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German Pages 134 [200] Year 1967
DIE F R A N Z Ö S I S C H E P E N D U L E DES 18. JAHRHUNDERTS
NEUE MÜNCHNER ZUR
BEITRÄGE
KUNSTGESCHICHTE H E R A U S G E G E B E N VOM
KUNSTHISTORISCHEN SEMINAR DER UNIVERSITÄT
MÜNCHEN
Unter der Leitung von
HANS SEDLMAYR
Band 9
1967
WALTER
D E G R U Y T E R & CO. / B E R L I N
VORMALS G . J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G - f . G U T T E N T A G , VERLAGSB U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - K A R L J . T R Ü B N E R - V E I T &. C O M P .
DIE F R A N Z Ö S I S C H E PENDULE DES 18. JAHRHUNDERTS EIN BEITRAG Z U IHRER IKONOLOGIE
von KLAUS
MAURICE
Mit 59 Tafeln
1967
WALTER
DE
GRUYTER
&. CO. /
BERLIN
VORMALS G . J . G O S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G - J. G U T T E N T A G , VERLAGSB U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - KARL J . T R U B N E R - V E I T & C O M P .
Zehn Exemplare dieser Schrift liegen als Münchener Dissertation vor. Ardliv-Nr. 35 19 872
© 1967 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung ' J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. TrUbner • Veit ft Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13 (Printed in Germany) Alle Reihte, insbesondere das der Obersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages 1st es auch nicht gestattet, dieses Buch, oder Teile daraus, auf photomechanischem Wege (Fhotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Otto von Holten, Berlin 30
... car il est bon d'observer qu'il n'en est pas de l'Horlogerie comme des autres arts, tels que la Peinture,
l'Architecture
ou la Sculpture, dans ceuxci l'artiste qui excelle est nonseulement encouragé eû récompensé; mais, beaucoup de personnes sont en état de juger de ses productions, la réputation é> la fortune suivent ordinairement le mérite. Un excellent artiste horloger peut au contraire passer sa vie dans l'obscurité . . .
Encyclopédie, 1765
VORWORT In den bisherigen Arbeiten über Uhren wurden ihre Möglichkeiten tion, die Entwicklung ihnen
ihrer Mechanik und ihr Gehäuse im Stil-Wandel
der Ursprung moderner
gewerbe. Die folgende lkonologie
Automation
Untersuchung
der
Zeitindika-
betrachtet, in
gesehen oder ihre Bedeutung
im Kunst-
beabsichtigt dagegen, an die Ikonographie
und
der Uhr zu erinnern. Damit ist aber nicht der Sinn einer Bekrönung der Uhr
durch Apoll, Diana und Chronos gemeint, einer Verzierung, die auf bestimmte züge der antiken Götter anspielt, Bedeutungen, und der Zeit auch in anderen Kunstgattungen
die diese Götter des Tages, der Nacht haben, sondern die lkonologie
die durch die Mechanik und deren Funktion, die Zeitangabe, versucht nachzuweisen,
der Uhr,
bestimmt ist. Die Arbeit
daß gewisse Bildinhalte nur durch die Räderuhr dargestellt wer-
den können, daß Uhren eine eigentümliche, scheidende lkonologie
Einzel-
sich von anderen Kunstgattungen
unter-
haben.
Die Begrenzung des Themas auf das 18. Jahrhundert ist in der Gleichzeitigkeit schiedener ikonographischer
Bedeutungen
der Uhr in diesem Jahrhundert
War die Räderuhr durch ihre Mechanik zum Symbol eines sittlich geregelten
ver-
begründet: Lebens1
Ich darf an dieser Stelle feststellen, daß meine Arbeit ohne die Bibliographie zur Uhrenliteratur von Baillie nicht möglich gewesen wäre. Die Mechanik der Uhren, ihr Funktionieren und — in einer Zeittafel — die für Uhren wichtigen technischen Erfindungen werden ausgezeichnet in der von Hans von Bertele besorgten Neuauflage des Handbuches Uhren von Ernst von Bassermann-Jordan behandelt und beschrieben. In der vorliegenden Arbeit sind deshalb mechanische Erklärungen unterblieben, es wird auf das Inhaltsverzeichnis von v. Bertele verwiesen. Die Geschichte der französischen Uhr im Dictionnaire de l'Ameublement et de la Décoration von Havard ist durch die Quellenangabe immer noch gültig, während Tardy in seiner zweibändigen Sammlung von Abbildungen französischer Pendulen Genauigkeit nicht unbedingt anstrebt, jedoch einen guten Uberblick über das Material gibt. Abweichungen in der Orthographie der fremdsprachigen Zitate sind bedingt durch die Absicht des Verfassers, die Quellenzitate in originaler Schreibweise wiederzugeben. 1
Eine Regelung des Lebens durch die Uhren, die die Bewohner der Abtei Thelema als Zwang empfinden: « Et, parce que es religion de ce monde, tout est compassé, limité, et reiglé par heures, fut decreté que là ne seroit horloge, ny quadrant alcune. » Rabelais, Gargantua et Pantagruel I, 52. VII
geworden, im Unterschied zu den elementaren Zeitmessern, der Sand-, Wasser- und Sonnenuhr, mit denen immer eine Vergänglichkeitsanspielung verbunden war, so wird sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts durch den präzisen Ablauf ihres Werkes Analogon für die determinierte Welt, gegen Ende des Jahrhunderts jedoch — die Mechanik war selbstverständlich geworden — wird auch die Räderuhr Träger von
Vanitasgedanken.
Daß sich die Vorstellung von der Räderuhr als Modell für ein sittlich geordnetes Leben oder für den durch Naturgesetze geregelten Weltablauf auch verbildlicht hat, sucht diese Arbeit zu zeigen. In der europäischen Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts war die Uhr zum Paradigma des Menschen2 und der Welt geworden, aber nur in Frankreich baute man eine Uhr, die sich im Kopf der Negresse verbarg, in deren Augen man die Zeit ablas. Das Thema ist deshalb auf französische Uhren begrenzt, weil sich in Frankreich alle Möglichkeiten der Ikonologie der Uhr zeigen. Durch die Bedürfnisse und Forderungen des Hofes und durch die Anregungen der Academie Royale des Sciences entstanden Uhr werke,
die als außergewöhnlich künstlerische wie technische Leistungen
ihre eigene Ikonographie haben. Unter Anleitung von Herrn Prof. Dr. Th. Müller, Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums, stellte ich die Arbeit fertig. Für sein immer wieder erneutes wohlwollendes Interesse und für seine Hilfe möchte ich ihm hier besonders herzlich danken. Herrn Prof. Dr. H. Sedlmayr, der midi zu diesem Thema ermutigte, danke ich sehr für die Aufnahme der Arbeit in seine Reihe der Neuen Münchner Beiträge zur Kunstgeschichte. Ein Reisestipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung ermöglichte im September 1965 die Kontrolle der Zitate. München, im März 1966
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Klaus Maurice
Noch Goethe urteilt über die Figuren in Shakespeares Dramen: »Seine Menschen scheinen natürliche Menschen zu sein, und sie sind es dodi nicht. Diese geheimnisvollsten und zusammengesetztesten Geschöpfe der Natur handeln vor uns in seinen Stücken, als wenn sie Uhren wären, deren Zifferblatt und Gehäuse man aus Kristall gebildet hätte: sie zeigen nach ihrer Bestimmung den Lauf der Stunden an, und man kann zugleich das Räder- und Federwerk erkennen, das sie antreibt.« Wilhelm Meisters Lehrjahre, III, n .
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INHALTSVERZEICHNIS Vorwort
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Einleitung Möglichkeiten der Zeitindikationen der Räderuhr Die neue Dimension der Räderuhr I. DIE RÄDERUHR ALS ATTRIBUT Die Uhr als ein Attribut der Temperantia Die Uhr in der Iconologia des Cesare Ripa Die Uhr im Mtmdus Symbolicus von Picinelli Die Uhrenentwürfe in der Iconologie des J. Ch. Delafosse Die Uhr in der Iconologie von Gravelot und Cochin II. DIE MONUMENTALISIERUNG DER ZEIT Sonnenuhr — Roi Soleil Der Automat von Morand III. DIE RÄDERUHR ALS ANALOGON DER WELT Die Mechanisierung des Weltbildes Johannes Kepler Christiaan Huygens Gottfried Wilhelm Leibniz René Descartes Thomas Hobbes Julien Offray de La Mettrie Christian WolS Die Allegorie der Machine du Mónde von Cesare Ripa und I. B. Boudard Domenico Martinelli Die vier Elemente in den Gehäuseentwürfen von Jean Charles Delafosse Pendule à Sphère von Claude Simon Passemant Die Pendule von Henry Bridges Die Pendule Création du Monde IV. DIE FRANZÖSISCHE PENDULE Technische Bedingungen Die verschiedenen Handwerke Zur Typologie
i i 2 4 4 S 9 11 12 15 16 18 25 25 25 27 30 31 31 33 34 35 36 37 38 44 47 50 52
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Pendule à console et chapiteau Pendule à cartel Pendule de cheminée Die Stecher Daniel Marot Jean I Bérain Gilles-Marie Oppenord Juste-Aurèle Meissonnier François Antoine Vassé Jean Charles Delafosse Henri Salambier Jean François Forty Richard de La Londe Die literarische Kritik an der Pendule V. DIE UHR ALS DENKMAL Die literarische Doppelform der Zeitangabe Zur Bedeutung des Wortes Denkmal Die Uberwindung des Chronos Zur Bedeutung der Allegorie der Zeit Die Avignon-Pendule Die Pendule allégorique von de Suffren EXKURS DIE ZUNFT DER UHRMACHER IN PARIS Lehre Gesellenzeit Meisterprüfung Meisterrecht Rechte der Witwen Uhrmacher mit königlichen Privilegien Außergewöhnliche Meisterernennungen Zunftfreie Stätten Organisation der Zunft
55 55 56 64 66 67 68 70 7r 73 74 75 76 78 81 81 82 83 83 86 87 92 92 95 95 96 96 97 97 97 98 98
SCHLUSSBETRACHTUNG LITERATURVERZEICHNIS
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INDEX
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I. PersonenVerzeichnis
116
II. Sachverzeichnis
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS TAFELN 1-59
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EINLEITUNG Möglichkeiten der Zeitindikationen der Räderuhr Bei allen mechanischen Uhren wird schon sehr früh die optische Zeitangabe der Zeiger durch die akustische des Schlagwerks ergänzt, ja, man kann sogar, wie Gaspar Schott 1664 schreibt 3 , die Stunden durch verschiedene Düfte unterscheiden, die von einer U h r nacheinander geöffneten Büchsen entströmen. Der immer gleiche Ablauf eines Räderwerks erleichtert es, die einfache Stundenangabe zu erweitern. Bewegt z. B. das Stundenrad, das sich einmal am Tag um sich selbst dreht 4 — frühe Zifferblätter zählten die Stunden 1 bis 24 oder zweimal 1 2 — mit einem Stift an seinem äußeren Umfang den Zahn eines anderen Rades mit 31 Zähnen vor, so ergibt dies schon, wenn das zweite Rad mit einem Zeiger versehen ist, eine Datumsangabe. Diese einfache Erweiterung der Zeitindikation möge nicht über die Schwierigkeiten der Verzahnung, der Zahnverhältnisse usw. bei größeren astronomischen Angaben hinwegtäuschen. Aber hatte man einmal den gleichmäßigen Ablauf des Räderwerks, so konnte man sowohl durch das Räderwerk in Verbindung mit Zeigern den Tag in kleinere Zeitabschnitte unterteilen, als auch größere Zeitumläufe (Mondalter usw.) anzeigen, indem man das Räderwerk untersetzte 5 . Gaspar Schott teilt die verschiedenen Zeitindikationen in folgende Gruppen ein: Astronómica Ecclesiastica Politica, quibus Oeconomica, Nautica, Artificia Mechanica comprehendo Medica, Chymica et Experimentalis Philosophiae. Die astronomischen Angaben, Auf- und Untergang der Sonne, Mondphasen, Planetenbewegungen, um nur einige Punkte der 16 Unterteilungen aufzuzählen, sind uns an Uhren ebenso geläufig wie bei Ecclesiastica die Angaben des beweglichen Heiligenkalenders, der kirchlichen Festtage usw., und die Behauptung der Astrologie als Wissenschaft erklärt auch die Erwähnung der iatromathematischen Uhrenblätter, wie 3 4
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Schott, Technica, 1664, Lib. IX. Mirabilia Chronometrica, S. 679. Zur Technik der Räderuhr: Bertele, Uhren, 1961, S. 143. Einen Uberblick über ein Uhrwerk zeigt der Riß aus der Encyclopédie (Abb. 56). Das Problem in der technischen Entwicklung der Räderuhr ist die Erfindung eines Zeitnormals, d. h. einer Hemmung, die einen gleichmäßigen Ablauf des Räderwerks ermöglicht. Seit dieser Erfindung im 17. Jahrhundert und der Vervollkommnung im 18. bemüht man sich bis heute nur mehr um bessere Materialien und eine rationellere Fertigung der mechanischen Uhren. r
sie Schott beschreibt. Neu sind jedoch Zifferblätter in der Gruppe »Politica«, die »Geschichte« anzeigen: Index Historicus, praecipua quovis Anni die gesta memorans. Und: Exhibitiones Mechanicae Historiaram, vel aliarum Actionum ludicrarum per statuas mobiles prodeuntes in Scenam, &. gestus quosvis seriö exhibentes; quo in genere peculiare quoddam occurrit artificium, exhibendi integram Actionem sive Drama per Seenas sibi invicem succedentes, Actoribus illis rem suam strenufe agentibus . . . Nicht die Erwähnung der beweglichen Figuren ist neu — denken wir nur an die erste Straßburger-Münster-Uhr mit ihren Heiligen Drei Königen, die an Maria vorbeizogen —, sondern die Loslösung von sakraler Thematik. In der Technica Cuiiosa von Schott finden wir Aufgaben der Räderuhr, die sie von anderen Zeitmessern unterscheiden, ja noch mehr, man kann sogar sagen, daß die Räderuhr auch eine andere Zeit mißt: Die zyklische Zeit.
Die neue Dimension der Räderuhr Um jenen Gedanken einer neuen Dimension der Räderuhr besser verständlich zu machen, erinnern wir uns an die anderen Zeitmesser, die es vor der Räderubur gab, und die noch bis zur Perfektion dieses mechanischen Zeitmessers große Bedeutung hatten®. Da waren vor allem die elementaren Zeitmesser, die Sanduhr, die Wasseruhr und brennende Kerzen oder Öllampen, die Zeit durch Schwund ihrer Materie maßen und der natürliche Zeitmesser, die Sonnenuhr. Von ihr ist zu sagen, »daß sie, obwohl sie dem Menschen das Maß der Maße anzeigt und seine Zeitrechnung aus der Quelle speist, doch im Vergleich zu allen anderen Uhren am wenigsten humanen Charakter trägt. Alle anderen Uhren setzen den Menschen und seine Erfindungskraft voraus. Diese ist von ihm unabhängig und kündigt nicht nur Schicksalsbewegungen an, sondern auch Umläufe, die ohne den Menschen denkbar sind«7. Die elementaren Zeitmesser waren alle, wie wir heute sagen würden, Kurzzeitmesser. Sie maßen eine kurze Dauer, die Sanduhr die Länge einer Predigt, die Wasseruhr, wie Cicero schreibt, 8
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Avis contenant les Moyens de régler... J. Le Roy, r74i, S. 3: «...Lorsqu'une Montre avance ou retarde de plusieurs minutes en 24 heures,- pour la regier, il faut faire choix d'une seule Horloge ou d'une Pendule dont la justesse soit connue. Rarement doit-on se regier sur celles des Eglises, parce qu'on les varie d'ordinaire suivant la longueur du Service: on peut d'ailleurs se servir d'un bon Cadran Solaire, préférant l'heure de midy, à cause des refractions astronomiques.« Ebenso auch Casanova, Mémoires, 1750, III, S. 189: «Je vois beaucoup de monde dans un coin du jardin, se tenant immobile le nez en l'air. Je demande ce qu'il y avoit de merveilleux. On se tient attentif à la méridienne,- chacun a sa montre à la main pour la régler au point de midi. » In der Unterscheidung der Elementaruhren folge ich teilweise wörtlich Jünger, Sandvhrbudi, 1954.
die Länge des Plaidoyers eines Verteidigers. Dann war die Zeit verronnen oder abgelaufen, man mußte ihre Messer wieder umdrehen oder auffüllen, und sie maßen wieder nur den Augenblick, den ihre Materie brauchte, um in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Die Räderuhr hat eine längere Gangdauer, die bei alten Meisterstücken sogar vorgeschrieben war, sie mißt nicht nur eine bestimmte Dauer, sondern auch die Zwischenräume, die Zeit, die vor dem Beginn eines Ereignisses liegt und danach. Aber sie mißt nicht nur gleichsam in allen Zuständen der Zeit, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Durch die Tageseinteilung in zweimal zwölf Stunden erhält auch die Gesellschaft eine gleiche, gemeinsame Zeit. Und durch den Zwang, die Fahrpläne der Eisenbahn zu koordinieren, entstand auch geographisch eine gleiche Zeit, die Zonenzeit 8 . Wasser-, Sand- und Feueruhren, diese elementaren Zeitmesser, maßen nur eine kurze, persönliche Zeit, die Erfindung der Räderuhr jedoch könnte, wie es Werner Gent vorsichtig ausdrückt, die Entstehung eines echten historischen Bewußtseins gefördert haben 9 . Auch bedürfen die tellurischen Geräte, die mit den Elementen Wasser, Erde und Feuer durch Veränderung ihrer Materie die Zeit messen, nicht eines Zifferblattes. Denn ihre Bewegungen sind nicht Rundgänge wie zum Beispiel der kosmische Umlauf der Sonne, den die Sonnenuhr mißt, sondern es sind gleitende, rinnende, fließende Bewegungen, ihrem Sinne nach geradlinig, sie sind daher, um gemessen zu werden, nicht des Zifferblattes bedürftig, sondern des Maßstabes. Ebenso entspricht diesem Unterschied in der Bewegung der Stundenangabe, dem zyklischen der Räderuhr, dem linearen der Elementaruhr, eine andere Auffassung der Zeit: Wer sagt, die Zeit vergeht, verfließt, verrinnt, verstreicht, meint eine andere Zeit als jener, in dessen Wendungen die Zeit als Rad auftritt und der von ihrem Kreisen und ihrer Wiederkehr spricht. Und der Unterschied der Räderuhr zur Sonnenuhr? Formal scheinen ihre Zeiger und ihr Zifferblatt eine Nachahmung der Sonnenuhr zu sein, ihres Schattenstabes und dessen Stationen. Die Räderuhr jedoch zeigt mit ihren Zeigern die Mittlere, die Sonnenuhr die Wahre Zeit an. Die Räderuhr ist also weder eine tellurische, noch eine kosmische Uhr. Sie ist ein drittes, das weder Gestirn- noch Erdzeit angibt, »abstrakte Zeit ist ihre Gabe, geistige Zeit« (Jünger).
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Zur Entstehung der modernen Stunden siehe: Bilfinger, Hören, 1892; Rühl, Chronologie, 1897; Bertele, Technikgeschichte, 1957, S. 120. Gent, Problem dei Zeit, r934, S. 155. 3
I. DIE RÄDERUHR ALS ATTRIBUT Die Uhr als ein Attribut der
Tempeiantia
Betrachten wir nun die Beispiele der Räderuhr als Attribut in der Kunst, jener Uhr, die, wie Stradanus 10 in seiner Nova Repeita (Abb. 1—2) schreibt, eine Erfindung der neuen Zeit ist, den Alten unbekannt war, so findet sich kein Gedanke an die Vergänglichkeit. Das immerwährende Gleichmaß des Ganges, das Tick-Tack über alle Stunden, Tage, Jahre hinweg, das gleichmäßige Vorrücken der Räder (die ersten Werke waren zwischen Pfeilern aufgebaut, kein Gehäuse verwehrte den Einblick in das Werk), die immerkreisenden Zeiger, in allem der eine Gedanke des Maßes, lassen die Räderuhr zum Attribut der Mäßigkeit werden: Dieses M o t i v 1 1 — der Tempeiantia mit einer Räderuhr — findet sich wohl zum ersten Mal in Illuminationen zu Othea der Christine de Pisa (Abb. 3) in einem etwa 1400—1402 entstandenen Manuskript, das im Britischen Museum aufbewahrt wird 1 2 . Die erste monumentale Gestaltung in Frankreich stammt von Michel Colombe. Seine Tempeiantia (Abb. 5) am Grabmal François II, Duc de Bretagne, in der Kathedrale von Nantes hat als Attribute Uhr und Zügel. Diese zwei Beispiele mögen genügen 13 , den Beginn der moralisch-ethischen Bewertung der Räderuhr zu zeigen, die ihren Höhepunkt in den Emblemata von Picinelli erreicht. Seine moralisch-theologischen Lemmas verdeutlicht er durch die Räderuhr, die er gleich einem Uhrmacher in alle ihre Teile und Funktionen zerlegt. Die Räderuhr als Attribut einer Kardinaltugend kann sich aber auch verselbständigen und die Funktion dieser Tugend, der Tempeiantia, übernehmen. In den Erlässen von François I er und Louis XIV hat sie diese Funktion inne, sie r e g u l i e r t das Leben : François I er : « . . . que l'invention des orloges a esté trouvée pour vivre et se conduire en règle et ordre de vertu 14 . »
10 11
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Stradanus, Nova Repeita, siehe: Thiem, Studien, 1 9 5 7 — 1 9 5 9 , S. 8 8 — n i und 1 5 5 — 1 6 6 . Siehe: Tuve, Virtues and Vices, 1963, S. 282. Dort Aufzählung weiterer Handschriften und Beispiele dieser Darstellung, der Tempeiantia mit Uhr, bei N. Oresme, Ethique d'Aiistote, vol. II, Rouen, Bibl. Municipal, MS fr. 927, fol. 17V, J. de Courtecuisse, Seneca, Paris, Bibl. Nat. MS fr. 9186, fol. 304r. British Museum, Harley MS 4431, fol. 96V. Weitere Beispiele sind angegeben bei Mâle, Fin du Moyen Age, 1949, S. 325 und S. 341. Lettres patentes de François I er confirmatives des premiers statuts des horlogers . . . juillet 1544, abgedruckt bei Lespinasse, Métieis, 1897, III, S. 549.
Louis XIV: « . . . et que l'invention de la montre doit effectement passer pour le principal mobile du repos, de la douceur et de la tranquilité des hommes 16 . »
Die Uhr in der Iconologia des Cesare Ripa In der Iconologia des Cesare Ripa 16 findet man die Räderuhr als Attribut der Diligentia, Giudice, Metafisica und Prelatura. Da es sich in unserer Arbeit vor allem um französische Uhrenbeispiele handelt, zitieren wir die erste französische Ubersetzung von Baudoin r 644". Baudoin kürzt bisweilen den Ripaschen Text, bringt statt mehrerer Personifikationen desselben Begriffs nur eine, die jedoch meistens mit einem Icon, läßt die zitierten Quellen fort und ebenso die lateinischen und italienischen Verse, die dem »Original eine Art poetischer Grazie geben« 18 . Der Text unserer Stichworte ist jedoch unbedeutend gekürzt. Alle Allegorien sind bebildert. (In der letzten italienischen Ausgabe der Iconologia vor Baudoin, Padua 1630, ist nur Prelatura illustriert.) Der Text: DILIGENCE (Abb. 6a) La Diligence, qui est vn désir ardent de voir la fin d'vne chose qu'on a entreprise, se voit icy figurée par vne Femme, qui de la main droite tient vn Esperon, & de la gauche vn Horloge; symboles qui ne sont pas mis icy mal à propos, puisque c'est le Temps qui mesure la Diligence, & l'Esperon ce qui la fait naistre. L'vn esueille nos soins par sa grande vitesse, Et l'autre est l'aiguillon qui nous picque, et) nous presse. In den von Jacques de Bie gestochenen Abbildungen bei Baudoin trägt die Allegorie Exercice eine Sanduhr auf dem Kopf, im Text heißt es jedoch EXERCICE (Abb. 6b) . . . L'Horloge qu'il a sur la teste signifie, Que par luy nous paruenons à la connoissance du vray, comme par la continuelle action des roües d'vn Horloge, nous distinguons le temps &. les heures. METAPHYSIQUE (Abb. 6c) On la represente par vne Femme qui a les yeux bandez, vne Couronne à la teste, vn Sceptre en main, & à ses pieds vn Horloge & vn Globe. 16 16
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Lettres patentes de Louis XIV . . . novembre 1652, abgedruckt bei Dubois, Collection Soltykoff, 1858, S. 39Ripa, Iconologia, 1593. Die Allegorie der Prelatura findet sich erst in der Ausgabe Padua i6r8. Das Zitat aus Jesaia steht bei Jesaia 52,7. Im folgenden zitieren wir nach der Ausgabe Padua r630. Die Uhr als Attribut des Richters (Giudice) steht nur bei Ripa, nicht bei Baudoin. Zu Ripa siehe: Mandowsky, Untersuchungen, r934. Baudoin, Iconologie, 1644. Diligence II, S. 119. Exercice I, S. 64. Métaphysique I, S. 118. Prelature I, S. 162. Amour dompté II, S. 97. Assiduité I, S. 23. Nonchalance I, S. r26. Soing I, S. r82. Horographie II, S. 192. Mâle, Consil de Trente, 1932, S. 411. 5
Par le voile de ses yeux il est signifié, Qu'elle les tient sans cesse fermez à tous les objets qui attirent les creatures mortelles après les vanitez de la terre: Par sa Couronne &. son Sceptre, Qu'elle est Reyne de toutes les autres Sciences, qui s'acquierent par la lumiere naturelle; Et par l'Horloge & le Globe, Que mesprisant tout ce qui est sujet aux reuolutions du Temps, elle ne s'employe qu'à la contemplation des choses Celestes. PRELATURE (Abb. 6d) Les Egyptiens auoient beaucoup de raison de représenter les Prélats, & toutes les autres personnes qui sont dans les charges les plus eminentes, par cette Figure Hiéroglyphique. Ils peignoient vn homme, qui en la main droite auoit Vne Horloge, &. en la gauche vn Soleil eclypsé, auecque ces mots, non nisi cum deficit spectatoiem habet. Par où ils vouloient signifier, Que comme le Soleil, quelque resplendissant qu'il soit, n'est regardé d'aucun que lors qu'il s'eclypse: Ainsi pour homme de bien que soit vn Prélat, peu de gens neantmoins le considèrent pour l'imiter, & pour le lotier. Mais sur tout quand il aduient qu'il s'obscurcit & s'eclypse par quelque deffaut qu'on y remarque; Voilà qu'en mesme temps les yeux de tous se tournent vers luy, auec autant de scandale que d'estonnement: d'où il s'ensuit que les médisans en font des contes, &. s'en estonnent comme s'ils voyoient une Eclypse, ou quelque prodige dans le monde. Le mesme nous est signifié par l'Horloge qu'il tient en la main droite: & possible qu'à cela ne s'accommode pas mal l'explication que les septante Interprétés ont donnée de ce passage d'Isaie, Quam speciosi super montes pedes euangelizantis bona: ce qu'ils traduisent ainsi, sicut hora, vel sicut horologium super montes. Par où ils veulent monstrer, Que les Prélats, et les autres Supérieurs les plus qualifiez estans comme les Horloges du monde, destinez à regier le mouuement d'autruy, doiuent estre fort moderez en leurs propres actions, & se tenir dans vne grande iustesse, puis qu'ils sont esclairez de beaucoup d'yeux &. que la malice des hommes va si auant, qu'ils estudient à faire passer pour vices iusques aut vertus les plus hautes, qui ne peuuent que difficilement eschapper à leur censure. U m aus den zitierten Allegorien die symbolische Bedeutung der Räderuhr noch deutlicher zeigen zu können, betrachten wir zunächst den zweiten Zeit-Messer 1 9 , der als Attribut in den Ikonologien erscheint: Die Sanduhr. Sie steht immer für die verrinnende, nicht wiederkehrende Zeit, die Zeit, die die Liebe und die Schönheit erlöschen läßt (Amour dompté), « qui travaille continuellement à nostre ruine » (Assiduité), die verlorene Zeit (Nonchalance hält eine Sanduhr quer, kein Sand kann mehr fließen) und die Zeit, die mit ungeheurer Schnelligkeit verfliegt (Soing, Holographie). Cesare Ripa hat beim Kompilieren seiner Iconologia diese bis 1600 entstandenen Einstellungen zur Zeit zusammengefaßt. Die Sanduhr ist also Symbol des Unbestandes des irdischen Lebens und seiner kurzen Dauer. Im Gegensatz dazu symbolisiert die Räderuhr verschiedene Zeitauffassungen, nur nicht die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Da Ordnung in der Zeit mit Zucht und Regel gleichzusetzen ist, wird sie auch zu einem Symbol sittlicher Haltung. N u n die Bedeutung der Räderuhr bei
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Der dritte Zeitmesser, die Sonnenuhr, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung: Durch den verschiedenen Schattenwurf der Sonne werden in den Ikonologien die einzelnen Hören unterschieden.
Diligence Der Fleiß, der eine begonnene Sache zu Ende zu führen wünscht, braucht die Räderuhr. Die langwierigen Bemühungen, um ein Ziel zu erreichen, kann man nicht mit schnell verrinnenden, d. h. nur kurze Zeit laufenden Sanduhren messen. Exercice Um zuerst den Widerspruch zwischen Bild und Text zu klären: Sanduhr und Räderuhr werden als Attribute manchmal vertauscht. Diese Verwechselung ist bedingt durch die Unkenntnis der verschiedenen symbolischen Bedeutungen dieser Uhren, auch ist die Sanduhr der ältere Zeitmesser und wird deswegen öfters verwandt. Genauso führt die Unkenntnis der Mechanik einer Uhr zu jenen phantasierten Sanduhrgebilden mit einer Waage. Die Waage ist jener Teil einer alten Räderuhr, die den Ablauf des Räderwerks hemmt, frei gibt, hemmt usw. und dadurch die Zeit teilt. Bei Exeicice erkennen wir, daß ein unvollendeter Zustand nur durch die immer wiederholende Bemühung, die Übung, in Analogie der immergleichen Bewegung der Räder, vollkommener wird. Durch die Uhr erkennen wir die Wirklichkeit dieser Entwicklung, da die Zeit die Beurteilung der Dinge relativiert — die Uhr wird Helferin zur Erkenntnis der Wirklichkeit (du vray). Metaphysique In der Zeitvorstellung der Metaphysik «mesprisant tout ce qui est sujet aux reuolutions du Temps» ist keine Anspielung auf den Tod enthalten, die Zeit ist nicht geprägt durch den Vergänglichkeitsbegriff der Kirche, sie wird auch nicht als persönliche, eigen erlebte Zeit empfunden, deren Ablauf am eigenen Leben gemessen wird. Sondern diese Zeitvorstellung kommt aus der Erfahrung naturwissenschaftlicher — historischer Einsicht: Alles vergeht in Natur und Geschichte. Und wie die Uhr allen die Zeit anzeigt, so zeigt sie auch den sichtbaren, unaufhörlichen Kreislauf an, der sich an allen irdischen Dingen vollzieht: Denn mit der Erschaffung der Welt begann auch die Erschaffung der Zeit. Uber Zeit und Welt ist die Metaphysik erhaben. Pielataie Im 17. Jahrhundert findet man sehr häufig auf Portraits kirchlicher Würdenträger eine kleine Tischuhr, oft als einziges »Requisit« (Abb. 7—8). Alfred Chapuis20 sah darin 20
Chapuis, Horologiis, 1954, S. 22. Die Räderuhr (wie auch das Buch) als Attribut eines Würdenträgers hat eine sehr lange bildliche Tradition, die durch Ripa kodifiziert wurde. Sehr schön erkennbar auf dem Portrait des Kardinal Granvella, der gleichzeitig von Tizian (Nelson Gallery, Kansas City, Missouri USA) und von A. Mor (Wien, Gemäldegalerie, beide abgebildet bei Friedländer, Malerei, 1963, S. 262—263) gemalt wurde. Auf beiden Portraits ist der »attributive Apparat« der gleiche. Zur Bedeutung des Buches siehe: Picinelli, Mundus Symbolicus, 1687, Lib. XIX, Cap. 8, Baudoin, Recueil d'Emblemes, 1685, III, S. 379: «Que les vrais thresors sont dans les bons Livres » und Clements, Picta Poesis, i960, S. 67 (Books as mirrows, Books as absolute Symbols). 7
nur, daß die Uhr « apparaît encore comme une curiosité rare ». Die Allegorie Pielataie bei Baudoin läßt uns jedoch erkennen, daß die Uhr Symbol eines sittlichen Vorbildes ist. In ihrem Zusammenfassen vieler einzelner, einander entgegengesetzter Bewegungen zu einer einheitlichen Ordnung, der Zeitangabe, wird sie zum Analogon für den geistlichen oder weltlichen Würdenträger, der durch sein Vorbild die Bewegungen der anderen ordnet und lenkt. Die Priester sind die Uhren der Welt, wie der Text der italienischen Ausgabe von Ripa weiter ausführt, « posti sopra i monti delle dignita, accioche siano veduti, sentiti da tutti, devono moto bene auuertire di sonar giusto, e caminar critto nelle loro attioni, perche sono da tutti accurati, e seruono per regola et essempio de gli altri. » Auch Picinelli hat den gleichen Gedanken wie Ripa, nämlich, daß die Angabe der richtigen Zeit zum Gleichnis für den richtigen Weg wird. Im Mandas Symbolicus erklärt er eine durch Zeiger und Glocken die Zeit unterscheidende Räderuhr mit dem Lemma DISTINGUENS ADMONET durch die Worte des heiligen Augustins: «Sacerdotis est, in pace populum admonere, quid debeat agere: populi est, in humilitate audire, quae monet Sacerdos. Quidquid non licet, pastoris est prohibere, ne fiat: plebis est audire ne faciat. »
bo] Die Behauptimg von Dupont (L'Horloge du Chancelier Séguier, Oeuvre inédite de François Giradon, 1959, S. 72) : « Le rôle des horloges dans les portraits du XVIIe siècle est manifeste. Sur la table où il pose une main négligente ou puissante, le modèle aime voir ce symbole à la fois du temps qui s'écule et d'un luxe raffiné sans que nous sachions discerner toujours la part respective de la vanité personnelle et celle de la