Die Kunst in der Geschichte oder die Geschichte im Kunstwerk [1 ed.]
 347699614X, 9783476996145

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Die Kunst in der Geschichte oder die Geschichte im Kunstwerk Studien zur Genese und Funktion der >Wendung zur Geschichte< in der materialistischen Literaturtheorie und in der literarisch-politischen Praxis antifaschistischer Schriftsteller in den 30er Jahren.

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des Philosophischen Fachbereichs II der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg

vorgelegt von Günther Heeg aus Waiblingen

1976

Tag der mündlichen Prüfung: 17. 1./8. 2. 1977 Referent: Prof. Dr. E. Rotermund Korreferent: Prof. Dr. H. Rombach

ISBN 978-3-476-99614-5 DOI 10.1007/978-3-476-99613-8

ISBN 978-3-476-99613-8 (eBook)

Für Sascha und Klaus

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

1

A. Das große Bündnis: Die Volksfront und der bürgerliche Humanismus

7

I. Das Bündnis zwischen bürgerlichem und proletarischem Humanismus

10

1. Geist und Widergeist. Die Faschismusauffassung der bürgerlich-demokratischen Schriftsteller 10 - a) Die Rolle der demokratischen Schriftsteller in der Weimarer Republik 10 - b) Das Selbstverständnis der bürgerlichen Schriftsteller im Exil 12 - 2. Sozialismus als Geschichtszeichen. Bürgerliche Humanisten und die Sowjetunion 17 - a) Die bürgerlichen Intellektuellen als neue Bündnispartner der proletarisch-revolutionären Schriftsteller 17 - b) Der 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller (1934) 19 - 3. Geschichtsphilosophie der Volksfront. A. Kurelias Theorie des sozialistischen Humanismus 25

II. Die historische Rechtfsertigung der Volksfront. Das >Kulturerbe< als Grundlage des antifaschistischen Bündnisses . . . . . . . . .

30

1. Der Kampf um die Rettung der Nation. Zur politisch-ökonomischen Begründung der Bündnispolitik 30- a) Die Hinwendung zur »ganzen Nation«: Antifaschismus als Antiabsolutismus 30 - b) Die Einheit der Nation als Zwangsdurchsetzung der Akkumulation des Kapitals 32 - 2. Die Suche nach der revolutionären Tradition im >kulturellen Erbe< 34- a) Von der Abwehr der faschistischen Geschichtsfälschung zur These von der Aktualität der bürgerlich-demokratischen Volksrevolution 34 - b) Die Kompensation der abgebrochenen Tradition der bürgerlich-demokratischen Revolution durch die nationale Kultur 38

III. Traumbilder. Bechers poetische Verbindung von Vergangenheit und . . . . . . . . . . . . . Zukunft

41

1. Das >Erbe< als >Traumbesitz< 41 - 2. Das >poetische Prinzip< oder das Neue im alten Gewand 46

IV. Georg Lukacs' Programm einer ästhetischen Erziehung 1. Vorgeschichte als Geistergeschichte: Die Volksfront und die revolutionäre Demokratie von 1789 bis 1848 48 - a) Ästhetischer und politischer Fortschritt oder der Einfluß der Volksfront auf die Literatur 48 - b) Von der liberalen zur revolutionären Demokratie. Die Dialektik der Legitimation 50 2. Geschichtsphilosophie der Gattungen (1): Der dramatische Verlauf der

48

VIII

Inhaltsverzeichnis bürgerlichen Revolution 52 - a) Das ästhetische Ideal des harmonischen Menschen 52 - b) Die Kausalität des Schicksals (1): Zum geschichtsphilosophischen Ort der Tragödie bei Hege!. - c) Die Kausalität des Schicksals (2): Die Tragödie der revolutionären Demokratie 55 - d) Die Revolution als Schicksalswende im Leben der Intellektuellen 57 - 3. Geschichtsphilosophie der Gattungen (II): Die epische Welt der Volksfront 58 - a) Die Wanderungen des problematischen Individuums. Zur >Theorie des Romans< 58 - b) Die List der Vernunft in der Volksrevolution. Die Theorie des historischen Romans 60 - 4. Flucht aus der Gegenwart oder Identifikation mit dem Aggressor? Zur Entwicklung des historischen Romans nach 1848 65

V. Der historische Roman der antifaschistischen Schriftsteller

70

1. Feuchtwangers »Flavius Josephus« oder das historische Kostüm des Liberalismus 70 - a) Zwischen Kulturkritik und Massenkultur: Der Schriftsteller als Repräsentant einer Geschichtsschreibung im Dienste des Lebens 70 b) Vernunft und Fanatismus. Die Abwehr der Massen 74 - c) Die soziale Funktion des ästhetischen Historismus 77 - 2. Heinrich Manns »Henri QuatreKulturerbe< in der faschistischen Massenbewegung I. Bürgerlicher Humanismus und völkischer Idealismus

93 93

1. Egoismus und Freiheitsbewegung. [ber die Fesselung der Massen in der bürgerlichen Revolution 93 - 2. Zwischen Bourgeoisie und Proletariat: Die schiefe Rebellion des Mittelstands 97 - 3. Idealismus und Rigidität. Der Funktionswandel der kleinbürgerlichen Tugenden 99 - 4. Die Geschichte einer Verkehrung. Das Freiheitspathos des jungen Schiller und seine Erben 102

II. Der Gewaltcharakter der bürgerlichen Kultur. Brechts Aufsätze über den Faschismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Der Bürger als Gangster: Die Verteidigung des Eigentums durch den Abbau der Kultur 110 - 2. Die Kontinuität bürgerlicher Erziehung im Nationalsozialismus 113 - 3. Heroischer Pauperismus - eine realitätsgerechte Ideologie 116

III. Brechts Modell einer historisch-praktischen Ideologiekritik am Ende der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Fortschreitende Praxis - rückständiges Bewußtsein. Der Ideologiebegriff im >Dreigroschenprozeß, 119 - 2. Ideologiekritik als Intellektuellenkritik: Exkurs zum >Tuismus< 123

IV. Die unaufgearbeitete Vergangenheit der bürgerlichen Gesellschaft: Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit der faschistischen Massenbegung

126

Inhaltsverzeichnis V. Original und Nachahmung: Reaktionen auf die Theatralik des Fa. . . . . . . . . . . . . . . . . schismus

IX

130

1. Der Staatsmann als Schmierenkomödiant. Feuchtwaugers satirischer Roman >>Der falsche Nerokleinen großen Mannes< im >Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui< 138

VI. Utopie und Taktik: Exkurs zu Blochs Theorie der unabgegoltenen Ver. . •. .. . . . . . . . . . . . . 149 . . . . . . . gangenheit 1. Die Originalgeschichte des Dritten Reiches 149 - 2. Gustav Reglers Bauernkriegsroman »Die Saatweshalb gerade ästhetische Fragen dazu tauglich sind, die Redogmatisierung einer für kurze Zeit in Bewegung geratenen marxistischen Theorie zu vollziehenAnwendung des dialektischen Materialismus auf dem Gebiet der Literatur>Neuen Linkenexpressiven Handlungen>Neuen Linkenprominenten< Club eingliedern können; also eine Massenorganisation und eine reine Qualitätsorganisation«. [35] Die kritiklose Obernahme der Froschperspektive auf die literarische Prominenz führt rasch zu einer Verselbständigung des literarischen Qualitätsbegriffs. Qualität wird hier nicht als Resultat einer Verbindung von politischer Erkenntnis und ihrer literarischen Instrumentalisierung verstanden, sie wird nicht an der Einheit von politischer und literarischer Erfahrung gemessen. Auf solche Ansätze zu einer selbständigen Wertung »ästhetischer Qualitäten«, die in der vorgeschlagenen Trennung von Massenorganisation und Qualitätsorganisation angelegt ist, konnte sich später die Kulturpolitik der DDR bei ihrer quasi geistesgeschichtlichen Auffassung der sozialistischen Kulturgeschichte berufen. [36] Gegenüber vorschnellen Verallgemeinerungen muß allerdings gesagt werden, daß Bechers Vorschläge unter den kommunistischen Schriftstellern nicht unbestritten blieben. Willi Bredel hat in einem Brief vom 7. Dezember 1934 mit Becher >>offen unter Brüdern« gesprochen. [37] »Wichtig scheint uns nach wie vor eine einheitliche Organisation [... ].Wir verstehen die Bedeutung von großen Namen, wir verstehen, daß die rein schriftstellerischen Fragen speziell und besonders behandelt werden müssen und nicht in einen Topf mit reiner Politik zu werfen sind. Aber dazu muß man organisatorische Möglichkeiten schaffen. Wir glauben, daß diese Organisation nur dann bestehen kann, wenn sie literarische Probleme ernsthaft auf hohem Niveau und breitester Grundlage aufwerfen und behandeln kann, indem die Prominenten nicht nur auf eine Tribüne gestellt werden, sondern indem sie auch die jungen Schriftsteller belehren, an sich selbst arbeiten und auch dabei weiter selbst gewinnen.« [38] (Hervorhebung G. H.)

18

Das Bündnis zwischen bürgerlichem und proletarischem Humanismus

Bredels Warnung, eine >>organisatorische Differenzierung von Prominenten und Nichtprominenten würde nur böses Blut und Komplikationen schaffen« [39], wird verständlich, liest man Bechers einfühlsame Schilderung seiner Werbung um Thomas Mann, bei der die Frage von Manns Rubelkonto in etwa die gleiche Rolle spielt, wie ein eventuell in Aussicht gestellter ideologischer Klärungsprozeß: »Er (Thomas Mann - G. H.) gab offen zu, daß er vollkommen desorientiert und unsi· eher sei, daß er das, was in Deutschland vorgehe, überhaupt nicht mehr richtig verstehe; das alles sei vollendeter Wahnsinn usw. Natürlich wäre eine Einflußnahme auf ihn absolut möglich. Bisher haben wir alles unterlassen, ihm bei einem Klärungsprozeß behilflich zu sein. In diesem Zusammenhang halte ich natürlich nicht nur die Kritik Kurellas, sondern auch die von Ernst Ottwald für viel zu weitgehend. [...] [40] Es zeigt sich, daß wir auch bei solchen Leuten wie Thomas Mann die Möglichkeit haben, sie bis zu einem gewissen Teil zu überzeugen und mit uns in Verbindung zu bringen. Er war ohne weiteres bereit, nach drüben zu fahren, und zwar auf längere Zeit, und erwartet jetzt von euch eine Einladung. Einigermaßen überrascht und verstimmt war er durch die Tatsache, daß drüben von ihm Bücher erscheinen, und er nicht einmal Belegexemplare oder Abrechnungen bekommt. Von Valuta sprach er nicht, aber er möchte eben doch wissen, wie hoch dort sein Rubelkonto ist. Ich bin der Ansicht, daß diese Dinge eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen und daß man sie in Zukunft präzise ordnen und den Verlagen die nötigen Anweisungen erteilen muß.« [41] Derselbe Becher, der hier ganz Sorge um die Beschwernisse eines bürgerlichen »Spitzenautorsstaatlicher Nutzenmaximierungsozialistischen Individuums>befreite Arbeit des neuen Menschenüberflüssigen Menschen>die Persönlichkeit im Gegensatz zur Gesellschaft, zum Staat und zur Natur« [56], so übersieht er, daß dieser Individualismus - unabhängig von seinen subjektiven Reflexen wie Entfremdungserfahrung und Solipsismus - selbst Produkt einer Ordnung ist, die sich nur durch die Anarchie der Einzelspontaneitäten herstellt. Gorkis vulgärmaterialistischer Arbeitsbegriff und die daraus hervorgehende Gegenüberstellung von überflüssigen (unpraktischen) und nützlichen (praktischen) Menschen hindert ihn daran, die Formen der bürgerlichen Ideologie als das notwendige falsche Bewußtsein der kapitalistischen Praxis zu erkennen. Die humanistischen Ideale, die - wie es scheint - an der Realität des Kapitalismus zuschanden werden, erleiden dieses Schicksal nicht, weil sie nutzlos, an den Rand gedrängt, realitätsfern, kurz: >>bloße Ideen« sind, sondern weil sie selbst noch der Realität des Kapitalismus, der Freiheit der Zirkulationssphäre, entstammen. [57] Der Arbeitsprozeß, der dieser insgeheim zugrunde liegt, bleibt auch bei Gorki im dunkeln. So werden Leitbegriffe des bürgerlichen Humanismus nicht eigentlich kritisiert - sie erscheinen ihm lediglich als ohnmächtig und freischwebend, erst mit der Arbeit des sozialistischen Aufbaus bekommen sie festen Boden unter die Füße. Bei aller Kritik des überflüssigen Menschen kann Gorkis Betrachtung der Ideale des bürgerlichen Humanismus dennoch - man braucht die Kritik nur ins Positive zu wenden - zum Vorläufer der »Verwirklichungstheorie« werden: diese Auffassung, die in der Literaturwissenschaft der DDR in den 50er Jahren vorherrschte, sieht die Ideale der großen Humanisten, die in der bürgerlichen Gesellschaft »bloße Ideen« bleiben mußten, durch den Aufbau des Sozialismus endlich Wirklichkeit werden. [58] Die Verbindung zwischen Gorkis Ansatz und der Verwirklichungstheorie weist auf das faktische Nebeneinander von Literatur bzw. Philosophie und Ökonomie in dieser Spezies materialistischer Literaturtheorie. Die Geschichte der humanistischen Ideen, die an diesen selbst zu zeigen wäre, ihr Funktionswandel innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft etc., all das bleibt bei Gorki unbestimmt; fest steht allein: die humanistische Literatur hat in der Sowjetunion eine neue Heimat gefunden. Die überzeugungskraft, die von der faktischen Demonstration dieser Theorie auf dem ersten Allunionskongreß ausging, darf allerdings nicht unterschätzt werden. Den bürgerlichen antifaschistischen Schriftstellern, die am Kongreß in Moskau teilnahmen, schien damit - das zeigen ihre Berichte - eine Perspektive eröffnet, in der die »Renaissance des Wortes« sich mit der Hinwendung zur Avantgarde der Weltgeschichte verbinden konnte. [59] Bucharin hat diese Hinwendung mit geschichtsphilosophischem Pathos als weltgeschichtlichen Akt der Realisierung der Vernunft in der Geschichte bezeichnet:

22

Das Bündnis zwischen bürgerlichem und proletarischem Humanismus

••Wir, die UdSSR, wir sind die höchste Warte der ganzen Welt, das Skelett der künftigen Menschheit (...] Wir leben nicht in Deklarationen, nicht in den Phantasieträumen großer Geister und Herzen. Wir leben als eine reale Macht, realer als irgendeine andere. Potentiell sind wir - alles. Wir sind die Erben von Jahrtausenden, der ganzen von Jahrhundert zu Jahrhundert sich entwickelnden Kultur [...] wir sind die Verkörperung der Vernunft der Geschichte, die siegreiche, die Weltgeschichte bewegende Grundkraft.>Anderswerden>Gestaltung>großen Realismusdemokratische Kultur>Geist der revolutionären Demokratie Die Geschichte der deutschen antifaschistischen Emigranten, der Schriftsteller, könnte man [ . . .] in folgender Weise kurz zusammenfassen [ .. .] : aus Deutschland sind vorwiegend liberale Intellektuelle, teils mit gewissen demokratischen Neigungen, ausgewandert, sie haben sich aber unter dem Einfluß der ungeheuren Ereignisse der vergangeneu vier Jahre in der Richtung der revolutionären Demokratie energisch weiterentwickelt. Seit der Vorbereitungsperiode der 48er Revolution, als sich unter der Führung von Marx eine revolutionäre Demokratie in Deutschland herauszukristallisieren begann, gibt es zum erstenmal in der deutschen Geschichte eine solche Bewegung. In dieser Hinsicht beleuchtet die Wendung in der politischen Weltanschauung der deutschen Emigranten eine Schicksalswende, die sich in der G eschichte des deutschen Volkes vorbereitet.heroischen Illusionen«, also im Anspruch des Allgemein-Menschlichen, mit dem sich die partikularen Interessen einer Klasse ausstatten müssen. Lukacs beschreibt den Legitimationsdruck, der davon ausgeht, am Verhalten >>ehrlich gesinnter« bürgerlicher Demokraten: >>Die Kompliziertheit und Schwierigkeit der Entwicklung der revolutionären Demokratie im 19. Jahrhundert ist eng mit der Tatsache verbunden, daß nach dem Aufstand Babeufs, nach den Aufständen der Lyoner und der schlesischen Weber, nach der Charti· stenbewegung usw. niemand mehr ein konsequenter revolutionärer Demokrat sein konnte, der sich zur Frage der Emanzipation des Proletariats ablehnend verhielt (das war für die Jakobiner noch möglich). So schwach die revolutionär-demokratischen Traditionen in Deutschland auch gewesen sind, so zeigt doch die politische Geschichte und vor allem die Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland interessante und bedeutende Auseinandersetzungen revolutionärer Demokraten mit dem Problem des Sozialismus, welche stets mit einer bejahenden Antwort auf die großen Fragen der Epoche geendet haben. So bei Georg Büchner, so bei Heinrich Heine, so bei Johann Jacobi. Diesen Weg gehen die wichtigen antifaschistischen Schriftsteller der deutschen Volksfront, diese Traditionen erhalten einen zeitgemäßen Widerhall in ihren Schriften.« [158] Lukacs läßt mit gutem Grund offen, ob die revolutionäre Demokratie des Kleinbürgertums die ökonomischen Voraussetzungen einer Entwicklung zum Sozialismus mus bietet. Immerhin nennt er - und läßt uns damit im Hinblick auf seine geheimen ökonomischen Hoffnungen Schlimmes ahnen - die antidemokratische Entwicklung des Liberalismus nach 1848 eine >>Entartung der revolutionären Demokratie zu einem bloßen Liberalismus« [159]. Er nimmt nicht zur Kenntnis, daß

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Geschichtsphilosophie der Gattungen (I)

die liberale Bourgeoisie in Deutschland, wo sie nicht offen antirevolutionär, so bestenfalls revolutionär wider Willen war, die kleinbürgerlichen Demokraten aber, die eigentlichen Vorkämpfer der Revolution, mit dem reaktionären Handwerkersozialismus in den eigenen Reihen zu kämpfen hatten und spätestens 1866 mit ihrem Volksstaatsprogramm in die politische Sackgasse gerieten, weil das System der einfachen Warenproduktion, dem sie anhingen, keine ökonomische Zukunft vorzuweisen hatte. [160) Lukacs interessiert die tatsächliche Verlaufsform der » Volksrevolution >Aussetzen>großen Fragen der Epoche>Goethezeit« zurück. Mit dem Offenbarwerden seiner illusionären Seite durch die Entwicklung des Kapita-

Geschichtsphilosophie der Gattungen (I)

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lismus, der zum >>Friedhof der ermordeten menschlichen Echtheit und Größe« wird [162], ist seine Aufgabe für Lukacs keineswegs erfüllt. Die »gewaltige, aktuelle, über Literatur und Kunst weit hinausreichende Bedeutung>allgemeine Tendenz« der Geschichte gegen die Individuen durchsetzt, und das epische >>Aufgehobensein« dieses Kampfes auf dem relativ »neutralen Boden« des nationalen Lebens gegenüber. Bei Hegel war jener Ort vorübergehender Ruhe in der Weltgeschichte der Volksgeist, der als Individualität aufgefaßt sein will: vorgestellt, zu verehren und zu genießen in Religion, Philosophie und Kunst eines Landes. [212] Spricht Hegel vom Volksgeist, so Lukacs von der »Einheit des Volkslebens« als der ruhenden Grundlage aller »kampfvoll verschlungenen Wechselwirkungen« der individuellen Handlungen. Der Begriff ist wohl der Anschauung der breiten Volksbewegungen entnommen, die der Humus der jeweiligen Minoritätenrevolutionen von 1789 bis 1848 waren. Diesen Volksbewegungen soll der Stoff für den historischen Roman entnommen werden. Aber Lukacs stellt sie falsch dar: denn genau diese neutrale »Mitte der Nation« wurde durch die revolutionären Fraktionierungen immer mehr aufgezehrt. Sie war ein Durchgangsstadium auf dem Weg der Herausbildung der beiden großen antagonistischen Klassen, aber nicht der gemeinsame Boden, auf dem sie nach den Spielregeln der konsequenten Demokratie streiten konnten. Nächst der Vorstellung eines »dramatischen Umschlags« von bürgerlicher und proletarischer Revolution, die Lukacs für die Volksfront nicht mehr geltend machen möchte, ist auch die einer organischen Entwicklung innerhalb einer breiten Volksbewegung illusionär. Sie ist der vergebliche Versuch, das bewußtlos zustande gekommene Resultat dieser Bewegungen, den offenen Klassenkampf, als Veranstaltung eines »Kollektivbewußtseins« der Nation zu denken, das sich aus den »Leidenschaften« der einzelnen speist. Lukacs' Versuch einer epischen Überführung des Alltagslebens in Geschichte ist damit der Boden entzogen. Die Vergegenwärtigung des Geistes der revolutionären Demokratie wäre allein der schlechten Apriorität der Dichtung zu schulden. Und ihre Wirklichkeit wäre doch »zeitlos vergangenes Sein« (Hegel), denn die historische Bewegung, die in ihr gestaltet wird, ist immer schon in der Form des historischen Romans, und sonst nirgendwo, zur Ruhe gekommen; d. h. die Einsicht in den notwendigen Gang der Geschichte käme post festum. Schließlich aber wäre diese Einsicht verzerrt: denn die Erziehung zu histori-

Flucht aus der Gegenwart oder Identifikation mit dem Aggressor?

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schem Bewußtsein, die der Roman anstrebt, erfolgt unter der Aufsicht eines Kollektivsubjekts, das die Geschichte nur zum Schein macht und sie tatsächlich von hinten aufzäumt. Unter dem Blick des auktorialen Erzählers ordnen sich alle die Erzählung sprengenden antagonistischen Elemente der Geschichte am Ende organisch ein. Für den Leser aber hißt sich die so erzielte Einheit von individuellem Leben und »allgemeiner Tendenz der Geschichte>Breite des Volkslebens>deutschen MisereÄsthetik der Volksfront>lese lukacs' >briefwechsel zwischen schiller und goetheverarbeiten< haben, denke ich schaudernd.« [266] Im Historischen Roman hatte Lukics vom entscheidenden >>Einfluß« der Volksfrontbewegung auf das literarische Schaffen der deutschen Schriftsteller gesprochen. Hat Heinrich Mann also im Henri Quatre die Volksfront nur ästhetisch >>verarbeitet«, wie Brecht es nennt, oder stellen die beiden Romane die progressive Rolle des französischen Absolutismus bei der Entstehung des Nationalstaates so dar, daß sich daraus praktische Lehren für den antifaschistischen Kampf ziehen lassen? Zugespitzt gefragt: was läßt sich aus den antifeudalen Klassenkämpfen am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft noch für jene Kämpfe fruchtbar machen, die gegen die barbarischen Stabilisierungsmaßnahmen dieser Gesellschaft, die nicht abtreten will, geführt werden müssen. Die Brücke über die historische Entwicklung soll jedenfalls nicht der abstrakte Humanismus sein, der über die historischen Bedingungen, unter denen er entstanden und unter denen er verwirklicht werden soll, souverän hinwegsieht. Diesen Idealismus hat Lukacs an den Romanen der antifaschistischen Schriftsteller kritisiert. >>Sie schreiben in ihren historischen Romanen zumeist weniger eine konkrete Vorgeschichte der Gegenwart selbst [ ...], sondern eher eine Vorgeschichte ;ener Ideen, die sie als die die Gegenwart beherrschenden Ideen ansehen.« [268] Lukacs bemängelt, >>daß die Ideen der Gegenwart allzu direkt in die vergangeneo Ereignisse und Gestalten hineingetragen werden.« [269] Er hat diese Schwächen aber in erster Linie der fehlenden Kenntnis der historischen Bedingungen der >>demokratischen Bewegungen« zugeschrieben, die Tradition selbst sah er nicht in Frage gestellt. Aber wo das historisch politische Wissen fehlt, kann der Schriftsteller bei Lukics immer noch von seinem Instinkt gerettet werden: »(Heinrich Mann) hat jedenfalls mit sicherem dichterischen und demokratischen Instinkt ein Thema gewählt, das im höchsten Sinne des Worts aktuell und zugleich national, zugleich volkstümlich ist. Gerade in der Periode, wo die nationale Demagogie des Faschismus sich besonders wütend austobt, ist es wirklich aktuell und national, auf die Entstehungsgeschichte der modernen bürgerlichen Staaten zurückzugehen, die Ursachen ihrer heutigen Beschaffenheit durch die schriftstellerische Gestaltung ihrer Entstehungsgeschichte aufzudecken und zu entlarven. Heinrich Mann wählt eine entscheidende Epoche der französischen Geschichte, um die noch heute ideologisch wie politisch nachwirkenden Schwächen der deutschen Entwicklung durch ein positives Gegenbeispiel zu bekämpfen.« [270] Wie will dieses komplizierte Zitat verstanden sein? Ich kann nicht glauben, daß Lukics der nationalistischen Demagogie der Nazis die Anfänge des bürgerlichen

Heinrich Manns »HenriQuatre«

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Nationalstaats schlichtweg als politisches Ideal vorhalten wollte; denn nur um ein Ideal kann es sich handeln, will man nicht der fatalen Fehleinschätzung unterliegen, die Klassenantagonismen einer spätkapitalistischen Gesellschaft, die durch faschistischen Terror >>geordnet« werden, seien durch eine Politik zu überwinden, wie sie der französische Absolutismus auf der Basis des Merkantilismus gegen die Ausbeutung und Zerstörung des Landes durch zwei rivalisierende Adelsparteien betrieben hat. Eine zweite Interpretation von Lukacs Sätzen wäre möglich: da er darauf besteht, das französische Vorbild solle nicht nur den >>Schwindel« der Faschisten entlarven, sondern auch die Besonderheit der deutschen Entwicklung erklären, liegt die Vermutung nahe, daß die historisch konkrete Beschreibung einer »gelungenen« Oberwindung des Feudalismus indirekt die politische und wirtschaftliche Rückständigkeit Deutschlands, die »verspätete Nation«, für den Faschismus in Deutschland verantwortlich macht. Aber wenn die spezifische »Irrationalität(Henri IV.) war kein Repräsentant revolutionärer Volksbewegungen, er schlug sogar Bauernaufstände nieder; als absoluter Monarch führte er während der zwei Jahrzehnte seiner Herrschaft allerdings entscheidende Reformen durch, die den Interessen der nationalen Einheit, den Interessen des Bürgertums, auch teilweise der Bauern dienten. Jedoch konnte keine seiner Aktionen - das war historisch gar nicht möglich - die Ausbeutung abschaffenlügenhaften und demagogischen Führerkults« zukäme. Die politische _Identität, die er den Massen damit geben möchte, ist nur über ein ästhetisches Ideal zu erlangen, an dem sich die politisch Ohnmächtigen einstweilen aufrichten können: »das dichterische Gelingen dieser Figur [ ...] gibt [... ] der Sehnsucht breitester deutscher Volksmassen einen dichterisch wirksamen Ausdruck.« [277] Deutlicher kann der Umweg übers ästhetische Ideal nicht ausgesprochen werden. Es bedeutet ein äußerst zwiespältiges Identifikationsangebot für die Massen, das ihrer realen Teilnahme an der Geschichte vorausgehen oder aber diese ersetzen kann.

Heinrich Manns >>HenriQuatre>Tag von Potsdam« erinnern. Auf die Nachriebt von dieser Szene »geriet die ganze Straße in ein Wogen der Begeisterung, keine Hungersnot mehr, Führer verjagt Hungergespenst! Tränen der Freude flossen. Stiefel, die vom Pferd hängen, kann man einfach küssen. Rosenkränze werden an ihm gerieben, damit er sie heiligte, und natürlich wurden Menschen erdrückt«. [289] Allerdings: So nüchtern und ironisch distanziert wie hier hat Heinrich Mann nicht immer die Ä.sthetisierung der Politik als Hokuspokus dargestellt. Mann zeigt die machtpolitischen und ökonomischen Interessen hinter dem großen Schauspiel, das spanische Gold, mit dem Philipp II. die Liga finanziert; aber die politischen »Spieler>kämpferischen Potentialsheroischen Kampfdas Volk< gerungen wird. um absolutistische oder klerikale Rückschläge, sondern um die Inszenierung einer bürgerlichen Pseudorevolution mit radikalen völkischen Allüren, entgegen einer möglichen Neuordnung der Gesellschaft überhaupt.« [16] Das Erbe der bürgerlichen Freiheitsbewegungen, das die Volksfront antreten wollte, war - so könnte man nach Horkheimer etwas zugespitzt formulieren in der faschistischen Massenbewegung, wenn auch nicht unbeschädigt, angekommen. >>In der Gegenwart wird der charakteristische Verlauf dieser bürgerlichen Bewegung wiederholt; die Form ist jetzt grotesk verzerrt, weil die fortschrittliche Funktion, die jene vergangeneu Bestrebungen erfüllten, angesichts der möglichen Beseitigung des herrschenden widerspruchsvollen Zustands der Gesellschaft heute nicht mehr mit der Aktivität des Bürgertums verbunden und an von ihm beherrschte Gruppen übergangen ist.« [17] Das Zentrum der Auseinandersetzungen um das Wesen des Faschismus und (in enger Verbindung damit) um die Stellung zum >>bürgerlichen Erbe« (an Freiheitsbewegungen, Kunst und Philosophie) bildet die Einschätzung der kleinbürgerlichen Massenbasis des Faschismus. Viele marxistische Theoretiker waren von der merkwürdigen Angst erfüllt, die Erklärung dieser Bewegung könne den (kapitalistischen) Klassencharakter des Faschismus eskamotieren: >>Die Dilettanten der Soziologie fanden meistens, daß die Kleinbürger jene geheimnisvolle Klasse wären, mit deren Hilfe Hitler und Mussolini ihre Siege erfochten haben. Der Gemüsehändler Fritz Schulze wuchs empor zu dämonischer Größe. Mit der einen Hand hält er das Proletariat nieder und mit der anderen den Kapitalismus. Er verkörpert die Nation und beherrscht das neue Jahrhundert.« [18] In der bekannten Faschismusdefinition der KI wird die Massenbasis gar nicht erwähnt. In den auf dem 7. Weltkongreß der KI gehaltenen Referaten, die auf das >>Kleinbürgertum in Stadt und Land« eingehen, wird es als bloßes Opfer der nationalsozialistischen Demagogie dargestellt. Schiere Blindheit, so scheint es, treibt die kleinbürgerlichen Massen anstatt zu sozialistischer Parteilichkeit ins Lager der Konterrevolution. Und die Verlogenheit der nationalsozialistischen Phrasen, denen sie auf den Leim gehen, ist - so Dimitroff - durch geduldige Aufklärung über die wahre ökonomische Interessenlage zu entlarven. Unklar bleibt, wie die Naziideen, die doch in so klarem Widerspruch zu den materiellen Interessen der Massen stehen, diese überhaupt ergreifen können, solange die Nazis nichts weiter als die Handlanger des Finanzkapitals sein sollen, >>Fleisch vom Fleisch der regierenden Kapitalisten oder Feudalherren.« [19] Wer die faschistische Herrschaft ausschließlich von ihrer ökonomischen Funktion als Diktatur des Großkapitals her erklären will, muß zu Manipulationstheo-

Zwischen Bourgeoisie und Proletariat

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rien greifen, die den anvisierten Primat der Ökonomie gerade nicht bestätigen können. Die Frage, weshalb die kleinbürgerlichen Kälber ihre kapitalistischen Metzger selber wählen [20], wird dann mit dem Reinfall auf ein großangelegtes Betrugs- und Täuschungsmanöver beantwortet: das Finanzkapital wird zum Wolf im Schafspelz. Immer wieder müssen marxistische Theoretiker bei ihrer Erklärung der Massenbasis des Faschismus zu Metaphern aus dem Bereich des Schauspiels Zuflucht nehmen. In diesem Sinn schreibt Artur Rosenberg: »Heute ist es für die Arbeiterschaft nötiger denn je, sich nicht verwirren und demoralisieren zu lassen. Wenn man die künstlichen Nebel, die der Faschismus in allen Ländern aufsteigen läßt, wegbläst, so erblickt man dahinter einen guten alten Bekannten. [... ] Es ist der gegenrevolutionäre Kapitalist, der geborene Feind der klassenbewußten Arbeiterschaft. Der Faschismus ist weiter nichts als eine moderne, volkstümlich maskierte Form der bürgerlich-kapitalistischen Gegenrevolution.>Extremismus der Mitte« - von Lipset an Hand von Wahlanalysen von 1928-1932 statistisch nachgewiesen [22] - ist kaum durch die Übereinstimmung der ökonomischen Forderung des Mittelstandes mit den falschen Versprechungen der NSDAP zustande gekommen. Die Geschichte der Mittelstandsparteien, besonders der Wirtschaftspartei, in der Weimarer Republik zeigt, daß die Einheit der Mittelstandsfront gerade nicht durch die Gleichheit der ökonomischen Interessenlage erreicht wurde; die unmittelbaren Interessen von Hausbesitzern, Handwerkern und Kleinhändlern waren nicht unter einen Hut zu bringen: »Die Interessen der Hausbesitzer waren mit denen der Schankwirte usf. keineswegs unmittelbar identisch, und am wenigsten waren es die der Geld- und Sachwertbesitzer. >Die HausbesitzerlnteressenverbändeNation>unsinnige« Autorität voraus, aber ebenso gewiß treibt die Schwäche der eigenen triebdynamischen und ökonomischen Verfassung zur Identifikation mit den herrschenden Mächten. Der wie zum Trotz festgehaltene Glaube des Kleinbürgertums, daß jede Tugend ihren Lohn und jede Mühe ihren Preis erhält, rebelliert - obwohl er es längst anders wissen müßte - gegen die >>Auswüchse« des Gesellschaftssystems: den >>mühelosen« Gewinn des Wucherers, von dem der Kleinproduzent über den Kredit abhängt, und die >>unlautere« Konkurrenz der großen Warenhäuser; die Rebellion geht, wie es Goebbels zusammenfaßte, gegen das >>raffende« (jüdische) Finanz- im Unterschied zum »schaffenden« (deutschen) IndustriekapitaL Dieser Antikapitalismus der Zirkulationssphäre nimmt die Gestalt des Antisemitismus an. An den jüdischen Geschäftsleuten, mit denen es das Kleinbürgertum zu tun hat, findet es seine eigenen verdrängten Wünsche und Ängste wieder, die sofort >>ausgerottet>Wucherers« aufsteigt. Die eigene Deklassierung vor Augen, betont der Mittelstand, >>daß die Juden keine echten Bourgeois seien, daß sie nicht wirklich >dazugehörten< «. [29] »Der Antisemit aus dem Mittelstand wird den Juden wahrscheinlich als den nicht angepaßten Bourgeois betrachten, als den Versager, der nicht nach den Maßstäben der heuti· gen (amerikanischen) Zivilisation zu leben imstande ist, als antiquierten, unbequemen Oberrest aus der Vergangenheit.« [30] Die Rebellion gegen den >>jüdischen Kapitalismus« wird durch den Haß auf das organisierte Proletariat ergänzt. Während die Ersparnisse des Mittelstandes von

Idealismus und Rigidität

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der Inflation >>aufgezehrtUnzulänglichkeit>aufgemupft>ableitbarapathischen>getäuscht« und »betrogenHülsendialektib muß die Geschichte des Unrechts, die in die bürgerlichen Begriffe eingewandert ist, an diesen selbst lesbar gemacht werden. Das falsche Bewußtsein über die bürgerliche Gesellschaft, das die emphatischen Vernunftideen des revolutionären Bürgertums immer auch enthalten, muß zur Zeit ihres Niedergangs nach außen treten, ohne daß es aus der Einheit mit seinem >>richtigen>imperialistische Verfälschung>Inhalt«, der ihnen nur äußerlich zugeordnet zu werden braucht, sondern in seiner Relation zum Gegenstand. >>Falschkulturellen Erbesmein Entschluß und das Vorurteil! - wir wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Platz bleiben wird.>Ein Lebensbild für deutsche ArbeiterWas kann Schiller noch bedeuten für die Bourgeoisie, die ihre ästhetischen, politischen und sozialen Ideale längst an den baren Profit aufgelassen hat? Oder was kann er für das Kleinbürgertum bedeuten, das, vom großen Kapital unrettbar zerstampft, in mittelalterlichen Luftspiegelungen vom Schlage der Zunft sein illusorisches Heil erblickt? Wenn diese Klassen heute mit Schillers Namen krebsen, so ist es im schlimmeren Falle eine Lüge und im besseren Falle eine Phrase.>AndersSieges hohe Sicherheitdekadentgesunden< bürgerturn (reichswehr und industrie) isolieren und >allein< beseitigen will. würde man ihn goutieren, wenn er >groß< wäre?« [112] WANGER)

Feuchtwanger verstelle sich durch seine strikte Trennung von großbürgerlichem Original und nationalsozialistischem Abklatsch den Blick auf die merkwürdige Mischung aus »echtemWahrheiten< nicht völlig Ruhe halten: mit einer irrationalen hier, für sein Volk, mit einer abstrakt-mechanischen dort, im Betrieb. [ ... ] Der Blutmythos der Berauschung insgesamt ist nicht der wünschbarste Diener des kapitalistischen Verstands. Ja, um weiter zu sehen, um dem früher oder später >durchstoßenen Nebel< und dem kommunistischen Schluß durchaus das Seine zu geben: der Nebel gibt nicht bloß dem kapitalistischen Verstand, sondern auch der kommunistischen Vernunft noch manches vielleicht zu raten auf. Nicht nach Seite der >irrationalenaufgehobener Inhalt< ernsthaft zu prüfen bleibt. « [174] Sozusagen als Anleitung zur möglichen »Dialektisierung« irrationaler Gehalte in

Die Originalgeschichte des Dritten Reiches

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der faschistischen Ideologie hat Bloch eine Untersuchung Zur Originalgeschichte des Dritten Reiches geschrieben: Aus der Mythenkammer der Nazis hat er den »Führer als Befreiergeschichtsphilosophische>Dritten Reiches>Tausendjährige Reich>diesseitigen Evangelium>Fazit>Der weiche Hochmut, womit ein Kautsky über >Helden< oder >Pröbchen apokalyptischer Mystik< lächelte und nichts als lächelte, ist theoretisch-praktisch zu Ende. Selbst ein so absurd und undemokratisch erscheinendes Gebilde wie der alte Führertraum (um den •revolutionären< Kaisertraum außer Acht zu lassen), stellt sich in der Praxis - mutatis mutandis - nicht als so dumm dar. Die revolutionäre Klasse und ganz sicher die revolutionär Unentschiedenen wünschen ein Gesicht an der Spitze, das sie hinreißt. [... ] Das Kommunistische Manisfest enthält noch kein Wort vön Führern oder nur zwischen den Zeilen, gleichsam im mitgegebenen Dasein seiner Verfasser, derer, die es erlassen haben. Doch sobald das Manifest realisiert zu werden begann, leuchtete neben den stiftenden Vätern des Marxismus der Name Lenin auf, und die Erscheinung Dirnirroffs in Leipzig hat der Revolution mehr geholfen als tausend Breittreter oder Referenten in Versammlungen. Derart menschliche Dinge wie die Revolution lassen sich ohne sichtbare Menschen, ohne das Bild wirklicher Personen (nicht Götzen) kaum durchführen.>gewaltigen Stück deutscher Revolutionsgeschichte