer Konzeption der geschichtlichen Funktion der Kunst, die Hegel erst in Jena durch die Konfrontation des Phänomens mit der realen Geschichte legitimieren könnte. Auch der Inhalt der Kunst, die Mythologie, kommt hier unter dem Äspekt erneut zur Sprache, wieweit sich eine historische Mythologie als „vernünftig" erweisen lasse. Die faktische Mythologie, auch die griechische, kann nicht einfach zur Vernunftmythologie deklariert werden. Eine solche Erhebung des geschichtlichen Faktums zur Norm will Hegel in einer Philosophie des Geistes nochmals eigens sichern. Kunst und Religion erscheinen darin als Momente eines Geistes, der „nach seiner teleologischen, im wesentlichen abgeschlossenen Geschichte" expli-
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ziert wird.15 Hegel kommt deshalb in ]ena einerseits zur Ausbildung dessen, was auch noch für die Ästhetik als der Inbegriff der Geschichtlichkeit der Kunst gilt: zum System der verschiedenen Kunstformen. Zugleich enthält die philosophische Bestimmung der Kunst aber nun eine Einschränkung des frühen Ideals. Diese Absetzung von der Position der theologischen Jugendschriften geht in kaum merklichen Schritten voran. Zunächst scheint Hegel durch das Jdeal" des Jünglingsalters zu einer Bestimmung der Kunst zu gelangen, die er in Anlehnung an SCHELLINGS Bestimmung der Kunst als Organon der Philosophie in das philosophische System integriert. Dennoch zeigt sich bereits in den ersten Entwürfen dieser Art die Tendenz, die ihren Abschluß im Entwurf der Realphilosophie von 1805/06 findet und durch die Hegel abschließend in der Überarbeitung der Enzyklopädie (1827) die systematische Stellung der Ästhetik festlegt. Der .„Begriff" der Kunst, der selbst in den Vorlesungen zur Ästhetik als die Bestimmung ihrer geschichtlichen Funktion eingeführt wird, erfährt eine wesentliche Einbuße, wo Hegel (vermeintlich) die Geschichtsproblematik im System der Philosophie in ein Wissen über die Geschichte und ihr Gesetz auflöst. Mit der Möglichkeit, das für den Menschen Wesentliche über die Geschichte prinzipiell wissen und „wissenschaftlich" thematisieren zu können, sinken zwangsläufig jene vorbegrifflichen Weisen der Vergegenwärtigung der Wahrheit (des Unendlichen im Endlichen) zur Vorläufigkeit herab. Weil Hegel die Versöhnungsindizes Leben, Liebe, Schönheit in ihrer Bedeutung einschränkt, weil ihnen die Explizitheit des Wissens fehlt, trifft die Vollendung des „Reflexionsstandpunktes" der bisherigen Philosophie durch die spekulative Philosophie vor allem die Einschätzung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst. Eine Wirklichkeit, die hinter den erreichten bzw. erreichbaren Klarheits- und Begründungsstandards der „wissenschaftlichen" Philosophie zurückbleibt, kann nicht mehr
15Zur Entwicklung in Jena vgl. O. Pöggeler: Hegels ]enaer Systemkonzepiion. 286ff; sowieders. Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. llOff. K. Düsing: Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena. H. Schneider: Die Anfänge der Systementwicklung Hegels in ]ena, 133—171. — Dazu siehe auch die Darstellung der frühen Systementwürfe bei K. R. Meist: Hegels Systemkonzeption in der frühen Jenaer Zeit. Die Entwicklung der systematischen Philosophie Hegels in Jena wurde im Zusammenhang der Edition der Jenaer Schriften eingehend diskutiert. In Auseinandersetzung mit H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels „System der Philosophie" in den Jahren 1800—1804 verweisen J. H. Trede und R. P. Horstmann auf die Wandlungen der Systemkonzeption. R. P. Horstmann: Probleme der Wandlungen in Hegels Jenaer Systemkonzeption, 87ff; ders., Jenaer Systemkonzeption, 43 ff; Trede: Mythologie und Idee. Die systematische Stellung der „Volksreligion" in Hegels Jenaer Philosophie der Sittlichkeit (1801-03), 167 ff.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
versöhnend wirken, kann nicht als utopische Alternative einer besseren Welt die Zukunft bestimmen. In den Jenaer Schriften zeigt sich also die Verknüpfung des frühen programmatischen Entwurfs mit der endgültigen systematischen Bestimmung der Kunst daran, daß die Änderungen im Begriff der Sittlichkeit und der Religion die Einschränkung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst zum Resultat haben. Die Tatsache, daß Hegel von seiner Forderung einer „neuen" Religion abrückt, führt im Verein mit der Differenzierung des Begriffs der Sittlichkeit in der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft zur Einschränkung der Funktion der Kunst in der Moderne. Zunächst ist klar, daß, gilt das Christentum als die absolute Religion, der Zweck der Kunst hinfällig wird. Sie muß dann nicht eigens eine neue „schöne" Religion, die Wahrheit mit Verständlichkeit für alle verknüpft, wieder heraufführen. Die Mythologiedebatte ist in einem solchen Religionsverständnis bereits entschieden. Es kommt nämlich nicht mehr darauf an, eine vernünftige Mythologie hervorzubringen, da sich die gängigen Inhalte des Christentums durch die „wissenschaftliche" Philosophie als die adäquate Vorstellung des Absoluten erwiesen haben. Verliert die Kunst aber durch diesen Prozeß ihren Zweck, die Mythologie der Vernunft hervorzubringen, verliert sie mit ihrer Aufgabe, eine neue „schöne" Religion zu vermitteln, auch ihre konstitutive Funktion für die Sittlichkeit eines Volkes, dann ist der nächste Schritt zwangsläufig und kaum von vergleichbarem Gewicht. Die Kunst der Moderne kann nun um so leichtherziger hinsichtlich der Möglichkeit kritisiert werden, eine umfassende geschichtliche Orientierung des Menschen zu liefern, als diese Rolle nicht mehr ausschließlich der Kunst zugemutet werden muß. Die Philosophie übernimmt die geschichtliche Rolle der Kunst und vollendet ihre Aufgabe, so daß die Kunst ihrer höchsten Wirkmöglichkeit nach der Vergangenheit angehört. Das Defizit der Kunst der Moderne, ein bloßer „Traum" zu sein, erscheint nicht mehr als beklagenswertes Manko, sondern als das geistesgeschichtlich einleuchtende „Schicksal" einer früheren, überwundenen Epoche. Die „Vollendung" der Konzeption der Ästhetik in den Jenaer Schriften stellt sich an drei ineinandergreifenden Aspekten dar: Erstens in der Änderung des Verhältnisses Kunst — Philosophie; zweitens im Verzicht auf die utopische Funktion des Griechenverweises, der sich in der Abwendung vom Programm der Mythologie der Vernunft zeigt. Bezeichnenderweise wendet Hegel sich durch eine vorläufige Unterscheidung von plastisch-antikem und musikalisch-modernem Prinzip von jener Kunst ab, die ihm zunächst als Vorbild gegolten hatte. Auch wo er den nächsten Schritt vollzieht und die Poesie als die umfassendste der Künste darstellt, findet er einerseits seine Bestimmung der modernen Poesie durch den Vergleich mit der antiken Tragödie, andererseits ein klares Bild der Differenz sowohl der geschichtlichen Situation als auch der Bedeutung der Kunst. Da Hegel durch die
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Analyse der Bedeutung der Kunst zugleich seine Differenzierung historischer Epochen als Geistesgeschichte gewinnt, folgt aus der Forderung eines Systems des (absoluten) Wissens ein paralleler dritter Schritt. Die Relativierung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst manifestiert sich sowohl in der Unterscheidung verschiedener Stufen des absoluten Sich-Wissens als auch in einer Strukturierung ihrer eigenen geschichtlichen Epochen durch die Abfolge verschiedener Kunstformen. Hegels Schriften bis hin zu den Vorlesungen über die Ästhetik fügen den Jenaer Fortschritten so nichts Wesentliches hinzu, außer einer Neubesinnung auf die im Zuge der Umwertung der Bedeutung der Kunst mitrelativierte Bedeutung des Griechentums und einer weiteren Differenzierung von Kunst und Religion. Aus der Analyse der Schriften der Jenaer, Nürnberger und Heidelberger Zeit ergibt sich der philosophische Begriff der Kunst, den die Ästhetik inhaltlich als Wesen und Geschichte der Künste entfaltet. Die Frage, ob das philosophische System an die Stelle der ursprünglich durch die Kunst vermittelten Erkenntnis in praktischer Absicht treten und die Aufgabe der Kunst besser erfüllen kann, läßt sich innerhalb der Ästhetik auf zwei Ebenen weiter diskutieren. Einmal muß gezeigt werden, wieweit die Ästhetik die seit Jena entwickelte Konzeption der systematischen Philosophie beibehält, wie also ihre inhaltlichen Urteile und die darin vorausgesetzte Theorie des Fortschritts der Wahrheitsvermittlung diese Grundlage widerspiegeln. Eine andere, aber auch nicht uninteressante Frage ist die, ob nicht gerade aus der frühen programmatischen Bestimmung der Kunst eine Überfrachtung des Philosophiebegriffs herrührt. So rechtfertigt sich z.B. der leitende Gedanke, daß der Begriff der Wirklichkeit mit seiner Realität zusammengeschlossen werden müsse, nur in SCHELLINGS Definition des Kunstwerks. Nimmt man Hegels Ausweitung dieses Gedankens auf die Leistung der Philosophie und ihres Realitätsbezuges überhaupt zurück, dann erscheinen auch die einschränkenden Bestimmungen der Ästhetik in neuem Licht.
2.2.1 Die Rolle der Kunst im System der Philosophie Der Wandel in der Einschätzung der Kunst wird in den Systementwürfen der verschiedenen Schriften greifbar. Hegel experimentiert seit Beginn seiner Tätigkeit in Jena an solchen Systemaufrissen, um, wie er es SCHELLING gegenüber charakterisiert, das Jdeal des Jünglingalters" über die „Reflexionsform" in ein System zu „verwandeln" (ßr. 1. 58). Bezeichnenderweise formuliert er den Leistungssinn dieses Systems in seiner Vorlesung des Wintersemesters 1802/03 über Introductio in Philosophiam^^’ noch als den Versuch, eine 16 Das Fragment zu dieser Vorlesung Hegels findet sich unter den neu aufgefundenen Manuskripten aus der Jenaer Zeit. Vgl. dazu die Mitteilung dieses Fundes bei
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Antwort auf die Frage" zu finden: „welche Beziehung hat die Philosophie aufs Leben". Diese Frage ist identisch mit der: „inwiefern ist die Philosophie praktisch?" (Ms. 6b). Das „Bedürfniß der Philosophie" (Ms. 6a) bleibt identisch mit dem Anliegen der Religionskritik, nur daß die subjektiven Standpunkte „über sich selbst aufgeklärt in den objektiven, allgemeinen Standpunkt der Philosophie übergehen" (vgl. Ms. 5b; 6b). So gibt die philosophische Erkenntnis, die jeglichem Wissen begründend vorausliegt (vgl. Ms. 5a), Aufschluß über das Leben; es geht darum, von der Philosophie und „durch sie leben zu lernen". Erreicht wird dieses Ziel, wenn die Philosophie an die Stelle der bloß äußeren Verstandesbildung die Vernunftbildung gesetzt hat, wenn sie als System des Wissens durch eine umfassende Reflexion auf die verschiedenen möglichen Wissensformen und Wissensgehalte gesichert ist. Wissen wird erlangt in der Jdee des absoluten Wissens, als speculative Idee, und dann als Universum dargestellt" (Ms. la). Philosophisches Erkennen rekonstruiert den Prozeß der lebendigen Selbstvermittlung des absoluten Wesens als den Übergang von der Idee in die Realität und den Rückgang in die Idee. Die beiden ersten Systementwürfe in der D ifferenzSchrift (1801) und im Fragment zur Vorlesung Introductio in Philosophiam modifizieren die Bestimmung der Kunst noch nicht explizit, sondern setzen die Kunst an die Stelle und geben ihr jene Funktion, die SCHELLING in seiner Ästhetik entwickelt. Kunst ist jener Indifferenzpunkt der Anschauung des Absoluten, der Natur- und Geistesphilosophie und theoretische wie praktische Philosophie in eins „resumirt". Modifikationen zu SCHELLINGS Ansicht deuten sich nicht in der Stellung der Kunst an, sondern allenfalls in Hegels Erklärung der systematischen Funktion der Kunst. Erst in den Überlegungen ab 1803 hat sich Hegel soweit von SCHELLING gelöst, daß er in seinem „System der Philosophie" der Kunst nicht mehr den Status der höchsten Erkenntnismöglichkeit einräumt. In der Systemskizze zum Abschluß der Differenz-Schrift teilt Hegel nicht nur die Philosophie im Sinne SCHELLINGS in einen theoretischen und einen praktischen Teil: die Wissenschaft von der Natur und die von der Intelligenz, sondern untergliedert diese beiden Teile selbst wieder in je einen theoretischen und praktischen Teil (vgl. GW 4. 73). Beide Systeme, das der Natur und das der Intelligenz, stellen in innerer Identität das Absolute dar, aber einmal in der Ordnung und im Zusammenhang „des Objektiven", der Dinge, dann in der Ordnung und im Zusammenhang des Subjektiven, der Ideen (G W 4. 71). Verschieden ist nur die Repräsentationsweise des Absoluten, das Ziesche: Unbekannte Manuskripte aus der fenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß; zur Interpretation; M. Baum und K. Meist: Durch Philosophie leben lernen. Hegels Konzeption der Philosophie nach den neu aufgefundenen Jenaer Manuskripten. 43 ff. Für die Entwicklung der Ästhetik vgl. A. GethmannSiefert: Die Ästhetik in Hegels System der Philosophie, 135 ff. £.
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einmal in der «form des Erkennens", einmal in der .form des Seins" gesetzt wird (GW 4. 74). Hier bietet es sich an, im Sinne SCHELLINGS die Kunst als jenen Gegenstand, jenes Objektive oder Sein anzusetzen, das in sich Idee, Subjektiv-Gesetztes ist und dadurch beides nicht nur formal (in der Erkenntnis), sondern auch real vereint. Kunst, Religion und Spekulation thematisieren also jenen Indifferenzpunkt, der nicht schon in den beiden Systemen, sondern der «^Is absolute Totalität ausser ihnen" liegt.In der Kunst erscheint die Anschauung des „sich selbst gestaltenden, oder sich objektiv findenden Absoluten ... mehr in einen Punkt koncentrirt und das Bewußtseyn niederschlagend" (GW 4. 75). Das Werk der Kunst, „ein Produkt des Individuums, des Genies, aber der Menschheit angehörend", setzt das Absolute als einen objektiven, dauernden Gegenstand, realisiert es in der schönen Gestalt. Die Anschauung des Absoluten kann ebenso in der Religion als Indifferenzpunkt und als Totalität erreicht werden. Es erscheint dann als ein „lebendiges Bewegen", das vom Verstand als „ein bloß inneres gesetzt werden kann". Auch die religiöse Anschauung ist f rodukt einer Menge, einer allgemeinen Genialität", das zugleich jedem Einzelnen angehört. Beide, Kunst wie Religion, lassen das Absolute „mehr in der Form des absoluten Seyns" erscheinen, während diesselbe Anschauung des Absoluten in der Spekulation dieses „mehr als Bewußtseyn, und im Bewußtseyn ausgebreitetes" darstellt, als ein „Thun subjektiver Vernunft, welche die Objektivität und das Bewußtlose auf hebt" (GW 4. 75). In der Differenz-Schrift, die die erste Fassung der „spekulativen" Methode der Philosophie enthält, bleibt Hegel seiner eigenen frühen Vorstellung verpflichtet. Was vorab „Leben", „Liebe", „Schönheit" (also Vollzüge außerhalb der philosophischen Reflexion) auszeichnete, kann die „Reflexion der Reflexion" als Spekulation nun in den Kompetenzbereich der Philosophie überführen. Im Unterschied zu SCHELLING modifiziert Hegel lediglich die Funktion der „Anschauung" des Absoluten, denn in ihr wiederholt sich noch einmal die Entzweiung der Systeme der Natur und der Intelligenz. Und er setzt die Totalität des Erkennens, wie sie die Kunst und — ohne Unterscheidung von der Leistungsfähigkeit der Kunst — die Religion enthalten, auf die Seite des „Seins". Dieser Unterschied zu SCHELLINGS systematischer Bestimmung der Kunst zeitigt noch keine offensichtliche Konsequenz für die Einschätzung der Kunst selbst. Hegel legt im Gegenteil die systematische Stellung der Kunst als „Sich-Wissen" des Absoluten fest; ein Status, den sie auch i^Man muß hier nicht annehmen, daß Hegels System vierteilig sei (so Meist: 75). Die Unterscheidung von absolutem Indifferenzpunkt und Totalität des absoluten Wissens erscheint dann nämlich als methodische Unterscheidung derselben Einheit. Die Anschauung des Absoluten in Kunst, Religion und — wie Hegel anfügt — im System der Sittlichkeit ist eben das, was durch Spekulation expliziert werden muß.
Hegels Systemkonzeption in der frühen Jenaer Zeit,
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in seinen späteren Bestimmungen beibehalten wird. Dennoch wird durch die Differenzierung des absoluten Indifferenzpunktes (sofern er als Totalität erscheint) in verschiedene Präsentationsweisen, verschieden-reflexiv artikulierte und artikulierbare Weisen der Thematisierung des Wissens vom Absoluten, ein bruchloser Übergang zur Beurteilung der Kunst als unzureichender Vermittlung des Absoluten vorbereitet. In der Vorlesung Introduciio in Philosophiam entwickelt Hegel eine analoge Systemskizze, die aber die systemabschließende Funktion der Kunst konzeptionell besser vorbereitet. Er bestimmt nämlich die Idee als den Entwurf eines Bildes vom Absoluten. Diese Idee „realisiert" sich in der Natur, erschafft sich „einen entfalteten Leib", um sich dann als Geist in sich zu „resumiren". Im Rückgriff auf die vorhergehenden Ausführungen setzt Hegel zwei Stufen der Erfassung dieses Prozesses voneinander ab, die sich (durch den Textbestand bedingt) nicht eindeutig rekonstruieren lassen. Es ist einmal die Anschauung der Idee in ihrem lebendigen Prozeß bzw. ein „unbestimmteres Bild ihres Organischen Ganzen" (Ms. la), zum anderen die Entfaltung für die Erkenntnis, die mit einer Reflexion auf die Einheit dieser Differenzierung abschließt. Am Ende wird „die ganze Entfaltung" des sittlichen und geistigen Prozesses in dhre Tiefe" zusammengenommen, um zu demonstrieren, daß sie bei aller Differenzierung „immer in die Eine Idee zusammengefaßt geblieben ist" (Ms. ib). Hier fügt Hegel der Trias von Idee, Natur und Geist einen vierten Teil hinzu, der die Realität der ganzen Entfaltung eigens thematisiert. Die Philosophie organisiert sich als „absolute Sittlichkeit" und umfaßt selbst wieder einen dem System der Natur analogen Teil des Sittlichen. Überdies umfaßt die Philosophie die Realität des Sittlichen als „freyes Volk" sowie beider Rückkehr zur einen Idee in der Philosophie der Religion und Kunst. Religion und Kunst gelten wieder als die „Anschauung des Geistes" (Ms. 2a). Für die Bestimmung der Kunst hat auch hier Hegels ünterscheidung von Anschauung und spekulativer Entfaltung für die Erkenntnis noch keine merklichen Konsequenzen. Hegel nennt das „feste klare Anschauen... überhaupt die erste Bedingung des Philosophierens" (Ms. 2b) und betont, daß „wahre Wissenschaft und Kunst" der Vernunft gehören, „das ist dem Allgemeinen und Absoluten" (Ms. 6a). Gründe für die weitere Unterscheidung von bloßem Anschauen oder Vorstellen, die Hegel hier identifiziert (Kunst und Religion), von der expliziten, klaren Erkenntnis finden sich in diesen Texten nicht. Wie in der Skizze der Differenz-Schrift leisten Religion und Kunst die endgültige Resumtion des Ganzen in eins, die Rückkehr zur reinen Idee wird in der Philosophie der Religion und Kunst als die „Anschauung" des Geistes organisiert (vgl. Ms. 2a). Obwohl Hegel schon hier die philosophischen Mittel in der Hand hat, die Vollendung der Anschauung in der spekulativen Erkenntnis als den konsequenten (Fort-)Schritt zu interpretieren, hält er noch an SCHELLINGS Interpretation der intellektuellen Anschauung fest und
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faßt den Differenzierungsprozeß der Erkenntnis, wenn er ihn „nach seiner Tiefe" betrachtet, noch in die Einheit der Selbstanschauung des Geistes zusammen. Wo aber einmal die „Spekulation", d.h. das sich-vergewissernde Wissen als die philosophische Begründung der Einheit (der Indifferenz der Identität wie der Totalität) gefordert ist — wo Hegel also seine mit der Differenz-Schrift entwickelte Methode auf das eigene System anwendet —, da erscheint die Forderung naheliegend, auch für diese letzte Resumtion die Form des philosophisch-gesicherten Wissens, nicht die der Anschauung, zu fordern. Hegel bereitet diese Schlußfolgerung durch eine Kritik an Begriff und Funktion der „intellektuellen Anschauung" vor. Zugleich erhält er dadurch die Möglichkeit, die beiden verschiedenen Gegebenheitsweisen des Absoluten nach der Seite des Seins und des Wissens zu gewichten. Im Mystizismus der an BöHME und an orientalischem Gedankengut orientierten ScHELLiNGanhänger zeigt sich ein erster Anhaltspunkt, gegen die Auszeichnung der Anschauung in Erkenntnisperspektive skeptisch zu werden. Sie gleiten in ihrer Philosophie in Bilder als „Form gemeiner sinnlicher Vorstellung" ab und fassen die Idee als „trübes Mittelding zwischen dem Gefühl und der Wissenschaft". Dadurch ergibt sich dieselbe Schwierigkeit, die Hegel (in seinen Vorlesungen von 1803/04) gegen die Anschauung prinzipiell geltend macht; man kann nämlich keine Unterscheidung mehr angeben zwischen spekulativer und bloß sinnlicher Erkenntnisweise.Statt ein „spekulatives Gefühl" als Vermittlungsinstanz anzusetzen, betont Hegel, der Begriff selber sei „der Vermittler zwischen sich und dem Leben" (Ros. 182). Da diese Vermittlung in früheren Überlegungen nicht dem Begriff, sondern z.B. der Schönheit zukam, zieht Hegel auch eine Konsequenz, die für die Bestimmung der Kunst bedeutsam wird. Gegen die Intention des Systemprogramms gilt es, angesichts der Verirrungen des ScHELLiNcianismus zwischen „Philosophiren" und „Poetisiren" zu trennen. Vgl. die Polemik gegen Schelling und Böhme Ros. 540, 546. Daß Hegel selbst mit der Rezeption der orientalischen Mystik in naturphilosophischer Intention vertraut ist, läßt sich aus seiner Kenntnis der Schriften Baaders belegen. Es wäre zu untersuchen, wieweit er hier schon auf die Rezeption der orientalischen Poesie anspielt, die er später in der Ästhetik eingehend berücksichtigt. E. Schulin {Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und R«nEr) konstatiert erst für die Nürnberger Zeit eine eingehendere Beschäftigung mit der orientalischen Mythologie. Schelling setzt sich aber möglicherweise schon in Jena (mit Sicherheit aber 1804/05 in Würzburg) mit der orientalischen Welt auseinander, wie sie die Romantiker sahen. In den Entwürfen zur Ästhetik findet sich bei Hegel kein Hinweis auf die „symbolische Kunstform", wohl aber im Religionskapitel der Phänomenologie. Diese Überlegungen finden sich neben anderen inhaltlichen in den Aphorismen, die Rosenkranz unter dem Titel „Hegels Wastebook 1803—1806" als Anhang zur Biographie ediert (zit. nach Dok. 353—375); Vgl. die Dokumente zu Hegels Jenaer
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Zwar will sich Hegel mit solchen Überlegungen noch nicht von SCHELLING distanzieren, zuguterletzt kritisiert er aber in der Vorlesung über die Geschichte der Philosophie (1805/06), wie man ROSENKRANZ' Bericht entnehmen kann, auch den Begriff der intellektuellen Anschauung in diesem Sinn. SCHELLING kann mit der intellektuellen Anschauung keine hinreichende Differenzierung der inhaltlichen Momente des. Absoluten erreichen. Dieselbe Kritik enthält schon ein Fragment über das „Wesen des Geistes" (1803). Das Werden des Geistes über Idee, Natur zur absoluten Idee, das im Sinne einer „Tätigkeit" sowohl des Erkennens wie des Absoluten verstanden wird, kann durch Reflexion und (intellektuelle) Anschauung nicht erfaßt werden (G W6. 275). Hegel sieht sich in der Weiterentwicklung seiner Konzeption der systematischen Philosophie deshalb gezwungen, die Rolle der Anschauung entweder zu vernachlässigen oder — wie etwa in der Geistphilosophie von 1803/042° — zu ändern. Er entwickelt hier zwei Gesichtspunkte, die in der Realphilosophie von 1805/06 zur Bestimmung des Ortes der Kunst im System der Philosophie führen. Der erste Gesichtspunkt ist der, daß die Anschauung zur „empirischen Einbildungskraft" und damit zur „ersten Potenz" des Geistes gerechnet wird. Sie gehört also lediglich zum Sein des Bewußtseins und wird charakterisiert wie später die Kunst selbst, nämlich als „leeres, währheitsloses, wachendes, oder schiaffendes Träumen ... indem das Bewußtseyn in den animalischen Organismus zurückfällt" (GW 6. 285). Die Charakteristik wiederholt sich auf der Ebene des absoluten Geistes dann für die Kunst. EHe zweite — losgelöst von der späteren Entwicklung unscheinbare — Bemerkung bezieht sich auf das Gedächtnis, in dem durch „ideale Aufhebung" der für die Anschauung konstitutiven Form des Raumes und der Zeit das, „was wir sinnliche Anschauung genannt haben", zu einem Gedachten gemacht wird (GW 6. 287). Denselben Übergang von Anschauung zu Gedachtem benutzt Hegel als Charakteristik der Funktion der Kunst im Dozententätigkeit (1801—1807) und die Abhandlung Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften von H. Kimmerle (21—8 99; 125—176). Zu den von Rosenkranz herausgegebenen Kritischen Xenien aus der fenaer Periode vgl. F. Nicolin: Unbekannte Aphorismen aus der Jenaer Periode (9—19). 20 Zur Datierung dieser Manuskripte, die Hoffmeister noch insgesamt unter dem Titel Jenenser Realphilosophie 1 veröffentlichte und auf das Jahr 1802/3 datierte, vgl. H. Kimmerle: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften, 157 f; zum folgenden vgl. 158 f. — Zu dieser Vorlesung gehört — möglicherweise als Fortsetzung an späterer Stelle — das Fragment „ist nur die Form" {GW 6. 329 f), das hier im Zusammenhang mit der inhaltlichen Bestimmung der Kunst erörtert wird. — Daß diese Überlegungen der Geistphilosophie sich auf die Kunst beziehen lassen, zeigt sich vor allem daran, daß Hegel Schillers Bestimmung der „lebendigen Gestalt" auf die Natur anwendet (GW 6. 35 f). In strukturHler Analogie bestimmt die Realphilosophie von 1805/06 auch die seiende (substantielle) Gestalt des Geistes im Sinne der organischen Fassung der Naturgestalten.
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Griechentum und der politischen Wahrheit.Gerät diese Weise der Erkenntnis aber unter den Begründungszwang der vernunftfordernden Vernunft der Moderne, dann erscheint sie als unzureichend. Der drifte Anhaltspunkt für die Bestimmung der Kunst ergibt sich aus dem systematischen Kontext der Geistphilosophie (1803/04), genauer aus den Hinweisen, die sie für Hegels Plan enthält, das System der Philosophie durch eine Bestimmung der absoluten Sittlichkeit zu vollenden (vgl. u.a. GW 6. 353; Ros. 132 ff). Die Geistphilosophie von 1803/04 stellt dies Thema der Naturrechtsphilosophie als die Aufgabe dar, die ,^bsolute Realität des Bewußtseins" im lebendigen Geist eines Volkes zu erreichen. SCHELLINGS Potenzenlehre wird hier als bloß ddealer" Entwurf durch die geschichtliche Konkretion ergänzt. Der Geist eines Volkes, in dem die Potenzen des Geistes real werden, wird bestimmt als absolute Substanz, absolute Sittlichkeit, die sich im Werk realisiert. »Der Geist des Volkes ... muß sich zum Werke werden oder er ist nur als ein ewiges Werden zum Geiste" (G W 6. 315, vgl. 317). Was Hegel hier als die Funktion der Arbeit eines ganzen Volkes umschreibt, das Werk, das als Tun mehrerer (im Idealfall aller) den Regeln der Geschicklichkeit folgt (Technik) und zur Deckung der Totalität der Bedürfnisse (zum Besitz) führt, spezifiziert er später zum Charakteristikum des Geistes in einer bestimmten Gestalt, des Geistes als Kunstwerk. Das Werk als Kunstwerk unterscheidet sich durch sein Telos: Es dient nicht der Deckung der Bedürfnisse, sondern der Manifestation, der Artikulation des Bewußtseins aller: sc. der Sittlichkeit eines Volkes. Hier wird das geschichtliche Selbstbewußtsein eines Volkes sich selbst anschaulich, weil zugleich mit dem Bild, der Gestalt, die handlungsorientierenden Grundanschauungen gegeben sind. Hegel setzt als das allgemeine Werk, das die Sittlichkeit eines Volkes realisiert, die Sprache an, die »ideale Existenz des Geistes" {GW 6. 318), die eine ideelle Welt ausbildet. In Ergänzung zur Sprache bestimmt er als deren reales Korrelat die Arbeit. Für beide gilt: sie sind ein Werden des Geistes zur lebendigen Sittlichkeit. Deshalb gelten sie im Gegensatz zur späteren Bestimmung des Kunstwerks auch nicht als »ein Instinct, sondern eine Vernünftigkeit, die sich im Volke zu einem allgemeinen macht" (GW 6. 320). Wo die Bedeutung der intellektuellen Anschauung derart eingeschränkt wird, daß ihr eine methodisch explizierende Philosophie zunächst zu Hilfe kommen muß, sie schließlich sogar ersetzt, kann die Rolle der Kunst im System der Philosophie nicht mehr im Sinne SCHELLINGS bestimmt werden. In der Realphilosophie von 1805/06 greift Hegel deshalb die Gesichtspunkte Hegel überträgt diese Bestimmung erst später auf die poetische Wahrheit, die »Vorstellbarkeit eines Bildes durch die Phantasie"; vgl. die von F. Nicolin edierten Diktate zur Enzyklopädie. Hegel läßt poetische Wahrheit auf die »empirische sinnliche" folgen: Unveröffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung Hegels; Zusatz zu § 5; Zus. zu § 373.
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der früheren Konzeption (von 1803/1804) noch einmal auf. Hier werden sowohl die Anschauung in Erkenntnisperspektive, die Funktion des Gedächtnisses und der im Kontext der Überlegungen zur Sittlichkeit eines Volkes festgelegte Werkbegriff in die Bestimmung der Kunst übertragen. Letztlich gewinnt Hegel aus einer eingehenderen Thematisierung der genannten Gesichtspunkte die Gründe dafür, daß das Kunstwerk als bloß instinktartiges Arbeiten des Geistes von der Universalität des geschichtlichen Werks schlechthin unterschieden werden muß. Durch die Art der Auseinandersetzung mit ScHELLiNG, nämlich durch die Integration der Geschichte des Geistes in die spekulative Philosophie, wird es möglich, die Anschauung des Absoluten in Kunst und Religion, die das Absolute nach der Seite des Seins, nicht des Bewußtseins, repräsentiert, nun auch hinsichtlich der Fähigkeit zu einer adäquaten Vermittlung des Absoluten in Zweifel zu ziehen. Dadurch bestimmt sich endgültig die Rolle der Kunst im System der Philosophie, nicht nur ihre eingeschränkte Fähigkeit der Wahrheitsvermittlung, sondern zugleich ihr geschichtlicher Ort, ihre Spezialgeschichte im Kontext der Geschichte des Geistes überhaupt. Hegel hebt zunächst die Begrenzung der Anschauung auf bloß „empirische Einbildungskraft" wieder auf. Anschauung darf auch als Weise des „Wissens eines Seienden" (GW 8. 185) gelten, denn sie ist die erste unmittelbare Tätigkeit des Geistes (GW 8. 186). Durch die Deutung der ScHELLiNGschen Potenz als „Tätigkeit" im Sinne FICHTES erhält die Anschauung den Charakter einer ersten Vermittlung mit Wahrheitsqualität. Im Anschauen ist der Geist das Bild. Das Bild setzt das „Seyn als meines" (GW 8. 186), aber noch bewußtlos. Damit sind die Bestimmungen ausgesprochen und fixiert, die Hegel analog für die Struktur der ersten Stufe des absoluten Wissens wiederholen wird. Die Gedanken an jenes Bild, das für SCHELLING den Erkenntnisprozeß objektiv exemplifiziert, drängt sich auf: nämlich die schöne Gestalt des Kunstwerks als das für die Anschauung produzierte Bild der Welt. Nach Hegel vermittelt dies Bild aber keine hinreichende Synthese von Sein und Bewußtsein. Hegel wählt dafür wieder das Bild de^Traumes, der an die Stelle der Realität gesetzt wird. Jenes „Reich der Bilder" ist „der traümende Geist, der mit einem Inhalte zu thun hat, der keine Realität, kein Dasein" hat (G W 8. 190). Im Bild zeigt sich nur ein erstes, unmittelbares und unbewußtes Verhältnis von Geist und Realität, eine Weise ihrer Einheit, die in sich unzureichend, weil vorbegrifflich bleibt. Ein Übergang zu einer höheren Tätigkeit des Geistes, zur Sprache, relativiert die Bedeutung des Bildes. Die Welt (Natur), die zunächst als ein „Reich von Bildern" erscheint und vollzogen wird, als die Aufhebung der Objektivität in das Fürsichsein, erlangt durch diesen produktiven Akt des Geistes das Fürsichsein unter der Form des Seins. Der Bereich der Anschauung, sowohl das Bild, wie dessen erste Reflexion durch einen Akt der geistigen Aneignung in der Sprache, also im Werk des Geistes, prädestiniert die Charakteristik der geschichtlichen Funktion der
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Kunst. Wie das Bild der Anschauung erreicht die Kunst in der modernen
Version der realitätslosen Träumerei nicht das Sein; wie das Werk des Geistes (Sprache) erreicht sie in der vollendeten Form der griechischen Kunst nicht das Bewußtsein. Das Werk der Kunst kann als solches nicht als zureichende Vermittlung der Wahrheit akzeptiert werden, sondern es wird allein durch die philosophische Explikation in seiner Wahrheit dargestellt und begründet. Dies führt Hegel in zwei wichtigen Gedanken weiter aus; zunächst in einer historischen Reflexion auf das Griechentum, dann in einer systematischen Bestimmung der Funktion des Kunstwerks im „Werden des Geistes"22. Die Überlegungen zum Griechentum werden hier von der Frage nach der Möglichkeit einer neuen Mythologie, von der Wiederholbarkeit der schönen Religion getrennt. Es geht Hegel um das Gegenbild eines auf Sittlichkeit gegründeten Staates zum modernen Staat, d.h. er parallelisiert direkt zwei geschichtliche Staatsverfassungen, statt die Reform des modernen Staates über indirekt korrigierende und vermittelnde Stationen wie Religion und Kunst zu leiten. Dennoch zeigt sich in einem zweiten Schritt, daß auch für die beiden Vermittlungsweisen der Sittlichkeit, für Kunst und Religion, die gleichen Einsichten wichtig werden. In der Realphilosophie entwirft Hegel das Bild der „schönen glüklichen Freyheit der Griechen, die so sehr beneidet worden und wird" (G W 8. 262) als Gegenbild zur Zerrissenheit der Moderne. Hier ist der Einzelne im Verfolgen seiner Privatinteressen zugleich Bürger, weiß sich in der „Sitte" unmittelbar eins mit dem Allgemeinen. Der Staat der Griechen ist das „Reich der Sittlichkeit", er ist, weil vermittelt durch Kunst und Religion, ein Werk des Geistes, das dem Kunstwerk entspricht. Die griechische Freiheit erlaubt also noch
die Parallelisierung von Staatswerk und Kunstwerk: der Staat seihst ist Kunstwerk (vgl. GW 8. 263). Dennoch kann man mit guten — hier geschichtsphilosophischen — Gründen diese Einheit von Individuum und Allgemeinheit nicht zurückwünschen. Was SCHILLER an der Gesetzgebung der Griechen demonstrierte, das erörtert Hegel als prinzipiellen Mangel der griechischen Sittlichkeit. Der PcATONischen Republik fehlt ebenso wie dem Lakedämonischen Staat, über den sie sich erhaben dünkt, die sich-selbst-wissende Individualität. Darum ist dieser Staat „vergangen" und nicht wiederholbar (vgl. GW 8. 264). Deshalb stehen sich die lebendige Einheit von Individuum und Allgemeinheit in der alten Sittlichkeit der Griechen und die moderne, durch die Konstitution des Staates gebildete Einheit gegenüber. 22
In der Bestimmung des Geistbegriffs gewinnt Hegels eigenes System Kontur:
H.
Kimmerle: Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in }ena, 46. — Zum Umbruch in Hegels Verhältnis zu Schelling vgl. u.a. G. Lukäcs: Der junge Hegel. 655 ff; K. Düsing: Spekulation und Reflexion, 95 ff; L. Siep: Zum Freiheitsbegriff der praktischen Philosophie Hegels in Jena, bes. 224, 227.
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Hegel schließt die Möglichkeit aus, daß n\it der ,4eutschen Freiheit" selbst eine Geschichte durch die Kunst für die Gegenwart präsent gehalten werden kann (vgl. G W 8. 215 f). Wie in den Schriften der Frankfurter Zeit wird auch hier der Geist als »Leben eines Volkes" dargestellt, nun aber im Unterschied zur griechischen Polis, die die Versöhnung von Einzelnem und Allgemeinem vermochte. Das Leben eines Volkes differenziert sich in die verschiedenen Glieder des Ganzen, die Stände und deren Selbstbewußtsein. Hier vereinzelt sich die Sittlichkeit aller zur individuell realisierten Moralität und zum institutioneilen Zusammenschluß gleicher Interessen im Kontext verschiedener möglicher Realisationsweisen des Individuums. Weil die Sittlichkeit (die in geschichtlichen Handlungsspielräumen gefestigte Moralität) nur durch die Zufälligkeit der individuell übernommenen Moralität und der historisch gewordenen Institution garantiert wird, bleibt der Einzelne in seiner »Weltanschauung" im ganzen ungesichert. Er kann seine Sittlichkeit nur auf dem Wege der bewußt übernommenen Verpflichtung auf die Moralität gewinnen und die Gewißheit über die Richtigkeit seiner Entscheidungen nur im Durchgang durch die Fehlbarkeit seiner individuellen Taten realisieren. Er muß »das Herz zum Grabe seines Herzens"^^ machen und das „selbstlose" Einstimmen in die allgemeine Anschauung des Schönen, die die griechische Sittlichkeit durch den Schicksalsgedanken allgemein verbindlich macht, bleibt ihm verwehrt. In dieser Analyse der Stände im modernen Staat hat die geschichtliche Realität der Schönheit, die Kunst, nur im Zusammenhang des „öffentlichen Standes", der die Wissenschaft repräsentiert, eine Bedeutung, und zwar im Kontext der »gebildeten öffentlichen Meinung". Was aber Kunst, Religion und Philosophie nach innen, d.h. als Bildung des Individuums, repräsentieren, das stellt sich paradoxerweise in einem anderen Stand, dem Soldatenstand, äußerlich vor. Im Soldatenstand^^ übernimmt das Individuum die 23 Diese Wendung, die sich auch in Hegels Wastebook findet, taucht nicht nur in einem späteren Brief Hegels an den Minister von Altenstein wieder auf (Br. 3. 304). — Hotho verwendet sie auch in seiner Edition der Ästhetik, um den Grund der Ablehnung einer christlichen Interpretation der Versöhnung im Ödipus auf Colonnos anzugeben, (Ästh. I/ll, 3. 558), — ln den Vorlesungsnachschriften findet sich diese Verknüpfung des Hegeldiktums mit der Ablehnung der christlichen Interpretation des Ödipus nicht. Hothos Komposition zeigt aber, daß Hegels Äußerung zumindest im Sinne dieser Gegenüberstellung von griechischer Sittlichkeit und romantischer Innerlichkeit verstanden wurde — ein weiteres Indiz dafür, daß Hegel schon in Jena zumindest diese beiden Kunstformen für die Konzeption seiner Ästhetik präsent hat. 2“* Hegels Bestimmung des Soldaten und des Krieges erinnert an Schillers Ironisierung des Freiheitszustandes eines „Staates im Staat" in Wallensteins Lager. Die unbegrenzte Bestimmbarkeit des Individuums (vgl. NA 20. 375) und die Möglichkeit einer autochthonen Gesetzgebung werden hier zur Bestimmung des »ästhetischen
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Interessen des ganzen Volkes (als „Volksindividuum") in der Weise, wie in der griechischen Polis der Einzelne sein Volk vertritt, wie er in Kunst und Religion seine Sittlichkeit als allgemeine, in allen lebendige Sittlichkeit gewinnt. Nur ist eben dieser Vollzug „selbstlos", bedeutet hier wie dort die Unterwerfung des Individuums unter ein Allgemeines in der Form des ihm selbst nicht verfügbaren, einsichtigen Schicksals. So vermerkt Hegel, es handele sich bei der Kunst, sofern sie die Handlungsorientierung leiste, um Jeere Träumerey". Ihre Ziele: „Ewiger Friede, goldenes Zeitalter" (GW 8. 275), „für die Kunst arbeiten und einander lieben" entsprechen einem Naturzustand, der anachronistisch im Soldatenstand wieder real geworden ist, in dem Zustande also, in dem Konflikte nicht institutionell beigelegt oder verhindert werden können. Die Kunst hat hier offensichtlich nicht mehr die Funktion, die der Schönheit im Kontext der schönen Religion und ihrer „Gestalten" zugesprochen wird, sondern sie verhält sich zur „modernen" Wirklichkeit wie der Stand der Natur zu dem der bewußten, politisch-institutionalisierten Verfassung. Selbst da, wo die in der Kunst thematisierten Ziele als die Ziele des realen Lebens eines Volkes wieder relevant werden, muß die Verfolgung der Ziele, geschieht sie in der Weise und im Bewußtseinsstand, den die Kunst hervorbringen kann, scheitern. An die Stelle der wirklichen geschichtlichen Veränderung durch Vernunfteinsicht tritt entweder eine Veränderung, die zur Vernichtung des Individuums führt, oder eine grundsätzlich andere Sicherung der Ziele. Beides steht im Gegensatz von bloß geträumter Realität und intendierter Wirksamkeit in einer konkreten historischen Situation. Diese Situation der Moderne kennzeichnet Hegel als Ausbildung verschiedener Stände im Staat, d.h. verschiedener Sub-Formationen, in denen der Einzelne seine Interessen vertreten sieht und die er nicht ohne Einsicht in die allgemeine Form des Staates aufheben will und kann. Eine vor-reflexive Sicherung der Sittlichkeit des Volkes in Religion (sc. im griechischen Schicksalsglauben) oder Kunst reicht jedenfalls nicht zu, statt der äußeren unbewußten Freiheit der Griechen die innere und äußere Freiheit der vernunftfordernden modernen Individuen zu gewährleisten. Damit verliert die Analogie von Kunstwerk und Staatswerk für die geänderte Zustandes" verknüpft. Darauf spielt Hegel vermutlich an, wenn er selbst auf den Soldatenstand verweist, der in anachronistischer Weise den „ästhetischen Zustand" der griechischen Sittlichkeit wiederholt. 25 Hegel wird dafür im weiteren sowohl religionsphilosophische Gründe wie Gründe der Rechts- und Staatslehre anführen; vgl. G W 8. 280 f. — Zur Interpretation der rechtsphilosophischen Konsequenzen vgl. den in Anm. 22 genannten Aufsatz von L. Siep; dazu G. Rohrmoser: Die theologischen Voraussetzungen der Hegelschen Lehre vom Staat, 240 und GW 8. 259: Die Ungleichheit der Stände ist konstitutiv für die differenzierte Totalität, die das Leben eines Volkes im modernen Staat ausmacht.
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geschichtliche Situation ihren Sinn.^^ Nur für die lebendige, aber substantielle Sittlichkeit der Griechen kann man eine ontologisch-strukturelle Identität beider annehmen. Die komplexere Situation des modernen Staates und der Vermittlung der Sittlichkeit unter dem „Bedürfnis" nach Vernunft und den Möglichkeiten, dies begrifflich zu artikulieren und zu explizieren, schließt diese Identifikation aus. Die Radikalität dieser Absage an die frühe Bestimmung der Kunst bringt Hegel in der philosophischen Bestimmung der Kunst im Kontext der Formen des Geistes (Kunst, Religion und Wissenschaft) auf den Begriff. Die Realphilosophie schließt mit der spekulativen Begründung der Analyse der Wirklichkeit, in der sich das „Sich-Wissen" des Geistes geschichtlich darstellt (vgl. G W 8. 278). Auf dieser Stufe des sich wissenden Wissens steht als erste Form, als Anschauung des Geistes, die Kunst. SCHELLINGS „spekulative Konstruktion" der historischen Gestalt der Kunst zu ihrer philosophischen Wahrheit kehrt sich hier gewissermaßen um.^^ Aus der Bestimmung der Kunst im Kontext der Geschichte des (absoluten) Geistes folgt nämlich ein System der Künste, das sowohl die Totalität der geschichtlichen Künste umfaßt wie ihre epochalen Unterschiede thematisiert. Hegel entwickelt die Möglichkeit, verschiedene Epochen der Kunst nach ihrer unterschiedlichen Relevanz für die Selbstvergewisserung einer geschichtlichen Gemeinschaft, nach ihrer kulturellen Funktion, zu differenzie-
2^ Auch Schelling bestimmt die philosophische „Construction" der Kunst als „Darstellung der absoluten Welt in der Form der Kunst" (Über die Methode des akademischen Studiums, 389; dazu die Nachschrift der Jenaer Ästhetikvorlesung: Schellings Ästhetik in der Überlieferung von H. Crabb-Rohinson. 133 ff und Philosophie der Kunst, 62). Schelling meint, er könne die historische Konstruktion durch die spekulative in der Weise begründen, daß der Gegensatz von Idealität und Realität, Unendlichkeit und Endlichkeit alle Versionen der historischen Erscheinung erklärt, auch die zukünftigen (das „neue Epos"). Hegel weist gerade in der Realphilosophie auf die Notwendigkeit hin, die historische Situation für die Selbstanschauung des Geistes in der Kunst mitzuberücksichtigen. So ergibt sich durch die geschichtsphilosophische Perspektive der Unterschied zu Schellings Beurteilung der Kunst wie des Verhältnisses von Kunst und Religion. Die Modifikationen in der Bestimmung der „Welt der Künste" weisen auf dieselbe Differenz von prinzipieller und geschichtsphilosophischer Begründung der Ästhetik hin. Dem Anschein nach arbeitet Schelling in seiner Ästhetik historisch konkreter als Hegel, denn er setzt sich mit Schiller, Goethe, der Romantik, Dante, dem mittelalterlichen Ritterepos auseinander. Hegel gibt dagegen nur wenige Hinweise auf konkrete Kunstwerke, sie treffen aber jeweils die neuralgischen Punkte der Schellingschen „Construction" (s.u. 2.2.2) und berücksichtigen die Kunst als geschichtliches Phänomen in der jeweiligen epochalen Konstellation gegen die Konstruktion der Historie.
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ren durch seine systematische Integration der Korrektur des Begriffs der Anschauung bzw. der intellektuellen Anschauung". Wie SCHELLING geht er von der Annahme aus, daß der Geist, der seinen geschichtlichen Inhalt als „sich-wissenden" erzeugt, „unmittelbar die Kunst" sei, als das „unendliche Wissen, das unmittelbar lebendig, seine eigne Erfüllung ist". Allerdings ist dieser sich-wissende Geist zunächst „unmittelbar sinnliches Bewußtsein ... unter der Form des Seyenden". Durch diese Form erscheint es als entzweit in Natur und Wissen-von-sich, und Hegel nennt diese gesamte Form des Geistes „sein ruhendes Kunstwerk — das seyende Universum, und die Weltgeschichte" (GW 8. 286 f). Einerseits erscheint diese Form des Sich-Wissens zwar als „unmittelbar lebendig", aber eben darum andererseits als zu unspezifiziert. Die Form des Wissens, die Anschauung, führt in der Kunst dazu, daß sich diese Form, „der der Inhalt gleichgültig ist ... in jedem herumwerfen könnte — jedes als Unendliches zur Anschauung bringen kann" (G W 8. 278). Die Kritik an der symbolischen Kunstform ist damit wörtlich vorformuliert, denn auch hier gilt, daß die Anschauung des Absoluten ihrer selbst so wenig gewiß ist, daß sie sich in eine beliebige Mannigfaltigkeit von Naturformen —also Verendlichungen — ergießt. So läßt die Kunst zwar das innere Leben des Geistes hervortreten, macht es aber „als Geist zum Gegenstand". Aus der frühen Bestimmung bleibt lediglich die geschichtliche Konkretheit erhalten, denn auch jetzt noch gilt die „Unmittelbarkeit des Geistes", die sich im Kunstwerk manifestiert, als „der Volksgeist — oder er als seyender absoluter Geist" (GW 8. 286). Hegel wiederholt diese Bestimmung in der Ästhetik als Definition des Ideals. Damit ist die Kunst nicht allein die erste — und zwar als unmittelbar sinnliches Bewußtsein „unter der Form des Seienden" notwendig überholbare — Stufe des Sich-Wissens. Hegel gewinnt hier zugleich den Eintei-
lungsgesichtspunkt für die verschiedenen geschichtlichen Ausprägungen der Kunst. Es gibt zwar die eine Philosophie, die die Resumtion des Ganzen in
eins leistet, die die unüberbietbar-endgültige Explikation der Wahrheit vermag, aber die Kunst zerfällt in unabsehbar viele, strukturell zumindest in zwei einander entgegengesetzte Möglichkeiten, die Einheit des Sich-Wissens zu thematisieren. Entweder fällt in der Gestalt der Kunst die Einheit mehr auf die Seite der Natur oder mehr auf die Seite der Innerlichkeit der Subjektivität. Kunst „schwankt zwischen der Gestalt und dem reinen Ich derselben" (GW 8. 278). Der Grund für diese Entgegensetzung der Realisationsweisen jener im System der Philosophie demonstrierten Einheit des Geistes liegt darin, daß sich — gegen SCHELLINGS Annahme — durch die Anschauung Subjektivität und Objektivität nicht vereinen, sondern daß jeweils entweder die eine oder andere zum Prinzip der anschaulichen Gegebenheitsweise des Absoluten erhoben wird. In den Ästhetikvorlesungen wird Hegel für diese Polarität der Kunst zugleich verschiedene historische Epochen angeben und sie der griechischen
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Kunst und der Kunst der Romantik (d.i. der Kunst seit dem christlichen Mittelalter) zuordnen. Der frühe Aufriß der Totalität der Künste „konstruiert" formal: Kunst ist entweder plastische oder musikalische Kunst, gehört den Vollzugsbedingungen der reinen Gegenständlichkeit oder denen des Ich, Raum und Zeit, zu. Zwischen beide, die musikalische Kunst, zu der die „anschauungslose, der Zeit angehörige Bewegung gehört", und das „andre Extrem, die Plastik ... die ruhende Darstellung des Göttlichen", fällt die Malerei. Die Malerei ist die plastische Kunst, die durch die Farbe „das Selbstische in der Form der Empfindung" integriert. Wird diese „Konstruktion" um die historische Dimension erweitert, d.h. fügt Hegel ihr sowohl eine Reflexion auf die Einheit von Form und Inhalt hinzu, wie die dadurch erreichte Epochalisierung bestimmter Form-Inhalt (nämlich Gestalt-Mythologie)Konstellationen, dann ergibt sich die Konzeption der Ästhetikvorlesungen. Beide Gesichtspunkte werden die Jenaer Überlegungen vorbereiten. Hier sei vorab nur auf die Differenz verwiesen. Hegel kann alle Künste, die es in abgestufter Weise mit der subjektiven Innerlichkeit zu tun haben, in eine „Kunstform" zusammenfassen, sobald er den Vereinigungspunkt in den Inhalt, in die christliche Religion legt. Auch dann noch leistet die Musik die radikale Verinnerlichung, gilt als die Kunst, die rein die Bewegtheit der subjektiven Innerlichkeit zum Ausdruck bringt, deren Prinzip die Zeit ist. Ihr geht aber die Malerei als eine ebenfalls „romantische" Kunst voraus, weil sie gegenüber der Dreidimensionalität der Plastik eine erste „Verinnerlichung" leistet durch die Reduktion des Raumes auf die Fläche, d.i. durch Raumkonstitution mittels der Bedingungen subjektiver Wahrnehmung (Licht bzw. Farbe als Artikulation von Licht, Schatten und Linie). Ein Element dieser Bestimmung der Malerei ist aber schon in Jena gegeben, die Verknüpfung der Malerei mit der Empfindung (als der hier gängigen Definition subjektiver Innerlichkeit). Die Poesie, die dritte der romantischen Künste wird an ihren späteren systematischen Ort gerückt, nämlich hinter die Musik, weil sie die Integration von plastischem und musikalischem Prinzip in weitergreifender Vergeistigung leistet. Poesie ist die geistigste der Künste. Hegel begründet dies wie in der Ästhetik unter Hinweis auf die Sprache. Die Poesie enthält das Plastische als „Vorstellung der Gestalt", artikuliert es aber so, daß es in das Musikalische (das Element des Tones) fällt. Das Tönen wird zur Sprache, erhält damit objektiven Inhalt. Auch die Poesie selbst zerfällt aber als Einheit und kann so in ihrer realen Ausprägung die Versöhnung der polaren Prinzipien nicht leisten. Hegel verweist hier auf die beiden Formen der Poesie, die am weitesten auseinanderliegen, auf das HoMERische Epos, das er auch jetzt schon dem plastischen Ideal zuordnet, und die Naturpoesie, die in Form der arkadischen Idylle aufgefaßt wird. Die Beispiele kennzeichnen jeweils Extrempunkte. Denn während das Epos die Gestalt des Menschen in der des Heroen verherr-
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licht, der die Sittlichkeit einer Gemeinschaft durch seine Tat erst stiftet, greift die Naturpoesie auf eine von ihrem geistigen Inhalt am weitesten entfernte Gestalt zurück. Die Dinge selbst werden mit einem „rein intellektuellen" Inhalt versehen, nämlich mit einem „Sehnen aller", das zur Jvlusik der Dinge" wird. Gestalt und Inhalt liegen so weit auseinander, daß es für die Konvergenz beider so gut wie kein Argument mehr gibt. Die „Belebung" der Dinge durch die Subjektivität (das Sehnen) widerspricht „der Gestalt, in der sie unmittelbar ist" (GW 8. 279). „Naturpoesie" gilt Hegel daher als die schlechteste (GW 8. 278). In einem zweiten Schritt erweitert Hegel das Spektrum der Poesie, dessen Extreme mit diesen beiden Versionen angegeben sind, in seinen Jenaer Überlegungen durch die Integration des möglichen Inhalts. Dieser kann eine beliebige Mythologie, er kann die christliche Religion oder er kann die subjektive Innerlichkeit anstelle der Religion sein. Die verschiedenen geschichtlichen Gestalten der Poesie weisen aber alle dasselbe formale Manko auf: die Diskrepanz von Form und Inhalt. Selbst das alte Epos wird um seine reflektiertere Form, die Tragödie, ergänzt und nochmals hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit (der Vermittlung der Sittlichkeit aller) infragegestellt. Wo also — wie schon in den Systementwürfen und nun in der Realphilosophie — die Kunst ihren systematischen Ort findet, zeigt sich eine Einschränkung der Bedeutung der Kunst. Diese fällt zusammen mit der Entwicklung und Erweiterung des philosophischen Systems, mit der größeren Klarheit und der vermeintlich hier gewonnenen Begründung der frühen geschichtsphilosophischen Gedanken. Der „absoluten Kunst... deren Inhalt der Form gleich ist", entspricht in der Realität nichts. Schon die Verlegung der Anschauung des Absoluten auf die Seite des Seins macht eine ergänzende philosophische Explikation notwendig. Aber auch im eigenen Bereich der Kunst zweifelt Hegel nun deren Fähigkeit an, die Einheit von Gestalt und Sich-Wissen des Absoluten zu erreichen, also eine Versöhnung der Entgegensetzungen zur Anschauung zu bringen. Die Wirklichkeit der Kunst steht dem begrifflich notwendigen Leistungssinn, der Identität von Inhalt und Form, entgegen. Denn es kann zwar „alles in die Kunst erhoben werden", aber aufgrund dieser Undifferenziertheit bleibt „diese Erhebung ... eine fremde Einbildung" (GW 8. 278). Schon die wenigen Beispiele, eindeutiger aber noch das in den weiteren Schriften der Jenaer Zeit entwickelte ganze Spektrum der historischen Möglichkeiten der Kunst und der verschiedenen Künste, zeigen jeweils am Phänomen Kunst selbst das Zerbrechen seines Versöhnungs- bzw. Vermittlungsanspruches. Durch den in der Anschauung selbst liegenden Gegensatz von sinnlichem und unsinnlichem Moment, von Gestalt und Bedeutung steht die Kunst in einem Widerspruch mit sich selbst, der sie mit ständiger Auflösung bedroht. Hegel sieht diesen Widerspruch wieder in doppelter Weise: Zum einen liegt er im Formalismus der Darstellung, denn die Kunst kann Beliebiges zur
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Gestalt, zum Ausdruck der Unendlichkeit erheben. Zum anderen ergibt sich aus dieser Beliebigkeit eine prinzipielle Unvereinbarkeii von Inhalt und Form. Der Inhalt, das Sich-Wissen des Absoluten, muß, wo es als daseiend anschaulich wird, d.h. sich in der schönen Gestalt realisiert, mit Notwendigkeit die jeweilige Gestalt als unzureichend zerbrechen. Beides macht den Widerspruch aus, in dem die Kunst mit sich selbst steht und führt Hegel dazu, die Notwendigkeit einer historischen Entwicklung der Kunst wie ihrer geschichtlichen Bedeutung anzunehmen. Durch die prinzipielle Widersprüchlichkeit der Kunst ergibt sich gleichsam der Zwang immer neuer Versöhnungsversuche der antagonistischen Prinzipien. Kunst, als geschichtliches Phänomen selbst aufgegriffen, stellt sich in einer Mannigfaltigkeit verschiedener Werke dar. In der philosophischen Betrachtung erhellt sich die Vielheit und Verschiedenheit aber als Resultat der inneren Widersprüchlichkeit. Die schöne Gestalt ist gekennzeichnet durch das jeweils nach einer Seite hin verschobene Schwergewicht des Dilemmas von unendlichem Anspruch und endlichem, weil sinnlich-anschaulichem Dasein. Aus der metaphysischen Bestimmung des Schönen wird ein Wahrheitsanspruch übernommen, der in der Festlegung des systematischen Ortes der Kunst mitschwingt und selbst für das letzte Stadium, für die historische Relativierung, maßgeblich bleibt. Im Widerspruch zu diesem Nachklang aus der Metaphysik des Schönen steht die bloß sinnliche Gegebenheitsweise der Wahrheit. Hegels Bestimmung der Anschauung, die Depotenzierung der Anschauung in Erkenntnisperspektive sc. die Ablehnung einer intellektuellen Anschauung im Sinn SCHELLINGS, fixiert diesen Widerspruch. Inhalt und Form der Kunst können nicht in einer „absoluten Poesie" vereinigt werden. Eine solche dilemmatische, in sich widersprüchliche Realität kann nun aber die frühere, programmatisch entworfene Funktion der Kunst nicht erfüllen. Hegel formuliert diese Einsicht in einem prägnanten, vielzitierten Satz und legt schon hier die spätere Bestimmung der Kunst in den Vorlesungen zur Ästhetik insoweit fest, als die Grundthese der realphilosophischen Perspektive die notwendige Überholung und Ergänzung der Kunst durch die Philosophie behauptet. Die Kunst ist dem Geiste „unangemessen", denn sie „erzeugt die Welt als geistige und für die Anschauung — sie ist der indische Bacchus, der nicht der klare sich wissende Geist ist, sondern der begeisterte Geist — der sich in Empfindung und Bild einhüllende" (GW 8. 279). Hier schränkt Hegel das Element des Geistes, die Anschauung, explizit ein, denn sie ist „die Unmittelbarkeit, welche nicht vermittelt" ist, und dadurch kann die Kunst ihren Gestalten jeweils einen nur „beschränkten Geist" geben. Anschauung als „Medium der Endlichkeit" erreicht nur vermeintlich Unendlichkeit. Die Gestalten der Kunst geben so nur „gemeynte, nicht wahre Vorstellung" und „die Schönheit ist vielmehr der Schleyer, der die Wahrheit bedekt, als die Vorstellung derselben". In der Dichtung, auf die Hegel sich hier
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bezieht,^^ gilt der „Schleier" der Wahrheit als die wohltätig-vermittelnde Verhüllung des Absoluten, die es dem Menschen überhaupt erst faßlich werden läßt. Hegel kann diese Beschränkung nicht akzeptieren und fordert die höhere Klarheit, die die Kunst allerdings herabsetzt. Kunst erzeugt als Gestalt des Geistes — ARisTOTEÜsch formuliert — doxa, nicht episteme, und zwar wegen der Amalgamierung von intendierter intellektueller Anschauung, die als Unmittelbarkeit der ganzen Wahrheit gelten soll, und erreichter bloß sinnlicher Anschaulichkeit, die als jeweils endliche Gestalt über das Unendliche „täuscht". Die „Ent-täuschung" dieser Form des Geistes bleibt einem unsinnlichen Medium Vorbehalten, nämlich der Philosophie als Wissenschaft. Schönheit ist dagegen, wo sie als „Form der Lebendigkeit" auf tritt, bloß die „Täuschung der absoluten Lebendigkeit, die sich selbst genügt". Die Setzung der Realität hat nicht den Charakter einer spezifischen Offenbarung der Wahrheit der Dinge, die als Gestalt, als Kunst, erscheinen gegenüber den bloß sinnlich rezipierten Dingen. Auch im Zug dieser Argumentation erscheint die absolute Kunst, in der Inhalt und Form konvergieren, als prinzipiell unerreichbar. Hegel gibt dafür noch einen weiteren Grund an. Nicht nur das Vollzugsmedium und der Vollzug, die subjektive Setzung des Genies selbst, sind beliebig, auch die Tatsache, daß der Künstler ein historisch-bedingtes IndiviHegel wendet seine Vorbilder (vgl. NA 1. 208; 20. 126) bewußt ins Gegenteil: anstelle der Wahrheitserfahrung eröffnen „Traum" und „Schleier" der Wahrheit nur vermeintlichen Realitätskontakt. Dazu stimmt F. Schlegels Verknüpfung von Traum und Täuschung (Paris 1802) und Wackenroder: Werke und Briefe. 230. Zur Interpretation vgl. O. Pöggeler: Dichtungstheorie, bes. 134 f, 138 ff, 146; R. Bachem: Dichtung als verborgene Theologie („Dichtung als Täuschung und Lüge"; dazu Hegel: GW 6. 285; Nürnb. Sehr. 230) — Inhaltlich gewinnt Hegel durch seine Vorbilder den ersten Zugang zur symbolischen Kunstform. Vgl. Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten, 19; Herder: Vom Geist der Ebräischen Poesie. Bd 11. 383. Die Eleusinischen Mysterien erwähnt Hegelim Geist des Christentums (Hohl. 20; Schüler, Nr. 82), in der Phänomenologie (504, 517); dazu stimmt ein Exzerpt aus Hirt (vgl. Hegel und die ägyptischen Götter. Hrsg, von H. Schneider, 65). — Hegel bezieht sich hier auf Schiller: Das verschleierte Bild zu Sais, evtl, auch auf die Bemerkung in der Sendung des Moses (NA 17. 385 f), und auf Goethes Gedicht Zueignung. Hier wie in dem fragmentarischen Rahmenepos zu diesem Gedicht (Die Geheimnisse) interpretiert Goethe das Symbol als Schleier der Wahrheit (dazu O. Walzel: Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit, 101 f). In Auseinandersetzung damit gewinnt Hegel seine Deutung des Symbols. Für die Kontroverse vgl. Ros. 187 und Goethe: Hans Sachsens poetische Sendung. 1776. HA 1.135 ff; Brief an Schelling vom 29. Nov. 1803. — Ein weiterer inhaltlicher Anknüpfungspunkt für die Ästhetik ergibt sich von daher: in Goethes Gedicht findet sich die Wendung zum „Humanus als dem neuen Heiligen". Schiller führt diese Konzeption weiter in der Ode An die Freude, woher Hegel sie mit Sicherheit kennt.
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duum ist, schränkt die Möglichkeit der Kunst zur Wahrheitsvermittlung ein. Selbst wenn Künstler und Rezipient sich von der Meinung abwenden, daß man vom Inhalt der Kunst eo ipso abstrahieren müsse und das „Verhältniß zur Kunst nur Verhältniß zur Form sey" (G W 8. 279 f), kann die Beschränktheit des Mediums nicht überwunden werden. Zur Beliebigkeit des Trägers der Vermittlung, der ununterschieden wählbaren anschaulichen Gestalt, kommt zweierlei hinzu. Einmal ist der Künstler, der diese Vermittlung leistet, nur ein einzelnes Selbst, nur ein Besonderes (vgl. GW 8. 280). Zum anderen sind die Rezipienten, sofern der individuell-gestaltende Künstler überhaupt eine Vielheit oder gar alle (die Allgemeinheit) ansprechen kann, in ihrem Vollzug der Kunst eben nicht als selbstbewußt handelnde Individuen angesprochen. Die „allgemeine Anschauung der Schönheit" geschieht im selbstlosen Genuß. Künstler und Rezipient stehen sich hier nicht mehr so gegenüber, wie es Hegel zunächst in der Bestimmung des genialen Werks als Werk aller darstellte. Genauer: die geänderte Perspektive bringt den Mangel der Sittlichkeit des Volkes, die im Kunstwerk vermittelt wird, in den Blick. In einer Epoche vermag nur jeweils ein Einzelner das Werk zu vollbringen, die anderen, die mit daran gewirkt haben, arbeiteten eben unbewußt, selbstlos und vollziehen das Werk darum auch „selbstlos". Diese Einschränkung wird nur im Kontext der Charakteristik des Griechentums als solche einsichtig. Der „Volksgeist", der seine Erfüllung, d.h. seine Sittlichkeit, im lebendigen Vollzug der Schönheit finden kann, ist der griechische. Für diese Epoche des Werdens des Geistes ist das konstitutive Prinzip nicht die durch freien Vernunftgebrauch garantierte Humanität, sondern das Schicksal. Hegels Unterscheidung von griechischer und moderner Sittlichkeit (G W8. 277) wiederholt sich hier überdies als Unterscheidung des möglichen Inhalts der Kunst. Der absolute Geist selbst ist der Inhalt der Kunst, „die nur die Selbstproduction seiner, als in sich reflectirten selbstbewußten Lebens überhaupt ist" (GW 8. 280). Da sich die Schönheit aber als eine nur angemaßte „Form der Lebendigkeit", eine Verunklärung der Wahrheit durch die Nivellierung der Inhalte erweist, findet sie erst durch eine im Inhalt selbst mitgegebene Wahrheitsgarantie ihre Legitimation. Zwar gewinnt in der Kunst „jedes Einzelne durch die Schönheit f reyes eignes Leben", muß sich aber in Rücksicht auf das Ganze noch einmal hinsichtlich seiner Wahrheit bewähren. Weder die Naturreligion noch die Kunstreligion können diese Bewährung leisten, .denn sie sind zwar Inhalt der Kunst, versagen aber angesichts der Vernunftforderung. Allein in der absoluten Religion des Christentums kann die Kunst in ihre höhere Wahrheit aufgehoben werden. Hier
28 Hoffmeister übernimmt diese Darstellung einer Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit unter Einfügung einiger Änderungen von Rosenkranz (Ros. 132 ff) und Haym, denen Hegels Manuskript noch Vorgelegen hat; dazu Dok. 314 ff.
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führt aber die immanente Widersprüchlichkeit der schönen Gestalt zur Auflösung der Kunst durch die Religion. Wegen der Begründung der innerlichen Widersprüchlichkeit der Kunst durch die Diskrepanz von metaphysischer und daseiender, geschichtlicher Bestimmung der Künste, liegt die Einschränkung der Kunst als des unmittelbar daseienden, lebendigen absoluten Wissens fest. Es stehen sich die Äußerlichkeit der Gestalt und die Empfindung als Prinzip verschiedener Künste gegenüber. Ebenso unvereinbar sind die metaphysische Definition, die Vermittlung der Lebendigkeit des Geistes in der Schönheit, und die Realität als Gestalt. Die intellektuelle Anschauung kann nicht die Wahrheit des Absoluten vollziehen, weil sie zu einer Thematisierung dieser Wahrheit in einem die Unendlichkeit verendlichenden, korrumpierenden Medium nötigt: der Gegebenheitsweise in sinnlicher Anschauung. Telos der Kunst (nämlich die Welt als Geistige zu vollziehen) und Medium (Anschauung) fallen auseinander, so daß die durch die schöne Gestalt reale, in der Empfindung vollzogene Wahrheit nur vermeintlich wahr, die Lebendigkeit des Geistes nur vermeintlich lebendig-bewegt, in Wirklichkeit aber formal-nivelliert ist. Hegels Reflexion auf die Situation der Moderne zeigt zudem, daß die Prinzipien, die die verschiedenen Künste bestimmen, einem vernunftfordernden Zeitalter unangemessen sind. Sinnlichkeit der Anschauung und Selbstlosigkeit des Vollzugs, nämlich der Empfindung, lassen eine prüfende Einschränkung der in der Kunst vermittelten Wahrheit unumgänglich erscheinen. Die weitergehende Sicherung solcher als Wahrheit auftretender Gestalten des Geistes und ihrer Vermittlungsfunktion wird durch die unversöhnbare Widersprüchlichkeit der konstitutiven Prinzipien notwendig, kann aber durch die Kunst selbst nicht geleistet werden. So führt die Analyse der Schönheit, sc. die Bestimmung ihrer geschichtlichen Wirklichkeit, wo sie auf das geschichtliche Phänomen in seiner ausgezeichneten Wirkung und Wirklichkeit zurückgreift, nämlich die Kunst, die das „Wissen des absoluten Geistes von sich" zum Inhalt hat (GW 8. 280), zur Depotenzierung der metaphysischen Idee und damit zur Auflösung des frühen Programms. Die schematischen Stufen der „absoluten" Geschichte des Werdens des Geistes in der Enzyklopädie sind also insoweit vorbereitet, als die Ergänzungs- und Legitimationsbedürftigkeit der in den beiden ersten Stufen des Absoluten vermittelten Wahrheit durch die geschichtlich spätere wie systematisch genauer explizierende Gestalt des Geistes schon hier demonstriert wird. Es fragt sich, wie Hegel den Begriff des Lebens weiter modifiziert, der im System der Philosophie unterderhand eine andere Bestimmung erhalten hat („Leben" ist Indiz für die fortgeschrittenste Weise der Wahrheitslegitimation). Trotzdem bleibt bei der Integration der Kunst und ihrer Darstellung in das System der Philosophie ein wesentlicher Gesichtspunkt der frühen Schriften erhalten, der sich am Begriff des Lebens auch weiterhin für die Ästhetikkon-
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zeption explizieren läßt: Hegel integriert die geschichtsphilosophische Perspektive der frühen Schriften in die Systematik. Zunächst ist das Resultat dieser Weiterführung nur in negativen Einsichten greifbar. Das Griechentum zeigt sich als vergangene, unlebendige Form des Geistes, die Kunst infolgedessen als historisch-relativierbare Weise der Wahrheitsvermittlung durch Schönheit. Dennoch formuliert Hegel auch die positiven bzw. konstruktiven Gesichtspunkte dieser Kritik der frühen Bestimmung der Kunst durch seine Bestimmung der verschiedenen Künste, die sich schon in dem frühen Aufriß der Realphilosophie zur Welt der Kunst formieren. Hegel wird zwar diesen formalen Aufriß des Systems der Künste selbst noch modifizieren, aber in einer Weise, die die Geschichtlichkeit des Phänomens noch eindeutiger gegen eine bloß „spekulative Konstruktion" geltend macht. Dieser Prozeß ist selbst in den verschiedenen Berliner Asthetikvorlesungen noch greifbar und kommt jedenfalls in Hegels eigener Darlegung zu keinem endgültigen Abschluß. Die Tendenz der Modifikationen zeigt sich allerdings schon hier. Denn die inhaltlichen Aussagen zur Kunst in den Jenaer Schriften und Reflexionen führen, wenn man sie in die „Gliederung" der Realphilosophie von 1805/06 einordnet, zum Bilde einer Ästhetik, die ScHELLiNGS Systematischer Ästhetik entspricht. Dennoch enthalten sie allesamt die symptomatischen Modifikationen, die eine Prävalenz der geschichtlichen Funktion der Kunst gegenüber der „spekulativen Konstruktion" ihrer Historie durch die Philosophie nahelegt. Hegels systematische Ästhetik erscheint also auch noch in Jena als der Versuch, die Geschichte in einer Weise philosophisch zu explizieren, die die historische Situation nicht durch die Konstruktion überfremdet. In seinen späteren Ästhetikvorlesungen wird sich Hegel zumindest bemühen, dieser Intention weiterhin gerecht zu werden.
2.2.2 Die „Krisis" der Wahrheit der Kunst und
die geschichtsphilosophische Begründung der Ästhetik Der Kontakt zu SCHELLING und — über ihn vermittelt — zur Jenaer Romantik bringt Hegel dazu, gleichzeitig mit dem Bemühen um eine systematische Form der Philosophie, die Kunst selbst als Realität des Schönen, als geschichtliches Phänomen begrifflich festzulegen. Sämtliche Schritte, die Hegel in der Differenzierung der Systemkonzeption vorangeht, spiegeln sich in seinen Äußerungen über die Kunst. Äus der Entwicklung des Systems der Philosophie bis hin zur Phänomenologie läßt sich deshalb sowohl die philosophische Bestimmung der Kunst gewinnen wie die systematische Konstruktion der späteren Ästhetik. Die Konzeption der Frankfurter Schriften geht dabei nicht verloren, sondern wird soweit umgedeutet, daß Hegel seine Kritik an der Letztbegründungsfunktion von SCHELLINGS intellektueller Änschauung in
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diese Einsicht integrieren kann. Auch noch in den Nürnberger Schriften finden sich Überlegungen, die Grundbegriffe für die Bestimmung der Kunst, nämlich den Begriff des Lebens zusammen mit dem Begriff des Schönen, in der Logik abzuhandeln. Dennoch setzt sich die Dreistufigkeit des absoluten Wissens als Darstellung seiner Geschichte, seines Werdens durch. Die Schönheit wird deshalb in ihrer eigenen „Realphilosophie" darzustellen sein: in der Ästhetik. In der Logik kann allenfalls eine Analyse des Scheinbegriffs die Bestimmung des schönen Scheins begrifflich vorbereiten. Die endgültige Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Schönheit, die spezifische Theorie des schönen Scheins, bleibt einer ersten Stufe des absoluten Wissens und einem eigenen Systemteil Vorbehalten. Hegel zieht endgültig erst in der Enzyklopädie, und zwar in der Überarbeitung von 1827, die Konsequenz aus seinen Jenaer Überlegungen, aber auch schon die ausführlichste Systemkonzeption der Jenaer Schriften in der Realphilosophie von 1805/06 enthält die Argumente, die diesen letzten Schritt als unausweichlich erscheinen lassen. In den Schriften der Jenaer Zeit geht mit der Entfaltung der Systemvorstellung die immer präziser formulierte These parallel, daß die geforderte Vernunfteinsicht für die Moderne nicht mehr über die Mythologie vermittelt werden kann. Hegel gibt deshalb seine Forderung der „Mythologie der Vernunft" auf. Für die Entwicklung der Ästhetik hat die Trennung von Mythologie und Vernunftgarantie zweierlei zur Folge. Positiv gesehen gelangt Hegel erstens zu einer differenzierten Einschätzung der Kunst und zweitens zur Unterscheidung verschiedener historischer Epochen in der geschichtlichen Funktion der Kunst. Diese Differenzierung gewinnt er jeweils über eine Reflexion auf die spezifische geschichtliche Funktion der Kunst unter Berücksichtigung der gegebenen historischen Situation und Bedingung, sie setzt also die Konzeption der religionskritischen Jugendschriften voraus. Unter verschiedene Bedingungen gesetzt, bewährt sich einerseits die programmatische Bestimmung der Funktion der Kunst sc. des Kunstwerks, verliert aber andererseits ein Moment, das Hegel zunächst für wesentlich hielt. Hegel muß die Ännahme einer strukturellen Identität der Funktion der Kunst unter beliebigen historischen Bedingungen aufgeben, d.h. er trennt nun die verschiedenen Geschichten von Kunst, Religion und Sittlichkeit, für die sich nur in der griechischen Kultur ein konvergenter Entwicklungsstand nachweisen läßt. Die Unumgänglichkeit einer solchen Trennung wurde ihm sicher zuerst und exemplarisch in der Kritik an SCHILLERS Wallenstein klar. Hier formulierte er seine Einsicht durch die Trennung von Äntike und Moderne im Sinn der Übernahme der Position SCHILLERS in der „Querelle" der Äntiken und Modernen. Für Hegel bedeutet dies; er muß sein eigenes, in der Forderung nach einer neuen Mythologie artikuliertes Modell einer Vergangenheitserkenntnis mit utopischer Funktion aufgeben. Im Kontext der Entwicklung einer systematischen Philosophie findet er die noch fehlende Begründung für diese Schlußfolgerung jeweils durch den Vergleich zwischen
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dem historischen Stand der Vernunftbildung, der damit verbundenen faktischen Gestalt der Kunst (sowie Religion, Sittlichkeit) und dem gegenwärtigen »Bedürfnis" nach Philosophie, wie es die Differenz-Schrift formuliert: der absoluten Sicherung des Fortschritts zu mündigem Vernunftgebrauch. Für die Bestimmung der Kunst und folglich für die Entwicklung der Ästhetik ergeben sich durch Hegels Ersatz der Mythologieforderung durch ein System der Philosophie drei wichtige inhaltliche Modifikationen. Hegel interpretiert erstens die Funktion der Kunst in der griechischen Kultur nun nicht mehr im Sinne seines frühen utopischen Entwurfs, sondern im Sinne einer philosophischen Analyse der Historie. Dadurch ändert sich seine Deutung des Verhältnisses von Antike und Gegenwart und folglich zweitens seine Charakteristik der Kunst des Mittelalters bis zur Gegenwart. Auch hier tritt an die Stelle der Prüfung, wieweit eine solche Kunst zur zukünftigen Kunst werden könnte, die Gewichtung der kulturellen Funktion der Kunst unter den Bedingungen des Christentums. Da das Christentum nun nicht allein als herrschende, sondern als die der Vernunft adäquate Religion gilt, verliert die Kunst ihre Aufgabe. Sie integriert sich einer bestehenden Religion und wirkt nicht an der Stiftung einer neuen Religion mit. Drittens entscheidet sich dadurch die Frage, wie eine Kunst der Gegenwart aussehen kann, wie man sich ihre Funktion vorstellen und mithin ihr Wesen philosophisch begreifen könne. Hegel setzt sich in dieser Frage mit SCHELLINGS These auseinander, man könne die Gestalt einer Kunst der Zukunft philosophisch konstruieren. An allen drei Aspekten zeigt sich, daß Hegel die ursprünglich behauptete Einheit von Kunst und Religion nicht einfach aufgibt. Er entwickelt vielmehr parallel zur Bestimmung der Kunst eine Bestimmung der Religion. Hier zeichnet sich der gleiche Prozeß, die gleiche Modifikation des »Ideals" der Jugendschriften ab. Freilich ist es am auffälligsten, daß Hegel die Bedeutung der Kunst einschränkt. Zugleich trifft seine Einsicht, daß die Kunst die Idee begrenze (vgl. Dok. 316), aber auch das Ideal der schönen Religion, den Rahmen der Mythologieforderung, der beide, Kunst wie Religion, mit der Frage nach einem auf Vernunft gebauten Staat zusammenschließt. Die ewiggültigen »Ideale der schönen Mythologie", die Gestalten der Götter, bilden eine untrennbare Identität von »vollkommener Kunstschönheit", »Wahrheit der Ideen, die sie ausdrücken", und geschichtlicher Situation, der sie angehören. In der geänderten Situation der Gegenwart, in der das Bedürfnis der Vernunft vorherrscht, kann diese Religion und Kunst nur im »Angedenken" bleiben. Die »schöne Götterwelt" muß untergehen »mit dem Geist, der sie belebt" (Dok. 317). Die Wende der eigenen Situation wird nicht mehr von einer neuen, zukünftigen Religion erwartet, die analog zur schönen Religion der Griechen ein funktionierendes und zugleich humanes Gemeinwesen hervorbringt. Diese »neue Religion" könnte, selbst wo Hegel deren ursprüngliche Bedeutung in seine Bestimmung des Christentums
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integriert, auf jeden Fall nicht mehr durch die Kunst gestiftet und tradiert werden. Denn die Volksreligion muß nun die „höchsten Ideen der Spekulation nicht bloß als eine Mythologie, sondern in der Form von Ideen ausgesprochen erhalten" (Dok. 322). Hegels weitere Argumente dafür, daß der Protestantismus diese zukünftige Religion sein könne, sind hier und für die folgenden Weiterentwicklungen der Ästhetik nur insofern interessant, als sich im Prinzip des Protestantismus, in der subjektiven Innerlichkeit, die Analyse einer dritten Kunstform, der romantischen Kunst, mitvorbereitet. Schon durch die Änderung der philosophischen Betrachtung der Religion zeigt sich die Notwendigkeit, auch die Frage nach der Funktion der „Sittlichkeit" im Kontext des „Ideals" neu zu entscheiden. Die Verknüpfung von Revolutionsproblematik und Institutionenbegriff führt zur Konzeption der Rechtsphilosophie, die sich in den verschiedenen Untersuchungen zur Verfassung (deutlich in den immer neu ansetzenden Entwürfen der Verfassu ngs Schrift) als der Weg von der Frage nach einer Institutionalisierung der Freiheit zur Darstellung des modernen Staates als Rechtsform der Freiheit wandelt.Man müßte deshalb die Vollendung des „Ideals des Jünglingsalters" zum System der Philosophie, wie es für die Religion und die Rechtsphilosophie weitgehend schon durchgeführt wurde, auf allen drei Ebenen diskutieren, weil man die ineinandergreifenden Probleme nicht voneinander isoliert betrachten kann. Die Frage nach der Entwicklung der Ästhetik läßt sich aber trotzdem relativ isoliert darstellen, weil Hegel nach Abschluß der Differenzierungsphase der Jenaer Schriften die Fundamente seiner Ästhetik gewonnen hat. In dieser Phase wird an einem der drei für das „Ideal" konstitutiven Momente, nämlich der Kunst, die Interferenz der drei Geschichten, nämlich der Sittlichkeit, Religion und Kunst, analysiert. Hegel selbst legt auch zu dieser Zeit noch einen geringeren Akzent auf das Moment der Kunst als auf die beiden anderen Momente. Weil seine Uberle29Zur Genese des Begriffs der Sittlichkeit vgl. U. Rameil: Sittliches Sein und Subjektivität; Rameil zeichnet den Fortschritt von der Bestimmung der Sittlichkeit am griechischen Ideal bis zur Rechtsphilosophie nach. Auf die Jenaer Schriften konzentriert sich L. Sieps Untersuchung: Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in seinen Jenaer Schriften, hier bes. 155 ff; ders.: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. 199; R. P. Horstmann: Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie, bes. 213 f. O. Pöggeler weist in seiner Einleitung zur Edition der Rechtsphilosophienachschrift von P. Wannenmann (1817) die Spuren dieser Entwicklung im Aufbau der Rechtsphilosophie selbst nach. Für die Annahme Iltings oder Henrichs, Hegel habe seine Konzeption nach den Karlsbader Beschlüssen erst zur restaurativen Ansicht geändert, ergeben sich aufgrund der entwicklungsgeschichtlichen Fakten und der Textlage keine Anhaltspunkte. Vgl. dazu D. Henrich: Einleitung in Hegels Philosophie des Rechts, 17 ff und H. C. Lucas/U. Rameil: Furcht vor der Zensur? 63 ff.
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gungen aber — wie sich an den Systementwürfen demonstrieren ließ — eine permanente und kontinuierliche Entfernung von SCHELLINGS Standpunkt thematisieren, lassen sie sich auf dem Hintergrund von SCHELLINGS Philosophie der Kunst als Hegels alternative Ästhetil* lesen und erhellen. Am letzten Punkt, in Hegels Frage, ob es eine moderne Kunst geben könne, die die Funktion der intellektuellen Anschauung historisch-konkret erfüllt, wird seine Auseinandersetzung mit SCHELLINGS systematischer Ästhetik manifest. Hier zeigt sich auch, daß Hegel sein späteres Konzept der Vorlesungen zur Ästhetik als Teil des philosophischen Systems nicht nur formal, sondern auch inhaltlich bis zum Ende der Jenaer Zeit, also mit der Phänomenologie, entworfen hat. Dieser Aufriß zeigt sich in den drei für die Abwendung vom Programm der Mythologie konstitutiven Momenten, die Hegel in den verstreuten Bemerkungen zur Kunst entwickelt; in der differenzierteren Bestimmung der Kunst im Griechentum, in der Kritik der nachgriechischen Kunst, besonders in der Kritik der Idylle und in der Destruktion der Hoffnung auf eine neue Kunst, auf ein „modernes Epos“.
2.2.2.1 Mythologie und Kunst in der griechischen Welt Durch die Änderung des Griechenlandbildes, an dem sich in den religionskritischen Schriften der Werkbegriff verdeutlichen ließ, zur Darstellung einer historischen Kultur gewinnt Hegel eine präzisere Bestimmung sowohl der Mythologie wie der Kunst. Die Frage nach der Kunst wird dadurch keineswegs aus dem Mythologiekontext gelöst, sondern immanent anders beantwortet. Zugleich zeigt sich daran, daß Hegel auch die Mythologie philosophisch erörtert, ihren Wahrheitsanspruch in expliziter Argumentation sichert, sie auf jeden Fall auch innerhalb des Systems der Philosophie behandelt. In dem Fragment „seiner Form gegen seinen Inhalt", das zu den neu gefundenen Manuskripten aus der Jenaer Zeit gehört, entwickelt Hegel eine solche Bestimmung der Kunst über die Differenzierung ihres Inhaltes: der verschiedenen Formen der Mythologie, die selbst jeweils als Realisation des Geistes in der Geschichte gelten. Hegel bestimmt zunächst den Geist durch den Gegensatz von Form und Inhalt. Seine Form ist „das Leben, das absolute reflektirtseyn in sich selbst" (Ms. 3a), sein Inhalt stellt sich in jeweils verschiedenen Gestalten dar, die als bestimmte „notwendig andere neben sich" haben müssen, um die Totalität des „Lebens" zu realisieren. Diese Gestalten enthält und stiftet die Mythologie, aber auch sie durchläuft in ihren Gestaltungen eine Entwicklung von der Äußerlichkeit der anschaulichen Gestalten zur Anschauung der freien Lebendigkeit im „sichselbstgleichen Geiste": Sie kann — mit anderen Worten — ihre Gestalten sowohl der Natur abgewinnen wie dem Bewußtsein. Hegel unterscheidet hier explizit zwischen der
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Naturmythologie und der höheren oder geistigen Mythologie, lokalisiert aber beide Formen noch innerhalb der griechischen Kultur. Zugleich gibt er die Gründe dafür an, daß er die Naturmythologie der geistigen Mythologie unterordnet — Gründe, die er sowohl in der Anfangspassage seiner Vorlesungen zur Ästhetik als Auszeichnung des Ansatzes beim Kunst- statt beim Naturschönen wiederholen wird^o wie bei der späteren Trennung der symbolischen Kunstform von der klassischen. Dort bleibt die Kunst und die Mythologie nämlich bei der Naturgestalt stehen, während im Griechentum in der Natur nur der Übergang zum Bewußtsein gesehen wird. Diese Perspektive bleibt für Hegel bis hin zur Ästhetik die weniger interessante und ertragreiche Möglichkeit, philosophische Ästhetik zu betreiben. In den Vorlesungsnachschriften findet sich beispielsweise nur eine Ablehnung des Naturschönen als Grundbegriff der Ästhetik. Hegel gewichtet die „aus dem Geiste geborene" Schönheit höher. Das Argument dafür trägt er in der ersten bekannten Vorlesung von 1823 nur ganz knapp vor, in der Vorlesung von 1826 geht er allerdings ausführlich auf diese Unterscheidung seiner Philosophie der Kunst von der Aufklärungsästhetik ein. Sachlich liegt die Entscheidung eigentlich schon im Werkbegriff der religionskritischen Schriften fest, sie wird explizit in Jena formuliert. Denn schon hier wird die Naturpoesie und Naturanschauung der geistigen Mythologie untergeordnet. Später wird sich das in einer Vernachlässigung eines beliebten Themas der Kunst, der Landschaft, niederschlagen. Denn auch die Landschaftsdarstellung der Poesie und vor allem der Malerei (sc. die poetischen Gemälde der Dichter, mit denen z.B. die Aufklärungsästhetiker Bodmer und Breitinger beginnen) interessiert Hegel nur am Rande. — Hegels spätere Entwicklung des Problems der Naturerfahrung, der Naturschönheit als einer spezifischen Weise der Wirklichkeitskonstitution durch Erfahrung, erscheint der Auffassung A. von Humboldts verwandt. V. Humboldt bestimmt die gestaltende Rezeption der Natur als philosophisch-begreifende Kosmologie. In Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung findet sich eine Bemerkung, die Hegels Jenaer Äußerungen reproduzieren (bes. in der Idyllenkritik; s.o. 206 f): man findet bei den Griechen „so wenige Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neuere an den Naturscenen und an Naturcharaktere hangen können" {NA 20. 429); dazu A. von Humboldt: Kosmos. Entwurf einer physischen Erdbeschreibung. Bd 2. 6 f; zur Charakteristik der ästhetischen Rezeption der Natur vgl. J. Ritter: Landschaft, bes. 147, 149, 153 ff, 177. Äus der Nürnberger Zeit belegt die Mitschrift Meineis {Anmerkungen zur Psychologie nach dem Vortrag
des Herrn Rektors und Professors Hegel geschrieben von Christian S. Meinel.
Schüler der Mittelklasse. 1811/12. ad § 75), daß Hegel auch die Naturpoesie des Griechen (Homers) und der neueren Dichter miteinander vergleicht. Während Homer die Natur in „freier Wahrheit" (evtl. Klarheit?) beschreibt (das wiederholt die Ästhetik bei der Behandlung des Epos), wird sie in der Moderne „mehr symbolisch aufgefaßt". Man legt einen Gedanken in die Natur hinein, faßt sie andererseits „mehr mit Empfindung" auf. Hegel ordnet diese poetische Betrachtung einer der poetischen Mischformen (der Vergleichung) zu. In der Auseinandersetzung mit Goethe {Schäfers Klagelied) wird diese Überlegung in der Ästhetik relevant (dazu: Hegels Abschrift von Goethes Gedicht „Schäfers Klagelied“. Mitgeteilt von H. Schneider, 77
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In einer ebenfalls nur fragmentarisch überlieferten Reflexion über „das Wesen des Geistes", die in den Zusammenhang der um 1803 entstandenen Manuskripte gehört, erörtert Hegel die Bedeutung der Natur, der Naturerscheinung für die Entwicklung des Geistes. Er wiederholt und kritisiert darin implizit das Schema der Kritik der Urteilskraft. Die Mythologie setzt ein beim Übergang der Idee in Natur und entwirft hier die Natur teleologisch, „als ob" sie in ihren Erscheinungen zum Bewußtsein ihrer selbst zu gelangen vermöchte. Auch die Definition der Natur als das „Anderssein des Geistes" (Ms. 13a) vollzieht KANTS Bestimmung der Naturteleologie nach, weil die Natur sich nur derart erhellt, daß „der Geist sich in der Natur finde" (Ms. llb). Allerdings befreit sich der Geist darin zugleich von der Natur, indem er in der Natur „das Bild seiner selbst" (Ms. 12b) anschaut und „diß Universum als sich selbst erkennt". Damit geht Hegel von der KANxischen Frage nach der Gegenstandskonstitution zum ontologischen Argument über. Die gleichen Komponenten verknüpft auch seine Bestimmung der Vollzugsweise, der „poetischen Anschauung". Deshalb fügt sich an die Bestimmung der Naturteleologie die der poetischen Anschauung im strikten Sinn, der Herstellung dieser Gegenstände im Sinne ihrer Vollzugsweise an. Für die poetisch-produktive Anschauung ist die Natur ebenfalls ein Lebendiges, sie realisiert dieselbe Synthese der Mannigfaltigkeit wie die rezeptive Anschauung der Natur durch das Prinzip der Lebendigkeit. Nur geht sie nicht allein zu einer im Sinne einer identischen Gesetzmäßigkeit von Vollzug und Gegenstand ausgelegten Anschauung fort, sondern zum anthropomorphistischen Entwurf der Natur durch Göttergestalten. In den Naturerscheinungen erkennt man die „Brüder".Die Natur ist für die poetische Anschauung ein Lebendiges, sie wird ausgelegt im Sinne lebendiger Individualitäten. Als deren erste geschichtliche Realisation gelten hier noch die Naturgötter — etwa die Titaff). — In Carus' Briefen über Landschaftsmalerei findet sich sicher ein Motiv für Hotho, die Problematik in die Edition der Ästhetik zu integrieren. Wenn Hegel selbst nicht in diese Diskussion eingegriffen hat — die Bemerkungen der Vorlesungszeugnisse sind spärlich —, so hat er doch eine Debatte entfacht, die in seinem Sinn geführt wird. Ein Zeugnis dafür findet sich noch in einer neu entdeckten Ausarbeitung der Vorlesungen von 1823 und 1826. Kromayer entwirft eine ausführliche Bestimmung aller Schönheiten der Natur, vom mineralischen bis zum höher organisierten organischen Leben, die sich in der Edition auch findet (Kromayer 1823/26. Ms. 83 ff) ^^Vgl. zur Interpretation dieses Zusammenhangs M. Baum/K. Meist: Durch Philosophie leben lernen, bes. 70 f; Rosenkranz setzt diese Stelle mit Goethes Faust in Verbindung (Ros. 187); Hegel zitiert hier zwar aus der Szene „Wald und Höhle", beurteilt aber die Naturpoesie insgesamt nicht als Erneuerung der Kunst. Zur Faiisf-Rezeption Hegels vgl. M. Baum/K. Meist: Hegels „Prometheische Confession", bes. 81 ff sowie die Analyse der Ästhetiknachschriften bei A. Gethmann-Siefert/B. Stemmrich-Köhler: Faust: die „absolute philosophische Tragödie" und die „gesellschaftliche Artigkeit" des West-östlichen Divan.
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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nen der griechischen Mythologie. Sobald Hegel aber mit Reflexionen wie denen CREUZERS zur griechischen Mythologie bekannt wird, hat er mit diesem Schema den formalen Grundriß für die „symbolische Kunstform", also für Naturmythologien im strikten Sinn, an der Hand. Die poetische Anschauung der Natur vermag nur „beschränkte Gestalten", „vereinzelte Individualitäten" zu entwerfen, die „Götter der Poesie" bleiben hinter der Erkenntnis der Natur zurück. Erst die „eigentliche Erkenntniß oder die Philosophie der Natur" erhebt, was die Kunst überhaupt nicht vermag, die Natur zu einem nicht formalen, sondern zu einem „absoluten Ganzen". Das Miteinander der Götter als vereinzelter Individualitäten ist „wohl ein Symbol der absoluten Lebensbewegung, aber ein Symbol ist nur die versteckte Darstellung derselben; für die Vernunft aber soll dieselbe enthüllt, frey von zufälliger Form und Gestaltung seyn" (Ms. 14a). Man könnte in dieser Angabe des Rahmens der Reflexion, des Systemgedankens und der damit verbundenen Einschränkung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst, noch auf ein Vorurteil schließen. Zunächst entwickelt Hegel nämlich nur eine Bestimmung der Kunst im Zusammenhang von Naturerkenntnis bzw. Naturmythologie, nicht ihre Funktion für die Konstitution der Sittlichkeit einer Gemeinschaft, eines Volkes. Zwar gilt die Naturgestalt als das eher verhüllende statt erhellende Symbol für die Wahrheit der Natur, aber Hegel selbst schließt eine weitere Reflexion an. Er sieht nämlich in der griechischen Kultur selbst einen Fortschritt der Gestaltungsmöglichkeiten, den er in den Berliner Asthetikvorlesungen durch die Auszeichnung der menschlichen Gestalt als der geistigsten unter den Naturgestalten begründet. Ergänzend zu seiner Bestimmung der Naturmythologie bzw. Naturpoesie entwickelt Hegel in einem Fragment, das beginnt „seiner Form gegen seinen Inhalt", die Funktion der Kunst in der höheren oder geistigen Mythologie. Wie bei der Bestimmung der Naturmythologie schickt Hegel auch der Erörterung der „höheren Mythologie" eine Definition ihrer Erkenntnisfunktion — hier der Orientierung des geschichtlichen Handelns — voran. Die „Weltanschauung" (der poietische Entwurf) der höheren Mythologie bildet sich durch die Umdeutung der Naturgötter zu sittlichen Individualitäten zu Jebendigen Geistern der Völker" (vgl. Ms. 14a). Im Werden des Geistes, in der Konkretisierung der Idee über die Natur zum Geist, liegt mit diesen Göttergestalten eine Ubergangsform vor. Diesen Entwurf entdeckt Hegel später in der Poesie HOMERS und HESIODS, die den Griechen ihre Götter gegeben haben, er verwendet ihn aber zugleich zur Charakteristik der Göttergestalten der Skulptur. Die schöne Göttergestalt der Skulptur gilt dann als „Übersetzung" dieser Götter der Poesie in das Medium der höchsten Vollendung der Kunst wie des Griechentums: in die Anschauung. In den Göttergestalten kommt zwar die anthropomorphistische Deutung der Natur in der poetischen Anschauung an ihr Ziel: sie wird zur Selbstverständigung des Einzelnen über
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
seine geschichtliche Situation in einer Gemeinschaft, einem Volk. Aber auch diese Göttergestalten gelten (wie die Naturgötter) als nur beschränkte Entwürfe eines solchen Verständigungs- bzw. Erkenntnisprozesses. Während die „alten Götter, die der Natur angehören" (Ms. 3a), an die Grenzen der bewußten Welt verdrängt werden, regieren die „lebendigen Geister der Völker" Bewußtsein und Handeln. Aber der Kreis der Götter teilt sich „in so viele Götter Momente, als das sittliche Bewußtseyn sich in seinen Bewegungen bewußt wird" (Ms. 3b). Wo sich Unendlichkeit zur individuellen Göttergestalt konkretisiert, da entfaltet sie sich zugleich in eine Vielheit konkreter Gestalten. Hegels Bestimmung des Inhalts der Skulptur in der Ästhetik (der Kreis der Götter) erscheint hier als Thema der „höheren Mythologie". Nicht allein, daß ein Volk viele Götter zur umfassenden Darstellung seines sittlichen Selbstbewußtseins produziert, die Götter verschiedener Völker stehen sich zudem unversöhnlich gegenüber. Denn die bestimmte Gestalt, in der sich das Unendliche als Lebendiges manifestiert, „bedarf zu der Totalität des sittlichen Bewußtseins noch vieler... der Geist eines Volkes muß die Geister anderer Völker neben sich anerkennen" (Ms. 3b). Diese Diskrepanz von unendlichem Inhalt und je-verendlichter Gestalt führt zu „mannichfaltiger Verwirrung", zur Kollision verschiedener, jeweils souveräner Orientierungen der Sittlichkeit einer Gemeinschaft und zur Kollision verschiedener Völker. Die Gestalten haben also schon „die Ironie in sich selbst". Eine Aufhebung der Widersprüche leistet die „höhere Mythologie" selbst nicht. Da Hegel auch hier der Kunst die Aufgabe zuordnet, „die Gestalten äusserlich anschaubar, sichtbar und hörbai; darzustellen", gilt ihm die Kunst als das „allgemeine sprechende Bewußtsein eines Volkes". In der Geschichte reift auch das Kunstwerk mit heran; es ist „das allgemeine Gut so wie das Werk aller" oder, wie Hegel es im Einvernehmen mit SCHELLING in der DifferenzSchrift formuliert, „ein Produkt des Individuums, des Genies, aber der Menschheit angehörend" (GW 4. 75).^2 ^2 Die Verwandtschaft dieser Gedanken zu Schelling wird in dessen Journal-Aufsatz greifbar: lieber Dante in philosophischer Beziehung. GW 4. bes. 487. Die Konzeption des Künstlers als des „Vollstreckers" (des Vollenders der im Geist eines Volkes gereiften Gedanken) findet sich auch in Herders Kritischen Wäldern. Hegel erweitert auch den Geniebegriff um die Dimension, die er aus dem programmatischen Entwurf des Werkbegriffs der Frühschriften in diese Überlegungen mithineinträgt. Schelling interpretiert demgegenüber das Genie durch eine formale Analyse seiner „produktiven", poietischen Handlung (vgl. dazu: System des transzendentalen Idealismus, 615, 617 f). Bei Hegel schließen sich Genie und Werkbegriff zusammen, insofern liegt in der Bestimmung des produktiven, des poietischen Handelns keine „Revision" des Standpunktes der Differenz-Schrih. Dort hieß es zwar, die Religion entstamme „einer allgemeinen Genialität", die Kunst dagegen sei Produkt des Genies (G W 4. 75), aber die Charakteristik der Kunst als Werk ließ schon im Kontext des Ältesten Systemprogramms eine solche Loslösung des Individuums vom geschichtli-
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G, LUKACS umschreibt diese Darstellung der konstitutiven Prinzipien der griechischen Kultur zutreffend als das „Gesellschaftlichwerden eines Naturzustandes" vermittels der Arbeit {Der junge Hegel. 508), übersieht aber, daß der Arbeitsprozeß durch die Verlegung des Ursprungs der Kultur in Mythologie bzw. Kunst als geistiger aufgefaßt wird, als geschichtsgestaltendes Handeln aus einem Weltentwurf. Hegel kann für die griechische Kultur Kunstwerk und Staatswerk noch im Sinne der Aufklärer gleichsetzen, nur entwickelt er eine geschichtliche Deutung sowohl der Kunst wie der „Revolution" (hier das Beispiel für das Staatswerk). In Hegels Wastebook findet sich ein Aphorismus, der auf diese Analogie von Kunst- und Staatswerk anspielt. Hegel führt als Grund für die Vergleichbarkeit beider (sowohl in bezug auf die Erkenntnis als in bezug auf das Sein) den Geist an, der beider „Compositeur" ist. Wie das Werkzeug der Staatsherrschaft (die Kriegsmaschinerie einschließlich der Menschen) nur durch den Geist — hier „ihr Panier und die Seele ihres Feldherrn" — zusammengeschlossen wird, so auch das Kunstwerk. Hegel spielt auf HOMER an; „Eine Ui ade wird nicht zusammengewürfelt, so auch nicht ein großes Werk aus Bajonetten und Kanonen, sondern der Compositeur beider ist der Geist" (Hegel-Studien. 4 (1967), 14). Dem Künstler und analog dem Staatsmann kommt als Individuum lediglich eine „besondere Geschicklichkeit" in der „formirenden Thätigkeit" zu, die er aber in der Bildung durch die allgemeine Geschicklichkeit erwirbt. Er gilt nur als derjenige, der ein Werk aller durch den letzten Stein, die letzte, die Gestalt vollends enthüllende Tat abschließt. Was sie aber „produciren ist nicht ihre Erfindung, sondern die Erfindung des ganzen Volks, oder das Finden, daß das Volk sein Wesen gefunden hat" (Ms. 4a). Das Kunstwerk, das wie die „Staatsrevolution" das Werk aller ist, vermag jedoch über die Grenzen der Mythologie nicht hinauszugelangen. Hegel sagt das hier nicht explizit, sein Beispiel für das „Werk aller" deutet aber zumindest auf eine Zwiespältigkeit in der Funktion dieses Werks hin.33 Inhaltlich entfaltet Hegel diesen Aspekt, den er
chen und politischen Kontext nicht zu (gegen: M. Baum/ K. Meist: Durch Philosophie leben lernen, 74 ff; K. Meist: Hegels Systemkonzeption in der frühen jenaer Zeit, 79). 33 Hegel charakterisiert auch ein anderes Werk, das Hinaufarbeiten eines Volkes zum Wasser eines Sees (anstelle des Hinaufarbeitens zum Licht der Vernunft). Ist man durch die Arbeit des Letzten zu dieser Höhe durchgestoßen, so ertränkt das hereinstürzende Wasser alle, „indem [es] ... sie tränkt". — Zur Bedeutung des Ironiebegriffs, den Hegel erst später kritisch verwendet vgl. F. Schlegel: Gespräche über die Poesie. Schlegel sieht in der Mythologie den Wechsel von „Enthusiasmus" zu „Ironie" (dazu O. Pöggeler: Die Entstehung von Hegels Ästhetik in Jena, 254f; Ros. 134; Phän. 518). Hegel nimmt diesen Hinweis auf, wenn er im Griechentum den Übergang von Begeisterung zu Reflexion (in der Tragödie) ansetzt. Später wird er beides kritisieren, weil er die höchste Form des griechischen Bewußtseins ebenfalls
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
zunächst als „Ironie" in der höheren Mythologie charakterisiert, in seiner Interpretation der griechischen Tragödie. Die sittliche Orientierung der Individuen durch die Kunst funktioniert hier zwar, aber in einer Weise, die die Freiheit als Grundlage des selbstbewußten sittlichen Handelns ausschließt bzw. die Freiheitsforderung ad absurdum führt. Das Individuum gerät nämlich entweder in Gegensatz zur geltenden, aber von der eigenen unterschiedenen, sittlichen Orientierung innerhalb seines Volkes, oder es gerät in den Konflikt der Völker untereinander. In beiden Fällen ist für den Griechen nur eine Lösung denkbar: die Übernahme der schicksalhaften Bindung an sein Volk, an eine begrenzte sittliche Sphäre. Das Modell für seine historische Differenzierung der griechischen Kultur kann Hegel noch an SCHILLERS Idyllenkonzeption gewonnen haben bzw. an seiner eigenen Überlegung zur „schönen Religion". Die Göttergestalten setzen wie die Idylle — die arkadische, auf die Natur beschränkte, und die elysische — Möglichkeiten der Handlungsorientierung in Geschichte um. In seiner Sicht der griechischen Tragödie^“* bestärkt Hegel selbst eine solche Deutung, denn hier erörtert er explizit die Möglichkeit, durch die Analyse der griechischen Kunst und Kultur Handlungsorientierungen zu gewinnen. Auch hier hat Hegel ein doppeltes Interesse. Er stellt zunächst die Frage nach der Rolle der Tragödie innerhalb der griechischen Kultur und überlegt dann, ob und wie diese Einsicht auf die Moderne zu übertragen sei. Schon in der Darstellung der griechischen Kunst im Kontext des Entwurfs der „schönen Religion" betont Hegel einerseits, daß die Kunst ein Gemeinwesen stiftet, die Griechen zu einer Nation vereint durch „milde", menschliche Sitten und durch „Verschönerung" der sie umgebenden Natur {Nohl. 246). Andererseits sieht er von Anfang an ein Problem, das er in den Jenaer Überlegungen anhand der Interpretation der Tragödie explizieren kann. Die Götter erscheinen in der Tragödie als sittliche Mächte, bestimmen das Schicksal des Menschen, das sich nicht mehr durch den „Geist der Schönheit aussöhnen und so durch die Versöhnung aufheben" läßt {Nohl. 256, vgl. 260). Hegel ist nun in der Lage, die geschichtliche Funktion dieser „Mächte", der Göttergestalten der Mythologie, durch die Differenzierung von Natur- und mit der Vernunftforderung der Moderne konfrontiert. Hier bereitet sich also auch die Kritik am Ironiebegriff der Romantiker vor. 3'* Zur Interpretation vgl. O. Pöggeler: Hegel und die griechische Tragödie. Pögge1er berücksichtigt in seiner Darstellung die Entwicklungsgeschichte. Dazu auch R. Pietereil: De la „Phenomenologie de l'Espril“ aux „Lefons d'Esthetique. Continuite et evolution de l'interpretation hegelienne de la tragedie, 5 ff. — Die Frankfurter Äußerungen (hier wird noch keine bestimmte Tragödie erwähnt) und die Jenaer Bemerkungen zu den Eumeniden, zur Iphigenie und zur Antigone werden in Hegels Asthetikvorlesungen ohne wesentliche Modifikation wiederholt. Für die genannten Beispiele werden deshalb die Äußerungen der Vorlesungen schon hier mitherangezogen.
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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geistiger Mythologie sowohl als Handlungsorientierung zu interpretieren wie zu kritisieren. Zunächst erhellt er seine eigene Vermutung, daß die Tragödie zwar eine Anschauung der Welt durch Schönheit vermittelt, aber keine Versöhnung durch Schönheit herbeiführen kann. Orest, Oedipus wie Antigone erscheinen als „Verbrecher aus Notwendigkeit", weil sie sich der Handlungsorientierung durch die göttlichen Mächte unterwerfen, nicht weil sie sie verfehlen. Das Schuldigwerden des Individuums ist unausweichlich, denn die Orientierungen, nach denen gehandelt wird, sind nicht beliebig, sie sind, wie sich in den Eumeniden zeigt, „allgemeine Mächte und nicht ... die innern Nattern ... [des] subjektiven Gewissens" (Äslh. 1,1. 358). Hegel betont in der Ästhetik, daß die „gehaltvolle Phantasie des AESCHYLUS" in den Eumeniden einen Gegensatz entdeckt habe, der „von durchweg wesentlicher Art ist" (Asth. I, 2.50; vgl. 59 f). Es ist der Gegensatz von Naturgottheiten und geistigen Gottheiten im Volksgeist,^^ den Hegel in den Jenaer Überlegungen erstmals konzipiert. Die verschiedenen Vorlesungsnachschriften zur Ästhetik zeigen, daß Hegel später explizit auf seine Unterscheidung innerhalb der Mythologie zurückgreift und sie als Prinzip der Tragödie darstellt. Es geht um die „Kollision der alten und neuen Götter" (Jag. Bihl. 1828/29. Ms. 85). Diese Umschreibung findet sich schon bei Hotho [Hotho 1823. Ms. 155 f) und in den verschiedenen Nachschriften von 1826. In der Anfi^onr-Deutung findet sich zudem der Hinweis, daß die verschiedenen Orientierungen, Antigones Verpflichtung und Kreons Gebot, jeweils als gleichberechtigt empfunden werden (Hotho 1823. Ms. 86; dazu Phän. 256; Äslh. I, 2. 60) weil sie jeweils als göttliches Gebot übernommen werden. Hier nimmt Hegel seine Bestimmung verschiedener Völkerindividuen aus der Jenaer Zeit wieder auf. Das bevorzugte Beispiel der Vorlesungen ist der Ödipus auf Kolonos, der durch die jahrzehntelange Aufführung der Sacchini-Oper in Berlin einen unmittelbaren Anhaltspunkt für die Studenten bot. Außerdem bietet sich der Ödipus-Stoff als Übergang zur modernen Tragödie an. Hegel belegt z.B. am Vergleich der Iphigenie des Euripides mit der Goethes den Übergang von einem bloß äußerlichen Götterverständnis zum „Verhältnis des Gemüths zum Gemüth" (Hotho 1823. Ms. 92; dazu die Edition Asth. II, 1. 287; 1,1. 293 f). Die Tragödie wird nicht mehr als das Schönste in der Kunst gewertet, sondern die Skulptur. Der Sinn dieser Nuance entgeht Hotho bei der Bearbeitung. Er liegt darin, daß die Tragödie als Form des Übergangs zum modernen Selbstbewußtsein einen „erhabenen" Inhalt hat. Mit dieser Charakteristik schließt Hegel sich an Schillers Deutung der Tragödie überhaupt an, um die geschichtliche Wirkung der Tragödie und der Kunst in der „Moderne" wie in jeder Zeit des auf brechenden Bewußtseins der ünversöhntheit konfligierender Orientierungen im Sittlichen zu umreißen. Es geht hier um das Scheitern der Moralität an der Naturgewalt, die die griechische Tragödie am Konflikt der Naturmächte und der geistigen Mächte des Göttlichen thematisiert. Vgl. dazu den Hinweis, daß das Individuum durch objektive Mächte dirigiert wird (Phän. 253 f) was in der Formulierung der Ästhetik dann zu „substantiellen Gewalten" umgedeutet wird (Ästh. 1,1. 283; II, 1. 277). Ebenso findet sich der Hinweis, daß es um „die großen Interessen der Menschheit gehe" Qag. Bibi.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Die Entwicklung dieses Gedankens zeigt sich am deutlichsten in der Interpretation des Ödipus und der Antigone, ln einem Fragment von 1795 betont Hegel lediglich, daß die Herrschaft des Schicksals dem Ödipus die Möglichkeit nimmt, rechtliche Gesichtspunkte gegen sein unverschuldetes Leiden geltend zu machen (Nohl. 70). Dagegen sieht er in den Vorlesungen zur Ästhetik im Ödipus ein Beispiel dafür, wie in der griechischen Tragödie die Herrschaft des Göttlichen und das Gemüt des Menschen in der Konstitution der Sittlichkeit zusammenspielen. Schon in der Phänomenologie erweitert Hegel die Charakteristik jener Handlung des Ödipus, die ihm zum Schicksal wird. Es scheint, als werde hinter dem Rücken des sittlichen Selbstbewußtseins eine Entscheidung getroffen, die es korrumpiert, sich aber erst nach der Handlung offenbart (vgl. Phän. 255). Der Einzelne wird durch seine subjektive Unwissenheit schuldig, objektiv gesehen gilt er überdies, weil er in Gegensatz zu geltenden Gesetzen geraten ist, zugleich als „Verbrecher". Er verletzt die Sittlichkeit und kann nur durch individuelles Leiden bzw. Tod dieses Verbrechen sühnen. In der griechischen Sittlichkeit gibt es also nur die Möglichkeit, eine Einsicht in die Vernünftigkeit und den Verpflichtungscharakter der Mächte post factum zu gewinnen. Die Tragödie thematisiert diesen Grenzfall, denn sie zeigt, daß nach der folgenträchtigen Entscheidung des Individuums die Einsicht in die nur begrenzte Geltung des sittlichen Anspruchs möglich wird. Diese Einsicht selbst kann nicht explizit begründet und vorab konzipiert, sondern unmittelbar im Leiden erfahrbar werden. Die Schuld ist unabwendbar, die Sühne, die das Individuum für die Fehlorientierung an einer nur begrenzten Macht bzw. deren Personifikation im Gott zu zahlen hat, geht eigentlich nicht zu seinen Lasten, sondern er übernimmt sie stellvertretend für den Gott. Die Funktion, die Hegel zum Inhalt der Tragödie erhebt, nämlich die Sittlichkeit des Volkes und die Religion als das institutionalisierte Ördnungsgefüge der sittlichen örientierungen zu stiften, wird auf diese Weise einsehbar, aber sie muß zugleich — wenn man vom aufgeklärten Bewußtsein der Moderne ausgeht — kritisiert werden. Selbst die Götter, die starr nur ihre Sphäre der Sittlichkeit als ihr Recht verteidigen, können zu bloß äußerlichen Mächten herabsinken. In der yinfi^one-Interpretation kommt Hegel noch einen Schritt weiter voran in der Klärung sowohl der Frage nach der Handlungsorientierung durch die göttlichen Mächte als der Geltung solcher örientierung. Antigone handelt in bewußter Entscheidung für die Mächte, die sich in den Naturgott1828/29. Ms. 7). — Hotho deutet aber (statt dies zu berücksichtigen) auch die Tragödie „klassizistisch" als die schönste Kunst. — Hegel weist in den Vorlesungen nicht auf die „vollendete Schönheit" (Äslh. I, 1. 358) hin, wohl darauf, daß die Sophokleische Tragödie „bereits eine abstraktere, spätere Periode" sei als die Skulptur, nicht die ursprüngliche Welt eines Volkes darstelle {Kehler 1826. Ms. 397), die Antigone ist eines der „erhabensten Kunstwerke" der Griechen {]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 85a).
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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heilen manifestieren gegen die Mächte des Staates. Sie sieht sowohl den Grund wie die Unausweichlichkeit ihres Unterganges ein (Nohl. 284). Die Phänomenologie ordnet auch das Handeln der Antigone noch der Bestimmung der unmittelbaren Sittlichkeit unter. Hegel expliziert den Konflikt der Antigone als Kollision der menschlichen und göttlichen Mächte im „Reich der Sittlichkeit", die sich ausschließen und einander entgegengesetzt sind (Phän. 252). Antigone übernimmt diese Entgegensetzung von öffentlichem Gesetz des Staates und dem „unterirdischen, ins Innre verschlossenen Sinn" der sittlichen Organisation der Familie, und sie entscheidet sich durch ihr Handeln nach dem Prinzip der „unterirdischen Mächte" bewußt gegen die Gesetze der Polis. Was ihr zunächst nur als Schuld und Schicksal zugeschrieben wurde, erfährt sie jetzt zugleich als „Verbrechen", als die bewußte Handlung gegen die Totalität der Sittlichkeit. Die subjektive Anerkenntnis der Schuld (Phän. 255 f) fällt zusammen mit der objektiven Verletzung der Sittlichkeit, und die „Rückkehr zur sittlichen Gesinnung" ist wiederum nur möglich durch den Untergang des „einsichtigen" Individuums — analog zur Bestimmung der Sittlichkeit der schönen Seele (vgl. Nohl. 285 f). Dennoch ist die Handlung nicht weltlos, sondern das Individuum scheitert an der sittlichen Orientierungen, die seine geschichtliche Kultur bestimmen. Es gilt auch hier, noch „nie hat die Unschuld gelitten, jedes Leiden ist Schuld" (Nohl. 284), oder, wie Hegel es in den Ästhetikvorlesungen formuliert; „Sogestehen wir denn, daß wir gefehlt haben, weil wir bestraft wurden" (z.B. bei Kehler 1826. Ms. 452). Der Hintergrund des Schicksals ist der mehr oder weniger eingesehene und thematisierte Kampf der alten und neuen Götter (Hotho 1823. Ms. 156), die gegensätzliche Orientierung die durch Natur- und geistige Mythologie in der griechischen Sittlichkeit herrscht. In den Eumeniden wird deshalb beispielsweise die Versöhnung dadurch hergestellt, daß den beleidigten Naturgöttern ihr Recht — in Form eines Altars und der ihnen zukommenden Verehrung neben den anderen Göttern — gesichert wird.3* Obwohl der objektive Gegensatz „ganz in das menschliche Handeln und Empfinden hinausverlegt" erscheint, bleibt er doch Kollision objektiver sittlicher Mächte, wird nicht zur bloßen Innerlichkeit. Die handelnden Personen des Dramas gelten nicht als Charaktere, weil ihnen die Individualität im Sinne der subjektiven Innerlichkeit abgeht. Dennoch agieren sie in vergleichbarer Weise, weil sie in der Handlung die Triebfedern der Innerlichkeit (sc. die Pathe) offenlegen und so als bestimmte Personen, also gleichsam doch als Charaktere erscheinen. Sie
31^ Bei Sophokles erscheinen die Eumeniden als Furien, versinnbildlichen aber zugleich die Mächte des Gemüts; Hotho 1823. Ms. 90; ]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 70/71; Asth. II, 1. 286. Bei Aischylos treten sie im Kampf der alten und neuen Götter als die Vertreter der Naturgötter auf; Aachen 1826. Ms. 126.
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gelten als Repräsentanten bestimmter sittlicher Sphären; ,4as Familieninteresse hat das Weib, Antigone, die Wohlfahrt des Gemeinwesens Kreon, der Mann, zum Pathos" (Äsih. I, 2.51; II, 2.50). In der Antigone zeichnet sich also die Notwendigkeit der Überwindung dieser geschichtlichen Form der Sittlichkeit nicht nur für verschiedene Individuen, sondern strukturell ab. Im Sinne der Dynamik, die Hegel in der Phänomenologie entwickelt, trägt hier eine Stufe des Bewußtseins die Notwendigkeit zu ihrer Überwindung darum in sich, weil das, was in der historischen Situation eingesehen werden kann, und das, was realisiert werden muß, nicht harmonisierbar sind. Der Weg von der Schuld zur Versöhnung ist gekennzeichnet durch ein Bewußtsein der Wahrheit seiner Handlungen, durch ein Sich-Wissen, das den möglichen Status der Versöhnung, nämlich den der „sittlichen Gesinnung", überschreitet. Innerhalb der griechischen Kultur fungiert der Schicksalsglaube als Vermittlung der Rückkehr zur sittlichen Gesinnung. Die unverhohlene Bewunderung, die sich in Hegels frühen Schriften für den Schicksalsgedanken findet {Nohl. 23, 20 f, 281), weicht nun aber der Skepsis, der Einsicht in die nur partielle Gültigkeit solcher Handlungsorientierung und in die historische Bedingtheit, ja Mangelhaftigkeit der griechischen Sittlichkeit. Diese Art der Sittlichkeit eines Volkes ist als Vorbild für die Gegenwart oder als zukünftige Alternative zur „Zerrissenheit" der Situation der Moderne nicht sinnvoll, denn die Totalität des Sittlichen, die in der griechischen Tragödie anschaulich wird, stellt nur den Naturstatus des Geistes dar, sie ist eine nur „substantielle Sittlichkeit". Hegel gewinnt durch seine Reflexionen zur Mythologie und aus der Interpretation der Tragödie den Ansatz für die spätere Bestimmung des Epos und der Skulptur als Vorformen der Tragödie. In beiden findet sich eine unreflektierte, bloß naturhaft-anschauliche Identifikation des Individuums mit einer der zahlreichen Göttermächte. Erst unter den Bedingungen der Polis, also unter Voraussetzung einer ausgebildeten schönen Religion, führt die Vielheit sittlicher Orientierungen zum Konflikt. Dadurch enthüllt die Kunst eine Disharmonie verschiedener Sphären der Sittlichkeit des Volkes. Das bedeutet, daß die zunächst für das Griechentum angenommene vollendete Harmonie nicht mehr oder nicht für alle Bereiche gilt. Anders als zur Zeit und in
der Situation des Epos entstehen in der Polis Kollisionen verschiedener Handlungsmotivationen. Auch diese werden durch die Vorbilder im Han-
deln, durch die Gestalten der Heroen bzw. nun der Herrscher anschaulich. Während das Epos die geschichts- und polisstiftende Tat des Einzelnen, des großen Individuums schildert, veranschaulicht die Tragödie den Dialog um die Geltung einer schon institutionalisierten sittlichen Ordnung. Für die ästhetische Bewertung der Tragödie hat das keine Folgen. Hegel betont noch in der Ästhetik, daß die Schönheit der griechischen Tragödien in der vollendeten Konsequenz ihrer Darstellung liege (Ästh. I, 2.51; II, 2.50), und er lobt die SoPHOKLEischen Tragödien vor allen anderen, weil ihre Gestalten „in ihrer
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plastischen Abgeschlossenheit den Bildern der Skulptur" vergleichbar sind.^^ Einzig die geschichtliche Abfolge der verschiedenen Künste wird hier noch einmal revidiert, denn gegenüber der Skulptur erscheint nun die Poesie als die Reflexionsform der Kunst, die Tragödie zugleich als die Ermöglichung der Grenzerfahrung der Thematisierungsmöglichkeiten und damit des in der Kunst erreichbaren Bewußtseinsstandes. In den Überlegungen der Jenaer Zeit spart Hegel die ästhetische Beurteilung der griechischen Tragödie aus, er entwickelt eine grundlegendere Perspektive, die er der modernen Poesie gegenüber dann auch zum ästhetischen Urteil umformuliert. Durch die Analyse der Tragödie in ihrer geschichtlichen Funktion bestätigt sich nämlich seine Vermutung, daß die Griechen auf andere Weise frei seien als die vernunftorientierten modernen Individuen. Der Grieche handelt nicht aus Freiheit und bewußt übernommener Vernunftorientierung, er handelt aus einer geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation, die ihm unbewußt und nur quasi-vernünftig den „Menschheits"-Status ermöglicht. Solange die Orientierung eindeutig ist — in der vor-institutionellen Situation des Epos — erscheint die griechische Sittlichkeit harmonisch. Unter den Bedingungen staatlicher Verfaßtheit, sobald verschiedene sittliche Orientierungen (Göttervorstellungen) gegeneinander ausgespielt werden müssen, um die für die Polis konstitutive Verschiedenheit der sittlichen Sphären aufrechtzuerhalten, kann die Kunst die verlorene Harmonie nicht oder nur unter Voraussetzung eines der modernen Vernunf tforderung nicht zumutbaren Schicksalsglaubens wiederherstellen. Für die komplexere Vielheit der Stände im modernen Staat, die schon konstitutionell zu Konflikten führt, reicht diese Weise der Versöhnung prinzipiell nicht zu. An der höchsten Möglichkeit der Kunst, in der Tragödie, zeigt sich zugleich, daß SCHILLERS Skepsis angesichts dieser strukturellen Schwäche der schönen griechischen Welt zutrifft: Man kann sich diesen Zustand nicht zurückwünschen. Gegenwärtig muß sich die Sittlichkeit eines Volkes in der Form der „Allgemeinheit", der begrifflich-einholbaren Wahrheit, konstituÄsih. 1,1. 306; II, 1. 299; dazu der Hinweis der Vorlesungsnachschriften auf die „plastische Gediegenheit der Alten" (Kehler 1826. Ms. 190) bzw. die „Gediegenheit des heroischen Individuums" (]ag. Bibi. 1828129. Ms. 70/71). — In der Wahl des Kriteriums der Beurteilung hat Hegel sich an Schiller orientieren können, denn auch er beurteilt im Vorwort zu seiner Sophoklesübersetzung die Tragödie nach ihrer Fähigkeit, die „Tugend" herzustellen. Der Einfluß Schillers wird möglicherweise auch in der Kritik Hegels an Hölderlins Sophoklesübersetzung greifbar; vgl. den Brief an Schelling, Br. 1.82; dazu auch Döderleins Brief an Hegel vom 27. 6. 1817; Br. 2. 417. Hegel hat sich mit Sophokles in der Entwicklung seiner Vorlesungen ständig auseinandergesetzt. — Im Besitz Hegels befanden sich nachweislich folgende Ausgaben: Sophocles: cum interpretatione vetustis. Fref. ap. P. Brobachium 1544; Sophoclis tragoediae. Ed. R. F. Ph. Brunck cum vers. et schol. Tomi 2. Argent 1786; Sophoclis tragoediae. VII, Francos 1555.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
ieren. Dadurch verlieren die „sittlichen Organisationen, die freien Staaten des Altertums, in denen die Vernunft in Geistesgestalt objektiv geworden... ihre Lebendigkeit" (Dok. 318). Hegel gibt also im Zuge seiner philosophi-
schen Analyse der Kunst die utopische Funktion des Griechenverweises auf,
denn selbst in der höchsten Möglichkeit der Kunst zeigt sich die griechische Vergangenheit als der Vernunftforderung unangemessen. Die Darstellung der Kollision im Sittlichen wird zur letztgültigen Aussage der Kunst über die Realität und diese Darstellung genügt der Versöhnungsforderung nicht. Hegel begründet diese Konsequenz eingehender als die ummittelbar ästhetische Schlußfolgerung, d.h. auch hier zeigt sich, daß sein ursprüngliches Anliegen darin gelegen haben muß, die Möglichkeit der utopischen Funktion griechischer Kunst und der Vorstellung der griechischen Kultur aufrechtzuerhalten. In einem Aphorismus über die Worte „ewig, heilig, absolut, unendlich, (Ros. 546) weist Hegel darauf hin, daß den „Nordländern" die „angeschauten Götter der Griechen nur als Abstractionen" präsent sind; sie werden nicht mehr in der Anschauung vollzogen, sondern durch Reflexion vermittelt. Dadurch verlieren die Götter als „Mächte", als Pathe, die den Menschen regieren, ihre Macht. An die Stelle des lebendigen Vollzugs tritt das „Durchschauen", die „gefühllose Klarheit" (Ros. 546). Während SCHILLER zunächst meinte, den Menschen durch den Rückgriff auf die Vergangenheit auf die Zukunft zu orientieren, die Realisation seiner Freiheit zu ermöglichen, schließt Hegel dies nun explizit aus. Das Lebensgefühl der Griechen, die aus ihrem alltäglichen Leben einen Gottesdienst machen (vgl. Ros. 52), kann unter den geänderten Bedingungen nicht wiederholt werden. Im Bereich der Herrschaft der christlichen Religion erscheinen die alten Götter und ihre anschauliche Gegebenheitsweise in der Kunst als „unlebendige" Gestalt des Geistes (vgl. Ros. 541). Hegel spielt nicht ohne tieferen Sinn in diesem Zusammenhang auf SCHILLERS Gedicht Das Ideal und das Lehen an. Er wiederholt nämlich zunächst dessen Zuordnung der griechischen Kunst und Mythologie zum Naturstatus. Kunst gilt als Verselbständigung der Natur in der schönen Gestalt. Wo der Geist über die Natur hinausgeht, steigt die „verzehrte Natur... in neuer idealer Gestalt als ein Schattenreich empor, das jenes erste Leben verloren hat, die Erscheinung ihres Geistes nach dem Tode ihres Lebens" (Ros. 547). Unter der Hand entscheidet Hegel damit eine frühere Diskussion, in der er selbst durch das Systemprogramm zunächst anders votiert hatte. Er lehnt gegen HERDER, HAMANN und gegen die Neuinterpretation dieser Gedanken in der Romantik die Annahme ab, eine Urpoesie^s könne als Grundlage aller Bei Hamann findet sich die Gegenüberstellung von Urpoesie und Kulturpoesie (in der Aesthetica in nuce. 1762), wobei die Urpoesie als Wahrheitsvermittlung gilt. Hegel kann zumindest in Herders Rezeption dieser Gedanken (in der Auseinandersetzung mit Lessings Laokoon-Deutung) einen Anknüpfungspunkt für seine Überle-
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geschichtlichen Wahrheitsvermittlung angesetzt und aus ihrer Gestalt eine zukünftige Poesie gefolgert werden. Da diese Urpoesie zunächst als Naturpoesie erscheint, deren höchste Form wiederum die griechische Mythologie bildet, ist mit dem Verzicht auf die utopische Funktion des Griechentums zugleich eine weiterreichende Perspektive ins Spiel gebracht. Zunächst beschränkt Hegel die Konsequenz noch auf die Ablehnung der Wiederholbarkeit des Griechentums. Nur wenn der moderne Mensch seine Fähigkeit des Begreifens, wenn er das Erkennen zugunsten des Gefühls, die Freiheit zugunsten der Schicksalsgebundenheit aufgäbe, könnte er wie ein Grieche fühlen. Sonst mag er zwar — im Sinne SCHILLERS — vom griechischen Geist, von den angeschauten Göttern und der durch diese konstituierten Sittlichkeit des Volkes reden wie ein Kranker von der Gesundheit. Er kann seine Vollendung aber nicht durch die Wiederbelebung der Vergangenheit erlangen. Es ist zwar möglich, daß man sich in reflektierender, genauer, in historischreflektierender Einstellung die schöne Kunst der Griechen und ihre dadurch konstituierte Polis wieder vergegenwärtigt; es ist aber unmöglich, damit in der Gegenwart oder gar in der Zukunft eine lebendige Form der „Gesellschaftlichkeit" wiederzuerlangen.
gungen gefunden haben. Seine Polemik gegen die Naturpoesie gilt sicher auch Herder, der diese als Urpoesie ansetzt. Schlegel setzt im Zuge dieser Auseinandersetzung später (1812) das Epos, die Sagen der Völker als die Urpoesie und entwickelt in Weiterführung des Hamannschen Gedankens, daß die Poesie die Muttersprache des Menschengeschlechts sei, eine Konzeption der Vermittlung von Eigenem und Fremdem. Ursprünglichkeit in der neueren Poesie wird demnach nicht erreicht durch die Nachahmung anderer Nationen, sondern im Rückgang auf die „eigene ursprüngliche und älteste Poesie und Sage". Nur im Rückgang auf das Eigenste liegt die Möglichkeit zur Universalität der Poesie, denn „die Poesie der Nationen so wie diese selbst berührt sich in ihrem Ursprung" {Geschichte der alten und neuen Literatur.Bä6. 333). Hegel kann diesen Gedanken und vor allem die Wendung gegen Herders Beschränkung auf die Monumenta germaniae historiae aufnehmen und im Sinne Schlegels eine geistesgeschichtliche Relevanz aller nationalen Monumente folgern, weil er — und sobald er — den Gedanken der nur noch historischen Relevanz der Wahrheitsvermittlung durch Kunst gefestigt hat. Inder Phil, der Weltgesch. (Bdl. 158,159) verweist er auf Schlegels Philosophie der Gesc/iic/ifeunddie Sprache und Weisheit der Indier sowie auf weiterführende Werke der Franzosen, d.h. er rezipiert die Fortsetzung dieser Diskussion durchaus und hat auch eine dedizierte Meinung über den nur partiellen Sinn dieser geistesgeschichtlichen Perspektive. — Zur Interpretation vgl. O. Walzel: Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit, 94; O. Pöggeler: Dichtungstheorie, bes. 135.
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2.2.2.2 Die Kritik der modernen Poesie Da Hegel seine Äußerungen zur griechischen Kunst bzw. Mythologie stets mit solchen über die moderne Poesie verknüpft, zeigt sich auch für die Bestimmung der Kunst in der Moderne das gleiche Modell der Prüfung der faktisch-historischen Gestalt der Kunst am programmatischen Entwurf des „Ideals". Hegel erwägt auch hier zunächst anhand der Idyllenkonzeption SCHILLERS, wieweit man von vergangener Vollendung der Kunst auf eine zukünftige neue Kunst schließen kann. Die arkadische Idylle begegnet ihm in Form einer Reduktion des Bewußtseins und des Lebens auf die Natur. Diese Form erwähnt er bereits im Zusammenhang des Fragments über ^as Wesen des Geistes". Die Konzeption der elysischen Idylle bzw. ihr geschichtlicher Anspruch wiederholt sich explizit in der Forderung der Romantiker nach einem neuen Epos und auch hierzu finden sich kritische Überlegungen. Der dritte Schritt endlich, die der Bestimmung der griechischen Tragödie entsprechende Frage nach der Handlungsorientierung durch die Kunst, wird nicht mehr im begrenzten Kontext der Kunst allein abgehandelt. Hegel spielt zusätzlich die Überlegung durch, ob der Tragödienkonzeption Erschließungsfunktion für die moderne, vernunftbegründete Sittlichkeit zugeschrieben werden kann. Schon in seiner Charakteristik der poetischen Anschauung der Natur bzw. der Poesie als deren realer Reflexion im Kontext der Differenzierung verschiedener Mythologien unterscheidet Hegel zwei Gestaltungsmöglichkeiten. Die Poesie erscheint entweder als Stiftung der Götter oder als JdyllenPoesie". M.a. W., die Poesie kann entweder durch Personifikation der Mächte der Natur „wahrhaffte sittliche Lebendigkeiten" (MS. 14a) hervorbingen, die im Übergang von der Naturmythologie zur geistigen Mythologie in ihre Wahrheit aufgehoben werden oder die — wie Hegel es später im gleichen Schema thematisiert — im Übergang von der symbolischen zur klassischen Kunstform ihren geschichtlichen Ort finden. In dieser Aufhebung werden jeweils die Naturgestalten zu Attributen der Sittlichkeit. Oder die Poesie enwirft Charaktere, die sich selbst auf einen Naturstatus restringieren. Dadurch wird die Poesie zur Idyllenpoesie und zwar zu einer Form, die Hegel in SCHILLERS arkadischer Idylle vorgezeichnet findet. Ein vergangener Status der Bildung des Geistes wird zum gegenwärtig relevanten und maßgeblichen stilisiert und wird zugleich, weil er die Weitsicht im ganzen reformieren soll, zum zukünftigen Status der Menschheit erhoben. Hegel findet Beispiele dafür etwa in JACOBIS Waldemar, er nennt sie aber schon weit früher mit den modernen Idyllendichtern „GELEERT, HAGEDORN, ÜTz", die die „Tugend plattgereimt" haben (Ros. 543). Die Kritik der Naturpoesie, die er in Jena anfügt, bezieht sich nicht bloß auf die lyrische Poetisierung der Natur (wie im Faust-Zitat), sondern zugleich auf den höheren Anspruch der Idyllendichtung, im Naturzustand einen
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erstrebenswerten Zustand des Menschen darzustellen, zu dem er hingeführt werden soll. In diesem Kontext erhellt sich zugleich der sachliche Kern der Kritik, daß auf diese Weise die „Tugend plattgereimt" werde. Im Entwurf eines Naturzustandes, der die Harmonie der Kräfte im Menschen wie in der ihn umgebenden Welt herstellen soll (gegen die bestehenden Verhältnisse und im abgezirkelten Bereich der gestalteten Natur wie im Waldemar), sind „die sittlichen Wesen... gleichsam (bestrebt) sich selbst niedrig genug in ihrem Genüsse zu halten". Die „sittlichen Wesen" fallen dadurch in „erniedrigende Empfindsamkeit", „in eine Beschränktheit des Lebens, die nur formal nach den beyden (Seiten) als Leben überhaupt auch in der Dürftigkeit, und als Darstellung überhaupt interessiren kann" (Ms. 13b/14a; Hervorh. v. Verf.). Erreicht der Einzelne diesen künstlich produzierten Naturzustand, dann führt das angestrebte naturgemäße Leben sowohl hinsichtlich der persönlichen Integrität als auch der Entscheidungsfähigkeit der Individuen, d.h. im Empfinden wie in der Fähigkeit zu sittlicher Bindung, zum Chaos. Die Kunst verfehlt ihr explizites Ziel, das Individuum zur vollendeten Menschheit zu erziehen. Aus diesem Grund erscheint Hegel JACOBIS Waldemar unerträglich, ebenso auch SCHLEIERMACHERS Identifikation von Kunst und Philosophie in der Lebenskunst als der praktischen Erfüllung der Philosophie. SCHLEIERMACHER will „die Kunst ohne Kunstwerk perennieren" (GW 4. 385 f) und hebt die Philosophie als mögliche Rechtfertigung des Lebens auf. JACOBIS Allwill und Woldemar thematisieren „eben diese Qual der ewigen Beschauung ihrer selbst nicht einmal in einer Tat, sondern in der noch größeren Langeweile und Kraftlosigkeit des leeren Seins" (GW 4. 384 f). Die Polemik, daß die Kunst auf diese Weise das „ganz Individuelle" als etwas Objektives setzt, die sich in Hegels Tagebuchnotizen findet (Ros. 538, vgl. 545) wird hier verschärft zur Kritik der Ästhetik: „Der Grundton ... dieser Gestalten ist dieser bewußte Mangel an Objektivität, diese an sich selbst festhängende Subjektivität; die beständige, nicht Besonnenheit, sondern Reflexion auf seine Persönlichkeit, diese ewig auf das Subjekt zurückgehende Betrachtung, welche an die Stelle sittlicher Freyheit höchste Peinlichkeit, sehnsüchtigen Egoismus und sittliche Siechheit setzt" (GW4. 382; vgl. Ästh. 1,1. 309 f; II, 1. 303). Statt der wahren Sittlichkeit erreicht man hier lediglich die durch die Kunst hochstilisierte bloß subjektive Innerlichkeit. Zwar wird ständig eine Naturangleichung dieser Subjektivität zum Zwecke ihrer Vervollkommnung gefordert, Hegel sieht diese aber als prätentiöse Vorgabe vermeintlicher Naturharmonie an. Die Subjektivität bleibt weltlos und geschichtslos. Weil und solange die subjektive Innerlichkeit sich an sich selbst oder an eine Natur als den unbegriffenen Gegensatz ihrer selbst verliert, kann durch die Kunst keine Sittlichkeit gestiftet werden. Hegel betont dagegen: „Der sittlichen Schönheit kann keine von beiden Seiten fehlen, weder ihre Lebendigkeit als Individualität, daß sie nicht dem todten Begriffe gehorcht, noch die Form des
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Begriffs und des Gesetzes, die Allgemeinheit und Objectivität" (G W 4. 381). Für Hegel steht das Ziel der Erziehung fest — Erziehung ist gelungen, wenn man den Einzelnen „zum Bürger eines wohleingerichteten Volkes" (GW 4. 469) bildet — und er leitet es aus seiner Griechenlandvorstellung her (so im Naturrechts-Aufsatz; G W 4. 449, 467 f). Eine Kunst, die den Einzelnen auf eine vergangene Form des geschichtlichen Geistes verpflichtet, auf die Naturerfahrung, kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Das romantische Genie^^ schafft kein „Werk" der Kunst, das die Handlungsorientierung einer Gemeinschaft zum Resultat hätte und damit die Konstitution einer geschichtlichen Welt leisten könnte. Es schließt sich die Frage an, ob sich nicht weitere Gestaltungsmöglichkeiten finden lassen, die über diese Form der Idylle hinausweisen. Hegel selbst nennt drei: die Wiederbelebung der miitelallerlichen Poesie, die eine Charakteristik dieser Poesie zu ihrer Zeit impliziert, die religiöse Kunst im Bereich der christlichen Religion und die neue Kunst, das neue Epos der Moderne, das die Romantiker erwarten bzw. Jconstruieren" wie SCHLEGEL in seiner Transzendentalpoesie oder SCHELLING im Dante-Aufsatz. Mit diesen Gestaltungsmöglichkeiten entwirft Hegel das gesamte Spektrum der romantischen Kunstform der Ästhetik im Bereich der Poesie. Die spätere Integra3“’Dies gilt zunächst nur für die Schellingianer, die in einer Vermischung der Ebenen die philosophische Genieperiode ausrufen (Ros. 539; vgl. 185), trifft aber auch F. Schlegels Identifizierung von Poesie und Philosophie. Hegel mokiert sich in seinen Notizen über die Poesie, die mit Ernst und unter Verwendung tiefsinniger philosophischer Kategorien Nonsens verbreitet (Ros. 542; vgl. 545). — Obwohl Hegel den Gegensatz von antiker und romantischer Kunst von F. Schlegel übernimmt (vgl. Gespräch über die Poesie. Bd 2. 333, 334; dazu K. Düsing: Idealität und Geschichtlichkeit der Kunst in Hegels Ästhetik), kritisiert er Schlegels Charakteristik der romantischen Kunst schon in diesen Überlegungen. Denn Schlegel definiert hier die „romantische Poesie" im Sinne der sentimentalischen Dichtung und wiederholt den Hegel schon aus seiner Schillerrezeption bekannten Standpunkt der Querelle. Der Gegensatz der romantischen Poesie zur antiken liegt in der Darstellung der Empfindung des Gemüts, z.B. der Liebe, auf die auch Hegel hinweist; und „die alte Poesie schließt sich durchgängig an die Mythologie an und vermeidet sogar den eigentlich historischen Stoff ... Die romantische Poesie hingegen ruht ganz auf historischem Grunde". Diesen Anspruch läßt Hegel gerade nicht gelten, sondern er zeigt, wie der vermeintlich „historische", an der Wirklichkeit orientierte Stoff der Poesie durch das Prinzip der subjektiven Innerlichkeit seine Realität und Geltung einbüßt. Auch hier zeigt sich analog zur Auseinandersetzung mit Schelling, daß Hegel zwar die Kunst, so wie sie die Romantiker verstehen und verwirklichen, aufgreift, daß er wesentliche Themen seiner eigenen philosophischen Überlegungen zur Kunst bei den Romantikern entlehnt, daß seine knappen Bemerkungen aber zugleich immer eine ümorientierung beinhalten. — G. Lukäcs (Der junge Hegel)weist auf die Kritik der Romantik hin, die Hegel in seinen Jenaer Schriften beginnt; O. Pöggeler (Hegels Kritik der Romantik. Bonn 1956) stellt diese Auseinandersetzung im Zusammenhang dar.
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tion von Malerei und Musik bringt keinen neuen Aspekt hinzu, denn Hegel kann hier auf frühere Überlegungen zurückgreifen ebenso wie auf das Schema der Realphilosophie von 1805/06. In Frankfurt hatte Hegel bereits in Erwägung gezogen, ob die „deutsche Freiheit" zum Vorbild genommen werden könne, wenn man die Überwindung der Zerrissenheit im nachrevolutionären Deutschland ins Werk setzen will. Diese Frage erörtert er nun wiederum in der für die Ästhetik spezifischen Version als Bestimmung der Kunst des Mittelalters, sofern sie eine weltliche Thematik entwickelt. Hegel charakterisiert in dem Fragment „ist nur die Form" eingangs die Kunst als Darstellung der Tat, des „lebendigen Wirkens... schöner und energischer Charaktere" (G W 6. 330). Hegel scheint durch die Anspielung auf SCHILLERS Unterscheidung von energischer und schmelzender Schönheit zwar anzuzeigen, daß das Weltverhältnis dieser Charaktere ein „objektives" ist, das Resultat des geschichtlichen Handelns ist aber auch hier kein Fortschritt, sondern bleibt schlicht aus, weil das Handeln lediglich „eine romantische Abentheurerey" genannt werden kann. Die Bedeutung dieser Charakteristik entwickelt Hegel inden Asthelikvorlesungen. Es ist die Ausführung einer großen Tat um des bloßen Handelns willen. Der Zweck der Tat ist dabei allzuoft ein bloß phantastischer Zweck. Als Beispiel wird neben dem Cid, dem Arthusmythos auch der Don Quichotte erwähnt, das in der Romantik ständig zitierte Werk, das für die ironische Welthabe steht. Aus diesem Text läßt sich zwar die spätere Ausführung des zweiten Kreises der romantischen Kunst noch nicht erschließen, doch geht Hegel hier einen Schritt über seine frühere Vermutung hinaus, in der Darstellung der alten deutschen Freiheit könne der Gegenwart ein Vorbild (im Sinne der griechischen Polis-Konstitution) durch die Kunst vor Augen gehalten werden. Der Weltvollzug der „romantischen Abentheurerey" kann — wie in der Ästhetik explizit dargelegt — mit dem Heroenzustand nicht verglichen werden. Hegel führt zwar hier noch nicht das spezifisch geschichtsphilosophische Argument des ünterschiedes von verfaßter und vorstaatlicher Gesellschaft an, das er im Kontext der Jenaer Schriften aber gleichwohl entwickelt und auch auf die Kunst anwendet. Er vergleicht aber schon jetzt die Kunst des Mittelalters strukturell mit der zeitgenössischen Kunst. Hier wie dort hat der Inhalt der Kunst selbst „keine Gegenwart", keine geschichtliche Wirkung. Die romantische Abenteuerei kann so, wie sie die bruchstückhafte Bemerkung hier charakterisiert, im Kontext der Bestimmung der Kunst für die 40 Wie wenig Hegel hier noch die Möglichkeit sieht, daß in der alten deutschen Kunst eine neue Zukunft für die Situation nach der Revolution eröffnet werden könnte, zeigen auch seine ironischen Vergleiche der griechischen Mythologie mit deren Verballhornung im Eulenspiegel. Rosenkranz referiert dies aus Hegels Wastebook; vgl. Ros. 538 f.
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Moderne durchaus als ein weiterer Fall der vergangenheitsorientierten (arkadischen) Idylle angesehen werden, weil Hegel auf die wesentliche Funktion der Kunst im geschichtlichen Handeln auch hier anspielt. Solange die Kunst ritterliche Liebe und romantische Taten schildert, kann sie nämlich durch ihre Form das Manko des fehlenden bedeutsamen Inhalts nicht ausgleichen. Dasselbe gilt aber für die religiöse Kunst, obwohl dieser ein Inhalt vorgegeben ist, den Hegel in den Jenaer Schriften als wesentlich gerechtfertigt hatte. Diese Kunst gibt in den Gestalten der Religionsstifter ebenfalls dem „Vernichten des Bewußtseyns Gegenwart" (ebd.). Im Kontext der christlichen Religion erhält ein Volk sein regligiöses Bewußtsein nicht mehr durch Kunstwerke. Die Kunst stiftet keine Gestalten, in denen das Individuum sich anschaut und zugleich als Glied einer geschichtlichen Gemeinschaft vollzieht. Das Werk „zernichtet" sich ebenso wie das Bewußtsein das Einzelnen, der sich „weltlos" auf einen leeren Begriff des Jenseits entwirft. überdies ist die religiöse Kunst durch die Verzichtbarkeit des Kunstcharakters geprägt, durch die Überflüssigkeit der Schönheit angesichts der Wahrheit. Hegel betont dies in einem Aphorismus aus der Zeit nach 1803 ebenso wie später in der Ästhetik. „Die Gottheit wird im Kunstwerk, im schlechten, wie im vorzüglichen, angebetet. Die Schauer der Gottheit, die Vernichtung des Einzelnen, durchdringen die Versammlung" (Hegel-Studien. 4 [1967], 15). Für das Griechentum — Hegel spielt hier wohl auf seine frühesten Überlegungen zu den rohen Götterbildern aus Holz und Stein an (Dok. 44) — entspringt aus dieser Verehrung der Gottheit der lebendige Vollzug der Gemeinde in Tanz, Gesang und in der Identifikation des Menschen mit dem Selbstgenuß der Gottheit (a.a.O. 16). In der christlichen Kultur wird gerade dieser Genuß der Gottheit, also das lebendige Ereignis, das dem Kunstvollzug entspringt und das Bild zum Werk werden läßt, übersprungen. Die zentrale kultische Handlung drückt den „unendlichen Schmerz" über das „Zerbrechen des Innersten", den „Tod der Gottheit" aus. Die Inhalte werden daher auch nicht mehr vollzogen wie im lebendigen Kunstwerk, sondern in einer distanzierten Anschauung. An die Stelle des gemeinsamen Handelns tritt die Kontemplation des Bildes. Analog zur Form des Werks und zu seiner Vollzugsweise hat sich auch der Inhalt der Kunst geändert. Die christliche Kunst beschäftigt sich mit dem unter ästhetischer Rücksicht problematischen Thema: den Leiden und Martern der Religionsstifter und großen Heiligen. An die Stelle der Darstellung der Harmonie des Endlichen und ünendlichen tritt die Thematisierung der Disharmonie — in ästhetischer Terminologie: die Häßlichkeit herrscht anstelle der Schönheit. Hegel geht in einem Fragment auf diesen Inhalt ein^i In diesem Fragment (von Hoffmeister „Zum Geist des Mittelalters" betitelt; G W 6. 330 f „Ist nur die Form") nennt Hegel die Gestalten der Religionsstifter und Märtyrer. Es ist hier, ebenso wie bei der früheren Erwähnung der Maria Magdalena
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und wiederholt seine Charakteristik der ]ugendschriften (Nohl. 358), daß die Maler des Mittelalters mit Pinseln malen, die ,in Nacht getaucht scheinen", in Bezug auf die Inhalte der Kunst. Die „Helden dieser Religionen" werden in Gestalten verherrlicht, in denen sich der „absolute Schmerz im Leiden und Martern auf das grellste" darstellt und die folglich statt einer „schöne(n) in sich befriedigte(n), eine aufs höchste unbefriedigte häßliche Erscheinung haben" (GW 6. 330) Im direkten Vergleich mit den „schönen Göttergestalten" der Griechen und mit deren Heroen scheint Hegel schon hier den qualitativen Mangel einer nicht-klassischen Kunst betonen zu wollen. Hegel bereitet aber keineswegs den „Klassizismus" seiner Ästhetik mit diesen Überlegungen vor, denn wo er diese Überlegungen später eindeutig auf die Werke der Malerei bezieht, betont er zugleich, daß die „ästhetische" Einstellung der genuien Funktion dieser Kunst nicht gerecht wird. Die Bilder, die ihren genuinen Ort in der Andacht der Gemeinde haben (diesen Zentralgedanken stellen die Vorlesungen zur Ästhetik durchweg der Behandlung der mittelalterlichen Malerei voran), müssen keinem ästhetischen Kriterium — der Schönheit — genügen, sondern einzig dem Kriterium, ob sie die Inhalte der christlichen Religion zureichend vermitteln, ob sie den Vollzug der religiösen Vorstellung in der Anschauung, die Andacht, hervorbringen. Hier betont Hegel überdies, daß die ästhetische Einstellung erst da ihren Ort findet, wo die Kunstwerke aus ihrem lebendigen Zusammenhang gerissen werden, nicht mehr einfachhin „funktionieren", sondern in historischer Reflexion wieder erschlossen werden müssen. Auch die Erweiterung seiner Kenntnisse etwa der religiösen Malerei des Mittelalters, die der endgültigen Fassung dieser Gedanken in der Ästhetik vorangeht, bringt also keine prinzipielle ümwertung mit sich.^^ (als Beispiel einer schönen Handlung), zwar nicht eindeutig, aber wahrscheinlich, daß Hegel zunächst poetische Grundlagen dieser Überlieferung anspricht (Heiligenlegenden, das Alte und Neue Testament). Gleichwohl werden dieselben Werke in den Ästhetikvorlesungen im Kontext der Malerei wie der Poesie (im Hinweis auf Goethe: Der Gott und die Bajadere; Hotho 1823. Ms. 136 u.a.) abgehandelt. Die Maria Magdalena z.B. wird unter Beibehaltung der Charakteristik der jugendschriften an Corregios Maria Magdalena als der einzig adäquaten Darstellung der „schönen Sünderin" exemplifiziert. Für die hier erwähnten „Religionsstifter und Märtyrer" läßt sich ein ähnlicher Wechsel der zugrundeliegenden Anschauung zeigen. ‘‘^Vgl. zur Entwicklung der Kunstkenntnis Hegels u.a. O. Pöggeler: Hegel und Heidelberg; ders.. Der Philosoph und der Maler. Hegel und Christian Xeller. Hier wird auf Hegels Kontakt zu den Brüdern Boisseree hingewiesen, deren Mittelaltersammlung und deren Kunstauffassung auf Hegel einen bleibenden und bis in die Ästhetik nachweisbaren Eindruck macht. Die „Ironie" dieser Freundschaft besteht allerdings darin, daß Hegel auf diesem Umweg die Nachfolge F. Schlegels antritt (von dessen Pariser Vorlesungen die Boisserees beeinflußt waren), den er sonst als Künstler und Kritiker auf eine außerordentlich polemische Weise ablehnt. Zur Einschät-
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Mit diesem Hinweis, den Hegel aus seiner Differenzierung der Mythologievorstellung im Griechentum gewinnt, stellt er sich nicht allein gegen F. SCHLEGELS Annahme einer Universalpoesie. Er kritisiert SCHLEGELS Konzeption sozusagen im Zuge seiner ScHiLLERauseinandersetzung mit und wendet sich gegen diese Vorstellung von der geschichtlichen Wirkung der Kunst, indem er sie dezidiert in der Form angreift, die SCHELLING im Kontext seiner philosophischen Ästhetik entwickelt: in der Forderung nach einem modernen Epos. Hegel faßt in dieser Auseinandersetzung mit SCHELLING seine Überlegungen zur griechischen Mythologie und Kunst mit denen zur christlichen Kunst und denen zum mittelalterlichen Epos zusammen. Während der gemeinsamen Tätigkeit SCHELLINGS und Hegels am Kritischen Journal entsteht SCHELLINGS Aufsatz Heber Dante in philosophischer Beziehung. SCHELLING faßt im Blick auf die christliche mittelalterliche Kunst (die Renaissance wird selbst in Hegels Ästhetik noch dem Mittelalter zugerechnet) die Forderung des Ältesten Systemprogramms neu. Er sieht in der Göttlichen Komödie das Urbild der gesamten modernen Poesie, denn DANTE hat die Forderung einer Mythologie der Vernunft auf dem Boden der christlichen Welt eingelöst. Er schafft eine Sicht der Welt „als beschlossene Totalität", da „das Individuum den ihm offenbaren Theil der Welt zu einem Ganzen bilde(t) und aus dem Stoff seiner Zeit, ihrer Geschichte und ihrer Wissenschaft sich seine Mythologie" erschafft (GW 4. 487). Zudem hat DANTE gezeigt, wie die Forderung erfüllbar ist, die unter anderem auch Hegel gegenüber KLOPSTOCK erhoben hatte: nämlich mit der neuen Mythologie sowohl die Gebildeten wie das Volk zu erreichen. Das gelingt, wenn im Entwurf des Individuums die Geschlossenheit der Kunst der alten Welt, die die „Welt der Gattung" war, wiederholt wird. Dafür müßte das „Individuum durch die höchste Eigenthümlichkeit wieder allgemeingültig, durch die vollendete Besonderheit wieder absolut" werden. Hegel würde ohne Zweifel seine Erwartungen an die Kunst der Moderne ebenso formulieren müssen, wenn er die Forderung des Systemprogramms in eine Idealvorstellung der Kunst umsetzt. Trotzdem führen seine geschichtsphilosophischen Überlegungen^^ dem Ergebnis, daß diese notzung der Bedeutung der Erweiterung der Kenntnisse für die systematische Konzeption siehe A. Gethmann-Siefert: Eine Diskussion ohne Ende: zu Hegels These vom Ende der Kunst, 230 ff. Zu Beginn des Jahres 1801 äußert auch Schiller seine Kritik an Schellings Ästhetik, daß hier nicht von der Erfahrung der Kunst ausgegangen werde. Äuch hier kann Hegel also in Schiller einen Hinweis auf die Tendenz der eigenen Schellingauseinandersetzung finden. Da auch Hegel im Kontakt zu Schiller und Goethe steht, scheint es nicht auszuschließen, daß die eigene beharrliche Weiterführung der frühen geschichtsphilosophischen Thematik auch jetzt noch in größerer Nähe zu Schiller steht. Vgl. den Brief Schiller an Goethe vom 27. März 1801 „Ich fürchte aber, daß diese
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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wendige Forderung an die Kunst weder vom geschichtlichen Phänomen eingelöst werden, noch vom Individuum, mag es auch als Genie definiert sein, in der geschichtlichen Situation vollbracht werden könne. In SCHELLINGS philosophischer Konstruktion der Historie gewinnt diese Zukunftsvorstellung Plausiblität; durch die Auseinandersetzung mit den systematischen Prämissen dieser Philosophie gewinnt Hegel aber die Gewißheit, daß dieser Forderung an die Kunst ein philosophisches Vorurteil und Mißverständnis zugrundeliegt. In der ScHELUNckritik festigt sich deshalb seine Gewißheit, daß die Kunst unter gewissen geschichtlichen Bedingungen dieser Vorstellung nicht mehr entspricht. Der Hauptgrund für die Skepsis liegt dabei in der alternativen Vorstellung des Jdeals", die Hegel aus der Religionskritik, speziell aus dem Äliesien Systemprogramm folgert. Das „Ideal" darf nicht nur Entwurf einer denkbaren Wirklichkeit sein, sondern muß zugleich die Realisation dieser „Idee" enthalten. Ohne SCHELLINGS Voraussetzung der intellektuellen Anschauung erreicht der Entwurf der Kunst der Moderne diesen Status des „Ideals" nicht; im Blick auf die realen geschichtlichen Konditionen, unter denen das neue Epos wirklich werden sollte, verliert zudem die Vorstellung von der Funktion der Kunst ihre Schlüssigkeit. Hegel ersetzt hier zunächst SCHELLINGS abstrakte Bestimmung der griechischen Poesie (als Stiftung der Welt der Gattung), die in bewußter Doppeldeutigkeit sowohl die griechische Welt wie die Kunst umschreibt, durch die konkretere seines griechischen Jdeals", der Bestimmung des Volks und der Funktion der Kunst in der griechischen Polis. Für das Individuum zeichnet sich in den bisherigen Reflexionen derselbe Argumentationsduktus ab. Sein Leben in einer spezifischen geschichtlichen Gemeinschaft kann nicht dem Herren Idealisten ihrer Ideen wegen allzu wenig Notiz von der Erfahrung nehmen". Die gleiche Kritik wiederholt Schiller in einem späteren Brief vom 20. Februar 1802; Bd 6. 261 ff; und an Rochlitz vom 16. November 1801; Bd 6. 316 f, wo Schiller sich selbstkritisch von den eigenen Spekulationen absetzt, zu denen ihn die in Jena herrschende „metaphysisch-kritische Zeitepoche" verleitet habe, die das „Bedürfnis nach den letzten Prinzipien der Kunst" zu fragen, erweckt hat. Auch Körner gegenüber spricht Schiller vom „leeren metaphysischen Geschwätz der Kunstphilosophen" (vom 10. Dezember 1804; Bd 6. 355 ff) und in einer Auseinandersetzung mit der Rezension seiner Jungfrau von Orleans zieht er explizit gegen Schelling zu Felde. Denn in der Rezension von J. A. Apel findet man „ganz frisch die Schellingsche Kunstphilosophie auf das Werk angewendet. Aber es ist dabei sehr fühlbar geworden, daß von der transzendentalen Philosophie zu dem wirklichen Faktum noch eine Brücke fehlt" (vgl. dazu: O. Famhach: Schiller und sein Kreis. Bd 2. 462-478). — Es ist gerade Hegels Intention, in den Bestimmungen der Funktion der Kunst nicht „prinzipiengeleitet" zu konstruieren, sondern stattdessen eine geschichtliche Besinnung über die Situation mit seiner früheren philosophischen (sc. programmatischen) Bestimmung der Kunst zu verknüpfen. Insofern verfolgt er Schillers Anliegen, Faktum und philosophische Bestimmung zu verknüpfen.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
des griechischen Heros gleichgesetzt werden, d.h. die „Verallgemeinerung" der individuellen Anschauung der Welt bleibt unter geänderten Bedingungen aus. Hegel bringt dadurch gegen SCHELLING den (modifizierten) Gedanken HERDERS zur Geltung, daß für die Kunst und ihre jeweilige Wirkung ein spezifisches „geistiges Klima" vorausgesetzt werden müsse. Seine weiteren Überlegungen treffen anscheinend nur die poetischen Gattungen, weil Hegel, statt das Postulat des neuen Epos der Moderne aufzunehmen auf die von DANTE gewählte poetische Gattung, die Komödie, eingeht und sie deutet. Man mag zunächst vermuten, daß Hegel mit dem Hinweis, es handele sich bei der modernen Kunst um eine „Komödie, aber eine göttliche Komödie" (GW. 6. 331), immerhin noch unterstellt, daß eine Kunst der Moderne auch als religiöse Kunst im Sinne DANTES die Auszeichnung als Kunst-„Werk" oder gar als „lebendiges Werk" verdiene. Die Interpretation der Komödie, die in der späteren Ästhetik strukturell wiederholt wird, belehrt hier aber eines besseren. Hegel bezeichnet den Prozeß der Selbstvergewisserung des modernen Individuums selbst als Komödie, entwirft also im Blick auf DANTE eine alternative Deutung des Geniebegriffs. Der Entwurf der „Totalität" einer Anschauung der Welt in der Kunst erscheint als die Komödie, „in welcher das Thun des Menschen sich selbst unmittelbar zernichtet ... sein Bewußtseyn nur ein Traum eines Bewußtseyns; sein Charakter ewig eine völlig krafftlose Vergangenheit ist" {GW 6. 331). Nicht nur das in seinem Bezug zum Gott dargestellte Individuum, auch der Zuschauer dieses Schauspiels kann „nur in Thränen zerfliessen". Eine geschichtliche Tat, eine Veränderung der Wirklichkeit wird diesem Traum eines Selbst- wie Welt-Bewußtseins nicht entspringen. Prinzipielle Gründe für diese Kritik hat Hegel schon in seinen Frankfurter Überlegungen zum Christentum an der Hand. Die „Weltlosigkeit" des christlichen Ideals sollte eigens in der Mythologie aufgehoben, nicht durch die — bei SCHELLING (wie DANTE) unterstellte — christliche Weltanschauung als Mythologie der Moderne perpetuiert werden. In der Ästhetik bestimmt Hegel die Komödie als eine der Übergangsformen der Kunst zur nächsthöheren bzw. historisch folgenden, weil sie die Diskrepanz von intendiertem Inhalt und Form thematisiert, die Zwecke der Individuen und ihre Handlungen, die zur Korruption der Zwecke führen müssen. Dies gilt auch für die „göttliche Komödie". Der Entwurf der geschichtlichen Welt in der Kunst führt zur Aufhebung der geschichtlichen Realität bzw. zur Reduktion ihrer Realität auf die Innerlichkeit. Das Epos der Moderne hätte die Funktion der Kunst aus der alten Welt in
die moderne zu übertragen, und es hätte zudem die Aufgabe, eine „zerrissene“ Welt erneut zur harmonischen zu gestalten. Hegel könnte diese Defin-
ition des Ideals als seine eigene übernehmen, hätte er nicht in geschichtsphilosophischen Überlegungen die grundlegende Funktion: die Stiftung einer neuen Mythologie, einer allen gemeinsamen, handlungsorientierenden Mythologie der Vernunft infragegestellt. DANTES Poesie gilt (in ihrer Art und zu
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ihrer Zeit) als vollendet — soweit stimmt Hegel mit SCHELLING überein. Der Entwurf einer neuen Mythologie im Sinne der Göttlichen Komödie, die Synthese des geschichtlichen Wissens und der christlichen Vorstellung vom Absoluten durch die Kunst, muß allerdings unter den Bedingungen der Gegenwart scheitern. Eine erreichbare neue Mythologie läge in der Vorstellung der geschichtlichen Gestalten der Religionsstifter und Heiligen (GW 4. 492), deren Weltlosigkeit, Jenseitigkeit das individuelle Bewußtsein allerdings „vernichtet" (GW 6. 331). Das Verhältnis des Individuums zu seinem Gott führt deshalb nicht zur neuen Mythologie, die durch die Kunst allgemein rezipiert würde. Die Differenzierung im Mythologiebegriff führt Hegel im Zuge der Jenaer Überlegungen sogar dazu, die Kunst der Antike unter den Bedingungen der verfaßten Gesellschaft, der Polis, anders einzuschätzen als unter denen der Welt des Epos. Die Kunst kann grundsätzlich nicht als die höchste Weise der Vergewisserung des Menschen über sich seihst und seine Welt gelten. Auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit SCHELLINGS Konstruktion der Notwendigkeit des neuen Epos der Moderne gewinnen Hegels in ihrer Kürze rätselhafte und schwer deutbare Bemerkungen zur Kunst in den Jenaer Schriften einen präzise formulierbaren Sinn. Sie enthalten die Summe der Gründe, aus denen Hegel abstreiten muß, daß die Kunst ihre geschichtliche Funktion, die sich im Blick auf die Antike ermitteln ließ, unter den Bedingungen des Vernunftzeitalters wiederholen kann. SCHELLING konstruiert die Bedeutung der Kunst für die Wahrheitserfahrung überhaupt und damit die Notwendigkeit, daß ein neues Epos entsteht, weil die Kunst de facto ihrem Begriff nicht entspricht. Hegel sieht demgegenüber, daß auch das neue Epos strukturell ungeeignet wäre, die Funktion der Kunst in der Antike zu wiederholen.
2.2.2.3 Kunst als Modell der Geschichte? Zur „Tragödie im Sittlichen" Ohne Zweifel ist SCHELLING Hegels direkter Diskussionspartner in Jena, aber Hegel greift in dieser Auseinandersetzung auch auf die Position des Ältesten Systemprogramms zurück. Vor allem geht es um die Aktualisierung der Gedanken HERDERS durch SCHILLER und im Anschluß an SCHILLER durch F. SCHLEGEL.SCHLEGEL hatte, ebenso wie Hegel im Systemprogramm, die Poesie Zur Interpretation vgl. £. Behler: Friedrich Schlegel und Hegel. In; Hegel-Studien. 2 (1963), 203 ff; C. ]amme: Platon, Hegel und der Mythos. In: Hegel-Studien. 15 (i960), 151 ff. Jamme weist darauf hin, daß auch die Platon-Renaissance durch Schlegel geprägt ist. Während Schlegel Platons Philosophie als Poesie würdigt, wird Hegel aber den Unterschied von griechischer Mythologie und Philosophie geltend machen und beides separat diskutieren. Von den Schriften Schlegels sind hier vor
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zur Lehrerin der Völker und zum Quell aller Bildung erhoben und er konstruiert — historisch konkreter als SCHELLING — ein Konzept der Poesie, dessen Leistungssinn Hegel im Systemgedanken der Jenaer Zeit für die Philosophie reklamiert. Wenn Hegel sich gegen die Möglichkeit eines neuen Epos wendet, weil er von einem historisch differenzierteren Mythologieverständnis ausgeht, dann könnte immmerhin SCHLEGELS „Transzendentalpoesie" so gefaßt werden, daß eine andere Form der Kunst, der Poesie gesucht werden muß, die diese Funktion erfüllt. Eine Äußerung in der Ästhetik zum fflMsf als der absoluten philosophischen Tragödie möchte zugleich die Richtung andeuten, in der weitergefragt wird. Es bleibt also die Möglichkeit zu prüfen, ob die höchste Form der Kunst im Griechentum, die Tragödie, zum „Ideal" der modernen Kunst erhoben werden kann. Folgt man einer These D. HENRICHS , daß die wesentliche Einsicht der Ästhetik darin bestehe, den „Humanus" zum neuen Heiligen der Kunst zu erheben, dann könnte auch dies zu der Vermutung motivieren, daß Hegels Ablehnung der Möglichkeit einer christlichen Kunst schon im Zuge der ScHELLiNckritik auf diese scheinbar „systemsprengende" Einsicht seiner späteren Vorlesung hinausläuft. Gegen diese Annahme sprechen mehrere Gründe. Zunächst entwickelt Hegel eine Bestimmung der Sittlichkeit, die auf dem Unterschied von griechischer, substantieller Sittlichkeit und moderner Autonomie basiert. Auf dieser Basis wird die Unterscheidung zwischen Epos und Tragödie möglich, die Hegel dazu führt, die Möglichkeit eines neuen Epos abzulehnen. Zugleich ist diese geschichtsphilosophische Fragestellung aber der Ursprung der Polemik gegen SCHLEGEL und die Romantik, so wie sie die Ästhetik enthält. Denn hier wird gezeigt, daß die Bestrebungen, einer „transzendentalen Poesie" die Rolle der wissenschaftlichen Philosophie zuzuordnen, sich in den dichterischen Versuchen der Romantiker ad absurdum führen. Die Schärfe dieser Polemik gegen die Dichtung und die in ihr realisierten programmatischen Überlegungen begründet Hegel in seinen Vorlesungen immer durch den Hinweis auf die Diskrepanz von theoretischer Einsicht und praktischer Verwirklichung, also durch das Verfehlen eines „Ideals" im Vollsinn.‘‘s Die häufig zitierte Wendung von der „absoluten philosophischen Tragödie", die Hegel ausgerechnet in dem von der Spätromantik erwarteten neuen deutschen Epos allem zu nennen: F. Schlegel: Die Griechen und Römer. Historische und kritische Versuche über das klassische Altertum. Bd 1. Neustrelitz 1797 (bes. 22, 225 f); Geschichte der Poesie der Griechen und Römer. Bd 1. Abt. 1 Berlin 1798. 80 ff; wo die Mythologie des Homer auf die Philosophie bezogen wird; Gespräch über die Poesie. In: Athenäum. Bd 3. St. 1. Berlin 1800; Über das Studium der griechischen Poesie. 1795; vgl. dazu Hegels Bemerkung in der Differenz-Schrift (GW 4. 12). ■*5 Das Folgende wird differenziert dargestellt in:^!. Gethmann-Siefert/B. Stemmrich-Köhler: Faust: die „absolute philosophische Tragödie“ und die „gesellschaftliche Artigkeit“ des Divan.
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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gesehen haben soll, hat ihre eigene Schwierigkeit. Es läßt sich nämlich mit Sicherheit ausschließen, daß Hegel diese Wendung in den Vorlesungen gebraucht hat und es läßt sich mit einigen guten Gründen die Vermutung stützen, daß sie auf HOTHO zurückgeht. Daher bleibt die Bestätigung der Deutung aus, die man im späteren Gebrauch des gleichen Gedankens in der Ästhetik finden möchte. Ähnliches zeigt sich bei der These HENRICHS. Zumindest zweierlei spricht gegen die Annahme, daß in der Ästhetik Hegels der Wechsel vom religiösen zum menschlichen Inhalt in analoger Weise zur Auflösung der Metaphysik der Kunst führe wie bei dem Hegelianer F. TH. ViscHER. Erstens findet sich die These vom „Humanus" als dem neuen Heiligen der Kunst bereits in der Tradition, auf die Hegel in seinen religionskritischen Schriften anspielt, und sie wird dort, d.h. im programmatischen Entwurf der geschichtlichen Funktion der Kunst, zum Leitfaden.^* Im Kontext der Systementwicklung in Jena hat Hegel zweitens hinreichend Gelegenheit — und er nimmt sie wahr — sich mit dieser These erneut auseinanderzusetzen. An der Charakteristik der christlichen Kunst, an der Ablehnung der Hoffnung auf ein modernes Epos und ebenso in der Einschätzung der Idyllenpoesie zeigt sich auf je verschiedene Weise, daß das systematische Argument sich an der geschichtlichen Betrachtung des Phänomens bestätigt, nicht widerlegt. Hegel zieht dafür gleichsam einen letzten Prüfstein heran, er hebt das Modell der Kunsterfahrung als ganzer zum Modell der Geschichtserfahrung, d.h. er fragt — ästhetikimmanent formuliert — nach der Möglichkeit, die Geschichtskonstitution analog zur Tragödie bzw. zu ihrer modernen Form zu konzipieren. Sollte die Annahme der „utopischen Funktion" des Griechentums und damit der Kunst trotz der Möglichkeit des systematischen Philosophierens ihre Bedeutung behalten und im Kontext der erneuten historisch-differenGOETHES
Henrichs Vermutung, daß Hegel, ähnlich wie Vischer in der Revision seiner metaphysischen Ästhetik in den Kritischen Gängen, durch diesen „modernen" Inhalt der Kunst die Möglichkeit sieht, daß die Kunst wieder ein „Werk" nach dem Vorbild der poliskonstituierenden Göttergestalt der Griechen zustandebringen möchte, läßt sich durch Hegels Einschätzung der Künste der romantischen Kunstform widerlegen. Hegel behält die geschichtsphilosophische Konstruktion der Enzyklopädie bei, die den Vergangenheitscharakter der Kunst noch dadurch radikalisiert, daß auch ihr genuiner Inhalt über die Kunst hinaus eine adäquatere geschichtliche Vermittlung findet und daß der Ausweg in einen neuen Inhalt den Werkcharakter der Kunst endgültig paralysiert; vgl. D. Henrich: Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart, 11 ff; Zur Aktualität von Hegels Ästhetik; zur Herkunft des „Humanus"-Zitats siehe: O. Päggeler: Dichtungstheorie, 118. In Auseinandersetzung mit D. Henrich hat M. Donougho in einer Reflexion zu diesem Vers den Sinn der Berufung auf diese neue Form der „Weltanschauung" dargestellt. Auch die Dissertation Donoughos bestimmt die Philosophie der Kunst so, daß die Kunst durch ihren Inhalt auf Weltanschauung verpflichtet ist; Hegel-Studien. 17 (1982), 214 ff.
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zierteren Analyse der Kunst beibehalten werden, dann gelingt das nur in einer Kunst, die der Poesie zugehört (als der reflexivsten Form der Kunst) und die die Thematisierungsmöglichkeit wie den geschichtlichen Ort des Epos überschreitet. Hegel wiederholt seine Bestimmung des Griechentums und der Kunst im „Ideal" der schönen Religion deshalb in der Frage nach der Begründung der modernen Sittlichkeit dadurch, daß er die Kunst als Modell der Geschichte nochmals experimentierend testet. Hier fällt die entscheidende Antwort, die sowohl in Jena wie später in der Ästhetik die systematische Gestalt der Kunst wie die inhaltliche Darstellung prädestiniert. Zunächst wird in der Tat der „Humanus", wird seine Vollendung zum Inhalt der Kunst wie der Geschichtsbetrachtung. Gerade daran zeigt sich aber, daß der Wechsel von den vorurteilsbelasteten Inhalten der Kunst, den Religionen, zur Frage nach dem Vernunftinhalt, der Sittlichkeit, keine Änderung der Einschätzung mit sich bringt. Hegel greift in seiner Interpretation der Tragödie explizit die Frage nach der Tragfähigkeit der sittlichen Orientierung auf, die durch die Kunst vermittelt wird. Die griechische Tragödie erhellt sich in ihrer geschichtlichen Funktion durch diese philosophische Infragestellung, d.h. sie gibt ein getreues Bild der lebendigen Sittlichkeit eines Volkes. Deshalb — nicht weil sie das Schönste, sondern weil sie das Höchste vollbringt, was Kunst geschichtlich zu leisten vermag — schätzt Hegel die griechische Tragödie und vergleicht noch in der Asf/irfiF jeweils die modernen Dramen mit ihrem antiken Vorbild . Durch die historische Relativierung der Wirkung und Bedeutung der Tragödie auf die griechische Kultur führt aber auch der Vergleich von antiker Tragödie und modernem Drama nicht dazu, daß im modernen Drama die „elysische Idylle" realisierbar wird. An SCHILLER kritisier t Hegel schon in diesem Kontext die Versuche, das moderne Drama an antike Formen anzugleichen, z.B. solche Stilelemente wie den Chor zu verwenden. Überdies hatte er bereits im Zusammenhang seiner Überlegungen zum Geist des Christentums und zum Geist des Judentums in Frankfurt eine Charakteristik der geschichtlichen Bedeutung der Tragödie entwickelt. Weil in diesen Religionen die Situation des modernen Individuums vorweggenommen wird, die Hegel am Macbeth demonstriert, bringt die Kultur, die auf einer solchen Religion gründet, kein großes Trauerspiel mehr hervor. Die Begründung dieser Bedeutung entwickelt Hegel im System der Sittlichkeit und im Natur recht s-Aufsatz durch die Einsicht, daß die Konstitution der Sittlichkeit im modernen Staat^^ weder die griechische Sittlichkeit wie^^Für die Frage nach der Funktion der Kunst in der Moderne liefert Hegels Bestimmung des modernen Staates eine wichtige Voraussetzung. Vgl. hierzu die Untersuchung von S. Skaiweit: Der „moderne Staat". Ein historischer Begriff und seine Problematik. Skaiweit weist in seiner begriffsgeschichtlichen Analyse des mittelalterlichen Begriffs „modernus" im Sinne von „derzeitig" auf den Wandel dieser zunächst
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derholen, noch den gegebenen Status moderner Sittlichkeit, den BourgeoisEgoismus zerspaltener Stände im Staat, zur Norm erheben kann. Zwar wird in der lebendigen Sittlichkeit eines Volkes der Gegensatz von Moralität und Legalität aufgehoben (vgl. GW 4. 470 f), aber die Mythologie, die dies ermöglicht, nämlich der griechische Schicksalsglaube, kann nicht als Begründung des gleichen Prozesses im modernen Staat herangezogen werden. In der Schicksalsgebundenheit der Griechen realisiert sich zwar ein Moment der Idee der Freiheit, nämlich die Objektivität der Freiheit, nicht aber die Autonomie- und Begründungsforderung der Moderne. Die Selbstrealisation des Einzelnen in der Gemeinschaft gelingt in der griechischen Kultur, weil hier ein funktionierendes Gemeinwesen vorausgesetzt ist, dessen Institutionen als Regelungen, Fügungen des individuellen Schicksals vom Individuum übernommen werden. In der Moderne muß dieses funktionierende Gemeinwesen hergestellt werden, es müßte dazu als Synthese der konfligierenden Egoismen von Individuen und Gruppen (Stände im Staat) aber eigens gerechtfertigt werden. Auf diese Weise stellt sich nur durch die Philosophie die absolute Sittlichkeit her.-*® rein zeitlichen Bedeutung im Kontext der Querelle hin. Schiller verwendet den Begriff im Sinne einer .^zunehmenden Entfernung der,modernen gemeinen Welt'... von der Simplizität der Alten" (12). Im Zusammenhang einer Typologie der Staatsformenverwenden Hegel (in der Verfassungs-Schrifi) und Fichte (im Geschlossenen Handelsstaat) den Begriff des „modernen Staates". Hegel vergleicht die modernen Staaten Preußen und das Frankreich nach der Revolution als Versionen der „Denaturierung moderner Staaten zur bloßen Verwaltungsapparatur" (15). Die Möglichkeit eines gelungenen Staates gibt nun nicht mehr die griechische Republik vor, sondern eine philosophisch begründete Form des Staates. Damit wird auch die Möglichkeit der Kunst im Staate, d.h. ihre staatsstiftende Funktion, nicht im Sinne der griechischen Polis wiederholbar. Die Einschränkung der modernen Staaten lassen sich nur durch den Begriff, nicht durch eine vergangene Form (die antike Republik) aufheben. — In der späteren Entwicklung dieses Begriffs setzt Burckhardt den „Staat als Kunstwerk" an, d.h. der moderne Staat seit der Renaissance wird im Sinne der funktionierenden Maschine beschrieben (vgl. bes. 21 f). “^ZuT Bestimmung der Sittlichkeit vgl. Geschichte der Phil. Bd 1. 72, 93; Hegels Vorlesungen über Rechtsphilosophie. Hrsg, von K. H. Ilting. Bd 3. 476 f. Zur Interpretation LZ. Rameil: Sittliches Sein und Subjektivität, 158 f. G. Lukäcs weist auf die Konsequenzen der Entwicklung des Begriffs der Sittlichkeit für die Bestimmung der Kunst am griechischen Vorbild hin. Da Lukäcs als einer der wenigen Interpreten (bei den marxistischen als der einzige) das „Ideal" der Jugendschriften als utopisches Geschichtsmodell interpretiert, sieht er auch die Folgen für die Ästhetik; Der junge Hegel. 627. — O. Pöggeler weist in seinem Aufsatz Hegel und die griechische Tdarauf hin, daß Hegel die Entgegensetzung der Privategoismen im modernen Staat analog zu den konfligierenden Mächten konzipiert, die im Griechentum die verschiedenen Sphären der Sittlichkeit regieren. Dafür spricht Hegels Charakteristik der Ethik als „Naturbeschreibung der Tugenden" (G W 4. 469), die sich
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Die Unvereinbarkeit von substantieller Sittlichkeit und subjektiver Freiheit, die Hegel hier de facto bestenfalls als Moralität des Individuums und Gruppenegoismus des Bourgeois definieren kann, begründet die Differenz von Antike und Moderne. In der philosophischen, also begriffenen Wiederherstellung der lebendigen Sittlichkeit unter den geänderten Bedingungen, in der Explikation des Begriffs der „absoluten Sittlichkeit", greift er dennoch auf das alte Modell zurück. Das heißt, er erörtert seine Konzeption der Einheit von Kunstwerk und Staatswerk, die sich in den an SCHILLER orientierten Frankfurter Überlegungen findet, noch einmal unter der Voraussetzung, daß die Philosophie die Strukturidentität von geschichtlicher Realisation des Kunstwerks und des Staatswerks legitimiert. Dabei erörtert Hegel auch das Problem, das seine frühen Überlegungen noch offen lassen mußten, nämlich die Vereinbarkeit von Tugend und Glückseligkeit, Legalität und Moralität. Weder die Legalität noch die Moralität kann als wahrhaft sittlich bezeichnet werden. Beide bleiben „gleich positiv" (G W 4. 442), die Legalität weil sie bloß formell und äußerlich gesichert, die Moralität, weil sie bloß individuell ergriffene Freiheit ist. Das „System von Eigentum und Recht", also die faktische Gesellschaftsform (G W 4. 457), hebt die Freiheit überhaupt auf. Wollte man also mit SCHILLER annehmen, daß der unendliche Progreß der Reflexionskultur zu einer Versöhnung führe, dann erreichte man faktisch nur, daß die antagonistischen Stände im Griechentum, die Freien und ünfreien, in der Moderne auf den Stand der Unfreien zusammengeschmolzen würden. Erst die philosophisch gesicherte „absolute Sittlichkeit" kann zu einer neuen Konzeption des Staates führen und hebt dadurch auch die "Glückseligkeitslehre" in sich auf (GW 4. 431). Dieser Rückgriff auf seine Frankfurter Überlegungen motiviert Hegel dazu, das „Ideal" des Jünglingsalters als Prozeß der Entwicklung der Kunst in der Geschichte — nun der Geschichte der Sittlichkeit — zu rekonstruieren. Der Fortschritt von der substantiellen Sittlichkeit der Griechen über die Automonie des modernen Individuums zur lebendigen Sittlichkeit erscheint als Ablösungsprozeß der Tragödie im Sittlichen durch die Komödie und als Fortschritt zu jener Tragödie im Sittlichen, die für die „hohe Idee der absoluten Sittlichkeit auch die schönste Gestalt erkennen" kann (GW 4. 484).
in besonderen lebenden Gestalten realisieren. Auch hier wirft Hegel das Problem auf, daß für das Zusammenspiel solcher Einzelentwürfe in einem Gemeinwesen der funktionierende Staat, die lebendige Sittlichkeit, die Voraussetzung bildet. (GW 4. 479). Die philosophische Bestimmung der „absoluten Sittlichkeit" übernimmt deshalb in der Tat die Funktion von Kunst und Religion im Griechentum. Bezeichnend dafür ist auch, daß Hegel seine Jenaer Unterscheidung zwischen Natur- und geistiger Mythologie in der Heidelberger Rechtsphilosophievorlesung zum Prinzip verschiedener Staatsformen erhebt {Wannenmann. 1817, § 135).
2.2 Die Entwicklung des philosophischen Systems
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Die Tragödie im Sittlichen kennzeichnet den Naturstatus der griechischen Sittlichkeit und kann deshalb in der Gegenwart nicht wiederholt werden. SCHILLERS Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung wird hier zur Charakteristik zweier Lebensformen des Individuums in verschiedenen Kulturen umgeformt. Umgekehrt verwendet Hegel in den Vorlesungen zur Ästhetik dann dieselben Argumente für den begrifflich notwendigen „Hervorgang" der Komödie aus der Tragödie. Die Struktur der Komödie spiegelt also die bürgerliche Welt und umgekehrt; die Herrschaft des Schicksals ist zwar aufgehoben, aber die beiden Versionen des Realitätsbezuges „ohne Schicksal", die hier in der Kunst noch möglich sind, verfehlen je auf ihre Weise die Wirklichkeit. Die erste Weise dieses Realitätsbezugs findet Hegel wiederum in der Kunst und Lebensform (im Epos) des Mittelalters bis hin zu DANTE; in der alten „göttlichen Komödie". Hier soll durch „Schattenbilder von Gegensätzen und Scherzen von Kämpfen" in beliebiger historischer Situation das „Schicksal" eines Individuums willkürlich erzeugt werden. Hegel bezieht sich in der Charakteristik dieser Komödie dem Titel nach auf DANTE, zugleich aber auf seine vorherigen Bemerkungen zur alten deutschen Kunst und zum Ritterepos, das er allerdings in der ironischen Brechung des Don Quichotte analysiert. Beide „Komödien" legen die Antagonismen der Realität so aus, daß sie im Blick auf ein „Jenseits" nichtig, vernichtet, werden, sei es das Jenseits der Religion oder der subjektiven Phantasie. Als zweite Version der Komödie sieht Hegel in diesem Zusammenhang das moderne Drama an. Es stellt in der Konzentration auf die abstrakte Innerlichkeit nur „Schattenbilder von Selbständigkeit und von Absolutheit" (G W 4. 459) dar. Die bestmögliche Wirkung dieser Komödie charakterisiert Hegel in der Phänomenologie an der schönen Seele und am „harten Herzen". Beide Versionen der Komödie veranschaulichen ein Handeln, das an der geschichtlichen Situation vorbeigeht (vgl. GW 4. 460). Das Freiheitsbewußtsein der handelnden Personen löst sich im Vollzug des Handelns selbst auf. Erschien im Griechentum das „Schicksal" als Lösung des Konflikts im Sittlichen, so wird es nun zur „Ironie". Im Scheitern des Individuums zeigt sich keine Versöhnung, sondern die Perpetuierung des Konflikts, weil der Ausgang der Komödie das Resultat eines expliziten Widerstreits zwischen Effekt und Intention darstellt. Hegel stellt dies nicht als Versagen oder Unvermögen des Individuums heraus, sondern als ein geschichtliches Verhängis, als eine Konstellation, die nicht nur zur Definition des Individuums in der Kunst, sondern auch des Individuums im Staat taugt. Im Handeln der modernen Helden wird der „naturhafte Bestand" der sittlichen Organisation nicht grundsätzlich aufgehoben, die „Schönheit" der sittlichen Organisation bleibt erhalten. Die großen Individuen der Moderne bleiben Epiphänomene des Naturzusammenhangs, ihr Werk scheitert, weil sein Gelingen die untergegangene Welt der Griechen voraussetzt und weil damit an der eigenen Situation vorbei gehandelt wird.
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Auch in der modernen Komödie spielt so „nicht die bewußte absolute sittliche Natur", sondern der sittliche Trieb. Dieser verwandelt aber das Bestehende in die „formale und negative Absolutheit des Rechts" (GW 4. 461); das heißt, daß die neueren „Systeme der Sittlichkeit" die Einzelheiten zum Prinzip erheben (G W 4. 467) und darum als Realisation der Freiheit aller scheitern. Die Strukturgleichheit origineller Werke der Bildung in Kunst und Staat muß deshalb auf ein „bloß inslinkihafies“ Arbeiten des Geistes zurückgeführt werden, eine Form des Bewußtseins, die nicht durch geschichtliches Selbstbewußtsein hervorgebracht oder gekennzeichnet ist. In der Phänomenologie führt Hegel diese Charakteristik als endgültige Bestimmung der Kunst an und als endgültige Festlegung darauf, daß ihr Stellenwert in der Moderne nur von eingeschränkter, partialer Bedeutung sein kann. In den vorangehenden Überlegungen verdeutlicht Hegel diese Bestimmung des Werks allerdings an Beispielen, die sowohl die Kunst wie das Staatswerk als Werk der Bildung treffen. Deutschland ist kein Staat, sondern nur die leere Anschauung eines Staates (vgl. Ros. 542). Der Zusammenschluß der Privategoismen, der Bürgerbehäbigkeit zum Staat ereignet sich allein unter dem Druck äußerer Ereignisse. Hegel umschreibt das Gemeinte in einem Aphorismus einigermaßen drastisch aber treffend: „Originelle... Werke in der Bildung gleichen einer Bombe, die in eine faule Stadt fällt, worin Alles beim Bierkrug sitzt und höchst weise ist und nicht fühlt, daß ihr plattes Wohlsein eben das Krachen des Donners herbeigeführt" (Ros. 545, eine analoge Beschreibung des Gedichtsfortschritts findet sich im Naturrechts-Aufsatz; GW 4. 484). Das „Volk", das hier das Werk hervorbringt, ist sich seiner Wirkung so wenig bewußt, daß sie ihm als Naturereignis erscheint, nicht als Resultat des eigenen Handelns. Dasselbe geschieht unter dem Druck von außen. Man verteidigt die Lebens- und Gemeinschaftsprinzipien ohne Einsicht und Rechtfertigung. Auf diese Weise kann das nur „instinkthafte" Arbeiten des Geistes zwar zur faktischen Hervorbringung der Sittlichkeit des Volkes, zu einer Änderung der Geschichte führen, aber deren „Vernunftgemäßheit" nicht gewährleisten. Hegel wiederholt die Konsequenzen dieser Analyse des Inhalts von Kunstwie Staatswerk im Blick auf das Individuum. Der Geschichtsprozeß spiegelt sich nämlich in den Handlungen, die ihn als Resultat hervorbringen. Auch hier steht der Vergleich zwischen Griechentum und Moderne dafür ein, daß es um die Frage der Wiederholbarkeit des „Ideals" der schönen Religion, um die Einlösung des Anspruchs geht, die Möglichkeiten geschichtlichen Fortschritts zu begründen und zu verwirklichen. Im Kontext der modernen Situation, deren Strukturprinzip die „Komödie" angibt, wird das „große Individuum", das ein Werk im definierten Sinn der Vollendung eines geschichtlichen Wollens aller vollbringt, zur „göttlichen Monstruosität" (GW 4. 460). Wiederum setzt Hegel die Identität von Kunst und Staat voraus, um zu prüfen, wieweit diese Voraussetzung den Menschen in die Lage versetzt.
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eine bessere Zukunft heraufzuführen. Die strukturelle Identität von Kunstwerk und Staatswerk wird als Identität der Handlungsmöglichkeit des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft und der Darstellungsmöglichkeit der Kunst gedeutet. Aufgrund der Einsicht, daß die Institutionen des modernen Staates die lebendige Sittlichkeit nicht gewährleisten können, bleiben zwei Reaktionen des Individuums offen. Die erste Reaktion wäre der bewußte Rückzug auf ein Ideal, das seine Freiheitsqualität durch die Negation der realen Verhältnisse erlangt. Diese Lösung sieht Hegel beispielsweise noch im Systemfragment von 1800 vor. Er hatte die optimale Möglichkeit solchen geschichtlichen Handelns an der Gestalt der Tugendlehrer exemplifiziert, war hier aber aufgrund der „Weltlosigkeit" des Ideals zu dem Schluß genötigt, daß solches Handeln an der Realität vorbeigeht. Der Tugendlehrer (die „schöne Gestalt" überhaupt) könnte nur unter den Bedingungen der Polis die Moralität in Sittlichkeit umwandeln. Beide sie wirken nur getragen von einer naturhaften Sittlichkeit, ihre Genialität kann nur aufgrund einer strukturellen Widersprüchlichkeit im Handeln aufrechterhalten werden. Im großen Individuum der Moderne, im genialen Künstler oder Staatenlenker, kann sich die griechische, in den Naturzusammenhalt der Sittlichkeit integrierte Weise der „Reflexion" (sc. der ins Bewußtsein zurücksinkenden Selbstbewußtheit) nicht wiederholen. Das Genie der Moderne kann eine geschichtliche Wendung im Sinne der Aufhebung der Antagonismen von Privatinteressen und Allgemeinwillen nicht bewerkstelligen. Die zweite Reaktion bestimmt Hegel im Sinne von SCHILLERS Definition des tragisch-Erhabenen als das Durchhalten der Moralität im Scheitern. Die Übermacht der Verhältnisse liegt allerdings nicht mehr in der Naturgewalt, sondern in der Kultur selbst. Der Einzelne kämpft gegen die bestehenden sittlichen Verhältnisse, gegen die alten, für die Autonomie unzureichenden „Formen des Weltgeistes". Im Blick auf die Geschichte erweist sich ein solcher Kampf des Einzelnen gegen die Sitte als notwendig, das Individuum wird daher aber zugleich zum Verbrecher. Sittlichkeit wird daher nicht durch die Verfaßtheit der Gemeinschaft getragen und erzeugt, wie in der Polis, sondern realisiert sich als die Moralität des Einzelnen. So notwendig es ist, daß diese Moralität zur Tugend werde, daß sich die absolute Sittlichkeit in „eigenen lebenden Gestalten" realisiere und nicht bloßes philosophisches Konstrukt bleibe (G W 4. 469), so eingeschränkt ist diese Möglichkeit in der Moderne. Dem Individuum bleibt nur die Möglichkeit, sich — soll seine Tat als ein Werk im umfassenden Sinn gelten — gegen die Verhältnisse zu stellen. Hegel führt die Beispiele dafür gleichermaßen aus der Kunst wie aus der bürgerlichen Gesellschaft, dem System der Privategoismen, an (s.o. Anm. 47). Das Genie — sei es der Künstler, sei es das „große Individuum", das über das Schicksal eines ganzen Staates entscheiden will — kann die Isolation, die Beschränkung auf das individuelle Vernunft- und Freiheitsstreben, nicht
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überschreiten. Es bleibt als modernes Individuum auf die „Sittlichkeit des bourgeois oder des Privatmenschen" fixiert, „für welche die Differenz der Verhältnisse fest ist" (GW A. 468). Seine Sittlichkeit kann sich nur in Abhängigkeit von jeweils eingeschränkten gesellschaftlichen Sphären verwirklichen, oder als Moralität des Einzelnen gegen alle Sitte aufgefahren werden. Für beide Fälle findet Hegel Beispiele in SCHILLERS Dichtung, im Wallenstein das „große Individuum", das an den Bedingungen scheitert, oder in den Räubern, das Individuum, das seine Freiheit gegen jegliche Gesellschaftsordnung stellt. Für beide gilt gleichermaßen: sie sind als Individuen der Moderne jeweils Erscheinungsweisen des Bourgeois. Unter extremen Bedingungen dargestellt, wie z.B. der Situation des Krieges, erscheint ihre Handlungsweise als berechtigt, denn im Krieg ist die Negation aller bestehenden Verhältnisse durch alle die Grundbedingung des geschichtlichen Handelns. Aber im Konflikt der Völkerindividuen wiederholt sich das aporetische Verhältnis von Individuum und verfaßter Gesellschaft, daß nämlich bestimmte sittliche Orientierungen ohne nachweisliche Berechtigung durch andere zerstört werden (vgl. G W 4. 450 f). Für Hegel ist es bezeichnend, daß die modernen Dramen ihre „Helden" gern in der Situation des Krieges darstellen, denn dies ist die einzige Situation, wo die festen Verhältnisse so weit in Fluß geraten sind, daß das Handeln eines Einzelnen überhaupt durchdringen kann. Dennoch setzt sich auch hier der Einzelne gegen die Allgemeinheit ins Unrecht, wenn er den allgemeinen Willen mit seinem inneren Gesetz identifiziert. Das große Individuum der Moderne wird durch das Handeln zum Verbrecher, nicht wie der griechische Heros zum Staatenstifter oder -lenker.'*“’ Die Tugend, die Sittlichkeit des Individuums, ist nur durch einen moralischen Akt wiederherzustellen, der das Individuum der bestehenden Gemeinschaft wieder eingliedert: durch die freie Übernahme der Strafe. Dadurch wird die Anmaßung des Genies zurückgenommen (vgl. schon Ros. 189, Nohl. 260: zu Macbeth; 280). Es unterwirft sich dem „Schicksal" in einer autonomen Entscheidung. Grundsätzlich muß also auch hier — anachronistisch — die Unterwerfung unter ein Schicksal gefordert werden, denn als solches erscheint die Einbettung des Individuums in seine Gemeinschaft und seine Unterwerfung unter ihre Ordnung. In der bürgerlichen Gesellschaft wird nämlich nicht die vernünftige Sittlichkeit realisiert, sondern immer noch ein Naturstatus der Sittlichkeit. Deshalb führt paradoxerweise der moderne Weg zur Tugend beim weltgeschichtlich handelnden Individuum ebenso zum Untergang des Individuums wie die Herrschaft des gottverhängten Schicksals bei den Griechen. Das moderne Genie, das als Bourgeois leben L. Siep analysiert in seinem Aufsatz zum Freiheitsbegriff der Jenaer Schriften diese Diskrepanz von moderner Freiheit als Autonomie des Individuums und dem am Beispiel der Antike gewonnenen Modell der Sittlichkeit eines Volkes. Zum Freiheitsbegriff der praktischen Philosophie Hegels in Jena, 217 ff.
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muß, scheitert an der strukturellen Widersprüchlichkeit von legitimer Handlungsorientierung und Unmöglichkeit der Durchführung. Sein Schicksal kann nicht als freie sittliche Tat gelten, sondern ist das der Intention zwangsläufig widersprechende Resultat einer solchen Handlung. Deshalb bleibt das große Individuum auch da, wo es in die Geschichte eingreifen, sich auf die Welt beziehen will, in seine Eigenwelt, die Moralität des Handelns, eingeschlossen, erreicht die Objektivität nicht, kann sie vor allem nicht verändern. Hegel erörtert dies wieder an Beispielen aus der Kunst; an der Orestie, an DANTES Darstellung der Hölle als jenseitigem Handlungsresultat (G W4. 382) und abschließend in der Phänomenologie an zwei Grundgestalten des Bewußtseins überhaupt, an der „schönen Seele" und am „harten Herzen". Beide Bewußtseinsgestalten thematisieren die Konzeption des Genies unter den Bedingungen des modernen Staates an den Konsequenzen, die ein Ausweichen vor dem objektiv gegebenen „Schicksal", vor der „Zerrissenheit der Verhältnisse" hat. In der „schönen Seele" personifiziert sich die „Angst, die Herrlichkeit seines Innern durch Handlung und Dasein zu beflecken" (Phän. 354). Ihr Weltverhältnis ist „ein Sehnen", das sich selbst, die Aufhebung der Substantialität in „absolutes Selbstbewußtsein" zum Objekt erhebt und sich darin verliert. Im Kontakt mit der Realität löst sich diese Bewußtseinsgestalt auf bzw. zerrüttet sich „zur Verrüktheit" (Phän. 460). Hegel wird in der Ästhetik zwei Personifikationen dieser schönen Seele unterscheiden, die durch die Kunst erreichbare Quasi-Moralität im Sinne SCHILLERS, die er auch in SHAKESPEARES Frauengestalten realisiert sieht. Hier bleibt die anachronistische substantielle Sittlichkeit auf das Individuum beschränkt und führt bei Wirklichkeitskontakt zum Untergang. Anders bei den Romantikern im engeren Sinne. Sie erheben nicht die schöne Gestalt dieses naturhaft sittlichen Individuums, sondern ihr Weltverhältnis zum Vorbild und propagieren durch die Kunst ein allgemeines Handeln, das unsittlich, weil gemeinschaftszerstörend sein muß. Im „harten Herzen" charakterisiert Hegel eine Bewußtseinsgestalt, die sich in der Situation der Moderne die substantielle Sittlichkeit der Antiken anmaßt. Es handelt im Bewußtsein seines inneren Gesetzes und nach dem Gesetz seiner Einzelheit und Willkür so, als wäre dieses „nicht etwas Innres, Eignes, sondern das Allgemein Anerkannte" (Phän. 357). Wo dieses Individuum gegen die anderen handelt, unterjocht es sie seiner Innerlichkeit. Dies ist als Beharren auf der Eigenheit das „böse Bewußtsein" oder „harte Herz" (Phän. 460). Die Beispiele aus der Kunst diskutiert die Ästhetik an SCHILLERS Dramen, an den „Verbrechern" aus revolutionärer Absicht. Hier zeigt sich: Die Kunst thematisiert das Dilemma des modernen Individuums, das angesichts der Zerrissenheit der Verhältnisse zur „weltgeschichtlichen" Tat gezwungen ist und zugleich an ihr scheitern muß. Im Medium der Kunst kann die Vermittlung der Jebendigen Sittlichkeit" nur in paradoxer Weise gelingen, nur durch das Scheitern des „großen Individu-
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ums". Die lebendige Sittlichkeit eines Volkes wird angestrebt, aber nicht erreicht, und das im Sinne dieser Aufgabe handelnde Individuum fällt selbst auf einen Quasi-Naturstatus zurück, denn es kann seine geschichtliche Aufgabe nur als Schicksal übernehmen, das zu seinem eigenen Untergang führt. In der „Komödie im Sittlichen" sind nur zwei Versionen der Täuschung über die Sittlichkeit möglich, nämlich die Leugnung der Gegensätze und des Endlichen, ihr Herunterspielen zu „wesenlosen Schatten" oder das Absolutsetzen der Endlichkeit, wodurch aber das Absolute selbst ausgeblendet wird (vgl. G W 4. 467). Beides zeigt sich am Kunst- wie am Staatswerk. Hinsichtlich des Kunstwerks erhärtet sich dadurch Hegels Zweifel, ob es in der Moderne überhaupt noch ein „originelles Werk der Bildung" (vgl. Ros. 189) hervorbringe. Das Genie, das als Bourgeois existiert, kann kein Werk der Kunst bilden wie im Griechentum. Hegel kommt zu der auch für die y^sf/iefifc grundlegenden Schlußfolgerung: „Zu unseren Zeiten freylich bildet die lebendige Welt nicht das Kunstwerk in sich" (Ms. 4b). Hier hat der Künstler den geschichtlichen Horizont seines genialen Schaffens verloren und er muß sich „in seiner Einbildung in eine vergangene Welt versetzen, er muß sich eine Welt traümen, aber es ist seinem Werke auch der Charakter der T raümerey, oder des nichtlebendigseyns, der Vergangenheit schlechthin aufgedrückt" (ebd.). Im Kontext der hier analysierten Überlegungen zieht Hegel zwei Schlußfolgerungen, die zu seinen eigenen früheren Überlegungen im Gegensatz stehen. Eine geschichtliche Revolution kann nur den erreichten Status von Vernunft und Freiheit zerstören, denn die Differenzierung der modernen Verhältnisse, die Sedimentierung der natürlichen Sittlichkeit zu Institutionen und Lebensformen (Ständen), läßt die revolutionierende Tat nur als Negation der bestehenden Ordnung zugunsten der Freiheit des oder aller Einzelnen erscheinen. Das Handeln des Einzelnen gilt nicht mehr als Eröffnung einer neuen Möglichkeit freien Lebens für alle, weil es nicht mehr die Sittlichkeit eines Volkes konstituiert. An der Darstellung des Genies in der Kunst zeigt sich zudem, daß das Resultat jeder Revolution der Terror der französischen Revolution sein muß, das Opfer des Individuums zugunsten unausgewiesener, privater Interessen. Die zweite Schlußfolgerung unterläuft die Eingangsunterstellung der Rede von einer „Tragödie im Sittlichen". Diese sollte nämlich den Fortschritt der Geschichte unter der Perspektive der praktischen Philosophie in seinen wesentlichen Übergängen strukturanalog zur geschichtlichen Genese der poetischen Formen darstellen. In ihr vermitteln sich das Endliche und das Absolute so miteinander, daß jede Seite dieses Verhältnisses „mit der anderen in leibhafter Beziehung steht" und daß sie füreinander das „ernste Schicksal sind" (GW 4. 461). Aus dem Kontext ergibt sich, daß dieses „absolute Verhältnis" sowohl für die Beziehung von Einzelnen und Allgemeinem (sc. individueller Sittlichkeit und Sittlichkeit eines Volkes) gelten muß als auch
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als der ^Begriff" der Geschichte des Geistes, als Prinzip der Aufeinanderfolge verschiedener geschichtlicher Epochen und Kulturen. Die geschichtlichen Kulturen erscheinen als die möglichen Abweichungen vom absoluten Verhältnis, die möglichen Einseitigkeiten: das Griechentum als lebendige, aber bloß naturhafte Sittlichkeit, damit als nicht begriffene Form des Verhältnisses; Mittelalter und Neuzeit als entweder durch die Jenseitshof fnung oder die anachronistische Weltdeutung im Sinne der griechischen Vergangenheit zwar begriffene, aber mißdeutete Form des Verhältnisses (das Mittelalter selbst wird als Epoche nur durch verschiedene Hinweise auf die Kunst behandelt, bleibt aber strukturell der Neuzeit zugeordnet, wie es die Bestimmung der aromatischen Kunstform" noch für die Berliner Vorlesungen belegt). Weil Hegel die gleiche Begrifflichkeit sowohl für die Charakteristik der geschichtlichen Phänomene wie bei der Bestimmung der absoluten Sittlichkeit verwendet, also bei der Beschreibung der Erkenntnis der harmonischen Gestalt der Sittlichkeit (vgl. GW 4. 484), gilt seine Rede von der „Tragödie im Sittlichen" als unklar und schwierig.so Auf dem Hintergrund 50 Es bleibt vor allem fraglich, wann Hegel von seinem Beispiel, von der Göttlichen
Komödie, spricht und dies inhaltlich im Sinne der Schellingschen Auseinandersetzung
mit Dante aktualisiert, wann dasselbe Beispiel die griechische Komödie meint und wann welche Schlußfolgerungen wirklich im Sinne geschichtlicher Strukturen gemeint sein können. Auf jeden Fall wird Hegel diesen Versuch, ebensowenig wie die Schellingsche Potenzenlehre weiterführen, sobald er über das begriffliche Instrumentarium verfügt, die Entwicklung des Geistes in der Geschichte philosophisch zu explizieren. — Vgl. dazu O. Pöggeler: Hegel und die griechische Tragödie, 303 ff. Pöggeler kritisiert Hegels Geschichtskonzeption, die aus der Bestimmung der Kunst übernommen und im Medium des Begriffs verabsolutiert wird (vgl. a.a.O. 287 f.; dazu Nohl. 281, 283) Hegel wendet Herders Modell der klimatischen „Bedingtheit verschiedener Kulturen und ihrer Epochalität auf die Geschichte überhaupt an (vgl. G W 4. 479). Wo der Geschichtsbegriff aber in der Weise aus der Retrospektive in die Totalität des — auch zukünftig — Wißbaren überführt wird, reicht der Rückgriff auf Herder als Legitimation nicht aus. — Hier liegt der Übergang von einer Geschichtsphilosophie zur Philosophie, die die Geschichte (durch die Analogie des Strukturgesetzes von Begriff und Geschichte) der Methode des Denkens angleicht. Hegel erliegt — das ließe sich bes. in der Diskussion um die marxistische Deutung zeigen — der Versuchung, dem Erkenntnisbemühen durch eine Art philosophischer „Quadratur des Kreises" zum Ziel zu helfen. Die dazu notwendig behauptete Einheit von Begriff und Realität ist nur darum erreichbar, weil Hegel der begrifflichen Genese der Theorie, dem Fortschritt im Gedanken unter Verwendung der Bewegungskategorie selbst Attribute der „Lebendigkeit" beilegt. Weil die „Bewegung des Begriffs" als teleologischer Prozeß der Genese des Systems gilt und wo die Wahrheit dieses absoluten Wissens in der Methode der Bewegung, der Dialektik, gewährleistet ist — die Angemessenheit des Erkenntnismittels liegt in der Bewegung — legt Hegel die Probleme seiner Konzeption durch eine Version der Adäquationstheorie der Wahrheit bei, die für sein weiteres Denken typisch wird. Die Faszination dieser Geschichts-
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der Bestimmung der Kunst und der Geschichte der Frühschriften gelesen, enthält sie aber die eindeutige Aufhebung des „Ideals der Jugendschriften" in das System der Philosophie. Die einzige Unklarheit, die dieser Konzeption anhaftet, die ständige Variation zwischen Charakteristik geschichtlicher Phänomene (Charaktere und Fakten) und Bewußtseinsgestalten, wird die Phänomenologie zum methodischen Konzept der Philosophie erheben.
2.2.3 Der VergangenheUscharalder des Griechentums und der Kunst In der Entwicklungsgeschichte der Ästhetik lassen sich die systematischen Konsequenzen der Reflexionen auf die Kunst, einschließlich des experimentellen Versuchs, sie als Modell der Geschichte (der Sittlichkeit) zu verwenden, eindeutig benennen: Es sind die Behauptung des Vergangenheitscharakters des Griechentums und der Kunst. Die Entwicklung des Systemgedankens, die Hegel inhaltlich am Begriff der Sittlichkeit und der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Sittlichkeit wiederholt, entfaltet im wesentlichen zwei Einsichten: Der Vorbildcharakter der lebendigen Sittlichkeit in der griechischen Kultur wird begründet, und er wird zugleich durch die Historisierung des Vorbilds selbst funktionell eingeschränkt. Hegel vereinigt dadurch die philosophische Geschichtskonzeption der Frühschriften mit der Frage nach der Historie und kann so, z.B. in den Ausführungen zur „Tragödie im Sittlichen", die Tragödie auf der einen Seite zum Strukturgesetz der Epochenablösung erklären und sie zugleich inhaltlich als Beleg für die Notwendigkeit des Untergangs (der Vergangenheit) der substantiellen Sittlichkeit heranziehen. Die leitende Vermutung, die die religionskritischen Überlegungen hinsichtlich der Kunst enthielten, wird in diesem Kontext explizit zurückgenommen. Hegel geht nicht mehr davon aus, daß durch eine Verknüpfung von Kunst und „höherer Mythologie" die utopische Funktion der elysischen Idylle aufrechtzuerhalten, daß damit die Funktion der Kunst im Griechentum für die Moderne wiederholbar sei. Selbst die Bestimmung jener Götter, die nicht bloße Naturgestalten sind (sc. der neuen Götter der Griechen, die das Epos stiftet und die die Skulptur als schöne Gestalt begreiflich macht), legt die Kunst schon in der griechischen Welt auf eine Weise der Wahrheitsbekundung fest, die der philosophischen Thematisierung untergeordnet bleibt. Das gilt a fortiori für die Kunst, die Hegel später zur romantischen Kunstform zusammenschließt. konzeption entspringt allenfalls aus ihrer Undurchschaubarkeit, der Unmöglichkeit oder zumindest erschwerten Erreichbarkeit eines kritischen Standpunktes, der an präzisen Argumenten und ihrer stringenten Entwicklung ansetzen möchte; vgl. dazu: A. Gethmann-Siefert: Rettung der Dialektik. Rationale Rekonstruktion oder Sacrificium rationis?
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für die Kunst, deren Inhalt die christliche Religion oder die auf dem Christentum basierende Interpretation der Humanität bildet. Es zeigt sich nicht nur, daß die religiösen Gestalten die Schönheit der Kunst auflösen. Die weltlichen Inhalte lösen überdies die Funktion der Kunst auf, die wirkliche Geschichte durch Werke der Kunst zu konstituieren. Jede der vorgenommenen Analysen von Kunstwerken, sowohl jede Version der Kunst der Moderne wie die retrospektiv interpretierte griechische Version der geschichtlichen Funktion der Kunst, schließt aus, daß die Kunst im Sinne des Ideals der religionskritischen Schriften verstanden werden kann. Die gesellschaftlich-geschichtliche Funktion, die die programmatischen Überlegungen der Frühschriften unterstellen, wird durch das geschichtliche Phänomen Kunst nicht erfüllt. Hegels Argumente dafür sind primär geschichtsphilosophische Argumente. Diese Überlegungen bewegen ihn, das Programm der wissenschaftlichen Philosophie, obwohl es ursprünglich nicht daraufhin angelegt worden war, als fortschreitende Einschränkung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst zu entfalten. Am deutlichsten zeigen sich die Konsequenzen der Philosophiekonzeption für die Bestimmung der Kunst und für die spätere Ästhetik an der Deutung der Tragödie, denn diese spielt nochmals alle Momente des „Ideals" der Jugendschriften durch. In den Vorlesungen zur Asihetik erhebt Hegel in der Beurteilung vor allem der SoPHOKLEischen Tragödie eine frühere Version der Deutung des Griechentums, nämlich die Einschätzung der Funktion der Göttergestalt, wieder zum Kriterium der Ästhetizität, der Schönheit auch der Tragödie. Hierin liegt die Einsicht, daß die Tragödie, wo sie Übergangsform wird, in sich schon den Schritt zur „nicht mehr schönen Kunst" vorbereitet. Was in der griechischen Tragödie noch als schöne Harmonie der Sittlichkeit vorstellbar bleibt, muß mit dem Beharren auf der Erkenntnis, die als Movens in der Tragödie schon wirksam ist, zugleich aufgelöst werden. Die Ästhetik sieht als die ürform der Vollendung (als das Dasein der Idee durch die Schönheit) so wieder die Gestalt des Gottes an. Die Tragödie gilt nur, weil sie als Reflexionsform von dieser ürsprungsform abgeleitet ist, als schöne Kunst. Hegel greift in den Jenaer Schriften SCHILLERS Überlegungen auf und führt sie weiter. Die griechische Tragödie ist ästhetisch vorbildlich,
weil sich in ihr ein Modell der gesellschaftlichen Relevanz der Kunst gewinnen läßt, die Integration der Kunst in den Kontext geschichtlichen Handelns. Die Dimension der Geschichte, die Harmonisierung von Legalität und Moralität in der Sittlichkeit, liefert Hegel so endgültig die Handhabe, die gesellschaftliche Funktion der Kunst zu bestimmen. Nur stellt diese Vollendung der Geschichtsreflexion zum System der Philosophie zugleich einen Kontext für die Bestimmung der Kunst her, der sie in ihrer Funktion einschränkt. Wenn die Ästhetik sogar auf eine Bestimmung des Ideals der Schönheit zurückgreifen kann, das vor der „problematischen" Vermittlung der Sittlichkeit des Volkes durch die Tragödie liegt, dann zeigt sich darin zwar
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weder die Autonomie" der Kunst noch ein simpler JClassizismus". Es zeigt sich aber die Konsequenz der philosophischen Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Kunst als Vermittlung des „Sich-Wissens", die Hegel nun zur Bestimmung der geistesgeschichtlichen Funktion erhebt. Die Grundthese der Ästhetik, der „Vergangenheitscharakter" der Kunst, ist hier soweit vorbereitet, daß sich diese Bestimmung der Kunst in der späteren .Asf/ietiL wiederfinden kann und zugleich mit den Ergebnissen der früheren Beschäftigung mit dem Griechentum zur in sich dynamischen Gestalt der klassischen Kunst wird. Am Übergang von der utopischen Funktion des Griechentums zur historischen Relativierung seiner Bedeutung verdeutlicht sich nochmals die Einschränkung der Funktion der Kunst als Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung. Denselben Prozeß stellt die Ästhetik für die Tragödie dar als den Fortschritt vom in sich ruhenden Ideal der schönen Göttergestalt zur Dynamisierung seiner Bedeutung durch die Anwendung auf die Frage nach der Wahrheit des Handelns in der Polis. Nachdem Hegel die Unterscheidung von substantieller Sittlichkeit, als dem Status der sittlichen „Natur", und Reflexions- bzw. Bewußtseinsstandpunkt der Moderne im Verhältnis von Vorform und Übergangsform festgelegt hat, führt sein Postulat einer umfassenden Versöhnung dazu, daß weder das Griechentum noch die Kunst ihren Charakter einer ästhetischen Erziehung durch geschichtliche Vorbilder in der zunächst vorgesehenen üniversität behalten können. Der Konflikt der Handlungsorientierung, den die Tragödie exemplifiziert, führt an die Grenze der Leistungsfähigkeit der geschichtlichen Gestalt des griechischen Geistes. In Hegels Auslegung der Tragödie findet die 1802 mit der jACOBiauseinandersetzung gewonnene Unterscheidung der griechischen und nachaufklärerischen Sittlichkeit ihren Abschluß. Das Programm der Mythologie der Vernunft ist unter der radikalisierten Vernunftforderung der Moderne nicht aufrechtzuerhalten, denn wo Hegel die Vernunftbegründung der Wahrheit im philosophischen System durchführt, verliert die geschichtliche Gestalt des Griechentums ihre Zukunftsbedeutung bzw. ihre Versöhnungskapazität. Die „Lösung", daß die Versöhnung durch die Opfer der einen Seite der Antagonismen, hier des Individuums (in der Moderne wird statt dessen die Objektivität vernachlässigt), erreicht wird, kennzeichnet gerade die Ausgangssituation, die überwunden werden soll: den Terror der französischen Revolution. Dies ist der Grund, weshalb das Griechentum nur als vergangene Gestalt des geschichtlichen Geistes gelten kann. Die Entwicklung der Geschichte über das römische Rechtsdenken, das mittelalterliche Feudalwesen wird in dieser Konzeption noch wenig berücksichtigt. Hegel deutet diesen Fortgang zwar an, und es zeichnet sich in der Entgegensetzung von Antike und Moderne und in den notwendigen Übergängen, die Hegel aus dem Mangel der substantiellen Sittlichkeit für die Antike folgert, schon eine solche kontinuierlichere Geschichtskonstruktion
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ab. Gleichwohl bleibt die Geschichtsdeutung den wesentlichen Stadien, die die Frühschriften vorgeben, strukturell verhaftet. Es gibt eine relative — mit SCHILLER formuliert, eine auf dem Boden der Naturharmonie gelingende — Vollendung im Griechentum, auf diese folgt die Zerrissenheit der Moderne. Eine Zukunft, in der die Antagonismen harmonisiert werden, kann nicht mehr durch die gleiche Explizitheit, durch die gleiche Präsentationsweise des „Wissens" um die Wahrheit erreicht werden. Obwohl also die großen „Kunstwerke der Menschheitsentwicklung ... Etappen in der gedanklichen Eroberung und Bewältigung der Wirklichkeit bedeuten" (Lukdcs: Der junge Hegel. 792), gelten diese Stufen der Entwicklung als überwunden. Hegel unterscheidet zwischen einer Bedeutung der Kunst für die Griechen und deren Reflexion in der Erinnerung, um daraus für die Moderne eine nur partielle Bedeutung der Kunst abzuleiten. Es gibt „das Schicksal uns mit den Werken der Kunst nicht ihre Welt, nicht den Frühling und Sommer des sittlichen Lebens, worin sie blühten und reiften, sondern allein die eingehüllte Erinnerung dieser Wirklichkeit ... so ist der Geist des Schicksals, der uns jene Kunstwerke darbietet, mehr als das sittliche Leben und Wirklichkeit jenes Volkes, denn er ist die Er-lnnerung des in ihnen noch veräußerten Geistes“. Die Gestalten der Kunst werden aufgehoben in den „seiner als Geist selbst bewußten Geist" {Phän. 402), in den reinen Begriff, der in Einheit, „jene Gestalten als seine Momente enthält" (403). Die geschichtsphilosophische These vom Vergangenheitscharakter des Griechentums ergibt in ästhetischer Perspektive zugleich die vom Vergangenheitscharakter der Kunst hinsichtlich ihrer geschichtlichen Funktion. Obwohl Hegel selbst diese Schlußfolgerung hier noch nicht explizit formuliert, ist es von der gedanklichen Vorbereitung zum Aussprechen nur ein unbedeutender Schritt. Selbst im Hatu rrec/ifs- Aufsatz, wo Hegel unter Rückgriff auf die Kunst den Konflikt von Bourgeois und Citoyen, also den spezifischen Orientierungskonflikt der Moderne formuliert, behält die Kunst allenfalls retrospektiv ihre Bedeutung als Modell der Epochenfolge. Ob man diese Konstruktion der Geschichte als gelungen betrachten will oder nicht — Hegel selbst führt sie bezeichnenderweise nicht weiter — spielt keine Rolle für die Einschätzung der Bedeutung der Kunst. In der inhaltlichen Interpretation der griechischen Tragödie, d.h. mit der Thematisierung der Aporie des „Naturstatus" der Sittlichkeit, setzt sich Hegel von SCHILLERS Bestimmung des Erhabenen bzw. des Tragisch-Erhabenen ab. Soweit bei SCHILLER mit der freien Einstimmung in die Notwendigkeit des Leidens auch die Haltung des Einzelnen zur „institutionalisierten" Sittlichkeit, d.h. zu einer in legale Ordnung überführten Moralität, definiert wird, macht Hegel Bedenken geltend. Im Programm der „ästhetischen Erziehung" bzw. durch dessen politische Intention ist eine solche Haltung mit dem Postulat von Menschheit und Freiheit unvereinbar, weil beliebigem Mißbrauch verfüglich. Wo das Institutionenproblem philosophisch expliziert und
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dadurch nach Hegel zugleich gelöst werden kann, gilt diese höchste Möglichkeit der Kunst, die Sittlichkeit eines Volkes zu vermitteln und zu realisieren, als unzureichend. Hegels Skepsis gegenüber der modernen Kunst wiederholt sich also selbst in der Auseinandersetzung mit der griechischen Kunst. Wo schon das utopische Modell als unzureichend erwiesen wird, da gilt dies a fortiori für das „Abbild", für die eingeschränktere Weise der Wahrheitserfahrung in der modernen Kunst. Hegel schätzt die Kunst nun nicht mehr als Vermittlung der Sittlichkeit eines Volkes ein, was im Kontext seiner Geschichtskonzeption in etwa dem systematischen Stellenwert von SCHELLINGS Bestimmung der Kunst als Organon der Philosophie entsprechen würde. Innerhalb des philosophischen Systems relativiert sich die Vermittlungsfunktion der „Mythologie der Vernunft" und der ihr entspringenden Gestalt, die die Kunst hervorbringt, zur bloß anschaulichen Gegebenheitsweise des Sich-Wissens des Absoluten. Warum diese Form der Explizitheit nicht genügen kann, zeigen Hegels Argumente für die Notwendigkeit der historischen Relativierung des Griechentums. Wenn das „moderne Epos" unrealisierbar bleibt, weil es hier um Sittlichkeit innerhalb einer verfaßten Gemeinschaft, nicht um Staatsgründung geht, dann bleiben Skulptur und Poesie als die beiden Weisen der Vermittlung der Sittlichkeit innerhalb der Polis übrig. Durch die Analyse thematisiert Hegel die beiden Weisen der Einschätzung der Antike: die utopische Funktion des Griechentums und die Situation der „Querelle" (sc. hier: die Betonung des Vergangenheitscharakters griechischer Sittlichkeit wie ihrer Vermittlung durch die Tragödie). Wo aber die Antike zur vergangenen Epoche des Geistes wird, die nur in der Erinnerung noch lebendig bleiben kann, da kann auch ihre Weise der Wahrheitserfahrung und sittlichen Orientierung nicht mehr „lebendig" sein. Die Kunst ist (ebenso wie die griechische Welt als „ihre“ Epoche) nur durch die historische Reflexion in ihrer vollen Bedeutung zugänglich. Nur im Hinweis auf eine ohne den Begriff, ohne philosophische Explikation funktionierende Form der geschichtlichen Selbstverwirklichung kann die Kunst in ihrer umfassenden Funktion erfaßt werden. Auch da also, wo Hegel in der Weiterführung seiner Geschichtsdeutung den begrifflichen Rahmen für sein frühes Programm, einer analog zur ästhetischen Erziehung formulierten, auch inhaltlich vernünftigen Realisation der lebendigen Sittlichkeit, gewonnen hat, verliert die Kunst ihre zunächst unterstellte Bedeutung. Das Werk der Kunst gilt als ein bloß instinkthaftes Arbeiten des Geistes, wie die Phänomenologie es abschließend generalisierend definiert. Wo aber „Vernunft nur als Instinct und Gefühl, und Sittlichkeit nur in der empirischen Zufälligkeit" (G W4. 385; vgl. 384) erreicht werden können, da gilt nicht nur für die Kunst der Moderne, daß sie als Wirklichkeit des Geistes unzureichend sein muß, sondern dasselbe ergibt sich durch die Auseinandersetzung mit der Antike. An der höchsten geschichtlichen Möglichkeit der Kunst entwickelt
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Hegel — wie später in der Ästhetik — die Einschränkung des Ideals; den Vergangenheitscharakter des Griechentums und der Kunst. Dieses Ergebnis der philosophischen Beschäftigung mit der Kunst (durch die das „Ideal" der religionskritischen Schriften als „Kunstideal" formuliert wird) legt Hegel in seinen weiteren Schriften der Nürnberger und Heidelberger Zeit, sofern sie sich überhaupt noch mit dem Problem auseinandersetzen, auf doppelte Weise dar: erstens als Restriktion des Griechentums auf ein Bildungsideal und zweitens als Begründung der Differenzierung von Kunst und Religion. Dadurch gewinnt die philosophische Behandlung der Kunst einen festen Platz im Kosmos der systematischen Explikation des geschichtlichen Wissens überhaupt. Die Vorlesungen zur Ästhetik führen diese Überlegungen zur geistesgeschichtlichen Bedeutung der Kunst inhaltlich weiter aus. Die Ästhetik wird als Teil des Systems der Philosophie bezeichnet, aber Hegel hält die „bloß lemmatische" Anknüpfung der Behandlung der Kunst an das System seines Denkens vorderhand für ausreichend, um sein Anliegen durchzuführen. Es geht ihm um die Reflexion auf den geschichtlichen — für ihn immer geistesgeschichtlichen — Sinn der Kunst unter Anerkennung der systematischen Prämisse, daß die Kunst ihre Epoche in der Vergangenheit hatte. Einer Bemerkung des Herausgebers HOTHO kann man zudem entnehmen, daß Hegel selbst zwar die Philosophie des Rechts, die Philosophie der Geschichte und der Religion als „System" in seinem Sinn durchkonstruierte, daß er für die Ästhetik die strikte Ineinsbildung von historisch-empirischer Kenntnis und Begriff „jedoch nicht gefordert" habe.^i Bedenkt man die berechtigten Zweifel, die sich im Laufe der Zeit gegen Hegels Ästhetik erhoben, dann kann man HOTHOS Bedauern eigentlich nicht teilen. Im Gegenteil wird HOTHOS Bemerkung Anlaß geben, die „systematische Form", in der die Ästhetik (seit der Bearbeitung für die Publikation durch HOTHO) vorliegt, nicht unbedingt als verbindlich anzusehen. Zunächst kann das nur heißen, daß man alle wesentlichen Thesen Hegels aus den Zeugnissen für die Vorlesungen, aus den Nachschriften, belegt. Da sich hier aber eine Variation zeigen wird, die einen Fortschritt (eine wachsende Rigidität) auch in der systematischen Einbindung der Ästh etik vermuten läßt (die letzte Vorlesung greift explizit die Enzyklopädiefassung von 1827 auf), muß zunächst die Vgl. H. G. Hotho: Rezension: Lieber die Hauptperioden der schönen Kunst oder die Kunst im Laufe der Weltgeschichte, dargestellt von Amadeus Wendt, 907. Auch der Charakteristik der Auseinandersetzung Hothos mit F. Th. Vischer durch Michelet kann man entnehmen, daß Hotho selbst „Metaphysik" des Schönen betrieb und (in viel eindeutigerer Weise als Hegel es je getan hat) die Reflexion auf die geschichtliche Bedeutung des Kunstwerks mit der Metaphysik, d.h. hier: mit der Wissenschaft der Logik, gefordert haben muß. C. L. Michel et: Hotho gegen Vischer: Lieber Metaphysik des Schönen, bes. 91. Zur Interpretation siehe A. Gethmann-Siefert: H. G.
Hotho: Kunst als Bildungserlebnis und Kunstgeschichte in systematischer Absicht.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Frage gestellt werden, wie Hegel in der weiteren Entwicklung seines Systems der Philosophie den „Systemteil" Ästhetik berücksichtigt. Aus der Entwicklung der Ästhetik in Jena ergibt sich ein paradoxer Sachverhalt, der Hegels spätere philosophische Ästhetik noch belastet. Auf der einen Seite ist ihre Konzeption soweit vorgebildet, daß man die Einsichten, die Hegel im Verfolg der je-eigenen Geschichte von Religion und Sittlichkeit (qua Prinzip der Institution Staat, nicht der Gesellschaft im Sinne FICHTES) für die Kunst noch beiher entwickelt, vernachlässigen kann. Grundgestalt und inhaltliche Durchführung der Geschichte der Kunst durch die Entwicklung der Kunstformen sind vorbereitet. Es läßt sich auch unschwer zeigen, daß die Modifikationen, die Hegel gegenüber der Kunstkonzeption der Romantiker und deren philosophischer Grundlage durchführt, im Sinne und im Zusammenhang einer Konzeption der geschichtlichen Funktion der Kunst entstehen. Dennoch hat die systematische Philosophie, in deren Kontext Hegel nun diese Bestimmung der geschichtlichen Funktion entwickelt, zur Folge, daß die spätere Ästhetik die Geschichtlichkeit der Kunst verfehlt. Obwohl also die programmatischen Überlegungen der Frühschriften ihre Ergänzung in den Jenaer Schriften finden, was die Bestimmung der Kunst anbetrifft, verliert man durch die Einschätzung der Philosophie die Möglichkeit, die Kunst als ein geschichtliches Phänomen zu betrachten, das auch für die Gegenwart noch Bedeutung hat, oder das gar die Funktion behielte, eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Hegels Argumente für den Vergangenheitscharakter der Kunst sind schon im bisher untersuchten frühen Stadium der Systementwicklung nur teilweise einsichtig. Zwar stellt sich der Übergang vom „Ideal" der Jugendschriften zum System der Philosophie als konsequenter Fortschritt zur Lösung der in den religionskritischen Schriften nicht bewältigten Probleme dar, aber die Beschränkung der geschichtlichen Wirksamkeit der Kunst selbst wird nur unter der Voraussetzung akzeptabel sein können, daß Hegel eine endgültige Sicherung des Wissens und eine unbezweifelbare Handlungsorientierung durch das System des philosophischen Wissens erreicht. Wie die Religion bei LEiBNizoder auch in LESSINGS — von Hegel häufig zitiertem — Nathan Aufklärung ohne die bis ins letzte begründete Vernunftseinsicht aller bewerkstelligen kann bzw. sie historisch früher erreicht als sie durch Einsicht vermittelt werden kann, so ließe sich auch in Hegels neuer Philosophiekonzeption eine Funktion der Kunst denken, die die Vernunft schon auf dem Boden der Einbildungskraft vermittelt. Freilich müßte diese Weise der Wahrheitserfahrung in der „wissenschaftlichen" Sicherung, in der philosophischen Begründung bestätigt werden. Sie muß aber nur dann durch die Philosophie aufgehoben, d.h. ersetzt werden, wenn man durch systematische Philosophie nicht nur die geschichtliche Realität begreifen, sondern — weil die Befürchtung naheliegt, daß die theoretischen Prognosen allzuhäufig durch geschichtlichen Fortschritt falsifiziert werden — mit der Theorie zugleich eine Begrün-
2.3 Modifikation der Ästhetik
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düng des handlungsorientierenden Wissens wie der Konstitution der Realität bewerkstelligen will. Für Hegel selbst bleibt eine Konzeption der Kunst im Sinne der Aufklärer aus zwei Gründen inakzeptabel. Zum einen ist die Kunst seiner Zeit außerstande, eine Erziehung zur Vernunft zu gewährleisten. Zum anderen kann der Mensch sein Vernunftbedürfnis nicht mit Vorformen des „wissenschaftlichen" Wissens stillen, wenn es darum geht, in der Situation der Zerrissenheit eine Versöhnung wiederherzustellen. Die folgenden Entwicklungsschritte bis zu den Berliner Vorlesungen über Ästhetik sind deshalb vor allem unter der Rücksicht interessant, daß sich aus der fortschreitenden konsequenten Bestimmung der Kunst im System der Philosophie Ansätze zur Revision ergeben, die durch die Entwürfe der Jenaer Zeit noch nicht hinreichend deutlich sichtbar und formulierbar geworden sind.
2.3 Modifikation der Ästhetik im Übergang von den Jenaer Entwürfen zu Hegels Berliner Vorlesungen In den Zeugnissen von Hegels Tätigkeit als Rektor des Nürnberger Gymnasiums und in den Heidelberger Schriften finden sich zwei Gesichtspunkte, die über die Konzeption der Kunst im System der Philosophie, so wie Hegel sie in Jena entwickelt, hinausführen. Die Nürnberger Schriften legen die Beschäftigung mit dem Griechentum wie der Kunst im Sinne eines Bildungsideals fest. Hegel zieht darin die Konzequenz aus der Historisierung des Ideals. Zugleich wird der zweite Gesichtspunkt der Modifikation des „Ideals" der religionskritischen Schriften schärfer akzentuiert, nämlich die Trennung von Kunst und Religion und eine eigens begründete Bestimmung ihres Verhältnisses. Auch hier zeigt sich, daß die Einheit von Kunst und Religion nur für eine bestimmte historisch umschreibbare Epoche so gefaßt werden kann, wie es in Hegels früheren Überlegungen geschieht. Die historische Relativierung der Einheit von Kunst und Religion beginnt mit der Trennung von Mythologie und christlicher Religion in der Phänomenologie und findet in der Enzyklopädie (und zwar erst in den beiden letzten Fassungen 1827 und 1830) ihren endgültigen Abschluß. Es wäre interessant zu wissen, wie Hegel in Heidelberg (1818) seine erste von der Religionsphilosophie getrennte Vorlesung zur Ästhetik aufgebaut hat. Über diese Vorlesung sind aber alle Unterlagen verschollen, mit Äusnahme einiger Bemerkungen im Bericht HOTHOS, der die ünterlagen noch kannte. So finden sich nur in den vor der Enzyklopädie-Üherarheitung liegenden Berliner Vorlesungen einige wohl unzureichende Hinweise auf diese letzte Modifikation, die Trennung der philosophischen Behandlung der Kunst von der Religionsphilosophie.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
2.3.1 Das Griechentum als Bildungsideal und die gegenwärtige Funktion der Kunst An den Hinweis auf die eingeschränkte Bedeutung der Kunst, die im Religionskapitel der Phänomenologie endgültig als „Vergangenheitscharakter" ihrer Weise der Vermittlung der Sittlichkeit, und des Sich-Wissens des Absoluten definiert wird, schließt sich in den propädeutischen Schriften der Nürnberger Zeit Hegels Bestimmung des Griechentums als Bildungsideal an. In den Bemerkungen und Entwürfen der Jenaer Zeit relativiert Hegel die kulturelle Relevanz des Griechentums wie der Kunst unter dem grundlegenden Aspekt ihrer Funktion als Erkenntnis und als Orientierung des geschichtlichen Handelns überhaupt. Nun fügt er die Begründung hinzu, warum diese geschichtlichen Stufen nicht als schlechthin uninteressant, sondern lediglich als bedingt gültig betrachtet werden müssen.Die erneute Auseinandersetzung mit dem Griechentum im Kontext der Bildung (bzw. im Kontext bestimmter institutioneller Formen der Bildung) führt nicht nur zur Definition des Griechentums als Bildungsideal,53 sondern auch zu einer Neubesinnung auf die Funktion der Kunst. Ebensowenig wie Hegel in der Reflexion auf das Griechentum bloß die humanistische Bildungsidee reproduziert, verteidigt er in diesen Überlegungen den „Klassizismus" in der philosophischen Bestimmung der Kunst. Er hebt vielmehr einige Einseitigkeiten und Schärfen der Jenaer Überlegungen durch eine erneute Besinnung auf die geschichtliche Bedeutung der Kunst wie der griechischen Kultur auf, d.h. es geht erneut um die Bedeutung beider für die Gegenwart. Da Hegel seine Philosophiekonzeption in Jena zunächst durch die Negation der vorher ausgezeichneten Vermittlung des Absoluten durch den lebendigen Vollzug (z.B. durch die Schönheit) legitimiert, setzt er die Akzente so, daß die relativierten Vermittlungsformen, vor allem die Kunst, abgewertet werden. Der Eigenwert von Antike und Kunst als Stufen der geschichtlichen Wahrheit bzw. Wahrheitsvermittlung wird dabei nicht eigens bestätigt, denn die Philosophie hebt diese vorgängigen Stufen geschichtlichen Wissens auf und bewahrt sie dadurch — nach Hegels Verständnis — automatisch auf. Diesen Gedanken greift Hegel in den Überlegungen der Nürnberger Zeit nochmals explizit auf und entwickelt eine Bildungskonzeption, die den Sinn der „Aufhebung“ solcher vergangener Gestalten des Absoluten näher bestimmt. In der Bildung des Individuums zum mündigen Vernunftgebrauch 32 Eine entsprechende Deutung des Vergangenheitscharakters der Kunst findet sich bei W. Oelmüller: Die unbefriedigte Aufklärung. Zur Auseinandersetzung mit einigen neueren Darstellungen vgl. A. Gethmann-Siefert: Eine Diskussion ohne Ende: Zu Hegels These vom Ende der Kunst, 230 ff. 33 Die Kennzeichnung des Griechentums als „Bildungsideal" entwickelt O. Pöggeler in seiner Abhandlung über Hegels Bildungskonzeption im geschichtlichen Zusam-
menhang.
2.3 Modifikation der Ästhetik
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gewinnt die Beschäftigung mit vergangenen Kulturen, d.h. für Hegel immer, mit Gestalten des Geistes in der Geschichte, einen unverzichtbaren Stellenwert. Hier greift Hegel auf die griechische Mythologie als die „kindliche" und darum kindgerechte Form des abendländischen Geistes zurück. Die Welt der Griechen, in der die Kunst die zentrale Rolle der Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung spielt, wird zum Schlüssel der Welt des modernen Geistes. Nicht allein durch die historische Reflexion, sondern durch lebendigen Nachvollzug, der freilich vorab von berufener Seite pädagogisch aufbereitet ist, wird die Welt der Griechen wieder lebendig und erhält eine Schlüsselstellung für die Gewinnung des freien Selbstbewußtseins wie für die spätere differenziertere Ausbildung des anschaulich Erfahrenen zum gesicherten Wissen. Im Entwurf eines Briefes an Voss äußert Hegel die Hoffnung, die allgemeine Bildung durch eine in diese Bildung integrierte „Betätigung der Kunst und Wissenschaft" (Br 1. lOO) zu fördern. Inhaltlich kommt darin das Desiderat zum Ausdruck, die griechische Kultur als Grundlage der staatsbürgerlichen und wissenschaftlichen Bildung präsent zu halten, also wenigstens für die „Gebildeten" wenn auch nicht für alle, ihre bleibende Bedeutung zu sichern. Das Griechentum muß diese Gegenwartsbedeutung behalten, weil die substantielle Sittlichkeit, „das Pathos", das die Griechen „als Inhalt ihrer Handlung" zur Verfolgung bestimmter Zwecke treibt, „von absoluter Berechtigung, und eben deshalb in sich selbst auch von allgemeinem Interesse" ist ( Asth. I. 2. 185; II, 2. 185 f; vgl. 1. 141). Hegel legt deshalb sowohl in den Nürnberger propädeutischen Schriften wie in der Geschichte der Philosophie dar, wie das Griechentum, obwohl es als Kultur unwiederholbar ist, seine Bedeutung in der modernen Zeit wiedergewinnen kann und zu welchem Zweck dies notwendig ist. In der geschichtlichen Einordnung des Griechentums betont er vor allem noch einmal, daß in dieser Kultur eine vorbildliche, weil in sich harmonische Gestalt des Geistes, eine Artikulation der Wahrheit durch und als Schönheit vorliegt. Schon die Phänomenologie, die wesentliche Ansätze der Hegelschen Bildungskonzeption enthält,54 charakterisiert das Griechentum mit SCHILLER als „ästhetische Kultur", d.h. als Realisation des Geistes, die ihren Ausdruck im Kunstwerk findet und auf die sinnlich-anschauliche Vermittlung beschränkt ^‘‘Dazu G. Buck: Lernen und Erfahrung. L. Sichirollo vergleicht die folgende Phänomenologiestelle (Phän. 28) mit Dok. 48 ff, dem Hinweis auf die verschiedenen Bildungssysteme der Alten und Modernen. Auch da wird klar, daß es sich nicht um die Reflexion auf die Aneignung historischen Wissens handelt. L. Sichirollo: Hegel und die griechische Welt, bes. 281 f. Die Affinität wie Differenz der antiken und modernen Welt thematisiert Hegel auch in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie 1. 171—172. Mit dem Verhältnis zur griechischen Welt, wie es die Phänomenologie darstellt, befaßt sich auch ]. L. Navickas: Consciousness and Rea-
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
bleibt. Hegel betont den Unterschied des Bewußtseins der Alten vom Studium der Alten in der Gegenwart. Beim „Studium" geht es um die Aneignung der „Durchbildung des natürlichen Bewußtseins" im Kontext einer philosophierend erzeugten Allgemeinheit. Wenn Hegel von Bildung spricht, ist allerdings der Prozeß des Geistes überhaupt gemeint, nämlich einmal die Arbeit, „das Individuum aus der unmittelbaren sinnlichen Weise zu reinigen und es zur gedachten und denkenden Substanz zu machen", dann die Aufhebung der festgewordenen Bestimmungen zu wahrer Allgemeinheit ( Phän. 28). In der Phänomenologie iührt die Wertschätzung der Griechen zur historisch-distanzierten Rezeption. Während Hegel in diesem Zusammenhang die Frage offenläßt, in welcher Form ein Anschluß an SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung und damit an die eigenen frühen Entwürfe noch möglich ist, entwickelt er diesen Anschluß unter dem Zwang, sein „System als Propädeutik auszulegen".ss Er bestimmt aufgrund des Vergangenheitscharakters des Ideals den Sinn der Beschäftigung mit der Tradition. Angesichts dieser Überlegungen kann der Klassizismusvorwurf gegen die Ästhetik nicht in der üblicherweise formulierten Version aufrechterhalten werden. Obwohl Hegel die Bedeutung des lity: Hegel's Philosoph)/ of Subjectivit)/, bes. 176, 208, 220. Navickas nimmt schon für die Phänomenologie den Sinn der Beschäftigung mit dem Griechentum an (als Vorbereitung der Erreichung einer individuellen Sittlichkeit), den Hegel erst durch die Bestimmung des Griechentums zum Bildungsideal entwickelt. Vgl. dazu den Hinweis Hoffmeisters Nürnh. Sehr. XII; oder Ros. 254 f. — Hegels Nürnberger Schriften werden im Folgenden (mit Angabe der Seitenzahl) nach der Ausgabe von J. Hoffmeister zitiert. Wo eine kritische Edition vorliegt, wird diese herangezogen; nämlich: Hegels Propädeutische Logik für die Unterklasse des Gj/mnasiums. Hrsg, und besprochen von F. Nicolin, 9—38; Hegels Entwürfe zur Enzt/klopädie und Propädeutik nach den Handschriften der Harvard Universität. Hrsg, von J. Löwenberg (entspricht Nürnh. Sehr. 11—50; 103—119). — Zu einigen neu gefundenen Manuskripten vgl. £. Ziesche: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß, 438 ff. Auf die von Hoffmeisters Material noch greifbaren Manuskripte wird von Fall zu Fall verwiesen. Da von Hoffmeisters Unterlagen einiges verschollen ist, Hoffmeister wiederum sich auf Rosenkranz'erste Bearbeitung stützt, für die noch mehr Unterlagen zur Verfügung standen, werden auch nur bei Hoffmeister tradierte Aussagen berücksichtigt. Dies ist allerdings nicht unproblematisch — vor allem bei der Bearbeitung der Enzyklopädie, in die Hoffmeister nach den bisherigen Untersuchungen der Herausgeber (H. Schneider und F. Nicolin) auch Material aus der Berliner Zeit eingebracht haben soll. Die endgültigen Texte, die im Zusammenhang der historisch-kritischen Edition der Nürnberger Propädeutischen Schriften erarbeitet werden, sind noch nicht greifbar. — Als allgemeine Literatur vgl. F. Nicolin: Hegels Bildungstheorie: G. Schmidt: Hegel in Nürnberg. Untersuchungen zum Problem der philosophischen Propädeutik und die von dem Schüler Nohls C.-L. Furck erarbeitete Studie Der Bildungshegriff
des jungen Hegel.
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Griechentums für die Bildung im Anschluß an NIETHAMMER (vgl. Ros. 254 f; Br. 1. bes. 271) formuliert, damit im Streit des „Philanthropinismus und des Humanismus" gegen die unbedingte Höherschätzung der Moderne Position bezieht, lehnt er zugleich eine Beschäftigung mit der klassischen Antike aus rein ästhetizistischen und historischen Motiven ab. Die Wendung gegen den Klassizismus ließe sich schon aus Hegels Ablehnung des vormals als „schöne Religion" betrachteten Katholizismus folgern. Hegel macht für den Protestantismus geltend, daß die „katholische" Ablehnung einer philosophischen Begründung der Religion zu anachronistischen Bildungskonzeptionen führt, nämlich zum Verzicht auf die Vernunftforderung der Aufklärung. Weil Hegel diese Zwecksetzung unbedingt aufrechterhalten will, gewinnt der Rückgriff auf die griechische Kultur erneut den Sinn einer Vorbereitung der intellektuellen und moralischen Bildung aller, deren „Garantie... die Anstalten (sind), die NAPOLEON gehaßt" (Nürnb. Sehr. XXXI f; vgl. Br. 2. 141). In der Polemik gegen das Realinstitut (vgl. Nürnb. Sehr. 427 f; 308) begründet Hegel den Sinn, sich über die alten Sprachen die vergangenen Kulturen zu erschließen, als Mittel zur Bildung des „sittlichen Charakters" (Nürnb. Sehr. 339). Es geht in der Individualentwicklung um denselben Fortschritt „aus dem Naturverhältnis der Empfindung und Neigung in das Element der Sache" wie beim gesamthistorischen Fortschritt von der Antike zur Moderne. In der Beschäftigung mit dem Griechentum liegt die Chance, das erwachende „Selbstgefühl", die „Bildung zur Selbständigkeit" (340) durch die anschaulich gegebene Grundvorstellung eines edlen Lebens" (364) zu stützen. Zugleich warnt Hegel ganz im Sinne SCHILLERS vor der bloßen Sehnsucht nach dem Alten, denn aus der Tatsache, daß etwas „unter anderen Umständen zweckmäßig und begreiflich war", folge keineswegs, daß „seine Erhaltung" unter veränderten Umständen „noch wünschenswert sei" (370 f). Die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum umfaßt also einmal das „einheimisch-Werden" in der Welt der Griechen, in „der schönsten, die gewesen ist". Zugleich muß aber die Differenz der Kulturen vermittelt werden, die Hegel hier durch SCHILLERS Unterscheidung kennzeichnet. Auf das „erste Paradies", das das „Paradies der Menschennatur war", muß das zweite, „das höhere Paradies des Menschengeistes“ folgen, der in seiner „schönem Natürlichkeit, Tiefe und Heiterkeit... hervortritt" (309). So wird die alte Kultur nicht einfach übernommen, sondern im Lichte der über sich selbst aufgeklärten Vernunft angeeignet, d.h. „verändert und erneuert" (305). Der kulturelle Zusammenhang von Antike und Moderne erscheint hier strukturell als Ablösung einer Epoche durch eine höhere Stufe des Geistes, wie sie die Phänomenologie als Werden des Geistes festlegt. Griechentum, als „Bildungsideal" aufgefaßt, legt den Sinn der Beschäftigung mit der Tradition überhaupt fest als die Selbstverständigung über die Gegenwart durch Kenntnis der Geschichte. Durch diese Reflexion wird die in historischer
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Analyse gewonnene Bedeutung der Tradition auf ihren bleibenden wie veränderten Sinn in der geschichtlichen Wahrheitserfahrung entworfen. Es geht also nicht um bloße Kenntnis oder gar Verherrlichung des Vergangenen, sondern vielmehr um die unersetzliche Rolle, die die Auseinandersetzung mit der eigenen wie der fremden Geschichte in der Selbstverwirklichung des Individuums spielt. Der Bildungsprozeß ist demnach auch vielschichtig und umfaßt das Fremdwerden durch historische Distanz oder Distanzierung, wie sie durch die Einsicht in die Beschränktheit einer bestimmten Stufe des Geistes hervorgerufen wird, ebenso wie die Wiederaneignung des Vergangenen im Lichte des gegenwärtigen Bewußtseinsstandes (vgl. 311 f; 338). Gegen den Klassizismusvorwurf spricht die Tatsache, daß Hegel sowohl in der Bestimmung der Bedeutung des Griechentums wie in der darin implizierten Bestimmung der Bedeutung der Kunst SCHILLERS Version der „Querelle des Anciens et des Modernes", die dieser in der Abhandlung Über naive und seniimenlalische Dichtung ergänzend zum Programm der ästhetischen Erziehung entwickelt hatte, als seine Bildungskonzeption wiederholt. M.a.W. das Programm der ästhetischen Erziehung wird bis in die Details der historischen Ausrichtung (am Griechentum) zu Hegel Bildungsideal. Es geht in beiden Konzeptionen um die Bildung des sittlichen Charakters. Um die Notwendigkeit der Orientierung an der griechischen Kultur darzutun, greift Hegel überdies SCHILLERS Parallelisierung von Individual- und Menschheitsentwicklung wieder auf und konkretisiert sie für die Bildung der Jugend. Hier geht es um den Übergang von der Kindheit zum mündigen Vernunftgebrauch und gerade der Rückblick auf das Griechentum ist geeignet, diesen Übergang zu befördern. Denn „die klassische Zeit steht in der schönen Mitte zwischen der rohen Gediegenheit einer Nation in ihrer bewußtlosen Kindheit, und zwischen dem verfeinerten (sic!) Verstände der Bildung, der alles analysiert hat und abgesondert hält" (362 f). Hegel revidiert dadurch unter Zuhilfenahme der auch für SCHILLER leitenden Metapher seine frühen Überlegungen (Dok. 50,170,171 f). Das Griechentum wird von einem utopischen Entwurf der Menschheitszukunft auf den einer Zukunft für eine bestimmte Stufe der Entwicklung des Individuums herabgestuft. Die historische Metapher (Griechentum als das Jünglingalter der Menschheit) fungiert als Topos der Anthropologie, näherhin der Entwicklungspsychologie. Der Grund dafür, daß das „Jünglingsalter der Menschheit" der individuellen Lebensphase korreliert werden kann, liegt in einer strukturellen Affinität der in beiden Fällen konstatierten Erkenntnisbefähigung. Sowohl in der historischen Epoche wie in der Entwicklungsphase wird nicht mehr bloß reflexiv-abstrakt, noch nicht spekulativ-umfassend, wohl aber in der Totalität einer Anschauung das Ganze ergriffen. Erst aus diesem lebendigen Vollzug, aus dem Bewußtsein solchen Strebens nach Totalität, wird die zergliedernde Erkenntnis der Wissenschaften und die synthetische der Philosophie zum Desiderat.
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Gegenüber den Bemerkungen der Jenaer Zeit zum Vergangenheitscharakter des Griechentums findet sich hier allerdings eine positive Wende. Für die Bildung des „sittlichen Charakters", für die staatsbürgerliche Bildung und die begründenden Erkenntnisse erscheint der Rückblick auf das Griechentum nicht allein als unumgänglich. Unter diesem Aspekt bietet er das non plus ultra eines pädagogischen Ansatzes, weil der „Blick auf die „Freiheit der alten Staaten, die innige Verbindung des öffentlichen und des Privatlebens" den modernen Staatsbürger über die Beschränkung der eigenen Gegenwart, über den Bourgeois-Egoismus, hinaushebt. Auf diese Weise wird zu Beginn der Bildung das Ziel anschaulich, die Gegebenheitsweise des Ziels entspricht zudem dem Bewußtseinsstand des Jugendlichen und der methodische Weg der Philosophie, der sich anschließen muß, bleibt nicht uneinsichtig hinsichtlich seiner Funktion wie in seiner Notwendigkeit. SCHILLERS Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst wird als Ziel des Unterrichts und der Bildung zwar nicht aller, wohl aber der Jugend definiert. Es geht um die Ausbildung eines zunächst habituellen Vernunflgebrauchs durch die Bildung der Sitten. Die Bildung zum „sittlichen Charakter" (Nürnb. Sehr. 326) geht der Einsicht in die formelle Grundlegung des sittlichen Handelns durch die Philosophie der „direkten Belehrung über moralische Begriffe" und sittliche Grundsätze (335) voraus, er geht aber über die bloße „Zucht", die vernunftlose Produktion und Reproduktion angepaßten Verhaltens, hinaus. Mit einer Modifikation wiederholt Hegel die gleiche Konzeption historischer Bildung in der Bestimmung der Kunst und gewinnt deshalb auch hier einen Weg, die Bedeutung vergangener, damit historisch relativierter und fremder Sinngehalte für die Gegenwart zu erschließen. Während das Griechentum für die Bildung der Sittlichkeit wie des Erkennens die „Anfänge und Grundvorstellungen" erreicht und dadurch eine Vermittlung auf gleichem Niveau bei Vorbild und Rezipienten ermöglicht, betont Hegel, daß es „in Ansehung der schönen Kunst" nicht einen vorläufigen Status, sondern die „Vollendung" repräsentiere (362 f). Auch hier unterscheidet er also zwischen vermitteltem Wissensinhalt, für den man eine genau umschreibbare Rolle in der Individualentwicklung angeben kann, und dem Vermittlungsprozeß selbst. Die Kunst kann als Form der Vermittlung des schönen sittlichen Lebens des griechischen Volkes unter den Bedingungen der Moderne dieselbe Funktion nicht wiedererlangen. So erkennt Hegel im Zusammenhang des Vortrages der Philosophie an Gymnasien der „Partie des Schönen", die eine „Seite der Philosophie des Geistes" ausmacht (41), die Aufgabe einer Einleitung in das „Wesen und den Zweck der Kunst" zu. Hier (auf der Stufe der philosophischen Reflexion über die geschichtliche Bestimmung der Kunst) geht es um ein Bekanntwerden „mit den vornehmsten Dichtern der verschiedenen Nationen und Zeiten" anhand von Beispielen, implizit um eine Kenntnis der verschiedenen Dichtarten (Epos, Tragödie, Komödie), vor allem aber um die Darstellung des Unterschiedes der „modernen und antiken
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Dichtungsweisen". Die Ästhetik als Annex zur Enzyklopädie stellt also die Kunst als die Weise dar, wie die griechische Kultur ihre Sittlichkeit anschaulich vermittelte. Im Kontext der philosophischen Reflexion wird dies bewußt als eine vergangene Weise vollzogen, die sich von der Leistungsfähigkeit der Kunst der Moderne unterscheidet. Hier wird, wie Hegel es unter Hinweis auf SCHILLER für den Vortrag der Philosophie auf Universitäten formuliert, „das Gebildete zum Stoff" gemacht und in grundlegender Vermittlung relativiert (450, Zusatz). Hegel wird später sein Schema der geschichtlichen Epochen noch einmal differenzieren und das Griechentum dem Jünglingsalter, die Kindheit aber der orientalischen Welt zuordnen. In den Nürnberger Überlegungen wird diese Zäsur zwar in der Frage nach der Bildung des „sittlichen Charakters" greifbar, sie wird aber in den Reflexionen der Kunst unschärfer dargestellt. Hier heißt es beispielsweise, daß Kinder, die im „Stande der Natur" (147 f) sind, ebensowenig moralisch handeln wie die Personen der griechischen Tragödie, nämlich ohne „Einsicht in die Natur der Handlung" (159). Kinder wie unzivilisierte Nationen erfahren die Ausrichtung ihres Handelns also als ein „Schicksal", übernehmen sie als eine Lebensform, der sie sich zunächst fügen müssen (151). Im Vertrauen der Einzelnen darauf, daß sie hier in eine allgemeine Sittlichkeit einstimmen, sieht Hegel eine Analogie zur geschichtlichen Funktion des Kunstwerks bei den Alten. „Auch diejenigen, die kein solches Werk hätten zustande bringen können, finden ihr eigenes Wesen darin ausgedrückt" (149), können als Einzelne in die Allgemeinheit dieses geschichtlichen Selbstverständnisses einstimmen. Das deutet darauf hin, daß die Beschränkung der Kunst auf die Anschauung auch zu inhaltlichen Restriktionen der Bildungsfunktion führt. Nur wo die Kunst und ihre Vermittlungsleistung im Kontext der griechischen Polis, also im Rahmen der antiken Kultur, nachvollzogen wird, gibt es die erforderliche Garantie für den Übergang von der Bewußtlosigkeit des Verhaltens zum Vernunfthandeln.
Deshalb behält das Kunstwerk in der Gegenwart lediglich eine Funktion in der theoretischen Bildung. Es realisiert dieselbe „Distanz" zur unmittelbaren Welt des Gemüts und der Interessen, die das Griechentum als Bildungsinhalt eo ipso thematisiert, und kann über Dinge unvoreingenommen informieren, weil es „das Dürftige und Verkümmerte", das die Dinge von äußeren Umständen leiden, von ihnen abstreicht und „die Dinge in ihrer lebendigen Selbständigkeit" darstellt (189). Für die praktische Bildung,d.h. die Funktion der Kunst im Kontext der Konstitution der Sittlichkeit, kann Flegel diese Bedeutung des Kunstwerks nicht aufrechterhalten.^^ Dort wird die Kunst
“Die Einschränkung des Interesses an der Kunst bleibt auch in der Ästhetik maßgeblich und führt zu dem Vorwurf, Hegel artikuliere ein bloß museales Kunstinteresse. In der Tat begründet Hegel auf diese Weise das „theoretische Interesse" an der vergangenen Kunst, wenn er z.B. in der letzten Asthetikvorlesung gegen Ende
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nur noch im Kontext des Griechentums als eine Möglichkeit der Vermittlung
der Sittlichkeit erfahrbar, nicht mehr losgelöst von dieser Epoche des Geistes. Hegel kommt deshalb zu folgendem Schluß: In der Propädeutik des Gymnasiums kann, im Vortrag der wissenschaftlichen Philosophie auf den Universitäten muß die Ästhetik abgehandelt werden; und zwar jeweils im Zusammenhang der Enzyklopädie des philosophischen Wissens als Teil der Geistphilosophie (441, 456). Zur Geistphilosophie gehört „außer Psychologie mit Anthropologie, Rechts- und Pflichten-Lehre, dann Ästhetik und Religionsphilosophie die Geschichte der Philososphie kommt noch hinzu". Aus der Bestimmung des Griechentums wie der Kunst als Bildungsideal, d.h. aus der Differenzierung des Vergangenheitscharakters beider, wie ihn die Jenaer Schriften darstellten, entfaltet Hegel die Grundkonzeption seiner Ästhetik: die Einheit von systematischer und historischer Betrachtung der Kunst. Wiederum integriert er diesen neuen Stand der Argumentation und des Verstehens der Kunst in die Bestimmung des Ideals und wiederum entwirft er — wie in Jena — den Aufriß der Philosophie der Kunst unter Rücksicht auf die modifizierte Bestimmung der Kunst. Während die Jenaer Überlegungen de facto die frühe Konzeption des Ideals kritisieren, aber keine explizite Modifikation des Ideals formulieren, greift Hegel nun nochmals auf die frühe Bestimmung zurück und zwar auf die wesentliche Kennzeichnung des Ideals als Leben. Diese Bestimmung entwickelt Hegel in der Ideenlehre der Logik für die Mittelklasse von 1810/11 im Kontext der Bestimmung der Idee als Einheit von Begriff und Realität. Synonym für diese Einheit beider steht das „Leben" der Idee, >Iasselbe dargestellt als von den Bedingungen und Beschränkungen des zufälligen Daseins befreit, ist das Schöne" (101). Was es heißen kann, das Schöne als das Leben des Geistes anzusehen, erläuterte Hegel zunächst mit dem Begriff der Schönheit in den frühen religionskritischen Schriften. Es ist das „Ideal", nämlich die „Wirklichkeit in ihrer Wahrheit".Schönheit, die sich in der (1828/29) auf die im darauffolgenden Sommer eröffnete Bildergalerie des Museums eingeht. Hegels Lob der historischen Aufstellung, des Ortes etc. bezieht sich darauf, daß der Betrachter der Kunst Einsicht in das Werden des Geistes, einschließlich seines eigenen gewinnt. Eine entsprechende Bestimmung des Lebens findet sich in der Subjektiven Logik für die Oberklasse (Nachl. Hegel K. 16, Fasz. IV; Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz) in den Paragraphen 81 ff. Hegel schließt hier seiner Definition der Idee die Bestimmung des Ideals an („das Ideal ist die Idee nach der Seite der Existenz betrachtet; aber als eine solche, die dem Begriffe gemäß ist. (Das Ideal) ist also das Wirkliche in seiner höchsten Wahrheit" (§ 81); dazu Nürnb. Sehr. 229. Hegel unterscheidet dann drei Ideen: die Idee des Lebens oder der Schönheit, die der Erkenntnis und die des Guten. Das „Leben" als „Idee" in ihrem unmittelbaren Daseyn" kann reflektiert, dargestellt werden. Eine solche Darstellung abstrahiert „von der zufälligen, bedürftigen Aeußerlichkeit" und „ist das Lebendige als ideale Gestalt oder als Schönheit"
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Gestalt, im Kunstwerk, manifestiert, ist so nicht nur Täuschung über die Wahrheit, sondern grundsätzlich eine Weise ihrer Realität. Nur unter der Bedingung, daß die Kunst an die Stelle der Wirklichkeit eine vermeintliche Realität, den Schein der Welt, setzt, wird sie zur Täuschung. Die Einschränkung des Ideals, die auch die Ästhetik eingangs formuliert, liegt nur in der unmittelbaren Gegebenheitsweise der Wahrheit. Auch diese Einschränkung formuliert Hegel hier genauer und überträgt die Bestimmungen der Unmittelbarkeit und Lebendigkeit auf die Kunst ähnlich wie er in der Modifikation des Begriffs der Anschauung die Kategorien der Bestimmung des sinnlichfaßbaren Dinges auf das Kunstwerk als geschichtliches Phänomen angewandt hatte. Die Unmittelbarkeit dieser Wahrheit ist das Dasein der Idee in der Gestalt, eine erste Reflexion führt zur Existenz der Idee als einer Einheit von Grund und Dasein und die Repräsentationsweise dieser Wahrheit ist die Erscheinung, d.i. die Existenz dieser Wahrheit in einem anderen ihrer selbst (vgl. 76). Die Bestimmung der Kunst in der Enzyklopädie für die Oberklasse greift dies auf, ebenso wie die in der Ideenlehre (als dem dritten Teil der Logik der Enzyklopädie) vorangeschickte Definition der Idee als „teils Leben, teils Erkennen, teils Wissenschaft" (255). Kunst ist die erste Stufe des Geistes in seiner reinen Darstellung, und zwar stellt sie ihn einmal in Individualität und (§ 83). Hier liegt auf der Hand, daß Hegel die Bestimmung in seine Ästhetik übernimmt. Zugleich schließt er damit die Täuschung über die Wahrheit aus, auch wenn das Dasein, die Existenz eine Einschränkung der Idee bedeuten. Zu Nürnb. Sehr. 76 vgl. das Ms. von Hegels Hand zur Logik für die Mittelklasse 1810/11. Ms. Ib—2a. —Zur Bestimmung des Lebens als „Idee im unmittelbaren Dasein" oder „Idee im Elemente des Daseins" vgl. die Begriffslehre für die Oberklasse von 1809/10 und für die Mittelklasse von 1812/13, § 68 (Nürnb. Sehr. 229) sowie Enzyklopädie für die Oberklasse von 1808 ff; §§ 84t (N ürnb. Sehr. 255 f); dazu Philos. Enz. Oberklasse K. 16. Fasz. III § 80 (Ziesehe a.a.O. 439f). In Hegels Manuskript findet sich die Stelle: „Die Idee insofern der Begriff mit seiner Realität unmittelbar vereint ist und sich nicht zugleich davon unterscheidet und heraushebt, ist das Leben"; darauf folgt der von Hoffmeister zitierte Satz. Als § 133 einer Nachschrift zur Logik für die Mittelklasse des Gymnasiums aus dem Jahre 1810/11 (K. 16 Fasz. V des Hegel Nachlasses; Ziesehe a.a.O. 442 f; Nürnb. Sehr. 72—101) findet sich folgende Erweiterung: „... ist das Leben; daßelbe sowohl als geistiges wie als physisches Leben dargestellt, von den Bedingungen und Beschränkungen des zufälligen Daseyns befreit, ist das Schöne". In dem Manuskript zur Enzyklopädie 1808/09 (Hegel-Nachlaß K. 16 Fasz. III; Ziesehe a.a.O. 439 f) findet sich folgende Definition des Lebens, die das Leben und die spätere Bestimmung des Ideals in der Ästhetik eher als die Bestimmung des „Scheins" und des Ideals vereinbar erscheinen läßt: „Das Leben ist die Idee im Elemente ihres Daseyns" (§80). In der Bestimmung des Scheins der Ästhetik heißt es jeweils Dasein oder Existenz der Idee, weil Hegel hier die Reflexivität des schönen Scheins gegenüber dem bloß sinnlichen Gegebensein herhorhebt. Diese Stufe formuliert er erst in der ausdrücklichen Integration des Ideals der Kunst in das System des absoluten Geistes.
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zugleich „gereinigt vom zufälligen Dasein" dar. Hier wird der Geist „objektiv für die Anschauung und Vorstellung". Gegenstand der Kunst ist das Schöne als Nachahmung der Idee (nicht die Nachahmung der Natur), und „Ästhetik betrachtet die nähern Formen dieser schönen Darstellung" (230).Ähnlich wie in der Systemskizze in der Geistphilosophie der Realphilosophie von 1805/06 wiederholt Hegel auch hier die Entgegensetzung zweier Stile, des plastisch-objektiven und des „romantisch"-subjektiven. Die Künste selbst werden unterschieden nach „dem Element, worin sie das Schöne darstellen", nämlich einmal für die äußere Anschauung, dann für die innere Anschauung. Hier stehen sich dann ohne geschichtliche Abfolge gegenüber: die Malerei und Plastik und die Musik und Poesie (epische, lyrische und dramatische).
Die programmatische Bestimmung der Kunst in den Frühschriften wird in den Nürnberger propädeutischen Schriften wiederum als Grundlage vorausgesetzt und modifiziert, nun zu einem System der Künste und zur Festlegung seiner Bedeutung für die Gegenwart. Damit ist für Hegel aber die Bestimmung der historischen Bildung durch die Kunst noch nicht zum Abschluß gebracht. Es fehlt das zweite Moment des Ideals, die Religion und Hegel fügt der Analyse der Rolle der Kunst im Prozeß der Bildung der Sittlichkeit die der Funktion der Kunst in der Religion hinzu. Einerseits wiederholt er die Mythologiediskussion und begründet die genannte Änderung der Konstruktion des Universums der Künste durch weitere Überlegungen zur Mythologie als dem Inhalt der Kunst. Ändererseits entwickelt er Hoffmeister fügt hier die Wissenschaft des Geistes an, die die Bestimmung der Kunst enthält. Für diesen Teil findet sich als Beleg in Hegels Manuskript eine Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie. Die Wissenschaft des Geistes, die die Bestimmung der Kunst enthält, ist hierin nicht enthalten, das Manuskript endet bei der Urteilslehre. Einige Hinweise auf die Geistphilosophie finden sich auch in Meineis Paragraphen zur Psychologie (bes. §§49 ff), aber auch hier können die Aussagen zum Bild, zur Anschauung, zu ihrem Unterschied zur Vorstellung nur analog für die spätere Bestimmung des absoluten Geistes herangezogen werden. Die Anmerkungen zur philosophischen Enzyklopädie von Abegg (1813) gehen über die Lehre vom theoretischen und praktischen Geist hinaus bis zur Bestimmung der Geschichte und dem im Lauf der Geschichte vollendeten Geist, den Hegel als Kunst, Religion und Philosophie bestimmt. Kunst gilt als Sich-Wissen des absoluten Geistes in seiner Unendlichkeit; dieser absolute Geist „hat sich zum Gegenstand in der Kunst, indem er sich prodicirt als vollkommener Geist, aber in dem Element räumlicher und zeitlicher Gestalt, für Anschauung und Vorstellung". Es wird darin „das Absolute für den Sinn" gestaltet als „an und für sich seiende Wahrheit". Die Kunst bleibt aber — was Hegel später für die Kunst der Moderne wiederholt — „formell". Ihre „höchste Vernunft" ist Religion. Der von E. Ziesche beschriebene Faszikel VI (Ziesche a.a.O. 443 f) mit dem Titel System der besonderen Wissenschaften enthält als dritten und letzten Abschnitt eine Behandlung von Kunst, Religion und Wissenschaft (§ 160-163) unter „Geist in seiner reinen Darstellung" (Ziesche a.a.O. 444).
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
auch hier die Tendenz, die Geschichte der Religion wie die der Sittlichkeit von der Kunst zu unterscheiden. Diese Tendenz zeigt sich noch nicht als die Entwicklung ihrer getrennten Geschichten, sondern zunächst als Differenzierung ihrer Bildungsfunktion. Die positivere Bestimmung des Ideals bleibt davon unangetastet, aber die hier in die Systemskizze integrierte geschichtsphilosophische Problematik insinuiert die Notwendigkeit des Fortschritts zur historischen Konkretion. Man kann bei der reinen Darstellung des Geistes nicht stehenbleiben, sondern muß über die erste unmittelbare Form hinausgelangen, um das Selbstbewußtsein der Moderne auf den Begriff zu bringen. Hegel hatte diese Notwendigkeit schon in der Jenaer Zeit durch eine Differenzierung des „Inhalts" der Kunst, der Mythologie verschiedener Religionen, dargestellt.Im Religionskapitel der Phänomenologie bringt er diese Einsichten in die Form, die auch für den strukturellen Entwurf der geschichtlichen Gestalt der Künste konstitutiv wird. Die wichtigste Einsicht, die Hegel aus der Divergenz von Form (Anschauung) und Inhalt (Religion bzw. Mythologie) der Kunst zieht und beibehält, ist die, daß die Kunst „in ihrer Wahrheit vielmehr Religion" sei, nämlich die „Erhebung der Kunstwelt in die Einheit des absoluten Geistes" (G W 8. 280). Selbst die Religion erreicht die Wahrheit aber nur als „eine Versicherung ohne Einsicht" und muß durch die Philosophie, durch die Begründung und Explikation dieser Wahrheit, nochmals überholt werden. Die Konsequenzen, die Hegel hier hinsichtlich der Religion formuliert, führen zu einem ähnlichen Bild wie die Zuordnung und Unterscheidung von griechischer Sittlichkeit und Kunst im Bildungsideal der Nürnberger Propädeutiken. In der Religion zeigt sich der Fortschritt von der Naturmythologie zur geistigen Mythologie, später — und zwar in strikter Analogie dazu formuliert — der Fortschritt von der symbolischen zur klassischen Kunstform. Überdies muß ein weiterer Fortschritt der Religion von der geistigen, höheren Mythologie zur „absoluten" Religion, d.h. nun zur strikt und im Vollsinn geistigen Mythologie der christlichen Offenbarung und ihrer von der Kunst purgierten Form im Protestantismus gesehen werden. Dieser letzte Schritt von der „naturhaften", substantiellen Geistigkeit, die sich in der Schönheit der menschlichen Gestalt anschaulich ausdrückt, zur wahren Geistigkeit kann von der Kunst nicht mitvollzogen werden, weil der Boden der Anschauung damit verlassen ist; die schöne Gestalt zerbricht an ihrem Inhalt. Für die Kunst selbst zieht Hegel in diesen Überlegungen bis Vgl. auch GW 8. 281 f; die Rolle der Kunst in der geoffenbarten Religion spart Hegel aus. — K. Fischer zieht die Schillerkritik heran, um die für die Ästhetik interessanten Argumente auszusondern. Der Übergang von der Apotheose des Menschlichen zur Inkarnation des Göttlichen {Phän. 401 f) indiziert den Übergang von der Kunstreligion zur offenbaren Religion (Hegels Leben, Werke und Lehre. 426).
2.3 Modifikation der Ästhetik
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hin zur Phänomenologie nur die systematische Konsequenz: Sie erscheint in doppelter Weise als »partial", als eingeschränkt gegenüber der philosophisch explizierbaren Wahrheit. Formal ist die Kunst dadurch begrenzt, daß ihre Erfahrung und Vermittlung der geschichtlichen Wahrheit an die anschauliche Gestalt gebunden bleibt. Hinsichtlich der inhaltlichen Weltanschauung, die die Kunst als Mythologie, in der Form der Letztorientierung der Religionen, vermittelt, stößt die Kunst ebenfalls mit der „Anschauung" an ihre Grenze, denn sie kann nur Naturreligionen und, als höchste Form der Religion, die Kunstreligion der Griechen adäquat repräsentieren. Hegel eruiert also denselben Prozeß, den die Überlegungen zur Tragödie als Differenzierungsprozeß epochal verschiedener Vermittlungsstufen der Sittlichkeit durchspielten, für die Religion und gelangt auch hier zur Auszeichnung einer „absoluten“ Weise der Vermittlung von Inhalten, durch die die Kunst überboten wird. ln den Nürnberger Reflexionen wiederholt Hegel das Schema des Religionskapitels der Phänomenologie als Aufriß der Welt der Künste, d.h. als Unterscheidung der verschiedenen Kunstformen unter Rückgriff auf den gleichen Ansatz: die Differenzierung der Mythologie. Hier bestimmt Hegel „die lebendige Mythologie eines Volkes" als den „Grund und Gehalt seiner Kunst" und macht die Kunst davon abhängig, „welches substantielle Bewußtsein der Geist ist" (Nürnb. Sehr. 290). Der Akzent liegt auf der Bedeutung dieses Unterschiedes im substantiellen Bewußtsein, der im Religionskapitel der Phänomenologie bereits hinsichtlich des Inhalts der Kunst berücksichtigt wurde. Das Verhältnis von Kunst und Mythologie, von Form oder Gegebenheitsweise und Inhalt zeitigt verschiedene, geschichtlich-diachrone Kunstformen, d.h. verschiedene Gestalten der Kunst. Deren einfachste findet sich in der symbolischen Religion der orientalischen Welt (105,112), in der Verehrung des Gottes als bildloses Wesen (Licht) bzw. seiner Verehrung unter beliebiger Naturgestalt. Hegel führt hier zwar nur den „Gestirndienst" an, redet aber schon wie in der späteren inhaltlich differenzierteren Bestimmung der symbolischen Kunstform vom „Bacchantischen Taumel der Natur" (116), sodaß in der Ästhetik lediglich die größere Beispielmenge für die unendliche Mannigfaltigkeit von Naturformen gegeben wird, in denen sich das Absolute „umherwirft". Diese gewinnt Hegel durch die fortgesetzte historische Beschäftigung mit der Religion und seine Konzeption der symbolischen Kunstform bleibt trotz gleichbleibender prinzipieller Festlegung bis zur letzten Vorlesung über Ästhetik 1828/29 in Bewegung. Die griechische Mythologie findet eine zwar noch natürliche, aber gleichwohl höherstehende Form (vgl. 114) für ihren Inhalt, die das Göttliche für die „Vorstellung" gestaltet. Sie enthält „den Übergang, daß dasselbe nicht nur als Naturwesen" zur Anschauung kommt, „sondern ein wirkliches Dasein als die Geister der Völker und als die besonderen sittlichen Mächte hat" (112 f). Wie
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
in der Ästhetik beruft sich Hegel zur Auszeichnung der Gestalt wie zur Begründung des Vergangenheitscharakters auf die erste Fassung von SCHILLERS Göttern Griechenlands. Die menschliche Gestalt des Gottes hat das „göttliche Wesen dem Menschen näher gebracht", aber der lebendige Nachvollzug dieser Gestalt — den sie selbst insinuiert, wie Hegel bei der späteren Bestimmung der Plastik als der vollendeten Gestalt ausführt — ist die „Trauer" über den Verlust dieser Lebensform. Diese Trauer wird nicht grundsätzlich aufgehoben, denn die folgende Stufe der Kunst kann trotz des nochmals weiter vergeistigten Inhalts nicht als Fortschritt hinsichtlich der Form, der Kunstgestalt betrachtet werden. Auch die „geistigste Religion", das Christentum, „enthält die Versöhnung der Welt mit Gott und die Darstellung desselben in einer menschlichen Gestalt" (113). Diese Gestalt ist aber nicht mehr, wie Hegel es im Ideal der religionskritischen Schriften forderte, die „schöne Gestalt", sondern die „lebendige". Schönheit und Lebendigkeit, Form und geistiger Gehalt treten in ein problematisches Verhältnis, denn die Darstellung des lebendigen Gottes greift auf ungeschichtliche Formen zurück, während das Dargestellte, die menschliche Gestalt des Gottes, sich für die Vorstellung zum geschichtlichen Individuum konkretisiert. Dadurch beschränkt sich die Aufgabe der Kunst. Sie hat Natur und Geschichte so auszulegen, daß der Gedanke von „Gott und seinem Tun für die äußere Wahrnehmung und Vorstellung" Gestalt gewinnt (114). Auch hier betont Hegel also bei jeder Stufe der Religion wie ihrer Vermittlung durch die Kunst, daß der Fortschritt auf den letzten Stand zugeht, auf das begründete Wissen. Interessanter als diese systematische Einbettung ist aber die Tatsache, daß trotzdem jeder Gestalt eine immanente Geschichte zukommt, die Hegel zunächst nur für die Poesie eigens entwickelt. Er zeichnet die Poesie in dieser Weise aus, weil sie seiner Erweiterung der systematischen Bestimmung der Kunst als Wahrheitserfahrung entgegenkommt. In der Poesie verbinden sich nämlich Anschauung und Vorstellung, die Kunst wird dadurch zum „Ausdruck des Innern Gedankens", denn die Sprache der Religion „ist Poesie" (s.o. Anm. 58). Die Geschichte der Kunst (die sich noch im Spiegel der Geschichte der Poesie darstellt) wird anhand der strukturellen Möglichkeiten der Gestaltung des Inhalts (der Mythologie), gewonnen, durch die Hegel eine Orientierungsmöglichkeit für die Kritik der eigenen früheren Annahmen findet wie für die Begründung schon früher geäußerter Bedenken gegen die Kunst seiner Zeit. Er macht gegen KLOPSTOCK Z.B. einen Gedanken F. SCHLEGELS geltend, daß jede Nation ihren Ursprung nur in ihrer „eigenen ältesten Poesie und Sage" findet.Der Rückgang zu den ältesten F. Schlegel: Geschichte der alten und neuen Literatur. Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe. Bd 6. 333. Schlegel hat diese Vorlesung, die in der edierten Fassung 1812 gehalten wurde, schon 1803/04 (mit den Brüdern Boisseree als Hörern) vorge-
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Quellen, die die Gemeinsamkeit aller Kulturen und Nationen erschließt, weil sich hier die Poesie „so wie diese selbst... in ihrem Ursprung berührt", reicht nicht hin, um die Bedeutung der Geschichte für den gegenwärtigen Vollzug zu sichern. Am deutlichsten zeigt sich das am Unvermögen KLOPSTOCKS, „mit seinen Engeln und nordischen Göttern" eine der griechischen entsprechende Mythologie, eine „schöne Religion" für die Moderne zu schaffen. Auch die Künste (hier die Poesie) entwickeln sich durch Umbrüche, zeitigen verschiedene Formen der Darstellung des „substantiellen Lebens" der Völker (114 f, Zusatz). Für Anschauung und Vorstellung wird das Göttliche im wesentlichen auf zweierlei Weise greifbar, einmal in Fabeln und Mythen, die die Natur als göttliches Tun auslegen, und zum anderen „in Beziehung auf menschliches Tun" als Zeichen. Einmal gewinnt der Mensch sein geschichtliches Bewußtsein durch die exemplarische Geschichte des Göttlichen mit dem Menschen, zum anderen durch die abstraktere Form, die eine Distanz von Inhalt und Darstellung voraussetzt. Hegel entwickelt für die erste Form — wobei der die Jenaer Unterscheidung von Natur- und geistiger Mythologie in reicherer Differenzierung strukturell wiederholt — zwei Möglichkeiten. Zunächst nennt er die symbolische Form solcher Vermittlung, die in den Theogonien der griechischen Mythologie, in OVIDS Metamorphosen, den Äsopischen Fabeln, den Darstellungen des Alten Testaments sowie in der Darstellung der Natur als Lebendigkeit in der ägyptischen Mythologie gefunden werden kann. Ohne die nochmals reflektierte Ordnung zeigt sich hier die Gliederung der symbolischen Kunstform in Haupt und Übergangsformen. Den endgültigen Übergang von der symbolischen zur klassischen Kunstform thematisiert Hegel ebenfalls innerhalb der Poesie und zwar durch den Vergleich der Poesie der Heiligen Schrift mit den HoMERischen Epen. Die letzteren stellen eine „Welt", ein „Universum", das „innere Leben seiner Nation" so dar, als ob es Werk aller wäre. In der Schrift dagegen ist die „ursprüngliche absolute Bestimmung der Kunst und vornehmlich der Dichtkunst" die Belehrung über das Wesen und Tun Gottes (114). Hegel betont als neue Einsicht, daß auch in der geistigsten der Religionen, im Christentum, eine Funktion der Kunst (der Poesie) und der Schönheit erhalten bleibt. Kunst fügt durch die Anschauung zur via negativa der Theologie die „positive Erhebung — der
tragen. Es läßt sich nicht eindeutig feststellen, ob dieser Gedanke Schlegels Hegel zur Auseinandersetzung mit Herders Vorschlag, sich mit der germanischen Mythologie zu befassen, motiviert haben kann. Da Hegel Schlegel selbst immer schärfstens kritisiert, von seinen Gedanken aber durch Vermittlung auch Wesentliches übernimmt (so in Heidelberg durch die Brüder Boisseree), müßte man auch hier nach möglichen Verbindungen fragen.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Dankbarkeit, der Schönheit".*i Über die Jenaer Reflexionen hinaus ist wesentlich, daß der Kunst durch die Definition ihrer höchsten Leistungsfähigkeit in der Poesie — Anschauung und Vorstellung — die geschichtliche Funktion der Wahrheitsvermittlung erhalten bleibt. Die „dichtende Phantasie" steht „im Dienst der Ideen und der Wahrheit des Geistes überhaupt. Sie streift die zufälligen und willkürlichen Umstände des Daseins ab" und „hebt das Innere, Wesentliche desselben heraus" (275). Das Kaleidoskop verschiedener Einfälle zur Bestimmung der Funktion der Dichtkunst, sofern sie als Darstellung des Göttlichen symbolisch wird (vgl. 115 f), erschließt sich aus den früheren Jenaer Überlegungen und im Blick auf weitere Bemerkungen der propädeutischen Schriften als systematische Gestalt der Geschichte der Künste. Unterscheidet Hegel nämlich zwischen der Poesie des Alten und Neuen Testaments, was er durch seine Kenntnis HERDERS sicher schon an dieser Stelle könnte, dann zeigt sich im Übergang von der „Symbolvorstellung" als exemplarischer Geschichte zur Funktion des Symbols als bloßes Zeichen der Schritt von der klassischen zur romantischen Kunstform. Man könnte zum Hinweis, daß Hegel diese Begründung nicht fehlt, daß er über HERDERS Vergleich der alttestamentarischen Poesie mit der griechischen*^ hinausgeht, die schon in Jena erwähnten Heiligenlegenden anführen, ebenso die Darstellung der Geschichte Christi überhaupt und als Nürnb. Sehr. 106; in Hegels Handschrift mit dem Titel Religion (11. Oct. 1811) findet sich dieser Satz auf Blatt 196 b. — Zum folgenden siehe oben Anm. 13. Von der Handschrift sind nur Bruchstücke vorhanden, in denen sich aber der Text findet, den Hoffmeister angibt. Im folgenden werden die Zitate der Edition entnommen. Hoffmeister druckt hier das Stück über Die Geistige Religion 9. Oct. 1812. Blatt 199-201 ab. Im Manuskript folgt die Behandlung der Beweise vom Dasein Gottes (Blatt 202 ff). *2ln Herders Abhandlung Vom Geist der Ehräischen Poesie findet sich dieser Vergleich allenthalben. Die Bestimmung des griechischen Epos, die Bedeutung des „blinden Sängers" Homer, die die Ästhetik ausführlich erörtert, hat hier ihre wörtlichen Vorbilder. — An der angeführten Stelle tauchen die Inhalte wieder auf, die die Ästhetik im Kontext der Geschichte des Epos behandelt. Es folgen aufeinander die morgenländischen epischen Gedichte als die symbolische Form, Homer und Vergil als die klassische und als die romantische Ossian, Dantes Göttliche Komödie, Ariost und Tasso. Vgl. bes. Hotho 1823. Ms. 276. Zur Bestimmung des symbolischen Epos vgl. auch die Definition des Symbolischen, des Symbolisierens der Einbildungskraft in der Enzyklopädie für die Oberklasse von 1808 ff: Es besteht ,xlarin, daß sie sinnlichen Erscheinungen oder Bildern Vorstellungen oder Gedanken anderer Art unterlegt, als sie unmittelbar ausdrücken, die jedoch eine analoge Beziehung mit ihnen haben und jene Bilder als den Ausdruck derselben darstellen" (Nürnb. Sehr. 275). Als Beispiele führt Hegel Shakespeare an, Schiller (bes. Karl Moors Äußerungen). Den Anfang macht die schon aus Jena geläufige Kritik der Naturpoesie, der Naturnachahmung und den Beschluß bildet wiederum ein Seitenhieb gegen die „Neigung der Deutschen zur Gedankenpoesie der Natur" (a.a.O. 276).
2.3 Modifikation der Ästhetik
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deren derivaten Modus jene ^Aufopferung der Romanen" (119, Zus.), die im Rittertum ihren Ausdruck findet. Dieser Aufopferung, die er auch in der Ästhetik mit der heroischen Welt vergleichen wird, stellt Hegel schon jetzt die »erhabenen sittlichen Naturen der Alten" entgegen, die menschlich den Schmerz empfinden (wie Laokoon), nicht »die leere kalte Großmütigkeit", wenn sie sich im notwendigen Untergang in die Freiheit ihrer selbst zurückziehen. Durch die Unterscheidung von alt- und neutestamentarischer Poesie rückt in der Ästhetik die Poesie der Erhabenheit, die alttestamentarische Poesie, vor die klassische Kunstform als eine der Übergangsformen der symbolischen Kunst. In der klassischen Kunstform betont Hegel nicht mehr die Würde und Erhabenheit, sondern — bedingt durch die Auszeichnung der Skulptur — die Schönheit dieser Kunst, die aus der Harmonie der Versöhnung entspringt. Im Systemteil Ästhetik fehlt also zur Zeit der Nürnberger Propädeutiken lediglich die Auszeichnung bestimmter Künste, weil sie mit der gerade herrschenden Form des substantiellen Bewußtseins strukturell übereinstimmen und die Kennzeichnung der jeweiligen Übergangsformen durch die Gestalten, die nur teilweise ihre substantielle Grundlage wiederholen. Die grundsätzliche Betonung des Vergangenheitscharakters der Kunst bleibt erhalten, zeigt sich aber als Basis für die Konkretion der »Geschichtlichkeit" der Kunst in und durch die Geschichte der Künste. Hegel hat also den systematischen Zusammenhalt von Begriff, Geschichtlichkeit und Historizität gewonnen, der allgemein als Spezifikum seiner Ästhetik gilt. Äuch hier zeigt sich die Entwicklung der Ästhetik als konsequente Weiterführung des Ideals der religionskritischen Schriften, denn Hegel setzt seine Jenaer Überlegungen in der Weise fort, daß er die inhaltlichen Momente des Ideals der Jugendschriften in die formale Restriktion seiner Wahrheitsfunktion integriert.
2.3.2 Die historische Relativierung der Einheit von Kunst und Religion Während sich in der Bildungskonzeption der Nürnberger Schriften durch die Parallelisierung von Individualgenese und Geistesgeschichte die spätere Trennung von Kunst und Sittlichkeit der Moderne (bzw. Staat in der Enzyklopädievon 1827) vorbereitet, entwickelt Hegel analog dazu eine Trennung von Kunst und Religion. Äuch in dieser Perspektive bildet die Geschichtskonzeption als Bildungskonzeption die Grundlage. Än die Stelle des Individuums treten allerdings Kollektive, die »Völkerindividuen", deren Bildungsstand sich in den Religionen manifestiert. Hegel geht also zunächst davon aus, daß die Wahrheit der Kunst in der Religion liege (s.o. Änm. 58) und gewinnt dadurch die Möglichkeit, das System der Philosophie als Geschichte des Geistes, die letzte Stufe des absoluten Wissens als dessen Gegenwart zu
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
bestimmen. Diese Grundlage bleibt in allen weiteren Schritten unangetastet, sodaß es sich für Hegel nicht nahelegt, die Kunst als gesonderten Systemteil, in einer Ästhetik zu behandeln. Noch in seinem Gutachten, das er am 5. 5. 1820 an den Rektor der Berliner Universität richtet, begründet Hegel die Vollständigkeit und Abgeschlossenheit seiner philosophischen Lehre unter Rückgriff auf die eigenen Nürnberger Überlegungen über die Lehre der Philosophie an den Universitäten. Noch hier plant er Ästhetik zu lesen, ß\e sich zugleich auf Religionsphilosophie bezieht" (Nürnb. Sehr. XXIV). Darin wiederholt sich einerseits die These, daß die Wahrheit der Kunst in der Vorstellung liege und daß diese formale Zuordnung inhaltlich so eingelöst werden soll, daß die Kunst zunächst in der Religion, endgültig aber durch die Philosophie ihre Legitimation erhält. Dennoch hat Hegel schon in Heidelberg eine Ästhetikvorlesung^^ angeboten (1817) und gehalten (1818), obwohl er in der ersten Fassung der Enzyklopädie (1817) die Behandlung der Kunst mit der der Religion verschmilzt. Wenn Hegel also betont, daß die Kunst mit Religion und Philosophie denselben Inhalt habe, nämlich die Vermittlung des Absoluten bzw. unprätentiöser: Wahrheitsvermittlung (vgl. Phil. d. Rel. 280; Aachen 1826. Ms. 34), dann schließt das nicht aus, daß zugleich durch die Art der Vermittlung geschichtliche Einschnitte begründet werden. Ein erster Schritt liegt mit der Trennung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst von der der Sittlichkeit und Religion der Moderne im „Bildungsideal" der Nürnberger Schriften vor. Diesen Schritt vertieft Hegel in grundsätzlichen Erwägungen. In der Philosophie der Weltgeschichte ordnet er nicht nur die drei Kunst- und Religionsformen verschiedenen Epochen zu, er findet zugleich die dezidierteste Formulierung für den Vergangenheitscharakter des Griechentums und der 3E. Schulin weist darauf hin, daß das Kolleg von 1818 vermutlich noch keine Behandlung der orientalischen Kunst enthalten habe. (Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients hei Hegel und Ranke. 34). Erst ab 1820/21, also in seiner ersten Berliner Vorlesung habe Hegel orientalische, griechische und christliche (sc. symbolische, klassische, romantische) Kunstform unterschieden. Auch nach G. Lasson hat Hegel erst nach 1820 im Zusammenhang der Entwicklung der Philosophie der Weltgeschichte die für die Bestimmung der orientalischen Religion und dann auch der ihr zugehörigen Kunstform entscheidenden Modifikationen erarbeitet. Vgl. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Bd 1. 237 f. Zwar kann man Schulin nicht in allen Punkten zustimmen — so nimmt er an, die Vorlesungen seit 1823 enthielten keine Umgliederung der Teile über den Orient (a.a.O. 42) —, sicher ist aber, daß erst in Heidelberg für Hegel jene Anregungen wichtig werden, die er schon bei Schelling, schon in dessen Beschäftigung mit der orientalischen Poesie hätte rezipieren können. Vgl. G. Wohlfart: Der spekulative Satz, 147 f; sowie zur Rezeption der orientalischen Religion M. Hulins Untersuchung Hegel et L'Orient und R. Leuze: Die außerchristlichen Religionen bei Hegel, (vgl. dazu Hegel-Studien. 16 [1981], 66 ff; 13 [1978], 319 ff).
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Kunst.Kein Volk kann „zweimal in der Weltgeschichte Epoche machen" (180), heißt es dort, und eine Phase der geistigen Entwicklung kann nicht wiederholt werden. Hegels Argument dafür besteht in einer Umkehr der Begründung des Bildungsideals. Die Geschichte des Geistes, der Prozeß einzelner, aufeinanderfolgender Volksgeister wird analog zum Leben des Individuums (vgl. a.a.O. 68 f) als Wachsen und endgültiges Vergehen dargestellt. Der Geist bringt sich in der Weltgeschichte in bestimmten Gestalten (den Völkerindividuen) hervor, näherhin in den „Bestimmtheiten ihres sittlichen Lebens, ihrer Verfassung, ihrer Kunst, Religion und Wissenschaft" (75). Die Konsequenz für die Kunst ändert sich nicht. Es wird lediglich explizit betont, daß die Vollendung der Kunst im Griechentum liegt: Die griechische Kunst „so wie sie ist, (bildet) selbst das höchste Muster" (144). Im modernen Staat wird die Kunst zum Element „bloß formeller Bildung" (173). Sie hat in dieser Bildungsfunktion eine Religion zur Seite, die ihr als „Offenbarung des Absoluten" grundsätzlich überlegen bleibt, weil sie nicht durch den Zwang zur Verendlichung des Göttlichen belastet ist. Dennoch erweitert Hegel diese Bestimmung in der Religionsphilosophie und in der Ästhetik. Hier fügt Hegel nämlich der Bestimmung der Kunst als „formeller Bildung" im modernen Staat eine weitere historische Ausprägung der Kunst hinzu: die Kunst, die sich von der Religion gelöst hat. Ihr Inhalt ist nicht mehr die Wahrheit in der geschichtlichen Gestalt der Religion, sondern die Wahrheit des Menschen, des „Humanus" und seiner Anschauung der Welt. Ausgerechnet die Religionsphilosophie enthält das Argument für diese Trennung der Kunst von der Religion. Weil die Anschauung des Göttlichen durch das Kunstwerk schon für sich Objektivität gewinnt (vgl. Phil. d. Rel. 285), kann es — so in der geoffenbarten Religion — durch die eigene Objektivität zur wahren Objektivität der Vorstellung in Gegensatz geraten. So kann man die Kunst „für sich, einseitig, ohne Religion" betrachten und sie 64 In der Philosophie der Weltgeschichte greift Hegel explizit auch auf seine Schillerkritik zurück, um zu betonen, daß der „Schein", das Ideal sich „vor dem reinen Licht der göttlichen Idee, die kein bloßes Ideal ist", auflöse (Bd 1. 65, 76). Zur Korrelation der Erziehung des Menschen mit der Geschichtskonzeption vgl. Bd 1. 65, 150. Hier ergänzt Hegel Schiller im Sinne Lessings und erklärt den Erziehungsprozeß als Erziehung zur Freiheit, die über die Volksgeister, die Völkerindividuen als „Glieder in dem Prozesse" führt. — Zum Vergangenheitscharakter vgl. Bd 1. 45,127. — Da diese Gedanken an früherer Stelle eingehend erörtert wurden, weil Hegel sie schon seit der Jenaer Zeit formuliert, wird die Wiederholung der Abfolge der drei Kunstformen, symbolische, klassische und romantische, die die Enzyklopädie von 1827 zunächst darstellt, nicht eigens erörtert. Die Bedeutung liegt fest (vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Die Ästhetik in Hegels Sy stemder Philosophie), und ein Fortschritt liegt nur in der Trennung der verschiedenen Geschichten von Kunst, Religion und Philosophie bzw. in der Konsequenz, die Hegel daraus für die gegenwärtige Bedeutung und Gestalt der Kunst zieht.
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
kann sich sogar von dem Inhalt lösen, der ihre strukturelle Krisis verursacht. Während aber die Religion ohne Kunst zur Philosophie als ihrer Vermittlung voranschreitet, bleibt die Kunst ohne Religion letztlich ein Unding. Sie gehört weiterhin als Element der formellen Bildung zum Staat, aber sie erscheint gleichzeitig von ihrem substantiellen Interesse getrennt. Da sie ihren »großen", d.h. sie formell erfüllenden oder gar überbietenden Inhalt verloren hat, kann sie »Gestalten" für beliebige Inhalte entwickeln. Die Kunst wirft sich dann nicht allein (wie in der symbolischen Kunst) in einer uneinschränkbaren Mannigfaltigkeit von sinnlichen Gestalten herum, die alle gleichermaßen unzureichend sind, das Unendliche zu fassen; sie wirft sich zudem in einer unabsehbaren Vielfalt möglicher Inhalte (der „Prosa des gemeinen Lebens") herum, die alle unfähig sind, die der Kunst zugeschriebene Wahrheitsvermittlung zu gewährleisten. In der Überarbeitung der Enzyklopädie (1827/1830) entwickelt Hegel für diesen Gedanken die geistesgeschichtliche Grundlage, die er auch in die Astheiikvorlesung (1928/29) überträgt. Die Kunst „begleitet" die Geschichte der Religion nur, solange die Vorstellungen der Religion keine angemessenere Artikulation gefunden haben als die Anschauung. Wo aber eine angemessenere Vorstellung, eine Vermittlung möglich ist, da löst sich die Religion von der Kunst. In Hegels Worten: Die Religion liegt sowohl im Rücken der Kunst, macht ihre Vergangenheit (§ 561) aus, als der Inhalt, den es für ein Bewußtsein zu artikulieren gilt. Ebenso darf die Religion aber als Zukunft der Kunst angesehen werden, als deren Aufhebung. Die Anschauung erscheint hier als eine Weise der Thematisierung der religiösen Vorstellungen, die nur für eine bestimmte historische Situation zureichend ist. Dasselbe gilt für den Staat: Die anschauliche Konkretion der Idee des Schönen und die Bildung des Staates, der modernen Form der Sittlichkeit des Volkes, fallen, außer in der griechischen Polis, auseinander. Selbst die antike Polis ist in derselben Weise überholt, liegt „im Rücken" der wahrhaften Religion und die Einheit von Religion, Staat und Kunst im Griechentum bleibt selbst solange „etwas Formelles", als nicht in der Religion die Idee der Freiheit zur Grundlage der Sittlichkeit erhoben wird. Bezogen auf die Gegenwartsbedeutung der Kunst heißt dies, daß sie in der formellen Bildung einen anderen Stellenwert gewinnt als sie ihn zu ihrer geschichtlichen Zeit hatte. Während Sittlichkeit und Religion sich entwickeln und fortschreitend neue Orientierungssysteme entfalten, hat die Kunst im Griechentum ihren Zenit erreicht. Schöne Kunst kann nur der substantiellen Sittlichkeit und „denjenigen Religionen angehören", in denen „die konkrete in sich frei gewordene, noch nicht aber absolute Geistigkeit Prinzip ist" {Enz. 1830. § 562 Zus.; vgl. 1827. § 562). Die Wiederholung des griechischen Anfangs, die erneute Einheit von Poesie und Politik, wäre eine anachronistische Konstruktion. Neben der Bildungsfunktion bleibt nur der Sinn der „formellen Bildung" durch Kunst erhalten, den Hegel in der Ästhetik defi-
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niert: die Kunst kann in historischer, genauer in geistesgeschichtlicher Perspektive Aufschluß über die eigene Geschichte geben, über die Ursprünge des modernen Selbstbewußtseins informieren, darf aber nicht selbst wieder zum Ursprung einer Weltanschauung deklariert werden. Die formelle Bil-
dung in ihrer höchsten Form ist historische Reflexion, die im Kontext systematischer Philosophie erschlossen werden kann. Hegel will sich deshalb
für die Auswahl der Stoffe aus der in jedem Falle bloß historisch interessanten Mannigfaltigkeit der Kunst nicht festlegen. Er fordert auf zur Sammlung der monumenta nationum, nicht zur Spezialisierung auf die Dokumente der eigenen nationalen Geistesgeschichte; er teilt das Interesse der Romantiker am Mittelalter, nicht aber die Beschränkung der Spätromantik auf dieses als die „national-bedeutsame" Quelle. Hier gilt ihm gleichermaßen der Orient als interessant und wert, vergegenwärtigt zu werden. Zudem lobt er die „museale Konzeption" in der Präsentation der mittelalterlichen Malerei, weil sie im historischen Durchblick die Perspektive der Geistesgeschichte vorbereitet, die Hegel in seiner Vorlesung (explizit unter Rückgriff auf dieses Beispiel 1828/29) nachliefert. Denn die „gegenwärtige Welt, Gestalt des Geistes, sein Selbstbewußtsein" begreift nur dann „alle in der Geschichte als früher erschienenen Stufen in sich", wenn sie sie „begreift", philosophisch vermittelt {Phil. d. Weltgesch. Bd 1. 182). Hegel kann so gleichzeitig eine Unverzichtbarkeit der Kunst behaupten (Religion muß erhalten und gelehrt werden „immerfort genau so wie die Wissenschaft, Kunst gelehrt werden muß"; Bd 1. 129) und ihre nur relative Bedeutung. Im Staat ist die Freiheit realisiert und so gilt er als „der Mittelpunkt der anderen konkreten Seiten" des „Rechts, der Kunst, der Sitten, der Bequemlichkeiten des Lebens" (Bd 1.111; vgl. 123,124). Die Künste sind u.a. die „besonderen Mächte" im Staat (120), aber sie gelten nicht mehr als staatsstiftend, wenn man auch ihr Verdienst in dieser Hinsicht in historischer Perspektive würdigen muß (Bd 1.112). So sehr Hegel gegen eine „sich hochstellende ästhetische Kritik" polemisiert, wo es gilt, die Kunst in ihrer geschichtlichen Bedeutung zu erfassen, so wenig gelingt es ihm selbst, für die Kunst der Gegenwart eine Bedeutung des „Substantiellen des Inhalts" zu entwickeln, die die Erweiterung der Ästhetik zu einer Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst legitimierte und als notwendig einsichtig werden ließe. Hegel findet für die Verschärfung seiner Jenaer These vom Vergangenheitscharakter des Ideals im Kontext der vollendeten systematischen Aufarbeitung ein Argument, das den Zwang aufhebt, die Frage nach der Gegenwartskunst so zu erörtern wie die nach der Kunst der Vergangenheit. Der Vergangenheitscharakter der Kunst gilt nicht nur als Resultat einer überholten Form der Präsentation, er legitimiert sich nicht nur aus der Depotenzierung der Anschauung in Erkenntnisperspektive. Zugleich erscheint er als Emanzipation des Inhalts der Kunst, durch den ihre Wahrheit begründet wird, von der Kunst. In der Kunst wird — anders als in der
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Religion — nicht der Geist der Religion, des Gottes, sondern nur seine „Gestalt" dargestellt (Bd 1. 124). Der Inhalt der Religion, die Gott als Geist auffaßt, geht nicht nur über die Kunst hinaus, sondern löst sie als schöne Gestalt auf. Hegel zieht die systematische Konsequenz daraus in seiner Ästhetik durch eine erneute Bestimmung des Ideals, seines Vergangenheitscharakters wie der „Lebendigkeit", die es in der Gegenwart noch haben kann.
2.3.3 Kunst-Ideal und Klassizismus der Ästhetik Durch die für das Bildungsideal der Nürnberger propädeutischen Schriften konstitutive Trennung der Einheit von Kunst, Religion/Mythologie und Sittlichkeit eines Volkes legte Hegel die gegenwärtige Bedeutung der Kunst aus dem Kontext der Geistesgeschichte überhaupt fest. In der Enzyklopädie kam dazu eine Bestimmung der systematischen oder „absoluten" Bedeutung der Kunst in der Geschichte. D.h. Hegel erörtert nun die Bedeutung der Kunst im Rahmen des absoluten Geistes und zieht die Konsequenz aus der funktionellen Einschränkung der Kunst auf die Bildung des Individuums in bestimmten Lebensphasen. Die scheinbare Überwindung des systematischen Dogmatismus durch die Emanzipation der Kunst von ihrem religiösen Inhalt (so D. HENRICH) führt also zur rigidesten Form der systematischen Einordnung der Kunst. Auch hier greift Hegel erneut auf die allererste Bestimmung des Ideals in den Theologischen ]ugendschriften zurück, nun aber um die utopische Funktion endgültig aufzuheben. Hatte er noch in Nürnberg versuchsweise das Ideal als das „Leben" der Idee dargestellt, so muß er auch diese begrifflich der frühen Konzeption nahestehende Fassung revidieren, wo er die Gegenwartsbedeutung der Kunst nicht mehr allein aus dem geistesgeschichtlichen Kontext der verschiedenen Entwicklungen von Religion und Sittlichkeit eruiert, sondern sie letztgültig darstellt. Diese letztgültige Darstellung unternimmt Hegel durch die Entwicklung der Ästhetik als Teil des Systems der Philosophie, und zwar in der prinzipiellen Erörterung zu Beginn dieser Vorlesungen, die das Ideal als solches mit der Idee wie sie für die Gegenwart präsent sein kann — nämlich in der vollständigen und begründeten Explikation durch das System der Philosophie — verbindet. Die Kunst wird hier zum bloßen Ideal herabgesetzt, zum Dasein bzw. zur anschaulichen Existenz der Idee, die dem „Leben" der Idee im absoluten Wissen als tote Form des Geistes, allenfalls als eine Form, die durch die philosophische Betrachtung partiell wiederbelebt werden kann, gegenübersteht. Schon die erste Fassung der Enzyklopädie (1817) enthält diese Schlußfolgerung und formuliert sie in der Bestimmung der Kunst als der ersten Stufe des absoluten Geistes. Kunst ist das Resultat einer Tätigkeit, die sich ihrer selbst und der Natur auf bloß substantielle Weise vergewissert. In der schönen Gestalt realisiert sich das „identische und concrete Wesen der Natur und
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des Geistes" {Enz. 1817. § 457), aber in einer nicht reflektierten Form, nicht als „Wissen um sich". Diese Gegebenheitsweise der Idee im Ideal kann für „ihre" Zeit, das Griechentum, als „Leben" der Idee betrachtet werden, für die Moderne liegt in der Betrachtung solcher Phänomene aber lediglich ein historisches Interesse. Was Hegel in den religionskritischen Reflexionen bis zur Frankfurter Zeit der Idee des Schönen zuschrieb, die Integration geschichtlichen Wissens in das Leben, fällt nun ausschließlich der Philosophie zu. Schönheit ist die Idee nach der Seite ihres Daseins bzw. ihrer Existenz. Das Schwanken zwischen diesen beiden Kategorien der Bestimmung des Ideals erklärt sich daraus, daß Hegel die Existenz der Idee nun nicht mehr als Leben, sondern als bloß sinnlich-anschauliche Existenz betrachtet. D ie Frage nach der G egenwart sh edeutung der Kunst führt, wo sie auf dem Boden und mit den Mitteln der Philosophie erörtert wird, zu einer doppelt begründbaren Endlichkeit des Ideals.ln der „schönen Gestalt" ereignet sich bloß formell eine „Durchdringung der Anschauung oder des Bildes durch den Gedanken" {Enz. 1817. § 460), und sie bleibt zugleich dem Stofflichen verhaftet. Deshalb kann sie ihren Inhalt — das Göttliche als Wahrheit des subjektiven und objektiven Geistes in der Besonderheit eines Volksgeistes —immer nur anschaulich-endlich verwirklichen. Der zweite Grund für die Endlichkeit des Ideals liegt in der subjektiven Kunstproduktion. Zwar führt diese als sich entäußernde Tätigkeit zu einer neuen Unmittelbarkeit: zum Werk. Im Werk gestaltet sich aber subjektive Innerlichkeit zur Allgemeinheit einer einfachen, unmittelbaren Anschauung, d.h. zur „Substanz des Subjekts" {Enz. 1817. § 462). Kunstproduktion als „substantielle Produktion" {Enz. 1817. § 472) kann den ihr impliziten Wahrheitsanspruch nicht einlösen. In der überarbeiteten Fassung der Enzyklopädie (1827) definiert Hegel das Ideal wieder als die unmittelbare Gestalt des Wissens um das Absolute, und zwar als „Anschauung und Vorstellung des an sich absoluten Geistes". Das Ideal als Schönheit ist die „aus dem Geiste geborne konkrete Gestalt" {Enz. 1827. § 556). Die Endlichkeit des Ideals wirkt sich dahingehend aus, daß die Kunst auch „dem Ideale nach" zu etwas bloß Formellem wird. Kunst führt als unmittelbare Anschauung lediglich zur Gewißheit, ohne die Fähigkeit zu besitzen, sich ihrer Wahrheit zu vergewissern {Enz. 1827. § 557). Nicht nur die Gestalt, auch das Göttliche, das zum Inhalt des Ideals werden kann, ist „wie die Gestalt ein endliches überhaupt" {Enz. 1827. § 558). Die Definition des Kunstschaffens als „substantielle Produktion" erfährt durch eine Reflexion auf den Künstler eine weitere Einschränkung. Obwohl es dem „Genie" in seiner Tätigkeit darum geht, geistigen Gehalt zu gestalten, geschieht dies in „Begeisterung" und bleibt zweideutig: sowohl geistiges wie „unfreies Pathos". Der Inhalt kann in solcher Gestaltung nicht allein durch die Form der „substantiellen Produktion" beeinträchtigt werden, sondern darüberhinaus noch durch die subjektive Realisation dieser Produktion. Mit Hegel: der Künstler wird „Meister", nicht Diener des Gottes, und das schöne Werk bleibt ein mit
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„technischem Verstände" gefertigtes, sinnlich-äußerliches Ding {Enz. 1827. § 560). Für wie bedeutsam Hegel die Tatsache einschätzt, daß das Ideal jeweils nur in einem solchen sinnlich-äußerlichen Produkt seine Wirklichkeit findet, zeigt die letzte Fassung der Enzyklopädie. Denn hier stellt er der Bestimmung des Ideals als der aus dem Geiste geborenen Gestalt die Bestimmung der „Endlichkeit der Kunst" (Enz. 1830. § 556) voran, die er aus seinem zweiten Kriterium (der nur substantiellen Tätigkeit des Geistes) gewonnen hatte. Beides zusammen, „die sinnliche Äußerlichkeit an dem Schönen" und die Form der Unmittelbarkeit der Idee, führen als „Inhaltsbestimmtheit" zu einer Verendlichung des Göttlichen (Enz. 1830. § 557). Eben weil das Absolute „nicht in solcher Einzelnheit des Gestaltens expliziert werden" kann, ist „der Geist der schönen Kunst... ein beschränkter Volksgeist" (Enz. 1830. § 559). Das Resultat der Vermittlung der Religion durch die Kunst führt zu einer „unbestimmten Vielgötterei", zur Unentscheidbarkeit der Geltungsansprüche verschiedener, zum Prinzip der Sittlichkeit erhobener Mächte. Die spezifisch „ästhetische" Konsequenz, die Hegel aus der Tatsache zieht, daß das Ideal seine „Zukunft", d.h. eine adäquatere Vermittlung, in der absoluten Religion findet, ist die auch für die Asthetikvorlesungen konstitutive Betonung des Vergangenheitscharakters der Kunst. Die Ästhetik selbst steht auf der Stufe der philosophischen Explikation, sie hat den „denkend erkannten Begriff der Kunst" (Enz. 1830. § 572) zum Inhalt. Allerdings erfährt die in der Ästhetik wieder mitbedachte geschichtliche Dimension durch die auf die Geschichte übertragene Konstruktion der Genese des absoluten Wissens entscheidende Determinationen, die letztlich zu Aporien in der Kunstbeurteilung führen. Inder yis//irh’F bestimmt Hegel das Ideal ebenfalls durch die Momente, die die Enzyklopädie in allen Bearbeitungsstufen als konstitutiv herausstellt. Als Zweck der Kunst gilt die „sinnliche Darstellung des Absoluten"; die Adäquatheitsforderung an diese Darstellung formuliert Hegel als die Notwendigkeit, daß Inhalt und Kunstgestalt „ineinander gebildet" sein müssen. Auch hier gilt das Schöne, näherhin das Kunstschöne, als die „aus dem Geiste geborene und wiedergeborene Schönheit" und deshalb als eine mögliche Vermittlung der Wahrheit. Die genaue Bestimmung der Bedeutung dieser Wahrheitsvermittlung legt Hegel durch die Entfaltung der Idee des Schönen fest. Sie gilt nun als die lebendige Idee auf der Stufe des anschaulichen Daseins, der Existenz. Da die Kunst als erste Stufe des absoluten Geistes dessen Realisation im Medium der Sinnlichkeit, der Anschauung, leistet, definiert die Ästhetik (vermutlich der Herausgeber HOTHO) das Ideal als das „sinnliche Scheinen der Idee". Obwohl dies die gängigste Definition des Ideals ist, die sich in allen Auseinandersetzungen mit Hegels Asf/lef ik wiederfindet, wird im folgenden auf diese Bestimmung des Ideals verzichtet. Aus Hegels Erörterung der Anschauung in den Jenaer Schriften, aus seinen Überlegungen, wieweit die
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Schönheit auch täuschender Schein sein mag, ließe sich zwar ein Sinn dieser Definition aus der Entwicklung der Ästhetik belegen. Aber die Nachschriften — einschließlich der HOTHOS von 1883 selbst — bringen diese Bestimmung des Ideals nicht. Hier tauchen vielmehr die Begriffe in der Bestimmung des Ideals wieder auf, die auch die Jenaer Schriften und die die Modifikation der Kunst zum Bildungsideal in den propädeutischen Schriften enthalten. Die Schönheit ist Dasein und Existenz der Idee, das Medium der Wahrheitserfahrung ist der schöne Schein, und im Ideal manifestiert sich darum eine historisch relativierte Version der Lebendigkeit der Idee. Die erste Bestimmung, daß das Ideal die Existenz der Idee sei, findet sich schon den frühen Überlegungen, die das Ideal noch in der Gestalt Christi bzw. in der lebendigen Person der Religionsstifter realisiert sehen {Nohl. 142). Hegel greift das in seinen Vorlesungen zur Ästhetik wieder auf. Das Schöne macht die Idee in ihrer Realisation aus. Auch ein existierender Mensch könnte Ideal sein, wenn er der Idee gemäß existierte.Wo die „äußerliche Existenz zur Manifestation des Geistigen" wird oder wo „das Lebendige" lediglich den Begriff realisiert, ohne die Bedürftigkeit des faktischen Lebens, da haben wir das Ideal. „Das Ideal ist diese Wahrheit, die Idee zugleich mit ihrer Wirklichkeit, Individualität, Subjektivität", und deshalb trennt sich die Betrachtung nach zwei Hinsichten, nach der der Idee und der der Äußerlichkeit der Idee, der Gestalt. Beides „zugleich macht das Ideal aus, d.i. die gestaltete Idee". HOTHOS Nachschrift faßt die konstitutiven Momente des Ideals noch am ehesten im Sinn der in der Ästhetik veröffentlichen Definition des Ideals. Das „Ideal ist ein Geistiges", bleibt aber zugleich „in der sinnlichen Welt... in sich beschlossen", so daß gleichsam „der Geist den Fuß in das Sinnliche setzt" {Hotho 1823. Ms. 74). Hier geht es — das ist der Grund, warum Hegel das Kunstschöne und nicht das Schöne der Natur zum Gegenstand der Ästhetik macht — um „Wahrheit". Der Gegenstand, die schöne Gestalt, muß als ein „vom Geiste Produziertes" (Hotho 1823. Ms. 114) aufgefaßt werden; und die Kunst wird darum auch die Existenz, nicht bloß das unmittelbare Dasein der Idee, genannt werden können, weil sie „die Darstellung der Wahrheit des Daseins zum Gegenstand" hat. In der Kunst geht es nicht um Nachahmung der Natur, nicht um „bloße Richtigkeit, sondern das Äußere muß mit seinem Inneren zusammenstimmen, das an ihm selbst ein Wahres ist" (Hotho 1823. Vgl. dazu die Nachschrift von Kehler aus dem Jahr 1826. Ms. 64. Zum folgenden vgl. Kehler 1826. Ms. 252 f; dann die Aachener Nachschrift aus derselben Ästhetikvorlesung: Aachen 1826. Ms. 41 f, 27. — Inhaltlich mag interessant sein, daß für Hegel die Gestalt Christi in den Vorlesungen nicht mehr als „ein eigentliches Ideal" (jedenfalls nicht als solches darstellbar) erscheint, aus Gründen, die die Bestimmung des Ideals und die Festlegung seiner vollendeten Realisierung im Griechentum liefern (vgl. Aachen 1826, Ms. 136).
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Ms. 73 f). Noch in der Vorlesung von 1828/29 behält Hegel diese Bestimmung bei und charakterisiert das „Schöne als Kunstwerk" dadurch, daß hier „das Ideal aus dem Geiste geboren" und gleichermaßen „vom Menschen hervorgebracht" sei (Jag. Bihl. 1828/29. Ms. 45 f).** Damit wird dann die Bestimmung des schönen Scheins verknüpft, die nähere Definition der Wirklichkeit, der geschichtlichen Wirksamkeit des Ideals. Da der Beginn der Diskussion (Hegels Auseinandersetzung mit SCHILLERS Trennung von schönem Schein und Realität) in den Überlegungen der Jenaer Zeit wiederholt und modifiziert wurde, kann man für Hegels eigene Bestimmung des schönen Scheins nun zwei grundlegende Momente festhalten. Einerseits darf die Entgegensetzung von schönem Schein und Realität nicht die Abwertung des Scheins zum bloßen Schein meinen, sondern es geht um die „Erscheinung" der Realität unter der Wahrheitsperspektive, d.h. unter Absehen von verunklärenden Zufälligkeiten. Andererseits kann das Medium des schönen Scheins der zur umfassenden Begründungsforderung ausgeweiteten „Vernunftbedürftigkeit" der Moderne nicht genügen. SCHELLiNG bestimmt den schönen Schein positiv, weil „durch die Sinnenwelt... wie durch Worte der Sinn" blickt, „nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten", erfaßbar wird.^^ Hegel konnotiert dagegen in seiner Auseinandersetzung mit SCHELLING diese Bestimmung des Scheins eindeutig negativ als Verunklärung der Wahrheit und wendet
Auch die Vorlesungsnachschriften von 1826 halten dies fest. Hier weist Hegel aber zugleich darauf hin, daß nicht nur das „Kunstwerk aus dem Geist hervorgeht, geistiger Natur ist", sondern auch, daß der Geist sich „über das Geistige ... ein denkendes Bewußtsein" machen könne (Kehler 1826. Ms. 11). Beide Gedanken, daß der Geist in der Entäußerung sich nicht verliere — wie Hegel fortsetzt — und daß er im Kunstwerk zu diesem „Anderen" genötigt wird, sind für die Vergangenheitsthese konstitutiv. Denn darin steckt einmal, daß das Kunstwerk, eben weil ihm bloß historische Realität zukommt, eine besondere Beziehung auf die denkende Betrachtung hat. Zum anderen impliziert der Vergangenheitscharakter der Kunst, daß die denkende Betrachtung als solche nicht in der Anschauung, beim Kunstwerk enden kann. Vgl. dazu £. Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd 3. 350. — In seiner Untersuchung der Bedeutung Schillers für Hegels Ästhetik stellt Boehler heraus, daß Hegels Hinweis, der Schein selbst sei dem Wesen wesentlich, im Sinne Goethes die bei Schiller nicht gelungene Darstellung eines objektiven Prinzips der Schönheit erarbeite (a.a.O. 187). Auch Goethe betont die Identität von Schein und Wesen und die Identität von Schein und Sinn (a.a.O. 188). Da seine Fragestellung aber lautet, „inwiefern die Idee: Schönheit sei Vollkommenheit und Freiheit auf organische Naturen angewandt werden könnte", entwickelt er gerade die Dimension der Objektivität der Schönheit, des schönen Scheins, die Hegel als nur abgeleitet bedeutsam ausklammert.
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sich damit zugleich gegen seine früheren philosophischen Gewährsleute und Diskussionspartner SCHILLER, HAMANN, HERDER u.a. Dennoch gibt er den Scheinbegriff nicht auf, sondern versucht auch in der Ästhetik, eine Beziehung von schönem Schein und Realität zu definieren. Durch die Philosophie und deren Betrachtungsweise der Kunst wird der Scheinbegriff doppeldeutig und zwielichtig: er ist dem Wesen wesentlich und stets der Gefahr einer Degeneration zur Täuschung ausgesetzt. In HOTHOS Nachschrift wiederholen sich bei der Bestimmung des Scheins lediglich die beiden konstitutiven Momente der Definition des Ideals, des „Geistes, der im sinnlichen Dasein erscheint" (Hoiho 1823. Ms. 146). Aufgrund der Unmittelbarkeit dieses Daseins wird die Lebendigkeit des Endlichen wie des Absoluten hier „zum Schein herab(ge)setzt" (vgl. Hoiho 1823. Ms. 48, 22, 132, 165). Andererseits leistet der schöne Schein einen Entwurf von Wahrheit, weil hier die Mannigfaltigkeit der Gestalt, „für uns als Schein gesetzt", in einer Einheit erscheint (vgl. Hoiho 1823. Ms. 49). Diese Einheit sieht nun je nach „Epoche und Volk", d.h. je nach der Weise der Gestaltung des religiösen Inhalts, verschieden aus. Einzig das Griechentum erreicht mit der menschlichen Gestalt die für die Funktion des schönen Scheins optimale Möglichkeit. Hier gelten die natürlichen Dinge nicht als bloßer Schein gegen das Wesen, als „es nur scheinen lassend"; hier — aber auch nur hier — ist der Schein im Vollsinn dem Wesen wesentlich. Sowohl die symbolische wie die romantische Kunstform setzen die geschichtliche Bedeutung der Wahrheitserfahrung vermittels des schönen Scheins wieder herab. Auch HOTHO überliefert aber Hegels betonten Hinweis darauf, daß nicht die Charakteristik des Scheins überhaupt, sondern einzig die spezielle Art und Weise des Scheins in der Kunst für die Ästhetik von Belang sein könne {Hoiho 1823. Ms. 2 ff; vgl. 192). Schein, wo er sich als Seiendes ausgibt, verdeckt durch unmittelbare Sinnlichkeit die Wahrheit, ist „Täuschung". Als Schein der Kunst weist er aber auf ein „Höheres" hin, versöhnt als bindende Mitte den reinen Gedanken, die übersinnliche Welt mit der Empfindung, dem Gefühl und bringt so ,/lie höchsten Bedürfnisse des Geistes zum Bewußtsein" (Hoiho 1823. Ms. 5). Ebenso wie gilt, daß das Geistige in der Kunst zum Schein herabgesetzt ist, gilt auch, daß das Sinnliche „in der Kunst zum Schein erhoben" ist; und „die Kunst steht in der Mitte zwischen dem Sinnlichen als solchem und dem reinen Gedanken", ja schärfer noch: „das Sinnliche ist hier ein Ideelles, aber nicht das abstrakt Ideelle des Gedankens" (Hoiho 1823. Ms. 17 f). In den Nachschriften zu den späteren Vorlesungen zeigt sich, daß diese Zwiiierfunkiion des schönen Scheins, der weder bloße Sinnlichkeii noch schon Gedanke sein kann, Hegel immer wieder herausgefordert hat, die Bestimmung zu präzisieren. Dies vor allem darum, weil die Bestimmung des schönen Scheins für die Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst konstitutiv ist. Eben in dieser Perspektive wird auch die geschichtliche
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Bedeutung der Kunst in immer eingehenderer und differenzierterer Weise durch die Analyse des geschichtlichen Phänomens selbst gerechtfertigt. In der Vorlesung von 1826 stellt Hegel eine eingehendere Rechtfertigung seines Ansatzes beim Kunstschönen an den Anfang. Sein Hauptargument, der Ansatz beim Kunstschönen sei darum den beim Naturschönen überlegen, weil das Kunstschöne „höher" stehe als das Naturschöne, stützt sich nicht allein auf die ontologischen Unterschiede von Natur und Geist. Es zielt vor allem auf die damit verbundene erkenntnistheoretische Schlußfolgerung, die Hegel durch einen „ARisxoTELismus" begründet, nämlich die Behauptung der Affinität ontologisch gleichwertiger Entitäten. Das aus dem Geist geborene Schöne ist der Erfassung durch den Geist gefügiger. Hinter dieser Begründung steckt die Stufenfolge Natur, Ich, Geist, und mit kargen Argumenten für den Vorteil eines Beginns beim Kunstschönen entscheidet Hegel sich gegen die aufklärerische, an KANT orientierte Theorie des schönen Scheins (damit letztlich für eine Ästhetik, die auf den Begriff der Schönheit, nicht den der Erhabenheit gegründet ist). Für die Diskussion um den Scheinbegriff bringt diese Betonung, es handele sich beim Kunstschönen um eine aus dem Geiste geborene Realität, eine eindeutige Verschärfung der Tendenz, den schönen Schein ah eine Weise der Erfahrbarkeii von Wahrheit zu erörtern. Es geht nicht um Illusion im Sinne der Täuschung über die Welt/Natur; es geht nicht um illusionierte Natur, die unter der Hülle des Scheinens die Wirklichkeit verbirgt, sondern es geht um eine Vollzugsweise der Wirklichkeit, die Hegel — trotz aller durch das philosophische Wissenschaftlichkeitsideal bedingten Einschränkung — grundsätzlich als eine Weise der Wahrheitserfahrung der vom Menschen vollzogenen Welt (sc. Natur und Gesellschaft) philosophisch erörtern will. Der Schein ist dem Wesen wesentlich; der schöne Schein läßt die Realität als eine geistig vollzogene erscheinen — mit Hegel: als eine Form der Wahrheit, als erste Stufe des absoluten Wissens, nicht der bloß sinnlichen Erfahrung. Zunächst verfolgt Hegel also auch hier den Zweck, mit der Bestimmung des Naturschönen als bloß derivatem Modus des Kunstschönen an der Sonderstellung des schönen Scheins gegenüber dem bloß sinnlichen Schein festzuhalten. Der „Kunst ist also der Schein von seiten der sinnlichen Realität, die vielmehr selbst nur Scheinendes ist, nicht vorzuwerfen" {Aachen 1826. Ms. 26). Weil die Kunst das „Wahrhafte in der sinnlichen Gegenwart", weil sie die „ewigen allgemeinen Mächte, das Substantielle" {Aachen 1826. Ms. 25) darstellt, ist ihr Schein nicht bloßer Schein gegenüber einer wahrhaften Realität (im Sinne von Faktizität). Denn das „Verkümmert-seyn des Wahrhaften", das mit der sinnlichen Vergänglichkeit gegeben ist, wird durch die Kunst abstrahiert. Deshalb ist „der Schein der Kunst eine viel wahrhaftere Form als die, welche wir gewöhnlich Realität nennen" (ebd.). Dieser Schein ist nicht bloße Abschilderung, sondern Entwurf der Realität auf
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/hre Wahrheii.^^ Dies gilt gegenüber der unmittelbaren Erfahrung der Realität, und ebenso gegenüber der Geschichte als deren Repräsentation. Während der Inhalt der Geschichte „die Verwickelung der Zufälligkeit, der Willkühr" ist, befragt die Kunst „die wahrhaften Mächte in der Geschichte ... nach ihrem sittlichen Begreifen" und bringt uns durch de schönen Schein „den wahrhaften Inhalt entgegen" (Aachen 1826. Ms. 26). Der schöne Schein ist so das Medium der Wahrheitsvermittlung der Kunst, er erfüllt die Aufgabe der „Bildung", weil die Kunst so „Wahrheit zu enthüllen" vermag, sie „auf bildliche konkrete Weise" vorstellen kann (Hotho 1823. Ms. 26, vgl. 22, 23). Gerade in diesem Bemühen, den schönen Schein vom bloß sinnlichen Schein zu trennen, findet Hegel aber auch die scharfe Formulierung, die die Funktion des Scheins eingrenzt. In der Darstellung der Idee durch das Ideal liegt — wie Hegel 1826 betont — „Sophisterey". Auch hier oszilliert der Scheinbegriff zwischen der frühen Bedeutung der Schönheit als Erscheinung der Wahrheit und der Skepsis der Jenaer Schriften, es handele sich bei dieser Weise der Vermittlung der Wahrheit eher um Täuschung als um Offenbarung. Das Kunstwerk bringt täuschenden Schein hervor in dem Sinn, daß der Schein nicht jederzeit Wahrheit eröffnen muß, wie es die Kunst im Griechentum vermocht hatte. Für die Gegenwart hat die Kunst diese Funktion nicht mehr, denn sie liefert nicht die hinreichende Sicherung der WahrHegel umschreibt auf diese Weise wieder die Behauptung, der Schein sei dem Wesen wesentlich, und belegt dies so, daß der Schein der Kunst „nicht das Chaos äußerlicher Zustände", sondern „die Mächte, die in diesem Chaos mächtig sind, wirken ... zur Erscheinung" bringe (Aachen 1826. Ms. 25). Weiter wird Erscheinung dann als das „Äußerlich seyn des Innern" (Ms. 40 f) bestimmt, als lebendig, sofern der Schein, dem Begriff der Sache angemessen, diese selbst zur Erscheinung bringt. Auch Kehlers Nachschrift aus der gleichen Vorlesung definiert den Schein als eine Weise der „Subjektivität" der Substanzialität, d.h. als eine Weise der Wahrheit der Wirklichkeit, weil die unmittelbare Realität hier im Entwurf auf die Idee erscheint, nicht in ihrer empirischen Gestalt. „Das Wesen muß erscheinen, dies macht eben seine Subjektivität aus, und die Erscheinung ist somit wahrhaft nothwendig". Das Lebendige als Scheinen des „concreten Begriffs" ist das Schöne (vgl. Ms. 63). Hegel führt hier seine Bestimmung des Ideals als Lebendigkeit der Idee konsequent weiter, vermeidet aber den Begriff des Lebens, weil er der geschichtlichen Konzeption — hier der behaupteten „Vergangenheit" der Kunst — zu widersprechen scheint und weil er, um diese Grundthese zu stützen, behauptet hatte, daß die Lebendigkeit der Idee in der Moderne nicht mehr erreicht werde. Eine Auseinandersetzung um die „Logik des Scheinbegriffs" verzerrt also immer dann die Perspektive der Ästhetik, wenn sie ansetzt bei der „Sinnlichkeit" des Scheins und dem Charakter der Täuschung. Die Logik des Scheinbegriffs kann nur eruiert werden, wenn man den Ort in der Logik, den Hegel der Kunst, dem Ideal einräumt, analysiert. Dies ist zunächst das Leben der Idee, dann das Dasein und die Existenz der Idee.
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heit. Sie kann „täuschen" über das, was sie vermitteln will, nämlich das umfassende geschichtliche Selbstbewußtsein, das sich im weltgestaltenden Handeln realisiert. So täuscht der Schein nicht in dem Sinn, daß er sich anstelle der Realität (im Sinne der Faktizität) aufdrängt — hier gilt er grundsätzlich als überlegen, weil der Schein der Kunst eine Reflexion, eine erste Strukturierung anbietet. „Schöner Schein" täuscht aber in dem Anspruch, die „wahre" Realität auch als eine in ihrer Wahrheit allgemein einsichtige zu vermitteln. Der Scheincharakter der Kunst, mit Hegel: die „Sophisterey" besteht eben darin, daß sich ohne die philosophisch-sichernde Reflexion die Kunst nicht mehr erleben läßt, daß sie aber mit der Reflexion zugleich ihren Totalitätscharakter, die Sicht und die Orientierung in einer Wirklichkeit mit einem Schlage und anschaulich zu geben, verliert. Dadurch kann der schöne Schein und seine Wahrheitsvermittlung nämlich auch beliebiger (etwa bloß historischer) Deutung anheimfallen. Dieselben Überlegungen und Schlußfolgerungen wiederholt Hegel in seinen beiden letzten Vorlesungen unter der Rücksicht, wieweit das Ideal, das Schöne in geschichtlicher Konkretion, noch als Leben bezeichnet werden kann. „Das Leben und das Schöne ist eins und dasselbe" i]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 41),9 und „das Wahre ist der Inhalt für den Gedanken, das Schöne derselbe Inhalt für die Anschauung". Hier beginnt dann aber die Differenzierung der wiederholten Bestimmung der Frühschriften. Denn wo das Schöne nicht mehr allein wie in der PLATONischen Philosophie als Idee bestimmt werden kann,^° wo es Ideal ist, da muß auch eine Eingrenzung der LebendigAuch in dieser Frage bieten die Asthetikvorlesungen insgesamt kein einheitliches Bild. An der Ausarbeitung Kromayers, der Unterlagen aus Vorlesungen (Mitschriften) von 1823 und 1826 zusammenfaßt, zeigt sich, daß die früheren Vorlesungen zumindest so verstanden wurden, daß Hegel hier Ideal und Lebendigkeit der Idee noch vereint: „Wie die Idee als unmittelbar natürlich Lebendiges ist, haben wir zu betrachten. Der Begriff des Schönen und Lebendigen fällt zusammen" {Kromayer 1823/26. Ms. 65); oder „das Leben ist die existirende Idee" (69). In der letzten Vorlesung, in der Hegel auf seine Überarbeitung des Systems der Philosophie in der Enzyklopädie eingeht, wird die Lebendigkeit der Idee eindeutig historisch relativiert auf das Griechentum und Hegel setzt dagegen: „Das Schöne muß aber subjektive (Hervorh. d. Verf.) Einheit sein. Das Schöne trennt sich hier vom Lebendigen, seine subjektive Einheit ist Ideal. Als Subjekt, als Einzelnes ist es ein Daseiendes, also ausschließlich gegen anderes, das auch Subjekt, selbständig ist. Damit tritt die Endlichkeit des Subjekts ein, es tritt die Profanität des Lebens ein. Das Schöne auch noch als Idee in der Existenz zu erhalten ist Ideal" i]ag. Bibi. 1828/29 Ms. 43 f). 70 Hegel bestimmt seine eigene Ästhetik als eine Kombination der Metaphysik des Schönen und eine „Betrachtung der partikularen Kunst" (Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 9); dasselbe führt er in der Vorlesung von 1826 aus. Platons „Idee muß sich aus sich selbst besondern, eintheilen, und so kommen wir zu den mannigfaltigen, den verschiedenen Formen und Gestaltungen des Schönen" (Kehler 1826. Ms. 10).
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keit konstatiert werden. Einerseits wird auch die „wahre Schönheit" — selbst bezogen auf einzelne Kunstwerke — als „Lebendigkeit" definiert (Kehler 1826. Ms. 68 f; ]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 63), andererseits führt aber die Tatsache, daß die Idee des Schönen „in der Existenz" (d.i. als Ideal betrachtet) die Kunst ist, zum Verlust der Lebendigkeit. Wo das Schöne als Gestalt, als individuelles Kunstwerk auftritt, da wird es verendlicht, in „subjektiver Einheit", d.h. in der Erfassung eines endlichen geschichtlichen Subjekts, gesetzt, und das „Schöne trennt sich hier vom Lebendigen" (]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 43, vgl. 44). So erkennt Hegel in der Bestimmung des schönen Scheins einmal an, daß es sich hier um einen im Sinne SCHELLINGS aus dem Geiste produzierten, damit aber nicht bloß sinnlichen, sondern wahrheitseröffnenden Schein handelt. Die „Verendlichung" der Wahrheit durch die subjektive Produktion, die zudem im Sinn des instinkthaften, substantiellen Aufgreifens der Wahrheit charakterisiert wird, führt zu zwei Konsequenzen. Sie nötigt einmal zur Anerkennung der Tatsache, daß das Schöne nicht bloße Idee sein kann, sondern daß sich geschichtlich konkret im einzelnen Kunstwerk die Idee realisiert. Zugleich mit der Notwendigkeit einer Geschichte des Schönen und seiner verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung von Wahrheit in der anschaulichen Einheit von sinnlicher Gestalt und geistiger Bedeutung kritisiert Hegel aber die Einschränkung der Leistungsfähigkeit dieser Vermittlung. Durch seine Äußerlichkeit realisiert sich das Schöne, das Ideal, in einer Mannigfaltigkeit verschiedener Daseinsmöglichkeiten, Kunstgestalten oder Kunstformen. Diese sind nicht in eine Einheit des Begriffs zurückzunehmen; jedenfalls nicht so, daß dieser Begriff über die formalen Konstitutionsmomente (Geistigkeit und Äußerlichkeit) hinaus eine weitere Konvergenz festhalten könnte. So ergibt sich die Notwendigkeit, eine Geschichte der anschaulichen Realisation der Idee zu konzipieren, deren „Einheit" nicht mehr metaphysisch oder — im Sinne des Hegelschen Systems durch die Wissenschaft der Logik allein — eruiert werden kann. Die philosophische Bestimmung dieser Weise der geschichtlichen Wahrheitserfahrung als „Ideal" läßt lediglich eine Strukturierung der Geschichte nach verschiedenen Relationsmöglichkeiten und faktischen Realisationsweisen der Synthese jener in sich gegenläufigen Konstitutionsmomente zu. Das Schöne, das nicht als Idee im PLATONischen Sinn, sondern als konkrete Wirklichkeit der schönen Gestalt, als Kunstwerk, bestimmt werden muß, hat seine verschiedenen Epochen und Völker. Der zweite Teil der Ästhetik strukturiert diese Geschichte durch die Angabe der drei möglichen Kunstformen: symbolische, klassische, romantische Kunstform. Nachdem Hegel in Jena durch die Erforschung der orientalischen Mythologie zur Bestimmung der symbolischen Kunstform angeregt wurde, differenziert er seine Überlegungen zu dieser Kunstform weiter und entwickelt
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auch in der letzten Vorlesung von 1828/29 gerade diesen Teil der Ästhetik noch einmal ausführlicher. Mittelbar schließt er sich dabei den geschichtsphilosophischen Betrachtungen HERDERS an, berücksichtigt GOETHES und CREUZERS Gedanken, kritisiert aber die Hochschätzung orientalischer bzw. speziell indischer Mythologie (SCHLEGEL, GöRRES). SO kommt es, daß er für die orientalische Kunst und Wissenschaft nun zwar nicht mehr nur Verfall und Inadäquatheit feststellt, die orientalische Mythologie aber doch als eine unterste Stufe der Weisheit, der Vereinigung von Natur und Geist, bezeichnet. Altiranische, indische und ägyptische Mythologie vereinigen sich zu einer Vorform der Kunstreligion, der Naturreligion, wobei Hegel die Ägypter als Form des Übergangs mit den Äugen der Griechen sieht. Wie wenig er darin die Wertschätzung der Romantiker teilt, zeigt seine Konsequenz für die Ästhetik: die Einschränkung der symbolischen Kunstform auf eine unterste, bloße Vorform. Hegel bestimmt das Symbol als äußerliche, für die Änschauung zugängliche Gestalt, die mit der intendierten Bedeutung nur partiell übereinstimmt. Jedes Symbol bleibt deshalb zweideutig, dunkel und die symbolische Kunstform kann insgesamt das Verhältnis der Idee zu ihrer Gestalt lediglich als Suchen, Streben nach Versöhnung beider artikulieren. „Epochen" und „Völker" realisieren unterschiedliche Stufen der Symbolik: von der unbewußten Symbolik über die Symbolik des Erhabenen bis zur eigentlichen Symbolik in der Kunst Ägyptens. Hier stellt sich ein Volk die „geistige Aufgabe der Selbstentzifferung des Geistes", die — wie Hegel an der Lösung des Rätsels der Sphinx verdeutlicht — im Griechentum mit der Gestalt des Menschen gelingt. Die symbolische Kunstform führt damit — vom Begriff wie von ihrer geschichtlichen Entwicklung belegt — in die klassische über. Hier gibt das Ideal „Inhalt und Form" für die Kunst ab, weil es zu seinem Inhalt das Absolute und zu seiner Form die anschauliche Gestalt der geistigen Subjektivität: den Menschen hat. Obwohl dadurch im Griechentum die geschichtliche Kulmination der Kunst erreicht wird, trägt die unmittelbare leibliche Gestaltung des Göttlichen zugleich den Kern ihrer Auflösung in sich. Innerhalb der Kunst selbst wenden sich die letzten Formen (griechische Komödie und römische Satire) spottend gegen die anthropomorphistisch mißdeutbaren Gestalten und Handlungen der Götter. Eine neue Kunstform realisiert diese Diskrepanz zwischen absolutem Inhalt und bloß leiblicher menschlicher Gestalt, indem sie die geistige Individualität zu ihrem Prinzip wählt. Weil sie damit aber die Zwiespältigkeit der endlichen Subjektivität realisiert, hebt die romantische Kunstform die vollendete Einheit von Idee und Realität auf. Endliche Subjektivität weiß sich einmal als zufälliges, todverfallenes Dasein, unterschieden von Gott, ist zugleich als unendliche Subjektivität aber eins mit Gott. Mit dem geschichtlichen Auftreten des Christentums entwickelt sich die romantische Kunst in
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einem religiösen Kreis, der die Gehalte des Glaubens darstellt, einem Kreis des Rittertums, der die Ideale des christlichen Lebens darstellt, und in einem dritten Kreis der individuellen Charaktere, deren Handlung zum Abenteuer wird. Hier endet die romantische Kunstform in ihrer Auflösung, die sich für Hegel vordringlich in der romantischen Kunst seiner Gegenwart bzw. ihrem Prinzip, der Ironie, manifestiert, sich aber schon im unterschiedslosen Gestalten des Alltäglichsten wie des Höchsten (SHAKESPEARE, holländische Malerei) vorbereitet. Bloß formale Meisterschaft und das Zerbrechen jeder Form, mit der die Romantik die Sehnsucht des Individuums nach (für Hegel; schlechter) Unendlichkeit darstellt, gehen gleichermaßen am Ideal vorbei. In der Strukturierung der Geschichte durch die verschiedenen möglichen Kunstformen thematisiert Hegel also die eingeschränkte „Lebendigkeit" der Idee im Ideal, er entwirft aus der philosophischen Bestimmung des Gegenwartsbezugs der Kunst, sc. aus der Bestimmung des Ideals wie es die Frühschriften faßten, ihre Geschichte. Diese Lebendigkeit ist nie „absolute" Lebendigkeit, sondern jeweils eine Weise der lebendigen Wirksamkeit, die nur unter bestimmten historischen Voraussetzungen (und durch ihre Gebundenheit an die Äußerlichkeit sinnlicher Konkretion auch nur partiell) gültig sein kann. Dabei gilt nicht schon die Sinnlichkeit, die Äußerlichkeit allein
als hinreichendes Kriterium für die historische Relativierung der Wahrheitserfahrung durch Kunst. Diesen Gesichtspunkt liefert vielmehr erst die Unmöglichkeit, vermittels der Kunst eine letzte und letztbegründende Einheit von geistigem und sinnlichem Moment zu finden. Diese Einheit vollbringt nach Hegel der Begriff und seine philosophische Explikation. In der philosophischen Explikation der Wahrheit wird auch die weitere für die „Endlichkeit" des Ideals verantwortliche Einschränkung und damit die Möglichkeit, daß es als „Wahrheitsvermittlung" unlebendig werde, überwunden, die Kunst folglich „aufgehoben". Die Einschränkung der Wahrheitsvermittlung liegt — so zeigt es die Enzyklopädie abschließend — in der nur „formellen" Tätigkeit des Künstlers. Sein Arbeiten ist bloß „instinkthafte" Tätigkeit, denn selbst wenn subjektive Willkür ausgeschlossen ist, bleibt der Inhalt seines Wissens, der Glaube des Künstlers, eine „substantielle Weise, wie er vom Wahren weiß" (Hotho 1823. Ms. 190 f). Die Kunst gilt zwar als „Existenz" der Idee, weil sie eine bloß natürliche Stufe der Gegebenheit überschreitet, aber der Inhalt der Kunst „ist das Substantielle, das äußerlich erscheint" (Hotho 1823. Ms. 114). Neben dieser prinzipiellen „Widersprüchlichkeit" (der formalen Unabschließbarkeit und Mannigfaltigkeit der Realisationsmöglichkeiten von Wahrheit durch Schönheit, durch die schöne Gestalt des Kunstwerks) bleibt der zweite Grund für die historische Relativierung der Bedeutung der Kunst bestehen: die Auszeichnung der protestantischen Religion, die nicht wie die sonstigen Mythologien in eine neue Religion übergehen kann. Sie führt, wo sie zum Inhalt der Kunst wird, die Notwendigkeit der Überwindung der schönen Gestalt schon auf dem Boden der
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
Kunst vor Augen, die die Philosophie dann als Inhalt des absoluten Wissens demonstrieren kann. Hegel eniwickeli parallel zu jeder Kunslform auch hier die geschichtliche Situation ihrer Wirksamkeit und zeigt, daß die Kunst als Vermittlung geschichtlicher Orientierung im Handeln, als Tradition geschichtlicher Wahrheit, fungiert. Die Einheit von Entwicklung ästhetischer Kriterien und Bestimmung der gesellschaftlichen Situation durchbricht er nur hinsichtlich der romantischen Kunst und für die gegenwärtige Rezeption der Kunst. Allein hier wird die Kunst zum „unlebendigen Ideal", denn hier wird sie nur noch historisch-reflektierend aufgegriffen. Aus der systematischen Konzeption der Ästhetik ergeben sich zwei Schwierigkeiten, die die Kritik immer wieder bemängelt. Die These vom Vergangenheitscharakter der Kunst enthält das Problem, daß Hegel anscheinend für die Gegenwartskunst die „Geschichtlichkeit" der Kunst und die geschichtliche Bedeutung des Ideals zu bloßer „Ästhetizität" und zu rein ästhetisch wertenden Kriterien verdünnt. Hand in Hand damit geht der Klassizismusvorwurf, das Bedenken, daß durch die Auszeichnung einer vollendeten Kunst alle nachfolgende im „ästhetischen Wert" sinke. Der Klassizismusvorwurf läßt sich auf dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte relativ leicht und eindeutig entkräften. Die Auszeichnung der griechischen Kunst geschieht nämlich nicht mit Hilfe ästhetischer Kriterien, sondern durch eine geschichtsphilosophische Reflexion: In der Antike erscheint das Ideal als Lebendigkeit der Idee,^i die Kunst wird zur schönen Kunst, weil die geschichtlich mögliche Form der Geistigkeit mit der Vermittlungsweise der Kunst harmoniert. Daß es „nicht schöne" (sc. erhabene) oder „nicht mehr schöne" Kunst gibt, demonstriert Hegel nicht an Kunstwerken und ihrer ästhetischen Qualität, sondern an Kunstformen, an unterschiedlichen geschichtlichen Konkretionen der Idee der Schönheit, des Ideals. Die leitende Fragestellung bleibt selbst hier noch mit der des Ältesten Systemprogramms kompatibel, nämlich in welchem geschichtlichen Kontext die Idee zugleich „ästhetisch und mythologisch" werden könne. Im Zuge seiner gedanklichen Entwicklung des Problems überführt Hegel die ursprüngliche „utopische Funktion" des Griechenverweises aber in eine historische Betrachtung. Durch diese historische Reflexion und allein aufgrund ihrer Ergebnisse kann Hegel die Kunst der Antike als vollendet auszeichnen. Schöneres ist und kann nicht werden, weil vermeintlich die Situation der bloß substantiellen Gegebenheitsweise der Wahrheit der Religion wie der lebendigen Sittlichkeit des Volkes durch die Möglichkeit überboten ist, alles WißZum Beweis, daß Hegel die Bestimmung der Kunst immer im Kontext der Geistesgeschichte entwickelt, sie also als „Erscheinung der Wahrheit" neben „politischer Verfassung, als Rechtsverhältnis, als Sittlichkeit überhaupt, als ... Wissenschaft" {Phil. d. Weltgesch. Bd 1.131) anführt, vgl. Hothos Nachschrift: Hot ho 1823 Ms. 33, 158 U.Ö.; dazu Phil. d. Weltgesch. Bd 1. 52, 6, 52, 249.
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bare im System der Philosophie zusammenzufassen und explizit begründet zu vermitteln. Dennoch zeigt sich eine Diskrepanz zwischen systematischer Grundlegung und Durchführung der Ästhetik, auf die in der Interpretation immer wieder hingewiesen wird, meist, um die Rigidität des Systemgedankens für die immanente Durchführung der Philosophie der Kunst in Zweifel zu ziehen. Für eine solche Kritik gibt es grundsätzlich zwei Weisen zu argumentieren: die erste ist eine Erweiterung des Klassizismusvorwurfs dahingehend, daß man Hegel vorwirft, ein zum Ästhetizismus der Kunstbeurteilung verdünntes Schönheitsideal aus der griechischen Antike zu schöpfen. Dies Ideal wendet er auf die ständig erweiterten Kenntnisse im Bereich der Kunst an, sodaß seine Asthetik in sich zwielichtig wird. Dem eigenen Systemgedanken gemäß dürfte Hegel sich nicht in der nachweisbaren intensiven Weise für die Kunst der Gegenwart interessieren, seinem Interesse nach dürfte er sie nicht aus systematischen Gründen verurteilen. Der zweite Ansatz der Argumentation gegen Hegel liegt in der unmittelbaren Infragestellung der systematischen Grundlage, und diese Weise der Kritik bietet einen aussichtsreicheren Ansatz zur Revision der Ästhetik. Die erste Ärgumentation, die auf die Diskrepanz von Kunstinteresse und ästhetischer Verurteilung der Moderne verweist, kann für sich ins Feld führen, daß sich zumindest seit Hegels Heidelberger Zeit seine Kritik an der Kunst der Moderne mit einem intensiven Interesse für die Kunstwerke gerade der Epoche verbindet, die er aus systematischen — nun: „klassizistischen" — Gründen ablehnt.J3ig christliche Malerei des Mittelalters (für Hegel: bis zum Ende der Renaissance) wird in dem Augenblick, da sie durch endgültige Zerstörung bedroht ist, durch Sammlungen vor dem Untergang gerettet. Hegel begegnet dieser Kunst zunächst in der Sammlung der Brüder BOISSEREE und übernimmt von ihnen wesentliche Anregungen in seine eigene Die historisch-ästhetische Sicht der Gemälde der alten christlichen Malerei hat ihren Ursprung in der Wiederentdeckung durch F. Schlegel und der durch ihn angeregten Sammlung der Brüder Sulpiz und Melchior Boisseree. Hegel begegnet dieser Kunst und Kunstauffassung in Heidelberg; ihren theoretischen Niederschlag findet die »Ästhetisierung" der Kunst nach der in Jena vorbereiteten historischen Relativierung aber erst in der Uminterpretation des Ideals durch die Enzyklopädie 1827. —Vgl. Zur Beziehung Hegels auf die Weiterentwicklung des Schlegelschen Denkens, vor allem der Mythologieauffassung, die über die Vermittlung der Kontakte zu den Brüdern Boisseree greifbar wird: O. Pöggeler: Idealismus und neue Mythologie; ders. Hegel und Heidelberg. — Diese kontinuierliche Erweiterung der Kunstkenntnis und ihre Bedeutung für die Ästhetik führt auch Knox, der englische Übersetzer und Bearbeiter der Ästhetik an, zieht aber daraus den Schluß, daß Hegel in der beharrlichen Betonung des Vergangenheitscharakters der Kunst nicht gemeint haben könne, was er de facto sagt. Vgl. The puzzle of Hegel's Äesthetics; dazu HegelStudien. 16 (1981), 230 ff.
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Beurteilung dieser Kunst. Er selbst erschließt sich die Kunst durch zahlreiche Bildungsreisen, und die Anfänge seiner Berliner Lehrtätigkeit fallen in etwa mit dem erneuten Beginn der Bemühungen um die Museumsgründung zusammen. Von 1819 — 1830 erlebt Hegel das Anwachsen von Kunstschätzen in den Sammlungen des Königs. Diese Kunstwerke gelangen zusammen mit eigens für den kulturellen Betrieb bereitgestellten Sammlungen schließlich in die Bildergalerie des Museums. Hegel selbst beteiligt sich aktiv an diesem Bemühen, die Kunst einem bildungswilligen Bürgertum als Information über die eigene wie die Weltgeschichte zur Verfügung zu stellen, und er beurteilt die Sammlungen auch unter diesem Gesichtspunkt. Im Gegensatz zu dieser Offenheit für die Entdeckung und Wiederentdeckung der Kunst stehen Hegels ästhetische Beurteilungen, die größtenteils die Meinungen der klassizistischen konservativen Kritiker zu wiederholen scheinen. In der philologischen Aufarbeitung einiger dieser sogenannten ästhetischen Urteile zeigte sich allerdings, daß sie in der Form, wie sie in der Druckfassung der Ästhetik vorliegen, nicht in den Vorlesungen geäußert wurden. In den Ästhetikvorlesungen setzt Hegel seine Kenntnisse jeweils zur Exemplifikation der systematischen Reflexion ein und fällt in solchem Zusammenhang teilweise sogar andere Urteile als sie in der Äsf/iefiF überliefert werden. Das trifft vor allem für solche Überlegungen zu, die den „Klassizismus" seiner Kunsturteile eindeutig zu belegen scheinen,sich aber im Vergleich der gedruckten Fassung der Ästhetik mit den Vorlesungsnachschriften der verschiedenen Jahrgänge eindeutig als Interpretationen HOTHOS erweisen. Hegel selbst polemisiert z.B. gegen den nur partiell gerechtfertigten „ästhetischen" Standpunkt in der Behandlung der christlichen Malerei. Hier macht die Rezeption, die museale Vermittlung, durch die Ausblendung des geschichtlichen Kontextes ästhetische Kriterien anstelle der Wahrheitskriterien geltend. Dagegen betont Hegel, daß nur im Rahmen der „Andacht", d.h. Es wurden z.B. analysiert: Hegels Verurteilung der zeitgenössischen Malerei, vor allem der Düsseldorfer Schule. Vgl. A. Gethmann-Siefert: Kunst und Philosophie: Galerien und Ausstellungen. Von Boisseree bis zur Düsseldorfer Schule; Die wiederentdeckte Malerei; G. Stemmrich: Hegels Kritik der Düsseldorfer Malerschule (Ms.) wies nach, daß sich die Äußerungen der Ästhetikmit einer gleichzeitigen Kritik aus Schorns Kunstblatt decken. Hegels eigene Überlegungen sind davon aber unterschieden (vgl. A. Gethmann-Siefert: Die Kritik an der Düsseldorfer Malerschule hei Hegel und den Hegelianern). Er bringt in der Kritik keine ästhetischen Werturteile vor, sondern eine geistesgeschichtliche Einschätzung, die er aus der Philosophiekonzeption begründet. Denselben Übergang von anscheinend ästhetischer Beurteilung zu systematischer Einschätzung kann man an zahlreichen anderen Äußerungen belegen. Vgl. dazu neben der Studie zur Beurteilung des Faust und des Divan auch L. Sziborsky: Hegel über die Objektivität des Kunstwerks (ebenfalls in: Hegel-Studien. 18 [1983], 9 ff).
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des kultischen Vollzugs, diese Kunst verstanden und nachvollzogen werden kann. Auch wo die griechische Kunst zum Objekt der Sammelleidenschaft geworden ist, muß die Philosophie sie als geschichtliche Form der Wahrheitserfahrung eigens wieder deuten. Hier fallen dann die Kriterien für die Wahrheitsvermittlung mit denen für die Bestimmung der Schönheit faktisch zusammen. Wird aber die christliche Kunst unter dem Interesse an Wahrheit und Schönheit betrachtet, dann zeigt sich eine Diskrepanz von aletiologischer und ästhetischer Beurteilung. Die Werke können um der in ihnen vermittelten Wahrheit willen nicht mehr schön sein und umgekehrt, wo man den Werken der Malerei einen Inhalt gibt, der „weltlich-endlich" ist, da genügen sie dem ästhetischen, aber nicht mehr dem aletiologischen Kriterium. Die Diskrepanz von (konservativ-dogmatischer) Systemkonzeption und anscheinend „progressivem" Kunsturteil läßt sich an wichtigen Punkten nicht auf Hegels eigene Äußerungen zurückführen. Vor allem führt sie aber nicht zur automatischen Aufhebung des systematischen Dogmatismus, sondern sie entspringt — wenn überhaupt — aus der Systemkonzeption selbst. Es ist also sinnlos, die Revision der Ästhetik auf diese Weise anzugehen, weil man teilweise gar nicht Hegels eigene Argumente kritisiert (diese fielen nicht unter die Kritik an den ästhetischen Werturteilen) und weil man mit der Einzelbetrachtung keinen Ersatz des Systems durch die geschichtliche Betrachtung erreichen kann. Der zweite Ansatz der Kritik ist der einzig gangbare Weg zur Revision der Ästhetik. Auch bei dieser Kritik der zugrundeliegenden Konzeption der systematischen Philosophie ist aber nicht jeder Weg gangbar. So ist es zum Beispiel nicht sinnvoll, Hegels Ästhetik auf den Status der KANxischen Kritik der Urteilskraft zu reduzieren, weil der Verzicht auf die Bestimmung der geschichtlich-gesellschaftlichen Bedeutung der Kunst als Wahrheitsvermitlung — vordringlich im Sinn der Handlungsorientierung — Hegels Philosophie der Kunst wiederum auf den problematischen Teil bloß ästhetischer Bebzw. Verurteilung reduziert. Als Kritik der Kunstbeurteilung gewinnt Hegel in der Ästhetik nämlich gerade seine Argumente aus dem Vergleich einer im Sinne der geschichtlichen Wahrheitsvermittlung noch funktionierenden Kunst mit der in dieser Funktion nur eingeschränkt gelungenen Kunst der Moderne. Zudem ist die Beurteilung des Kunstcharakters der Kunstwerke im einzelnen so unlösbar an die Bestimmung dieser Leistungsfähigkeit der Kunst hinsichtlich der Wahrheitsvermittlung geknüpft, daß die Urteile jeweils ohne die Unterstellung, eine Wahrheitsvermittlung müsse für den vernunftfordernden Geist der Moderne in der wissenschaftlichen Philosophie vollendet werden, un- oder mißverständlich sind. Streicht man diese Teile der philosophischen Grundlegung, d.h. verzichtet man auf die schon im frühen Programm einer Mythologie der Vernunft implizierte Bestimmung der Kunst und gibt gleichzeitig den unhaltbaren Anspruch der Leistungsfä-
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higkeit der philosophischen Theorie auf, dann degeneriert Hegels Asihetik in der Tat zur klassizistischen Kunsttheorie oder zu einer bestenfalls subjektiv-verständlichen, wenn auch nicht akzeptablen Kunstbeurteilung. Hegels Anspruch, eine Betrachtung der Kunst zu finden, die die Beurteilung der Werke jedem als Kunstverständnis und als Einsicht in die eigene geistesgeschichtliche Situation ansinnen darf, ginge dadurch verloren. Von der entwicklungsgeschichtlichen Analyse der Äsiheiik legt sich ein anderer Revisionsversuch nahe, nämlich die Trennung der geschichtlichen Bestimmung der Kunst von ihrem systematischen Rahmen. Dies Verfahren ergibt sich aus den Aporien der Entwicklung und Begründung der Systemkonzeption selbst, entspringt also aus der Rolle der Kunst in Hegels Konzeption der Philosophie. Hegel bringt in die Entwicklung seiner Philosophie der Kunst nach und nach alle Überlegungen der ]ugendschrifien ein und behandelt sie auf dem Boden des Systems der Philosophie. Während er dabei erneut jeweils die inhaltlichen Einsichten infragestellt, sie gegebenenfalls modifiziert oder weiter differenziert, stellt er nie die umgekehrte Frage nach der Revisionskraft solcher inhaltlicher Einsichten für die Systemkonzeption. Diese Frage soll anhand der Vorlesungen zur Asihetik erörtert werden, denn hier erreicht Hegel den inhaltlich reichsten und differenziertesten Standpunkt in der Ästhetik, der gleichwohl systematisch in derselben Weise begründet wird wie schon in den Reflexionen der Jenaer Zeit. Hegel selbst sieht keinen Anlaß zur Revision seiner Ästhetik, weil ihm selbst die Geschichtskonzeption, die ihr zugrundeliegt, plausibel erscheint und weil er für die Gegenwart den bislang für die Modifikationen leitenden Gesichtspunkt, nämlich den Mythologiebegriff, hier nicht mehr verwenden kann. Hinsichtlich der Entwicklung der Religionen, hinsichtlich der Gegenwartsbedeutung der Mythologie also hat er seinen endgültigen Standpunkt durch die Auszeichnung der geoffenbarten Religion des Christentums erreicht. Seine Reflexions- und Modifikationswilligkeit zeigt sich aber selbst hier noch, denn in den Vorlesungen zur Ästhetik ändert und präzisiert er ständig Die Revision der Ästhetik läuft also nicht, wie üblich über den Klassizismusvorwurf oder die Leugnung der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst unter Aufrechterhaltung der „Einzelurteile" (s.o. Anm. 72). Sinnvoller erscheint der umgekehrte Weg. Die Beurteilung der modernen Kunst wird kritisiert unter gleichzeitiger Skepsis gegen das System der Philosophie. Die Beschränkung auf die anhand der Frühschriften gewonnenen Perspektiven, die für eine solche Kritik sinnvoll erscheint, hat für sich, daß auf diese Weise die Argumente mit der stärksten „Revisionskraft" angeführt werden, daß man also gerade am problematischen Teil der Ästhetik ansetzt und dessen Aktualität begründet. Die Rechtfertigung eines solchen Vorgehens läßt sich auch durch die Diskussion der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst und des Klassizismusvorwurfs direkt gewinnen. Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Hegels These vom Ende der Kunst und der Klassizismus der Ästhetik.
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die beiden entscheidenden Aspekte, in denen sich die Bedeutung der Mythologie für die Kunst nachteilig auswirkt in der Bestimmung der symbolischen Kunstform und in der Differenzierung der Bedeutung der Kunst im Kontext der geoffenbarten Religion. Auf dem letzten Gebiet partizipiert Hegel vor allem an der Rezeption der mittelalterlichen Malerei, entfaltet hierdurch die verschiedenen Kreise der romantischen Kunst genauer. Durchgreifender sind die Modifikationen bei der Bestimmung der symbolischen Kunstform. Beides ist für Hegels Argumentation bezeichnend, weil es die Vermutung bestätigt, daß ihn letztlich ein Vorurteil über die Bedeutung der (absoluten) Religion davon abhält, die grundsätzliche Überprüfung der Ästhetik vorzunehmen. Wo immer sich sein Religionsverständnis noch in der Berliner Zeit wandelt, und das ist für die symbolischen Religionen bis zuletzt der Fall, wandelt sich auch die Bestimmung der Kunst im Kontext der betreffenden Mythologie. Da dieser Fortschritt für die Moderne ausgeschlossen wird, bleibt der letzte Rückgriff auf die Kunst, deren Heiliger der „Humanus" ist, also die Integration des Humanitätsideals der Frühschriften in die systematische Ästhetik, folgenlos. Dadurch erhellt sich aber das grundlegende Defizit der systematischen Philosophie. Letztlich ist Hegels systematischer Dogmatismus ein religiöser, denn die Äuszeichnung einer bestimmten Religion und die Konzeption des Systems der Philosophie stützen sich in einer für die vorurteilslose Entwicklung der Gedanken zur geschichtlichen Bedeutung der Kunst unzuträglichen Weise. Man könnte umgekehrt vermuten, daß ohne diese inhaltliche Garantie auch der Revisionswille Hegels hinreichend Änlaß fände, das Verhältnis von Begreifen und Phänomen, von Philosophie und Geschichte bei erweitertem Kenntnisstand jeweils neu zu fassen. Solange aber Hegels Philosophiekonzeption begründetem Zweifel unterliegt, kann hier gegen ihn (ohne Einbuße an wesentlichen Momenten der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst) unterstellt werden, daß auch für die Moderne eine universale Funktion der Kunst denkbar bleibt. Wie diese aussehen soll, wird an Hegels Definition der geschichtlichen Bedeutung der Kunst, an seiner Bestimmung des Werks und im folgenden an jenen Beispielen aus der Ästhetik belegt werden, in die die wenigsten Vorurteile systematischer und inhaltlicher (religionsphilosophischer) Art eingehen. Bei Gelingen dieser Rekonstruktion könnte man Hegels Bestimmung der Kunst beibehalten und zugleich den Klassizismusvorwurf vermeiden oder entkräften. Der sowohl hegelimmanente wie -transeunte Ansatz führt dazu, daß sich die strukturell bestimmte Funktion der Kunst im Griechentum — in ihrer höchsten Möglichkeit — als Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst überhaupt erweist. Zugleich müßte Hegels Hinweis auf die geänderte Realisation von Sittlichkeit (nämlich nicht mehr nur substanziell, sondern subjektiv-reflektiert) in die Bestimmung der Kunst miteinbezogen werden. Gegen Hegel muß man insofern argumentieren, als die
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2. Die Entwicklung des Systems der Philosophie als Grundlage der Ästhetik
systematische Philosophie der Kunst von seiner philosophischen Geschichtskonzeption gelöst wird. Abschließend stellt sich darum die Frage, ob eine Bestimmung der Geschichte und der geschichtlichen Funktion der Kunst denkbar und zu begründen ist, die die aus der Sicht Hegels nun unbegründeten Elemente trotzdem zu einer philosophischen Konzeption zusammenschließt.
3. ANSÄTZE ZUR BESTIMMUNG DER GESCHICHTLICHKEIT DER KUNST IN HEGELS BERLINER VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK
Hegel war in seiner philosophischen Tätigkeit bemüht, das System der Philosophie, das er in der Jenaer Zeit in Grundrissen konzipierte, immer weiter zu vollenden und im einzelnen durchzuführen. Mithin wird auch die Rolle der Ästhetik jeweils präziser bestimmt und differenzierter dargestellt. In der Ästhetik, genauer in den verschiedenen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, die Hegel während seiner Berliner Lehrtätigkeit gehalten hat, findet sich eine Konzeption, die alle Momente des Entwicklungsganges umfaßt, nämlich die frühen Überlegungen einschließlich deren programmatischer Fassung im Systemprogramm, die Entwicklung der systematischen Philosophie und die Erweiterung der Geschichtskonzeption zur Darstellung der wirklichen Geschichte. Hegel beansprucht hier nicht nur, einen philosophischen Beg. iff der Kunst zu entwickeln, sondern zugleich die geschichtliche Funktion der Kunst formal wie historisch konkret darzustellen. Da die Darstellung vom gegenwärtigen Standpunkt der geistigen Entwicklung aus durchgeführt wird, ist mit der Exposition der Rolle der Kunst in der Geschichte jeweils eine Einschätzung des „absoluten" Wahrheitsgehalts der Kunst verbunden. Die verschiedenen Epochen der Kunst erscheinen als verschiedene Wirkweisen des Geistes in der Geschichte, und Hegel kann sie deshalb unter Rücksicht des bestmöglichen Standpunktes und der weitestgehenden Vermittlung, die in der „wissenschaftlichen" Philosophie erreicht sein soll, kritisieren. Än diesem Anspruch setzt sowohl die positive wie ablehnende Kritik der Ästhetik an. Die Einheit von Metaphysik des Schönen, philosophischer Geschichtskonzeption und wirklicher Geschichte der Künste (Historie), die Hegel in seiner Ästhetik entwickelt, gilt entweder als unerreichbares Ziel auch der modernen Philosophie der Kunst oder als Verfehlung ihres Anliegens. Analog dazu sehen die Revisionsversuche entweder eine Rettung der Ästhetik vor oder die Vermeidung des systematischen Dogmatismus um jeden Preis — auch den des Verlustes begründeter und begründender Reflexion über die Kunst überhaupt. Da die Entwicklung der Ästhetik eine Reihe von Anhaltspunkten bietet, Hegels philosophische Bestimmung der Kunst für die gegenwärtige philosophische Ästhetik nutzbar zu machen, stellt sich erneut die Frage nach der Aktualität der Hegelschen Ästhetik, und zwar speziell als Infragestellung jener letzten Einheit in der Entwicklungsgeschichte der Ästhetik, die mit den Vorlesungen zur Ästhetik (nicht in der gedruckten, überarbeiteten Fassung der Ästhetik) vorliegt.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
3.1 Die Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik als Ansatz der Bestimmung der Aktualität des Hegelschen Erbes. Die Ästhetik erweckt in der gegenwärtig bekannten Gestalt, in der Druckfassung, die nach Hegels Tod von seinem Schüler H. G. HOTHO erarbeitet wurde, den Eindruck eines genau durchplanten, festumrissenen Teils des philosophischen Systems. Im Blick auf die gegenwärtig noch greifbaren Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst bestätigt sich dieser Eindruck allerdings nicht. Hier erscheint weder die Gestalt der Ästhetik selbst noch die Konsistenz ihrer Themen — die Kunstkenntnisse und Beurteilung, die Hegel ständig erweitert und zuletzt auch neu gegliedert zur Diskussion stellt — als abgeschlossen.
3. J. 7 Vorläufigkeit als Revisionsmöglichkeit der systematischen Ästhetik? Von einer Endgültigkeit der Behandlung des geschichtlichen Phänomens Kunst kann in den Vorlesungen nicht die Rede sein. Hegel muß eine solche endgültige Darstellung zwar intendiert haben, denn er plant schon nach der ersten Vorlesung in Berlin eine Veröffentlichung, wie er CREUZER in einem Brief mitteilen will {Br. 1. 266), aber ihm selbst ist ein solcher Abschluß nicht gelungen. Statt der endgültigen Fassung der Ästhetik liegt nur die Bearbeitung der Vorlesungen durch Hegels Schüler H. G. HOTHO vor, die bislang die Grundlage aller weiteren Textfassungen bildet. HOTHOS Bearbeitung der Vorlesungen zur Ästhetik, d.h. die von ihm entwickelte Synthese aus Hegels Manuskript und verschiedenen Vorlesungsnachschriften der Jahre 1823, 1826 und 1828/29,i wurde von den Hegelschülern einhellig als großartige Leistung akzeptiert und gilt auch heute noch als eine durch die historisch-kritische Edition kaum wieder erreichbare Form der Darbietung Hegelscher Gedanken. Dennoch macht es ' Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Vorlesungen über die Aesthetik. Hrsg, von H. G. Hotho. Teil 1-3. Berlin 1835-1838, Vorrede (Ästh.l). Einige Splitter aus Hegels verschollenem Manuskript finden sich in den Editionen von L. Sziborsky und H. Schneider {Hegel über die Objektivität des Kunstwerks. Ein eigenhändiges Blatt zur Ästhetik. Mitgeteilt und erörtert von L. Sziborsky; Neue Quellen zu Hegels Ästhetik. Mitgeteilt und erörtert von H. Schneider). — Zum Folgenden vgl. Asth. I, Vorrede IX und Hothos gleichlautende Bemerkungen in der Rezension einer systematischen Ästhetik: A. Wendt: Über die Hauptperioden der schönen Kunst oder die Kunst im Laufe der Weltgeschichte. In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. 1832. No 114; dazu A. Gethmann-Siefert:H. G. Hotho: Kunst als Bildungserlebnis und Kunsthistorie in systematischer Absicht, 244 ff.
3.1 Die Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik
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Stutzig, daß HOTHO selbst sich im Vorwort zur Edition und in einer seiner eigenen Veröffentlichungen darüber beklagt, ihm sei der schwierigste Teil des Unternehmens zugefallen, Hegels Vorlesungen als Teil des Systems der Philosophie darzustellen, da Hegel selbst diese Integrationsleistung zwar für die Philosophie des Rechts, der Religion, der Geschichte erbracht habe, nicht aber für die Philosophie der Kunst. Unterstellt man hier, daß HOTHO nur für den ihm übertragenen Teil der Arbeit die faktischen Ausmaße der Synthetisierungsleistung der ersten Herausgeber der Werke Hegels überblicken kann, so wird man hinsichtlich der Geschlossenheit des Hegelschen Systems der Philosophie, von dem die Hegelforschung in den meisten Fällen ausgeht, skeptisch. In der erneuten Beschäftigung mit Hegels Vorlesungen zeigt sich an vielen Stellen, daß der Eindruck trügt, Hegel habe eine endgültige Konzeption nicht nur formal, sondern auch inhaltlich festgeschriebener philosophischer Systemteile erreicht. Für die Ästhetik jedenfalls steht fest, daß Hegel in allen Vorlesungen Modifikationen vornimmt, experimentierend nicht nur die geistesgeschichtliche Behandlung und Charakterisierung des geschichtlichen Phänomens und die Mannigfaltigkeit seiner Erscheinungsweisen variiert, sondern selbst die grundlegende Gliederung ändert. ln den verschiedenen Vorlesungsjahrgängen, von denen die Vorlesung von 1823, 1826 und die letzte Vorlesung von 1828/29 durch Hörernachschriften oder Ausarbeitungen mehr oder weniger genau erschlossen werden können (Hegels Manuskript zur Vorlesung ist verschollen), bemerkt man deutlich Hegels Bemühen, an den Kunst- und Kulturbetrieb Berlins anzuknüpfen. Hegel integriert seine eigenen, in Kunstreisen ständig erweiterten Kenntnisse in die Vorlesung und weist auf kulturelle Ereignisse wie die Museumseröffnung eigens hin, um auch dies in seine Sicht der geistesgeschichtlichen Bedeutung der Kunst zu übersetzen. Auch die Tatsache, daß Hegel in der letzten Vorlesung die Gliederung der gesamten Vorlesung ändert, steht sicherlich in Beziehung zur Kunsterfahrung der Berliner Bürger und zur staatlichen Stützung und Förderung der Kunst als Bildungsgut, zur Kulturpolitik.2 Hegel entwickelt das dreiteilige System, das dem heutigen Leser der Ästhetik durch HOTHOS Edition bekannt ist, erst in seiner letzten Vorlesung von 1828/29, während er vorher nur zwischen „Allgemeinem" und „Besonderem Teil" unterschied, also anscheinend die ästhetischen Urteile über die einzelnen Kunstwerke strikter dem Systemgedanken untergeordnet hat. Dennoch ist es übereilt, daraus den Schluß zu ziehen, daß Hegel selbst die systematische Fundierung der Ästhetik aufgeben oder durch die Umgestaltung lockern wollte. Denn gerade die letzte Vorlesung enthält — wie den beiden bekannten Nachschriften von LIBELT und von HEIMANN ZU entnehmen ist — auch eine 2 Vgl. dazu die Beiträge der Sammelbände Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels, und Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik (1985).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Änderung in der Systemkonzeption selbst. Hegel trägt eigens die präzisierte und verschärfte Fassung vor, durch die er die Rolle der Kunst im System der Philosophie in der Enzyklopädieüherarheitung von 1827 festlegt. Die Religion wie der Staat erscheinen hier sowohl als der wesentliche Inhalt der Kunst wie als eigene kulturelle Gebilde, die ihre Zukunft gegenüber der Entwicklung der Kunst behalten. Hegel gibt deshalb weder die systematische Grundgestalt der Ästhetik auf, die er in der Bestimmung des Ideals und in der Strukturierung der Geschichte durch den Begriff (sc. in den drei Kunstformen) darlegt, noch verselbständigt er die ästhetischen Urteile im engeren Sinn gegenüber dieser Systematik. Es zeigt sich stattdessen, daß ihn gerade die im Sinne der Systemkonzeption problematischen Teile der Ästhetik, die Hinführung zur klassischen Kunst (die symbolische Kunstform) und die romantische Kunst bis hin zur Gegenwartskunst jeweils erneut beschäftigen, weil sie — auch wohl in Hegels eigener Sicht — die neuralgischen Punkte der systematischen Konzeption sind. Interessant ist daher, daß die Bestimmung der Kunst im Griechentum zwar ihre zentrale Stellung in allen Vorlesungen behält, daß Hegel aber hinsichtlich der „klassischen Kunstform" weder seine Kenntnisse wesentlich erweitert noch die Konzeption gegenüber früheren Fassungen verändert. Wo er die „klassische Kunstform" in extenso behandelt — als Beleg dafür kann die Vorlesung von 1823 noch herangezogen werden — stützt er sich vornehmlich auf WINCKELMANN. Seit 1826 verliert dieser zentrale Teil der Ästhetik aber merklich an Umfang, und es kommt inhaltlich kein neuer Aspekt der Betrachtung hinzu. Anders in den Behandlungen der symbolischen Kunst, die Hegel seit 1821, also nach der Auseinandersetzung mit CREUZERS in zweiter Auflage erschienener Symbolik und Mythologie der allen Völker, besonders der Griechen erneut behandelt.^ In der Vorlesungsnachschrift von HOTHO, die aus dem Jahr 1823 (nicht aus der ersten Berliner Vorlesung des Wintersemesters 1820/21) stammt, könnte sich dieser Fortschritt in der Konzeption der symbolischen Religionen
^Hierzu findet sich eine genauere Analyse (über Schulins Darstellung hinaus) bei M. Hulin: Hegel et l'orient-, vgl. dazu Hegel-Studien. 16 (1981), 266—273. Für die Ästhetik finden sich erste Hinweise bei A. Gethmann-Sieferl/B. Stemmrich-Köhler: Faust — die „absolute philosophische Tragödie“ und die „gesellschaftliche Artigkeit“ des West-östlichen Divan (Hegel-Studien 18). Hegel hatte nämlich den Divan 1826 als Kulmination der symbolischen Kunstform behandelt, erörtert aber später Goethes Kosmopolitismus, für den die Übersetzung der orientalischen Lebensform in und für die moderne Welt bezeichnend ist, im dritten Teil der Asthetikvorlesung. Vgl. auch die Einleitung der Vorlesungsedition von A. Gethmann-Siefert: Ästhetik, Nach dem Vortrag des Herrn Professor Hegel. Im Sommer 1823. Berlin. H. Hotho (Hamburg 1985). Man darf annehmen, daß auch in der frühen Berliner Ästhetikvorlesung vom Wintersemester 1820/21 die Modifikation der Religionsphilosophievorlesung ihren Niederschlag gefunden hat.
3.1 Die Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik
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schon greifbar machen lassen. In etwa kann das auch nachgewiesen werden. Obwohl diese Teile der Vorlesung bei HOTHO nur sehr knapp dokumentiert werden, zeigt sich, daß die bisherigen nur andeutungsweise nachweisbaren Erweiterungen der Reflexionen zur Naturmythologie aus der Jenaer Zeit nun endgültig zur Bestimmung einer eigenen Kunstform gestaltet worden sind. Die Nachschriften zu den folgenden Vorlesungen dokumentieren aber, daß Hegel hierin noch keine und hinreichend differenzierte Bestimmung der symbolischen Kunstform erreicht zu haben glaubt. Denn nachdem er diesen Teil der Vorlesung 1826 erst revidiert und weit subtiler gegliedert darstellt, greift er in der letzten Vorlesung nochmals gerade hier ein und stellt den Aufbau um. Im jetzt (1828/29) dritten Teil, der Bestimmung der Welt der Künste, zeigt sich aber keine wesentliche Erweiterung der Kenntnisse speziell der Kunst der symbolischen Kunstform. Deshalb kann man den Schluß ziehen, daß Hegel sich hier seine Überlegungen aus der Religionsphilosophie für die systematische Darstellung der symbolischen Kunstform zunutze gemacht hat. Anders scheint es in der Entfaltung der romantischen Kunstform zu sein. Hier führen Hegels Kunstreisen und seine Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst im lebendigen Zusammenhang des Berliner Kunst- und Kulturbetriebs zu wesentlichen Erweiterungen des behandelten Anschauungsmaterials. Dennoch behält Hegel auch hier die systematische Konzeption bei, d.h. er bestimmt nach wie vor die gesamte Kunst der christlichen Welt als strukturell identische, sc. romantische Kunstform und definiert sie einschließlich der zeitgenössischen Kunst durch ihre nur eingeschränkte geschichtliche Funktion. Zugespitzt könnte man behaupten (was im folgenden nachgewiesen wird), daß Hegel hier nur darum ausführlicher wird, um dem gebildeten Hörer seiner Zeit mit der geistesgeschichtlichen Perspektive der Ästhetik eine wohlbegründete Alternative zur gängigen Kunstbegeisterung und zum Ersatz des Bürgerinteresses an der Freiheit durch ein „Bildungsbürgertum" an die Hand zu geben.^ Wie immer man auch Hegels Argumente im einzelnen beurteilt — für ein solches Urteil muß man freilich auf die Zeugnisse zu den verschiedenen Vorlesungen zurückgreifen, weil HOTHOS Bearbeitung in der Edition der Ästhetik das umgekehrte Interesse geleitet ist —, es handelt sich bei den einzelnen Überlegungen und Beispielen nicht um ästhetische Urteile, die gegen die Systematik ins Feld geführt ^Beispiele für Hothos Editionsstil finden sich sowohl im o.g. Diran-Aufsatz als auch bei A. Gethmann-Siefert: Die Kritik an der Düsseldorfer Malerschule bei Hegel und den Hegelianern. Weiteren Aufschluß bringen zwei Studien im Rahmen des Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft Wissen und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Ruhr-Universität Bochum) zu Hegels Kenntnis der Malerei (G. Stemmrich) und zu Hegels Auseinandersetzung mit der orientalischen Poesie (B. Stemmrich-Köhler).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
werden könnten. Die immanente Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik kann deshalb nicht als Hegels Eingeständnis der Revisionsbedürftigkeit der systematischen Gestalt der Ästhetik gewertet werden, wie es D. HENRICH^ und im Anschluß an ihn einige neue Interpretationen versuchen. Sie kann aber als Hinweis darauf interpretiert werden, daß Hegel daran gelegen war, die systematische Konzeption am geschichtlichen Phänomen selbst ständig zu bewähren. Zumindest muß er sich die Bestimmung der Bedeutung der Kunst für die Moderne, die aus der Geschichtskonzeption der Ästhetik, aus der Bestimmung der Kunstformen, entspringt, an den neuralgischen Punkten, nämlich an der symbolischen Kunstform und an der Auflösung der universalen Funktion in der romantischen bis hin zur zeitgenössischen Kunst jeweils erneut bestätigen.
3.1.2 Die „ästhetikimmanente Kritik" Ein Ansatz zur Auseinandersetzung mit Hegels Ästhetik und zugleich der einzig mögliche Ansatz, der in der Aktualisierung nicht Hegels Interesse aus dem Blick verliert, muß deshalb beide Prämissen, das Interesse am System des Wissens und das Interesse am geschichtlichen Phänomen, zu vereinen suchen. Für eine solche Kritik bietet die entwicklungsgeschichtliche Darstellung der Ästhetik überhaupt in Einheit mit der Berücksichtigung der Entwicklung in den Berliner Ästhetikvorlesungen einen tragfähigen Änsatz. Allerdings wird eine solche Kritik komplizierter ausfallen als die gängige Konfrontation des Hegelschen Interesses am System des absoluten Wissens ^Vgl. D. Henrich: Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart, 11 ff; ders.: Zur Aktualität von Hegels Ästhetik. In den Beiträgen des Symposions Art and Logic in Hegel s Philosophy. (Hrsg, von W. E. Steinkraus und K. L. Schmitz) geht bes. R. Bubner auf diese These ein (Hegel's Aesthetics — Yesterday and Today). Eine differenzierte Darstellung der Bedeutung der These vom Ende der Kunst findet sich bei W. Oelmüller: Hegels Satz vom Ende der Kunst und das Problem der Philosophie der Kunst nach Hegel. Henrich und Knox spielen zwei Versionen durch, diese These gegen Hegels eigene Durchführung der Ästhetik (z.B. gegen die Integration der Konzeption der Enzyklopädie von 1827 in die letzte Vorlesung) zu deuten bzw. zu leugnen; dazu M. T. Knox: The Puzzle of Hegel's Aesthetics, bes. 7ff; zu einer Reihe weiterer Untersuchungen, die sich an diese Deutung anschließen vgl. A. GethmannSiefert: Eine Diskussion ohne Ende: zu Hegels These vom Ende der Kunst. Die im folgenden explizierte Gegenthese, daß sich nur durch die ausdrückliche Uminterpretation der Ästhetik gegen den Systemgedanken — also allenfalls durch den Rückgriff auf die vorsystematische Philosophie Hegels — eine Revision und Aktualisierung der Ästhetik erreichen läßt, läßt sich auch am Beispiel der These vom Ende der Kunst und am Klassizismusproblem darlegen; dazu vom Verf. Hegels These vom Ende der Kunst und der Klassizismus der Ästhetik. In: Hegel-Studien. 19 (1984).
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mit seiner — aufgrund der gegenwärtigen Interessenlage der Philosophie höher bewerteten — Kenntnis und Berücksichtigung des geschichtlichen Phänomens Kunst. Grundsätzlich muß auch für diesen Aktualisierungsversuch ein Ansatz gefunden werden, der es erlaubt, zu überprüfen, ob und inwieweit Hegels Fortschritte der Systemkonzeption notwendig auch Fortschritte in der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst sind und wie sich — falls dies verneint werden muß — Systemgedanke und philosophische Ästhetik voneinander trennen lassen. Das Anliegen der folgenden Überlegungen bleibt insofern dem „Systemwillen" Hegels verpflichtet, als Lösungen ausgeschlossen werden, die die Rettung des geschichtlichen Phänomens auf Kosten der philosophischen Thematisierbarkeit und Explikation vornehmen. Außerdem kann die gängige Revision der Ästhetik durch eine Reduktion ihres methodischen Standards auf die Philosophie KANTS nicht ohne weiteres übernommen werden. Statt dessen muß sich ein Ansatz finden lassen, der eine auch im Sinne Hegels vertretbare Konzeption der Möglichkeit philosophischer Ästhetik erreichbar erscheinen läßt und gleichwohl das geschichtliche Phänomen nicht auf die im System des Wissens dogmatisch festgelegte Möglichkeit einengt. Ansatz dieser Kritik ist — wie in der üblichen Hegelkritik — die These vom Ende der Kunst und die Entkräftung des damit verbundenen Klassizismusvorwurfes. Nur wird beides nicht in der Version diskutiert, die sich aus der Druckfassung der Ästhetik nahelegt. Ein Ansatz, der in der geforderten Weise funktioniert, liegt in der Erörterung des Werkbegriffs der Ästhetik. Hier zeigt sich nämlich einerseits, daß Hegel seine Bestimmung des Kunstwerks aus den frühen Überlegungen übernimmt, andererseits daß er sie durch den neuen systematischen Rahmen, das System des absoluten Wissens, relativiert. Zudem gilt die Abhängigkeit der Systemkonzeption von der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst in den vorsystematischen Schriften unbestreitbar und unbestritten. Deshalb gibt ein Vergleich der frühen Bestimmung mit ihrer Verwendung im Kontext der Philosophie der Kunst Aufschluß über die Wirkung der dogmatischen Konzeption philosophischer Systematik auf die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst und zugleich über die Konsequenzen, die eine Zurücknahme des Systemanspruchs haben kann. Auf der Basis dieser grundsätzlichen Analyse des Werkbegriffs der Ästhetik kann die Grundthese vom Vergangenheitscharakter der Kunst anhand der Analyse einiger Beispiele der inhaltlichen Bestimmung der Künste infragegestellt werden. Diese Analyse schließt sich als zweiter Schritt notwendig an, weil sie das zweite Vorurteil überprüft, das in Hegels Vorstellung eines abschließbaren und abgeschlossenen Systems der Philosophie wirkt. Hier geht es um eine Kritik der unterstellten Abgeschlossenheit der Entwicklung der Mythologie. Hegels These, daß die Wahrheit der Kunst in ihrem Inhalt, näherhin christlichen als der in der geistigsten Religion liege, die die Kunst-
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gestalt überwindet, kann am besten dadurch entkräftet werden, daß man hypothetisch die Möglichkeit unterstellt, es könne auch in der Moderne eine neue Mythologie, einen durch die Kunst vermittelten Entwurf der „Weltanschauung" geben. SCHELLINGS spekulative Konstruktion des modernen Epos wird in einer solchen Hypothese auf SCHILLERS programmatischen Entwurf der Idylle, auf den künstlerischen Konstruktionsversuch einer Weltanschauungsweise reduziert, die vernünftig sein soll und gleichwohl nicht diskursiv expliziert sein muß. Konkret muß in diesem Zusammenhang geprüft werden, ob man sich, von Hegels yn s f /t e 11 ausgehend, ein Kunstwerk auch ohne den „großen" Inhalt, ohne die christliche Religion, vorstellen kann. Die Beispiele, die aus der Astheiikherangezogen werden, sollten es deshalb aus sich ermöglichen, das formale Vorurteil aufzuheben, die Kunst habe eine bloß noch ästhetische Bedeutung, wenn sie die Fähigkeit einbüßt, den mythologischen Inhalt zureichend zu vermitteln (was nach Hegel ohnehin nur für das Christentum gilt). Gleichzeitig sollte Hegels inhaltliches Vorurteil umgangen werden, auch in der Zeit nach der Aufklärung sei eine geschichtliche Funktion der Kunst nur so denkbar, daß sie eine Religion, damit eine Anschauung der Welt im Lichte des christlich interpretierten Absoluten vermittle. Deshalb wird hier auf die Kunstwerke zurückgegriffen, die Hegel behandelt und die man im Sinne der frühen Überlegungen als Gestaltung des weltgeschichtlichen Handelns im Werk der Kunst charakterisieren könnte. Es läßt sich an diesen Überlegungen zeigen, daß es Hegel in der Bestimmung der Kunst nach wie vor darum geht, die philosophische „Wesensbestimmung“ durch eine Analyse der geschichtlichen Funktion der Kunst, der Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung, zu gewinnen. Das identische Anliegen gewinnt aber bei differenzierter Durchführung ein anderes Aussehen. Man kann so zwar nicht mit einer zeitgenössischen Kritik gegen Hegels Ästhetik einwenden, daß es sich negativ bemerkbar mache, daß „Hegels Bildung ... die ScHELUNGsche Kunstanschauung" fehle. Wohl aber bleibt problematisch, daß Hegel die Kunst „gegen ihren Begriff ... als eine beschränktere Form unter den Kultus" stellt und daß die Ästhetik daher nicht den ihr zukommenden philosophischen Stellenwert erhält (Ber. 286). Durch die entwicklungsgeschichtliche Analyse erhält man die Möglichkeit, auch diese Kritik an Hegel gewissermaßen ,4sthetikimmanent" durchzuführen. Denn Hegel wiederholt die Bestimmungen der Kunst, die er vor der Festlegung seiner Konzeption einer systematischen Philosophie getroffen hat, z.T. im Wortlaut unverändert in den Vorlesungen zur Ästhetik. Geändert wird allein die Prämisse. Weil die Kunst im System der Philosophie und durch die Möglichkeit eines solchen systematischen Wissens ihre umfassende geschichtliche Bedeutung verliert, kann sie die geschichtliche Realisation der Vernunft in der Moderne nicht mehr garantieren. Die Konfrontation der Intention, die Hegel im „Ideal der Volkserziehung" durch die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst wie der Mythologie der
3.1 Die Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik
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Vernunft (der Religion bzw. Weltanschauung im Ganzen) expliziert und die er mit der Bestimmung der Kunst im System der Philosophie erfüllen will, liefert automatisch den hier verfolgten Ansatz der Kritik. Zudem hat die Orientierung an den Vorlesungsnachschriften statt an der „systematischeren" Konzeption der von HOTHO edierten Ästhetik den Vorteil, daß sich auch Hegels späte Ästhetik als ein unabgeschlossener Teil des Systems erweist, in ständigem Fortschritt begriffen, vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Phänomen selbst. Da sich für den Ansatz der Überlegungen nahelegte, Hegels ScHiLLER-Rezeption zu analysieren, wird diese Perspektive hier der Kontinuität halber bevorzugt und beibehalten. Es kann und soll kein weiteres, etwa ästhetisches, Kriterium der Auswahl bestimmter Werke und Deutungen angegeben werden. Das Prinzip der Auswahl liegt lediglich (aber dafür begründeterweise) darin, solche Beispiele zu finden, die Hegels philosophische Bestimmung der Kunst nach ihrer besten Möglichkeit exemplifizieren, d.h. die von Vorurteilen hinsichtlich des Inhalts und der Form der Werke möglichst weitgehend unbelastet sind. Zunächst bleibt in diesem Zusammenhang auch der Rückgriff auf Hegels Auseinandersetzung mit SCHILLER, die erneute Diskussion der Idyllenproblematik und die Kritik der Dichtung SCHILLERS im einzelnen willkürlich. Dennoch zeigt sich bei Hegel selbst an wesentlichen Stationen der Festlegung der geschichtlichen Funktion der Kunstwerke wie des daraus abgeleiteten ästhetischen Urteils, daß SCHILLER in der Ästhetik die Rolle des stärksten Opponenten spielt. In der Bestimmung der systematischen Gestalt der Ästhetik weist Hegel auf ihn als den Ästhetiker hin, der ihm philosophisch am nächsten steht, den er aber überwinden will. Auch die Frage nach der Bedeutung der Kunst im Zeitalter der Aufklärung und Nachaufklärung erörtert er abschließend an der Kunst SCHILLERS. ES geht ihm darum zu zeigen, daß die Kunst selbst in dem Fall, daß ihr eine größtmögliche Nähe zur Wirkweise der griechischen Kunst zugestanden wird, dem Vernunftbedürfnis der Moderne nicht entspricht. Deshalb legt Hegel in der Auseinandersetzung mit SCHILLER dar, wie durch die Kunst in der modernen Welt ein „weltgeschichtliches Werk" vermittelt werden kann, d.h. er erörtert die geschichtlich-gesellschaftskritische Funktion der Kunst an einem Beispiel, das auf den religiösen Inhalt verzichtet und dennoch den Impetus der nachaufklärerischen Bestimmung der Kunst wahrnimmt. An den Beispielen, die im Folgenden analysiert werden, soll jeweils demonstriert werden, wie sich in den Vorlesungen zur Ästhetik die Trennung von philosophischer Bestimmung der Kunst und Dogmatismus, d.h. von deren akzeptablem Sinn und der durch den Systemgedanken beigemischten Einschränkung, vorbereitet. Abschließend können dann die Themen und Thesen der Ästhetik, die für eine philosophische Beschäftigung mit der Kunst als Beitrag Hegels ohne sein systematisches Vorurteil gelten dürfen, zur Diskussion gestellt werden.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
In einer solchen Kritik der Asthetikläßt sich erstens zeigen, daß die These vom Vergangenheitscharakter der Kunst mit Vorurteilen über die Bedeutung der Anschauung zusammenhängt, die Hegel — blickt man auf die frühen Überlegungen — nicht unbedingt reproduzieren müßte; zweitens, daß die Eliminierung solcher Vorurteile und die Rekonstruktion der anfänglichen geschichtlichen Bestimmung der Kunst mit den inhaltlichen Mitteln der Ästhetik zu einer Grundlage der philosophischen Bestimmung der Kunst werden kann. Diese Bestimmung müßte die Bedingungen der Geschichtlichkeit eruieren (sie müßte formal im Sinne KANTS argumentieren) und zugleich die Wirksamkeit der Kunst im Sinne der (von Hegel) zunächst unterstellten Vermittlung von Vernunft und Freiheit in lebendiger Erfahrung entfalten. Läßt sich eine solche Trennung von vermeintlich absoluter Grundlegung und geleisteter geschichtlicher Begründung in der Ästhetik durchführen, dann wäre damit nicht nur die unhaltbare Konzeption des philosophischen Systems auf ihre Leistungsfähigkeit als „Reflexion" der Geschichte zurückgeführt. Zugleich würde durch dieses Vorgehen eine Basis für die Bestimmung der Kunst in der Geschichte aus Hegels Ästhetik gewonnen. Auf diese Weise läßt sich die Funktion der Kunst, wie Hegel sie im Programm der religionskritischen Schriften implizit mitentwickelte, gegen die Tendenz der philosophischen Systematisierung rechtfertigen. Läßt sich überdies zeigen, daß Hegel in den inhaltlichen Bestimmungen der Vorlesungen zur Ästhetik ohne die Fixierung auf diesen (seit der Jenaer Zeit entwickelten) Rahmen eine mit dem frühen Programm kompatible Bedeutung der Kunst festlegt, dann erhellt die entwicklungsgeschichtliche Analyse jene Revisionsmöglichkeiten, die für die Aktualisierung der Ästhetik in der gegenwärtigen philosophischen Diskussion die entscheidende Voraussetzung sind. Die leitende Frage ist also: Wie läßt sich in Hegels Ästhetik die philosophische Grundlage für eine Bestimmung der Kunst finden, die die Kunst sowohl hinsichtlich ihrer Funktion darstellt wie korrigiert. Durch diese Kritik soll zugleich die Trennung von ästhetischer und politischer Dimension der Kunst aufgehoben werden, die der „Aktualität" der Ästhetik im Wege steht. Das geschieht durch die Entkräftung der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst. Nur wenn die Theorie und die Realität des Staates von der Wirksamkeit der Kunst und ihrer philosophischen Charakteristik in der Weise getrennt werden, wie es Hegel seit der Enzyklopädie (von 1827) entwickelt, kann einsichtig gemacht werden, warum die Kunst im Zeitalter der Klarheitsforderungen und des Wissenschaftsstrebens (im Sinne der Philosophie als Wissenschaftslehre und System) „ihre Zeit" nicht mehr haben kann. Garantiert aber der Schein der Kunst, die Schönheit, nicht mehr die Sittlichkeit eines Volkes (man könnte übersetzen: die gegen Ideologisierungen kritisch gesicherte Selbstfindung des Menschen in der Gesellschaft), kann sie in einer Situation, die durch die Forderung freier Selbstverwirklichung geprägt ist, nicht als Möglichkeit der Veränderung im Sinne dieser Forderung gelten.
3.1 Die Entwicklung der Vorlesungen zur Ästhetik
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Diese Überlegungen mögen dazu beitragen, eine Weise der Argumentation in Anlehnung an Hegel abzubauen, die in der gegenwärtigen Diskussion um und mit Hegel nur zu geläufig ist. Man könnte sie als eine unreflektierte moderne Form des scholastischen Autoritätsarguments kennzeichnen, denn hier liest man aus Hegels Ästhetik Gedanken zur Handlung, zur gesellschaftlichen Situation und Bedeutung der Kunst zusammen, die zur Grundlage des Verhältnisses von Kunst und gesellschaftlichem Handeln erhoben werden, ohne daß ihre Bedeutung festgestellt oder geprüft worden wäre. Weder läßt sich Hegels Ästhetik als „klassizistisch" abtun, noch läßt sie sich schon allein darum in eine Theorie der Gesellschaftlichkeit von Kunst transponieren, weil sie im Zuge ihrer Entwicklung selbst eine Reihe von Hinweisen auf das Verhältnis von Handeln — geschichtlichem wie gesellschaftlichem — und Kunst als Form des exemplarischen Handelns (sc. eines Handelns, das das Vernunftgesetz menschlichen Wirkens mitreflektiert) bereithält. Ziel dieser Kritik ist die Äushildung einer philosophischen Ästhetik, die Kunst als Moment des geschichtlichen Handelns und der Orientierung bestimmt und von daher ihre Beurteilung im einzelnen wie ihre Unverzichtbarkeit und die Universalität ihrer Deutung im Sinne der frühen Überlegungen Hegels und Schillers entwickelt. Es geht in der Kunst um eine nicht-ideologische (ideologiekritische) Selbstvergewisserung des Menschen im Medium anschaulicher Gestaltung und vor-wissenschaftlicher Reflexivität. Darum kann aus Hegels Ästhetik auf ieden Fall die grundlegende Vorgehensweise, die Durchführung der Wesensbestimmung durch eine Analyse der geschichtlichen Funktion, übernommen werden. Die Kunst erscheint im Lichte dieser Überlegung freilich nicht mehr als „zwecklos" oder als „Zweck an sich". Kunst kann auch nicht als die einzige Weise der Welthabe gelten, wie Hegel durch seine Auseinandersetzung mit der Kunst im Griechentum zeigte. Diese Funktion einer in sich unmittelbar-anschaulichen Vermittlung von Sinngehalten und Selbstverständigungen kann — wie es SCHILLER und Hegel im Anschluß und in Auseinandersetzung mit der KANxischen Philosophie zu demonstrieren wußten — nicht mehr von der Reflexion auf die Vernunft des freien Handelns gelöst werden. Mit Hegel: Kunst kann nur im Durchgang durch das Medium des philosophisch-wissenschaftlichen Erhellens ihre Versöhnungsfunktion und Vermittlungsleistung rechtfertigen. Sie wird aber — gegen Hegels Annahme — durch die Reflexion nicht als Phänomen ersetzbar, ihre Funktion ist nicht in die der Reflexion — und sei sie als Spekulation dogmatisch überfrachtet — aufzuheben. 3.2 Die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst: der Werkbegriff der Ästhetik Durch die Kritik der Ästhetik läßt sich entweder darlegen, daß die Einheit von Metaphysik des Schönen, allgemeiner Theorie der Geschichte und Ge-
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
schichte der Künste, die Hegel entwickelt, in eine Bestimmung des geschichtlichen Phänomens Kunst umgeformt werden kann, oder diese Synthese erscheint als ganze inakzeptabel. Dann liefert die Asthelik lediglich eine komplizierte Konnexion von Vorurteilen sowohl über die Bestimmung der Schönheit als auch über die Möglichkeiten ihrer geschichtlich konkreten Erscheinung, d.h. der global formulierte Klassizismusvorwurf trifft zu. Hegel selbst entwickelt einen Vergleich zwischen klassischer und romantischer Kunst, der entweder berechtigterweise als „Klassizismus" kritisiert wird, oder für den sich eine Interpretation finden lassen muß, die die Aussagen der Ästhetik zur Kunst in strukturelle Bestimmung und historische Konkretion auseinanderlegt. Ohne Zweifel beurteilt Hegel die geschichtliche Wirkung der romantischen Kunst insgesamt im Blick auf die „höchste" Weise ihrer Wirksamkeit, im Blick auf die Kunst im klassischen Griechentum. Damit wiederholt er eine Argumentation seiner frühen Überlegungen auf dem Boden der Ästhetik. Denn die Gegenüberstellung von klassischer und romantischer Kunstform, der Gegensatz von universaler Funktion und — aufgrund der Situation — nur eingeschränkter Wirksamkeit, führte zunächst zum Programm einer „Mythologie der Vernunft". Nun betont Hegel aber, die Kunst sei „an bestimmte Zeiten gebunden", eine „Regierung, ein Individuum" könne „eine goldene Periode der Kunst nicht erwecken", der „gesamte Weltzustand gehört dazu" (Hotho 1823. Ms. 192). Mit diesem Argument reproduziert er seine spätere Geschichts- und Philosophiekonzeption. Trotzdem legt sich die Vermutung nahe, daß der Vergleich von Antike und Moderne, wie er hier durchgeführt wird, einen anderen — vertretbaren — Sinn hat als ein „klassizistisches" ästhetisches Werturteil. Hegel muß die Möglichkeit einräumen, daß man durch die Angabe struktureller Bestimmungen der Kunst zu verschiedenen Zeiten ihre Wirkweise in der Geschichte vergleichen kann. Denn ohne diese Möglichkeit würde die von ihm unterstellte Einheit von Gehalt und Form zu historisch undifferenzierten Formen des Geistigen führen, sein Vergleich der Künste, die Entwicklung von Kunstformen wäre sonst in der Tat klassizistisch. Einzelne Werke würden in der ästhetischen Bewertung mit einem — zwar empirischen, aber der Kritik enthobenen — Maß gemessen. So gesehen, beschränkte sich Hegels Bestimmung der Kunst nämlich darauf, die antike Kunst zur Norm für den Kunstcharakter von Kunstwerken schlechthin zu erheben. Seine Unterscheidung verschiedener Erscheinungsweisen des einen Phänomens Kunst, der Unterschied strukturell verschiedener Wirkweisen unter unterschiedlichen geschichtlichen Bedingungen, müßte zu einem Entwurf der Geschichte der Künste degenerieren, der den Unterschied verschiedener Epochen und Völker nivelliert. Die Kunstformen wären dann wirklich Konstrukte einer vorklassischen Aufstiegs- und einer nachklassischen Verfallsform des Schönen. Damit wäre aber Hegels „Metaphysik" der Kunst gründlich mißverstanden, denn Hegel lehnt ein
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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solches Verfahren explizit ab. Wenn er die geschichtliche Realität Kunst als eine geistige Wirklichkeit philosophisch bestimmt, liegt zumindest seine Intention darin, die Entwicklung des Geistes in der Geschichte darzustellen. Für eine der Erscheinungsweisen des Geistes, die Kunst, will er strukturelle Bestimmungen finden, die die Kontinuität des Phänomens hei Diskontinuität seiner historischen Bedingungen sichern. Diese Bestimmungen liegen der Ästhetik als dem philosophischen Begreifen der Geschichte der Künste zugrunde, und Hegel formuliert sie als Definition der „Wahrheit" der Kunst und als Bestimmung ihres geschichtlichen Wirkens: als Werk. Der Rückgriff auf das Griechentum spielt hier eine Rolle, die formal gesehen der Bedeutung der „utopischen" Funktion des Griechentums und der Kunst in den Frühschriften entspricht. Die Beurteilung der Allgemeinheit und Notwendigkeit einer geschichtlichen Wirksamkeit wird strukturell durch die Analyse der „besten", d.h. umfassendsten, historischen Möglichkeit festgelegt und die Abweichungen anhand dieses „Modells" charakterisiert. Dabei geht es nicht um die Festlegung der Künste auf die Schönheit der griechischen Kunst, also auf die Wiederholung desselben unter geänderten Bedingungen, sondern allenfalls um die Wiederholung des funktional Äquivalenten unter geänderten Bedingungen. Gelingt es, diese Weise der philosophischen Betrachtung in Hegels Ästhetik in der angegebenen Weise vom Vorwurf des Klassizismus freizuhalten, d.h. eine Unterscheidung zwischen ästhetischem Urteil und Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst zu belegen, dann gewinnt man eine Bestimmung der Kunst, die auch in der gegenwärtigen Diskussion richtungsweisend sein kann. Um diese These plausibel erscheinen zu lassen, wird allerdings jeweils ein zweiter Schritt nötig. Man muß die systematische Grundlage der Ästhetik dahingeheixd infragestellen, daß der Übergang von der frühen Bestimmung des Griechentums und der Kunst zur eingeschränkten Funktion der Kunst in der Moderne selbst nicht automatisch und als solcher gesichert erscheint. Gilt nämlich Hegels System der Philosophie nicht als System des absoluten Wissens, dann gelten auch seine inhaltlichen Argumente für die Bestimmung der Funktion der Kunst in der Moderne nur unter Vorbehalt. Mit dem System als Grundlage der Ästhetik wird also auch das vermeintlich historische Argument revisionsbedürftig. Die Kunst, gilt sie nicht als grundsätzlich durch das Wissen überholt, kann auch in der Moderne die Humanitäts- und Freiheitsforderung aufrechterhalten, zu veränderndem Handeln motivieren. Ihre Möglichkeiten zur „Revolution" der Verhältnisse ebenso wie zur Herstellung der Bedingungen einer menschenwürdigen Gesellschaft sind zwar beschränkt, solange man aber nicht über ein absolutes Wissen und die Sicherung seines Funktionierens in der Philosophie verfügt, erscheint die Begrenztheit der Kunst — im Kontrast — auch nicht mehr als Einschränkung. Hegel entwirft in seinem frühen Programm einer Mythologie der Vernunft die Bestimmung der Kunst noch in diesem Sinn. Während
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
SCHILLER sich in der Kunst selbst um neue Formen bemüht, die der gesellschaftlich-geschichtlichen Aufgabe der Kunst entsprechen, beschränkt Hegel sich auf sein Gebiet: die systematische Sicherung der Überwindung der Verhältnisse auf dem Felde des Gedankens. SCHILLER vermochte möglicherweise in seiner Kunst, nicht aber in der expliziten ästhetischen Theorie, eine Einwirkung der Kunst auf die Realität im Sinne einer „Utopie", einer konkreten Alternative zur gegebenen Zerrissenheit der Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Hegel wollte dasselbe im Bereich des Begriffs, nicht mehr des schönen Scheins erreichen (vgl. Phil, der Weltgesch. 580). Versagt aber diese neue Vermittlung im Hinblick auf ihre Universalität ebenso wie die Kunst — und dies muß man der Kritik an Hegels systematischer Philosophie konzedieren —, dann möchte mit dem Sinken des Systemgedankens die Kunst und ihre Wirkung wieder positiv beurteilt werden dürfen.
Daher wird der Vorschlag plausibel, eine Aktualisierung der Ästhetik durch den Rückgriff auf Hegels frühe programmatische Bestimmung der Kunst zu entwickeln und damit an die Stelle des philosophischen Systems die geschichtsphilosophische Reflexion treten zu lassen, von der Hegel unter Berufung auf SCHILLER ausgeht. Eine solche Restriktion käme der Kritik zuvor, die zurecht gegen die Geschichtskonzeption der Ästhetik vorgebracht wird. Weil Hegel den Leistungssinn der wissenschaftlichen Philosophie anhand der programmatischen Festlegung der Kunst entwickelt, ihn aber von der Wirksamkeit einer geschichtlichen Realität in die Sphäre des Begriffs verlegt, gewinnt er die Möglichkeit, die Geltung und Wirkweise solcher geschichtlichen Aufklärung festzulegen. Er verliert aber die geschichtliche Realität aus dem Blick. Der Realitätsbezug der Philosophie gilt nicht mehr als begründungsbedürftiges Moment philosophischer Reflexion, sondern wird durch die Unterstellung der Einheit von Begriff und Realität in der Idee automatisch garantiert. Zumindest diesen Punkt hebt die Hegelkritik von Anfang an zurecht hervor. Dadurch legt sich aber die anschließende Frage nahe, ob sich der Dogmatismus des Systems nicht durch den Rückgriff auf die frühe Bestimmung der Kunst aufheben läßt, ohne daß man zugleich gezwungen wäre, den vernünftigen Sinn der Erkenntnis- und Geltungssicherung aufzugeben, die in Hegels Reflexion auf die geschichtliche Realität generell und speziell auf die Kunst liegt. Neuere Überlegungen zur Ästhetik weisen, zumindest wo sie sich an LUKäCS und ADORNO orientieren, in diese Richtung. In einer Reformulierung der Hegelschen Ästhetik, die SCHILLERS ästhetische Reflexionen im Sinne der programmatischen Überlegungen des jungen Hegel erweitert, läßt sich auch MARCUSES Vorschlag aufgreifen. MARCUSE regte nämlich an, die marxistische Ästhetik durch den Rückgriff auf die idealistische Konzeption des „schönen Scheins" von einer ideologischen zu einer kritischen Reflexion der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit umzuformen.
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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3.2.1 Kunst als Darstellung der Wahrheit Auch für Hegels Ästhetik kann als grundlegende strukturelle Bestimmung festgehalten werden, daß die Kunst eine Weise der geschichtlichen Wahrheitserfahrung wie -Vermittlung ausmacht. Obwohl Hegel die Kunst als das „anschauende Bewußtsein von dem absoluten Geist" (Aachen 1826. Ms. 34) definiert und damit das Ideal auf die eingeschränkte Bedeutung bloßer Erscheinung des Absoluten festlegt, formuliert er in der Ästhetik die Aussage der Philosophie der Geschichte zur Bestimmung der Funktion der Kunst in der Geschichte um. Hieß es dort, das „Sinnliche" werde, „in der Schönheit verklärt, zum Ausdruck des Geistigen" (P/n7. der Weltgesch. 580), so deutet Hegel diese Überlegung in den Vorlesungen zur Ästhetik zur Bestimmung der Funktion endlicher Dinge um, die mit dem Anspruch auftreten, eine solche Vermittlung des Geistigen im Sinnlichen zu leisten. Daher heißt es schon in HOTHOS Nachschrift von 1823: „Die Kunst hat die Darstellung der Wahrheit des Daseins zum Gegenstand." Es geht ihr nicht um bloße Richtigkeit — dies wiederholt Hegel in der Polemik gegen die Nachahmungstheorie — sondern um ein Zusammenstimmen des Äußeren und Inneren (Hotho 1823. Ms. 73 f). Es mag dahingestellt sein, daß für Hegel festliegt, wieweit dem „Dasein" Wahrheit überhaupt zukommt, und daß bei ihm auch in der Betonung, das Innere des Kunstwerks sei „an ihm selbst ein Wahres" (ebd.), eine bestimmte Deutung des Inhaltes der Kunst (sc. das Absolute als das Göttliche) gemeint ist. Es interessiert, wie diese „Wahrheit", die die Kunst vermittelt, formal weiter bestimmt wird. Denn diese Bestimmung läßt sich von Hegels systematischer Grundlage lösen und als Definition der Wahrheit der Kunst bzw. der Gründe für ihre Wahrheitsfähigkeit beibehalten. Für Hegel gilt als das „erste Bedürfnis der Kunst, daß ein Gedanke darstellig gemacht werde, gesetzt werde" (Hotho 1823. Ms. 197). Die Weise, wie dies geschehen kann, legt er zwar durch „die Arten der Beziehungen der Idee auf die Gestalt" (Kehler 1826. Ms. 46) fest, d.h. er bestimmt sie als die Kunstformen, deren Unterschiede er aus der Kombination der Kategorien Substantialität und Subjektivität gewinnt.* In seiner höchsten geschichtlichen Möglichkeit (mit Hegel: im Griechentum) ist der Kunstgehalt der „freie Begriff, der Begriff als substantielle Subjektivität" (Hotho 1823. Ms. 117). Abstrahiert man von der systematischen Grundlage der Ästhetik, dann zeigt sich in dieser Charakteristik eine sinnvolle Bestimmung der Kunst überhaupt. Sie C’ Vgl. dazu bes. die Vorlesungen von 1826. Die Idee des Schönen teilt sich aus sich selbst ein „und so kommen wir zu den wahrhaften Formen und Gestaltungen des Schönen" (Aachen 1826. Ms. 6). Dazu Kehler 1826. Ms. 46; aber auch schon Hothos Nachschrift: „Die Kunst hält getrennt, was im Begriff getrennt ist, ob es schon in der Wirklichkeit mag Zusammensein. Einen Unterschied des Begriffs hält jede Kunststufe fest" (Hotho 1823. Ms. 217).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
vermittelt die Wahrheit in einer Weise, die sie „ohne Begriff", d.h. ohne Vorkenntnis und Wissenschaft, faßlich werden läßt, denn sie weist als „Gestalt" immer schon über die bloß sinnliche Anschauung hinaus. Hegel umschreibt diesen Sachverhalt damit, daß die Kunst von dem bloßen Bedürfnis nach physischer Existenz schon abgesehen haben muß. Er sieht im Kunstwerk (in Auseinandersetzung mit KANT) eine Realisation der „höheren Interessen des Geistes und Willens", sodaß es durch „das Äußerliche der Existenz durchblicken" muß (Hotho 1823. Ms. 105). Mit einem Wort, die Kunst setzt
die Anschauung selbst als ein Zwitterwesen, als eine sinnliche Existenz des geistigen Weltvollzugs. Dies ist der Sinn des Gebrauchs der Augenmeta-
pher:'^ „Die Erscheinung ist mannigfach; die Kunst macht sie zu einem solchen, daß sie überall als Organ der Seele, als Manifestation derselben" (Hotho 1823. Ms. 72) gelten darf. In einer zunächst unscheinbaren Bemerkung findet sich eine weitere Bestimmung dieses Ubersetzungsvorgangs zwischen sinnlicher Erscheinung und zur Weltanschauung gestalteter, als solche vollziehbarer Erscheinung. Weil Kunst die Natur nicht in ihrer Unmittelbarkeit lassen soll (Hotho 1823. Ms. 207), gibt sie eine Vorstellung von der Welt. Allerdings ist diese Vorstellung nicht durch ein abstraktes Zeichen vermittelt wie in der Sprache, „sondern auf sinnliche Weise. Einerseits soll also der Inhalt vorhanden sein, andererseits so, daß man erkenne, der Inhalt sei nicht der der unmittelbaren Wirklichkeit, sondern als Inhalt der Vorstellung". Ein solcher Inhalt, ein solcher Gegenstand gibt — Hegel definiert dies für die Malerei, es läßt sich aber auf die Charakteristik der Vermittlungsleistung der Kunst generell ausweiten — „die Vorstellung der Vorstellung" (Hotho 1823. Ms. 198). Die Kunst seihst ist damit ein Reflexionsphänomen, das abernicht die Form des diskursiven Nacheinander von Einsichten und ihres konsequenten, sc. aufeinander-folgenden, Verlaufs hat, sondern die Form des spekulativen Aufscheinens.® Hegel schließt die Bestimmung mit der Bemerkung ab: „Ein solches Werk ist ein Vereinigungspunkt für die Menschen." In solchen Bestimmungen, die abseits von der systematischen Festschreibung der Bedeutung liegen, die Hegel durch seine These gibt, die Kunst sei „ein Werk des denkenden Geistes" (Hotho 1823. Ms. 216, vgl. das folgende), klingt in
^Vgl. dazu die neuere Untersuchung von /. Simmen: Kunst-Ideal oder Augenschein. Simmen versucht mit Hilfe der Augenmetapher Hegels „Idealismus" auf einen Sensualismus zu reduzieren. Das geht nicht nur an der Ästhetik vorbei, sondern verfehlt auch die sinnvollen Rekonstruktionsmöglichkeiten; dazu A. Gethmann-Siefert: Kunst und Philosophie. ®Der Begriff des Spekulativen ist hier in einem Sinn zu verstehen, der sich gegen Hegels Fixierung auf die methodische (dialektische) Philosophie wendet. J. Ritter weist auf diesen Sinn der Spekulation als des Überblickens einer Mannigfaltigkeit von Erscheinungen von einem Standpunkt aus hin, das im Gegensatz steht zum „Durchlaufen" dieser Erscheinungen. Vgl. ]. Ritter: Landschaft. 150 ff bes. 175 f.
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
291
modifizierter Weise SCHELLINGS Überlegung wieder an, die Kunst sei „Organon" der Philosophie. Alle sonstigen Zwecke der Kunst werden durch dieses Interesse des Geistes, die Wahrheit des Daseins darzustellen, aufgegriffen und vollendet, wie Hegel in der Kritik an der Bestimmung des Endzwecks der Kunst darlegt. Wenn die Vorlesungsnachschriften die Wendung wiederholen, die Kunst sei „bloß eine Form, worin der Geist sich zur Erscheinung bringt" (z.B. Kehler 1826. Ms. 5), dann gilt dies für Hegel selbst zwar als überholter Standpunkt in der Vermittlung der Idee (vgl. Hot ho 1823. Ms. 216 f), aber immerhin wird die Kunst formal so bestimmt, daß ihre Verrechnung auf bloße Sinnlichkeit, bloße Anschauung oder Dasein nicht gelingt. Hegel gibt zwar den Standpunkt, den er in den Jenaer Schriften gewonnen hat, nicht wieder auf; die intellektuelle Anschauung kann die Wahrheitsvermittlung nicht garantieren. Aber er modifiziert die Kategorien, mit denen er die Welterfahrung philosophisch so expliziert, daß für die Kunst eine Zwischenstellung zwischen bloßer Erfahrung und bloß anschaulicher Existenz und begrifflich explizierter Wahrheit angezeigt wird. Kunst ist jene anschauliche Existenz der Wahrheit, die einer Reflexion, einer Realitätserfahrung entspringt,® und zugleich auf Vermittlung dieser Erfahrung angelegt wird. Ein ähnlicher Sachverhalt zeigt sich in Hegels Bestimmung des Ideals und des schönen Scheins. Auch hier gilt: „Die Kunst ist eine besondere Weise des Geistes, sich zur Erscheinung zu bringen, sich zu realisieren" (Aachen 1826. Ms. 3). Als solche vermag sie (was der philosophischen Explikation verwehrt ist) das „Resultat" eines Erfahrungsprozesses simultan darzustellen, faßlich in der Anschauung als „Erscheinung". Auch dies könnte man als Spezifikum der Kunst, wenn nicht als ihren Vorteil gegenüber der diskursiven, expliziten Erkenntnis der Philosophie verstehen, wenn man Hegels Bestimmung der Philosophie nicht mitübernimmt. Die Kunst, der Hegel in der letzten Vorlesung zuerkennt, „Wahrscheinlichkeit" (Ja^. Bibi. 1828/29. Ms. 3) zu gewährleisten, behält die Zwitterstellung einer Wahrheitsvermittlung in nicht-begrifflichem Medium. Der schöne Schein, insofern er schön ist, deutet auf das „Wahrhafte in der sinnlichen Gegenwart" (Aachen 1826. Ms. 25); insofern er Schein ist, könnte man geneigt sein, ihn als „Täuschung" im Gegensatz zur Realität anzusehen. Im Blick auf den Inhalt der Kunst wehrt Hegel aber diese Deutung ab. Das Ideal ist das Schöne, welches erscheint, d.h. in die Äußerlichkeit tritt. Dadurch ist es dem Wandel der geschichtlichen Verhältnisse unterworfen, denn seine Vermittlung der Wahrheit gilt nur für jene, die in dieser bestimmten Äußerlichkeit heimisch sind (vgl. Kehler 1826. Ms. 113). Die Funktion der Wahrheitsvermittlung wird im Bereich der Kunst also nicht schlechthin eingeschränkt, dadurch daß sie als sinnliche Erscheinung ’ Diese Bestimmung integriert Hegel in seiner Vorlesung von 1826 in das Stufenschema des absoluten Geistes. Die Kunst ist eine erste Reflexionsform, die aber in Anschauung mündet (vgl. Aachen 1826. Ms. 33).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
auch Täuschung sein muß, sondern vielmehr weil sie als Angewiesenheit auf die Äußerlichkeit erscheint, womit Hegel offensichtlich nicht bloß die Materialität der schönen Gestalt gemeint hat, sondern die Kulturvarianz möglicher Inhalte der Kunst. Am Griechentum als Beispiel einer speziellen, geschichtlich geprägten Kulturfunktion der Kunst exemplifiziert Hegel die vollendete Weise der Wahrheitsvermittlung und auch die optimale Möglichkeit des schönen Scheins. In der Darstellung der Götter, die „sittliche, geistige" und „Naturgötter" sein mögen, stellt die Kunst die Realität als „an und für sich seyend nicht nach ihrer sinnlichen Vergänglichkeit" dar. Das „Verkümmertseyn des Wahrhaften ist weggenommen", und dadurch gilt der „Schein der Kunst" als eine viel wahrhaftere Form als die, welche wir gewöhnlich Realität nennen". Während der gesunde Menschenverstand das „Chaos äußerlicher Zustände" Realität zu nennen pflegt, erhebt die Kunst die in diesem Chaos wirkenden Mächte (das „Substanzielle") zur Erscheinung. Die Verknüpfung der Schönheit mit dem Schein garantiert also auch hier, daß die Welt durch eine Erfahrung wiedergegeben ist, die die Welt schon strukturiert hat. Als solche wird sie wieder unmittelbar, wird sie wieder zur Erfahrung gestellt; „denn der Künstler eben ist es, der die Idee an der Realität scheinen macht" {Kehler 1826. Ms. 67). Löst man sich von der gängigen Definition des Ideals als „sinnliches Scheinen der Idee", die sich in den Nachschriften nicht belegen läßt, so erübrigt sich eine Kritik der Ästhetik durch den Hinweis auf den Scheinbegriff der Logik.^° Für Hegel geht es um die „Existenz der Idee", die er eindeutig im 10 R. Bubner beweist beispielsweise die Unterbestimmung der „Anschauung" in der Ästhetik, indem er auf den Scheinbegriff der Logik zurückgreift (Hegel und Goethe, 24 f). — In der zeitgenössischen Diskussion um Hegels Asthetikwar diese Trennung von Ästhetik und Logik noch präsent, Hegel selbst muß — auf dies Problem angesprochen — mehrfach (nicht nur in den Vorlesungen) die im folgenden angeführten anscheinenden Widersprüchlichkeiten gerechtfertigt haben. Einen Hinweis gibt G. Nicolin in den Berichten. L. Feuerbach hat im Namen Daubs an Hegel die Frage gerichtet, warum dieser die Idee des Schönen in der Logik ausgelassen habe. Hegel betont in seiner Antwort, daß das Schöne schon „in das Gebiet des konkreten Bewußtseins" falle. Die Grenze zum Logischen sei schwer zu bestimmen. Feuerbach trifft in seiner Vermutung den Grund, warum Hegel das Schöne aus der Logik bewußt ausgeschlossen hat. Da das Schöne für ihn nicht mehr wie in den Frühschriften Idee, sondern Ideal ist, kann es nicht zum Gegenstand der Logik werden. Die Idee selbst als die absolute Lebendigkeit gibt sich im Ideal eine Weise ihrer Realität, die es nicht mehr erlaubt, sie von der Mannigfaltigkeit geschichtlicher Möglichkeiten zu trennen. Diese beiden Hinsichten, unter denen das Schöne „verendlicht" wird, deutet Feuerbach an (vgl. Ber. Nr. 413). — Eine „Logik der Ästhetik" bzw. eine „logische" Kritik kann deshalb allenfalls bei den verwendeten Kategorien „Dasein", „Existenz" der Idee im Kontrast zu Leben, Lebendigkeit ansetzen.
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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Sinne der Definition des „Ideals" der Frühschriften auslegt, nämlich als geschichtliches Wirken, geschichtliche Entwicklung des Geistes, damit als Vermittlungsweise geschichtlicher Wahrheit. Hegel betont deshalb, daß die Sphäre der Kunst nicht „ins Logische" falle, „wo sich der Gedanke als Gedanke für sich entwickelt" {Kehler 1826. Ms. 54). Hierhin gehört sie ebensowenig wie unter die bloß endlichen Zwecke und Taten. Der schöne Schein als das Ideal ist Lebendigkeit der Idee, ihre Gebundenheit an die Mannigfaltigkeit verschiedener, historisch unterschiedlicher Weisen der Wahrheitserfahrung. Diese erhalten in der Logik zwar ihre Grundlage, sie bilden aber nicht selbst (als Mannigfaltigkeit) ein Thema der Logik, sondern sind als Reflexionsgeschehen (als erste Stufe des absoluten Geistes) eher als ein Gebiet der Geschichts- und Handlungstheorie aufzufassen, zugehörig zu deren jeweiliger Konkretion in der Erhellung der Weltanschauungen (Religions-) und der Institutionen (Staats- und Rechtsphilosophie). Auf die geschichtliche Dimension dieser „Lebendigkeit der Idee" deutet Hegel selbst hin, weil er die Begriffe zur Bestimmung dieser „Existenz der Idee" bewußt gegen seine eigenen Definitionen in der Logik und auch in der Bestimmung der Zwecke und Taten des nur „endlichen" Geistes konzipiert. So verbindet er hier die Bestimmung des Daseins der Idee mit der eines Reflexionsgeschehens, und er kann so Dasein und Existenz wahlweise zur Charakteristik heranziehen. Im Gegensatz zur Bestimmung der nur sinnlichen Anschauung wird die Bedeutung der „bloßen" Anschauung aber nicht allein wieder erweitert. Auch der Begriff des Scheins oszilliert bewußtermaßen zwischen dem Wahrheitsanspruch und der systematischen Restriktion der Bedeutung der Kunst. „Schöner Schein" ist nicht Täuschung anstelle der Wahrheit, sondern Äußerlichkeit und als solche vieldeutig. Hegel gebraucht in der letzten Vorlesung von 1828/29 den Begriff der Wahrscheinlichkeit um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, und zwar auch wieder in der Doppeldeutigkeit von Wahrheitsvermittlung und, wegen der uneindeutigen Vermittlungsweise, bloßem Anschein von Wahrheit. Weil die Definition des Ideals an einer geschichtlichen Realität gewonnen und erläutert wird, knüpft auch die Ästhetik noch bewußt an die frühe Bestimmung des Ideals an. Die Funktion der Handlungsorientierung, die dem „Tugendlehrer" zukam und die die geschichtliche Gestalt JESU (bzw. SOKRATES etc.) zum Ideal werden ließ, sieht Hegel in der schönen Gestalt des griechischen Gottes erfüllt. Hier wird die Wahrheitsvermittlung der Kunst zu dem „Einheitspunkt" für die Menschheit, der nicht nur eine Weltanschauung, sondern zugleich die Handlungsorientierung (die Sittlichkeit eines Volkes) gewährleistet. Wenn sich auch die Bestimmung der geschichtskonstitutiven Handlung im Verlauf der Überlegungen gewandelt hat, für die Kunst, für den Bereich also, auf den das Ideal im späteren System eingeschränkt wird, bleibt dieser Leistungssinn erhalten. Das Ideal des Schönen, die Realität der Idee, die Existenz, das (geschichtliche) Dasein der Idee hat in der Ästhetik
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
eben diese Funktion, Welt zu gestalten, und sie als gestaltet, als aus einem Prinzip (der Idee des Schönen) entworfen, vor Augen zu stellen. Die Tatsache, daß nun die Gestalt des griechischen Gottes als die Realisation des Ideals gilt, weist darauf hin, daß Hegel auch hier wieder das Ideal durch die Reflexion auf die jeweils verschiedene geschichtlich-gesellschaftliche Bedeutung der Kunst bestimmt. In der Ästhetik wird also der Anspruch erhoben, eine Analyse der Funktion des Kunstwerks im Kontext des Selbst- und Weltbewußtseins nicht nur der Individuen, sondern der Völker, d.h. der Kulturen der Welt und ihrer jeweils historisch geprägten Vollendung, durchzuführen. Erst aus dieser Analyse wird das einzelne Kunstwerk verständlich, denn „jedes Kunstwerk enthält seine besondere Zeit, sein eigenes Volk, seine eigene Umgebung" (Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 6). Den „gesamten Weltzustand" (Hotho 1823. Ms. 192) muß die Ästhetik dabei berücksichtigen und das gelingt nur, wenn sie die Geschichte auf ihren Begriff bringt, aber auf einen Begriff, der die Kunst als spezifische Gestalt des Geistes erhellt. Hegel entwickelt diesen Begriff der Geschichtlichkeit des Ideals in seiner Definition des Kunstwerks.
3.2.2 Die Geschichtlichkeit der Wahrheit und die Bestimmung des Werks Die Bestimmung des Werks der Kunst legt Hegel schon in seinen Überlegungen zu Anfang der Jenaer Zeit fest. In der Ästhetik formuliert er diese Bestimmung der geschichtlichen Bedeutung des Kunstwerks unter Aufrechterhaltung der Prämissen des philosophischen Systems. Daraus ergibt sich, daß Hegel die frühe Bestimmung der Kunst identisch als Bestimmung der geschichtlichen Funktion des Werks wiederholt, daß diese Funktion aber selbst nochmals nach Epochen und Völkern, also kulturhistorisch differenziert dargestellt wird. Für Hegel gilt eindeutig der Werk-Begriff als Grundkategorie der Ästhetik, aus der sich alle anderen Bestimmungen ableiten lassen. Das ergibt sich aus seinen Argumenten für die Berechtigung einer Konzentration auf das Kunstschöne, statt auf die Schönheit der Natur, „weil das Kunstschöne aus dem Geiste hervorgebracht ist" (Kehler 1826. Ms. 2 f). Ein Abrücken der Grundlegungsfunktion des Werkbegriffs zu einer Einschränkung seiner Bedeutung läßt sich anhand der Nachschriften nicht feststellen. Die Vorlesung von 1826 stellt die Anordnung der Gedanken eigens um, um an den Anfang der gesamten Abhandlung diese Absage an den Grundgedanken der Aufklärungsästhetik zu setzen. Nach Hegel kann es nur in der abgeleiteten Weise um das Naturschöne gehen, daß auch diese als ein vom Geiste konstituiertes Schönes entworfen wird.“ Vgl. dazu die Bemerkungen zur Landschaftsmalerei, die sich schon in Hegels Jenaer Überlegungen finden. Alle Kunst, die nicht selbst eine vom Geiste produzierte
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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Unter Anspielung auf KANTS Beispiel vom Schlag der Nachtigall setzt Hegel den Versuch des Menschen, die Natur nachzuahmen und sich von ihr nicht zu unterscheiden, als ein „Kunststück" an, dem auch das einfachste Werk: „Hammer, Zange und Stift, vorzüglich aber die Wissenschaft", überlegen ist.Die Tatsache, daß der Mensch in solchen Produkten etwas „Eigenes" hervorbringt, etwas, das aus dem Geiste geboren ist, gilt als entscheidendes Kriterium des Werks. Dadurch thematisiert und realisiert sich im Werk selbst die Geschichte des Menschen, es wird zur kulturell-varianten Weise seiner Weltbewältigung. Ein Werk wird zum Zweck der gemeinsamen Weltbewältigung (durch Arbeit) hervorgebracht und sein „Resultat" ist demgemäß die Welt einer Gemeinschaft, eine geschichtliche Kultur.12 Kunst erscheint deshalb als Kulturphänomen; Hegel sieht „Religion, Kultur, Sitten, Gebräuche ... Verfassung, politische Gesetze", als ein solches Werk an, und auch das Kunstwerk erscheint wie dieses als „Werk" einer Gemeinschaft, eines Volkes. In ihm sedimentiert sich der „ganze Umfang seiner Einsichten, seine Begebenheiten und Taten" (P/ii7. d. Weltgesch. Bd 1. 67). Hier findet Hegel für seine frühe, aus der Aufklärung übernommene Parallelisierung von Kunstwerk und Staatswerk eine allgemeine geschichtsphilosophische Begründung. In der Geschichte erweisen sich jene Phänomene als konstitutive Momente der Geschichte als Menschheitsgeschichte, die den Eingriff in die Welt, die die Gestaltung der umgebenden Natur zu einer Welt des Menschen (sc. zur Kultur) entweder abspiegeln oder thematisieren und die die Organisation des Handelns zu einem allgemeinen Handeln im Sinne dieser Weltgestaltung betreffen. Hegels grundlegender Gesichtspunkt für die Bestimmung des Kunstwerks wird in der Kulturphilosophie des Neukantianismus, wenn auch auf eingeGestalt hervorbringt, gilt entweder als ein nur vorbereitender Status des Geistigen in der Geschichte (wie in der symbolischen Kunst schlechthin) oder als ein nur eingeschränkt geistiger Bedeutung fähiges Vehikel der Wahrheitsvermittlung, wie Hegel es durch die Bestimmung der Landschaftsmalerei demonstriert. ^2 Vgl. z.B. Aachen 1826. Ms. 9; das andere Beispiel, dashier immer angeführt wird, sind die Trauben des Xeuxis, die so täuschend ähnlich gemalt sind, daß selbst die „Natur" durch sie getäuscht wird. Hegel greift es auf, um sich von der Nachahmungstheorie abzusetzen und die Kunst auf ihre Bedeutung der Welt-Gestaltung, nicht -Rezeption, damit auf Wahrheit der Erscheinung, nicht deren Abspiegelung festzulegen. Vgl. dazu die grundlegende Bestimmung in der Philosophie der Weltgeschichte. Hier wählt Hegel das Werk überhaupt zum Ansatz einer möglichen philosophischen Analyse der Geschichte. Die Vernunft sieht in der Weltgeschichte „in dem Entstehen und Vergehen das Werk, das aus der allgemeinen Arbeit des Menschengeschlechts hervorgegangen ist, ein Werk, das wirklich in der Welt ist, der wir angehören" (Bd 1. 49); das „Tun" des Geistes eines Volkes ist es also „sich zu einer vorhandenen Welt zu machen, die auch im Raume besteht" (Bd 1. 67).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
schränkter methodischer Grundlage, wiederaufgenommen. Im Blick auf diese Tradition rechtfertigt es sich, auch bei Hegel von einer Kulturfunktion der Kunst zu sprechen und die geschichtliche Bedeutung des Kunstwerks in seiner Rolle zu sehen, eine Kultur zu stiften. Anders als im Neukantianismus wird bei Hegel die Kulturfunktion selbst nochmals geschichtlich differenziert erörtert. Die allgemeine und formale Bestimmung des Werks, die auf alle Kulturphänomene zutrifft, läßt sich durch eine Integration historischer Perspektiven nach ihrer „Geistigkeit", nach dem Entwicklungsgrad des Geistes, staffeln. Die Kulturphilosophie des Neukantianismus verzichtete aus berechtigtem Grund auf diese Stufung. Hegels System der Philosophie wird nämlich durch die Elimination dieser philosophischen Konstruktion der Geschichte auf Grundlagen zurückgeführt, die man methodisch rechtfertigen zu können glaubt. In methodischer Perspektive argumentiert geht es um die Reduktion der Dialektik auf transzendentale Reflexion, in kulturphilosophischer bzw. ästhetischer Perspektive um die Analyse der Kulturphänomene durch eine Subjektivitätstheorie, die an die Stelle einer inhaltlich verunklärten Geschichtstheorie tritt. Die Aporien, die sich aus dem subjektivitätstheoretischen Ansatz ergeben, können hier nicht im einzelnen diskutiert werden. Lediglich der Hinweis ist wichtig, daß die geschichtliche Funktion der Kunst auf solche Weise allein formal und historisch undifferenziert (etwa im Sinne der frühen ScHELUNGschen Konzeption des Kunstwerks als Organon der Philosophie) bestimmt werden kann. Es muß also geprüft werden, wieweit
Hegels Charakteristik verschiedener „Epochen" des Geistes in der Geschichte, die zu strukturell verschiedenen Kunstformen führt, auch ohne die Prämissen des Systems des absoluten Idealismus übernommen werden kann, bzw. wieweit sie sich als Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst im
Verhältnis zur Historie rechtfertigen läßt. In der Ästhetik entwickelt Hegel aus der allgemeinen Bestimmung des
Werks und seiner Kulturfunktion nicht nur die spezifischen Gesichtspunkte der Geschichtlichkeit der Kunst, sondern auch ihre verschiedenen historischen Konkretionen durch die Angabe der strukturell unterscheidbaren Kunstformen. Die zunächst grundlegende Unterscheidung von Werk überhaupt und Werk der Kunst liegt in Hegels These begründet, daß nur für bestimmte Kulturen allein in der Kunst die konstitutiven Bedingungen der Kultur zu finden seien, für andere folglich nicht. Hegel legt diese Zäsur zwischen symbolische und klassische Kunstform auf der einen Seite und romantische Kunstform auf der anderen Seite bzw. zwischen die durch die Kunst hier wie dort gestifteten oder vorausgesetzten „Epochen" und „Völker". Denn erst mit der romantischen Kunstform, d.h. durch die Herrschaft der christlichen Religion, tritt für Hegel der Fall ein, daß die Kunst als zureichende Vermittlung der geschichtlichen Wahrheit in Zweifel gezogen werden muß. Sonst gilt, daß „die Völker ihre höchsten Anschauungen in Kunstform niedergelegt, in der Weise der Kunst zum Bewußtseyn gebracht"
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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haben {Aachen 1826. Ms. 2) und daß „die Kunst... bei vielen Religionen" der verschiedenen Nationen „das einzige gewesen ist, wie die Idee des Geistes sich ihnen vorstellig gemacht hat" (Kehler 1826. Ms. 4). Von daher muß Hegel sowohl betonen, daß die Kunst nur dann ihren Zweck erreicht, wenn sie ein Werk schafft, das ein „Vereinigungspunkt für die Menschen" ist (Hotho 1823. Ms. 198), als auf die historische Spezifität der jeweiligen Werke hinweisen. Anders als SCHILLER kann er sich nicht damit begnügen, die Kunst für einen kleinen Kreis Gebildeter, die „Erziehung durch Kunst" für den inneren Menschen zu reservieren. Die Kunst muß für alle die Ideen des Geistes in der Geschichte vermitteln, oder sie verliert ihre Bedeutung.Dennoch ist die Kunst historisch gebunden, sie ist, weil sie nicht allein durch die Form, durch die Tätigkeit des Gestaltens der Welt, sondern zugleich durch den Inhalt bestimmt ist, mit dessen Veranschaulichung sie Wahrheit vermittelt, im Sinn und Kontext der herrschenden Mythologien geprägt. Hegel betont sogar, daß das Kunstwerk durch seinen jeweiligen Inhalt, die historisch greifbare Religion, vollkommen bestimmt sei. Positiv daran ist: die Bestimmtheit garantiert die Allgemeinheit in einer Situation; und dennoch muß „diese Bestimmtheit so idealistisch" sein als möglich, damit die Äußerlichkeit, auf die das Kunstwerk angewiesen ist, die Allgemeinheit nicht verhindert (Aachen 1826. Ms. 76 f).i® ln den Vorlesungen zur Ästhetik vereinigt Hegel beide Momente, historische Spezifikation und strukturelle Generalisierharkeit des geschichtlichen Wirkens der Kunst, zur Bestimmung des Kunstwerks. Er greift verschiedene historische Konstellationen heraus, in denen ein Werk der Kunst kulturstiftend war oder sein konnte, um an dieser Situation jeweils (gemäß seiner Geschichtsbetrachtung, die nach dem Wirken der Vernunft in der Geschichte fragt) die Funktion der Kunst, das Wirken des Werks strukturell zu analysieren. Das erste Phänomen, an dem Hegel die geschichtliche Wirkung eines „Werks aller" darlegt, das als „Vereinigungspunkt der Menschen" gelten kann, ist ein zur Skulptur gerechnetes Werk der Architektur: der Turmbau zu Babel. Vorher nennt Hegel zwar auch schon die Königsgräber der Ägypter als „Werke der Nation", rechnet sie aber noch gänzlich unter das „instinktartige Ärbeiten" des Geistes in der Geschichte (Hotho 1823. Ms. 205). Änders 14 VVo die Kunst nur Wenige trifft, wo sie nur „für einen kleinen, abgeschlossenen Kreis weniger vorzugsweise Gebildeter" aussagekräftig ist, da verliert sie ihren Sinn; sie ist „für die Nation im großen und ganzen da" (Asth. I, 1. 351; II, 1. 341). Kunstwerke sind nicht „für das Studium und die Gelehrsamkeit zu verfertigen". 15 Hegel bestimmt die negative Seite dieser Allgemeinheit zunächst als den Zwang zu typologischer, „konventionelP-statuarischer Darstellung (Hotho 1823. Ms. 223). Hier ist die Kunst nicht frei, „der Künstler ist nur ein Handwerker". Dadurch bedingt, beginnt Hegels Bestimmung des Werks der Kunst erst bei den Übergangsformen von der Architektur zur Skulptur, also bei der Auflösung der symbolischen Kunstform.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
beim Turmbau. Hier enthält die Gestaltung ein „Allgemeines, ein Vereinendes", und zwar nicht nur in dem Sinn, daß ein Kunstwerk von allen verstanden werden kann, sondern in dem weitergreifenden Sinn, daß das Hervorbringen des Werks zugleich als Konstitution der gesamten Kultur gilt. Die gemeinsame Arbeit am Bau dieses Turmes oder Tempels,^® die „Gemeinsamkeit der Construktion" bewirkt „zugleich eine Vereinigung zum Staat". In den Bedingungen der Arbeit liegen die Strukturen der Interaktion, im Sinn dieser Arbeit, in der Errichtung des Werks, liegt die Orientierung des Handelns, die Form der Sittlichkeit des Volkes, beschlossen. Die Vereinigung durch die gemeinsame Arbeit hebt die patriarchalische Gemeinschaft auf und läßt diesen Fortschritt der Freiheit zugleich objektiv werden. Das „Sich-Realisieren" der Gemeinschaftlichkeit ist „dieser sich zu den Wolken erhebende Bau". Dies Werk schließt nicht nur die Individuen zusammen, es vereinigt die Gesamtheit der Völker der alten Welt, es stiftet die Gemeinschaft, die die bestehenden historischen Verschiedenheiten integriert. „Wie sie alle sich vereinten, dies eine Werk zu vollbringen, war dieses das Band, das sie wie uns die Gesetze aneinander knüpfte" {Hotho 1823. Ms. 199). Für Hegel liegt in diesem Vorgang der Schritt von der Natur zur Humanität. Er erwähnt in der Geschichte der Philosophie einen anderen Mythos mit derselben geschichtlichen Funktion: die Menschen, die anfangs wild und ohne Kultur lebten, werden „zu einem Staate vereinigt", man lehrt sie „Künste und Wissenschaften" und erzieht sie damit zur Humanität (Ein/. in die Gesch. der Phil. 209). Als nächstes analysiert Hegel die geschichtliche Funktion des Kunstwerks am Beispiel des Epos und seiner geschichtlichen Bedeutung. Auch hier liegt der Sinn der Betrachtung seit der Jenaer Zeit fest, denn Hegel verknüpft seine Betrachtung des Epos mit den entscheidenden historischen Differenzierungen von Antike und Moderne. Die zentrale Rolle, die die Bestimmung den Ausführungen der Vorlesungen, die allesamt die Beschreibung eines Tempel des Bel, die Hegel aus Herodot übernimmt, mit dem Turmbau zugleich anführen, aber nur für den Turmbau diese Wirkung des Werks erörtern (Asth. I, /II, 2. 276 f), läßt Hegel es bewußt offen, ob es sich um identifizierbare Kunstwerke, mithin bei dem Turmbau um ein historisch eruierbares Werk oder um den Mythos handelt, der die Bedeutung des Werks festlegt. Für die letzte Deutung spricht, daß die Mythologie in den folgenden angeführten und analysierten Kunstwerken die entscheidende Grundlage ist und das erst mit der Reflexivität des Inhalts — und zwar wenn die Thematisierung über die bloße Darstellung in der Kunst und durch Kunst hinausgeht — der Übergang von nur instinkthaftem Arbeiten des Geistes zum Bewußtsein erreicht ist. Dennoch verweist Hegel explizit auf Herodot (I. c. 181; vgl. jag. Bibi. 1828/29. Ms. 106a), betont aber zugleich: „welchen Zusammenhang dieser mit dem Turme hat, gehört nicht hierher"; zum Turmbau vgl. Gen. 11.1—9. Auch die Nachschriften zur letzten Vorlesung überliefern die Charakteristik des Werks als „Vereinigungspunkt". Die Architektur ist das „Werk aller und daher ihr Mittelpunkt. Die Gesetze sind das sittliche Band, die sichtbare Einheit ist das Werk" (ebd.).
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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des Epos in der Ästhetik erhält, wird schon daraus ersichtlich, daß Hegel im Zusammenhang seiner Überlegungen zur Sammlung der „monumenta nationum" gerade auf das alte Epos eingeht. HOTHO formuliert in seiner Edition der Ästhetik, das Epos finde „das Wort für alles, was die Nation in ihren Taten ist" (Ästh. I, 3. 415).In Hegels Vorlesungen wird dies durch die Berufung auf HERDER verdeutlicht,^® denn Hegel betont im Anschluß an ihn, daß das Verständnis der Epen jeweils an die historische Situation ihres Entstehens und Wirkens gebunden ist (HOTHO 1823. Ms. 98, lOl). Darum erscheint es sinnvoll, die gesamte historische Fülle der „Volksbücher" präsent zu halten. Es kann nicht um die „Partikularität" national-bestimmter historischer Zeugnisse der „Urpoesie" gehen, sondern — da hier Monumente des Geistes in der Geschichte vorliegen — nur um eine „Weltkarte" dieses geschichtlichen Wirkens. Die Begründung, die Hegel für seine Stellungnahme zur Frage der historischen Beschäftigung mit der Kunst gibt und die er in den Vorlesungen dem zeitgenössischen Bestreben historischer Präsentation der Werke der eigenen Kehlers Nachschrift verzeichnet ausdrücklich diese Verbindung der systematischen Bestimmung mit der aktuellen Debatte um die Sammlung der Monumente der eigenen Nation und deren Geschichte (Herder): „Wenn Hegel Präsident der Akademie wäre, Monumenta nationum. Grundlage des Bewußtseins der Völker" {Kehler 1826. Ms. 397). Die Akademie der Künste hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Kulturpflege der eigenen Nation im Sinne der Etablierung einer „vaterländischen Kunst" zu betreiben, und sie erlebt im allgemeinen Erwachen des historischen Bewußtseins eine neue Blüte. Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Galerien und Ausstellungen. Von Boisseree bis zur Düsseldorfer Schule. Hotho weist in seiner Nachschrift auf den „blinden" Sänger hin, in dessen Kunst „das Substanzielle das Mächtige ist, das Individuum aber nur die formelle Tätigkeit des Produzierens" {Hotho 1823. Ms. 107). Diese Bestimmung entspricht wörtlich Herders Darstellung im Geist der Ebräischen Poesie; sie dient dort zur Unterscheidung der griechischen und orientalischen Poesie, bei Hegel wird sie als „vermittelnde", darum zentrale Position zwischen symbolische und romantische Kunstform plaziert (letztere bildete die Verfallsform, die die Forderung der Romantiker nach einem neuen Epos unsinnig erscheinen läßt). Boisseree erwähnt in seinen Tagebüchern ein Gespräch mit Hegel, wo dieser die Unterschiede zwischen dem homerischen Epos und etwa den Nibelungen (erwähnt wird aus der Forschung der Romantiker in den Vorlesungen auch Camoens, Tasso, Shakespeare, Voltaire, der Cid, Cervantes, Dante, das Artus-Epos, und Pindar als Gegenbild zu Homer) dargelegt hat. Hegel muß also schon in der ersten Ästhetikvorlesung in Heidelberg ähnlich argumentiert haben; vgl. Boisseree: Tagebücher. Bd 1. 381 (Eintragung vom 8. 2. 1817). Dazu Hotho 1823. Ms. 97. Der Gedanke, daß die „Außenwelt" im Epos mitbeschrieben und dem gestaltenden Handeln des Menschen unterworfen wird, hat den systematischen Sinn, daß die Weltgestaltung überhaupt im Epos erstmals bewußt wird und daß sie als geschichtlich-spezifizierte thematisiert werden muß. Dies verlegen die späteren Epen (der romantischen Kunstform) in die „Innenwelt".
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Nation ergänzend entgegenhält, liegt in der systematischen Bestimmung der Bedeutung des Epos. Hier ist ./die Welt eines ganzen Volkes dargestellt", und zwar in dem historisch bedeutsamen Moment, „wo ein Volk aus der Dumpfheit seiner Bewußtlosigkeit ins Bewußtsein herauskommt" {Kehler 1826. Ms. 401 f). Hier stiftet die Kunst die „Welt eines Volkes in ihrer Totalität, so daß der Geist noch ganz darin einheimisch ist" und sich als der zeigt, der das Chaos ordnet. Hegel wiederholt hier im wesentlichen seine frühen Jenaer Überlegungen. So Z.B.: das Epos setzt das „Ganze eines Volks" voraus, das als sein „handelnder Boden" gilt. Die Individuen sind durch „einen Zweck", eine „Nationalunternehmung" vereint, die sie nicht selbst setzen {Kehler 1826. Ms. 411). Eine „belebte selbständige sittliche Welt... ein Volk, das in Handlung ist" {Aachen 1826. Ms. 198 f), bildet die Grundlage des Epos. Insofern ereignet sich im Epos analog zur Charakteristik des Turmbaus durch die gemeinsame Handlung eine Konstitution der Individuen zum Volk, nun aber mit dem Unterschied, daß eine Tradition ausgebildet wird, die die Grundlage der Institutionen des Staates ausmacht. Das Individuum (Genie) findet das Wort, die Vermittlungsmöglichkeit für das Handeln und die durch es gestifteten Institutionen. Auch dies thematisierte Hegel schon in den Jenaer Überlegungen, und er wiederholt es hier mit einer geistesphilosophischen Begründung: Das „Kunstwerk" muß „als Eines erscheinen", als „existierender Gedanke", es muß aber zugleich die Sittlichkeit des Volkes thematisieren und konstituieren. „Zwar macht ein Volk" kein Gedicht, aber ein Individuum kann nur ein solches Gedicht machen, „insofern es seinem Volke angehört" {Aachen 1826. Ms. 197; ebenso Kehler 1826. Ms. 407). Individuen handeln und empfinden und fassen ihre Handlungen und Empfindungen ins Wort. „Es ist ein Spiel zwischen Handlungen und Begebenheiten", ein Besingen der beginnenden Weltgestaltung durch den Menschen. „Das Kunstwerk, das als solches Welt vorstellt, ist ebenso freie Produktion des Individuums" wie ein „objektives Werk", es ist, weil „in der Rede gefaßt", das Werk, das die subjektive Reflexion der Weltbewältigung thematisiert, aber als eine Gemeinschaftshandlung und in einem „Werk des Dichters, wo das Subjekt des Dichters nicht erscheint" {Kehler 1826. Ms. 402 f). Der „Dichter ist Sprecher", er thematisiert eine Volksvorstellung, indem er sie „erst für die Vorstellung bearbeitet ... den Inhalt erst vor die Vorstellung" bringt (a.a.O. 405). So folgert Hegel nicht nur, daß in der Poesie die für die Sittlichkeit des Volkes bestimmenden Inhalte gewonnen und vermittelt werden, er sieht beim Epos die Situation noch grundlegender so, daß die „Poeten dem Volk die Sprache gegeben" haben {Kehler 1826. Ms. 380). Auch hier führt die Differenzierung verschiedener historischer Situationen und Nationen dazu, daß Hegel eine vorzügliche — weil umfassend gelingende — Funktion des Epos bei HOMER herausstellt und davon abgeleitet mehr oder weniger gelingende, d.h. mehr oder weniger universal-geschichtsstiftende Versionen des Epos.
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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Für Hegel liegt die umfassendste Funktion des Epos darin, daß es einem Volke seine Heroen und Götter, damit die Leitbilder seiner sittlichen Orientierung gibt. So begründet er durchgängig die Unverzichtbarkeit der Kunst in der Geschichte des Geistes durch diese Funktion der Stiftung einer Mythologie. Seine Quelle ist auch hier wieder HERODOT, der darauf hingewiesen hat, daß HOMER und HESIOD dem griechischen Volke die Götter gestiftet haben. Die Bedeutung der im Epos vorgestellten Heroen, deren „jeder sich als ein Ganzes" zeigt (Kehler 1826. Ms. 408), als eine „Welt" (Hoiho 1823. Ms. 95), erfüllt sich in den Göttergestalten der Mythologie, die die Skulptur aus einem „Instinkt der Vernünftigkeit" heraus in menschlicher Gestalt darstellt. Der Mensch hat „aus dem Seinigen die Götter genommen". Die Pathe, die Mächte, die das „Substantielle der Individualität ausmachen", bilden die Stoffe für die Götter. Hegel deutet HERODOT hier in einem Sinn, der es ihm ermöglicht, auch GOETHES Iphigenie als eine Möglichkeit der Auslegung griechischer Sittlichkeit in Verknüpfung mit der Gottesvorstellung aufzufassen. Zeitgenössische Forschungen über die Mythologie werden in diese Bestimmung integriert, denn CREUZERS Hinweise, z.B. auf die Übernahme der Naturmythologien und deren Symbolik in die Göttervorstellung, erscheinen für Hegel als das Zusammenspiel der alten und neuen Götter, deren Interaktion die menschliche Sittlichkeit festlegt, Besonders in der letzten Vorlesung betont Hegel in diesem Zusammenhang, daß es die spezifische Leistung der Kunst sei, die die Göttergestalten „als Produkt geistigen Bewußtseins" zum Eigentümlichen der klassischen Kultur erhebt. CREUZERS Versuch, diese Gestalten „symbolisch auf unmittelbare Weise darzustellen", d.h. sie auf die in ihnen enthaltenen Elemente des Symbolischen zurückzuschneiden, lehnt Hegel mit diesem Argument ab. Zur „Gestalt" werden die Götter erst im Prozeß der künstlerischen Aneignung der Tradition und hier gewinnen sie auch eine eigentümliche, kulturvariante Gestalt, die die weitere Tradition beherrscht (Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 83, vgl. Ms. 29). Denselben Sachverhalt erörtert Hegel schon vorher, aber nicht in expliziter Auseinandersetzung mit CREUZER, wenn er darauf besteht, daß die neuen Götter „Werke der bewuß„Es ist der Instinkt der Vernünftigkeit, daß man notwendig das Menschliche zur Form des Geistigen nehmen muß. Diese Götter, aus dem Geiste gezeugt, sind Werke der Künstler — der Dichter und Propheten und Bildhauer" (Aachen 1826. Ms. 126). Das Zitat im Text findet sich in Hoiho 1823. Ms. 88; vgl. Ms. 149,144; zu den Resten symbolischer Darstellungen vgl. Hoiho 1823. Ms. 161. Daß Homer und Hesiod den Griechen ihre Götter gemacht haben, betont Hegel in den Vorlesungen durchgängig. Er benutzt die Herodot-Stelle zudem zur Stellungnahme in der Frage nach der Ursprünglichkeit griechischer Mythologie, weil er hier sowohl die Möglichkeit der Integration symbolischer Formen aus anderen Kulturen wie die Eigenheit der Umdeutung gewährleistet sieht.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
ten, besonnenen Künstler" waren, die „die höchsten Weisen des Bewußtseins ihres Volkes" zur Vorstellung brachten. Das Wesentliche ist „das Geistige"; im Schönen kommt „das Wahrhafte ... zum Wissen, zum Vorstellen seiner selbst" {Kehler 1826. Ms. 227 f). Der Dichter erscheint als Priester und Prophet zugleich, „er macht seinen Gott und legt ihn aus" {Kehler 1826. Ms. 240; vgl. Hot ho 1823. Ms. 162 f). Auch in den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst entwickelt Hegel also die verschiedenen Göttervorstellungen, durch die in der Kunst die Idee sowohl „ästhetisch" wie "mythologisch" gemacht wird, als Orientierungen des sittlichen Handelns, näherhin als die Übergangsform der Orientierungen von einem objektiv-naturhaften Lebenszusammenhang zum geschichtlichen Bewußtsein. Die Gestalt der Skulptur läßt das Göttliche, läßt den Prozeß der „Personifikation" zu einem „echt Subjektiven" werden {Aachen 1826. Ms. 96). Verschiedene Sphären des gemeinschaftlichen Lebens und Handelns werden zum Machtbereich verschiedener Götter und die Ablösung der alten durch die neuen Götter führt zur Gestaltung des geschichtlichen Prozesses, in dem ein Volk ein Bewußtsein seiner selbst als Gemeinschaft allererst erhält, tradiert und aufrechterhält (institutionalisiert). Der Mythos von Kronos, der seine Kinder verzehrt, wird Hegel beispielsweise durch die Kunst zur Thematisierung des „Vergehens der Zeit in einem Volke, wo noch nichts Sittliches, Politisches, Geordnetes vorhanden ist" und für das es nur vermittels dieses Mythos eine Geschichte gibt {]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 83a/84). Der Kreis der Götter, den die Skulptur darstellt, entsteht durch die Objektivierung der innerlichen Mächte, die das Subjekt leiten und bewegen, er symbolisiert und ist zugleich die Reflexionsform des Selbstbewußtseins eines Volkes, durch die der Übergang zur „Politie" (sc. der Sphäre des höchsten Gottes Jupiter) bewerkstelligt wird. Dieser Prozeß der Genese eines Selbstbewußtseins der Individuen vermittels des personifizierten und damit universalisierten Selbstbewußtseins aller erscheint Hegel als Kunstwerk kat' exochen, als umfassende geschichtliche Wirkung der Kunst, so daß er die griechische Form der Individualität schlechthin mit den Charakteristika der Gestalten der Skulptur umschreibt, die zugestandenermaßen ästhetische Charakteristiken (WINCKELMANN) sind. Der Ton des Plastischen, der „über alle Werke der Alten ausgegossen" ist, bezeichnet zugleich den Charakter der Individuen (vgl. Hotho 1823. Ms. 178). Das bedeutet für Hegel dasselbe wie die Betonung, daß die Pathe des Menschen, die er „in seinem Innern verschließt", zunächst als Kreis der Götter an den Himmel geworfen sind, also in naiv-unmittelbarer Weise die Sittlichkeit und ihre leitenden Prinzipien personifizieren. Die Analogisierbarkeit von ästhetischer Beschreibung des Skulpturbildes und geschichtsphilosophischer Charakteristik des Individuums, das durch die Kunst seine sittliche Orientierung erhält, zeigt, daß es Hegel in der klassischen Kunst eben nicht primär um ein „ästhetisches" Maß aller Kunst geht, sondern um
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eine Erhellung der Funktion der Kunst in der Geschichte. Sofern die Kunst die Jiöchste Weise" eines geschichtlichen, eines spezifischen kulturellen „Bewußtseins ihres Volkes" hervorbringt, weil die Künstler zugleich „Lehrer des Volkes" sind (]ag. Bibi. 1828/29 Ms. 29), wo die Kunst geschichtliche Wahrheit dadurch vermittelt, daß sie Erfahrungen in den Status des reflektierten Erfassens erhebt, ist sie auch „schöne" Kunst. Schönheil gilt stets und ausschließlich als Indiz für die Erfüllung der geschichtlichen Funktion der Wahrheitsvermittlung. In der Tragödie wird eine weitergehende Thematisierung dieses geschichtlichen Bewußtseins erreicht, als Epos und Göttergestalt vermitteln können. Ihr „Inhalt stellt nicht... die ursprüngliche Welt eines Volkes" dar, sondern bereits eine „abstraktere, spätere Periode, wo das Geistige schon geschieden ist in besondere Gestaltungen" {Kehler 1826. Ms. 397). Auch hier werden Sittlichkeit und Selbstbewußtsein einer Kulturgemeinschaft noch durch die Kunst gestiftet, aber beides wird bereits in einer Auflösungsform, in der Weise konfligierender Orientierungen, dargestellt. Die höchste Stufe der Poesie und der Kunst beinhaltet so für Hegel das untrügliche Indiz ihrer notwendigen Auflösung. Auch darin unterscheidet sich die systematische Konzeption der Ästhetik nicht von der zu Ende der Jenaer Zeit entwickelten Position. Die Kunstform der Moderne, die romantische Kunst, bildet im Werk der Kunst nicht mehr die menschliche Weltgestaltung überhaupt aus, sondern „die romantische Welt hatte nur ein Werk, die Ausbreitung des Christentums" {Hotho 1823. Ms. 184). Das moderne Epos wird dadurch zur ldylle^° — was für Hegel nun besagt: zur illusionistischen Fiktion einer Welt, in der die subjektive Phantasie die Objektivität ersetzt. Das moderne Drama gestaltet ebenfalls nicht den Verlauf und die Konsequenzen eines weltgeschichtlichen Handelns und damit im schönen Schein das Vorbild der Sittlichkeit aller.
Im modernen Epos findet man deshalb den Ausdruck einer Innigkeit, „die nicht zur Objektivität der Bildung kommt" {Kehler 1826. Ms. 274, vgl. 426). Die Nationalcharaktere dieser Lieder machen einen Vermittlungsprozeß nötig, der wiederum die Kunst zur Sache der Gebildeten macht. Hegel erwähnt in diesem Sinn Herders und Goethes Bemühungen {Aachen 1826. Ms. 74 f). Wo die Romantiker sich dieser Form bedienen, wird keine „Volkspoesie" erreicht, sondern „eine pretiöse Naivität, die geschraubt ist" {]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 141a). Die andere Möglichkeit des Epos sieht Hegel in den Ritterepen, wo an die Stelle der wirklichen Welt die phantastische Konstitution einer gedachten, imaginierten Welt tritt, oder in modernen Epopöen, wo beliebige Taten und Handlungen nur durch die Form, die dichterische Bearbeitung, zur Kunst erhoben werden. Hier entsteht ein „Gegensatz von Inhalt und Form" {Kehler 1826. Ms. 405). Das moderne Epos, der Roman, lebt von eben derselben Diskrepanz, denn er „ist das epische Gedicht unserer Privatleben, Vernünftigkeit zur Notwendigkeit gestaltet" {]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 150).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
sondern es entfaltet bestenfalls eine Exposition der Motive des Handelns. Geschichte überhaupt degeneriert hier zur Genese der individuellen Handlung, die an den objektiven Verhältnissen scheitert. Beispiele für beides werden noch zu erörtern sein. Hier ist die Frage vordringlich, wieweit Hegels Anerkennung der Geschichtlichkeit der Kunst, die ihn zur historischen Differenzierung verschiedener Epochen nötigt, übernommen werden muß. Läßt sich ein Begriff der Geschichtlichkeit der Kunst gewinnen, der hinreichend formal ist, um die Funktion der Kunst in der Geschichte zu charakterisieren, und der dennoch hinreichend konkret bleibt, um die Verschiedenheit historischer Situationen solchen Wirkens festhalten zu können? Bei Hegel ist beides nur auf Kosten der Gegenwartsbedeutung der Kunst vereinbar, also durch die Anfangs- und Grundthese der Ästhetik vom Ende bzw. Vergangenheitscharakter der Kunst. Man kann nun diese These als paradox negieren, verliert dadurch aber die Möglichkeit, Inhaltsästhetik zu betreiben. Oder man kann diese These akzeptieren und hat Hegels paradoxe Ästhetik, die eine geschichtliche Bedeutung der Kunst systematisch nur so rechtfertigen kann, daß mit der Feststellung der geschichtlichen Funktion zugleich die Suspendierung der universalen Bedeutung der Kunst für die Moderne gesetzt wird.
3.2.3 Epochendifferenzen und Geschichtlichkeit der Kunst Formal wird die Kunst durch ihre geschichtliche Aufgabe, Wahrheit zu vermitteln, und durch die differenziertere Erhellung dieser Funktion im Werkbegriff festgelegt. Dennoch unterscheidet Hegel verschiedene Wirkweisen der Kunst in der Geschichte. Die Argumente dafür, daß die Kunst bei gleicher formaler Struktur nicht zu jeder Zeit den gleichen Effekt hervorbringt, gewinnt er aus seiner systematischen Konzeption der Notwendigkeit der Entwicklung des Geistes in der Geschichte. Im Zusammenhang der Frage, ob sich die Funktion der Kunst, die Hegel am Leitfaden ihrer historischen Vollendung entwickelt, auch als die formale Bestimmung der Kunst überhaupt festhalten läßt, ist vor allem der Übergang von der Antike zur Moderne interessant. Aus Hegels geschichtlicher Bestimmung des Ideals kann man nämlich eine formale philosophische Bestimmung der Funktion der Kunst im angedeuteten Sinn gewinnen, wenn es gelingt, gegen Hegels Konzeption nachzuweisen, daß deren Bedeutung nicht aufgrund einer höher bewerteten Leistung anderer Medien der Wahrheitsvermittlung wieder eingeschränkt werden darf. Hegels Ästhetik widersetzt sich vorderhand einer solchen Interpretation. Nach Hegel kann sich nur in der klassischen Kunst die geschichtliche Funktion „erfüllen", alle anderen Epochen erscheinen als partielle Realisationen des Ideals. Stützt man sich auf diese vollendete Realisation als Bestimmung
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der geschichtlichen Bedeutung des Ideals, dann isoliert man aus Hegels „historischer Konstruktion" eine Epoche und erhebt diese zum Modell der geschichtlichen Wirkung der Kunst überhaupt. Da an diesem formalen Modell nicht nur die Bestimmung der Geschichtlichkeit gewonnen wird, sondern eventuell auch die Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst mit seiner Hilfe getroffen werden soll, steht der Versuch, Hegels Ästhetik als Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst zu deuten, selbst wieder vor der Aporie des Klassizismusvorwurfs. Zunächst zeigt sich nämlich eindeutig, daß Hegels Bestimmung des Werks in der Ästhetik die inhaltlichen Übereinstimmungen mit der frühen Konzeption durch die Änderung des systematischen Rahmens sowohl plausibel macht, wie für die Bestimmung der Universalität der geschichtlichen Bedeutung der Kunst aufhebt. Hegel übernimmt die Bestimmung des Werks, die die frühen vorsystematischen Überlegungen entwickelten, und ergänzt sie durch die Differenzierung verschiedener Epochen. Der Vergangenheitscharakter des Werks der Kunst wird beibehalten und Hegel scheint sogar den „Klassizismus" seiner Ästhetik nicht allein zum Prinzip des ästhetischen Werturteils, sondern zum Prinzip der philosophischen Beurteilung zu erheben. Aus dem Unterschied der geschichtlichen Situation in Antike und Moderne wird gefolgert, daß der identische Werkbegriff, auf die geschichtlichen Phänomene angewandt, zu verschiedener Konsequenz führt. Einmal handelt es sich um Werke, das anderemal verdienen dieselben Gebilde unter veränderten historischen Bedingungen diese Einschätzung nicht. Auch hier geht es in der Charakteristik der geschichtlichen Phänomene als „Werk" nicht um ein ästhetisches Werturteil, sondern allenfalls um eine Bewertung der ästhetischen Qualität abgeleitet von der Beurteilung der geschichtlichen Funktion. In der folgenden inhaltlichen Analyse wird sich zeigen, daß bei Hegel aufschlußreiche Diskrepanzen zwischen ästhetischem Urteil und Zu- bzw. Absprache des Werkcharakters zu finden sind (z.B. bei der holländischen Malerei), was sich allein darauf erklären läßt, daß Hegel die Werkkategorie nicht zur Beurteilung der Ästhetizität benutzt. Das löst aber nicht das Problem, daß die geschichtliche Funktion der Kunst am Beispiel ihres Wirkens im klassischen Griechentum entwickelt wird und daß von daher in anderen Situationen (Epochen und Kulturen) nur ein derivater Modus dieser Vollform erscheint. Hier muß man versuchen, in Hegels Argumentation die Momente zu entdecken, deren Suspension zur Aufhebung des „Klassizismus" führt. Es läßt sich z.B. nachweisen, daß Hegel selbst die von ihm ausgezeichnete Epoche der Kunst nicht im strengen Sinn historisch aufgreif t, sondern sie (im Sinne FiCHTESoder SCHELLINGS) spekulativhistorisch konstruiert. Ist aber das „Ideal" und damit zugleich seine „Epoche" nur die aus der historischen Analyse abgelöste strukturelle Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst, dann bleibt trotz verschiedener Bedingungen des gesamten individuellen und politischen Lebens, trotz der ver-
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
schiedenen Kultur, die Kunst der verschiedenen Epochen und Völker vergleichbar. Denn die konstruierten strukturellen Momente der geschichtlichen Wirkung sind auf der einen Seite zwar inhaltliche Bestimmungen, auf der anderen Seite aber kulturinvariant. Dies läßt sich zunächst an Hegels Entgegensetzung von Heroenzeitalter und Moderne demonstrieren, die für die gesamte Ästhetik konstitutiv ist. Das Griechentum gilt Hegel als die ausgezeichnete Epoche der Kunst, weil er hier eine universale Vermittlungsleistung, d.h. eine durch keine andere Weise der Weltbewältigung flankierte Wirkung der Kunst unterstellt. Im Zeitalter der Heroen bildet das Epos die Quelle der gesamten Kultur. Diesem Zeitalter stellt Hegel die differenzierten Verhältnisse der Moderne gegenüber und konstruiert durch die Partialisierung einer universalen Funktion die Kulturfunktion der Kunst in der »Moderne". Das heroische Zeitalter bringt Individuen hervor, die in doppelter Weise ursprünglich sind bzw. handeln sowohl hinsichtlich der Naturbewältigung als auch im sozialen Bereich. Zunächst erscheint hier die Weltbewältigung durch Arbeit (die Einrichtung der Natur zum Gebrauch durch den Menschen) als die eigene Tat, als Werk des Individuums, das sich die Natur zueignet zum Werkzeug oder zur Wohnung. HOMER erhebt dies Weltverständnis in der Kunst zum Bild menschlichen Handelns mit der Natur. Während man in einem »gebildeten Zustand" solche Bedürfnisse »von den Helden entfernt wissen" will {Aachen 1826. Ms. 70), zeigt sich im heroischen Zustand gerade an der Art, wie die Bedürfnisse zur Weltgestaltung führen, daß im Handeln des Individuums die Natur zum Werk des Menschen umgestaltet und darin aufgehoben wird. Die „Freudigkeit an ihrem Besitz, der das Werk ihrer Hände ist" (Kehler 1826. Ms. 110), indiziert ein Weltverhältnis, das die Welt nicht zum Mittel der Bedürfnisdeckung entfremdet hat. Sie weist darauf hin, daß durch das Werk das Subjekt in der Objektivität heimisch geworden ist (Kehler 1826. Ms. 417). Das gleiche zeigt sich am zwischenmenschlichen Handeln. Hier wird der ursprünglich partikuläre Wille des Individuums zum Leitfaden des Handelns aller. Herkules, der »dem Unrecht steuerte durch die Partikularität seines Willens" (Marb. Bibi. 1826. Ms. 15), wird zum Vorbild des Handelns in der Polis. Der Mensch ist in die Familie eingebunden und bleibt so im Interaktionsbereich ebenso wie in der Naturbewältigung einem »Geistigen" verhaftet, das in die Äußerlichkeit eingesenkt erscheint. In solchem Handeln des Individuums zeigt sich die Sittlichkeit aller, denn die »Tugend der Heroen besteht in der Vereinigung des Substanziellen ... mit der Individualität, so daß die Individualität sich selbst das Gesetz ist, und es kein Gesetz, kein Urteil, kein Gericht gibt, dem sie sich unterwerfe" (Kehler 1826. Ms. 78). Eine solche Zeit bringt „ganze, lebendige Charaktere" (Aachen 1826. Ms. 50) hervor, die sich mit ihrer Tat identifizieren und aus dem Wissen handeln, daß sie »das, was geschehen soll, zu vollbringen" haben (ebd.; vgl. 52). Hegel verweist auf Orest und Oedipus, um
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die Konsequenzen dieser Identifikation mit der eigenen Tat zu demonstrieren. Das Individuum handelt aus dem Bewußtsein einer Gemeinschaft („Familie, Staat, Stand, Gemeinwesen"; Kehler 1826. Ms. 258 f) und setzt für diese Gemeinschaft die Maßstäbe des Handelns. Insofern sind im Heroenzeitalter auch Individuen und Gesellschaft nicht zu trennen, denn das individuelle Handeln stiftet die Institutionen der Gesellschaft. „Das Politische, Freiheit nach ihrer Allgemeinheit ist mit der persönlichen Individualität identisch", das Geistige überhaupt ist in der Welt, hat „sich vom Weltlichen noch nicht zurückgezogen" {Marb. Bibi. 1826. Ms. 44a). Die „sittlichen Tugenden der Alten" {Kehler 1826. Ms. 263) sind die Grundlage der Gemeinschaft und werden zugleich jeweils im individuellen Handeln der Heroen durchgesetzt. Der Unterschied von Antike und Mo-
derne zeigt sich hier als der von Staat und Gesellschaft im Sinne Fichtes.
Denn während die sittlichen Tugenden zu einer „Gesellschaft", zu einer Sittlichkeit aller führen, die aus der Weltbewältigung und aus den Verbindlichkeiten gemeinsamen Handelns entsteht, erscheinen in der Moderne Individuen und Institutionen entfremdet. Die Sittlichkeit aller wird durch äußerliche Einrichtungen geregelt und partikularisiert. Wo aber das „Individuum als solches das Substantielle, Sittliche, Rechtliche, noch nicht als eine gesetzliche Notwendigkeit äußerlichen Einrichtungen gegenüber hat", da ist es ,/Ier Kunst als der Darstellung des Idealen, d.i. der reellen Idee angemessen" {Kehler 1826. Ms. 83 f). An der Art und Weise, wie Hegel das Heroenzeitalter in der Ästhetik erläutert, zeigt sich daß der Grund für die Auszeichnung
dieser geschichtlichen Situation auch jetzt noch in der Möglichkeit liegt, Kunstwerk und Staatswerk zu parallelisieren. In der Kunst (im Epos)reflektiert sich das Handeln der Individuen, wird es zur Tradition, die die Sittlichkeit aller orientiert. Durch den Akt des Bewußtmachens und des allgemeinen Repräsentierens ist das Kunstwerk Konstituens des Staates. Hegel betont allerdings, daß diese geschichtliche Funktion der Kunst an die Herrschaft des Schicksals, also an eine ganz bestimmte und eingeschränkte Weise der Realisation von Vernunft und Freiheit geknüpft ist. Das Walten des Schicksals im Epos erscheint als eindeutigere Fixierung des Individuums auf bestimmte sittliche Mächte als sie im modernen Drama dargestellt und vorausgesetzt werden darf (vgl. Aachen 1826. Ms. 200 f). Eine Erklärung für diese Stufung bereitet sich schon in Hegels Jenaer Überlegungen zur Bedeutung des Übergangs von Naturmythologie zur geistigen Mythologie vor, die sich an verschiedenen Göttergestalten, also zunächst im Bereich der Skulptur herauskristallisiert. In der Tragödie wird der Konflikt dieser Mächte am Handeln des Individuums, an den verschiedenen Möglichkeiten substantieller Sittlichkeit und der Unausweichlichkeit ihrer Kollision thematisiert. Schon für die römische Welt sieht Hegel die Parallelität von Staatswerk und Kunstwerk aufgelöst. Die „politische Tugend" erscheint als die Unterwerfung unter abstrakte Gesetze und steht schon der Grundlage der staatli-
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
chen Gemeinschaft, der Familie, „sittlich nach" i]ag. Bihl. 1828/29. Ms. 89a—90). Unter Hinweis auf SCHILLER verschärft Hegel diese Trennung von Kunst und Staat für die Moderne, denn hier machte „jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es not tat zum Ganzen werden konnte ... einem Uhrwerk Platz" {Kehler 1826. Ms. 190; vgl. Aachen 1826. Ms. 115). Die Konstitution der Sittlichkeit eines Volkes durch das Handeln der Heroen und durch die Kunst, die dieses Handeln tradiert — sc. durch das Epos —, kann sich in der Moderne nicht wiederholen. Es gibt kein modernes Epos, weil die geschichtliche Situation, der allgemeine Weltzustand, sich grundlegend gewandelt hat.21 Eine Vermittlung der Sittlichkeit aller durch die Kunst genügt unter den Bedingungen der Ausdifferenzierung der modernen Welt, die durch das Auftreten der ständischen Interessengruppen nicht mehr zur Einheit eines staatlichen Interesses zurückfindet, nicht. Hier kann die geschichtswendende Tat eines Einzelnen nicht mehr zum Vorbild des Handelns aller werden, kann nicht mehr die Sittlichkeit aller durch allgemeine Handlungsmuster festlegen. Denn eine solche Tat kann es realiter nicht mehr geben. Wie sich im Drama (besonders bei SCHILLER) zeigt, ist die „weltgeschichtliche" Handlung in der Moderne eine Anmaßung. Sie kann allenfalls als Negation aller Verhältnisse, als Verbrechen, noch die notwendige Allgemeinheit erreichen, d.h. sich gleichermaßen gegen alle Institutionen wenden (wie es Hegel an der Gestalt des Karl Moor demonstriert). Positiv genommen gilt die exemplarische Handlung nicht allgemein als Vorbild, denn die Gemeinschaft gleichgesinnter, in gleichen Interessen und Problemen der Weltbewältigung vereinter Individuen kann nicht vorausgesetzt werden. Im „Uhrwerk" Staat hat das Individuum seinen festumschriebenen Platz, seine eingeschränkte Funktion und kann nicht zum „Ganzen" werden. So trennt die Verschiedenheit der Lebenssphären das Volk auch hier in die Freien und Unfreien, nun aber in die Vertreter bestimmter Standesinteressen (die „Bornierten") und die Gebildeten, die die Standesgrenzen überspringen können. Für die „polizierieren Stände“ ist eine Aufklärung über das eigene Vernunftvermögen nicht mehr nötig,sie können die Kunst als ein Zeugnis vergangener geistiger Selbstvergewisserung ohnehin genießen und sind über den Stand dieser Bildung hinaus. Für die Ungelehrten ist eine umfassende Aufklärung durch Kunst, eine Mythologie der Vernunft, nicht mehr möglich; denn einerseits bleibt diese Art der Aufklärung für Hegel hinter dem Vernunftbedürfnis zurück und andererseits kann sie von der Kunst auch gar nicht mehr geleistet werden. Allenfalls kann die Ausbildung der modernen Sittlichkeit durch die romantische Kunstform so aussehen, daß sie sich in der Auflösung der universellen Bedeutung der Kunst mitausspricht. Diese ganze Sphäre des Geistes in der Geschichte (sc. die Kunst) muß — aus den Gründen, die die 21 Vgl. dazu Ch. Helferich: Kunst und Subjektivität. 49 ff, 61, 81 f.
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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Enzyklopädie anführt, — durch die Verpflichtung auf eine Leistungsmöglichkeit der Vernunft, die sie um Wesentliches übertrifft, ihre eigene Auflösung zum Thema erheben. Damit liegt die grundlegende Diskrepanz von Inhalt und Form fest, die sich im einzelnen dann an den „modernen Heroen" bestätigt. Im modernen Epos, dem Roman, kann der Held nicht wie ein griechischer Held des Epos erscheinen, „weil das Sittliche und Rechtliche zu vesten Verhältnissen geworden. Heldenmuth, was ihm zu thun übrig bleibt, ist seine eigene Subjektivität" {Aachen 1826. Ms. 201; vgl. 140). Das Spiel von Handlung und Begebenheit, das die Welt des alten Epos konstituiert, die Harmonie von individueller Handlung und objektiver Welt wird restringiert auf das „weltlose" Handeln des Individuums. Damit ist aber auch das Werk des Dichters nicht mehr „Werk aller" (vgl. Aachen 1826. Ms. 196; s.o.), sondern die „Rhapsoden sind tote Instrumente". Der Inhalt der Kunst wird beliebig, und die „dramatische Dichtkunst der neueren Zeit geht alle Zeiten und Völker durch. Die Kunst ist nicht mehr mit dem Stoffe in Innigkeit, dieser ist ihr gleichgültig" {Hotho 1823. Ms. 191). Die positive Möglichkeit, die hierin liegt, und die Hegel auch betont, daß die Kunst alles Menschliche, alles was im Menschengeiste und seiner Geschichte liegt, zur Erfahrung stellt (vgl. Aachen 1826. Ms. 11), verliert ihr Gewicht, weil die Beliebigkeit der Inhalte eine universal gültige Orientierung gerade verhindert. Die „polizierteren Stände" werden auch dies rezipieren können, nicht so die, die gerade durch die Kunst und allein durch sie gebildet werden sollten. Denn der Reflexionsstandpunkt, den die Kunst in der Vermittlung fremder Kulturen einnimmt, ist dem der Philosophie unterlegen und dem Standpunkt der unmittelbaren Anschauung nicht wieder anzunähern. Die Vereinzelung des Individuums kommt auch in den romantischen Inhalten zum Ausdruck. An die Stelle des Schicksals, der allgemeinen Bestimmung der Sittlichkeit tritt hier vordringlich die „Liebe", die individuelle Verpflichtung auf ein (beliebiges) Individuum. In der Antike bildet das sittliche Interesse^z die substantielle Grundlage jener Tat, die als ganze in der Kunst vergegenwärtigt werden kann und die zur Bildung einer Gemeinschaft nicht nur gehört, sondern zu deren Entstehung wie zum „politischen" Bewußtsein führt. Dagegen kann das moderne Epos (der Roman), kann auch das Drama nichts weiter thematisieren als die Weitläufigkeit und Vielschichtigkeit der Handlungszusammenhänge. Die Einheit des allgemeinen sittlichen Interesses wird durch die Kunst nicht wiederherstellbar. „In einem solchen ZuVgl. Aachen 1826. Ms. 140; Kehler 1826. Ms. 263 u.ö. In der letzten Vorlesung betont Hegel zudem, daß es selbst in der Wiederaufnahme antiker Stoffe durch die Moderne nicht möglich sei, einen Gott als Orientierung der Sittlichkeit erscheinen zu lassen. Selbst „Goethe in seiner Iphigenie läßt die ganze wirkende Macht in dem Gemüt des Handelnden" {jag. Bibi. 1828/29. Ms. 78/79).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Stande ist das Ganze nicht That, nicht Wirkung der individuellen Gestalt"; denn hier, in „einem gebildeten Zustande ist dieser lange weitläufige Zustand der Abhängigkeit von Andern vorhanden". Der Einzelne vollbringt nur einen Teil, nie das Ganze der Handlung. Sein geschichtliches Handeln ist partiell, nicht „Werk" sondern Moment an einem ihm nicht verfügbaren Werk {Aachen 1826. Ms. 50, 70). ln der Antike erscheint das Staatswerk als Kunstwerk, das geschichtliche Handeln in seiner Totalität, die Ausbildung der Sittlichkeit eines Volkes obliegt der Kunst, ln der Moderne dagegen erscheint die Unvereinbarkeit von Staats- und Kunstwerk am Handeln des Individuums, das auch die Kunst nur in der Weise thematisieren kann, wie es realiter gegeben ist: als Teil einer Handlung, deren Ganzes dem Individuum nicht verfügbar ist, und als Scheitern des Handelns bei angemaßter Allgemeinheit. Die grundlegende These für die „utopische" Funktion der Kunst, die Analogisierbarkeit von Kunstwerk und Staatswerk, die Hegel aus der Aufklärungsästhetik übernimmt, bleibt also auch für die Vorlesungen zur Ästhetik bedeutsam. Allerdings ist auch hier wieder die Differenzierung symptomatisch. Die ausgezeichnete geschichtliche Epoche unterstellt diese Analogizität, die Gegenwart muß aber eben darum zur Auflösung der Kunst werden, weil die Totalität der Handlung nicht mehr unterstellt werden kann. ln SCHLEIERMACHERS Psychologie wird die Kunst allgemein als Manifestation eines gemeinsamen Besitzergreifens von Welt charakterisiert. Hegel reserviert diese Funktion nur dem Werk im umfassenden Sinn, d.h. dem Epos, dem Werk der Skulptur (zu dem er bezeichnenderweise auch den Turmbau zählt), der Tragödie. Im Versuch, die geschichtliche Bestimmung der Kunst vom System der Philosophie zu trennen, müßte sich zeigen, wie durch den Verzicht auf den Leistungssinn der Philosophie im absoluten Idealismus die Kunst wieder als Begreifen (Bewußtsein) von Welt, als Gestaltung der Welt und in der Manifestation einer gemeinsamen Weltgestaltung als „Werk" aufgefaßt werden kann. Versuche, Hegels Ästhetik gegen ihre eigene Systematik auszulegen, finden sich in der gegenwärtigen Diskussion vor allem in der neo-marxistischen Interpretation und in einem von dieser abgeleiteten Version, die Gesellschaftlichkeit der Kunst zu bestimmen, in der Kunstsoziologie.Hier gilt die Vgl. dazu vor allem Th. W. Adorno: Thesen über Kunstsoziologie, 94 ff; P. Hahn: Kunst als Ideologie und Utopie, 151 ff; Th. W. H. Metscher: Hegel und die philosophische Grundlegung der Kunstsoziologie, 7 ff; A. Hauser: Soziologie der Kunst. Zur Interpretation vgl. A. Gethmann-Siefert: TLur Begründung einer Ästhetik nach Hegel, bes. 276 ff. — Als alternative Interpretation des Handlungsbegriffs sei auf den Versuch von R. Wiehl verwiesen: Über den Handlungsbegriff als Kategorie der Hegelschen Ästhetik, 135 ff. Wiehl kommt zu dem Schluß, daß in der Handlung, wie sie die Kunst (vor allem die dramatische als Integration aller Gattungen der
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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Kategorie des Handelns als die grundlegende Kategorie der Ästhetik und deren nähere Bestimmung entnimmt man der Ästhetik Hegels. Gerade die Kategorie des Handelns oszilliert bei Hegel aber zwischen weltgeschichtlichem als dem eigentlichen Handeln und bloß individuellem Handeln, das notwendig an der Welt scheitert. Will man die Ästhetik auf diese Weise aktualisieren, dann ergibt sich die Schwierigkeit, daß die Grundkategorie, das Werk, auf eine von ihr in doppelter Weise abgeleitete Kategorie eingeschränkt wird. Die Gründe dafür werden in der Kunstsoziologie nicht entwickelt, und die interessanteste Basis für eine Aktualisierung, Hegels Geschichtskonzeption (unter Abstraktion des systematischen Dogmatismus) geht verloren. Hier soll deshalb die Kategorie des Handelns als abgeleitete Kategorie dadurch mit kritisiert und umgeformt werden, daß die Kategorien
Poesie; vgl. P. Szondi: Theorie des modernen Dramas. 10) darstellt, die Geschichtlichkeit der Kunst liegt, ihre spezifische Weise vermittels des schönen Scheins Einfluß auf die Wirklichkeit zu nehmen. Das exemplarische Handeln der Kunst wird zur Möglichkeit des gesellschaftlichen Handelns (a.a.O. 154 ff, 169 f). Dazu auch F. Wagner: Hegels Philosophie der Dichtung, 141. — Die Unterschiede des Handlungsbegriffs lassen sich folgendermaßen explizieren; Einmal ist Handeln die geschichts- und institutionenstiftende Tat des heroischen Individuums. Hier wird die Tat des Einzelnen zum Anfang einer geschichtlich-institutionalisierten Handlungsweise. Der Einzelne stiftet den Staat. Die Kunst stiftet Staat und Geschichte (Tradition) durch die Repräsentation dieser geschichtsstiftenden Tat. Hier können das Handeln des Individuums und das weltgeschichtliche Handeln identifiziert werden, weil das institutionell gesicherte, gesetzmäßige Handeln aller aus seinem Ursprung im freien Handeln eines Individuums verständlich wird, das im Fest, im Kultus als stellvertretend für das geforderte Handeln aller von allen vollzogen wird. Nicht so in der Moderne, denn hier bedeutet Handeln des Individuums ein Handeln in Institutionen, Anerkennen von oder Auseinandersetzung mit den geschichtlich vorgegebenen Sedimentierungen von Handlungsmöglichkeiten. Nur in der Repräsentation des archaischen Handelns der Heroen und der an ihnen orientierten Individuen der Tragödie kann das geschichtliche Handeln, wie es die Kunst vermittelt, zugleich die Funktion der Darstellung der Handlung und die Kritik aller nicht mit den exemplarischen Handeln übereinkommenden Handlungsweisen gewährleisten. Die Kunst der »Moderne" thematisiert Handeln als Handeln in einer geschichtlich präfigurierten Verfestigung von Handlungsmöglichkeiten, deren Vernunftkonformität nach Hegel nicht mehr die Kunst vermittelt, sondern die Philosophie. Hier verliert die Kunst die universale Funktion der Ideologiekritik, die ihr in der Hegelinterpretation der Kunstsoziologie (besonders von Adorno) unterstellt wird. Generell liegt die Schwierigkeit darin, daß in dieser Trennung von System und Geschichte die Unterschiede, die Hegel mit seiner Epochendifferenzierung einführt, vernachlässigt werden. Man greift allein die Bedeutung des Handelns auf, die Hegel für die Vergangenheit, für das heroische Zeitalter, entfaltet.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
des Werks und des weltgeschichtlichen Handelns in der von Hegel getroffenen Festlegung von eigentlich und uneigentlich (heroisch und individuell) angezweifelt werden. Hegel selbst nimmt die Unterschiede der historisch aufgegriffenen Wirkung der Kunst zum Anlaß, eine Wiederholung des Griechentums für die Moderne abzulehnen. Die Analyse der Tragödie spricht dafür, daß dasselbe unter veränderten Bedingungen nicht wieder erreichbar ist; eine andere Überlegung spricht aber dafür, daß, obwohl die Epochen in „Sitte, Nationalität" unterschieden sind (z.B. Kehler 1826. Ms. 413; Aachen 1826. Ms. 74), eine vergleichbare geschichtliche Funktion der Kunst unterstellt werden muß. Betrachtet man dann das ganze Spektrum der Bestimmung der klassischen Kunst, wie es Hegel entwickelt, so zeigt sich schon hier eine Differenzierung. Die Kunst hat historisch-unterschiedliche und unterscheidbare Funktionen (im Epos, in der Skulptur und in der Tragödie) bei formal-identischer Bestimmung. Von daher liegt die Vermutung nahe, daß, wenn Hegels Zuordnung bestimmter Künste zu isolierbaren Geschichtsepochen aufgehoben wird, sich bei formal identischer Funktion ein Spektrum verschiedener historischer Wirkweisen ergibt. Das heißt aber, daß eine Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst sehr wohl an einem „Optimum", an der Vollendung des Phänomens, gewonnen werden kann, ohne daß damit schon die historische wie im Anschluß daran ästhetische Bewertung aller folgenden oder voraufgegangenen Werke fest gelegt sein muß. Anhaltspunkte für eine solche Revision, die bei Hegel auftretende Widersprüche vermeiden kann, zeichnen sich schon in der Bestimmung des Epos, näherhin des Weltzustandes, ab, der diesem zugrundeliegt. Hegel beschränkt die vollendete geschichtliche Funktion der Kunst auf eine historische Situation vor aller staatlichen Verfaßtheit der Individualgemeinschaft, kann aber schon in der Bestimmung der Kunst des Griechentums diese Festlegung nicht durchhalten. Auch in der Bestimmung der Heroenzeit führt seine Deutung bereits zu der Schwierigkeit, daß der Sinn der vorausgehenden Kunst in einer jeweils höheren Stufe festgelegt wird. Erst mit der Überwindung des Weltzustandes der Heroen, folglich mit der Ausbildung eines Staates, wird es sinnvoll, diesen Zustand in der Kunst zu repräsentieren. Eine Aitiologie ist nämlich erst dann nötig, wenn man die Genesis von Institutionen als die Sedimentierung der Sittlichkeit aller Individuen legitimieren muß. Schon in der Bestimmung des Heroenzeitalters selbst läßt sich also die von hierher begründete Kontraposition von Antike und Moderne nicht durchhalten. Hegel thematisiert zwar den Unterschied zwischen ursprünglichem Zustand und gebildeter Welt immer wieder am Heroenzeitalter und ästhetisch-immanent an der Entgegensetzung von antikem und modernem Epos. Aber schon der Versuch der Bestimmung der Heroenzeit gelingt nur dadurch, daß er die verschiedenen Stufen des Bewußtseins von und in Geschichte miteinander verquickt. Die Funktion der heroischen Tat exemplifi-
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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ziert nur eine erste Möglichkeit der bewußten Welthabe, wenn auch die, die in der Kunst am vollendetsten und vollständigsten repräsentiert werden kann. Die Verpflichtung auf bestimmte „Mächte" der Sittlichkeit, die das heroische Individuum zum Stifter der Sittlichkeit eines Volkes erheben, wird allerdings erst thematisiert, in ihrer geschichtlichen Bedeutung voll einsichtig, wo sie als erste ursprüngliche Tat nicht nur abgespiegelt , sondern reflektiert (in relativierter Geltung) in der Kunst vorkommt. Hegel greift deshalb in seiner Bestimmung des Heroenzeitalters auf die Tragödie vor, auf die eingestandenermaßen höhere und von der Notwendigkeit des Übergangs geprägte Form der Parallelität von Kunstwerk und Staatswerk. In der Skulptur treten Naturmythologie und geistige Mythologie als die konstitutiven Inhalte der Sittlichkeit des Volkes nebeneinander auf. Die Götter werden nur „naiv erzählend" im Mythos des Götterkrieges miteinander in Beziehung gesetzt und erscheinen dann in ihrer geschichtlichen Bedeutung da, wo sie zur Orientierung des Handelns der Individuen erhoben, von diesen übernommen und in der Weise der Heroen durchgehalten werden. Hier zeigt sich die Einschränkung des Schicksals, die „Unvernunft" einer Versöhnung im Ganzen, die nur auf Kosten des Untergangs des Individuums erreichbar ist. Der Verdacht, daß die geschichtliche Funktion im Griechentum, die für alle weitere Bestimmung exemplarisch wirkt, ein Konstrukt ist, das sich aus der systematischen Festlegung der Geschichte ergibt und erklärlich wird, legt sich von Hegels eigener Behandlung her nahe. Das Werk der Kunst als Repräsentation weltgeschichtlichen Handelns ist schon im Griechentum vielschichtiger als Hegel es im Blick auf das Epos und den ihm zugrundeliegenden Weltzustand explizit zugesteht. Er muß den Weltzustand des Heroenzeitalters aus differenzierteren und komplexeren Nachfolgezuständen erhellen und gewinnt dennoch hier — also von der ersten Realisation der Sittlichkeit des Volkes durch die Kunst — seine grundlegende geschichtliche Differenzierung des Kunstwerks als „staatsstiftend" oder als bloß epiphänomenale geschichtliche Konkretion der geistigen Entfaltung. Aus dieser Sicht muß die „moderne" Kunst dem Verdikt einer bloß unzureichenden Vermittlung des Geistes in der Geschichte verfallen, denn auch sie kann allenfalls (wie die griechische Tragödie) die Situation des „Konflikts" verschiedener Handlungsorientierungen zur Anschauung bringen. Da sie aber den Versöhnungseffekt des Schicksalsgedankens nicht in Anspruch nehmen darf, kann die Kunst hier nicht mehr die universale Funktion geschichtlicher Wahrheitsvermittlung erfüllen. Dasselbe formuliert Hegel historisch konkret eben in der Unmöglichkeit der Parallelisierbarkeit von Kunst- und Staatswerk, d.h. durch seine Weiterführung der Lehre vom Staat in der Rechtsphilosophie. Will man also einen vertretbaren Sinn der Entgegensetzung von Antike und Moderne herausfinden, muß man nachweisen, ob und wieweit die
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
reflektierende Form (die Darstellung des geschichtlichen Bewußtseins und der Handlungsmöglichkeiten des Individuums in der Tragödie) mit der Darstellung im modernen Drama vergleichbar ist. Geht es hier um das Scheitern des Individuums an der Objektivität, um das Mißlingen der geschichtsstiftenden Tat, so geht es dort um ein ebensolches Scheitern des Individuums und seiner sittlichen Orientierung, obwohl die geschichtsstiftende Tat, die Verbindlichkeit für alle unterstellt wird. Ge- und Mißlingen sind aber als solche nur festzustellen, weil die Epochendifferenz für Hegel eine Umorientierung, eine fundamentale Erweiterung im Bewußtsein und der Realisation der Freiheit voraussetzt. Im Blick auf moderne Formen des Epos und auf das Drama gilt es zu entscheiden, wieweit die Bedeutung der Funktion der Kunst identisch bleibt, wenn man die Möglichkeit, geschichtliches Handeln durch die Philosophie endgültig zu sichern, nicht unterstellt. Beschränkt sich auch die Leistungsfähigkeit der Philosophie auf eine Erörterung möglicher rationaler Strategien der Konfliktbeseitigung bei auftretenden Kollisionen, dann kann sie mit der Funktion der Kunst wieder parallelisiert werden, obwohl sie das Gleiche auf andere Weise anstrebt. Hegels eigene Analyse zeigte bereits die Möglichkeit zu dieser Kritik und Revision, weil die ursprünglichste und umfassendste Funktion der Kunst selbst auch erst im Rückblick, erst aus einem Staatsgefüge, dessen Ursprung sie ist, als solche begriffen, als solche vollzogen werden kann. Deshalb soll — besonders im Blick auf einige Kunstwerke der „Moderne" — die Frage gestellt werden, ob nicht auch hier die Kunst in analoger Weise geschichtlich wirkt. Das Werk der Kunst, das zu der Sittlichkeit eines Volkes durch das Handeln des großen Individuums führt, wird in der Kunst der Antike selbst „naiv-erzählend" als Aitiologie greifbar. Die Darstellung des geschichtsrelevanten Handelns eines Individuums und seiner „Triebfedern" könnten den gleichen geschichtlichen Sinn unter geänderten Bedingungen haben. Das geschichtliche Wirken wäre hier nur eindeutiger als in der (konstruierten) griechischen Welt als Interferenz von Kunstwerk und gesamtem Kulturgefüge zu bestimmen. Auch das Werk der Architektur, auch das Epos erscheinen als Weisen der unmittelbar-reflektierten Welthabe, die erst im komplexeren Kulturzusammenhang in ihrer gesamten Wirkung vollständig erfaßt werden können. Von dieser umfassenden Kultur, die sich historisch fortentwickelt, ist beides nicht zu trennen. Hegel rechtfertigt darum seine Auszeichnung des heroischen Weltzustandes immer durch den Rückgriff auf die Reflexionsform, die Tragödie. Auch im Blick auf die Skulptur zeigt sich das gleiche Verfahren. Sinn und Geltung der sittlichen Orientierung werden erst in der Tragödie zum Thema, nachdem sie vorher unreflektiert gegolten hatten und als solche in Bezug gesetzt wurden. Erst in diesem Medium, das für Hegel eingestandenermaßen als die höchste, weil komplexeste Weise der Wahrheitsvermittlung in der Kunst des Griechentums gilt (vgl. Aachen 1826. Ms. 212), erscheint die Tat der Heroen, erscheint die schöne Gestalt des Gottes in ihrer geschichtlichen Bedeutung.
3.2 Der Werkbegriff der Ästhetik
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Erst da, wo das Handeln das Individuums zum Leitbild des kulturellen Handelns geworden ist, kann seine geschichtsstiftende Funktion behauptet wie eruiert werden. Die Kulturfunktion der Kunst, das „Ästhetisch" und „Mythologisch"-Machen der Vernunftideen, ist also immer einer unter anderen geschichtlichen Erfahrungsmodi. Kunstwerke können zwar eine in dem Sinn kulturvariante Bedeutung haben, daß sie mehr oder weniger konstitutive Orientierungsleistungen erbringen. Aber auch unter dieser Rücksicht kann man aus Hegels Auszeichnung der Antike nicht auf eine grundsätzliche Defizienz der Moderne schließen, denn die Kultur der Antike erscheint inder Ästhetik gerade unter einer Perspektive, die im Sinne der Auszeichnung der Funktion der Kunst vor anderen geschichtlichen Funktionen konstruiert ist. Der Unterschied von Antike und Moderne beschränkt sich genauer gesagt auf die Differenz einer geschichtlichen Funktion der Kunst bei konstruierter „Polypennatur" der antiken Polis zu unterstellter „Uhrwerk"-Funktion des modernen Staates. Damit wiederholt Hegel aber SCHILLERS Bestimmung des Unterschieds von Antike und Moderne, und die Frage nach der kritischen Funktion der Kunst könnte auch in dessen (an FICHTE orientiertem) Sinn gestellt werden. Wieweit taugt die Kunst dazu, den Auflösungsprozeß eines bloßen Maschinenstaates in eine „Gesellschaft", in ein Institutionengefüge auf der Grundlage des mündigen Vernunftgebrauchs, zu betreiben oder hier katalysatorisch zu wirken? Es muß nicht unbedingt im Sinn Hegels sein, wenn man die Möglichkeit ablehnt, daß die Kunst unter den Bedingungen der Moderne die Funktion behält, die ihr unter den Bedingungen der griechischen Welt zugeschrieben wird. Selbst in der Ästhetik formuliert Hegel das Problem noch so, daß bei Abstraktion von der geschichtlichen Aufgabe der Philosophie, bei Einschränkung des Leistungssinnes geschichtlicher Vernunft, die ursprüngliche Frage wieder auf taucht. Auch hier geht es noch darum, wie die Kunst in der Situation des Fraglichwerdens staatlicher Verfaßtheit und bestehender Institutionen eine Identifikationsmöglichkeit des Einzelnen mit seiner Gesellschaft erwirken kann. In einer solchen „lebendig" wirksamen Kunst müßten, wenn sie nicht wie bei Hegel dem Griechentum Vorbehalten bleibt, die Institutionen als Regeln im Sinne der Sittlichkeit aller erscheinen — und wo dies nicht möglich ist, das Verfehlen dieser Aufgabe vor Augen geführt und dadurch kritisierbar werden. Darin liegt der vertretbare Sinn des „Klassizismus" der Hegelschen wie jeder Ästhetik, d.h. der Sinn der Berufung auf eine als gelungen aufgefaßte oder gar konstruierte Vergangenheit. Der „Klassizismus" der Ästhetik, der
Verweis auf den Vorbildcharakter des Griechentums, was die geschichtliche Funktion der Kunst überhaupt betrifft, erscheint als Konsequenz der Verpflichtung auf die Aufklärung. Wenn Hegels systematischer Anspruch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Philosophie überhaupt aufgegeben wird, dann lassen sich seine früheren Überlegungen auf jeden Fall noch
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
legitimieren. Zunächst gewann Hegel durch den Verweis auf eine utopische, aber gleichwohl in der Geschichte mögliche Vollendung jene Bestimmung des Werks der Kunst aus ihrer Funktion (der Wahrheitsvermittlung in der Anschauung der Welt wie in der Handlungsorientierung), die er in den späteren Ästheiikvorlesungen wiederholt. Hier erscheint die allgemeine, formal-identische Bestimmung der Kunst aber in historischer Relativierung. Da Hegels Differenzierung der Epochen Antike — Moderne mit einigem Recht angezweifelt werden kann, wird auch diese „Kulturvarianz" der Funktion der Kunst (nicht der faktischen Wirkung) hinfällig. Sie ist in unvertretbarer Weise „konstruiert" und könnte ohne diese Konstruktion als formale Grundlage der geschichtlichen Bestimmung überhaupt gelten. Ließ sich der Klassizismusvorwurf hinsichtlich der frühen Überlegungen durch den Hinweis auf die utopische Funktion des Griechentums entkräften, so gilt diese Argumentation zum Teil auch noch für die Ästhetik. Auch hier geht es Hegel nicht um die Kritik an der Kunst seiner Gegenwart durch die Forderung, das antike Muster zu wiederholen. Er betont ausdrücklich die „ästhetische" Unvergleichbarkeit der Kunstwerke verschiedener Epochen und zeichnet mit der griechischen Kunst eine Kunst lediglich wegen ihrer universalen geschichtlichen Funktion aus. Als „Klassizismus" ist also allenfalls Hegels Konstruktion einer Kultur zu werten, in der allein die Kunst den Staat, ein Volk mit politischer Organisation: die Polis, stiftet. Das bedeutet aber, daß die historische Ungenauigkeit eines utopischen Entwurfs darum illegitim ist, weil dieser Entwurf im zweiten Argumentationsschritt zur historischen Differenzierung geschichtlicher Epochen benutzt wird. Eine genaue Analyse der Kultur der griechischen Welt möchte auch hier zu veränderten Schlußfolgerungen führen. Daß Hegel selbst sich um diese historische Genauigkeit nicht bemüht hat, sich nicht darum bemühen konnte, ist unbestritten. Die Anschauung des Griechentums, die Hegel aus der Bildung seiner Zeit übernommen hat, erscheint ihm in den Ästhetikvorlesungen an keiner Stelle fraglich oder ergänzungsbedürftig. Der Grund dafür liegt aber nicht darin, daß Hegel die systematische Stellung dieser Kunstform aufheben wollte, sondern darin, daß sie ihm als schlechthin evident erscheint, so daß er hier keine weiteren Differenzierungen mehr für nötig hält. Da es möglich ist, die letztgenannte Komponente des Griechenverweises in der Ästhetik zum Vorteil der Bestimmung des geschichtlichen Phänomens Kunst auszuschalten, müssen sich Hegels Urteile im einzelnen, wo sie derselben Prüfung unterzogen werden, in analoger Weise revidieren lassen.
3.3 Die Funktion der Kunst in der Moderne
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3.3 Die Funktion der Kunst in der Moderne: Auflösung oder Konkretion? Auch für die Kunst der Moderne kann man die an der Antike entwickelte geschichtliche Funktion (gegen Ffegel) aufrechterhalten. Dabei darf aber die im Griechenverweis enthaltene Differenzierung von Klassizismus und Traditionsbildung nicht verlorengehen. Das heißt, es muß sich zeigen lassen, daß der Begriff des Kunstwerks auf Gebilde der Gegenwart (zunächst der Hegels) dann zurecht angewandt wird, wenn man die nicht beweisbare Universalität und Einzigartigkeit der Kulturfunktion der Kunst für die Antike wie für die Moderne aufgibt. Das wird dadurch möglich, daß man die Konstruktion des Ideals nicht als historische Charakteristik einer Kultur, sondern als strukturelle Bestimmung bestimmter konstitutiver Momente einer Kultur in ihrem Zusammenspiel auf faßt. Zunächst wurde der Konstruktionscharakter des Griechenbildes wie des Ideals bei Hegel nur hinsichtlich seiner Aporien kritisiert. Abschließend wäre zu erörtern, welchen positiven Sinn man dennoch der „Konstruktion" einer ausgezeichneten Epoche der Kunst beimessen kann, genauer, ob sich die "utopische Funktion“ des Griechenverweises im Zuge der Analyse der Werke der Moderne ebenfalls rehabilitieren läßt. Mißlingt dieser Nachweis, dann ist es sinnlos, von Hegels Ästhetik in der gegenwärtigen Diskussion um die Kunst und um den Sinn der Reflexion auf die Kunst Aufschluß über die Möglichkeiten und Grundlagen einer philosophischen Ästhetik zu erwarten. Dann wird nämlich mit der aus dem Systemzwang entwickelten These vom Ende der Kunst nur noch der Hinweis "aktuell" sein, daß die Kunst sich in der vernunftfordernden modernen Zeit der Frage nach ihrer geschichtlichen Bedeutung nicht entziehen dürfe und könne. Mit dem umgekehrten Nachweis, daß der Klassizismus der Ästhetik eine konstitutive Bedeutung für die Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst hat, ihre darstellende wie kritische Funktion — so könnte man im Anschluß an die Bestimmungen des Neomarxismus formulieren — vereint, erreicht man aber erst dann eine vorurteilsfreie Grundlage der Philosophie der Kunst, wenn man Hegels Behauptung widerlegt, in der Moderne könne die Kunst nur eine „partielle" Bedeutung haben. Hierzu bietet beispielsweise die Kunstsoziologie durch ihren Rückgriff auf den Handlungsbegriff einen Ansatz. Der Werkbegriff erweist sich aber als der umfassendere Begriff, als die Totalität des geschichtlichen Horizontes, der im Vollzug der einzelnen Handlung mitgesetzt wird. Deshalb soll hier die Kunst der Moderne hinsichtlich ihres Werkcharakters analysiert werden. Auch in diesem Versuch, die Kulmination geschichtlichen Handelns im Werk nicht nur begrifflich festzulegen, sondern an einer Reihe von Beispielen zu demonstrieren, folgen die Überlegungen einer Tendenz der Hegelschen Vorlesungen zur Ästhetik. Denn im Lauf der Jahre geht Hegel immer
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
mehr von der Erörterung der Systematik zur Demonstration ihrer Triftigkeit in der Analyse einzelner Kunstgattungen und Werke über. Wohl aus dem kulturellen Interesse seiner Umgebung und im Anschluß an die Bemühungen um Kunst und Reflexion auf die Kunst sieht auch Hegel hier für die Ästhetik den Ansatzpunkt, die geschichtliche — das heißt nun die eingeschränkte: historisch und erzieherisch vorbereitende — Funktion der Kunst an den Werken der Kunst selbst zu demonstrieren. D. HENRICH vermutet, daß Hegel damit eine Bereitschaft zur Revision seines Systems bekunde. Die Analyse des Materials, das aus den Vorlesungen überliefert ist, läßt aber nur den umgekehrten Schluß zu. Durch die endgültige Ausbildung des Systems der Philosophie und durch die Festlegung der Stellung der Kunst in der Geschichte des Geistes, die Hegel mit den Überarbeitungen der Enzyklopädie erreicht, kann er in der Ästhetik auf eine Erörterung dieses Problems verzichten, genauer: er verlegt die Entwicklung in die Enzyklopädie und wiederholt deren Standpunkt in der Einleitung zur Ästhetik. Daß diese Trennung bewußt geschieht und keinen Verzicht auf den Systemgedanken impliziert, betont Hegel ausdrücklich. Er kennzeichnet nämlich diesen Teil als „bloß lemmatisch" und rechtfertigt die Begründung durch den Hinweis, sie sei andernorts erläutert. Sein Interesse — und zwar nicht das systematische, sondern das didaktisch-kulturpolitische — verlagert sich von der ausführlichen Entwicklung des Systems allenfalls zu einer immer ausführlicheren Demonstration der Fähigkeit der philosophischen Systematik, in Sachen Kunst und Kunsttheorie kompetente Beurteilungen und Orientierungen zu geben. Hegel setzt also die Gültigkeit seiner systematischen Grundlage voraus und löst den darin formulierten Anspruch, Kunsttheorie, Kunsthistorie und Kunstkritik grundzulegen, durch eine ständig erweiterte Auseinandersetzung mit einschlägigen Untersuchungen und dem Phänomen selbst ein. Da er im Zuge dieser Integration der einzelwissenschaftlichen Theorien über die Kunst in seine Ästhetik sowohl zu erstaunlich „modern" anmutenden wie auch zu ebenso frappierend „reaktionären" Urteilen kommt, sei auch diese Dimension der Kritik in diesem Zusammenhang ausgespart. Es geht vielmehr darum, „Werke" im von Hegel bestimmten Sinn auch in der für ihn zeitgenössischen Kunst zu finden und sich zu fragen, ob Hegel angesichts der Kunst selbst seine Grundeinschätzung modifiziert bzw. ob er Gründe dafür findet, sie nicht modifizieren zu müssen. Letztlich geht es darum zu zeigen, welche Gründe sich aus Hegels Argumentation in den Vorlesungen zur Ästhetik dafür finden lassen, daß man Hegels Systematik und damit deren Konsequenz, die These vom Ende der Kunst, modifizieren muß und auch unbeschadet der Möglichkeit einer philosophischen begründeten Bestimmung der Kunst modifizieren kann. Die Auswahl der Beispiele muß sich — da nicht alle möglichen Versionen der Auseinandersetzung mit der Kunst berücksichtigt werden können —
3.3 Die Funktion der Kunst in der Moderne
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vorab legitimieren. Da Hegel während seiner Lehrtätigkeit in Berlin am Kunstbetrieb nicht nur rezeptiv, sondern auch kulturpolitisch-aktiv Anteil zu nehmen sucht, bietet es sich an, die alte Kunst der romantischen Kunstform aufzugreifen, die Hegel in der christlichen Kunst, der Malerei, berücksichtigt. Hier liegt aber der Charakter des bloß „historischen" Interesses an der Geschichte des Geistes von vornherein fest. Aus der zeitgenössischen Literatur bietet sich neben der von Hegel verworfenen zeitgenössischen Romantik eine Kunst an, die ihre Freiheit in sinnvollerer Weise nutzt als die in schlechter „Sehnsüchtelei" sich selbst paralysierende romantische Kunst: die Wiederbelebung der symbolischen Kunst auf dem Boden der Romantik, die in formaler Vollendung GOETHES Divan repräsentiert. Auch hier fragt es sich, wieweit Hegel aus systematischen wie geschichtlichen Gründen bereit ist, dies Kunst zu nennen, d.h. den universalen Leistungssinn der im Anschluß an SCHILLER entwickelten Überlegungen zur schönen Religion auf eine von dem festgelegten Inhalt emanzipierte freie Kunst anzuwenden. Wieweit kann die positive Seite der modernen Kunst, die Tatsache, daß es ihr um den Menschen, seine geschichtliche Selbstverwirklichung geht, in einem Werk der Dichtung universal gültigen und alle ansprechenden Ausdruck finden? Und wenn es gelingen sollte, ein „Nationalwerk" zu schaffen, das gebildete und ungebildete Stände sich auf ihre Menschlichkeit besinnen läßt, wieweit ist dann der Inhalt zureichend, die Möglichkeiten der „Menschheit" — mit Hegel: des Humanus als des neuen Heiligen der Kunst — auszuschöpfen? Ein drittes Beispiel bietet sich von dem Ansatz der Untersuchung eo ipso an: die Auseinandersetzung mit SCHILLER. Hier greift Hegel auf eine Dichtung zurück, die er nach wie vor wegen ihres echten „Pathos" schätzt, d.h. der das ganze Gemüt in Intention sittlichen Verhaltens ansprechenden menschlichen Leidenschaft. Er findet in diesen Beispielen zudem den Versuch, antike Elemente in das moderne Drama einzuschmelzen, und den Versuch, Kunstwerke zu schaffen unter Voraussetzung der philosophischen Klärung der Intention und der Bedingungen des Kunstschaffens. SCHILLER selbst beansprucht, das dramatische Handeln zum weltgeschichtlichen Handeln in Beziehung zu setzen, und Hegel kritisiert gerade an diesem Versuch die „Partialität"der vermittelten Handlungsorientierung. Hier wird sowohl die Weiterführung des frühen, beiden gemeinsamen Ansatzes durch die Kunst greifbar wie Hegels Absetzung von der ScHiLLERschen wie der eigenen Annahme, die Kunst sei als Vermittlung der Weltorientierung zureichend.
3.3.1 „Humanus“: der neue Heilige der Kunst Durch die Auswahl der Beispiele wird nicht beansprucht, an jeder möglichen Konkretion die Aktualität oder Revisionsmöglichkeit der Hegelschen Philosophie der Kunst nachzuweisen. Im Gegenteil, der Gesichtspunkt der
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Auswahl ist eindeutig eingeschränkt: es werden die Werke aufgegriffen, denen Hegel auf der einen Seite attestiert, daß ihr Inhalt der moderne Heilige, der Humanus sei, und denen er andererseits nur bedingt den „Werkcharakter" zuerkennt. Sinnvoll erscheint diese Auswahl, weil hier die wenigsten inhaltlichen Vorurteile für die Kunsturteile der Ästhetik, also auch für das Grundsatzurteil über die geschichtliche Bedeutung der Kunst, vorausgesetzt werden. Mit diesen Beispielen läßt sich also die Aporie dokumentieren, die Hegel selbst als Auflösung seiner Ästhetik einschätzt, daß nämlich das ästhetische Urteil über die formale Vollendung mit dem geschichtsphilosophischen Urteil über die Möglichkeit der Wahrheitsvermittlung^^ nicht übereinzubringen ist. Der Anspruch der Inhaltsästhetik, die einzig sinnvolle Problematisierung des geschichtlichen Phänomens Kunst zu entwickeln, steht auf dem Spiel, und Hegel entscheidet sich mit dem Festhalten an der Inhaltsästhetik in diesem Zusammenhang zugleich für die notwendige Konsequenz aus der Divergenz zwischen ästhetischer und aletiologischer Bedeutung der Kunstwerke der Moderne. Er sieht seine These vom Vergangenheitscharakter der Kunst hinsichtlich ihrer höchsten Bedeutung, seine Behauptung des Endes der Kunst, bestätigt. Die Frage ist also, ob sich diese Auswahl überhaupt als vorteilhaft für die Aktualisierung der Ästhetik erweisen läßt. Ein Argument, das für dieses Vorgehen spricht, liegt schon darin, daß die gegenwärtige Diskussion um die Ästhetik dieses Problem vordringlich aufgreift. Zudem stützen sich gerade die theoretisch anspruchsvollsten Versuche, Hegels Ästhetik durch die Entkräftung des Klassizismusvorwurfs zu „retten", auf diese Charakteristik der neuen Kunst, deren Heiliger der Humanus ist. Das gravierendste Problem besteht in diesem Zusammenhang darin, daß Hegel selbst im Verlauf der Vorlesungen seine These vom Ende der Kunst durch die Konsequenzen verschärft, die er aus der Entwicklung seiner Religions- und Rechtsphilosophie in der Enzyklopädie (1827) gezogen hat. Dennoch hat die Beschäftigung mit der Ästhetik selbst die Hegelianer immer wieder dazu gereizt, diese systematische Konsequenz der Ästhetik unter Beibehaltung der sonstigen Grundlagen zu umgehen. 2“* Im folgenden nenne ich dieses Urteil „aletiologisch". Im Anschluß an Kant hätte sich angeboten, die Unterscheidung von „technisch-praktischem" Urteil und „moralisch-praktischem" in der Kritik der Urteilskraft durch „ästhetisch-praktisches" Urteil zu erweitern. Da Hegel selbst Kants Position in der Auseinandersetzung mit Schiller aber zu einer geschichtsphilosophischen Reflexion umdeutet, wäre dies mißverständlich. Es geht nicht darum, die Inhaltsästhetik auf eine formale Analyse der ästhetischen Urteile einzuschränken. Es soll angezeigt werden, daß es hier um die Handlungsorientierung durch Kunst, aber nicht den Ersatz des Handelns durch Kunst oder die Identifikation beider geht. Im Sinne der frühen Überlegungen Hegels sind diese Urteile Urteile über die „utopische" Funktion der Kunst.
3.3 Die Funktion der Kunst in der Moderne
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Mit dem Anliegen, Hegels Ästhetik weiterzuführen, verbindet sich beispielsweise bei ROSENKRANZ, bei K. FISCHER und auch bei F. TH. VISCHER der Versuch, eine größere Spielbreite der geschichtlichen Bedeutung der Kunst zu begründen. Es wird so auf verschiedenste Weise versucht, die systematische Dogmatik der Hegelschen Ästhetik zugunsten der Anerkennung der geschichtlichen Realität „Kunst" und ihrer Wirksamkeit zu modifizieren, ohne den Geltungsanspruch und die Begründungsabsicht Hegels aufzugeben. Besonders VISCHER versucht zu beweisen, daß eine nach-romantische Kunst ins Konzept der Ästhetik gehört, während ROSENKRANZ den Kanon der ästhetischen Kategorien von den Dogmen der Metaphysik des Schönen löst. Er entwickelt — jedenfalls seinem eigenen Aspruch nach — einen Kosmos verschiedenster Realisationsweisen der Kunstgestalt und dadurch einen wesentlich erweiterten (vor allem durch die Antipoden der Schönheit; das Charakteristische und Häßliche) Kanon ästhetischer Beurteilungsprädikate. ROSENKRANZ kommt damit allerdings dem Klassizismusvorwurf noch am weitesten entgegen, denn sein Versuch unterstellt, daß Hegel selbst durch die zentrale Rolle der Schönheit für die Ästhetik alle Kunst mit klassischem Maß messe. Die Erweiterung der Beurteilungskategorien, deren Grundlage eine zureichende Charakteristik aller Kunstphänomene, deren Ziel ein Kosmos des Ästhetischen sein soll, führt zur Auflösung der These vom Ende der Kunst. Einen ähnlichen Versuch findet man bei TH. MUNDT, der in Anlehnung an Hegels Vorlesung (von 1826) und an die Erweiterung der ästhetischen Kategorien eine systematische Ästhetik mit der Grundthese von der unabschließbaren „Zukunft" der Kunst entwickelt. Äuch F. TH. VISCHERS Auflösung der metaphysischen Ästhetik in den Kritischen Gängen beruht auf der Einsicht, daß nur durch den Verzicht auf die „Metaphysik der Kunst" im Sinne Hegels eine zureichende geschichtliche Bestimmung der Kunst möglich sei. Ein in etwa ähnliches Phänomen der Überwindung der Hegelschen Vorurteile und Beschränkungen findet sich auch bei den Hegelianern unter den Kunsthistorikern H. G. HOTHO und (cum grano salis) C. SCHNAASE. Beide gehen auf die Kunst ein, die Hegel zwar schätzt, die er aber in seiner Ästhetik als erste Stufe der romantischen Kunstform zuordnet. HOTHO erforscht die Niederländische Malerei, SCHNAASE schreibt eine umfassende Kulturgeschichte der Kunst im Mittelalter, die die gesellschaftliche Funktion der Kunst, den Stellenwert der Werke im Zusammenhang der jeweils vorab skizzierten kulturellen Entwicklung so bestimmt, wie es Hegel bei der antiken Kunst vorexerziert hat. Auch darin liegt die Möglichkeit, die These vom Ende der Kunst zu entkräften oder zu umgehen, denn die Kunst erscheint hier als unverzichtbares Element der geistigen Entwicklung, und die historische Betrachtung, die HOTHO selbst als „spekulative Kunstgeschichte" charakterisiert, schließt eine Weiterentwicklung notwendig ein. Wichtiger für die Frage der systematischen Revision der Ästhetik ist aber eine für F. TH. VISCHER grundlegende Vermutung, die an die These vom
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Humanus als dem neuen Heiligen anschließt. VISCHER meint, daß im Gegensatz zu Hegels Annahme die Kunst erst mit dem Sinken der religiösen Interessen „steigen", sich vollenden könne, weil sie von inhaltlichen Festlegungen frei werde. Er beurteilt also diese Freiheit der Gestaltung genau gegenteilig wie Hegel. K. FISCHER weist in seiner Hegeldeutung darauf hin, daß mit Hegels Aufgabe des Konzepts der schönen Religion, daß mit dem „protestantischen Prinzip" eigentlich dieser Freiraum für die Kunst geschaffen sei. Wo Hegel die christliche Kunst selbst einer Vergangenheit angehören läßt (eindeutig belegbar bei der Bestimmung der Malerei), da kann er schöne Werke, Schönheit wieder anerkennen, denn der ästhetische Wert der Kunstwerke steht dann nicht mehr unter der Botmäßigkeit der Andachtsfunktion (was Hegel in den Vorlesungen ablehnt). Für ein solches Gedankenexperiment kann besonders die Malerei der Niederländer als Beispiel herangezogen werden, die Hegel als vollendete Kunst charakterisiert. Dennoch ergeben sich dabei Schwierigkeiten, denn Hegel zögert gerade an dieser Stelle, von „Kunstwerken" zu sprechen. Die Frage nach der Bedeutung des Humanus als des neuen Heiligen, des neuen Inhalts der Kunst, muß also für Hegel selbst noch eine andere Bedeutung haben als die der Loslösung der Kunst von ihrem religiösen Inhalt —und wie oft irreführend damit gleichgesetzt wird: von jeder Verzwecklichung überhaupt. Hegels Hinweis, der neue Heilige der Kunst sei der Humanus, bezieht sich ohne Zweifel auf die Dichtung Schillers, denn hier entdeckt Hegel den Versuch, das Humanitätsideal der Aufklärung in der Kunst zu realisieren und es mit ihrer Hilfe zum geistigen Allgemeingut heraufzubilden. Gegen diese Beziehung der frühen Bestimmung der Gottähnlichkeit bei SCHILLER zum „Humanus" als dem neuen Inhalt spricht nur Hegels Verknüpfung von „allgemein Menschlichem", vom „Gemüt in seiner Fülle", das hier in der Kunst thematisch wird mit dem „bloß" noch „Interessanten" — einer Kategorie, die diesen Inhalt in die Nähe des „Romantischen" rückt.Die eine Deutungsmöglichkeit ist ohne Zweifel, daß Hegel mit dem Hinweis auf
Bes. Hot ho 1823. Ms. 190 f. — Wahrscheinlich verwendet Hegel den Begriff des Interessanten hier im Sinne Diderots, der ihn in den Salons zur Hauptcharakteristik des Kunstcharakters der modernen Werke erhob. Auch Sulzers Allgemeine Theorie der schönen Künste entwickelt eine Theorie des Interessanten, aber erst Schlegel entfaltet in seinem Studium-Aufsatz eine Theorie des Interessanten, die in Beziehung zu Diderot zu setzen ist. Da Hegel in seiner Ästhetik und in den sonstigen Schriften sich auf Diderots „literarische Experimente" beruft, in der dieser die Theorie des Interessanten ausführt (Jacques le Fataliste, Le Neveu de Rameau), ist diese Beziehung, damit die Identifikation von „interessant" und „romantisch", nicht ohne Plausibilität. Zur Begriffsgeschichte vgl. die Untersuchung von K. H. Stierte: Diderots Begriff des Interessanten, bes. 76, 74 f.
3.3 Die Funktion der Kunst in der Moderne
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diesen Inhalt die Romantikkritik wiederholt. Auf der anderen Seite spielt er selbst durch die von ihm gewählte Formulierung auf die gegenläufige Tradition und Deutung an; auf die Kunst nämlich, die er auch noch in seiner Ästhetik hochschätzt, weil sie die Humanität sämtlicher Kulturen und Völker der modernen Erfahrung als etwas „Vertrautes" zugänglich macht. Hegel zitiert mit seiner „Grundthese", Humanus heiße der neue Heilige der Kunst, GOETHES Epos Die Geheimnisse,^^ das 1784 in engstem Kontakt zu HERDER entstand. Thematisch wird dies Epos wir der aufgenommen in SCHILLERS — von Hegel nachweislich hochgeschätztem — Hymnus an die Freude (1785). Während GOETHE es aufgibt, das Humanitätsideal der Aufklärung in der Weise HERDERS abzuhandeln und als durch die Liebe erfüllt darzustellen, erhebt SCHILLER dies zum zentralen Thema. Die Gottgleichheit des Menschen findet ihren vollendeten Ausdruck im Gleichklang der Geister, in der liebendgemeinsamen Welterfahrung. Nachweislich ist diese Bedeutung auch für Hegels frühe Überlegungen bestimmend, sie bleibt es aber offensichtlich bis zur Zeit der Asthetikvorlesungen, denn noch hier erörtert Hegel an SCHILLERS Dichtung die Möglichkeit, ein Werk der Kunst im Sinne der am Griechentum gewonnenen Bestimmung des Werks auch in der Moderne zu finden. Letztlich setzt sich zwar die Kritik durch, daß es in der Moderne kein Werk im gekennzeichneten Sinn geben könne — weil es dies nicht einmal bei SCHILLER gebe —, aber in einer weiteren Überlegung hält Hegel an der Thematik der Gottähnlichkeit fest. Hegels These zur Gestalt des Menschen als der adäquaten Gestalt des Gottes und die Betonung der Vortrefflichkeit griechischer Skulptur, die Hegel hierin begründet sieht, wiederholt ästhetik-immanent die Debatte mit SCHILLERS theoretischen Versuchen zur Gottähnlichkeit. Auch die Idyllenproblematik wird damit angesprochen, denn die Vergegenwärtigung des Griechentums in der Kunst erscheint dann nicht unplausibel, wenn das Griechentum selbst die Humanität anhand ihrer ausgezeichneten Vermittlungsmöglichkeit durch die Kunst darstellt. Gerade solche Überlegungen schließt Hegel aber durch seine geschichtsphilosophische Differenzierung von Antike und Moderne aus. Weder die Skulptur mit der Vermittlung des Göttlichen in der schönsten Gestalt (des Menschen) noch die reflexionsnäheren Vermittlungsformen Epos (in der romantischen Kunstform) und antike Tragödie können in der geänderten In den Vorlesungen bleibt der Hinweis auf den neuen Heiligen gleich und findet sich durchgängig. Schon in Hothos Nachschrift findet sich der Beleg, daß Hegel in der Bestimmung des Inhalts der Kunst, des Heiligen, ausdrücklich auf Goethe, und zwar auf die Geheimnisse, verweist: „Heilig, sagt Goethe, ist was den Menschen dem Menschen verbindet" [Hotho 1823. Ms. 198). — In der Interpretation findet sich dieser Hinweis zunächst bei O. Walzel (Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit, 99 f), dann bei O. Pöggeler (Dichtungstheorie und Toposforschung, 118) und schließlich in einem Essay von M. Donougho (Humanus heißt der Heilige).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
geschichtlichen Situation die Forderungen der „Menschheit und Freiheit" gegen die Entfremdung, die „Zerrissenheit" des modernen Zeitalters, durchsetzen. Diesen Sinn des Vergangenheitscharakters; den Vergangenheitscharakter des Ideals, entwickelt Hegel unter Berufung auf SCHILLERS Griechenlandgedichte. Interessanter als die Tatsache, daß er in diesem Zusammenhang auf die „protestantische" oder „freie" Kunst anspiele, die durch „keine Form und keinen Gehalt gebundene künstlerische Betrachtung" der Welt — wie es K. FISCHER und im Anschluß an ihn H. KUHN vermuten,^^ ist die Tatsache, daß Hegel auch hier wieder an seine frühen programmatischen Überlegungen anknüpft. Es geht nämlich um die Frage, wieweit ein Werk der Kunst weltgeschichtliches Handeln paradigmatisch darstellen und so zur Sittlichkeit aller führen könne. Die Kunst verliert diesen Zweck, Vernunft und Freiheit für alle zu befördern, nicht. Sie behält in der Aufgabe, die Vernunft zu realisieren zugleich ihre „gesellschaftliche" Dimension. Es wird aber geprüft, wieweit sie diesem Zweck ohne Rückgriff auf den religiösen Inhalt entsprechen kann und so in der Moderne die Funktion behalten oder vielmehr wiedergewinnen kann, die sie in der Antike erfüllte. Obwohl Hegel in der Durchführung der Interpretation diese Möglichkeit jeweils ausschließt, zeigt doch der Gang der Argumente, daß die Kunst der Moderne an diesem „Maßstab" nicht primär durch den Verlust ihres religiösen (womöglich gar des christlichen) Inhalts scheitert. Die geschichtliche Funktion der Kunst (ein „Werk") ist unrealisierbar, wird aber permanent als Kriterium für den Kunstcharakter einzelner Gebilde unterstellt. Gegenwärtig erweist sich 27 Der Kunst bleiben damit folgende Möglichkeiten: einmal die geschichtliche Funktion im Sinne der von Schiller definierten „sentimentalischen Kunst", damit müßte man aber die „Partialität" der Kunst akzeptieren. Die andere Möglichkeit wäre eine neue Verknüpfung von christlicher Religion und Kunst. Dies interpretieren z.B. Kuhn und vor ihm K. Fischer als die Konstitution einer „protestantischen oder freien Kunstform". Fischer: Hegels Lehen, Werke und Lehre. Bd 2. 863; H. Kuhn: Die Vollendung der klassischen deutschen Ästhetik durch Hegel. 133 f; dazu auch Kuhns Explikation: „Die Formel... 'Bildung zur Humanität' ist dem Verhältnis der christlichen Seele zu Gott gewichen"; und: mit dem Humanus als dem neuen Heiligen erreicht Hegel eine „alles verstehende, durch keine Form und keinen Gehalt gebundenen künstlerischen Betrachtung" (a.a.O. 135). Nach Hegel hat aber die Kunst im Kontext der christlichen Religion generell eine nur nebensächliche Bedeutung. Sie wird dem Zweck der Förderung der Andacht untergeordnet und diese Andacht, nicht die Kunst, gilt als eigentlich „subjektive Innerlichkeit". Kunst fungiert als Förderung der Andacht in der schönen Religion (im Katholizismus); wie unwesentlich und wie überholt ihre Vermittlung der Innerlichkeit insgesamt gesehen ist, zeigt sich am Protestantismus: die Funktion der Kunst ist entbehrlich. In den Vorlesungsnachschriften wird dieser Gedankengang unmißverständlich deutlich, d.h. die Rettung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst durch die Verknüpfung mit der Religion kann sich keinesfalls als Argumentation im Sinne Hegels ausweisen.
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die Kunst als „Werk" — bzw. scheitert am Werkanspruch, wenn man Hegel folgt — dadurch, daß sie die Möglichkeiten der geschichtlichen Humanität gegen die Zwänge der faktischen Situation thematisiert. Die Bestimmung ist zumindest durch das religiöse Vorurteil hinsichtlich des Christentums unvorbelastet, d.h. dieses macht sich allenfalls als ein Argument minderer — vor allem nicht ästhetisch-wertender — Bedeutung in der Ablehnung des Werkcharakters bemerkbar. Als eine solche Möglichkeit der Kunst, die zu ihrem Heiligen den Humanus macht, zu ihrem Zweck die Verwirklichung des Menschen in seiner Welt (die Realisation von Menschlichkeit in einer Welt humaner Bedingungen) erhebt, gelten bei Hegel beispielsweise die Idyllen und vorzüglich die Dramen SCHILLERS. Beider Bestimmung muß daraufhin geprüft werden, wieweit die Kunst in der Moderne gegen Hegels Festlegung ein „weltgeschichtliches Werk" sein kann. Die Auswahl der Beispiele erfolgt gegen Hegels Intention in der Ästhetik, denn für ihn bleibt die Religion unbestritten die „Zukunft" der Kunst, d.h. die Form des Geistes in Geschichte, die die Aufgabe der Kunst übernimmt. „Von der Kunst wird fortgeschritten zur Religion oder für die Religion ist die Kunst nur eine Seite"; und auf die Religion der Kunst folgt die Religion des Geistes. „Das ist dann der Grund, warum die Kunst nicht mehr dies absolute Interesse hat wie früher. Es ist der Protestantismus, der die Unangemessenheit des sinnlichen Elements stärker zum Bewußtsein gebracht hat" (Aachen 1826. Ms. 34, 35 f). Diese inhaltliche Festlegung formuliert Hegel dann in der zweiten Auflage der Enzyklopädie und im Anschluß an die Enzyklopädieüberarbeitung auch in der letzten Ästhetikvorlesung hinsichtlich ihrer systematischen Folgen. Hegel mag in Nürnberg und noch zu Beginn seiner Berliner Vorlesungen nichts dagegen einzuwenden gehabt haben, Religionsphilosophie und Ästhetik in derselben Vorlesung zu behandeln. Nun sieht er die Differenzen: ein Plus der Religion gegenüber der Kunst und eine weitere Einschränkung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst durch die Unfähigkeit, die Vorstellung der christlichen Religion faßlich zu machen. Auf jeden Fall aber bleiben in diesem grundlegenden Zusammenhang die Überlegungen zum Humanus als dem Heiligen der Kunst, mögen sie auch an die frühen Schriften anknüpfen, für Hegel systematisch irrelevant. Auch in der Verschärfung des „Systemgedankens" verknüpfen sich Kunst und Religion in der Weise, die seit der Phänomenologie eingespielt ist, als die Zuordnung bestimmter historischer Formen der Religion zu den entsprechenden Formen der Kunst. Die Argumente für die Vergangenheit der höchsten Bestimmung der Kunst gewinnt Hegel in diesem Zusammenhang aus der Analyse der christlichen Religion, die er in den frühen religionskritischen Überlegungen noch abgelehnt hatte, weil sie das reaktionäre Festhalten an eingespielten antiaufklärerischen Verhältnissen stützt. Selbst jetzt noch bleibt die Tatsache, daß sich die Wahrheiten dieser Religion nicht mehr adäquat durch die Kunst darstellen lassen, daß sie zur Auflösung der Kunst als der Vermitt-
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lungsweise des Geistes in der Geschichte nötigen, eines der zentralen Argumente der Ästhetik. Will man also die positiven Möglichkeiten der Inhaltsästhetik nicht aufgeben, dann muß man diese Konnexion in Rechnung stellen. Dennoch bleibt zu bedenken, ob nicht gerade durch die selbst nicht weiter legitimierte Auszeichnung einer bestimmten Religion eine voreilige Fixierung des Inhalts der Kunst und eine letztlich ungerechtfertigte Partialität ihrer geschichtlichen Bedeutung in Kauf genommen werden muß. In diesem Kontext verlieren Hegels eigene Überlegungen an Gewicht. Denn er befaßt sich durchaus auch mit den Werken, die sich explizit vom religiösen Inhalt gelöst haben und sich dennoch im Sinne seiner Definition der geschichtlichen Funktion der Kunst programmatisch der Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung verpflichten oder sich als solche Versuche interpretieren lassen. Dies gilt für alle Werke, deren Inhalt der „Humanus" ist und die Hegel nicht in der von ihm selbst ins Auge gefaßten und in seinen frühen Überlegungen angelegten Weise beurteilen kann, obwohl er sie auf dem Hintergrund der philosophischen Bestimmung als positive Möglichkeiten der Kunst der Moderne sehen könnte. Hegel verfällt scheinbar auf einen Kompromiß, der seiner Identifikation von Inhalt und Form nicht entspricht. Er lobt die formale Vollendung, kommt damit dem Interesse und Urteil seiner Zeitgenossen entgegen. Nach dem Beginn, den Sammlung und Ausstellungen der Brüder BOISSEREE machten, wird nämlich auch in Berlin zur Zeit Hegels die mittelalterliche Malerei und Kunst als wesentlicher Bestandteil der eigenen nationalen Geschichte wiederentdeckt. Auf der anderen Seite bezweifelt er den „Werkcharakter" und begründet diesen Zweifel durch den Kontrast zur geschichtlichen Wirkung des Kunstwerks in Antike und Moderne. Deshalb bieten sich diese Beispiele zur Überprüfung der Triftigkeit der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst geradezu an. Sie bringen den eindeutigsten Beleg für die Geschichtlichkeit wie die „Partialität" der Kunst. Die Endlichkeit des Kunstideals wird hier kunstimmanent deutlich und findet keine Revisionsmöglichkeit durch den Inhalt. Damit bestätigt sich für Hegel die Endgültigkeit seiner These vom Vergangenheitscharakter der Kunst. Für den Ansatz einer Kritik zeigt sich aber umgekehrt gerade hier, wie eindeutig die Einschränkung der Bedeutung der Kunst nicht allein von der Philosophiekonzeption, also von der Übernahme des Vernunftanspruchs der Aufklärung, abhängt, sondern von historischen Vorurteilen zugunsten bestimmter Konkretionen des Geistes in der Geschichte. Nur die Festlegung auf eine Religion, in der die Unendlichkeit und Absolutheit schon zur „Vorstellung" des Gottes geworden ist, liefert den Grund für die Behauptung, daß andere Gottesvorstellungen, andere Verknüpfungen von Mythologie und anschaulicher Vermittlung dem Vernunftanspruch nicht oder nur teilweise entsprechen. Da die Bestimmung der Leistungsfähigkeit der Philosophie, der Systemgedanke, sich bei Hegel immer in der Weise ,dconkretisiert", daß seine
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Plausibilität von der Auszeichnung bestimmter historischer Inhalte abhängt, wird beides zugleich fraglich. Die Auszeichnung bestimmter historischer „Gestalten des Geistes" kann nur Resultat einer kritischen Prüfung durch die Philosophie sein, nicht Resultat und Grund zugleich. Mit dem Verzicht auf die Begründung der Universalität der Kunst durch den Verweis auf vorab bestimmte historisch gegebene Inhalte, gewinnt man die Möglichkeit, die Synthese von Mythologie und Kunst überhaupt wieder in ihrer geschichtlichen Bedeutung zu analysieren. Die Argumentationsweise einer solchen Philosophie in Absicht, eine Philosophie der Kunst grundzulegen, fällt damit zwar auf einen methodischen Status zurück, der hinter Hegels Systemanspruch zurückbleibt. Gerade in der Frage nach der Bedeutung Hegelscher Argumente für die gegenwärtige philosophische Diskussion um die Ästhetik zeigt sich aber nur dann eine Möglichkeit, die Konzeption der Inhaltsästhetik beizubehalten bzw. zu reformulieren, wenn man auf die Inhalte verzichtet, die im Sinn ungeprüfter (weil „methodisch" vorab garantierter oder ausgezeichneter Festlegung) in die geschichtliche Bestimmung miteingehen. Die folgende Auswahl der Beispiele unterliegt einem eigenen Vorurteil, das vorab formuliert werden muß. Es ist die Vermutung, daß sich Hegel gegen die eigene Verpflichtung auf die Aufklärung, gegen die Übernahme der „Vernunftforderung" richtet, wenn er diese an bestimmte historische Entwicklungsformen der Vernunft, näherhin noch an eine bestimmte Religion bindet. Im Sinne der frühen Überlegungen müssen auch die geschichtlichen Verknüpfungen von Religion und Kunst der grundsätzlichen Überprüfbarkeit der — unvermeidbaren und anzustrebenden — Mythologisierung der Vernunftideen unterstellt werden, ünter dieser Voraussetzung ergibt sich aber, daß die Formen des geschichtlichen Geistes, in denen sich zur Zeit der „Herrschaft" der christlichen als der absoluten Religion andere Möglichkeiten des „Ästhetisch"- und „Mythologisch"-Werdens der Vernunft repräsentieren, nicht schon durch die Zufälligkeit des anderen Inhalts ausgeschlossen oder eingeschränkt werden müssen, wie es durch die Bestimmung der „romantischen Kunstform" geschieht. Hegel selbst stimmt zumindest vor der weiteren Äusbildung seines Systemgedankens mit dieser Überlegung überein; sie bildet nämlich den Hintergrund seiner ScHELLiNG-Kritik in den frühen Jenaer Überlegungen. Hier hatte Hegel sich gerade darum an der systematischen Konzeption SCHELLINGS gestoßen, weil SCHELLING den Fortschritt der Mythologie im Christentum (Katholizismus) als abgeschlossen ansieht. Sowohl Hegels damalige Differenzierung des Mythologiebegriffs und die darauf aufbauende systematische Konzeption der Ästhetik als auch Hegels Übergang zum Protestantismus als der nun endgültigen Form der Religion zeigen, daß er selbst auf eine „spekulative" Fixierung der Historie, hier der Mythologie und Kunst, nicht hinauswill. Sie unterläuft ihm also eher wider Willen und unbewußt durch die genannten Vorurteile, erscheint ihm
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subjektiv, bedingt durch die Vorurteile seiner Systemkonzeption aber keineswegs als revidierbar. Deshalb kann die Kritik an Hegel einerseits in den Vorwurf gefaßt werden, daß Hegel in der Ästhetik gegen die eigene Intention und gegen die vorurteilslose Interpretation des Phänomens eine Systematik übernimmt, die er bei SCHELLING mit guten Gründen kritisiert hatte und im ursprünglichen Plan des Systems der Philosophie nicht ins Auge faßte. Andererseits muß zugleich die Frage nach einer alternativen Begründung gestellt werden, die an die Stelle des Systems des absoluten Wissens zu setzen wäre, um im Sinne Hegels eine philosophische Ästhetik als Reflexion auf die Geschichtlichkeit der Kunst durchführen zu können. Beide Anliegen lassen sich anhand der im folgenden angeführten Beispiele verfolgen. Gerade die Kunstwerke, deren Inhalt der „Humanus“ ist, thematisieren die Verknüpfung von Mythologie (im Sinne der kulturvarianten Vieltanschauung) und schöner Gestalt als den geschichtlichen Sinn der Kunst. Jeder mögliche, jeder in historischen Kulturen schon einmal wirkmächtige Versuch, eine Weltanschauung und damit zugleich Tradition durch Kunst zu stiften, wird hier zum Inhalt der Kunst, d.h. er wird dem Zweck der Humanisierung der Welt unterstellt. Insofern entsprechen diese Versuche formal Schillers Bestimmung der elysischen Idylle: der Thematisierung des Humanitätsideals durch den Blick zurück oder auf Fremdes und durch die darin implizierte Zukunftsperspektive. Die Gegenläufigkeit von ästhetischem Urteil über formale Vollendung und aletiologischem Urteil über den zureichenden Wahrheitsgehalt, die Hegel bei der Kunst christlichen Inhalts konstatiert und zuläßt — „beginnt die schöne Kunst, so verderbt sie die Religion" (Hot ho 1823. Ms. 164) —, fällt hier weg. Schöne Gestalt verdrängt nicht den „Ernst der Andacht" und richtet das Interesse allein auf den „sinnlichen Schein des Innen" (ebd.), sondern sie vermittelt eine Anschauung, einen Vollzug der Welt im Kontrast zum faktischen Weltvollzug. Für Hegel sind diese Gestalten aber nur noch schön, sie entsprechen der geschichtlichen Aufgabe der Kunst nicht wie die Werke „großen Inhalts". Damit sind die Werke, deren Inhalt der Humanus ist, die eigentlich problematischen Werke-, denn während die religiös gebundene Kunst ohne weiteres auf die Ästhetizität Verzicht leisten kann, weil ihre Wahrheit durch die Vorstellung, durch die Gottesidee, garantiert ist, zeigt sich an ihnen der Leerlauf „nur noch schöner" Gebilde. Hier fallen die beiden Varianten des Klassizismus: des ästhetischen Vorurteils und der Exemplarizität, auseinander. Denn die Schönheit dieser Werke ist unbestritten, die geschichtliche Funktion aber eingeschränkt. So zeigt sich nicht nur, daß für Hegels Ästhetik offensichtlich die geschichtliche Funktion die primäre Orientierung des ästhetischen Urteils ausmacht, sondern zugleich, daß ein weiteres, gravierenderes Vorurteil als der Klassizismus, nämlich die Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung der christlichen Religion, die eigentlichen Aporien verursacht.
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Ein Vorteil der Analyse von Hegels philosophischer Charakteristik der Werke humanen Inhalts liegt zudem darin, daß in ihnen weltgeschichtliches Handeln, Handlungsorientierung zum Gehalt wie Zweck der Kunst erhoben wird. Kunst wie Künstler übernehmen die „positive Variante" des Klassizismus, die Bestimmung der gesellschaftlich-geschichtlichen Bedeutung der Kunst als Intention der eigenen Gestaltung, und Hegel erkennt dies auch jeweils an. Sie verwirklichen diese Intention in „schönen" Werken, so daß auch die Kritik im Sinne des klassizistischen Vorurteils hier nicht ins Gewicht fällt. Und dennoch erörtert Hegel gerade an ihnen, wie Intention und faktische Wirksamkeit sich trotz der Anerkennung ästhetischer Qualität widersprechen. Hier muß an Inhalt wie Form geprüft werden, wieweit sie der geschichtlichen Funktion entsprechen könnten, sobald Hegels „Vorurteil" hinsichtlich des Inhalts aufgegeben wird. Damit ist auch die weitergehende Begründungspflicht übernommen, nämlich zu zeigen, daß und wie Hegel bei Kunstwerken nicht religiösen Inhalts seine geschichtliche Bestimmung der Kunst grundsätzlich aufrechterhält, d.h. zum Maßstab der Kritik erhebt, und de facto einschränkt, weil das Phänomen den Kriterien nicht genügt. Wie bei der Diskussion der Grundthesen muß auch hier die Frage anschließen, ob die Einschränkung der geschichtlichen Bedeutung sich aus dem behandelten Kunstwerk selbst ergibt oder nur aus der vorausgehenden Konzeption der Philosophie hergeleitet werden kann. Läßt sich die hier formulierte Hypothese bestätigen, daß die Kritik und faktische Einschränkung der Bedeutung der Kunstwerke nur an Hegels inhaltlichen Vorurteilen hängt, besonders dem der geschichtlichen Bedeutung der christlichen Religion, aber auch dem der Bestimmung des weltgeschichtlichen Handelns durch die Rechtsphilosophie, die ebenfalls mit der Enzyklopädie von 1827 für die Ästhetik verbindlich festgelegt wird, dann verliert Hegels These vom Ende der Kunst automatisch ihre Gültigkeit. Denn dann zeigen sich die Kunstwerke der Moderne als Handlungsorientierung im Sinne der frühen Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst, die Hegel in der Auseinandersetzung mit SCHILLER gewonnen hat.
3.3.2 Hegels Kritik der modernen Idylle Hegel überlegt anläßlich verschiedener Idyllendichtungen ob es, durch die Kunst vermittelt, ein Bild der Welt geben könne, das in Konfrontation mit der Realität deren „bessere Möglichkeit" aufwiese, oder ob es sich bei diesem Bild der Welt, bei dem Entwurf der Welt, wie sie sein sollte, nur noch um eine durch den „schönen Schein" realisierte Täuschung über die Welt handele. Letzteres konstatiert er eindeutig sowohl für die arkadische Idylle wie für deren Wiederbelebung durch die zeitgenössischen Idyllendichtung.
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Bezeichnenderweise ist auch die Idyllenproblematik für Hegel kein ausschließliches Thema der Kunst der Moderne, sondern er entwickelt im Anschluß an HERDER eine Entgegensetzung von antiker und moderner Idylle, die wieder zur geschichtlichen Beurteilung der Moderne auf dem Hintergrund der antiken Vollendung führt. HOMER stellt den idyllischen Zustand dar, aber eine Idylle höherer Art, in der die Heroen sich ihre Welt selbst einrichten {Aachen 1826. Ms. 71). Es geht nicht um Naturunmittelbarkeit, sondern um die Bewältigung der Natur, um die Einrichtung einer menschlichen Welt, zu der die „Freudigkeit" an jenem Besitz gehört, der das unmittelbare „Werk ihrer Hände" ist {Kehler 1826. Ms. 110).Hegel konstatiert zwar verallgemeinernd, daß in der modernen Dichtung das Epos „idyllisch" geworden sei, wiederholt hier aber lediglich seine Kritik der Jenaer Überlegungen, die die gegen SCHELLINGS Danfe-Aufsatz vorgebrachten Gründe für die Unmöglichkeit des modernen Epos in der Form der Idyllenkritik wiederholen. Die Idylle im engeren Sinn kann man — nach Hegel — nicht als Kunst ansehen, die dem HoMERischen Epos in irgendeiner Weise nahekäme; sie erscheint im Gegenteil als das Gegenbild zur Einrichtung einer Welt und zur Tradition der hierfür wesentlichen Schritte in der Kunst. Denn an die Stelle der heroischen Einrichtung einer Welt zum Staat, an die Stelle der Institutionalisierung des gemeinsamen Handelns aus der Naturbewältigung, tritt hier die umgekehrte Tendenz: die Weltflucht in eine Natur, die in ihrer vermeintlichen Ursprünglichkeit die Zerrissenheit nicht aufhebt, sondern verdrängt. Im Bild der Welt tritt eine bloße Illusion über die Welt an die Stelle der Wirklichkeit (ersetzt Fiktion die Wahrheit). Dies erfüllt Hegels Vorbehalt, daß es der Kunst überhaupt um eine nur geträumte Welt gehen könne, daß sie also das weltgeschichtliche Handeln gar nicht mehr zu diesem Zweck erheben könne. Bezeichnenderweise wiederholt Hegel in der Ästhetik seine frühere Kritik Herder verweist in seiner Abhandlung Über die neuere deutsche Literatur darauf, daß gegenüber der griechischen Idyllendichtung die neuere lediglich eine „schöne Grille" sei. Die vollkommene goldene Zeit gibt es nur „im seligen Elysium der Götter und ihrer Jugend in der Welt, wo die Helden lebten". In diesem Sinn gilt auch für Hegel die Heroenzeit als die vollendete Idylle, die vollkommene Harmonie des Menschen und der Welt, von der schon „Arkadien" ein Abfall ist (getreu nach Herder). Die Schäfergedichte werden „zur Tändeley" {Aachen 1826. Ms. 115). — G. Kaiser {Wandrer und Idylle. 25,43) weist auf Goethes und Herders Idyllenkritik hin, die bei Hegel in der Kritik an Voß mündet. Voßens Luise feiert die Einfachheit des Landlebens bei raffinierten Genußmitteln (Kaffee, Tee, Tabak, Branntwein; Ästh. II, 1. 329), während das Leben der Heroen wahrhaft einfach, wahrhaft natürlich ist. Sie gewinnen ihre Lebensmittel unmittelbar der Natur ab. Hier geht es Hegel nicht um die natürlichere Natürlichkeit, sondern um die Ursprünglichkeit der Weltgestaltung, die der modernen Idylle verlorengeht. Vgl. die Kritik im Zusammenhang Ästh. I, 1. 333 f, 342 II, 1. 325 ff; zur Entgegensetzung des heutigen „Maschinenwesens“ des Staates zum Heroenzeitalter: Ästh. I, 2. 414 f.
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der Idylle (vgl. schon Nohl. 11) bzw. der Naturpoesie.„Man glaubt der Idyllenzustand sei der meist idealische, weil die Entzweiung von Mensch und Natur darin nicht vorhanden ist. Das Mangelhafte dieser Idyllen — vor allem der GsssNERschen — liegt in der Überbetonung der Äußerlichkeit und der Bedürftigkeit der „einfachen und unschuldigen Empfindungen" {]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 72, 150). Auf dieser Grundlage wird also die „elysische Idylle", das Ziel der idealischen Dichtung, nicht erreichbar. Ebensowenig wie diese Fiktion der Naturunmittelbarkeit kann Hegel aber die Re-Mythologisierungsversuche akzeptieren, die sich in der Wiederbelebung der Volkspoesie oder des griechischen Epos anbahnen. Er selbst hat zwar gerade in der Erweiterung der Konzeption der symbolischen Kunstform auf Überlegungen zurückgegriffen, die im Alien Testament die ürform einer Volkspoesie festhielten und, von da ausgehend, die Bestrebungen begründeten, in der Poesie der Völker die ausgezeichnete Tradition ihrer Religion und Weltanschauung zu sehen. Aber ihm geht es nicht wie HERDER um eine Volkspoesie, sondern er sieht auch hier das Problem, daß die Grundlagen der eigenen Volksgedichte und Lieder — selbst wo sie von den Klassikern aufgegriffen werden — zu „dürftig" sind, den Geist des Volkes und gar noch den der Moderne zu fassen und zu tradieren, Vgl. dazu Goethes Geßner-Rezension in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Auch hier spielt der Gegensatz von heroischem Urständ des selbstbewußten Individuums und dessen Verballhornung in den Idyllen deutscher Herkunft eine zentrale Rolle. Was Voß literarisch brandmarkt, daß beispielsweise in den Idyllen Maler-Müllers die Annäherung an die Lebens- und Erscheinungsweise deutscher Bauern (die Satyrn und Faunen tragen die Zipfelmütze der rheinischen Bauern) den Sinn der Idylle zerstört, das kritisiert Goethe generell. — Zur Auszeichnung der griechischen Jdylle" vgl. auch Goethes Verweis auf die Laokoon-Gruppe des Vatikan als „tragische Idylle" (Über Laokoon. (Propyläen 1798); HA 12. 59). — Zur Kritik an Voß und Geßner, dessen Idyllen aus den sämtlichen Schriften (2. Band. Karlsruh 1775) Hegel besaß, vgl. Asth.1,1. 245; II, 1. 240. Es heißt dort, man könne in diesen vielgelesenen Schriften nicht zu Hause sein (Asth.1,1. 333), denn die „beschränkte Lebensart" setzt „einen Mangel in der Entwicklung des Geistes voraus" (Asth. II, 1. 325 f), ein Ausblenden der realen geschichtlichen Welt zugunsten einer Scheinwelt (so gegen Voßens Luise; Asth. I, 1. 329). Hier ist die „in den mächtigen Verhältnissen tiefbewegte Welt bloß ignorirt". Im Anschluß an Herder ließe sich in den Hirtenbildern des Alten Testaments eine Idylle sehen. Hegel greift dies in seiner Bestimmung der orientalischen Poesie nicht auf, obwohl er seine Bestimmung der symbolischen Kunstform um diese Dimension der orientalischen Poesie bereichert und wie Herder auf die verschiedenen literarischen Gattungen der orientalischen Poesie hinweist. Auch gilt ihm Herder als „der erste, vielleicht der einzige", der das AT ästhetisch aufgefaßt hat (Nohl. 231). Auch Goethe erwähnt in Dichtung und Wahrheit jüdische Schäfergedichte nach Motiven des AT. — In den Vorlesungsnachschriften (z.B. Kehler 1826. Ms. 166) findet sich ein Hinweis, daß auch Hegel das AT „ästhetisch" auffaßt, nämlich als erste Begrenzung,
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In solchen Überlegungen bleibt trotz der Idyllenkritik die Intention erhalten, die SCHILLER in der Konzeption der „großen" bzw. „elysischen" Idylle oder der idealischen Dichtung realisieren wollte. Auch in der Vergegenwärtigung der eigenen Geschichte in der Kunst geht es um eine Re-Mythologisierung, die nicht allein zum Verständnis der eigenen geistigen Herkunft, sondern auch zur Orientierung des zukunftsgestaltenden Handelns taugen soll. Nun gibt es für Hegel keine sinnvollen Versuche solcher Re-Mythologisierung. Diejenigen, die an das antike Epos anknüpfen — wie KLOPSTOCK —, lassen allenfalls die „Wehmut über den Untergang des Klassischen" aufkommen {Kehler 1826. Ms. 261). Denn weder erscheint der Dichter als der „Sänger" oder „Sprecher" eines Volkes, noch stiftet er die Inhalte der Mythologie. Hegel zitiert GOETHES KcoPSTOCKkritik, er sieht die Wiederbelebung der nordischen Mythologie als Konstrukt an, durch das die ohnehin bekannte Geschichte noch einmal in der Dichtung vorgebracht wird.^i Wenn Hegel in diesem Kontext die orientalische Poesie als mögliche Alternative anführt, dann bedeutet auch das nicht, daß er die Versuche der Romantiker aufgenommen hätte. Er spart z.B. nicht mit Kritik an den Versuchen der Brüder Befestigung des Absoluten gegen das undifferenziert Mannigfaltige: „es ist damit die Prosa gesetzt". — Vgl. dazu generell N. Himmelmann: Über Hirten-Genre. 25, 28, 29. — Die „Mattigkeit", die Hotho verbunden mit der „Süßlichkeit" (eine Kritik, die er auch gegen die Düsseldorfer Malerschule geltend macht) Geßners Idyllen vorhält, erwähnt Hegel in den Vorlesungen bei der Charakteristik der Schäferlieder {Aachen 1826. Ms. 118); die Lieder weisen insgesamt auf ein Gemüt, „das sich noch nicht expandieren kann, eine Stumpfheit, die in sich concentrirt ist" {Aachen 1826. Ms. 79 f). Hier muß Hegel auch Goethes Vorliebe für des Knaben Wunderhorn und sein „Schäfers Klagelied" erwähnt haben: „In Scenen, wo ungebildete Menschen spielen, haben diese Gefühle ihren Platz" (dazu Äslh. I, 1. 373; vgl. die Edition der Abschrift Hegels von Goethes „Schäfers Klagelied": Hegel-Studien. 19 (1978), 77 f). Auch Goethes „vortrefflichen" Gedichten dieser Art wird in den Vorlesungen, eindeutiger als aus der Formulierung Hothos ersichtlich, nur ein beschränkter Sinn zugestanden. Die Möglichkeit, ein modernes Epos zu schreiben, das an die eigenen geschichtlichen Grundlagen anknüpft, lehnt Hegel mit den gleichen Argumenten wie früher auch hier ab. Nibelungenlied und deutsche Freiheit sind nicht die möglichen Vorbilder der Moderne, obwohl sie zu den „Büchern der Nationen" gehören, in denen sich deren Geist manifestiert hat. Die nordische Mythologie, die Klopstock erneuern will, ist „wie die altdeutsche Geschichtlichkeit ebenso abgeschnitten" {Aachen 1826. Ms. 74). — Zum Folgenden: Auch bei der Betrachtung der orientalischen Mythologie erhält Hegel seine Polemik gegen den Orientalischen „Mystizismus" aufrecht, näherhin gegen dessen moderne Version: das „spekulative Gefühl" {Dok. 338). Auf Hegels Quellen weist bes. E. Schulin hin; Hegels Zugang zum Orient ist abhängig von Herder {Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients, 25 f, vgl. 22,101 f). Überhaupt schuf Herder „die Atmosphäre, in der die Romantik Indien sah", und Hegel greift in diesem Sinne die Versuche Schlegels, Novalis', Görres' und Creuzers auf, um sie seiner eigenen Konzeption unterzuordnen.
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und der Grundtenor der Ablehnung ist der, daß in dieser Poesie, wie in der orientalischen Mythologie überhaupt, „noch keine Geschichte" enthalten sei.^^ Dadurch bringe sie eine mögliche und sinnvolle Einheit von Mythologie und Poesie hervor, erscheine aber zugleich hinsichtlich ihres Vorbildcharakters für die Dichtung der Moderne als fragwürdig. Der aufschlußreichste Anhaltspunkt für diese Kritik liegt natürlich in der Auseinandersetzung mit GOETHES Divan, der den zeitgenössischen Versuchen darum überlegen ist, weil er die Welterfahrung fremder Völker in die der Moderne zu übersetzen und vergessene Dimensionen der Erfahrung (besonders der Sinnlichkeit) wiederzubeleben weiß. Auf den West-östlichen Divan verweist Hegel, um die Wiederholung der symbolischen Kunst auf dem Boden der romantischen Kunstform nicht nur formal, sondern inhaltlich zu dokumentieren. Hier kann es ihm aber nicht um eine sinnvolle Weise der Vermittlung des geschichtlichen Selbstbewußtseins durch die Kunst gehen, denn die beiden Kunstformen kommen gerade in ihren Dekadenz-Formen überein. „Mythen enthalten noch keine Geschichte" {Phil. d. Weltgesch. Bd 2. 267), und die romantische Poesie enthält keine Geschichte mehr, d.h. sie setzt an die Stelle der Geschichte eine „geträumte", mythische Welt. Auch hier zeigt sich die Diskrepanz von ästhetischer und grundsätzlicher Einschätzung. Hegel ästimiert den Divan als das Höchste und Herrlichste, was die Poesie geleistet hat {Aachen 1826. Ms. 191; Kehler 1826. Ms. 377), attestiert ihm, daß hier der ganze Reichtum des Gemüts zum Ausdruck komme, vermißt aber dennoch die geschichtskonstitutive Komponente der sittlichen Tat des antiken Dramas. Die Darstellung „wird wieder Symbol" {Aachen 1826. Ms. 30), aber auf dem Boden der Subjektivität, nicht der Substanz. War es GOETHE bereits gelungen, die griechische Welt mit der modernen Auffassung zu versöhnen, wie Hegel an seiner Iphigenie zeigt, so gelingt es ihm auch im Dipan wieder, eine „Empfänglichkeit" hervorzurufen, die es ermöglicht, „auch Werke von anderen fremden, auch entfernteren Nationen zu geniessen" {Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 7). Was hier erreicht wird, charakterisiert Hegel in der letzten Vorlesung aber sogleich anschließend als SCHLEGEL,
Von dieser Auseinandersetzung zeugt Hegels Humboldt-Rezension, vgl. auch Br. 3. 84 f, Goethes Divan (1819), seine Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans (1827) haben Hegel nachhaltig beschäftigt. Schulin weist auf weitere Quellen hin: Platen (G/iflse/rn; 1821), F. Rückert {östliche Rosen; 1822). Vgl. dazu Schulin, a.a.O. 116, 119; zum Divan Phil, der Religion. 2. 189; 4. 132; Bert. Sehr. 731. Sicher hat auch der mit Hegel freundschaftlich verbundene Dichter Stieglitz einigen Einfluß auf Hegels Orientinteresse gehabt; für dessen Bilder des Orients {1831) hat sich Hegel interessiert; ßer. Nr. 539, S. 357, Nr. 564, S. 382. Stieglitz ist auch im Musen-Almanach auf das Jahr 1830 vertreten, in dem Goethe seine grundsätzliche „Aktualisierung" des Orients für die westliche Welt einigen Versuchen orientalisierender Dichtung voranschickt.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
die Fähigkeit, „individuelle Kunstwerke ästhetisch" zu „würdigen" unter Beachtung der historischen Kenntnis und der Technik. In der Beurteilung des Divan zeigt sich also eindeutig Hegels Trennung zwischen einer bloß ästhetischen Beurteilung und der geistesgeschichtlichen Bedeutung der Kunstwerke. Dies wird durch die verschiedene Behandlungsweise der Dirandichtung in den beiden letzten Vorlesungen von 1826 und 1828/29 eindeutig belegt. Im Sommer 1826 setzt Hegel die Behandlung des Divan an den Schluß der symbolischen Kunstform, um GOETHES kosmopolitisches Interesse zu würdigen. Der Divan ermöglicht ein „Hineindenken in fremde Sitten" (Aachen 1826. Ms. 75), er leistet eine lebendige Vermittlung der fremden Kultur für die europäische. Diese Vermittlungsleistung quittiert Hegel dann mit einem emphatischen ästhetischen Werturteil, nämlich der Aussage, GOETHE habe hier „poetisch das Höchste" geleistet.Die letzte Vorlesung enthält zugleich mit der Behandlung des Divan im Kontext der romantischen Kunstform eine modifizierte Gewichtung. Hegel behält die geistesgeschichtliche Charakteristik des GoETHEschen Anliegens im wesentlichen bei, auch die damit verknüpfte ästhetische Bewertung, aber er bezweifelt nun, ob dies Anliegen wirklich durchführbar ist. Hier zeigt sich übrigens exemplarisch, daß sich Hegels Einführung der rigideren Systemfassung aus der Enzyklopädie\on 1827 zur Begründung der Vorlesung bis in die Behandlung der Beispiele auswirkt. Hegel konnotiert nämlich nun seine ästhetische Würdigung mit der Skepsis, daß der Divan ebensowenig wie die „Lieder der Völker" lebendig nachvollzogen werden könne. In den beiden bekannten Vorlesungsnachschriften (von LIBELT und HEIMANN) wird die letzte Schärfe der Konsequenz (die Einschränkung der Gegenwartsbedeutung der Kunst) nicht faßbar. Dennoch neigt Hegel nun nicht mehr wie 1826 dazu, diese Einschränkung wenn nicht aufzuheben, so doch hintanzustellen (beides übrigens aus reiner Systemkonsequenz). An anderer Stelle wird dieser Sachverhalt eindeutiger formuliert, gilt aber auch hier. Wo die ästhetische Würdi-
gung nicht mit der inhaltlichen Wahrheitsvermittlung übereinkommt, kann die Kunst nur zu „formaler Vollendung" gelangen. GOETHES Dioon als
die höchste poetische Möglichkeit der geschichtlichen Aneignung des Fremden und Entfernten kann keine dem Vernunftbedürfnis entsprechende Funktion der Kunst garantieren, weil zur formalen Vollendung die inhaltliche Beliebigkeit, der individuelle Genuß des Lebens tritt. Aus der Druckfassung der Ästhetik wird dieser gesamte Zusammenhang nicht ersichtlich, denn Hotho verknüpft das ästhetische Urteil mit Goethes Faust. Vgl. zur Analyse A. Gethmann-S'iefert/B. Stemmrich-Köhler: Faust: die „absolute philosophische Tragödie“ — und die „gesellschaftliche Artigkeit" des West-östlichen Divan. In diesem Aufsatz werden vor allem die Vorlesungsnachschriften von 1826 berücksichtigt, weil Hegel in dieser Vorlesung die positivste Einstellung zur orientalischen Welt zum Ausdruck bringt.
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Hier legt sich die Frage nahe, ob Hegel nicht doch nur in jenen Versuchen der Re-Mythologisierung einen Sinn sehen kann, die sich auf die antike Mythologie und Kunst berufen. Er begründet beispielsweise seine relativ kurze Behandlung der klassischen Kunstform in diesem Sinn {Marb. Bibi. 1826. Ms. 43a). Versuche, die Mythologie der Griechen in der Moderne wiederzubeleben, genössen dann also den größten Kredit, zumal Hegel eher in der Geschichte, die an das „goldene Alter", an die griechische (und bedingtermaßen auch noch die römische) Geschichte anschließt, die Vorgeschichte der „jetzigen Zustände", der Bemühung um die Erhaltung der politischen Selbständigkeit (Aachen 1826. Ms. 74) vermutet. Während die germanische und nordische Mythologie und auch die „alt-teutsche Geschichtlichkeit" von dieser auf der Freiheitsidee basierenden Bemühung um einen Staat „abgeschnitten" sind, möchte die antike Sittlichkeit, wie sie die Kunst vermittelt, eher als etwas „der Nation Einheimisches" und „Verständliches" erscheinen. Mag das Lob der Iphigenie solche Wiedererinnerung an die griechische Mythologie nahelegen, möchte Hegel dadurch in die Nähe zu SCHILLERS Konzeption der großen Idylle geraten, zumindest ein Beispiel belegt das genaue Gegenteil. An HöLDERLIN zeigt Hegel, wie der Versuch, die griechische Sittlichkeit zur modernen zu erheben, den Vorbildcharakter des Griechischen in einer Weise gestaltet, die Hegel trotz seiner eigenen Berufung auf das griechische Vorbild nicht mitvollziehen kann. Er entscheidet die Frage negativ, ob es für die Gegenwart und für die besondere geschichtlich-kulturelle Situation der Deutschen eine Kunst geben könne, die wie im Griechentum ein Bewußtsein und eine Orientierung im gesellschaftlichen Handeln eröffnet. Während er sich in diesem Zusammenhang mit den Versuchen vieler, heute kaum noch dem Namen nach bekannter Dichter auseinandersetzt, werden HöLDERLIN und die romantische Poesie unter dieser Perspektive gar nicht erst berücksichtigt, weil es eo ipso klar ist, daß die Kunst der Romantik diese Aufgabe nicht übernehmen kann und will. An die Stelle dessen, was im Griechentum Stiftung einer Religion durch die Kunst hieß, tritt in der Romantik die (von Hegel beklagte) Bigotterie, eine unreflektierte mystifizierende Rückkehr zum Katholizismus.Dadurch wird die Bedeutung der Religion auf eine überwundene Stufe festgelegt, und dies nicht einmal in dem Sinn, daß es wieder eine „schöne Religion" als Resultat der Kunst geben kann. Daß HöLDERLINS Dichtung ebenfalls in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt wird, ja, daß die Ästhetikden Freund und den Sänger Griechenlands nicht erwähnt, wirft man Hegel oft als persönliche Abkehr von HöLDERLIN vor. Es mag aber einen mehr als persönlichen Grund geben, HöLDERLIN nicht mehr als Beispiel für eine analog der „großen Idylle" HOMERS ZU entwickelnde „moderne Idylle", ein modernes Epos, heranzuziehen. Denn HöLDERLINS perHegel wiederholt hier zwar lediglich Goethes Urteil, begründet die Triftigkeit dieser Kritik aber mit seiner eigenen Religionskonzeption.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
sönliches Schicksal erscheint — bedenkt man Hegels später in der Kritik der ScHiLLERschen Dramen entwickelte Konzeption des modernen Dramas — in dem Sinn symptomatisch, als sein Plan einer Wiederbelebung Griechenlands, einer Wiederentdeckung der Kunst zu ihrer universalen kulturellen Funktion, an der geänderten Situation der „Moderne" zunichte wird. Hölderlins
Schicksal ist das Schicksal des modernen Individuums, das sich in der Weise der griechischen Heroen anmaßi, durch die geschichiskonstitutive Tat hierdurch eine neue Poesie — die Zeit zu ändern. Die Simplizität des großen
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Gemüts, der geplanten großen geschichtlichen Tat kann der differenzierten Situation nicht Rechnung tragen und mit der Möglichkeit, sein poetisches Programm zu realisieren, scheitert auch der „Sänger" Griechenlands. Das Schicksal seiner Dichtung wird sein persönliches Geschick. Die Re-Mythologisierung als Möglichkeit der Kunst, deren Inhalt der Humanus, der sich geschichtlich entwickelnde Mensch und sein Welt Verhältnis, ist, kann Hegel für die Moderne nicht in der Weise akzeptieren, daß hier die Menschheitsgeschichte überhaupt in der Kunst für alle und allen unmittelbar faßlich vermittelt würde. Dies wäre der vertretbare Sinn einer „Idylle", einer rückwärts gewandten Orientierung zum Zweck der Selbstverständigung über die eigene geschichtliche Situation und Zukunft. Hegel konstatiert bei diesen Versuchen jeweils den gegenteiligen Effekt: die Mythologie bleibt auf diese Weise fremd, wird nur durch die „abstrakte Reflexion" zugänglich, nicht im lebendigen Vollzug. Als Sache der „Gelehrten" verliert sie die universale Wirkung, die sie haben müßte, sollte sie als umfassende geschichtliche Funktion der Kunst, als Wahrheitsvermittlung in der Überlieferung einer verbindlichen, verbindenden Anschauung der Welt und ihrer Bearbeitung im Handeln gelten. Was für die Mythologie der Griechen gilt, macht Hegel a fortiori gegen jene Mythologien geltend, die im Kern „ungeschichtlich" sind. Bleibt nämlich die Ausbildung einer poetischen Mythologie nur auf dem „Umweg der Gelehrsamkeit" erreichbar, so kann das Kunstwerk nicht in der ihm zugeschriebenen Weise wirken. Es müßte die Welt eines Volkes, einer Nation sich selbst durchsichtig machen, sie stiften und tradieren. Vorausgesetzt ist dabei, daß es eine „Bildungsstufe trifft, die wir noch haben" (Aachen 1826. Ms. 196), und dies trifft für die hier genannten Versuche nicht zu. Hier wird die Vergangenheit, hier wird das Fremde distanziert vermittelt, das Kunstwerk aber „ist bestimmt, unmittelbar genossen zu werden ... die Zuschauer haben das Recht, zu fordern, daß es ihnen präsent sey; sie sollen nicht als Gelehrte dabey seyn" (a.a.O. 75 f). Durch diese Überlegungen schließt Hegel eine wichtige Möglichkeit seines Ansatzes der Frage nach der Kunst der „Moderne", nach der möglichen Akzeptation des „Humanus" als des Inhaltes der Kunst aus. Denn eine durchaus vertretbare Konsequenz der geschichtlichen Situation, des geistigen Klimas nach der Aufklärung und auch der früheren Forderung nach einer Mythologie der Vernunft wäre die, eine Kulturvarianz der Unternehmungen
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anzuerkennen, die die Vernunftideen eor der diskursiven Sicherung für alle anschaulich gestalten. An die Stelle der These vom Ende der Kunst träte dann die, daß in der Kunst eine zwar nicht einschränkhare, aber überprüf ungshedürftige Mannigfaltigkeit von geschichtlichen Versuchen gegeben ist und sein wird, Wahrheit und Wahrheitserfassung zu vermitteln. Fällt die Orientierungsfunktion einer Mythologie der Vernunft für das geschichtliche Wirken der Kunst aus, dann bleibt immerhin die Möglichkeit des bewußten Mythologieverzichts erhalten. Auch hieran erörtert Hegel die Möglichkeit der modernen Idylle, der Vermittlung eines Bildes der Welt, zum Zwecke der geschichtlichen Selbstvergewisserung. Der Blick auf die Resultate des eigenen Schaffens und geschichtlichen Handelns wird — verklärt durch die Schönheit — zum Blick auf eine Welt, die gegenüber der Zerrissenheit der Verhältnisse „utopischen" Charakter trägt. Auch hier differenziert Hegel noch nach gelungenen und nicht gelungenen Versuchen. Der bloße Zugriff auf „Stoffe aus unserer Zeit" sichert zwar die Verständlichkeit, reduziert aber zugleich die Wirkung der Kunst auf die Banalität des nur noch Alltäglichen. Negative Beispiele dieser Art findet Hegel in KOTZEBUES und IFFLANDS Stücken.35 Daneben finden sich Versuche, die Hegels eigene, in den Ästhetikvorlesungen entwickelte Bestimmung des „Geschichtlichen" aufgreifen und ihr entsprechen. Hegel wiederholt diese Bestimmung der Funktion der Kunst im Griechentum nämlich hier für die Kunst generell. Das Geschichtliche kann abstrakt als ein Wahres, aber Gewesenes aufgefaßt werden; „dies Geschichtliche kann uns näher berühren, oder nicht. Es ist nur dann das Unsere, nicht wenn wir selbst es gethan haben, sondern wenn es die Nation gethan hat, der wir angehören, wenn es im Zusammenhang steht mit unserem Zustande, wenn dieses als Resultat desselben angesehen werden kann" {Aachen 1826. Ms. 73 f). Werke in diesem Sinn einer Repräsentation der geschichtlichen Leistung und des geschichtlichen Geistes einer Nation diskutiert Hegel anhand der Malerei der Niederländer und in GOETHES Idylle Hermann und Dorothea. Beide kommen darin überein, daß sie das geschicht-
35 Die Kritik Kotzebues wiederholt Hegels frühe Vorwürfe, nun aber unter der Prämisse, daß sich das hier verfehlte poetische Programm für die Moderne auch nicht erfüllen lasse. Zu Kotzebue und Iffland vgl. Asth.11,1. 203, 337. In den Nachschriften findet sich vor allem der Hinweis, daß hier der „Nationaldichter" zwar die „Umgebung, die zur Gestalt des Ideals gehört", seinem „Volk verständlich" darbiete {Kehler 1826. Ms. 112), daß aber vom Ideal nichts übrigbleibe. Es versinkt in Alltäglichkeit und Äußerlichkeit, ihm fehlt das Wahrhafte {Aachen 1826. Ms. 78; zu Kotzebue; 209 zu Iffland). Hotho zieht diese Charakteristik zusammen: Kotzebue und Iffland konterfeien das „Tagesleben ihrer Zeit in den prosaischen engeren Beziehungen, mit wenig Sinn für die eigentliche Poesie", und zwar „der eine mit oberflächlicher Raschheit der Auffassung und Produktion, der Andere mit ernsthafter Genauigkeit und spießbürgerlicher Moralität" {Ästh. II, 2. 221).
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liehe Handeln thematisieren; einmal als Leistung der Weltbewältigung durch Arbeit, die sich an der Verklärung der Gegenstände des Bürgerfleißes durch Schönheit dokumentiert, das andere Mal durch die Gestaltung einer in sich geschlossenen harmonischen Welt inmitten der Wirren der Revolution. Beide in der Kunst repräsentierten Handlungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie dem modernen Menschen in Intention und Wirkung unmittelbar präsent sein können, weil sie den Ausdruck für etwas finden, was er selbst im Zusammenhang seiner Gesellschaft, seiner Nation getan oder geleistet haben könnte. Sie erfüllen also den Sinn der Geschichtlichkeit der Kunst in der Moderne. Das moderne Epos, der Roman, findet seine größte Entsprechung zum antiken Vorbild eben in der Idylle und hier wiederum in derjenigen, die „moderne" Zustände thematisiert. Schon in der Vorlesung von 1823 muß Hegel auf den Gegensatz der „idyllischen epischen Gedichte" zu GOETHES Idylle Hermann und Dorothea eingegangen sein. Gegenüber VOSSENS Luise wird schon hier ein „größerer Hintergrund angegeben". Diese Aufwertung bleibt in der Vorlesung von 1826 erhalten und erfährt in der letzten Vorlesung eine überraschende Erweiterung. Denn während Hegel zuerst betont haben muß, daß das „Landstädtchen in seinem politischen Verhältnis" nicht zureichend gekennzeichnet ist, daß der Zusammenhang der weltgeschichtlichen Umstürze mit der gegen die Zerrissenheit wieder aufgerichteten Harmonie nicht gezeigt sei (Hotho 1823. Ms. 277), fügt er in der letzten Vorlesung der Entgegensetzung von GESSNERS bei den Franzosen so beliebten Idyllen und GOETHES Hermann und Dorothea {Ästh. I. 1. 245 f, 327) an, der Hintergrund sei hier „nur eine weiche Aussicht" i]ag. Bihl. 1828/29. Ms. 150) und nennt die Idylle „großartig, weil sie das Weltinteresse zum Hintergrund hat, das Motiv des Vaterlandes" (a.a.O. 72). Dies steht im Zusammenhang mit dem Hinweis, daß der Idyllenzustand für einen „meist idealischen" gehalten werde. Während Hegel also zunächst betont, daß die Idylle mit dem Epos formal übereinkommt, weil und insoweit sie die Dimension der realen Geschichte aufhebt, gewinnt sie nun unter der Perspektive der „idealischen" Dichtung zumindest bei GOETHE die Dimension des Weltinteresses. Hegel muß zunächst betont haben, daß sich in der Idylle die Handlung schlechthin auf „einen Privatzustand beschränkt (Hotho 1823. Ms. 277). Das bleibt auch gegen die sonstigen genannten Idyllen gültig, einschließlich des Vorbehalts, daß das Absehen von der realen Geschichte dazu führt, daß die Idylle den geschichtlichen Sinn des antiken Epos nicht erreichen kann. Der Idylle kann Hegel darum auch im Gegensatz zum antiken Epos keine geschichtliche Wirksamkeit zugestehen, es sei denn, man erhöbe die Ausblendung der geschichtlichen Realität zu einer sinnvollen Möglichkeit der Selbstverwirklichung des Individuums. Das ist für Hegel undenkbar, denn mit dem Fortschritt der „Verinnerlichung" geht für ihn der Weltverlust und der Verlust der geschichtlichen Funktion der Kunst einher. Selbst gegen GOETHES
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Idylle macht Hegel noch JEAN PAULS Definition der Idylle geltend: Es geht um ein „Vollglück in der Beschränkung" — eine Wirkung der Kunst, die verglichen mit der von Hegel entwickelten geschichtlichen Funktion nur „partial" wäre. Die Frage, ob nicht durch die Ausblendung der Realität in der Kunst die Situation einer Alternative zur faktischen Wirklichkeit herzustellen wäre, die die bestehende Welt auf ihre humaneren Möglichkeiten hin entwirft, kann Hegel aus seiner Sicht der geschichtlichen Wirkung nicht stellen.36 Wahrheit kann nur dadurch erwiesen werden, daß der Begriff zugleich „real" ist. Die „produktive" Täuschung, die kontrafaktische Sicht der Welt unter der Perspektive einer verwirklichten Humanität, kann für Hegel nur Geltung beanspruchen, wenn sie schon wirklich ist, nicht wenn sie als bessere Möglichkeit der Faktizität entgegengehalten wird. Über die Kritik der Idylle hinaus gewinnt man aus Hegels Beurteilung der GoETHEschen Idylle also zunächst allein den Hinweis, daß er aus der Dimension des schönen Scheins, aus einem in der Kunst vermittelten Bild der Welt nicht unbedingt die weltgeschichtliche Perspektive ausgeschlossen sieht. 3^ Kunst kann auch der menschlichen Weltbewältigung, der tätigen Auseinandersetzung mit der Welt ihren Sinn vermitteln. Ein ausgezeichnetes Beispiel hierfür findet sich in Hegels Beurteilung der Malerei der Niederländer. Auch für dieses Beispiel ist symptomatisch, daß Hegel mit der Situation der Lösung vom „großen", christlichen Inhalt ansetzt. Die Kritik formuliert dann zwar die Vorbehalte gegen diese Kunst gerade im Blick auf die Malerei als die im eigentlichen Sinn christliche Kunst. Dieser Aspekt kann hier aber vernachlässigt werden. Für Hegels Behandlung der Malerei läßt sich im Zuge seiner Denkentwicklung ein Wandel nachweisen. Die früheste Erwähnung {Nohl. 358) setzt die Malerei als Kunst des Mittelalters der griechischen Antike und den an ihr gewonnenen Schönheitsvorstellungen entgegen. Hier erscheinen die Bilder mit Pinseln gemalt, die in „Nacht getaucht" waren — eine Charakteristik, die der auch für KANT noch maßgeblichen Bestimmung der Reinheit sowohl der Farben wie der Lichtheit des weißen Marmos der Skulpturwerke entgegensteht. Überhaupt gilt die Farbe — das Medium der Malerei — in der Kritik der Urteilskraft als ein nur abgeleitet bedeutsames Moment der Kunst, maßgeblich ist der Kontur. Diese Überlegungen spielen sicher auch für Hegel eine Rolle, denn sie spiegeln sich 36 Vgl. u.a. G. Kaisers Interpretation der Goetheschen Idylle in Wandrer und Idylle. Dazu vom Verf. Idylle und Utopie. 37 Es bleibt also die Frage, wieweit Hegel Schiller und Goethe als „unsere Nationaldichter" (Asth. 11,1. 37) anerkennen kann. Diese Formulierung findet sich so nicht in den Nachschriften, wohl aber in Hothos Bearbeitung. Da sie nur allzu genau Hothos eigene Meinung zu Schiller und Goethe widerspiegelt, die sich auch an anderer Stelle als irreführend erwiesen hat, scheint Hotho auch hier Hegels Erwägung, ob man von Nationaldichtern noch reden dürfe, kurzerhand affirmativ zu entscheiden.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
noch in den Überlegungen der Vorlesungen zur Farbe — Hegel lehnt sich hier an GOETHES Diderot-Aufsatz an — und bestätigen sich immer wieder in Hegels historischem Irrtum hinsichtlich der Farblosigkeit der griechischen Skulptur. Auch eine spätere Reflexion findet sich hier gemildert wieder. Hegel sieht den Inhalt dieser Kunst als problematisch an, weil in ihr nicht schöne Darstellungen, sondern im Tod des Religionsstifters und in den Martern der Heiligen und Märtyrer „problematische Themen gegeben sind" (GW 6. 330 f). Von diesen frühen Bemerkungen^* zur Charakteristik der Malerei als der ersten der romantischen Künste ist es ein weiter Weg, der nicht ohne erhebliche Erweiterung des Interesses an der Kunst, nicht ohne Hegels Bemühen um eine umfassende Kenntnis denkbar ist. Die Romantiker, vordringlich FRIEDRICH SCHLEGEL, hatten auf den Wert mittelalterlicher Kunstwerke schon früher hingewiesen, aber ebensowenig wie Hegel sich mit deren sonstigen „ausgefallenen" und eingestandenermaßen oft überraschend treffenden Kunsturteilen „gegen" die herrschende Tendenz anfreunden kann, kann er deren Begeisterung fürs Mittelalter teilen. Was sich bei der Rezeption der orientalischen Mythologie in ihrer Vermittlung für die Gegenwart zeigte, das findet auch hier einen Beleg: Hegel kann sich nur auf dem Umweg über die klassische Kunst dieses Gebiet erschließen. Erst wo er der christlichen Kunst als der Anschauungsform einer absoluten Religion ihre eigene Gestalt zugewiesen hat, kann er die nicht mehr schöne Darstellung durch den höheren Zweck, dem sie dient, rechtfertigen. Hegels erste Begegnung mit dieser Malerei fällt in seine Heidelberger Zeit, wo die von F. SCHLEGEL ZU ihrer Sammlung motivierten Brüder BOISSEREE eine (für Hegel akzeptable) Repräsentation und Vermittlung dieser Kunst bieten. Hier findet er Gesprächspartner, die ebenso wie er selbst sich des Wertes der präsentierten Kunstwerke durch das Urteil GOETHES ZU versichern trachten. GOETHE läßt sich dann auch zu einer vorderhand begeisterten Stellungnahme motivieren, er schätzt sogar die künstlerische Kraft der niederländischen Werke sehr hoch. Wie der Divan für Hegel den Einstieg bot, über die Bedeutung der Aneignung fremder Kulturen durch die Kunst zu reflektieren, so geben die Werke der Niederländer Anlaß, über den Sinn dieser christlichen Kunst und über ihre ästhetische Bedeutung — abgelöst von der religiösen — zu reflektieren. Die religiösen Werke der Niederländer ebenso wie die der frühen italienischen Maler werden dabei zur mehr oder eniger adäquaten Repräsentation und
Vgl. Ber. 546. Der Bezug der Jenaer Äußerung zur Malerei stellt sich beispielsweise erst nachträglich her, weil Hegel in den Vorlesungen diese Charakteristik wiederholt und in den Zusammenhang der Malerei stellt; das gleiche gilt für die Verbindung der „schönen Sünderin" Maria Magdalena mit der Darstellung Correggios.
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kultischen Vergegenwärtigung der Religion, die Genrebilder zu einer Weise der Repräsentation weltlichen Selbstvollzuges und dessen Tradition.^9 Die Genrebilder der Niederländer können als „modernes" Werk gelten, denn für sie konstatiert Hegel die Kennzeichen der Kunst der Moderne: den Verlust des religiösen Inhalts, also eine Einschränkung der Wahrheitsvermittlung bei unbestrittener Vollendung der formalen Qualität. In der näheren Charakteristik, die die Vorlesungen entwickeln, zeigt sich ein — vorderhand überraschendes — Zögern, diese Bilder „Kunstwerke" zu nennen. Hegels Argumente für dieses Zögern erlauben zu entscheiden, ob sich in der Kunst der Moderne, d.h. in der romantischen Kunstform, ein Werk, d.h. Kunst im Sinne der philosophischen Wesens- (sc. Funktions-) Bestimmung, finden läßt. Zunächst scheint es, als seien gerade in diesen Bildern die Erfordernisse des Werkcharakters erfüllt, nämlich im schönen Schein die Repräsentation des Lebens eines Volkes zu geben; und es fragt sich, warum Hegel nicht (wie es z.B. D. HENRICH vermutet hat) gerade an diesen Bildern, deren Inhalt der Humanus ist, seine eigene Skepsis gegen die Möglichkeit der Moderne, ein Kunstwerk auszubilden, überwindet. Hier liegt eine Kunst ohne den religiösen Inhalt vor, die gleichwohl im Kunstwerk das Staatswerk repräsentiert, nämlich die durch Bearbeitung der Natur gewonnenen und erhaltenen Bedingungen des bürgerlichen Lebens. Die Malerei der Niederländer gilt Hegel folgerichtig als ein Versuch, das geschichtliche Werk des Menschen, seine Weltbewältigung mit dem Glanz der Schönheit zu verklären. Hier geschieht das Umgekehrte wie in der ästhetischen Betrachtung christlicher Kunst. Die Schönheit der Werke steht nicht mehr hinter dem religiösen Zweck, der Andacht, zurück. Sie ist der „Glanz", der die endlichen, erscheinenden Dinge als Zeugnisse einer Tüchtigkeit und eines berechtigten Bürgerstolzes verewigt. Damit ist der Inhalt der Kunst das geschichtliche Werk kat' exochen, nämlich die Einrichtung der Natur zur Welt des Menschen. Hegel beschreibt die Kunst auch als dieses Resultat der Gewinnung eines bürgerlichen Selbstbewußtseins sowohl in der Natur- wie in der politischen Auseinandersetzung (mit der „spanischen Grandezza"). „Protenstantisch" ist diese Kunst aber nur in der Hinsicht, daß die Welt des Menschen und des Bürgers den Umständen abgetrotzt wird; ihre Inhalte sind die endlichen Dinge, die 39 Vgl. dazu O. Pöggeler: Hegel und Heidelberg; wie sehr Hegel in seiner ästhetischen Beurteilung vom Religionsvorurteil und auch von dem der klassischen Schönheit — also eigentlich auch hier wieder von Goethes Sichtweise — geprägt ist, zeigt seine spätere Berliner Stellungnahme. Wo die Sammlung der Niederländer über die Werke mit religiöser Thematik hinausgeht (so in der Sammlung Solly, die für das Museum erworben wurde), bleibt Hegel skeptisch; näheres vgl. vom Verf. Galerien und Ausstellungen.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
nun die behagliche Einrichtung im gewonnenen Zustande, durch die Schönheit verklärt dokumentieren. Aus zwei Gründen zögert Hegel, diese Bilder trotz ihrer unbestreitbaren formalen Vollendung „noch Kunst zu nennen", d.h. als ein Kunstwerk im Sinn seiner eigenen Bestimmung der geschichtlichen Funktion anzusehen. Einmal ist die Kunst der Niederländer die Kunst des Scheinens. Während das Jdealische" und ,Altdeutsche" (d.h. die christliche Malerei) zu „schlechten Produkten in mittelmäßigen Talenten" (]ag. Bibi. 1828/28. Ms. 52) führt, wird hier die „gemeine Wirklichkeit" zum Prinzip einer vollendeten Kunst des Malens. „Am Schönen ist die Seite des Scheinens hervorgehoben" {Hotho 1823. Ms. 188). Dies Interesse am bloßen schönen Schein^® ansonsten (inhaltlich) belangloser, weil endlicher Gegenstände hebt Hegel in den Vorlesungen durchweg als den Grund seiner Zweifel am Werkcharakter hervor. Ähnlich wie in der Kritik der Idylle ist es also auch hier der „partielle" Inhalt, die Endlichkeit des dargestellten schönen Dings und Weltbildchens (eidolon), was Hegel zur Skepsis motiviert, obwohl er selbst eigentlich den Hintergrund gerade dieser Kunst als das geschichtliche Handeln eines ganzen Volkes umschreibt. Weniger als in einer Abwertung des Scheins liegt ein sinnvoller Grund für Hegels Zweifel in der Tatsache, daß in diesen Bildern Vergangenes ohne Perspektive auf eine zukünftige, weiterführende Weltbewältigung repräsentiert wird. Wie in der Kritik der Idylle möchte auch hier der Vorbehalt lauten, daß der Grund für die „Partialität" letztlich im Verzicht auf die Zukunftsorientierung liegt. Dies bleibt jedenfalls als argumentativer Rest, wenn man von Hegels Vorurteil hinsichtlich des religiösen Inhalts absieht. Für diese Deutung spricht zweierlei; einmal Hegels Einschränkung des Verhältnisses von Malerei und Poesie, bzw. die Kennzeichnung der Poesie als der geistigsten der Künste, zweitens seine Bestimmung des Dramas. Die ersten Hinweise finden sich noch in Hegels Auseinandersetzung mit der Malerei, nun mit der zeitgenössischen Form des Genres in den Bildern der Düsseldorfer. Hier finden sich Bilder, deren Inhalt der Poesie entlehnt ist und die sich auf menschliche Empfindung und deren Darstellung konzentrieren. An diesen Beispielen erörtert Hegel die Gründe für seinen Zweifel, ob die Malerei überhaupt in der Lage sei, das Handeln des Menschen darzustellen. Die „poetischen Vorwürfe", die für die Malerei als Thema in Frage kommen, sind lyrische, nicht epische Darstellungen der Innerlichkeit der 40 Hier könnte man am ehesten Bubners Überlegungen zum Scheinbegriff verifiziert finden (vgl. u.a. Hegel und Goethe), daß Hegel nämlich durch seine Bestimmung des Scheins Vorurteile logischer Art in seine Ästhetik hineintrage. Aber das Interesse am Scheinen wird nicht im Sinne der Abwertung der Sinnlichkeit, sondern im Blick auf den Inhalt kritisiert, der bloß endlich ist und lediglich auf eine Vergangenheit verweist.
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Empfindung. Schon diese, etwa das Verhältnis zweier Liebender, kann die Malerei als statarische Kunst nicht adäquat erfassen, erst recht sprengt es dann aber deren Mittel, das geschichtliche Handeln zu erfassen, weil die erklärende und vereinheitlichende Mythologie (die Legenden, Erzählungen und Zeugnisse des Christentums) nicht mehr die allbekannte Grundlage bildet. Gilt der Humanus als der neue Heilige der Kunst, dann kann allein die Poesie die zureichende, weil »geistigere" Vermittlung dieses Inhaltes leisten, kann allein sie die Verbindlichkeit der Deutung solcher Inhalte nahelegen. Die Übersetzung in das Medium der Malerei verflüchtigt diese höhere Allgemeinheit; umgekehrt sprengt der „geistigere Inhalt" die Mittel der Malerei. Hegel wendet sich so von den Ansätzen der Aufklärungsästhetik ab, weil für ihn die Kunst nicht Darstellung der Natur, sondern primär Zeugnis des geschichtlichen Handelns sein soll. Er wendet sich aber auch gegen die Romantiker, die mit der Erhebung der Poesie zur höchsten Möglichkeit geschichtlicher Erkenntnis ein Konzept der Verknüpfung der verschiedenen Künste, besonders der Aufhebung der Malerei durch deren „Musikalisierung" zur poetischen Erfahrung der Wirklichkeit, entwickeln.*! *! Die Frage nach dem Naturschönen und nach der Erkenntnis der Natur durch die Kunst, die Hegel nur eingeschränkt interessiert, führt in der Ästhetik der Aufklärung zu einer Konzeption der Einheit von Malerei und Poesie. Vgl. hier bes. J. ]. Breitinger: Critische Dichtkunst. 1740; ]. J. Bodmer: Betrachtungen über die poetischen Gemählde der Dichter. 1741; Die Idee der „Schöpfung der Natur nach der Idee der Natur" findet sich bei Breitinger (a.a.O. Bd 1. 48); und Hegel hätte hier einen Anknüpfungspunkt für seine Überlegungen finden können, der auch die Klassizismusdebatte bestimmt. Nur Dubos' Kritische Reflexionen über Poesie, Malerei und Musik setzen die Natur der Kunst und damit der Idee voran. Über den Gedanken einer dichterischen Schöpfung der Welt aus der Idee (Breitinger: „ein wohlerfundenes Gedicht ist darum nicht anders anzusehen als eine Historie aus einer anderen möglichen Welt"; a.a.O. Bd 1. 60) finden sich Malerei und Dichtkunst zusammen — ein Gedanke, den Hegel schon durch seine Grundeinstellung konterkariert. Wenn es nicht primär um das Erhabene geht, sondern um das Schöne, dann ist der Mensch das Thema der Malerei, nicht die Natur, und das Thema der Poesie ist das geschichtliche Handeln des Menschen, nicht primär die Empfindung. Neben dieser Abwendung von der gemeinsamen Grundlage der englischen Empiristen und der Aufklärer finden sich bei Hegel nur unhaltbare Bemerkungen über „theoretischere" und nicht theoretische Sinne, die zur Höherstufung führen. Daß die Malerei sich nicht auf eine Nachahmung der Außenwelt beschränken muß, daß sie eine menschliche Sicht der Welt, nach ihrem Wahrheitsanspruch genommen, darstellen kann, zeigt sich an der späteren Entwicklung der Malerei selbst. In dieser Weiterentwicklung wird aber der romantische Gedanke einer Musikalisierung der Malerei — ohne bewußten Bezug auf dieses Vorbild — zur Grundlage der neuen Konzeption der Malerei. Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Paradigmenwechsel der Kunst als Ansatz der philosophischen Ästhetik. — Zur Musikalisierung der Malerei in der Romantik vgl. W. Haftmann: Formidentitäten zwischen Musik und moderner Malerei, bes. 103. Romantiker wie
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Die moderne Idylle verfällt anders als die „große" HoMERische dem Verdikt, daß eine versöhnte Welt nur geträumt, in eine aus der wirklichen Geschichte gelöste Situation transponiert wird. Dadurch erlischt die Chance, die Alternativwelt, die nur noch Schein im Sinne der Täuschung über die reale Welt sein kann, zum Vorbild einer Veränderung der geschichtlichen Bedingungen zu erheben. Die Konfrontation von Antike und Moderne enthält zwei Implikationen. Einmal entwirft Hegel im Blick auf die Antike die grundsätzliche Wirkweise der Idylle, um sie dann unter den geänderten Bedingungen einzugrenzen. Zu diesen Bedingungen gehören wieder ausschließlich jene Momente, die für die Ausbildung des philosophischen Systems überhaupt anleitend geworden sind: nämlich die Einschätzung der geschichtlichen Bedeutung des Christentums und das gegenwärtige Unvermögen der Kunst, eine neue Mythologie zu stiften. In solchen Werken, die explizit entweder die Verbindlichkeit der in ihnen vergegenwärtigten religiösen oder auch teilweise religiös motivierten Weltanschauung leugnen, zeigt sich die Partialität als Konsequenz des Religions- oder, weiter genommen, des Mythologieverzichts. Denn Hegels Vorwurf, hier werde nur die Prosa des alltäglichen Lebens in der Kunst thematisiert, moniert die Reduktion eines unendlichen auf einen nur noch endlichen Inhalt. In der Malerei zeigt sich diese Reduktion am deutlichsten, weil hier die für Hegel zentrale Gestalt der Kunst, die menschliche Gestalt als Gestalt eines Gottes, entweder zur Gestalt des Menschen wird oder weil bloß endlich-belanglose Dinge durch die Schönheit verherrlicht werden. Die Diskrepanz zwischen aletiologischem und ästhetischem Urteil hängt also auch hier vom „Religionsvorurteil" ab, denn Hegel kann die Kunst, deren Inhalt der Humanus ist, nicht als „Werk" akzeptieren, weil er vorab einen umfassenderen, „würdigeren" Inhalt als verbindlich ansetzt. Dieser Inhalt könnte, faßt man ihn unter den frühen Begriff einer „Mythologie der Vernunft", sich durchaus in der Kunst der romantischen Kunstform finden, weil es hier neben dem Mythologieverzicht auch die Vermittlung fremder Gottesvorstellungen und Weltanschauungen durch die Kunst gibt. An sich reicht dieser Nachweis hin, um Hegels Kritik der Idylle als bloße „Prosa" des Lebens wenigstens in den von ihm selbst als vorzüglich anerkannten Beispielen, in der Malerei der Niederländer und in GOETHES Idylle zurückC. D. Friedrich, O. Runge (1802: „Lernstunde der Nachtigall" der Konstruktionsweise der musikalischen Fuge angeglichen) sehen in der Musikalisierung der Malerei die Möglichkeit, sie aus der prosaischen in eine poetische Erfahrung der Wirklichkeit zu überführen. Malerei, die den Einklang des Menschen mit der Natur nicht an den nachgeahmten Dingen selbst, an der Erscheinung, sondern an der Erfahrung, dem Bezug des Menschen auf diese Dinge, thematisieren will, kann von Hegel nicht akzeptiert werden. Er lehnt nämlich die zugrundeliegende Erkenntnismetaphysik ab, die die Poesie als die höchste Fakultät des menschlichen Geistes auszeichnet.
3.3 Die Funktion der Kunst in der Moderne
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zunehmen und hier von einem Kunstwerk der Moderne zu reden. Da mit dem Religions-Vorbehalt aber nur ein Moment der Kritik namhaft gemacht worden ist, soll hier ein weiterer Aspekt angeschlossen werden. Hegel greift in seiner Kritik der Idylle nämlich einen Gedanken SCHILLERS auf; genauer, er wiederholt SCHILLERS Kritik der Idylle insoweit, als auch er die Idylle als Kunst im Vollsinn (d.h. im Sinn eines „Werks") aus den Gründen verwirft, die für SCHILLERS Unterscheidung zwischen arkadischer und elysischer Idylle maßgeblich sind. Die Idylle muß nämlich wegen ihrer Fixierung auf eine vergangene, nur im schönen Schein noch reale Welt zur geschichtlichen Situation bezuglos bleiben. Den Grund hierfür gibt schon SCHILLER an: Ein geschichtliches Handeln kann nicht durch den Verweis auf eine Vergangenheit, sondern nur durch eine in diesem Verweis liegende „Orientierung nach Vorwärts" erreicht werden. Diese Orientierung erscheint Hegel aber unmöglich, weil die Idylle bewußt ein Bild der Welt nicht im Sinne ihrer Wahrheit, sondern zum Zwecke des Ersatzes der wirklichen Welt durch eine Scheinwelt der Harmonie entwirft. Hegel geht es um die Stellung des Menschen in der Geschichte und in der Ästhetik speziell und vordringlich um den Beitrag der Kunst zur geschichtlichen Selbstvergewisserung. So gilt unbestritten, daß die „Prosa des gemeinen Lebens" nicht die letzte Sicht der Welt sein kann. Dieser Vorwurf gegen die Malerei läßt deshalb nur den Weg offen, die Frage, wieweit von Hegels Ästhetik her ein Kunstwerk konzipierbar ist, dessen Inhalt der Humanus wäre und das dennoch dem Verdikt der Unlebendigkeit entgehen könnte, an der Bestimmung der Poesie zu erörtern. Hier bietet es sich an, gleich die — wiederum unter der Perspektive der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst — ausgezeichnete Version der Poesie, das Drama, aufzugreifen. Denn Hegel, der im Material der Poesie, im Wort als „Zeichen der Vorstellung das biegsame Material vom Geiste unmittelbar produziert, fertig alles auszudrücken, was der Geist ist" (7«^. Bibi. 1828/29. Ms. 143a), vermutet, setzt mit GOETHE und SCHILLER das Drama, die „Darstellung des vollkommen Gegenwärtigen" durch die Handlung^^ als deren Höhepunkt an. In der Hegel redet selbst in der Auseinandersetzung mit der Malerei der Düsseldorfer davon, daß — wenn überhaupt — „die Explikation der Empfindung dramatisch werden" (Jag. Bibi. 1828/29 MS. 130a) müsse, nicht lyrisch. R. Wiehl stellt in seinem Aufsatz Über den Handlungsbegriff als Kategorie der Hegelschen Ästhetik diese Auszeichnung der Poesie und bes. des Dramas dar; vgl. dazu auch die Erweiterung dieser Überlegungen zur Grundlage einer Ästhetik im Vortrag auf dem Hegel-Kongreß in Stuttgart. Eine Dissertation über Hegel und Mallarmee von J. D. Langan stellt die Stellung der Poesie in Hegels Asthetikdur. Vgl. dazu O. Pöggeler: Selbstbewußtsein und Identität, 212 ff. Für Hegels Ästhetik ist die Auszeichnung der Poesie vor der Prosa des Lebens konstitutiv, weil er hierin sowohl die Abwertung des Naturschönen gegenüber dem Kunstschönen begründet wie auch die ästhetische Stufung verschiedener Formen der Literatur, vor allem wieder die Dekadenz von antiker und
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Konfrontation von Prosa des Lebens, der das moderne Epos in seiner spezifischen Form, der Idylle, verhaftet bleibt, und Poesie wiederholt Hegel sogar in der letzten Vorlesung die frühe, mit F. SCHLEGEL geteilte Ansicht, daß „die Poesie die ausgebreiietste Lehrerin des menschlichen Geschlechts immer gewesen“ (Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 143a).Eindeutig sieht Hegel also in der Poesie die geschichtliche Funktion der Kunst als erfüllbar an, denn das geistige Medium erlaubt es, den „Menschen in Beziehung auf seine Welt" (Hotho 1823. Ms. 96 f) darzustellen, und zwar in einer Beziehung, die das frühe Programm als die Aufgabe der Kunst überhaupt ansah: in der Beziehung des revolutionierenden Handelns. Dies thematisiert das moderne Drama. Während im Griechentum die Tragödie auf eine Situation, ein „Volk" trifft, „für welches das ausdrückende Sprechen noch etwas neues ist, das noch nicht die gebildete Sprache seiner Welt, Empfindung hat", tritt in der Moderne die Poesie in „einem gebildeten Volke" auf, das „schon zu sprechen versteht" (Kehler 1826. Ms. 375). In dieser Situation erscheint die poetische moderner Version derselben poetischen Gattung. In der Idyllenproblematik führt das zur Einschränkung der geschichtlichen Bedeutung der Idylle, denn sie hat nicht wie das antike Epos die Fähigkeit, weltgeschichtliches Handeln der großen Individuen durch die Art und Weise der heroischen Naturbewältigung darzustellen. Die Idylle verfällt in die Prosa, in die Darstellung der bloß zufällig-endlichen Umstände beschränkten Lebens und Lebensglückes. ^^Hervorh. vom Verf. Vgl. auch Einleitung in die Geschichte der Philosophie, 216; dazu die Bemerkung, daß die Tragödie die ursprüngliche Welt eines Volkes so faßt, daß „das Geistige in besondere Gestaltungen geschieden ist" (Kehler 1826. Ms. 397). Die Auszeichnung der Poesie findet sich in ähnlicher Weise in allen Vorlesungen, aber Schlegels und Hegels früher Topos von der Poesie als Lehrerin der Menschheit gilt in der abschließenden Vorlesung nur für die Vergangenheit, für die Geschichte in rückwärtsgewandter Perspektive, nicht für die Moderne. Neben den Überlegungen über die größere Ausdruckfähigkeit des Mittels (des Tons als Sprache) und die darin begründete Integration von Subjektivität und Objektivität, Empfindung und Vorstellung findet sich ein interessanter Hinweis auf Hegels Auseinandersetzung mit der Aufklärungsästhetik: „Es war sonst eine interessante Frage gewesen, wie sich Poesie, Sculptur und Malerey unterscheiden, was Lessing in seinem Laokoon dargestellt hat. Die Poesie erscheint da reichhaltiger. Die Poesie kann succesiv, die Malerey nur momentan und cohärent darstellen. Der Maler muß also einen Haupt- und Einheitspunkt wählen; vor dem Dichter hat er den Vorzug, daß er die Charaktere genauer zur Anschauuung bringen kann." (Aachen 1826. Ms. 185; vgl. dazu in der letzten Vorlesung: Jag. Bibi. 1828/29 Ms. 130). Interessant im Blick auf die spätere Diskussion, besonders auf Rosenkranz' Ästhetik, ist auch eine Bemerkung, die Hegel offensichtlich zur Charakteristik der höheren Geistigkeit der Poesie benutzt. Poesie könne nämlich, anders als die Malerei, die Dissonanz neben der Harmonie vergegenwärtigen, die „bis zur Häßlichkeit fortgehen" dürfe, während in der Malerei „das sittlich und physisch Häßliche nicht geduldet werden; in der Poesie kann es erscheinen und augenblicklich verschwinden" (a.a.O. 56).
3.4 Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik
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Sprache als Alternative der prosaischen, ausgebildeten Alltags- und Wissenschaftssprache, und die Poesie verdichtet sich zur Darstellung des geschichtlichen Handelns und der Handlungsmöglichkeiten. Im Drama findet sich also die letzte Möglichkeit, Hegels Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst an einem Werk der Moderne zu exemplifizieren. Hier liegen auch die größten Chancen, zu einem positiven Ergebnis zu kommen, denn die Darstellung des Handelns in einer geschichtlichen Situation kann noch am ehesten die Orientierung der Sittlichkeit eines Volkes leisten, wo dies überhaupt als möglich unterstellt wird. Es wird sich zwar auch an diesem Beispiel zeigen, daß bei aller Differenziertheit im ästhetischen Urteil der Tenor der Vorlesungen der bleibt, daß die formale Vollendung nicht den Werkcharakter des Dramas garantiert. Die philosophische Definition der geschichtlichen Funktion der Kunst ihrer höchsten Möglichkeit nach führt zur fatalen Folge einer ästhetischen Akzeptation und einer geschichtlichen Einschränkung der Bedeutung der Kunst. Da der problematische Aspekt der Ästhetik auch in diesem Fall für die Frage nach der möglichen Revision der interessante ist, soll in der Analyse des modernen Dramas auf ein Beispiel zurückgegriffen werden, für das Hegels ^ästhetische" Wertschätzung unbestritten gilt: SCHILLERS Dramen.
3.4 Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik Hier gilt wie bei den vorigen Beispielen, daß die Auswahl nur unter einer Rücksicht triftig ist. Es geht um die Frage, wieweit Hegel gegen seine eigene Schlußfolgerung interpretiert werden kann bzw. wie man vom Ansatz der Ästhetik ausgehend eine Theorie der Geschichtlichkeit der Kunst entwickeln kann. Hegels Kritik der Romantik wurde z.B. von O. PöGGELER als ein möglicher Anknüpfungspunkt der Auseinandersetzung mit Hegel gewählt. Hier werden die Jenaer Überlegungen gegen die Möglichkeit des modernen Epos im Kontext der späteren Ausführungen in der Ästhetik interpretiert. Hegels Kritik an SCHLEGEL verdeutlicht z.B., daß für ihn die Poesie nicht das Feld sein kann, die Weltorientierung des modernen wissenschaftsfordernden Menschen umfassend zu garantieren. Er führt dafür Argumente genereller Art an, wie sie in seine Polemik gegen die Grundhaltung der Sehnsucht als Vollzug „schlechter Unendlichkeit" zusammengefaßt werden, oder wie er sie in seiner Kritik der Grundhaltung der Ironie zusammenträgt. Ironie, obwohl in dieser romantischen Konzeption nicht zureichend definiert, kann durch die Rückführung auf ihre philosophische Quelle und Grundlage als ein Prinzip erwiesen werden, das die Weltorientierung zunichte macht. FICHTES setzendes und sich absolut setzendes Ich, aus der Philosophie in eine ge-
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
schichtliche Haltung und zudem noch in die Vorbildhaltung des Poeten übertragen, führt zur Möglichkeit der Weltsetzung aus subjektiver Willkür. Damit ruft die Kunst zur Korruption aller Verbindlichkeiten auf, die dem Menschen als Glied der Gemeinschaft, als sittlichem Individuum wie als Staatsbürger zugemutet werden müssen. Die „Weltorientierung" dieser Poesie ist lediglich die Zerstörung des Weltbezuges durch die Auflösung des institutionellen Gefüges, das den Weltbezug sichert. Die Grundhaltung der Sehnsucht wie die Aussagen und Stellungen der Dichtungen und Dichter zu sozialen Verbindlichkeiten, zu Moralität und Sittlichkeit im einzelnen gelten Hegel darum als Auswüchse einer Kunst, die ihre Funktion in geschichtlicher und gesellschaftlicher Hinsicht völlig verloren hat und darum auch nur vermeintlich zur totalen Selbstrealisation des Individuums anleitet und gelangt. Diese Form der Poesie bietet also keinen Anhaltspunkt dafür, die Bedeutung der Kunst für die Gegenwart, die Funktion einer Kunst, deren Heiliger der „Humanus" ist, positiv zu bestimmen. Eine Perspektive der Auseinandersetzung mit GOETHE blieb bislang unberücksichtigt, nämlich Hegels Hochschätzung für GOETHES Versuch, in der Iphigenie die griechische Mythologie zu „modernisieren", d.h. die Mächte der Götter als die Triebkräfte des menschlichen Inneren, des Gemüts darzustellen. Auch hier wird der Mensch und seine Selbstrealisation zum Inhalt der Kunst, aber SCHILLERS Dramen thematisieren diesen neuen Inhalt noch eindeutiger in der für Hegel wesentlichen Perspektive der Handlungsorientierung, d.h. der Ausbildung einer Sittlichkeit aller. Daß GOETHES Bearbeitung klassischer Dramen bei Hegel Anklang findet, ist aus seinem Programm wie aus dessen Modifikation in der Ästhetik nicht weiter verwunderlich. Für Hegel bleibt dennoch fraglich, ob es GOETHE gelungen ist, nicht nur das gebildete Publikum anzusprechen, und wenn dies bejaht werden müßte, dann bliebe immer noch Hegels Frage, wozu eine solche künstlerische Wiederbelebung der Antike diene. Kann sie zum Verständnis der eigenen Situation durch den Mitvollzug der eigenen Tradition anleiten? In betreff der universalen Funktion der Kunst, Orientierung im Handeln zu leisten, bleibt Hegel unbestimmt. Es geht um einen Genuß der vergangenen großen Kunst unter Formen, die den modernen Geist ansprechen, die die griechische Welt als eine Welt unter den Bedingungen der Aufklärung interpretieren. Die göttlichen Mächte werden zu innerlichen Mächten des modernen geschichtsbewußten Individuums, zu „Triebfedern" des Handelns (FICHTE/ SCHILLER) umgedeutet. Für die hier anstehende Fragestellung ließe also der Hinweis auf diese Wiederbelebung der griechischen Welt dieselben Schlüsse zu, die man durch die Beschäftigung mit SCHILLERS Dichtung ebensogut und zudem eindeutiger erörtern kann. Hegel setzt SCHILLERS Dramen in direkten Bezug zur antiken Tragödie und versucht, durch diese Konfrontation die Unterschiede der geschichtlichen Wirkung eines exemplarischen Handelns, das die Kunst vor Augen führt, auf
3.4 Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik
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das Publikum verschiedener Zeiten und verschiedener Bildung herauszuarbeiten. Das heißt einmal, daß Hegel SCHILLERS Dramen mit den griechischen für vergleichbar hält, was die geschichtliche Intention der Kunst angeht; zum anderen aber, daß er gerade die Wirkung einer formal (ästhetisch) akzeptierten Version der Kunst unter geänderten Bedingungen beurteilt. Dadurch werden Schillers Dramen eigentlich zum Prüfstein der Rechtfertigung einer universalen, nicht nur partialen Funktion der Kunst für die moderne Welt. Hier verbinden sich für Hegel jene Momente des ScHiLLERSchen Werks zu einer Einheit, die in der heute gängigen Interpretation eher zum Nachweis der Diskrepanz und Schwäche seiner „Gedankendichtung" herangezogen werden. SCHILLER ist der Ästhetiker, der sein Schaffen unter Berücksichtigung der Erfordernisse des modernen Vernunftbedürfnisses explizit in den Dienst der menschlichen Selbstverwirklichung stellt. Er ist der Dichter, der formal wie der Intention nach dem antiken Muster am nächsten kommt. Sowohl seine Versuche, die Antike wiederzubeleben, wie seine Dramen stellen sich der weltgeschichtlichen Aufgabe, die schon der junge Hegel in SCHILLERS Briefen thematisiert fand. Es geht um die Sittlichkeit des Handelns großer Individuen, die für alle die Verpflichtung auf Vernunft und Freiheit explizit werden lassen; es geht dabei um die Gestaltung eines Staates, um den Entwurf einer politischen Konstitution aus Vernunftprinzipien.Hegel ** Die Nähe zu Schiller thematisiert Hegel zu Beginn seiner Vorlesungen stets durch die Behauptung, Schiller sei seiner eigenen spekulativen Konzeption am nächsten gekommen, und er verweist in diesem Zusammenhang auf die Briefe aut Schillers Bestimmung der politischen Funktion der Kunst. In den Vorlesungen behandelt Hegel Schillers Verknüpfung der Notwendigkeit und Freiheit zusammen mit Kants Bestimmung des Endzwecks der Welt (vgl. Enz. Paragraph 55; Ästh. Lasson 94). Wichtig bleibt vor allem, daß Schiller als „Künstler ... die Totalität der Idee gefühlt hat, ehe es die Philosophie that" {Kehler 1826. Ms. 32); diese Äußerungen bringen auch die anderen Nachschriften von 1826. Dennoch verwirft Hegel Kants und Schillers Ästhetik in der altbekannten Kritik der Reflexionsphilosophie. Schiller habe zwar den Kantischen Standpunkt der Moralität überwunden, stelle aber den „Gegensatz" als solchen, nicht als versöhnten dar (vgl. Aachen 1826. Ms. 16 und auch in den sonstigen Nachschriften). In Schillers Stücken findet Hegel wieder, was die Briefe entwickeln: die Beanspruchung des Menschen von zwei Legislationen: Neigung und Pflicht, Notwendigkeit und Freiheit, Existenz in der Zeit und in der Idee, physischer Staat, der die Individuen aufhebt, oder Individuum, das Staat wird, so daß „sich der Mensch in der Zeit in dem Menschen in der Idee veredelt". (Besonders ausführlich referiert dies eine Nachschrift von 1826; Aachen 1826. Ms. 18 f). Schiller nimmt so auf jeden Fall die wichtigste vor-systematische Position in den Ästhetiken ein, die es als das „Wesen der Kunst" auffassen, „das Wahre darzustellen" {Kehler 1826. Ms. 31). — Schon A. Ludwig {Schiller und die deutsche Nachwelt. 1909) stellt heraus, daß Hegels Dramentheorie mehr von Schiller als von Shakespeare geprägt sei (a.a.0.198). Hegel hat gegen die Schillerkritik der Gebrüder Schlegel dessen poetisches Schaffen
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
fragt sich, wieweit es SCHILLER gelingen kann, dieses Verhältnis des Individuums zu seinem Staat im Sinne des sittlichen Verhältnisses so zu restituieren, wie es die antike Tragödie gestaltet hatte. Damit steht und fällt für ihn die Möglichkeit, hier eine moderne Kunst mit der Leistungsfähigkeit und der universalen Funktion der antiken wiederbelebt zu sehen und die These von der partikulären, d.i. historisch-bildenden Wirkung der Kunst zurückzunehmen. Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus der gegenwärtigen ScHiLLERdeutung, paßt sich aber der systematischen Fragestellung an. SCHILLERS Idyllenkonzept, näherhin die Durchführung seiner Konzeption der elysischen Idylle, wird im Kontext der Geschichtsphilosophie erörtert. Hier zeigt sich nicht nur, daß auch für SCHILLER ein dreistufiges Geschichtsmodell maßgeblich ist. Die Dramen erscheinen nämlich selbst als Versuche der Überwindung der sentimentalischen Dichtung, als die im Gesamtentwurf mißlungene, aber unter verschiedenen Perspektiven im einzelnen experimentell wiederholten Versuche einer ^^lysischen Idylle".£g zeigt sich überdies, daß unter dieser Perspekfür die Nachwelt interessant gemacht. Eine neuere Arbeit leistet diese „Weiterführung" Hegels, die A. Ludwig als „Anwendung seiner Lehre auf die philosophische Kritik der Literatur" (201) beschreibt: H. Pillau (Die forigedachte Dissonanz) sieht in Hegels Versuch der Entgegensetzung von Antike und Moderne die Intention, das Wesen der Kunst und den derivaten Modus seiner Realisation zu gewinnen, und er entwickelt dies an Hegels und Schillers Tragödienauffassung. Die Schillerinterpretation beschränkte sich zunächst auf die Frage der Kantrezeption, wo es um die philosophische Ästhetik ging, auf die Revolutionsproblematik, wo es um die „Aktualität" Schillers zu tun war, oder sie löste die Interpretation der Dichtungen von diesen Grundlagendebatten. Durch die Auseinandersetzung um die Idyllenproblematik wird es möglich, Schillers Werk als Einheit von Reflexion, Dichtung und intendierter geschichtlicher Wirkung zu sehen. Bisher wurde der Idyllenproblematik wenig Beachtung geschenkt, weil man mit dem Scheitern der „großen Idylle" dies Problem einer Repräsentation vergangener Mythologie und Weltanschauung unter den Bedingungen der aufgeklärten Vernunft für überholt ansah. Schillers Dichtung wurde selbst als „sentimentalische Dichtung" aufgefaßt, sein Hinweis auf weitere Möglichkeiten der Dichtung ausgeklammert. — Zunächst bringt G. Kaiser Schillers Idyllenkonzeption mit der Interpretation der Dramen in Verbindung. G. Kaiser: Von Arkadien nach Elysium, ders., Der junge Schiller; dozn G. Sautermeister: Idyllik und Dramatik im Werk F. Schillers. G. W. Field bindet die Auseinandersetzung um das Teil-Drama in die Bestimmung der Idylle ein. Aus dieser Deutung ergibt sich die Möglichkeit, die einseitig marxistische Deutung des TeilDramas zu überwinden (vgl. A. Gethmann-Siefert: Idylle und Utopie, 47 Anm. 13) und in der „Idylle" Wilhelm Teil die Ideen der Revolution verwirklicht zu sehen, getreu dem Postulat der Briefe: ohne den Terror, der auf den unvorbereiteten Oktroi der Vernunftgesetze mit Notwendigkeit folgt. — Eine allgemeine Abhandlung zum Problem der Idylle, die aber gleichwohl die Bestimmung der Idylle als mögliche Erfüllung des Programms der ßric/e anzusehen erlaubt, gibt R. Böschenstein-Schäfer: Idylle;
3.4 Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik
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Hve Hegels Schillerrezeption durchaus dem Selbstverständnis Schillers entspricht. Hegel mißt SCHILLERS Dichtung nicht an einem „klassizistischen" Maßstab, sondern an der geschichtlichen Aufgabe, die SCHILLER selbst formuliert und dichterisch übernimmt. SCHILLER gibt auch nach dem Verzicht auf die Annahme, eine Revolution der Moderne sei durch die Anknüpfung an die höchsten ästhetischen wie mythologischen Möglichkeiten der Antike zu bewerkstelligen, seine Anfangsfrage nicht auf. Es geht ihm immer darum, wie in der Dichtung durch die Darstellung einer vergangenen geschichtlichen Situation das Freiheits- und Vernunftsstreben der Moderne als das legitime Interesse des Individuums an seiner Selbstverwirklichung nicht nur erweckt, sondern in der Durchsetzung strukturell vorbereitet werden kann. Auch die Idyllenproblematik ist ein Zeugnis dieser Bemühung um die Orientierung des Menschen auf ein zukunftseröffnendes, die Welt veränderndes Handeln, dessen Möglichkeit und Legitimität durch die Vergegenwärtigung einer vergangenen, aber dem Interesse der „Menschheit“ gefügigen Situation in der Kunst vermittelt wird. SCHILLER stellt in seinen Briefen zum Don Carlos sein eigenes Anliegen in diesem Sinn dar, und Hegel greift SCHILLERS Dramen in eben diesem Sinn auf. Denn er stellt sich auch in den Vorlesungen noch die Frage, die an seine eigene frühe „revolutionsbegeisterte" Lektüre der Jugenddramen anknüpft und diese Rezeption systematisch fundiert: die Frage nach der Kunst, die die Sittlichkeit eines Volkes, die Orientierung geschichtlichen Handelns bewerkstelligt. Da SCHILLERS Idyllenkonzeption für Hegel nicht in der ursprünglichen Version — nämlich im Sinne des zusammen mit v. HUMBOLDT entwickelten Planes in den Blick kommen kann, ist seine Fragestellung automatisch die „aktuellere" im Sinne der gegenwärtigen ScHiLLERdeutung. Denn er greift die Dramen SCHILLERS SO auf, daß er sie an der Möglichkeit der Kunst mißt, die für ihn die universale ist: an der antiken Tragödie. die antiken Grundlagen erarbeitet N. Himmelmann: Über Hirten-Genre. — Zur Schillerinterpretation erschienen im Anschluß an die Deutung Kaisers weitere Studien zur Idylle. A. Siekmann: Drama und sentimentalisches Bewußtsein, (vgl. bes. 33). Siekmann sieht in der idealischen Poesie für Schillers am Denkmodell der Goethezeit orientierte Geschichtskonzeption einen notwendigen Schritt. Beeinflußt ist dies dreistufige Modell von dem Schweizer Historiker Isaak Iselin (bzw. dessen Abhandlung: Rousseau und Kant). In diesem Sinn versteht auch H. Pillau die Konfrontation der Schillerschen mit der antiken Tragödie. In der Deutung der antiken Tragödie selbst konfundiert er allerdings Hegels Bestimmung des Epos und der heroischen Welt-Habe mit der der Tragödie. Da das Epos den vorstaatlichen Zustand in seinen archaischen ersten Schritten — den konstituierenden Taten der Individuen — zur Institution einer Gemeinschaft zum Inhalt hat, ist dies dem modernen nicht oder nur als Kontrast vergleichbar. Anders in der Tragödie selbst, die den Konflikt verschiedener Orientierungen im Staat thematisiert, und dadurch explizit die Kollision verschieden „orien-
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SCHILLERS Dichtung erscheint in diesem Zusammenhang auch als ein Fall der modernen „Idylle", als der Versuch, durch die Repräsentation einer fremden oder vergangenen Welt die Orientierungen geschichtlichen Handelns zu finden. SCHILLER stellt hier entweder das Griechentum unter expliziter Betonung seiner Vergangenheit dar oder — nach dem Verzicht auf die dichterische Verwirklichung der „großen Idylle" — geschichtliche Konstellationen, die der „weltgeschichtlichen Handlung" des Einzelnen den für die Durchsetzung der Vernunftprinzipien erforderlichen Raum eröffnen möchten. Deshalb ergibt sich auch hinsichtlich seiner Dichtung das Problem, ob Hegel hier die Gemeinsamkeit der Intention so verstanden haben kann, daß er die bleibende geschichtliche Bedeutung der ScHiLLERschen Dramen akzeptiert. Einiges deutet darauf hin, daß Hegels ständiger Vergleich der antiken Tragödie und der Dichtung SCHILLERS, insbesondere der Dramen, nicht nur (im Sinne der Klassizismuskritik) ein Vorurteil durchspielt, sondern im Gegenteil den Versuch der Anknüpfung an die eigene frühe Konzeption darstellt. So sieht Hegel in SCHILLER wie in GOETHE (Ästh. II, 1. 37) die Nationaldichter, die das „Werk" schaffen, das der gegenwärtigen Situation entspringt. Durch die Nachschriften wird eindeutig belegt, daß es Hegel hier um eine Parallelität der Funktion der Kunst in Antike und Moderne geht, d.h. um die Frage, wieweit eine moderne Schöpfung im Vollsinn als Werk angesehen werden kann. Hegel erwähnt u.a. auch SCHILLER im Zusammenhang der Bestimmung des Werks, d.h. in der Wiederholung der frühen (Jenaer) Überlegung, daß ein Individuum nur auf der Grundlage eines Volkes ein Werk der Kunst schaffen könne. „GOETHE S, SCHILLER S Gedichte hat das deutsche Volk gemacht. Es ist ein Ton angegeben, in dem allerdings fortgesungen werden kann" (Aachen 1826. Ms. 197), weil „GOETHE und SCHILLER ... deutsche Empfindungen, Ansichten" (Kehler 1826. Ms. 407), also die Geschichte des eigenen Volkes bzw. (speziell für SCHILLER) die auf die Vernunft gegründete Kultur des Abendlandes aufgreifen und neu vermitteln. Wenn Hegel in diesem Zusammenhang zugesteht, SCHILLER habe echtes „Pathos", immer „ein großes sittliches Interesse", das ein ihm gleiches sittliches Pathos hervorbringt (Aachen 1826. Ms. 211 f), dann bedeutet die folgende Behauptung, daß SCHILLER noch über GOETHE stehe, keine bloß ästhetische Wertung. Vielmehr bedeutet dies wie auch der Vergleich mit der antiken Tragödie, daß SCHILLER für Hegel als der Künstler gilt, der sich selbst die Aufgabe stellt, die geschichtliche Funktion
tierter", d.h. in verschiedenen Götterdiensten stehender „heroischer Charaktere" entwirft. Erst hier werden die Inhalte der Mythologie in einer für die Moderne relevanten Weise vermittelt, weil sich erst hier das Problem der verschiedenen Orientierungen sittlichen Handelns in der Kunst stellt. Der Vergleichspunkt der Dramen ist also formal die Kollision, inhaltlich läßt sich nach Hegel nur eine Divergenz feststellen. Dazu H. Pillau: die fortgedachte Dissonanz. 13 ff.
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der Kunst in der Antike für die Moderne zu wiederholen. Es geht um die „Sittlichkeit" aller in der Tragödie, um das „Resultat" einer „Versöhnung des Sittlichen mit sich selbst". SCHILLER versucht dies an einem „großen Individuum" darzustellen, „das zu Grunde geht, indem es mit dem Schicksale kämpft, dabey aber doch seine innere Freiheit behauptet" (Aachen 1826. Ms. 212). Die Kritik der Briefe zu Beginn der Vorlesungen zeigt, daß Hegel SCHILLERS Definition des ästhetischen Staates als diesen Versuch einer Institution der Sittlichkeit aller unter den Bedingungen (der „Verfaßtheit") der modernen, differenzierten und komplexen Welt betrachtet. Seine Kritik lautet — systemimmanent —, daß dies der Kunst nicht gelinge; die Auseinandersetzung mit den Dramen zeigt aber, daß diese Behauptung in den Vorlesungen überprüft und erneut erörtert wird. Für die Entkräftung des Klassizismusvorwurfs ist interessant, daß Hegel an SCHILLERS Dichtung nicht die Momente schätzt, die für Wiederbelebung der Antike einstehen könnten: den Gebrauch des Chors in der Braut von Messina beurteilt er eher skeptisch. Dagegen erscheint ihm aber die Darstellung der Charaktere bei SCHILLER mit der antiken Tragödie durchaus vergleichbar, denn auch hier ist der ,Ausdruck ganz der Aktion zugeschrieben" (Kehler 1826. Ms. 438), auch hier zeigt die Tragödie exemplarisches geschichtliches Handeln. Problematisch bleibt, daß die Lösung vom „substan-
tiellen“ Gehalt, vom Religiösen im Sinne der griechischen Mythologie auch bei Schiller zur Darstellung nicht der Kollision im Sittlichen, sondern zur Kollision des individuellen Charakters mit der Welt (Wirklichkeit) führt. Hier prädestiniert die Kritik der „schönen Seele" die Kritik des modernen Dramas, und Hegel nennt SCHILLER zwar nicht in einem Atem mit SHAKESPEARE, vergleicht ihn wohl aber mit F. SCHLEGEL.^’’ Charaktere, die sich den Status des
Hegel bringt diese Kritik des Chors in der Tragödie schon in den Nürnberger Schriften (Nürnb. Sehr. 119). Der Chor ist das Element der ruhigen Reflexion und so bei Schiller als typisch modernes Element eingesetzt, aber er leistet nicht die Reflexion, die das Ganze des Weltlaufs berücksichtigen kann. Schiller kann den Chor darum nicht im Sinne der Alten gebrauchen, weil an die Stelle des „Substantiellen, das in seiner Substantialität bleibt", hier die Reflexion tritt (Kehler 1826. Ms. 450; dazu Aachen 1826. Ms. 214); zum Chor in der griechischen Tragödie wiederholt Hegel diese Bestimmung separat (Kehler 1826. Ms. 412). Die Kritik Hegels zur Braut von Messina (Ästh. I, 1. 247; II, 1. 242) sowie der Vergleich mit dem Schicksalsgedanken im Oedipus (Ästh. II, 1. 262) greift das auf. Hegel muß dieses Stück geschätzt haben, denn er erwähnt in allen Vorlesungen, daß er die Jenaer Aufführung gesehen habe, und nennt noch in der letzten Vorlesung die ßrnHf „meisterhaft" (Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 144a). Bezeichnenderweise charakterisiert er die Wiederaufnahme des Heroenzustandes mit dem Hinweis auf Pindar, d.h. durch sein eigenes Beispiel für die Relativierung der Möglichkeiten des heroischen Charakters unter Bedingungen einer komplexen Welt und eines feststehenden Institutionengefüges (Aachen 1826. Ms.
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Jieroischen" Charakters anmaßen, bleiben an ihre subjektive Innerlichkeit zurückgebunden und geraten dadurch notwendig in Kollision mit der Welt, die sie im Sinne der Menschheit und Freiheit ändern wollen. Da für Hegel der mögliche Sinn der „Kollision" festliegt, kann dieses (nach SCHILLERS Definition, auf die Hegel anspielt) „erhabene" Scheitern nicht als akzeptable geschichtliche Bedeutung der Kunst angesehen werden. Hegels dleligionsvorurteil" bleibt trotz der Ausrichtung auf das Interesse an Humanität in einer Weise wirksam, daß er die eigentümliche Intention der Dramen SCHILLERS akzeptiert, sie in sein Werk-Verständnis integrieren kann, aber diese Werke selbst erneut als bloß partial, als eingeschränkt bedeutsam charakterisiert. Dabei argumentiert Hegel nur mit der Entgegensetzung einer gelingenden Vermittlung der Sittlichkeit aller und einer scheiternden. Daß die Vermittlung im Griechentum gelingt, hängt zwar von der „Mythologie" und ihrer uneingeschränkten Geltung ab, daß die moderne mißlingt, liegt aber nicht daran, daß kein religiöser (christlicher) Inhalt die Kunst mehr beherrscht oder wiederausgebildet wird. Die Bestimmung des Werks wird
statt dessen rein geschichtsphilosophisch als Möglichkeit der allgemeinen Handlungsorientierung erörtert. Deshalb sind für Hegel gerade jene Dra-
men interessant, die er in seinen früheren Überlegungen zum Zweck der Absetzung von SCHILLER herangezogen hatte. HOTHO erwähnt zwar auch SCHILLERS Jugendarbeiten, den Menschenfeind, Kabale und Liebe, Fiesco und Don Carlos, aber in den Vorlesungsnachschriften finden sich ausführliche Hinweise nur auf die RäMfeer, Wallenstein, Die Jungfrau, Wilhelm Teil. An diesen Beispielen versucht Hegel zu erklären, wieso die Kunst ihre geschichtskonstitutive Funktion eben durch den geschichtlichen Fortschritt der Vernunft und Freiheit eingebüßt hat. Für die Perspektive dieser Deutung ist bezeichnend, daß Hegel SCHILLERS dramatische Personen nicht mehr mit den „heroischen Charakteren" der antiken Dramen, sondern nun mit den Heroen des Epos vergleicht. Dadurch setzt er ein gelingendes staatsstiftendes Handeln einem mißlingenden gegenüber. In SCHILLERS Dramen wiederholt sich also die Situation des „Verfalls" der universalen Bedeutung, durch die die griechische Tragödie als Über205 und Marb. Bihl. 1828. Bl. 15a). — Zur Braut vgl. R. Homann: Erhabenes und Satyrisches. 105, 111; G. Kaiser (Die Idee der Idylle in Schillers „Braut von Messina", 289 ff) sieht hier den Versuch der Wiederherstellung einer harmonischen Welt (Natur) im Durchgang durch die Geschichte, also ein Wiederaufgreifen des geschichtsphilosophischen Entwurfs der Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung. — Schiller selbst weiß sich in diesem Versuch im Wettstreit mit der antiken Tragödie, wie seine Briefe an Körnervom 9. Sept. 1802, vom 15. Sept. 1802, vom 22. April 1803 belegen (Bd 6. 414, 427; 7. 34), sowie der Brief an Cotta vom 1. Februar 1803 (Bd 7. 12). — Zur historischen Distanz Schillers zu den Griechen vgl. W. Schadewaldt: Antikes und Modernes in Schillers „Braut von Messina, 286 ff.
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gangsform charakterisiert wurde, und zwar noch dadurch verstärkt, daß das Scheitern des Individuums an seinem geschichtlichen Zweck ohne „Versöhnung", ohne den griechischen Schicksalsgedanken, konzipiert werden muß. Dem Reflexionsstandpunkt der Dramen bleibt die spekulative Integration von Religion und weltgeschichtlichem Handeln im Staat versagt. Die Kollision des modernen Dramas entsteht durch die Anmaßung einer heroischen Selbständigkeit unter den Bedingungen der bürgerlichen Welt. Die Konsequenz wird jeweils zwangsläufig: Scheitern des Handelns an der Welt und damit verbunden die Destruktion entweder der Verhältnisse, unter deren Bedingung die Revolution durchgesetzt wird (wie in den Räubern), oder der Verhältnisse, die als Ziel erreicht werden sollen. Mit dem Scheitern seines geschichtlichen Zwecks geht auch das große Individuum unter. Anden Räubern exemplifiziert Hegel auch in den Vorlesungen zur Ästhetik seine Jenaer Position, daß das große Individuum der Moderne der Verbrecher sein muß, weil ein staatsstiftendes Handeln nicht mehr in der Macht des Einzelnen liegt. Bezeichnenderweise ist in diesem Drama wie oft bei SHAKESPEARE die geschichtliche Situation der Moderne wenigstens teilweise aufgehoben, um überhaupt den Handlungsspielraum des Einzelnen zu gewährleisten. Die Stücke werden in die Zeit des Krieges verlegt, der die bürgerliche Welt in ihrer festgelegten Ordnung erschüttert und die Neukonstitution eines institutionellen Rahmens aus dem freien (willkürlichen) Handeln plausibel erscheinen läßt, ja erforderlich macht. Mit dem Rückgriff auf die deutsche Vergangenheit ist also auch bei SCHILLER ein quasi-heroischer Zustand wiederhergestellt. Denn in der durch die äußerlichen Umstände bedingten totalen Infragestellung der bürgerlichen Ordnung möchte ein Eingreifen analog zur sittlichkeits- und staatsstiftenden Tat der griechischen Heroen wieder den Beginn einer neuen, sich ausdifferenzierenden Ordnung setzen. Für die Räuber gilt dies allerdings nicht (vgl. Ästh. I, 1. 250; II, 1. 245). Hier bleibt die „heroische Selbständigkeit" bloße Anmaßung, d.h. „Selbständigkeit wird nur durch die Entgegensetzung gegen die Ordnung der Dinge, gegen die menschliche Gesellschaft" (Marb. Bibi. 1826. Ms. 15a-16) gewonnen. Die Selbständigkeit des Individuums, d.h. für Hegel seine uneingeschränkte geschichtliche Wirksamkeit, kann „nur durch Empörung" und Heraustreten „aus dem bürgerlichen Zustand erreicht" werden; sie ist „eine schwache, angemaßte und führt notwendig Verbrechen herbei" (Kehler 1826. Ms. 84 f; vgl. ]ag. Bibi. 1828/29. Ms. 72). Im „gebildeten Zustande" kann durch die Tat des Einzelnen nicht die Gemeinsamkeit des Handelns eines Volkes gestiftet werden. Es zeigt sich nur das „Heraustreten aus der gesellschaftlichen Bindung" (Aachen 1826. Ms. 54).
^®Vgl. „Moor creiert sich selbst einen heroischen Zustand", wird aber dadurch lediglich „zum Feind der gesellschaftlichen Ordnung" (Hotho 1823. Ms. 80 f).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Während Hegel in der Braut von Messina die heroische Anmaßung des Herzogs kritisiert, und in der Johanna, daß der Stoff zu episch sei,^® nimmt seine Kritik am Wallenstein die frühe Thematik wieder auf, die in dieser Kritik nur implizit steckt. In SCHILLERS Wallenstein wird die Tatsache am besten verdeutlicht, daß die Zeit des exemplarischen Handelns großer Individuen und der sowohl handlungs-orientierenden (Sittlichkeit stiftenden) wie zugleich darin gesellschaftsstiftenden Wirkung der Kunst vergangen ist (vgl. Ästh. I, 1. 251; II, 1.246). Auch hier rechtfertigt Hegel seine Kritik dadurch, daß er SCHILLERS Anliegen mit der eigenen Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst identifiziert. M.a. W., er gesteht SCHILLER ZU, daß er in der Kunst Humanität durch die Vorstellung sittlichen Handelns anstrebt und darin zugleich die physischen Bedingungen, die Institution des Staates, ändern will. Die Kritik bezieht sich dann ausdrücklich auf diese Intention im Verhältnis zu ihrer künstlerischen Durchführung. SCHILLER läßt außer acht — so Hegel —, daß unter den Bedingungen der modernen Welt das an der griechischen Welt gewonnene Modell der gesellschaftlichen Funktion der Kunst nicht in gleicher Weise zu den erwünschten Resultaten führt. Das zeigt sich vor allem im Wallenstein. Hegels unspezifizierter Hinweis auf einen „General in unserer Zeit" meint SCHILLERS Wallenstein. Im Vergleich mit den Heroen ist, „was ihm zu entscheiden zukommt ... sehr beschränkt, die Mittel stehen nicht in seinem Gehorsam, sondern stehen in einer ganz anderen Beziehung als auf seine eigenthümliche Persönlichkeit, ebenso seine Zwecke sind ihm von einer andern Macht und einem andern Verhältnis angegeben". Demgegenüber rechnet sich das heroische Individuum, dessen Tat (durch die Kunst repräsentiert) die Welt eines Volkes konstituiert, rechnet sich „der heroische Charakter ... das Ganze zu und steht für das Ganze" {Marb. Bihl. 1826. Ms. 15, 15a). In der letzten Vorlesung muß Hegel zudem betont haben, daß GOETHES Götz und SCHILLERS Wallenstein noch „unsere Geschichte" angehen (Jag. Bibi. 1828/29. Ms. E49), aber er macht einen Unterschied im gewählten Sujet. „Das Rittertum, die Lehnszeiten hatten einen heroischen Boden" {Marb. Bibi. Ms. 16), d.h. das große Individuum stand für sich selbständig und garantierte die politische und physische Sicherung der Unselbständigen. “•^Das ist hier aber ablehnend gemeint, weil die Handlung auf den innerlichen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung eingeschränkt wird; dazu Ästh. I, II, 2. 182 und die entsprechenden Nachschriftenstellen: Kehler 1826. Ms. 415; Aachen 1826. Ms. 200 f; Jag. Bibi. 1828/29. Ms. 148. Hegel geht es darum zu kritisieren, daß Schiller epische Elemente ins Drama hineinnimmt, sie damit zum Ausdruck von Empfindung nutzt. Das moderne Epos ist der Roman, dessen Held sich mit dem Sittlichen, Rechtlichen als „vesten Verhältnissen" zu arrangieren hat. — Zur Kritik der Weimarer Aufführung des Teil vgl. Hot ho 1823. Ms. 104, dazu Asth.l, 1. 360; II, 1. 351 und Br. 1. 78, 80.
3.4 Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik
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fällt dagegen in eine andere Kategorie; „er wirft sich zum selbständigen Regulator der politischen Ordnung auf" und scheitert an den bestehenden Machtverhältnissen, weil die Bindung seiner Soldaten an ihn eine nur individuelle, nicht eine institutioneile ist. Entscheiden die Soldaten gegen die Neigung (Liebe zum General) für die Pflicht, so ist WALLENSTEIN verlassen und machtlos. Diese Machtlosigkeit, das Verlassensein läßt ihn „verloren" sein {Kehler 1826. Ms. 85; Aachen 1826. Ms. 54). Die Macht, die WALLENSTEIN gegenübersteht, ist also nicht ein anderes, etwa größeres Individuum, sondern die „verfaßte" Gesellschaft, die ihn selbst trägt. Der Unterschied der Bildung, der Stände und damit das diesem entsprechende institutionelle Gefüge erscheint in der Moderne als „ein zur Natur gemachter Unterschied".so Wallensiein wird deshalb zum Paradigma weltgeschichtlichen Handelns unter den Bedingungen der Moderne. Er scheitert zwangsläufig, weil der individuelle Eingriff in die Geschichte, das heroische Handeln, wegen der Differenziertheit, Vielschichtigkeit und Verfestigung der Verhältnisse nicht zum Ziel gelangen kann. Der Großtat der antiken Heroen, der Stiftung einer Tradition, einer Institution der Gemeinschaft in der lebendigen Einheit eines Volkes, stellt Hegel die moderne Staatsmaschinerie entgegen. Diese erscheint als die Garantie der Sittlichkeit und damit als die Basis der Moralität, die das individuelle heldenhafte Handeln zerstört. WALLENSTEINS Versuch, diese Situation in Rechnung zu stellen, besteht in einer Fehlauffassung der Religion, die Hegel kritisiert. In der Magie der Mächte, denen sich das Individuum unterwirft, weil es mit ihrer Hilfe die Geschicke aller in der Hand zu halten hofft, sieht Hegel nur den fatalen Aberglauben, der die geschichtliche Tat des Einzelnen zum „Verhalten" nach höheren Gesetzen herabzumindern droht. Diese Bindung nimmt WALLENSTEIN durch seinen eigenen Entschluß schließlich zurück, aber er scheitert dennoch, weil ihm der Blick auf die Geschichte, besonders auf die verschiedenen Gebundenheiten des Einzelnen verstellt bleiben. Hier tritt die Religion in einer Form auf, die sie der Handlung gänzlich unterstellt und sie wirkt im Gegensatz zu ihrer WALLENSTEIN
50 Eindeutiger noch als in der frühen Kritik charakterisiert Hegel hier nicht nur die innere Geschichte des Wallensteinschen Entschlusses, sondern die Kollision des Individuums mit der Institution, die zugunsten der Institution ausgeht. Auch hier noch gilt Wallenstein als ein „partikulärer Charakter", wird besonders der Versuch, sich im Handeln vorab zu sichern, kritisiert; aber die Kritik der „schönen Seele" gilt hier nicht in dem Sinn, daß die Handlungsverweigerung den Konflikt heraufbeschwörte (so 1. Schußler: Hegels Kritik an der deutschen Literatur seiner Zeit. 28,134ff). — Hegel behandelt diesen Gedanken, daß der Einzelne nicht mehr in der Lage sein, die Welt als ganze oder einen Staat zu verändern, ihn als Individuum zu regieren, im einzelnen in der Rechtsphilosophie. In der frühesten bekannten Mitschrift von 1817 (P. Wannenmann; die Edition erschien 1983) findet sich im Anschluß an eine Erörterung des Mordes an Caesar die Formulierung: „Daß der Einzelne sich zum Träger des Willens der Welt macht, macht, daß das einzelne Individuum zugrundegeht".
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Funktion im Griechentum nicht als Ermöglichung gemeinsamen sittlichen Handelns, sondern als Korruption der geschichtlichen Tat. Mit Hilfe der Religion, mit unterstellten Mechanismen der Lenkung aller Geschicke, die auf den Einzelnen wie die Institutionen übergreifen, läßt sich der Verblendungszusammenhang, die Meinung, man vollbringe ein „weltgeschichtliches Werk", herstellen. Aber die Heteronomie dieser magischen Religiosität gereicht zugleich zum Scheitern an der Realität. Das große Individuum muß sich die Welt, in der es handeln will, als heroische Welt zurechtstellen, es handelt aber realiter unter anderen Bedingungen. Hegel weist darauf hin, daß WALLENSTEIN letztlich daran scheitert, daß er seine Soldaten nicht als „Subjekte" einberechnet, daß er sie als Totalität (in ihrer gemeinschaftlichen Entscheidung für ihn) sieht, nicht als moralische, durch einen Eid gebundene Individuen. Die Beispiele für diese „Kollision" im Individuum selbst, die Kollision von individueller Moralität und Handlungskollektiv (mit Hegel: der „ständischen" Gebundenheit), ließen sich vermehren. Das moderne Individuum, das sich ein weltgeschichtliches Handeln anmaßt, läßt die institutioneilen Bedingtheiten für sein und das Handeln aller außer acht, scheitert aber an ihnen. Er büßt seine Anmaßung, seine nur vermeintliche Souveränität über alle positiven Gesetze mit dem eigenen Fall. Hegel nennt nur die triftigsten Momente für die Notwendigkeit, daß das große Individuum zum „Verbrecher" wird, um zu zeigen, wie in Schillers Dramen, also im Kunstwerk, dessen Inhalt der Humanus in seinem weltgeschichtlichen Handeln ist, die Unfähigkeit des modernen Individuums zum „Staatswerk", zum weltgeschichtlichen Werk im Sinne der geschichts-stiftenden Talen der Heroen thematisiert wird. Die Kunst kann die geschichtliche Aufgabe, die ihr in SCHILLERS Briefen, die ihr in Hegels frühen Überlegungen und seiner Bestimmung der klassischen griechischen Kunst zuerkannt wird, nicht erfüllen. Die Analogie von Kunstwerk und Staatswerk funktioniert nur negativ als Grundlage dieses Scheiterns an der geschichtlichen Aufgabe. Gleichsam im Vexierspiegel: im Untergang dessen, der diesen Anspruch in der Welt des schönen Scheins als ein „Handlungsanalogon", eine Analogie zur freien gesellschaftsändernden Tat durchspielt, belegt sich Hegels These. Es kann kein nationales Epos mehr geben, weil der Anspruch, die Welt, in der der moderne Mensch lebt, in das Epos — hier das Drama — einzuholen, nicht erfüllt werden kann. Die Welt als ganze „begreift" sich nicht im Kunstwerk. Das Kunstwerk, da wo es analog zum Staatswerk erscheint, kann nur zeigen, daß es in dieser Intention, wie der Staat, alle im Handeln zu vereinen, scheitert. Es kann nur dargestellt werden, wie das Individuum zugrundegeht, das für alle richtungsweisend, also „weltgeschichtlich" handelt. Das Kunstwerk, dessen Inhalt der Humanus ist, enthält (wie SCHILLERS Dramen zeigen) in sich die Reflexion auf die eigene Situation (der bürgerlichen Welt) und auf die partialen Handlungsmöglichkeiten. Das dargestellte
3.4 Kunstwerk und geschichtliches Handeln: Hegels Schillerkritik
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Handeln großer Individuen ist nicht traditions- und damit letztlich staatsbildend, sondern thematisiert die Grenzen des individuellen moralischen Handelns im Staat. Hegel umschreibt dies als das Auseinanderfallen von (romantischer) Subjektivität, Innerlichkeit, Moralität des Einzelnen und der Organisation im Staat. Beides kann nicht mehr unvermittelt aufeinander bezogen werden, und das Drama thematisiert dies als die Notwendigkeit der „modernen" Kollision. Schillers Dramen erscheinen Hegel so als das subiilsle Beispiel für den Sinn wie die Geltung der eigenen These vom Ende der Kunst. Sie belegen den zweiten Aspekt, der in der Enzyklopädiefassung seit 1827 wichtig wird, daß nämlich der Staat als „Zukunft" über Kunst und Religion hinausweist, daß seine Institutionen nicht durch Geltungsansprüche aufgehoben werden können, die lediglich in der Anschauung oder Vorstellung gerechtfertigt erscheinen, also als Anmaßung vermeintlicher Wahrheit gegen deren Begründung stehen.Es gibt Kunst in der modernen Zeit, es gibt formale Vollendung, aber wo einem solchen Gebilde der Werkcharakter unterstellt wird, wo es sich dem universalen Leistungssinn unterwirft, den Hegel in der geschichtlichen Funktion der Kunst in der Antike gewonnen hat, zeigt sich seine Partialität. Im Kunstwerk wird die Unmöglichkeit der geschichtsstiftenden Tat des Individuums manifest; es zeigt sich durch den zwangsläufigen Untergang des Helden, daß die philosophische Einschätzung zutrifft. Durch die Kunst kann die Humanität der Welt nicht gewährleistet, viel weniger hergestellt werden, auch und gerade dann nicht, wenn ihr Inhalt in diesem Zweck besteht.
Hegels Schillerkritik erscheint wiederum als Bestätigung der generellen systematischen Differenzierung, die zu Beginn der letzten Vorlesung vorgetragen wird (durch die beiden bekannten Nachschriften belegt). Interessant ist, daß beide Probleme, die Religionsproblematik und die Frage nach Sittlichkeit und Staat auch hier anhand des Wallenstein zusammengefaßt erörtert werden. Möglicherweise liegt auch in der Berliner Zeit ein ähnlicher Sachverhalt vor, wie in der Frankfurter Zeit, daß Hegel — zumindest unter anderem — auch in der Schillerdeutung die Anhaltspunkte gewinnt, seine systematische Konzeption zu differenzieren. Denn die Vorlesung von 1826 enthält zwar noch nicht in der Einführung, wohl aber im inhaltlichen Teil die Einsicht, daß die recht verstandene Religion wie der Staat über die Kunst hinaus sei. In Heimanns Nachschrift von 1828/29 findet sich die Bemerkung „Die Schranke der Kunst liegt nicht in ihr, sondern in uns“ {Heimann 1828/29 Ms. 17; 5.11. 28); dazu Jag. Bibi. Ms. 25: der Staat bietet in der modernen Zeit eine Verwirklichung der Freiheit, die über die durch die Kunst erreichbare hinausgeht; ebenso Jag. Bibi. 1828/29 Ms. 30 f: „Die Kunst hat auch ein Nach. Die Kunst als Explikation der Wahrheit geht in ein Höheres über und dies bestimmt die Stellung der Kunst, wie sie für unsere Zeit ist, indem wir über die Kunst hinaus sind"; „Die Kunst überlebt sich selbst, sie treibt sich heraus" (31).
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
3.5 Integration der frühen programmatischen Bestimmung der Kunst in die Konzeption der Vorlesungen Aus einzelnen Bemerkungen der Vorlesungen zur Ästhetik ergeben sich Hinweise darauf, in welcher Weise die frühe Bestimmung des Kunstwerks gegen Hegels explizite Ablehnung als Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst überhaupt gerechtfertigt und durch die Aussagen der Ästh etik ergänzt werden könnte. Die Idyllenproblematik bietet sowohl eine Verbindung zwischen Hegels frühen Überlegungen und der Ästhetik als auch einen Ansatz zur Interpretation der unakzeptablen Grundthesen der Philosophie der Kunst, weil darin die „materiale" Explikation eines vertretbaren „Klassizismus", besser eines Traditionsbezugs der Kunst sowie ihrer Zukunftsperspektive, gegeben ist. Hegel verstellt sich durch seine Kritik der modernen Idylle die Chancen, seine historisch exemplifizierte Bestimmung der universalen Funktion der Kunst auch auf die „moderne" Kunst zu beziehen, nicht nur auf die griechische. Daß er aus systematischen Gründen nicht anders kann, als der Kunst die Möglichkeit zur Repräsentation des weltgeschichtlichen Werks abzusprechen, mag hinreichend deutlich geworden sein; daß er aus seinen eigenen systematischen und inhaltlichen Prämissen sich nicht in dieser Weise festlegen müßte, zeigt sich z.B. an seinen Überlegungen zur menschlichen Gestalt als der adäquaten Gestalt des Gottes. Im Blick auf diesen Höhepunkt der griechischen Kunst, auf das „Schönste", das die Kunst überhaupt hervorzubringen vermag, wiederholt er ästhetik-immanent die Debatte seiner frühen Überlegungen. Seine Auseinandersetzung mit SCHILLERS Bestimmung der Gottähnlichkeit des Menschen, die Übernahme dieser uneingeschränkten Verpflichtung auf die Aufklärung und ihre Folgeprobleme, spiegelt sich in der Auszeichnung der menschlichen als der geistigen Gestalt. Mit der Idylle wird nun nicht allein die sinnenfällige Gestalt, sondern zugleich das Handeln und die geschichtliche Handlungsmöglichkeit, wie sie in der Kunst dargestellt werden kann, zum Thema der philosophischen Reflexion. Hegel schließt es in diesem Zusammenhang generell als sinnlos aus, am Griechentum wie an irgendeiner anderen ausgewählten historischen Situation die Befriedigung des Vernunftbedürfnisses erscheinen zu lassen. Weder die schöne menschliche Gestalt des Gottes, weder die Tatsache, daß das Menschliche als das Göttliche erscheinen kann (und umgekehrt), noch die reflektierten „Bilder" dieser Vernunftpotenz in Epos und Tragödie können die Forderungen von „Menschheit" und „Freiheit" gegen die Entfremdung, gegen die Zerrissenheit des Zeitalters durchsetzen. Gerade da, wo der seiner Vernunft mächtige und seiner Handlung bewußte Mensch zum Inhalt der Kunst wird, legt Hegel die geschichtliche Funktion der Kunst in einer Weise fest, die in der Interpretation einzelner Kunstwerke zu (vermeidbaren) Schwierigkeiten führt. Will man, wie es hier vorgeschlagen wurde, Hegels Bestimmung des Kunstwerks
3.5 Integration der frühen programmatischen Bestimmung der Kunst
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als die philosophische „Wesensbestimmung" der Kunst, d.h. als die Bestimmung ihrer geschichtlichen Funktion, beibehalten, so muß geprüft werden, wieweit dies ohne und gegen Hegels Philosophie des Absoluten begründet werden kann. Für die Behauptung, die Kunst müsse die Geschichte einer Gemeinschaft stiften, ja in der Situation der Moderne, in der sie versagt, sogar revolutionieren, erwies sich die aus der Aufklärungsästhetik übernommene Parallelisierung von Kunstwerk und Staatswerk als konstitutiv. In der Philosophie Hegels gewinnt diese „Parallelität" aber einen Charakter, der ihren vertretbaren Sinn aufhebt. Wo nämlich die Auszeichnung der Theorie in ihrer Identität mit der Realität liegt, da müßte auch die Auszeichnung der „vorangehenden", vorbereitenden Wahrheitsvermittlung in einer solchen Identität mit der geschichtlichen Wirklichkeit liegen. Hegels Bild des Griechentums ist daher u.a. durch die Unterstellung geprägt, hier habe die Kunst diese direkt realitätsstiftende Wirkung. Da Hegel die Funktion des Kunstwerks mit der des Staatswerks im Idealfall (d.h. in der geschichtlichen Situation der Antike) identifiziert, ergeben sich für die Moderne zwangsläufig die hier dargestellten Einseitigkeiten. Die Kunst kann selbst in dem Fall, der am wenigsten von inhaltlichen und systematischen Vorurteilen geprägt ist, nicht der ddealen" Wirksamkeit entsprechen, die Hegel in einer anscheinend bloß historischen Reflexion entwirft. Das liegt einmal daran, daß für Hegel die Ausbildung einer Mythologie durch die Kunst in einer ganz bestimmten Weise festliegt. Mythologiestiftend sind nur die Werke, die zu einer gemeinsamen Orientierung des politischen Handelns einer Gemeinschaft führen. Im Griechentum gab es —jedenfalls nach Ansicht Hegels — eine solche Mythologie, die durch die Kunst gestiftet wurde und die zugleich die Orientierung des sittlichen Handelns eines ganzen Volkes enthielt. In der Moderne gilt jede denkbare Mythologie nur vermittelt, nämlich in der Form von Religiosität, die ihre „Garantie" nicht durch die Kunst, sondern durch den „Begriff" erhält. Da aber Hegels Begründungsverfahren angezweifelt werden muß, bleibt als mögliche Wirkung nur eine Kunstform übrig, die zu keiner für alle verbindlichen Mythologie mehr führt, führen kann und will. Die Kunst, deren Heiliger der Humanus ist, muß alle „Mythologisierungen", deren sie selber fähig ist, deren die Kunst in der Geschichte mächtig war und die sie vermittelt (wie z.B. in der Wiederbelebung der orientalischen Mythologie und Poesie), gleichermaßen der Reflexion auf ihre Adäquatheit zum Zwecke der Humanisierung der Welt unterwerfen. Es gibt keine bruchlose Einheit von Mythologie und schöner Gestalt. Dennoch kann die Kunst aber „Weltanschauung“ im Sinne einer Ganzheitsdeutung der Welt und des Menschen vermitteln, wie es etwa SCHILLERS Dramen beanspruchen. Hier entsteht für Hegel nur darum ein Problem, weil die Kunst keine affirmativ-rezipierbaren Muster weltgeschichtlichen Handelns liefert. Die Kunst gelangt nur zu Entwürfen und
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
anschaulichen Konkretisierungen eines solchen geschichtlichen Handelns, das der Intention nach allgemein akzeptabel ist, das gleichwohl aber in der Durchsetzung der ,Menschheits"-Zwecke scheitert. Die mögliche Identifikation mit diesem Modell liegt also nicht in der affirmativen Übernahme einer sittlichen Orientierung für alle und durch alle, sondern in der Übernahme der Intention unter Einsicht in die Notwendigkeit, daß dasselbe nur mit anderen Mitteln erreichbar sein kann. Die Kunst hat im Entwurf eines Bildes der Welt keine direkt handlungsbestimmende Bedeutung, legt also die Sittlichkeit einer Gemeinschaft nicht durch Handlungsregeln fest. Sie vermag aber, durch die Weise, wie sie die Intention des Handelns großer Individuen als Vorbild nahebringt, die Situation des Menschen in der ^modernen" Gesellschaft zu beleuchten und die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Kritik der Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer Humanisierung der Bedingungen für alle allgemein plausibel darzustellen. Auch darin liegt eine Möglichkeit geschichtlicher Wirkung, die Hegel nur nicht als umfassende Möglichkeit der Kunst anerkennt. Hegels Gründe für seine Skepsis gegen diese Möglichkeit der Kunst sind allerdings rein systemimmanenter Natur und müssen letztlich mit dem Scheitern des absoluten Idealismus unhaltbar werden. Deshalb weist gerade seine Auseinandersetzung mit SCHILLER einen Weg, wie die strikte Analogie von Kunstwerk und Staatswerk in einer neuen Verhältnisbestimmung von Fiktion und Wahrheit aufgehoben werden kann. Es zeigt sich nämlich, daß die strukturelle Identität von Kunst- und Staatswerk nicht als notwendige Grundlage der Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst anzusetzen ist. SCHILLER weist in seiner eigenen Einschätzung der Idylle auf eine Möglichkeit hin, die zu einer differenzierteren Bestimmung der Handlungsorientierung durch die Kunst und auch zu einer damit verknüpften Modifikation der Bestimmung des „schönen Scheins", des Ideals, führt. Aus der Weise, wie SCHILLER in seinen Dramen unter Rückgriff auf eine geschichtliche Situation der Vergangenheit die Möglichkeit eines geschichtlichen Handelns aus den „Triebfedern" der Vernunft darstellt, ergibt sich die Möglichkeit eine indirekte Handlungsorientierung durch die Kunst zu konzipieren. Wenn nämlich die von Hegel vorausgesetzte Unantastbarkeit des institutionellen Gefüges bestimmter historischer Gesellschaften, die Irreversibilität verfestigter Handlungsregeln nicht mehr unterstellt wird, erscheinen gerade solche Kunstwerke wie SCHILLERS Dramen als Erfüllung der geschichtlichen Funktion der Kunst. Denn hier wird die RevisionsbedürfHgkeii und die Revisionsmöglichkeil bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse und Institutionen wird der Zweck ihrer Humanisierung zum Inhalt der Kunst.
Hegels ScHiLLERkritik in den Asthetikvorlesungen schließt zwei Momente zusammen, die zu den angegebenen Schwierigkeiten seiner Position führen. Einmal erscheint SCHILLER als Vorläufer seiner eigenen Ästhetik und unter dieser Rücksicht gilt SCHILLERS ästhetische Theorie als eine Version des KANxia-
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nismus. Abschließend erscheinen SCHILLERS Dramen inhaltlich ebenfalls als die Vorläufer, die Übergangsformen zur „vernünftigen" Grundlegung gesellschaftlich-geschichtlichen Handelns. Hegel verknüpft, ebenso wie es die ScHiLLERinterpretation nach ihm häufig tat, SCHILLERS ästhetische Theorie mit einer Analyse der Dramen. Seine Überlegung hat gegenüber vielen gängigen ScHiLLERdeutungen den Vorteil, daß sie nicht auf den Vorwurf hinausläuft, SCHILLER verfolge zu ausgeprägte theoretische Interessen und beeinträchtige dadurch den künstlerischen Wert seiner Dichtungen. Hegel sieht demgegenüber einen Vorteil darin, daß es SCHILLER gelingt, Reflexion und Kunst zu vereinen, und zwar in der doppelten Weise, daß sich Künstler und Theoretiker in einer Person treffen und daß die notwendige Reflexion auf die Möglichkeiten und Zwecke geschichtlichen Handelns in das Drama eingebildet wird (vgl. z.B. Kehler 1826. Ms. 32). Nur ist damit für ihn zugleich entschieden, daß selbst SCHILLERS Dramen nicht in der Lage sein können, unter modernen Verhältnissen wieder eine Zukunftsorientierung durch die Kunst zu gewährleisten. Hegel verknüpft in seiner Auseinandersetzung SCHILLERS Position stets so eng mit der KANiischen, daß sie mit dieser und ihren Fortsetzungen bei FICHTE dem Vorwurf unterliegt, bloße „Reflexionsphilosophie" zu bleiben. Diesen Topos der kritischen Auseinandersetzung wiederholt Hegel dann lediglich an späterer Stelle der Ästhetik in der Auseinandersetzung mit den Dramen. SCHILLERS Kunst bleibt wie auch seine Ästhetik bei den versöhnungsbedürftigen aber unversöhnten Gegensätzen stehen, sie gelangt zur Thematisierung des Widerspruchs, zur Exposition der Kollision, aber nicht zur Versöhnung. Damit formuliert und übernimmt SCHILLER zwar das Vernunftbedürfnis der Aufklärung, genügt ihm selbst aber nicht. Seine Dramen bleiben hinter dem Zweck zurück, den er selbst als ihren notwendigen Zweck anerkennt, als Intention seines Kunstschaffens formuliert. Sie können die Legitimation eines Selbst- und Weltverständnisses, einer Orientierung des geschichtlichen Handelns aus Vernunftprinzipien nicht gewährleisten. Hegel formuliert das als die Kritik, daß auch SCHILLER auf dem KANTischen Standpunkt der „Moralität", der nur innerlichen Konformität von Individuum und Vernunftprinzip stehen bleibe. Auch er gibt eine Auflösung des Gegensatzes von Notwendigkeit und Freiheit, von unbedingtem Vernunftanspruch und geschichtlich-bedingter Realisationsmöglichkeit, an. Er entfaltet diese Möglichkeit aber nur in der eingeschränkten Hinsicht, daß sich in der „Schönheit" der Kunst dieser Gegensatz auf eine „subjektive Weise", für das Gemüt des Einzelnen auflöst (vgl. Kehler 1826. Ms. 25, 28 f). Für Hegel liegt damit die „Partialität", der nur eingeschränkte Werkcharakter des neuzeitlichen Kunstwerks, ja des Werks der romantischen Kunstform überhaupt, gegenüber dem Staatswerk fest. Dennoch hat diese Schlußfolgerung so wenig Zwingendes, daß Revisionsversuche der Ästhetik immer wieder gerade hier, in der Reflexion auf die Geschichte und geistesgeschichtliche Bedeutung der Kunst ansetzen. Im Sinne der entwicklungsgeschichtli-
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3, Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
chen Analyse, wie sie hier durchgeführt wurde, könnte man im Anschluß an SCHILLERS Abhandlung Uber naive und sentimenlalische Dichtung die Frage stellen, ob nicht auch für Hegel eine Sicht der Kunst möglich sei, in der sich in der Kunst der „Moderne", d.h. der Nach-Aufklärung, die Überwindung der Reflexionskultur andeutet. Man kann diese Frage noch dahingehend spezialisieren, ob Hegel die Möglichkeit erwägen kann, die SCHILLER mit der dritten seiner sentimentalischen Kunstformen, mit der idealischen Dichtung, skizziert. Zwar muß man diese Überlegung eindeutig negativ entscheiden, denn die Festlegung der Bestimmung der Künste bereitet sich in den Jenaer Schriften bereits inhaltlich so weitgehend vor, daß in der Ästhetik seihst systematischer Rahmen und inhaltliche Beurteilung nur schwer zu trennen sind. Das aber möchte nicht so gravierend sein, weil die nur systemimmanent begründbaren Konsequenzen einer solchen Konzeption im Sinne der hier vorgeschlagenen Revision eo ipso vermeidbar sind. Als Beispiel sei die Konzeption der Tragödie genannt, die mit der AntigoneDeutung der Phänomenologie im wesentlichen festliegt. Hegel bestimmt die Kunst hier als das Forum institutioneller Konflikte, sieht aber in der Tatsache, daß die Kunst diese Kollision verschiedener Verpflichtungen nur unter Rückgriff auf einen religiösen, d.h. aber nicht kulturinvariant legitimierbaren Bezugspunkt auflösen kann, zugleich ihre geistesgeschichtliche Relativität und die Notwendigkeit, das Medium der Thematisierung und Lösung des Konfliktes zu wechseln. Durch die nicht universal akzeptable mythologische Grundlage wird aber nicht allein die griechische Tragödie relativ zu den Möglichkeiten einer bestimmten geistesgeschichtlichen Entwicklung und Kultur bestimmt. Für Hegel gewinnt dies Modell einer Kollision im Sittlichen überdies Bedeutung für die Bestimmung der geschichtlichen Realisierung von Sittlichkeit überhaupt. Die „Tragödie im Sittlichen" setzt das in der (griechischen) Tragödie exemplarisch thematisierte Funktionieren der Sittlichkeit als Struktur des „Systems" der Sittlichkeit an, dessen Grundlagen erst die Philosophie sichert. Die Diskussion der Schwierigkeiten, die die Übertragung dieses Modells auf die Tragödie auf das Funktionieren der Sittlichkeit und auf den Geltungsmodus der Institutionen (die aufeinandertreffenden sittlichen Orientierungen oder Sphären) in der Folge hat, muß der Auseinandersetzung mit der Rechtsphilosophie vorhehedten bleiben. Hier ist nur soviel interessant, daß durch die in der Jenaer Zeit festgelegte Bestimmung der Tragödie auch die geschichtliche Funktion der Kunst auf eine bestimmte historische Version fixiert wird. Die Kunst, die als Darstellung des gesellschaftlichen Konflikts ihre höchste Möglichkeit realisiert, wird einerseits zu eng mit dem geschichtlichen Handeln verknüpft, andererseits auf eine zu eng definierte Möglichkeit geschichtlichen Handelns eingegrenzt. Wird die Tragödie damit auch ihr „moderner" Nachfolger, das Drama (bes. SCHILLERS) als Forum der Thematisierung sittlicher bzw. institutioneller Konflikte angesehen, dann kann die Kunst nur das Scheitern des Individuums an
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den objektiven institutionellen Bedingungen seiner Selbstrealisation darstellen. Sie bleibt — ohne den Rückgriff auf eine religiöse Gesamtdeutung wie etwa den Schicksalsgedanken — eine nur eingeschränkt triftige und gültige Thematisierung der Vernunftmöglichkeit des Menschen. Die Kollision, die die Tragödie und auch das Drama (an veränderten geschichtlichen Inhalten) darstellen, besteht nämlich im Aufeinandertreffen gleichberechtigter sittlicher Orientierungen. Begründete Entscheidung für ein Vorrecht der einen gegenüber anderen Verpflichtungen könnte den Konflikt beseitigen, die Kollision auflösen, aber sie ist weder dem in der griechischen Tragödie dargestellten Individuum noch der Kunst überhaupt möglich. Da Hegel das „Ideal“ der geschichtlichen Wirkungsmöglichkeii durch den Griechenverweis im einzelnen inhaltlich festlegt, liegt schon in der Definition der Kollision im Sittlichen die spätere Kritik der Ästhetik am modernen Drama fest. Auch im modernen Drama treffen verschiedene sittliche Orientierungen und zudem noch sittliche Orientierungen in einem komplexeren Beziehungsgefüge aufeinander. Die verschiedenen Verpflichtungen sind vom Individuum nicht abwägbar und gegeneinander aufzurechnen und der Einzelne erscheint entweder als der, der dies Unterfangen vergeblich versucht, oder er gilt als der bloße Widerpart des großen Individuums, als ein „Rädchen" in der Staatsmaschinerie, das lediglich bestehende sittliche Orientierung durchhält und damit jede „Reform" hindert. Hegels philosophische Grundlegung der Ästhetik schließt deshalb die Möglichkeit der Konfliktbeseitigung im Rahmen kunstinterner Thematisierung aus. Versöhnung kann durch die Darstellung in der Kunst nicht für die Gesellschaft erwirkt werden und sie wird — soweit ist SCHILLER konsequent „modern" — auch nicht mehr einfachhin im Drama dargestellt. Auch hier bleibt die Exposition des Konflikts als letzte Möglichkeit. Die Frage, ob für Hegel eine andere Sicht der Kunst denkbar ist, muß also verneint werden; nicht so die Frage, ob mit den Argumenten Hegels, die von einer Kritik am systematischen Dogmatismus der Ästhetik unbetroffen bleiben, eine Neubestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst erreicht werden kann. Zur Begründung dieser Vermutung bietet die Auseinandersetzung mit SCHILLER erste Ansätze. SCHILLER verfolgt nämlich gegen Hegels Interpretation gerade mit seinen Dramen das Anliegen, diese Umgestaltung jener Welt zu bewerkstelligen, in der die Realisierung der Humanität, in der das Handeln nach den Prinzipien der Vernunft und Freiheit scheitern muß. Im Kunstwerk wird eine Situation des Konflikts, der Kollision verschiedener sittlicher Orientierungen innerhalb einer verfaßten Gesellschaft vorgeführt, zum Zweck, eine Situation der Durchsetzbarkeit des vernunftgeleiteten Handelns zu ermöglichen oder vorzubereiten. Hegel setzt stattdessen die Konflikte in der Bestimmung des leitenden „Modells", in der antiken Tragödie, als notwendig, unabänderlich und unausweichlich an. Das mag für ein religiös, d.h. durch Mythologien (dort Natur- und „geistige" Mythologie) orientiertes
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
Gemeinwesen gelten, kann aber prinzipiell nicht zur Grundlage der Staatsidee der nachaufklärerischen Philosophie werden, was FICHTES Überlegungen Inder Bestimmung des Gelehrten verdeutlichen. Im modernen Drama — und dies zeigt sich gerade an SCHILLERS ästhetischen Überlegungen wie an seinen Dramen — muß es um die Thematisierung der verschiedenen, die „Mechanik" des Teilhandelns bestimmenden Prinzipien gehen. Zweck der Kunst ist die Fragestellung oder erst die Stimulierung der Frage, ob das repräsentierte Handeln ein Handeln ist, das den Möglichkeiten von Vernunft und Freiheit entspricht oder auf die Herstellung der realen Bedingungen eines solchen Handelns abzielt. Allein die Kunst gewährleistet unter widrigen Bedingungen eine Thematisierung der Gründe des Handelns und den Hinweis auf die Durchsetzbarkeit der Handlungsprinzipien gegen die herrschenden Zwänge. Mit seiner Kritik an SCHILLERS Unfähigkeit, die Versöhnung der widersprechenden Orientierungn herzustellen, verkennt Hegel dessen Intention. Er muß diese verkennen, weil nicht nur seine philosophische Systematik, sondern schon die Verknüpfung von historischer Reflexion und geschichtlicher Bestimmung sich auf bestimmte (der eigenen Theorie dann natürlich zuträgliche) Vorurteile fixiert. SCHILLER geht es darum, in den Dramen durch das Nicht-Gelingen der Versöhnung, durch die Auflösung der programmatisch angestrebten „Idylle" den Spielraum geschichtlichen Handelns offenzuhalten. Kann man Hegels Zweifel an der Weitsicht der Niederländer, die ihren Ausdruck in der Malerei findet, noch dahingehend nachvollziehen, daß ihm in der „Selbstgenügsamkeit" die Zukunftsperspektive geschichtlichen Handelns fehlt, so schließt sich bereits in der Auseinandersetzung mit GOETHES Idylle diese Deutung aus. Die harmonische Welt des Bürgerstädtchens steht der von der Revolution erschütterten Welt als Kontrast gegenüber, zugleich aber als „utopisches" Moment im Geschichtsverlauf, als Vorwegnahme des Ziels der gesamten ümwälzung. SCHILLERS Idyllenkonzeption schließt sich als eine mögliche Erweiterung an, denn SCHILLER geht es darum, im Bild der Welt, das bewußt der geschichtlichen Realität entnommen ist, die Zukunftsmöglichkeit der „Menschheit" festzulegen. Geschichtliches Handeln erscheint als Handeln in expliziter Verpflichtung auf Humanität und in Übernahme des mündigen Vernunftgebrauchs; es erscheint aber zugleich in Kollision mit den bestehenden Verhältnissen, mit den gewordenen Bedingungen der physischen Existenz. Einige neuere Interpretationsversuche greifen diese Perspektive auf, die in der bisherigen ScHiLLERinterpretation übergangen wurde. Es geht nun nicht mehr primär darum, SCHILLERS KANxianismus und die Qualität seiner KANxrezeption festzustellen, sondern darum, die Möglichkeiten der geschichtlichen Wirkung der Kunst an SCHILLER exemplarisch zu erörtern. SCHILLERS Konzeption der Idylle erscheint als der Versuch, die programmatischen Anforderungen der Briefe über die ästhetische Erziehung zu erfüllen. In dieser Interpretation geht es also nicht allein um SCHILLERS Plan einer Integration von Antike
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und Moderne, den er im brieflichen Gespräch mit VON HUMBOLDT entwirft, sondern zugleich um eine Konzeption der Dramen (Johanna, Braut von Messina, Maria Stuart, Wallenstein, Wilhelm Teil). Die Dramen erscheinen als der Versuch, den Plan der großen Idylle mit Mitteln zu verwirklichen, die auf die Situation der „Moderne" zugeschnitten wird. Für diese Deutung spricht, daß SCHILLER selbst in den Dramen die Intention des Idyllenplans durch den Rückgriff auf historische Begebenheiten,®^ die ihm für eine Zukunftsorientierung des Handelns im Sinne der Vernunftprinzipien geeignet erscheinen, weiterverfolgt. Für SCHILLER selbst bedeutet die Weiterführung der Idyllenkonzeption, des „höchsten aber auch schwierigsten Problems" der sentimentalischen Kunst, daß mit dem Gelingen der Idylle die „sentimentalische Poesie über die naive selbst triumphiert" (Brief an v. Humboldt vom 29. Nov. 1795). Hier wäre nämlich die im Durchgang durch die Reflexionskultur erreichte Harmonie von Mensch und Welt/Natur eine auch eingesehene und hervorgebrachte Versöhnung, nicht eine bloß naturhaft gegebene Harmonie. In SCHILLERS Dramen wird die Geschlossenheit der Idylle zwar nicht wieder erreicht, dennoch gelingt es selbst bei Anerkennung der Notwendigkeit des Scheiterns eines für die Zukunft entworfenen Bildes einer besseren, weil humaneren Welt, die Orientierungsfunktion der Kunst aufrechtzuerhalten. SCHILLER sieht nämlich in seiner Darstellung des Scheiterns eines „weltgeschichtlichen" Handelns in der Kunst die Möglichkeit, die Intentionen dieses Handelns im Sinne eines Aufrufes zur allgemeinen Übernahme des mündigen Vernunftgebrauchs darzustellen. Die Triebfedern des Handelns großer Individuen sollen und können grundsätzlich als Triebfeder des Handelns aller gelten. Insofern legt SCHILLER seine Helden als Menschen aus, die „Menschheitsforderung" übernehmen, verwirklichen wollen und darin zur „affirmativen Identifikation"®® aufrufen. Andererseits scheitern diese Unterneh®®Zur Schillerinterpretation vgl. die Angaben in Anm. 44 bes. A. Siekmann: Drama und sentimentalisches Bewußtsein. XVI f, 42, 44 f. Schiller begründet seinen Rückgriff auf bestimmte historische Stoffe im hier angegebenen Sinn in den Briefen zum Don Carlos. Auch in seinem Brief an Goethe vom 5. Januar 1798 spricht er
schon von seinem Entschluß, „keine andere(n) als historische Stoffe zu wählen". Den Sinn der „affirmativen Identifikation" erörtert H. R. Jauss in seiner Adornokritik. — Auf Schillers Festhalten an der Notwendigkeit des Scheiterns weist A. Siekmann hin. Er meint, daß Schiller im Te// implizit die Hoffnung aufgebe, daß „sich die Geschichte der ästhetischen Utopie der Schönheit annähern könnte" (Drama und sentimentalisches Bewußtsein. 134, vgl. 129 f). Im Sinne der frühen Idyllenkonzeption und der in Schillers Abhandlung entwickelten Annahme eines Fortschritts von der naiven zur sentimentalischen Form der Darstellung der „Versöhntheit", die in der idealischen Dichtung ihren Abschluß findet, ist dieser Schluß wenig sinnvoll. Schillers Skepsis, die er gegenüber v. Humboldt äußerte, ob der Ausgang des Teil der Bestimmung der Kunst förderlich sei (vgl. Brief an von Humboldt vom 2. April 1805),
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
mungen zum Zweck der Einrichtung an der Realität, und gerade dieses Scheitern zeigt, daß die Durchsetzung der „Menschheit" auch für die geschichtliche Situation der Gegenwart noch zur Aufgabe gestellt bleibt, kein abgeschlossener Prozeß ist. Die Umgestaltung der realen Bedingungen des Handelns zu vernunftgemäßen Konditionen und Institutionen ist noch nicht erreicht. Vernunft und Freiheit müssen als Triebfeder des geschichtlichen Handelns schlechthin erst übernommen und durchgesetzt werden.
Das Scheitern der Idylle ist ebenso notwendig wie ihr Entwurf einer besseren Welt, weil nur durch diese Art der negativen Vermittlung die „Übersetzung“ des Handlungsimpetus aus der Kunst (Fiktion) in die Realität gelingt. SCHILLER erreicht also mit seiner Idyllenkonzeption eine Bestim-
mung der Funktion des schönen Scheins, die über die an KANT orientierte Bestimmung der Briefe hinausgeht und die Dramen in enge Beziehung zu Hegels früher Konzeption rückt. Zugleich entwirft er den Sinn eines „utopischen" Vergangenheitsverweises unter den Bedingungen der Moderne. Hier gilt die vergangene Situation weltgeschichtlichen Handelns, die in der Kunst vor Augen geführt wird, zwar als Situation eines möglichen Aufbruchs der Menschheitsidee; sie zeigt sich aber in eben der Weise widerständig wie die alltägliche Realität auch. „Utopisch" ist das Handeln aus Einsicht in die Verpflichtung auf Vernunft und Freiheit. „Realitätskonform", der historischen Situation, in der dies Bild der Welt wirksam werden soll, angeglichen, ist die Einsicht in den problematischen Status der Idee gegenüber der Realität und die Widerständigkeit der Realität. In der Entwicklung der Idyllenkonzeption und ihrer Differenzierung in den Dramen zeigt sich, was es bedeuten kann, daß die Harmonie des Menschen und der Welt, die mithilfe der Kunst und ihrer Funktion (der ästhetischen Erziehung) erreicht werden soll, „nicht bloß vor dem Anfänge der Kultur" stattfindet, sondern auch der Zustand ist, „den die Kultur... als ihr letztes Ziel beabsichtigt" {NA 20. 467). SCHILLER thematisiert den Zustand, der „nach" aller Kultur als deren Ziel, d.h. als die Aufhebung der Zerrissenheit, erreicht werden soll, nicht mehr durch die fraglose Wiedereinstimmung in eine neue Naturharmonie (wie in Humboldt-Brief von November 1795). Nun meint er, daß das Ziel, die umfassende Harmonie von Mensch und Natur, zwar an der Vollendung der Vergangenheit thematisierbar ist, aber in einer Weise verwirklicht werden muß, die den „Durchgang durch die Kultur" {NA 20. 467) nicht abstreift, sondern als Inhalt der neuen Harmonie beibehält. So läßt sich aus der Idyllenkonzeption eine Funktion des bezieht sich auf die Theorie des schönen Scheins, der nicht als bessere Welt an die Stelle der Realität treten darf. Schillers eigener Hinweis kann deshalb sinnvoller als Beleg dafür angeführt werden, daß das Scheitern der Idylle in der Kunst zum Stimulans gesellschaftlicher Durchsetzung und allgemeiner Übernahme der Triebfeder solchen Handelns gedacht ist. So sieht es auch Siekmann zunächst (a.a.O. 81); vgl. dazu R. Homann: Erhabenes und Satirisches. 97.
3.5 Integration der frühen programmatischen Bestimmung der Kunst
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schönen Scheins entwickeln, die die „Vor-Schein"-Funktion, die BLOCH der Kunst zuspricht, im Sinne eines Vorschlages von MARCUSE erweitert. Im Kunstwerk, als der Welt des schönen Scheins, wird das Ziel der Geschichte anschaulich vermittelt, der Prozeß selbst wird aber nicht ausgeblendet, sondern schon durch die Kunst in seiner Notwendigkeit thematisiert. Denn das Scheitern des vorgeführten Beispiels verweist auf ein geschichtliches Handeln, das unter gleicher Zwecksetzung und unter gleicher Prämisse, nämlich der Verwirklichung der „Menschheit" und der Möglichkeit von Vernunft und Freiheit, erst noch geschehen muß. Der Rückgriff auf die Vergangenheit integriert — in Weiterführung der Idyllenkonzeption — die Notwendigkeit, Vernunft und Freiheit unter geänderten Bedingungen durchzusetzen, in die künstlerische Darstellung, ins Drama selbst. Versteht man aber die Kunst als „Reflexionsphänomen", wie auch Hegel sie charakterisiert, so kann man behaupten, daß SCHILLER die Möglichkeit der „revolutionierenden" Funktion der Kunst unter den Bedingungen der Moderne mit der Idyllenkonzeption grundsätzlich entwirft und durch die Dramen unter Berücksichtigung der eingangs formulierten notwendigen Modifikationen durchführt. Der Entwurf der Welt, der an der Realität scheitert, hält gleichwohl die Notwendigkeit solchen Weltentwurfs fest, erweist das Bild der Welt als Vorschlag, eine bessere, alternative Welt herzustellen und signalisiert die Unabdingbarkeit gegenwärtigen Handelns aus gleichen Prinzipien. SCHILLERS Bestimmung der Idylle als Entwurf des Zustands einer Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst und seiner Welt, als jene „Utopie", die die Kunst im schönen Schein Gestalt gewinnen läßt, enthält zugleich die geschichtliche Relevanz, die Hegel aufgrund seiner Bestimmung der Kunst fordern müßte. Kunst ist Handlungsorientierung aber nicht im Sinn einer ideologischen Ausrichtung des Handelns, sondern in dem Sinn, daß die menschlichen Konditionen des Handelns bei wechselnder Situation allgemein vorausgesetzt bleiben und allererst thematisiert werden. Das Scheitern der „großen", d.h. Humanität stiftenden Handlung, das Scheitern der Wiederherstellung der Idylle im Drama führt dazu, daß der Blick auf das geschichtliche Handeln gelenkt wird, um für vergleichbare Situationen als Handlungsimpetus zu wirken. M.a.W.: das Scheilern der Idylle signalisiert die Notwendigkeit des Realitätsbezuges und zugleich die Tatsache, daß es um Handeln unter Bedingungen der Geschichtlichkeit geht. Das geschichtliche Handeln wird auf sein Ziel orientiert, das durch die Kunst als sinnvoll ausgewiesen wird und allgemein akzeptabel erscheint, aber de facto noch erreicht werden muß. SCHILLER bietet so einen „Kunstgriff" für die notwendige Trennung von geschichtlicher Funktion des schönen Scheins und ideologischer Funktion der Kunst an. Damit wirkt die Kunst institutionenkritisch und — wo die Kritik zutrifft — revolutionierend. Die Infragestellung gegebener Ordnungsgefüge durch die Vernunft- und Freiheitsforderung ist ihr Thema, ihr Inhalt. Aber Kunst ist
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3. Ansätze zur Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst
nicht identisch mit revolutionärer Parole, Aktionismus im Sinne einer direkten Einflußnahme der Inhalte der Kunst auf politische Entscheidung und damit auf geschichtliches Handeln. Denn durch die exemplarisch aufgegriffene Situation der Vergangenheit allein ist schon die Distanz von Gegenwart und Ideal gesetzt. Das Scheitern der Idylle schafft die zweite Distanzierung, die Negation der unvermittelten Identifizierbarkeit von Welt-„Bild“ und geschichtlicher Wirklichkeit. Diese durch die „affirmative Identifikation" mit der Intention des Kunstwerks zugleich erzeugte kritische Distanz ist die Bedingung für dessen Wirkung. Es geht in der Kunst nämlich um die Provokation der Menschheits-Forderung und gleichzeitig um die Frage, wie dasselbe, die gemeinsame Forderung der Menschen an die Geschichte und an die Institutionen (die Stufen der Sedimentierung geschichtlichen Fortschrittes), unter geänderten Bedingungen durchsetzbar ist. Damit gewinnt auch die „Idealität" ihren unverzichtbaren Sinn. Die Idylle als Bild der Welt, durch die Kunst entworfen und an einer verfremdeten geschichtlichen Situation mit der erforderlichen „Realität" versehen, hat utopische Funktion im Sinne einer Kritik bestehender Bedingungen und Institutionen des gesellschaftlichen Lebens. Hegels Beispiel für eine Kunst, deren Heiliger der Humanus ist, führt so auf eine Möglichkeit, von der systematischen Grundlage der Vorlesungen zur Ästhetik ahzusehen, und Hegels Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst im Sinne des frühen Programms wiederaufzunehmen. Obwohl sich diese Konzeption der Idylle an Hegels eigene Frage nach der Wiederholbarkeit des Griechentums unter veränderten Bedingungen anschließt, sieht er selbst diese Dimension der Idylle nicht. Seine These von der Partialität der Kunst setzt in der wissenschaftlichen Philosophie ein vermeintlich begründetes geschichtliches Handeln als „utopische" Realisation einer humanen Welt an. Dieses gilt eben durch die philosophische Begründung auch schon „wirklich", muß also nicht erst durch die Kunst und ihre Provokation zur Freiheitsforderung „universal" werden. Im Vergleich mit diesem grandiosen Entwurf Hegels verblaßt SCHILLERS Idyllenkonzeption, wird sein Festhalten an der utopischen Funktion der Kunst und des schönen Scheins allzu leicht übersehen, obwohl auch er deren Bestimmung an die Situation der Moderne angleicht.
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4. DIE AKTUALITÄT DER HEGELSCHEN ÄSTHETIK
Die Untersuchung ging von der Voraussetzung aus, daß es nur sinnvoll ist, von einer Äktualität der Hegelschen Philosophie, hier der Ästhetik, zu sprechen, wenn sich aus der historischen Untersuchung weiterführende Aspekte und Argumente für die gegenwärtige philosophische Diskussion um die Bestimmung der Kunst und die Grundlagen der Ästhetik ergeben. In der gegenwärtigen Philosophie, sofern sie nicht im marxistischen Sinn das Erbe Hegels antritt und auch seine Ästhetik im Kontext der Geschichtsphilosophie des dialektischen Materialismus reformuliert, wird entweder die notwendige Verknüpfung von Kunst und Reflexion von Hegel übernommeni oder gefordert, daß man von der Hegelschen Grundlage abgehe. Hier iDazu W. Henckmann: Was besagt die These von der Aktualität der Ästhetik Hegels. 101 ff; — Richtungweisend ist hier Henrichs Aufsatz, der Hegels These von der „Partialität" aufgreift: Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart. R. Bühner macht gegen diesen Versuch geltend, Hegel gestehe der Kunst überhaupt keine „Zukunft", keine interessante Entwicklung mehr zu, sondern lasse sie nur als „Biedermeier" noch gelten; u.a. R. Bühner: Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik, 47. Unter Verweis auf Hegels Kritik der romantischen Kunstform überhaupt und bes. der Kritik der Genremalerei der Niederländer und der Düsseldorfer Schule lehnt G. Wohlfahrt diese Deutung zurecht ab. Vgl. Der spekulative Satz. 118f. Vgl. im Zusammenhang A. Gethmann-Siefert: Kunst und Philosophie. — Zum Problem der Aktualität vgl. auch ]. Rüsen: Die Vernunft in der Kunst; nach Rüsen geht die Kunst — im Sinne Hegels — notwendig über sich hinaus auf eine transästhetische Vernunfttheorie. Rüsen verschärft damit Oelmüllers Hinweis auf den vertretbaren Sinn der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst, daß nämlich die Kunst auf Reflexion verweise. — Hier wird der umgekehrte Weg skizziert, der Rückgang zur Bestimmung einer geschichtlichen Funktion der Kunst, die nicht in der Leistungsfähigkeit der Philosophie aufgeht, sondern ihre eigentümliche geschichtliche Funktion behält. — Die Verknüpfung: Hegel — Kulturphilosophie der Neukantianer umreißt G. Wolandt. In einigen bei ihm entstandenen Arbeiten wird dies Programm an Einzelproblemen durchexerziert (dazu A. Gethmann-Siefert: Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel, 248 ff). Für das Folgende vgl. Bubners und Düsings Vorschlag der Rückkehr zum Kantianismus, aber auch schon A. Lewkowitz: Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller. Besonders Wolandts Überlegungen zeigen, daß die Umformung der Ästhetik im Sinne des Neukantianismus selbst philosophische Schwierigkeiten aufwirft, die diesen Weg der „Aktualisierung" dubios erscheinen lassen (Zur Aktualität der Hegelschen Ästhetik, 219 ff; dazu Idealismus und Faktizität, 270 ff).
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4. Die Aktualität der Hegelschen Ästhetik
böte sich als Alternative ein KANxianismus an: eine Revision Hegels durch die Rückführung des Dogmatismus auf den Kritizismus. Für die Diskussion um die Dialektik und die Methodenkonzeption scheint dies auch ein gangbarer WegA um die „Überforderung" des Vernunftbegriffs durch Hegels Konzeption der systematischen Philosophie rückgängig zu machen. In der Ästhetik führt dies aber zu Schwierigkeiten. Durch die Reduktion auf eine Analytik des ästhetischen Urteils würde Hegels Ästhetik auf den problematischen Teil, die inhaltlich-wertende Beurteilung der Kunstwerke, reduziert. Diesen Teil konnte schon der Herausgeber einer ersten kritischen Fassung der Ästhetik, GEORG LASSON, dem Leser nicht ohne Bedenken zumuten (Lasson. XIII). Die Reduktion des Hegelianismus auf den KANxianismus sieht deshalb meist nicht so aus, daß man von Hegel direkt auf KANX zurückgreift, sondern so, daß man seine Ästhetikim Licht der Kulturphilosophie der Neukantianer uminterpretiert. Das wesentliche Anliegen und der entscheidende Unterschied zu Hegel besteht dann in der Betonung der Äutonomie der Kunst. Der Vorteil dieser Rückführung auf die Position KANXS oder des KANxianismus ist für die Entwicklung einer philosophischen Ästhetik nicht ersichtlich. Denn die neukantianistischen Kulturphilosophen versuchen zwar, ebenso wie die Hegelianer oder wie die gegenwärtigen Hegelinterpretationen eine Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst zu gewinnen. Die Grundlage der Kulturphilosophie (die Theorie der Subjektivität im Sinne KANXS) führt aber zu Schwierigkeiten, die von NAXORP und CASSIRER schon gesehen und in den eigenen späteren Schriften berücksichtigt wurden. In der Bestimmung der Kulturfunktion der Kunst geht es nämlich keineswegs um eine bloße Reproduktion des KANxischen Kritizismus, zumindest wird über KANX hinaus ein Begreifen der geschichtlichen Realität gefordert. Wie schwierig die Formulierung dieses Problems mit den kategorialen Mitteln der KANxischen Kritik ist, zu welchen Aporien es führt, beim Versuch, geschichtliche Wahrheit im Sinne einer Charakteristik historisch-inhaltlicher Phänomene nach ihrer Vernünftigkeit zu sichern, zeigte sich eingangs an SCHILLERS Versuch. Auch die Möglichkeit, an der Autonomie der Kunst festzuhalten, scheint eher ein ästhetisches Vorurteil als ein unverzichtbarer und allein mithilfe des KANxischen Kritizismus legitimierbarer Bestandteil der philosophischen Ästhetik zu sein.3 Einige Gesichtspunkte, wie dieser Gedanke sinnvoll der ^Vgl. dazu A. Geihmann-Siefert: Dialektik und transzendentale Pragmatik, 275 ff; Zur Diskussion um Hegels Dialektik, 253 ff; Rettung der Dialektik, 245 ff. 3R. Bubner beruft sich bei seiner Forderung, von Hegel zum Formalismus Kants zurückzugehen, mit der er seinen Essay Hegel — Yesterday and Today abschließt, auf die Neukantianer und die Ästhetikentwürfe im Anschluß an Hegel. Die Neukantianer wollen aber selbst nicht Kants Formalismus wiederholen, sondern versuchen mit mehr oder minder großem Erfolg, mit kantischen Mitteln eine Philosophie der Geschichte bzw. der Kultur zu entwickeln. Wie die Autonomiethese als Vorurteil
4. Die Aktualität der Hegelschen Ästhetik
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Bestimmung der Kunst im Sinne SCHILLERS und Hegels integriert werden kann, entwickelt Hegel selbst schon am Ende seiner Realphilosophie von 1805/06 im Blick auf die vorkantische Ästhetik (HUME). Der Kenner betrachtet die bloße Form, die „reine Poesie, den Verstand des Künstlers" im Aufbau des Werks; ob etwa Motive und Detail durch das Ganze bestimmt, „verständig gewählt, die Patheien gut auseinandergehalten seyen". Diese Betrachtung ist nicht Gegenstand und Sache der philosophischen Ästhetik, wenigstens nicht vordringlich. Ästhetische Urteile dieser Art sind in der Kunstkritik abzuhandeln, die ihre Grundlage selbst wieder einer Philosophie der Kunst entlehnen muß. Der Kunstrezipient wird nicht durch „Einüben" in die Gemeinschaft der Kunstkenner zu gelangen suchen, sondern er wird diese Sicht als uninteressant ablehnen, weil die geistesgeschichtliche Perspektive fehlt. Mit Hegels Worten: Was allgemein interessiert, ist das Unendliche, das in der Schönheit erscheint; „diesen Inhalt lassen sich die Menschen nicht nehmen — sie verlangen Wesen — nicht bloße Form" (GW 8. 280). Das Spektrum möglicher Urteile über die Kunst wird deshalb durch den „Kritizismus" keinesfalls erschöpfend analysiert. Hegel stellt sich in seiner Aslheiik deshalb die Aufgabe, die Einheit von Inhalt und Form, von legitimierbarem, verallgemeinerbarem (nicht auf den Kenner beschränkten) Interesse an der Kunst und der „Autonomie" der Kunst darzustellen. Die kenntnisreiche Feststellung der formalen Qualität eines Kunstwerks steht hinter dieser Frage nach dem geschichtlichen Sinn der Kunst zurück; es gilt sogar als Indiz eingeschränkter Bedeutung, kann man nur noch die formale Vollendung feststellen. Die — zwar zu Unrecht, aber für Hegel mit Gründen — behauptete Einschränkung der Orientierungsfunktion der Kunst, läßt es zwar de facto zu, rein formalen Wert und geschichtlichen Sinn der Kunst zu unterscheiden, aktualisiert dadurch aber einen derivaten Modus der geschichtlichen Bedeutung der Kunst. Wenn sich zeigt — und dies liegt für Hegel seit der Realphilosophie von 1805/06 fest —, daß es die absolute Kunst, die Einheit von Inhalt und Form nicht oder nicht mehr (wie die Ästhetik im Blick auf das Griechentum einschränkt) geben kann, dann bleibt dennoch die Fähigkeit zur geschichtliwirken kann, zeigt sich in K. Düsings Aufsatz: Idealität und Geschichtlichkeit der Kunst in Hegels Ästhetik. Düsing sieht es als einen Fortschritt von der Jenaer Position Hegels zur Position der Ästhetik an, daß der anfangs nur angedeutete Gedanke der Autonomie der Kunst in der Ästhetik (wegen der subjektivitätstheoretischen Grundlage des vollendeten Systems) berücksichtigt werde. Hier geht es um die „selbständige Anschauung des absoluten Geistes von sich", die unterschieden sein soll „von politischer Sittlichkeit und wahrer Religion". Wie gezeigt, ist es für Hegels Ästhetik kennzeichnend, daß die metaphysische Grundlage, die Idee der Schönheit, zum geschichtsphilosophischen Diskrimen gelingender oder nicht gelingender Wahrheitsvermittlung durch Kunst umgedeutet wird, daß also die Lösung der Kunst von den genannten Zwecken nicht intendiert ist.
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4. Die Aktualität der Hegelschen Ästhetik
chen Wahrheitsvermittlung das Kriterium für die Beurteilung der Kunstwerke. Hegel konstruiert hier die Hypothese, daß die Kunst durch die historische Reflexion immer noch als eine solche Handlungsorientierung, als die Stiftung der Sittlichkeit eines Volkes, vorgestellt wird, auch wenn sie gegenwärtig diese Aufgabe nicht mehr erfüllt. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die Leistungsfähigkeit der Philosophie bloß unterstellt, nicht begründbar ist, und den Systemgedanken im Sinne Hegels aufgibt, ließe sich die historische Relativierung der Funktion (d.h. der wesentlichen Bestimmung) der Kunst nicht in der Weise rückgängig machen, daß die Kunst zur Autonomie gegenüber ihren Inhalten wie gegenüber ihrer geschichtlich-gesellschaftlichen Funktion fortschritte. Die Reduktion auf bloß formale Vollendung, in der sich die Kunst auch in der Gegenwart noch weiter vollenden mag, kann für Hegel nicht als geschichtlicher Fortschritt hinsichtlich der Bedeutung der Kunst gesehen werden. Mit einem solchen Zugeständnis wäre für ihn die Rückkehr zum Formalismus verbunden, und er selbst kann sich in keiner seiner Überlegungen dazu bereitfinden, in der philosophischen Ästhetik lediglich HUMES, von KANT weitergeführte Frage zu lösen, wie die Kenntnis der Kenner zur allgemeinen Grundlage des Kunst-, d.h. des Geschmacksurteils werden kann. Sobald aber die Kunst nur noch hinsichtlich ihrer formalen Vollendung interessant ist, kritisiert Hegel dies als eine Einschränkung der geschichtlichen Funktion. Die Bedeutung der Kunst ist dann nur dem Kenner (nicht mehr allgemein) einsichtig. Aus der bisherigen Auseinandersetzung mag deutlich geworden sein, daß es für die Trennung der philosophischen Ästhetik von den unakzeptablen Prämissen des Hegelschen Systems hinreichend viele andere Wege geben mag, die vorab zu prüfen wären, ehe sich diese Reduktion als der letzte verbleibende Schritt zur „Allgemeinheitsfähigkeit" der Philosophie der Kunst aufzwingt. Hier soll deshalb versucht werden, durch die Aushlendung der philosophischen Vorurteile Hegels die Grundlagen für eine positive Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst in der Moderne und Gegenwart zu skizzieren. Weil sich die Philosophiekonzeption selbst eher als Wunschbild der Leistungsfähigkeit der Philosophie denn als legitimierbarer Standard einer „wissenschaftlichen" Philosophie erweist, mag auch die Abwertung der Kunst zum „bloßen Traum" der Wahrheit revidierbar sein. Da Hegels Philosophie der Kunst nicht als ein von ihm selbst abgeschlossenes Werk vorliegt, die Vorlesungsnachschriften der verschiedenen Jahre, in denen Hegel in Berlin über Ästhetik las, hinsichtlich der Bemühung einer Reflexion auf die historischen Formen und Möglichkeiten der Kunst bis zuletzt erhebliche Modifikationen und Erweiterungen enthalten, legt es sich nahe, die gesamte Entwicklung der Ästhetik als ein nicht vollendetes Experiment aufzufassen. Die Äbgeschlossenheit des Systemteils Ästhetik liegt für Hegel selbst durch die Entwicklung der Enzyklopädie fest. Die Vorlesungen über die Philosophie der Kunst erscheinen eher als Versuch, die systemati-
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sehe These historisch zu verifizieren, als daß der Anschein erweckt werden soll, die Historie sei durch den Begriff, das Phänomen Kunst durch das philosophische System schon in abgeschlossener und endgültiger Weise festgelegt. Es zeigte sich in den vorigen Überlegungen, aus welchen Gründen Hegel selbst einige Konsequenzen aus seinen Überlegungen nicht zieht, obwohl sie sachlich nahelägen. Die Kritik kann deshalb so Vorgehen, daß diese Schlußfolgerungen modifiziert werden und daß man dennoch im Rahmen der Möglichkeiten gegenwärtiger Philosophie — eingedenk der Revisionsbedürftigkeit „endgültiger" Thesen — das aus Hegels philosophischer Bestimmung übernimmt, was für die Diskussion um die Grundlagen einer Philosophie der Kunst unverzichtbar ist. Dies an sich mühselige Verfahren der Unterscheidung von Elementen, die auch mit anderen (als Hegelschen) Argumenten plausibel gemacht werden können, und solchen, die nur durch „Vorurteile" im Sinne ungesicherter Grundthesen gestützt werden, bringt auch für die gegenwärtige Diskussion einige Klärung. Sofern es in der Philosophie der Kunst auch gegenwärtig darum geht, Begründungsansprüche gegenüber Kunsttheorie und Kunstwissenschaft geltend zu machen, setzt sie sich nämlich entweder explizit oder ihr selbst unbewußt mit Hegel auseinander. Hier genügt es nicht, wie E. GOMBRICH es (in seiner Hegelpreisrede Hegel als Vater der Kunstgeschichte) unternimmt, nur die fatalen Folgen der immer noch grundlegenden und zugleich verunklärenden Hegelschen Begriffe zu inkriminieren. Es ist weit sinnvoller, die Fatalität einer solchen unreflektierten Übernahme philosophischer Grundlagen durch eine explizit durchgeführte Reflexion auf die akzeptablen und zureichenden begrifflichen Bestimmungen der Kunst zu vermeiden. Da in der gegenwärtigen philosophischen Diskussion in oft ebenso unreflektierter Anleihe wie Polemik gegen Hegel sein „Erbe" schlecht verwaltet, und sein angeblich unheilvoller Einfluß nur durch falsche Alternativentwürfe und Verengungen vermieden wird, hat die entwicklungsgeschichtliche Darstellung der Hegelschen Ästhetik noch folgende Intention: Es soll nach der Explikation und nach dem philosophischen Rekonstruktionsversuch der Hegelschen Thesen versucht werden, jedes nur mögliche und haltbare Element der Ästhetik aufrechtzuerhalten. Das bedeutet aber, auf jede ohne die Hegelschen Vorurteile (hinsichtlich des philosophischenSystems und der Auszeichnung einer bestimmten Religion und Mythologie) legitimierbare Bestimmung der Funktion der Kunst in der Geschichte zurückzugreifen. Verlangt man auch hier einen „historischen" Anhaltspunkt der Rekonstruktion, dann mag dieser Versuch als die „Reduktion“ der Hegelschen Position auf die Schillers angesehen werden. Sucht man nämlich nach einer Position, die ohne die unakzeptablen Prämissen des Hegelschen Denkens auskommt, dann bietet sich SCHILLERS „KANTianismus" an. Hegel selbst knüpft an SCHILLERS produktive Umdeutung der KANXischen Ästhetik an und entwirft
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von diesem Ansatz aus seine frühe Bestimmung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst. So bietet es sich an, nicht auf SCHILLERS eigene ästhetische Versuche zurückzugreifen, obwohl sie nachweislich die historischen Vorläufer Hegels sind, sondern hier nochmals „unhistorisch" zu rekonstruieren. Hegels eigene „produktive Umdeutung" SCHILLERS im Sinne einer Geschichtskonzeption, einer philosophischen Reflexion auf das menschliche geschichtliche Handeln, wird zur Grundlage der philosophischen Ästhetik erhoben. Damit gewinnt man eine Position, die vor der systematischen Relativierung der Kunst liegt und deshalb von den Vorurteilen des späteren Systems noch frei ist. Dieser Versuch muß sich dadurch als sinnvoll legitimieren, daß die Grundthesen der Ästhetik auf dieser Basis reformulierbar sind. Hier wird also unterstellt, daß Hegels Entwurf einer Geschichtsphilosophie in pragmatischer Absicht eine hinreichende Grundlage für die philosophische Ästhetik ab gibt. Der Nachweis wird der Kürze halber so geführt, daß nicht Hegels frühe Überlegungen insgesamt wieder aufgerollt werden, sondern daß die Grundlagen der Ästhetik auf den Bestand reduziert werden, der bei Unterstellung dieser Geschichtskonzeption legitimierbar bleibt. Darin liegt der Vorteil, daß der Nachweis der Aktualität der Hegelschen Ästhetik nicht auf andere, hier nicht weiter überprüfbare philosophische Theorien zurückgreifen muß. Die Argumentation Hegels, soweit sie nachvollziehbar ist, wurde schon dargestellt. In der bisherigen Auseinandersetzung mit den Vorlesungen zur Ästhetik bereitete sich die Kritik insoweit vor, daß jeweils die am wenigsten von Hegels Vorurteilen betroffenen inhaltlichen Bestimmungen der Kunst diskutiert wurden. So ist gewährleistet, daß der Problembestand der Ästhetik erhalten bleibt, daß die wesentliche Intention weiterverfolgt wird und daß die akzeptablen Momente der Philosophiekonzeption: nämlich die Reflexion auf die Geschichte und auf die Kunst als geschichtliches Phänomen als Grundlage der (gegenwärtigen) Ästhetik beibehalten bzw. wieder akzentuiert wird. Ein solcher Rekonstruktionsversuch kann schon darum nicht auf den KANxischen Kritizismus und den Standpunkt einer „formalen" Ästhetik zurückführen, weil es um ein Begreifen der geschichtlichen Realität geht, das über KANT hinaus die Charakteristik historischer, inhaltlich bestimmter Phänomene nach ihrer Vernünftigkeit erlauben muß. Schon an SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung zeigte sich, daß es nicht gelingt, der anstehenden Begründung eines geschichtlichen Handelns unter Vernunftund Freiheitsperspektive allein und mit den Mitteln der Philosophie KANTS begrifflich so gerecht zu werden, daß sich auch eine Möglichkeit der Tradition solcher geschichtlich gewordener Handlungsweisen und -regeln festschreiben läßt. Die Mittel, die den Fortschritt in Vernunft und Freiheit begründen, müssen sich als solche auszeichnen und inhaltlich konkretisieren lassen. Darum geht es auch Hegel in seiner Bestimmung der Kunst. Die
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Kunst, sofern sie bei SCHILLER wie Hegel als die Vermittlungsmöglichkeit geschichtlicher Inhalte, als Habitualisierung des Vernunftvermögens in jeweils bestimmter historischer Ausprägung erscheint, kann reflexiv eingeholt werden. Man muß weder die Irrationalität des Phänomens behaupten noch auf einen Formalismus der Vernunftbegründung zurückfallen, um die geschichtliche Funktion, die spezifische Leistung und Leistungsfähigkeit der Kunst zur intersubjektiven Vermittlung geschichtlicher (Wahrheits-) Erfahrung zu prüfen. Reformuliert man die Hegelschen Grundeinsichten unter den Bedingungen endlicher Vernunft und ihrer Leistungsfähigkeit, dann wird einerseits anerkannt, daß das Phänomen Kunst nicht „Produkt“ der Reflexion ist. Die Übernahme des Hegelschen Rationalitätsanspruchs bedeutet, daß in der Kunst eine Weise geschichtlicher Wahrheitsvermittlung vorliegt, die sich in keine der sie analysierenden Theorien auflösen läßt. Insofern hat die Philosophie hier nicht den Status der Setzung der Inhalte, sondern den der formalen Überprüfung der geschichtlich-inhaltlichen Phänomene, die seihst als Vermittlungsweisen von Wahrheit auftreten. So weit führt auch die subjektivitätstheoretische Begründung der neukantianischen Kulturphilosophie. Dennoch kann der Status der philosophischen Erklärung nicht zum Status der Wahrheitserfahrung überhaupt erhoben werden, sondern nur zur Charakteristik der Erfahrung und Erfahrungsvermittlungen, sofern sie Wahrheit (d.h. Verbindlichkeit und Orientierungsfunktion für eine Gemeinschaft) beanspruchen. Für die Kunst, so wie Hegel sie bestimmt, gilt dies auch. Sie ist nicht einfachhin Welterfahrung, sondern deren Thematisierung und Vermittlung mit dem Anspruch zumindest auf „allgemeine Beistimmung", d.h. sie ist eine schon reflektierte Erfahrung, die gleichwohl nicht zum „Begriff" aufgelöst wird. Ihre geschichtliche Wirkung ist zwar von der philosophischen Erfassung und Theoretisierung (in den historischen Wissenschaften) unabhängig, nicht aber von der grundsätzlichen, d.h. philosophischen und von da aus theoretischen Thematisierbarkeit der geschichtlichen Funktion solcher Erfahrung. In der philosophischen Reflexion und Analyse wird das Phänomen begrifflich faßbar und analysierbar, hier definiert sich seine Funktion durch die Bestimmung seiner geschichtlichen Wirkung. Auch diese Reflexion ist nicht unbedingt und unter jeder Rücksicht erforderlich. Sie ergibt sich aber, sobald in der Kunst nicht der Anspruch bloßer Doxa, sondern der auf Wahrheitsvermittlung erhoben wird, sobald also das Phänomen selbst einen Geltungsanspruch (ein Beistimmungsansinnen im Sinne KANTS) enthält und zum Ausdruck bringt. Die Kunst bedarf der Philosophie also nicht in dem Sinn, wie es Hegel bestimmt, daß nämlich erst die Philosophie ihre Inhalte rechtfertigte. Hier muß man auf eine eher an KANT orientierte Position, genauer auf die frühe Geschichtsreflexion Hegels, zurückgehen. Variable, historisch nicht festlegbare Phänomene desselben Anspruchs müssen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit gewichtet werden
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können. Insoweit ist die Philosophie der Kunst „formal", denn sie kann die Nachträglichkeit des Reflektierens nicht abstreifen. Wo Philosophie, wie bei Hegel, selbst zur Erfüllung der utopischen Versöhnungsansprüche wird, ist man genötigt, bestimmte, geschichtlich-relative Inhalte so auszuzeichnen, daß sie zum Maß aller nachfolgenden werden. Beispiele dafür liefern sowohl Hegels Bestimmung der christlichen Religion wie des Staates. Die hier vorgeschlagene Einheit von Kriteriologie der Phänomene, von Geltungsreflexion anläßlich jener Erfahrungsweisen, die selbst als „Reflexionsformen" geschichtlicher Erfahrung auftreten, und Berücksichtigung der inhaltlichen, geschichtlich variablen Gestalt und Ausprägung findet sich in dieser Form weder bei Hegel noch im KANxianismus. Sie legt sich aber aus der gegenwärtigen Diskussion um die Begründung der Ästhetik als Modell einer Geschichtskonzeption nahe, das die hermeneutische Philosophie mit Ansätzen der Kulturphilosophie der Neukantianer verbindet. Dies Modell einer „ästhetischen Theorie" im Anschluß an Hegels frühe Überlegungen bietet folgende Reformulierungsmöglichkeiten der Bestimmung der Kunst: Zunächst ist der „utopische Charakter“ der Wahrheitsvermittlung allein Sache der Kunst, des Bildes der Welt oder des schönen Scheins, nicht Sache einer Philosophie, die den „Inbegriff" aller Realität lieferte. Dann bleibt die „Humanisierung“ der Welt, mit Hegel die Versöhnung von subjektivem Anspruch und real-objektiver Bedingung, Anliegen, Zweck der Kunst. Hier muß sich zeigen, wieweit Hegels These, die Kunst stifte die Sittlichkeit einer geschichtlichen Gemeinschaft, beibehalten werden kann und wie an diesem Leistungssinn die verschiedenen Kunstwerke der Geschichte und die Mannigfaltigkeit möglicher Formen den Maßstab ihrer Beurteilung finden. Sicher — dies ist vorab aus der Zurücknahme des Leistungssinns des „absoluten Denkens" klar — kann es nicht darum gehen, daß die Philosophie das Hervorbringen (Produktionshandlungen und -regeln) der Kunst entwickelt. Dies wäre Sache einer kunstinternen, technischpraktischen Debatte, traditionellerweise Sache der Poetiken. Im Sinne der HEiDEGGERschen Bestimmung des Verhältnisses von Begründung und Begründetem greift die Philosophie der Kunst hier nur „mitanleitend-korrektiv" ein. Sie prüft gegebene Mittel und poetologische Regeln, sofern sie im Kunstwerk selbst zum geschichtlichen Phänomen geworden sind, unter dem Anspruch dieses Phänomens selbst, etwas anderes zu sein als ein bloßes „Ding mit Eigenschaften". Kritisch-korrektiv wirkt die philosophische Ästhetik auch hinsichtlich der Formulierung des Selbstverständnisses der Kunst sowohl im Prozeß der Hervorbringung wie der Rezeption. Sie prüft die Phänomene, die als allen „angesonnene" (KANT) Sicht der Welt und darin als Vermittlung geschichtlicher Orientierung des Handelns auftreten, hinsichtlich der Berechtigung dieses Allgemeinheitsanspruches und der tatsächlichen geschichtlichen Wirkung. Für eine Theorie der Geschichtlichkeit der Kunst, die in diesem Sinn funktioniert, bietet Hegels Ästhetik als wichtigste
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Grundlage die Verknüpfung von begrifflicher Bestimmung, Analyse der strukturellen geschichtlichen Funktion und historisch-konkreter Reflexion. Seine frühe Geschichtsphilosophie in pragmatischer Absicht legitimiert im Anschluß an KANT und vordringlich an SCHILLER zudem die Notwendigkeit solcher Geltungsreflexion bei gegebener Wirkung und aufgegriffenem geschichtlichen Phänomen und verknüpft die „nachträgliche" Reflexion mit dem programmatischen Entwurf der bestmöglichen Wirkung. In der Weise der Legitimation der Hegelschen Grundthese, daß der Sinn der Geschichte der Fortschritt im Bewußtsein und der Realität der Freiheit sei, zeigt sich zudem, wie durch die Bestimmung der geschichtlich-gesellschaftlichen Funktion der Kunst alternative Thesen oder anscheinend disparate diskutiert werden können. Dies sei am Beispiel der Autonomie der Kunst demonstriert. Übernimmt man Hegels Grundthese, daß die geschichtliche Bedeutung der Kunst in der Vermittlung umfassender und zugleich Vernunft- und freiheitsverpflichteter Handlungsorientierungen bestehe, so steht dieser anscheinenden „Verzwecklichung" der Kunst die Forderung der Autonomie der Kunst entgegen. De facto reduziert Hegels Grundthese aber die These von der Autonomie der Kunst lediglich auf ihre sinnvolle Version, nämlich auf die Forderung, daß die Kunst notwendig ideologiefrei sein müsse. Der Werk-Begriff, so wie er in allen Versionen und Entwicklungsstufen der Hegelschen Ästhetik nachweisbar ist, hat gegenüber der Autonomiethese den Vorteil geringerer Begründungsbedürftigkeit. Denn es ist evident, daß eine kulturelle Leistung des Menschen sich nicht ohne Weiteres zum Selbstzweck erheben kann, sondern „relativ" auf den Menschen bleibt. Die Behauptung, die Kunst müsse von den Zwängen und Gegebenheiten der Geschichte, also auch von der (nur im abgeleiteten Sinn so zu bezeichnenden) „Verzwecklichung" im Sinne der Humanität und Humanisierung der Welt freigehalten werden, setzt zumindest voraus, daß es Kulturphänomene gebe, die sich von ihrem Ursprung lösen können. Deshalb erscheint es sinnvoll, Hegels Bestimmung des Kunstwerks prinzipiell zu übernehmen, die Beispiele, die er faktisch analysiert, aber zu erweitern und ihrerseits auf den Stand des gegenwärtigen Wissens (der historischen wie theoretischen Kenntnis der Künste) zu bringen. Im Kunstwerk vermittelt sich die Möglichkeit einer geschichtlichen Identitätsfindung durch den freien — nicht mehr technisch, sondern allein in Abzweckung auf die Humanisierung der Natur ausgerichteten — Umgang mit den der Welt (Natur) entnommenen Mitteln der Produktion. Hegels Überlegungen zeigen hier, daß man eine Autonomie des Kunstwerks behaupten kann, ohne die Unterordnung unter einen letzten Zweck, den der Humanisierung der de facto alles andere als humanen Welt, leugnen zu müssen. Damit wird eine falsche Alternative der gegenwärtigen Ästhetikdiskussion aufgehoben. Das Kunstwerk, die „freie Produktion" im Sinne der Gestaltung der natürlichen Mittel in Abzweckung auf einen menschlichen
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Inhalt (eine Sicht der Welt, die die Welt als Möglichkeit menschlichen oder menschlicheren Lebens entwirft), unterliegt nicht „technisch-praktischen" Zwecken, sondern ist im Sinne KANTS in der Welt der Bedürfnisse „interesselos", nicht aber in der Welt der humanen Zwecke. Hier unterliegt die freie Gestaltung dem Interesse am Menschen, an der Gestaltung einer gemeinsamen Welt, die den Postulaten der Vernunft und Freiheit genügen soll. Hegels These von der Wahrheitsfähigkeit der Kunst, seine Behauptung, daß die Kunst als eine Weise der möglichen Wahrheitserfassung und -Vermittlung und damit der Orientierung des geschichtlichen Handelns auftritt, soll hier als Grundlage einer Philosophie der Kunst beibehalten werden. Sie gilt vorderhand nur hypothetisch. Denn der notwendige, aber zunächst nicht begründete Ansatz einer solchen Untersuchung ist die Annahme, daß es überhaupt berechtigt sein kann, an das Phänomen „Kunst" auf Verstehen abzielende Fragen zu stellen. In der Durchführung der philosophischen Ästhetik, als deren mögliches Beispiel hier Hegels Ästhetik gewählt wurde, muß es sich zeigen, ob das Phänomen Kunst, ob seine geschichtliche Bedeutung sich einer solchen Fragestellung fügt. Da die Anfangsunterstellung der Wahrheitsfähigkeit oder des Werkcharakters zudem nicht rein formal gemeint sein soll, sondern im Sinne Hegels als Auszeichnung solcher Kulturleistungen, die zur Habitualisierung von Vernunft und Freiheit aller führen, muß die Frage erörtert werden, wie sich Hegels Entwurf ohne seine Vorurteile ausnimmt. Im Verlauf der Analyse der Ästhetik zeigte es sich nämlich, daß er für seine grundsätzliche akzeptable These, daß ein Werk immer als eine geschichtlich-relative Kulturleistung, als die Einrichtung der Sittlichkeit bestimmter historischer Gemeinschaften aufgefaßt werden muß, in der Beurteilung der Wahrheitsfähigkeit dennoch auf „ausgezeichnete" Kulturleistungen zurückgreifen mußte. Als der plausible Sinn dieses Rückgriffs stellte sich der Entwurf einer utopischen Funktion des Vergangenheitsverweises heraus. Damit ist aber eine „Belastung" der gesamten Konzeption durch Hegels These vom Ende der Kunst verbunden. Deshalb stellt sich die Frage, wie Hegels These vom Vergangenheitscharakter aufgelöst, seine Deutung der Partialität der Kunst ausgeschaltet und dennoch die These vom utopischen Charakter des Kunstwerks begründet werden kann. Für die Momente der Traditionsaneignung und der Traditionsstiftung durch Kunst muß sich also ein Sinn finden lassen, der Hegels frühen Überlegungen (der „utopischen" Funktion des Griechenverweises) entspricht, und dennoch nicht zur kritiklosen Auszeichnung bestimmter historischer Traditionen in der „Inhaltsästhetik" führt. Dies könnte im Sinne der Idyllenkonzeption SCHILLERS durchgeführt werden und liefe auf die Forderung hinaus, unter Beibehaltung der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst bei Hegel zu einer Reformulierung der Theorie des schönen Scheins zu gelangen. Ziel dieser Reflexion ist eine
Theorie der Kunst der Moderne bzw. eine Bestimmung der geschichtlichen
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Funktion der Kunst unter den Bedingungen einer verfaßten Gesellschaft. Hier kann die Kunst als „Werk" nicht im Sinne Hegels dem Staatswerk, der Stiftung der sittlichen Orientierung und deren institutioneller Sedimentierung, gleichgesetzt werden. Dennoch muß sie nicht a-politisch, nicht von ihrer Bedeutung innerhalb der Gesellschaft abgeschnitten und auf eine zwar autonome, aber unverbindliche Koexistenz mit der Realität der unmittelbaren Bedürfnisdeckung eingeschränkt werden. Im Sinne der Idyllenkonzeption könnte eine solche Konzeption der identitätsstiftenden und kritischen Funktion der Kunst entworfen werden. Wieweit Hegels eigene Konzeption auch der griechischen Kunst dem fatalen Mechanismus der Vermischung von „formaler" Reflexion und inhaltlicher Auszeichnung erlegen ist, zeigt seine These von der eingeschränkten Bedeutung der Kunst der Moderne. Hier wird nämlich letztlich Hegels „Modell", das als Utopie entworfene Griechenbild, wegen seiner Unhistorizität zur Grundlage der Vergangenheitsthese. Hegels historische Unterstellung, die Kunst funktioniere in der griechischen Antike institutionenstiftend, führt in der folgenden historisch-konkreten Reflexion auf die Kunst in der Moderne dazu, die Kunst an einem Leistungssinn zu messen, den sie höchstwahrscheinlich nie besessen hat. Der „Als-ob"-Charakter des in der Geschichte belegten „schönen Scheins" und selbst seiner Konkretion in einer polisstiftenden Kunst wird übersehen, sodaß Hegel hier vermeintliche Inhalte zum Maßstab wirklicher ansetzt. Die Auseinandersetzung mit Hegel merkt diese Schwäche seiner Argumentation, die Konfundation von inhaltlicher und formaler Bedeutung, von konkreter und methodischer Verwendung derselben Begriffe zwar bei der Phänomenologie, auch bei den verschiedenen sonstigen Teilen der Realphilosophie an, in der Ästhetik ist man aber bemüht, ausgerechnet dieser problematischen Prämisse zu folgen. So führen die Aktualisierungsversuche — wohlgemerkt die diskutablen, die sich überhaupt um eine rationale Rekonstruktion im hier vorgeschlagenen Sinn bemüht haben — durch den Versuch, die Inhaltsästhetik zu retten, zu einer allzu „wörtlichen" Übernahme der These vom Ende der Kunst. Als (bestes) Beispiel sei hier D. HENRICHS These von der Partialität der Kunst genannt. Diese These impliziert die in der früheren Diskussion um den Sinn der These vom Vergangenheitscharakter (W. OELMüLLER, J. RITTER) entwickelte Verknüpfung von Kunst und Reflexion in der Moderne. Der methodische Vorteil der Inhaltsästhetik, die Einheit von theoretischer und historischer Perspektive in der Bestimmung der Kunst oder die Ersetzung der Wesensbestimmung durch die strukturelle Analyse der geschichtlichen Funktion wird aber zu strikt im Sinne der späteren systematischen Philosophie Hegels übernommen. HENRICH gewinnt die Möglichkeit, der Kunst auch unter den Bedingungen der Moderne eine geschichtliche Wirksamkeit zu reservieren. Es ist aber fraglich, ob diese Wirkung „neben" anderen gesell-
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schaftsbestimmenden Faktoren die mögliche geschichtliche Funktion der Kunst erschöpft. Zunächst wäre es sinnvoller, einen vertretbaren Sinn der These vom Vergangenheitscharakter herauszuarbeiten. Mit der Bestimmung der geschichtlichen Funktion des Kunstwerks liegt dieser vor. Denn nur weil die Kunst als Möglichkeit der Identitätsfindung des Menschen in der Welt aufgefaßt wird, muß Hegel sie konkurrierenden Unternehmungen mit gleichem Zweck (Religion und Philosophie) entgegensetzen. In seiner These, die Kunst sei ihrer höchsten Bestimmung nach etwas Vergangenes, nimmt Hegel einen Gedanken aus der Religions- und Mythologiekritik der Aufklärer wieder auf, der auch für die gegenwärtige Diskussion um die Bedeutung der Kunst wichtig ist. Wenn nämlich in der Stiftung einer Mythologie, einer Weltanschauung der Einzelne ohne Rücksicht auf die Unbedingtheit der Vernunftforderung im Sinne bestimmter Werte, sittlicher Haltungen einer Gemeinschaft „einsozialisiert" wird, dann umgeht man zwar die „Folgelast" der Aufklärung. Man muß den Traditions- und Orientierungsverlust nicht in Kauf nehmen, verliert aber mit dem Verzicht auf die unbedingte Prüfung die in der Aufklärung postulierte Mündigkeit des Vernunftgebrauchs. Es macht dann nicht mehr das Anliegen der Philosophie aus, prinzipiell jedem das Instrumentarium an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er sich in einer geschichtlichen Situation seiner Gesellschaft durch „Kritik" orientieren kann, durch Unterscheiden des Bewahrungswürdigen und des Reformbedürftigen. Diese Konzeption der Mythologie, der „Tradition" von Werten im Sinne der Einsozialisierung (GEHLEN), kann allzu leicht der Konzeption der Mythologie der Vernunft und der in der vorgesehenen Funktion der Kunst unterschoben werden. Eine Tendenz dazu vermutete Hegel schon in der ihm zeitgenössischen Renaissance des Gefühls (SCHLEIERMACHER); sie zeigt sich in SCHELLINGS späterer Bestimmung der Mythologie, wie sie das „moderne Epos" vermitteln soll, und sie zeigt sich sozusagen als Negativbild in der gegenwärtigen Scheu, über ADORNOS Konzeption der negativen Dialektik und Verunglimpfung des Identitätsgedankens hinauszugehen.^ Das Kunstwerk gilt auch Hegel als Möglichkeit geschichtlicher Identitätsfindung. Soweit er aber seinen frühen Gedanken beibehält, daß eine Gestaltung der Welt und ein Entwurf solcher Weltansicht und -habe immer zugleich eine konkrete Situation betrifft, die im Sinne der „Menschheits"^In seiner Auseinandersetzung mit Adorno entwickelt H. R. Jauss den Sinn der „affirmativen Identifikation". Die Kunst stiftet — so verstanden — eine Tradition, eine Sicht der Welt, die zum Erfahrungsgehalt einer Gemeinschaft wird. Dies sind aber nur vorsichtige Ansätze, die die theoretische Grundlage der Rezeptionsästhetik bis dato noch sprengen. Vgl. H. R. Jauss: Kleine Apologie der ästhetischen Erfahrung; vgl. dazu auch die erweiterte Fassung derselben Überlegungen in: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 31-165.
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Forderung der Aufklärer umgestaltet wird, muß er zugleich die „Prüfung" eines solchen Entwurfs mitpostulieren. So wird zwangsläufig die Frage gestellt, ob nicht für die „Moderne" die anfängliche Vermutung irreführt, man finde im Kunstwerk, in der schönen Gestalt, auch eine Orientierung des Einzelnen, die ihn zu seiner humanen Natur (zur Sittlichkeit) und gleichzeitig zu seiner geschichtlichen Existenzweise, zur Gemeinschaft, Gesellschaft befähigt. Für das Kunstwerk muß und kann dies vorab unterstellt werden; folgt man der Ästhetik, so fungiert die schöne Gestalt nur dann als Versöhnung der Widersprüche geschichtlicher Existenz, wenn diese Versöhnung in der Kunst selbst unskeptisch als gelingend, weil ersichtlichermaßen gelungen (in der Ffarmonie der schönen Gestalt, des Scheins) vorausgesetzt ist. Wenn Hegel also aufgrund seiner Analyse der „Moderne" fordert, die geschichtliche Bedeutung der Kunst einzuschränken — wofür er schon in der Bestimmung der griechichen Tragödie die Argumente erarbeitet hat — dann birgt das den Sinn, die unbedingte Vernunftforderung der Aufklärung auch für das eigene Konzept der Mythologie der Vernunft beizubehalten. Hegel nimmt dafür die Modifikation in Kauf, die sich in der Ästhetik als Einschränkung der programmatisch festgelegten „höchsten" Funktion auf eine bestimmte historische Situation und auf eine bloß historische Bildungsfunktion für die Moderne auswirkt. Anstelle der Versuche, Hegel als Denker der Restauration zu interpretieren, läßt sich von der inkriminierten These vom Ende der höchsten Bestimmung (sc. vom Vergangenheitscharakter) der Kunst her ein Argument gegen die heute „moderne" Restauration gewinnen. Wo die Kunst als Handlungs- und Lebensorientierung umfassend funktioniert, da wird ihr Leistungssinn gewonnen (im Griechentum). Wo die geschichtliche Situation aber die Unterstellung einer solchen gelungenen Funktion nicht erlaubt, da muß es zugleich die Möglichkeit geben, die geschichtliche Wirkung der Kunst infragezustellen. Für HENRICH deutet dies auf die Notwendigkeit der Verknüpfung von Kunst als geschichtlichem Phänomen und Sicherung des Wissensbedürfnisses hin. Allerdings fallen beide in der modernen Gesellschaft funktionell auseinander und die Kunst kann deshalb keine universale Bedeutung mehr beanspruchen. Blickt man auf die Formulierungen des Selbstverständnisses der Kunst, die sich beispielsweise in den Reflexionen der Künstler finden,® dann zeigt sich aber, daß gerade die universale Funktion der Wahrheitsvermittlung beansprucht wird, wenn auch kein Ausschließlichkeitsanspruch der Thematisierung der Wahrheit damit verknüpft sein 5 Für eine entscheidende Entwicklungsphase der Kunst, für den Übergang von der traditionellen zur modernen abstrakten Malerei wurde dieser Zusammenhang eingehender erörtert in: Paradigmenwechsel der Kunst als Ansatz der philosophischen Ästhetik, 59 ff; Die systematische Ästhetik und das Problem der Geschichtlichkeit der Kunst, 16 ff.
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muß. Im Sinne Hegels müßte man HENRICHS These von der Partialität der Kunst deshalb differenzieren. Hinsichtlich der Vermittlungsweisen der Wahrheit realisiert die Kunst eine geschichtliche Möglichkeit unter anderen. Hinsichtlich des Verbindlichkeitsanspruchs ist sie aber „universal"; es geht um die Vermittlung einer gesamten Weitsicht (einer „Weltanschauungsweise"), die sich von der faktisch gültigen und herrschenden abhebt und die zur Kritik der Faktizität angesichts ihrer besseren Möglichkeit befähigt. Hegel selbst meint natürlich, daß die Kunst, auf sich allein gestellt, diesem geschichtlichen Anspruch nicht genügen könne. Hat sie eine erzieherische Funktion im Sinne der Forderung SCHILLERS, daß der ganze Mensch, Geist und Gemüt, für den Standpunkt der Vernunft und Freiheit vorbereitet wird, so wirft Hegel dieser Konzeption vor, nicht die realen geschichtlichen Bedingungen, sondern nur die Innerlichkeit des Individuums zu „revolutionieren; die Kunst stellt das handelnde Individuum lediglich als „Schöne Seele" dar. Das Scheitern der „schönen Seele" (der Natur, die wie die Vernunft funktioniert) an der Realität ist unausbleiblich. Denn die Legitimation, daß Handlungen dieses auf die Innerlichkeit konzentrierten Individuums als ein mündiges, sittliches Handeln (sc. Handeln aus Vernunft) gelten können, steht dahin; und Hegel moniert zurecht, daß die „Wissenschaft" — besser übersetzt; Begründung — fordernde Zeit sich ohne die Legitimation dieses Habitus als „vernünftig" nicht beruhigen kann. Auch hier muß man nochmals unterscheiden zwischen Reflexionsform der Weltanschauung, die die Kunst in sich darstellt, und philosophischer Erhellung dieser „Geschichtlichkeit" der Kunst. Die philosophische Bestimmung der Kunst erhebt die ihr inhärente Wahrheitsvermittlung zum Begriff und ermöglicht zwar nicht den unmittelbaren Nachvollzug, wohl aber die Prüfung, ob der Anspruch auf diesen Nachvollzug der „neuen" Sicht der Welt zurecht (d.h. im Sinne der Humanisierung des Menschen) gestellt werde. Mit der systematischen Philosophie entwickelt Hegel den Gedanken der umfassenden Aufklärung eben in diesem Sinne weiter. Man darf deshalb in der Ästhetik — trotz der Notwendigkeit, das geschichtliche Phänomen Kunst von den systematischen Verstellungen zu befreien — nicht diesen die Anfänge wie das System leitenden Gedanken einer vernünftigen Legitimation aufgeben. Will man also der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst einen außersystematischen Sinn beilegen, so ist es der, daß man für die Charakteristik der geschichtlichen Funktion der Kunst Hegels frühe Bestimmung der utopischen Funktion der „schönen Religion" und der Kunst heranzieht bzw. die Deutung des Griechentums in der Ästhetik zur strukturellen Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst schlechthin umformuliert. Dazu muß allerdings ein weiterer Gesichtspunkt, den Hegels Ästhetik zur Geschichtlichkeit des Kunstwerks beisteuert, beachtet werden. Für Hegel läßt sich die geschichtliche Funktion der Kunst überhaupt nie unabhängig
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von der philosophischen Analyse einer bestimmten historischen Situation definieren. Das Kunstwerk verschiedener Zeiten und Völker vermittelt die
„wahre" Erfahrung der Welt und der Stellung des Menschen in der Welt nicht kulturinvariant. Der gute Sinn des inkriminierten Klassizismus ist dieser Gesichtspunkt einer Differenzierung der Geschichtlichkeit nach historischen Situationen, wenn sie auch nicht in dem grundsätzlichen Sinn übernommen werden muß, daß statt einer universalen Funktion der Kunst zuzeiten nur eine partiale Funktion legitimiert werden kann. Es ist wenig sinnvoll, die Aktualität der Hegelschen Ästhetik durch die Übernahme der Partialitätsthese zu erkaufen. Vielmehr gibt es eine Möglichkeit, die Geschichtskonstruktion Hegels zu vermeiden und die „historische Situation", die Bedingung der Wirkung der Kunst nach zwei prinzipiellen Möglichkeiten zu unterscheiden. Die eine Möglichkeit ist die eines freien, vielleicht gar kulturstiftenden Wirkens der Kunst. Hier hat die Kunst eine universale Funktion, nämlich die (möglicherweise als einzige Instanz und vor-reflexiv), das Interesse an Menschheit und Freiheit zu vertreten und wachzuhalten und als verbindlich für das Handeln darzustellen. Die andere Version geschichtlicher Wirkung ist die unter ideologischer Fixierung des kulturell Möglichen. Hier hat die Kunst in dem Fall eine nur partiale Funktion, daß sie die institutionell fixierten Zwecke lediglich „für alle" vermittelt.* Sie kann aber auch hier eine universale Funktion wiedergewinnen, denn sie kann als eine noch nicht den gängigen Denkbahnen unterstellte Sicht der Welt Alternativmöglichkeiten
entdecken und deren Entdeckung im Sinne des Menschenmöglichen und des Postulierbaren vermitteln. Hegels Fixierung des Geschichtsprozesses in seinen späteren Überlegungen läßt die Kunst der Moderne zu einem Dekadenzphänomen werden, das allenfalls noch nachträglich und in der gebildeten Reflexion als weltgeschichtliches Werk der Vergangenheit wiedererkannt werden kann. Die philosophische Grundlage seines Systems nimmt zwar die frühen programmatischen Überlegungen der Intention nach auf, vermag sie in der Durchführung aber nicht als die spezifische Leistungsmög-
* Daß diese Alternative nicht konstruiert ist, zeigt schon die gegenwärtige Spaltung der Rezeptionsästhetik in die zwei konkurrierenden Lager. Während die Forscher der DDR unter Rezeptionsästhetik ein Programm der Vermittlung der gesellschaftlichen Wahrheit verstehen, das sich eben der Rezeptionsmechanismen so bedient, daß die Aussage des Kunstwerks auf den intendierten gesellschaftlichen Zweck zugeschnitten werden kann, sieht die Rezeptionsästhetik iffl Anschluß an H. R. Jauss ihre Aufgabe darin, die hermeneutische Diskussion um die Geschichtlichkeit der Kunst auch durch die Analyse des geschichtlichen Prozesses der Kunsterfahrung zu untermauern. Da es in dieser Diskussion mehr und mehr darum geht, der Rezeptionsästhetik die traditionelle Werkästhetik zu integrieren, werden einige der folgenden Überlegungen z.B. auch wieder auf Jauss zurückweisen. Denn bei Hegel finden sich die Hinweise auf die Bestimmungen der Klassizität oder des Prozesses der Traditionsbildung, die Jauss fordert.
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lichkeit allein der Philosophie zu erhärten. Deshalb ergibt sich von selbst von hierher die Möglichkeit, zur frühen Position zurückzukehren — was die Geschichtskonzeption betrifft — und die Erweiterungen inhaltlicher Art, die die Vorlesungen zur Ästhetik entwickeln, dieser Geschichtskonzeption zu integrieren. Zu den Momenten der Ästhetik, die in dieser Rekonstruktion wegfallen, gehört neben der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst auch die nur anscheinend weniger folgenreiche positive Formulierung desselben Sachverhalts: die These von der Partialität der Kunst, so wie sie in der gegenwärtigen Diskussion aufgefaßt wird.^ Die Partialität der Kunst kann mit Hegel allenfalls darin gesehen werden, daß die Auflösung der strukturellen Analogie von Kunstwerk und Staatswerk erforderlich wird, weil geschichtliches Handeln und die Darstellung eines Handelns nach Vernunftund Freiheitsprinzipien nicht ohne weiteres identifizierbar sind. Damit bricht die Einheit auseinander, die Hegel für eine bestimmte Zeit und Kunst (für die Heroenzeit und das Epos) unterstellt; ob zum Schaden der geschichtlichen Bedeutung der Kunst, das sei noch dahingestellt. Auf jeden Fall liegt der wichtigste Schritt der Rekonstruktion im radikalen Verzicht auf Hegels systematische Konzeption der Philosophie. Solange der von Hegel unterstellte Leistungssinn der Philosophie nicht auf die Leistungsfähigkeit der historischen Vernunft reduziert wird, kann man sich nämlich nicht von den Folgelasten dieser Konzeption für die Ästhetik lösen. Im Verzicht auf die Forderung, es sei in der Philosophie nicht nur begründetes Wissen, sondern ^ Die These von der Partialität der Kunst ist, sowie sie in der Diskussion verwandt wird, selbst nicht voraussetzungslos; nämlich ebensowenig wie die Übernahme von Hegels Bestimmung der modernen (romantischen) Kunst. Beides zeigt sich in der Kritik von O. Marquardt. Marquardt kritisiert die Partialitätsthese durch den Hinweis, daß in Hegels Bestimmung der romantischen Kunstform, also letztlich in deren ultimativer Humanitätsforderung, eine doppelte Freisetzung der Kunst liege: der „Verfall der Bedeutung" und der damit gekoppelte „Fortschritt in den technischen und thematischen Lizenzen der Kunst" {Zur Bedeutung der Theorie des Unbewußten für eine Theorie der nicht mehr schönen Künste). Auch hier wird aber, ausgehend vom Gedanken der Autonomie der Kunst, nicht klar zwischen Freiheit der Vermittlungsweisen und -Werkzeuge und der Verzwecklichung im Sinne der Humanitätsforderung geschieden, die dann doch zur Auszeichnung bestimmter Inhalte führen kann. Dasselbe Problem wiederholt sich in der Theorie des schönen Scheins. Eine treffende Kritik der Hegelschen Annahme, daß die Kunst ihre Gebundenheit durch den „neuen Heiligen" verliere, findet sich bei Nohl: Vom Sinn der Kunst, 110. Richtig gesehen ist die „Verlegung der Bedeutung aus der Transzendenz in die Immanenz. Wir wollen das Leben aus ihm selber verstehen und erwarten von unseren Künstlern, daß sie uns den Himmel der Schönheit in diesem unserem Alltag offenbaren, ihre Heiligkeit und Macht in dieser von uns gelebten grausamen Wirklichkeit". Vgl. in diesem Zusammenhang auch Gadamers Rezension von D. Henrich: Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart, 296 ff.
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ein Standpunkt absoluter Letztbegründetheit erreicht, liegt die Möglichkeit, die geschichtliche Aufgabe der Kunst im Sinn der Aufklärung zu bestimmen und Hegels spezifische Bereicherung, die Reflexion auf die Inhalte, die mit der Mythologieproblematik eingeführt wird, mitzuvollziehen. In einer solchen philosophischen Reflexion auf die Geschichte erscheint auch die Gegenwart als Folge der Aufklärung, als (Fort-) Schritt auf dem Wege der Institutionalisierung von Vernunft und Freiheit, der nicht automatisch abläuft, sondern jeweils gegen den Verlust erreichter Standards argumentativ durchgesetzt werden muß. In dieses Verständnis von Geschichte und von der Funktion der Vernunft in der Geschichte fügt sich Hegels frühe Bestimmung der Kunst. Ihre Funktion wurde schon in den programmatischen Schriften der anbrechenden Neuzeit in diesem Sinn umschrieben. Kunst ist die Darstellung der Welt, wie sie sein sollte, der besten der möglichen — so die Aufklärer im Anschluß an LEIBNIZ — und näherhin der geschichtlich-möglichen Welt — so Hegel im Anschluß an SCHILLER. Hier wird zunächst ein Gedanke Hegels wichtig, daß nämlich die „Autonomie" der Kunst im Sinne ihrer einzig zwingenden Verzwecklichung unter das Humanitätsprinzip aufzufassen sei. Die Bestimmung des Kunstwerks und seiner geschichtlichen Funktion läßt sich auch so lesen, daß es nicht um faktische Identitätsstiftung in der Realität geht, um die gleichzeitig mit dem Kunstwerk erwirkte neue Welt und „zweite Natur" des Menschen, sondern darum, den Anspruch der Aufklärer durchzuhalten und allgemein „anzusinnen". Im Sinne der Idyllenkonzeption SCHILLERS würde die geschichtliche Funktion jeweils dann zur gesellschaftskritischen Funktion, wenn sie nicht unmittelbar zur gesellschaftsstiftenden Wirkung gelangen kann. Diese Kritik bestehender Verhältnisse müßte aber im Sinne Hegels nicht als bloße Negation des Bestehenden (ADORNO) bestimmt werden, sondern erschiene zugleich als Angebot affirmativer Identifikation, wie es z.B. H. R. JAUSS fordert, wie es SCHILLER aber in seiner Konzeption der Idylle bereits differenzierter entwickelt hat. Die
utopische Dimension der Gesellschaftskritik wäre das Spezifikum der Kunst gegenüber sonstiger, theoretischer oder pragmatischer Kritik. Zahlreiche Beispiele in der inhaltlichen Abhandlung der Ästhetik zeigen,
daß es Hegel auch um diese kritische Funktion der Kunst gehen könnte, hätte er sie nicht der Philosophie vorab vindiziert. So ist es ihm, wenn er betont, es handele sich auch bei der Kunst um eine Form der Vernunft in der Geschichte, stets darum zu tun, die der Kunst mögliche geschichtliche Wahrheit selbst für die kritisierte „Moderne" nicht voreilig einzuschränken. Es kann in der Kunst nicht um die Vermittlung vorab fixierter, ideologischer Inhalte gehen, sondern auch die Inhalte unterliegen den Kriterien „Vernunft" und „Freiheit". Das Konzept einer „vaterländischen Kunst", das die Berliner Kunstakademie zu Hegels Zeit nicht ohne Erfolg für die gesamte Kunstentwicklung Deutschlands (durch die Konzeptionen der Kunstakademien) verbindlich machte, schafft beispielsweise eine Situation, die anscheinend der
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Situation der Kunst im „Griechentum" (dem Eingriff der Kunst in die Polis) vergleichbar ist. Selbst SCHELLING proklamiert als (vertretbares) Programm der Münchener Akademie der Wissenschaften, daß der Staat die Gegenwartskunst durch die (akademische) Lehre in die Lage versetzen müsse, eine neue Mythologie auszubilden und daß der Staat selbst dies Unterfangen zu vollenden habe, wo die Kunst es aus eigener Kraft nicht vermag. Aber Hegel setzt sich gerade mit dieser Konzeption, d.h. mit Kunstwerken dieses Anspruchs, betont polemisch auseinander. Er kritisiert zutreffend — obwohl er es nur durch seine uneinsichtige systematische These vom Ende der Kunst begründet —, daß die dem Aufklärungsgedanken verpflichtete Kunst hier einer „Restauration" weicht. Die in der Kunst vermittelten „Werte", die Weise ihrer Akzeptation und Indoktrination, „erzieht" den vernunftfordernden Menschen zum systemkonformen Bürger. Hegel zweifelt zwar nicht explizit das Konzept an, kritisiert aber die Kunstwerke, die das Programm einer religiösen und vaterländischen Orientierung übernehmen und durchführen. Hier tritt nämlich an die Stelle der Bestimmung der Kunst als Orientierungsmöglichkeit des geschichtlichen Handelns, als Kritik bestehender Verhältnisse im Sinne der Humanität, die „Gestaltung" des Staatsbürgers durch die Kunst. Der gebildete Bürger soll durch die „vaterländische Kunst" nicht nur auf seine nationale Eigenheit, sondern durch die Verbreitung der Religion zudem auf die bestehenden — gottgewollten — monarchischen Verhältnisse festgelegt werden. Hegel geht über sein Ziel hinaus, wenn er — pessimistisch ob der ergebnislosen Suche nach einem Kunstwerk im echten Sinn — auch SCHILLERS Dichtung als Kunst der modernen Zeit nicht mehr ernstlich in Betracht zieht. Ebenso uneinsichtig ist es, daß Hegel in der Selbstvergewisserung, im Stolz über die eigene geschichtliche Leistung, der sich in der Malerei der Niederländer zeigt, nicht mehr die Möglichkeit unterstreicht, zu weltveränderndem Handeln aufzurufen, sondern nur den Verlust des religiösen Orientierungsrahmens beklagt. Die Kunst — so kann man den „Vergangenheitscharakter" sinnvoll erläutern — behält ihre umfassende Orientierungsfunktion in dem Sinn, daß sie gegebene Werte und Orientierungen in Frage stellt. Ob die Alternativentwürfe der Kunst in politische Aktion zu übersetzen sind, oder ob nur ein Unbehagen an bestehenden Orientierungen hervorgebracht wird, entscheidet sich nicht mehr in der Kunst selbst, sondern im Zusammenspiel von historischer Situation überhaupt. Wirken der Kunst und (philosophischer) Kritik der gesellschaftlichen Funktion der Kunst. Kunst und Reflexion — analytisch-klassifizierende im Sinne der empirischen Wissenschaften wie begründende im Sinne der Philosophie — gehören zusammen, weil die Kunst selbst eine solche Habitualisierung von reflektiert-aufgeklärter Welthabe ä Vgl. A. Gethmann-Siefert: Kunst als Werk. Zur Kritik des produktionsästhetischen und rezeptionsäthetischen Reduktionismus. In; Dilthey-Jahrbuch (in Vorb.)
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leistet, die auf Explikation angelegt ist, weil sie grundsätzlich als Verständigungsprozeß (Kommunikation) konzipiert ist. Dadurch wird auf jeden Fall ein Moment der Partialitätsthese hinfällig, das die inhaltliche Diskussion in den Vorlesungen zur Ästhetikhestimmte: die Auszeichnung eines bestimmten (religiösen) Inhalts, der als fraglos vernünftig anderen Inhalten (Mythologien bzw. Anschauungen der Welt im ganzen) vorgezogen wird. Mit dem Verlust eines solchen „maßgeblichen" Inhalts wird eine Mannigfaltigkeit möglicher „vernünftiger Mythologien" in ihr Recht gesetzt. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob die Kunst ausschließlich im Sinne der (von Hegel bevorzugten) faktischen Identitätsstiftung — und zwar der gelingenden — aufgefaßt werden kann. Die Hegelkritik zeigt zumindest, daß die Kunst stattdessen als Entwurf alternativer Weltansichten aufgefaßt werden sollte. Jeder Weltentwurf ist zwar dem Anspruch nach universal, er darf als „Totalität" im Sinne SCHELLINGS oder Hegels gelten, aber er ist nicht mit dem weltgeschichtlichen Handeln schlechthin, mit dem Staatswerk etwa, oder einer historischen Religion, identisch. Der „schöne Schein" indiziert, daß ein Realitätsanspruch der Kunst, der die schöne Gestalt an die Stelle der Realität setzte, sinnlos wäre. Stattdessen obliegt der Kunst ein explizit kontrafaktischer Entwurf der Welt, der als Anschauung die Reflexion auf die geschichtliche Situation mit Unmittelbarkeit der Rezeption vereint. Der Realitätsanspruch eines solchen Weltentwurfs liegt allenfalls darin, daß eine zukünftige bessere Welt vorgestellt wird und als Ziel des Handelns erscheint, wo die historische Faktizität eine solch bessere Welt verstellt. Da mit dem Verzicht auf Hegels systematische Philosophie die Einheit von Wirklichkeit und Wahrheit nicht mehr als einzige Vernunftgarantie, auch nicht mehr als erreichbares Kriterium gilt, gewinnt diese „Kritik" an Kredit. Kunst, die als eine solche „Kritik" der Faktizität durch den Entwurf einer besseren Möglichkeit gestaltet wird, muß ihrer Vollendung nach keine Sache der Vergangenheit mehr sein. Diese Revision des Ansatzes bereitet sich in der ScHiLLERkritik der Ästhetik vor, wird aber von Hegel selbst nicht ergriffen. Hegel selbst kann die diskutierten Fälle mit obengenanntem Anspruch nicht als Möglichkeit der Kunst, deren Heiliger der Humanus ist, akzeptieren. Ihm erscheint die Verpflichtung auf den Menschheitszweck als ein möglicher Inhalt neben anderen, und zwar neben überlegenen anderen Inhalten der Kunst. Nimmt man aber die Vernunftforderung der Aufklärung ohne Hegels Anspruch, diese im System der wissenschaftlichen Philosophie einzulösen, dann zeigt sich jede mögliche geschichtliche „Mythologie" (jede ganzheitliche Weltanschauung), die die Kunst entwirft, als ein — überprüfbarer — Versuch, die „Menschheit" des Menschen auszuloten. Die philosophische Reflexion kann hier allein in dem Sinn eingreifen, daß sie die prinzipielle Gleichgewichtigkeit der in der Kunst vermittelten Anschauungen der Welt dahingehend prüft, ob sie ihr Anliegen (die Humanisierung der Welt und des Menschen) durchsetzen. In SCHILLERS
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Idyllenkonzeption und in deren Durchführung zeigt sich, wie dieses „ästhetische Programm" eine Kunst bestimmen kann, ohne daß die Ästhetik sozusagen als eine der Kunst integrierte „Kommentarliteratur" fungieren muß.® Wird aber nicht auch die Alternativ-Weit des schönen Scheins, die die Kunst als Handlungsorientierung gegen eine Welt der Zerrissenheit stellt, in dem Maße differenzierter, wie sie „moderne" Verhältnisse negiert durch die Setzung ihrer „anderen, besseren Möglichkeit"? Mit Hegels grundsätzlicher Einschätzung der Kunst als Kulturphänomen (schon greifbar in der Weise, wie die Ästhetik es in der Unterscheidung der Kunstformen festlegt) wäre diese Frage zu bejahen. Durch Hegels eigene Schlußfolgerungen erübrigt sich dann freilich im Kontext der Ästhetik eine solche Reflexion. H. MARCUSE vermutet, daß in der Bestimmung des schönen Scheins in der Ästhetik des deutschen Idealismus die Grundlage für eine zureichende Bestimmung der Gesellschaftlichkeit der Kunst liegen könne. An Hegels Ästhetik zeigte sich, daß eine solche „Aktualisierung" der Theorie des schönen Scheins nicht ohne weiteres möglich ist. Es zeigte sich aber auch, daß aus der Entwicklung der Ästhetik grundlegende Hinweise für eine solche Theorie des schönen Scheins gewonnen werden können. Hegels Gedanke einer die Polis sc. einer kulturellen Gemeinschaft und ihrer Institutionen stiftenden Kunst enthält den Hinweis, daß der Kunst im Kontext der Ausbildung der Sittlichkeit eines Volkes entweder eine konstitutive oder eine kritische Rolle zufällt. Löst man sich von den „historischen" Einschränkungen des ausgezeichneten Beispiels für die Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst und überträgt die strukturell-formalen Einsichten dieser Analyse auf die Analyse der Gegenwart, so bleibt die Forderung einer Kritik der verfestigten Institutionen erhalten. Wo aber Kunst- und Staatswerk nicht mehr dasselbe sind, wo die Genese des einen nicht mehr mit der des anderen identisch ist, da muß die Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und Geschichte modifiziert werden, d.h. die schlichte Analogie muß einer differenzierteren Deutung weichen. Eine Theorie des schönen Scheins und damit der geschichtlichen Funktion der Kunst in Anschluß an Hegel enthält einmal eine Bestimmung des Ver® A. Gehlen hat in den Zeit-Bildern gegen die abstrakte Malerei vorgebracht, daß eine Kunst ohne Nachahmungs- also Realitätspostulat notwendig auf ihre „wissenschaftliche" oder pseudowissenschaftliche Kommentarliteratur angewiesen sei. Die Kunst wirkt aber unmittelbar, ohne daß die Reflexion auf ihr Gelingen vorausgegangen sein muß oder ihr angeheftet wird. Lediglich bei übernommenem Vernunft- und Freiheits-Interesse ist die Prüfung notwendig. Die Ästhetik wird damit nicht zum notwendigen Vehikel der Rezeption der Kunst überhaupt, wohl aber zum notwendigen Bestandteil jeglicher Reflexion auf die geschichtliche Funktion dieses Phänomens. Vgl. dazu A. Geihmann-Siefert: Paradigmenwechsel der Kunst als Ansatz der philosophischen Ästhetik, 62 f.
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hällnisses von Kunst und Geschichte, die auf der Ebene der philosophischen Analyse die Einheit von historischer und systematisch-philosophischer Reflexion herstellt. Daraus abgeleitet ergibt sich eine Theorie der spezifischen Traditionsbildung und des Traditionsbezuges der Kunst, die sich als Variation des Griechenverweises formulieren läßt. Als drittes Moment einer Ästhetikbegründung in Anschluß an Hegel läßt sich eine Bestimmung des Verhältnisses philosophischer und kunsttheoretischer Grundbegriffe skizzieren, die hier an der Funktion des Schönheitsbegriffs im Kontext der Auseinandersetzung mit der Kunst belegt werden soll. Die „Aktualität" der Hegelschen Ästhetik erweist sich mit der Durchführbarkeit dieser Überlegung automatisch, denn die hier aus einer Rekonstruktion der Ästhetik gewonnenen Elemente einer philosophischen Ästhetik sind eben die Theorieteile, um die man sich in der gegenwärtigen philosophischen Ästhetik zwar bemüht, die aber erst unter Voraussetzung der Hegelschen (will sagen der hier „reformulierten") Ästhetik ansatzweise erreicht werden können. Der Vorteil dieses Vorgehens, in der Theorie des schönen Scheins zunächst Hegels systematische Verquickung von Wahrheit und Wirklichkeit auszuschalten, liegt darin, daß nur so die skizzierte Einheit von Inhalt und Form bei der Kunstbestimmung erhalten bleibt, ohne daß man die „Folgelast" der Hegelschen Konsequenzen mitübernehmen muß. Die beliebte Forderung, Hegels Ästhetik auf den KANTianismus zu reduzieren, erklärt sich eigentlich durch ein ähnliches Anliegen. Es geht darum, Hegels Dialektik, damit seine systematische Philosophie als Ganze auf eine formale Analyse zurückzuschrauben, um auf Kosten der Konkretheit wenigstens einige Klarheit der Explikation zu erhalten. Für die Ästhetik wird dies schon darum immer wieder vorgeschlagen, weil die analytische Ästhetik, die derzeit die philosophische Diskussion beherrscht, sich auf KANT als einen möglichen Vorläufer beruft, dessen Charakteristik des ästhetischen Urteils sprachanalytisch weitergeführt werden kann. Im Anschluß an Hegel geht es stattdessen darum, die Einheit von Form und Inhalt als die wesentliche Grundlage der geschichtlichen Bestimmung der Kunst sowohl in historisch-rückwärts gewandter als auch in grundsätzlicher Analyse beizubehalten. Auch dann muß man aber Wege zur philosophischen Klärung der Aussagen über die Kunst im Kontext der Humangeschichte finden, die die Konfusionen der Dialektik vermeiden. Für die Ästhetik heißt das, man muß eine Theorie des schönen Scheins entwickeln, die von Hegels Problem der Nicht-Wahrheit oder doch nur Beinahe-Wahrheit des schönen Scheins so weit abstrahiert, daß eine „Wahrheitsfunktion" des Scheins, damit eine Grundlage der geschichtlichen Funktion des Werks gewonnen ist. Hegel verknüpfte in der Ästhetik die philosophische Wesensbestimmung des Phänomens Kunst in der Weise mit einer Analyse seiner Geschichte, daß die Wesensbestimmung zur Analyse der geschichtlichen Funktion wird, wie sich an den Grundbegriffen (Werk und Wahrheitsvermittlung) zeigt. Die
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Funktion der Kunst in der Geschichte wiederum zeichnet sich durch zwei konstitutive Momente aus: Kunst stellt die Welt dar und sie gestaltet die Welt. Die Darstellungsfunktion der Kunst geht für Hegel einher mit einem Weltentwurf, einer „Weltanschauung". Denn die Vernunftideen werden in der Kunst nicht allein „ästhetisch", sie kristallisieren nicht nur zur schönen Gestalt, sie werden zugleich „mythologisch", d.h. sie sedimentieren zu einer Vorstellung von der Welt und ihren Bedingungen als Welt der Menschen. Der Weltentwurf der Kunst (die Gestalt) ergibt ein anschauliches, sinnlich faßliches Gebilde, das als Weltanschauung gelten will. Schon als Darstellung der Welt gibt die Kunst das, was ist, nicht allein so wie es (faktisch oder mit Hegel: empirisch) ist wieder, sondern so, wie es „wahr"-scheinlich ist, wie es erscheinen sollte. Hegels Hinweis, der Schein sei dem Wesen wesentlich, er lasse die Realität unter der Perspektive ihrer besseren Möglichkeit erscheinen, trägt dieser Eigenart Rechnung. Für ihn liegt hierin die Reflexionsaffinität des Phänomens Kunst und des Mediums, des schönen Scheins, begründet. Die Wahrheitsdimension des schönen Scheins führt zu einer weiteren Dimension des Phänomens Kunst, die sich als notwendiges Moment anschließt: sie befähigt zur Organisation einer gemeinsamen Praxis und darin erst zur „Humanisierung" der Natur. Für Hegel geht mit der Einführung einer gemeinsamen Sicht der Welt diese Realisation einer gemeinsamen Weltgestaltung im Sinne gemein-verbindlicher Anschauung der Welt einher. „Historisch" wie sachlich scheint dies sogar die ursprüngliche Funktion der Kunst gewesen zu sein; Hegel gewinnt jedenfalls seine Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion der Kunst an solchen Beispielen aus der Geschichte der Kunst, die die Kunst überhaupt auf die Rolle der geschichtlichen Orientierung bzw. der Stiftung von Identifikationsmustern festlegen. Im Blick auf die geänderte Situation der „Moderne" führt diese Bestimmung bei Hegel zu den dargestellten Problemen, und es muß eine Modifikation der geschichtlichen Funktion der Kunst oder des schönen Scheins gefunden werden, die der geänderten Situation Rechnung trägt, ln einer solchen Modifikation wird die „Inhaltsästhetik" Hegels konsequenter durchgeführt als von ihm selbst, denn die Einheit von historischer Betrachtung und Analyse der geschichtlichen Funktion wird hier nicht als abgeschlossen betrachtet. Wo die Philosophie und Religion nicht so aufgefaßt werden, daß sie denselben Zweck — nur eben besser — erfüllen, da ergibt sich diese Weiterführung Hegels mit Hegelschen Mitteln zwangsläufig. Hegel bestimmt als den geschichtlichen Sinn der Kunst die Einrichtung der Sittlichkeit einer Gemeinschaft und er sieht diesen Zweck dann als erfüllbar an, wenn die „Bildung" der Gemeinschaft einen bestimmten Status nicht überschritten hat. Nimmt man aber an, daß sich auch das Phänomen Kunst nach dem Grad der Bildung einer Gemeinschaft wandeln kann, dann bleibt die „praktische" Dimension der Kunst erhalten. Im Sinne der frühen Überlegungen zur institutionenkritischen Funktion der schönen Religion und
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Kunst kann auch für die moderne Welt die Möglichkeit expliziert werden, wie die Darstellung einer Vorstellung von der Welt, wie sie sein sollte, sich zur Herstellung dieser Welt verhält. Als Modell hierfür kann nicht Hegels Identifikation von Kunst- und Staatswerk gelten, wie er sie an seinen historischen Beispielen bis hin zur griechischen Kunst belegt; als Modell kann aber die Idyllenkonzeption SCHILLERS und deren Durchführung in den Dramen herangezogen werden. Dann zeigt sich, daß der Weltentwurf der Kunst auch unter den Bedingungen einer schon „verfaßten" Gesellschaft seine Funktion der Humanisierung der Welt, der Überführung von Natur in Kultur, und der Vergewisserung des Menschen über seine Möglichkeiten solcher Weltveränderung behält. An die Stelle der Konstitution der gesellschaftlichen Institutionen durch die Kunst tritt also die Kritik der Institutionen durch die Anschauung der Welt und des menschlichen Handelns, die die Kunst ins Bild setzt. Die „Wahrheitsfunktion" des schönen Scheins als des Mediums, das den Transfer von Vorstellung einer Welt und Herstellung dieser Welt leisten soll, muß entsprechend uminterpretiert werden. -Im Blick auf die Konzeption der Kunst im Zusammenhang der frühen religionskritischen Schriften Hegels zeigt sich SCHILLERS Konzeption der Idylle und deren geschichtliche Funktion als Einlösung des Hegelschen Entwurfs der utopischen und kritischen Funktion der Kunst. Aber auch die Bestimmung der Ästhetik hält mit der Betonung der grundsätzlichen Wahrheitsfähigkeit des schönen Scheins die Möglichkeit offen, an die frühen Reflexionen anzuschließen. Der hier vorgeschlagene Versuch, an die frühe Konzeption über SCHILLERS Weiterführung der Idyllenkonzeption anzuknüpfen, widerspricht Hegels Bestimmung des Ideals nicht. Das Ideal, das Hegel als Dasein oder Existenz der Idee definiert, kann nämlich als ein Entwurf der Realität auf die ihr inhärenten Vernunftideen verstanden werden, der neben Identifikationsangeboten zugleich die Kritik der Faktizität enthält. Schließt man die Bestimmung des Ideals an die Konzeption der Frühschriften an statt an die Konzeption der systematischen Philosophie, dann führt diese Kombination zur Bestimmung der „utopischen" Funktion der Kunst und des schönen Scheins. Da auch bei der Reformulierung der Theorie des schönen Scheins die Forderung erhoben wird, auf KANT statt auf Hegel zurückzugreifen,i° stellt sich die Frage, ob die vorgeschlagene Reduktion der Ästhetik nicht schon mit dem Rückgriff auf KANT identisch ist. Das ist nicht der Fall, und der Grund des Rekurses auf KANT (KANT trenne das Reich des schönen Scheins und die geschichtliche Realität voneinander, wie nach ihm SCHILLER) ist überdies nicht zwingend. Im Anfang dieser Überlegungen erwies sich die KANTische Grundlage der Ästhetik SCHILLERS hinsichtlich der Bestimmung des schönen Scheins und der Verhältnisbestimmung von schönem Schein und Realität eher als i°Vgl. z.B. A. Lewkowitz: Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller, 51 f.
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Hemmnis denn als Grundlage der Durchführbarkeit des Programms der ästhetischen Erziehung. Die strikte Trennung von schönem Schein und Realität hebt die Intention auf, die SCHILLER in den ersten Briefen formuliert. Sie läßt das Reich des schönen Scheins zur Sonderwelt neben der Realität herabsinken, weil unter Voraussetzung einer Trennung von Wirklichkeit und schönem Schein die Wirkung des „Ideals" nicht adäquat formuliert werden kann. SCHILLER umreißt zwar die Wirkung der Kunst auf das Individuum, er kann aber die Konsequenz dieser individuellen Einsicht für das Handeln, die Wirkung des idealen Staates auf den realen, nicht mehr abschätzen. Hegels Kritik an diesem Manko der Geschichtsphilosophie auf KAwrischer Grundlage erweist sich als triftig, weil SCHILLERS Programm der ästhetischen Erziehung gerade die Wirksamkeit für das Handeln einer politischen, geschichtlichen Gemeinschaft voraussetzt. Ebenso bleibt seine Forderung berechtigt, daß es in der Funktion der Kunst nicht allein um die „Moralität des Einzelnen", sondern um die Garantie für die Sittlichkeit einer Gemeinschaft gehen müsse, da nur so gewährleistet ist, daß auch die realen geschichtlichen Bedingungen für das moralische Handeln gegeben sein oder erreicht werden können. Unter dieser Rücksicht entfaltet Hegel in seinen religionskritischen Schriften und abschließend im Systemprogramm eine Bestimmung der Schönheit, die die hier geforderte Theorie des schönen Scheins als Bestimmung der geschichtlichen Wirksamkeit der Kunst vorwegnimmt. Die geschichtliche Funktion der Schönheit, das „ästhetisch“- und „mythologisch"- Werden der Vernunftidee kann als Bestimmung des Ideals ohne die vorausgesetzte Systemkonzeption wiederauf gegriffen werden. Denn das für Hegel anstößige Moment dieser Konzeption des schönen Scheins, daß er noch nicht Realität ist, gilt nur unter Voraussetzung der Möglichkeit der „wissenschaftlichen" Philosophie als ein Vorzug der Philosophie vor der Kunst. Wird der utopische Weltentwurf, die Weltauffassung der Kunst nicht mit einer philosophisch postulierten Identität von Begriff und Realität konfrontiert, dann erweist sie sich als eine mit der philosophischen zumindest strukturell gleichberechtigte Sichtweise. Die Kunst schildert nicht die — mit Hegel — bloße Wirklichkeit, sondern die auf ihre „Wahrheit" hin ausgelegte geschichtliche Welt, und ihre Auffassungsweise legitimiert sich im Blick auf die Notwendigkeit der Humanitätsforderung. Mit dem „Sinken" des Systemgedankens, mit dem Verzicht auf die Möglichkeit einer universalen und unrevidierbaren Begründung geschichtlicher Wahrheit, gewinnt die geschichtliche Funktion des schönen Scheins die Bedeutung einer Darstellung und Kritik der Realität zurück.^ Im schönen Schein, der sich im Kunstwerk iL Den Zusammenhang von Darstellung und Kritik der Realität erörtert M. Theuriissen in seiner Untersuchung zu Hegels Logik. Allenfalls von seiner Überlegung aus wäre eine analog zur Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie entwickelte „logische" Kritik der Ästhetik über den Scheinbegriff denkbar. In der inhaltlichen
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zu einer Realität sui generis konkretisiert, mit der schönen Gestalt nämlich, „ahmt" der Künstler „der" Wirklichkeit nach, die als humane Wirklichkeit denkbar und darstellbar ist. Im Verhältnis zur Faktizität zeigt sich hier das Geschichtlich-Mögliche als Alternative zum Geschichtlich-Wirklichen. Der schöne Schein ist „Vor-Schein" einer humanen Welt. SCHILLERS Thematisierung der kontrafaktisch ins Bild gesetzten besseren Welt im Drama zeigte, daß selbst im Scheitern der Idylle (des Bildes von der Welt, wie sie sein sollte) an der Realität die utopische Funktion aufrechterhalten bleibt. Auf diese Weise gewinnt man durch die Auseinandersetzung mit Hegel einen Ansatz zur Bestimmung der „ideologie"- oder institutionenkritischen Funktion der Kunst, der die Mitte hält zwischen einer Trennung von schönem Schein und Realität und aktionistischer Handlungsorientierung im Sinne der Einsozialisierung bestimmter Verhaltensweisen, die die Kunst „vorschreibt", weil ihre handelnden Personen sie „Vorleben". Die Entlastung vom Realitätszwang sowohl im Sinn der Vermeidung einer unmittelbaren Überleitung der in der Kunst exemplifizierten Handlungsprinzipien in politische Handlungsmaxime wie im Sinn der Identität von schönem Schein und Geschichte im „Werk" hat die „schöne" Gestalt des Weltentwurfs zum Resultat. Nur so ist die „schöne Gestalt", die Harmonie von Mensch und Natur Thematik der Ästhetik zeigt sich aber eindeutiger als in Theunissens Ansatz, der die inhaltliche wie methodische Entfaltung der Religionsphilosophie darstellt, die Notwendigkeit, eine Einheit von Darstellung und Kritik von Hegels „methaphysischen" Grundannahmen zu trennen. Obwohl Theunissen eine Analyse des „Schein"-Begriffs entwickelt, und sich hier ein Anknüpfungspunkt vermuten ließe, soll umgekehrt versucht werden, eine philosophische Theorie des geschichtlichen Phänomens zu begründen, ohne auf Hegels Wissenschaft der Logik und die vollendete Philosophiekonzeption zurückzugreifen; vgl. dazu M. Theunissen: Sein und Schein, bes. 85, 430 ff. — Zum Problem der Nachahmung der Realität, wie Hegel es in seiner Ästhetik andeutet, und wie es hier gedeutet ist, siehe Ä. Gethmann-Siefert: Die systematische Ästhetik und das Problem der Geschichtlichkeit der Kunst, bes. 176 ff. Man kann Hegels Bestimmung, die Kunst solle „idealisieren", einen Sinn abgewinnen, der dem „Klassizismusvorwurf" entgeht. Hegel muß bei seiner Forderung, das Kunstwerk solle einerseits von der „Bedürftigkeit des äußerlichen Lebens abstrahieren" und das „Reelle frei von den Zufälligkeiten der Natur zu einem Ideal zurückführen" {Kehler 1826. Ms. 67), andererseits aber diese seine „Allgemeinheit" und „Bestimmtheit in sich" in größter Nähe und in Anknüpfung an die Bildung der Zeit realisieren (vgl. Äachen 1826. Ms. 76 f), im Sinne Schillers verstanden werden. Dann erscheint dies Idealisieren als die Definition des Weltvollzugs durch Kunst. Im Unterschied zur bloß rezeptiven Welterfahrung handelt es sich um eine produktive Erfahrung, die als notwendiges Resultat die „schöne Gestalt" hat, eine eigene Welt des schönen Scheins entwirft. Das Resultat ist „allgemein", kann im Sinne Kants als die adäquate Erfahrung der Welt und Ausrichtung des Handelns allen angesonnen werden, weil es die Welt nicht bloß als Faktum, sondern hinsichtlich ihres Optimums, hinsichtlich ihrer zwar kontrafaktischen aber realisierbaren Möglichkeit auslegt.
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gegenwärtig denkbar, nämlich als Harmonie innerhalb der Kultur, als Übereinstimmung des Handelns aus Vernunftprinzipien und einer im Sinne der Humanität gestalteten, bearbeiteten Natur. Hegels Bestimmung des Werks bleibt insofern richtungsweisend, als diese Dimension der Vermittlung der Natur zur Welt des Menschen einen unverzichtbaren Fortschritt gegenüber der für die Griechen angenommenen unvermittelten Harmonie von Natur und Mensch mit sich bringt. Dennoch kann die in der Kunst thematisierte Möglichkeit der Kultur nicht schlechthin der geschichtlichen „Stufe der Bildung" sowohl der Individuen wie ihrer Welt gleichgesetzt werden. Eine unverzichtbare Komponente der „schönen" Gestaltung ist es, daß die Alternative vollendeter Menschheit nur kontrafaktisch ins Bild zu setzen ist. Nur ohne die Beeinträchtigung und Verzerrung, die die Realisierungsbemühungen in der Auseinandersetzung mit der Realität in Kauf nehmen müssen, ist die Alternativwelt als „schöne" denkbar. Diese Unterscheidung von schönem Schein und Realität, die Lösung von den historisch-konkreten Bedingungen, insofern sie Entfremdung sind, ist konstitutiv für die „Autonomie der Kunst", für ihre Ideologiefreiheit. Diese ist nämlich gewährleistet, weil in der Kunst nur in eingeschränkter Weise eine „praktische" Dimension beansprucht wird. Es geht nur um eine Handlungsorientierung unter der Perspektive notwendiger Zwecksetzung des geschichtlichen Handelns, nicht hinsichtlich der Mittelwahl und der faktisch-historisch erzwungenen Zweck-Mittel-Relationierung des geschichtlichen Handelns. Auf der Grundlage der Hegelschen Geschichtsphilosophie in pragmatischer Absicht läßt sich so eine Verhältnisbestimmung von schönem Schein und Realität formulieren, die weder die Realitätsanmaßung des Scheins noch die Bezuglosigkeit des schönen Scheins zur Realität behaupten muß. Der Rückgriff auf Hegels frühe Position, die SCHILLERS Konzeption der ästhetischen Erziehung um eine Geschichtstheorie bereichert, erlaubt es, die Funktion der Versöhnung, die Hegel der Philosophie vindiziert, als Theorie der utopischen Versöhnung der Kunst, also als ein Spezifikum ihres Verhältnisses zur Geschichte zu reformulieren. Damit verknüpft, führt die Entwicklung der geschichtlichen Funktion der Kunst in der Ästhetik die Notwendigkeit vor Augen, die geschichtliche Funktion der Kunst jeweils durch eine geistesgeschichtliche Analyse der gegebenen Situation festzulegen. Selbst Hegels These vom Vergangenheitscharakter ließ sich als mögliche Weiterführung erörtern, nämlich als Anerkennung, daß die Verknüpfung von geistesgeschichtlicher Charakteristik einer bestimmten Situation und Bestimmung der Funktion der Kunst kein abgeschlossener oder abschließbarer Vorgang ist. Durch die Berücksichtigung der historischen Situation der Neuzeit und Nachaufklärung ergibt sich, daß die Orientierungsleistung der Kunst nicht mehr in einer unmittelbaren Vorbildhandlung oder Handlungsanweisung, nicht mehr in der „Stiftung" der Sittlichkeit eines Volkes durch die Kunst gesehen werden kann. Damit schränkt sich vorderhand die „utopi-
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sehe Funktion" der Kunst gegenüber der idealtypischen Bestimmung der Ästhetik, gegenüber der Kunst im Griechentum ein. Diese „Partialität" der Kunst der Moderne muß (im Anschluß an Hegel) akzeptiert werden. Sie betrifft aber weder die Bedeutung der Kunst überhaupt, noch ihre spezifische Fähigkeit zum Entwurf einer alternativen Welt im schönen Schein. „Partial" und als solche schon in der Kunst reflektiert erscheint aber — so wenigstens verdeutlichen es SCHILLERS Dramen — die jeweils konkret als Exempel vorgeführte Konstellation und Handlung. „Für alle angesonnen" wird nicht mehr ein gleiches Handeln — wie in der identifizierenden Orientierung durch die Mythologie der Griechen —, sondern ein Handeln aus gleichen Prinzipien unter geänderten Bedingungen. Die „Universalität" der Bedeutung des Alternativentwurfes ist nicht mehr ohne die Reflexion auf seine Orientierungsleistung und auf die Trennung von historisch-zufälligem und geschichtlich-verbindlichem Moment denkbar. Ob damit schon eine untrennbare Verbindung von Kunst und philosophischer Theorie erforderlich ist, kann man zurecht bezweifeln. Unverzichtbar wird aber die Verknüpfung von Orientierungs anspruchder Kunst und dessen reflexiver Rechtfertigung, die mit der Trennung von Identifikationen und kritischer Orientierung zusammenhängt. Die utopische Funktion der Kunst hängt aber an ihrer Fähigkeit, Versöhntheit, Totalität einer „humanen Welt" gegenüber der faktischen zu thematisieren. Es ist die Frage, wieweit auch dies unter den geänderten philosophischen Prämissen beibehalten werden kann. Die Thematisierung von Totalität in der Welt des schönen Scheins kann nicht darum eingeschränkt werden, weil die Philosophie ihr im Erreichen desselben Zwecks überlegen wäre. Sie kann aber auch nicht so ablaufen, daß die kritische wieder in eine Identifikationsfunktion zurückverlegt wird, wie es Hegel für das Griechentum entwickelt. Dennoch sollte nach Hegel gerade im Griechentum und in der dort gewonnenen grundsätzlichen Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst die strukturelle Festlegung ihres Wirkens gewonnen werden. Aus dieser Perspektive läßt sich ein Gedanke festhalten: wenn der Utopiecharakter der Kunst durch den Verweis auf eine historische Vergangenheit aktualisiert wird, dann wird gleichzeitig an der grundsätzlichen Realisierbarkeit des utopischen Weltentwurfs festgehalten. Es geht nicht um vor- oder außergeschichtliche Vollendung, die im Blick auf die Veränderung der Geschichte und der geschichtlichen Bedingungen entweder beliebig oder nur negativ-kritisch gefaßt werden könnte. Als Beispiel einer gegenläufigen Interpretation sei ADORNOS Ästhetik angeführt. Auch ADORNO bestimmt die Kunst als Utopie, als Beharren auf einer möglichen, aber nicht de facto erreichten Vollendung des Menschen. Die Darstellung dieser Hoffnung in der Kunst darf aber nicht an geschichtliche Vollendung anknüpfen, denn damit würden Identitätsmuster geschaffen, die die Kunst und ihre Aussage
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als Ideologie abstempelten. Stattdessen thematisiert die Kunst eine Ahnung von Vollendung außerhalb der Geschichte, außerhalb des bewußten Eingreifens in die Welt. Die Utopie, die die Kunst stiftet, ist die Sehnsucht nach einem vorbewußten und vermeintlich glücklichen Zustand, der aber innerhalb des Sozialgefüges, im zwischenmenschlichen Kontakt und im geschichtlichen Handeln nicht wieder erreichbar ist. Kunst ist Mimesis, Nachahmung dieser vor-geschichtlichen Erfahrung und wird automatisch zur Kritik jedweder geschichtlichen Orientierung als Entfremdungszusammenhang. ADORNOS Ästhetische Theorie entwickelt also präzise das gegenteilige Utopiemodell zum Griechenverweis SCHILLERS und Hegels. Die utopische Dimension des schönen Scheins ist durch den Verzicht auf Identifikationsmuster, durch ein konsequentes Ausblenden der menschlichen Geschichte als möglicher Thematisierung eines Fortschritts oder Fortschrittsstrebens in der Realisation von Vernunft und Freiheit gekennzeichnet. Dennoch läßt sich die vorgeschlagene Theorie des schönen Scheins gegen ADORNO mit dessen eigenen Überlegungen verteidigen. Die kritische Funktion des schönen Scheins bleibt nämlich erhalten, selbst wenn die „affirmative Identifikation" (JAUSS) aus Gründen der Deutung der gesellschaftlichen und geschichtlichen Situation ausgeschlossen wird. Allerdings muß dann ein zusätzliches Problem ausgeräumt werden, denn wenn die Welt als Feld des Scheiterns der menschlichen Interessen dargestellt und als solche kritisiert wird, bleibt für die mitthematisierte Hoffnung auf Vollendung nur eine Dimension außerhalb der Geschichte: ein entweder tiefenpsychologisch oder gleich wieder religiös interpretiertes Jenseits. Die utopische Funktion der Kunst, wie sie hier am Beispiel der Idylle analysiert wurde, enthält demgegenüber beide Dimensionen: Kritik inhaltlicher und innergeschichtlicher Auslegung der Vollendung des Menschen und prinzipielle Orientierung des Handelns durch die Möglichkeit, allen die „Humanität" nicht nur des eigenen Vernunftgebrauchs, sondern auch die daraus folgende Umgestaltung der Welt als notwendig anzusinnen. Der sog. „Klassizismus" der Hegelschen Ästhetik — interpretiert als Rückgriff auf eine vergangene gelungene Orientierung des sittlichen Handelns durch die Kunst — behält also auch in dieser Reformulierung seinen Sinn. Die Gefahr dieses „Klassizismus" liegt in der Beliebigkeit des Rückgriffs. Man kann in der Tat jedwede historische Form der Verwirklichung von Vernunft und Freiheit als Bild der Zukunft entwerfen und repristinieren. Hiergegen formuliert Hegel seine Kritik der Idylle wie seine Vorbehalte gegen die Wiederbelebung der orientalischen Mythologie oder der mittelalterlichen Weltauffassung durch die Romantiker. Die „arkadische" Idylle, also die bloße
Verklärung einer Vergangenheit zur Zukunft, kann die geschichtliche Bedeutung der Kunst nicht erschöpfen. Der Rückgriff auf eine Vergangen-
heit kann aber auch — und hier zeigt sich die Schwäche der Hegelschen Konzeption in der Ästhetik — eine zirkuläre Begründung der Auszeichnung
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bestimmter Kunstwerke vor anderen durch die Auszeichnung einer bestimmten Kultur sein. Hierdurch wird Hegels eher archetypisches als historisches Aufgreifen des Griechentums problematisch. Dennoch kann der Rückgriff auf eine vergangene Vollendung sowohl philosophisch wie in der Kunst selbst eine strukturelle Analogie zwischen dem in der Kunst vorgestellten und dem geschichtlich erforderlichen Handeln thematisieren, wie es SCHILLER in seiner Konzeption der elysischen Idylle entwirft, wie er es in den Briefen zum Don Carlos ausführt. Ein „Klassizismus" in diesem Sinn, daß in der Kunst Identifikationmuster geschaffen werden, daß diese wieder durch Auszeichnung einer Vergangenheit oder überhaupt einer innergeschichtlichen Situation gewonnen werden, ist unumgänglich, wenn man an der geschichtlichen Funktion der Kunst im Sinne der Aufklärung festhalten will. Er kann folglich als Spezifikum der Inhaltsästhetik charakterisiert werden. Weil in Hegels Aslhelik zumindest ein Hinweis auf eine unter bestimmter Rücksicht auch mißverständliche Version des Klassizismus vorliegt, muß nochmals klargestellt werden, wie eine zirkuläre Begründung vermieden werden kann. Es darf weder die historische Gestalt der Kunst, die Entwicklung der Künste aus dem Entwurf eines „Ideals", aus der strukturellen Analyse der geschichtlichen Funktion prädestiniert werden, noch kann man die Bestimmung der geschichtlichen Funktion durch einen schlichten Rückgriff auf ausgezeichnete (aber in ihrer Vorrangstellung nicht weiter begründete) Phänomene gewinnen. Beide Male wäre das Resultat ein Klassizismus in dem Sinn, der Hegels Aslhelik vorgehalten wird. Bislang zeigte sich an einigen Beispielen aus Hegels Aslhelik, daß die Trennung von vertretbarem Sinn des Klassizismus und klassizistischer Einstellung im ästhetischen Urteil nicht allen von Hegel intendiert, sondern durchaus möglich ist. Im Kontext der Theorie des schönen Scheins kann z.B. der „Klassizismus" der Aslhelik hinsichtlich seiner für die Inhaltsästhetik konstitutiven Variante reformuliert werden. Es geht in der Bestimmung des schönen Scheins um die Verknüpfung von Bild und Welt und wirklicher Geschichte des menschlichen Handelns. Das exemplarische Beispiel für die geschichtliche Funktion der Kunst, die griechische Antike, kann hier nicht mehr als inhaltliches Beispiel, wohl aber als strukturell-erhellendes Beispiel genommen werden. Vergleichspunkl isl nichl mehr die reale vergangene Orienlierung durch die Kunsl, sondern formal der Gewinn von Handlungsorienlierung in der Kunsl durch den Rückgriff auf die Geschichle. Die griechische Klassik erscheint in diesem Zusammenhang als gelungene Synthese von Poesie und Politik, die grundsätzlich die geschichtliche Funktion der Kunst demonstriert: nämlich Werk-Charakter und Wahrheitsvermittlung der Kunst. Sie gilt aber nur in dem eingeschränkten Maß als Vorbild der Moderne, daß die mythologische Fixierung, also die inhaltliche Ausrichtung dieser Kunst als eine unter anderen überprüfbar sein muß. Die Einheit von ästhetischer und mythologischer Idee weicht — historisch gesehen — ande-
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ren Symbiosen von schöner Gestalt und Mythologie, so etwa in der christlichen Weltanschauung. Diese Einheit, inhaltlich genommen, weicht grundsätzlich gesehen beliebigen inhaltlichen Orientierungen des geschichtlichen Handelns durch die Anschauung der Welt, die sich wegen ihrer unabschließbaren Mannigfaltigkeit der Abwägung nicht entziehen dürfen. Einziger Auszeichnungsmodus bleibt ein formales Kriterium: nämlich die Frage der Vernunftgemäßheit der inhaltlichen Orientierungen im Sinne SCHILLERS. Schon Hegels Analyse der geschichtlichen Funktion, die ihr Paradigma an der griechischen Kunst gewinnt, bereitet eine Typologisierung verschiedener Möglichkeiten des Verhältnisses von schönem Schein und Realität vor. Die Kunst und mithin ihr Medium, der Schein, kann als Thematisierung und Tradition einer relativen historischen Vollendung aufgefaßt werden. Hegels Beispiel hierfür ist die Auszeichnung der griechischen Göttergestalt. Hier wird in der „schönen Gestalt" der Kunst die höchste Möglichkeit von Humanität anschaulich, und dieses „Ideal" konstituiert durch affirmative Identifikation einen politischen Kontext. Die andere typologisch vorbereitete Variante der geschichtlichen Funktion der Kunst und des schönen Scheins entwirft Hegel in der Interpretation der Tragödie, bricht sie aber ab, weil er diese Version geschichtlicher Funktion nur als „Übergangsform" verstehen kann. Hier erscheint das Kunstwerk als Thematisierung der Relativität der auf einer bestimmten Bildungsstufe möglichen Vollendung von Humanität und Freiheit. Hegels eigene Definition der Kollision in der Tragödie thematisiert die Grenze der affirmativen Identifikation im Sinne der unbedingten Übernahme der durch die Kunst gegebenen Orientierungen der Sittlichkeit. Durch den Verweis auf den griechischen Schicksalsgedanken als „Versöhnung" dieses Konflikts verstellt Hegel sich die Einsicht, daß die moderne Tragödie, die Kunst unter Bedingungen einer konstituierten Gesellschaft, analog aufzufassen ist. Die Modifikation in der Bestimmung der geschichtlichen Funktion, die zur Bestimmung des modernen Dramas führt, legt sich eigentlich schon im griechischen Beispiel nahe. In der Tragödie gibt die Kunst ein Bild geschichtlichen Handelns, aber in der gegebenen Situation und unter gegebenen Bedingungen ist der in der Tragödie thematisierte Konflikt unlösbar. Es bleibt die Einstimmung des Individuums in sein Schicksal als die im Griechentum mögliche Versöhnung, es legt sich aber zugleich nahe, daß dies nicht die letztgültige Art von Versöhnung bleiben darf. Auch in Hegels Verständnis thematisiert nämlich die Tragödie den ex post notwendig erscheinenden nächsten Schritt, die Lösung von der Schicksalsgläubigkeit und die Verpflichtung auf jene Einsicht, die in der geschichtlichen Erfahrung des Handelnden als erforderlich erscheint, noch nicht bewußt vollzogen, aber gleichwohl als Ahnung thematisiert wird (wie Hegel in der Antigone-Deutung zeigt). Durch das gleiche Dilemma ist die moderne Tragödie, näherhin das SCHILLERsche Drama, gekennzeichnet. Unter gegebenen Bedingungen erscheint ein
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Konflikt unvermeidlich und unauflöslich. Das Individuum geht mit seinem Handeln in humaner Intention an der Realität zugrunde, aber es wird durch das Scheitern das Bewußtsein erweckt, daß die Intention vertretbar, notwendig ist und im Sinne des eigenen Interesses an einer humanen und vernunftgeleiteten Existenz durchzusetzen sein müßte. Aus Hegels Interpretation sowohl der antiken Tragödie wie des Dramas läßt sich also die notwendige Einheit von affirmativer und kritischer Funktion der Kunst einsichtig machen. Sie gilt nicht allein für die „Moderne", sondern sie gilt — wenn auch unter anderen historischen Möglichkeiten — schon für die Antike (jedenfalls so, wie Hegel die Antike interpretiert). Unter einer weiteren Rücksicht ist Hegels Verknüpfung von geschichtlicher und philosophischer Bestimmung von Belang. H. R. JAUSS warf die Frage auf, ob man die kritische Funktion der Kunst mit der Funktion der „Traditionsbildung" (kunstimmanent gesehen: mit der Ausbildung einer neuen Klassik) vereinbaren könne. Ein Modell einer solchen Verknüpfung stellt die hier reformulierte Variante des Klassizismus vor. Denn die Kunst, die ihren Inhalt aus der Geschichte nimmt, um gegen die Faktizität eine „humanere Welt" zu fordern, greift die Geschichte immer schon so auf, daß sie als Zusammenhang von Freiheitmöglichkeit und Zwang (Verhinderung der Humanität) auftritt. Die neue Erfahrung der Welt, die die Kunst eröffnen soll, steht im Zusammenhang mit der Tradition der menschlichen Bemühung um die Humanisierung der Welt. Kunst als Kulturphänomen ist eine Weise der Bewahrung und Rechtfertigung der eigenen Geschichte unter der Perspektive des im Sinne von Menschheit und Freiheit Bewahrungswürdigen und eine Weise der Erneuerung der Erfahrung im Sinne der Ermöglichung (faktisch verstellter) besserer Erfahrung. Der Sinn des Traditionsverweises der Kunst zeigt sich unter diesem Aspekt als das Indiz der Realisierbarkeit der besseren Welt, der grundsätzlichen Möglichkeit, daß auch die utopische Vollendung Geschichte werde. Der Sinn eines jeweils im Kunstwerk neugestalteten Bezuges zur eigenen Geschichte (sc. der der Kunst und der Tradition der Werke) indiziert die Spontaneität der ästhetischen Erfahrung hinsichtlich der Hervorbringung der Welt und des schönen Scheins. Die Alternativfunktion des schönen Scheins führt dazu, daß in der Kunst die Darstellung der Welt gegeben wird, „als ob" sie eine humane Welt wäre und eine Vergegenwärtigung der Geschichte als ob sie die Ermöglichung des Fortschritts im Sinne der Vernunftprinzipien wäre. Dadurch erscheint die Diskrepanz von schönem Schein und Realität als Indiz des Geschichtsbezugs. Von Hegel her ergibt sich also eine Korrektur des modernen historischen Bewußtseins, die zunächst überraschen mag. Der Unterschied von wissensmäßiger theoretischer und ästhetischer Wahrheitserfahrung dokumentiert sich an einer Gegenläufigkeit der Sicht der Geschichte in Kunst und Wissenschaft. Genauer: im schönen Schein des Kunstwerks rehabilitiert sich eine Umgangsweise mit der Geschichte des Menschen, die gegen den modernen
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Historismus den produktiven Sinn der historischen Ungenauigkeit lebendig erhält. ADORNOS Ästhetische Theorie gelangt zu einem Modell der kritischen Funktion der Kunst, das die ästhetische Identifikation mit einem vorgeschichtlichen Zustand fordert und in eine totale Ablehnung jeglicher geschichtlichen Identifikationsmöglichkeit mit erreichtem Fortschritt mündet. In Hegels Ästhetik zeigt sich die Möglichkeit, eine „Idealisierung“ der Geschichte mit der Notwendigkeit des Handlungsappells der Kunst zu verbinden. Diese Idealisierung (die Gestaltung der eigenen Geschichte der Menschheit in der Kunst) hat den Sinn, die Geschichte dem Menschen verfügbar zu halten, sie als Geschichte seiner Auseinandersetzung mit der Welt zu entwerfen. Auch hier behält der schöne Schein die „Als-ob"-Struktur und damit eine kritische Funktion gegenüber der zur alltäglichen Sicht herabgesunkenen Auffassung der Geschichte als des objektiven Rahmens, als der Substantialität und unverfügbaren Voraussetzung menschlicher Existenz. Geschichte erscheint, wird sie im Kunstwerk thematisiert, als Freiheitszusammenhang und als durch menschliches Handeln bestimmbar. SCHILLER dokumentiert mit seiner Konzeption der idealischen Dichtung, der Idylle, daß diese Auffassung der geschichtlichen Welt de facto an der historischen Realität zerbrechen muß. Dennoch muß die Geschichte in diesem Sinn aufgefaßt werden, soll sie als Resultat menschlichen Handelns verstanden werden können. In diesem Postulat dokumentiert sich das Spezifikum der Kunst, die der alltäglichen wie historischen Sicht gegenüber kritisch den Freiheitsspielraum offenhält. Der „schöne Schein" schafft auf diese Weise die Alternative zur Realität, die in die Lage versetzt, die faktischen Verhältnisse zu durchschauen und zugleich auf ihre „Idealität" (ihre Dienlichkeit zum Zweck der Humanität und Freiheit) hin zu prüfen. Darüberhinaus zeigt er eine Welt ohne Zwangscharakter und ohne ideologische Verstellung und entwirft damit vor-wissenschaftlich die Orientierung auf Wahrheit, der die Wissenschaften in je spezialisierten Kontexten nachgehen. Die Habitualisierung von Humanität und Freiheit unter Bedingungen der Entfremdung (SCHILLER) wird vom schönen Schein der Kunst erfüllt bzw. verfehlt werden können. Damit ergibt sich durch die Verpflichtung der Kunst auf den Zweck der Aufklärung eine Möglichkeit, einen Kritierienkatalog für die Kunst zu entwickeln. Nur unter zwei Bedingungen fungiert der schöne Schein nämlich als konkrete Utopie. Einmal, wenn es gelingt, die Wirklichkeit unverstellt sehen zu lassen. Zweitens, wenn es gelingt, die Sicht der Wirklichkeit, das Handeln der Individuen unter den Bedingungen einer kontrafaktisch unterstellten Humanität und Freiheit in Kontrast zur Realität zu setzen oder auch nur als deren partiell verbesserte Möglichkeit erscheinen zu lassen. Der Inhalt dieser Utopie wird beliebig, weil sowohl eine historische Vollendung als auch eine vollendetere Innenwelt (ein Streben nach Vollendung, eine unverstelltere Einsicht) der
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Wirklichkeit gegenübergestellt werden können. Arbeiten wie die N. HIMMELMANNS über Utopische Vergangenheit zeigen auch für die Gegenwart die Tendenz, eine Orientierung des geschichtlichen Handelns aus dem Blick auf die Geschichte zu gewinnen und zu diesem Zweck zunächst ein Bild der Geschichte zu gestalten (gegen die Verwissenschaftlichung und damit die Zersplitterung einer Weitsicht im Ganzen). Von Hegels Ästhetik her gewinnt man die zusätzliche Einsicht in den zunächst paradox erscheinenden Sachverhalt, daß die historische Ungenauigkeit der konkreten (an der Geschichte festgemachten) Utopie und damit des „schönen Scheins" für die Orientierungsfunktion der Kunst konstitutiv ist. Aus der Diskussion der historischen Ungenauigkeit des Griechenverweises läßt sich ein Moment in die aktuelle Diskussion übernehmen. Die Geschichte, deren Objektivität vermeintlich durch die historischen Wissenschaften gesichert und expliziert ist, gewinnt zur Zeit Hegels schon eine Dimension der Selbstvergewisserung. Das heißt, sie wird in der Literatur aufgegriffen und als Bild der Welt, als Orientierungsmöglichkeit aufgearbeitet. Diese Situation der Rückwendung des Identitätsbedürfnisses der Einzelnen an die gemeinsame Geschichte hat sich in der Gegenwart eher erhalten, wenn nicht Verstärkt. Die Geschichte wird zum Lieferanten der Weltanschauung, sie wird damit nicht mehr historisch erforscht, sondern eklektisch zur Orientierung genutzt. Eine solche Nutzung steht im Widerspruch zur Wissenschaft und zwar in eben dem Widerspruch, in den schon SCHILLER die Kunst zur Wissenschaft setzte. Die historische Forschung läßt durch die Genauigkeitsforderung ihr Wissen über die Welt und die eigene Geschichte nicht mehr zur orientierenden Tradition werden. An die Stelle des interpretierenden Entwurfs ganzer Epochen oder Kulturräume tritt ebenso wie an die Stelle der geistesgeschichtlichen Reflexion die Objektivität der Fakten. Gleichwohl macht das Interesse an Orientierung vor dieser „Objektivität" nicht halt. Es kann sie grundsätzlich auf zweierlei Weise „remythologisieren" (zur Gewinnung einer Anschauung von der Welt im Ganzen zum Zwecke der eigenen Orientierung umformulieren), nämlich einmal im Sinne des Wissenschaftsglaubens, zum anderen im Sinne des freien künstlerischen Entwurfs eines Bildes der Vergangenheit. Dies letztere gewährleistet die spezifische Funktion der Kunst als Alternative zur Wissenschaft. Hier ergibt sich durch die „Ungenauigkeit" hinsichtlich der objektivierbaren Fakten durch deren Entwurf auf die der Realität immanenten besseren, alternativen Möglichkeiten ein Sinn, der der definierten geschichtlichen Funktion der Kunst entspricht, sie erfüllt. Dennoch stehen die disparatesten Phänomene hier nebeneinander, die gleichermaßen mit der Vergegenwärtigung der Geschichte den Kunstanspruch verbinden. Die philosophische Bestimmung der geschichtlichen Funktion des schönen Scheins und der Sinn der historischen Ungenauigkeit als Grundlage der utopischen Funktion müssen berücksichtigt werden, wenn man die Frage anschließt, ob sich aus der philosophischen
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Bestimmung der Kunst ästhetische Kriterien im engeren Sinn überhaupt gewinnen lassen. Zunächst erscheint dies ausgeschlossen und auch überflüssig, wenn es nur um den identischen Inhalt der Kunst, der hier zudem als der umfassendste erscheint, geht: um die Verlebendigung der eigenen Geschichte und die darin implizierte Bestimmung der geschichtlichen Existenz. Hegel gibt an dieser Stelle einen Hinweis, wie die Einheit der philosophi-
schen Bestimmung der Kunst und der Entwicklung ästhetischer Kriterien
aufzufassen ist. Er trennt nämlich den Sinn der historischen Ungenauigkeit etwa des Griechenverweises oder des „Idealisierens" überhaupt von der beliebigen Veränderung der Historie durch die Kunst. D.h. er unterscheidet zwischen Versuchen der Vergegenwärtigung des Vergangenen um der Gewinnung eines umfassenden „modernen" Selbstverständnisses willen und zwischen der bloßen Glorifizierung des Alten zum „goldenen Zeitalter". Er verwirft die Möglichkeiten der Wiederbelebung der Vergangenheit, die aufgrund der geänderten Situation in der Gegenwart strukturell keine Orientierungsfunktion haben können. Hier ist die Beschäftigung entweder Befriedigung eines bloß historischen Interesses weniger Gelehrter oder die bloß erträumte bessere vergangene Welt. Angesichts der Trivialliteratur, die die verschiedenen Epochen der Vergangenheit, zunächst die griechische, dann die römische Antike, dann das Mittelalter, verklärt und damit verunklärt, gibt Hegel — ohne sich eigens mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen und ohne die gegenwärtige Aktualität ahnen zu können — einen Hinweis auf den Sinn des Vergangenheitsverweises. Es geht um ein Vorbild des Weltvollzugs, das das faktisch-gegenwärtige Weltverhältnis kritisch zu sehen ermöglicht, weil es einen weiteren Horizont schafft, und das dadurch zukunftsmächtig ist. Die „Idealisierung" Griechenlands hatte z.B. zum Zweck: eine Vergangenheit nicht nach ihrer historischen Wirklichkeit, sondern nach der ihr innewohnenden Idee der Realisierung von „Menschheit und Freiheit" zu beurteilen. Darauf weist schon W. VON HUMBOLDT hin, wenn er es für durchaus gerechtfertigt hält, daß die Moderne das Altertum idealischer sieht als es war. Dasselbe führt Hegel in seinem Entwurf der „schönen Religion" als die utopische Funktion des Vergangenheitsverweises an. Wird dieser Vergangenheitsverweis nun aber zum Inhalt der Kunst, dann gewinnt er eben durch die „historische Ungenauigkeit", durch den Entwurf im Sinne des „schönen Scheins", die kritische Funktion. Denn es geht nicht — dies scheidet beispielsweise SCHILLERS Idylle von der historischen Trivialliteratur — um eine Idealisierung im Sinne der Glorifizierung beliebiger vergangener Lebensweisen. Eine solche Wiederbelebung der Vergangenheit erscheint als Einsozialisierung bestimmter nicht weiter ausgewiesener geschichtlicher Handlungsmuster und widerspricht der modifizierten Bestimmung des schönen Scheins. Diese Kritik formuliert schon SCHILLER in seiner Ablehnung der arkadischen Idylle und in der Auszeichnung der elysischen. Das Bild der
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Vollendung in der Geschichte soll „nach vorwärts" orientieren, soll die schon einmal realisierte Vernunft und Freiheit als bessere Zukunft faktisch-entfremdeter Zustände gegen diese behaupten. Aus der Diskussion um den Scheinbegriff, um die Kunst als Reich des schönen Scheins im Verhältnis zur Realität kann man eine Wirkung der Kunst folgern, die der Gegenwartstendenz zu minutiöser historischer Genauigkeit in der Rezeption der Geschichte entgegensteht. Die eigene Tradition soll im Sinne des neuzeitlichen Wissenschaftsglaubens so differenziert wie möglich aufgearbeitet werden, die „Objektivität" im Sinne der Multitudität der Fakten und Aspekte garantiert die Berechtigung solcher Aufarbeitung und wird gleichzeitig als ihr größtmöglicher Nutzen im Hervorbringen eines Selbstverständnisses deklariert. Wenn N. HIMMELMANN unter anderen auf die Breitenwirkung solcher Literatur hinweist, die in der historischen Tradition des 19. Jahrhunderts die gewonnenen wissenschaftlichen Fakten zu Bildern der Welt der Vergangenheit verballhornt, dann liegt ein vertretbarer Sinn und eine Erklärung der Popularität solcher Bewältigungen der Geschichte sicher in der Faßlichkeit für die Masse der Rezipienten. Mit der Ausbildung der Wissenschaften läuft deshalb konsequenterweise das Bemühen parallel, das man im Sinne der Hegelschen Remythologiesierung, im Sinne der gescheiterten Versuche KLOPSTOCKS und der Idyllendichter umschreiben kann. Es geht um ein Bild der Welt, an dem gemessen die Gegenwart zu ändern wäre, durch das eine Vergewisserung über die eigene „Menschheit" gewonnen werden soll, ein Bewußtsein der Legitimität der Forderung nach mündigem, verantwortetem Handeln. Die Tendenz der gegenwärtigen Ästhetik, eine Rehabilitierung der Trivialliteratur zu fordern, sollte nicht die einzige Reaktion auf das „Geschichtsbedürfnis" zum Zweck der Sicherung der eigenen Identität bleiben. Denn die Rehabilitierung einer Kunstform, die nur durch ihre faktische Existenz und durch ein offensichtliches Bedürfnis, dem sie korrespondiert, ihre Wirkung erhält, erhöbe lediglich ein Faktum zur Norm. Von der Existenz der Trivialliteratur ausgehend ließe sich vielmehr eine Frage an die philosophische Beschäftigung mit der Kunst richten; Müßte man nicht davon ausgehen, daß sich die Ästhetik und auch die Künstler selbst in einer Zeit, die durch den Verlust der Geschichte im Meer des Einzelwissens gekennzeichnet ist, mit SCHILLERS Entwurf oder ähnlichen Konzeptionen wieder auseinandersetzen soll? Das zukunftsweisende „Bild" einer alternativen Welt, das die (elysische) Idylle vorstellt, ist nämlich historisch-ungenau aber hinsichtlich der Erfüllung des „Bedürfnisses" nach vernunftlegitimierter Orientierung „genau", d.h. adäquat. Weltanschauung, wie sie die Kunst vermittelt, sollte also durch den „schönen Schein" die Ungenauigkeit hinsichtlich der Fakten tolerieren lehren zugunsten der Adäquatheit der Orientierungsfunktion. Damit könnte man SCHILLERS Betonung der „Eigenwelt" des „schönen Scheins", der Autonomie der Kunst entsprechen, ohne die gesellschaftliche Relevanz aufgeben zu müssen. Die „Eigenwelt" der Kunst wie des schönen Scheins ist die kontrafaktisch zu
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unterstellende „Menschheit" und ihre Realisierbarkeit, die es gegen die und in der Realität durchzusetzen gilt. Abschließend sei auf eine „Aktualisierung" der Hegelschen Ästhetik hinzuweisen, die mit der gegenwärtigen Tendenz der Ästhetikbegründung zunächst unvereinbar und als Moment der Theorie der Geschichtlichkeit der Kunst ungewohnt erscheint. Der von Hegel her erweiterten Theorie des „schönen Scheins" läßt sich eine Bestimmung der „Schönheit" abgewinnen, die einen vertretbaren Sinn der „metaphysischen" Grundlage der Ästhetik" festlegt. Zunächst liegt der naheliegende Schritt einer Ästhetik „nach" Hegel im Verzicht auf den Schönheitsbegriff. 12 Denn eine Theorie der Geschichtlichkeit der Kunst sollte aufgrund ihres eigenen Theoriestatus schon die „metaphysische Grundlage", d.h. hier Hegels im Anschluß an PLATON entwickelten Begriff der Schönheit, aufgeben. An die Versuche zur Universalisierung der Hegelschen Ästhetik, wie sie z.B. ROSENKRANZ mit seiner Ästhetik des Häßlichen entwickelt, schließt sich gegenwärtig — nun vordringlich unter Berufung auf ADORNO — die Theorie der „nicht mehr schönen Künste" an. Die Notwendigkeit, in der Ästhetik auf den Schönheitsbegriff zu verzichten, wird durch den Klassizismusvorwurf begründet. Insoweit dieser Vorwurf sich in der vorliegenden Untersuchung entkräften ließ, fällt der Zwang zum Verzicht auf den Schönheitsbegriff vorderhand weg. Die Erweiterung des Schönheitsbegriffs zum Kosmos ästhetischer Begriffe und der damit verknüpfte Verzicht auf die metaphysische Grundlage ist keineswegs die notwendige, keineswegs die einzige und ebensowenig eine problemlose „Aktualisierung" der Hegelschen Ästhetik. Im Gegenteil führt gerade der Verzicht auf die „methaphysische Grundlage", der sich in der Relativierung des Schönheitsbegriffs manifestiert, in der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst, in der Bestimmung des „Scheins" zu einem Grundlegungsdefizit, näherhin zur Konfundation von ästhetischen und philosophischen Kriterien. Versuche, die ästhetischen Kategorien um ihre Komplementär- oder Konträr-Begriffe zu erweitern, enthalten nämlich zwei Schwierigkeiten. Zunächst wird die Unterscheidung 12
R. Wiehl weist in seiner Untersuchung zum Handlungsbegriff in der Hegelschen
Ästhetik daraut hin, daß sich diese Theorie als Paradoxon erweist, wendet man sie auf
Fragen der modernen Kunst an. Allenfalls dränge sie sich als Anti-Theorie der nicht mehr schönen Künste auf (a.a.0.136). Diesem Problem ist ein Band der Forschungsreihe Poetik und Hermeneutik gewidmet, und auch zahlreiche Untersuchungen zur Ästhetik im Anschluß an Adorno ziehen den anti-hegelschen Schluß, daß ein Verzicht auf den Schönheitsbegriff, weil es der Verzicht auf den „Klassizismus" sein soll, zur Freiheit der Kunst von ästhetischen Zwängen führe und im Sinne der Autonomie der Kunst erforderlich sei. — Daß sich Hegels Ästhetik zur philosophischen Reflexion auf das Phänomen der modernen Kunst als hilfreich und triftig erweist, läßt sich zumindest mit einigen Beipielen belegen.
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zwischen Kunst und Nicht-Kunst nicht mehr möglich sein. Ästhetische Theorie ist zur Akzeptation jedes als Kunst auftretenden Phänomens gezwungen und kann als Reflexion allenfalls nachträglich den „Kunstcharakter" durch ein geeignetes Set von umschreibenden Kategorien darstellen. Die Kritik der Phänomene durch die Konfrontation mit ihrem Anspruch kann von der Philosophie nicht mehr erwartet werden. Philosophische Ästhetik wird im schlechten Sinn zur „Eule der Minerva", die alle auftretenden Phänomene nachträglich durch den gefundenen „Begriff" rechtfertigt. Die andere Schwierigkeit ist ein de-facto Klassizismus. Hegel versucht in seiner Ästhetik, ein Kriterium für den Kunstcharakter zu entwickeln und die ästhetische Kriteriologie durch die philosophische Bestimmung (Wahrheitsvermittlung) zu begründen. In der Auflösung der metaphysischen Grundlage geht es aber nur darum, die Schönheit als ästhetisches Kriterium um eine (beliebige und unabschließbare) Reihe weiterer Kriterien zu ergänzen, um das geschichtliche Phänomen und seine Variationen zu erfassen. Schönheit, aufgefaßt als ästhetisches Kriterium, bleibt dabei in dem Sinn grundlegend, daß sie entweder positiv gesetzt oder als Negativfolie richtungsweisend ist für das „ästhetische" Werturteil. Deshalb soll hier im Gegensatz zu einer solchen Erweiterung der Ästhetik versucht werden, den metaphysischen Sinn der „Schönheit" als Erscheinenlassen von Wahrheit und Gutheit, den Hegel auch in der Ästhetik noch beibehält, zu einer Kategorie der Geschichtstheorie umzuformulieren. Hegels Ästhetikhietet eine Unterscheidung an, die in der beliebigen Erweiterung ästhetischer Kriterien verlorengeht, nämlich die Differenzierung zwischen aletiologischer oder speziell philosophischer und spezifisch ästhetischer Charakteristik und Kritik. Das Äuseinanderfallen des Werkcharakters und der ästhetischen Charakteristik („schön") bei der Malerei der Niederländer kann als ein solcher Hinweis gelesen werden. Der Sinn einer solchen Differenzierung geht in den Versuchen verloren, die schlicht den Kanon ästhetischer Kriterien erweitern und Schönheit um Häßlichkeit, das Charakteristische ect. ergänzen. Wird der Begriff der Schönheit aber als Grundbegriff beibehalten, so muß man trotzdem die Möglichkeit eines gefächerten Kanons ästhetischer Kategorien nicht ausschließen. In der Bestimmung der historischen Ungenauigkeit des schönen Scheins und ihres gesellschaftskritischen Sinnes ging es darum, aus dem Verhältnis von schönem Schein und Realität ein Kriterium für die ästhetische Differenzierung verschiedener Weisen des Rückgriffs auf Geschichte zu gewinnen. Versucht man, dem Begriff der Schönheit einen vertretbaren Sinn in der Ästhetik zuzueignen, so geht es darum, Gelingensbedingungen der Älternativfunktion des schönen Scheins kunstimmanent, also nicht im Blick auf die Realität, sondern auf das Kunstwerk zu formulieren. An die Bestimmung des „schönen Scheins" schließt sich eine Charakteristik des Kunstwerks selbst an, dessen geschichtliche Funktion (sc. die utopische Funktion des schönen
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Scheins) in diesem Fall unterstellt werden kann. Die Perspektive dieser Reflexion ist wieder die Einheit von philosophischen und ästhetischen Kriterien, es geht aber nicht um die Festlegung und Kritik möglicher Inhalte der Kunst, sondern nun — insofern ist das Beispiel komplementär — um die Gewinnung formaler ästhetischer Kriterien aus der Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst. Schönheit wäre dann das formale Kriterium von — im Sinne der mittelalterlichen Ästhetik — harmonia und claritas, vom gelingenden Zusammenspiel der Mannigfaltigkeit der Elemente zur schönen Gestalt. Schönheit bleibt das grundlegende, weil philosophische Kriterium, weil es als Indiz für die Erfüllung der geschichtlichen Funktion der Wahrheitsvermittlung und Handlungsorientierung gilt. Diese „metaphysische" Grundlage abzulösen, die Bestimmung des Ideals duch einen Kanon von Kriterien zu erweitern, ist sinnlos. Hier gibt es nur die Möglichkeit, dem „Ideal" zu entsprechen, den Entwurf der Welt mit der „Als-ob"-Struktur des schönen Scheins durchzuführen oder nicht. Schönheit wäre also das formale Kriterium für das Gelingen des Entwurfs als „Gestalt". Auch jene Künste, die gemessen am ästhetischen Maß der „Klassizität" dann in der Moderne als „nicht mehr schöne Künste" aufgefaßt werden müssen, wären nach diesem Kriterium zu beurteilen — nicht a priori zu verurteilen. Neben diesem Gebrauch des Schönheitsbegriffs und durch ihn begründet, besteht seine Verwendung als ästhetisches Kriterium bzw. als charakterisierende Kennzeichnung in einem Kanon von differenzierenden Bestimmungen. Man könnte diese unterscheidenden Charakteristiken als historisch und individuell Variante Beispielsfälle der „Schönheit" (bzw. der im genannten Sinn umgedeuteten Idealität) betrachten. Am Muster der griechischen Skulptur läßt sich etwa eine Weise des Zusammenspiels von Weltentwurf und gestalthafter Anschaulichkeit erörtern, die traditionellerweise mit dem äthetischen Kriterium „schön" belegt ist, an modernen Kunstwerken Weisen, die der ästhetischen Charakteristik „häßlich" entsprechen bzw. konventionellerweise so bezeichnet werden. Alle diese abgeleiteten ästhetischen Kriterien betreffen aber nicht die geschichtliche Funktion als solche, sondern die spezifischen Erscheinungs-, Darstellungsweisen. Der Katalog solcher ästhetischer Kriterien im strikten Sinn erscheint nicht endgültig abschließbar. Der von Hegel übernommene Unterschied zwischen „aletiologischem", d.h. speziell philosophischem Kriterium und „ästhetischen" Kriterien erlaubt es also, auf der einen Seite an der „Rationalisierbarkeit des Phänomens Kunst", an der Analysierbarkeit seiner geschichtlichen Funktion und deren notwendigen Bedingungen festzuhalten und auf der anderen Seite die faktische Entwicklung nicht durch den „Begriff" vorab festzulegen. Letzteres wird dadurch gewährleistet, daß „Schönheit" als „aletiologisches" und „schön" etc. als ästhetische Kriterien nicht identisch gesetzt werden. Unter „Schönheit" im Sinn einer Charakteristik der spezifischen Weise der Wahrheitsvermittlung der Kunst unter das Erscheinenlassen des Wahren an einer anschaulichen
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unmittelbar faßlichen Gestalt, fallen viele mögliche ästhetische Charakteristika des Zusammenspiels von Mitteln des Scheins. Einen ersten Hinweis gibt die Erweiterung des Kriterienkatalogs, wie ihn die Ästhetiker im Anschluß an Hegel entwickeln, so die Integration des Kriteriums „häßlich", „charakteristisch", „interessant" aber auch „schön" im Sinne eines speziellen Zusammenspiels (nicht der Auszeichnung) von Eigenschaften. Alle solchen Kriterien werden nicht durch die Philosophie entworfen, wohl aber aus der Kunstkritik und -theorie übernommen. Die philosophische Ästhetik kann in Rücksicht auf ästhetische Kriterien im engeren Sinn nur insofern „begründen" als sie prüft, wieweit ästhetische Kriterien das Kunstwerk immanent, aber im Blick auf seine geschichtliche Funktion charakterisieren. Es kann von Seiten der Philosophie so auch nicht abschließend vor Vollendung eines Kriterienkatalogs Stellung genommen werden, sondern man sollte hypothetisch davon ausgehen, daß sich diese Kriterien mit der Entwicklung der Mittel und Möglichkeiten der Kunst phänomenimmanent weiter spezifizieren und theoretisch weiter differenzieren lassen. Die Philosophie wirkt in Rücksicht auf ästhetische Kriterien — als philosophische Ästhetik — nicht kriterienschöpferisch, sondern kriterienkritisch. Sie stellt lediglich die Frage, wieweit die entwickelten immanent-ästhetischen Kriterien für die Charakteristik eines geschichtlichen Phänomens taugen, das im definierten Sinn Wahrheitserfahrung vermitteln soll und sich diesem Anspruch unterstellt. Das Verhältnis von philosophischer Ästhetik und Kunst theorie liegt damit auch fest. „Schönheit" als aletiologisches Kriterium gilt (formal-mitanleitend) als Grundlage der ästhetischen Kriterien. Diese müssen dem strukturellen Gefüge, nicht der inhaltlichen Fixierung auf ein bestimmtes, zur Exemplifikation herangezogenes Phänomen, genügen. Zwar ist es unumgänglich, überhaupt auf ein Phänomen zurückzugreifen, um die formale Analyse entwickeln zu können, aber die historische Spezialisierung darf nicht in der Weise zur strukturellen werden, daß etwa alle Kunst der Zukunft auf die Mittel der „Klassik" festgelegt wird. Diese Notwendigkeit der Wendung zum Phänomen, zur Geschichte läßt sich mit Hegels Ästhetik rechtfertigen. Denn die genannte Verhältnisbestimmung von Ästhetik, ästhetischer Theorie (Kunstwissenschaften) und Phänomen ist das Charakteristikum der Inhaltsästhetik, das ohne den Vorurteilscharakter eines wie auch immer gearteten Klassizismus (der Fixierung auf historische Spezialität) als Erweiterung der KANTISCHEN und neukantianistischen Ästhetik beibehalten werden muß. Die Begründung der Kunstwissenschaften durch die Ästhetik, die Hegel beansprucht, läßt sich im Sinne der HEiDEGGERSchen Verhältnisbestimmung von philosophischer Grundlegung und phänomenaler wie wissenschaftlichtheoretischer Charakteristik umreissen, um die Verwiesenheit der philosophischen Ästhetik auf das Phänomen und seine faktische Entwicklung zu betonen. In der Perspektive der Hegelschen Ästhetik liegt umgekehrt aber
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eine Erweiterung der HEioEGCERschen Analyse des Kunstwerks, die ihrerseits zur Grundlage der hermeneutischen Kunsttheorie geworden ist. Denn wo HEIDEGGER selbst den Bezug der fundamental-ontologischen Analyse zur ästhetischen Theorie ausspart, ergibt sich aus Hegels Ästhetik die Notwendigkeit, die Grundlegungsfunktion der philosophischen Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst in der Theorie der einzelnen Künste zu prüfen. Es zeigt sich an vielen Stellen, daß Hegel dies zumindest soweit durchgeführt hat, daß die hier versuchte Ref ormulierung der Ästhetik weitgehend Anhaltspunkte schon bei ihm selbst findet. Anhand dieser wenigen und nur unter der Rücksicht der Grundlage einer philosophischen Ästhetik und ihrer wesentlichen Theoreme ausgewählten Beispiele mag sich gezeigt haben, daß es nicht unsinnig ist, eine Aktualität der Hegelschen Ästhetik zu behaupten. Mit Hilfe der — freilich modifizierten — Ästhetik lassen sich Aspekte und Grundlagen der philosophischen Ästhetik entfalten, deren Bedeutung in der gegenwärtigen Diskussion zwar anerkannt wird, die aber nicht oder nur unzureichend formuliert werden können. Die gesamte philosophische Ästhetik der Gegenwart versteht sich selbst als ein Versuchs- und Ärbeitsfeld, das methodisch ungesichert, nicht abgeschlossen ist und kaum jemals endgültig abschließbar sein wird. Deshalb gelten die hier entwickelten Hinweise aus Hegels philosophischer Bestimmung der Kunst für eine Theorie der Geschichtlichkeit der Kunst nicht als abschließend. Es wird nicht beansprucht, alle möglichen Aktualisierungen der Hegelschen Äsf/ieh'F durchgespielt zu haben. Dennoch mag es zur Klärung der Grundfragen beitragen, wenn zunächst einmal der leidige und unfruchtbare Zwang, sich entweder kritisch oder affirmativ mit Hegel auseinanderzusetzen, so weit „auf den Begriff" gebracht ist, daß sinnvolle Versionen der Berufung auf Hegel von unsinnigen unterschieden werden können. Vielleicht mag, so aufgefaßt, das Hegelsche philosophische Erbe wieder im Sinne einer Bereicherung der Problemlösungsmöglichkeiten philosophischer Ästhetik wirksam werden.
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Namensregister
Namensregister Abel, J. F., 35 Adorno, Th. W., 2, 21, 125A, 136, 288, 310A f, 382, 387, 397 f, 402, 406 Aischylos, 199, 201A Äsop, 249 Anton, H., 119i^ Apel, J. A., 213Ä Ariost, 250A Aristoteles, 36, 185 Baader, F. von, 173A Bachem, R., 185A Bachmaier, H., 137A Basch, V., 2lA, 103A f Batteux, Ch., 34 Bauen, B., 59A Baum, M„ 170A, 194A, 197A Baumeister, Th., 4lA, 122A Baumgarten, A. G., 57 Beck, A., 67A Beckett, S., 125A Behler, E., 4lA, 215A Benjamin, W., 137A Bloch, E., 61 f, 140, 369 Bodmer, J. J., 193A, 343A Breitinger, J. J., 193A, 343A Böckmann, P., 29A, 5lA Böhler, M. ]., 19A, 20A Böhme, J., 173 Böschenstein-Schäfer, R., 350A Bosanquet, B., 20A Boisseree, M. und S., 21lA, 248A f, 269, 299A, 340 Brinkmann, R., 105A Bubner, R., 126A, 280A, 292A, 342A, 371A, 372A Büchner, H., 88A, 108A, 154A Buchwald, R., 67A Buck, G., 237A Burckhardt, J., 219A Bürger, G. A., 71, 80, 155 Burke, E., 39A Butler, E. M., 114A Caesar, 357A Camoens, L. de, 299A Carus, C. G., 194A
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Cassirer, E., 19A, 53A, 57Af, 6lA, 67A, 68A, 85A, 124A, 260A, 372A Cervantes, M. de, 299A Corregio, 129, 155A, 21lA, 340A Creuzer, G. F., 195, 266, 278, 301, 332A Dante Alighieri, 212, 214, 221, 225, 250A, 299A Daub, C., 292A Diderot, D., 322A Dilthey, W., 88A, 113A, 114A Donougho, M., 217A, 323A Dubos, J.-B., 53A, 343A Düsing, K., lOlA, 125A, 165A, 167A, 177A, 208A, 371A, 373A Düsing, W., 54A, 59A, 82A, 86A Ebbinghaus, J., 55A Ebel, ]. G., 46A Eberhard, J. A., 116A Engel, B. C., 59A Ewers, H. H., 19A, 50A, 54A, 66A, 86A, 136A Fambach, O., 213A Feder, J. G. H., 35A f Ferguson, A., 29 f, 36, 57, 116A, 123A Feuerbach, L., 292A Fichte, J. G., 4, 42 f, 46A, 53, 54A, 56 f, 63 f, 96, 98, 101, 108, 115, 123, 176, 219A, 305, 315, 347, 363 Field, G. W., 350A Fischer, K., 246A, 321 f, 324 Förster, G., 46A, 120, 122A Freier, H., 71A Fricke, G., 59A Friedrich, C. D., 344A Fuhrmann, M., 66A Furck, C. L., 96a, 116A, 124A, 238A Gadamer, H.-G., 3,11, 59A, 125A, 165A, 386 Garve, Ch., 37, 57, 104A, 116A, 123A Gehlen, A., 123A, 150A, 382, 390A Geis, G., 40A Geliert, Ch. F., 206 Gethmann-Siefert, A., 2A, 3A, 6A, 9A f, llA, 21A, 5lA, 52A, 74A, 91A, 125A, 137A, 170A, 194A, 212A, 216A, 228A, 233A, 236A, 253A, 270A, 272A, 276A, 278A, 279A, 280A, 290A, 299A, 310A,
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Namensregister
Gethmann-Siefert, A., 334A, 343A, 350A, 371A, 372A, 388A, 390A, 395A Gessner, S., 331, 332A, 338 Gibbon, E., 114A Glöckner, H., 19A, 20 f, 43A, 104A f, 145, 165A Goethe, J. W., 30A, 66A, 67 f, 71 f, 80 f, 90A, 96A, 119A, 125A, 185A, 193A f, 212A, 217, 260A, 266, 301, 303A, 309A, 319, 323, 330A, 331A, 332 ff, 335A, 337 ff, 341A, 344 f, 348, 352 356, 366 Gombrich, E. H., 375 Görres, 266, 332A Griesheim, K. G. J. von, 108A Haering, Th., 20 f, 4lA f, 43A, 90A, 114A Haftmann, W., 343A Hagedorn, F. von, 206 Hahn, P„ 125A, 310A Hamann, J. G„ 119A, 185A, 204, 261 Hamburger, K., 54A, 59A, 6lA Harris, H. S., 4lA, 143A Hatfield, H„ 68A, 114A Haupt, J., 66A Hauser, A., 310A Haym, R., 21, 39A, 41A, 96A, 153A, 186A Heidegger, M., 1, 3, 11, 409 f Heimann, 277, 334, 359A Heine, H., 39 Heinse, J. J. W., 67A, 125A Helferich, Ch., 308A Henckmann, W. 37lA Henrich, D., 5, 23, 25A, 4lA, 59A, 82A f, 86A, 90A, 91A, 137A, 19lA, 216 f, 256, 280, 318, 341, 371A, 381, 383, 386A Herder, J. G., 5, 31, 34, 63, 66 f, 68A, 79, 85A, 87, 92, 102A, 105A, 114A, 119A, 123A, 148, 153A, 154A, 155, 185A, 196A, 204, 205A, 214 f, 227A, 249A, 250, 261, 266, 299, 303A, 323, 330 f, 332A Herkules, 105A, 306 Herodot, 298A, 301 Hesiod, 195, 301 Himmelmann, N., 125A, 332A, 35lA, 402, 405
Hobbes, Th., 95, 191 Hoffmeister, J., 20, 42, 5lA, 104A, 112, 116A, 123A, 158A, 174A, 210A, 238A, 245A, 250A Hölderlin, J. Chr. F„ 20, 24, 27, 34, 41A, 42, 44, 46, 80, 90 ff, 95, 105A, 114 f, 120 f, 123A, 124A, 127A, 128 f, 131, 137, 138A, 142 ff, 149, 203A, 335 Hölty, L. C. H., 155 Homann, R., 354A, 368A Home, H., 36 Homer, 31, 73A, 80,182,193A, 195,197, 249, 250A, 299A, 300 f, 306, 330, 335, 344 Horstmann, R. P., 167A, 19lA Hotho, H. G., 5A, 6A, 7,14,178A, 194A, 199A f, 217, 233, 235, 258 f, 268A, 276 ff, 283, 289A, 299, 321, 332A, 334A, 337A, 339A, 354 Hulin, M., 252A, 278A Humboldt, A. von, 193A Humboldt, W. von, 67A, 72, 73A, 80, 84A, 104A, 115A, 116A, 140, 35lA, 367, 404 Hume, D., 373 f Hutcheson, F., 53A Iffland, A. W., 337 llting, K. H., 191A Iselin, ]., 351A Jacobi, F. H., 42A, 206 f Jamme, C., 90A, lOOA, 126A, 150A, 215A Janicaud, D., 2lA, 113A Janke, W., 51A, 55A, 61A Janz, R. P., 61A Jauss, H.-R., 3, 66A, 367A, 382A, 385A, 387, 398, 401 Jenisch, D., 102A Kaiser, G., 52A, 103A, 330A, 339A, 350A f, 354A Kant, I., 1, 4, 8, 17,19A, 20, 22, 28 ff, 34, 36, 38, 40 ff, 47 ff, 53 ff, 58 ff, 62 f, 68, 70, 73A, 75, 78 f, 81, 83 ff, 95, 96A, 97 ff, 104A, 108A, 114, 116, 118, 120, 122A, 123A, 150Af, 165A, 194, 262, 271, 284 f, 290, 295, 320A, 339, 349A, 363, 368, 372, 374, 376 ff, 380, 391, 393 f, 395A, 409
Namensregister Kehler, H. von, 263A Kimmerle, H., 154A, 167A, 174A, 177A Klopstock, F. G., 121A, 127, 138, 154 f, 212, 248 f, 332, 405
Knox, M. T., 269A, 280A Kondylis, P., 142A Kotzebue, A. von, 337 Körner, Ch. G., 29, 44, 52, 59, 109A, 213A
Kromayer, K., 194A Kroner, R., 19A Kuhn, H„ 113A, 324A Langan, ]. D., 345A Laokoon, 251 Lasson, G., 252A Lauth, R., 4lA f Leibniz, G. W„ 29, 57, 81, 234, 387 Legros, B„ 113A, 125A, 128A f Lessing, G. E„ 5, 53 f, 67, 92,105A, 115A, 120,123A, 155, 204A, 234,253A, 346A Leuze, R., 252A Lewkowitz, A., 19A, 2lA, 43A, 54A, 371A, 393A Libelt, K., 277, 334 Löwenberg, J., 238A Luc, L. P., 113A Ludwig, A., 349A f Lukäcs, G., 2, 12, 20A, 24, 39A, 41A, 50A, 64A, 86A, 91A, 125A, 134,136A, 177A, 197, 208A, 219A, 288 Lykurg, 124A „Maler"-Müller, F., 331A Mallarmee, St., 345A Marcuse, H., 65A, 91A, 125A, 137A, 288, 369, 390A Marquardt, O., 386A Massolo, A., 153A Matthisson, F. von, 71, 80 Mayer, F., 123A Mayer, H., 50A Meinel, S., 193A Meist, K. R., 167A, 170A, 171A, 194A, 197A Metscher, Th. W. H., 310A Michelet, C. L., 233A Mendelssohn, M., 37 Meyer, Th., 67A
437
Mirabeau, Marquis de, 53 Moritz, K. Ph., 58, 67A Müller, E., 67A Müller, ]., 50A Mundt, Th., 11, 22 f, 321 Musäus, ]. K. A., 155 Muschg, G., 51A Napoleon, 239 Natorp, P., 372 Navickas, J. L., 237A f Nicolin, F., 174A, 175A, 238A Nicolin, G., 292A Niethammer, F. ]., 40A, 239 Nietzsche, F., 124 Nohl, H., 386A Novalis (Hardenberg, F. von) 332A Nusser, K.-H., 39A Oelmüller, W., 236A, 280A, 371A, 381 Ossian, 250A Ovid, 249 Peperzak, A., 34A, 112A, 143A Phidias, 31 Pietereil, R., 198A Pillau, H., 350A ff Pindar, 299A, 353A Plant, R., 114A Platen, A. von, 333A Platon, 10, 31, 44, 54A, 75,129,164,177,
215A, 264, 406 Pöggeler, O., 39A, 41A, 43A, 54A, 88A, 9lA, 96A, 105A, 113A, 114A, 122A, 124A, 126A, 151A, 153A, 165A, 167A, 185A, 191A, 197A, 198A, 205A, 208A, 217A, 219A, 227A, 236A, 269A, 323A, 341A, 345A, 347 Rameil, U., 191A, 219A Rehberg, A. W., 35A f Ramler, K. W., 119 Rehm, W., 67A, 116A Richter, J. P. F., 339 Reinhold, K. L., 4lA Ritter, J., 39A, 40 f, 122A, 193A, 290A, 381 Ripalda, J. M., 34A, 112A Robertson, W., 116A Rohrmoser, G., 19A, 39A, 65A, 113A, 153A, 179A
438
Rosalewsksi, W., 54A Rosenkranz, K., 19, 34,
Namensregister
39 f, 41 A, 115, 155A, 163, 173A, 186A, 194A, 209A, 238A, 321, 346A, 406 Rosenzweig, F., 129, 153A Rousseau, J.-J., 18, 34, 39A, 40, 54, 88, 95 Rückert, F., 333A Runge, O., 344A Rüsen, J., 371A Sannwald, R., 125A Sautermeister, G., 52A, 350A Shaftesbury, Earl of, 29, 34, 36, 40, 53A, 86, 90 Shakespeare, W„ 155 f, 225, 250A, 267, 299A, 349A, 353, 355 Sichirollo, L., 113A, 125A, 153A, 237A Siegrist, Ch., 119A Siekmann, A., 52A, 351A, 367A f Siep, L., 177A, 179A, 191A, 224A Simmen, ]., 290A Skaiweit, S., 218A f Sokrates, 104A, 121A Solly, E., 341A Solon, 124A Sophokles, 200A, 201A, 202, 203A, 229 Spinoza, B. de, 34, 40, 90A Spranger, E., 59A Sulzer, J. G., 34, 36, 322 Suter, J. F., 39A Sziborsky, L., 270A, 276A Szondi, P„ 77A, 105A, 311A Schadewaldt, W., 67A, 354A Schelling, F. W. J., 4, 20, 23 f, 27, 34, 42, 73 f, 80, 87, 90 ff, 105A, 128 f, 131,133, 142 ff, 163 f, 167,169 ff, 180 f, 184,188, 190, 192, 196, 208, 212 ff, 232, 252A, 260, 265, 282, 290, 305, 327 f, 330, 382, 388 f Schiller, F„ 4 f, 9,17 ff, 144,146 ff, 153A, 155 ff, 166, 174A, 177, 185A, 189, 193A, 198, 203 ff, 209, 213A, 215,218, 220 f, 223 ff, 229, 231, 239 ff, 248, 250A, 253A, 260 f, 282 f, 285, 288,308, 315,319,322 ff, 328 f, 332, 335 f, 339A, 347 ff, 360 ff, 372 f, 375 ff, 380, 384, 387 f, 393 ff, 402, 404 f Schlaffer, H. H., 66A
Schlegel, A. W., 24, 349A Schlegel, F., 24, 66A, 80,105A,
123A, 129, 132, 185A, 197A, 205A, 208, 211A, 212, 215 f, 248, 249A, 266, 269A, 322A, 332A, 333, 340, 346 f, 349A, 353 Schleiermacher, F., 207, 310, 382 Schmid, C., 51A Schmidt, G., 238A Schnaase, C., 321 Schneider, H., 119A, 126A, 167A, 193A, 238A, 276A Schorn, J. K. L., 270A Schüler, G., 39, 154A Schulin, E., 123A, 173A, 252A, 332A, 333A Schulz, G-, 51A, 74A Schüßler, I., 20A, 113A, 357A Stenzei, J., 113A Stieglitz, H., 333A Stierle, K. H., 322A Strack, F„ 54A, 138A Stemmrich, G., 270A, 279A Stemmrich-Köhler, B., 6A, 194A, 216A, 278A, 279A, 334A Tasso, T., 250A, 299A Thalheim, H. G., 50A Taminiaux, J., 21A, 34A, 36A, 113Af, 125A, 128A Theunissen, M., 394A f Timm, H., 4lA
Tomascheck, C., 20A Tomberg, F., 125A Trede, J. H„ 126A, 167A Ulrich, J. A., 4lA
Utz (Uz, J. P.), 206 Vergil, 250A Vischer, F. Th., 11, 163, 217, 233A, 321 Volkmann-Schluck, K. H., 61A Voltaire (Arouet, F.-M.), 123A, 299A Voss, J. H., 237, 330, 331A, 338 Wackenroder, W. H., 185A Wagner, F., 311A Walzel, O., 58A, 185A, 205A, 323A Wannenmann, P., 191A Warneken, R., 3 Wendt, A., 233A, 276 Wentzlaff-Eggebert, F. W., 67A
Namensregister Wertheim, U., 50A Wiehl, R., 310A f, 345A, 406A Wieland, Ch. M., 67A, 114A, 155 Wiese, B. von, 19A, 30A, 50A f, 54A, 59A, 65A, 67A, 68A, 74, 125A
Winckelmann, J. J„ 30A, 66 f, 68A, 70, 104, 278, 302
Windelband, W., 19A Windischmann, K. J. H., 155A Wohlfahrt, G., 19A, 252A, 371A Wolandt, G., 371A Wolff, E„ 113A, 114A Wolf, F. A„ 114A f Wuthenow, R. R., 46A Xeuxis, 295A Zeller, H., 68A Ziesche, E., 170A, 238A, 244A, 245A
439
440
Sachregister
Sachregister Ästhetik, 1, 147, 188, 242, 243, 258, 284, 285, 287, 327, 375, 381, 384, 390, 407, 409 f ästhetischer Zustand, 63, 84 f, 178A f Ästhetizität, 128, 130, 131, 271, 302 f, 305, 320, 328, 334, 407 Anamnesis, 137 f Anmut (moral grace), 29, 36, 69, 86 Anschauung, 172, 173 f, 176, 177, 181, 184, 254, 290 Antike, 71, 75 f, 120, 135, 149, 306 f, 310 Arbeit, 338 Aufklärung, 26, 37 f, 89, 90 f, 93, 115 f, 149, 308, 315, 382 Autonomie (der Kunst), 58, 61, 65, 99, 372, 374, 379 f, 387, 396, 405 Begriff, 173 Bild, 107, 132, 172, 176 Bildung, 30 f, 45, 114 f, 124A, 237 f, 240, 241, 254 f Dialektik, 19A, 227A f, 296, 372, 391 Dichtung, 78, 105A, 115, 137, 138, 185, 204 f, 206, 208A, 218, 232, 248, 342, 343A, 345, 346A Drama, 303 f, 309, 314, 325, 346, 347 ff, 364 f, 367, 401 Einbildungskraft, 176 Empfindung, 182 Epos, 105A, 182, 202, 205A, 212 ff, 232, 250A, 299 f, 330, 332A, 351A, 354 Erfahrung, 116 Erhabenes (-heit), lOlAf, 159,199A, 223, 231 Erinnerung, 137A, 153 Erscheinung, 290, 291 Erziehung, 37, 44, 53, 92, 253A Erziehung, ästhetische, 37, 56, 63, 68A, 91, 127, 240, 388 Fiktion, 156 Fortschritt, 123, 162 Freiheit, 43A, 44, 63, 122, 124A, 219, 224A Gefühl, 96A, 173 Geist, 172, 174, 175, 176, 178, 181, 184, 187, 192, 194
Genie, 45 f, 53, 133, 136, 144, 160, 171, 196 A, 208, 214, 221, 222, 223 f, 225, 300 Genremalerei, 341, 342 f Genuß, ästhetischer, 57 Geschichte, 42, 54, 56 f, 85, 92, 123A f, 148,152 ff, 182, 228, 229, 295, 302, 327, 337, 402, 403, 405 Geschichtlichkeit, 3, 11, 85, 139, 294 ff, 382 Geschichtlichkeit (der Kunst), 167, 268, 286 f, 296, 299, 304 ff, 326, 338, 362, 369, 384 Geschichtsphilosophie, 15, 43 f, 46, 56 f, 296, 376 Geschmack, 22, 31, 82 f, 116 Gesellschaft, 96A, 98, 108, 115, 130 Gesellschaftlichkeit (der Kunst), 2, 4, 136A f, 139, 229, 310, 349, 369, 370, 392, 393 Gestalt, 106, 109, 114, 118, 171, 174A, 176,196, 246, 248, 256 f, 328, 361, 383, 395, 408 Glück, 36, lOOA Glückseligkeit, 70, 77A, 100, IlOA, 116, 147, 151, 152, 220 Götter (griechische), 70, 114, 196, 198 f, 204, 228, 292, 293, 301 f, 348, 400 Gottähnlichkeit (-gleichheit), 30, 32, 33, 88, 103A, 104, 323 Griechentum (s. a. Antike), 115 f, 134, 136, 151 f, 177, 197, 203 f, 236 ff Häßlichkeit, 210, 321, 346, 409 Handlung, 101,102 f, 107,132,146,158, 249, 308, 309 f, 311, 329, 351, 355, 360, 366 Handlungstheorie, 60 Humanität, 33 Humanus, 185A, 216, 217, 253, 319 ff, 336, 348, 358, 361, 370, 386A, 389 Ideal, 8 f, 83, 94,101 f, 104,109,111,118, 129, 134, 136, 140, 181, 213, 243, 256, 257, 258 f, 261, 292 f, 304, 317, 393 Idealisierung, 140, 395A, 402, 404 Idee, 9, 10, 170, 172, 244 Identifikation, 367 f, 382, 398, 400
Sachregister Idylle, 32, 70 f, 74, 102 f, 106, 140, 198, 206 f, 210, 303, 325, 328, 329 ff, 350, 352, 360, 366, 393 Individuum, 100,179, 217, 221, 222, 224, 336, 353, 355, 356 f, 358, 359 Innerlichkeit, 182, 359 Institution, 39A, 41, 99, 107, 108, 150A, 191, 357A, 393 Interessante, das, 322A, 409 Ironie, 347 Klassik, 71, 240 Klassizismus, 26 f, 65 ff, 111 ff, 135,140, 147, 239 f, 268 f, 286, 315, 321, 329, 385, 398 f Komödie, 214, 221 f, 227A Künstler, 186, 196, 197, 226, 257, 303, Kultur, 295, 296, 298, 316, 317, 368 Kunst, 1 f, 3,10, 11, 15 f, 53, 57 f, 62, 69, 76, 84, 87 f, 97, 122, 126, 127, 129 f, 131 f, 132 ff, 139, 140, 149, 158, 159, 161, 166, 168, 170, 171, 175, 177, 179, 181, 183 f, 196, 215, 223, 225, 231, 232, 248,253, 268A, 282,283, 285, 290, 297, 302, 312, 315, 324, 336, 337, 348, 356, 359, 362, 377, 378, 383, 385, 387, 388 f, 407 f Kunst, christliche, 210 f, 229, 250 f, 324A,339 f Kunst, Ende der, 23, 337, 359 Kunsterfahrung, 57, 212A f, 217, 336,373 Kunstformen, 247 f, 249, 265 f, 275, 279, 297 f, 304 Kunstproduktion, 104A, 257 Kunstrezeption, 104A Kunsttheorie, 5A, 409 Kunst, Vergangenheitscharakter der, 165, 230 ff, 255, 258, 260A, 269A, 324, 382, 396 Leben, 23,103,108A, 128,131,151,170, 186, 187, 243A f, 257, 264 f, 267, 293 Legalität, 82, 85, 86, 98, 99, 139, 219 Liebe, 103, 106, 107, 108A, 128, 131, 309 Malerei, 182, 269, 294A f, 339, 342, 343A, 346A Moderne, 75, 77,135,146,147,149,179, 231, 308, 310, 357, 393 Moralität, 31, 62, 82, 86, 98,107,110,139,
441
150, 178, 220 Musik, 182 Mythologie, 26, 75, 80, 87 f, 89, 92, 94, 105A, 113,116A, 117 ff, 131,154,192 f, 195 f, 212, 249, 301, 335, 336, 361, 382 f, 389 Mythos, 333 Nachahmung, 70, 78, 395 Natur, 36, 44A, 156, 157, 194 Naturpoesie, 183, 193A, 195, 206 f Naturschönes, 193A f, 343A Partialität (der Kunst), 23, 231, 247, 319, 326, 342, 363, 381, 384 f, 386A Phantasie, 93 f, 96, 97, 117, 121 f Philosophie, 172,181,185, 234, 267, 288, 311A, 315, 376, 377 f, 384 f, 386 f Plastik, 182, 340, 346A Poesie (siehe Dichtung) Positivität, 98, lOlA, 108A, 109, 121 f, 130, 150 f, 155A Querelle, 21A, 65, 66A, 67, 68A, 120, 135, 153 f, 155A, 156 f, 163,186,189 f, 240, 306 f, 314 f, 335, 344, 351 Reflexion, 363, 364 Reich Gottes, 107 ff, 111, 118, 154A Religion, 12 f, 36, 47, 48, 82, 94, 95 f, 98, 118, 124, 143, 168, 171, 190, 234, 246, 335, 357 Religion, schöne, 103 f, 106, 108, 112, 120, 122, 191 Religionskritik, 32 f, 89, 97, 112, 164 f, 325 f Revolution (-skritik), 28, 39 ff, 45, 50A f, 52, 56, 64, 88, 89, 148, 162, 226, 355 Rezeptionsästhetik, 3, 385A Roman, 303A, 338 Sinnlichkeit, 116 Sittlichkeit, 61A, 86, IlOA, 122A, 133, 149 f, 168, 178, 219A f, Spekulation, 171, 173, 290 A Spieltrieb, 106 Sprache, 73A, 175, 177, 345, 347 Subjektivität, 100, 302 Substantalität, 246, 247, 299A, 301 Symbol, 185A, 195, 250A, 266 System, 15, 164, 170, 273, 277, 318, 327
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Sachregister
Schein, 8, 11, 16, 58 f, 60, 61 f, 64, 134, 148, 259, 260 ff, 284, 291 f, 342, 369, 381, 389, 391, 393 f, 400, 401, 402, 407 Schicksal, 151, 152, 153A, 202, 224 Schönheit/Schöne, das, 45, 53A, 59 f, 63, 69, 70, 82, 100, 101 f, 104, 105A, 110, 128, 129, 131, 132, 173, 184, 186, 187, 243,257, 258,259,265,292A, 303,395, 406 f schöne Seele, 63, 68 f, 109A f, 150 f, 225, 353 Staat, 53, 55 f, 64, 69, 76, 84, 96A, 98, 99, 111,123,124,134,158,177,191, 218 f, 223, 241, 254, 298, 308, 357 Staat, ästhetischer, 83 f, 353 Tradition, 114, 126, 156, 348, 391 f, 401 Tragödie, 198, 199 f, 202, 216 ff, 227 f, 229, 303, 314, 346, 350, 353, 364, 400 Tugend, 31, 70, 100, 147, 224 Utopie, 26, 61, 74 A, 80, 114, 126, 134, 136,139,140,141,316,320, 368 f, 393, 397 f, 402 f Vernunft, 69 Versöhnung, 64A f, 230, 365, 383, 396 Volk, 178, 179, 222, 300, 308 Völkerindividuum, 251, 253A Volksgeist, 98, 122, 175, 181, 186, 253 Wahrheit (-svermittlung), 3 f, 15, 62, 128, 252, 267, 271, 287, 289 ff, 294A f, 320, 328, 377 f, 380, 392, 407 Weltanschauung, 247, 294, 328, 361, 384, 389, 392, 400 Werk, 76, 132 ff, 136,138, 139, 158, 175, 222, 257, 281, 287, 290 f, 294 ff, 311, 313, 337, 341, 352, 354, 380 Würde, 43, 69, 104A