Die Erforschung der indogermanischen Sprachen: Band 1 Griechisch, Italisch, Vulgärlatein, Keltisch [Reprint 2019 ed.] 9783111627557, 9783111249346


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German Pages 320 Year 1916

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Erläuterungsbedürftige Abkürzungen
Erstes Buch. Die westindogermanischen Sprachen
Erstes Kapitel. Die griechische Sprache
Zweites Kapitel
I. Die italischen Sprachen
II. Vulgärlatein
Drittes Kapitel Die keltischen Sprachen
Gelehrtenverzeichnis
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Die Erforschung der indogermanischen Sprachen: Band 1 Griechisch, Italisch, Vulgärlatein, Keltisch [Reprint 2019 ed.]
 9783111627557, 9783111249346

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Die Geschichte der indogermanischen Sprachwissenschaft gliedert sich in folgende Abteiinngen, von denen jeder Band einzeln käuflich ist:

I. Die allgemeine indogermanische Sprachwissenschaft von Wilhelm Streitberg.

ca. Jt 8.—, Subskriptionspreis ca. M 7.25.

II. Die Erforschung der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Die g r i e c h i s c h e S p r a c h e von A. Thumb. — Die i t a l i s c h e n S p r a c h e n von A. Walde. — V u l g ä r l a t e i n von K. v. Ettmayer. — Die k e l t i s c h e n S p r a c h e n von R. Thurneysen. ca. Ui 10.—, Subskriptionspreis ca. JL 9.—. Bd. 2. G e r m a n i s c h von Wilhelm Streitberg. ca. M> 7.—, Subskriptionspreis ca. JU> 6.25. Bd. 3. Slavisch - L i t a u i s c h von A. Brückner. — A l b a n i s c h von N. Johl. ca. Jt 5.—, Subskriptionspreis Jt 4.50. Bd. 4. A r m e n i s c h von J. Karst. — I r a n i s c h von R. Reiehelt. — Indisch von E. Kieekers. ca. Uf 7.—, Subskriptionspreis ca. J i 6.25.

Grundriss der

indogermanischen Sprach- und Altertumskunde begründet von

Karl Brugmann und Albert Thumb herausgegeben von

Karl Brugmann und Christian Bartholomae.

1

Straßburg Verlag von Karl J. Trübner 1916.

Geschichte der indogermanischen Sprachwissenschaft seit ihrer Begründung durch Franz Bopp herausgegeben von

Wilhelm Streitberg.

II

Die Erforschung der indogermanischen Sprachen unter Mitwirkung von

A. Brückner, K. v. Ettmayer, N. Jokl, J. Karst, E. Kieckers, H. Reichelt, A. Thumb, R. Thurneysen, A. Walde herausgegeben von

Wilhelm Streitberg. I.

Griechisch, Italisch, Vulgärlatein, Keltisch.

Straßburg Verlag von Karl J. Trübner 1916.

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

Schatzformel für die Vereinigten Staaten von Amerika: Copyright 1916 by Karl J. Trübner, Straßburg.

Druck von M. DuMont Schauberg, StraGburg.

Vorwort. Hundert Jahre sind es her, daß ßopps Konjugationssystem der Sanskritsprache erschienen ist. Die Erstlingsschrift des Vierundzwanzigjährigen hat die indogermanische Sprachwissenschaft begründet. Da mag es sich geziemen, dankbaren Sinnes auf den Weg zurückzublicken, den die Forschung eines Jahrhunderts durchmessen hat. Dieser Aufgabe will unsere geschichtliche Darstellung dienen; ein allgemeiner Teil soll über die Entwicklung der indogermanischen Sprachwissenschaft berichten, ein besonderer Teil schildert die Erforschung der Einzelsprachen. Der Weltkrieg hat der Verwirklichung des Planes manche Hemmung bereitet, manche Verschiebung in der Verteilung der Arbeit nötig gemacht. Diesen Schwierigkeiten ist es zuzuschreiben, wenn der besondere Teil vor dem allgemeinen erscheint, da dessen ursprünglicher Entwurf in letzter Stunde völlig umgestaltet werden mußte. Auch der Schatten des Todes fällt auf diese Blätter. Mein Freund Albert Thumb durfte die Veröffentlichung seines Beitrags nicht mehr erleben: die Geschichte der griechischen Sprachforschung ist zu seinem Vermächtnis geworden. Thumbs Schüler und Freund Dr. Kieckers hat sich der verwaisten Arbeit tatkräftig angenommen; er hat die Lücken ausgefüllt, notwendige Ergänzungen eingefügt, den Druck überwacht. — Möge unser Werk ein getreues Bild von dem Entwicklungsgang der indogermanischen Sprachwissenschaft geben und möge der Rückblick auf das Erreichte zum Ansporn werden, vorwärts zu schauen, neuen Zielen entgegen. Denn die Vergangenheit wirkt als lebendige Kraft in Gegenwart und Zukunft Auch von den Streitern der Wissenschaft gilt, was der griechische Dichter von den Kämpfern fürs Vaterland singt, was heute in tausend und tausend Herzen widerhallt: oiibfe Ttövctci öavovrec.

M ü n c h e n , den 17. April 1916.

Wilhelm Streitberg.

Inhalt. Seite

Die griechische Sprache von A. T h u m b Die italischen Sprachen von A. W a l d e Vulgärlatein von K. v. E t t m a y e r Die keltischen Sprachen von R. T h u r n e y s e n Gelehrtenverzeichnis von H. H a r t m a n n

1 127 231 281 307

Erläuterungsbedürftige Abkürzungen. A(m.)JPh. A(f)LL.

=

Arch. f. Pap. A(rch). Gl(ott.) BB.

= =

BSL. CIL. CI. Ph. CI. Rev. DLZ. Diss. USW. Fil. 66A. G8tt. Nachr.

=

=



= —

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Gr. Gr.

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IF. [Anz.]

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Idg. Jb. J(ahrb)b. f. cl. Ph. JfPh. Jen. Lit. Z. KrJfrPh.

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KZ.

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Mèi. ling. MSL. M. USW.

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Mschft. usto. MU.

=

N . J . f . c l . A.

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=

=

The American Journal of Philology. Baltimore. Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik. Leipzig. Archiv für Papyrusforschung. Leipzig und Berlin. Archivio glottologico italiano. Torino. Bezzenbergers Beiträge zur Kunde der indogermanischen Sprachen. Göttingen. Bulletin de la société de linguistique. Paris. Corpus inscriptionum Latinarum. Berlin. Classical Philology. The Classical Review. London und Boston. Deutsche Literatur-Zeitung. Berlin. Dissertation usw. Filologia. Turin. Göttingische gelehrte Anzeigen. Göttingen. Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Göttingen. Gröbers Grundriß der romanischen Philologie. Straß» bürg. Indogermanische Forschungen bezw. Anzeiger dazu. Straßburg. Indogermanisches Jahrbuch. Straßburg. Jahrbücher für klassische Philologie. Leipzig. Jahrbücher für Philologie und Pädagogik. Leipzig. Jenaer Literatur-Zeitung. Jena. Kritischer Jahresbericht über die Fortschritte der romanischen Philologie. Erlangen. Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung. Berlin und Göttingen. Mélanges linguistiques. Mémoires de la société de linguistique. Paris. Mitteilungen usw. Monatsschrift usw. Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen (herausg. v. Osthoff und Brugmann). Leipzig. Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik, Leipzig.

VIII

Erläuterungsbedttrftige Abkürzungen.

Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik. Leipzig. Neuphilologische Mitteilungen. Helsingfors. Orient und Occident. Göttingen. = Paul-Braunes Beiträge zur Geschichte der deutschen = Sprache und Literatur. Halle. Philologus. Leipzig. Phil(ol). = Revue des langues Romanes. Montpellier und Paris. Rev. d. 1. rom. = Rheinisches Museum für Philologie. Frankfurt a. M. Rhein. Mus. = Rivista di filologia Romanza. Imola und Rom. RivdfR. = La Rivista Europea. Florenz. Riv. Europ. Romanische Forschungen. Erlangen. RF. = KrJfrPh. Rom. Jb. = Romanische Studien. Strafiburg. R. St. = Sitzungsberichte z.B. der Wiener Akademie der WissenSB. [zB.J W. A. = schaften. T(rans). A(m). Ph. A. = Transactions of the American Philological Association. Hartford. Wochenschrift für klassische Philologie. Berlin. WfklPh. = = Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen GesellZDMG. schaft. Leipzig. Zeitschrift für Altertumswissenschaft. Gießen usw. ZfAltw. = Zeitschrift für neufranzösische Sprache und Literatur. ZffrSpuL. = Berlin. Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien. ZföG. =

NJfPh. Nph. Mitt. Or. u. Occ. PBB.

=

=

Erstes Buch.

Die westindogermanischen Sprachen.

Geschichte der idg. Sprachwissenschaft II.

1

Erstes Kapitel.

Die griechische Sprache. Von

Albert Thumb. Die Tätigkeit der klassischen Philologie. Die erste gedruckte griechische Grammatik, die Grammatica graeca (Mailand 1476), hat einen Byzantiner zum Verfasser, Konstantinos L a s k a r i s , und ist einer der letzten Ausläufer der gelehrten Tätigkeit der Byzantiner, die in einer fast tausendjährigen Tradition das Erbe der Alten bewahrten. Denn die grammatische Tätigkeit der Byzantiner ist der Niederschlag der antiken Grammatik, die mit den Sophisten, Aristoteles und der Stoa damit begann, daß sie aus der Sprache die verschiedenen Redeteile abstrahierte, um die Grundlage der formalen Logik zu gewinnen, und die seit den großen Alexandrinern philologisch orientiert wurde, indem sie den Sprachgebrauch der Schriftsteller feststellte. Denn so definiert Dionysios Thrax die Aufgabe der Grammatik: RPA(i|ictTiKr| ecrxiv ¿|iTretpia TOIV rrapot TTOUITCUS TE Kai (Turrpaqpeötriv eni TÖ TroXü Xefojievujv. J) Was die Griechen in der Analyse und Kodifizierung ihrer Sprache geleistet haben, zeigt zwar nicht die analytische Schärfe der indischen Grammatiker, ist aber doch die Grundlage geworden, auf der die griechische Grammatik bis ins 19. Jahrhundert beruhte: steht doch unsere ganze Terminologie der Grammatik, nicht nur die des Griechischen, sondern selbst die der neueren Sprachen, noch in weitestem Umfang unter dem Einfluß der Termini, die von den Griechen geschaffen sind. Und so können wir die Tätigkeit der Philologen von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert, ja in gewisser Beziehung bis in die un') Über die Geschichte dieser Definition vgl. Steinthal, Gesch. d. Sprachwiss. bei den Griechen und Römern * 2 (1891), 162 ff. 1*

4

A. T h u m b , Die griechische Sprache.

mittelbare Gegenwart als die Fortsetzung der antiken Grammatikertätigkeit betrachten. Der Streit der Analogisten und Anomalisten spiegelt sich noch in den "Regeln' und 'Ausnahmen' der traditionellen Grammatik, und für die Erklärung der sprachlichen Tatsachen schufen die antiken Grammatiker Ausdrücke wie Ellipse, Pleonasmus, Prosthese, Synkope usw., die in der deskriptiven Grammatik noch am Ende des 19. Jahrhunderts zu finden sind. Für das historische und kausale Verständnis der griechischen Sprache kommen heute weder die alten Grammatiker noch die Philologen seit der Renaissance in Betracht; aber in der Beschaffung und Sichtung des Materials haben die vergangenen Jahrhunderte Bedeutendes geleistet, und Werke wie der Thesaurus linguae graecae von Henricus S t e p h a n u s (1572) oder D u c a n g e s Glossarium ad scriptores mediae et infimae graecitatis (1688) sind auch heute noch nicht ersetzt, geschweige denn überboten. Die Erklärung sprachlicher Erscheinungen wird seit dem 17. Jahrhundert durch die 'allgemeine Grammatik* rationalistisch versucht oder ist ein willkürliches Spiel der Phantasie. Wie frei diese schalten durfte, zeigt die griechische Sprachforschung, die von H e m s t e r h u i s und V a l c k e n a e r zu L e n n e p und S c h e i d (Etymologicum linguae graecae 1790) führt: aus den Grundverben auj, 2ai, öui, IUU, UUJ entwickelt sie die ganze griechische Sprache und gründet darauf ihre Etymologien (z. B. uiog von UUJ 'humore foecundo pluo'); mit Recht spricht B e n f e y (Gesch. d. Sprachwiss. S. 257) von einem "methodisch entwickelten Unsinn, wie ihn selbst das Gebiet der Etymologie, welches doch an traurigen Erfahrungen der Art reicher ist als irgend ein anderer Zweig der Wissenschaft, noch nicht erblickt hatte". Freilich fehlte es auch für diesen Unsinn nicht an Gläubigen, doch soll nicht verschwiegen werden, daß ein Philologe wie G. B e r n h a r d y , der noch keine Fühlung mit der neu aufkommenden Sprachwissenschaft hatte, solche Phantasien als 'Mißgriff' bezeichnete. 1 ) Denn die Philologie wurde um die Wende des 18./19. Jahrhunderts auf eine positive Basis gestellt; die Grammatik hat zwar nach dem genannten Bernhardy die Sprache als Organismus (in der Formenlehre) und den 'Geist der Idiome* (in der Syntax) darzustellen, aber "die philologische ') S. den Abschnitt 'Grammatik' in den Grundlinien zur Enzyklopädie der Philologie (Halle 1832) S. 165—262.

Die Tätigkeit der klassischen Philologie.

5

Grammatik beschäftigt sich mit dem Sprachstoff, welchen der Wechsel so vieler Perioden gestaltet und umgebildet hat". Diese empirische Vertiefung verbindet sich in Gottfried Hermann mit jener philosophischen Betrachtungsweise, die die 'allgemeine Grammatik' der Zeit durchweht. G. Hermann lehnt schon in dem ersten Werk, das seinen Ruf als Grammatiker begründete, in der Schrift De emendanda ratione graecae grammaticae (1801) die Phantastereien eines Lennep und Scheid ab und verhält sich überhaupt kritisch zu seinen Vorgängern, indem er die übliche Betrachtungsweise sprachlicher Erscheinungen einer Prüfung unterzieht; darum gilt ihm auch wenig die Autorität der antiken Grammatiker in der Erklärung sprachlicher Tatsachen — er ist gegenüber den antiken Grammatikern kritischer als der spätere Lobeck. Aber obwohl Hermann Bopps Wirken erlebt hat und es lange Jahre hindurch hätte verfolgen können, macht er doch von der neuen Erkenntnisquelle nicht den mindesten Gebrauch. Um dem Wesen der griechischen Sprache beizukommen, bedient er sich der philosophischen Grammatik: denn die Sprache ist "quasi imago quaedam humani sermonis"; die Grammatik hat die Beziehungen zwischen den Denkbegriffen und den sprachlichen Ausdrucksformen aufzudecken. Seine Betrachtungsweise steht der üblichen rationalen Grammatik nahe; nur bekennt er sich zu Kant, dessen Kategorien er in der Sprache sucht, indem er z. B. das grammatische Geschlecht aus der Kategorie der Qualität, die Kasus aus den Kategorien der substantia (Gen.), accidentia (Akk.), causa (Abi.) und des effectus (Dativ) herleitet. Natürlich kann es nicht weniger und nicht mehr als 6 Kasus geben. Hier rächt sich besonders deutlich die Selbstgenügsamkeit des klassischen Philologen ; denn "die Sprachbildner waren augenscheinlich keine Kantianer", bemerkte mit berechtigtem Spott schon der Philologe A. Boeckh.1) Dauernder ist das, was Hermann für die Aufhellung einzelner Erscheinungen der griechischen Sprache geleistet hat. So hat er z. B. erkannt, daß das F einst allen Dialekten angehört hat, daß eine Schreibung wie Znupva zwar gegen eine Aussprache des Z als b statt T, b, 0, in welchem Dialekt sie auch erscheinen (z. B. bei Homer Triffupeg), aus dem achäischen Dialektgebiet stammen. "Die Auffassung (sagt Bechtel) setzt eine viel stärkere Beeinflussung der griechischen Dialekte unter einander voraus, als man bisher angenommen hat." Aber ob wir nun z. B. ßtoq W. gvf- lat. vivos und öqng aus oßvhi- lat. anguis in diesem Sinn erklären dürfen, ist doch sehr fraglich. Anderseits wird man sich schwer zur Annahme entschließen, die in den äolischen Dialekten regelwidrig vorkommenden Dentale (TE, T Í ? , TI(IFIÍ, ábeX ?) nicht völlig erschöpft ist, zeigen einige vereinzelte mundartliche Formen (kypr. 5 KÖTCPO?, äol. ÖKOFFTROS, ÖKCH, thess. KI? und -KI(?) in TToXXdia(q). Von den in neuerer Zeit gegebenen Erklärungsversuchen, über die Brugmann-Thumb 137 f. zu vergleichen ist, läßt sich am ehesten der von Solmsen und W. Schulze hören, daß auch diese Entlabialisierung des qv, wie die in XÜKO? U. dgl., bedingt sei durch ein vorausgehendes ou, das in ou KIQ, ou XUIQ usw. mit dem Indefinitstamm zu einer Worteinheit zusammengetreten ist; mißlich aber bleibt es, daß man zu iroXXdKig nur über eine vorausgesetzte Form des Neutr. PI. *noXü -j- KI gelangen kann. So bleibt also noch manches in der griechischen Vertretung der idg. ¿-Laute unerklärt. Durch eine Sammlung des ganzen in Betracht kommenden Materials, das um einige etymologischeVermutungen bereichert ist, hat Mansion in seinem Buch Les gutturales grecques (Gent 1904) deutlich gezeigt, was alles noch problematisch ist. In der Frage der Entlabialiserung ist freilich

5i

A. T h u m b , Die griechische Sprache.

Mansion über seine Vorgänger nicht hinausgekommen, und auch anderer Probleme (wie pioç, otpiç) ist er nicht Herr geworden. Auch in Fragen, die Veränderungen der Artikulationsart der Verschlußlaute betreffen, hat sich unter dem Einfluß der neuen Methode der Ausgangspunkt vom Griechischen nach rückwärts verschoben. Es geht heute nicht mehr an, etwa in 7rrprvu|nt gegenüber lat. päc- (paciscor) eine griechische Erweichung, in à-cTT€|n)ei(X€v, kork. AFeivia^ zu vergleichen ist (der Urtext hatte wohl OEOAEZ, wobei die Geminata — einem alten Inschriftenbrauch entsprechend — einfach geschrieben war); H 434, Q 789 steht tYpeto Xaöq Äxaiüüv, ein vernünftiger Sinn wird hergestellt, wenn man fnpeio (zu crftipw) einsetzt. Gegen Wackernagel wandte sich sehr lebhaft Wilamowitz in einem besonderen Kapitel seiner Homerischen Untersuchungen (1884, S. 286 ff.) und dann wieder in der Einleitung in die griech. Tragödie (1907 = Herakles 1, 1889, S. 125), indem er ebenso wie Arthur Ludwich (Aristarchs homerische Textkritik 2, 1885, S. 45) die Tätigkeit der laeiaYpaiydnevoi leugnete. Jüngst ist die homerische Umschriftsfrage in größerem Zusammenhang von E. Herzog in seinem Buche Die Umschrift der älteren griechischen Literatur in das ionische Alphabet (Leipzig 1912) behandelt worden. Der Wert des Werkes besteht darin, daß Herzog aus der Überlieferung anderer Autoren, besonders aus Hesiod, den homerischen Hymnen, Theognis, Alkman, Sappho, Alkaios, Pindar, Bacchylides und Aeschylus, in übersichtlicher Weise Stellen zusammenstellt, deren Verderbnis durch die Umschriftstheorie aufgeklärt wird. Dadurch wird den Anhängern dieser Annahme eine neue Waffe gegen die Gegner derselben geliefert. Eine gute Orientierung über die ganze Frage bietet das weiter unten zitierte Werk von Cauer. Die Umschriftsfrage führte nun weiter zum Problem der epischen Zerdehnung (öou für öo = ou, wonach = HS entstand). Besondere Schwierigkeiten machten und machen noch die Yerba contracta auf -au). Wackernagel sieht in seinem oben genannten Aufsatze in der Zerdehnung nur ein textgeschichtliches Problem, indem er annimmt, daß die altattischen Schreiber die unkontrahierten Formen, ohne sich um das Versmaß zu kümmern, durch die ihnen geläufigen kontrahierten ersetzt hätten und daß letztere hernach wegen des Metrums 'zerdehnt' worden seien, daß also z. B. öpaetföcti durch 6päo; aber andere Gemeinsamkeiten, wie die Form auf t als lebendiger Gen. Sing, der 2. Deklination, oder die Assimilation z. B. von *penqve zu kelt. und ital. *qvenqve (lat. quinque, ir. coic), oder die reiche Ausbildung des rPassivs und -Deponens, die trotz der aus dem Tocharischen ans Licht gekommenen dritten Personen auf -tr und -ntr nichts von ihrer Eigenart verliert, sind zu auffällig, um einen Zweifel an näherer Zugehörigkeit berechtigt erscheinen zu lassen. Meinen persönlichen Eindruck, daß das Lateinische speziell mit dem Irischen, das OskoUmbrische mit dem britannischen Keltisch näher zusammengehört, darf ich nicht urgieren, solang er nicht ausführlicher begründet ist. Wohl aber darf es als die vorherrschende Richtung unserer heutigen Vorstellungen von der Vorgeschichte der Italiker bezeichnet werden, daß im Lande nördlich der Alpen eine Reihe von Stämmen, aus denen sich später die nachmaligen Latiner und Osko-Umbrer sowie die beiden Gruppen der Kelten (und wohl auch andere Völker, wie etwa die Veneter?) entwickelten, in enger Berührung untereinander und z. T. auch mit den nachmals germanischen Stämmen lange Zeit eine unbeschadet aller dialek-

Die übrigen Sprachen Italiens.

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tischen Vielheit parallele sprachliche Entwicklung durchmachten. Diesem freilich noch recht nebelhaften Bilde wird erst die Zukunft, wenn sie es überhaupt bestätigt, schärfere Linien und hellere Lichter einzufügen haben. Ob dabei neben der vorgeschichtlichen Altertumskunde auch religions- und rechtsgeschichtliche Gesichtspunkte sich als fruchtbar erweisen werden, läßt sich heute noch kaum beurteilen.

Geschichte der idg. Sprachwissenschaft II.

10

146

A. W a l d e , Italische Sprachen.

Aussprache des Lateins. Die Einzeldarstellung der in der grammatischen Erforschung des Italischen erzielten Fortschritte möge ein Blick auf die Bestrebungen eröffnen, die auf eine möglichst genaue Bestimmung der r i c h t i g e n A u s s p r a c h e des L a t e i n s abzielten und die durch sorgfältige Beobachtungen über die Entwicklung der lateinischen O r t h o g r a p h i e wesentliche Unterstützung erfuhren. Die junge Sprachwissenschaft hatte sich im ersten Siegeslaufe ohne größeren Schaden über die Frage hinwegsetzen dürfen, welche feinern Lautabschattungen durch das überlieferte Schriftbild der alten Sprachphasen, an deren Yergleichung sie ja erwachsen war, bezeichnet seien. Auch mochte sich eine solche Frage nicht sonderlich aufdrängen, solange man sich des Unterschiedes von Buchstaben und Laut, den erst Raumer 1837 in aller Schärfe betonte, noch nicht klar bewußt war. Erst die durch und seit Pott erzielten Fortschritte der indogermanischen Lautlehre und die besonders auf germanischem, romanischem und slavischem Boden aufblühende Mundartenforschung wiesen immer gebieterischer auf die Beobachtung der lebendigen Rede und die Notwendigkeit eindringender lautphysiologischer Untersuchungen hin; und die an den lebenden Sprachen erarbeitete tiefere Einsicht in das Wesen der Sprachlaute und ihre Yeränderungsmöglichkeiten mußte des weitern das Rüstzeug liefern, um auch aus dem toten Buchstaben der alten Sprachüberlieferungen Schlüsse auf die genauere Aussprache zu ziehen. So sollte auch die Sprache Roms in der vollen Reinheit ihrer längst verklungenen Laute neu vor uns erstehn, ein Unternehmen, das auch in den weitern Kreisen der Gebildeten die lebhafteste Teilnahme wachrief; die systematische Inangriffnahme der Untersuchung in vollem Umfange veranlaßt zu haben, ist das Verdienst einer von der Berliner Akademie 1854 ausgeschriebenen Preisfrage über die Aussprache des Lateins, die die erste zusammenfassende Darstellung des Gegenstandes, Wilhelm C o r s s e n s bekanntes Werk Über Aussprache, Vokalismus und Betonung der lateinischen Sprache (1858—59;

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Aussprache des Lateins.

2. Aufl. 1868) hervorrief. Daß auf einem Gebiete, das aus der Summierung so vieler Einzelheiten besteht, ein auch noch so glücklicher erster Wurf nur einen Markstein, aber keinen Abschluß bedeuten konnte, hätte von Anfang an klar sein dürfen; selbst ein allseitig für die Aufgabe gerüsteter Forscher hätte nicht gleich beim ersten Anhiebe reinen Tisch zu schaffen vermocht. Nun war sich zwar Corssen bewußt, daß die Berücksichtigung der Grammatikerangaben und der Zeugnisse der schriftlichen Überlieferung für die Bestimmung der lateinischen Lautwerte nicht ausreiche, sondern daß diese Zeugnisse vom Standpunkte der neueren lautphysiologischen Forschung gewertet werden müßten; aber seine lautphysiologische Bildung saß so wenig tief, daß sie dem "Werke mehr nur zu äußerlichem Aufputz, als zu innerlicher Förderung gereichen konnte. Allzuoft auch verlegt sich Corssen den Weg zu vorurteilsloser Prüfung der Tatsachen dadurch, daß er die Beschreibung eines bestimmten lateinischen Lautes mit den Schicksalen verquickt, die der entsprechende indogermanische Laut bei seiner Entwicklung ins Latein herein erfahren hat. Und doch liegt es auf der Hand, daß sich z. B. für die Aussprache des lateinischen c der historischen Zeit gar nichts ergeben würde, selbst wenn Corssens Meinung vom vorhistorischen Schwunde eines anlautenden c in Wörtern wie lämentum (angeblich zu clämäre) zu Recht bestünde. Die blendende Fülle des etymologischen Materials, das gelegentlich dieser Verfolgung der vorhistorischen Laute ins Latein herein vor dem Leser ausgebreitet wird, vermag eben nicht darüber hinwegzutäuschen, daß es über die Aussprache des überlieferten Lateins gar nichts aussagt, um ganz davon zu schweigen, daß die Folgezeit über einen Großteil dieses Materials anders zu denken gelernt hat. Durch Erwägungen ähnlicher Art bringt sich Corssen auch bei der Wertung der Grammatikerüberlieferung vielfach um die Frucht seiner Untersuchung; so kann man sich über Priscians Angabe, daß n im An- und Auslaute voller klinge als im Inlaut, einfach nicht hinwegsetzen, weil sie offenbar von jeder Spekulation frei ist; trotzdem bekämpft sie Corssen speziell für das auslautende -«, weil sich ihr 'entscheidend* die 'praktische* Tatsache entgegenstelle, daß in Wörtern wie cardo das auslautende n eben geschwunden ist. Sehen wir auch davon ab, daß nach den Ergebnissen der spätem Forschung dieser n-Schwund bereits 10*

148

A . W a l d e , Italische Sprachen.

in der Ursprache erfolgt war, so ist es doch bezeichnend, daß vorhistorischer Schwund eines auslautenden -n nun wieder für die Schwäche eines Auslauts-n zeugen soll, das in vorhistorischer Zeit eben gerade nicht geschwunden ist. Als einen Mangel an chronologischem Denken empfindet es ferner jedermann, wenn Corssen aus tractus, vectus zu traho, veho schließt, daß das h letzterer wenigstens im Altlatein noch gutturaler Reibelaut wie deutsches ch gewesen sein müsse, wie aus seiner Verhärtung zu c vor dem t des Partizips hervorgehe; als ob die Bildung von tractus, vectus erst im Altlatein erfolgt wäre! So wird man Büchelers hartes Urteil (DLZ. 1876, 670 f.) über viele von Corssens Aufstellungen und die dabei befolgte Methode wohl unterschreiben müssen; trotz aller dieser in Corssens Gedankenrichtung begründeten Mängel wäre es aber doch ungerecht, diesem ersten zusammenfassenden Werke über die lateinische Aussprache seine große Bedeutung für die damalige Zeit schmälern zu wollen. Durch Eröffnung neuer Bahnen und Vorlegung eines umfangreichen und weitschichtigen Materials hat es gewiß den tiefen Eindruck gerechtfertigt, den sein erstes Erscheinen auf die Zeitgenossen machte. Daß freilich das von ihm aufgeführte Lehrgebäude in jeder Hinsicht dringend der Vertiefung, vielfach auch der vollständigen Umgestaltung bedürfe, zeigte sich bald; mit Recht konnte der nächste Bearbeiter der lateinischen Aussprache sagen, daß in Corssens gewiß verdienstlichem Werke kaum ein einziges Lautgebilde eine heute nur annähernd befriedigende Charakteristik gefunden habe. Es kann hier nicht im einzelnen verfolgt werden, wie von latinistischer und romanistischer Seite Stein auf Stein zum Neubau herbeigeschafft wurde; jedenfalls wiesen die in vielen Einzelfragen erzielten Fortschritte immer gebieterischer auf die Notwendigkeit hin, Corssens überholtes Buch durch eine neuerliche Gesamtdarstellung zu ersetzen. Dieser Forderung hat Emil S e e l m a n n s Werk Die Aussprache des Latein nach physiologisch-historischen Grundsätzen (1885) unbeschadet offenkundiger Schwächen in sprachgeschichtlichen Dingen doch so weitgehend entsprochen, daß die lateinische Orthoepie dadurch auf eine gänzlich neue Grundlage gestellt ist. Seelmanns Stärke ruht in der vorurteilslosen Wertung der ausführlich berücksichtigten Grammatikerzeugnisse — mochte auch die Folgezeit, so

Aussprache des Lateins.

149

Heraeus im 14. Bande des AflL., noch manches nachzutragen in der Lage sein —, in der Ausbeutung der Inschriften und vor allem in einer gründlichen Vertrautheit mit der Lautphysiologie, die ihn gegenüber Corssen überall zu schärferem Anpacken der Probleme befähigte. Lautgeschichtliche Verkehrtheiten, wie daß dedimus, cognitus aus *dtdimos, *c6gnötos gekürzt sein sollen, weil sonst der lange Vokal der zweiten Silbe mit der Betonung der ersten Silbe im Widerstrei t gelegen wäre, oder daß umgekehrt legebam aus *legebam gedehnt sein solle, weil die Betonung der vorletzten Silbe deren Länge fordert, beeinträchtigen die positiven Feststellungen ebensowenig, wie daß noch im Jahre 1885 dem Indogermanischen nur a, i, u als einfache Vokale zugeschrieben werden. Seelmanns Buch ist, trotz mancher noch später erzielten schärferen Fassungen, auch heute das unbestrittene Hauptwerk über lateinische Aussprache geblieben, auf dem alle folgenden Behandlungen des Gegenstandes, so die ausführliche und ausgezeichnete in Lindsays Werk Die lateinische Sprache fußen. Daß man zu einem annähernden Abschluß gekommen ist, äußert sich auch darin, daß in den weitern Kreisen der Gebildeten das Interesse an der Frage um die richtige lateinische Aussprache merklich abgeflaut ist, indem es sich für sie eigentlich nur mehr darum dreht, ob und inwieweit man den sichern Ergebnissen der Forschung wenigstens in besonders markanten Dingen, wie der Aussprache des c vor e und i auch in der Praxis Rechnung tragen, also richtig Kikero und kentum sprechen, oder gegen besseres Wissen bei der Aussprache Tsitsero, tsentum beharren solle, obgleich wenigstens in Rom die Überführung von c vor e und i in einen Quetschlaut erst im 7. Jhdt. n. Chr. zum Abschluß kam. Umsoweniger darf man daher trotz Ritschis Mahnruf (Rh. Mus. 31, 490) hoffen, daß in feinern Fragen, wie in der bei manchen Wörtern freilich auch heute noch unentschiedenen nach der Vokalquantität in positionslangen Silben und nach der dehnenden Kraft gewisser Konsonantengruppen die Praxis in absehbarer Zeit von den Ergebnissen der Forschung Kunde nehmen werde. Gewiß haben wir zur Bestimmung der Vokalquantität in solchen Silben trotz des Versagens der Metrik eine Reihe höchst schätzbarer Anhaltspunkte; so ausdrückliche Angaben von Grammatikern, z.B. äctus nach Gellius; Bezeichnung der Vokallänge durch Doppelung (paastor), wie sie nach der Vorschrift des Accius eine Zeit lang

150

A. W a l d e , Italische Sprachen.

in Übung stand, oder durch den Apex, oder bei I durch die I longa, ein übrigens nicht ganz verläßliches Kriterium; das Auftreten von ei und ou im Altlatein für nachmaliges f, w, sowie die Bezeichnung von i durch ei auch in späterer Zeit in Verallgemeinerung der Fälle, in denen i aus altlateinisch ei entstanden war; griechische Umschreibungen; Rückschlüsse aus der Etymologie — wobei freilich Vorsicht am Platze ist — und aus der Lautlehre, wie z. B. trotz Priscians (2,466) Angabe, daß alle Perfekte auf -exi e haben, Komposita wie das nur aus *en-läxai, nicht *en-läxai herleitbare illexi wenigstens ursprünglich nur -e gehabt haben können, so daß nur mehr die Frage sein kann, ob Priscians Regel nur für Simplizia auf richtiger Beobachtung beruht und von ihm in unberechtigter Verallgemeinerung auch auf solche Zusammensetzungen ausgedehnt ist oder ob die Sprache später tatsächlich nach dem Master der Simplizia auch in den Zusammensetzungen gedehnten Vokal eingeführt hat; endlich Rückschlüsse aus dem Romanischen, das die alten Längen durch geschlossenere Vokale festsetzt, als die alten Kürzen, obgleich die alten Quantitätsunterschiede als solche bereits im Spätlatein aufgegeben waren; ein Gesichtspunkt, auf den bereits 1878 Wendelin Förster im Rhein. Mus. 33, 291 f. aufmerksam machte und in dessen Verfolgung dann Gröber in den ersten sieben Bänden des AflL. (1884—1892) bei seiner Behandlung der Vulgärlateinischen Substrate romanischer Wörter vieles Einschlägige feststellen konnte. Aber wo diese Erkenntnisquellen versagen oder kein übereinstimmendes Ergebnis liefern, bleibt künftiger Untersuchung noch mancher Zweifel zu lösen. Eine besonders lebhafte Auseinandersetzung hat sich über einen andern die lateinische Aussprache betreffenden Punkt entsponnen : ist die Betonung des historischen Lateins wesentlich musikalisch gewesen, so daß vornehmlich die musikalisch höhere Stimmlage der betonten Silben zur Wahrnehmung gelangte, oder war sie ähnlich, wie z. B. im Deutschen, wesentlich durch Verstärkung des Ausatmungsdruckes gekennzeichnet, die die betonten Silben von den unbetonten durch größere Energie der Aussprache auszeichnete? Wären wir zur Beantwortung dieser Frage lediglich auf die Angaben der römischen

Betonung.

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Grammatiker angewiesen, so würde man sich unbedenklich im ersteren Sinne entscheiden, wie es seit dem Vorgange W e i l s und B e n l o e w s (Théorie générale de l'accentuation latine, 1856) die Mehrzahl der französischen Forscher, so in ausführlicher Darstellung V e n d r y e s in den Recherches sur l'histoire et les effets de l'intensité initiale en Latin (1902) bis heute tut. Denn die ältern Grammatiker und Rhetoren reden nur von Stimmerhebung, altitudo, und erst seit dem Ausgange des 4. Jahrhunderts wird mit Ausdrücken wie intentio, plus sonat, maiorem habet potestatem auf Stimmverstärkung hingewiesen. Man hat aus dieser geänderten Stellungnahme geschlossen, daß eben um diese Zeit der Übergang von der ältern vorwiegend musikalischen zu jener gemäßigt exspiratorischen Betonung erfolgt sei, wie sie die romanischen Sprachen zeigen. Denn daß bereits Quintilian mit seiner Bemerkung über den rigor der lateinischen Betonung auf ein deutlich exspiratorisches Moment in ihr anspiele, ist nicht richtig. Ferner schien es zu jenen auf vorwiegend musikalische Betonung weisenden älteren Grammatikerberichten zu stimmen, daß eine quantitierende Poesie, wie sie in der römischen Dichtung mit Ausnahme des alten Saturniers vorliegt, sonst nur Sprachen mit vorwiegend musikalischer Betonung eigen ist; denn in Sprachen mit in der Hauptsache exspiratorischer Betonung würde ja Widerstreit zwischen dem Starkton des Wortakzents und dem Starkton aller nicht mit dem Wortakzent zusammenfallenden Versikten eintreten, während musikalischer Wortton und Starkton des Versiktus als vollständig verschiedene Prinzipien nebeneinander hergehn können, ohne sich gegenseitig zu stören. Aber jenen ältern Grammatikerangaben laufen schnurstracks die Z e u g n i s s e zuwider, die aus der S p r a c h g e s c h i c h t e und gerade auch aus der alten Metrik zu schöpfen sind, und so ist seit S c h ö l l s Schrift De accentu linguae latinae veterum grammaticorum testimonia (1876) außerhalb des Kreises der französischen Forscher die Überzeugung zum Durchbruch gekommen, daß auch schon in der klassischen Zeit des Lateins vorwiegende Druckbetonung herrschte. Sprachgeschichtlich läßt sich diese erweisen, wenn unter der Herrschaft des lateinischen Akzents der historischen Zeit, der lange vorletzte Silbe oder bei deren Kürze die drittletzte Silbe trifft, Synkopen oder andere Schwächungen unbetonter Silben er-

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folgten, wie sie in Sprachen mit vorwiegend musikalischer Betonung, aber geringen Stärkeunterschieden zwischen betonten und unbetonten Silben, wie dem Altgriechischen, erfahrungsgemäß fehlen. Nun hat sich freilich von den massenhaften Schwächungsvorgängen, die wir in der lateinischen Sprache beobachten, die erdrückende Mehrzahl schon zu einer Zeit abgespielt, als noch nicht der historische Akzent mit seiner Beschränkung auf die drei letzten Wortsilben herrschte, sondern stets die erste Wortsilbe betont war; und zwar, wie heute ausnahmslos zugegeben, so scharf exspiratorisch, daß für die unbetonten Silben nur mehr wenig Kraft übrig blieb, was zu wahren Verheerungen im alten Yokalbestand unbetonter Silben führte. Daß damals stets die erste Silbe die Tonsilbe war, geht daraus hervor, daß sich die in jener Zeit erfolgten Schwächungen nachtoniger Yokale auch in solchen nichtersten Wortsilben finden, die nach der historischen Betonungsweise dann den Akzent bekommen haben, wie in acdpio, acciptus aus vorauszusetzendem *accipiö, dcceptos, das eben wegen der damaligen Tonlosigkeit der 2. Silbe aus *ddcapio, *ädcaptos geschwächt ist. Da man hiermit fast für alle in nichtersten Wortsilben auftretenden Schwächungsvorgänge jene vorhistorische Anfangsbetonung verantwortlich machen kann, so bleiben als Beweisstücke für exspiratorischen Charakter auch des historischen Dreisilbenakzentes nur solche Vokalschwächungen übrig, die entweder in ersten Wortsilben zu beobachten sind, oder in denen die geschwächte Lautform im Verlaufe der historischen Latinität sich an die Stelle einer älter belegten vollem setzt. Was man aus dem Bereich der ersten Wortsilben angeführt hat, wie die Vereinfachung der Doppelkonsonanz in mamllla aus *mammilla (: mamma), muß nicht notwendig in diesem Sinne ausgelegt werden. Aber auch in vielen Fällen der zweiten Reihe, wie jüngerem soldus, frigdus aus und neben solidtis, frigidus ist wenigstens grundsätzlich damit zu rechnen, daß die synkopierten Formen schon zur Zeit der urlateinischen Anfangsbetonung entstanden waren, aber lange auf die Sprache des Alltags beschränkt blieben und erst spät in die gewähltere Ausdrucksweise der Literatur aufstiegen. Wohl ist aber z. B. vetranus aus veteranus sicher ganz junger Entstehung; daß ferner olfäcere, calfdcere nicht schon unter der Wirkung der urlateinischen Anfangsbetonung aus olefacere, calefacere synkopiert sein können,

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ist darum sicher, weil es damals noch ole-, calefacere mit langem, daher unsynkopierbarem e hieß, wie denn olefactare noch bei Plautus erscheint; oder wenn in Lehnwörtern, für die sich die Zeit der Aufnahme bestimmen läßt, Synkope eintritt, wie in dem nach Bücheler erst zu Caesars Zeit aus dem ägyptischen büri (griech. ßäpig) gebildeten *barica, barca. Es fehlt also nicht an Vokalschwächungen, die erst unter der Herrschaft des historischen lateinischen Dreisilbenakzents erfolgt sein können und ihn ebenfalls als vorwiegend auf Stimmverstärkung der Tonsilben beruhenden Akzent erweisen. Freilich reichte seine Kraft nicht heran an die alles tyrannisierende Wucht der urlateinischen Anfangsbetonung, und seine sprachlichen Wirkungen halten sich daher in bescheidenen Grenzen. Ein durchschlagender weiterer Beweis für Energieakzent ist die Erscheinung der J a m b e n k ü r z u n g , deren für die alte szenische Metrik wie für die Sprachgeschichte gleich bedeutungsvolle Entdeckung wir der eindringenden Beschäftigung mit der plautinischen Prosodie verdanken. Dieses Jambenkürzungsgesetz wurde nach tastenden Versuchen einiger Vorgänger zuerst von C. F. W. Müller (Plautinische Prosodie 1869) in fast vollem Umfange erkannt, von Klotz (Grundzüge altrömischer Metrik, 1890) noch in Einzelheiten ausgebaut und von Skutsch (in Plautinisches und Romanisches, in der Satura Viadrina, sowie in seinen inhaltsreichen Beiträgen in Vollmöllers Romanischem Jahresbericht) als nicht bloß metrisches, sondern auch in der lebendigen Sprache wirkendes Gesetz erwiesen und vielfach fruchtbar gemacht; Skutsch formulierte es dahin, daß "eine jambische Silbenfolge, die den Ton auf der Kürze trägt oder der die tontragende Silbe unmittelbar folgt, pyrrhichisch wird": *bene, *mäle (mit e wie die übrigen Adverbia zu Adjektiven), *mddö, *ölefäcere (mit e wie täbefacere) werden bene, male, mödö, öJefacere (woraus später olfacere). Es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Kürzung unter dem Drucke eines die Nachbarsilbe treffenden Akzentes nur bei einem Energieakzent verständlich ist: der auf der kurzen ersten Silbe des Jambus niederfahrende Hauptton (bzw. bei ölefäcere starke Nebenton) machte an der Silbengrenze nicht Halt, sondern schoß über sie hinaus zur Nachbarsilbe, die dadurch des eigenen Atemeinsatzes beraubt wurde. In dieselbe Richtung weist die von Usener gemachte und

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von Bücheler (AflL. 3, 144) mitgeteilte Beobachtung, daß lange Einsilbler beim Antritt von Enklitizis Verkürzung erfahren in Fällen wie siquidem, tüquidem, nequis aus älterm si quidem, tu quidem, ne quis (die sich wegen des einfachen si tu ne neben der gekürzten Form behaupten). Denn zweifellos ist die lautphysiologische Ursache dieser auffallenden Kürzung nach Wackernagel (Beiträge zur Lehre vom griechischen Akzent, 1893) und Solmsen (Studien z. lat. Lautgeschichte, S. 99 f.) darin zu suchen, daß der Anschluß der Enklitika auf der vorhergehenden Tonsilbe einen scharf geschnittenen, d. h. energisch dem Silbenende zustrebenden Akzent hervorrief, der ein vorzeitiges Abreißen des Vokals zur Folge hatte. Des weitern scheint mir schon die bloße Tatsache, daß die einstige Anfangsbetonung des Lateinischen durch eine von der Quantität der vorletzten Silbe abhängige Betonung abgelöst wurde, für letztere wesentlich dynamischen Charakter zu erweisen. Denn nur in diesem Falle war zwischen dem dynamischen Anfangsakzent und dem ebenfalls quantitativen Moment der langen Paenultima jener Widerstreit gegeben, der durch Aufgabe des Anfangsakzents beseitigt wurde. Besonders beweisend endlich für den exspiratorischen Charakter des Dreisilbenakzents ist die schon von Bentley, Hermann und Ritsehl geahnte, von Lindsay und Skutsch in helles Licht gestellte Tatsache, daß Plautus und Terenz, obwohl bereits auf dem Boden der von den Griechen übernommenen quantitierenden Metrik stehend, Zusammenfall von Versiktus und Wortton erstreben; tatsächlich lösen sich bei ihnen, wenn auch manche Einzelheit noch künftiger Aufklärung harrt, die meisten vermeintlichen Widersprüche zwischen Versiktus und Wortakzent, wenn man nicht nur den Akzent der isolierten Worte, sondern auch die mannigfachen Akzentverschiebungen berücksichtigt, die beim Zusammenschluß der Worte im Satz durch En- und Proklise eintreten: einheitliche Wortgruppen wie circum me oder compositae sunt behielten eben nicht die Betonung des isolierten circum, compösitae bei, sondern bildeten eine Akzenteinheit, in der das Dreisilbengesetz die Betonung circumme, compositäesunt hervorrief, wobei dann im zweiten Beispiel die drei ersten Silben durch einen Nebenton au dem cötn zu beherrschen waren. Wurde so von den die lebendige Umgangssprache treu wiederspiegelnden alten Szenikern Zusammen-

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fall des Versiktus mit dem Wortakzent (bzw. Satzakzent) erstrebt, so muß, wie der Versiktus, so auch der Dreisilbenakzent durch Stimmverstärkung gekennzeichnet gewesen sein; denn wäre er wesentlich nur ein musikalisch höherer Ton gewesen, so wäre sein Nichtzusammenfallen mit dem Starkton des Versiktus ebensowenig als unangenehm empfunden worden, wie im Griechischen; die Folge des dynamischen Iktustaktes wäre, um mit Immischs Worten zu reden, von den musikalischen Wortakzenten unbehelligt geblieben. Ist so der lateinische Akzent exspiratorisch gewesen, so konnte das Latein bei bodenständiger Entwicklung nur zu einer akzentuierenden Dichtung, wie es wohl sein Saturnier war, nicht aber zu einer quantitierenden kommen, und es ist, wie man der französischen Schule zugeben muß, im höchsten Grade auffällig, daß die Römer zugleich mit der Entlehnung der griechischen Versmaße seit Livius Andronicus auch die Rücksicht auf die Dauer der Silben als beherrschendes metrisches Prinzip von ihren griechischen Vorbildern übernahmen und ohne Reaktion so streng durchführten. Man kann zweifeln, ob dies von Skutsch (Roman. Jb. 1, 33) ausreichend damit erklärt sei, daß das Vorhandensein deutlicher Quantitätsunterschiede eben eine wirklich quantitierende Metrik ermöglichte; denn schließlich war damit doch erst die eine der nötigen Voraussetzungen gegeben. Immerhin wird man in Rechnung zu ziehen haben, daß das exspiratorische Moment im lateinischen Akzent nicht so scharf hervortrat, daß es das Ohr gegen die Längenverhältnisse auch unbetonter Silben taub sein ließ. Neuestens hat man eine Vermittlung zwischen dem deutschen und dem französischen Standpunkt versucht: die Masse des römischen Volkes habe allezeit am echt lateinischen Druckakzent festgehalten, aber die literarisch maßgebenden oberen Schichten seien in der Nachäffung ihrer griechischen Hauslehrer so weit gegangen, daß sie auch in der Betonungsweise das im Griechischen noch wenig fühlbar entwickelte exspiratorische Moment zurück und dafür die musikalische Erhebung der Tonsilben hervor treten ließen, die ja auch in Sprachen mit Energieakzent nie ganz fehlt Ich zweifle sehr, ob dieser von Abbot (Cl. Phil. 2, 444 ff.) vorgeschlagene und von Immisch (Neue Jahrbücher 1912, 1, 31) in weiteren Zusammenhang gerückte Vermittlungsstandpunkt, der

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den tonischen Akzent auf die von griechischer Bildung durchtränkten oberen Kreise beschränkt, imstande sein wird, das Mißtrauen zu überwinden, das man Kompromissen meist mit Recht entgegenbringt. Allerdings würde dabei die Übernahme der quantitierenden griechischen Metrik alles Auffallende verlieren, ebenso die Grammatikerberichte, die bis ins 4. Jahrhundert nur Beschreibungen eines musikalischen Akzentes liefern, indem sie wie stets nur die literarische Sprache, nicht den sermo plebeius im Auge haben, und man brauchte sich dann auch nicht mehr darauf zu berufen, daß die römischen Grammatiker ja auch in anderen Dingen — so wohl in der Lehre vom Zirkumflex — unbesehen die Lehren ihrer griechischen Vorbilder nachgebetet haben. Und wenn dann die Grammatiker des ausgehenden 4. und des 5. Jahrhunderts, Diomedes, Servius, Cledonius und Pompeius, auf einmal von Stimmverstärkung zu reden anfangen, wiese dies darauf, daß eben damals jene Manier der feinern Kreise von der gesunden Volkssprache endlich überwunden war. Es wurde auch ins Feld geführt, daß die neuentstandenen synkopierten Wortformen, die expiratorische Betonung erweisen, vorzugsweise auf die niedere Sprache beschränkt sind, wie u. a. der Freigelassene bei Petron oder die von Probus getadelten Vulgarismen wie angltts zeigen; daß ferner die Wirkungen des Jambenkürzungsgesetzes gerade bei den der Alltagsrede nächststehenden Stilgattungen am stärksten hervortreten, und anderes was man bei Immisch zusammengestellt findet. Trotz alledem wird man die Bedenken nicht los; besonders schwer wird es, schon Plautus eine derartige Entnationalisierung in Sachen der Betonung zuzumuten, und für die spätere Zeit fällt ins Gewicht, daß auch das Griechische selbst zur Energiebetonung überging, also nicht mehr das Vorbild für musikalische Betonungsweise im Hochlatein abgeben konnte. Ist so über das Wesen des historischen Dreisilbenakzentes eine Einigung der Ansichten noch nicht zu verzeichnen, so ist nirgends mehr ein Zweifel darüber rege, daß diese Betonungsweise, wie schon oben angedeutet, eine ältere abgelöst hat, die stets die erste Wortsilbe traf und ausgesprochen energischen Charakter trug. Dies ergibt sich aus den massenhaften Synkopen und Schwächungen kurzer Vokale, die in nicht ersten Wortsilben, besonders der zweiten, eingetreten sind, während der Vokalismus der ersten Silben keine

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einzige auf Unbetontheit weisende Veränderung erlitten hat. Dies hat bereits 1852 A. D i e t r i c h (KZ. 1, 554) in vollem Umfang erkannt : in den zahlreichen Fällen wie scando : ascendo, facilis : difficilis, quindecim undecim aus *quinquedecim, *oinodecim ist gerade jener Vokal geschwächt oder ganz getilgt, der nach dem historischen Akzent vielmehr den Hauptton tragen würde. Curtius' Widersprach (KZ. 9, 321 f.) wurde durch Corssen (bes. Krit. Beitr. 569 f.) und Stolz (Wiener Studien 8, 149 f.) endgültig erledigt. Auch daß diese Anfangsbetonung bis an die Schwelle der historischen Zeit heranreichte, ist heute mehr als eine Hypothese. Denn was eigentlich bereits aus gewissen Formen der Zwölftafelgesetze und aus dem Manios med fhefhaked Numasioi der wenig nach 600 v. Chr. zu datierenden praenestinischen Fibula zu entnehmen war, hat die neue Foruminschrift bestätigt: die Vokalschwächungen und Synkopen erscheinen in jener Zeit noch nicht vollzogen, müssen also erst im 5. und vielleicht noch 4. Jahrhundert erfolgt sein, zu welcher Zeit demnach auch die sie bewirkende Anfangsbetonung noch bestanden haben muß. Ja, in einem Sonderfalle reicht sie noch bis in die literarische Zeit herein: wie schon Bentley und Ritsehl gesehen und Lindsay (Phil. 51, 364) ausführlich erhärtet hat, tragen viersilbige, mit drei Kürzen anlautende Worte wie facilius, meminero, reficerent noch bei Plautus mindestens sehr überwiegend den Ton auf der ersten Silbe. Das hatte offenbar denselben lautphysiologischen Grund wie die Jambenkürzung. Der scharfe Ton auf der ersten Silbe hatte einen so engen Anschluß der zweiten zur Folge, daß beide Silben unter einem einzigen Ausatmungsstoß zusammengefaßt waren und für den Akzent ebenso wirkten, wie eine zweimorige, d. h. lange einzige Silbe. Daß diese Betonungsweise auch noch Cicero kannte, wie Zielinski (Das Klauselgesetz in Ciceros Reden. Philol. 9. Suppl.-Bd. Hft. 4, 1904) aus Satzschlüssen zu erweisen sucht, harrt noch der Bestätigung. Auch für die oskisch-umbrischen Dialekte war es nach Synkopefällen wie o. Vezkei = lateinisch *Vetusko, Osci aus *Op(i)skoi, minstreis aus *ministreis, umbr. mersto aus *medesto- nicht schwer, ebenfalls ursprüngliche Anfangsbetonung zu erschließen, und es war nur mehr zu fragen, ob diese nicht später ebenfalls einer jüngeren Betonungsweise Platz gemacht hat, wie im Lateinischen, wobei man etwa an eine gemeinsame Sprachwelle denken konnte. Aber

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das beachtenswerteste Beweisstück, das man zugunsten einer solchen jüngeren Betonungsweise des Oskisch-Umbrischen ins Feld geführt hat, nämlich einige Fälle von Geminatenvereinfachung, wenn der vorhergehende Vokal nach lateinischer Betonungsweise unbetont wäre, gegenüber Bewahrung der Geminata nach lateinischer Tonsilbe (sakrdnnas : eehiiandsum) kann nicht als genügend gesichert gelten. Dagegen hat Thurneysen (Glotta 1,240 ff.) für ungeschmälerten Bestand der alten Anfangsbetonung wenigstens im Oskischen angeführt, daß hier Bezeichnung der Vokallänge durch Doppelschreibung nur in ersten Wortsilben zu beobachten ist; entweder waren also alle langen Vokale in nicht erster Wortsilbe gekürzt, oder es kannte nur die erste Silbe eine zweigipflige Betonung, die in der Doppelschreibung zum Ausdruck kam. In beiden Fällen wäre nach Thurneysen zu schließen, daß die erste Silbe Trägerin des Wortakzentes war, und zwar nicht nur in der vorhistorischen Periode, sondern auch noch zur Zeit unserer Inschriften. Ich kann freilich diesen Schluß nur für den zweiten Fall anerkennen. Denn im erstem hätte nach Kürzung aller nicht in erster Wortsilbe stehenden Längen immerhin eine Tonverschiebung gegen das Wortende zu stattfinden können, ohne daß damit eine Verkürzung der nun unbetont gewordenen Anfangssilbe verbunden zu sein brauchte; hat ja doch auch die lateinische Tonverschiebung nach dem Dreisilbengesetz die Qualität der in erster Silbe bisher unversehrt gebliebenen Kürzen unangetastet gelassen, sie also, obwohl sie nun unbetont waren, nicht jene Schwächungen erfahren lassen, die unbetonte Kürzen zur Zeit der älteren allerdings ungleich energischeren Anfangsbetonung erlitten hatten. Immerhin darf aber Thurneysens Beobachtung wenigstens als ein gewisser Wahrscheinlichkeitsbeweis für andauernde Anfangsbetonung des Oskischen gelten, da die Annahme, die Doppelschreibung der Vokale drücke zweigipflige Betonung aus, die innerlich wahrscheinlichere ist. Viel lebhafter als diese das Oskisch-TJmbrische betreffende Sonderfrage wurde die andere verhandelt, wann und warum jene ehemalige Anfangsbetonung des Italischen an die Stelle des indogermanischen Akzents getreten sei, der vollkommen frei, d. h. in seinen Stellungsmöglichkeiten weder durch Zahl noch Quantität der Wortsilben irgendwie beschränkt war, vgl. idg. *bhiromenosio (ai. bhäramänasya), *podös (gr. Tioboq), *pdUres (Trarepeq). Daß von

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diesem indogermanischen Akzent im Italischen noch Nachwirkungen zu spüren seien, indem etwa das Auftreten von italisch a statt eines erwarteten e oder o durch ihn geregelt sei, hat sich nicht bewährt. Für die Beurteilung der italischen Anfangsbetonung wurde es wichtig, daß man auch auf keltischem und germanischem Boden Anfangsbetonung traf, und dadurch vor die Frage gestellt war, ob nicht etwa die Ersetzung des freien indogermanischen Akzents durch eine starre Anfangsbetonung eine gemeinsame Neuerung dieser drei Sprachgruppen, also, wie Thurneysen bejahen zu dürfen glaubte, das Ergebnis einer westeuropäischen Akzentregelung gewesen sei. "Wir sind heute dagegen skeptisch geworden. Abgesehn davon, daß das Germanische erst nach dem Wirken des Vernerschen Gesetzes von dieser Regelung betroffen sein könnte, hat man darauf hingewiesen, daß die Betonung zusammengesetzter Verben in den drei Gruppen ganz verschieden geregelt ist, z. B. deutsch be-kömmt, aber lat. incidit aus *in-caidet, endlich air. as-biir 'er sagt' aus *eks-bhiret, ni &pir 'er sagt nicht' aus *ne (oder eigentlich *nest) eks-bheret; und wenn auch diese Unstimmigkeit nicht allzu tragisch zu nehmen ist, da die Verschiedenheit bloß auf einem verschiedenen Grad der Worteinung zwischen Präfix und Verbum beruht, so wiegt schwerer, daß es noch gar nicht erwiesen ist, daß die Anfangsbetonung des Irischen den urkeltischen Zustand fortsetzt, wie man Zimmer (Gurupüjäkaumudl 79) und Meyer-Lübke (Wiener SB. 1901) zugeben muß. Die Sprachwelle, die in den drei westindogermanischen Sprachgruppen die exspiratorische Anfangsbetonung hervorgerufen haben soll, hätte also nicht nur relativ spät eingesetzt, sondern vom keltischen Gebiet vielleicht nur einen Teil ergriffen. Trotz dieser starken Vorbehalte brauchte die Frage nach einer gemeinsamen Ursache nicht endgültig zu ruhen; denn Sprachneuerungen haben oft verschiedene Gebiete mit ungleicher Konsequenz ergriffen und können allenfalls erst spät zum Durchbruch kommen, obgleich ihre Keime schon längst in der Sprache vorhanden waren. So hat Hirt (IF. 9, 290) vermutet, daß der Anstoß von einem Volke mit exspiratorischer Anfangsbetonung gekommen sei, das von Germanen, Kelten und Italikern unterworfen und aufgesaugt worden sei; leider erhebt sich dieser Gedanke nicht über den Wert einer gänzlich unbewiesenen Vermutung; und daß jenes hypothetische Völkersubstrat speziell Etrusker gewesen seien,

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die somit einst weit über die Alpen hinaufgereicht haben müßten, •wird man ruhig auf sich beruhen lassen. Yiel ernstlicher wäre, wie es auch geschehen ist, mit etruskischer Herkunft speziell der italischen Anfangsbetonung zu rechnen, wenn letztere keinen geschichtlichen Zusammenhang mit der germanischen und irischen Anfangsbetonung hat. So daß der heutige Stand der Frage das Dilemma ist, ob die Italiker erst in Italien und dann etwa unter etruskischem Einfluß zur Anfangsbetonung übergegangen sind, oder bereits in ihren älteren Sitzen nördlich der Alpen und hier dann wohl im Zusammenhang mit Germanen und wenigstens einem Teil der Kelten; ob in letzterem Falle durch Aufsaugung eines Volkes mit exspiratorischer Anfangsbetonung oder durch rein bodenständige Ausbreitung der schon in der Grundsprache sehr häufigen Anfangsbetonung auf den gesamten Wortschatz, oder etwa durch Vermittlung eines den Worteinsatz markierenden Nebentons, wäre eine weitere Frage. Wie dieses Aufkommen der alten Anfangsbetonung, war auch ihre Ersetzung durch den historischen Dreisilbenakzent, die sich an der Schwelle der literarischen Zeit abspielt, in ihren Ursachen und ihren Etappen zu untersuchen. Vor allem hat hier die dein lateinischen uud griechischen Akzent gemeinsame Beschränkung auf die drei letzten Wortsilben den Gedanken an einen ursächlichen Zusammenhang nie recht zur Ruhe kommen lassen. Freilich, das lateinische Dreisilbengesetz in eine graeco-italische Urzeit hinaufzurücken, wird man sich weder durch Curtius (KZ. 9, 3 2 1 f.) noch durch die neuerlichen Ausführungen Pedersens (KZ. 38, 338 f.) bestimmt fühlen, zumal diese Annahme die Leugnung der urlateinischen Anfangsbetonung zur Voraussetzung hat. Verhandelbar ist die Frage nur in der von Kretschmer (Einl. 157) gegebenen Fassung, ob nicht "die Latiner in jener Epoche tiefgreifenden griechischen Kultureinflusses, welcher durch die älteste Schicht griechischer Lehnwörter gekennzeichnet wird, ihre alte Anfangsbetonung unter griechischer Einwirkung aufgegeben und durch eine der griechischen verwandte Betonung ersetzt haben". Bedenkt man aber die Unfähigkeit des Lateins, in längeren Worten die letzte oder eine kurze vorletzte Silbe zu betonen, ferner daß im Griechischen die Quantität der letzten, im Lateinischen aber die der vorletzten Silbe die Bewegungsfreiheit

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des Akzents begrenzt, so bleibt zwischen beiden Betonungssystemen nur mehr die doch recht dürftige Gemeinsamkeit übrig, daß der Ton nicht über die dritte Wortsilbe zurücktreten kann, eine Gemeinsamkeit, die zudem durch den altlateinischen Typus méminero eine sehr wesentliche Durchbrechung erfährt. Es hat auch noch niemand zu zeigen unternommen, wie eine Nachahmung des griechischen Akzentprinzips im Lateinischen zu einem so ganz verschiedenen Endergebnis führen konnte. Wer sich durch solche Erwägungen bestimmt fühlt, im neulateinischen Betonungssystem eine von griechischem Einfluß unabhängige bodenständige Entwicklung zu suchen, darf zunächst auf viele größere akzentuelle Übereinstimmungen hinweisen, die zwischen so weit voneinander entfernten Sprachgebieten bestehen, daß an Entlehnung nicht zu denken ist Hat doch grade das lateinische Betonungsgesetz der ältern literarischen Zeit, die noch méminero sprach, sein genaues Gegenstück an der neuern Betonung des — Sanskrit! Und der von A h l b e r g (Studia de accenta latino 1905) unternommene Versuch, es aus Nebentönen herzuleiten, die sich in längeren Worten neben dem Akzent der ersten Silbe einstellten und in verschiedenen Quantitätstypen zu verschiedenen Zeiten sich zum Hauptton durchsetzten, empfiehlt sich durch die Natürlichkeit seiner Voraussetzungen und kann sich außerdem auf szenische Messungen stützen, die die erst ganz allmähliche Überwindung des Anfangsakzentes durch den Dreisilbenakzent noch zu verfolgen gestatten und vor allem Nebentöne sichern, die sich durchaus im Rahmen seiner Theorie bewegen. Daß sich der Nebenton beim Vorhandensein einer langen Silbe auf diese legte (löngitüdo, dividerètur, cónquìrere, sdpièntia), leuchtet unmittelbar ein, desgleichen, daß er von zwei aufeinanderfolgenden Längen die vom Anfangsakzent entferntere und mit ihm daher weniger kollidierende zweite traf (témpestàtibus, cóntubérnàlis); ebenso Betonungen wie cónficiùnt sdpiéntès, die in der szenischen Poesie von Plantus bis Seneca noch tatsächlich vorliegen und den Nebenton wieder auf der Länge, bezw. der entfernteren Länge, zeigen (dabei ist im Falle sópientés sapi- geradezu als eine einzige Drucksilbe aufzufassen, wie ménti- im Falle méminero). Akzentuelle Neubildungen kamen hinzu, so wenn conquirere (aus älterem cónquìrere) auch conftcere für *cónficerè) nach sich zog, wobei auch die Betonung des SimQeschichte der idg. Sprachwissenschaft II.

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plex mithelfen mochte. Und nachdem so die erdrückende Masse des Wortschatzes von einem nicht mehr über die drittletzte Silbe zurückreichenden Akzente beherrscht war, sank auch der letzte Rest des älteren Zustandes, der Typus miminero, nach; dies um so leichter, als innerhalb einer aus zwei Schallsilben bestehenden Drucksilbe mimi- auch die zweite am Akzent der ersten von j e einen gewissen Anteil hatte. So scheint sich doch alles zwanglos als bodenständig römische, von fremden Einflüssen unberührte Entwicklung begreifen zu lassen. Vokalismus. In der Erforschung des Vokalismus brachte zwar schon die Mitte des Jahrhunderts einige fruchtbare Entdeckungen, so vor allem die schon erwähnte der lateinischen Vokalschwächung in nicht erster Wortsilbe. Auf eine vollständig neue Grundlage gestellt wurde aber die Untersuchung durch die tiefgreifende Umwälzung, welche die Anschauungen über den indogermanischen Vokalismus am Ausgange der siebziger Jahre erfuhren und bei der die italischen Vokal Verhältnisse eine so hervorragend mitbestimmende Rolle spielten. Durch die Erkenntnis, daß auch e und o aus der Ursprache stammen und nicht erst in den europäischen Sprachen aus einem a der Ursprache entwickelt sind, erledigte sich ohne weiteres eine Reihe von Fragen, die nur beim Ausgehn vom eintönigen a des Indoiranischen Sinn und Berechtigung gehabt hatten; man brauchte nun nicht mehr nach den Gründen zu forschen, die in veho, nebula, pecu und in nox, vehont (vehunt), spopondi die Entwicklung der vermeintlichen Ur-a zu e und o, in ago aber dessen Erhaltung bedingt haben sollten, da diese e, o, a sich nun als ursprünglicher erwiesen als das arische a. Ebenso hat die Entdeckung der silbebildenden Nasale und Liquiden n tp f / und ihrer lateinischen Entsprechungen en, em, or, ol vor Konsonanten oder im Auslaut in zahlreichen Fällen wie tentus = gr. raTO?, ai. tatds aus idg. *tyt6s, mors = ai. und idg. mjiis das erlösende Wort gesprochen; und die damit engstens zusammenhängende Erschließung der indogermanischen Ablautverhältnisse hat uns auch erst einen lebendigeren Einblick in das System des italischen Vokalismus verschafft Für all dieses muß ich mich begnügen, auf den allgemeinen Teil zu verweisen, mag auch von den übrigen auf dem

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Gebiete des italischen Vokalismus erzielten Fortschritten keiner nur annähernd den Vergleich mit der ungeheuren Tragweite jener grundlegenden Errungenschaften aushalten. Es sollen daher im folgenden nur solche Punkte zur Sprache kommen, in denen die neue Lehre entweder unmittelbar neue Probleme stellte — ich erinnere an das merkwürdige a z. B. von quattuor gegenüber dem e der andern indogermanischen Sprachen — oder doch nur den Ausgangspunkt für weitere Fortschritte bildete; des weitern auch solche, in denen einzelsprachlicher Lautwandel das Bild des ererbten Vokalismus umgestaltet hat. Ich setze ein bei jenen eben berührten italischen a an Stelle eines erwarteten e, die nach der alten Vokaltheorie wertvolle Reste des einstigen Ur-a schienen, nunmehr aber Rechtfertigung heischten. Es zeigte sich bald, daß Verschiedenartiges auseinanderzuhalten sei. Zunächst erkannte man, daß in Fällen wie cätus, dätus, sätus, status, fädo die übrigen europäischen Sprachen ebenfalls mit a, das Arische dagegen mit i antwortet (ai. sitás, sthitás; pitar- = lat. pater, gr. ttotiip, dt. Vater) und daß dieses europ. a = arischem i als Vokal ursprünglich unbetonter Silben in einem regelmäßigen Ablautverhältnis zu é, ö, oder ä steht (cös, dönum, semen, stämen, féci). Da das Arische in Fällen wie aind. ajati = lat. agit als Vertreter des europ. « sonst ebenfalls a zeigt, und es trotz Pedersens Versuch KZ. 3tí, 75 f. bisher nicht gelungen ist, einwandfrei ein Lautgesetz zu formulieren, nach welchem in den erstgenannten Fällen a erst im Arischen zu i gewandelt wäre, besteht auch heute noch Brugmanns und Hübschmanns Standpunkt zu Recht, wonach eur. a und arisch i auf einen vom normalen idg. o verschiedenen Laut, wohl einen Murmelvokal, zurückweisen, den man als Schwa indogermanicum, a, zu bezeichnen sich gewöhnt hat; was übrigens für die europäischen Einzelgrammatiken von geringerem Belang ist. Wie interessantes Licht von hier übrigens auf feinste Einzelheiten fällt, mag an der in Hinblick auf ai. gurús, gr. ßapu£ (idg. *gVfüs) zunächst höchst auffälligen Vokalisation von lat. gravis gezeigt sein: gegenüber gurú-s : ßapu-q, pfihú-s: ttXcitú-s, tanú-s : Tavú-{Y\wahit?tös, lat. fissiis), hätte keines besonderen Hinweises bedürfen sollen. Was endlich den lateinischen Wechsel zwischen ss und s anlangt, so zeigte Osthoff (Perf. 522), daß in der älteren Latinität auch nach langem Vokal noch ss geschrieben und gesprochen wurde, daß aber dort, wo ss auch noch in späterer Zeit geblieben ist, dies stets ein Zeichen für Kürze des vorhergehenden Vokals ist. Außerordentlich mannigfaltig gestalteten sich die auf dem Gebiete der ü b r i g e n K o n s o n a n t e n v e r b i n d u n g e n zu lösenden Fragen. Da war es ein Grundzug der älteren Zeit, daß man in viel zu großem Umfange mit Vereinfachung von Konsonantengruppen und damit Hand in Hand gehender Ersatzdehnung rechnete ; so leitet Götze, De productione syllabarum suppletoria linguae latinae (Curt Stud. 1, 140 f.) z. B. scäla aus *scandlä, finis aus *fidnis, prelum aus *premlom, septeni aus *septemni ab.

Konsonantismus.

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Wieder war es hier Froehde, der in einem tiefeingreifenden Aufsatze (BB. 16, 181 f.) Klarheit schuf; er gelangte zur wichtigen Erkenntnis, daß Ausfall von Konsonanten mit Ersatzdehnung wesentlich auf jene Fälle beschränkt ist, wo s oder Verschlußlaut + s vor einem tönenden weitern Konsonanten geschwunden ist, wozu sich noch ein paar Sonderfälle gesellen; so ist scctia, prelum nicht auf *scandlä, *premlom zurückzuführen, sondern auf *scand-slä, *prem-slom. Daß Froehde durch meist richtige Erschließung der Grundformen der bisherigen Unklarheit und Unsicherheit im Operieren mit Konsonantengruppen ein Ende gemacht hat, war einer der wichtigsten und auch für die Wortbildungslehre folgenreichsten Fortschritte in der Untersuchung des lateinischen Konsonantismus. Es sei hier nicht im einzelnen weiter verfolgt, wie durch neue etymologische Kombinationen und Gruppierungen auch der bei Froehde noch verbliebene Rest zusammenschmolz; es genüge, unsere heutige Auffassung an den vielumstrittenen Lautgruppen Guttural + n, m zu kennzeichnen, denen man darum so lange ratlos gegenüberstand, weil nicht weniger als vier verschiedene Behandlungsweisen einträchtig nebeneinander zu stehn schienen: während agmen unversehrtes gm bietet, ist es in exämen mit Ersatzdehnung, und in stimulus, für das wegen instigäre u. dgl. eine Grundform *stigmolos am nächsten lag, ohne Ersatzdehnung zu m vereinfacht, und endlicli in flamma, das wegen flagrare auf *flagma zurückgeführt wird, als mm vertreten. Nun war für lüna schon durch das praenestinische losna klar, daß nicht *lonc-nä, sondern nur *louc-snä die Grundform gewesen sein könne; daß fürs Italische überhaupt sehr häufig mit sn-, sm-, sr-, sZ-Suffixen statt bloßer n-, m-, r-, ¿-Suffixe zu rechnen ist, fand nachträglich dadurch glänzende Bestätigung, daß in der Foruminschrift die Ahnform von iümentum in der Gestalt iouxmenta ans Licht stieg, so daß sich dem gr. ZeüYHa das Italische mit *ieag-8-men-, also einer an -es-Stämmen gerade wie tö Ceötoq und lat. jügera erwachsenen Suffixkombination -smen- gegenüberstellte. So war es durchaus überzeugend, exämen nun auf entsprechendes *ex-ag-s-men zurückzuführen, während agmen altes *ag-men ist, also nicht mehr aus *agimen hergeleitet zu werden braucht. Und stimulus auf *stig-molos zurückzuführen ist ebenso unmöglich, wie stilus aus *stig-los herzuleiten; beides sind einfache Ableitungen von einer kürzeren Wurzelform *sti-

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mittels der Suffixe -mo- und -h-. Daß endlich fiamtna zu flagrare gehöre, darf nunmehr auch bestritten werden; warum sollte es sich nicht als Bezeichnung des Opferfeuers zu fiämen, got. blötan stellen und auf *flädmä zurückgehn? Was auf dem Gebiet der Konsonantengruppen durch und seit Fröhde sonst noch an Fortschritten erzielt worden ist, kann nicht in der ganzen Fülle seiner Einzelheiten vor dem Leser ausgebreitet werden, und ich verweile auch nicht bei Jurets neuestem Versuch, alle diese Veränderungen in ein festgefügtes System einzuordnen. Aus dem Bereiche der Geminaten aber sei noch auf die nicht seltenen Fälle verwiesen, in welchen langer Vokal + einfachem Konsonanten sich in kurzen Vokal + gedehnten Konsonanten umgesetzt hat, wie in närräre aus Varros närüre, litus und liitus, müctis und mticcus. Wenn auch ein Teil dieser Fälle sicher auf jener Konsonantendehnung beruht, wie sie in Kurznamen und Übernamen (Varro : värus, vorri 'edaces': vordre) auch aus anderen Sprachen bekannt ist, und andrerseits etruskischer Einfluß mit beachtenswerten Gründen erwogen wurde, so steht doch eine endgültige Klärung der Frage, die auch die im Vulgärlatein und den romanischen Sprachen häufigen Konsonantendehnungen nach kurzem Vokal mit in Behandlung zu ziehen haben wird, noch aus. Erfolgreicher war man gegenüber der entgegengesetzten Erscheinung der Vereinfachung etymologisch berechtigter langer Konsonanten; man erkannte sie als gesetzmäßig vor dem Ton in Fällen wie candlis aus *canndlis (:canna) — obgleich das Lautgesetz in Präpositionalzusammensetzungen wie committo massenhaft rückgängig gemacht erscheint —, während nach langem Vokal in guter Zeit noch immer mercenndrius; ferner bei ss nach langem Vokal seit der Kaiserzeit, wie oben erwähnt, während II, wie schon Froehde BB. 3,286 f. annähernd erkannte, nur nach Diphthongen (caelum aus *caülom) und in der Verbindung -illi- (milia: mille) gekürzt wurde. Endlich ein Wort über die auslautenden Konsonanten. Hier wurden auch von philologischer Seite lebhaft verhandelt die Schicksale von -s und -m, deren schwache Artikulation wegen ihrer häufigen Unterdrückung in der Schrift und ihrer Vernachlässigung in der Metrik nicht zweifelhaft sein konnte. Besonders die an den Inschriften und der ältern Metrik gewonnene Erkenntnis von der

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Schwächung und endlich vollständigen Tilgung des -s vor konsonantischem Anlaut des nächsten Wortes hat auch der Formenlehre einige wertvolle Aufschlüsse geliefert, indem Leo (Plaut. Forsch. 261 f.) mage, pote, sat (aus *sate) als antekonsonantische Doppelformen zu magis, potis, satis verstehn gelehrt hat; ob unsere Erscheinung auch für die Beurteilung von -re neben -ris der 2. Sg. pass. zu Hilfe gerufen werden darf, ist freilich eine andere Frage, s. Sommer Krit. Erläuterungen 95 ff. Nicht bloß lateinischer Art sind einige an den auslautenden Dentalen gemachte Beobachtungen. Bugge hat (KZ. 3,422 f. und später) zunächst fürs Oskisch-Umbrische gezeigt, daß die primäre Endung idg. -nti der 3. PI. hier durch -nt, dagegen die sekundäre Endung idg. -nt durch -ns vertreten sei, und entsprechend ist in der 3. Sg. idg. -ti durch o.-u. -t, dagegen die Sekundärendung idg. -t durch o.-u. -d wiedergespiegelt, z. B. 3. Sg. Präs. Ind. osk. faamat: Konj. deicad, Perf. deded, 3. PI. Präs. Ind. stahint: Konj. deicans. Daß dieses -d der 3. Sg. eine bereits ursprachlich vor tönendem nächsten Wortanlaut neben dem ursprünglichen -t aufgekommene Doublette sei (Bezzenberger BB. 14, 176 f.), ist von Schmidt (Pluralbildungen 180 ff.) mit Recht abgelehnt worden. Wenigstens für die 3. Sg. ist nun dasselbe Verhältnis auch noch aus dem ältesten Latein zu belegen, z. B. mit Sekundärendung deded, sied, deren echte Latinität nicht in Zweifel zu ziehen ist, gegenüber -t im Indikativ (und allerdings auch Konjunktiv). Daß von der Sekundärendung -ns der 3. PI. auch im ältesten Latein keine Spuren mehr erhalten sind, ist bei ihrem allzu unbequemen lautlichen Abstand von der primären Schwesterendung -nt leicht verständlich. Daß aber idg. -nt auch im Lat. durch -ns vertreten wäre, ist durch die doch höchst wahrscheinliche Gleichheit der Endung von lat. qnotiens, totiens mit der von aind. kiyat "wie viel', iyat 'so viel' (idg. -nt) und die freilich weit unsicherere von ferens als Neutrum mit aind. bharat gestützt worden, und so darf die Entwicklung eines idg. auslautenden -t wohl so formuliert werden, daß es zunächst zu ital. -d wurde, das nach Vokal blieb, nach Konsonant dagegen — wohl über d — zu -s fortschritt. Außer für -nt glaube ich dies auch für -rt durch den Hinweis auf den Schlußvokalismus von jecur und femur aus -ort = idg. -jrt (ai. yakft) glaubhaft machen zu können. Da ursprüngliches -or in memor, marmor geblieben ist, ist die in ersteren

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erfolgte Yerdnmpfung zu -ur auf Rechnung einer schließenden Doppelkonsonanz zu setzen, also einer altern Form *jecorr aus *jecors, *jecord aus idg. *ieqvft. Auch idg. -rd hat über -rs zu -rr geführt (Vollmöllers Rom. Jb. 7. 1. S. 27), wie *cord, *corr zeigt, das dann endlich ebenso zu cor wurde, wie das von Bücheler noch aus einem Plautusverse nachgewiesene terr zum nachmaligen ter vereinfacht wurde. Stammbildangslehre. In der Stammbildungslehre finden wir bereits die ältere Sprachwissenschaft mit der Untersuchung der suffixalen Elemente beschäftigt, mit denen man sich bei Aufstellung neuer Etymologien, wie im Verlaufe laut- und formengeschichtlicher Untersuchungen stets von neuem auseinanderzusetzen hatte. Hand in Hand mit den Fortschritten der Lautlehre klärten sich zusehends auch die Anschauungen über diese, wofür an das oben über Konsonantengruppen Gesagte erinnert sei, und indem die Behandlung der italischen Suffixe und Suffixkombinationen nun auf eine verläßliche lautliche Grundlage gestellt erschien, stand wenigstens der Verknüpfung der italischen Bildungstypen mit denen der verwandten Sprachen kaum mehr irgendwo eine lautliche Unsicherheit entgegen; so konnte man z. B. nicht länger an der Identität des Werkzeugnamensuffixes -c(n)lo- mit idg. -i/o-, oder an der Entstehung des Komplexes -strum aus idg. -trom nach auf Dental auslautender Wurzel zweifeln. Aber damit war doch erst der kleinere Teil der Arbeit getan. Nicht nur waren bei manchen Suffixen mehrere Grundformen lautlich gleich gut denkbar, wie das lat. Suffix -do- (-das) veranschaulichen mag, das sowohl idg. -do- wie -dho- fortsetzen kann. Als viel wichtiger stellte es sich heraus zu bestimmen, von welchen ältesten Musterformen gewisse Suffixe und Suffixkombinationen ausgegangen waren und auf welchem Wege sie sich dann weiter ausbreiteten; ein Suffix kann erst dann als sprachgeschichtlich aufgeklärt gelten, wenn zunächst seine innersprachliche Entwicklung in den verschiedenen Literaturperioden festgestellt ist, wobei seine je nach der Bedeutung der wurzelhaften Elemente oft sehr veränderliche Funktion zn untersuchen ist; erst dadurch ist die Grundlage geschaffen, um

Stammbildungslehre.

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es entweder direkt an ursprachliche Bildungen anzuknüpfen oder bei neuen Bildungstypen jene Worte ausfindig zu machen, an denen sie zuerst ins Leben getreten sind. So war für die Begründung einer wirklich wissenschaftlichen Wortbildungslehre eine große Zahl lexikalisch-statistischer Untersuchungen dringendste Voraussetzung und man durfte gerade aus dem Lager der klassischen Philologen auf eine reiche Zahl von Mitarbeitern an diesem Werke hoffen. Abgesehen von den umfassenden Statistiken und Sammlungen C. v. Pauckers (seit KZ. 23,138f.; 26, 243f., 409f.) hatten nun freilich noch lange die Sprachvergleicher die Führung zu übernehmen und Ziele und Methoden zu weisen; erst seit sich die Zahl sprachgeschichtlich geschulter Philologen erfreulich mehrte und die wortgeschichtlichen Fragen im Archiv für lateinische Lexikographie einen neuen Mittelpunkt fanden, ist das wünschenswerte Zusammenarbeiten von beiden Seiten erreicht. Daß trotzdem vieles erst zukünftiger Lösung harrt, mögen die vielbehandelten Suffixkomplexe- ivus und -icus, -icius belegen, für welche idg. Feminina auf -i, ferner rä-Stämme (cadi-vus: stilli-cidium), Verba auf -ire, für -ivus sogar Entstehung aus einem zweiten Zusammensetzungsglied = aind. eva-s 'Gang, Weise' in Rechnung gezogen wurden. In anderem sehen wir klarer, wie z. B. für den Ausgang -estris drei Ausgangspunkte erkannt sind: die erste Bedeutungsgruppe (campestris, paludestris usw.) ist Nachbildung von terres-tris, dem derselbe es-Stamm *teros zugrunde liegt, wie dem aus *teres-nos entstandenen terrenus; die zweite Gruppe pedestris, equestris ist von letzterem ausgegangen, das sich als equet-tris zu equit-is und griech. hnrÖT-riq stellt; für sich endlich steht lanes-tris zum -es-Stamm lanerum, Xrjvoq. Von dem durch W. Schulze bewirkten Umschwung in der Behandlung der Eigennamenbildung war schon gelegentlich der Etruskerfrage die Rede. Was für Suffixe engerer grammatischer Funktion, so für die z. T. recht eigenartigen Superlativsuffixe oder die der Zahlworte, erarbeitet wurde, sei hier nicht im einzelnen erörtert. Wohl aber ist eines allgemeinern Gesichtspunktes zu gedenken, der nun schon in einer Reihe von Fällen mit Glück zur Geltung gebracht worden ist: gegenüber der früher selbstverständlichen Meinung, daß z. B. pugnäre von pugna abgeleitet sei, hat man seit B r M M6m. soc. lingu. 4, 82 erkannt, daß hier und in anderen

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Fällen das Verbum das ältere und das Substantiv erst daraus rückgebildet ist (noms postverbaux), daß also von pugnus 'Faust' zunächst pugnäre '(mit der Faust) dreinschlagen, kämpfen' gebildet ist, und erst aus letzterem ein Substantiv pugna gefolgert wurde; ähnlich ist adulter nur als Rückbildung aus adulteräre, condensus als eine solche aus condensäre verständlich. In den Fragen der Wortzusammensetzung hatten die aus den übrigen indogermanischen Sprachen gewonnenen Ergebnisse, sowohl in begrifflicher als formaler Hinsicht, auch den Boden für die Beurteilung des italischen Materials bereitet; so fand z. B. das erste Glied von homi-cida, das die ältere Sprachwissenschaft aus *hominioder *komin-cida herleiten zu dürfen glaubte, dadurch seine formale Rechtfertigung, daß -ew-Stämme auch anderswo in der Zusammensetzung durch o-Stämme abgelöst wurden, also *hemo-caidä, wie vom alten o-Stamm *päso-s (griech. iniog) *päso-caidä päricida. Man darf im großen ganzen die an die italische Wortzusammensetzung sich knüpfenden Fragen als heute wesentlich erledigt bezeichnen; daß aber erneute Untersuchung trotzdem lohnen würde, geht wohl zur Genüge daraus hervor, daß ein so interessantes Dvandva wie Veneres Cupidines 'Venus und Cupido' erst in jüngster Zeit erkannt wurde, und daß Wackernagel neuestens (KZ. 43, 296 f.) das dualische umbr. veiropequo 'Menschen und Vieh' durch Vergleich mit avest. pasu-vira als uralte Formel erweisen konnte. Besonders reichlich flössen die Untersuchungen über Stammbildung und Bedeutung der Pronomina; nicht bloß warfen allgemein indogermanistische Arbeiten, wie die Behandlung der Pronominalstämme (e)no- und ol- durch Persson (IF. 2, 199 f.), Solmsen (KZ. 31, 472 f.) und Rozwadowski (IF. 3, 264 f.) oder Brugmanns Schrift über die Demonstrativpronomina der indogermanischen Sprachen auch fürs Italische reichen Gewinn an neuen Gesichtspunkten und zahlreichen Einzelbeobachtungen ab, sondern auch speziell philologische Arbeiten wie Bachs De usu pronominum demonstr. apud priscos scriptores latinos (Stademunds Stud. 5) taten das ihre, um dieses Gebiet zu einem der bestdurchackerten der lateinischen Grammatik zu machen. Hier, wie z. T. auch bei den Nomina, besonders denen der 5. Deklination, berühren sich übrigens die Fragen der Stammbildung vielfach mit denen der Flexion, zu der nun übergegangen werden soll.

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Deklination.

Deklination. Von einschneidender Bedeutung für die Gewinnung unserer modernen Anschauungen über Flexion war die Untersuchung der besonders bei konsonantischen Stämmen vielfach zu beobachtenden A b s t u f u n g s v e r h ä l t n i s s e , die durch Ebels Abhandlung über Starke und schwache Formen griechischer und lateinischer Nomina (KZ. 1, 289 f.) eröffnet wurde. Aber obwohl auch Benfey (Or. und Occ. 1, 238) sich entschieden gegen die isolierende Betrachtungsweise wendete, die z. B. lat. victrix als erst lateinische Schwächung aus *victörix ansah, trotzdem die Übereinstimmung mit aind. -tri, griech. -rpia die Ausstoßung des Suffixvokales als bereits ursprachlich erweist, blieben diese Beobachtungen zunächst ungenützt; erst als durch Yerners Entdeckung der Sinn für alle möglicherweise mit dem Akzent zusammenhängenden Erscheinungen geschärft war, mußte auch der Deklinationsablaut gleichsam neu entdeckt werden. Das Lateinische freilich warf nicht allzuviel für die Erschließung der ursprünglichen Yerhältnisse ab, denn es hat den Ablaut entweder ganz aufgegeben wie im Paradigma nätiö, natiönis, wo die Tiefstufe -in- nur mehr in Ableitungen wie festin-äre und im umbr. natine 'natione* erscheint, oder es hat ihn auf einen Gegensatz zwischen Nom. Sing, und den andern Kasus beschränkt; außerdem erschwerten die Yokalschwächungen in den nachtonigen Silben vielfach die Erkenntnis des Ursprünglichen, wie denn das -invon hominis, hominetn aus -ow- oder -era-, ja nach der Ansicht mancher Forscher selbst aus einer Grundform *hemnes herleitbar ist; für letztere hat man sich u. a. darauf berufen, daß das g von vorägo gegenüber dem c von voräx-, -äcis unter Voraussetzung eines Gen. *voräcnes, woraus *vorägnes, begreiflich wäre. Sicher schwundstufige Suffixformen erkannte man in Ableitungen wie reg-n-um (: aind. räjan- 'König') oder pollen, pollis, das nach W. MeyerLübke (KZ. 28, 162) durch Ausgleich einer Flexion *polen, Gen. *pol-n-es, woraus pollis, entstanden ist. So ist auch bei den esStämmen, die Brugmann (Curt. Stud. 9, 361 f. und KZ. 24, 1 f.) untersuchte, die schwächste Stufe s, und zwar schon seit indogermanischer Zeit, auf Ableitungen beschränkt (iouxmenta : tö Ceuxos), während der Typus genus, -eris und der im Lateinischen daraus durch Überführung des nominativischen o in die andern Geschichte der idg. Sprachwissenschaft II.

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Kasus umgestaltete von tempus, -oris (aber noch tempes-täs, tempert) das alte indogermanische Paradigma mit den durchgeführten Hochstufen 05 : es (*genos, *geneses) fortsetzt und der andere, durch griech. r|diq, r|6(*(T)-o