Die Erziehung zur Persönlichkeit im Zeitalter des Großbetriebs [4. bis 8. Tausend, Reprint 2021 ed.] 9783112448663, 9783112448656


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German Pages 47 [48] Year 1908

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Die Erziehung zur Persönlichkeit im Zeitalter des Großbetriebs [4. bis 8. Tausend, Reprint 2021 ed.]
 9783112448663, 9783112448656

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L

Die Erziehung zur Per­ sönlichkeit im Zeitalter des Großbetriebs □ □ ° °

Von

D. Fr. Naumann M. d. R.

Buchverlag der „^ilfe" G. m. b. 2). Berlin-Lchöneberg 1907.

ie

beiden

Begriffe

im

heutigen

Thema: Persönlichkeit und Groß­ betrieb, sind an sich durchaus bekannt. Aber

es ist trotzdem richtig, daß wir beide ge­ meinsam noch einmal in ihren Werten und in ihrem Inhalt uns ins Gedächtnis rufen,

um

dann

erst

ihre

Beziehungen

zu

er­

örtern. Persönlichkeit! Man könnte über

das ganze letztvergangene Jahrhundert schreiben, daß in seiner Geschichte — in der Geistesgeschichte ebenso wie in der inneren politischen — der Kampf um die Persönlich­ keit in der Mitte steht. Km Anfänge jenes

vorigen Jahrhunderts steht ja der Mann, an den wir in den letzten Tagen durch eine

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Feier erinnert wurden, der den Persönlich­ keitsgedanken tiefer formuliert hat: Kant. Lassen Sie uns dort einsetzen, wo Kant von

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der Persönlichkeit redet! (Er führt aus, daß

Persönlichkeit nicht eine Eigenschaft der In­ telligenz für sich ist, daß sie nicht in das Gebiet der reinen Vernunft an sich sondern in das der praktischen Vernunft gehört. Ein Wort, worin der sittliche und Gesamtwert

des Menschen und der Inhalt dessen, was Kant als Persönlichkeit beschreibt, formuliert wird, heißt: Vie Freiheit und die

Unabhängigkeit vom Mechanis­ mus der Natur. Mechanismus der Natur ist ebensogut der Mechanismus des eigenen Körpers als der der natürlichen Ein­ flüsse um uns herum, als auch aller der

Natur, die in Gesellschaft, Sitte und Her­ kommen uns umgibt. Vie Persönlichkeit soll ihren Zweck in sich selbst haben, oder, wie Kant sagt: als Personen sind Vernunft­ wesen Zwecke an sich selbst; nie sollen sie bloß als Mittel gebraucht werden. Das ist die große erste Folgerung, die Kant aus dem Persönlichkeitsgedanken zieht:

J:

Vas Vernunftwesen, der Mensch, soll nie nur als Mittel zum Zweck benutzt werden, soll nie nur benutzt werden als Werkzeug, sondern jeder Mensch, so sehr er andern dienstbar sein mag, ist Zweck in sich selbst und hat das Recht, ja mehr als das, die Pflicht, sich als Selbst­ zweck anzusehen und seine innere Unab­ hängigkeit und seine innere Selbsterhaltung über alles andere zu setzen. Diese hohen Russassungen von der Per­ sönlichkeit im Menschen setzen sich dann da­ hin weiter um, daß der Mensch als Person niemals bloß Unecht sein darf, sondern daß er aus Unechtsverhältnissen sich heraus­ arbeiten muß bis zur Freiheit. Seelische Freiheit und äußere Unabhängigkeit hängen so innerlich und merkwürdig hundertfach zu­ sammen, daß man die Grenze überhaupt nicht ziehen kann, bis wohin der Persönlich­ keitsgedanke, einmal lebendig geworden, nach außen weiter wirkt. Vie Menschen sollen nicht leibeigen sein, nicht bloß Rrbeitskräste, sondern jede menschliche Seele hat ihren eigenen Wert und soll ein 3 ch werden.

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I

So sehr die einzelne Seele als Pro­ dukt anderer Seelen und äußerer Vorgänge ausgefatzt werden mutz — und wir alle werden sehr bereit sein, das Entstehen der Seele aus vorhandenen Vorbedingungen als die Grundlage anzusehen —, so muß aus dieser Grundlage die eigene Neugestaltung kommen, daß der einzelne Mensch mehr ist als bloß ein Tropfen, zerflossen im großen Wasser,' mehr als etwa bloß ein Papagei, der nachredet, was andere ihm vor­ geredet haben,' mehr als ein großes Kind, das ewig von einem Priester oder Nicht­ priester sich bevormunden und Gedanken sich vorsagen läßt; mehr als jemand, der nur den Spruch hat: „Wes Brot ich esse, des Lied ich singe." ver Mensch mit der eigenen Ueber­ zeugung, mit der Eigenart, ist ein Werdendes, und niemals erreichen wir Menschen das von Kant formulierte persönlichkeitsideal vollständig. Ls geht diesem Ideal wie allen anderen Idealen, daß wir uns lebensläng­ lich im besten Falle ihm annähern können. Aber das Suchen nach der Persönlichkeit ist

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es, was die Menschen in sich reicher macht und ihrem Leben Inhalt gibt. Und wenn man von Menschenerziehung redet, dann kann man gar nicht anders als diesen Ge­ danken haben: aus dem Menschen, der ein Naturprodukt ist, eine Persönlichkeit Herauszuge st al­ ten. Vas steht in der Mitte wirklicher Erziehungstätigkeit. Gewiß, die Erziehung kann auch nicht alles. Darüber sind ohne Zweifel gerade die, die sie berufsmäßig üben, sich am klarsten, denn es ist ein eigenartiger Stoff, der in die Hände der Erziehung kommt, ein Stoff, dessen (Qualität und Bildfähigkeit sehr verschieden ist. Alle Erziehung ist und bleibt eine Hilfsarbeit, um die Menschen herauszuholen aus dem Rohstoff Mensch. Über so viel ist doch auch klar, daß ohne den Persönlichkeitsgedanken in der stuf» Klärungszeit — und Kant steht in der höhe dieser Zeit — wir überhaupt nicht, vor allem in Deutschland nicht, die Schule im Sinne einer großen erziehenden Korporation haben würden, und daß dieser persönlich-

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keitsgedanke die Hingebung an den Dienst der Pädagogik überhaupt erst erzeugt. Venn die rein formale Bildung, die Bildung der

Intelligenz, eine Bildung, die — um bei Hont zu bleiben — dahin gehen würde, den Menschen dem Mechanismus einzuordnen und nicht, ihn über den Mechanismus empor­ zuheben, eine den Menschen in die mecha­ nischen Dinge hineinführende Unterweisung, ist längst nicht das, was die innere Geduld und die Spannkraft gibt, die dazu notwendig ist, um insbesondere auch schwächere Menschenexemplare geduldig zu bearbeiten. Kurz: es ist bis jetzt gesagt, daß das p e r s ö n l i ch k e i t s i d e a l, das in der Huf» Klärungszeit seine höchste Formulierung be­ kam, in der Mitte der Erziehungs­ arbeit der Schule steht. Nun beginnt die Schwierigkeit, denn die Schule ist, je länger desto mehr, etwas Unpersönliches geworden. 3e größer sie wurde, je breiter das Schulsystem sich ent­ faltete, desto mehr verlor sie den Persön­ lichkeitscharakter, den die Erziehung ur­ sprünglich in sie getragen hat. Mr brauchen

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J

nur die hohen Ziffern zu hören, mit denen Ihre neuen Kollegen sich für Ihren Verein anmelden, um zu wissen, daß das Wort Großbetrieb auf die Schule paßt, wie nur auf irgend einen andern modernen Groß­ betrieb. Und wenn es Zweck der Schule ist, Persönlichkeiten aus dem Uohmaterial Mensch herauszubilden, so liegt das zu Ueberwindende oder zunächst zu verstehende, also die Schwierigkeit, darin, daß man einer Großbetriebsveranstaltung die Aufgabe der Persönlichkeitsbil­ dung setzt. Gewiß, die Schule vor 100 Jahren war noch nicht Großbetrieb, vielleicht in Berlin einigermaßen, aber im großen und ganzen war die alte Schule Handwerks­ betrieb, in allen ihren einzelnen Formen, mit den Vorteilen und Nachteilen, die der Handwerksbetrieb hat, wo in der Haupt­ sache einer alles macht, und wo einer vom ersten Schnitt bis zum letzten Glanz den ganzen Stoff aus seiner Hand heraus ar­ beitet, so gut er es eben gerade kann. Vieser Handwerksbetrieb mit der persönlichen hin-

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gäbe und auch mit der persönlichen Un­ methode und dem Schlendrian liegt rück­

wärts in der Geschichte der Schule. Vie Schule wurde, vor allem in den großen Grten und Industriegegenden, je länger desto mehr zentralisiert, genau in der­ selben Art und Weise, wie man irgendwo

anders den Metallbetrieb zentralisiert hat. Diese Zentralisierung geht so weit, daß es ganz gut möglich ist, den Begriff Groß­ betrieb geradezu an dem Körper Schule zu demonstrieren. (Es gaben in einfachen Verhältnissen in jener alten handwerksmäßi­

gen Schule die Eltern ihr Kind dem Lehrer, heute gibt man das Kind nicht mehr dem Lehrer, sondern der An­ stalt. Und die Anstalt sorgt dafür, welche

Lehrer und wann und wie sie die Bearbeitung dieses Kindes zu übernehmen haben. Es handelt sich um einen Zabrikationsprozeß psychologischer Art, bei dem die Einzel­ persönlichkeit in die Holk des Hilsssaktors hineingerückt ist, und bei dem die Veran­

staltung selbst, die über all ihren Personen steht, das eigentlich tuende Etwas ist.

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Diese ganze Veranstaltung Schule, der wir Eltern heute unsere Rinder übergeben, besteht aus dem Prinzip der Arbeitsteilung gerade so gut wie alle andern modernen Großbetriebe. (Es ist eine Arbeitsteilung teils nach Jahrgängen, teils nach Stoffgebieten, kurz es liegt die Arbeit in spezialisierten einzelnen Händen, so daß der Ueberblick über den Erziehungsgang des einzelnen Indi­ viduums genau genommen nur in den Büchern der Anstalt vorhanden ist, und daß dieser Ueberblick in vielen Fällen in einem einzelnen Kopfe überhaupt nicht mehr vor­ handen sein kann. Weil nun dieser persönliche Ueberblick in der Großbetriebsform nicht mehr vor­ handen sein kann, stellt sich in der Schule genau dasselbe ein, was jeder andere Groß­ betrieb hat, nämlich daß desto bestimmter die Methode der Arbeit formuliert werden muß. Denn je mehr hier das Kind — sonst der Stoff — von einer Hand in die andere übergeht, desto mehr mußten die persön­ lichen Willkürlichkeiten und Varietäten ausgeschieden sein, wenn bei dieser Art Arbeits-

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teilung überhaupt noch ein Gesamtresultat möglich sein soll. Infolgedessen beruht ein Teil des Arbeitsmechanismus in diesem Groß­

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betrieb in Beschränkungen der persönlichen

Wirkung durch möglichst genaue Vorschriften über zu erreichende Lehrziele, Stoffvertei­ lung, Methode usw. Nur damit kann ein Apparat, eine unpersönliche Anstalt über­ haupt arbeiten.

K

Vie Vorbedingung einer solchen Arbeits­ weise ist aber wie überall im Großbetrieb eine weitgehende Zentralisation der Leitung. Die Leitung ist es, die alle diese Dinge, die ich mit dem Wort Methode zusammensasse, in der Hand haben muß. Auch die Leitung ist in ihrer Art nur ein Teil des unpersön­ lichen Körpers. 3e weiter der Großbetrieb sortschreitet, desto mehr gestaltet er sich in eine ganze Reihe von Subordinationen und Abhängigkeitsverhältnissen, weil ein Groß­ betrieb gar nicht zu denken ist, ohne daß vom Mittelpunkte aus so und so viele Dinge immer wieder neu und einheitlich geregelt werden.

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J

Wenn wir nun sehen, wie die Geschichte der Schule, indem die Schule Großbetrieb wurde, eine fortschreitende Entpersönlichung der Arbeitsweise an sich enthält (nicht der arbeitenden Personen zunächst, sondern der Arbeitsweise), dann wird uns das Problem, von dem wir ausgingen, immer dringender: Wie kann eine Großbetriebsveranstaltung eine persönlichkeitsbildende An st alt sein? Wie können die ursprünglichen Ideale, mit denen man die Volksschule ge­ schaffen hat, unter diesen Formen in der neuen Zeit sortwirken? Und man mutz noch einen Schritt weitergehen und muß fragen (eine Antwort will ich nicht geben), 06 ein derartiges Großbetriebssqstem nichtauchaufdiepersönlichkeitsentwicklung der in ihm arbeiten­ den Kräfte selbst von gewissem entpersönlichendem Einfluß sein kann? Wenn man die Schule selbst als Groß­ betrieb erfaßt hat, dann wird man weiter verstehen, was es für unser Volk im ganzen

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bedeutet, daß wir in einem Zeitalter stei­ gender Großbetriebsneigungen uns befinden. venn das, was von der Schule andeutend

beschrieben wurde, ist ja kein Vorgang, in dem die Schule etwa allein steht, sondern sie steht auch hier mitten im Volk und zwar in einem Volk, in dem der Wert der Linzel­ kraftbetriebe immer geringer wird und in dem die großen Massenbetriebe immer mehr die eigentlich maßgebenden und durchschlagen­ den Formen werden. Und für die Zeit stei­ gender Großbetriebe soll die Schule das Menschenmaterial präparieren, hier kommt das Problem „Erziehung und Großbetrieb" in seiner zweiten Form. Erinnern wir uns, ohne uns viel in die Statistik zu vertiefen, wie der ältere ge­ werbliche Betrieb wesentlich handwerklicher Unternehmerbetrieb gewesen ist, und wie in dem älteren handwerklichen Unternehmer­ betrieb der einzelne Mensch schon in seiner Iugend die Hoffnung haben konnte: ich werde einmal selbständig werden. Gewiß, auch in den älteren Zeiten erreichte von drei Leuten vielleicht nur einer, daß er selb-

ständig wurde. Aber alle drei hofften wenigstens daraus, sie könnten einmal selb­ ständig werden. So war das ganze ältere gewerbliche Leben durchtränkt und geführt von dem Gedanken: ich will einmal selber etwas anfangen. Nun haben solche Menschen heute auch noch nicht ausgehört, und das wäre auch ein Unglück. Aber es ist nicht zu leugnen, daß es heute weniger Menschen sind, die den Gedanken des Selbstanfangens haben können, insbesondere bei der Menge derer, die nicht mit dem ersten Artikel sagen können, daß Gott ihnen Haus, Hof, Aecker, Vieh gegeben hat, sondern die das zwar nachsagen müssen, aber ohne persönliches Mitempfinden. Bei ihnen ist es von vorn­ herein äußerst schwierig, daß sie das Ideal, einmal persönlich etwas anzufangen, in ihrem Jugendleben gewinnen und dann etwa konsequent festhalten sollen. Sondern die große Menge der Kinder einfachen Standes wächst schon heute ohne das Ideal aus, je­ mals aus eigenen Füßen wirklich frei in der Welt dastehen zu können. Und die Schule, die Volksschule vor allem, hat es mit Kindern

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zu tun, die dieses alte Ideal nicht mehr von sich aus in der alten Weise mitbringen. Die Schule kann den Kindern auch nicht sagen, das sei ein Irrtum: ihr könnt noch selb­ ständig werden! Denn jeder Blick auf die großen Bergwerke, die Fabriken, Waren­ häuser, Derkehrsanstalten, jeder Blick in die Formen, die handel und Gewerbe heute an­ nehmen, sagt uns: Wir werden in den nächsten Iahrzehnten nicht reicher werden an einzelnen Selbständigkeitsformen in unserem Leben, sondern werden voraussicht­ lich prozentual ärmer werden. Darüber kann man sich gar keiner Täuschung hin­ geben, gleichgültig, ob man es für wün­ schenswert hält oder nicht.

Die Syndikate aus der einen Seite und die dann ebenso notwendigen verbände der Arbeiter auf der anderen Seite schaffen Körper, die in ihrer Weise den einzelnen Menschen nachher in sich hineinrechnen, ver­ rechnen, fallen lassen. Was der einzelne als einzelner noch kann, ist ungeheuer ge­ ring geworden. Was kann der einzelne, um überhaupt den Preis seiner Arbeitskraft

sestzusetzen, um sich selbst wirtschaftlich zu bewerten! (Er wird nach vorhandenem Schema bewertet, und kann als einzelner blutwenig mehr ändern. Vas ist der Zug

der Zeit im ganzen. Diesen Prozeß müssen wir eher beschleu­ nigen als zurückhalten, aus einem Grunde, der etwas außerhalb des Themas liegt:

Weil die Wirtschaftskonkurrenz mit den angelsächsischen Ländern, von der die Zu­ kunft der deutschen wirtschaftlichen Stellung und deutschen Bildung abhängt, von uns

nur gewonnen werden kann, wenn wir die mechanischen Vorteile, die in dieser Syste­

matisierung der Arbeit liegen, bis auf das äußerste ausnutzen. Wir können gar nicht anders, wir müssen um des Lebens willen diesen modernen Großsormen in den Be­ trieben zustreben. Sonst retten wir uns nicht in eine anders geartete Zukunft hinein. (Es ist ein Zwang, der von außen her auf uns eindringt. Aber wenn wir diese Notwendigkeit an sich einsehen, dann kommt uns erst die

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r Frage — wenn wir der Schule gedenken — in ihrer ganzen Dringlichkeit: Was für Menschen soll denn nun die Schule — soweit sie Menschen bilden kann — für dieses Zeitalter wachsender Großbetriebsformen eigentlich schaffen? Venn die Schule, die Volks­ schule wenigstens, schasst ja doch schließlich nicht die, die dann etwa die Leiter des Kohlensnydikats oder die Spitzen des Kupfer« Verkaufs in Deutschland werden, sondern die Schule als Organismus schafft die Menge derer, die dann innerhalb dieser Betriebe irgendwo unten, halb unten, in der Mitte oder etwas darüber ihre Leben verbringen. Was kann man denen geben? Soll man da sagen: Das Persönlich­ keitsideal der Uufklärungszeit, jenes Kantsche Ideal von der Unabhängigkeit vom Mecha­ nismus, sei eine Episode in der Geschichte der deutschen Geistesentwickelung gewesen? Und so wie dieses persönlichkeitsideal der Kantschen Zeit eine Ueberwindung alter jahr­ hundertlanger Gebundenheit gewesen ist, so würden wir nach einem Zeitalter, in dem

das persönlichkeitsideal eine Art Schmelzungrprozeß hervorgerufen hat, einen Ueber» gangsprozetz zu neuen Formen, wieder in eine neue allgemeine Gebundenheit hinein­ sinken ? Und der Zweck der Erziehung könnte nur der sein, die Menge der Menschen in die Form der neuen Gebundenheit mög­ lichst schmerzlos hineingleiten zu sehen? Auch das ist ein Ideal, das der Groß­ betrieb Schule unter Umständen haben könnte. Venn wir haben in der Geschichte auch schon Erziehungsanstalten gehabt, bei denen der Gedanke von der Brechung des eigenen Willens eine ziemliche Rolle ge­ spielt hat, wo man das Erziehen nicht eigent­ lich darin gefunden hat, Willen groß zu machen, sondern darin, Willen klein zu machen, den Menschen de­ mütig zu machen und ihn dahin zu bringen, daß er äußerst verwendbar ist. Das Erziehungsziel der gehorsamen Verwendbarkeit des einzelnen könnte der Schule leicht nahe gelegt werden von Leuten, die vom Standpunkte des wirt­ schaftlichen Uebermenschen aus auf alle diese

Schularbeiten hinabschauen und die von ihrer gehobenen Personalfreiheit aus in Nietzscheschen oder anderen Tönen der Schule beibringen, daß eine Erziehung der Masse nichts anderes zu bieten habe, als eben die

Massengesinnung, und daß diese Massen­ gesinnung eben darin bestehe, sich den ge­

schichtlich unvermeidlichen Großbetriebs­ formen willig ein- und anzusügen. Eine derartige Auffassung könnte — ich sage nicht, daß sie's tut — unterstützt

werden durch die Tendenzen, die im Groß­ betriebscharakter der Schule selbst liegen.

Es könnte nämlich etwas wie eine ideelle Konkurrenz bestehen zwischen den Groß­ betrieben draußen, die nach fügsamem

Menschenmaterial dürsten, und dem Groß­ betrieb hier, der am leichtesten verwalten kann, wenn er die mehr passiven Tu­ genden der Fügsamkeit und Ge­ duld und Bravheit als den In­ begriff der Tugenden überhaupt

lehren würde. (Es könnte also möglich sein, daß durch diese ideelle Konkurrenz jenes alte vorhin gezeichnete Kantsche Ideal zum

Schmuck der Wände würde und nicht mehr der Inhalt der Tätigkeit wäre. Ich spreche nicht von einem etwa vorhan­ denen Zustande, sondern von einer möglichen Folge, von der Folge der Entpersönlichung im größten Maße beim Blick aufs Volk im ganzen. Man soll hier nicht einfach sagen: Da wir das nicht wollen, so wird es nicht geschehen! Venn so einfach liegen die Dinge der Welt nicht, daß wir durch unser aus dem Herzen herauskommendes Stimmungs­ urteil die Entwicklung aufhalten könnten. Man muß doch etwas tiefer zuschauen und sich fragen: Wo liegen die Not­ wendigkeiten auch im Großbe­ triebszeitalter, das persönlich­ keitsideal aufrecht zu erhalten, und inwieweit und in welchen Formen ist es möglich? Ich glaube — um zunächst von der Schule zu reden —, der Großbetrieb der Schule wird in sich selbst durchaus die Er­ fahrung gemacht haben oder machen, daß man beim Herabsinken des Persönlichkeits­ elementes zugleich in der Gesamtleistung

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herabsinkt. Nämlich: wenn der Großbetrieb

und sein Mechanismus alles bis auf den letzten Punkt des i geordnet haben wird

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und wenn sozusagen keiner eine persönliche

Handschrift

und

keine

persönliche

Ortho­

graphie des Lebens, keinen persönlichen Ton­ fall im vorlesen und keine persönliche Note im Gesang mehr hat, sondern genau dieselben Rechnungen in genau demselben Tempo von 430 Rindern machen lassen kann, daß es klappt wie eine Registriermaschine, die von

selber geht — dann wird man dastehen und Ivozu können wir nun eigentlich die Menschen brauchen, die aus diese Weise sagen:

fertig geworden sind? Mit denen ist doch im Grunde nichts anzufangen, denn alle

Rrbeit auch im Großbetriebe ist im letzten Grunde Persönlichkeitsleistung! Vas ist es, was unendlich oft übersehen wird. Die Menschen sehen immer nur die Außenseite. Da behaupten sie, der Mann der neben der Maschine steht, brauche nur

erzogen zu werden wie ein Stück Maschine, wenn er aber nur ein Stück Maschine ist,

dann ist er ein loddriges Stück.

Er ist dann J;

weniger wert als die eiserne Maschine, weil die nicht aus Fleisch und Blut und Trieben und Stimmungen zusammengesetzt ist, sondern weil sie einfach mit Kohle und Wasser ge­ nährt wird und aus auf Millimeter be­ rechnetem Metall besteht. Vie Maschine funktioniert, derkomplizierteFleischapparatMenschaberfunktioniert ohne Persönlichkeitserziehung schlecht und liederlich. Man kann keine Großbetriebsform auf die Dauer fest­ halten mit rein entpersönlichtem Menschen­ material. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Man kann niedere Formen in allerlei Arten von Industrie und Großbetrieb mit verhältnismäßig unentwickeltem Großbetrieb Menschenmaterial machen. Man kann aber die Fortschritte der Ma­ schinen nur benutzen mit gleich­ zeitigem Fortschritt derMenschenentwickelung. Denn gerade die Ver­ tiefung in den Fortschritt der Maschine für den einzelnen Zweck zeigt uns, daß der Mensch immer weniger zu tun hat in bezug

auf Muskelleistung im großen, daß er aber immer mehr zu tun hat in bezug auf ab­ solute Akkuratesse, Entscheidungsfähigkeit, Entschlußfähigkeit im Moment, auf jenes seine Augenmaß und den Geschmack, der nur aus dem Menschen herauskommt, der auf eine gewisse höhe allgemeiner Bildung gehoben worden ist, und der jenes IchBewußtsein und jenes Stück persönlichen Stolzes noch enthält, daß er ein Mensch ist, der etwas auf sich hält und seine Sache ordentlich machen will. Das ist der wunderbare Zusammenhang, in dem Persönlichkeitsbildung und Arbeits­ weise stehen, wenn man sich auf den Stand­ punkt der kalten Maschine an sich stellt, würde man wünschen, Menschen erziehen zu können, die gar keinen Persönlichkeitstrieb haben, aber eine äußerst entwickelte Exakt­ heit und das zur Ausführung der feinen Arbeiten notwendige persönliche Pflicht­ gefühl. Das ist die Quadratur des Zirkels im Maschinenalter. Das gibt es nicht. Man hat keinen Menschen, der diese Qualitäten erreichen kann, wenn man nicht den Menschen

im ganzen vorher auf eine gewisse höhe des Pflichtgefühls, der Selbstachtung und inneren Unabhängigkeit gehoben hat. Deshalb: In­ dustrie, Gewerbe, handel, die die Menschen immer mehr entpersönlichen und entwür­ digen, sterben in wenigen Generationen ab an der Ruinierung der Menschenkraft, die in ihnen steckt. G§ gibt keinen größeren Raub­ bau als ein großindustrielles Zeitalter, das die Menschen in der vorhin beschriebenen Meise erziehen würde. (Es ist für ein in­ dustrielles Zeitalter in einem aufstrebenden Volk geradezu eine absolute Notwendigkeit, daß neben dem Rufsteigen der Großbetriebe gleichzeitig die Gegenwirkung der Persönlich­ keitsbestrebungen nicht aushört. Und gerade je höher der Großbetrieb wird, desto not­ wendiger ist es, daß diese Gegenwirkung ebenso genau formuliert und den Menschen bewußt innerhalb dieses Großbetriebszeit­ alters auftritt. Um der Industrie selber und um der Menschen willen kann also die Schule mit ihrer (Erziehungsausgabe gar nicht darauf verzichten, Persönlichkeitsbildung nach wie

vor in die Mitte zu setzen. Denn sonst würde sie mithelsen, daß wir alle miteinander unsern industriellen Aufschwung, dessen wir uns freuen, aus die Dauer nicht halten können. Damit meine ich zunächst das Problem, um das es sich handelt, nach seinen ver­ schiedenen Seiten gekennzeichnet zu haben.

Nun ist es wohl leichter, das Problem zu kennzeichnen, als zu sagen, was etwa hier zu geschehen habe, vor allem deshalb, weil in derartigen allgemeinen Entwicklungs­ fragen es niemals einzelne Kurze Ratschläge oder etwas Aehnliches gibt, womit sehr viel gemacht werden könnte, weil man vielmehr in diesen Dingen gezwungen ist, vorhandene Ansätze zu beobachten, und nur die Möglich­ keit hat, sich zu entscheiden, welche Ansätze man mit Bewußtsein fördern will.

Insbesondere wird die Schule sich ja immer selber sagen, daß sie auf die Groß­ betriebsentwicklung selbst einen direkten Einfluß überhaupt nicht hat, daß also alles wovon wir hier sprechen, im Grunde aus dem Gebiet des indirekten Einflusses liegt.

Lehen wir uns das Problem an! Wie kann inmthalb der Großbetriebsgestaltung der Persönlichkeitscharakter und der Per­ sönlichkeitsgeist erhalten werden? Dieses Problem ist geschichtlich am tiefsten durch­ gearbeitet worden innerhalb des ersten und schwersten Großbetriebes, den es über­ haupt gibt, des modernen Staates, von dort aus können wir Verständnis ge­ winnen für die Methode, wie das Problem auch in anderen Großbetriebsformen anzu­ fassen sein dürfte. Der Staat wurde Großbetrieb längst, ehe die Bergwerke und die Schulen Groß­ betrieb wurden. Der Staat wurde es durch die Erfindung der Feuerwaffen, die den politischen Zwergbetrieb ruinierten. Der Staat suchte nun zugleich seine innere Tätig­ keit zu erweitern und wurde absolut, er wurde bureaukratisch, schematisch, eine Be­ amtenverwaltung, in ihrem Wirken den ein­ zelnen Untertanen gegenüber sehr häufig willkürlich, den einen bevorzugend, den an­ deren zurückschiebend. Der Staat wurde die Macht, die sich in die einzelnen menschlichen

Verhältnisse immer tiefer einließ, den Leuten sagend, wann sie nach Hause zu gehen haben, wieviel sie arbeiten, aus welchen Dörfern sie verkaufen dürfen.

Die Staatsverwaltung hatte also die in ihr liegende Tendenz, das menschliche Leben möglichst einheitlich zu systematisieren. Diese staatliche Großbetriebstendenz sand ihre Gegenwirkung in der geschichtlichen Bewe­

gung, die man Liberalismus nennt, das Wort in seiner weitesten Ausdehnung genommen. Dieser Liberalismus läßt sich be­

zeichnen als ein versuch der Persönlichkeit, sich dem Großbetrieb Staat entgegenzu­ werfen. Wenigstens ist das im ganzen älteren Liberalismus der treibende Gedanke gewesen. Wir können von Amerika aus über

Frankreich nach Deutschland hin verfolgen, wie der Liberalismus sich mit seinen Per­

sönlichkeitsideal dem Staat entgegenzustellen

sucht. Wollen wir die hundert und aber­ hundert versuche und Theorien des Liberalis­ mus auf seine Grundform bringen, so ist es diese: Der Liberalismus erkennt

den Großbetrieb Staat als vor­ handen an, versucht aber, diesen Großbetrieb der Leitung aller Beteiligten zu unterstellen. Das ist der Gedanke der Volksvertretung, des Parlaments, der Volkssouveränität, wenn man will, der Republik. Rus Untertanen sollen mitregierende Staatsbürger gemacht werden. Wenn auch das Quantum Mit­ regierung für den einzelnen bei der großen Verteilung der Souveränität, natürlich nur ein kleines sein könnte, so würde doch die persönliche Stellung zum Staat eine andere sein vom Standpunkte des Staatsbürgers aus, als von dem des bloßen Untertanen aus. Wenn aber der Staat auf alle ge­ gründet ist — so argumentiert dieser Libe­ ralismus —, dann wird er das gleiche Recht für alle üben müssen, denn er wird nicht mehr imstande sein, einzelne vor anderen zu bevorzugen, sobald die Souveränität über alle ausgegossen ist. Das ist der erste Gedanke des Liberalis­ mus. Der zweite ist der: W i r e r k e n n e n denGroßbetriebStaatan, müssen

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aber die Grenzen seiner Tätigkeit keit formulieren und müssen die Gebiete abgrenzen, in die der Staat nichts hineinzureden hat, damit das Ungeheuer Großbetrieb, das ein­ mal da ist, nicht die letzten Reste der Per­ sönlichkeit zerstören kann. Vas ist das, was früher die Debatte über Menschen­ rechte genannt wurde. Menschenrechte, im Sprachgebrauch des älteren Liberalismus, sind die Gebiete menschlicher Existenz, in die der Staat nicht hineinzureden hat. Es sind viel weniger positive Rechte als negative; es sind Schutzbestimmungen. Der Staat hat nicht hineinzureden in deine Religion oder Konfession, sondern hat ihr ganz neutral gegenüberzustehen. Vas ist die Mustersormel eines solchen Rechts! Der Staat hat dir nichts hineinzureden, wenn du, ohne gegen die Staatsgesetze zu verstoßen, deiner Meinung Rusdruck gibst. Gedankenfreiheit, Preßfreiheit, Versammlungsfreiheit gehören in das Gebiet der Rechte, die man im Liberalismus dem Großbetrieb zu entziehen suchte.

Nach

dieser Methode

suchte sich der

Liberalismus ein Recht nach dem andern aus den Staatshänden herauszuholen. Das Recht der Freizügigkeit ist genau ein solches

negatives Recht. Der Staat hat nicht zu bestimmen, wo ich zu wohnen habe; das geht den Großbetrieb nichts an. Das Recht der Handelsfreiheit hat denselben Gedanken:

Der Staat hat mir nicht vorzuschreiben, wo, zu welchem Preise, an wen ich verhandeln will,' das ist und bleibt mein eigenes Recht. Man kämpfte früher um das Recht der freien Ruswanderung, weil der Staat geneigt war, dem Menschen unter Umständen zu sagen:

Mir brauchen Leute, Du darfst deshalb nicht hinaus. Wir betrachten diese Dinge nicht unter dem politischen Gesichtspunkte, wieviel wert jedes einzelne ist, sondern um die Methode zu erkennen, mit der die Persönlichkeit gegen

den Staat gekämpft hat. Nun ist die Gegenwirkung der Per­ sönlichkeit gegen den Staat längst nicht an ihrem Ziele angekommen, sondern wir wissen, daß wir noch mitten in diesem Kampfe stehen,

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3

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und daß es in dem Kampfe auch rückläufige Bewegungen gibt, daß der Staat in den letzten Jahrzehnten in äußerst hohem Maße

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Großbetrieb in erweiterter Form geworden

ist. Ivelche Arbeitskräfte und welche Be­ amtenschaft hat der moderne Verkehrsstaat in der Hand! Welche finanziellen Kräfte hat er als Zollstaat sich verschafft! Wie ist dieser Großbetrieb Staat selbst in der Kurzen Zeit, die wir erleben und beobachten konnten, gewachsen! Wir haben in dieser Zeit ge­ sehen, daß die Gegenwirkung des Persön­ lichkeitsgedankens wohl vorhanden war, daß sie aber nur zeitweise kräftig war, so daß man ebenso von Niederlagen wie von Siegen gehört hat. Wollen wir vom Staat aus auf andere Großbetriebe übergehen, so müssen wir sagen, die Methode, mit der die Persönlichkeit die andern Großbetriebe bearbeitet, wird im Grunde eine ähnliche sein müssen. Unser Mangel an Liberalismus hängt heute teil­ weise damit zusammen, daß man die libe­ ralen Forderungen dem Staate allein gegen­ über geltend macht und noch nicht versucht, sie __________________________________________ J

den andern Großbetriebsformen gegenüber ins Bewußtsein und später in die Wirksam­ keit zu übersetzen. Wir behandeln im Augen­ blick den Liberalismus als partielle Er­ scheinung im politischen Gebiet, während er bei dem wachsen der Großbetriebsneigung überhaupt sich zur allgemeinen Erscheinung innerhalb des Großbetriebswesens aus­ arbeiten muß und wird. Ich deute nur an, daß gegenüber dem Großbetrieb genau die zwei Wege offen stehen, die ich vorher genannt habe: nämlich den Großbetrieb mehr auf die Basis aller mitarbeitenden Kräfte zu stellen und ein­ schränkende Bestimmungen zu treffen, bis zu welchem Grade die einzelne Persönlichkeit auch in ihren persönlichen privaten und sonstigen Verhältnissen und Arbeiten vom Großbetrieb abhängig ist. So muß es möglich sein, der Persönlichkeit auch im modernen Leben ein Stück Mitverantwortung für den Gang der Dinge zu geben, während das, was wir jetzt erleben, eine beständige Vermin­ derung des allgemeinen Verantwortungs­ gefühls ist, so daß die einzelnen seufzend

unb mit Recht sagen: Ich muß die Dinge gehen lassen und kann nichts dagegen tun. Man muß den Gedanken, der Groß­ betrieb bedarf des Unterbaues einer Mit­ tätigkeit aller Beteiligten, zunächst als prin­ zipiellen Gedanken fassen. Die prinzipiell weitgehendste Formulierung ist ja die im sozialdemokratischen Programm enthaltene: Vergesellschaftung der Produktionsmittel überhaupt. Vie Geschichte pflegt in der Wirklichkeit nicht mit den radikalsten Formen anzufangen und pflegt sie auch nie­ mals zu erreichen; weil dann andere Gegen­ wirkungen wieder eintreten. Über in der Richtung, daß Betriebe, die Tausende, unter Umständen Zehntausende von Menschen be­ schäftigen, nicht mehr behandelt werden sollen, wie einst Handwerksbetriebe behandelt wurden, wo einer unter dreien der König gewesen ist, liegt der Unterschied der alten von der neuen Ruffassung in dieser Frage. Wenn im alten väterlichen Kleinbetrieb eine Rrt monarchischen Prinzips vorhanden war, so bedeutete dieses Prinzip deshalb nicht so übermäßig viel, weil Seine Majestät die

Schürze auch mit um hatte und zugriff. Wenn aber die Betriebe groß werden, rückt Leitung und Unterordnung himmelweit auseinander, und es ist reiner Schematismus, wenn man

diese modernen großen Formen einfach nach dem Schema vom alten Handwerk weiter beurteilt.

(Es ist notwendig, diesen Massenmenschen ein Personalinteresse für den Großbetrieb, in dem sie stehen, zu geben. Db das nun auf dem Wege der Urbeitervertretung im Einzelbetriebe und der Branche oder der

Beamtenvertretung in einzelnen Betrieben oder der Branche geht, das sind technische Fragen.

Für die Schule ist nur das Prinzip selbst wichtig: Wir müssen Menschen haben,

die

den

Gedanken,

wir

wünschen an unserer Urbeit per­ sönlich verantwortlich sein, auch im Großbetriebszeitalter nicht aufgeben, sondern mit Energie

fassen. Und nach der andern Seite: Wir brauchen Ubgrenzungen im Groß­ betrieb, damit er nicht übergreift

unb

persönlichkeittötend wirkt.

Vie Persönlichkeitstötung kann schon ganz allein in einer übermäßigen Arbeitszeit liegen; denn sie ist bereits geeignet, Menschen zu entpersönlichen. Vie Entpersönlichung kann auch darin liegen, daß man Kinder, ehe sie reis geworden sind, in erwerbende unkindliche Arbeiten hineindrängt, und ihnen damit die Möglichkeit der Personalentwick­ lung von vornherein abschneidet. Gerade in den letzten Iahren ist ja darüber ver­

handelt worden.

Der Persönlichkeit dient es, wenn der, der im Großbetriebe steht, imstande ist, sich mit den Genossen, den Kollegen über die Berussverhältnisse zu verständigen, denn erst aus der Gemeinsamkeit kann bei Lage der Dinge der Persönlichkeitsschutz innerhalb des

Großbetriebes überhaupt hervorgehen. Und

wenn, wie teilweise noch geschieht, dieses Recht des Zusammenschlusses genommen wird, was bleibt dann überhaupt noch möglich? Vas Recht der Petitionen! Aber selbst das wird unter Umständen bereits als Ueberfchreitung jener feinen Grenze angesehen,

innerhalb deren sich die einzelnen Subjekte in dem Großbetrieb zu halten haben. (Es wird notwendig sein, daß das nächste Jahrhundert sich mit dem Problem be­ schäftigt, den Großbetrieb aus die Basis der Allgemeinheit seiner Arbeitskräfte zu stellen und ihn mit Schutzmaßregeln zu umgeben, damit er nicht persönlichkeitvernichtend wird. Die Schule steht diesen Dingen gegen­ über mit etwas gebundenen Händen da. Sie ist nicht imstande, die Gesetze gegenüber den Großbetrieben zu beeinflussen. Sie ist nur imstande, die Menschenkinder zwischen sechs und vierzehn Jahren in ihre Hände zu nehmen, und zwar in einem Alter, ehe die Hineinstellung in die Großbetriebe das Auge für die Betriebe selbst geschärft hat. Was die Schule hier tun kann, ist also aus diesem Gebiet wie auf vielen anderen nur etwas Propädeutisches: die Gesinnung und den Der st and bilden für die eben gezeichnete Problemauf = sassung, d. h. aber, daß von der Schule verlangt wird, sie stelle das Per­ sönlichkeitsproblem so scharf wie möglich in

Ne Mitte ihrer Tätigkeit, selbstverständlich

nicht als Lehrfach für sich, sondern in all

den Fällen, wo es sich um den Kampf des Einzelsubjekts gegenüber der Uebermacht handelt. Davon ist ebenso der Religionswie der Geschichtsunterricht und anderes voll. Vas Personalprinzip zu formulieren als ein Prinzip des Rechts, das erkannt werden

muß und für das man Kämpfen muß, er­ scheint mir notwendig um der Selbsterhaltung jenes alten Gedankens willen, aus dem die Schule heraus geboren ist: die Volks­ schule als Pflegerin des Ichs in

der Masse. Da stehen wir noch einmal und zwar zum letzten Male, nachdem wir über Staat und Großbetrieb gegangen sind, vor der Schule und fragen:lviestehtdieSchulversassung selbst in ihrem Be = triebe dieser Rufgabe der Persön­

lichkeitserziehunggegenüber? Cs ist wohl sicher, daß eine Anstalt, die zur Persönlichkeit erziehen will, auch selbst unter diesem Gesichtspunkte ihren eigenen Groß­ betrieb, der sich selbst in seiner Methode den

anderen Großbetrieben gleichstellt, eine Gegenwirkung gegen die schädlichen Folgen der andern Großbetriebe aus sich heraus entwickeln kann. Deshalb meine ich, daß die Betriebsverfassung der Schule in einem recht engen Zusammenhang stehen muß mit der wichtigen Frage der Ausbildung des per­ sönlichkeitsrechtes in der Masse des Volkes. Diese Rechtsfrage kann als doppelte Frage gefaßt werden, da bei der Schule auch das Rohmaterial, das bearbeitet wird, persönlichkeitsrechte hat. (Es ist ja der Kom­ plizierteste Tharakter der Schule, daß es eben lebendige Menschen sind, die hier den Gegenstand der Tätigkeit bilden, so daß man vom Persönlichkeitsrecht des Rindes in der Klaffe und vom persön­ lichkeitsrecht der Lehrkraft inner­ halb des Lehrkörpers reden muß, wenn man die Schule durchleuchtet denken will vom Persönlichkeitsprinzip an sich. Ihnen, die Sie im Schulbetrieb stehen, genügen vermutlich allein diese Worte, um zu sagen, wie schwierig es ist, auch nur auf einem einzelnen Großbetriebsgebiete dem

Persönlichkeitsgedanken wirklich zu seinem Rechte zu verhelfen. Ruch dem, der nicht im Schulapparat steht, ist doch das an sich klar: die moderne Großform, die geräumigen Schulhäuser, die Masse der Rinder, das große Wachstum von Lehrer­ kollegien mit wechselnden Einzelpersonen, fördert schon an sich eine mon­ archische, bureaukratische Form auch in der Schule. Dieser Trieb ist nicht dadurch zu be­ seitigen, daß er einfach kritisiert wird, denn er liegt in der Natur der Dinge selbst. Er wird täglich neu geboren, und kein wechsel einzelner Personen ändert grundsätzlich etwas an diesem Schwergewicht des Großbetriebes, der auf einheitliche, zentralisierte Formen hindrängt. Dieser Wucht gegenüber steht nun der einzelne Lehrer da in seiner Einzel­ erscheinung, als Einzelperson. (Er weiß und man weiß von ihm, daß er im Grunde auf die Dauer seines Lebens so viel wert sein wird, als er persönlichkeitswert in sich zu erhalten versteht, denn so viel kann er weiter geben an die Rinder,

die von ihm erzogen werden sollen. Venn es kommt nicht aus die von ihm gesprochenen lvorte allein an, sondern aus den Eindruck der in sich befestigten, über den Naturmechanismus hinaus gehobenen Person an sich. Wie ist es möglich, diesenpersönlichkeitseindruck des Lehrers in mitten der jetzigen Großbe­ triebezustärken, ich möchte säst sagen, ihn nicht sinken zu lassen. Sollten nicht hier dieselben zwei Methoden, die vor­ hin als die Methoden des Liberalismus be­ schrieben wurden, am Platze sein? Der alte Gegensatz zwischen einer mehr kollegialen und einer mehr monarchischen Leitung des Schulkörpers muß vom Gesichtspunkte der Persönlichkeit aus dahin beantwortet werden, daß, so weit es möglich ist, jener parlamentarisch-kollegialische Tharakter der Tätig­ keit gestärkt, und daß die Stärkung dieses Charakters nicht auf die Dauer abhängig gemacht werde von dem Wechsel der ein­ zelnen leitenden Persönlichkeiten, sondern daß — wie man im Staatsleben möglichst

formulieren mußte, was einer derartigen Vehandlungsweise zugänglich ist — auch die Formulierung dessen was der gemeinsamen Tätigkeiten obliegen soll, fest ins stuge ge­ faßt werde. (vielleicht ist für die hier vertretenen Schulen das schon alles überflüssig, aber ich weiß von genug anderen Schulen, für die es nicht überflüssig ist.) Gegenüber der Menge von Ordnungen und Regeln, die der Großbetrieb mit sich bringt, braucht die einzelne Persönlichkeit gewisse formulierte Schutzrechte darüber, was sie sich gestatten darf und was sie sich nicht gestatten darf, damit sie nicht einer gewissen Empfindung anheimfällt, als könnte sie will­ kürlich behandelt werden. (Es wäre also ge­ nauer zu formulieren, welche Punkte durch Vorschriften geregelt werden müssen, und welche der Initiative des einzelnen über­ lassen werden dürfen. Sobald man beginnt, auf diesem Gebiet theoretisch klar zu machen, welche Punkte in Wirklichkeit dem einzelnen zu überlassen sind, wird auch die theoretische Erörterung sich als praktisch nützlich erweisen.

Der Großbetrieb — ich rede jetzt nicht nur von der Schule, sondern etwa von einem Textilbetriebe — hat bisweilen die Neigung, den Leuten auch zu sagen, welche Blätter sie lesen dürfen, welche Wirtschaften sie be­ suchen, zu welchem verein sie sich halten sollen und zu welcher Partei sie schwören dürfen. Sie werden mit mir der Ansicht sein, daß das Uebergrisse sind, die dieser Textilbetrieb sich leistet, daß das persönlich­ keit-vernichtend ist. Deshalb muß positiv fixiert werden: das und das sollt ihr tun, und das und das sind Gebiete, da hat die Direktion nichts dreinzureden! Erst dann wird unter den Arbeitern der Textilbetriebe eine gewisse Selbstachtung ihrer eigenen Persönlichkeit erhalten bleiben, während unter wechselnden Verhältnissen menschliche Schwäche und andere Umstände dazu führen, den eigenen persönlichkeitswert weiter herab­ zusetzen, als bei formulierten Verhältnissen absolut notwendig ist. (Es mag das schulmäßig aussehen, solche Dinge auf Formeln zurücksühren zu wollen. Nlan wird auch sagen, das gehe nicht an.

Wir wissen aber, daß die ganze Geschichte

des Kampfes gegen die Staatsbureaukratie darin beruht hat, solche Dinge, die man früher für unformulierbar erklärt hat, im Saufe von Jahrzehnten mit gemeinsamer Mühe in die Sphäre der Formulierbarkeit hineinzuziehen. Schwieriger und vielleicht weniger un­ mittelbar nötig ist die Frage bei den Schülern, die erzogen werden sollen, vor allem bei denen, die im wachsenden Alter stehen, während meiner Gymnasialzeit auf der sächsischen Fürstenschule in Meißen habe ich

den Segen einer formulierten Selbstver­ fassung der oberen Schüler kennen gelernt und halte für mein ganzes Leben sehr viel davon, daß ich in jungen Jahren durch die Schule dieser fixierten Selbstverfassung inner­ halb der Anstalt hindurchgegangen bin. Darum frage ich mich, ob bei den Semi­ naren, auf denen die Lehrer erzogen wer­

den, eine entsprechende Selbst verfassungsform nicht zur Stärkung des Persönlichkeitsgei st es in seiner schürfen und präzisen Kus-

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