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German Pages 562 Year 2019
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 187
Die Entwicklung von Rücktrittsund Rückrufsrechten wegen Nichtausübung, veränderter Umstände und gewandelter Überzeugung im Urheber- und Verlagsrecht
Von
Clemens Bogedain
Duncker & Humblot · Berlin
CLEMENS BOGEDAIN
Die Entwicklung von Rücktritts- und Rückrufsrechten wegen Nichtausübung, veränderter Umstände und gewandelter Überzeugung im Urheberund Verlagsrecht
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 187
Die Entwicklung von Rücktrittsund Rückrufsrechten wegen Nichtausübung, veränderter Umstände und gewandelter Überzeugung im Urheber- und Verlagsrecht
Von
Clemens Bogedain
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Studienstiftung ius vivum sowie der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-15578-1 (Print) ISBN 978-3-428-55578-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85578-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2018 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Ich danke meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Bernd Kannowski, für die Betreuung der Arbeit. Ihm und Herrn Professor Dr. Knut Werner Lange gilt überdies mein Dank für die Eröffnung der Möglichkeit, während des Großteils der Entstehungszeit dieser Arbeit als wissenschaft licher Mitarbeiter am Dekanat der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth wirken zu dürfen. Herrn Professor Dr. Diethelm Klippel danke ich für die zügige Anfertigung des Zweitgutachtens. Bei Herrn Dr. Thomas Mogg bedanke ich mich herzlich für die Zurverfügungstellung seiner Forschungsunterlagen, bei Herrn Dr. Gabriel Wittmann für die Herstellung des Kontakts. Für die Druckkostenzuschüsse danke ich der Studienstiftung ius vivum sowie der Helmut-Schmidt-Universität – Universität der Bundeswehr Hamburg. Ich widme diese Arbeit meinen Eltern, Großeltern und Geschwistern, ohne deren immerwährende Unterstützung mein bisheriger Werdegang und damit auch diese Untersuchung nicht möglich gewesen wäre. Hamburg, im Juli 2018
Clemens Bogedain
Inhaltsübersicht Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 30 31 33
A. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allgemeinen Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtausübung im Kontext der Verlagseigentumslehre . . . . . . . . . . . . . II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 48
B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte in den Naturrechtskodifikationen des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Badische Landrecht von 1810 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das österreichische ABGB von 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 50 81 84 89
C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes . . . . . . . . . . . . I. Kodifikationsbestrebungen und private Initiativen auf Bundesebene bis 1863 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Revisionsbemühungen um die verlagsrechtlichen Vorschriften des ALRund das preußische Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung von 1837 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die preußischen Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechts kodifikation 1837–1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das freie Rücktrittsrecht in der vorbereitenden Vorlage zum „Dresdner Entwurf“ (1863˗1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ und Rechtsprechung zwischen 1840 und 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 37
92 93
94 96 134 142 149 157 158
D. Die Entwicklung der Rücktrittsrechte im Kaiserreich bis zur Aufnahme der Verhandlungen zum Verlagsgesetz von 1901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Die Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre . . . . . . . 165
8 Inhaltsübersicht
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände . . . . . . . III. Die Entwürfe der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 204 214 216
E. Die Rücktrittsrechte wegen veränderter Umstände und Nichtausübung im Verlagsgesetz von 1901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Die Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 . . . . . 221 II. Die Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung des Referentenentwurfs vom Dezember 1899 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 III. Die Begutachtung durch das preußische Justiz- und Kultusministerium im Januar 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 IV. Die offiziellen Motive zu den Rücktrittsrechten: Die Bundesratsfassung des „Entwurfs eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ . . . . . . . . . . 239 V. Die Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 VI. Die Beratungen und Beschlüsse des Bundesrates und ihr öffentliches Echo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 VII. Beratung und Beschlussfassung im Reichstag und Verabschiedung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 VIII. Die mittelfristige Bewertung in der Literatur und die Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 IX. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht: Nichtausübung und veränderte Umstände in der Weimarer Republik und im NS-Staat . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933 . . . . . . . . III. Die urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291 292 319 363
G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965 . . . . 394 I. Der „Berliner Entwurf“ der Sachverständigenkommission . . . . . . . . . . . 395 II. Die Rückrufsrechte in der Jurisprudenz der 1950er und frühen 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 III. Der Rengsdorfer Entwurf vom September 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 IV. Der Referentenentwurf vom März 1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 V. Der Ministerialentwurf von 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 VI. Der Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962 . . . . . . . . . . . 466 VII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 H. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 I. Die Entwicklung der Rückrufsrechte seit 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 II. Rechtsprechung seit 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allgemeinen Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtausübung im Kontext der Verlagseigentumslehre . . . . . . . . . . . . . II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtausübung, Umstands- und Überzeugungswandel im Kontext der frühen Lehre vom geistigen Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Präzisierung der Lehre vom geistigen Eigentum als dogmatische Grundlage künftiger Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung und veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte in den Naturrechtskodifikationen des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rücktrittsrechte des Verlegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände . . . . . . . c) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unmöglichkeitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtlicher Charakter des Rücktrittsrechts nach §§ 1005 ff. . . . . 2. Genese des Autorenrücktrittsrechts nach §§ 1005 ff. . . . . . . . . . . . . . a) Beteiligte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Kleinsche Vorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überarbeitung durch Svarez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Monita, extractus und revisio monitorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Letzte Textgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Hintergrund der Regelung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Motive hinter §§ 1005 ff.: Versuch einer Erklärung . . . . . . . . . . a) Keine Einflussnahme Friedrich Nicolais . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Urheberschaft Svarezʼ: Die §§ 1005 ff. als clausula-Sonder regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 30 31 33 36 37 40 42 44 48 50 50 50 51 52 53 53 54 56 57 58 59 61 63 64 67 67 69
10 Inhaltsverzeichnis
c) Literatur zu den Rücktrittsrechten des Autors im Allgemeinen und den §§ 1005 ff. im Besonderen bis zum Jahr 1839 . . . . . . . . aa) Zum Rücktritt wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . bb) Zum Rücktritt wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Erklärungsansätze im Anschluss an die Literatur . . . . . . aa) Das Rücktrittsrecht als Ausfluss kantianischen Urheberrechtsdenkens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Römischrechtliche Analogie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Badische Landrecht von 1810 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das österreichische ABGB von 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes . . . . . . . . . . . . I. Kodifikationsbestrebungen und private Initiativen auf Bundesebene bis 1863 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Revisionsbemühungen um die verlagsrechtlichen Vorschriften des ALRund das preußische Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung von 1837 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die preußischen Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechts kodifikation 1837–1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Rücktrittsrecht im Spiegel der Gutachten des Jahres 1838 . . . . a) Die Verlegerperspektive: Carl Friedrich Duncker . . . . . . . . . . . . . b) Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau . . . . . . . . . . c) Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Gutachten Deiters’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Gutachten Freytags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Königliche Universität zu Greifswald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Entwurf einer Verordnung über den Verlags-Vertrag vom 12. März 1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rücktrittsrecht des Verlegers bei Nichterfüllung durch den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände / freies Autorenrücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . 3. Der Ministerialentwurf zu einem Gesetz über den Verlagsvertrag vom Juni 1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundtendenz und Zielsetzung des Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nachfristloses Rücktrittsrecht des Verlegers und Ausdehnung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausdehnung der Haftung bei anderweitiger Herausgabe nach dem Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 71 76 76 76 77 78 81 84 89 92 93
94 96 98 98 99 99 100 101 102 104 105 105 106 108 109 109 111 112 114
Inhaltsverzeichnis11
e) Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . 115 4. Die Stellungnahme des Justizministeriums vom Dezember 1839 . . . 115 a) Zum Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände . 116 b) Zum Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung. . . . . . . . 118 5. Stellungnahme und Eigenentwurf des Königlich-Preußischen Literarischen Sachverständigen-Vereins vom 1. Mai 1842 . . . . . . . . 118 a) Die Stellungnahme zum Ministerialentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Der Sachverständigenentwurf zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Der Sachverständigenentwurf zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6. Überarbeitung durch Heydemann und Endfassung . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände / freies Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7. Scheitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 8. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Gesetzliche Regelungen zum Verlags- und Urheberrecht . . . . . . . . . 134 2. Einzelstaatliche und private Gesetzentwürfe: Württemberg, Bayern und Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Der Entwurf eines HGB für das Königreich Württemberg (1839) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Freies Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Der BGB-Entwurf für das Königreich Bayern (1861) . . . . . . . . . 138 aa) Freies Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Der sächsische „Berger-Entwurf“ (1845) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Freies Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 V. Das freie Rücktrittsrecht in der vorbereitenden Vorlage zum „Dresdner Entwurf“ (1863–1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Inhalt und Begründung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Bedenken gegen die Einführung eines Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . 145 3. Gegenkritik und Streichung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 147 VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ und Rechtsprechung zwischen 1840 und 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände / freies Rücktrittsrecht . 149 2. Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 VII. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 VIII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
12 Inhaltsverzeichnis
D. Die Entwicklung der Rücktrittsrechte im Kaiserreich bis zur Aufnahme der Verhandlungen zum Verlagsgesetz von 1901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Die Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre . . . . . . . 165 II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände . . . . . . . 172 1. Schürmanns Grundordnung (1889) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Rücktrittsrecht des Verlegers wegen veränderter Umstände . . . . 174 2. Streißlers Entwurf einer Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel (1890) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Der Gesetzentwurf des Deutschen Schriftstellerverbandes (1891) . . 177 4. Die Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel (1893) . . . . . . . 179 a) Der Vorentwurf Voigtländers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Freies Rücktrittsrecht des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Freies Rücktrittsrecht des Verlegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 cc) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Der Vorentwurf des außerordentlichen Ausschusses . . . . . . . . . . 184 aa) Freies Rücktrittsrecht des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Freies Rücktrittsrecht des Verlegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 cc) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 dd) Die Stellungnahme Wächters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 ee) Die Stellungnahme Dambachs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 ff) Die Beratung der Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Der Erstentwurf vom Dezember 1891 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Freies Rücktrittsrecht des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Freies Rücktrittsrecht des Verlegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Die Kritik am Erstentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 e) Überarbeitung und Verabschiedung der Verlagsordnung . . . . . . . 196 5. Die Entwürfe der „Association Littéraire et Artistique Internatio nale“ (1892–95) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Der Vorentwurf auf dem Kongress von Neuchâtel (1891) . . . . . . 200 b) Der Entwurf auf dem Kongress von Mailand (1892) . . . . . . . . . . 201 c) Hildebrands Entwurf auf dem Dresdner Kongress (1895) . . . . . . 202 d) Das Ende der Bestrebungen um eine internationale Regelung des Verlagsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Die Entwürfe der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Der Planck-Entwurf (1890) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Aufhebungsanspruch wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Freies Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Bährs Gegenentwurf zum BGB (1892) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Freies Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Inhaltsverzeichnis13
b) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 IV. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 V. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 E. Die Rücktrittsrechte wegen veränderter Umstände und Nichtausübung im Verlagsgesetz von 1901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Die Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 . . . . . 221 1. Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Die Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung des Referentenentwurfs vom Dezember 1899 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Die Umarbeitung des Referentenentwurfs zum Dezember 1899 . . . . 232 a) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . 236 III. Die Begutachtung durch das preußische Justiz- und Kultus ministerium im Januar 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 IV. Die offiziellen Motive zu den Rücktrittsrechten: Die Bundesrats fassung des „Entwurfs eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ . . . . . . . . 239 1. Die Motive zu den Rücktrittsrechten wegen Nichtausübung . . . . . . . 240 2. Die Motive zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . 241 V. Die Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Interessenverbände des Verlagswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Interessenverbände der Autorenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Die Petition des Vereins „Berliner Presse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Die Bemerkungen des Vereins Deutscher Ingenieure . . . . . . . . . . 245 3. Erwiderungen der Verlegerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Die Erwiderung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler . 247 b) Die Erwiderung der Deutschen Verlegerkammer . . . . . . . . . . . . . 247 4. Die Bewertung des Gesetzentwurfs durch die Universitäten . . . . . . . 249 5. Die Bewertung des Entwurfs in der juristischen Fachliteratur . . . . . 250 a) Die Kritik Wicherts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Die Kritik Osterrieths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Die Kritik Birkmeyers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 VI. Die Beratungen und Beschlüsse des Bundesrates und ihr öffentliches Echo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Die Änderungswünsche der Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Ausschussverhandlungen und Beschlussfassung im Bundesrat . . . . . 256 VII. Beratung und Beschlussfassung im Reichstag und Verabschiedung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Die Behandlung der Rücktrittsrechte in der ersten Reichstags lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
14 Inhaltsverzeichnis
a) Die Position des konservativen Lagers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Die Äußerungen der linksliberalen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Die Äußerungen der Sozialdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 d) Die Verteidigung des Entwurfs durch das Reichsjustizamt . . . . . 261 2. Die Rücktrittsrechte in der Beratung der Reichstagskommission . . . 262 a) Kommissionsverhandlungen und -beschlüsse zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Kommissionsverhandlungen und -beschlüsse zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Die zweite und dritte Reichstagslesung und das weitere Verfahren . 266 VIII. Die mittelfristige Bewertung in der Literatur und die Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Die Behandlung der Rücktrittsrechte in der Rechtswissenschaft bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Kommentarliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) § 35 VerlG als Rückschritt gegenüber §§ 1005 ff. ALR: Gallus Christ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Josef Kohlers Kritik an § 35 VerlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 cc) Die Kritik Riezlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 dd) Die Kritik Elsters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 ee) Die Ausführungen Hans Otto de Boors . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 ff) Kohler zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung: „Anatole France und das Verlagsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 gg) Sonstige Autoren zu den Rücktrittsrechten . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Rechtsprechung bis 1918: Präzisierung und Erweiterung . . . . . . . . . 282 a) Entscheidungen zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung . . . . 283 b) Entscheidungen zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 c) Das Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache . . . . . . . . . . . 284 IX. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht: Nichtausübung und veränderte Umstände in der Weimarer Republik und im NS-Staat . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Literatur zu den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten . . . . . . . . a) Hoffmann: Revolution und Inflation als „veränderte Umstände“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lobes Kritik an § 17 VerlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schwarz: § 35 VerlG als Ausfluss des „eigenartigen Bandes“ zwischen Autor und Verleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Passows Kritik an §§ 35 und 17 VerlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Streisslers „System des Immaterialgüterrechts“: § 35 VerlG zwischen monistischer und dualistischer Theorie . . . . . . . . . . . . .
291 292 292 293 294 295 298 299
Inhaltsverzeichnis15
f) Aldenraths „Rücktritt vom Verlagsvertrag“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 g) Nationalsozialistische Instrumentalisierung des § 35 VerlG: Fehligs „Einseitige Aufhebung des Verlagsvertrags“ . . . . . . . . . . 302 2. Rechtsprechung zu den Rücktrittsrechten 1921–1939 . . . . . . . . . . . . 306 a) Rechtsprechung zum Rücktritt nach §§ 17, 30, 32 VerlG . . . . . . 306 b) Nichtausübung außerhalb des Verlagsgesetzes: Das Reichs gericht zu Verfilmungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 c) Rechtsprechung zum Rücktritt nach § 35 VerlG . . . . . . . . . . . . . . 310 d) „Veränderte Umstände“ und das Sonderkündigungsrecht im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Die Entwicklung in der Verlagspraxis: Normverträge . . . . . . . . . . . . 314 4. Verlagsrechtsreform oder Urheberschuldrecht: Die Ansätze des Jahres 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 5. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 II. Die urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933 . . . . . . . . 319 1. Die Normierung des Urheberpersönlichkeitsrechts in der revidierten Berner Übereinkunft und der technische Fortschritt . . . . . . . . . . 320 2. Die Rücktritts- und Rückfallsrechte der nichtamtlichen Urheberrechtsgesetzentwürfe der Jahre 1928 bis 1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 a) Der Entwurf Bruno Marwitzʼ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Der Entwurf Willy Hoffmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 c) Die Beratung der Entwürfe im Urheberrechtsausschuss des „Grünen Vereins“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 d) Der Entwurf des Reichsverbandes bildender Künstler Deutschlands, der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer und des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller vom 20. April 1931 . . . . . . . . 327 3. Der amtliche Entwurf von 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4. Stellungnahmen zum amtlichen Entwurf von 1932 . . . . . . . . . . . . . . 334 a) Die Beratungen im vorläufigen Reichswirtschaftsrat . . . . . . . . . . 334 aa) de Boors Vorschlag eines urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 bb) Die „Geburt“ des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung . . . 338 b) Das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung in den Stellung nahmen der Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 c) Bewertung in der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 aa) de Boors „Vom Wesen des Urheberrechts“ . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Die Beiträge Engländers, Möhrings, Koehnes, Elsters und Hoffmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 d) Die Bewertung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 e) Stellungnahmen sonstiger staatlicher Stellen und der Länder . . . 360 III. Die urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 1. Der amtliche Entwurf von 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 a) Verbietungs- und Rückrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
16 Inhaltsverzeichnis
aa) Die Erweiterung des Urheberpersönlichkeitsrechts um ein Verbietungsrecht bei nachträglicher Ansehens- und Ruf gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Überarbeitung des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Erörterung des Entwurfs im Reichsjustizministerium . . . . . . c) Stellungnahmen der Länder und weitere Besprechungen . . . . . . . 2. Der überarbeitete amtliche Entwurf vom 22. Januar 1934 . . . . . . . . a) Urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht . . . . . . . . . . . b) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Debatten im Urheberrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahmen zum amtlichen Entwurf von 1934 . . . . . . . . . . . 3. Rücktritts- und Rückrufsrechte in den Privatentwürfen der Jahre 1933 / 34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Entwurf Willy Hoffmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Entwurf des BNSDJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Entwurf der Akademie für Deutsches Recht von 1939 . . . . . . . a) Urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht . . . . . . . . . . . b) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahmen zum Akademieentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
364 364 368 369 371 371 373 375 376 378 378 380 382 382 383 385 387
G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965 . . . . 394 I. Der „Berliner Entwurf“ der Sachverständigenkommission . . . . . . . . . . . 395 1. Urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht . . . . . . . . . . . . . 396 2. Rückrufsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 3. Stellungnahmen zu §§ 10a Abs. 4 und § 28 Berlin-E . . . . . . . . . . . . 398 II. Die Rückrufsrechte in der Jurisprudenz der 1950er und frühen 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 III. Der Rengsdorfer Entwurf vom September 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 IV. Der Referentenentwurf vom März 1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 1. Die Rückrufsrechte im Vorentwurf zum Referentenentwurf . . . . . . . 404 2. Inhalt und Begründung der Rückrufsrechte im Referentenentwurf . 406 a) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 b) Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung . . . . . . . . . . . . . 408 c) Ausschluss- und Abbedingungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 3. Stellungnahmen zu den Rückrufsrechten des Referentenentwurfs . 412 a) Stellungnahmen der Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 aa) Interessenverbände der Urheberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 bb) Interessenverbände der Verwertungsindustrie . . . . . . . . . . . . 414 b) Stellungnahmen einzelner Sachverständiger und Privater . . . . . . 416 c) Stellungnahmen amtlicher Stellen auf Bundes- und Länder ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
Inhaltsverzeichnis17
aa) Bundesinnenministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 bb) Länderministerien und -behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 cc) BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 d) Die Thematisierung der Rückrufsrechte in Fachpublikationen . 427 aa) Grundsatzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 bb) Beiträge zum Film- und Lichtbildrecht des Entwurfs . . . . . . 428 cc) Verhältnis zum Verlagsrecht und Vergleich mit dem französischen droit de repentir ou de retrait . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 4. Die Rückrufsrechte in den Beratungen zum Referentenentwurf . . . . 432 a) Die Beratungen im Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 b) Die Beratung im Bundesjustizministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 c) Weitere Erörterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 V. Der Ministerialentwurf von 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 1. Inhalt und Begründung der Rückrufsrechte im Ministerialentwurf . 441 a) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 b) Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung . . . . . . . . . . . . . 444 c) Ausschluss- und Abbedingungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 d) Das Verbietungsrecht im Rahmen der Schrankenregelung für Sammlungen für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichts gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 2. Stellungnahmen zu den Rückrufsrechten des Ministerialentwurfs . 448 a) Stellungnahmen der Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 b) Stellungnahmen einzelner Sachverständiger und prominenter Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 c) Stellungnahmen von Bundes- und Länderbehörden . . . . . . . . . . . 454 d) Äußerungen der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 3. Die Rückrufsrechte in den Beratungen zum Ministerialentwurf . . . . 459 a) Die Beratung im Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 b) Die Beratungen im Bundesjustizministerium . . . . . . . . . . . . . . . . 460 c) Die Sitzung der Sachverständigenkommission im Bundesjustizministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 d) Besprechungen mit anderen Bundesministerien und Abschluss der Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 VI. Der Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962 . . . . . . . . . . . 466 1. Inhalt und Begründung der Rückrufsrechte im Regierungsentwurf . 466 a) Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung . . . . . . . . . . . . . 467 b) Die Sonderregelung für angestellte Urheber, die Ausschlussregelung im Filmrecht sowie das Verbietungsrecht im Rahmen der Schrankenregelung für Sammlungen für den Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
18 Inhaltsverzeichnis
2. Die Stellungnahme des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahmen der Interessenverbände zu den Rückrufsrechten . . . 4. Finale Behandlung in der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Behandlung des Regierungsentwurfs in Bundestag und Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die erste Lesung im Bundestag am 6. Dezember 1963 . . . . . . . . b) Die Behandlung der Rückrufsrechte im Rechtsausschuss / Unterausschuss „Urheberrecht“ zwischen Januar 1964 und Februar 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Beratung der Rückrufsrechte im Ausschuss für Kultur politik und Publizistik / Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“ zwischen Februar und Dezember 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Beratung im Wirtschaftsausschuss (November / Dezember 1964) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die abschließende Beratung und der Abschlussbericht des Rechtsausschusses (April / Mai 1965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Das weitere Verfahren im Bundestag und Bundesrat . . . . . . . . . . g) Verkündung und Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
471 472 473 476 477 478 482 483 483 484 486 486
H. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 I. Die Entwicklung der Rückrufsrechte seit 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 II. Rechtsprechung seit 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
Abkürzungsverzeichnis Hinsichtlich der Abkürzung juristischer bzw. wissenschaftlicher Fachzeitschriften wird auf die bekannten Nachschlagewerke verwiesen. Abkürzungen von Gesetzeswerken und Standesordnungen (nebst der dazugehörigen Entwürfe), die durch Klammereinschübe innerhalb der Arbeit eingeführt wurden, werden nachstehend nicht gelistet. a. E.
am Ende
a. F.
alter Fassung
AG Amtsgericht BArbM Bundesarbeitsministerium Bd. Band BArch Bundesarchiv BayStA
Bayerisches Staatsarchiv
BGH Bundesgerichtshof BMI
Bundesministerium des Innern
BMJ
Bundesministerium der Justiz (ab 2013: und für Verbraucherschutz)
BR Bundesrat BT Bundestag CDU
Christlich-Demokratische Union Deutschlands
CSU
Christlich-Soziale Union in Bayern
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders. / dies. / dass.
derselbe / dieselbe / dasselbe
Drs. Drucksache ebd. ebenda FDP
Freie Demokratische Partei
GStA PK
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
HA Hauptabteilung HJ Hitlerjugend Hs. Halbsatz m. Anm.
mit Anmerkung
MD Ministerialdirektor MR Ministerialrat m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
20 Abkürzungsverzeichnis
n. F. neue(r) Fassung NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OLG Oberlandesgericht r. recto RD Regierungsdirektor Rep. Repositur RG Reichsgericht RJA Reichsjustizamt RJM Reichsjustizministerium RT Reichstag RWR (vorläufiger) Reichswirtschaftsrat SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPIO Spitzenorganisation der Filmwirtschaft SS Schutzstaffel StenBer Stenographische Berichte Urt. v. Urteil vom v. (bei Archivalien- verso nachweisen) Wp Wahlperiode zit. n. zitiert nach
Vorbemerkung Alle verwendeten Zitate sind in Orthographie und Interpunktion originalgetreu wiedergegeben. Die mitunter in den handschriftlichen Akten der preußischen Justizministerien zu findenden Ligaturen wie m̅ oder n̅ wurden in „mm“ und „nn“ aufgelöst; Doppelbindestriche wurden durch einfache Bindestriche ersetzt. Hervorhebungen und (handschriftliche) Streichungen wurden hingegen beibehalten. Wo dies der Fall ist, erfolgt ein gesonderter Hinweis in den Fußnoten. Auslassungen wurden mit „[…]“ gekennzeichnet; Ergänzungen in „[ ]“ gestellt. Die verwendete Literatur befindet sich auf dem Stand vom Dezember 2017.
„Rast nicht die Welt in allen Strömen fort, Und mich soll ein Versprechen halten?“1 „Was wär ich Ohne dich, Freund Publikum! All mein Empfinden Selbstgespräch, All meine Freude stumm.“2
Einleitung Mit der Schöpfung eines Werkes entsteht ein geistiges Band zwischen dem Urheber und seinem Erzeugnis, welches unabhängig von einer Einräumung von Nutzungsrechten an Dritte bestehen bleibt und in seinem Kern gleichermaßen unübertragbar wie unabtretbar ist.3 Aus diesem Grund wurde das Urheberrecht von Hubmann4 treffend als Recht des schöpferischen Geistes bezeichnet5, welches die Rechtsbeziehungen des Urhebers zu seinem Werk in ihrer Gesamtheit, d. h. sowohl auf materieller als auch auf ideeller Ebene schützt. Beide Aspekte – Persönlichkeits- und Vermögensschutz – bilden im deutschen Urheberrecht Ausprägungen eines einheitlichen Rechts. Entsprechend dieser, als „monistische Theorie“ bezeichneten Einteilung gewährt das Urheberrecht sowohl vermögens- als auch persönlichkeitsrechtliche Befugnisse.6 So betont § 11 UrhG, dass das Urheberrecht den Urheber „in seinen 1 Goethe, Faust I, Studierzimmer (Sonderausgabe, hg. v. Erich Trunz, 16. Aufl., München 1996, S. 57). 2 Goethe, „Der Autor“ (1772), in: Karl Eibl (Hrsg.), Gedichte 1756–1799. Sämt liche Werke in 40 Bänden, I. Abt., Bd. 1, Frankfurt am Main 1987, S. 1263 (das Gedicht wird Goethe lediglich zugeschrieben und ist daher unter den „Gedichten zweifelhaften Ursprungs“ abgedruckt). 3 Der Gedanke findet sich bereits in einem Gutachten Osterrieths über die Frage der Übertragbarkeit des Verlagsrechts aus dem Jahr 1900 (Osterrieth, S. 191) sowie später in BGH, GRUR 1971, 35, 38 – Maske in Blau; Metzger, S. 117; Lucke, S. 135 und Dustmann, in: Fromm / Nordemann, Vor § 12 UrhG, Rn. 2. 4 Zur Person siehe Riesenhuber, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 146 ff. 5 So der Titel einer Schrift von Hubmann aus dem Jahr 1956. Siehe dazu Jänich, S. 111 ff. und Schack, Urheberrecht, S. 4. 6 Vogel, in: Loewenheim, Handb. § 2 Rn. 10; Czychowski, in: Fromm / Nordemann, § 11 Rn. 1; Ahlberg, in: Möhring / Nicolini, Einführung Rn. 12; Bullinger, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 11 Rn. 1 sowie Fromlowitz, S. 9. Die monistische Theorie fußt
24 Einleitung
geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes“ schützt (§ 11 S. 1 UrhG) und ihm eine angemessene Vergütung für die Nutzung desselben durch Dritte gewährleisten soll (§ 11 S. 2 UrhG). Das Urheberpersönlichkeitsrecht, welches sich gleich dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ableitet7, wird insbesondere in dem als „Grundnorm des Urheberrechts“ bezeichneten8 alleinigen Veröffentlichungsrecht des Urhebers, § 12 UrhG, konkretisiert. Darüber hinaus findet es seinen Niederschlag im Recht auf Anerkennung der Urheberschaft und Namensnennung (§ 13 UrhG) sowie in § 14 UrhG, der dem Ur heber Schutz vor entstellenden und verfälschenden Eingriffen in sein Werk gewährt.9 Zur Durchsetzung dieser Rechte stehen dem Urheber eine Reihe flankierender Instrumente zur Verfügung, darunter solche, welche ihm die Möglichkeit eröffnen, Dritten eingeräumte Nutzungsrechte zurückzurufen, wenn die Aufrechterhaltung des status quo eine Beeinträchtigung seiner vitalsten Interessen bedeuten würde. Die Rückrufsrechte gewährleisten die Bindung der Nutzungsrechte an das Stammrecht und sichern damit die dauerhafte Konnexion zwischen Schöpfer und Werk.10 Konkret sind dies insbesondere die §§ 41 und 42 sowie § 34 Abs. 3 S. 2 und 3 UrhG. Letztgenannte Vorschrift ist allein im Kontext von Unternehmenstransaktionen relevant und bleibt im Folgenden weitestgehend außer Acht. § 41 Abs. 1 S. 1 UrhG gestattet dem Urheber den Rückruf eines ausschließlichen Nutzungsrechts i. S. d. § 31 Abs. 3 UrhG, falls dieses durch seinen Inhaber nicht oder nur unzureichend ausgeübt wird.11 Die Vorschrift wird als ihrerseits auf der Lehre vom Immaterialgüterrecht, deren Grundlagen auf Fichte, S. 443, Hegel, §§ 68 f. und Schopenhauer, S. 380 f. zurückgehen. Begründet wurde die Lehre vom Immaterialgüterrecht von Kohler, siehe Kohler, UrhR, S. 1; ders., Buschs Archiv 1887, S. 169 ff. sowie ders., AcP 80 (1894), S. 141 ff.; dazu auch Pahlow, ZGE 2014, S. 429 ff. sowie zu den Persönlichkeitsrechten bei Kohler Klippel, ZGE 2014, S. 443; zur Fortwirkung seiner Ideen im modernen Immaterialgüterrecht Obergfell, ZGE 2014, S. 397 ff. Dazu auch unten, D. I. und F. I. 1. lit. e). 7 BGHZ 13, 334, 339 – Schacht-Briefe; BGH GRUR 1971, 525, 526; dazu auch Ahlberg, in: Möhring / Nicolini, Einführung Rn. 14. Siehe dazu insbesondere Fromlowitz, passim. 8 BGHZ 13, 249, 258 Cosima Wagner; BGHZ 13, 334, 339 – Leserbriefe; zur Bedeutung des § 12 UrhG statt vieler Dietz / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 12 Rn. 1 ff. 9 Dustmann, in: Fromm / Nordemann, Vor § 12 UrhG, Rn. 3; Kroitzsch / Götting, in: Möhring / Nicolini, § 11, Rn. 6; Windisch, GRUR 1993, S. 354 f. 10 Ähnlich auch J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 34 Rn. 2. 11 Ausführlich zu den im Folgenden genannten Tatbestandsmerkmalen Schricker / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 41 Rn. 13 ff. Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 41 Rn. 11 ff. sowie J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 41 Rn. 4 ff.
Einleitung25
eine der bedeutendsten urheberschützenden Regelungen erachtet12 und trägt dem Gedanken Rechnung, dass der Urheber sein Werk in a ller Regel nicht „für die Schublade“ oder den ausschließlich privaten Gebrauch erschafft, sondern zur öffentlichen Mitteilung und Verwertung.13 Das Werk soll einerseits Ruhm und Bekanntheit des Urhebers mehren, andererseits ein Maximum an Gewinn generieren.14 § 41 UrhG ist demnach sowohl persönlichkeits- als auch vermögensrechtlich geprägt15 und gewinnt vor allem dann Bedeutung, wenn der Urheber ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, ohne dass den Berechtigten eine korrespondierende Nutzungspflicht trifft16. Während das Tatbestandsmerkmal der gänzlichen Nichtausübung selbsterklärend ist, ist die Frage, ob eine unzureichende Ausübung vorliegt, anhand des Vertragszwecks, der Branchengepflogenheiten und einer objektiven Interessenabwägung nach Treu und Glauben zu beurteilen17. Der Rückruf führt gemäß § 41 Abs. 5 UrhG ex nunc zum Heimfall des Nutzungsrechts (Tochterrecht) an das Urheberrecht (Mutterrecht) sowie zur Auflösung des zugrundeliegenden Vertrages.18 Im Gegensatz zum Kausalitätsprinzip, bei dem sich die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts auf das Verfügungsgeschäft auswirkt, liegt hier der umgekehrte Fall vor: Der Urheber erlangt in der Folge die vollumfängliche Verfügungsbefugnis über sein Werk zurück19. Rechte an bereits in Verkehr gebrachten Vervielfältigungsstücke bleiben hiervon unberührt (§ 17 Abs. 2 UrhG).20 Der Rückruf wegen Nichtausübung ist nach § 41 Abs. 2 S. 1 UrhG erst nach Ablauf einer 12 Dietz,
S. 35; Grünberger, S. 151; Brandenburg, S. 19. UrhG – BT-Drs. IV / 270, S. 60; statt vieler zudem Leßmann, S. 84 sowie J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 41 Rn. 1. 14 Prosi, S. 33; Koch-Sembdner, S. 31. 15 v. Becker spricht insofern zutreffend von einer Doppelnatur des § 41 UrhG, siehe ders., in: Loewenheim, Handb. § 16 Rn. 25; ferner J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 41 Rn. 1. 16 Andernfalls kann der Urheber bereits nach § 323 ff. BGB zurücktreten, siehe Nolden, S. 124. 17 OLG München, Urt. v. 12.06.1997 – 6 U 4308 / 96 – Fix und Foxi (= ZUM-RD 1997, 451 f.); Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 41 Rn. 15 (m. w. N. und Beispielen). 18 Die gesetzliche Formulierung „erlischt“ ist insofern unzutreffend, da das Nutzungsrecht nicht endgültig untergeht. Hierfür spricht allein schon der Ausdruck „Rückruf“, siehe Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 41 Rn. 28 sowie J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 41 Rn. 40, 42; ähnlich auch v. Gamm, § 41 Rn. 14 und Schricker / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 41 Rn. 24 m. w. N. 19 Nolden, S. 126 ff., der sich ausführlich mit der Wirkung des Rücktritts nach §§ 41, 42 UrhG und den dahinterstehenden dogmatischen Wertungen auseinandersetzt. 20 OLG Celle, ZUM 2000, 326 – Dissertationsexemplare. 13 RegE
26 Einleitung
zweijährigen Sperrfrist zulässig, wobei für Presserzeugnisse aufgrund deren Schnelllebigkeit kürzere Fristen gelten (§ 41 Abs. 2 S. 2 UrhG). Ferner muss der Urheber gemäß § 41 Abs. 3 UrhG dem Inhaber des Nutzungsrechts vor dem Rückruf eine angemessene Nachfrist setzen, sofern die Ausübung nicht ohnehin unmöglich ist, vom Nutzungsrechtsinhaber verweigert wird oder überwiegenden Interessen des Urhebers zuwiderläuft. Das Rückrufsrecht ist gemäß § 41 Abs. 4 UrhG unabdingbar. Seine Ausübung konnte bis März 2017 vertraglich nicht für mehr als fünf Jahre ausgeschlossen werden. Seitdem kann von Abs. 1 bis 3 zum Nachteil des Urhebers nur noch durch eine Vereinbarung abgewichen werden, die auf einer zwischen Urheber- und Werknutzerverbänden vereinbarten gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36 UrhG) oder einem Tarifvertrag beruht21. Der Urheber, der ein Nutzungsrecht nach § 41 Abs. 1 UrhG zurückruft, ist nach § 41 Abs. 6 UrhG verpflichtet, den betroffenen Nutzungsrechtsinhaber der Billigkeit entsprechend zu entschädigen. Rechte und Ansprüche der Beteiligten nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt, § 41 Abs. 7 UrhG. Dabei ist insbesondere an die §§ 320 ff., 280 Abs. 1, 314 BGB sowie §§ 32 i. V. m. 30, 17 und 45 VerlG zu denken.22 § 42 Abs. 1 S. 1 UrhG statuiert ein Rückrufsrecht des Urhebers für den Fall, dass das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht und ihm die (fortgesetzte) Verwertung durch den Nutzungsrechtsinhaber deshalb nicht mehr zumutbar ist.23 Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sowohl die Person des Urhebers wie auch das gesamte Geistesleben einem permanenten Wandel unterliegt. Aus diesem Grund eröffnet § 42 UrhG dem Urheber die Möglichkeit, von einem Werk abzurücken, dessen Inhalt oder Gestaltungsform er nicht mehr vertreten kann bzw. dessen fortgesetzte Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit für ihn selbst mit Gefahren verbun21 Die Änderung erfolgte durch das Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung vom 20.12.2016 (BGBl. I, 2037) und ist seit dem 01.03.2017 in Kraft; siehe dazu Peifer, GRUR-Prax 2017, S. 1 ff. sowie Lucas-Schloetter, GRUR 2017, S. 235 ff. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Entwicklung von verlags- und urheberrechtlichen Rücktritts- und Rückrufsrechten bis zum Inkrafttreten des heute gültigen Urheberrechtsgesetzes liegt und die Gesetzesänderung die grundlegenden Implikationen des § 41 UrhG unberührt lässt, wird diese Änderung lediglich im Rahmen des Ausblicks unter H.) kursorisch behandelt. 22 BGH GRUR 1973, 328, 330 – Musikverleger II; BGH GRUR 1988, 303, 304 f. – Sonnengesang, OLG München, ZUM 2008, 154; dazu statt vieler Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 41 Rn. 32. 23 Ausführlich zu den Tatbestandsmerkmalen des § 42 UrhG Dietz / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 42 Rn. 23 ff.; Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 42 Rn. 5 ff. sowie J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 42 Rn. 5 ff.
Einleitung27
den ist.24 Vorschnelle und unüberlegte Rückrufe werden dabei durch das Erfordernis der Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung verhindert, wofür eine Abwägung der Interessen des Urhebers, des Nutzungsrechtsinhabers sowie der Allgemeinheit – etwa am freien Kunstverkehr25 – maßgeblich ist. Durch den Rückruf wird das Werk dem Rechtsverkehr entzogen und das Verbotsrecht des Urhebers wiederhergestellt, so dass die Verbreitung, zumindest für die Zukunft26, verhindert werden kann.27 Gemäß § 42 Abs. 1 S. 2 UrhG ist auch der Rechtsnachfolger des Urhebers zum Rückruf befugt, sofern er nachweist, dass der Urheber vor seinem Tod zum Rückruf berechtigt gewesen wäre und an der Erklärung des Rückrufs gehindert war oder diese letztwillig verfügt hat. § 42 UrhG ist ausschließlich urheberpersönlichkeitsrechtlicher Natur, was insbesondere die im Gegensatz zu § 41 UrhG fehlende Möglichkeit eines temporären Ausschlusses verdeutlicht.28 Aus demselben Grund gilt § 42 UrhG auch für einfache, d. h. nicht ausschließliche Nutzungs24 RegE UrhG – BT-Drs. IV / 270, S. 61 sowie statt vieler Leßmann, S. 84 f. und J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 42 Rn. 1. Allein ein Blick in die (Literatur-)Geschichte liefert prominente Beispiele: So ließ Gerhart Hauptmann sein Frühwerk „Promethidenlos“ nachträglich aus dem Verkehr ziehen und einstampfen, während der Vorreiter des französischen Existenzialismus, Jean Paul Sartre, die weitere Aufführung seines Dramas „Die schmutzigen Hände“ in Antwerpen mit der Begründung untersagte, das Stück „passe nicht mehr in die heutigen Verhältnisse“ (Anonymus, FuR 1967, S. 19, zit. n. J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 42 Rn. 1). Nietzsches Schwester Elisabeth, die selbst dem Nationalsozialismus nahestand, unterstützte während der 1920er und 1930er Jahre die Unterdrückung prosemitischer Äußerungen ihres Bruders bzw. entsprechende Deutungen von dessen Werken, um auf diese Weise den von den Nationalsozialisten gepflegten Nimbus Nietzsches als geistigen Vater des „Übermenschen“ aufrechtzuerhalten (mit Beispielen Santaniello, S. 51 ff. sowie Mittmann, S. 99 ff. und Winkler, S. 91 ff.). Ödön v. Horváth kaufte infolge gewandelter Überzeugung die gesamte noch nicht verkaufte Auflage seines 1922 erschienenen Werkes „Das Buch der Tänze“ auf, entfernte Exemplare aus öffentlichen Bibliotheken und bat die Eigentümer verkaufter Exemplare – sofern sie ihm bekannt waren – um die Herausgabe ihres Exemplars (Vranckx, S. 1). Daneben existieren auch weniger bekannte Fälle wie der des schweizerischen Schriftstellers Edouard Rod, der nach seinem Wechsel von der naturalistischen zur psychologischen Schule seine (naturalistischen) Erstlingswerke systematisch aus den Listen seiner gesammelten Schriften entfernen ließ (Mentha, GRUR Int. 1973, S. 295). Jedoch gibt es auch profanere Konstellationen – man denke hier allein an sog. User-generated content und das vermeintlich „nichts vergessende“ Internet; dazu bereits Rauda, GRUR 2010, S. 22 f. 25 Alexander, ZUM 2011, S. 385 f. (m. w. N.). 26 Bereits in Verkehr gebrachte Werke (§ 17 Abs. 2 UrhG) werden vom Rückrufsrecht nicht erfasst und dürfen weiterhin verbreitet werden, siehe OLG Celle, ZUM 2000, S. 326 – Dissertationsexemplare; dazu Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 42 Rn. 10, 29 und insbesondere Rohlfing / Kobusch, ZUM 2000, S. 305 ff. 27 Forkel, S. 154; Nolden, S. 125. 28 J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, § 42 Rn. 1.
28 Einleitung
rechte. Die Norm ist teilweise mit § 41 UrhG verwoben29, was sich vor allem auf der Rechtsfolgenseite zeigt und der gemeinsamen Einführung der Vorschriften im Zuge der Novelle von 1965 geschuldet ist. So verweist § 42 Abs. 5 UrhG auf § 41 Abs. 5 und 7 UrhG. Ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch im Umfang der Entschädigungspflicht: Während § 41 Abs. 6 UrhG den Urheber nur im Billigkeitsfalle zu einer Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers verpflichtet, normiert § 42 Abs. 3 UrhG eine unbedingte Ausgleichspflicht, welche der Höhe nach mindestens die Aufwendungen des Nutzungsberechtigten abdecken muss (§ 42 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 UrhG), sich im Einzelfall jedoch auch auf den entgangenen Gewinn erstrecken kann.30 Als echtes Tatbestandsmerkmal ist die Bewirkung der Entschädigung Voraussetzung für die Wirksamkeit des Rückrufs, § 42 Abs. 3 S. 3 UrhG. Die Ausübung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung hängt damit faktisch von den Vermögensverhältnissen des Urhebers ab31, weshalb § 42 UrhG in der Literatur regelmäßig als „stumpfes Schwert“32 mit fehlender33 oder allenfalls geringer praktischer Bedeutung34 bezeichnet wird. Will der Urheber das Werk nach wirksamem Rückruf erneut verwerten, so ist er gemäß § 42 Abs. 4 UrhG verpflichtet, selbiges zunächst dem vormaligen Nutzungsrechtsinhaber anzubieten. Wie auch die Entschädigungspflicht soll diese Klausel den Missbrauch des Rückrufsrechts verhindern. Die Rückrufsrechte können im Einzelfall ausgeschlossen sein. So bestimmt § 43 UrhG, dass die §§ 31 bis 42a UrhG im Grundsatz zwar auch dann Anwendung finden, wenn der Urheber das Werk in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen hat, schränkt dies jedoch insofern ein, als sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des konkreten Beschäftigungsverhältnisses der Ausschluss einzelner Vorschriften ergeben kann. So wird regelmäßig davon ausgegangen, dass das monetäre Interesse des angestellten Urhebers bereits mit der Lohnzahlung abgegolten ist. In der Folge soll § 41 UrhG hier nur in Einzelfällen und auf Grundlage einer Interessenabwägung zur Anwendung kommen.35 Im Hinblick auf § 42 UrhG etwa Dietz / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 42 Rn. 6. in: Fromm / Nordemann, § 42 Rn. 19 f., 23; Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 42 Rn. 23. 31 So bereits Riedel, GRUR 1960, S. 225; Hirsch, FS Nipperdey, S. 356; ähnlich Alexander, ZUM 2011, S. 386; ferner Nolden, S. 124; Dietz, in: Loewenheim, Handbuch, § 16 Rn. 15; ders. / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 42 Rn. 4; Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 42 Rn. 3. 32 Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 42 Rn. 11. 33 So Dietz, in: Loewenheim, Handbuch, § 16 Rn. 15; Rauda, GRUR 2010, S. 23. 34 So etwa J. B. Nordemann, in: Fromm / Nordemann, UrhG, § 42 Rn. 2 oder Ulmer / Eilfort, in: Ulmer-Eilfort / Obergfell, § 35 Rn. 13. 35 Dazu ausführlich statt vieler Dreier, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 43 Rn. 38. 29 So
30 J. B. Nordemann,
Einleitung29
wird angenommen, dass ein Arbeit- bzw. Dienstnehmer schwerwiegendere Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeitsrechte hinzunehmen hat als ein freischaffender Urheber und Konflikte infolge gewandelter Überzeugung hier vorrangig durch die Verwertung ohne Namensnennung zu lösen sind.36 Einschränkungen bestehen auch im Bereich des Filmurheberrechts. Gemäß § 90 Abs. 1 S. 2 UrhG sind ab dem Beginn der Dreharbeiten die §§ 41, 42 UrhG für den Urheber, der einem Dritten das Recht zur Verfilmung seines Werkes eingeräumt hat, ausgeschlossen (§ 88 Abs. 1 UrhG). Entsprechendes gilt für fertige Filmwerke (§ 89 Abs. 1 UrhG). Auf diese Weise soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Filmproduktion ungebrochen die „teuerste, technisch komplizierteste und an Ausdrucksmitteln reichste Werkform des Urheberrechts“37 darstellt, weshalb dem Filmurheber eine möglichst ungehinderte Verwertung seines Werkes ermöglicht werden soll38. Seit März 2017 gestattet § 90 Abs. 1 S. 3 UrhG die Abbedingung des § 41 UrhG bei vorbestehenden Werken für bis zu fünf Jahre; insofern wurde die bisherige Regelung des § 41 Abs. 4 UrhG aufrechterhalten39. Summa summarum sind §§ 41 und 42 UrhG als „Folge der absoluten Herrschaft des Urhebers über sein Werk“40 und Korrelat des Veröffent lichungsrechts zu werten und stellen – zumindest auch – einen Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts dar.41 Die Vorschriften liegen an der Schnittstelle zwischen Urheberpersönlichkeits- und Urhebervertragsrecht und sind dogmatisch als Gestaltungsrechte sui generis mit unmittelbar verfügender Wirkung zu qualifizieren.42
hierzu Rojahn, in: Schricker / Loewenheim, § 43 Rn. 93 f. S. 30. 38 So die amtliche Begründung, BT-Drs. IV / 270, S. 100; ferner Wiebe, in: Spindler / Schuster, UrhG, § 90 Rn. 1, vor § 88 Rn. 1 sowie Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 90 Rn. 1. 39 Diese Änderung ist ebenfalls Folge der Urhebervertragsrechtsreform 2016 / 17 und bleibt aus o. g. Gründen gleichermaßen weitgehend außen vor, auch da abgesehen von der fünfjährigen Abbedingungsmöglichkeit keine die §§ 41, 42 UrhG betreffenden Neuerungen vorgenommen wurden. 40 Troller (1971), S. 791. 41 Dietz, in: Loewenheim, Handb. § 16 Rn. 15; Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 41 Rn. 2, § 42 Rn. 1; Vranckx, S. 2. 42 Vranckx, S. 2; v. Becker, in: Loewenheim, Handb. § 16 Rn. 27; Wandtke / Grunert, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 34 Rn. 24; Mankowski, S. 22; Schack, Vertragsrecht, S. 60. 36 Ausführlich 37 Lütje,
30 Einleitung
I. Fragestellung Die Konstellationen des Überzeugungs- bzw. Umstandswandels auf Seiten des Urhebers sowie der Nichtausübung einer eingeräumten Nutzungsbefugnis durch den jeweils mandatierten Verwerter sind zeitlose Probleme, die ebenso alt sein dürften wie die kommerzielle Verwertung von Werken durch Dritte überhaupt. Im Fokus der folgenden Betrachtungen steht daher nur in zweiter Linie die Entstehungsgeschichte der §§ 41 und 42 UrhG im engeren Sinne. Untersucht wird vielmehr, wie die Konstellationen des Umstands- und Überzeugungswandels einer- und der Nichtausübung anderseits über die Jahrhunderte hinweg durch die jeweils zeitgenössische Gesetzgebung, Rechtsprechung und Jurisprudenz gehandhabt wurden und welche Kontinuitäten und Brüche hier zu verzeichnen sind. Von der Zeitlosigkeit der Problemstellung abgesehen lohnt sich dies auch aufgrund der Tatsache, dass die Gestaltungsrechte der §§ 41, 42 UrhG im Hinblick auf das übrige Immaterialgüterrecht einzigartig sind.43 So kennt insbesondere das Patentrecht gleichermaßen ein aus dem Erfinderpersönlichkeitsrecht (u. a. § 6 PatG)44 abgeleitetes Erstveröffentlichungsrecht45 des Erfinders, nicht jedoch entsprechende Rückrufsrechte – obwohl die Konstellationen der Nichtausübung, des Umstands- sowie des Überzeugungswandels ohne Weiteres auch hier auftreten können46. Man denke allein an Erfindungen aus den Bereichen der Militär-, Kern- und Gentechnik sowie der Geburtsmedizin47, bei denen ein zwischenzeitlicher Gesinnungswandel des Erfinders ebenfalls dazu führen kann, dass sich dieser im Nachhinein nicht mehr mit den Ergebnissen seines früheren geistigen Schaffens zu identifizieren vermag – die Atombombe ist hier lediglich das populärste Beispiel.48 Der Grund 43 Peifer,
S. 124; Vranckx, S. 2. dazu BGH GRUR 1978, 583, 585 – Motorkettensäge; BGH GRUR 1979, 145, 148 – Aufwärmvorrichtung und Wank, S. 25, Preu, S. 355 sowie Windisch, GRUR 1993, S. 357; zur Historie Schmidt, passim. 45 Siehe bereits v. Gierke, Bd. I, S. 869; Kohler, Handbuch, S. 75; Wank, S. 25; Benkard, GRUR 1950, S. 481, 488; Lang, S. 85 ff., 116; Vocke, S. 5; Preu, S. 355 ff.; Melullis, in: Benkard, PatG, § 6 Rn. 15. 46 Heutz, S. 35; Nota bene: Die hier behandelten Rückrufsrechte sind nicht mit den in §§ 98 Abs. 2 UrhG, 18 Abs. 2 MarkenG, 43 Abs. 2 DesignG, 140a Abs. 3 PatG und 24a GebrMG niedergelegten Rückrufsansprüchen zu verwechseln, welche sich nicht auf Nutzungsrechte, sondern auf illegal hergestellte Werkstücke beziehen. 47 Zur grundsätzlichen Patentierbarkeit von Waffen, Giften, Sprengstoffen, Abtreibungsmitteln etc. siehe EPA GRUR Int. 1993, 240, 241 – Krebsmaus / Havard III; ferner Mes, in: ders., PatG, § 2 Rn. 9 und Melullis, in: Benkard, PatG, § 2 Rn. 4b. 48 Ähnlich Peifer, S. 124. So ließ J. Robert Oppenheimer, der „Vater der Atombombe“ später verlauten, er habe in Los Alamos „das Handwerk des Teufels getan“, siehe Hoffmann, K., S. 261. Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit ist Michail Ka44 Siehe
II. Vorgehensweise31
für diese Disparität liegt in dem Umstand, dass beim Erfinder- bzw. Patentrecht die Persönlichkeitsrechte ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung hinter das Vermögensrecht zurücktreten.49 Auch dies zeigt die Besonderheit des Urheberrechts als „Recht des schöpferischen Geistes“. Zwar ist das Paradigma, dass das Urheberrecht primär dem Schutz geistig-kultureller Schöpfungen dient, während die gewerblichen Schutzrechte „lediglich“ die Sicherung wirtschaftlich-kommerzieller Leistungen bezwecken, in dieser Allgemeinheit heute wohl nicht mehr haltbar50, doch unterstreicht der Umstand, dass man Rückrufsrechte im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes vergeblich sucht, die Eigenart des Urheberrechts als zwar verwandten, aber dennoch neben den gewerblichen Schutzrechten stehenden Teil des Immaterialgüterrechts. Vor diesem Hintergrund kann die vorliegende Arbeit auch als Beitrag zur Förderung des Verständnisses des besonderen Charakters des Urheberrechts gegenüber dem gewerblichen Rechtsschutz gelesen werden.
II. Vorgehensweise Als dogmengeschichtliche Untersuchung folgen die nachstehenden Betrachtungen einem chronologischen Aufbau. Ausgehend von den bedeutendsten Naturrechtskodifikationen des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ihrer Vorgeschichte über die Gesetzgebungsbestrebungen während der Zeit des Deutschen Bundes wird bis hin zum heute noch gültigen Verlagsgesetz von 1901 zunächst der Bereich des Verlagsrechts betrachtet. Als Instrument zum Schutz der gewerblichen Verlegerinteressen älter als der Autoren- bzw. Urheberschutz, prägte das Verlagsrecht die Entwicklung des Rechtsverhältnisses zwischen Werkschöpfer und -nutzer bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu ausschließlich. Dementsprechend wurden die Begriffe Verlags- und Urheberrecht über einen langen Zeitraum hinweg synonym gebraucht51, während man das Verlagsrecht heute als spezialgesetzlich normierten Teil des Urheberrechts versteht52.
laschnikow, der Erfinder des Sturmgewehrs AK-47. Dieser fragte sich kurz vor seinem Tod im Jahr 2013, ob er nicht „die Schuld für den Tod von Menschen trage, selbst wenn sie Feinde waren“, siehe gam / dpa / AFP, http: / / www.spiegel.de / panora ma / leute / michail-kalaschnikow-hatte-vor-seinem-tod-schuldgefuehle-a-943282.html. 49 Vocke, S. 5, 11. Kritisch zum Veröffentlichungsrecht des Erfinders Kraßer, S. 389; Peifer, S. 123 f. 50 So auch Loewenheim, in: ders., Handb. § 3 Rn. 13. 51 So bereits Wächter, VerlagsR, S. 94 ff., S. 298; ferner Vogel, FS GRUR, S. 1212 f. mit entsprechendem Verweis; ders., S. 1211; Nomine, UFITA 2003 / II, S. 365. 52 McGuire, S. 234; Obergfell, in: Ulmer-Eilfort / Obergfell, A 1, Rn. 1.
32 Einleitung
Die ältesten Regelungen zum Rücktritt des Verlegers wegen veränderter Umstände (die Begriffe des Rückrufs sowie der gewandelten Überzeugung wurden erst mit der Novelle von 1965 gesetzlich verankert) finden sich im verlagsrechtlichen Teil des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. Von diesen ausgehend zieht die Literatur eine direkte Linie zu den Vorschriften zum Rücktritt des Autors wegen Nichtausübung und veränderter Umstände im Verlagsgesetz von 190153. Die §§ 32, 30 und 17 VerlG gestatten dem Verfasser den Rücktritt vom Verlagsvertrag, wenn der Verleger die vertragsgemäße Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes unterlässt (§§ 32, 30 VerlG) oder trotz entsprechender Befugnis auf die Veranstaltung einer Neuauflage verzichtet (§ 17 VerlG)54. § 35 VerlG sieht als Sonderfall der clausula rebus sic stantibus55 ein Rücktrittsrecht des Verfassers bis zum Beginn der Vervielfältigung für den Fall vor, dass sich Umstände ergeben, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorauszusehen waren und den Verfasser bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes abgehalten haben würden.56 Den Vorschriften des „äußerst langlebigen“57 Verlagsgesetzes wird wiederum eine direkte Vorbildfunktion für die im Zuge der Urheberrechtsnovelle von 1965 eingeführten §§ 41, 42 UrhG zugesprochen58. Ob diese Behauptungen – konkrete Nachweise werden durch die jeweiligen Autoren nicht oder allenfalls spärlich erbracht – haltbar sind, soll im Zuge einer übergreifenden Betrachtung des Umganges mit den Konstellationen der Nichtausübung und des Umstands- bzw. Überzeugungswandels im Verlags- und Urheberrecht seit 1794 ebenso geklärt werden wie die Frage, 53 Siehe beispielsweise Christ, S. 101; Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 462 f. sowie Nomine, UFITA 2003 / II, S. 367. 54 Wegner, in: Möhring / Nicolini, § 41 Rn. 1. 55 Köbler, S. 3 definiert die clausula rebus sic stantibus als Instrument, das „innerhalb eines Rechtsverhältnisses, für das die ‚clausula‘ Geltung besitzt jedenfalls für Verträge –, eine Einrede [gewährt], die zur Nichterfüllung einer rechtswirksamen Verpflichtung berechtigt“ sofern sich objektive Umstände „im Zeitraum zwischen dem Beginn der Verpflichtung und der Erfüllung“ ändern. Ihre Rechtsfolgen „variieren zwischen der Beendigung des Rechtsverhältnisses und […] seiner Anpassung an die veränderte Wirklichkeit [siehe § 313 Abs. 1 BGB], Vertragssuspension oder […] dem Ausgleich in Geld.“ Zur Entwicklung und Herleitung insbesondere Pfaff, FS Unger, S. 225 ff., ferner Coing, S. 412 f.; speziell im urheberrechtlichen Kontext Flechsig, FS Nirk, S. 263 ff. Dazu ausführlich unten, B) I. 1. lit. e). 56 Eckermann, S. 30; Runge, S. 556; Ulmer (1960), S. 360; Leiss, VerlG, § 35 Rn. 3; Mankowski, S. 22. 57 Nomine, UFITA 2003 / II, S. 367. 58 So bereits Bielenberg, MDR 1966, S. 546; ferner Mankowski, S. 22 hinsichtlich des Verhältnisses zwischen § 35 VerlG und § 42 UrhG; ähnlich auch Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 42 Rn. 5.
III. Forschungsstand33
welche Überlegungen hinter den jeweiligen Regelungen standen und inwiefern den Rücktrittsrechten bereits vor der Anerkennung des (Urheber-)Persönlichkeitsrechts durch die Rechtsprechung im frühen 20. Jahrhundert59 ein persönlichkeitsschützender Charakter zugesprochen wurde. Zu beantworten ist auch die Frage nach dem Einfluss internationaler Entwicklungen und vergleichbarer Regelungen ausländischer Rechtsordnungen. Hierzu werden nicht nur die maßgeblichen Gesetze und ihre Vorgeschichte sowie – soweit vorhanden – einschlägige Rechtsprechung, sondern auch staatliche wie private Gesetzentwürfe sowie die jeweils zeitgenössische Literatur ausgewertet.
III. Forschungsstand Zu Genese und Hintergrund der besonderen Rücktritts- und Rückrufsrechte des Urhebers wegen Nichtausübung sowie Umstands- und Überzeugungswandels liegt bisher noch keine umfassende Untersuchung vor. Zu den urheberrechtlichen Rückrufsrechten in ihrer Gesamtheit existieren die erst jüngerer Vergangenheit erschienenen Dissertationen von Christian Vranckx, der insbesondere die Auswirkungen des Rückrufs auf den Bestand von Lizenzketten untersucht60, sowie Anne Brandenburgs, welche die §§ 41, 42 und 34 Abs. 3 S. 2, 3 UrhG im Kontext allgemeiner Vertragsbeendigungsgründe beleuchtet61. Sofern hier die Historie der Regelungen angesprochen wird, geschieht dies angesichts der anderweitigen Schwerpunktsetzung dieser Arbeiten allenfalls kursorisch.62 Weitere Betrachtungen setzen sich lediglich isoliert mit einer der genannten Vorschriften auseinander. So widmet sich Rolf Budde mit Blick auf § 41 UrhG dem Spezialproblem der unzureichenden Ausübung aus der Sicht des Verlegers in der Musikbranche63, während sich Ernst E. Hirsch bereits kurz vor Abschluss der 1965er-Novelle mit § 42 UrhG befasste64. Darüber hinaus gibt es Zeitschriftenbeiträge etwa von Christian Rauda, welcher der Frage nachgeht, inwiefern das Web 2.0 dem bis heute vermeintlich wenig praxisrelevanten § 42 UrhG zu neuer Bedeutung 59 Dazu Vogel, GRUR 1987, S. 875 ff.; Dölemeyer / Klippel, S. 220 ff.; Fromlowitz, S. 9 ff. 60 Der Rückruf urheberrechtlicher Nutzungsrechte nach §§ 41, 42 UrhG und sein Einfluss auf den Bestand von Lizenzketten, Hamburg 2013. 61 Die Rückrufsrechte des Urhebers im Kontext allgemeiner Vertragsbeendigungsgründe. Eine Untersuchung ihrer Auswirkungen auf den Bestand von Nutzungsketten, Baden-Baden 2014. 62 So etwa bei Brandenburg, S. 38 ff. 63 Das Rückrufrecht des Urhebers wegen Nichtausübung in der Musik, Berlin 1997. 64 Zum „Rückrufsrecht“ des Urhebers wegen gewandelter Überzeugung, in: FS Nipperdey, S. 351 ff.; ausführlich dazu unten, G. VI. 4.
34 Einleitung
verholfen haben könnte65, sowie Aufsätze zu ausgewählten Entscheidungen oder Aspekten des § 42 UrhG von Lindner66 oder Alexander67. Rohlfing und Kolbusch68, Adolphsen und Tabrizi69, Ehle und Schwiddessen70, Graef71, Hoeren72 sowie Pahlow73 befassen sich in Zeitschriftenbeiträgen schwerpunktmäßig mit ausgewählten Fragen des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung. Darüber hinaus findet man im Bereich der jüngeren Literatur lediglich Untersuchungen, welche die Gesetzesnovellen und Reformbestrebungen im Bereich des Urheber- und Verlagsrechts in ihrer Gesamtheit beleuchten. Genannt seien hier die Arbeiten von Ralf-M. Vogt und Catharina Maracke, welche die urheberrechtlichen Reformdiskussionen während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus74 bzw. die Genese des Ur heberrechtsgesetzes von 196575 zum Gegenstand haben. Die besagten Studien bringen Einzelnormen konsequenterweise nur dann zur Sprache, wenn sie in stärkerem Maße umstritten waren. Entsprechendes gilt für das Verlagsrecht: So behandelt die Dissertation von Thomas Mogg aus dem Jahr 2004 die Kodifikation von Verlagsrecht und Verlagsvertrag im Gesamten76. Aufsätze von Löhnig77 und Nomine78 befassen sich mit der Genese der verlags65 Der Rückruf wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 UrhG – Von Web 2.0 aus dem Dornröschenschlaf geweckt?, GRUR 2010, S. 22 ff. 66 Der Rückrufanspruch als verfassungsrechtlich notwendige Kategorie des Me dienprivatrechts, ZUM 2005, S. 203 ff. 67 Urheber- und persönlichkeitsrechtliche Fragen eines Rechts auf Rückzug aus der Öffentlichkeit, ZUM 2011, S. 382 ff. 68 Das urheberrechtliche Rückrufsrecht an Dissertationen wegen gewandelter Überzeugung, ZUM 2000, S. 305 ff. 69 Zur Fortwirkung zurückgerufener Nutzungsrechte, GRUR 2011, S. 384 ff. 70 Urheberrechtliches Rückrufsrecht in der Insolvenz, MMR 2012, S. 355 ff. 71 Das Recht am „Remake“ – Rückrufmöglichkeiten des Wiederverfilmungsrechts, GRUR-Prax 2010, S. 192 ff. 72 Die Kündigung von Softwareerstellungsverträgen und deren urheberrechtliche Auswirkungen, CR 2005, S. 773 ff. 73 Von Müttern, Töchtern und Enkeln – Zu Rechtscharakter und Wirkung des urhebervertraglichen Rückrufs, GRUR 2010, S. 112 ff. 74 Vogt, Die urheberrechtlichen Reformdiskussionen in Deutschland während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main et al. 2004. 75 Maracke, Die Entstehung des Urheberrechtsgesetzes von 1965, Berlin 2003. 76 Die Kodifikation von Verlagsrecht und Verlagsvertrag in Deutschland: Die Geschichte des Gesetzes über das Verlagsrecht vom 19. Juni 1901 und seine Vorgeschichte, Aachen 2006. 77 Der Schutz des geistigen Eigentums von Autoren im Preußischen Landrecht von 1794, ZNR 2007, S. 197 ff.
III. Forschungsstand35
rechtlichen Vorschriften des preußischen Allgemeinen Landrechts sowie mit dem preußischen Versuch einer eigenständigen Verlagsrechtskodifikation in den 1830er und 1840er Jahren. Auch die einschlägige Kommentarliteratur liefert – allein schon aus Platzgründen – allenfalls überblicksartige Zusammenfassungen der Geschichte von Urheber- und Verlagsrecht79, wobei oftmals auch nur die engere Entstehungsgeschichte des jeweils erläuterten Normenkatalogs beleuchtet wird80. Wo auf die Genese einzelner Normen eingegangen wird, geschieht dies bestenfalls in knapper Form.81 Ein zusammenhängendes Bild der Entstehung und Bedeutung der Rücktritts- und Rückrufsrechte des Autors bzw. Urhebers entsteht so freilich nicht. Ziel der nachfolgenden Betrachtungen ist es daher, gerade diese Lücke zu schließen.
78 Der Entwurf eines preußischen Gesetzes über den Verlagsvertrag (1838–1846), UFITA 2003 / II, S. 365 ff. 79 So etwa bereits v. Gamm, Einführung Rn. 1 ff. sowie Vogel, in: Schricker / Loewenheim, Einleitung Rn. 88 ff. 80 Beispielhaft für das UrhG von 1965 etwa: Ahlberg, in: Möhring / Nicolini, Einführung Rn. 1 ff. sowie für das LUG Allfeld, LUG, S. 1 ff.; für das VerlagsG bereits etwa Heinitz, S. VII ff. und Mittelstaedt / Hillig, S. XIII ff. 81 Siehe Schricker / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 41 Rn. 1 ff.; Dietz / Peukert, in: Schricker / Loewenheim, § 42 Rn. 7 ff. sowie Schricker / Loewenheim, in: dies., § 34 Rn. 3 ff.
A. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allgemeinen Landrechts Von einer Urheber-Werknutzer bzw. Autor-Verleger-Beziehung nach heutigem Verständnis kann erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts gesprochen werden1. Doch auch in dieser Zeit gab es keine allgemeingültige gesetzliche Regelung von Urheber- und Verlagsrecht, sondern lediglich auf dem Verwaltungsweg erteilte Privilegien, welche zugunsten ihrer Inhaber die an sich nicht in Frage gestellte Nachdruckfreiheit befristet2 und territorial begrenzt ausschlossen sowie den unerlaubten Nachdruck unter Strafe stellten.3 Die erstmalige Kodifikation eines Rücktrittsrechts im Sinne der Forschungsfrage findet sich in den verlagsrechtlichen Vorschriften des preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) von 1794 (§§ I 11 1005 bis 1007 ALR)4, welchen an späterer Stelle entsprechend breiter Raum zugestanden wird. Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf die Zeit vor dieser erstmaligen Normierung zu werfen: So enthielten – wenngleich auch nicht mit autorenschützender Intention – bereits Buchdruckerordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts Regelungen für den Fall der Nichtausübung verlegerischer Befugnisse, obgleich deren dogmatische Grundlage in Gestalt des Verlagseigentumsprinzips allein auf den Schutz der gewerblichen Verlegerinteressen zielte (I.). Einer Ausgestaltung als Schutzinstrument der Autoreninteressen fehlte es zu diesem Zeitpunkt noch an einem allgemein anerkannten theoretischen Unterbau. Dieser wurde erst mit der im 18. Jahrhundert aufkommenden Lehre vom geistigen Eigentum geschaffen, welche ihrerseits die Grundlage 1 So bereits Renouard, Bd. 1, S. 8, 14 f.; Bluntschli, Krit. Ueberschau 1 (1853), S. 3 f. sowie Dziatzko, S. 576; ferner Widmann, S. 19; Jahn, S. 7; Hansen, S. 12; Mogg, S. 9. 2 Die „Schutzfrist“ betrug zwischen drei und zehn Jahre, konnte jedoch im Einzelfall auch kürzer sein oder verlängert werden, siehe Gieseke, Entwicklung, S. 33 und Schack, Urheberrecht, S. 54. 3 Gieseke, Entwicklung, S. 23 f.; ders., Privileg, S. 39 ff.; Demmler, S. 59; Schack, Urheberrecht, S. 53 f.; Bappert, S. 182 f.; Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 9 ff. Strafen waren neben Geldbußen insbesondere die Konfiskation und im Falle kirchlicher Privilegien sogar die Exkommunikation, siehe Bappert, S. 181. 4 Das ALR gliederte sich nach Teilen (römische Zahl), Titeln (arabische Ziffer) und Paragraphen. Bei den verlagsrechtlichen Vorschriften wird im Folgenden auf die Nennung von Teil (I) und Titel (11) verzichtet; bei sonstigen landrechtlichen Normen bleibt es bei besagter Nummerierung.
I. Nichtausübung im Kontext der Verlagseigentumslehre37
der ab dem späten 18. Jahrhundert erlassenen Kodifikationen und damit – zumindest mittelbar – auch der darin enthaltenen Autorenrücktrittsrechte bildete (II.).
I. Nichtausübung im Kontext der Verlagseigentumslehre Die Unzulänglichkeiten des Privilegienwesens – beispielhaft seien hier die Möglichkeit der Mehrfacherteilung an unterschiedliche Berechtigte sowie die räumliche Begrenzung genannt, die angesichts der territorialen Zersplitterung des Alten Reiches zwangsweise zu Rechtsunsicherheiten führen musste5 – markierten die Initialzündung für die Entwicklung des Verlagsrechts. Dieses gewann erstmals Gestalt in Form spezifisch buchhändlerisch-literarischer Grundsätze, welche sich neben dem und unabhängig vom Privilegiensystem etablierten und später unter den Begriffen „Verlagseigentumslehre“ oder „Verlagseigentumsprinzip“ zusammengefasst wurden.6 Während die Autoren im 16. und 17. Jahrhundert keine eigenen, ausschließlichen und allgemeingültigen Verwertungsrechte an ihren Geistesprodukten beanspruchten7, forderten die Verleger zunehmend ein eigenes Eigentums- und Vervielfältigungsrecht an von ihnen erstmalig oder langjährig verlegten Werken.8 Das dahinter stehende Investitions- und Gewerbeschutzmotiv entkoppelte sich sukzessive vom Privilegium, indem man insbesondere Verlegern, deren Privilegien über die Jahre hinweg immer wieder verlängert wurden und die ein Werk dementsprechend bereits mehrfach neu aufgelegt hatten, ein „wohlerworbenes Recht“ zum weiteren Verlag desselben zusprach.9 Eine etwaige 5 Siehe dazu Gieseke, Privileg, S. 121 f.; Bappert, UFITA 63 (1972), S. 92; Dölemeyer / Klippel, S. 192; Klippel, Idee, S. 125; ders., FS Traub, S. 214 f. sowie (hinsichtlich der territorialen Zersplitterung und der damit einhergehenden Problematiken der Rechtsunsicherheit und der schwierigen Rechtsdurchsetzung) bereits Metz, S. 38; ferner Meyer, S. 6 f. und Hansen, S. 14. 6 Kapp / Goldfriedrich, Bd. 2, S. 425; Bappert, S. 185; Gieseke, Privileg, S. 94; Rigamonti, S. 15 ff.; Hansen, S. 17 f.; Höffner, Bd. 1, S. 35; Der Begriff der „Verlagseigentumslehre“ bzw. des „Verlagseigentumsprinzips“ wurde von Gieseke geprägt. Wie Bosse, S. 27 zutreffend unterstreicht, ist hierbei nicht von einer zusammenhängenden Theorie, sondern vielmehr nur von einem „Ensemble von Ansprüchen und Begründungen“ auszugehen, „aus denen je nach Interessenlage der eine oder der andere Punkt herausgehoben wurde“. 7 Gieseke, Privileg, S. 93. 8 Gieseke, Entwicklung, S. 53; ders., Privileg, S. 93 ff.; Bappert, UFITA 63 (1972), S. 93; Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 25 f.; ders., GRUR 1973, S. 305; Sprandel-Krafft, AGB 24 (1983), S. 362 ff.; Bosse, S. 62; Schack, Urheberrecht, S. 56. 9 Gieseke, Privileg, S. 94 f.; Weber, S. 20. Die in diesem Zusammenhang oftmals gebrauchten Termini „subjektives Recht“, „originär erworbenes gewerbliches Schutzrecht“ oder „eigentumsähnliches Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht“ sind als Anachronismen zu verwerfen, wie Rigamonti, S. 16, zutreffend unterstreicht.
38
A. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allg. Landrechts
zwischenzeitliche Privilegienerteilung an Dritte spielte hierbei keine Rolle, was den Charakter des Verlagseigentumsprinzips als Antwort auf die Schwächen des Privilegienwesens unterstreicht. Ihren kodifikatorischen Niederschlag fanden diese Überlegungen erstmalig in territorial begrenzten, allgemeingültigen Nachdruckverboten wie den Frankfurter Buchdrucker- und Buchhändlerverordnungen von 1588, 1598 und 166010 oder den Nürnberger Buchdruckerverordnungen von 152511 und 162312, deren Ziel, im Gegensatz zum Privilegium, der Schutz aller Verleger innerhalb ihres jeweiligen Geltungsbereiches war.13 Nur konsequent war demnach die Kopplung des „Verlagseigentums“ an dessen Ausübung. So bestimmte etwa die Frankfurter Buchdruckerverordnung von 1660, dass das Vorrecht des privilegierten Erstdruckers bei Nichtausübung binnen eines halben Jahres erlosch und das Werk von einem Dritten verlegt werden durfte. Entsprechendes galt, wenn der Verleger trotz entsprechender Nachfrage keine Neuauflage veranstaltete.14 Folglich gab es bereits in der Lehre vom Verlagseigentum bzw. der Verlagspraxis ab dem 17. Jahrhundert das Prinzip des Erlöschens der Vervielfältigungs- und Verbreitungsbefugnis bei Nichtausübung. Jedoch sollte dieser Umstand nicht überbewertet werden, da auch hinter der (älteren) Lehre vom Verlagseigentum primär gewerbe- und investitionsschützende Überlegungen standen. Dies zeigt sich allein daran, dass das Erlöschen von Rechts wegen und damit unabhängig von einem darauf gerichteten Willen des Autors eintrat und auch nicht zum Heimfall der Vervielfältigungs- und Verbreitungsbefugnis führte. Vielmehr entfiel mit der Nichtausübung de facto die Rechtfertigung des Ausschließlichkeitsrechts in Gestalt des Schutzes der Verlegerinvestitionen. Doch auch unabhängig von der Existenz derartiger Regelungen ging die Praxis dahin, dass die Verleger die Ausübung ihres „Verlagsrechts“ als Voraussetzung für den (Fort-)Bestand desselben verstanden. So schrieb der Rostocker Verleger Joachim Wilde 1667 zur Rechtfertigung seines Eigentumsrechts, dass er „dem Autori selbsten abgehandelt, Ihm vor einen jeden Bogen gebührlichen Abtrag getan“ und darüber hinaus „allzeit dahin 10 Abgedruckt bei Bücher / Schmidt, S. 139 ff. sowie Beyerbach, S. 584 ff. Siehe dazu Kapp / Goldfriedrich, S. 425; Gieseke, Privileg, S. 73, 99 sowie Gramlich, S. 91 f. Zur Bedeutung Frankfurts für den Buchhandel Kapp / Goldfriedrich, S. 362 ff. 11 Abgedruckt bei Baader, S. 79 f. Dazu auch Kohler, AutorR, S. 343 f. und Gramlich, S. 93. 12 Abgedruckt bei Pütter, S. 154. 13 Gieseke, Privileg, S. 94; Bappert, UFITA 63 (1972), S. 92; Weber, S. 18. Überregionale Bedeutung hatten diese Vorschriften freilich nicht, siehe Gieseke, Privileg, S. 98. 14 Beyerbach, S. 603; dazu und zum Folgenden insbesondere Kapp / Goldfriedrich, Bd. 2, S. 425.
I. Nichtausübung im Kontext der Verlagseigentumslehre39
gesehen [habe], daß an Exemplarien kein Mangel möchte erfunden werden“15 und der Leipziger Buchhändler Theophil Georgi bestätigte im Jahr 1705, dass im Fall der Nichtausübung jeder andere Verleger das Recht habe, das entsprechende Werk „dem publico zum Besten zum Druck zu befördern“. Dabei unterstrich er, dass dies „die observantia [sei], darüber alle Buchhändler attestiren“ würden16. Allein diese Äußerungen zeigen, dass hinter dem Erlöschen wegen Nichtausübung im Kontext des (älteren) Verlagseigentumsprinzips mitnichten urheberschützende Erwägungen standen. Vielmehr sind auch sie als Ausfluss des Gedankens der salus publica17, d. h. der Herstellung der Glückseligkeit sowohl des Staatsganzen als auch des einzelnen Bürgers durch „gute Policey“.18 Das so bezeichnete Instrumentarium umfasste neben zahlreichen anderen Zweigen oftmals auch eine „Literaturpolicey“19, welche die geistige Vervollkommnung der Bevölkerung zur Aufgabe hatte und insofern eine möglichst weite Verbreitung gerade solcher Schriften anstrebte, welche dem öffentlichen Wohl zuträglich schienen.20 Diesen Zielen stand die Nichtausübung des „Verlagsrechts“ diametral gegenüber, was der Umstand verdeutlicht, dass etwa die genannten Frankfurter Buchdruckerordnungen das Er löschen sowohl an eine entsprechende Nachfrage als auch an eine Rückfrage des Nachdruckwilligen bei dem bisherigen, nichtausübenden Verleger koppelten, ob dieser in absehbarer Zeit eine Neuauflage beabsichtige.21 Auch die zögerlichen Umbrüche in der Rechtswissenschaft, welche das Verlagseigentum ab dem frühen 18. Jahrhundert nicht mehr mit dem Kostenund Arbeitsaufwand des Verlegers rechtfertigte, sondern es vor dem Hintergrund der sukzessiven Etablierung eines leistungsäquivalenten Autorenhonorars derivativ auf den Manuskripterwerb stützte22, änderten hieran nichts. Man ging davon aus, dass der Verleger mit dem Kauf – um mit den insofern repräsentativen Worten des Hallenser Universitätsrektors Justus Henning
15 Abgedruckt bei Kirchhoff, AGDB 18, S. 145; siehe dazu auch Gieseke, Entwicklung, S. 56. 16 Wiedergegeben bei Kirchhoff, AGDB 15, S. 247 f. 17 Dölemeyer / Klippel, S. 193; Frohne, S. 14; Rigamonti, S. 14. 18 Klippel, Idee, S. 124; ders., FS Traub, S. 215; allgemein zur frühneuzeitlichen „Guten Policey“ Isely, passim. 19 So bezeichnet bei Lamprecht, S. 321; Springer, passim sowie Randel, S. 18. 20 Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 38 f.; ders., S. 120; Mohnhaupt, Ius commune Sonderheft Bd. 15, S. 60; ders., Ius Commune Bd. 5, S. 87 ff.; Dölemeyer / Klippel, S. 193; Klippel, Idee, S. 124. 21 Siehe Bücher / Schmidt, S. 148, 154. 22 Man spricht insofern von der „neueren“ Verlagseigentumslehre; siehe Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 42.
40
A. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allg. Landrechts
Boehmers23 aus dem Jahr 1732 zu sprechen – „Eigentum an dem Werke cum omni iure“24 erwarb und beim Urheber nach dem Verkauf keinerlei Rechte mehr verblieben, wie auch Johann Abraham Birnbaum 1733 unterstrich („völlige ceßion und abtretung aller […] denen verfassern sonst allein zukommenden rechte“25). Somit konnte von einem über den erstmaligen Verkauf hinaus fortbestehenden „Band“ zwischen Werk und Schöpfer im 17. und frühen 18. Jahrhundert keine Rede sein. Gleichwohl führte die Anerkennung des Manuskripterwerbs als Voraussetzung des „Verlagsrechts“ zu einer sukzessiven Verschiebung des Augenmerks der Rechtsgelehrten vom Verleger weg hin zum Autor26. Beeinflusst durch naturrechtliche Erwägungen – hier insbesondere der Arbeitstheorie Lockes27, nach welcher der Autor durch seine Gedankenarbeit das Manuskript schuf und folglich ursprünglich und ausschließlich an diesem berechtigt sei28 – führten diese Überlegungen hin zur sog. Lehre vom geistigen Eigentum, welche sich spätestens ab den 1770er Jahren Bahn brach und die dogmatische Grundlage der Autorenrücktrittsrechte bilden sollte.
II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte Im 18. Jahrhundert kam es zu einem richtungsweisenden Wandel in der Bewertung der Autor-Verleger-Beziehung.29 Sozioökonomischer Ausgangspunkt hierfür war vor allem die fortschreitende Alphabetisierung der Bevölkerung („Leserevolution“) sowie die seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges sukzessiv ansteigende Nachfrage an schöngeistiger und wissenPerson siehe Hederer, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 46 ff. S. 525. Siehe dazu auch Vogel, GRUR 1973, S. 306; ders., AGB 19 (1978), Sp. 45 f. sowie Löhnig, ZNR 2007, S. 199. 25 Birnbaum, S. 45; die besondere Bedeutung der Ausführungen Birnbaums betont Jänich, S. 39. 26 Rigamonti, S. 18, 20: „Der Verlegerschutz kraft Verlagseigentums wurde zum Verlegerschutz kraft eines vom Autor abgeleiteten Verlagsrechts“. 27 Locke, Two Treatises of Government, S. 232, 305 schrieb, dass jedermann „proprietor of his own person, and the actions or labour of it“ und „absolute lord of his own person“ sei; Oberndörfer, S. 7 und Jacob, S. 19 bezeichnen die Arbeitstheorie Lockes insofern zutreffend als „Eckpfeiler der kontinentaleuropäischen Urheberrechtsdogmatik“. Dazu auch Klippel, Persönlichkeit, S. 283; Luf, S. 11 f. und Jänich, S. 40, der ebenfalls die besondere Bedeutung Lockes für die Ausbildung der Autorenrechte betont. 28 Dazu etwa Rigamonti, S. 18 sowie Hansen, S. 18 f. und Jacob, S. 19 ff. Zu den naturrechtlichen Grundlagen der Idee vom geistigen Eigentum auch Gieseke, Privileg, S. 131 f. und ders., Entwicklung, S. 84. 29 Mogg, S. 34. 23 Zur
24 Boehmer,
II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte 41
schaftlicher Literatur30, vor allem seitens des aufstrebenden Bürgertums.31 Hierdurch bedingt kam es zu Umwälzungen in der Buchhandelspraxis und einem sprunghaften Anstieg des Nachdrucks.32 Dies war staat licherseits, ganz im Sinne guter Policey, zunächst keineswegs unerwünscht, da der Nachdruck den Erwerb von Büchern für viele Bevölkerungsschichten überhaupt erst erschwinglich machte und auf diese Weise zur Verbreitung „nützlichen“ Gedankenguts sowie zum „Fortgang der Gelehrsamkeit“33 beitrug.34 Jedoch ließ die Kehrseite dieser Entwicklung nicht lange auf sich warten: Die rechtmäßigen Verleger verzeichneten bedeutende Einbußen, während die Auflagenzahlen ebenso zurückgingen wie die Investitionsbereitschaft.35 In der Folge rückte die Frage einer Stärkung der Verleger- und schließlich auch der Autorenrechte zunehmend in das Blickfeld der Jurisprudenz.36 Im Kontext der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkommenden Theorie vom geistigen Eigentum fand eine erste Auseinandersetzung mit der Nichtausübung verlegerischer Befugnisse und den daraus erwachsenden Rechten des Autors statt (1.). Jedoch war es erst die Präzisierung dieser Lehre ab den 1770er Jahren, welche den dogmatischen Unterbau der späteren Rücktrittsrechte schuf (2.).
30 Zeigten die Messkataloge im Jahr 1714 noch 628 Neuerscheinungen an, so waren dies im Jahr 1780 bereits 2115, was eine Steigerung von über 335 % bedeutete. Gleichzeitig sank der Anteil an in lateinischer Sprache verfassten Werken von mancherorts bis zu 71 % im Jahr 1650 über 33 % (1714) auf 9,4 % im Jahre 1780, siehe Kapp / Goldfriedrich, Bd. 2, S. 23 f.; mit ähnlichen Zahlen Vogel, GRUR 1973, S. 304; ders., AGB 19 (1978), Sp. 39 sowie Hiller, S. 93 f. Diesen Trend bestätigende Zahlen aus den Jahren 1740, 1770 und 1800 liefert Wittmann, R., S. 122. Um 1765 wurden u. a. Werke von E. v. Kleist, Klopstock und Gellert vermehrt nachgedruckt, siehe Wittmann, UFITA 106 (1987), S. 114. 31 Kapp / Goldfriedrich, Bd. 2, S. 390 ff.; Wehler, Bd. 2, S. 524 ff.; Gieseke, Privileg, S. 157 ff.; Vogel, GRUR 1973, S. 307; Fend, S. 111 ff. (zur Alphabetisierung); Wittmann, R., S. 168 ff.; Mogg, S. 34; Feld, S. 2. 32 Dazu ausführlich Buhl, S. 13 ff.; Gieseke, Privileg, S. 158; Widmann, S. 105 ff.; Vogel, GRUR 1973, S. 306; ders., AGB 19 (1978), Sp. 117; Wittmann, UFITA 106 (1987), S. 115 f.; Wadle, Bd. 2, S. 102; Wittmann, R., S. 131 ff.; Feld, S. 3. 33 So die zeitgenössische Terminologie bei Pütter, S. 34. 34 Hiller, S. 95 f.; Wittmann, UFITA 106 (1987), S. 121; Dölemeyer / Klippel, S. 193 f.; Klippel, Idee, S. 124; Feld, S. 4 f. 35 Pütter, S. 31 ff.; Gundling, S. 12 f.; Graeff, S. 12 f. Siehe dazu auch Wittmann, R., S. 132. 36 Gieseke, Privileg, S. 122; Mogg, S. 37.
42
A. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allg. Landrechts
1. Nichtausübung, Umstands- und Überzeugungswandel im Kontext der frühen Lehre vom geistigen Eigentum Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stießen Autoren wie Justus Henning Boehmer oder Nicolaus Hieronymus Gundling37, welche das Verhältnis zwischen Autor und Verleger als privatrechtlichen Vertrag definierten und erstmalig ein Eigentum der Autoren „in Ansehung ihrer eigenen Gedancken“38 annahmen, eine Diskussion über die Rechtmäßigkeit des Nachdrucks an, welche zugleich den Beginn der Abkehr vom Privilegium markierte.39 Im Zuge dieser Entwicklung sprach man nicht nur explizit davon, dass „Ehre und Eigentum des Werkes […], auch nach dem Tode, dem Autor bleiben“ und „weder durch Vertrag noch durch ein Gesetz auf einen anderen übertragen werden können“40 (so Gundlings Weggefährte Johann Peter v. Ludewig41, 1720), sondern setzte sich auch mit der Frage auseinander, welche Folge die Nichtausübung des „Verlagsrechts“ nach sich zog. So schrieb Ahasverus Fritsch42 in seinen 1750 posthum erschienenen „Abhandlungen von denen Buchdruckern / Buchhändlern / Papiermachern und Buchbindern“43 für den Fall, dass „der Buchführer, der ein Werk auf seine Kosten zu verlegen von dem Autore übernommen, im Verlegen sich säumig“ verhalte keine „rechtmäßige Entschuldigung habe“, der Autor „nach verflossenem Termin das Manuscript von dem Buchführer wieder fordern und einem andern zu verlegen geben“44
könne. Dies kam einem Rücktritt wegen Nichtausübung ausgesprochen nahe. Dass es in der Verlagspraxis zu Fällen sogar der vorsätzlichen Nichtausübung kam, belegt das Zeugnis des Buchhändlers Friederich Schneider, welches der Abhandlung des Verlagsleiters der Weidmann’schen Buchhandlung 37 Der promovierte Jurist Gundling wirkte ebenfalls in Halle; dazu Jäger / Klippel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 128 ff. 38 Gundling, S. 5. 39 Ähnliches postulierten etwa Johann Abraham Birnbaum („Eines Aufrichtigen Patrioten Unpartheyische Gedancken über einige Quellen und Wirckungen des Verfalls der ietzigen Buch-Handlung“, Schweinfurt 1733) und Johann Rudolf Thurneysen („Dissertatio juridica inauguralis de recusione librorum furtiva. Zu Teutsch Dem unerlaubten Bücher-Nachdruck“, Basel 1738); siehe dazu Gieseke, Privileg, S. 127 ff.; Vogel, GRUR 1973, S. 306 sowie Jänich, S. 38 f., der die besondere Bedeutung Gundlings, Birnbaums und Thurneysens betont. Ebenfalls mit Bezug auf Gundling Lück, S. 9 ff. 40 Im lateinischen Original abgedruckt bei Pütter, S. 119; deutsche Übersetzung bei Gieseke, Privileg, S. 126. 41 Zur Person Roeck, S. 293 ff. 42 Zur Person Anemüller, S. 108 f. 43 Dazu ausführlich Frohne, S. 11 ff. 44 Fritsch, S. 47. Siehe dazu auch Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 42 f.
II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte 43
zu Leipzig, Ernst Martin Graeff45, über das Eigentum und die Eigentumsrechte der Schriftsteller und Verleger aus dem Jahr 1794 beigegeben war: „Ich selbst habe […] von einem ungedungenen Autore ein Mscpt. mit baaren Gelde […] gekauft; und da ich nachher fand, daß es Anzüglichkeiten gegen eine Person, die ich schätze, enthielt: so verbrannte ichs, als mein Eigenthum, im Ofen, und es kann also niemals gedruckt werden“46.
Schneiders Ausführungen zeigen zugleich – wie im Übrigen auch die Äußerungen Graeffs47 – dass man seitens der Verlegerschaft noch im Jahr des Inkrafttretens des preußischen Landrechts uneingeschränkt den Standpunkt vertrat, dass mit dem Verlagsvertrag das vollumfängliche Eigentum am Werk erworben wurde, eine Veröffentlichungs- bzw. Verbreitungspflicht mithin separat vereinbart werden musste48. Bei Fritsch findet man auch die Überlegung, dass der Autor in der Regel nicht für den Privatgebrauch, sondern zum Zwecke der Verbreitung schrieb. So zitierte er den italienischen Gelehrten Tommaso Garzoni, der 1585 über die Druckerkunst äußerte, dass diese „bey allen in hohen Werth zu halten [sei], da durch sie die Gelehrten auch nach dem Tod leben, und bey jedermann bekannt werden, da sie sonsten in einer geringen Zeit mit einer ewigen Vergessenheit möchten begraben worden seyn“49.
Weniger eindeutig äußerte sich Fritsch zur Möglichkeit des Umstandsoder Überzeugungswandels auf Seiten des Autors. So begründete er die Notwendigkeit einer Zustimmung des Autors zur Veranstaltung von Folgebzw. Neuauflagen eines bereits erschienenen Werkes damit, dass „aus verschiedenen Ursachen dem Autori daran gelegen seyn [könne], daß das Buch entweder gar nicht [mehr] oder vermehrt und verbessert gedruckt werde“50. Person etwa Gieseke, Privileg, S. 179. S. 95; ferner abgedruckt bei Berger, S. 11 / Fn. 15. 47 Siehe Graeff, S. 15 ff.; Graeffs Abhandlung basierte auf Umfragen im Buchund Verlagshandel und ist insofern als repräsentativ einzustufen (so auch Mogg, S. 49); dazu ferner Gieseke, Privileg, S. 179. 48 So Graeff in den Grundsätzen der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung zu Leipzig über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Verleger aus dem Jahr 1792, abgedruckt bei Buchner, S. 146 ff. 49 Zit. n. Fritsch, S. 2; das Werk, aus welchem Fritsch hier zitierte ist Garzoni, La piazza universale di tutte le professioni del mondo. Di Tommaso garzoni da bagnocauallo. Con l’aggiunta di alcune bellissime annotazioni à discorso per discorso, 128 [Nummer des Diskurses], 1585 (deutsche Übersetzung unter dem Titel „Piazza Universale: Das ist: Allgemeiner Schauplatz / Marckt und Zusammenkunfft aller Profes sionen / Künsten / Geschäfften / Händeln und Handwercken / [et]c.: Wann und von wem dieselbe erfunden: Wie sie von Tag zu Tag zugenommen: Sampt außführlicher Beschreibung alles dessen / so darzu gehörig“, Frankfurt am Main 1659, dort S. 958). 50 Fritsch, S. 47; dazu auch Westphal, S. 186. 45 Zur
46 Graeff,
44
A. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allg. Landrechts
Hier trat klar der Gedanke zutage, dass sich in der Zeit zwischen Erst- und Zweitauflage innere Umstände des Autors oder externe Rahmenbedingungen geändert haben konnten, welche diesen von einer weiteren Verbreitung seines Werkes abrücken ließen. 2. Die Präzisierung der Lehre vom geistigen Eigentum als dogmatische Grundlage künftiger Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung und veränderter Umstände Ab den 1770er Jahren (und damit nur wenige Jahre vor Beginn der Vorarbeiten zur ersten Verlagsrechtskodifikation im preußischen Allgemeinen Landrecht51) kam es zu einer schrittweisen Präzisierung der Annahme eines „geistigen Eigentums“ in der Jurisprudenz. Vielzitiert ist hier die von dem Göttinger Juristen Johann Stephan Pütter52 verfasste Schrift „Der Büchernachdruck nach ächten Grundsätzen des Rechts geprüft“. Diese, auf Anregung von Verlegern hin publizierte Abhandlung53 anerkannte „unstreitig ein wahres Eigentum54“ des Verfassers an seinem Werk, welches sich – ganz im Sinne von Locke – allein aus dessen Geschicklichkeit und Fleiß ableitete.55 In Folge dieser einzigartigen Beziehung des Geistesproduzenten zu seinem Werk56 könne sich, so Pütter weiter, „niemand ohne des Verfassers Einwilligung […] irgend eines Rechts“ an dessen Werken „anmassen“. Gleichwohl war Pütter – wie auch der überwiegende Teil der Verleger und Rechtsgelehrten dieser Zeit57 – dem Gedanken verhaftet, dass das Verlagsrecht derivativ aus dem Eigentum am Manuskript folgte58 und fokussierte allein die Verleger- und nicht etwa die Autorenperspektive. Jedoch finden sich auch bei Pütter Anklänge hinsichtlich eines möglichen Überzeugungswandels des Autors, wenngleich diese auch nicht auf eine Ver-
51 Löhnig,
ZNR 2007, S. 199; Feld, S. 6. Person siehe Otto, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 229 ff. 53 Löhnig, ZNR 2007, S. 199. 54 Zu dem in diesem Zusammenhang gebrauchten Eigentumsbegriff im Naturrecht siehe insbesondere Dölemeyer / Klippel, S. 198 f. 55 Pütter, S. 25; Jänich, S. 40 betont die besondere Bedeutung Pütters für die weitere Erörterung der Theorie vom geistigen Eigentum. 56 So die Formulierung von Simon, J., S. 24. 57 Siehe etwa Scheidemantel, S. 412 f., 425, der ebenfalls auf die Arbeitstheorie Lockes Bezug nimmt, jedoch bereits zwischen dem „wirklichen Eigenthum“ des Autors an seinem Manuskript und dem Verlagsrecht als quasidominium differenziert; hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Verlegers verweist er nach gleichermaßen auf den Investitionsschutzgedanken; ähnlich auch Westphal, S. 186. 58 Pütter, S. 27. 52 Zur
II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte 45
tragsaufhebung, sondern lediglich auf die Möglichkeit der Vornahme von Verbesserungen im Zuge einer Neuauflage abzielten: „Nicht leicht wird ein Gelehrter, der immer zulernt, sein gedrucktes Buch nach einiger Zeit wieder mit Aufmerksamkeit durchgehen, ohne gewisse Unvollkommenheiten darinn warzunehmen, die er jetzt verbessern könnte, wenn das Buch noch einmal zu drucken wäre.“59
Angesichts des Entstehungshintergrundes von Pütters Werk verwundert es nicht, dass dem Autor auch aus diesem Gedanken keinerlei Rechte gegen den Verleger erwuchsen60. Entsprechendes gilt für die nachstehende Passage, welche zwar ebenfalls die Möglichkeit der Veränderung von Umständen und Überzeugungen andeutete, diese jedoch bezeichnenderweise in den Kontext des Unternehmerrisikos des Verlegers stellte: „Bey einem Schriftsteller, der sich das erstemal zeiget, ist es fast immer bloß gewagt. Und selbst bey berühmten Gelehrten schlägt oft eine neue Unternehmung fehl […] durch eine Veränderung in dem herrschenden Geschmacke, und durch andere zufällige Umstände kann eine schon eingetretene nahe Hoffnung oft merklich unterbrochen und vermindert werden.“61
Die entscheidenden Schritte hin zur Differenzierung zwischen dem Sacheigentum am Manuskript und dem geistigen Eigentum an der darin verkörperten Werkschöpfung vollzogen sich ab Mitte der 1780er Jahre.62 Zwei Jahre vor Beginn der Vorarbeiten zum Allgemeinen Landrecht erschien Johann Jakob Cellas63 Aufsatz „Vom Büchernachdruck“, in dem selbiger klar zwischen der materiellen und der immateriellen Dimension eines Werkes differenzierte. Hieraus leitete er ab, dass der Verleger durch den Verlagsvertrag allein das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung, nicht aber das Eigentum an dem Werk per se erwarb, da am unkörperlichen Inhalt kein ausschließliches Eigentum möglich sei.64 Nochmals präziser formulierten dies Immanuel Kant in seinem vielbeachteten Aufsatz „Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“ (1785)65, Gottlob August Tittel (der 1790 als erster explizit von einem unveräußer
59 Pütter,
S. 36. ausführlich Rigamonti, S. 21 f.; Löhnig, ZNR 2007, S. 200. 61 Pütter, S. 28. 62 Hansen, S. 20 f.; ähnlich Rigamonti, S. 22 ff. 63 Zur Person siehe Graf / Klippel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 61 ff. 64 Cella, S. 87; dazu auch Vogel, GRUR 1973, S. 309 sowie Löhnig, ZNR 2007, S. 200. 65 Kant, Berlinische Monatsschrift 5 (1785), S. 403–417; im Folgenden wird auf den Neudruck in der Akademieausgabe (1. Abt., Bd. VIII, S. 77–88) zurückgegriffen. 60 Dazu
46
A. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allg. Landrechts
lichen „Geisteseigentum“66 sprach) und Johann Gottlieb Fichte (1793)67 sowie weitere, weniger namhafte Autoren68. Nach deren Ausführungen war das Manuskript, wie auch das einzelne Werkexemplar, allein unter sachenrecht lichen Gesichtspunkten zu bewerten, während dem Autor an seinen Gedanken und deren konkreter Form ein niemals vollumfänglich veräußerliches, persönliches Recht zustand.69 Unter der Befugnis des Verlegers sei, in An lehnung an die entsprechende Belastung des Sacheigentums, lediglich „das Recht eines gewissen Nießbrauchs des [geistigen] Eigenthums des Verfas sers“70 zu verstehen. Insbesondere Kant postulierte ein (Erst-)Veröffentlichungsrecht des Ur hebers als persönliches, „unveräußerliches Recht (jus personalissimum)“71, welches auf das Recht auf kommunikative Selbstbestimmung zurückzuführen und somit eine Subkategorie des angeborenen Freiheitsrechts sei, das den freien Willen als Grundlage jedweden subjektiven Rechts erachtete.72 Insbe66 Tittel,
S. 105. S. 446 f., 449 f.; zur Bedeutung Fichtes für die Entwicklung der Autorenrechte Jänich, S. 41. 68 So beispielsweise Rudolf Zacharias Becker (1789), S. 89 f.; zur Person Hederer, in Apel / Pahlow / Wießner, S. 38 ff. 69 So auch Müller, UFITA 2 (1929), S. 376; Gieseke, Entwicklung, S. 98; ders., Privileg, S. 169 f., 176 f.; Heeschen, S. 10; Hubmann, UFITA 106 (1987), S. 146; Luf, S. 18; Wittmann, R., S. 172; Jahn, S. 19 f.; Ruszicka, S. 47; Fromlowitz, S. 7. Kritisch hinsichtlich der Rolle Kants als „geistigem Vater“ des Urheberpersönlichkeitsrechts bereits Kohler, AutorR, S. 346 sowie ders., UrhR, S. 76, wo die Ausführungen Kants als „abenteuerliche Ausgeburt eines unjuristischen Genius“ kritisiert werden; Melliger, S. 42 spricht von der „zur Mode gewordenen Verweisung auf Immanuel Kant als Begründer der Persönlichkeitsrechtstheorie“; kritisch ferner Troller, UFITA 28 (1959), S. 258 sowie Klingenberg, ZRG GA 96 (1979), S. 186 ff. und Jänich, S. 45. Einen Überblick über die verschiedenen Positionen liefert insbesondere Strömholm, S. 188 ff. Zur (Früh-)Geschichte des Urheberpersönlichkeitsrechts auch Müller, UFITA 2 (1929), S. 368 ff. 70 Fichte, S. 456 f.; dazu auch Mogg, S. 67. 71 Kant, AA VIII, S. 86; Hubmann, UFITA 106 (1987), S. 152 spricht insofern vom „Recht des Autors […] verhindern zu können, dass ein anderer den Autor ohne seine Einwilligung zum Publikum reden lasse“, womit Kant „einen wichtigen Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts erkannt“ habe, den man „heute mit dem Begriff des Veröffentlichungsrechts umschreiben würde“. Differenzierter, aber im Ergebnis zustimmend Jacob, S. 129 f., 133 f. Allgemein zur „Persönlichkeit“ im Urheberrechtsdenken 19. Jahrhunderts Eisfeld, ZGE 2014, S. 106 ff. und dort speziell zu Kant S. 111 ff. 72 Haff, S. 5; Simon, J., S. 169; Wittmann, R., S. 172; Jacob, S. 43, 129 f., 134. Zu den naturrechtlich-philosophischen Grundlagen der Persönlichkeitsrechte siehe Dölemeyer / Klippel, S. 196 f. sowie Klippel, Persönlichkeit, S. 269 ff. Zur Bedeutung der Philosophie Kants für die Etablierung eines „Rechts der Persönlichkeit“ ab dem späten 18. Jahrhundert siehe Klippel, Persönlichkeit, S. 284 ff. 67 Fichte,
II. Die Lehre vom geistigen Eigentum als Grundlage künftiger Rücktrittsrechte 47
sondere verneinte Kant ein derivativ aus dem Manuskripterwerb folgendes Vervielfältigungs- und Verbreitungrecht des Verlegers. Hierfür sei vielmehr „außer dem Eigentum [am Manuskript] noch ein besonderer Vertrag“73, d. h. eine rechtsgeschäftliche Einräumung dieser Befugnisse erforderlich. Letztere übe der Verleger anschließend lediglich im Namen des Verfassers aus, da er durch den Verlag und Vertrieb eines Werkes gerade nicht für sich selbst, sondern ausschließlich für den Urheber kommuniziere und insofern eine Vermittlerrolle zwischen demselben und dem Publikum, d. h. der Öffentlichkeit einnehme.74 In der Konsequenz dürfe der Verleger einen Urheber weder ohne dessen Einwilligung „reden lassen“ (d. h. ein Werk oder dessen Einwilligung veröffentlichen oder nachdrucken) noch den Urheber an dessen beabsichtigtem Kommunikationserfolg hindern (d. h. die Vervielfältigung und Verbreitung pflichtwidrig unterlassen).75 Obwohl für Kant und Fichte, wie für alle vorstehend genannten Autoren, die Begründung der Unrechtmäßigkeit des Nachdrucks und damit die Verleger- und nicht etwa die Urheberinteressen im Vordergrund standen76, postulierten sie wichtige Grundprämissen für die künftige Normierung von Rücktritts- bzw. Rückrufsrechten der Autors. So war gerade die Unterscheidung zwischen materiellem und immateriellem Werkaspekt, d. h. zwischen den Befugnissen des Urhebers, des Verlegers sowie des Werkstückeigentümers maßgeblich für die weitere Entwicklung des Verlags- und Urheberrechts, trug sie doch dazu bei, die verleger- und gemeinwohlzentrierte Urheberrechtsperspektive der Merkantilstaaten zugunsten einer urheberfokussierten Sichtweise aufzubrechen. Die geistige Leistung des Urhebers war als schützenswertes Rechtsgut an die Stelle der Ware Buch getreten77. In dreierlei Hinsicht kommt dabei dem von Kant aus dem Recht auf kommunikative Selbstbestimmung abgeleiteten (Erst-)Veröffentlichungsrecht des Urhebers besondere Bedeutung zu: Zunächst impliziert es das von der Eigentumsübertragung am Manuskript unabhängige Erfordernis der rechtsgeschäftlichen Mandatierung, welche ihrerseits zwingende Voraussetzung nutzungsrechtsbezogener Rück73 Kant, AA VIII, S. 83 f.; dazu auch Hubmann, UFITA 106 (1987), S. 149; Jacob, S. 42 sowie Szilagyi, S. 12. 74 Kant, AA VIII, S. 80 f., 85. Insbesondere legt er dem Verleger gegenüber dem Publikum die Worte in den Mund „Ich bin nur der Vermittler der Gelangung an Euch“ (Kant, AA VIII, S. 81). Ähnliches wiederholte Kant 1797 in dem Abschnitt „Was ist ein Buch“ seiner „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“, siehe Kant, AA VI, S. 289. Fichte, S. 457 kam einige Jahre später zum selben Ergebnis. 75 Hubmann, UFITA 106 (1987), S. 146 f.; Jacob, S. 130. 76 So hieß es bei Kant, AA VIII, S. 82 ausdrücklich, dass durch den Nachdruck „nicht der Autor, sondern sein bevollmächtigter Verleger lädiert werde“; dazu Bappert, S. 256; Bülow, S. 61; Rigamonti, S. 25; Jänich, S. 41; Jacob, S. 40. 77 Wittmann, R., S. 173; ähnlich bereits Osterrieth, S. 45; ferner Vogel, FS GRUR, S. 1951 ff. und Bandilla, S. 17.
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A. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des preußischen Allg. Landrechts
tritts- bzw- Rückrufsrechte ist. Zweitens liegt in der Nichtausübung eines eingeräumten Nutzungsrechts zwangsläufig eine Verletzung des Rechts auf kommunikative Selbstbestimmung – hat der Urheber doch durch die Nutzungsrechteeinräumung zumindest implizit seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass er das Werk an die Öffentlichkeit gebracht wissen wolle.78 Drittens kann sich dieser Wille im Zeitablauf wandeln, so dass – könnte man den einmal in Gang gesetzten Kommunikationsvorgang nicht mehr rückgängig machen oder zumindest für die Zukunft stoppen – eine „permanente, ungewollte kommunikative Zuordnung des Werkes zum Urheber“79 und damit abermals eine Verletzung des Rechts auf kommunikative Selbstbestimmung die Folge wäre.80
III. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Obgleich bis zum Jahr 1794 kein kodifiziertes Verlagsrecht existierte, hatte man die Konstellation der Nichtausübung des Verlagsrechts sowie die Möglichkeit eines Umstands- oder Überzeugungswandels auf Seiten des Autors bereits früh vor Augen. So ist ein Erlöschen der verlegerischen Befugnis wegen Nichtausübung erstmals im Kontext des älteren Verlagseigentums prinzips in lokalen Buchdruckerordnungen ab dem 16. Jahrhundert nachweisbar. Dieses Erlöschen war jedoch nicht Folge eines hierauf gerichteten Willens des Autors, sondern speiste sich aus dem Gedanken der salus publica als Staatszielbestimmung des absolutistischen Merkantilstaates und ist insofern als ein Instrument frühneuzeitlicher guter Policey zu werten. Ein sukzessiver Wandel vollzog sich mit der Abkehr vom älteren Verlagseigentumsprinzip, welches das Verlagsrecht ausschließlich mit dem Investitionsaufwand des (Erst-)Verlegers rechtfertigte, hin zur neueren Verlagseigentumslehre, die das Verlagsrecht derivativ aus dem Manuskripterwerb herleitete. Damit setzte ein Perspektivwechsel vom Verleger hin zum Autor ein, der insbesondere durch die Arbeitstheorie Lockes untermauert wurde. Der infolge einer gestiegenen Literaturnachfrage ausufernde Nachdruck ließ die Frage einer Stärkung des Verleger- und schließlich auch des Autorenschutzes zunehmend in den Fokus der Rechtsgelehrten rücken. So postulierte man in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstmals ein naturrechtlich hergeleitetes „Eigentum“ der Autoren an ihren Geistesleistungen sowie einen gewissen unveräußerlichen Aspekt derselben. In aller Klarheit betonte man das pekuniäre und ideelle Interesse des Autors an der Veröffentlichung des Werkes und sprach ihm – gewissermaßen bereits hier als Kehrseite dieses Interes78 Jacob,
S. 139 f. S. 140. 80 So bereits Neustetel, S. 52; dazu auch Jacob, S. 140. 79 Jacob,
III. Zusammenfassung und Zwischenergebnis49
ses – einen (auf das Manuskript bezogenen) Rückforderungsanspruch im Falle der Nichtausübung des Verlagsrechts zu. Hinsichtlich des Wandels äußerer wie innerer Umstände ist die Entwicklung weniger klar. Zwar schienen im Kontext anderer Fragen, wie etwa derjenigen nach dem Erfordernis der Zustimmung des Autors zu Neuauflagen, vereinzelt Gedanken auf, die zeigen, dass sowohl Rechtswissenschaft als auch Verlagspraxis die Möglichkeit der Veränderung von Umständen und Überzeugungen erkannten, konkrete Schlüsse hinsichtlich eines hieraus resultierenden Erlöschungsgrundes oder gar Rücktrittsrechts sind jedoch nicht nachweisbar. Weitere Konkretisierung erfuhren die Rechte des Autors ab den 1770er Jahren durch die Schriften u. a. Pütters, Tittels, Fichtes und Kants. Zwar lag deren Fokus nach wie vor auf der Frage der Rechtmäßigkeit des Nachdrucks, doch anerkannten sie explizit ein „geistiges Eigentum“81 des Verfassers und in der Folge die Notwendigkeit einer schuldrechtlichen Mandatierung des Verlegers, welche ihrerseits überhaupt erst Voraussetzung für einen Rücktritt und damit für die Normierung entsprechender Rechte des Autors war. Besondere Bedeutung kommt hierbei den Ausführungen Kants zu. Dieser formulierte ein (Erst-)Veröffentlichungsrecht des Verfassers mit persönlichem, unveräußerlichem Charakter als Ausfluss des persönlichen Freiheitsrechts. Konsequenz hieraus war auch bei Kant das Erfordernis einer schuldrechtlich erteilten Nutzungsbefugnis des Verlegers, der namens und im Auftrag des Autors die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, d. h. die Verbreitung des Werkes übernahm. Unterließ er diese bzw. setzte er sie gegen den Willen des Autors fort, verletzte er nicht nur eine vertragliche Pflicht, sondern die Persönlichkeit(srechte) des Verfassers. Hier manifestierte sich erstmals, wenngleich auch nur implizit und reflexartig, der Gedanke vom „geistigen Band“82 zwischen Autor und Werk. Zu Recht als „Beginn der modernen Urheberrechtsentwicklung“83 bezeichnet, legte die Lehre vom geistigen Eigentum somit die Grundlage für die Normierung autorenseitiger Rücktrittsrechte. Wo und in welcher Form dies erstmals geschah, ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.
81 Die Begründungsansätze und Vorstellungen hinsichtlich dieses Begriffs waren verschieden, so dass hier nochmals darauf hingewiesen werden soll, dass es sich keinesfalls um einen einheitlich gebrauchten Begriff handelte; siehe Gieseke, Privileg, S. 115 ff., 157 ff.; Dölemeyer / Klippel, S. 185 ff., 198 f.; Klippel, Idee, S. 121 ff. 82 Siehe dazu im Kontext der Kantschen Überlegungen auch Jacob, S. 101 ff., 132 f. 83 Gieseke, Privileg, S. 115.
B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte in den Naturrechtskodifikationen des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts Zu den Naturrechtskodifikationen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zählen insbesondere das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (I.), das auf dem Code civil bzw. Code Napoléon basierende Badische Landrecht von 1810 (BLR) (II.) sowie das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1812 (ABGB) (III.).1 Die genannten Normenkataloge enthielten allesamt Regelungen zum Verlagsrecht, weshalb im Folgenden untersucht wird, ob diese ihrerseits die Möglichkeit der Vertragsaufhebung durch den Autor bei Nichtausübung oder Umstands- bzw. Überzeugungswandel vorsahen.
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 Die erste umfassende und für die folgenden Betrachtungen maßgeblichste Kodifikation des Verlagsrechts findet sich im preußischen Allgemeinen Landrecht, welches nach umfassenden Vorarbeiten 1794 in Kraft trat.2 Es klassifizierte das in den §§ I 11 996 bis I 11 1036 ALR des elften Abschnitts des ersten Teils normierte Verlagsrecht als eine Subkategorie von Verträgen, „wodurch Sachen gegen Handlungen, oder Handlungen gegen Sachen versprochen werden“3. 1. Regelungsinhalt Die Grundnorm des § 996 definierte das Verlagsrecht als „die Befugniß eine Schrift durch den Druck zu vervielfältigen, und sie auf den Messen, 1 Ausführlich zu Begriff, geistigen Voraussetzungen und geschichtlichen Erscheinungsformen des Naturrechts siehe Wieacker, S. 322 ff.; ferner Kocher, S. 51 ff. und Braun, S. 302 f.; Hinsichtlich des Allgemeinen Landrechts hatte bereits Friedrich der Große 1746 gefordert, dieses solle auf der „Vernunft und der Landesverfassung“ basieren, zit. n. Bringmann, S. 235. 2 Dazu auch Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 89 ff.; zur Vorgeschichte, Genese und zum historischen Kontext siehe etwa Fürstenthal, S. 13 ff.; Wieacker, S. 327 ff. sowie Bringmann, S. 235 ff. 3 So der Titel des achten Abschnitts des Ersten Theils, Eilfter Abschnitt (sic).
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179451
unter die Buchhändler und sonst, ausschließend abzusetzen“, welche der Verleger aus einem „mit dem Verfasser […] geschlossenen schriftlichen Vertrag“ (§ 998) erlangte. Das Allgemeine Landrecht ging somit davon aus, dass sich die Befugnis des Verlegers zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes allein aus einer schuldrechtlichen Ermächtigung ergab, welche ihrerseits aus dem (geistigen) Eigentum des Verfassers an seinem Werk floss.4 Hierauf aufbauend enthielten die nachfolgenden Paragraphen Regelungen, welche teilweise den Verleger, teilweise den Verfasser zum Rücktritt vom Verlagsvertrag berechtigten. a) Rücktrittsrechte des Verlegers Dem Verleger räumten die §§ 1000 bis 1004 ein Rücktrittsrecht für den Fall ein, dass der Autor das Manuskript nicht zur vereinbarten Zeit lieferte (§ 1000) oder, falls kein fester Zeitpunkt vereinbart worden war, die Lieferung nicht innerhalb einer vom Verfasser zu setzenden Frist (§§ 1003 f.) erfolgte. Einen Ersatzanspruch des Verlegers sahen die Regelungen dabei ebenso wenig vor wie eine Klage auf Erfüllung5. Ausweislich der Kommentarliteratur hatte der Autor dem wegen Nichterfüllung zurücktretenden Verleger jedoch mindestens ein bereits erhaltenes Honorar herauszugeben, maximal den entstandenen Schaden zu ersetzen, wobei die Reichweite des Ersatzanspruches, d. h. die Frage, „ob sich dieser Ersatz blos auf den unmittelbaren Schaden beschränkt[e], oder auch auf den mittelbaren und zufälligen Schaden erstreckt[e] […] von dem Grade der Schuld“6 des Autors abhing. § 1008 gewährte dem Verleger ein Rücktrittsrecht, falls der Autor vor Drucklegung Änderungen „in Ansehung des Umfangs, oder der Einrichtung des Werks“ vornahm. § 1009 ergänzte dieses Recht für den Fall, dass die entsprechenden Veränderungen nach der Drucklegung vorgenommen wurden, um einen Schadensersatzanspruch.
4 Gieseke, Entwicklung, S. 113, ähnlich auch Bindewald, S. 16 f.; Jaeckel, S. 12 sowie Schoop, S. 11, 17 f.; verschiedene spätere Autoren zogen aus dem Ausdruck „Verlagsrecht“ fälschlicherweise den Schluss, dass das landrechtliche Verlagsrecht lediglich ein vertraglich begründetes ausschließliches Gewerberecht sei, siehe Wächter, VerlagsR, S. 16 ff.; Heydemann, Dt. GerZ 4 (1862), S. 41 ff.; Kapp / Goldfriedrich, Bd. 3, S. 448 ff.; Kohler, UrhR, S. 89. Aus den Materialien ergibt sich jedoch eindeutig etwas Anderes (siehe unten, B. I. 2.). 5 Bornemann, S. 357. 6 Bielitz, Bd. 2, S. 736 f.
52
B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
b) Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände Mit § 1005 räumte das preußische Allgemeine Landrecht als erste Kodifikation überhaupt dem Autor ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ein. Die Vorschrift lautete wie folgt: „Ereignen sich Umstände oder Hindernisse, welche den Verfasser veranlassen, das versprochene Werk gar nicht herauszugeben, so kann er von dem Vertrage zurücktreten.“
In beiden folgenden Paragraphen wurden die dem Verleger infolge des Rücktritts zustehenden Ersatzansprüche statuiert. So lautete § 1006: „Er muß aber dem Verleger den Schaden ersetzen, welcher demselben aus den zum Abdrucke etwa schon getroffenen, und durch den Rücktritt unnutz werdenden Anstalten, wirklich entsteht“.
Aus dem Wortlaut des § 1005 („nicht herauszugeben“) und der Formulierung des § 1006 („zum Abdruck“) ergab sich, dass der Rücktritt zeitlich bis zum Beginn der Herausgabe möglich war.7 Da das Allgemeine Landrecht das Verlagsrecht ausschließlich schuldrechtlich fasste, erloschen mit Beendigung des Verlagsvertrages augenblicklich jedwede Befugnisse des Verlegers. Für den Fall, dass der Verfasser das Werk binnen Jahresfrist nach dem Rücktritt ohne Vorwissen und Zustimmung in einem anderen Verlag oder im Selbstverlag herausgab, wurde ein arglistiges Handeln desselben vermutet8 und die Ersatzpflicht nach § 1007 auf den entgangenen Gewinn ausgedehnt: „Giebt aber der Schriftsteller das einem Verleger versprochene Werk innerhalb Jahresfrist nach dem Rücktritte, ohne Vorwissen und Einwilligung desselben, in einem andern Verlage, oder auf eigene Rechnung heraus, so muß er dem ersten Verleger auch für den entgangenen Gewinn gerecht werden“.
7 Koch, S. 783 / Fn. 99; Klostermann, Eigentum, S. 366; Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 463; anders Dernburg, PrivatR, S. 553 / Fn. 6 sowie UrheberR, S. 641, der den Rücktritt nur „bis zur Lieferung der Handschrift“ als zulässig erachtete, da somit die Verpflichtung des Verfassers zur Lieferung der Handschrift nach § 1 11 1000 ALR durch Erfüllung erlösche und insofern auch kein Rücktritt mehr möglich sei. Dernburg verkannte hier den Charakter des Verlagsvertrages als Dauerschuldverhältnis; über den Wortlaut der §§ 1005 f. ALR hinaus spricht allein schon die historisch-ge netische Auslegung der Vorschriften, welche ausweislich der Akten Regelungen darstellten, welche die Rechte und Pflichten zwischen Autor und Verleger bis zur Herausgabe des Werkes regeln sollten, gegen eine zeitliche Begrenzung des Rücktrittsrechts bis zur Ablieferung des Werkes. Siehe dazu insbesondere unten, B. I. 2. sowie D. I. 8 Kramer, S. 145.
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179453
c) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Ein gesondertes Rücktrittsrecht des Verlegers wegen Nichtausübung kannte das preußische Landrecht hingegen nicht. Sofern man diesen Fall nicht ebenfalls unter die §§ 1005 ff. subsumierte9 oder ein entsprechendes Rücktrittsrecht als konkludent vereinbart unterstellte10, fanden die dem achten Abschnitt des elften Titels vorangestellten allgemeinen Grundsätze der §§ I 11 869–893 sowie die einschlägigen Normen des allgemeinen Vertragsrechts Anwendung.11 Demnach hatte der Autor bei Nichterfüllung seitens des Verlegers die Wahl, entweder auf Erfüllung zu klagen (§ 877) oder, sofern der Verleger die Erfüllung verweigerte, sofort vom Vertrag zurückzutreten (§ 878). Alternativ konnte er bei Nichterfüllung unabhängig von einer Leistungsverweigerung des Verlegers sofort zurücktreten (§ I 5 408). Zeigte sich in diesem Fall jedoch im Nachhinein, dass der Rücktritt unbegründet war, so musste der zurückgetretene Autor den Verleger gemäß § I 5 409 vollständig entschädigen, was nach § I 6 7 auch den entgangenen Gewinn umfasste. War der Rücktritt hingegen begründet, so erwuchs dem zurücktretenden Teil nach § I 5 410 ein Schadensersatzanspruch mit Ausnahme des entgangenen Gewinns12. Da es sich bei diesen Regelungen nicht um genuin verlagsrechtliche Rücktrittsrechte handelte, bleiben sie im Folgenden, sofern sie nicht für die Betrachtung der verlagsrechtlichen Rücktrittsrechte von Relevanz sind, außen vor. d) Unmöglichkeitsregelung Schließlich verwies § 1010 für den Fall, dass die Vertragserfüllung einem der Kontrahenten unmöglich wurde, auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 879 ff., I 5 360 ff. und somit ebenfalls ins allgemeine Vertragsrecht. Demnach hatte derjenige, der die Unmöglichkeit zu vertreten hatte, dem anderen Teil je nach Art des Vertrages und Grad des Verschuldens den ihm entstandenen Schaden zu ersetzen (§§ I 5 360 f.). War die Unmöglichkeit von keiner Seite zu vertreten, wurde der Vertrag von Rechts wegen aufgehoben Bielitz, Bd. 2, S. 739. Dernburg, UrheberR, S. 642 / Fn. 15. 11 So schrieb der an der Genese des ALR maßgebliche beteiligte Ernst Ferdinand Klein (siehe unten, B. I. 2 lit. a)) in seinem „System des Preußischen Civilrechts“ (1801), dass „wenn der eine Theil die versprochene Erfüllung verweigert, […] der andere vom Vertrage sofort zurücktreten“ könne und verwies auf die Regelungen der §§ I 5 §§ 408–411 im Allgemeinen und § I 11 878 ALR im Besonderen, siehe Klein, S. 181; ähnlich Bielitz, Bd. 2, S. 436. Allgemein zum Rücktrittsrecht im preußischen Allgemeinen Landrecht Leser, S. 7 ff. 12 Bielitz, Bd. 1, S. 744. 9 So
10 So
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
(§ I 5 364). Sofern die Betrachtungen nicht ein anderes erfordern, bleiben diese Normen im Folgenden ebenfalls außer Acht. e) Rechtlicher Charakter des Rücktrittsrechts nach §§ 1005 ff. Die spätere Literatur erachtete das Rücktrittsrecht aus § 1005 als einen „von den allgemeinen Grundsätzen des Rücktritts wegen veränderter Umstände abweichenden Einzelfall“13. Bei den hier angesprochenen „allgemeinen Grundsätzen“ handelte es sich um die im allgemeinen Vertragsrecht verorteten §§ I 5 377 bis 384, welche unter dem Titel „Aufhebung der Verträge wegen veränderter Umstände“ den Grundsatz der clausula rebus sic stantibus für das preußische Landrecht normierten. Ihre Aufnahme in das Allgemeine Landrecht verdankten sie in erster Linie dem an der Kodifikation federführend beteiligten14 Breslauer Oberamts-Regierungsrat Carl Gottlieb Svarez15, dessen Rolle bei der Genese sowohl der besagten „allgemeinen Grundsätze“ als auch des verlagsrechtlichen Rücktrittsrechts an späterer Stelle betrachtet wird. Die landrechtlichen „clausula“-Normen basierten auf dem, zum Zwecke der Missbrauchsprävention16 restriktiv gefassten Grundsatz, dass ein Rücktritt wegen veränderter Umstände unzulässig war (§ I 5 377), gestatteten ihn jedoch gemäß § I 5 378 bis zur Erfüllung des Vertrages, falls durch eine Umstandsänderung die Erreichung eines „ausdrücklich erklärten, oder aus der Natur des Geschäfts sich ergebenden Endzwecks beyder [sic!] Theile unmöglich gemacht“ wurde. Insofern war die Anwendung des „clausula“Grundsatzes auf unvorhergesehene Veränderungen beidseitig vorausgesetzter Vertragsziele im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Erfüllung beschränkt.17 Die Literatur führte hier Fälle auf, in welchen bis zum Beginn der Herausgabe Umstände eintraten, die den Zweck der Veröffentlichung an sich vereitelten, so z. B. die Kommentierung eines Gesetzes, welches vor der Herausgabe aufgehoben wurde.18 § I 5 379 sah eine Ersatzpflicht der zurücktre13 So bereits Gruchot, Beiträge zur Erläuterung des preußischen Rechts, des Handels- und Wechselrechts durch Theorie und Praxis 1869, S. 773 f.; ferner Jaeckel, S. 12; Schoop, S. 17; ähnlich auch Köbler, S. 52. 14 Siehe dazu ausführlich Bindewald, S. 13 ff.; Schoop, S. 1 ff.; Köbler, S. 47 ff.; Gieg, S. 75 ff. 15 Der Name Svarez ist auf eine Latinisierung des Familiennamens Schwartz (Svaretius) zurückzuführen, siehe Stölzel, S. 13 f. und Haberkern, S. 202 f. Zur Person Wolf, S. 424 ff. 16 Pfaff, S. 305 f.; Gieg, S. 81; Köbler, S. 48, 53. 17 Klostermann, Eigentum, S. 368; Köbler, S. 48. 18 Klostermann, Eigentum, S. 368.
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179455
tenden Partei einzig für den Fall vor, dass diese die Umstandsveränderung zu vertreten hatte. Führte die Veränderung der Umstände hingegen lediglich für eine Partei zum Fortfall des von dieser ausdrücklich erklärten oder sich von selbst verstehenden Zweckes (was den für die Praxis im Grunde einzig relevanten Fall der „clausula“ darstellte19), so gestattete § I 5 380 dieser zwar gleichermaßen den Rücktritt, jedoch verpflichtete § I 5 381 den Zurücktretenden für den Fall, dass „die Veränderung [sich] in seiner Person […] ereignet hat“ dazu, den anderen Teil vollständig zu entschädigen, was gemäß § I 6 7 stets den gesamten Schaden nebst entgangenem Gewinn umfasste.20 Intention war auch hier eine möglichst starke Restriktion des Rückgriffs auf die Regelung in der Praxis: Der sich auf die „clausula“ berufende Teil sollte „sich erst gründlich überlegen, ob er den Einwand der veränderten Umstände überhaupt erheben, oder es doch lieber – wenn auch mehr schlecht als recht – bei der Vertragsdurchführung sein Bewenden lassen wollte“21. Die §§ 1005 ff. unterschieden sich demnach in mehrerlei Hinsicht von den allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen. Zunächst erforderte § 1005 weder den Wegfall eines zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausdrücklich erklärten, noch eines selbstverständlichen Zweckes. Vielmehr genügte es, dass der Autor durch auftretende Hindernisse bzw. veränderte Umstände von seinem Herausgabeentschluss abrückte. Dabei konnte die Umstandsveränderung sowohl objektiver als auch subjektiver Natur sein, so dass das verlagsrechtliche Rücktrittsrecht bereits in dieser Hinsicht über die §§ I 5 377 ff. und damit die eigentliche clausula rebus sic stantibus hinausging, welche allein auf objektive Umstandsänderungen beschränkt war.22 Überdies war die Haftung nach den allgemeinen Vorschriften ungleich schärfer: So hatte der zurücktretende Autor gemäß § 1006 lediglich den tatsächlichen Schaden des Verlegers in Gestalt der von diesem bereits getätigten Aufwendungen zu ersetzen. Auf den entgangenen Gewinn haftete er hingegen nur ausnahmsweise im Fall der anderweitigen Herausgabe binnen Jahresfrist (§ 1007). Im Ergebnis war die verlagsrechtliche Ausprägung der clausula rebus sic stantibus somit wesentlich weiter gefasst als die allgemeine Regelung der §§ I 5 377 ff., zu der sie
19 Gieg,
S. 81. dazu auch Goßler, S. 62 f.; Heinsius, S. 76 f.; Bielitz, Bd. 1, S. 729; Bornemann, Verträge, S. 180 ff.; Fürstenthal, S. 263 f. sowie später Schoop, S. 3 ff. 21 Gieg, S. 81. 22 Bielitz, Bd. 2, S. 737; ders., Bd. 1, S. 727, der hinsichtlich der Beschaffenheit der Umstände und Hindernisse auf den Zweckbegriff des § I 4 152 ALR verweist, unter den nach ders., Bd. 1, S. 508 f., (mit Verweis auf Klein, S. 52) insbesondere „beabsichtigte Wirkungen einer Handlung“ fallen konnten. 20 Siehe
56
B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
nahezu keine Parallelen (mehr) aufwies23 und bestach durch eine „einseitige“, besondere „Berücksichtigung der Interessen des Verfassers“24. 2. Genese des Autorenrücktrittsrechts nach §§ 1005 ff. Die Vorarbeiten zu den vertragsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts25 begannen 1786 / 87 unter der Ägide des Großkanzlers Johann Heinrich v. Carmer26 mit einem Vorentwurf27 des Breslauer Assistenzrates Ernst Ferdinand Klein28. Sie fielen somit in die Hochphase jener Zeit, welche bis heute plakativ als „Nachdruckzeitalter“ umschrieben wird29. Entsprechend überrascht es nur bedingt, dass das erklärte Ziel der Verlagsrechtsnormierung im ALR nichts Geringeres war als „die Ergebnisse einer dreihundertjährigen naturwüchsigen Rechtsentwicklung, die […] teilweise […] im Privilegiengewühl versteckt lag […] in gesetzliche Regel […] zu brin gen“30. Zunächst empfiehlt sich jedoch ein Blick auf diejenigen Personen, welche mit der Bewältigung dieser Aufgabe betraut waren – weniger aus biographischem Interesse, denn aufgrund der Tatsache, dass an der Genese frühneuzeitlicher Kodifikationen im Allgemeinen und an der Entstehung des preußischen Allgemeinen Landrechts im Besonderen lediglich eine Handvoll Re23 Schoop,
S. 17. auch Schoop, S. 18; ähnlich Hoffmann, GRUR 1921, S. 62; Köbler, S. 49, 52 und Gieg, S. 81. 25 Man sprach zunächst vom „Allgemeinen Gesetzbuch“; der Begriff „Allgemeines Landrecht“ wurde erst im Zuge der endgültigen Verabschiedung der Kodifikation im Jahr 1794 etabliert. 26 Zu Carmers Rolle bei der Genese des ALR siehe Willoweit, S. 153 ff.; zur Person Stölzel, S. 151 ff. 27 Der Entwurf findet sich in den Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 7, Fol. 175 f. Siehe zum Folgenden auch Löhnig, ZNR 2007, S. 197 ff. Zur Kodifikationsgeschichte des ALR ausführlich bereits der Bericht des Justizkommissarius Simon, welcher die heute im GStA PK befindlichen Materialienbände zusammengestellt und mit Inhaltsübersichten versehen hat – Simon, JMPS 11 (1811), S. 191 ff. sowie Gundermann, S. 9 ff.; Karst, ZRG GA 120 (2003), S. 184 ff. und Löhnig, ZNR 2007, S. 208; speziell zur Kodifikationsgeschichte ab 1786 (dem Jahr des Regierungsantritts Friedrich Wilhelms II.) Anonymus, Verfahren, APR 8 (1791), S. XII ff. sowie Bringmann, S. 235 ff. 28 Klein war nicht nur Jurist und prominenter Vertreter der Berliner Aufklärung, sondern auch Herausgeber der „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten“ (APR), welche im Verlag Nicolais erschienen; siehe dazu Gundermann, S. 58 f.; Bringmann, S. 236. Zur Person auch Stölzel, S. 170 ff. sowie Brünker, passim. 29 Schneider, S. 121; siehe dazu bereits oben, A. II. 30 Schürmann, S. 137. 24 So
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daktoren beteiligt war31, deren persönliche Verbindungen für den weiteren Verlauf der Untersuchung nicht uninteressant sind. a) Beteiligte Personen So war Assistenzrat Klein seinerseits eng mit dem einflussreichen Berliner Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai32 befreundet, dem man bis heute eine wesentliche Einflussnahme auf die verlagsrechtlichen Regelungen des Allgemeinen Landrechts unterstellt33. Wie auch der von der späteren Forschung zu Recht als eigentlicher Verfasser34 und Seele35 des Allgemeinen Landrechts, Gesetzgeber Preußens36 und Spiritus rector des gesamten Gesetzgebungsprozesses37 bezeichnete Svarez38, waren beide Mitglieder der 1783 ins Leben gerufenen Berliner „Gesellschaft von Freunden der Aufklärung“. Nach dem Wochentag ihrer regelmäßigen Treffen auch als „Mittwochsgesellschaft“ bezeichnet, widmete sich diese der Diskussion staatlicher, rechtlicher und religiöser Fragen.39 Obgleich die erörterten Topoi aufgrund des Charakters der Vereinigung als Geheimgesellschaft nicht im Detail überliefert sind, unterstrich Nicolais Biograph Göckingk40 ausdrücklich, dass „das preußische Landrecht ihr 31 Dazu sowie allgemein zum Gesetzgebungsverfahren im Kodifikationszeitalter Mertens, S. 90 ff. und passim. 32 Zur Person siehe insbesondere Göckingk, passim; zur Bedeutung Nicolais als Buchhändler Schneider, S. 121 ff. 33 Siehe allein die von Simon verfasste „Vorerinnerung“ in den Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84 Fol. VI r., in der es hieß: „Die wahrscheinlich während des Drucks bei der Correctur gemachten Abänderungen gründen sich auf einen Aufsatz des Buchhändlers Nicolai“; ferner ders., JMPS 11 (1811), S. 215 f., wo konstatiert wird, dass auf die Bemerkungen Nicolais zum Verlagsrecht „bei der Umarbeitung ganz besonders reflektirt worden ist“; Schürmann, MDB 228 (1876), S. 229; Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 4 ff.; Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 457 ff. sowie Löhnig, ZNR 2007, S. 208 ff. 34 Conrad, Grundgesetz, S. 5; ähnlich Gieg, S. 76. Dieser Ansicht war im Übrigen bereits Friedrich Wilhelm III., der Svarez mit Bezug auf das Allgemeine Landrecht und die Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten von 1791 als „den Schöpfer dieser unvergänglichen Denkmahle der Weisheit und Gerechtigkeit meiner Vorfahren in der Regierung“ lobte, siehe die Order Friedrich Wilhelms III. an Svarez vom 08.05.1798, zit. n. Kuhli, S. 174. 35 Conrad, Grundlagen, S. 16; so auch bereits Stölzel, S. 274. 36 Kern, JuS 1998, S. 1085; Karst, ZRG GA 120 (2003), S. 180. 37 Wehler, Bd. 2, S. 148. 38 Mertens, S. 91 weist jedoch darauf hin, dass die (zweifellos große) Bedeutung Svarezʼ in der älteren Forschung „häufig überbewertet und das Gesetzbuch als ein Werk ‚aus einem Guss‘ dargestellt […] [wurde], was es nicht war“. 39 Stölzel, S. 178 ff.; van Dülmen, S. 95; Kuhli, S. 30; Kahwohl, S. 215 f. 40 Zur Person siehe Franck, S. 306 ff.
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manches verdankt, weil Svarez vieler seiner Ideen erst durch sie berichtigte“41. Nachgewiesen ist zudem, dass auch die Schriften Kants rezipiert wurden, welche teilweise in der mit der Mittwochsgesellschaft aufs engste verflochtenen Berlinischen Monatsschrift erschienen42. Dies gilt insbesondere für besagten Aufsatz zur Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks, den Kant dem Sekretär der Mittwochsgesellschaft und Mitherausgeber der Monatsschrift, Johann Erich Biester43, im Dezember 1784 zukommen ließ, wobei er ausdrücklich den Wunsch äußerte, „zu vernehmen, nicht sowohl was das Publikum daran beifallswürdig, sondern noch zu desideriren finden möchte“44. Dass Biester diesem Wunsch Kants entsprach und die Abhandlung in der mit hochkarätigen Denkern und persönlichen Vertrauten des Philosophen besetzten Mittwochsgesellschaft45 zur Diskussion stellte, liegt angesichts der persönlichen Freundschaft zwischen den beiden46 nahe. Umso wahrscheinlicher wird es durch den Umstand, dass Nicolai hinsichtlich der Philosophie Kants im Allgemeinen schrieb, dass im Rahmen der Mittwochsgesellschaft das diesbezügliche „Dafür und Dawider umständlich und zuweilen […] mehrmal[s] […] auf verschiedene Art abgehandelt“47 wurde. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass Klein und insbesondere Svarez mit dem Kantschen Aufsatz zum Büchernachdruck vertraut waren.48 Ob dies Einfluss auf die Normierung des Rücktrittsrechts nahm, bleibt zu klären. b) Der Kleinsche Vorentwurf Die verlagsrechtlichen Vorschriften des Vorentwurfs finden sich unter dem Titel „Vom Sachenrechte, 2. Abteilung“, §§ 78 bis 87.49 In § 78 wurde das Verlagsrecht als die Befugnis definiert, eine Schrift durch den Druck zu vervielfältigen.50 § 79 statuierte, dass niemand ohne Einwilligung des Schrift41 Göckingk,
S. 91; dazu auch Stölzel, S. 180 f. S. 50; Weber, S. 60 ff. 43 Zur Person siehe Hass, passim sowie Weber, S. 60. 44 Schreiben Kants an Biester vom 31.12.1784, abgedruckt bei Gundermann, S. 397. 45 Dazu Hinske, S. 55 ff. 46 Kant bezeichnete Biester im besagten Schreiben als „würdigster Freund“, siehe Gundermann, S. 397. 47 Nicolai, S. 65; zum genauen Procedere Stölzel, S. 180; ferner Hinske, S. 51 ff. 48 Dies vermutet – ohne es näher zu vertiefen – im Übrigen auch Gieseke, Entwicklung, S. 114 / Fn. 382. 49 Im Folgenden beziehen sich die Paragraphenangaben – sofern nicht gesondert angegeben – auf die jeweils behandelten Entwürfe. 50 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 7, Fol. 175 r. 42 Hinske,
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stellers oder seiner Erben das Verlagsrecht erlangen könne, während der im späteren Verlauf der Beratungen entfallene § 80 festlegte, dass das „einmal abgetretene Verlagsrecht im Eigenthum dessen“ verbleibe, der „solches an sich gebracht“ hätte.51 Über die systematische Verortung des Verlagsrechts im Sachenrecht hinaus zeigt insbesondere die letztgenannte Wendung, dass bereits der Vorentwurf dem Gedanken verhaftet war, dass das Verlagsrecht derivativ aus der Eigentümerposition folgte, d. h. das Eigentum des Autors gleich jedwedem anderen Sacheigentum vollumfänglich übertragbar ist. Demnach hatte der Autor nach der Übereignung des Manuskripts, wie bei jeder anderen Kaufsache auch, keinerlei Befugnisse mehr an seinem Werk.52 Konsequenterweise kannte der Klein-Entwurf auch keine Regelungen über die Vertragsbeziehung zwischen Autor und Verleger und somit auch keine Rücktrittsrechte. Dem Vorentwurf Kleins folgten Beratungen, die in erster Linie grundsätzliche Punkte bis hin zu der Frage betrafen, ob es überhaupt einer Regelung des Verlagsrechts im Allgemeinen Gesetzbuch bedurfte, oder ob nicht vielmehr das allgemeine Vertrags- und Kaufrecht sowie das Recht über verdungene (d. h. bezahlte) Arbeit die Autor-Verleger-Beziehung hinreichend regelten und das Delikts- und Strafrecht hinlängliche Handhabe gegen Nachdruck bot.53 Rücktrittsrechte des Verfassers kamen nicht zur Sprache; vielmehr unterstreichen die aufgeworfenen Fragen nochmals, dass der erste Vorentwurf geistiges Eigentum und Sacheigentum gleichsetzte und vor allem der Nachdruck-, d. h. der Verlegerschutz leitender Gedanke der Gesetzgebung war54. c) Überarbeitung durch Svarez Aufbauend auf dem Kleinschen Vorentwurf erstellte der zum damaligen Zeitpunkt als Oberamts-Regierungsrat im schlesischen Breslau tätige Svarez 1787 seinen ersten Entwurf, dessen verlagsrechtlicher Teil nunmehr im Abschnitt „Von Veräußerungen der Sachen gegen Handlungen, oder der Handlungen gegeneinander“55 und damit im Schuldrecht verortet war (§§ 63 bis 78). Inhaltlich hatte Svarez das Verlagsrecht um einige Normen zur Autor-Verleger-Beziehung ergänzt. Diese schränkten die Verlegerbefugnisse 51 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 7, Fol. 175 r. 52 So auch die Schlussfolgerung von Löhnig, ZNR 2007, S. 198. 53 Siehe insbesondere die Monita des Geheimen Ober-Revisions-Raths Kircheisen zu des Kleinschen Materialien, in: Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 32, Fol. 29 v. 54 So auch das Fazit von Löhnig, ZNR 2007, S. 201. 55 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 28, Fol. 285.
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ein und stärkten damit die Rechtsposition des Autors. So wurde das Verlagsrecht auf die Erstausgabe56 des Werkes beschränkt (§ 66) und die Auflagenhöhe auf die vertraglich vereinbarte Anzahl an Exemplaren begrenzt (§ 68). Für weitere Ausgaben musste sich der Verleger mit dem Schriftsteller oder seinen Erben abfinden (§ 67). Im Vordergrund dieser ersten Umarbeitung stand somit primär der Ertragsschutz des Verfassers57. Darüberhinausgehende, autorenschützende Vorschriften oder gar Rücktrittsrechte findet man auch hier noch nicht. Jedoch vollzog sich mit der Einführung der genannten Regelungen auf dogmatischer Ebene ein Schritt weg von der Gleichbehandlung von materiellem und immateriellem Eigentum. Der Verleger erwarb durch das Verlagsrecht kein dem Sacheigentum entsprechendes, unbeschränktes Recht mehr, sondern lediglich die vertragliche Befugnis zum Druck einer vorab vereinbarten Anzahl von Exemplaren. Insofern verblieb dem Autor eine Rechtsposition dergestalt, dass er das Verlagsrecht nach Erreichen dieser Anzahl (und Verkauf derselben, so das sich aus § 69 ergebende Konkurrenzverbot) dem bisherigen oder einem neuen Verleger abermals einräumen konnte.58 Hier zeigt sich auch, dass man im Zuge der Vorarbeiten durchaus bemüht war, wie der an den Vorarbeiten gleichsam beteiligte Kammergerichtsrat Christoph Goßler in den Akten bemerkte, „weder die Verbesserung der Geisteswerke [zu] hindern, noch die Habsucht der Buchhändler [zu] begünstigen“59. Der Neuentwurf wurde schließlich in die Gesetzgebungskommission eingebracht sowie einigen anderen Beamten zugesandt60, wobei die Diskussionsergebnisse von Svarez im Manuskript seines Überarbeitungsentwurfs teilweise festgehalten wurden. Hinsichtlich eines Rücktrittsrechts des Autors wurde hier ebenfalls nichts erörtert.
56 Eine Unterscheidung zwischen Auflage und Ausgabe fand sich in den Vorentwürfen noch nicht. Dies geschah erst im Zuge der weiteren Gesetzgebungsarbeiten durch den Kammergerichtsrat Christoph Goßler auf Grundlage diverser Monita, siehe Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 79, Einleitung sowie Fol. 211 v. Demnach handle es sich bei erneutem Abdruck ohne Veränderungen um eine neue Ausgabe, bei Neudruck unter Veränderung um eine Neuauflage. Löhnig, ZNR 2007, S. 206 vermutet, dass diese Unterscheidung ihrerseits auf Pütter, S. 36 ff., 72 ff. zurückgeht. 57 So auch Löhnig, ZNR 2007, S. 202. 58 Siehe dazu auch Löhnig, ZNR 2007, S. 202 f. 59 Zitiert nach Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 111 / Fn. 4. 60 Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 38; die Gesetzgebungskommission bestand neben dem Großkanzler Johann Heinrich v. Carmer aus den Geheimräten Heidenreich, Koenen, Lamprecht, Scherer und Scholz sowie dem Oberfinanzrat v. Beyer, siehe Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 54.
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d) Monita, extractus und revisio monitorum Auf Grundlage der Diskussionsergebnisse erarbeitete Svarez den Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuches, der das Verlagsrecht nunmehr in den §§ 712 bis 730 normierte und am 20. Dezember 1787 veröffentlicht wurde.61 Auch dieser kannte keine Rücktrittsrechte des Autors. Der Gesamtentwurf wurde im Folgenden mit der Bitte um Stellungnahme und zum Teil unter Auslobung von Prämien an Vertreter der Jurisprudenz (darunter auch Pütter, der sich über das Verlagsrecht mit keinem Wort äußerte, sondern den Entwurf überschwänglich als „vortrefflich“62 lobte), Behörden, Stände usw. versandt.63 Die daraufhin eingegangenen Monita wurden in einem Extractus monitorum systematisch ausgewertet. Für den verlagsrechtlichen Teil fiel diese Aufgabe Kammergerichtsrat Goßler zu64. Dieser unterstrich im Hinblick auf die Frage der systematischen Einordnung des Verlagsrechts, dass insbesondere „die Rechte des Autors über sein selbst verfertigtes Werk [zur] Lehre vom Eigenthum“, die das Rechtsverhältnis zwischen Autor und Verleger betreffenden Vorschriften zum Kaufrecht sowie der Schutz gegen Nachdruck „zur Lehre von Verfolgung des Eigenthums“ gehörten.65 Im Gegensatz zu Svarez, der, ganz im Sinne der Lehre vom geistigen Eigentum, bereits zwischen dem Eigentum des Verfassers und dem schuldrechtlich begründeten Verlagsrecht differenzierte, blieb Goßler somit – wie vor ihm bereits Klein – den hergebrachten Vorstellungen verhaftet.66 Konkret betrafen die Monita Fragen wie den Schutz des Übersetzers, die Möglichkeit eines Schaden ersatzanspruches des Verfassers bei unautorisierter Neuauflage durch den Verleger sowie die Nachdruckfreiheit anonymer Drucke.67 Rücktrittsrechte kamen abermals nicht zur Sprache. 61 Siehe Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 29, Fol. 171. 62 Pütter in einem Schreiben an Großkanzler v. Carmer, 27.07.1788, in: Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 3, Bd. III, Fol. 138 f.; dazu auch Simon, JMPS 11 (1811), S. 213. 63 Löhnig, ZNR 2007, S. 203; Gundermann, S. 72. 64 Dies ergibt sich aus der Einleitung zu den Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 79; die Auswertung Goßlers findet sich ebd., Fol. 209 v.–212 sowie abgedruckt bei Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 43 ff.; dazu auch Stölzel, S. 272 f. 65 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 79 Fol. 210 r. 66 So auch Löhnig, ZNR 2007, S. 204. 67 Die entsprechenden Monita finden sich in Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 60 Fol. 22 r., Fol. 94 r., Fol. 262 (jeweils zum Schutz des Übersetzers); Bd. 61, Fol. 193 v. (Schadensersatz bei unautorisierter Neuauflage); Bd. 60, Fol. 23, 96 r. Bd. 61 Fol. 50 r., 270 r., 102 r. (Anonyme Drucke); siehe dazu ausführlich Löhnig, ZNR 2007, S. 204 ff.
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Auf Grundlage der Arbeiten Goßlers analysierte Svarez selbst nochmals sämtliche Monita (revisio monitorum)68 und erstellte die Druckfassung des Allgemeinen Gesetzbuches69. Hinsichtlich Goßlers Ausführungen zur systematischen Einordnung des Verlagsrechts unterstrich Svarez, dass „von den Rechten des Schriftstellers auf sein Werk, so lange er solches noch nicht einem Verleger gegeben hat, hier gar nicht die Rede“ sei und dies „allerdings in die Lehre vom Eigenthum“ gehöre, gleichwohl aber „auch nicht besonderes darüber zu sagen sei“70. Demnach ging Svarez zwar wie selbstverständlich davon aus, dass das Autorrecht dem Schöpfer eines Werkes als dessen Eigentum zustehe71, jedoch erst der Abschluss eines Verlagsvertrages dieses Recht nach außen treten ließe72. Darüber hinaus unterstrich Svarez entgegen den Ausführungen Goßlers, dass das Verhältnis zwischen Autor und Verleger „unmöglich nach Theorien vom Kauf und Verkauf beurtheilt“ werden könne, da „das Eigenthum der Schrift selbst, insofern sie Geistesprodukt ist, […] keineswegs auf den Verleger über[gehe]“. Dieser erwerbe „bloß das Verlagsrecht, i. e. die Befugnis, die Schrift durch den Druck zu vervielfältigen“, was ein „wahrer Contractus do ut des oder vielmehr Facio ut des“ sei73. Damit betonte Svarez, gleich den Vertretern der Lehre vom Geistigen Eigentum, dass nicht etwa das sachenrechtliche Manuskripteigentum, sondern allein der Verlagsvertrag die Quelle des Verlagsrechts darstellte. Im Übrigen nahm sich die Revisio monitorum den anderen von Goßler aufgeworfenen Fragen an, äußerte sich jedoch gleichermaßen nicht zu etwaigen Rücktrittsrechten. Jedoch – und dies ist im Hinblick auf die weitere Entwicklung besonders hervorzustellen – schob Svarez nach § 714, dem dritten Paragraphen des Entwurfs74, die knappe Bemerkung ein, dass „Post § 714 einige Sätze zu inseriren sein [werden], von den Rechten und Pflichten zwischen Schriftstel68 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Fol. III v., IV(Einleitung), Fol. 251 f. (entspricht Bd. 80, Beiheft 5 Fol. 1546– 1551 v.). 69 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84 XVI Nr. 7 Bd. 81, Fol. 118 ff. Simon, JMPS 11 (1811), S. 228 bezeichnet die Revisio monitorum als „das eigent liche Konzept des Gesetzbuches“; dazu auch Stölzel, S. 273. 70 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Fol. 251 r. (entspricht Bd. 80, Beiheft 5, Fol. 1546 v.). 71 So auch Löhnig, ZNR 2007, S. 206, der dies mit einem Umkehrschluss aus I 11 § 1022 ALR untermauert, wonach bei vom Verleger in Auftrag gegebenen Werken „das volle Verlagsrecht vom Anfange an dem Buchhändler“ zusteht. 72 So auch Bornemann, S. 195. 73 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Fol. 251 r / v. (entspricht Bd. 80 Beiheft 5 Fol. 1547 r.). 74 § 712 definierte das Verlagsrecht entsprechend § 78 des Klein-Entwurfs, § 713 statuierte, dass das Verlagsrecht nur auf Grundlage einer Einwilligung des Schriftstel-
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ler und Verleger vor der Herausgabe des Werks“75. Ob die Feststellung dieser Notwendigkeit auf die Monita Dritter oder auf Svarez selbst zurückging, geht aus den Akten indes nicht hervor. e) Letzte Textgestaltungen Nach diesen Vorarbeiten erfolgten zwischen 1789 und 1791 die letzten Textgestaltungen, die abermals von Svarez selbst vorgenommen wurden.76 Das von diesem eigenhändig geschriebene Konzept verortete das Verlagsrecht nunmehr im Ersten Teil des Gesetzbuches („Das Sachenrecht“) unter den siebten Abschnitt des elften Titels (§§ 975 bis 1005).77 Hier finden sich an der von Svarez in der Revisio monitorum bezeichneten Stelle (nach § 978, der dem vormaligen § 714 entspricht) in den §§ 979 bis 983 die oben bereits dargestellten Vorschriften zum Rücktrittsrecht des Verlegers bei Säumnis des Autors, während die §§ 984 bis 986 den Rücktritt des Verfassers für den Fall der Veränderung von Umständen bzw. des Auftretens von Hindernissen sowie die daraus resultierenden Ersatzansprüche des Verlegers regelten. Die erste nachweisbare Fassung eines Autorenrücktrittsrechts wegen veränderter Umstände hatte nachstehenden Wortlaut: „Ereignen sich Umstände oder Hindernisse, welche den Schr Verfasser veranlassen, das versprochene Werk gar nicht herauszugeben, so kann er, gegen Ersatz des Schadens welch von dem Vertrage zurücktreten.“78
Hieran schlossen sich die §§ 985 f. an: „§ 985 Er muß aber dem Verleger den Schaden ersetzen, welcher demselben aus den zum Abdruck etwa schon getroffenen, und durch den Rücktritt unnütz werdenden Anstalten, würklich entsteht. § 986 Giebt aber der Schriftsteller das einem Verleger versprochene Werk, ohne Vorwissen und Einwilligung desselben, in einem anderen Verlag, oder auf eigene Rech-
lers oder seiner Erben erworben werden könne, § 714 schrieb für den Verlagsvertrag die Schriftform vor. 75 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Fol. 251 v. 76 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 81 Einleitung Fol. I. 77 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 81 ab Fol. 118 r. 78 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 81 Fol. 118 v.; Streichungen im Orignial.
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nung heraus, so muß er dem ersten Verleger auch für den entgangenen Gewinn gerecht werden.“79
§ 986 kannte demnach hinsichtlich der Nachhaftung noch keine zeitliche Begrenzung, d. h. der Verfasser durfte das Werk nach erklärtem Rücktritt de iure niemals mehr in einem anderen Verlag oder auf eigene Rechnung herausgeben, wollte er sich nicht einer vollumfänglichen Ersatzpflicht aussetzen. Ansonsten entsprachen die Vorschriften bereits ihren endgültigen Fassungen in §§ 1005 ff. ALR. Nach erneuter Begutachtung durch die Gesetzgebungskommission erstellte man mit dem „Manuskript des Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“80 die Druckfassung. Diese stimmte ausweislich der Akten zwar „zum größten Theile“, nicht aber „durchgängig“ mit dem Entwurf Svarezʼ überein81. So änderte sich nicht nur die Zählung der Vorschriften (aus den §§ 984 bis 986 wurden die §§ 1005 bis 1007), vielmehr wurde die umfassende Ersatzpflicht des nunmehrigen § 1007 auf ein Jahr begrenzt. In den Akten findet sich hierzu neben der bisherigen Fassung des § 986 lediglich die lapidare Randnotiz „Innerhalb Jahresfrist nach dem Rücktritt“82. f) Hintergrund der Regelung des Rücktrittsrechts Anhand der Dokumentenlage ist demnach weder nachweisbar, auf wen die besagten Regelungen „von den Rechten und Pflichten zwischen Schriftsteller und Verleger vor der Herausgabe des Werks“ zurückgehen noch aus welchen Gründen man sich für die Aufnahme des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände entschied. Die folgenden Ausführungen stellen daher lediglich eine Annäherung auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse und vereinzelter Anhaltspunkte in den Akten dar. Hervorzustellen ist zunächst, dass die Umarbeitung zwischen 1789 und 1791 von Svarez selbst vorgenommen wurde, wobei er diese „wenigstens zum größten Theile pari passu mit seiner Revision der monitorum“ anfertigte83. Eine genauere Datierung ist nicht möglich, zumal die Akten selbst 79 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 81 Fol. 118 v. 80 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84, Fol. 247 v. ff. 81 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA, Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84, Fol. II r. 82 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84, Fol. 248 v. 83 Die Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Einleitung Fol. I r. sprechen davon, dass nur die Lehre vom Kaufmann, vom Schiffs-
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diesen Zeitraum nur als ungefähre Angabe apostrophieren84. Svarez verfuhr dabei so, dass er „zunächst die monita über eine einzelne Lehre erörterte, auseinandersetzte und beurtheilte, dieser Erörterung wenigstens bei den Hauptpunkten Vorschläge zur Modification und Abänderung des Entwurfs hinzufügte, und hiernächst zur Umarbeitung derselben Lehre schritt“85. Der Umstand, dass sich weder in den Monita selbst noch in Svarezʼ revisio monitorum oder anderen Aufzeichnungen Ausführungen hinsichtlich des Rücktrittsrechts der §§ 984 ff. finden und auch die Änderung des späteren § 1007 ALR in der Druckfassung ohne jeglichen Kommentar erfolgte, lässt zwei mögliche Schlüsse zu: Zunächst kam es in dem Zeitraum zwischen der revisio monitorum und der letzten, die §§ 984 ff. enthaltenden Textgestaltung zu einer Reihe von Konferenzen der Gesetzgebungskommission, über die keine Protokolle angefertigt wurden, die jedoch ausweislich der Akten für die Abänderung des Entwurfs hin zur letzten Textgestaltung maßgeblich waren.86 Es ist demnach denkbar, dass das Rücktrittsrecht allein auf Grundlage mündlicher Verhandlungen normiert wurde. Weiterhin geht aus der Einleitung des die finale Textgestaltung enthaltenden Aktenbandes hervor, dass dieser Aufzeichnungen über die Verhandlungen folgten sollten, welche „auf die Abänderung dieser Umarbeitung Bezug haben“. Anstelle dieser Protokolle findet man jedoch lediglich den Hinweis, dass „nur eine Abschrift des umgearbeiteten Entwurfs“87 existiere. Somit ist auch nicht auszuschließen, dass die §§ 984 ff. betreffenden Niederschriften schlicht verlorengegangen sind. Dass die Regelung des Autorenrücktrittsrechts überhaupt nicht zur Sprache kam, scheint angesichts des Gesamtumfangs der neu eingefügten und Seerecht, vom Post- und Bergwerksregal (Goßler) sowie von Verbrechen und Strafen (Klein) von anderen bearbeitet wurden. 84 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Einleitung Fol. I v. 85 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Einleitung Fol. I v. 86 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Einleitung Fol. VII: „Hiernach nun, nehmlich nach den Entschlüssen der Gesetz-Commission, welche in den unter des Großkanzlers Vorsitz gehaltenen Conferenzen gefaßt wurden, nach den monitis der übrigen zugegangenen Sachverständigen, nach den Resultaten der Correspondenz mit den anderen Departements, und nach den Königlichen Immediat Entscheidungen ward der umgearbeitete Entwurf abgeändert“. Dies bestätigte Simon, JMPS 11 (1811), S. 232 ff. abermals. Auch Mertens, S. 91 betont, dass „die revidierte Fassung der Entwürfe und die von den Kommissionsmitgliedern hierzu vorgebrachten Monita in mündlichen Konferenzen unter Hinzuziehung der [ansonsten außen vor gelassenen] Kommissionsmitglieder erörtert“ wurden, wobei „die ‚Conclusa‘, inwieweit den Monita stattzugeben ist […], allein der Großkanzler von Carmer“ traf. 87 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 80, Einleitung Fol. VIII r.
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Vorschriften über die Rechte und Pflichten von Verfasser und Verleger vor Herausgabe des Werkes (§§ 979 bis 989) unwahrscheinlich. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Begrenzung der Nachhaftung des zurücktretenden Autors in der endgültigen Druckfassung (§ 986 / 1007). In der nachträglich verfassten Einleitung des maßgeblichen Aktenbandes heißt es hierzu, dass „entweder noch bei der Correctur [der letzten Textgestaltung Svarezʼ] Abänderungen vorgenommen worden seyn“ mussten oder „noch eine andere letzte Abschrift vorhanden gewesen seyn“ musste, „welche diese Abänderung enthalten hat, und welche fehlt“88. Hinsichtlich des Ursprungs der Änderungen findet sich an späterer Stelle die Vermutung, dass „die wahrscheinlich während des Drucks bei der Correctur gemachten Änderungen […] sich auf einen Aufsatz des Buchhändlers Nicolai“89 gründen. Ob dies hinsichtlich des Rücktrittsrechts in Betracht kommt, wird an späterer Stelle geprüft. Weitere Indizien liefert die in den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten des Allgemeinen Landrechts erschienene Kommentar- und Lehrbuchliteratur, welche sich zum Teil ausdrücklich der Berücksichtigung der Materialien des Allgemeinen Landrechts rühmte. So nennt Wilhelm Bornemann, seines Zeichens habilitierter Oberlandgerichtsrat am Berliner Kammergericht und späterer Kronsyndikus, in seiner „Systematischen Darstellung des Preußischen Civilrechts. Mit Benutzung der Materialien des Allgemeinen Landrechts“ aus dem Jahr 1831 als Motiv den Umstand, dass eine schriftstellerische Tätigkeit niemals erzwungen werden könne90. Konkreter fasste dies Alexander v. Daniels – ebenfalls Kronsyndikus und Professor der Rechte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität91 – im 1851 erschienenen dritten Band seines „Lehrbuchs des gemeinen preußischen Privatrechts“, wo es heißt, dass „das Gesetz […] nicht [wollte,] daß ein äußerer Zwang [in Gestalt einer Klage und folgender Zwangsmaßnahmen] zu Unternehmungen stattfinde, welche den höheren Zweck haben, dem wahren Fortschritte in Wissenschaft und Kunst zu dienen“. In der Folge dürfe „dem Schöpfer eines Werkes in der Beurtheilung, ob sein beabsichtigtes Unternehmen diesen Anforderungen genüge und ob es den Zeitverhältnissen noch entspreche, nicht vorgegriffen werden“92. Beide Autoren bleiben jedoch konkrete Nachweise schuldig. In jedem Fall wurde die letzte Textfassung nach Begutachtung durch die Gesetzgebungskommission ohne weitere inhaltliche Änderungen 1790 / 91 88 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84, Fol. II v. 89 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84, Fol. VI. 90 Bornemann, S. 358. 91 Heute Humboldt-Universität; dazu Hansen, S. 19 ff. 92 Daniels, S. 276.
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179467
gedruckt und am 20. März 1791 vollzogen. Einzig Titulierung und Nummerierung änderten sich ein weiteres Mal, so dass der Abschnitt „Verlagsverträge“ nunmehr die §§ 996 bis 1036 im elften Titel des ersten Teils umfasste. Die Nummerierung des Rücktrittsrechts blieb hierbei jedoch identisch.93 Am 18. April 1792 setzte König Friedrich Wilhelm II., der seinen innen- wie außenpolitischen Handlungsspielraum als Monarch vor dem Hintergrund der revolutionären Ereignisse in Frankreich nicht durch ein allgemeingültiges Gesetzbuch einschränken wollte, das ursprünglich für den 1. Juni 1792 veranschlagte Inkrafttreten bis auf Weiteres aus, so dass das AGB erst zwei Jahre später, am 1. Juni 1794, als Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten in Kraft trat.94 3. Die Motive hinter §§ 1005 ff.: Versuch einer Erklärung Zur Klärung der Frage, auf wen die Aufnahme der §§ 1005 ff. in das Allgemeine Landrecht zurückgeht und welche Motive hierfür maßgeblich waren, können somit lediglich Wahrscheinlichkeitsargumente ins Feld geführt werden. Eine Einflussnahme des Verlegers Nicolai kann ausgeschlossen werden [a)]. Naheliegender ist, dass die Regelungen auf Svarez selbst zurückgehen, der mit den §§ 1005 ff. eine spezialgesetzliche Ausprägung der clausula rebus sic stantibus schaffen wollte, welche den Besonderheiten der AutorVerleger-Beziehung Rechnung trug [b)]. Diese These wird durch die frühe Literatur zum Verlagsrecht im Allgemeinen und zu den §§ 1005 ff. im Besonderen gestützt [c)]. Daneben ergeben sich aus dem Schrifttum noch weitere Erklärungsansätze, die im Ergebnis jedoch Vermutungen bleiben müssen [d)]. a) Keine Einflussnahme Friedrich Nicolais Dem Berliner Buchhändler und Verleger Nicolai wird bedeutender Einfluss auf die verlagsrechtlichen Vorschriften des späteren Allgemeinen Landrechts zugeschrieben. Dies trifft insofern zu, als Nicolais Monita95 1790 in sprichwörtlich letzter Sekunde zu einigen signifikanten Änderungen des Entwurfs zu Ungunsten der Autoren führten96. So wurden insbesondere die 93 Voigtländer,
ADGB 20 (1898), S. 54. dazu Stölzel, S. 322 ff.; Hattenhauer, H., ALR, S. 24 ff.; Gieg, S. 78; Gundermann, S. 84 f.; Benthaus, S. 88, 95 sowie Karst, ZRG GA 120 (2003), S. 188 f. 95 Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 71, Fol. 108–151; abgedruckt auch bei Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 5 ff.; siehe dazu auch Stölzel, S. 232. 96 Siehe bereits die oben zitierte „Vorerinnerung“ Simons in Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 84, Fol. VI. Dazu auch Passow, 94 Siehe
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
Rechte des Verlegers zu Neuausgaben und -auflagen bedeutend erweitert97, während die Befugnisse des Autors bei Auftragswerken und Übersetzungen Einschränkungen erfuhren98. Dass Svarez dem zugänglich war, ist neben der Mitgliedschaft beider in der „Mittwochsgesellschaft“ wohl insbesondere dem Umstand geschuldet, dass Nicolai auch die Werke Svarezʼ verlegte99. Spätere Autoren warfen Svarez deshalb vor, hinsichtlich der Regelung des Verlagsrechts „vor den Geschäftsinteressen der Verleger kapituliert und die Schriftsteller in weitem Umfange über ihr Urheberrecht beraubt“100 zu haben. Ein Vorwurf, der sich angesichs der geringschätzigen Meinung, die Nicolai und andere zeitgenössische Verleger von der Schriftstellerei und damit der Autorenschaft an sich hatten (und auch offen kundtaten), nicht gänzlich von der Hand weisen lässt101. Vor diesem Hintergrund erscheint es bemerkenswert, dass Nicolai offensichtlich nichts gegen das Rücktrittsrecht des Verfassers aus §§ 1005 ff. einzuwenden hatte. In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass das Rücktrittsrecht weder auf Nicolai zurückging (was aus naheliegenden Gründen ohnehin mehr als unwahrscheinlich war), noch von ihm beanstandet wurde. Schmollers Jb. 51 (1927), der die Einflussnahme Nicolais als „verhängnisvoll“ (S. 457) und „verheerend“ (S. 459) bezeichnet; ähnlich Löhnig, ZNR 2007, S. 209. 97 Die Differenzierung zwischen Ausgabe und Auflage klärte sich erst im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens, siehe Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 91 f. In der endgültigen Fassung des ALR definierte I 11 § 1011 die Neuauflage als unveränderten Neuabdruck einer Schrift in demselben Format, während I 11 § 1012 statuierte, dass ein Neudruck unter Veränderung des Inhalts oder Formats eines Werkes eine Neuausgabe darstellt. Zu den Problemen, welche mit den „verwickelten landrechtlichen Bestimmungen über neue Auflagen und Ausgaben“ einhergingen siehe bereits Heydemann, Dt. GerZ 4 (1862), S. 42. Ausführlich dazu auch Löhnig, ZNR 2007, S. 207 ff. 98 Dazu Löhnig, ZNR 2007, S. 208 f. 99 Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 64; Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 461. 100 Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 461. 101 So hieß es in der Eingabe Nicolais u. a.: „Die Schriftstellerey ist leider ein Gewerbe geworden. Ein großer Theil der Schriftsteller will sich vom Schreiben nähren. Sie suchen also alles hervor, um Bogen vollzuschreiben, sie zu dem höchsten Preise auszubringen, und davon in Müßiggang und Independenz zu leben. Es wäre für den Staat und für den wahren Fortgang der Litteratur sehr viel besser, wenn der größte Theil dieser Leute entweder sich geschickt machte, dem Staate im Aemtern zu dienen oder wenn sie Handarbeit thäten. Der Staat hat also wirklich Ursache, die Schriftstellerei, die größtentheils von dieser Art ist, eben nicht zu begünstigen. Die Buchhändler hingegen sind nützliche Bürger des Staats, die Unternehmungen machen müssen“ (Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 71, Fol. 115 r.). Nicolai gab damit im Wesentlichen wieder, was um 1800 herum eine Vielzahl bedeutender Herausgeber und Autoren vor dem Hintergrund eines außer Kontrolle geratenden literarischen Marktes dachten (siehe Wittmann, R., S. 173 f., der seinerseits eine der Tirade Nicolais sehr ähnliche Äußerung des Verlegers Christoph Martin Wieland zitiert).
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179469
b) Urheberschaft Svarezʼ: Die §§ 1005 ff. als clausula-Sonderregelung Aufschluss gibt jedoch die Art und Weise, wie die Nicolaischen Änderungswünsche durch Svarez umgesetzt wurden. Dieser verzichtete auf eine nochmalige Konsultation der Gesetzgebungskommission und auch ein entsprechender Vortrag beim Großkanzler kann allenfalls vermutet werden (wenngleich dieser zumindest wahrscheinlich ist)102. Hinzu tritt die besagte Tatsache, dass sich in den Akten keinerlei Begründung oder Kommentierung zu den neu eingefügten Vorschriften findet. Svarez war demnach offenkundig in der Position, relativ unbehelligt und nach eigenem Gutdünken Änderungen an den verlagsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts vorzunehmen, was durch das Urteil der rechtshistorischen Forschung über dessen dominierende Rolle bei der Entstehung des Allgemeinen Landrechts insgesamt gestützt wird103. Dies wiederum legt nahe, dass die ebenfalls ohne weitere Kommentierungen oder Anmerkungen aufgenommenen §§ 1005 ff. auf Svarez selbst und nicht etwa auf Dritte zurückgingen, was auch das Fehlen entsprechender Monita erklärt. Svarez’ Motiv ist dabei in dessen Einsatz für die Aufnahme der die clausula rebus sic stantibus im preußischen Landrecht regelnden §§ I 5 377 ff. zu sehen, die ihrerseits in den §§ 1005 ff. eine spezialgesetzliche Ausprägung erfuhren104: So sollte das preußische Gesetzbuch ursprünglich eine ausgesprochen enge Fassung der „clausula“ enthalten, die zum Zwecke der Missbrauchsprävention im Wesentlichen auf Fälle der Unmöglichkeit der Leistung reduziert war, wobei einzelne an der Kodifikation beteiligte Stellen – namentlich das preußische Oberappellationsgericht – selbst diese Regelung noch als zu weitgehend empfanden und den gänzlichen Verzicht auf „clausula“-Regelungen forderten. Man erachtete die „clausula“ als überflässig, da die Veränderung von Umständen nach Vertragsschluss regelmäßig ohnehin gleichzeitig einen Fall der (einseitigen) Unmöglichkeit darstelle, so dass durch ihre Aufnahme nur unnötig die Sicherheit der Verträge erschüttert würde105. Hier intervenierte Svarez, der vor einer Sakralisierung des Grundsatzes der Unverbrüchlichkeit von Verträgen warnte und unterstrich, dass ein stures Bestehen auf Vertragserfüllung zu signifikanten Unbilligkeiten führen, aus summum ius im Einzelfall daher schnell summum iniuria werden könne. 102 Voigtländer, ADGB 20 (1898), S. 64; Passow, Schmollers Jb. 51 (1927), S. 461. 103 Dazu bereits oben B. I. 2. lit. a). 104 Siehe dazu oben, B. I. 1. lit. e). 105 So das Monitum des preußischen Oberappellationsgerichts, siehe Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 79, Fol. 80 r. / v.; ähnlich – wenngleich auch ohne konkrete Quellenangabe – Pfaff, FS Unger, S. 305; Bindewald, S. 14; Köbler, S. 47.
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Gleichwohl anerkannte er das hohe Missbrauchspotential der „clausula“ und befürwortete präzise Vorschriften, welche ihren Anwendungsbereich klar umrissen und so die Gefahr einer extensiven Anwendung und Auslegung minimierten: „Eben weil die clausula rebus sic stantibus künftig gewiß bemüht wird, sind Bestimmungen darüber nöthig und es kommt also nur auf die Prüfung dieser Bestimmungen an“106.
Auf Grundlage der §§ I 5 377 ff. wurden deshalb über das ganze Landrecht hinweg Sondervorschriften statuiert, welche die allgemeinen Grundsätze im Hinblick auf die besonderen Erfordernisse des jeweiligen Spezialgebietes präzisierten bzw. modifizierten (so etwa beim Bürgschafts- und Darlehensvertrag in § I 14 247 und § I 11 656) oder von diesen grundlegend abweichende, eigene „clausula“-Regelungen vorsahen.107 Letzteres trifft insbesondere auf die §§ 1005 ff. zu, die zugunsten der Autoren weit über die allgemeinen Grundsätze hinausgingen. Die maßgebliche Rolle Svarezʼ bei der Implementierung der allgemeinen „clausula“-Vorschriften und sein Bestehen auf präzise Sonderregelungen stützt demnach – zumal angesichts der von ihm nach den Akten ausdrücklich geforderten Regelung der Rechtsbeziehung zwischen Autor und Verleger bis zur Herausgabe des Werkes108 – einerseits die These der persönlichen Abfassung der §§ 1005 ff. durch Svarez und liefert andererseits ein klares Regelungsmotiv dahingehend, dass mit eben diesen Vorschriften eine den besonderen Erfordernissen des Verlagsrechts entsprechende Präzisierung der §§ I 5 377 ff. geschaffen werden sollte. Deren konkrete Ausgestaltung korrespondiert überdies mit der in der Literatur als vermeintliches gesetzgeberisches Motiv benannten Intention, der Nichterzwingbarkeit kreativer Leistungen im Verlagsrecht Rechnung zu tragen, indem man dem Autor ein gegenüber der allgemeinen Regelung erleichtertes Rücktrittsrecht einräumte109. Im Ergebnis ist das Rücktrittsrecht des Verfassers im Allgemeinen Landrecht demnach eine mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit auf Svarez selbst zurückgehende, spezialgesetzliche Ausprägung der („preußischen“) clausula rebus sic stantibus und als solche das Ergebnis einer Abwägung zwischen den besonderen Erfordernissen geistigen Schaffens, mithin den Autoreninte 106 So die Ausführungen Svarez’ in den Akten zur Revisio monitorum, Materialien zum ALR, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. XVI, Nr. 7, Bd. 79, Fol. 80 v. Auf diese Kritik verwies auch Stölzel, S. 273 (abermals ohne konkrete Quellenangabe), der seinerseits von Bindewald, S. 14 und Köbler, S. 48 zitiert wird. 107 Weitere Sonderregelungen gab es etwa zur „Gemeinschaft“, zum Lieferungs-, Verwahrungs-, Leih-Dienst-, Miet-, Pacht- und Grundstückskaufvertrag sowie zum Verlöbnis, siehe dazu ausführlich Schoop, S. 11 ff. 108 Siehe oben, B. I. 2. lit. d). 109 Siehe oben, B. I. 2. lit. f).
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179471
ressen (§ 1005) und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit bzw. Missbrauchs prävention seitens der Verleger (§§ 1006 f.). Diese These wird, wie im Folgenden gezeigt wird, insbesondere von der frühen rechtswissenschaftlichen Literatur gestützt. c) Literatur zu den Rücktrittsrechten des Autors im Allgemeinen und den §§ 1005 ff. im Besonderen bis zum Jahr 1839 Die frühe Kommentar- und Lehrbuchliteratur zum Verlagsrecht im Allgemeinen und zum preußischen ALR im Besonderen befasst sich – sofern es sich dabei nicht ohnehin um bloße Paraphrasierungen des preußischen Gesetzestextes handelt110 – unter verschiedenen Aspekten direkt oder indirekt mit dem Rücktrittsrecht des Autors. Insbesondere wurde neben eindeutigen Bezugnahmen auf die §§ 1005 ff. [aa)] verschiedentlich auch ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung anerkannt [bb)]. aa) Zum Rücktritt wegen veränderter Umstände Der Leipziger Ordinarius für Natur- und Völkerrecht Carl Gottlob Rößig übernahm bereits 1804 in seinem „Buchhandlungsrecht“ unkommentiert sämtliche Inhalte der §§ 1005 ff.111 und ging im Hinblick auf die Ersatzansprüche des Verlegers sogar über diese hinaus, indem er mit Verweis auf drohende Rechtsunsicherheiten jedwede Haftung auf den entgangenen Gewinn ablehnte. Als von künftigen Entwicklungen abhängiger und damit ungewisser Zustand könne dieser allenfalls eidlich angegeben werden, wodurch man jedoch Meineiden Vorschub leisten und letztlich nur eine Quelle langwieriger und kostspieliger Prozesse heraufbeschwören würde, was „die Gesetzgebungsklugheit bey Errichtung von positiven Gesetzen“112 jedoch soweit als möglich zu vermeiden hätte. Die hier erstmals angesprochene Frage der Reichweite und Bestimmbarkeit der Ersatzpflicht des zurücktretenden Autors sollte die Jurisprudenz noch über Jahrzehnte hinweg beschäftigen. 110 So hinsichtlich des Verlagsrechtes etwa Gründler, S. 264 ff.; Hübner, S. 505; Eggers, S. 167 f. 111 Siehe Rößig, S. 156 ff. 112 Rößig, S. 158. Mit der eidlichen Angabe ist hier der sog. Schätzungseid (juramentum in litem bzw. iusiurandum in litem) gemeint. Dabei handelte es sich um ein prozessuales Instrument zur Schadensbestimmung für den Fall, dass der Schuldner seiner Verpflichtung nicht oder verspätet nachkam und dem Gläubiger hieraus ein Schaden oder ein entgangener Nutzen entstand. Der Gläubiger hatte den entstandenen Schaden eidlich zu schätzen, wobei der Richter den Schätzbetrag „nach Billigkeit mäßigen“ konnte, siehe dazu etwa zeitgenössisch Hempel, S. 337 ff. und Gensler, S. 355 f. sowie Harke, Eid, S. 152 ff.
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Im Jahr 1823 schrieb der Jurist Karl Ernst Schmid in seiner Abhandlung „Der Büchernachdruck aus dem Gesichtspunkte des Rechts, der Moral und Politik“, welche stellenweise Bezug auf die landrechtlichen Verlagsrechtsvorschriften nahm und diese als sorgfältig erarbeitet und im Ergebnis befriedigend lobte113, dass die Befugnisse des Verlegers lediglich aus dem geistigen Eigentum des Verfassers abgeleitete Rechte seien114. Dieses Eigentum, so Schmid weiter, umfasse insbesondere das Recht des Autors, sein Publikum selbst zu wählen115. Aus diesem Grund sei es auch ein „dem Schriftsteller unentbehrliches und heiliges Recht, den Grad der Publizität […] seiner Schrift […] zu bestimmen“, weshalb man diesem „das Recht einer Widerrufung seines Verlagscontracts [auch] nicht unbedingt absprechen“116 könne. Wenngleich Schmid dies auch einzig zum Zwecke der inhaltlichen Berichtigung des Werkes und zur Bereinigung von formellen Fehlern als zulässig erachtete117, ist dennoch zu unterstreichen, dass er erstmals den Begriff des Widerrufs gebrauchte (wenngleich lediglich synonym zum Terminus des „Rücktritts“) und diesen als „Kehrseite“ des dem Verleger schuldrechtlich eingeräumten Publikations- respektive des Veröffentlichungsrechts des Verfassers einordnete. Ihm schloss sich ein Jahr später der Hanauer Jurist Leopold Neustetel in seinem Werk „Der Büchernachdruck nach Römischem Recht betrachtet“ an. Neustetel, der das Recht, Gedanken zu äußern und mitzuteilen aus der Rechtsfähigkeit der Person herleitete118 und deshalb als Vorreiter der persönlichkeitsrechtlichen Deutung des Urheberrechts gilt119, schrieb mit explizitem Verweis auf Kant und dessen Deutung des Werkes als „Rede zum Publikum“ und des Verlagsvertrages als mandatum, dass kein Dritter, ohne die Persönlichkeit des Schriftstellers zu verletzen, dessen Sprache führen dürfe. Aus diesem Grund sei Grundvoraussetzung jedweder (schriftstellerischen) Äußerung, so diese „mit Freiheit bestehen soll“, dass der Äußernde in der Lage ist, „dieselbe ganz aufhören zu lassen“. In der Konsequenz müsse es „dem Schriftsteller vergönnt seyn, sein Werk aus dem Buchhandel herauszuziehen, sey es, daß er dasselbe als gemeinschädlich oder […] unnütz erkannt, oder daß er (was zuweilen der Fall ist) Gründe hat, aus der Fortsetzung des Verkaufs für seine Person Gefahr zu fürchten; auch kann ihm daran gelegen seyn, die Exemplare ei113 Schmid,
S. 21. S. 146, 153. 115 Schmid, S. 148. 116 Schmid, S. 150. 117 Im Wortlaut sprach Schmid, S. 154 von „Flecken, z. B. Unsittlichkeiten“. 118 Neustetel, S. 30. 119 Siehe statt vieler Vogel, GRUR 1987, S. 876 sowie ders., Verlagsrecht, S. 193; ausführlich zur Entstehung der Theorie der Persönlichkeitsrechte Klippel, ZNR 1982, S. 133 ff. 114 Schmid,
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179473
ner Ausgabe vernichten zu lassen, um in einer neuen begangene Irrthümer zu verbessern“120.
Generell sei es ein Trugschluss, so Neustetel weiter, aus dem bloßen Umstand des Gedrucktseins eines Werkes, dem Abschluss eines Verlagsvertrages oder dem Angebot der Werkexemplare zu folgern, dass der Autor sich hierdurch jedweder Rechte an seinem Werk begeben hätte121. Über den direkten Verweis auf Kant und die an dessen Ausführungen erinnernde Terminologie hinaus deutete Neustetel die Möglichkeit eines Rücktritts des Verfassers damit klar als persönlichkeitsschützendes Instrument. Ähnlich äußerte sich Wilhelm August Kramer in seinem 1827 erschienen Werk „Die Rechte der Schriftsteller und Verleger“. In Anlehnung an Schmid und Neustetel schrieb auch dieser, dass es grundsätzlich ein heiliges und unentbehrliches Recht des Schriftstellers sei, den Grad der Publizität seiner Schrift zu bestimmen und in der Folge ein einmal eingeräumtes Verlagsrecht durch „Widerruf“ aufzuheben, zumal es für den Autor „von höchstem Inte resse seyn [könne], die Schrift aus dem Buchhandel herauszuziehen“122. Gleichwohl schränkte auch Kramer seine Aussage ein, indem er schrieb, dass der Autor, der „dies Intresse einmal aufgegeben, […] dies heilige Recht veräußert“ habe, „nicht verlangen könne, daß die Gesetze es ihm auf Kosten rechtmäßiger Inhaber wiedergeben“. Entsprechend schlug Kramer vor, dass – sofern der Verfasser dem Verleger das Verlagsrecht lediglich für eine Auflage übertragen habe – dieser dem Verleger einfach alle vorhandenen Exemplare zum Selbstkostenpreis abkaufen könne. Damit postulierte auch er grundsätzlich eine Haftung des zurücktretenden Autors auf das positive Interesse, wobei er eine Haftung auf den entgangenen Gewinn nicht von Vorn herein ausschloss, zumal die Gewinnerzielungsabsicht regelmäßig das ausschlaggebende Motiv des Verlegers sei123. Hinsichtlich der in Betracht kommenden Rücktritts- bzw. Widerrufsgründe differenzierte Kramer mit ausdrücklichem Verweis auf die §§ 1005 ff. zwischen externen Ereignissen – etwa einem obrigkeitlichen Verbot der Schrift oder deren Überholung durch die Erkenntnisse eines Dritten – und „moralischer Unmöglichkeit“ auf Seiten des Autors. Für den ersten Fall erschien es ihm billig, den ohnehin schon „leidenden“ Autor von allen Verbindlichkeiten freizustellen und etwaige Schäden den Verleger tragen zu lassen, da derartige Ereignisse dessen Geschäftsrisiko seien. Im Falle subjektiver Hemmnisse oder Umstandsveränderungen – genannt wurden hier neben Krankheit und 120 Neustetel,
S. 52 f. S. 54. 122 Kramer, S. 161. 123 Kramer, S. 161 f., dort auch Fn. t. 121 Neustetel,
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Tod insbesondere persönliche Verhältnisse, eine „geänderte Überzeugung“ des Verfassers sowie der Umstand, dass sich ein „Genius […] nicht zwingen lasse“124 – sollte der Autor zwar gleichermaßen von seinen Verbindlichkeiten frei werden, dem Verleger jedoch zum Ersatz seiner berechtigten Aufwendungen verpflichtet sein125. Kramer ging insofern zugunsten des Verlegers über § 1006 hinaus, der dem zurücktretenden Autor lediglich die Pflicht zum Ersatz der zum Abdruck getätigten Aufwendungen des Verlegers auferlegte. Schließlich habe der grob fahrlässig oder arglistig zurücktretende Verfasser, wobei Kramer mit Verweis auf § 1007 einer anderweitigen Herausgabe des Werkes binnen Jahresfrist entsprechende Indizwirkung beimaß, auch den entgangenen Gewinn zu ersetzen.126 Insgesamt empfahl Kramer die preußischen Vorschriften künftigen Gesetzgebern zur Nachahmung, wobei er unter124 Siehe
dazu unten, Fn. 288. S. 144 meint dies aus den römisch-rechtlichen Grundsätzen (Ulpian im 32. Buch zum Edikt sowie Afrikan im 8. Buch der Rechtsfragen) folgern zu können, „nach denen Jemand beurtheilt wird, der eine Handlung versprach, aber sie nicht leisten kann, oder der eine Sache vermiethete, und nicht im Stande ist, sie zu liefern: er ist zwar von weiteren Ansprüchen frei, muß aber den erhaltenen Lohn zurückgeben“. Konkret hieß es in dem von Kramer zitierten L. 9 p. 15§ 6 (19. 2) D. locati, abgedruckt nebst Übersetzung bei Behrends, S. 559, dass der Mieter, der in einem dem Vermieter nicht gehörenden Haus gewohnt hat, diesem für die Zukunft keinen Mietzins mehr schulde, wohl aber für die Zeit, in welcher er in der Vergangenheit das Haus bewohnte. Ähnliches findet sich im ebenfalls bei Kramer aufgeführten L. 33 D. locati (19. 2) bezüglich der Pacht (abgedruckt nebst Übersetzung bei Behrends, S. 579 f.). 126 Auch dies leitete Kramer, S. 145 aus dem römischen Recht (Paulus im 34. Buch zum Edikt) ab. So hieß in dem von ihm als Beleg angeführten L. 24 § 4 D. locati (19. 2), abgedruckt nebst Übersetzung in Behrends, S. 571 f., dass „wer nach Vertreibung von einem gerade erst gepachteten Landgut auf ein anderes ausweicht […] das erlangen [solle], was er in den einzelnen Jahren an Gewinn [aus diesem] erzielt haben würde“. Als weiteren Beleg führt Kramer Ulpian im 24. Buch zum Edikt, L. 1 p. 1 § 1, L. 7 D. (11. 6) si mensur falsum modum an (abgedruckt nebst Übersetzung bei Behrends, S. 24 f., 27), wobei dieser Passus insbesondere hinsichtlich Kramers Begründung des Rücktrittsrechts mit dem Umstand, dass sich ein „Genius nicht zwingen lasse“ (was Bornemann, S. 358 einige Jahre später als hinter §§ 1005 ff. ALR stehendes gesetzgeberisches Motiv bezeichnete) aufschlussreich ist. Dort wird auf römische Geodäten (Feldmesser) und Kornmesser verwiesen, deren Tätigkeit als „Freundschaftsdienst“ und nicht auf Grundlage eines Werkvertrages erbracht werde. Entsprechend werde auch der Lohn „als Anerkennung gegeben und sei daher als Ehrengabe, Honorar, zu bezeichnen“. Weiter hieß es, dass in der Klage gegen den Feldmesser „nur Arglist berücksichtigt werde“, da dieser hierdurch „mehr als genug zur Verantwortung gezogen werde“ und sich „derjenige, der ihn hinzugezogen hat“, es sich selbst zurechnen lasssen müsse, wenn er sich „als unkundig erwiesen“ habe. Hieraus zog Kramer den Schluss auf die „Geistestätigkeit“ bzw. den „Genius“; auch der Verweis auf das „Honorar“ mag bei der Heranziehung dieses Rechtssatzes zur Begründung des Autorenrücktrittsrechts wegen veränderter Umstände wohl eine Rolle gespielt haben, wenn man bedenkt, dass das Autorenhonorar im Zeitpunkt 125 Kramer,
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strich, dass die Widerrufsmotive in geeigneten Fällen der richterlichen Kon trolle zugänglich sein sollten127. Mit der Frage des Charakters der den Verfasser zum Rücktritt berechtigenden Hindernisse und Umstände sowie deren etwaiger richterlicher Überprüfung befasste sich schließlich auch die frühe Kommentarliteratur zum Allgemeinen Landrecht. So unterstrich Gustav Alexander Bielitz in seinem Landrechtskommentar von 1824, dass diese in jedwedem Zweck i. S. d. § I 4 152 ff. und damit insbesondere nicht nur in der Unmöglichkeit zu sehen seien.128 Dabei sollte eine richterliche Überprüfung der Rücktrittsgründe stattfinden, sofern der Verleger Einwände gegen den Rücktritt erhob. Dem widersprach Bornemann 1835 in seiner „Systematischen Darstellung des Preussischen Civilrechts“, indem er auf die oben bereits angeführte Sichtweise des Gesetzgebers bezüglich der Nichterzwingbarkeit geistiger bzw. schriftstellerischer Tätigkeiten verwies und betonte, dass der Rücktritt gänzlich in das Ermessen des Autors gestellt und damit keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich sei129, zumal das Verlagsrecht einen „Ausfluß des geistigen Eigentums des Verfassers an seinem Werk“130 darstelle. Vor allem die Ausführungen Kramers stützen demnach das von der Literatur behauptete und anhand der Entstehungsgeschichte der §§ 1005 ff. als höchstwahrscheinlich nachgewiesene Motiv, dass das Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände der Nichterzwingbarkeit kreativer Leistungen Rechnung tragen sollte. Diese konnte sich, und auch das arbeitete vor allem Kramer prägnant heraus, insbesondere aus der Veränderung subjektiver Umstände, mithin gewandelter Überzeugung ergeben. Bemerkenswert sind die Ausführungen Schmids, Neustetels und Kramers auch aus anderen Gründen: Nicht nur wurde das Rücktrittsrecht hier erstmals ausdrücklich als Ins trument zum Schutz der ideellen Interessen des Autors bezeichnet, sondern überdies auch ein mögliches Interesse des Verfassers anerkannt, ein Nutzungsrecht auch nach Herausgabe des Werkes widerrufen zu können („aus dem Buchhandel herauszuziehen“).
der Entstehung von Kramers Untersuchung bereits als selbstverständlich anerkannt war (siehe Steiner, S. 119 ff., 352 ff.). 127 Kramer, S. 145. 128 Bielitz, Bd. 2, S. 737. 129 Bornemann, S. 358, der überdies anzweifelte, ob die §§ 1005 ff. ALR überhaupt Anwendungen der allgemeinen Grundsätze darstellten. 130 Bornemann, S. 353.
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bb) Zum Rücktritt wegen Nichtausübung Daneben finden sich im untersuchten Schrifttum auch Passagen hinsichtlich der Konstellation der Schlecht- bzw. Nichtausübung des Verlagsrechts durch den Verleger. So schrieb Bielitz, dass der Autor – entsprechend dem Rücktrittsrecht des Verlegers wegen Nichtlieferung nach § 1001 – ebenfalls vom Vertrag abgehen könne, wenn der Verleger den Druck der Schrift verzögerte oder gänzlich verweigerte131. Er verwies insofern auf die allgemeinen Regelungen der §§ I 5 408 ff. bzw. I 11 878132. Auch Kramer betonte, dass das Recht des Verlegers aufgehoben werden könne, wenn dieser den Verlag schlecht oder gar nicht besorgte. In diesem Fall stünde es dem Autor frei, „anzutragen, daß er von allen […] Verbindlichkeiten freigesprochen und ihm sein Recht wiedergegeben werde“133. Beide Autoren formulierten demnach klar die Möglichkeit eines Rücktritts wegen Nichtausübung, den das Allgemeine Landrecht lediglich als allgemeinen schuldrechtlichen Grundsatz, nicht aber in einer spezifisch verlagsrechtlichen Form kannte.134 d) Weitere Erklärungsansätze im Anschluss an die Literatur Über diese Ergebnisse hinaus liefert die Betrachtung der frühen Literatur – und hier insbesondere die Werke Neustetels und Kramers – weitere denkbare Erklärungsansätze hinsichtlich der hinter den §§ 1005 ff. stehenden legislatorischen Motive. aa) Das Rücktrittsrecht als Ausfluss kantianischen Urheberrechtsdenkens? So verwies Neustetel bei der Behandlung der Rücktrittsrechte ausdrücklich auf Kants Aufsatz „Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“ und deutete das Rücktrittsrecht als Konsequenz und Kehrseite des nach Kant persönlichkeitsrechtlich geprägten (Erst-)Veröffentlichungsrechts des Autors. Zieht man vor diesem Hintergrund Svarezʼ Mitgliedschaft in der Berliner Mittwochsgesellschaft und den Umstand, dass er hierdurch mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit mit den zeitgenössischen Schriften Kants vertraut war135, ins Kalkül, so erscheint es zumindest denkbar, dass sich Svarez bei der Aus131 Bielitz,
Bd. 2, S. 736. oben, B. I. 1. lit. c). 133 Kramer, S. 155, 162. 134 So auch später Klostermann, Eigentum, S. 867; Wächter, VerlagsR, S. 389 ff.; dazu unten, C. VI. 2. 135 Dazu oben, B. I. 2. lit. a). 132 Dazu
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formulierung der §§ 984 ff. bzw. 1005 ff., ähnlich wie dies Neustetel zum Ausdruck brachte, von der Kantschen Vorstellung des Werkes als „Rede ans Publikum“ und den daraus folgenden Implikationen leiten ließ. Das vermeintlich hinter den §§ 1005 ff. stehende Motiv der Nichterzwingbarkeit kreativer Leistungen steht dieser Annahme nicht entgegen, im Gegenteil: Eine „Rede“ im kantschen Sinne stellte gleichermaßen eine nichterzwingbare schöpferische Leistung dar, während in ihrer (fortgesetzten) Verbreitung und damit Zuschreibung zum Autor trotz zwischenzeitlich veränderter, die Verbreitungsabsicht revidierender Umstände eben jener Zwang zu erblicken ist, den die §§ 1005 ff. vermeintlich zu verhindern trachteten. Umgekehrt führte die Behinderung der Verbreitung trotz gegenteiliger Verpflichtung seitens des Verlegers nach Kant ebenso zu einer Verletzung der Rechte des Autors.136 Ein eindeutiger Kausalitätsnachweis zwischen den Ausführungen Kants und den Regelungsmotiven Svarezʼ ist gleichwohl nicht möglich. Auch ist es bis heute Konsens in der Forschung, dass sich „ein Einfluß der Gedanken Kants, dessen Aufsatz über den Nachdruck von 1785 […] Suarez137 sicher gekannt“ habe, „im Verlagsrecht des ALR nicht feststellen ließe“138. Zwar vermuten einzelne Autoren hinsichtlich anderer Regelungen des landrecht lichen Verlagsrechts Gegenteiliges139, doch ändert dies nichts an der fehlenden Nachweisbarkeit. Insofern kann man allenfalls von einer gewissen – wenngleich auch möglicherweise rein zufälligen – zeitlich-inhaltlichen Kongruenz zwischen den landrechtlichen Rücktrittsvorschriften und den Ausführungen Kants zum Büchernachdruck sprechen. bb) Römischrechtliche Analogie? Einen anderen Erklärungsansatz für die Motive Svarezʼ liefert Kramer, der das Rücktrittsrecht aus römisch-rechtlichen Grundsätzen ableitete.140 Obschon die von Kramer zur Begründung des Rücktrittsrechts angeführten Stellen des Corpus Iuris Civilis von diesem sehr frei interpretiert wurden, soll auch dieser Begründungsansatz nicht unerwähnt bleiben – zumal angesichts der nachgewiesenen Erkenntnis, dass es sich bei den §§ 1005 ff. um eine spezialgesetzliche Ausprägung des römischrechtlichen Grundsatzes der 136 Dazu
oben, A. II. 2. ist eine gleichermaßen übliche Schreibweise von Svarezʼ Nachna-
137 „Suarez“
men.
138 Gieseke, Entwicklung, S. 114 / Fn. 382; in jüngster Vergangenheit auch Baldwin, S. 79. 139 So etwa Kawohl, S. 223 hinsichtlich der Aufnahme der Begrenzung des Verlagsrechts auf die erste Ausgabe in das ALR. 140 Siehe oben, B. I. 3. lit. c) aa).
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
clausula rebus sic stantibus handelte. So schrieb Svarez in seinen den preußischen Kronprinzen gehaltenen „Vorträgen über Recht und Staat“ rückblickend mit Bezug auf die Kabinettsordre Friedrichs des Großen vom 14. April 1780141, die das Fundament für die ihr folgende, endgültige Kodifizierung des Allgemeinen Landrechts bildete142, dass „das römische Recht, welches nun seit 300 Jahren rezipiert und mit der bürger lichen Verfassung innig verwebt ist […] bei der neuen Gesetzgebung zum Grunde gelegt werden […] [und] das Wesentliche, so es mit den Naturgesetzen und der heutigen Verfassung übereinstimmt, abstrahiert, das Unnütze weggelassen [sowie] das Wesentliche ergänzt“143
werden musste. Dies erachtete Svarez im preußischen Landrecht als gelungen, da er im Hinblick auf das fertige Gesetzeswerk konstatierte, dass das römische Recht so, wie es bisher gegolten habe, in die Kodifikation inkorporiert worden sei144. Demnach erscheint es gleichermaßen denkbar, dass Svarez sich bei der Abfassung der §§ 1005 ff. an eben denselben römischrecht lichen Grundsätzen orientierte, aus welchen Kramer einige Jahre später das Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände herleitete145. Nachweisbar ist dies jedoch ebenso wenig wie eine bewusste Anlehnung Svarezʼ an Kant. 4. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Aus einer Zusammenschau von Literatur und den zuvor gewonnenen Erkenntnissen zu Genese, Regelungshintergrund und -motiven des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände im preußischen Landrecht ergeben sich somit folgende Implikationen: Die §§ 1005 ff. gingen nahezu ohne Zweifel auf Svarez selbst zurück. Über das einhellige Urteil der rechtshistorischen Forschung hinsichtlich seiner führenden Rolle bei der Gesetzesgenese hinaus legen dies insbesondere die Akten zum verlagsrechtlichen Teil des Allgemeinen Landrechts sowie der Umstand nahe, dass die §§ 1005 ff. eine speziell verlagsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes der clausula rebus sic stantibus darstellten, deren Aufnahme in das Allgemeine Landrecht Svarez ebenso zu verdanken war wie die Vielzahl ihrer spezialgesetzlichen Ausprägungen. Allein seinem Bestreben war es geschuldet, dass das preußische Landrecht 141 Allerhöchste Königliche Cabintes-Order die Verbesserung des Justiz-Wesens betreffend vom 14.04.1780 an Großkanzler v. Carmer, abgedruckt u. a. bei Ebel, S. 21 ff. 142 Dazu etwa Grahl, S. 110. 143 Svarez, S. 227. 144 Svarez, S. 228. 145 Siehe oben, B. I. 3. lit. c) aa), dort Fn. 125 und 126.
I. Das preußische Allgemeine Landrecht von 179479
überhaupt Vorschriften zur Vertragsaufhebung wegen veränderter Umstände enthielt und er war es, der auf Sonderregelungen insistierte, welche den Eigenheiten der einzelnen Spezialmaterien Rechnung trugen. So erklärt sich auch der in der Literatur zu findende Hinweis, dass hinter den §§ 1005 ff. der Gedanke stehe, dass sich schöpferische Leistungen nicht erzwingen ließen. Man erkannte bereits früh, dass es keinen Sinn ergab, den Autor am Vertrag festzuhalten bzw. dem Verleger die Möglichkeit der Erfüllungsklage zuzubilligen, wenn sich die Überzeugung des Verfassers gewandelt hatte, wie es in der frühen Literatur zum Rücktrittsrecht bereits ausdrücklich hieß. In der Folge erleichterten die §§ 1005 ff. gegenüber den allgemeinen Vorschriften zur Vertragsaufhebung wegen veränderter Umstände dem Autor den Rücktritt insofern, als dieser dem Verleger lediglich etwaige Aufwendungen, die dieser hinsichtlich des Drucks bereits unternommen hatte, zu ersetzen hatte, während er auf den entgangenen Gewinn nur bei anderweitiger Herausgabe binnen Jahresfrist haftete. Darüber hinaus ergab ein Blick in die bis ca. 1820 erschienene Literatur weitere Erklärungsansätze hinsichtlich der gesetzgeberischen Motive hinter den §§ 1005 ff., wobei sich jedoch weder die Andeutung einer geistigen Patenschaft Kants noch ein gezielter Rückgriff auf römischrechtliche Grundsätze validieren ließ. Jeder dieser Ansätze ist ebenso denkbar wie eine Kombination aus allen in Betracht kommenden Motiven oder – insbesondere im Hinblick auf Kant – eine bloß zufällige inhaltliche Kongruenz. Eine endgültige Antwort muss hier demnach ausbleiben. Unabhängig davon belegen die ausgewählten Auszüge aus der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch, dass das Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände bereits in den ersten Jahrzehnten nach seiner erstmaligen Normierung vollumfänglich anerkannt und als allgemeiner Grundsatz des Buchhandels- bzw. Verlagsrechts erachtet, ja künftigen Gesetzgebern ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen wurde. Obschon nicht ausdrücklich so bezeichnet, konnte anhand der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Literatur ferner nachgewiesen werden, dass § 1005 auch eine persönlichkeitsrechtliche bzw. -schützende Prägung zugesprochen wurde. Man sprach von einem heiligen (Wahl-)Recht des Autors im Hinblick auf das „Ob“ und „Wieweit“ der Publizität seiner Schrift, von „moralischer Unmöglichkeit“ infolge einer „Veränderung persönlicher Umstände“, von „gewandelter Überzeugung“ und einem „nicht zwingbaren Genius“ des Verfassers. Gleichwohl blieben die §§ 1005 ff. eine besondere Ausprägung des schuldrechtlichen „clausula“-Grundsatzes und stellten gerade kein ausschließlich aus dem Gedanken der persönlichen Bindung zwischen Autor und Werk fließendes, rein auf innere Überzeugungen abstellendes Vertragsaufhebungsinstrument sui generis dar. Dies zeigte sich bereits daran, dass die zum Rücktritt berechtigenden „veränderten Umstände und Hindernisse“ – zumindest
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
theoretisch – sowohl objektiver als auch subjektiver Natur sein und im letzteren Falle sowohl eine voluntative (Abrücken des Verfassers von seiner ursprünglichen Veröffentlichungsabsicht wegen gewandelter Überzeugung – unabhängig vom Grad der Fertigstellung des Werkes) als auch eine nicht voluntative Dimension (nur bei unvollendeten Werken – etwa eine Schaffenskrise) haben konnten. Inwiefern jedoch neben der Unmöglichkeitsregelung des § 1010 noch Rücktrittsgründe verblieben, die nicht subjektiver Natur waren, muss an dieser Stelle offenbleiben. Daneben anerkannte man in der Literatur stellenweise auch ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung. Insofern erachtete man die verlagsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts – trotz diverser Schwächen146 – offensichtlich keineswegs als die „Sudeley“147, welche der spätere Justizreformer Friedrich Carl v. Savigny das Landrecht 1816 im Gesamten scholl. Ob deshalb jedoch der Enthusiasmus angezeigt war, den etwa der Berliner Rechtsprofessor und Vorsitzende des Literarischen Sachverständigenvereins, Ludwig Eduard Heydemann148, an den Tag legte, als er den Verfassern des Allgemeinen Landrechts 1862 hinsichtlich des Verlagsrechts bescheinigte, „das Beste geleistet [zu haben], was ihre Zeit zu leisten vermochte“149, mag an dieser Stelle dahinstehen. Ausgewogener erscheint das Urteil seines Vorgängers, Julius Eduard Hitzig150, nach dem die „preußische landrechtliche Gesetzgebung [betreffend das Verlagsrecht] als ein für ihre Zeit überaus ehrenwerther Versuch“ zu werten sei, dort „einen festen Boden zu gewinnen, wo früher noch gar nicht daran zu denken war“151. Letzteres traf jedenfalls auf die 1005 ff. zu, welche bereits zuvor latent vorhandene Überlegungen erstmals in gesetzliche Formen gossen und insofern Pioniercharakter hatten, wie in den nachfolgenden Kapiteln über den Umgang mit den Autorenrücktrittsrechten im Laufe des 19. Jahrhunderts gezeigt werden wird.
dazu Gieseke, Privileg, S. 188 ff. Savigny in einem Brief an Achim v. Arnim vom 22.11.1816, abgedruckt bei Stoll, Nr. 319 / S. 210. 148 Zur Person siehe Nomine, S. 148 f., 463 m. w. N.; zur rechtspolitischen Rolle des Vereins ders., S. 307 ff. 149 Heydemann, Dt. GerZ 4 (1862), S. 41. 150 Zur Person siehe Nomine, S. 117 ff., 464; Busch, S. 36 ff. sowie Apel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 140 ff. 151 Hitzig, S. 5 f. 146 Siehe 147 So
II. Das Badische Landrecht von 181081
II. Das Badische Landrecht von 1810 Während das Preußische Allgemeine Landrecht den Anspruch hatte, eine „Gesamtschau der rechtlichen Ordnung eines Volkes“ und ein „Katechismus anständigen Verhaltens“152 zu sein und insofern dem Verlagsrecht mit insgesamt 41 Paragraphen einen verhältnismäßig breiten Raum zugestand, fasste sich das Badische Landrecht von 1810 bedeutend kürzer. Hier findet sich das als „Schrifteigentum“ bezeichnete Verlagsrecht im zweiten Buch, zweiter Teil, fünftes Kapitel („Von dem Eigenthum und Besiz“). Der mit den §§ 577da bis 577dg BLR lediglich sieben Paragraphen umfassende Abschnitt stammt aus der Hand Johann Nikolaus Friederich Brauers, eines engen Vertrauten des Großherzogs Karl Friedrich.153 Obwohl das badische Landrecht im Wesentlichen dem Code Civil nachgebildet war, basierten die Regelungen zum Schrifteigentum nicht auf selbigem (die napoleonische Kodifikation kannte keine verlagsrechtlichen Vorschriften), sondern bauten zum Teil auf dem französischen Gesetz betreffend das literarische und künstlerische Eigentum vom 19. Juli 1793154 auf, welches über die badische Verordnung gegen den Büchernachdruck von 1806155 schließlich 1810 in das Allgemeine Landrecht inkorporiert wurde.156 Brauer übernahm jedoch nicht sämtliche Vorschriften des französischen Vorbildes, sondern ließ hier auch seine eigenen Gedanken einfließen.157 Im Gegensatz zum preußischen Allgemeinen Landrecht, welches zwar Implikationen der Lehre vom geistigen Eigentum – darunter insbesondere die Notwendigkeit einer schuldrechtlichen Mandatierung des Verlegers durch den Autor – nicht jedoch ein geistiges Eigentum als solches anerkannte, stand das badische Landrecht expressis verbis auf der Grundlage der Lehre vom geistigen Eigentum.158 So bestimmte der grundlegende § 577da BLR, 152 Thieme, ZRG GA 57 (1937), S. 367, 393; dazu auch Hattenhauer, H., Spiegel, S. 101 ff. und Schroeder, S. 90. 153 Gieseke, Entwicklung, S. 118; Bosse, S. 115 f.; zur Person siehe Wirtz, S. 37 ff. 154 Loi du 19 juillet 1793, relative à la propriété littéraire et artistique, in: Locré la legislation civile, commerciale et criminelle de la France, Vol. IX, S. 1–28. 155 Regierungsblatt des Großherzogtums Baden 1806, Nro. 20 (S. 65 f.); überdies abgedruckt bei Eisenlohr, Sammlung, S. 9 f. 156 Ausführlich zum Code Civil und seinem Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung siehe Wieacker, S. 339 ff.; Zum Zusammenhang zwischen dem französischen Gesetz, der badischen Verordnung und dem badischen Landrecht siehe Brauer, Bd. 1, S. 466 f.; ferner Gieseke, Entwicklung, S. 119. Zum Zusammenhang zwischen Badischem Landrecht und Code Civil bereits Roßhirt, S. 51 ff. 157 Gieseke, Entwicklung, S. 120; Dölemeyer, III / 3, S. 4011; Gergen, AGB 2011, S. 112 ff. 158 So auch Gieseke, Entwicklung, S. 117 f. und Pahlow, S. 166 f., 170 f.
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
dass jede niedergeschriebene Abhandlung ursprüngliches Eigentum ihres Verfassers sei, während der nachfolgende § 577db BLR dies dahingehend präzisierte, dass sich das Eigentum nicht nur auf das Manuskript, sondern auch auf dessen Inhalt erstreckte. Vogel bezeichnet die badische Kodifikation aufgrund dieser Vorschriften zurecht als „erstes Urheberrechtsgesetz“, da hier der Verfasser erstmalig zum zentralen Rechtsträger aufrückte, während im preußischen Landrecht (wie auch im österreichischen ABGB) der Schutz des Verlegers im Mittelpunkt stand.159 Die übrigen Paragraphen regelten grundsätzliche Fragen der Autor-Ver leger-Beziehung, so z. B. dass eine vertragsmäßige Rechteinräumung das Eigentum am Inhalt lediglich beschränke, nicht aber aufhebe (§ 577dd BLR), sich das Verlagsrecht lediglich auf die erste Auflage erstrecke und der Verleger den Inhalt des Werkes nicht „mindern noch mehren“ dürfe (§ 577de BLR). Die badische Kodifikation glich damit insofern der Preußischen, als das Verlagsrecht ebenfalls nicht etwa aus dem Sacheigentum am Manuskript, sondern allein aus einer schuldrechtlichen Nutzungsrechteeinräumung folg te160, war jedoch weit weniger detailliert ausgestaltet. Insbesondere enthielt das badische Landrecht kein Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände. Dies dürfte im Wesentlichen der Tatsache geschuldet sein, dass es die außerordentliche Aufhebung von Verträgen wesentlich restriktiver handhabte als das preußische Landrecht. Ebenso wenig wie der Code Civil kannte es eine allgemeine „clausula“-Regelung – vielmehr hieß es in § 1134 BLR, dass sich Verträge nur einvernehmlich oder aus vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Gründen widerrufen ließen. Diese vom Gesetz gebilligten Ausnahmen beschränkten sich auf einige wenige, äußerst restriktiv gefasste Vorschriften161; das Verlagsrecht fiel nicht darunter. Auch in der Rechtspre159 Vogel, AGB 19 (1978), Sp. 122; ders., FS GRUR, S. 1215. Zum ABGB siehe unten, B. III. 160 Brauer selbst kategorisierte in seinen Erläuterungen zum Code Napoléon von 1810 den Verlagsvertrag als Gesellschaftsvertrag und erkannte insofern bereits vor bzw. im Jahr des Inkrafttretens des Badischen Landrechts die schuldrechtliche Nutzungsrechtseinräumung als Grundlage des Verlagsrechts an, siehe Brauer, Bd. 3, S. 634; Zachariä, S. 361 bezeichnete das Verlagsrecht ganz allgemein als dem Verleger schuldrechtlich eingeräumtes mandatum in rem suam; ähnlich Schiebe / Pardessus, S. 293; siehe ferner die Urteile des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichts aus den Jahren 1833 und 1845 / 46, abgedruckt in Jahrbücher des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichts VII (1833), S. 290; XVI (1847), S. 32 sowie die Urteile bzw. Gutachten weiterer badischer Gerichte sowie Rechtsgelehrter, in: Annalen der Großherzogl. Badischen Gerichte 10 (1842), S. 240; 14 (1846), S. 145; 16 (1848), S. 77; 33 (1867), S. 97. Die Rechtsnatur des Verlagsvertrages als solchem war zwischen Romanisten und Germanisten bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein umstritten, siehe Mogg, S. 69 ff. 161 Siehe dazu Pfaff, S. 316 / Fn. 3; Kaufmann, S. 19; Köbler, S. 55 f.
II. Das Badische Landrecht von 181083
chung des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichts zum Verlagsrecht war der Rücktritt vom Verlagsvertrag zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Urteils.162 Bemerkenswert ist jedoch, dass in den Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte im Kontext des den Nachdruck betreffenden Rechtsfalls Reuß / Dennig aus den Jahren 1842 bis 1846 explizit auf die Kantsche Position einer schuldrechtlichen Mandatierung des Verlegers durch den Verfasser verwiesen wurde163. Dies zeigt den Widerhall, den die Gedanken Kants zumindest mittelfristig bei den Rechtsgelehrten fanden. Darüber hinaus findet sich in dem auf dem Handelsrechtskompendium des französischen Juristen Jean-Marie Pardessus basierenden „Lehrbuch des Handelsrechts“ von August Schiebe aus dem Jahr 1838 die Annahme, dass nach der Zession des (Verlags-)Rechts zur „Bekanntmachung“ bis zur Herausgabe des Werkes der „Autor und selbst seine Erben […] triftige Gründe haben [könnten], auf diese Bekanntmachung zu verzichten“, in diesem Fall jedoch insofern „Schadloshaltung schuldig [seien], als der Verleger Arbeiten, die nun unnütz geworden, angefangen, oder wenn er auf jede andere Weise wirklichen Schaden gehabt hätte“164.
Ähnlich äußerte sich auch Joseph Duprée in seiner auf dem u. a. die Rechte des Schriftstellers auf sein Geistesprodukt regelnden französischen Dekret von 1810165 (welches zwar keinen Einfluss mehr auf die badische Kodifikation nahm, jedoch als Zeugnis der romanischen Denkweise durchaus Beachtung verdient) basierenden Schrift „Beiträge zur Revision der Theorien des Pacht- und Buchhandel-Contrakts mit bes. Rücks. auf die neuern französischen Gesetze“ im Jahr 1811166. Beide Schriften zeigen, dass man auch im Einflussbereich des französischen Rechts ein dem preußischen Allgemeinen Landrecht vergleichbares Rücktrittsrecht zumindest in der Literatur anerkannte. Zwar verwiesen die Schriften hinsichtlich des Rücktrittsrechts nicht ausdrücklich auf die preußische Kodifikation, taten dies aber im Zusammen-
162 Siehe die das Verlagsrecht betreffenden Urteile in den Jahrbüchern des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichts VI (1830), S. 115 ff.; VII (1833), S. 289 ff.; XVI (1847), S. 31 ff.; XVII (1849), S. 166 ff. 163 Annalen der Großherzogl. Badischen Gerichte XIV (1846), S. 145; eine entsprechende Bezugnahme findet sich auch in Bd. 2 des von dem herzoglich württembergischen Regierungsrat und Hofgerichtsassessor Danz verfassten „Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts“ von 1801, siehe Danz, S. 227. 164 Schiebe / Pardessus, S. 294. 165 Decret contenant Règlement sur lʼimprimerie et la libraire, abgedruckt im Moniteur vom 07.02.1810; dazu ausführlich Kapp / Goldfriedrich, Bd. IV, S. 20 ff. 166 Duprée, S. 93 f.
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
hang mit anderen verlagsrechtlichen Vorschriften167, so dass eine Anlehnung an die §§ 1005 ff. ALR zumindest naheliegt.
III. Das österreichische ABGB von 1812 Das österreichische ABGB trat im Jahr 1812 in Kraft und stützte sich sowohl auf das Preußische Allgemeine Landrecht als auch auf die Vorarbeiten zum Codex Theresianus.168 Das in den §§ 1164 bis 1171 ABGB normierte Verlagsrecht ist Teil des sechsundzwanzigsten Hauptstückes („Von entgeltlichen Verträgen über Dienstleistungen“). Dabei fußte auch das ABGB auf dem Prinzip der schuldrechtlichen Einräumung des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts, obschon der Verleger ausweislich des Wortlautes des § 1164 ABGB durch den Verlagsvertrag lediglich ein Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes erwarb.169 Jedoch wurde bereits in der frühen Literatur auch eine entsprechende Pflicht des Verlegers angenommen.170 Ein Rücktrittsrecht kannte die österreichische Kodifikation mit § 1166 ABGB indes lediglich für den Verleger: „Wird das Werk von dem Schriftsteller zur bestimmten Zeit, oder auf die fest gesetzte Art nicht geliefert, so kann der Verleger zurücktreten, und, wenn die Ablieferung aus Verschulden des Verfassers unterbleibet, die Schadloshaltung fordern.“ 167 Siehe beispielsweise den Verweis bei Duprée, S. 93 (mit Bezug auf die Schriftform des Verlagsvertrages). 168 Siehe eine im Zuge der preußischen Verlagsrechtsreform von 1839 / 1846 angefertigte anonyme „Zusammenstellung derjenigen Bestimmungen, welche fremdländische Gesetzgebungen über den Verlags-Vertrag enthalten“, in: Materialien zur Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 3, Fol. 27. Zum Codex Theresianus siehe v. Harrasowsky, S. 1 ff. Zeiller, der Referent der Gesetzgebungskommission und spätere Kommentator des ABGB bezeichnete das preußische ALR im Rahmen der zweiten Lesung vor Kaiser Franz I. ausdrücklich als Vorbild des ABGB, siehe Pfaff, FS Unger, S. 317, Köbler, S. 56. Allgemein zur Genese des ABGB sowie zur Person Zeillers siehe Wieacker, S. 335 ff.; speziell zum Einfluss des preußischen ALR auf das ABGB Mertens, S. 70 ff. 169 § 1164 ABGB lautete: „Durch den Vertrag über den Verlag einer Schrift wird jemanden von dem Verfasser das Recht ertheilet, dieselbe durch den Druck zu vervielfältigen und abzusetzen. Der Verfasser begibt sich dadurch des Rechtes, das nähmliche Werk einem Anderen in Verlag zu überlassen“. Siehe dazu Zeiller, § 1164 Rn. 1 ff. sowie die Ausführungen v. Sonnenfelsʼ in Genius der Zeit 2 (1795), S. 81 ff. 170 Zeiller, § 1165 Rn. 2, 919 Rn. 1; Nippel, S. 440; Winiwarter, S. 364; in der späteren Literatur findet sich diese Annahme, siehe etwa Harum, S. 151, der unterstrich, dass der Autor gerade an der Vervielfältigung „sein wesentliches rechtliches Interesse an diesem Vertrage hat“; dass dies einhellige Meinung war zeigt sich auch bei Stubenrauch, S. 397, der sprach, dass der Verleger „im Allgemeinen auch die Verpflichtung“ zur Vervielfältigung übernehme.
III. Das österreichische ABGB von 181285
Dieses Recht diente in erster Linie dem Schutz der Vermögensinteressen des Verlegers, zumal diesem – so der als Schöpfer des ABGB geltende Franz v. Zeiller in seinem bereits 1813 erschienenen Gesetzeskommentar – „wegen der Gewißheit und Schnelligkeit des ihn für die Kosten entschädigenden Absatzes oft sehr daran gelegen [sei], daß das Werk in der bestimmten oder angemessenen Zeit […] geliefert werde“171. Gleichwohl stellte Kramer, wie auch später die preußischen Justizbeamten, § 1166 ABGB in eine Reihe mit den §§ 1005 ff. ALR und schrieb der Vorschrift damit den Charakter eines autorenseitigen Rücktrittsrechts zu.172 Hinsichtlich der Rechtsfolge lag dies zwar nahe, da der Verfasser sowohl bei § 1166 ABGB als auch bei § 1005 ff. ALR den Vertrag nicht erfüllte und dem Verleger daher zur Schadloshaltung verpflichtet wurde. Bei näherer Betrachtung ist dies jedoch nicht ganz so eindeutig. So erkannte die österreichische Kodifikation eine Vertragsaufhebung wegen veränderter Umstände mit § 919 ABGB nur in ausdrücklich normierten oder vereinbarten Fällen an, insbesondere wenn die Erreichung eines bestimmten Vertragszwecks im Vornherein zumindest deutlich erkennbar zur Bedingung erhoben wurde (§ 901 ABGB).173 Damit enthielt das ABGB keine der preußischen Kodifikation vergleichbare (allgemeine) „clausula“-Regelung, sondern eine dem Anwendungsbereich nach weitere Regelung, welche zwar auch eine Veränderung (subjektiver) Umstände einbezog174, andererseits jedoch nicht vom Parteiwillen abhängig war. Vielmehr führte der Eintritt bzw. Nichteintritt der Bedingung unmittelbar zur Vertragsaufhebung175. De iure kannte das ABGB somit keinerlei Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände. § 1166 ABGB gewährte dem Autor, der von seiner ursprünglichen Publikationsabsicht abrückte, lediglich die Möglichkeit, die Vertragsaufhebung durch den Verleger zu initiieren, indem er letzterem mit der Nichtlieferung des Manuskripts den Rücktrittsgrund lieferte. Letzt171 Zeiller, § 1166 Rn. 1; Winiwarter, S. 365 f.; ähnlich auch später Harum, S. 153 f. 172 Kramer, S. 145 sowie beispielhaft unten, C. III. 2. 173 § 919 ABGB lautete: „Wenn ein Theil den Vertrag entweder gar nicht; oder nicht zu der gehörigen Zeit; an dem gehörigen Orte; oder auf die bedungene Weise erfüllet; so ist der andere Theil, außer den in dem Gesetze bestimmten Fällen, oder einem ausdrücklichen Vorbehalte, nicht berechtiget, die Aufhebung, sondern nur die genaue Erfüllung des Vertrages und Ersatz zu fordern“; § 901 ABGB lautete: „Haben die Parteyen den Bewegungsgrund oder den Endzweck ihrer Einwilligung ausdrücklich zur Bedingung gemacht; so wird der Bewegungsgrund oder Endzweck wie eine andere Bedingung angesehen […]“. Dazu ausführlich Zeiller, § 919 Rn. 2; Winiwarter, S. 58 f. 174 Köbler, S. 57. 175 Köbler, S. 57 mit Verweis auf Pfaff, S. 326 ff.
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
lich hing die Vertragsaufhebung jedoch vom Willen des Verlegers ab. Solange dieser den Rücktritt nicht erklärte, blieb der Autor formell zur Lieferung des Werkes verpflichtet. Die Möglichkeit, sich nach Übergabe des Manuskripts und vor Herausgabe des Werkes vom Vertrag zu lösen, sah das österreichische Gesetz hingegen gar nicht vor. Auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Rücktritts unterschied sich § 1166 ABGB von den §§ 1005 ff. ALR. Während das preußische Recht eine Haftung des zurücktretenden Autors auf den entgangenen Gewinn nur im Fall des § 1007 ALR statuierte, haftete dieser nach österreichischem Recht grundsätzlich, wenngleich auch in Abhängigkeit vom Grad seines Verschuldens, für den entgangenen Gewinn176. Die Haftung des Autors war nach der österreichischen Kodifikation demnach ungleich schärfer. Dennoch sprachen einzelne Stimmen in der österreichischen Jurisprudenz dem Autor ein freies, d. h. keinerlei Rücktrittsgründe vorausetzendes Rücktrittsrecht zu. So hieß es etwa im Kommentar des Brünner Appellationsgerichtsrates Franz Xaver Nippel v. Weyerheim aus dem Jahr 1834, dass dem Verfasser primär daran gelegen sei, dass seine Gedanken dem Publikum mitgeteilt würden177, da dies „der vorzüglichste Zweck des Schriftstellers im echten Sinne des Wortes“178 sei, während die mit dem Werk erzielten Gewinne lediglich sekundärer Natur seien und nicht zum Wesen des Verlagsvertrages gehörten. Umgekehrt sei der Verleger ausschließlich an Kostendeckung und Gewinnerzielung interessiert. Solange der Autor dem Verleger beides ersetzte, war in den Augen Nippels kein Grund vorhanden, ersteren zur Publikation zu zwingen und damit seine Gedanken dem Publikum mitzuteilen. Mithin war der Autor gegen vollumfängliche Schadloshaltung des Verlegers jederzeit berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten. Nippel, der bei seiner Kommentierung verschiedentlich auf das preußische Landrecht verwies, sah jedoch auch Fälle vor, in denen sich der Verleger mit bloßem Aufwendungsersatz begnügen musste – etwa, wenn den Autor hinsichtlich der Rücktrittsgründe kein Verschulden traf.179 Die Beweispflicht oblag insofern den Autor (§ 1298 ABGB)180. Konkrete Beispiele nannte Nippel nicht, doch die besagten Verweise auf das preußische Verlagsrecht legen nahe, dass ihm ähnliche Konstellationen wie die dort Vorgesehenen vorschwebten. 176 Zeiller,
§ 1166 Rn. 2. § 1166 Nr. 1. 178 Nippel, § 1164 Nr. 3. 179 Nippel, § 1166 Nr. 1, 4. 180 § 1298 ABGB lautete: „Wer vorgibt, daß er an der Erfüllung seiner vertragsmäßigen oder gesetzlichen Verbindlichkeit ohne sein Verschulden verhindert worden sey, dem liegt der Beweis ob“. 177 Nippel,
III. Das österreichische ABGB von 181287
In dem 1843 erschienenen Zivilrechtshandbuch des an der Theresianischen Ritterakademie tätigen Juristen Joseph Ellinger sprach dieser sich in ähn lichem Sinne aus, indem er unterstrich, dass eine Klage auf Erfüllung und damit ein Zwang des Autors „sich als ein schlechterdings unschickliches (und daher von der Gesetzgebung selbst verworfenes) Mittel darstelle“181. Zur Begründung verwies auch er auf die §§ 1005 ff. ALR. Gegen die Position Nippels und Ellingers bezog insbesondere Peter Harum, Professor der Rechte an der Universität Pest, in seinem Werk „Die gegenwärtige österreichische Preßgesetzgebung“ im Jahr 1857 Stellung. Harum betonte, dass die Aufrechterhaltung einer an sich möglichen und legalen Leistung niemals gegen die sittliche Würde und Freiheit des Menschen verstoßen könne. Er verwies auf den Kommentar des Rektors der Universität Lemberg, Joseph v. Winiwarter, in dem es u. a. hieß, dass dem Verleger auch jenseits aller finanziellen Interessen am Erscheinen eines Werkes gelegen sein könne, in welches er „seine Ehre […] setzt, und sich Vortheile davon verspricht, welche mit keinem pecuniären Ersatze ausgeglichen werden können“182. Ein freies Rücktrittsrecht des Autors lehnte er daher ab und gestand diesem einzig die Einrede der Unmöglichkeit (§ 1447 ABGB)183 zu. Zugleich räumte er ein, dass die mannigfaltigsten Gründe den Autor an der geistigen Tätigkeit hindern könnten, so insbesondere „die Aenderung der wissenschaftlichen Ueberzeugung“. Dies mache ein Vorgehen im Klageweg zwar sehr unsicher, sei jedoch kein Grund, von der Klagemöglichkeit des Verlegers abzusehen oder dem Autor gar ein freies Rücktrittsrecht im Sinne Nippels einzuräumen, da die Stichhaltigkeit etwaiger Hinderungsgründe in jedem Fall der gerichtlichen Kontrolle und ggf. der Beurteilung durch Sachverständige zugänglich sein müsse184. Überdies sei ein Rücktrittsrecht des Autors, so Harum weiter, in der Praxis regelmäßig schon deshalb unnötig, da der Verleger bei erst noch zu fertigenden Werken schon aus eigenem Interesse zurückträte, falls der Autor Bedenken anmelde. Bei bereits fertigen Werken, bei denen nur noch die Übergabe des Werkes in Raum stehe, diese jedoch aus Eigensinn, Böswilligkeit oder Gewinnsucht verweigert werde, sei hingegen nicht einzusehen, warum dem Verleger die gesetzlichen Zwangs181 Ellinger,
S. 532; dies wird auch von Harum, S. 155 in dieser Weise gedeutet. S. 366; Harum, S. 155. 183 § 1147 ABGB lautete: „Der zufällige gänzliche Untergang einer bestimmten Sache hebt alle Verbindlichkeit, selbst die, den Werth derselben zu vergüten, auf. Dieser Grundsatz gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen die Erfüllung der Verbindlichkeit, oder die Zahlung einer Schuld durch einen anderen Zufall unmöglich wird. In jedem Falle muß aber der Schuldner das, was er, um die Verbindlichkeit in Erfüllung zu bringen, zwar gleich einem redlichen Besitzer, jedoch auf solche Art zurück stellen oder vergüten, daß er aus dem Schaden des Anderen keinen Gewinn zieht“. 184 Harum, S. 155 f. 182 Winiwarter,
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
mittel nicht zu Gebote stehen sollten. Entsprechendes gelte für literarische Leistungen geringeren Anspruchs, wie etwa Übersetzungen oder Zusammenstellungen185. Ein Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung findet sich im verlagsrechtlichen Teil des ABGB ebenfalls nicht. Soweit die Frage in der Literatur aufgegriffen wurde, verwies man für diesen Fall in das allgemeine Vertragsrecht und hier auf die Schadensersatzansprüche aus §§ 1295, 1333 f. ABGB sowie das Zurückbehaltungsrecht nach § 1052 ABGB186. Warum die österreichische Kodifikation, die sich nachweislich am preußischen Landrecht orientierte, auf die Normierung genuin autorenseitiger Rücktrittsrechte verzichtete bzw. sich auf § 1166 ABGB beschränkte, geht aus den das Verlagsrecht betreffenden Beratungsprotokollen zum ABGB187 nicht hervor. Im Allgemeinen hielten die für die Abfassung des ABGB Verantwortlichen das preußische Landrecht jedoch für zu ausführlich188. Zum Teil gab es sogar Stimmen, welche es überhaupt als unnötig erachteten, gesonderte Vorschriften über den Verlagsvertrag aufzustellen, da sich nach ihrer Auffassung alles hierfür Notwendige bereits aus den allgemeinen vertragsrechtlichen Vorschriften ergab189. Im Mindesten hielt man es jedoch der „gesetzlichen Vorsichtigkeit würdiger, Rechtsstreitigkeiten [zu]vorzukommen, als durch willkührliche und in der Ausübung schwer zu handhabende Verfügungen zu Rechtsstreitigkeiten gewissermaßen Anlass zu geben“190. Dass vor allem dieser Gedanke bei dem Verzicht auf explizit normierte Rücktrittsrechte des Verfassers – zumal hinsichtlich veränderter Umstände – maßgeblich gewesen sein dürfte, zeigt ein Blick in die frühe Literatur zum oder mit Bezug auf das preußische Landrecht, worin insbesondere zur Frage der gerichtlichen Überprüfung der Rücktrittsgründe konträre Positionen vertreten wurden.191 Im Ergebnis verwundert das Fehlen von autorenseitigen Rücktrittsrechten in der österreichischen Kodifikation jedoch nur bedingt, zeigt sich doch bereits an der Stellung des Verlagsrechts im ABGB, dass die Regelungen primär den Vermögensschutz der Parteien – und hier insbesondere den des Verlegers – zum Ziel hatten. Diesen, vornehmend die gewerblichen 185 Harum,
S. 156. § 1165 Rn. 2, 919 Rn. 1; Winiwarter, S. 364. 187 Siehe insbesondere das Protokoll der 151. Sitzung vom 02.11.1807, abgedruckt bei Ofner, S. 418 ff. 188 Siehe den Referentenvortrag der 159. Sitzung der österreichischen Gesetzgebungskommission vom 28.12.1807, abgedruckt bei Ofner, S. 453 ff., 465 ff. 189 Protokoll der 151. Sitzung vom 02.11.1807, abgedruckt bei Ofner, S. 419. 190 Siehe die dem Protokoll der 151. Sitzung vom 02.11.1807 beigefügten Ausführungen v. Sonnenfels, abgedruckt bei Ofner, S. 422. 191 Siehe oben, B. I. 3. lit. c) aa). 186 Zeiller,
IV. Zusammenfassung und Zwischenergebnis89
Verlegerinteressen schützenden Charakter des österreichischen Verlagsrechts räumten Kommentatoren gegen Ende des 19. Jahrhunderts unumwunden ein. So unterstrich etwa Moriz Stubenrauch in seinem „Commentar zum österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche“ aus dem Jahr 1894 zutreffend, dass die ideellen Autoreninteressen nach österreichischem Recht nur mangelhaft geschützt seien192.
IV. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Obgleich sowohl das ALR als auch das ABGB und das Badische Landrecht die rechtsgeschäftliche Nutzungsrechteeinräumung als Voraussetzung jedweder Verlegerbefugnisse ansahen und damit grundlegende Implikationen der Lehre vom geistigen Eigentum in Gesetzesform gossen, enthielt allein das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 ein ausdrücklich normiertes Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände. Während man sich beim ABGB, dessen Schöpfer sich das preußische Landrecht nachweislich zum Vorbild genommen hatten, bewusst gegen eine Normierung entschied, ist bei den badischen Vorschriften zum Verlagsrecht, die im Wesentlichen auf eine einzige Person zurückgingen, eine derartige Vermutung nicht unmittelbar nachweisbar, wenngleich auch naheliegend. Die Genese des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände im preußischen Landrecht und die dahinterstehenden Beweggründe konnten aufgrund der diesbezüglich spärlichen Quellenlage lediglich im Wege einer Annäherung erhellt werden. Als gesichert zu betrachten ist, dass die Vorschriften aus der Hand Svarezʼ stammten und als speziell verlagsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes der clausula rebus sic stantibus in das Allgemeine Landrecht implementiert wurden. Leitgedanke war hierbei die Nichterzwingbarkeit schöpferischer Leistungen, wobei die Literatur hinsichtlich der veränderten Umstände vor allem in der Person des Urhebers selbst liegende Gründe anführte. Andere Erklärungsansätze scheinen zwar denkbar, sind letztlich jedoch nicht validierbar. 192 Stubenrauch, S. 386; ähnlich Schmidl, S. 146 f. Spätere Autoren und Kommentatoren wie Engel, G., S. 40 oder Adler / Höller in Klang / Gschnitzer, S. 459 f. erblickten jedoch in § 1173 ABGB (vor 1917 § 1168 ABGB), der vorsah, dass der Urheber „vor dem Absatze der Auflage […] über das Werk nur dann anderweitig verfügen [dürfe], wenn er dem Verleger eine angemessene Schadloshaltung leistet“ eine Möglichkeit des Autors, „das Werk ganz aus dem Verkehr zu ziehen“. Die ursprüngliche Fassung (§ 1168 ABGB) sprach indes nicht von einem „anderweitigen Verfügen“, sondern allein von einer vorzeitigen „neuen Ausgabe“, so dass nicht davon augegangen werden kann, dass die Vorschrift ursprünglich als Rücktritts- oder Rückrufs instrument gedacht war. Dies legen auch die diesbezüglichen Ausführungen Zeillers (Zeiller, § 1168 Rn. 1 und 2) nahe.
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B. Verlagsrechtliche Rücktrittsrechte des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jhs.
Unabhängig davon konnte nachgewiesen werden, dass die im Nachgang des Inkrafttretens der preußischen Kodifikation erschienene Literatur zum Verlagsrecht, gleich ob diese auf das preußische Landrecht beschränkt war oder die Materie in einem supranationalen Sinne behandelte, ein Rücktrittsrecht des Verfassers wegen veränderter Umstände – teils mit ausdrücklichem Verweis auf die §§ 1005 ff. ALR – allgemein anerkannte. Weiterhin konnte anhand der Literatur gezeigt werden, dass dieses Rücktrittsrecht bereits zum damaligen Zeitpunkt eine klare, wenn auch nicht ausschließliche (oder gar explizit so bezeichnete) persönlichkeitsschützende Intention aufwies und man überdies auch die Notwendigkeit eines weitergehenden, d. h. nicht an den Zeitpunkt der Herausgabe des Werkes gekoppelten Vertragsaufhebungsinstruments des Autors wegen veränderter Umstände erkannte. Zugleich zeichneten sich schon in diesem Stadium die maßgeblichen Streitstände ab, welche die Debatte um Ausgestaltung und Reichweite der Autorenrücktrittsrechte bis ins 20. Jahrhundert hinein dominieren sollten, allen voran die Frage nach einem angemessenen Ausgleich zwischen Rücktrittsfreiheit und Missbrauchsprävention. Insofern scheint es nicht übertrieben, den preußischen Vorschriften Pionier charakter zuzusprechen, zumal etwa die Jurisprudenz zum badischen Verlagsrecht ein Rücktrittsrecht bei veränderten Umständen gleichermaßen anerkannte, wobei die entsprechenden Publikationen nachweislich unter dem Eindruck der Regelungen des preußischen Rechts verfasst wurden. Das österreichische ABGB, dem von den drei betrachteten Kodifikationen die stärkste verlegerschützende Tendenz innewohnte, ging einen anderen Weg, indem es – gleichermaßen mit den preußischen Vorschriften vor Augen – eine Vertragsaufhebung wegen veränderter Umstände nur dergestalt zuließ, dass der Autor seine Schrift nicht lieferte, was den Verleger zum Rücktritt berechtigte und eine scharfe, sich grundsätzlich auf den entgangenen Gewinn erstreckende Haftung des Autors nach sich zog. Hierbei ist von einem bewussten Verzicht auf ein den §§ 1005 ff. ALR vergleichbares Rücktrittsrecht auszugehen, da man seitens Österreichs bemüht war, die Kodifikation nicht nur so knapp als möglich, sondern auch so zu gestalten, dass sie möglichst wenig Anlass zu Rechtsstreitigkeiten bot – wofür unbestimmte Rechtsbegriffe wie „veränderte Umstände“ oder „Hindernisse“ respektive die Beurteilung der Rücktrittsgründe im Allgemeinen zweifelsohne hinlänglich Potential boten. Für den Fall der Nichtausübung des Verlagsrechts durch den Verleger kannte keine der drei betrachteten Kodifikationen ein genuin verlagsrecht liches Rücktrittsrecht. De lege lata griffen demnach die jeweiligen allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben für den Fall vertraglicher Pflichtverletzungen, während jedoch in der Literatur zu allen drei Kodifikationen ein gesondertes Rücktrittsrecht des Verfassers für den Fall der Nichtausübung anerkannt
IV. Zusammenfassung und Zwischenergebnis91
wurde, so dass auch hier von einem allgemeinen verlagsrechtlichen Grundsatz gesprochen werden kann. Auch in der weiteren Entwicklung bezog man sich, wie der nachstehende Abschnitt zeigt, auf die preußischen Regelungen zum Rücktrittsrecht des Autors – nicht zuletzt da sie bis 1901 die einzigen ihrer Art bleiben sollten.
C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 und der damit einhergehende, endgültige Wegfall kaiserlicher Privilegien brachte eine weitere Verschlechterung des Nachdruckschutzes mit sich1. Angesichts der napoleonischen Kriege und dem damit verbundenen signifikanten Abfall der Bücherproduktion2 reagierten bis zum Ende der Fremdherrschaft nur wenige Territorien hierauf mit neuen Kodifikationen.3 Wo dies der Fall war, wurden lediglich Nachdruckverbote erlassen. Konkrete, das Rechtsverhältnis zwischen Verleger und Autor betreffende Vorschriften schuf man nicht. Erst als nach dem Sieg über Napoleon und der Etablierung des Deutschen Bundes im Jahr 1815 das Verlagsgewerbe und damit auch der Nachdruck wieder erstarkte (was nicht zuletzt auch Neuerungen in der Drucktechnologie geschuldet war4), befasste man sich wieder intensiver mit der gesetzlichen Sicherung geistigen Eigentums und damit auch mit der rechtlichen Ausgestaltung des Autor-Verleger-Beziehung. Dies geschah zunächst auf Bundesebene (I.), wobei die hier gefassten Beschlüsse primär auf die Vereinheitlichung der Nachdruckgesetzgebung zielten und wenig bis nichts zum Rechtsverhältnis zwischen Autor und Verleger enthielten. Preußen, das sich seit 1817 um eine Revision seines Allgemeinen Landrechts bemühte, übernahm bei der Umsetzung der Bundesbeschlüsse abermals eine Vorreiterrolle, die im Urheberrechtsgesetz von 1837 ihren vorläufigen Höhepunkt fand (II.). In der Folge nahm man von einer Revision der landrechtlichen Vorschriften zum Verlagsrecht Abstand und bemühte sich stattdessen um den Erlass eines eigenen Verlagsgesetzes, dessen wechselvolle Entwürfe zwar durchgehend Rücktrittsrechte des Urhebers enthielten, letztlich jedoch keine Gesetzeskraft erlangten (III.). 1 Feld,
S. 14. ausführlich Kapp / Goldfriedrich, Bd. 4, S. 10 ff. 3 So etwa das Herzogtum Nassau mit dem Edict vom 04. bzw. 05.05.1814, abgedruckt im Verordnungsblatt des Herzogthums Nassau 1814, S. 47 f. (siehe dazu Kaller, passim) sowie Bayern in seinem Strafgesetzbuch (Art. 397), wo auch erstmals der Begriff „Urheber“ für den Autor gebraucht wird; siehe dazu insb. Hitzig, S. 6 ff.; ferner Dölemeyer, III / 3, S. 4011 / Fn. 19. 4 So etwa in Gestalt der Langsieb-Papiermaschine (1799), der Stanehopepresse, der dampfgetriebenen Königschen Schnellpresse (1813) und der Stereotypie (1820), dazu Simon, J., S. 29; Wittmann, R., S. 221. 2 Dazu
I. Kodifikationsbestrebungen und private Initiativen auf Bundesebene bis 1863 93
Auch andere Partikularstaaten sowie private Interessenvertreter erarbeiteten Gesetzentwürfe, die – oftmals ausdrücklich dem preußischen Recht entlehnte – Rücktrittsrechte des Autors wegen veränderter Umstände und Nichtausübung statuierten, jedoch gleichermaßen nicht über das Entwurfsstadium hinauskamen (IV.). Entsprechendes galt auf Bundesebene: So sah der Vorentwurf zum geplanten einheitlichen deutschen Obligationenrecht zwar ein Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände vor, doch gelangte die entsprechende Vorschrift bereits nicht in die als „Dresdner Entwurf“ bezeichnete Endfassung des Vorhabens (V.). In der Jurisprudenz waren Rücktrittsrechte des Autors wegen Nichtausübung und veränderter Umstände spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als allgemeine verlagsrechtliche Grundsätze anerkannt, wobei den preußischen Vorschriften abermals eine Vorbildfunktion zukam (VI.). An einschlägiger Rechtsprechung fehlte es jedoch am Vorabend der Reichsgründung nach wie vor (VII.).
I. Kodifikationsbestrebungen und private Initiativen auf Bundesebene bis 1863 Art. 18 der Bundesakte des Deutschen Bundes vom 8. Juni 1815 erklärte „die Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen Nachdruck“5 innerhalb der einzelnen Bundesstaaten zum mittelfristigen politischen Ziel. Im Wesentlichen blieb dies ein frommer Wunsch. Der Entwurf eines Gesetzes gegen den Büchernachdruck, der im Frühjahr 1819 der Bundesverfassung zur Entscheidung vorlag, enthielt mit den Art. 15 bis 19 einige Vorschriften zum Verlagsvertrag, traf jedoch keine Aussage zum Rücktritt des Autors.6 Doch auch unabhängig davon kam er in keinem Bundesstaat zur Umsetzung7. Vor dem Hintergrund der aufkeimenden Restaurations- und Repressionspolitik erwies sich insbesondere die Verquickung zwischen Autorenrechten und Pressefreiheit für die weitere Entwicklung des Urheberrechts als hemmend. So kam bis 1837 lediglich ein allgemeines Nachdruckverbot sowie eine Absichtserklärung dahingehend zustande, dass die Bundesversammlung gleichartige Grundsätze zur Feststellung und zum Schutz schriftstellerischen Eigentums ausarbeiten lassen wollte.8 1839 legte der seit 1825 bestehende 5 Abgedruckt u. a. in Gesetz-Sammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1818, Anhang Nr. 23, S. 143 ff. (hier S. 154); dazu auch Simon, J., S. 27 f. 6 Ein Neudruck des Entwurfs findet sich etwa bei Gieseke, AGB 56 (2002), S. 172 f. Dazu auch Wadle, Bd. 2, S. 119 sowie Mogg, S. 79. 7 Ausführlich dazu Wadle, UFITA 108 (1999), S. 153 ff. 8 Siehe dazu die Protokolle der Deutschen Bundesversammlung, 4. Sitzung, 11.02.1819, S. 66 ff. sowie bereits Hitzig, S. 14 ff. und Wächter, VerlagsR, S. 21 ff.; ferner Gieseke, Entwicklung, S. 131; Bosse, S. 118; Dölemeyer, III / 3, S. 4012 f.;
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Börsenverein der Deutschen Buchhändler einen privaten Gesetzentwurf zur Feststellung des literarischen Rechtszustandes in den Staaten des Deutschen Bundes vor, der sowohl urheber- als auch verlagsrechtliche Bestimmungen enthielt, jedoch kaum auf das vertragliche Verhältnis zwischen Verleger und Autor einging9. Im Ergebnis waren auch diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Sie scheiterten u. a. an der Blockadehaltung Österreichs, wo man in einer Stärkung der Autorenrechte vor allem ein Mittel zur Beförderung des Bücherverkehrs und damit zur Verbreitung liberaler Ideen sah.10 In der Folge gingen die Einzelstaaten bis ins Jahr 1866 im Wesentlichen eigene Wege11.
II. Die Revisionsbemühungen um die verlagsrechtlichen Vorschriften des ALR und das preußische Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung von 1837 In Preußen bemühte man sich bereits seit 1817, das Allgemeine Landrecht und damit auch dessen verlagsrechtliche Vorschriften an die neuen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umstände anzupassen.12 Der revidierte, die verlagsrechtlichen Vorschriften enthaltende Teil über das Obligationenrecht (Teil 1, Titel 11 bis 13) wurde im März 1831 von dem für die Gesamtrevision zuständigen Ministerium zur Revision der Gesetzgebung dem preußischen Justizministerium vorgelegt.13 Dabei wurden im VerlagsWadle, Bd. 1, S. 168 f.; ders., Bd. 2, S. 119; ders., ZRG GA 106 (1989), S. 189 ff.; Stöber, S. 141 ff. sowie Wittmann, R., S. 225. 9 Der Entwurf findet sich abgedruckt bei Volkmann, S. 145 ff. Zur Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler siehe Kapp / Goldfriedrich, Bd. 4, S. 133 ff.; Wittmann, R., S. 232 ff. 10 Siehe dazu Gieseke, Privileg, S. 223 ff. 11 Kompakte Überblicke über die Ereignisse der nachfolgenden Jahre liefern etwa Vogel, GRUR 1987, S. 874 ff. und Dressel, S. 24 ff. 12 Siehe die Kabinettsordre vom 03.11.1817, wonach das „Allgemeine Landrecht […] eine Revision erfordere, um dieses „den Veränderungen anzupassen, welche seit […] [seiner] Publikation vorgefallen sind“, Gesetz-Sammlung für die KöniglichPreußischen Staaten 1817, S. 289. Dazu eingehend Dölemeyer, III / 2, S. 1493 ff.; Mogg, S. 76. 13 Der Revisionsentwurf findet sich abgedruckt bei Schubert, Revision, S. 283 ff. Das preußische Justizministerium unterteilte sich seit 1817 in zwei Ministerien. Während das erste, „eigentliche“ Justizministerium unter Heinrich Gottlob v. Mühler (17801857) für die altpreußischen Gebiete zuständig war, unterstand dem zweiten Ministerium, welches zugleich Revisionsministerium war und von Karl Albert v. Kamptz (1769–1849) geführt wurde, die Rheinprovinz, siehe Anonymus, Justizministerium, S. 11 f.
II. Revisionsbemühungen um die verlagsrechtlichen Vorschriften des ALR95
recht, das künftig in den §§ I 11 691 bis 734 geregelt sein sollte, nur marginale Änderungen vorgenommen. So besagte etwa § I 11 692 des Entwurfes nunmehr ausdrücklich, dass das Verlagsrecht dem Verfasser der Schrift zustehe, während die Vorgängernorm (§ 998 ALR) dies lediglich implizit festschrieb.14 Die Motive unterstrichen insofern, dass „jenes geistige Eigenthum, welches durch ausschließliche Vervielfältigung ausgeübt wird, […] vorhanden [sei], sofern es als vorhanden anerkannt wird“ und bereits der Umstand, dass „der Verlagsvertrag als eine besondere Art von Verträgen aufgestellt und behandelt ist, ein Anerkenntnis jenes Eigenthums an den Erzeugnissen des menschlichen Geistes darstelle“. Demnach habe man, so die Motive weiter, umso weniger Veranlassung finden können, an der Stellung und Behandlungsweise dieses Rechtsverhältnisses im Allgemeinen Landrecht etwas zu ändern15. Entsprechend hieß es auch zu den §§ 1005 ff. ALR, dass sich im Hinblick auf diese „nichts zu erinnern fand“16. Die Vorschriften wurden als §§ I 11 699–701 unverändert in den Revisionsentwurf übernommen. Dies zeigt zum einen erneut, dass man – zumindest in der Retrospektive – die verlagsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts als auf der Lehre vom geistigen Eigentum gegründet ansah und überdies das Rücktrittsrecht der §§ 1005 ff. ALR unbestritten anerkannte. Indes erlangten die revidierten Vorschriften ebenso wenig Gesetzeskraft wie die überarbeitete Gesamtkodifikation, da ihnen mit dem „Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung“17 vom 11. Juni 1837 eine spezialgesetzliche Regelung der Materie zuvorkam.18 Diese enthielt jedoch nahezu keinerlei vertragsrechtliche Vorschriften, sondern statuierte in erster Linie ein Nachahmungsverbot mit einer Schutzdauer von 30 Jahren post mortem auctoris, regelte entsprechende Ausnahmetatbestände sowie Strafen bei Missachtung desselben. Die Autorenrechte gestalteten sich insofern als bloßer Ausfluss bzw. „Reflex“ des strafrechtlich sank tionierten Nachdruckverbots.19 Gleichwohl war es das erste „moderne“ Urhe14 Siehe
oben, B. I. 1. zu dem von der Deputation vorgelegten Entwurf der Titel 11 und 13 des ersten Theils des Allgemeinen Landrechts, abgedruckt bei Schubert, Revision, S. 565. 16 Motive zu dem von der Deputation vorgelegten Entwurf der Titel 11 und 13 des ersten Theils des Allgemeinen Landrechts, abgedruckt bei Schubert, Revision, S. 567 f. 17 Preußische Gesetz-Sammlung 1837, S. 165 ff.; dazu ausführlich Hitzig, S. 21 ff.; Wadle, Bd. 1, S. 167 ff. Im Folgenden der Einfachkeit halber als „preußisches Urheberrechtsgesetz“ bezeichnet. 18 So auch Mogg, S. 76 f. 19 So auch Hansen, S. 22. 15 Motive
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
berrechtsgesetz und brachte als solches eine Reihe von Änderungen und neuen Wertungen mit sich, welche auch für die künftige Entwicklung der Rücktritts- bzw. Widerrufsrechte von Bedeutung waren und deshalb im Folgenden kurz erläutert werden sollen.20 Zum einen kam es zu einer (weiteren) Fokussierung der gesetzlichen Vorgaben auf die Person des Autors bzw. Urhebers, indem die Vorschriften in ihrer nahezu gänzlichen Breite allein auf diesen und nicht mehr auf den Verleger abstellten. Bedeutend war in diesem Zusammenhang auch die Ausdehnung des Schutzbereichs: War bisher nur die unautorisierte Reproduktion bereits gedruckter Werke (und damit der Nachdruck im eigentlichen Wortsinne) untersagt, stellte das Gesetz nunmehr auch die Vervielfältigung nachgeschriebener Predigten und mündlicher Lehrvorträge unter den Vorbehalt einer schuldrechtlichen Mandatierung durch den Autor. Heydemann sah in dieser Ausweitung eine „subjektive Erhebung des Autorrechts [sic!] über dessen frühere blos vermögensrechtliche Bedeutung“ und unterstrich in diesem Kontext, dass „es lediglich von dem freien Willen des Autors abhängt, ob und wie überhaupt sein Werk in die Öffentlichkeit treten soll. Diesem freien Willen des Autors darf deshalb […] weder aus gewinnsüchtiger Absicht noch um literarischer Zwecke willen vorgegriffen werden“21.
Daneben dehnte das Gesetz den Schutz auf andere Werkarten wie Kunstwerke aus, die nicht durch Nachdruck, sondern allein durch Nachbildung vervielfältigt werden konnten und bereitete so zumindest den Weg für künftige, allgemein gehaltene Vorschriften zur Urheber-Werknutzer-Beziehung. Schließlich führte die Aufweichung der Nachdruckzentrierung und die Einbeziehung anderer Werkarten, die auf andere Weise als den Druck vervielfältigt bzw. wiedergegeben werden konnten, zu einer ersten, wenngleich im Gesetzestext lediglich impliziten Normierung des Erstveröffentlichungsrechts des Urhebers (§ 32).22
III. Die preußischen Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 Noch am Tag des Inkrafttretens des preußischen Urheberrechtsgesetzes erging auf Anraten des preußischen Staatsrates eine Aufforderung König Friedrich Wilhelms III. an die Justizministerien, das Verlagsrecht – gleich 20 Zum Folgenden siehe insbesondere Wadle, Bd. 1, S. 176 f.; Simon, J., S. 28 sowie Vogel, FS GRUR, S. 1214 ff.; ders., GRUR 1987, S. 875; ders., GRUR 1994, S. 588. 21 Heydemann, Dt. GerZ 4 (1862), S. 42. 22 So bereits Heydemann, Dt. GerZ 4 (1862), S. 41; ähnlich Wadle, Bd. 1, S. 176 f.; Vogel, FS GRUR, S. 1214 ff.; ders., Verlagsrecht, S. 192.
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 97
dem Urheberrecht und mit Rücksicht auf dieses – neu zu regeln und dieses somit aus der allgemeinen Gesetzesrevision auszuklammern.23 Auf Grundlage beigebrachter Gutachten aus Verlagspraxis und Rechtswissenschaft (1.) wurde ein Verordnungsentwurf erstellt (2.), der als Basis für den Entwurf des Revisionsministeriums von 1839 diente (3.). Infolge seiner autorenfeind lichen Tendenz scharfer Kritik seitens des Justizministeriums ausgesetzt (4.), wurde der Revisionsentwurf verworfen und ein Entwurf des KöniglichPreußischen Literarischen Sachverständigen-Vereins als Grundlage des weiteren Verfahrens herangezogen (5.). Dieser wurde von Heydemann, zu diesem Zeitpunkt noch Mitarbeiter Savignys, abermals überarbeitet (6.), scheiterte jedoch letztlich am Unwillen des Justizministeriums, welches die anfangs noch befürwortete Revision des Verlagsrechts schließlich nicht mehr für erforderlich hielt (7.). Trotz ihres Scheiterns verdienen die preußischen Bemühungen um ein eigenständiges Verlagsgesetz aus zweierlei Gründen eine ausführliche Betrachtung: Zum einen statuierten die Entwürfe erstmals ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung, so dass Preußen auch hier die Vorreiterrolle zukam. Daneben waren an dem Verfahren neben den Justizbehörden auch Vertreter der Verlagspraxis, der Jurisprudenz sowie einschlägige Interessenverbände beteiligt, was einen Einblick in die Auffassungen aller maßgeblichen Kreise zu den Autorenrücktrittsrechten um die Mitte des 19. Jahrhunderts gewährt. Dies ist umso bedeutsamer, als Preußen zu diesem Zeitpunkt den größten Teil des deutschen Buchmarktes ausmachte24, so dass es – wie bereits die zeitgenössische Literatur unterstrich – bereits im ureigenen Interesse der übrigen Bundesstaaten lag, „sich den gesetzlichen Vorschriften zu unterwerfen, welche die preussische Gesetzgebung ertheilt[e], auch wenn kein anderer Staat Gesetze wie Preußen verkündet“25.
23 Schreiben des Königs an die Justizministerien vom 11.06.1837, in: Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 15. Mit „Justizministerien“ sind hier das eigentliche preußische Justizministerium sowie das Ministerium zur Revision der Gesetzgebung (Revisionsministerium) gemeint. Zu Hintergrund und Ablauf des verlagsrechtlichen Reformvorhabens der Jahre 1838 bis 1846 siehe Nomine, UFITA 2003 / II, S. 365 ff. 24 Wittmann, R., S. 220. 25 So die auf das württembergische Recht gemünzte Abhandlung „Ueber die Eigenthumsrechte der Schriftsteller und Künstler und ihrer Rechtsnachfolger“ des Stuttgarter Buchhändlers Neff aus dem Jahr 1838, S. 15.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
1. Das Rücktrittsrecht im Spiegel der Gutachten des Jahres 1838 Auf Grundlage des königlichen Schreibens forderte der Justizminister des Revisionsministeriums Karl Albert v. Kamptz die preußischen Universitäten sowie namhafte Praktiker im Februar 1838 zur Einreichung von Gutachten über die verlagsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts unter Berücksichtigung des Gesetzes von 1837 auf26. Daraufhin gingen Gutachten des Verlegers Duncker [a)] sowie der Universitäten Breslau [b)], Bonn [c)], Königsberg [e)], Greifswald [d)] und Berlin ein, wobei letztere sich nicht zu den Rücktrittsrechten des Autors äußerte. a) Die Verlegerperspektive: Carl Friedrich Duncker Der Berliner Verleger Carl Friedrich Duncker, seit 1828 alleiniger Inhaber des renommierten Berliner Verlagshauses Duncker & Humblot27, reichte sein umfassendes Gutachten bereits im April 1838 ein. Er befasste sich im Wesentlichen mit Fragen, die von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung für die Verlagspraxis waren, wie etwa der Dauer der Schutzfristen respektive der Fortgeltung der vor Inkrafttreten des preußischen Urheberrechtsgesetzes begründeten (Alt-)Verlagsrechte.28 Hinsichtlich des landrechtlichen Rücktrittsrechts des Verfassers schloss er sich den Motiven zur Landrechtsrevision an, indem er knapp bemerkte: „Bei § 1005, 1006, 1007 findet sich nichts zu erinnern“29. Dies verdeutlicht abermals, dass das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände wie es die §§ 1005 ff. ALR vorsahen, seitens der Verlagspraxis nicht als Ärgernis empfunden, die damit einhergehenden Entschädigungspflichten mithin als hinlänglich erachtet wurden. Hierfür spricht auch, dass der ebenfalls um ein Gutachten gebetene Berliner Verleger Georg Andreas Reimer, der u. a. die Werke Fichtes, der Gebrüder Grimm und Jean 26 Das Schreiben selbst ist in den Akten nicht enthalten, dass es diese Aufforderung gab ergibt sich indes bspw. aus Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 30. 27 Die Buchhandlung Duncker & Humblot vertrieb zum damaligen Zeitpunkt größtenteils historische und literaturgeschichtliche Arbeiten (u. a. Ranke, Hegel, Thibaut). Duncker selbst war Mitglied des deutschen Börsenvereins für den Buchhandel sowie Gründungsmitglied des bereits erwähnten literarischen Sachverständigen vereins, siehe Nomine, S. 461. 28 So etwa in Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 109; dazu auch Nomine, UFITA 2003 / II, S. 372. 29 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8 Bd. 1, Fol. 112 v.
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Pauls verlegte, hinsichtlich des gesamten Reformvorhabens einzig in Zweifelsfragen Auskunft erteilen wollte30. b) Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau Ende Juni 1838 folgte das Gutachten der juristischen Fakultät der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau. Auch diese fasste sich im Hinblick auf das Rücktrittsrecht des Autors verhältnismäßig kurz. So wies man darauf hin, dass die Ersatzpflicht des § 1006 ALR dann ungerechtfertigt sein könne, wenn die den Autor zum Rücktritt bewegenden Umstände und Hindernisse in der Person des Verlegers lagen bzw. durch diesen herbeigeführt worden sind. Beispielhaft nannte man hier insbesondere die Nichterfüllung publikationsspezifischer Abreden durch den Verleger.31. Der Schriftsteller, dem regelmäßig daran gelegen sei, sein Werk so bald als möglich publik zu machen, müsse in diesem Fall zum Rücktritt befugt sein, ohne dem Verleger gegenüber entschädigungspflichtig zu werden32. Voraussetzung sollte jedoch sein, dass der Verleger die zur Veröffentlichung und Verbreitung bestimmte Frist nicht eingehalten habe oder – im Falle des Fehlens einer ausdrücklichen Fristvereinbarung – vergeblich gemahnt worden sei. Insofern bestätigte das Breslauer Gutachten, dass man auch die Konstellation der Nicht- bzw. nicht hinreichenden Ausübung des Verlagsrechts unter § 1005 ALR subsumierte, wobei man eine Modifikation der §§ 1006 f. ALR zugunsten des Autors als notwendig erachtete, sofern der Rücktritt durch den Ver leger veranlasst worden war. c) Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn Gleich mehrere Gutachten lieferte die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn im August 1838. Hierbei befassten sich jedoch nur die Gutachten des Ordinarius Peter Franz Deiters, dem späteren Bonner Abgeordneten zur Frankfurter Nationalversammlung [aa)], sowie die darauf Bezug nehmenden 30 Siehe das Schreiben Reimers vom 21.02.1838, in: Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 29 r. Zu Reimer auch Wittmann, R., S. 236 f. 31 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 120 v., 121 r. 32 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 121 r.
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kritischen Bemerkungen seines Kollegen Freytag von der philosophischen Fakultät [bb)] mit dem Rücktrittsrecht der §§ 1005 ff. ALR.33 aa) Das Gutachten Deiters’ Deiters, der seinen Betrachtungen die skeptische Feststellung vorwegschickte, seine Bemerkungen seien weniger wirklicher Lebenserfahrung denn „einer Erfahrung [entsprungen], wie sie die Fantaisie des Juristen macht, wenn er sich, in ein bestimmtes Verhältnis vertiefend, die Möglichkeiten hinstellt und durchdenkt, welche juristische Fragen veranlassten könnten“34, monierte, dass die §§ 1005 und 1006 ALR unter bestimmten Umständen zu Unbilligkeiten führen konnten. Aufgrund dessen müsse stets auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden35. Für unproblematisch erachtete er dabei den Fall, dass der Schriftsteller sein Werk bei selbstkritischer Prüfung für nicht bedeutend genug hielt und es dehalb zurückzog. Hier sei der auf Ersatz des positiven Interesses gerichtete Ausgleichsanspruch des Verlegers i. S. d. § 1006 ALR gerechtfertigt. Anders gelagert war in den Augen Deiters der Fall einer „litterarische[n] Collision“ dergestalt, dass dem Autor ein anderer Verfasser mit der Publikation eines Werkes zum gleichen Thema zuvorkam. Hier sei der Rücktritt des Autors gerade im Interesse des Verlegers, da die Herausgabe eines redundanten Werkes für letzteren ein nicht unbedeutendes wirtschaftliches Risiko bedeute. Deiters ging davon aus, dass sich der Verleger mit dem Autor in diesem Fall gütlich einigen, § 1006 ALR demnach ohnehin nicht zur Anwendung kommen würde. Entsprechendes galt, wenn die Schrift auf ein ganz bestimmtes Zeitinteresse berechnet war und sich etwa die politischen Umstände änderten. Wiederum anders seien hingegen Fälle zu betrachten, in denen das Manuskript unterging oder die Herausgabe von der Zensur untersagt wurde. In diesem Fall sei zumindest nach dem Verschulden bzw. der Kenntnis der Vertragsparteien zu fragen, um eine saubere Abgrenzung zur Unmöglich33 Die übrigen „Bonner Gutachten“ stammten von dem Bonner Buchhändler Marcus, dem Chemiker Bischof sowie dem Juristen und späteren Schlegel-Herausgeber Böcking, enthalten in Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 127 ff. 34 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 127 r. 35 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 129 v.
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keitsregelung des § 1010 ALR zu ermöglichen und ggf. den Ersatzanspruch des § 1006 ALR entsprechend anzupassen. Dessen Wortlaut, der den Ausgleich auf die „zum Abdruck etwa schon getroffenen Veranstaltungen“ begrenzte, hielt Deiters für zu eng, insbesondere da sich der Autor auch noch im Zeitraum zwischen Vollendung des Drucks und Beginn der Herausgabe entschließen könne, sein Vorhaben aufzugeben36. In der Folge schlug er eine Umformulierung des § 1006 ALR vor, nach welcher die Beschränkung des Ersatzanspruchs auf die bloßen Druckauslagen aufgehoben und der Umfang des Ersatzanspruches des Verlegers von dem Grad der Verantwortlichkeit der Parteien abhängig gemacht werden sollte37. Die Regelung des § 1007 ALR, wonach der Autor, der sein Werk binnen Jahresfrist nach dem Rücktritt anderweitig herausgab, auch auf den entgangenen Gewinn haftete, hielt Deiters indes für zu autorenbegünstigend, zumal wenn dem Autor ein anderer Verleger günstigere Konditionen in Aussicht stellte38. bb) Das Gutachten Freytags Ergänzend zum Gutachten Deiters äußerte sein Kollege Freytag im Hinblick auf den Umfang der Ersatzpflicht des § 1006 ALR Bedenken dahingehend, dass sich aus dem Rücktritt des Autors auch ein Schaden ergeben könne, der sich nicht durch den bloßen Ersatz der Druckkosten ausgleichen ließe, etwa wenn der Verleger infolge des Vertragsschluss andere aussichtsreiche Publikationsvorhaben zurückweisen musste, da seine Kapazitäten die parallele Ausführung beider Unternehmen nicht gestatteten. Anknüpfend an Deiters Forderung nach einer Ausdehnung des Ersatzanspruchs auf sämtliche bis zur Herausgabe getätigten Aufwendungen schrieb Freytag, dass nach Beginn der Vervielfältigung „kein Rücktritt des Verfassers ohne vollständigen Schadensersatz zu gestatten sey, da von der anderen Seite auch der Buchhändler gegen Laune und Willkür hinlänglich geschützt wer36 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 130 r. / v. Offenkundig leitete Deiters aus der Formulierung „schon getroffen“ eine temporäre Begrenzung des Rücktrittsrechts auf den Zeitraum bis zur Vollendung des Drucks ab, welche es jedoch angesichts des Umstandes, dass der Rücktritt ausweislich der Akten bis zum Beginn der Herausgabe zulässig war, nicht gab. 37 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 130 v. 38 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 130 v.
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den muss“. Schlussendlich stünde dies jedoch im „arbitrium iudicis“39. Somit plädierte auch Freytag dafür, dass die für dem Rücktritt maßgeblichen Umstände und Hindernisse zum Zwecke der Missbrauchsprävention der richterlichen Prüfung zugänglich sein müssten. Im Ergebnis vertrat die Universität Bonn eine tendenziell verlegerfreund liche Position, was auch die Zusammenfassung der Gutachten durch den Bonner Senat zeigte, in der es hieß, dass die §§ 999 bis 1010 ALR im Allgemeinen beizubehalten seien, da hierdurch das Recht des Verlegers gegen den Autor (sic!) hinreichend geschützt sei40. Eine Einschätzung, die sich für den weiteren Verlauf des Kodifikationsverfahrens als geradezu prophetisch erweisen sollte. d) Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. Andere Wege ging die ostpreußische Universität zu Königsberg. Anstelle eines Gutachtens reichte man seitens der Albertina Ende August 1838 einen ganzen Verlagsgesetzentwurf ein (KE). Dieser definierte den Verlagsvertrag in § 1 KE als einen „Vertrag zwischen einem Schriftsteller und einem Buchhändler, durch welchen der Erstere das ihm zustehende Recht zur Veröffentlichung und Verbreitung seiner Schrift ganz oder theilweise auf den Letztern überträgt, dieser dagegen verspricht, das ihm übertragene Werk auf seine Kosten drucken zu laßen und für möglichste Verbreitung desselben auf dem gewöhnlichen Wege des Buchhandels sorgen zu wollen“41. Der Königsberger Entwurf normierte somit über die Notwendigkeit der schuldrechtlichen Ermächtigung des Verlegers hinaus ausdrücklich ein (Erst-)Veröffentlichungsrecht des Autors einerseits und eine Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht des Verlegers auf der anderen Seite42. Hierauf aufbauend hieß es in § 7 KE: 39 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 138 r. / v. 40 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 154. 41 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 176 r. 42 Letztere forderten übrigens sämtliche Gutachten, obschon die Veröffentlichungspflicht des Verlegers trotz des Fehlens einer dies ausdrücklich bestimmenden Norm im Allgemeinen Landrecht seit jeher unbestritten war, was auch die weitgehende Anerkennung eines Rücktrittsrechts des Autors wegen Nichtausübung in der Literatur zeigt; dazu Schürmann, S. 154; Nomine, UFITA 2003 / II, S. 373 sowie oben, B. I. 3. lit. c) bb).
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„Ereignen sich Umstände und Hindernisse, welche den Verfasser veranlassen, das versprochene Werk gar nicht herauszugeben, so kann er vom Vertrage zurücktreten. Er muss aber dem Verleger den Schaden ersetzen, welcher demselben aus den zum Abdrucke aber schon getroffenen und durch den Rücktritt unnütz werdenden Anstalten wirklich entsteht“43.
Demnach beschränkte man sich seitens der Universität Königsberg auf eine wörtliche Übernahme der §§ 1005 f. ALR, während § 1007 ALR gänzlich entfallen sollte. Hierzu hieß es in den beigelegten Motiven44, dass eine anderweitige Herausgabe nach Rücktritt zwar grundsätzlich eine strengere Ahndung verdiene, der Gesetzgeber bei Schaffung des § 1007 ALR jedoch insofern über das Ziel hinausgeschossen sei, als die Vorschrift von einem arglistigen Handeln des Autors ausgehe, was jedoch keineswegs zwangsläufig der Fall sein müsse. Insofern schlug die Universität Königsberg anstelle des § 1007 ALR eine präzisierende Erweiterung des § 1006 ALR um folgenden Passus vor: „Falls dem Schriftsteller dabei ein Dolus zur Last falle, erstrecke sich seine Entschädigungspflicht auf den entgangenen Gewinn des Verlegers.“
Alternativ empfahl man die gänzliche Streichung der Haftung auf den entgangenen Gewinn, zumal hier ohnehin auf die allgemeinen Regelungen zum Schadensersatz verwiesen werden könne. Andererseits spräche jedoch auch einiges dafür, das Verlagsvertragsverhältnis nach Rücktritt und Ersatz des positiven Schadens des Verlegers45 als gänzlich aufgelöst zu betrachten und den Verleger hinsichtlich etwaiger Ansprüche wegen anderweitiger 43 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 176 v. 44 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 180 r. bis 191 v. 45 Das ALR differenzierte ausdrücklich zwischen Schaden („jede Verschlimmerung des Zustandes eines Menschen, in Absicht seines Körpers, seiner Freyheit, oder Ehre, oder seines Vermögens“, § I 6 1) und Interesse („Aller Nachtheil, welcher für jemand daraus entstanden ist, daß der Andere seinen Pflichten gegen ihn nicht nachgekommen, wird unter dem Interesse begriffen“, § I 5 286 ALR). „Es wird also bei Bestimmung des Interesses nicht bloß auf den wirklichen Schaden, sondern auch auf den durch Nichterfüllung des Contracts entgangenen Vortheil Rücksicht genommen“, § I 5 287 ALR, wobei „Vortheile, die jemand erlangt haben würde, wenn eine gewisse Handlung oder Unterlassung nicht vorgefallen wäre, […] zum entgangenen Gewinn gerechnet“ werden, § I 6 5 ALR. „Bey Bestimmung des entzogenen Gewinns“ sollte indes „nur auf solche Vortheile, die entweder nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge und der Geschäfte des bürgerlichen Lebens, oder vermöge gewisser schon getroffener Anstalten und Vorkehrungen, vernünftiger Weise erwartet werden konnten, Rücksicht genommen“ werden, § I 6 6 ALR. Siehe dazu etwa Bielitz, Bd. 2, S. 4 ff.
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erausgabe auf den Klageweg zu verweisen46. Wie § 7 KE zeigt, entschied H man sich in Königsberg schlussendlich für diesen Weg und damit für eine ausgesprochen autorenfreundlichere Variante, wobei auch hier die Befürchtung praktischer Schwierigkeiten bei der Bestimmung des entgangenen Gewinns im Verlagsgewerbe eine Rolle gespielt haben mag. e) Königliche Universität zu Greifswald Das Gutachten der Königlichen Universität zu Greifswald ging im November 1838 ein47. Es griff insbesondere die von Bielitz und Bornemann aufgeworfene Frage der richterlichen Überprüfbarkeit der Rücktrittsgründe i. S. v. § 1005 ff. ALR auf und schloss sich der Ansicht Bornemanns, dass alles in das Ermessen des Verfassers gestellt sei, an. Dies entspräche, so das Greifswalder Gutachten, sowohl dem Wortsinn als auch dem Geist der Vorschriften, weshalb man eine Umformulierung der Wendung des § 1005 ALR „Ereignen sich Umstände oder Hindernisse, welche den Verfasser veranlassen“ in „sieht sich der Verfasser veranlasst“ oder „giebt der Verfasser den Entschluss auf“ vorschlug, um die Unabhängigkeit der persönlichen Einschätzung des Verfassers von richterlicher Kontrolle zu unterstreichen. Die Universität Greifswald vertrat somit gleichermaßen eine autorenfreundliche Position, welche die subjektiven Umstände des Verfassers stärker in den Fokus rückte, was insbesondere in der Wortwahl „sich veranlasst sehen“ und „Entschluss“ zum Ausdruck kam. Hinsichtlich der Haftung des Verfassers auf den entgangenen Gewinn nach § 1007 ALR unterstrich das Greifswalder Gutachten zwar die grundsätzliche Berechtigung dieser Regelung, betonte jedoch zugleich, dass der Nachweis des entgangenen Gewinns der Höhe nach regelmäßig schwierig sein dürfte, insbesondere da der neue Verleger nicht gezwungen werden könne, seine Bücher offenzulegen. Man empfahl, für diesen Fall zumindest festzulegen, nach welchen Grundsätzen der entgangene Gewinn zu bestimmen sei, gab jedoch zu bedenken, dass hier „nur ein Buchhändler zweckmäßige Vorschläge thun“ könne48.
46 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 1, Fol. 184 v., 185 r. 47 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 1, Fol. 191–200. 48 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 1, Fol. 194 v., 195 r.
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2. Der Entwurf einer Verordnung über den Verlags-Vertrag vom 12. März 1839 Aufbauend auf den beigebrachten Gutachten legte v. Kamptz’ Mitarbeiter Wilhelm von und zur Mühlen am 12. März 1839 den Entwurf einer „Verordnung über den Verlags-Vertrag“49 (VE) vor. Dessen grundlegender § 1 VE definierte den Verlagsvertrag als denjenigen Vertrag „wodurch der Verfasser einer Schrift, das ihm nach dem Gesetze vom 11ten Juni 1837 zustehende Recht zur ausschließlichen Vervielfältigung desselben zum Zweck des Absatzes im Publikum an einen Verleger abtritt“50. Hier wurde zum ersten Mal ausdrücklich eine Pflicht des Verlegers zur Ausübung des Verlagsrechts normiert. Rücktrittsrechte enthielt der Entwurf – entsprechend dem preußischen Landrecht – sowohl für den Verleger als auch für den Autor. a) Rücktrittsrecht des Verlegers bei Nichterfüllung durch den Autor Die §§ 6 bis 9 VE betrafen insbesondere den Fall, in dem der Autor das Manuskript nicht fristgemäß oder unvollständig lieferte. § 6 VE bestimmte, dass der Autor den Vertrag durch rechtzeitige Ablieferung des Manuskripts zu erfüllen habe, andernfalls der Verleger nicht mehr an den Vertrag gebunden und überdies berechtigt sei, das etwa bereits Gegebene zurückzu fordern. In seinem handschriftlichen Kommentar unterstrich zur Mühlen, dass diese Regelung exakt jener des Allgemeinen Landrechts entspräche (§§ 1000 f. ALR). Eine Haftung des Verfassers auf vollumfängliche Schadloshaltung des Verlegers, wie sie etwa § 1166 des österreichischen ABGB vorsah, lehnte er als unnütze und nicht zu rechtfertigende Weiterung ab51. Entsprechend hieß es in § 9 VE, dass der Verleger, der wegen Nichterfüllung des Vertrages durch den Autor zurücktrat52, keinen Aufwendungsersatz 49 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 202–210; Reinschrift auf Fol. 212 ff. Der Entwurf findet sich zudem abgedruckt bei Nomine, UFITA 2003 / II, S. 389 ff. 50 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 203 r. 51 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 204 r. 52 Obwohl der Wortlaut des § 6 VE die Annahme nahelegt, dass der Verlagsvertrag in diesem Fall ipso iure erlöschen sollte, zeigt diese Formulierung, dass es sich um ein Gestaltungs- bzw. Rücktrittsrecht des Verlegers handelte. Dies ergibt sich
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fordern könne. Dies war gemäß § 9 VE erst dann möglich, wenn der Verfasser seinerseits erklärte, dass er das versprochene Werk nicht herausgeben wolle oder mit der Ablieferung des Manuskripts über eine (gegebenfalls gerichtlich auf Grundlage von Sachverständigengutachten festzusetzende) Nachfrist hinaus zögerte und der Verleger infolgedessen zurücktrat53. Für den Verleger ergaben sich somit zwei Möglichkeiten des Rücktritts: Einmal konnte er bei nicht fristgemäßer Lieferung durch den Autor sofort zurücktreten, durfte dann jedoch lediglich „das Gegebene“ zurückfordern, was primär auf ein etwa bereits gezahltes Autorenhonorar abzielte. Weitergehende Aufwendungen – insbesondere im Hinblick auf die künftige Vervielfältigung und Verbreitung – durfte der zurücktretende Verleger lediglich dann ersetzt verlangen, wenn der Autor trotz Nachfristsetzung nicht lieferte oder seinerseits zurücktrat. Eine Haftung des Autors auf entgangenen Gewinn sah der Entwurf für den verlegerseitigen Rücktritt nicht vor. b) Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände / freies Autorenrücktrittsrecht Das Rücktrittsrecht des Autors war im Entwurf zur Mühlens somit nicht mehr selbstständig geregelt, sondern in die primär den Rücktritt des Verlegers regelnde Vorschrift des § 9 VE integriert („wenn der Verfasser seinerseits erklärt, daß er sich entschlossen, das versprochene Werk nicht herauszugeben“). Der Entwurf sprach dabei nicht mehr von „Hindernissen“ oder „veränderten Umständen“, sondern billigte dem Verfasser ein vollkommen freies Rücktrittsrecht bis zur Herausgabe zu, ohne an die diesbezüglichen Beweggründe irgendwelche Anforderungen zu stellen. Zur Regelung des § 9 VE schrieb zur Mühlen: „Das ALR stellt, wie ich glaube, in dem § 1005 [ALR] den Rücktritt von Seiten des Schriftstellers ziemlich in seine Willkür54, verpflichtet ihn aber dann zum Schaauch aus den übrigen nachfolgenden Vorschriften. So sprach § 7 VE davon, dass der Verleger für den Fall, dass keine Frist für die Lieferung des Manuskripts vereinbart war, eine solche bestimmen könne (nicht unter drei Monaten) und andernfalls die „im vorstehenden Paragraphen bezeichnete Befugnis“ habe, was auf ein Gestaltungsrecht schließen lässt. Entsprechend bestimmte auch § 8 VE, dass bei Teillieferungen der „Verleger, welcher vom Vertrage zurücktritt, den Ersatz der darauf verwendeten Auslagen gegen Ablieferung der fertig gewordenen Drucklagen von dem Verfasser fordern“ könne, siehe Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 204 r. / v. 53 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 204 v.
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densersatz. Es liegt am Tage, daß, wenn er nur zögern darf, um keinen Schadensersatz zu leisten, er nie die in § 1005 [ALR] vorausgesetzte Erklärung abgeben, sondern einfach beim Zögern bleiben“ werde.
Diese Feststellung bezieht sich auf ein bis dato an keiner Stelle thematisiertes Problem, welches sich aus einer Zusammenschau der den Verleger bei Nichtlieferung des Manuskripts durch den Autor zum Rücktritt berechtigenden §§ 1000 bis 1004 ALR (die im Wesentlichen in Gestalt der §§ 6 bis 8 VE übernommen wurden) und den §§ 1005 ff. ALR ergab. Lieferte der Autor demnach einfach nicht, konnte der Verleger zurücktreten, ohne dass ihm daraus ein verlagsrechtlicher Schadens- bzw. Aufwendungsersatzanspruch gegen den Verfasser erwuchs (§§ 1000 f. ALR); allenfalls ein bereits entrichtetes Autorenhonorar konnte der Verleger zurückverlangen. Trat der Autor dagegen nach § 1005 ALR zurück, war im Mindesten der Ersatzanspruch nach § 1006 ALR die Folge. Demnach konnte es für den Autor – zumindest bis zur Ablieferung des Manuskripts – günstiger sein, nichts zu tun und auf einen Rücktritt des Verlegers zu spekulieren. Entsprechend konstatierte zur Mühlen, dass hier „notwendig […] ein anderer Ausweg getroffen werden“55 müsse. Diesen sah er in den von ihm unterbreiteten Vorschlägen, wonach der Verleger bei Nichterfüllung durch den Autor eine Nachfrist setzen und nach deren erfolglosem Verstreichen dieselben Ansprüche geltend machen konnte, wie bei einem Rücktritt durch den Autor (Aufwendungsersatz). Ein gänzlich haftungsfreies „Zögern“ durch den Autor war damit nicht mehr möglich – wollte dieser den Vertrag auflösen, musste er zurücktreten. Im Übrigen blieb der Entwurf der Regelung der §§ 1005 f. ALR inhaltlich treu. § 1007 ALR fand seinen Niederschlag in § 10 VE, gemäß dem „der Verfasser, welcher hiernächst binnen Jahresfrist, vom Tage des von ihm erklärten Rücktritts, oder dem Zeitpunkte, wo der Vertrag in Gemäßheit des vorstehenden Paragraphen durch seine Zögerung aufgelöst worden, angerechnet, das versprochene Werk in einem anderen Verlage oder auf eigene Rechnung herausgibt, 54 Der Begriff des „willkürlichen“ Rücktrittsrechts wurde im weiteren Verlauf regelmäßig zur Bezeichnung eines nicht von konkreten bzw. enumerativ benannten Tatbestandsvoraussetzungen / Rücktrittsgründen abhängigen Rücktrittsrechts gebraucht. Um Missverständnisse im Hinblick auf divergierende Verwendungen des Begriffs im damaligen („willkürliche“ Ausübung des Rücktrittsrechts i. S. v. rechtsmissbräuch licher Ausübung – z. B. unten, C. III. 3. lit. b)) wie auch im heutigen Sprachgebrauch zu vermeiden, wird im Folgenden, wie bereits oben im Kontext des ABGB, vom „freien“ Rücktritt / Rücktrittsrecht gesprochen, wenn ein Rücktritt / Rücktrittsrecht ohne konkrete Anforderungen an die Rücktrittsgründe gemeint ist. 55 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 204 r.
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[…] außerdem den entgangenen Gewinn ersetzen oder nach der Wahl des Verlegers mit dem er zuerst contrahiert hatte, das von dem einen Verleger erhaltene Honorar statt des Schadensersatzes an ihn entrichten [müsse].56
Zutreffend schrieb zur Mühlen, dass sich die Bestimmung des § 1007 ALR hier im Wesentlichen wiederfände. Man habe jedoch die Worte „ohne Vorwissen und Einwilligung des ersten Verlegers herausgeben“ gestrichen, da die fehlende Zustimmung des Verlegers der Vorschrift immanent sei. Überdies bemühte sich zur Mühlen um eine Berücksichtigung der seitens der Universitäten monierten Schwierigkeiten bei der Bestimmung des entgangenen Gewinns, indem er es dem Verleger freistellte, wahlweise das von dem Zweitverleger erhaltene Honorar herauszuverlangen57. c) Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung Der Entwurf zur Mühlens sah mit § 11 VE auch ein ausdrücklich normiertes Rücktrittsrecht des Autors bei Nichtausübung durch den Verleger vor: „Der Verleger, welcher nach erfolgter Ablieferung der vollständigen Handschrift […] den Vertrag nicht in der verabredeten Frist, oder, wenn keine Frist bestimmt ist, nicht sofort erfüllt, muß dennoch das bedungene Honorar zahlen, und der Verfasser kann seine Handschrift zurückfordern, welche er in diesem Falle auf Belieben anderweit vervielfältigen zu lassen oder in Verlag zu geben, befugt ist“58.
Zwar sprach die Vorschrift nicht ausdrücklich einem Rücktritt, doch belegt bereits die Formulierung „kann seine Handschrift zurückfordern“ und „anderweit vervielfältigen“ einen entsprechenden Charakter der Norm. Der Entwurf griff hier die in den Monita wiederholt geäußerte Kritik auf, dass das Allgemeine Landrecht den Verlagsvertrag als ein Geschäft betrachte, wodurch nur der Verleger Rechte erwerbe, während sich die Ansprüche des Autors auf das Honorar zu beschränken schienen. Mit ausdrücklichem Verweis auf die einstimmige Kritik beabsichtigte man, mit § 11 VE der Verpflichtung des Verlegers zur tatsächlichen Vervielfältigung des Werkes Rechnung zu tragen. Demnach könne es im Fall der Nichtausübung keine andere 56 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 205 r. 57 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 205 r.; der Wortlaut „zur Strafe herauszugeben“ belegt, dass der Verpflichtung zum Ersatz des entgangenen Gewinns nach § 1007 ALR bzw. § 10 VE eindeutig auch eine punitive Funktion zugesprochen wurde. 58 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 205 r.
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Folge geben, als „daß das Honorar dennoch bezahlt wird und das Werk vom Verfasser anderweit herausgegeben werden kann“59. Das Rücktrittsrecht des Verfassers wegen Nichtausübung war somit klar als Instrument zur Durchsetzung des mittlerweile als grundsätzlich in der Hand des Autors liegend erachteten Rechts zur ausschließlichen Vervielfältigung60 avisiert und stellte die Kehrseite der entsprechenden Mandatierung des Verlegers dar. 3. Der Ministerialentwurf zu einem Gesetz über den Verlagsvertrag vom Juni 1839 Auf Grundlage dieses Entwurfs kam es im April und Mai 1839 zu einer Reihe von Sitzungen der Gesetzgebungskommission des Revisionsministeriums unter Vorsitz v. Kamptzʼ61. Auf Grundlage dieser Beratungen entstand der „Entwurf zu einem Gesetz über den Verlagsvertrag“ vom Juni 1839 (ME)62. a) Regelungsinhalt Grundsätzlich folgte der Entwurf dem Mühlenschen Vorschlag und damit den verlagsrechtlichen Regelungen des ALR.63 Dies galt jedoch nicht für die Vorschriften, welche den Rücktritt vom Verlagsvertrag regelten. Insbesondere die Haftung des zurücktretenden Autors war in signifikanter Weise verschärft worden. So lautete § 5 ME nunmehr:
59 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 205 r. / v. 60 Dies betonte zur Mühlen in seinem Entwurf mehrmals mit Verweis auf das Urheberrechtsgesetz von 1837, siehe Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 203 r., 204 v. 61 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 224 ff. Weitere Mitglieder der Kommission waren die Justizbeamten F. Düesberg, G. v. Moeller, E. Vosswinkel, Liel und W. Heffter sowie die Richter Scheffer (O. Tribunal-Rat) und W. Bischoff (Landgerichtsrat). Dazu auch Nomine, UFITA 2003 / II, S. 374. 62 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 250 ff.; Reinschrift auf Fol. 260 ff. Der Entwurf findet sich zudem bei Nomine, UFITA 2003 / II, S. 392 ff. 63 Nomine, UFITA 2003 / II, S. 374.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
„Wenn der Verfasser die vollständige Handschrift […] nicht in der verabredeten Zeit abliefert, so kann der Verleger nach seiner Wahl von dem Vertrage zurücktreten, das etwa gezahlte Honorar zurückfordern, und für die zum Zwecke des Drucks bereits gemachten Anstalten und den ihm entgangenen Gewinn Schadens-Ersatz verlangen, – oder auf Erfüllung klagen, und, wenn hiernächst der Verfasser die Handschrift nicht abliefern zu wollen erklärt, oder nach erfolgter Verurtheilung nicht abliefert, nach Maaßgabe des dem Verfasser zur Last fallenden Verschuldens, vollständige Schadloshaltung, selbst für den entgangenen Gewinn, fordern.“
Daran anknüpfend bestimmte § 7 ME: „Giebt der Verfasser das Werk […] binnen fünf Jahren von dem Zeitpunkte an, wo der Vertrag erfüllt werden sollen, in einem andern Verlage heraus, so muß er dem ersten Verleger das neuerdings erhaltene Honorar, nach Abzug dessen, was er nach Vorschrift §.5. als entgangenen Gewinn bereits gezahlt hat, herausgeben.“
Das Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichterfüllung durch den Verleger war schließlich in § 11 ME normiert: „Wenn der Verleger nach erfolgter Ablieferung der vollständigen Handschrift […] die Vervielfältigung und Veröffentlichung der Schrift zu der bestimmten Zeit nicht bewirkt, so hat der Verfasser die Wahl, entweder auf Erfüllung und Schadens-Ersatz wegen der Zögerung zu klagen oder vom Vertrage zurückzutreten. In letzterem Falle muß von der einen Seite das Honorar und von der anderen Seite das Manuskript herausgegeben werden.“
Demnach blieb das Rücktrittsrecht des Verlegers explizit geregelt, während das des Autors – außer im Fall der Nichtausübung durch den Verleger – in § 6 ME lediglich implizit enthalten war: Der Rücktritt des Autors wegen veränderter Umstände entsprach somit – ähnlich § 1166 ABGB – der schlichten Nichtablieferung des Werkes. Im Entwurf zur Mühlens hatte der Verfasser bei einem sofortigen Rücktritt des Verlegers nach Fälligkeit, d. h. ohne Nachfristsetzung („einfaches Zögern“), nur ein etwa schon gezahltes Autorenhonorar herauszugeben. Bei einem Rücktritt nach gesetzter und erfolglos verstrichener Nachfrist traf ihn, ebenso wie beim eigenen Rücktritt, darüber hinaus lediglich die Pflicht, die vergeblichen Aufwendungen des Verlegers zu ersetzen. Auf den entgangenen Gewinn haftete er nur bei anderweitiger Herausgabe binnen Jahresfrist. Der Gesetzentwurf verschärfte diese Haftung dergestalt, dass der Autor bereits bei „einfachem Zögern“, d. h. verspäteter Lieferung des Manuskripts ohne (Nach-)Fristsetzung, sowohl auf vergebliche Aufwendungen als auch auf den entgangenen Gewinn haftete. Darüber hi naus wurde dem Verleger erstmalig und entgegen der allgemein vorherrschenden Auffassung, dass sich ein schöpferischer Geist nicht zwingen lasse, Klagebefugnis eingeräumt, während die Haftungsfrist bei anderweitiger Herausgabe auf fünf Jahre ausgedehnt wurde. Auch hinsichtlich des Rücktrittsrechts des Autors bei Nichtausübung blieb der Gesetzentwurf hinter dem Entwurf zur Mühlens zurück: Während letzterer mit § 11 VE dem Autor im
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 111
Falle der Nichtausübung den Honoraranspruch erhielt, insbesondere also ein bereits entrichtetes Autorenhonorar einbehalten werden durfte, war dieses nach § 11 ME ausdrücklich herauszugeben. Schließlich wurde entsprechend § 6 ME auch in § 11 ME der Rücktritt als Alternative zur Klage auf Erfüllung normiert. Die Gründe für diese Änderungen können anhand der Beratungsprotokolle sowie der Motive zum Gesetzentwurf nachvollzogen werden, die v. Kamptz zusammen mit der Reinschrift des Entwurfs im Juli 1839 an den Justizminister Heinrich Gottlob v. Mühler übersandte64. b) Grundtendenz und Zielsetzung des Entwurfs Aus dem Rücktrittsrecht des § 1005 ALR, nach dem es nur darauf ankäme, „daß Umstände vorhanden sind, welche den Verfasser zu einem veränderten Entschluss veranlassen“ folgerte man, dass nach Allgemeinem Landrecht die Erfüllung des Verlagsvertrages ausschließlich in der Hand des Autors lag. In einer nachträglich eingefügten, nur schwer zu entziffernden Randbemerkung unterstrich v. Kamptz, dass man eine Änderung der §§ 1005 ff. ALR vor allem deshalb als notwendig erachtete, da man ein Ausarten dieser Befugnis in Willkür befürchtete65. Besonders betonte man die Gefahr, dass Autoren das Rücktrittsrecht dazu missbrauchen könnten, sich vom Vertrag zu lösen, wenn ihnen ein anderer Verleger bessere Konditionen in Aussicht stellte. Mit Verweis auf die strenge Haftung nach österreichischem ABGB, dessen § 1166 bereits bei verspäteter Ablieferung des Werkes einen vollumfänglichen Schadensersatzanspruch des Verlegers statuierte66, beabsichtigte man, „die Schwindeleien, Unüberlegtheiten [sic] oder Speculationen der Schriftsteller“ einzudämmen oder zumindest nicht (weiter) zu begünstigen, zumal sich die Verleger „ohnehin schon, dem Schriftsteller gegenüber, in einer (viel)67 nachtheiligern Lage [befänden], indem sie wegen des übernommenen Verlags anderer Verlags-Artikel sich entschlagen haben68 und äußerst selten den 64 Die Motive vom 06.07.1839 waren betitelt mit „Den Entwurf zu einem Gesetze über den Verlagsvertrag betreffend“ und finden sich in: Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 277 ff. sowie mit handschriftlichen Verbesserungen v. Kamptzʼ Fol. 294 ff. 65 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 298 v. 66 Siehe dazu oben, B. III. 67 Nachträglich eingefügt. 68 Sinngemäß: Verzichtet haben, siehe Grimm / Grimm, Sp. 602 ff.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
entgangenen Gewinn vollständig nachweisen“69 könnten. Bereits dieser einleitende Passus verdeutlicht die Tendenz des Gesetzentwurfes, den Verleger zu begünstigen und der Autorenschaft – ähnlich wie einige Jahrzehnte zuvor bereits Friedrich Nicolai70 – Schwindelei, zumindest jedoch Unzuverlässigkeit zu unterstellen.71 c) Nachfristloses Rücktrittsrecht des Verlegers und Ausdehnung des Schadensersatzanspruches In den Motiven wurde entsprechend dem Wortlaut des § 5 ME zwischen einer Klage auf Erfüllung und dem Rücktritt („Wahl zwischen Klage auf Erfüllung oder […] Rücktritt“) differenziert. Auch hier schickte man die Bemerkung vorweg, dass es weder gerecht noch ratsam sei, auf eine Klage befugnis des Verlegers zu verzichten72. Vielmehr betonte v. Kamptz, dass es dem Verleger im Einzelfall freistehen müsse, je nach Art des Werkes und der konkreten Gegebenheiten des literarischen Marktes zwischen einer Klage auf Erfüllung und dem Rücktritt bzw. der Klage auf Schadensersatz zu wählen. Er begründete dies damit, dass es dem Verleger unter Umständen keineswegs gleichgültig sei, ob das Werk zum vereinbarten Zeitpunkt oder aber später erscheine, da das Interesse an der Schrift so temporär sein könne, dass diese – wäre sie rechtzeitig erschienen – reißenden Absatz gefunden hätte, während sie zu einem späteren Zeitpunkt auf keinerlei Interesse mehr stieß73. Als Beispiel führte er hier Flugschriften an74. 69 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 299 v. 70 Siehe oben, B. I. 3. lit. a). 71 Ähnlich auch Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 300 v. Zum Autorenbild um 1840 siehe Wittmann, R., S. 247 f. 72 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 299 v. 73 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 300 r. 74 Protokoll der Sitzung vom 26.04.1839, in: Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 228 r. Tatsächlich kam es in den 1830er Jahren, trotz (oder gerade wegen) der obrigkeitlichen Zensur auf Grundlage der Karlsbader Beschlüsse zu einer Blüte des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens in Gestalt sogenannter „Pfennig-“ oder „Hellermagazine“, die ihren Höhepunkt im Revolutionsjahr 1848 fand; siehe dazu Kapp / Goldfriedrich, Bd. 4, S. 208 f.; Stöber,
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 113
Aus diesem Grund, so die Motive weiter, könne dem Verleger der sofortige Rücktritt bereits bei verzögerter Erfüllung nicht versagt und insbesondere nicht ohne Entschädigung für seine Aufwendungen und den entgangenen Gewinn zugemutet werden75. Beides ergebe sich bereits aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen (womit die allgemeinen vertragsrechtlichen Regelungen der §§ I 5 377 ff. ALR gemeint waren76), von welchen umso weniger abgegangen werden könne, als der Verleger den entgangenen Gewinn ohnehin in den seltensten Fällen würde nachweisen können und die Unzuverlässigkeit des Autors keine Begünstigung verdiene77. Deshalb habe man sich auch dagegen entschieden, die Regelung des § 1007 ALR zu übernehmen und den Anspruch des Verlegers auf vollständige Schadloshaltung auf Fälle der anderweitigen Herausgabe binnen Jahresfrist zu beschränken78. Auf die Schwierigkeit der Schadensberechnung, welche bereits in den universitären Gutachten wiederholt angeführt worden war79, kamen die Motive ebenfalls zu sprechen. Kamptz schrieb dazu lapidar an den Rand, dass aufgrund der Beweisschwierigkeiten die Zubilligung einer vollumfänglichen, d. h. auch den entgangenen Gewinn abdeckenden Entschädigung praktisch von großem Nutzen sei80. Beinahe wie ein Zugeständnis mutet es an, dass die Motive zu § 5 ME mit der Bemerkung schlossen, dass „bei Geistes-Werken ein Zwang ad faciendum nicht anwendbar und [es] selbst81 dem Verfasser […] nachgelassen [sei], seinen Entschluß, einen Gegenstand wissenschaftlich zu bearbeiten, aufzugeben“. Dies verdeutlicht zwar, dass § 5 ME ein „implizites“ Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände enthielt, doch folgte auch hier die S. 141 f. Speziell zur Bedeutung von Zeit- und Flugschriften im Zeitalter des Vormärz und der Revolution siehe Schwitalla, S. 87 ff. und Wittmann, R., S. 231 f. Zum Begriff selbst Stöber, S. 33 f.; eine maßgebliche Rolle spielte hierbei auch der Fortschritt in der Druck- und Satztechnik, der die Herstellung von Presseerzeugnissen in wesentlich größerem Stil und kürzerer Zeit gestattete; dazu Bosse, S. 137 ff. und Stöber, S. 116 ff. 75 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 300 r. 76 Siehe oben, B. I. 1. lit. e). 77 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 300 v.; Streichung im Original. 78 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 300 v. 79 Siehe oben, C. III. 1. lit. b)–e). 80 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 299 v. 81 Streichung im Original.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Relativierung auf dem Fuße. So hieß es, dass von der Freiheit zum Rücktritt nicht auf eine Befreiung des Autors zum vollständigen Schadensersatz geschlossen werden dürfe, zumal der Schaden des Verlegers seine Ursache ausschließlich in den persönlichen Verhältnissen, wenn nicht gar im Verschulden des Autors habe. Insbesondere sei es dessen ureigenste Angelegenheit, die eigenen Verhältnisse und Kräfte schonend zu beurteilen82. Den Widerspruch zwischen der Einführung der Klagebefugnis des Verlegers und dem Verweis auf die Nichterzwingbarkeit schöpferischer Leistungen schien man billigend in Kauf genommen zu haben. d) Ausdehnung der Haftung bei anderweitiger Herausgabe nach dem Rücktritt Auch bei der nachvertraglichen Haftung, die der Entwurf in § 7 regelte, griff man die bereits in den universitären Monita geübte Kritik auf und verlängerte gegenüber § 1007 ALR wie auch gegenüber dem Mühlenschen Entwurf die Frist, binnen derer der Autor bei anderweitiger Herausgabe seines Werkes nach erfolgtem Rücktritt haftbar gemacht werden konnte, von einem auf fünf Jahre. Weiterhin dehnte man den Haftungsumfang aus: Nachdem der entgangene Gewinn bereits nach § 5 ME herauszugeben war, verpflichtete § 7 ME den Autor, das von dem zweiten Verleger erhaltene Honorar herauszugeben, sofern dieses den entgangenen Gewinn der Höhe nach überstieg. Dieser Anspruch stand somit nicht mehr, wie noch im Verordnungsentwurf vorgesehen, im Alternativverhältnis zur Haftung auf den entgangenen Gewinn, sondern ergänzte selbige zugunsten des Erstverlegers. Erneut unterstrichen die Motive, dass dem besonderen Charakter geistiger Schöpfungen allein durch die Zubilligung des Rücktrittsrechts hinlänglich Rechnung getragen sei, diese Rücksicht jedoch nicht „zum Schutz der Gewinnsucht und der Verletzung des guten Glaubens“ ausgedehnt werden, d. h. nicht dazu führen dürfe, dass der Autor durch den Rücktritt bereichert würde. Die Erweiterung des Nachhaftungsanspruchs selbst begründete man damit, auf diese Weise die missliche Erörterung des entgangenen Gewinns zu umgehen, welche die exakte Kenntnis des in dem neuen Verlag erzielten Absatzes voraussetze und daher regelmäßig erst nach Jahren bestimmt werden könne. Aufgrunddessen habe man nunmehr das Honorar, welches der Autor von dem neuen Verleger erhalten habe, zum Maßstab des Ersatzanspruches genommen und zugleich die einjährige Frist des § 1007 ALR auf fünf Jahre ausgedehnt. Letzteres sollte den befürchteten Rechtsmissbrauch durch die 82 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 300 v.; dort insbesondere auch die Randbemerkungen v. Kamptzʼ.
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 115
Autoren verhindern, denen man unterstellte, dass sie den Ablauf der einjährigen gern abwarten würden, wenn sie aus dem Vertrag mit einem anderen Verleger ein höheres Honorar erwarten durften.83 e) Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung Dass das mit dem Mühlenschen Entwurf eingeführte Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung durch den Verleger der Sicherung des Verbreitungs- und Veröffentlichungsrechts des Autors diente, wurde in den Motiven zu § 11 ME ausdrücklich bestätigt. Es sei nur billig, so die Begründung, dem Verfasser für den Fall, dass der Verleger seiner primären Verbindlichkeit nicht nachkäme, dieselben Rechte zuzusprechen, die dem Verleger im Fall der Nichterfüllung durch den Autor zustanden84. Dass man § 11 VE, nach welchem der Autor im Fall des Rücktritts wegen Nichtausübung ein bereits gezahltes Honorar behalten durfte, dahingehend abänderte, dass er selbiges nunmehr herauszugeben hatte, begründete v. Kamptz damit, dass sich die Verpflichtung des Verlegers von jener des Verfassers dadurch unterscheide, dass ersterer zur Erfüllung exekutivisch angehalten werden könne, der Autor also insofern weniger schutzbedürftig sei85 – was abermals die ausgesprochen verlegerfreundliche Grundtendenz des Gesetzentwurfes unterstrich. 4. Die Stellungnahme des Justizministeriums vom Dezember 1839 Erst am 26. Dezember 1839 nahm Justizminister Mühler zu dem Gesetzentwurf Stellung, was nicht zuletzt zeigt, dass dieser den gleichermaßen an ihn ergangenen königlichen Auftrag zur Abstimmung von Urheber- und Verlagsrecht weit weniger ernst nahm als sein Kollege Kamptz vom Revisionsministerium und damit vor allem unnötige Arbeit auf sich und sein Haus zukommen sah86. Jedoch legte Mühlers Votum87 hinsichtlich der Neuregelun83 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK Bd. 1, Fol. 301 r. 84 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK Bd. 1, Fol. 304 r. 85 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK Bd. 1, Fol. 304 v. 86 Nomine, UFITA 2003 / II, S. 375. 87 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK Bd. 1, Fol. 318 ff.
der Vorschriften des Allgemeinen LandI. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, der Vorschriften des Allgemeinen LandI. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, der Vorschriften des Allgemeinen LandI. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, der Vorschriften des Allgemeinen LandI. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8,
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
gen zum Autorenrücktrittsrecht mit bemerkenswerter Prägnanz den sprichwörtlichen Finger in die Wunde. a) Zum Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände So resümierte der Minister nach einer kursorischen Darstellung der §§ 1001 ff. ALR, dass man mit den Neuregelungen von den Grundsätzen des Landrechts erheblich abgewichen sei, welchen man den Vorwurf mache, die Verleger „allzusehr der Willkühr und den ‚Schwindeleien und Spekulationen‘ der Autoren“88 auszuliefern. Stattdessen behandle der Entwurf den Autor wie jeden anderen, der sich vertraglich zur Vornahme einer Handlung verpflichtet habe. Mühler hielt dies für ganz und gar unangemessen: So sei insbesondere § 5 ME eine nicht zu billigende Bestimmung und auch die übrigen Vorschriften des Entwurfs erachtete er, „soweit sie vom Landrecht abweichen, für nicht angemessen und der besonderen Natur des Verlagsrechts widerstrebend“89. Es sei vielmehr so, dass Autoren den Verlagsvertrag üblicherweise vor Fertigstellung des Manuskripts abschlössen und die Gesetzgebung sich zunächst auf diese gewöhnlichen Fälle zu konzentrieren habe. Dass das Handeln der Autoren – wie es die Motive des Ministerialentwurfs unterstellten – stets von Willkür, Spekulationen und Schwindeleien geprägt sei, sei jedoch gerade nicht der „gewöhnliche Fall“. Gewöhnlich sei im Hinblick auf das Rücktrittsrecht der Autoren vielmehr, dass sich diese „im Interesse der Wissenschaft veranlasst fühlen, ungeachtet des geschlossenen Kontrakt[s], nach bestem Wissen und Gewissen, noch mancherlei Abänderung […] zu treffen, unter Umständen auch die Ablieferung des Manuskripts zu verzögern, und [dieses] einer nochmaligen Revision zu unterwerfen, oder […] [ihren] Plan ganz zu ändern, und vorläufig wenigstens z. B. veranlasst durch das Erscheinen einer andern verwandten Geistesarbeit ganz von der Herausgabe des versprochenen Werks abzusehen“.
Die Gesetzgebung würde gut daran tun, soweit es unter Berücksichtigung der Verlegerinteressen irgend möglich sei, jenes höhere Prinzip, nämlich „das literarische Gewissen des Schriftstellers, und das Interesse des wissen88 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 320 r. 89 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 320 v., 321 r. Mühler verwies insofern auf eine Passage des Gutachtens der Königsberger Albertina, in der es hieß, dass mit Blick auf den Verlagsvertrag manche Eigentümlichkeit anerkannt werden müssten, da sich literarische Leistungen noch weniger als die Erfüllung anderweitiger Handlungen erzwingen ließen, siehe oben, C. III. 1. lit. d).
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 117
schaftlichen Publikums zu ehren“. Daher sei nicht nur die verzögerte Ablieferung des Manuskripts sowie der Rücktritt des Autors nach milderen Gesichtspunkten zu beurteilen, sondern auch die Entschädigungspflicht des zurücktretenden Autors an möglichst enge Voraussetzungen zu knüpfen90. Insbesondere wandte sich der Minister dabei gegen die pauschale Ausdehnung der Haftung auf den entgangenen Gewinn. Von einem solchen könne ohnehin nicht die Rede sein, wenn der Verleger selbst den Vertrag aufhob und die Herausgabe des gezahlten Honorars verlangte, zumal gerade die Honorar zahlung die Voraussetzung für jedweden Gewinn anspruch des Verlegers sei.91 Die Auffassung des Justizministeriums stand der autorenfeindlichen Position des Revisionsministeriums und damit dem Gesetzentwurf diametral gegenüber. Hervorzuheben ist vor allem die besondere Bedeutung, welche Mühler in Einklang mit dem Gutachten der Universität Königsberg dem „literarischen Gewissen“, d. h. den subjektiven Umständen und damit der „Überzeugung“ des Autors beimaß. Dabei war dem Minister durchaus klar, dass die universitären Gutachter als Professoren regelmäßig selbst Autoren waren. Um den Vorwurf der Parteinahme zu antizipieren, verwies er daher auf das Gutachten Dunckers, der in den §§ 1005 ff. ALR keine Bedrohung der verlegerischen Interessen sah92. In seinem Resümee zu § 5 ME schlug Mühler jedoch trotz dieser Fundamentalkritik vermittelnde Töne an: So unterstrich er nochmals, dass bei einer Neuregelung dem Autor hinsichtlich der Erfüllung des Verlagsvertrages zwingend ein freierer Spielraum gewährt werden müsse. Beispielhaft führte er hierfür die bestehenden landrechtlichen Vorschriften an, schloss jedoch zugleich nicht aus, dass sich ein Interessenausgleich auch in anderer Weise als durch Übernahme dieser Regelungen herbeiführen ließe. Um dies abschließend beurteilen zu können, fehle ihm jedoch die notwendige Sachkenntnis93, so dass Mühler die Einholung von Gutachten des Literarischen 90 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 321 r. / v.; Mühler verwies insofern auf die maßgeblichen Passagen aus dem Königsberger Gutachten (ebd., Fol. 182 v., 183 r.). 91 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 320 r. 92 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 321 v. sowie oben, C. III. 1. lit. a). 93 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 318 r.; dazu auch Nomine, UFITA 2003 / II, S. 375.
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Sachverständigen-Vereins anordnete.94 Dieser Schritt könnte jedoch angesichts der nachgeordneten Priorität, die der Minister der Verlagsrechtsreform an sich beimaß, auch schlicht dazu gedient haben, die Sache erst einmal vom Tisch zu bekommen.95 b) Zum Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung. Im Gegensatz zu § 5 ME fiel Mühlers Kritik zu § 11 ME milde aus. Ausdrücklich rügte er allein den hinsichtlich der Rechtsfolgen bestehenden Widerspruch zwischen Autoren- und Verlegerrücktrittsrecht: Während Letzteres eine Ersatzverbindlichkeit des Autors nach sich zog, wurde der zurücktretende Autor sogar zur Rückzahlung des Honorars verpflichtet. Darüber hinaus konstatierte der Minister, dass das Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung mancher Vervollständigung bedürfe. Insbesondere stelle sich die Frage, wie zu verfahren sei, wenn der Verleger das Werk zwar drucke, dabei jedoch vertraglichen Absprachen hinsichtlich der Ausstattung oder des Kaufpreises zuwiderhandle und sein Verlagsrecht damit nur unzureichend ausübe. Konkrete Vorschläge machte Mühler jedoch nicht; vielmehr verwies er auch hier auf die Notwendigkeit der Einholung von Sachverständigengutachten.96 5. Stellungnahme und Eigenentwurf des Königlich-Preußischen Literarischen Sachverständigen-Vereins vom 1. Mai 1842 Betraut wurde hiermit der Königlich-Preußische Literarische Sachverständigen-Verein (LSV), ein Gremium, das die beflissensten Praktiker des preußischen Urheberrechts sowie die einflussreichsten Lobbyisten des Berliner Buchhandels in sich vereinte und insofern wohl die erste am Gesetzgebungsverfahren beteiligte Institution darstellte, die überhaupt über umfassende Kenntnisse der tatsächlichen Verlagspraxis verfügte und sich der Aufgabe dementsprechend mit unverhohlener Freude stellte.97 Der Verein zählte 94 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 321 v. 95 So die Vermutung von Nomine, UFITA 2003 / II, S. 375. 96 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 323 v. 97 Nomine, S. 307; ders., UFITA 2003 / II, S. 376 f. Zur Rolle privater Vereine in der Geschichte des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts im 19. Jahrhundert siehe Mohnhaupt, S. 139 ff.
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neben Duncker auch Theodor Enslin, den ehemaligen Vorsitzenden des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, zu seinen Mitgliedern.98 Unter dem Vorsitz von Julius Eduard Hitzig, seines Zeichens auch Herausgeber der Allgemeinen Preßzeitung, einem Organ, das sich der Förderung der Pressefreiheit und dem Schutz des geistigen Eigentums verschrieben hatte99, legte der Verein nach einigen Verzögerungen am 1. Mai 1842 nicht nur eine umfassende Kommentierung des Gesetzentwurfes, sondern auch einen eigenen, volle 134 Paragraphen umfassenden „Entwurf einer Verordnung über den Verlagsvertrag“ (LSV-E) vor.100 Dabei handelte es sich um ein Gemeinschaftswerk, für das neben Hitzig, Duncker und Enslin auch Franz Hinschius101, Karl Wilhelm Ludwig Heyse102, Gustav Parthey103 sowie die beiden Mitglieder des Musikalischen Sachverständigenvereins Ferdinand Mendheim104 und Martin Heinrich Lichtenstein105 verantwortlich zeichneten. a) Die Stellungnahme zum Ministerialentwurf Bereits in den der eigentlichen Kommentierung vorangestellten, einleitenden Erwägungen verwarfen die Sachverständigen den Ministerialentwurf rundheraus. Man attestierte den Vorschlägen des Revisionsministeriums die unverhohlene Tendenz, die Verleger gegen präsumtive Anmaßungen der Autoren sichern zu wollen und letztere gegenüber den Verlegern vorsätzlich schlechter zu stellen. Bei den Vorschriften des Landrechts, die man gleichermaßen für zu verlegerbegünstigend hielt, wollte man aber ebenfalls nicht 98 Siehe die entsprechenden Schreiben der Justizministerien sowie des Kultusministeriums, in: Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 1, Fol. 329 ff. Eine Übersicht der Mitglieder des Vereins zwischen 1838 und 1870 findet sich bei Nomine, S. 354 ff. Zu Enslin (1787–1851) ders., S. 462. 99 Zur Allgemeinen Preßzeitung Nomine, S. 251 ff., insb. S. 263. 100 Die vom 26. Dezember 1840 auf den 26. Dezember 1839 rückdatierte Kommentierung des Sachverständigenvereins findet sich in Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 30 ff., während sich eigene Entwurf des Sachverständigenvereins findet sich in Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2 Fol. 5 ff. und die dazugehörigen Motive ebd., Fol. 40 ff. zu finden sind. 101 Zur Person siehe Nomine, S. 464 m. w. N. 102 Zur Person siehe Nomine, S. 464 m. w. N. 103 Zur Person siehe Nomine, S. 468 m. w. N. 104 Zur Person siehe Nomine, S. 467 m. w. N. 105 Zur Person siehe Nomine, S. 466.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
stehen bleiben106. Ziel sollte vielmehr sein, so die Motive weiter, die Rechte beider Kontrahenten gleichermaßen zu schützen. Dabei betonten die Sachverständigen, dass sich das Recht des Autors aus dem „literarischen Eigentum“ am Werk speise und stets zwei Seiten habe – „eine ideelle, die Autorschaft, welche unveräußerlich sei u. deshalb auch immer vertreten werden müße, u. eine materielle, des Rechts der Veröffentlichung, des veräußerlichen Editionsrechts, welches durch Übertragung an einen Verleger […] zum Verlagsvertrag führe“107. Diese Positionierung ist auch insofern hervorzuheben, als sie mit dem nachgeschobenen Verweis auf eine ideelle, in der „Autorschaft“ und damit der Person des Autors wurzelnde, sowie eine davon zu trennende materielle, d. h. vermögensrechtliche Schutzkomponente als frühes Aufscheinen des später maßgeblich von Josef Kohler vertretenen dualistischen Ansatzes vom Immaterialgüterrecht108 gedeutet werden kann und zugleich exemplarisch für die um die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende „Krise der Theorie vom geistigen Eigentum“109 steht. In Reaktion auf die allenfalls zögerliche Umsetzung der geistigen Eigentumslehren in der Gesetzgebung, welche die Berechtigung des Urhebers weitestgehend als bloßen Reflex strafrechtlicher Nachdruckverbote verstand, sowie auf die Ablehnung eines „geistigen Eigentums“ in der Pandektenwissenschaft und damit der damals maßgeblichen Strömung der deutschen Zivilrechtslehre110, suchte man sukzessive nach alternativen dogmatischen Möglichkeiten zur Erfassung der Autorenrechte.111 Vor diesem Hintergrund sind auch eine Reihe das Rücktrittsrecht betreffender Äußerungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur der 1850er und 1860er Jahre zu sehen, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels betrachtet werden. Die eigentliche Kommentierung der §§ 5 und 11 ME pflichtete der Kritik Mühlers erwartungsgemäß vollumfänglich bei und verwies im Übrigen auf 106 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 40 r. 107 Zitiert nach der Zusammenfassung Heydemanns (s. u.), Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den VerlagsVertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 193 v. 108 Dazu unten, D. I. 109 Vogel, Urheberrecht, S. 126. 110 Die Pandektenwissenschaft lehnte nach Hansen, S. 22 f. den Begriff des „geistigen Eigentums“ als unwissenschaftlich und unjuristisch ab, weil er sich nicht mit dem von dieser aufbereiteten römischen Recht der Pandekten und dem daraus folgenden Eigentumsbegriff vereinbaren ließ, der sich ausschließlich auf Sachen beschränkte. Hansen, S. 23 verweist insofern auf Lange, Kritik der Grundbegriffe vom geistigen Eigentum, Schoenebeck 1858, Nachdruck in UFITA 117 (1991), S. 176 ff.; dazu m. w. N. Klippel, ZNR 1982, S. 138 f., 149. 111 Dazu statt vieler Rigamonti, S. 30 f.; Hansen, S. 22 f. m. w. N.
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 121
die §§ 14 ff. des Sachverständigenvorschlages112. Dieser enthielt in §§ 14 bis 17 LSV-E ein Rücktrittsrecht des Verlegers bei Nichtlieferung des Manuskripts, während die §§ 18 bis 21 LSV-E ein Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände und §§ 47 ff. LSV-E ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung statuierten. b) Der Sachverständigenentwurf zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände § 18 LSV-E lautete: „Findet sich der Verfasser veranlasst, das versprochene Werk gar nicht herauszugeben, so kann er von dem Vertrage zurücktreten, ohne verpflichtet zu sein, seine diesfälligen Gründe anzugeben oder einer richterlichen Prüfung zu unterwerfen“113.
Im Anschluss daran regelte § 19 LSV-E, dass der Autor im Falle des Rücktritts dem Verleger denjenigen Schaden zu ersetzen habe, welcher diesem „aus den zum Abdruck und zum Vertriebe etwa schon getroffenen und nunmehr unnütz werdenden Anstalten, so weit solche nach der Natur des Geschäfts nicht voreilig waren, wirklich entsteht, und, wenn der Autor arglistig handelte, auch den entgangenen Gewinn fordern“114.
Letzteres sei, so § 20 LSVE, insbesondere der Fall, wenn der Autor das Werk ohne Einwilligung des Verlegers binnen zweier Jahre nach dem Rücktritt in einem anderen Verlag oder auf eigene Rechnung herausgab115. Ein Novum enthielt § 21 LSVE mit nachstehender Regelung: „Hat der Verleger den Rücktritt des Autors vorsätzlich oder fahrlässig selbst ver ursacht, so ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurtheilen, in wie weit dadurch der Autor von der Verbindlichkeit zur Entschädigung des Verlegers befreit wird, und seiner Seits von dem Letztern Schadloshaltung fordern kann“116. 112 Siehe die Bemerkungen des Sachverständigenvereins zu §§ 5 ff. GE, in: Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 32 v. ff.; dazu auch Nomine, UFITA 2003 / II, S. 113 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 8 r. 114 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 8 v., 7 v. 115 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 8 v. 116 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 9 r.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Nachdem das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände im Ministerialentwurf faktisch verworfen und durch eine dem österreichischen § 1166 ABGB vergleichbare Vorschrift ersetzt worden war, ging der Entwurf des Sachverständigenvereins im Wesentlichen wieder auf den status quo ante und damit das Allgemeine Landrecht zurück. Gleichwohl nahm man einige Modifikationen vor, die man in den Motiven mit Verweis auf die Werke Bielitzʼ, Bornemanns und Kramers117 ausführlich begründete: Abermals ausgehend von dem Grundsatz, dass „dem Autor das unbeschränkte Recht zum Rücktritt nur deshalb zugestanden wurde, weil geistige Thätigkeit, wie die seinige, sich mit Erfolg nicht erzwingen“118 ließe, hieß es mit Blick auf die Frage der richterlichen Kontrolle der Rücktrittsgründe, dass ein im Wesentlichen freies Rücktrittsrecht, wie es die §§ 1005 ff. ALR vorsahen, streng von der auf Seiten des Autors eintretenden Unmöglichkeit unterschieden werden müsse. Der Verein griff insofern die von Bielitz und Bornemann vorgebrachten Argumente auf und schloss sich der Position des letztgenannten an, wonach das Rücktrittsrecht vom freien Entschluss des Autors abhängen müsse und deshalb keiner richterlichen Überprüfung unterliegen dürfe. Um dies dauerhaft zu regeln, entschied man sich für eine entsprechende Klarstellung im Entwurf. Auf diese Weise erklärt sich auch der Verzicht auf die Tatbestandsmerkmale der veränderten Umstände oder Hindernisse zugunsten eines gänzlich freien Rücktrittsrechts. Bezüglich des Entschädigungsanspruchs des Verlegers im Rücktrittsfall waren die Vereinsmitglieder mit dem Allgemeinen Landrecht zufrieden: Die Ersatzverbindlichkeit sei „in § 1006 mit Recht auf den Ersatz des wirklichen Schadens beschränkt; wollte man den Schriftsteller zu etwas mehrerem, z. B. im Fall einer […] groben Fahrlässigkeit zur Erstattung des entgangenen Gewinns verpflichten, so würde dadurch das willkürliche Recht zum völlig freien und unbehinderten Rücktritt beschränkt werden“. Wie bereits die universitären Gutachten hielten auch die Sachverständigen den Haftungsumfang des § 1006 ALR für zu eng; insofern ersetzte man die auf die bloßen Druckauslagen beschränkte Haftung auf sämtliche zur Vervielfältigung und Verbreitung getätigten Aufwendungen, sofern diese der Natur des Geschäfts nach gerechtfertigt waren119.
117 Oben,
B. I. . lit. c) aa). generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 2, Fol. 95 v. 119 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 2, Fol. 74 r. 118 Acta
LandNr. 8, LandNr. 8,
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 123
Eine Haftung auf den entgangenen Gewinn ließen die Sachverständigen nur bei Arglist des Autors zu und erweiterten § 1007 ALR dergestalt, dass diese Verhaftung fortan nicht nur bei anderweitiger Herausgabe des Werkes innerhalb einer bestimmten Frist, sondern in jedwedem Fall erwiesenen arglistigen Handelns des Autors eintreten sollte. Insofern folgte man Kramer, welcher der anderweitigen Herausgabe bloße Indizwirkung beimaß, d. h. in ihr lediglich einen Fall arglistigen Handelns des zurücktretenden Autors erblickte. Hinsichtlich des neu eingeführten § 21 LSV-E hieß es in den Motiven, dass sich für den Fall, dass die Veranlassung zum Rücktritt vom Verleger selbst verursacht wurde, eine Befreiung des zurücktretenden Autors von der Haftung nach allgemeinen Grundsätzen (§§ I 5 277 ff. bzw. I 6 18 ff. ALR) ebenso von selbst verstehe wie die Befugnis des Autors, gegebenenfalls seinerseits Schadensersatzansprüche geltend zu machen.120 c) Der Sachverständigenentwurf zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Entsprechend dem Vorentwurf sah auch der Entwurf des Sachverständigenvereins ein Rücktrittsrecht des Autors bei Nichtausübung vor. Ausgehend von § 34 LSV-E121, der eine Pflicht des Verlegers zum Druck und zum buchhändlerischen Vertrieb der Schrift normierte, lautete§ 47 LSV-E: „Zögert der Verleger mit der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner kontraktmäßigen oder gesetzlichen Verbindlichkeiten, oder verweigert er dieselbe gänzlich, so ist der Autor berechtigt, von dem Vertrage sofort wieder abzugehen, und die Zurückgabe des Manuskriptes, so wie nach dem Grade der Verschuldung des Verlegers, Ersatz des ihm durch die verzögerte oder verweigerte Erfüllung entstandenen Schadens und entgangenen Gewinnes bis auf Höhe des ganzen Honorars zu verlangen“122.
In den Motiven hieß es hierzu, dass die Pflicht des Verlegers grundsätzlich darin bestehe, die größtmögliche Verbreitung der Schrift zu bewirken, wozu auch eine dem Werk angemessene äußere Ausstattung gehöre, da nicht bezweifelt werden könne, dass durch schlechten oder falschen Druck, mangelhaftes Papier, unrichtige oder unsaubere Abbildungen etc. der Absatz des 120 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 75 v., 76 r. 121 Im Wortlaut: „Der Verleger ist verpflichtet, den Druck und buchhändlerischen Vertrieb der Schrift zu bewirken, und kann sich von Erfüllung dieser Verbindlichkeit selbst durch Zahlung des Honorars nicht befreien.“, siehe Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 11 r. 122 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 47 v.
124
C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Werkes gemindert und dadurch das Interesse des Autors beeinträchtigt würde123. Auch treffe den Verleger die Pflicht zur öffentlichen Ankündigung, Versendung usw.124 Die Anfrage des Justizministeriums aufgreifend, sprach man dem Autor an dieser Stelle somit erstmalig ein Rücktrittsrecht nicht nur wegen gänzlicher Nichtausübung, sondern auch wegen unzureichender Ausübung des Verlagsrechts zu. Zwar verwiesen die Motive darauf, dass das Allgemeine Landrecht in den Bestimmungen über Verträge gegen Handlungen prinzipiell Entsprechendes vorsah (§ I 5 408 ff. ALR bzw. § I 11 878 ALR)125, unterstrichen jedoch zugleich, dass § 47 LSV-E diese Grundsätze maßgeblich zum Vorteil des Autors modifizierte: So gestattete § I 11 878 ALR den sofortigen Rücktritt allein im Fall der ausdrücklichen Erfüllungsverweigerung durch den anderen Teil. Andernfalls war der Autor zum Vorgehen im Klageweg gezwungen, was stets das Risiko in sich barg, dass der Zweck einer Schrift durch Zeitablauf vereiltelt wurde126. Ein weiterer Vorteil lag darin, dass der Autor nach § 47 LSV-E auch den entgangenen Gewinn (zumindest bis zur Höhe des vereinbarten Honorars) verlangen konnte, während sich die Haftung nach § I 5 410 ALR lediglich auf den „wirklich entstandenen“ Schaden erstreckte. 6. Überarbeitung durch Heydemann und Endfassung Nachdem der Sachverständigenverein seine Kommentierung nebst Entwurf und Motiven dem Revisionsministerium zugeleitet hatte, an dessen Spitze Friedrich Karl v. Savigny zwischenzeitlich v. Kamptz abgelöst hatte, blieb dieser für ein Jahr liegen, da man der parallel verlaufenden Überarbeitung des Strafgesetzbuches zunächst den Vorrang einräumte.127 Schließlich übertrug Savigny die abschließende Sichtung des Materials an den bereits erwähnten Ludwig Eduard Heydemann128, einen anerkannten Landrechtsexper123 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 83 v. 124 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 84 r. / v. 125 Siehe oben, B. I. 1. lit. c). 126 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 94 v., 95 r. 127 So Savigny in einem Schreiben an Justizminister Alexander Uhden, den Nachfolger Mühlers, vom 11.10.1845, in: GStA PK I. HA Rep. 84a, Nr. 2374, Bd. 6. Zur Strafrechtsreform siehe Vormbaum, S. 78 ff. 128 Zur Person siehe Nomine, S. 148 f., 463 m. w. N.
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ten, der zugleich „Hülfsarbeiter“129 im Justizministerium und ebenfalls Mitglied des Sachverständigenvereins war. Zwar hatte er keinen Anteil an der Erarbeitung des Vereinsentwurfs von 1842, war jedoch in Verlagsrechtsfragen nicht minder qualifiziert130. Im August 1843 legte Heydemann seine Stellungnahme vor131. In dem Begleitschreiben sowie den allgemeinen, auf die bisherigen Entwürfe ausführlich eingehenden Motiven kritisierte er die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts im Allgemeinen als zu einseitig, mangelhaft und in manchen Beziehungen unklar und inkonsequent, insbesondere da sie das Verlagsrecht nicht klar genug als Ausfluss der Autorenrechte fassten132. Zwar musste auch Heydemann einräumen, dass es bisher – von Nachdruckstreitigkeiten abgesehen – praktisch keine Rechtsprechung zum Verlags- bzw. Verlagsvertragsrecht gab („in allen 11 Bänden der von Simon gesammelten Rechtssprüche und Entscheidungen133 kein einziger den Verlagsvertrag betreffender Fall“), jedoch wischte er derlei Bedenken mit der Behauptung beiseite, Autoren und Verleger hätten sich bisher lediglich mit Notbehelfen begnügt, da sie es in Ermangelung eines geordneten Rechtszustandes vorgezogen hätten, nicht vor Gericht zu ziehen134. Doch nicht nur das gültige Recht erachtete der selbstbewusste Heydemann135 für unzulänglich – auch die bisherigen Entwürfe verwarf er rund heraus. Dem aus eigenem Hause stammenden Ministerialentwurf attestierte 129 Die Beschäftigung als „Hilfsarbeiter“ stellte in preußischen Ministerien eine übliche Karrierestufe für die höhere Beamtenlaufbahn dar. Sie währte oftmals nur wenige Monate ehe die Beförderung zum „Vortragenden Rat“ erfolgte, siehe beispielhaft für das preußische Kultusministerium Holtz / Rathgeber, S. 186 f. 130 Dazu und zum Folgenden auch Nomine, UFITA 2003 / II, S. 378 ff. 131 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 181 ff. 132 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 186 v., 190 r. 133 Heinrich Simon, Rechtssprüche der preußischen Gerichtshöfe, Berlin 1828 ff.; auch in den vorhergehenden Jahren finden sich keine, das Rücktrittsrecht nach §§ 1005 ff. ALR betreffende Gerichtsentscheidungen. Die einzige regelmäßig zitierte Entscheidung findet sich in Simon, H., S. 223 ff., in der es u. a. hieß, dass dem Schriftsteller die Befugnis zustehe, „die Schrift ausschließlich dem Publicum mitzutheilen und dieselbe zu vervielfältigen“ (S. 238). 134 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 189 v. 135 Nomine, UFITA 2003 / II, S. 379 betont zurecht, dass Heydemann „sein Werk ersichtlich für den großen Wurf hielt“ und verweist ebd., Fn. 79 zur Begründung insbesondere auf die Tatsache, dass Heydemann seinen eigenen Entwurf in dem ange-
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
er die übertriebene Tendenz, den vermeintlichen Anmaßungen und Schwindeleien der Schriftsteller entgegenwirken zu wollen, obschon selbst die Verlegerschaft, wie der größtenteils von Verlegern verfasste Sachverständigenentwurf zeige, anerkannte, dass eine Gutstellung der Autoren am Ende auch ihr selbst zugutekäme. Insofern befürwortete Heydemann den Sachverständigenentwurf, erachtete diesen jedoch mit seinen 134 Paragraphen als zu breit und kasuistisch geraten, wenngleich er auch höchst schätzenswerte Materialien für die Gesetzgebung liefere136. Stattdessen rühmte er sich damit, in seinem auf 29 Paragraphen verschlankten Entwurf (GE) nur das Beste aller bisherigen Vorschläge und Gutachten weiterverwandt und nur solche Vorschriften aufgenommen zu haben, welche unter „literarische[m] Gesichtspunkt“ erforderlich seien, d. h. „dem Verlagsvertrage eigenthümlich angehören, nicht aber die allgemeine Rechtstheorie – casuistisch oder abstract – darin einzuspinnen und auszu führen“137. Hierzu zählten auch das in ein freies Rücktrittsrecht umgewandelte Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände [a)] und das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung [b)]. a) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände / freies Rücktrittsrecht Aufbauend auf § 1 GE, wonach der Autor durch den Verlagsvertrag dem Verleger das ausschließliche Recht übertrug, seine Schrift auf irgendeinem mechanischen Wege zu vervielfältigen und zu verbreiten, und der Verleger seinerseits die Verpflichtung zur Vervielfältigung und Verbreitung der Schrift auf eigene Gefahr und Kosten übernahm, normierten die §§ 7 bis 9 GE ein freies Rücktrittsrecht des Autors: „§ 7 Findet sich der Verfasser veranlaßt, das versprochene Werk überhaupt nicht herauszugeben, so kann er von dem Vertrage zurücktreten, ohne seine Beweggründe angeben oder richterlicher Kontrolle unterwerfen zu müssen. § 8 Im Falle des § 7 hat der Verfasser dem Verleger den Schaden zu ersetzen, welcher demselben aus dem zum Zweck der Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes etwa schon getroffenen, durch die Auflösung des Vertrages unnütz gewordenen Anstalten entsteht.
führten, an Savigny gerichteten Anschreiben als „meine (sic!) Arbeit zur Revision der landrechtlichen Lehre vom Verlagsvertrage“ bezeichnete. 136 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 188 v. 137 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2, Fol. 192 r. / v.
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§ 9 Wenn der Verfasser innerhalb fünf Jahre nach erklärtem Rücktritte (§ 7) das Werk in einem anderen Verlage oder auf eigene Rechnung, ohne Einwilligung des ersten Verlegers herausgiebt, so muß er demselben auch für den entgangenen Gewinn gerecht werden“138.
Unumwunden räumten die Motive ein, dass die §§ 7 bis 9, ebenso wie die entsprechenden Vorschriften des Sachverständigenentwurfs, den §§ 1005 ff. ALR im Prinzip treu geblieben wären. Dies galt in gleichem Umfang für die Begründung der Vorschriften, welche im Wesentlichen die bereits mehrfach vorgebrachten Argumente wiederholte: Man betonte den aus der eigentümlichen Natur des Verlagskontrakts, d. h. der nichterzwingbaren Hauptleistungspflicht des Autors resultierenden, besonderen Charakter des Rücktrittsrechts, welches man als eine „im Interesse der Wissenschaft schon bei der Redaktion des Landrechts [sic!] den Schriftstellern gemachte Konzession“ bezeichnete und insofern auf einen bereits im Zuge der Abfassung des Landrechts geäußerten Ausspruch Christoph Goßlers139 verwies. Zugleich entkräftete man das Argument, der Rücktritt benachteilige den Verleger, indem man die seit jeher fehlenden Bedenken der Buchhändler betonte. Dass man gegenüber § 1005 ALR auf das Tatbestandsmerkmal der veränderten Umstände oder Hindernisse verzichtete, begründete man damit, dass sich objektiv gar keine Umstände oder Hindernisse „ereignet“ zu haben bräuchten, zumal die Rücktrittsentscheidung „lediglich in dem Gewissen, ja selbst in dem Belieben des Autors ihren Grund haben“ könne. Dies sei auch der Grund, weshalb man – in ausdrücklicher Anlehnung an den Sachverständigenentwurf – klarstellte, dass der Autor seine Beweggründe nicht darzulegen und damit auch keiner richterlichen Kontrolle zu unterwerfen brauche. Auch hinsichtlich § 8 GE unterstrich man die Anlehnung an das Landrecht, in diesem Fall § 1006 ALR, während man die Erweiterung bzw. Konkretisierung der Ersatzpflicht des Autors auf sämtliche zum Zweck der Vervielfältigung und Verbreitung getätigten Aufwendungen einerseits mit der korrespondierenden, in § 1 GE niedergelegten Pflicht des Verlegers, andererseits mit dem Erfordernis der Rechtsklarheit140 begründete. Dass man nunmehr von den „durch die Auflösung des Vertrages“ und nicht mehr von den „durch den Rücktritt“ entstandenen Aufwendungen sprach, war rein dogmatischer Natur, 138 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2 adh. zu Nr. 8 v. 1846. Da es sich um einen nicht foliierten Aktenband handelt, wird im Folgenden auf entsprechende Nachweise verzichtet. 139 Siehe oben, B. I. 2. lit. c). 140 So lehnte man insbesondere die von den Sachverständigen in § 19 LSV-E vorgeschlagene Begrenzung des Ersatzanspruches auf alle Ansprüche, welche „nach der Natur des Geschäfts nicht voreilig waren“ als teils zu weitläufig, teils überflüssig ab. Dazu oben, C. III. 5. lit. b).
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
zumal die Aufwendungen für den Verleger nicht durch den Rücktritt, sondern erst durch die Folge desselben in Gestalt der Vertragsaufhebung unnütz wurden. § 9 GE dehnte als erklärtes Pendant zu § 1007 ALR die Haftungsfrist bei anderweitiger Herausgabe auf fünf Jahre ab dem Rücktritt aus. Heydemann folgte hier nicht dem Vorschlag des Sachverständigenvereins, sondern dem ansonsten schwer gescholtenen Entwurf des Revisionsministeriums (§ 7 ME)141. Er griff auch dessen Argumente auf, indem er darauf verwies, dass eine entsprechend lange Frist notwendig sei, zumal der Autor, welcher von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch mache, weil er das Werk nicht herausgeben wolle, es dann aber binnen kurzer Zeit und ohne Einwilligung des ersten Verlegers herausgebe, „wahrscheinlich gleich bei der Aufhebung des Vertrages nur im Sinne gehabt [habe], sich von seinem ersten Verleger loszumachen“. Eine vollständige Übernahme des § 7 ME, der überdies vorsah, dass der Autor, der wegen anderweitiger Herausgabe bereits vollumfäng lichen Schadensersatz zu leisten hatte, auch das von dem neuen Verleger erhaltene Honorar herauszugeben habe, falls dieses den Schadensersatzanspruch der Höhe nach überstieg, lehnte man als übertrieben punitiv ab. Schließlich verwarf man auch § 21 LSV-E142, der man als bloßen Verweis auf allgemeine Rechtsgrundsätze für überflüssig erachtete. b) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung regelte der Gesetzentwurf in § 10: „Bewirkt der Verleger die Vervielfältigung und Verbreitung der Schrift gar nicht, oder nicht in der gehörigen Weise, oder nicht zur gehörigen Zeit, so hat der Verfasser die Wahl, entweder auf Erfüllung zu klagen, oder sofort von dem Vertrage zurückzutreten, und neben dem Rücktritt den Ersatz des ihm wirklich entstandenen Schadens (§ 3)143 zu fordern“.
Allgemein hieß es zu den §§ 10 ff. GE, dass diese eine dem Landrecht fehlende, nähere Bestimmung der Verbindlichkeiten des Verlegers vornähmen, wobei das (gleichsam bereits im Ministerial- und Sachverständigenent141 Oben,
C. III. 3. lit. a). C. III. 5. lit. b). 143 § 3 GE statuierte ein Wahlrecht des Verlegers, bei Nichtlieferung, bloßer Teillieferung oder verspäteter Lieferung des Manuskripts auf Erfüllung zu klagen oder zurückzutreten; im Falle des Rücktritts stand demselben ein Anspruch auf Schadensersatz, nicht jedoch auf den entgangenen Gewinn zu, siehe Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 2 adh. zu Nr. 8 v. 1846. 142 Oben,
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 129
wurf vorgesehene) Rücktrittsrecht des Autors wegen Nicht- bzw. unzuläng licher Ausübung weniger eine Verbindlichkeit des Verlegers bestimme, als vielmehr ein Instrument des Autors zur Absicherung gegen eine unzureichende Ausführung derselben darstelle. § 10 GE wich jedoch in mehrerlei Hinsicht von den vorhergehenden Entwürfen ab: Zutreffend e rkannte Heydemann, dass die ausgesprochen weite Formulierung des § 47 LSV-E dazu führen würde, dass der Autor selbst bei der Verletzung bloßer Nebenpflichten, wie etwa einer verspäteten Honorarzahlung, zum Rücktritt befugt sein würde. Die Hauptpflicht aus dem Verlagsvertrag, so stellte er hervor, liege jedoch in der Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes und nur diese sei durch ein Rücktrittsrecht abzusichern. Dass der gänzlichen Nichterfüllung dabei die nicht gehörige Erfüllung gleichkäme, so die Ausführungen weiter, verstünde sich indes ebenso von selbst wie die Tatsache, dass nach erfolgtem Rücktritt des Autors wechselseitig Honorar und Manuskript herauszugeben seien. Ebenfalls sei selbstverständlich, dass der zurücktretende Autor einen ihm durch die Nichtausübung tatsächlich entstandenen Schaden ersetzt verlangen dürfe, der Schadensersatzanspruch mithin nicht – wie etwa in § 11 ME vorgesehen – in einem Alternativverhältnis zum Rücktrittsrecht stehe. Zu weit gehe § 47 LSV-E jedoch insofern, als er dem zurücktretenden Autor einen auf den entgangenen Gewinn gehenden Ersatzanspruch einräumte. In der Folge begrenzte Heydemann den Haftungsumfang wieder auf den positiven Schaden. Ob dem Autor im Schadensfalle schließlich ein Zurückbehaltungsrecht an dem empfangenen Honorar in Höhe seines tatsächlichen Schadens zustehe, sei, so schlossen die Motive zu § 10 GE, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Einzelfall zu beurteilen. 7. Scheitern Justizminister Uhden verhielt sich nach Erhalt des Entwurfs ausgesprochen zurückhaltend. Über seine Motive kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, wobei es deutliche Anzeichen dafür gab, dass die Notwendigkeit einer selbstständigen Verlagsrechtskodifikation sukzessive hinterfragt wurde.144 Nachdem bereits die universitären Gutachten Zweifel an der Notwendigkeit einer eigenständigen Neukodifikation des Verlagsrechts hatten anklingen lassen, ging zwei Monate nach dem Entwurf Heydemanns ein Schreiben des bereits erwähnten Buchhändlers Enslin beim Justizministerium ein, in dem dieser – obwohl er selbst federführend an den Arbeiten des Sachverständigenvereins beteiligt gewesen und in dieser Funktion einige Jahre zuvor noch vehement für ein eigenständiges Verlagsgesetz eingetreten war – ein ebensol144 So
auch die Vermutung von Nomine, UFITA 2003 / II, S. 380.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
ches aufgrund der geringen Zahl der diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten nun als nicht mehr notwendig deklarierte145. Der sich offenkundig in Zugzwang betrachtende Uhden sandte Heydemanns Unterlagen deshalb seinerseits an den Kammergerichtsassessor Lewald, der den Entwurf im Hinblick auf dessen Notwendigkeit prüfen sollte.146 In bemerkenswerter Geschwindigkeit fertigte Lewald bis zum Januar 1846 einen Bericht147, den Uhden ohne signifikante Änderungen Ende Februar an Savigny weiterleitete148. Die Ausführungen versetzten dem ohnehin schleppend laufenden Gesetzgebungsverfahren den Todesstoß: Das Bedürfnis einer Harmonisierung des landrechtlichen Verlagsrechts mit dem Gesetz von 1837 – seit jeher eines der Hauptargumente der Reformbefürworter – wischte Lewald mit dem Verweis beiseite, dass seit Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetzes „bereits ein mehr als achtjähriger Zeitraum verflossen [sei], und dennoch […] keine Klage, weder von Schriftstellern, noch von Verlegern laut geworden [sei], welche eine Aenderung des bestehenden Zustandes begehrt hätte“149. Auch sprächen die „erforderten“ Gutachten der Universitäten, Verleger und Sachverständigen zwar Wünsche aus, die sie im Rahmen eines neuen Gesetzes gerne berücksichtigt wüssten, die „Nothwendigkeit“ eines solchen Gesetzes sei jedoch auch von diesen nirgendwo direkt ausgesprochen worden. Die Worte des Bonner Professors Deiters, der seine Ausführungen zum Verlagsrecht als mehr juristischer Phantasie denn wirklichem praktischen Bedürfnis entspringend bezeichnet hatte150, wiederholend, verwies Lewald schließlich darauf, dass allein „von den fünf begutachtenden Universitäten die Mehrzahl sich genau an das Landrecht angeschlossen, mithin an die Möglichkeit eines neuen Systems nicht gedacht“151 habe.
145 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 a, Nr. 2374, Bd. 6, Fol. 553; dazu auch Nomine, UFITA 2003 / II, S. 380. 146 Siehe dazu und zum Folgenden ausführlich Nomine, UFITA 2003 / II, S. 380 ff. 147 Der Bericht Lewalds findet sich in Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 a, Nr. 2374, Bd. 6, Fol. 559 ff. 148 Das von Lewald entworfene Schreiben Uhdens an Savigny findet sich in Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 3, Fol. 4 ff. 149 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84 Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 3, Fol. 4 r. 150 Siehe oben, C. III. 1. lit. c) aa). 151 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 3, Fol. 4 v.
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 131
Über diese Grundsatzkritik hinaus enthielt der Bericht Lewalds auch Kommentierungen zu den einzelnen Vorschriften des Gesetzentwurfs. Während er zu § 7 GE keine näheren Ausführungen machte, stellte sich der Assessor gegen die einzige wirklich bedeutende Abweichung des Gesetzentwurfs von den §§ 1005 ff. ALR in Gestalt der Ausdehnung der Nachhaftungsfrist auf fünf Jahre. Hier betonte er, dass die Praxis für diese Änderung keinen Anlass gäbe, zumal sich genug Fälle denken ließen, in welchen der Rücktritt des Autors hinlänglich motiviert sei, ohne dass es zugleich einen Grund gebe, weshalb er mit der Herausgabe seines Werkes bei einem neuen Verleger länger als ein Jahr und namentlich fünf Jahre warten sollte. Sinke etwa das Renommee des Verlegers in der öffentlichen Meinung oder kontrahiere ein Verleger, der bisher nur politische oder religiöse Schriften einer Strömung herausgegeben habe, nunmehr mit der Gegenpartei, so könne niemand dem Autor verübeln, wenn er den Ertrag jahrelanger Geistestätigkeit nicht aufs Spiel setzen wolle. Warum solle er also, fragte Lewald, „in solchen Fällen fünf Jahre statt eines warten? Man könnte mit gleichem Grunde 2 oder 3 oder 10 Jahre wählen“152. Abschließend unterstrich er nochmals die fehlende Notwendigkeit einer Verlagsrechtskodifikation und mahnte, sollte sich Savigny dennoch anders entscheiden, der Entwurf, der immerhin „sehr wesentliche, aus dem geistigen Eigenthum herfließende Vermögensrechte [sic!] zum Gegenstand“153 habe, im Mindesten den Provinziallandständen154 vorzulegen sei. Diese Bedenken schienen den bisher ohnehin nur zögerlich agierenden Savigny überzeugt zu haben, denn obschon Heydemann im April 1846 noch mit einer Denkschrift auf Lewalds bzw. Uhdens Ausführungen reagierte und
152 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 3, Fol. 11 v., 12 r. 153 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Nr. 8, Bd. 3, Fol. 15 v. 154 Die vornehmlich vom Adel beherrschten preußischen Provinziallandstände hatten – außer in provinziellen Kommunalfragen – keine legislatorischen Befugnisse, sondern im Hinblick auf Gesetzgebungsvorhaben, welche alle Provinzen gleichermaßen betrafen, lediglich begutachtende bzw. beratende Funktion; dies umfasste insbesondere Gesetze, welche Veränderungen in Personen- oder Eigentumsrechten zum Gegenstand hatten. Gleichwohl war die ständische Kompetenz rechtlich hochgradig unsicher bzw. unklar: So wurde bspw. das preußische Urheberrechtsgesetz von 1837 seitens der Regierung als nicht unter die ständische Beratungskompetenz fallend eingestuft. Insofern muss hier offenbleiben, ob eine Vorlage im Falle des Verlagsgesetzes tatsächlich hätte erfolgen müssen bzw. erfolgt wäre. Siehe dazu ausführlich Obenaus, S. 419 ff.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
schließlich auch eine Druckfassung des Gesetzentwurfes erstellt wurde155, schlich das Verfahren spätestens im November 1847 aus, als der letzte Akten eintrag156 eine Versendung der Unterlagen an das Oberlandesgericht Naumburg vermerkte.157 8. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Die preußischen Bemühungen um ein eigenständiges Verlagsrecht standen von Vornherein auf tönernen Füßen. Obwohl die Regierung die Notwendigkeit einer Angleichung des landrechtlichen Verlagsrechts an das Urheberrechtsgesetz von 1837 ausdrücklich unterstrich, brachten sowohl Rechtswissenschaft als auch Interessenvertreter von Verleger- und Autorenschaft erst auf Nachfrage entsprechende Gutachten und Entwürfe bei, in welchen sie mitunter ausdrückliche Zweifel an der Notwendigkeit einer eigenständigen Verlagsrechtskodifikation äußerten. Dies galt auch und insbesondere hinsichtlich des Rücktrittsrechts aus §§ 1005 ff. ALR. Weder seitens der Verlagspraxis noch der Jurisprudenz gab es Stimmen, welche die Daseinsberechtigung der Vorschriften hinterfragten oder gar ein dringendes Bedürfnis grundlegender Überarbeitung anmahnten, so dass das Scheitern des Vorhabens auch unter diesem Aspekt wenig überrascht. Gleichwohl kommt den preußischen Kodifikationsbestrebungen nicht nur insofern besondere Bedeutung zu, als sie weiteren Aufschluss über die §§ 1005 ff. ALR geben. Vielmehr traten in ihrem Verlauf Implikationen und Argumentationslinien, aber auch kodifikatorische Herausforderungen zutage, die derart grundlegend waren, dass sie künftigte Gesetzgebungsprozesse auch über Preußen hinaus dominierten. Einzelne Aspekte werden noch in der heutigen Kommentarliteratur zu § 35 VerlG und § 42 UrhG kontrovers beurteilt. So speisten sich die in den frühen Phasen des Verfahrens unternommenen, stellenweise kryptisch anmutenden und zum Teil signifikant verlegerbegünstigenden Versuche, das Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände in das verlegerseitige Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung zu inkorporieren, aus der Befürchtung, die Autoren könnten dieses, von der allgemeinen „clausula“-Regelung zu ihren Gunsten abweichende, genuin verlags155 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 2 adh. zu Nr. 8 v. 1846. 156 Acta generalia betr.: Die Umarbeitung der Vorschriften des Allgemeinen rechts über den Verlags-Vertrag, GStA PK I. HA Rep. 84, Abt. II, Tit. 2 V, Bd. 3, Fol. 69 r. 157 Nomine, UFITA 2003 / II, S. 383.
LandNr. 8, LandNr. 8,
III. Bemühungen um eine eigenständige Verlagsrechtskodifikation 1837–1847 133
rechtliche Vertragsaufhebungsinstitut aus eigennützigen oder gar arglistigen Motiven heraus gebrauchen. Der Gedanke der Missbrauchsprävention sollte sich mittelfristig als teleologische Antipode gegen die für das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ins Feld geführten Argumente etablieren und sich als solcher bis in die Gegenwart halten. Insbesondere stand er auch hinter der bereits in der zeitgenössischen Literatur kontrovers diskutierten, im Zuge des Verfahrens immer wieder aufgegriffenen Frage, ob der zurücktretende Autor seine Motive gegenüber seinem Kontrahenten oder in einem etwaigen Gerichtsverfahren offenzulegen hatte und war tragendes Motiv für die wechselvoll ausgestalteten Ersatzansprüche des Verlegers infolge des Rücktritts. Im Hinblick auf letztere wiederum sahen sich die preußischen Gesetzgeber mit der Herausforderung der Bestimmung des Haftungsumfangs, der Nachhaftungsdauer und der konkreten Schadensberechnungsmodalitäten konfrontiert – auch dies Fragen, die sich nicht zum letzten Mal stellen sollten. Hauptargument der Befürworter des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände war die „eigentümliche Natur“ des Verlagsvertages, der sich im Gegensatz zu anderen Verträgen dadurch auszeichnete, dass die Hauptleistungspflicht einer Partei, nämlich das geistig-schöpferische Tätigwerden des Autors, in der Regel weder vertret- noch erzwingbar war. Die Gründe, weshalb sich dieser zur Vertragserfüllung außer Stande sah, konnten ausweislich der im Zuge des Kodifikationsverfahrens gefallenen Äußerungen mannigfaltiger Natur sein: So benannte man objektive Umstände, wie etwa die wissenschaftlich-inhaltliche Überholung des Werkes oder veränderte politische Gegebenheiten ebenso wie subjektive Momente, konkret das „literarische Gewissen“ oder gar das bloße „Belieben“ des Autors. Auch Gemeinwohlbelange wie das Interesse des wissenschaftlichen Publikums wurden ins Feld geführt. Nur konsequent war es demnach, dass man bereits früh auf die unbestimmten Rechtsbegriffe der „veränderten Umstände“ oder „Hindernisse“ aus § 1005 ALR verzichtete und den Rücktritt vollkommen in das Ermessen des Autors stellte: Nachdem man diesen ohnehin nicht zur Vertragserfüllung zwingen konnte, spielte es auch keine Rolle, was diesen schlussendlich dazu bewog, von selbiger Abstand zu nehmen. Demnach hatte das „preußische“ Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände keine klar umrissene Schutzrichtung: Es diente auch dem Schutz der ideellen Interessen und damit dem Persönlichkeitsschutz des Autors, aber eben nicht nur. Im Ergebnis sah der endgültige Gesetzentwurf ein im Wesentlichen den §§ 1005 ff. ALR entsprechendes Rücktrittsrecht vor, welches aus besagten Gründen auf eine ausdrückliche Benennung der Rücktrittsgründe („Umstände und Hindernisse“) ebenso verzichtete wie auf eine Pflicht zur Offenlegung derselben. Im Gegenzug hatte man den Haftungsumfang gegenüber dem landrechtlichen Vorbild auf sämtliche zur Vervielfältigung und Verbreitung
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
bereits geätigten Aufwendungen ausgeweitet und die Nachhaftungsdauer von einem auf fünf Jahre ausgedehnt. Besonders hervorzuheben ist schließlich, dass es die preußischen Kodifikationsbestrebungen waren, in deren Rahmen erstmals ein Rücktrittsrecht des Autors wegen unterlassener, unzulänglicher oder verspäteter Ausübung des Verlagsrechts formuliert wurde, welches ausdrücklich der Absicherung des (gleichsam zum ersten Mal kodifikatorisch anerkannten) Vervielfältigungs- und Verbreitungsanspruchs des Verfassers dienen sollte.
IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten Nicht alle Staaten des Deutschen Bundes erließen eigene Gesetze zum Verlags- und / oder Urheberrecht. Wo entsprechende Kodifikationen vorhanden waren, zeigte sich regelmäßig die noch nicht vorhandene Unterscheidung zwischen beiden Rechtsmaterien, da die Gesetze nicht selten Verlags- und Urheberrecht miteinander vermengten. Insbesondere bei den Verordnungen handelte es sich nicht selten um bloße Umsetzungen der einschlägigen Bundesbeschlüsse, während in all jenen Territorien, die keinerlei Regelungen erließen, subsidiär gemeines Recht galt (1.)158. Daneben wurden in verschiedenen Einzelstaaten Gesetzentwürfe erarbeitet, die zwar niemals Gesetzeskraft erlangten, jedoch belegen, dass die §§ 1005 ff. ALR regelmäßig wenn nicht als Vorbild, so doch zumindest als Orientierungshilfe bei der Abfassung von Autorenrücktrittsrechten herangezogen wurden (2.). 1. Gesetzliche Regelungen zum Verlags- und Urheberrecht Neben Preußen, Österreich159 und Baden160 existierten in Anhalt-Bernburg161, Anhalt-Köthen162, Anhalt-Dessau163, Bayern164, Braunschweig165, 158 Wittmann,
G., S. 5. das bereits betrachtete ABGB hinaus erging in Österreich am 19.10.1846 ein Urheberrechtsgesetz, welches stark an das preußische Gesetz von 1837 angelehnt war und dementsprechend keine urhebervertragsrechtlichen Vorschriften enthielt. Zur Entwicklung in Österreich auch Schmidl, S. 7 ff. 160 In Baden erging über die ebenfalls bereits beleuchteten Vorschriftenkataloge hinaus am 17.09.1847 eine weitere Verordnung zum Nachdruck, die jedoch gleichermaßen keine Rücktrittsrechte des Autors beinhaltet. Die Verordnung findet sich bei Eisenlohr, Sammlung, S. 12 f. 161 Verordnung vom 02.12.1827; die im folgenden benannten Regelungskataloge finden sich abgedruckt bei Eisenlohr, Sammlung, S. 5 ff.; Voigtländer, VerlagsV, S. 11 ff.; Petsch, S. 2 ff. sowie teilweise bei Volkmann, S. 18 ff.; dazu auch Mogg, S. 76 ff. und Wittmann, G., S. 5 f. 162 Mandat vom 23.12.1828. 159 Über
IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten135
Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel167, Hamburg168, Holstein169, Lippe170, Luxemburg171, Lübeck172, Mecklenburg173, Nassau174, Oldenburg175, Reuß jüngere Linie176, Sachsen177, Sachsen-Altenburg178, Sachsen-Coburg-Gotha179, Sachsen-Meiningen-Hildburghausen180, Sachsen-Weimar-Eisenach181 und Württemberg182 Regelungen zum Verlags- und Urheberrecht. Sofern die vorgenannten Kataloge verlagsrechtliche Bestimmungen enthielten, kannten diese keine Rücktrittsrechte des Autors. Beispielsweise statuierte die jüngste Kodifikation in Gestalt des sächsischen BGB (sBGB), welche (vom bereits behandelten preußischen Landrecht abgesehen) zugleich die ausführlichsten verlagsrechtlichen Vorschriften enthielt, lediglich für den Fall des zufälligen Untergangs des Werkes die Vertragsbeendigung ipso iure (§§ 1144–1148 sBGB). Bei den urheberrechtlichen Kodifikationen und Regelungen handelte es sich hingegen ausschließlich um mehr oder weniger ausführliche Nachdruckverbote, die – teils eindeutig an das preußische Gesetz von 1837 angelehnt183 – nahezu keinerlei urhebervertragsrechtliche Bestimmungen und demnach auch keine Rücktrittsrechte enthielten.
163 Verordnung
vom 15. / 24.11.1827. vom 15.04.1840; dazu ausführlich Feld, passim. 165 Gesetz vom 10.02.1842. 166 Gesetz vom 23.09.1830. 167 Gesetz vom 16.05.1829. 168 Rathschluß vom 16.03.1838 sowie Raths- und Bürger-Schluß vom 25.11.1847. 169 Kanzleipatente vom 30.05.1833, 23.03.1839 sowie vom 20.11.1845. 170 Verordnung vom 18.12.1827. 171 Arrêté du 23. Sept. 1814 / 3. Août 1815, Loi du 2. Janvier 1817, Verordnung vom 28.11.1832 sowie Beschluss vom 13.07.1838. 172 Verordnung vom 31.07.1841. 173 Verordnung vom 19.04.1843. 174 Edikt vom 04.05.1814. 175 Strafgesetz von 1814. 176 Verordnungen vom 24.12.1827 und vom 06.06.1843. 177 Gesetz vom 22.02.1844 nebst der Ausführungs- und Auslegungsverordnungen vom 22.02.1844 und 04.07.1844 sowie §§ 1139 bis 1149 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen vom 02.01.1863. 178 Gesetz vom 01.12.1827 und 09.01.1828. 179 Verordnung vom 18.09.1828. 180 Verordnung vom 07.05.1829. 181 Gesetz vom 11.01.1839. 182 Provisorisches Gesetz vom 22.07.1836. 183 Dies galt insbesondere für die Gesetze Hamburgs (1838), Bayerns (1840) und Sachsens (1844). 164 Gesetz
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
2. Einzelstaatliche und private Gesetzentwürfe: Württemberg, Bayern und Sachsen Ab dem Ende der 1830er Jahre wurden neben Preußen auch in Württemberg, Bayern und Sachsen Gesetzentwürfe erarbeitet, welche Rücktrittsrechte des Autors wegen veränderter Umstände bzw. freie Autorenrücktrittsrechte vorsahen. Im ersten Fall handelt es sich um den Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg aus dem Jahr 1839 [a)], der jedoch ebenso wenig Gesetzeskraft erlangte184 wie der Entwurf eines bürger lichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern von 1861185 [b)] oder der im Auftrag des Leipziger Literatenvereins (der ersten deutschen berufsständischen Schriftstellerorganisation, die u. a. Heinrich Brockhaus und Robert Blum zu ihren Mitgliedern zählte186) verfertigte Privatentwurf des an der Universität Jena lehrenden Juristen Albert Berger, welcher im Jahr 1845 veröffentlicht wurde [c)]. a) Der Entwurf eines HGB für das Königreich Württemberg (1839) Der Entwurf eines württembergischen Handelsgesetzbuches (WHGB) war der erste Versuch einer umfassenden Kodifikation des Handelsrechts im Territorium des späteren Deutschen Reiches.187 Vom Tübinger Professor und Präsidenten des Stuttgarter Kassationshofes Carl (von) Hofacker verfasst188, regelte der Entwurf das Verlagsrecht in den Art. 374 bis 388 WHGB. Bei der Genese standen ausweislich der Motive insbesondere die Vorschriften des preußischen Allgemeinen Landrechts Pate189, da man in den Einzelstaaten allein aus ökonomischen Gründen eine bewusste Anlehnung an das preußische Recht suchte190 und das Königreich Württemberg überdies seit 1834 mit 184 Zu den für das Scheitern des Gesetzentwurfes maßgeblichen Gründen siehe Bergfeld, Ius Commune VII (1978), S. 247 ff. 185 Zu den Gründen für das Scheitern des Gesetzentwurfes siehe Dölemeyer, Ius Commune V (1975), S. 176 f. 186 Ausführlich zum Leipziger Literatenverein Stegers, AGB 19 (1978), S. 229 ff. 187 Dazu ausführlich Bergfeld, Ius Commune VII (1978), S. 226 ff. sowie Mayer, S. 85 ff. 188 Dazu ausführlich die Einführung von Schubert, in: ders., Entwurf, S. (3) f. 189 Siehe Schubert, Motive, S. 9, 344 f. 190 Bei dem bereits oben unter C. III. zitierten Stuttgarter Buchhändler Neff hieß es weiter (S. 16), das ein „Gesetz, das einen geringern Schutz […] gewährt, als das preussische, […] in vielen Fällen so gut [sei], als wenn es nicht existierte, und in andern wendet es den Stachel gegen unsre eigene Industrie und drängt den Verlagsbuchhandel nach Preussen“.
IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten137
Preußen, Bayern und Hessen-Darmstadt in einem Zollverein verbunden war191. Regelungen zum Rücktritt des Autors finden sich in den Art. 376 f. WHGB. aa) Freies Rücktrittsrecht Art. 377 WHGB sah ein freies Rücktrittsrecht des Autors folgenden Wortlauts vor: „Der Verfasser ist berechtigt, die versprochene Herausgabe zu unterlassen und von dem Vertrage zurückzutreten. Er muß jedoch dem Verleger den Schaden wegen der unnütz gewordenen Vorbereitungen ersetzen, und darf das versprochene Werk innerhalb der nächsten zwei Jahre nach seinem Rücktritte nicht herausgeben, ohne vorher mit dem ersten Verleger wegen des entzogenen Gewinns übereingekommen zu seyn“192.
Wie sein preußisches Gegenstück verzichtete auch der württembergische Entwurf auf eine konkrete Benennung möglicher Rücktrittsgründe. Selbst wenn der Autor keine konkrete Veranlassung zum Rücktritt habe, so die Begründung, könne „niemals von einem gerichtlichen Zwange zu Herausgabe des Manuscripts die Rede seyn“, was auch für die Erben des Autors nach dessen Tod gelte. Mit Verweis auf das Lehrbuch von Pardessus193 wurde die Unzulässigkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Rücktrittsgründe betont. In zeitlicher Hinsicht gestattete Art. 377 WHGB den Rücktritt ausweislich des Wortlautes („Herausgabe zu unterlassen“) bis zum Beginn der Verbreitung. Um Schikanen zu erschweren sei schließlich – und insbesondere dies zeigt die Vorbildfunktion der §§ 1005 ff. ALR für den württembergischen Entwurf – die einjährige Nachhaftungsdauer des § 1007 ALR auf zwei Jahre verdoppelt worden194. bb) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Ein Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung des Verlegers sah der württembergische Entwurf ebenfalls vor. Unter der Überschrift „Versäumnis des Verlegers“ hieß es in § 376 WHGB: „Ist der Verleger säumig in Beziehung des Werkes oder Bezahlung des Honorars; so kann der Verfasser zurücktreten gegen Rückgabe des empfangenen und Zurücklassung des versprochenen Honorars. Bergfeld, Ius Commune VII (1978), S. 231 f. Entwurf, S. 115. 193 Siehe dazu bereits oben, B. II. 194 Schubert, Motive, S. 345. 191 Dazu
192 Schubert,
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Doch kann das Gericht dem Verleger einen Erfüllungsaufschub gestatten (vergl. Art. 325. a. E.)“195.
Hofacker verwies in den Motiven zutreffend darauf, dass das preußische Landrecht diesen Punkt übergehe, sich dieser jedoch auch „nicht ganz von selbst verstehe“196, zumal er von dem in Art. 325 WHGB aufgestellten allgemeinen Grundsatz abwich, nach dem eine Vertragspartei bei Nichterfüllung neben dem Rücktritt auch Schadensersatz verlangen konnte. Eine darüber hinaus gehende Begründung lieferten die Motive nicht. Einzig hinsichtlich des Erfüllungsaufschubes verwies Hofacker darauf, dass auch dieser der Vermeidung von Schikanen diene197, was im Umkehrschluss zeigt, dass auch der Entwurf Württembergs den Rücktritt wegen Nichtausübung nicht von einer Fristsetzung abhängig machte. b) Der BGB-Entwurf für das Königreich Bayern (1861) Einen teilweise anderen Weg ging man in Bayern. Dort entstand in den 1850er Jahren der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches (BayBGB), der, 1861 fertiggestellt, das Verlagsrecht in siebenundzwanzig Artikeln regelte. In den Art. 831 und 855 BayBGB sah der Entwurf ein implizit geregeltes freies „Rücktrittsrecht“ vor [aa)]. Hingegen war ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung mit Art. 843 BayBGB ausdrücklich normiert [bb)]. aa) Freies Rücktrittsrecht Art. 831 BayBGB lautete: „Der Autor ist verpflichtet, dem Verleger das versprochene Werk in der vertragsgemäßen Beschaffenheit rechtzeitig zu liefern. Kommt der Autor seiner Verpflichtung nicht nach, so hat der Verleger vorbehaltlich des Art. 855 die Wahl, ob er auf Erfüllung klagen oder vom Vertrage abgehen will; liegt dem Autor ein Verschulden zur Last, so kann der Verleger in dem einen wie in dem andern Falle vollen Schadensersatz verlangen“198.
Hierauf aufbauend gestaltete sich der Wortlaut des besagten Art. 855 BayBGB wie folgt: „Der Verlagsvertrag wird aufgelöst:
195 Schubert,
Entwurf, S. 115. Motive, S. 344. 197 Schubert, Motive, S. 345. 198 Anonymus, Entwurf BayBGB, S. 174. 196 Schubert,
IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten139
1) wenn der Autor vor Vollendung des Werkes stirbt, oder unfähig oder sonst ohne seine Schuld verhindert wird, das Werk vertragsgemäß herzustellen […]“199.
Ähnlich wie das österreichische ABGB und der Entwurf des preußischen Revisionsministeriums kannte auch der bayerische Entwurf kein eigenes Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände. Vielmehr stand dem Autor, der sich aus entsprechenden Gründen vom Vertrag lossagen wollte, lediglich die Möglichkeit offen, das Werk nicht zu liefern und hierfür einen vollumfassenden, d. h. auch auf den entgangenen Gewinn gehenden Schadensersatzanspruch in Kauf zu nehmen. Dies galt einzig dann nicht, wenn ein Fall der Art. 855 Nr. 1 BayBGB vorlag, wobei dessen Rechtsfolge ipso iure eintrat, es sich mithin also nicht um ein Gestaltungsrecht handelte. In den Motiven hieß es dazu, dass die Beendigung des Verlagsvertrages grundsätzlich nach den auch für die übrigen Verträge geltenden Grundsätzen zu erfolgen habe, es jedoch mit Blick auf die Besonderheiten des Verlagsgeschäfts zweckmäßig erscheine, diese in bestimmten Punkten zu modifizieren. Dies umfasse insbesondere den Fall, so die Motive weiter, „wenn vor der Ablieferung des Werkes […] die Vollendung desselben durch eine in der Persönlichkeit des Autors zufällig eingetretene Veränderung oder durch seinen Tod unmöglich geworden“ sei. In der Folge werde der Vertrag aufgelöst, da dessen Ausführung ausschließlich auf jene Persönlichkeit berechnet sei und eine Subsititution derselben, selbst wo sie an sich möglich wäre, keinem Teil zugemutet werden könne200. Offen blieb indes, was genau unter „zufällig in der Persönlichkeit des Autors eintretende Veränderungen“ fallen sollte. Die Gleichsetzung mit dem Tod des Autors, die Betonung rein zufälliger Veränderungen sowie die Tatsache, dass im Fall des Art. 855 Nr. 1 BayBGB kein Ersatzanspruch des Verlegers vorgesehen war, legt jedoch nahe, dass die Vorschrift nur eng zu fassenden Fällen zur Anwendung kommen sollte. bb) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Hingegen statuierte auch der bayerische Entwurf mit Art 843 BayBGB ein Rücktrittsrecht des Autors für den Fall der Nichtausübung des Verlagsrechts: „Der Verleger ist verpflichtet, das Werk […] in vertragsgemäßer Weise zu vervielfältigen. Ist über die Art der Vervielfältigung Nichts bestimmt, so hat dieselbe in einer der Bedeutung des Werkes und dem Zwecke seiner Verbreitung entsprechenden Weise zu geschehen. Ist dem Verleger auch die weitere Auflage übertragen, so ist er zur Herstellung derselben verpflichtet, sobald die erste Auflage vergriffen ist.
199 Anonymus, 200 Anonymus,
Entwurf BayBGB, S. 177. Motive BayBGB, S. 256.
140
C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Kommt der Verleger seiner Verpflichtung nicht nach, so hat der Autor die Wahl, ob er auf Erfüllung klagen oder vom Vertrage abgehen will, und kann, wenn dem Verleger ein Verschulden zur Last fällt, vollen Schadensersatz verlangen“201.
Hierzu hieß es in den Motiven, dass der Autor regelmäßig ein über das Honorar hinausgehendes, mannigfaltiges Interesse an der Veröffentlichung und Verbreitung seines Werkes habe: „Abgesehen von seinen höheren idealen Zwecken [sic!]“ könne die Veröffentlichung und Verbreitung seines Werkes, „indem sie den Inhalt seines Produktes dem öffentlichen Urtheile und der wissenschaftlichen Kritik unterwirft, für ihn zu neuen Anregungen und Produktionen führen“, sie bedinge seine weitere Tätigkeit auf dem Gebiet der Literatur und Kunst und häufig selbst eine glückliche Umgestaltung seiner Lebensverhältnisse. Den in dieser Hinsicht durch den Verlagsvertrag übernommenen Verbindlichkeiten dürfe sich der Verleger daher nicht willkürlich entziehen202. Klar trat hier der persönlichkeitsschützende Gedanke hinter dem Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung zutage. c) Der sächsische „Berger-Entwurf“ (1845) Der Entwurf Albert Bergers (BE), der nebst Motiven in der in Leipzig erscheinenden „Allgemeinen Preßzeitung“ veröffentlicht wurde203, baute auf das sächsische Gesetz „den Schutz der Rechte an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst betreffend“ vom 22. Februar 1844204 auf. Die Beschränkung auf das Königreich Sachsen war jedoch weniger lokalpatriotischen Motiven denn dem Umstand geschuldet, dass Berger angesichts der deutschen „Kleinstaaterei“ und der politischen Situation im Vormärz realistisch genug war, um zu erkennen, dass an eine praktische Realisierung der Vorschläge auf Bundesebene zum damaligen Zeitpunkt nicht zu denken war205. Der Berger-Entwurf normierte in § 21 ein freies Rücktrittsrecht des Autors und in § 28 ein Rücktrittsrecht für den Fall der Nichtausübung durch den Verleger.
201 Anonymus,
Entwurf BayBGB, S. 175 f. Motive BayBGB, S. 255. 203 Allgemeine Preßzeitung (APZ) Jg. 1845, Nr. 31–34, S. 121 f., 126, 129 ff., (Gesetzentwurf); Nr. 34–39, S. 134 f., 137 f., 141 f., 145 f.,149 ff. (Motive). Der Entwurf ist auszugsweise abgedruckt bei Petsch, S. 6 ff. und Schürmann, S. 295 ff. 204 Abgedruckt u. a. bei Eisenlohr, Sammlung, S. 64 ff. 205 APZ 1845, S. 134. 202 Anonymus,
IV. Die Entwicklung in den übrigen Staaten141
aa) Freies Rücktrittsrecht § 21 BE lautete: „Es kann aber der Verfasser nicht gezwungen werden, durch Übergabe des versprochenen Manuscripts den Verlagsvertrag zu erfüllen. Vielmehr kann der Verfasser zu jeder Zeit zurücktreten, muß aber dem Verleger den dadurch wirklich erlittenen Schaden ersetzen und ihn, wenn er in böser Absicht zurücktrat, auch für den entgangenen Gewinn entschädigen. Die böse Absicht wird vermuthet, wenn der Verfasser binnen drei Jahren, vom Rücktritt gerechnet, das Werk in einem andern Verlag oder im Selbstverlag herausgibt. Hat aber der Verleger den Rücktritt des Autors vorsätzlich veranlaßt, so fällt die Verbindlichkeit des Letztern zum Schadenersatze weg“206.
Bergers Entwurf sah demnach gleichermaßen ein freies Rücktrittsrecht vor, welches sich ausweislich der Motive aus der Natur der Sache, d. h. der Nichterzwingbarkeit geistig-schöpferischer Tätigkeit ergab. Selbst wenn man den Autor, so Bergers Begründung, durch die Androhung von Geld- oder Arreststrafen zur Arbeit zwingen könne, so würde doch stets ein unbrauchbares Werk die Folge sein, welches weder den Interessen der Wissenschaft noch den materiellen Interessen des Verlegers genügen würde207. Bis zu welchem Zeitpunkt Berger den Rücktritt als zulässig erachtete, ist dem Wortlaut nicht eindeutig zu entnehmen; die Fokussierung auf die Nichterzwingbarkeit sowie die Gleichsetzung von Übergabe des Werkes und Erfüllung des Vertrages legt jedoch nahe, dass ein Rücktritt nur bis zur Ablieferung des Werkes möglich sein sollte. Bemerkenswert ist überdies, dass Berger, der als Exponent der Autoren interessen zu gelten hat, das Rücktrittsrecht – entgegen der übrigen Entwürfe – mit den Interessen der Wissenschaft einerseits sowie den materiellen Interessen des Buchhändlers andererseits rechtfertigte. Berger konkretisierte insofern den in allgemeiner Form erstmals von Heydemann im Zuge der preußischen Bemühungen um ein eigenständiges Verlagsgesetz formulierten Gedanken, dass Verleger- und Autoreninteressen im Einzelfall Hand in Hand gehen konnten208. Dies galt freilich primär für erst noch zu verfertigende Werke. Hinsichtlich der Ersatzansprüche des Verlegers im Rücktrittsfall hieß es lediglich, dass § 21 BE insofern den allgemeinen Regelungen entspräche, während als Beispiel für die Veranlassung des Rücktritts durch den Verleger der Fall angeführt wurde, dass dieser dem Autor wider besseren Wissens 206 APZ 1845,
S. 126. S. 141. 208 Siehe oben, C. III. 6. 207 APZ 1845,
142
C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Glauben machte, ein berühmter Schriftsteller schriebe über denselben Gegenstand209. bb) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Weiter hieß es in § 28 BE: „Zögert der Verleger mit der Erfüllung dieser Verbindlichkeit [gemeint war an dieser Stelle § 26 BE, welcher den Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes verpflichtete], so kann der Autor entweder: 1) vom Contracte abgehen – wovon er jedoch den Verleger in Kenntniß setzen muß –, das Manuscript zurückfordern und Ersatz des wirklich entstandenen Schadens fodern [sic]; muß aber auch das bereits erhaltene Honorar zurückzahlen; oder 2) auf Erfüllung des Contracts klagen und nach den unter 1 aufgestellten Regeln Schadenersatz fodern [sic]“210.
Bemerkenswerterweise äußerte sich Berger in den Motiven nicht zu dieser Vorschrift. Vermutlich sah er § 28 BE als logische Konsequenz der Verpflichtung des Verlegers zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes aus § 26 BE. Dies legt ein Blick in die Motive zu § 34 BE nahe, der dem Autor ein Rücktrittsrecht nebst Schadensersatzanspruch für den Fall einräumte, dass der Verleger das Werk nicht auf die gewöhnliche und der Natur des Werkes entsprechende Weise ausstattete, indem er beispielsweise den Druck oder die Format- bzw. Papierwahl unzulänglich besorgte. Hierzu hieß es, dass die Pflicht zur ordentlichen Ausstattung des Werkes natürliche Folge der Veröffentlichungs- und Verbreitungspflicht sei, zumal eine schlechte Ausstattung die Schriftstellerinteressen ebenso gefährde wie die Hemmung des Vertriebes an sich211. Wenn Berger dem Autor folglich bereits bei schlechter Besorgung respektive Hemmung des Vertriebes ein Rücktrittsrecht einräumte, ist die Normierung eines entsprechenden Gestaltungsrechts bei gänzlicher Nichtausübung aus denselben Gründen nur konsequent.
V. Das freie Rücktrittsrecht in der vorbereitenden Vorlage zum „Dresdner Entwurf“ (1863–1864) Schließlich kam es zwischen 1863 und 1866 auf Bundesebene zu dem Versuch, ein einheitliches Obligationenrecht zu schaffen, welches auch Be-
209 APZ 1845,
S. 142. S. 129. 211 APZ 1845, S. 145. 210 APZ 1845,
V. Freies Rücktrittsrecht in der Vorlage zum „Dresdner Entwurf“ (1863–1864)143
stimmungen zum Verlagsrecht umfassen sollte212. Der Entwurf des „Allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse“ – nach dem Sitz der arbeitenden Kommission auch als „Dresdner Entwurf“ bezeichnet – regelte das Verlagsrecht in den Art. 656 bis 674213. Die besagte Kommission, welche sich aus Vertretern der Regierungen Österreichs, Sachsens, Bayerns, Hannovers, Württembergs, Hessen-Darmstadts und Frankfurts zusammensetzte214, orientierte sich dabei vorrangig am bayerischen BGB-Entwurf, griff jedoch u. a. auch auf das preußische Landrecht zurück215. Die fehlende Beteiligung Preußens war dabei dem – seinem Höhepunkt zustrebenden – Deutschen Dualismus geschuldet216, welcher im Jahr 1866 zum Deutsch-deutschen Krieg führen und das Ende des Deutschen Bundes und damit auch des „Dresdner Entwurfes“ herbeiführen sollte. Zwar enthielt der „Dresdner Entwurf“ in seiner Endfassung weder ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände noch wegen Nichtausübung, doch statuierte der Vorlageentwurf (VE) mit Art. 720 ein freies Rücktrittsrecht des Autors, welches durch die Kommission unter dem Präsidium des österreichischen Kommissars Franz v. Raule217 nach breiter Diskussion verworfen wurde. Diese Vorschrift und die sie begleitende Debatte verdient es – gleich den preußischen Bestrebungen nach einem eigenständigen Verlagsgesetz – detaillierter betrachtet zu werden, da sie zum einen aufgrund der multinationalen Zusammensetzung der Kommission den repräsentativen Charakter vieler der bereits im Zuge des preußischen Kodifikationsversuchs vertretenen Positionen zum freien Rücktrittsrecht des Autors zeigt. In einer Zusammenschau mit den im nachfolgenden Abschnitt (VI.) dargestellten Äußerungen der zeitgenössischen Jurisprudenz zu den Rücktrittsrechten liefert sie andererseits ein relativ geschlossenes Gesamtbild der diesbezüglich vorherrschenden Ansichten am Vorabend der Reichsgründung und der unwesentlich später einsetzenden Bemühungen um ein gesamtdeutsches Verlagsgesetz. 212 Zu Vorgeschichte und Hintergrund siehe Francke, S. III ff.; Dölemeyer, III / 2, S. 1562 ff. 213 Der Entwurf ist abgedruckt bei Francke, S. 1 ff. 214 Eine Liste der Kommissionsmitglieder findet sich bei Francke, S. IV f.; dazu auch Dölemeyer, III / 2, S. 1563. 215 Hedemann, S. 22 f. 216 Hedemann, S. 31, 33; Vogel, Verlagsrecht, S. 192; Preußen versuchte seinerseits, Verhandlungen zur Rechtsvereinheitlichung außerhalb des Bundes zu führen und durch Umgehung desselben den „Weg einer unmittelbaren Vereinbarung unter den willigen Regierungen“ (Hedemann, S. 11, zit. n. Dölemeyer, III / 2, S. 1565) einzuschlagen. Hierfür fand das Königreich jedoch keine Mehrheit in der Bundes versammlung, siehe Dölemeyer, III / 2, S. 1565 sowie ausführlich Schubert, Bd. 1, S. XIX f. 217 Zur Person siehe Schubert, Bd. 1, S. XV.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
1. Inhalt und Begründung des Rücktrittsrechts Art. 720 VE lautete: „Der Autor kann, so lange er nicht das ganze Werk dem Verleger zur Vervielfältigung übergeben hat, von dem Vertrage abgehen. Geht er willkührlich von dem Vertrage ab, so ist er verpflichtet, dem Verleger den unmittelbar oder mittelbar dadurch verursachten Schaden zu ersetzen und den Gewinn zu vergüten, welchen dieser aus dem Vertriebe seines Werkes hätte ziehen können“218.
Bereits zum Auftakt der Sitzung vom 18. September 1864, in welcher diese Vorschrift zur Debatte stand, wurde hervorgehoben, dass mit dem Art. 720 VE eine den §§ 1005 und 1006 ALR ähnliche Bestimmung in den Vorentwurf aufgenommen worden sei. Diese beruhe auf dem Gedanken, dass „dem Autor mit Rücksicht auf eine Veränderung seiner Anschauungen und Inten tionen über das Werk, einer Veränderung, welche durch die verschiedensten Anlässe hervorgerufen werden könne, völlig freigelassen werden [müsse], von der Publication des Werkes zurückzutreten, so lange er den Vertrag durch Uebergabe des gesamten Werkes […] nicht bereits erfüllt habe“.
Der Unterschied zur preußischen Kodifikation lag insbesondere in der temporären Beschränkung des Rücktrittsrechts auf den Zeitraum bis zur Ablieferung des Werkes (und nicht etwa bis zur Beendigung des Druckes bzw. zum Beginn der Herausgabe) sowie in der grundsätzlichen Haftung auf den entgangenen Gewinn, was sich deutlich daran zeigt, dass lediglich auf §§ 1005 f., nicht jedoch auf § 1007 ALR verwiesen wurde. Von den Befürwortern der Vorschrift (eine Zuordnung der Äußerungen zu einzelnen Kommissionsmitgliedern ist mangels namentlicher Benennung in den Protokollen nicht möglich) wurde besonders hervorgehoben, dass der Rücktritt im freien Ermessen des Autors stünde und insofern von bloßen Zufälligkeiten abgegrenzt werden müsse, die gemäß Art. 719 VE219 ein Erlöschen des Vertragsverhältnisses ipso iure zur Folge hätten220. Vielmehr handle es sich bei dem Rücktrittsrecht des Art. 720 VE um eine, aus der besonderen Natur des Verlagsvertragsverhältnisses fließende Ausnahme. Aus diesem Grund sei auch eine nähere Definition der Rücktrittsgründe fehl am Platze, da diese allein „auf eigenthümlichen Anschauungen [des Autors] über die Güte, über die Intentionen bei der Schaffung des Werkes, und auf den mit bei Schubert, Bd. 3, S. 2448. lautete: „Der Verlagsvertrag erlischt, wenn der Autor vor der Vollendung des Werkes stirbt, oder sonst durch Zufall unfähig oder verhindert wird, das Werk vertragsmäßig zu liefern, oder wenn die Erreichung des Zweckes, zu welchem nach der Absicht der Vertragsschließenden die Veröffentlichung des Werkes dienen sollte, zufällig unmöglich geworden ist“. 220 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2448. 218 Nachdruck
219 Art. 719 VE
V. Freies Rücktrittsrecht in der Vorlage zum „Dresdner Entwurf“ (1863–1864)145
der Publication des Werkes für die persönliche Stellung des Autors verbundenen Folgen“ beruhen könnten, das Motiv für einen Rücktritt mithin insbesondere in einer zwischenzeitlich gewandelten (gesellschaftlichen, politischen oder religiösen) Situation liegen konnte. Noch konkreter hieß es im Folgenden, dass „bei dem Verlagsvertrage […] die Stellung, in welche die Person des Autors zu seinem Werke vermöge dessen Veröffentlichung trete, besonders ins Auge zu fassen [sei und dem Autor] im Interesse seiner Autorsehre, seiner Lebensstellung, seiner bei Schaffung des Werkes gehegten geistigen Intentionen, die Möglichkeit, seine Sinnesänderung in diesen Richtungen zu verwirklichen, frei gelassen werden [müsse], sofern er nur dem anderen Theile allen Schaden nach Maßgabe des geschlossenen Vertrages ersetze“221.
Deutlich wurde dem Rücktrittsrecht des Art. 720 VE hier eine starke, ja ausschließlich persönlichkeitsschützende Dimension zugesprochen. 2. Bedenken gegen die Einführung eines Rücktrittsrechts Kritiker gaben neben zunächst systematisch-logische Brüche zu bedenken, die sich aus anderen Vorschriften des Entwurfs ergaben: Gemäß Art. 700 VE konnte der Verleger den Autor auf Leistung verklagen222, was man als unvereinbar mit dem aus Art. 720 VE folgenden Recht des Autors erachtete, seine Leistung zu verweigern und Schadensersatzansprüche in Kauf zu nehmen. Aus diesem Grund war man der Ansicht, dass das preußische Landrecht, welches eine Klage des Verlegers auf Leistung gerade nicht vorsah, in diesem Fall auch nicht als Maßstab herangezogen werden könne223. Insbesondere differenziere § 1006 ALR nicht zwischen den Fällen der (zufälligen) Verhinderung und des (absichtlichen) Rücktritts des Autors, da es lediglich pauschal von sich ereignenden „Umständen oder Hindernissen“ sprach (die Tatsache, dass mit § 1010 ALR zumindest für den Fall der objektiven Unmöglichkeit eine gesonderte Regelung vorhanden war, übersah man hier224). Abgesehen 221 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2449. 222 Art. 700 VE lautete: „Der Autor oder sein Rechtsnachfolger ist verpflichtet, das Werk in der vertragsmäßigen Beschaffenheit rechtzeitig dem Verleger zu überliefern. Erfüllt der Autor oder sein Rechtsnachfolger aus Verschuldung seine Verbindlichkeit nicht oder nicht rechtzeitig, so kann der Verleger, vorbehältlich der Bestimmung des Art. 720, nach seiner Wahl Erfüllung des Vertrages und Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages verlangen, oder von dem Vertrage abgehen, gleiche als ob derselbe nicht geschlossen wäre“. 223 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2449. 224 Siehe oben, B. I. 1. lit. d).
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
davon erachtete man die ältere Gesetzgebung im Allgemeinen als Vorbild wenig geeignet, da sich erst die jüngere Jurisprudenz eingehend mit dem Begriff und Wesen des Autor- und Verlagsrechts auseinandergesetzt habe225. Obschon man die besondere Eigenart geistig-schöpferischer Tätigkeiten anerkenne, könne diese nur dann Berücksichtigung finden, wenn es sich um ein erst noch zu fertigendes Werk handle. In jedem Fall schließe aber auch das Wesen der geistigen Tätigkeit nicht aus, dass diese, sobald sie zum Gegenstand eines Vertrages gemacht wurde, rechtlich wie jedes andere Vertragsobjekt zu behandeln sei. Zwar würde eine auf Erfüllung gerichtete Klage bei noch nicht existenten Werken allein schon aufgrund der Unerzwingbarkeit der Autorenleistung zu keinem Ergebnis führen, gleichwohl sei es unbillig, dem Verleger durch ein derart weitreichendes Autorenrücktrittsrecht von vornherein jedwede Klagemöglichkeit zu nehmen. Die Klage sei für den Verleger ein probates Mittel, seinen Schaden „in der Executionsinstanz durch das juramentum in litem226 zu quantificiren“, während er ansonsten vor der Schwierigkeit stünde, den erlittenen Schaden sowie den entgangenen Gewinn tatsächlich nachweisen zu müssen. Mindestens sei demnach eine Erleichterung der Schadensberechnung für den Verleger erforderlich, indem man „den Erlös aus dem Verkaufe sämmtlicher Exemplare der Auflage unter Abrechnung der Herstellungs- und Betriebskosten zum Anhalt nähme“227. In erster Linie befürchtete man aber, dass die Aufnahme des Art. 720 VE dazu führen würde, dass sich der Autor „ohne allen rechtmäßigen Grund, ja selbst aus den verwerflichsten Motiven, als Wankelmüthigkeit, Trägheit, Chicanen gegen den Verleger usw. seiner nächsten Contractpflicht“ entziehe. Man könne sich, so die Kritiker weiter, allenfalls dann für ein freies Autorenrücktrittsrecht aussprechen, wenn die Rücktrittsgründe gerichtlich überprüfbar seien. Eine derartige Einschränkung des Rücktrittsrechts wäre jedoch faktisch der Regelung des Art. 719 VE gleichgekommen, welche die Vertragsaufhebung von Rechts wegen bei objektiver Unmöglichkeit (Tod des Autors, Zweckfortfall der Publikation) anordnete, also gerade nicht auf die subjektive Sicht des Verfassers abstellte. Andererseits sei eine, jedweden Rechtsmissbrauch antizipierende Modifikation des Art. 720 VE allein schon aufgrund der Schwierigkeit ausgeschlossen, die schiere Unmenge möglicher Rücktrittsmotive gehörig zu präzisieren228. 225 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2455. 226 Hervorhebung im Original; zum Schätzungseid siehe bereits oben, B. I. 3. lit. c) aa). 227 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2454 f. 228 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2457.
V. Freies Rücktrittsrecht in der Vorlage zum „Dresdner Entwurf“ (1863–1864)147
In der Folge kam man von dieser Seite zu dem Schluss, dass man zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten und -missbrauch von dem Grundsatz der Unverbrüchlichkeit von Verträgen nicht abweichen sollte und sprach sich für die Streichung des Art. 720 VE aus229. 3. Gegenkritik und Streichung des Rücktrittsrechts Andere Kommissionsmitglieder räumten ein, dass hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit des Rücktrittsrechts verschiedene Auffassungen möglich seien, erklärten sich im Ergebnis jedoch für die Vorschrift des Art. 720 VE. Neben den bereits angeführten persönlichkeitsschützenden Aspekten führten diese vor allem praktische Erwägungen an: Selbst ohne die Normierung eines Rücktrittsrechts könne der Autor einfach die Herstellung bzw. Ablieferung des versprochenen Werkes verweigern, etwaige Geld- oder Arreststrafen über sich ergehen lassen und sich damit faktisch dasjenige Rücktrittsrecht erwirken, welches ihm mit Art. 720 VE gesetzlich gegeben werden sollte. Auch für den Verleger war die Situation identisch: Ihm erwuchs in beiden Fällen ein vollumfänglicher Ersatzanspruch230. Aus demselben Grund hielt man auch eine Differenzierung zwischen bereits hergestellten und erst noch zu fertigenden Werken für wenig sinnvoll: Wenn der Autor gewillt war, ein Werk nicht herauszugeben, so halte ihn dieser Sinneswandel von der Fertigung bzw. Vollendung ebenso ab wie von der Ablieferung eines bereits fertiggestellten Werkes231. Vor diesem Hintergrund konstatierten die Vertreter der Gegenkritik, dass das Rücktrittsrecht des Urhebers wegen veränderter Umstände „zwar nicht unbedingt nöthig, aber doch darum wenigstens zweckmäßig sein dürfte“, weil es den den Parteien den Umweg eines erfolglosen Exekutionsverfahrens erspare und insofern auf einfacherem und friedlicherem Wege zum Ziel führe232. Ohnehin lasse sich ein aus persönlichen Gründen zum Rücktritt entschlossener Autor in der Regel auch durch „Geldund Arreststrafen […] nicht irre machen“, so dass es besser sei, dieser könne durch den Rücktritt eine Vertragsaufhebung „auf loyale Weise erzielen“233.
229 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2450. 230 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2456, ähnlich auch S. 2453. 231 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2455. 232 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2453; Hervorhebungen im Original. 233 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2457; ähnlich auch S. 2451.
19.09.1864, 19.09.1864, 19.09.1864, 19.09.1864, 19.09.1864,
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Zugleich lehnte man ein von der Beweisbarkeit der Rücktrittsgründe abhängiges Rücktrittsrecht oder gar ein bloßes Stehenbleiben bei der Vorschrift des Art. 719 VE ab: Die Beschränkung auf beweisbare Fälle greife aus den vorgenannten Gründen materiell zu kurz, während durch die von Rechts wegen erfolgende Vertragsaufhebung der Verleger noch ungünstiger gestellt werden würde, als dies nach Art. 720 VE der Fall sein würde234. Auch verwarf man die vorgeschlagene Schadensberechnungsmethode, da diese von der keineswegs selbstverständlichen Annahme ausging, dass der Verleger im Fall der ordnungsgemäßen Erfüllung durch den Autor stets auch sämtliche Exemplare einer Auflage würde absetzen können. Je unwahrscheinlicher jedoch der Absatz aller Exemplare einer Auflage war, desto größer wurde das Missverhältnis zwischen dem vom Autor als Ersatz zu zahlenden Betrag und dem tatsächlichen Schaden des Verlegers. Die Folge wäre eine umgekehrt proportional zum erwartenden Verkaufserfolg ansteigende Prohibitivwirkung der Ersatzverbindlichkeit gewesen, die dem Rücktrittsrecht „die Spitze abge brochen“235 hätte. Ferner wandte man sich gegen die Annahme, dass der prozessuale Schätzungseid dem Verleger den Schadensnachweis erleichtere und verwies auf die jüngste Entwicklung im Zivilprozessrecht, welche in diesem Instrument ein Auslaufmodell sah. So ließ etwa Art. 433 des Entwurfes der seit 1861 im Entstehen begriffenen bayerischen Zivilprozessordnung, welche entscheidend zur künftigen Ausrichtung des deutschen Zivilprozessrechts beitragen sollte236, den Schätzungseid nur noch dann zu, wenn ein Schaden nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ermittelt werden konnte. Vorrang genoss hier insbesondere die, ggf. auf Gutachten gestützte, freie Beweiswürdigung durch das Gericht, so dass der Eid bestenfalls noch in Ausnahmefällen zur Anwendung kam237. Systematische Brüche, welche sich aus einer Anerkennung des Art. 729 VE zwangsläufig ergeben hätten, sah man ebenfalls nicht: So schließe das Rücktrittsrecht weder prinzipiell eine Klage auf Erfüllung aus, noch ergebe sich aus seiner Normierung zwangsläufig die Gefahr, dass es stets als Einrede gegen derartige Klagen gebraucht würde. Letzteres werde insbesondere durch 234 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2451, ähnlich auch die Ausführungen eines anderen Kommissionsmitglieds ebd., S. 2452 f. 235 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2455. 236 Dahlmanns, S. 2641; allgemein zur Entwicklung des Zivilprozessrechts im Deutschen Bund und dessen Partikularstaaten ders., S. 2615 ff. 237 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2457.
VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ u. Rechtsprechung 1840–1870149
die als Folge des Rücktritts eintretenden Ersatzverbindlichkeiten verhindert.238 Schließlich verwarf man auch die Sorge, dass das Rücktrittsrecht des Art. 720 VE zu einer unbilligen Benachteiligung des Verlegers führen könnte – schließlich habe dieser regelmäßig nur ein finanzielles Interesse an der Vertragsdurchführung, das jedoch durch die Ersatzverbindlichkeit des zurücktretenden Autors hinlänglich gewahrt sei239. Diese Ersatzpflicht verhindere zugleich, dass sich letzterer durch Trägheit, Wankelmut oder Schikane zum Rücktritt verleiten lasse. Die Gegner des Rücktrittsrechts beharrten jedoch auf ihrem Standpunkt. Der Umstand, dass man bei der Nichtnormierung eines Rücktrittsrechts praktisch zur selben Rechtsfolge gelangte, sprach für sie eher gegen die Annahme des Art. 720 VA. Entsprechend schloss das Protokoll mit der knappen Feststellung, dass eine Einigung nicht zu erreichen war und nach einer im Patt endenden Abstimmung die Dezisivstimme des Vorsitzenden den Ausschlag für die Streichung des Artikels gab240. Doch auch der Gesamtentwurf war nur knapp zwei Jahre langlebiger: Er scheiterte zusammen mit dem Deutschen Bund am 14. Juni 1866241.
VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ und Rechtsprechung zwischen 1840 und 1870 Auch die Wissenschaft und die von dieser so bezeichnete „gemeinrechtliche Praxis“ befasste sich in der Zeit des Deutschen Bundes mit dem Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände respektive dem freien Autorenrücktrittsrecht (1.) und dem Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung (2.). 1. Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände / freies Rücktrittsrecht In dem 1870 im Auftrag des Börsenvereins der deutschen Buchhändler in Leipzig erschienenen, von dem königlichen Kammergerichtsrat Wilhelm 238 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2451. 239 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2451 f. 240 Protokoll der 170. Sitzung der Ausarbeitungskommission vom 19.09.1864, Nachdruck bei Schubert, Bd. 3, S. 2457. Ob dabei der Umstand eine Rolle gespielt hat, dass das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände preußischer Provenienz, der Vorsitzende v. Raule hingegen Österreicher war, muss an dieser Stelle Spekulation bleiben. 241 Siehe dazu Dölemeyer, III / 2, S. 1568.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Petsch herausgegebenen Kompendium der „Gesetzlichen Bestimmungen über den Verlagsvertrag in den einzelnen deutschen Staaten“ hieß es, die Regelungen der §§ 1005 ff. ALR seien „auch für das gemeine Recht an erkannt“242, wobei Petsch auf Werke Bluntschlis, Wächters, Walters und Klostermanns verwies. Die Begriffe der „gemeinrechtlichen Praxis“ bzw. des „gemeinen Rechts“ sind dabei keineswegs – wie noch im 18. Jahrhundert üblich – als Termini für den zeitgemäßen Gebrauch des römischen Rechts243 zu verstehen. Sie sind vielmehr Ausdruck des nationalliberalen Bestrebens, eine für ganz „Deutschland“ (all-)gemein(verbindlich)e Rechtsquelle neben den Gesetzen der Einzelstaaten aufzuzeigen244. In diesem Sinne ist auch Petschs Apostrophierung der §§ 1005 ff. ALR zu verstehen: Das Rücktrittsrecht preußischer Provinienz war mittelfristig zu einem allgemein akzeptierten verlagsrechtlichen Grundsatz geworden. Bereits die Betrachtung früherer Literatur legte diese Vermutung nahe; die legislatorischen Bestrebungen ab den 1830er Jahren bestätigen dies ebenso wie die von Petsch zur Begründung angeführten Werke und weitere, „gemeinrechtliche“ oder genuin „preußische“ Werke zum Verlagsrecht aus den Jahren 1851 bis 1867. So beschränkte sich Alexander v. Daniels 1851 – von den bereits zitierten Mutmaßungen zu den hinter §§ 1005 ff. ALR stehenden Motiven abgesehen245 – auf eine nahezu kommentarlose Wiedergabe der preußischen Vorschriften, obgleich er das landrechtliche Verlagsrecht als zu den am wenigsten gelungenen Teilen des Vertragsrechts zählte246. Auf Daniels verwies auch der schlesische Jurist Carl Christian Hiersemenzel im Jahr 1854. Hier hieß es u. a., dass das Gesetz nicht wollte, dass ein äußerer Zwang zu Unternehmungen stattfinde, welche den höheren Zweck des Fortschritts in Wissenschaft und Kunst verfolgten und dem Autor folglich in der Beurteilung, ob sein beabsichtigtes Unternehmen diesen Anforderungen genüge oder es den Zeitverhältnissen noch entspreche, nicht vorgegriffen werden dürfe. Bemerkenswerterweise schränkte Hiersemenzel diese Einschätzungsprärogative des Autors jedoch insofern ein, als er einen Rücktritt nur für noch nicht abgeschlossene Werke gestattete. Mit der Veräußerung des Vervielfältigungsrechts an einem fertigen Werk, so ergänzte er, sei der Autor „unbedingt zur Ueberlieferung verpflichtet“247. 242 Petsch,
S. 106. S. 98. 244 Daniel, S. 59, 217 f. Ausführlich zu den im 19. Jahrhundert vorherrschenden Vorstellungen, was unter dem Begriff des „gemeinen Rechts“ zu verstehen war siehe ders., S. 59 ff. 245 Siehe oben, B. I. 3. lit. c) aa). 246 Daniels, S. 271 / Fn. 1). 243 Daniel,
VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ u. Rechtsprechung 1840–1870151
Der Universitätsdozent Christian Friedrich Eisenlohr verwies in seinem 1855 erschienenen Werk „Das literarisch-artistische Eigenthum u. Verlagsrecht“ im Wesentlichen auf das preußische Landrecht, sprach jedoch ausdrücklich von „geänderter Überzeugung“, welche den Autor davon abhalte, das Werk zu liefern248. Er unterstrich damit abermals, dass die §§ 1005 ff. ALR vornehmlich auf die Veränderung subjektiver Umstände zielten, während das Abstellen auf die „Lieferung“ des Werkes als zeitliche Begrenzung des Rücktrittsrechts gedeutet werden kann. Im Übrigen sprach Eisenlohr auch bereits vom „Urheber“ und nicht mehr vom „Schriftsteller“ oder „Autor“249. Ohne auf preußische Vorschriften zu rekurrieren schrieb Ferdinand Walter, Geheimer Justizrat und Professor der Rechte in Bonn, in seinem im gleichen Jahr erschienenen „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ in knappen Worten, dass die Einrede des Autors berücksichtigt werden müsse, wenn er später wegen Veränderung seiner wissenschaftlichen Überzeugung, Unzulänglichkeit seiner Kräfte, oder seitdem erschienener Werke seinen Vertrag nicht mehr erfüllen zu können behaupte250. Auch hier werden ein Überzeugungswandel, aber auch nicht vom Willen des Autors abhängige, externe Umstände als Rücktrittsgrund benannt. Ebenfalls im Jahr 1855 und unter Bezugnahme auf die preußischen Vorschriften zum Autorenrücktritt schrieb der Münchener Ordinarius Johann Caspar Bluntschli251 in seinem Kommentar zum Privatrechtlichen Gesetzbuch für den Kanton Zürich, dass dort, wo es sich um individuelle Geistesarbeit handle, auch die individuellen Verhältnisse des Autors zu berücksichtigen seien. So lasse sich die schöpferische Kraft des Geistes nicht durch Verträge binden, da sie von der wechselnden Stimmung und Fähigkeit des Körpers und des Geistes des Autors abhänge. Diese Eigentümlichkeit werde in jedem Verlagsvertrag anerkannt, indem „nicht bloß die Krankheit des Autors, die ihn zur Arbeit unfähig macht, sondern ebenso eine wesentliche Veränderung seiner Lebensstellung, welche ihm die Muße oder die Freudigkeit des Geistes raubt, die zu solchen Arbeiten nöthig ist, […] als eine gegründete Ursache zu betrachten sei, welche ihn von der Pflicht der Erfüllung befreie“, wobei natürlich „nicht der Vorwand, sondern nur die wirkliche Behinderungsursache […] befreiend“252 wirke. Entsprechend sah auch Blunt247 Hiersemenzel,
S. 475. Verlagsrecht, S. 83 f. 249 Siehe etwa Eisenlohr, Verlagsrecht, S. 79. 250 Walter, S. 358. 251 Zur Person siehe Rehbinder, UFITA 123 (1993), S. 29 ff. 252 Bluntschli, ZGB, § 1600 Anm. 1. § 1600 ZGB lautete „Der Autor ist verpflichtet, das versprochene Werk zu liefern. Geschieht es nicht, so ist der Verleger berech248 Eisenlohr,
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
schli eine gerichtliche Kontrolle der Rücktrittsgründe vor: Von der nach schweizerischem Recht vorgesehen Haftung auf den entgangenen Gewinn bei doloser oder fahrlässiger Nichterfüllung des Verlagsvertrages könne sich der Autor nur befreien, wenn er hierfür einen rechtmäßigen Grund nachweise253. Bluntschlis Positionen kommt nicht nur insofern besondere Bedeutung zu, als sich in den Folgejahren namhafte Autoren bei ihren Ausführungen zu den Autorenrücktrittsrechten auf sie bezogen. Sie sind vielmehr auch vor dem Hintergrund der von Bluntschli zwei Jahre zuvor im ersten Band seines „Deutschen Privatrechts“ begründeten persönlichkeitsrechtlichen Lehre vom Urheberrecht zu sehen, welche als alternative dogmatische Erfassung des Urheberrechts eine Reaktion auf die zunehmende Ablehnung der Theorie vom geistigen Eigentum in der Rechtswissenschaft darstellte.254 Ausgehend von der Annahme, dass jedes Werk Ausdruck des persönlichen Geistes des Autors und das Autorrecht in der Folge ein „höchst persönliches Recht“ sei, betonte Bluntschli, dass zwischen beiden ein natürlicher Zusammenhang „wie zwischen Schöpfer und Geschöpf“ bestünde, in dessen Folge der Autor255 befugt sei, sein Werk für sich zu behalten und eine Veröffentlichung gegen seinen Willen zu verhindern. Insbesondere habe „niemand […] ein Recht, den Autor wider seinen Willen öffentlich zum Publicum reden zu lassen; und so ein Stück seiner Persönlichkeit […] und seiner (Autor-)Ehre der Gemeinschaft preiszugeben“256. Angesichts dieser Wortwahl überrascht es kaum, dass Bluntschli Kant dafür rühmte, als erster „mit Entschiedenheit tigt, für den daherigen Schaden, den er erlitten hat, Ersatz zu fordern und überdem von dem Vertrage zurückzutreten“. Darauf aufbauend bestimmte § 1601 ZGB: „Bei doloser oder fahrlässiger Nichterfüllung des Autors, oder wenn dieser im Verzuge ist, darf der Verleger auch für den muthmaßlichen Gewinn Ersatz fordern, der ihm um deßwillen entgangen ist. Die gesammte Ersatzforderung darf nur in dem Falle das verabredete Honorar für das nicht gelieferte Werk übersteigen, wenn der Autor dolos handelt“. Das ZGB, welches als „nichtdeutsche“ Kodifikation hier lediglich am Rande betrachtet wird, normierte also ähnlich § 1166 ABGB kein ausdrückliches Rücktrittsrecht des Autors im eigentlichen Sinne, sondern sah allein die Nichtablieferung des Werkes vor, wobei die schlussendliche Vertragsaufhebung vom Willen des Verlegers abhing; Bluntschli billigte jedoch bei Vorliegen der genannten Umstände dem Autor das Recht zu, das „Vertragsverhältnis [zu] kündigen“, siehe ders., ZGB, § 1600 Anm. 1 lit. b). Als Beispiel für den Fall „doloser Nichterfüllung“ nannte er vor allem die anderweitige Herausgabe, siehe Bluntschli, ZGB, § 1601 Anm. 1. Allgemein zum ZGB siehe Wieacker, S. 488 ff. 253 Bluntschli, ZGB, § 1601 Anm. 2. 254 Jänich, S. 86; Hansen, S. 23; dazu bereits oben, C. III. 5. lit. a). 255 In der zweiten Auflage (1860) sprach Bluntschli an dieser Stelle bereits vom „Urheber“ und bezeichnete dessen Recht „primär ein persönliches, secundär ein Vermögensrecht“, siehe Bluntschli, Deutsches Privatrecht (1860), S. 107, 112. 256 Bluntschli, Deutsches Privatrecht (1853), S. 191 f., 199.
VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ u. Rechtsprechung 1840–1870153
auf die persönliche Natur des Autorrechts hingewiesen zu haben“, obgleich Kants Ausführungen „im übrigen freilich […] noch unreif“257 gewesen seien. Oscar Wächter, promovierter Jurist, Politiker und Schriftsteller, dessen 1857 erschienenes Werk „Von dem Verlagsvertrag und Nachdruck nach den geltenden deutschen und internationalen Rechten mit besonderer Rücksicht auf die Gesetzgebungen von Oesterreich, Preussen, Bayern und Sachsen“ von Bluntschli als „vollständige und gediegene Bearbeitung“258 des Verlagsrechts gelobt wurde, betonte mit Verweis auf selbigen ebenfalls die Notwendigkeit der Berücksichtigung der besonderen Natur geistiger Produktionen. Wächter kritisierte das „preußische“ Rücktrittsrecht gar als zu verlegerfreundlich, wenn es den zurücktretenden Autor nach § 1006 ALR grundsätzlich zum Aufwendungsersatz verpflichte, da aus einem berechtigten Rücktritt niemals eine Ersatzverpflichtung entstehen könne. Berechtigt sei ein Rücktritt immer dann, wenn die eingetretenen Umstände derart sind, dass ein längeres Gebundensein des Autors eine entschiedene Unbilligkeit darstellen würde. Aus diesem Grund könne der Rücktritt auch nicht im bloßen Belieben des Autors stehen259. Hinsichtlich der Frage, wann solche Umstände anzunehmen sind, zitierte Wächter die oben wiedergegebenen Ausführungen Bluntschlis und nannte insbesondere eine gewandelte Überzeugung des Autors als Rücktrittsgrund. Dabei unterstrich er, dass der Überzeugungswandel nach Vertragsschluss eintreten, der Autor mithin vor Vertragsabschluss mit sich über den Gegenstand des Werkes im Reinen sein müsse, andernfalls handle er „leichtsinnig“, d. h. fahrlässig. Erst diese Fahrlässigkeit rechtfertige das Entstehen einer Ersatzverpflichtung i. S. d. § 1006 ALR. Hiervon wiederum unterschied er den Fall, dass der Autor „mutwillig“, d. h. ohne einen rechtfertigenden Grund zurücktrat, was insbesondere dann der Fall war, wenn der Rücktritt nur erfolgte, um das Werk anschließend einem anderen Verleger zu überlassen. In diesem Fall hafte der Autor vollumfänglich nach § 1007 ALR.260 Im Grundsatz übernahm Wächter damit die §§ 1005 ff. ALR und ging zugunsten des Autors sogar noch über diese hinaus, indem er den Rücktritt wegen veränderter Umstände, zumal im Fall des (berechtigten) Überzeugungswandels, haftungsfrei stellte. Nur konsequent war demnach Wächters Bestehen auf eine gerichtliche Überprüfung der Rücktrittsgründe: Nur auf diese Weise konnte festgestellt werden, ob 257 Bluntschli,
Deutsches Privatrecht (1853), S. 189. Deutsches Privatrecht (1860), S. 352. 259 Wächter, VerlagsR, S. 389 f. 260 Wächter, VerlagsR, S. 391. 258 Bluntschli,
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
der Rücktritt berechtigt war und der Verleger damit vor „Chikane“261 geschützt werden. Julius Jolly, seit 1847 Privatdozent an der Universität Heidelberg und späterer badischer Regierungschef, schrieb in seiner 1852 erschienenen Abhandlung „Die Lehre vom Nachdruck nach den Beschlüssen des deutschen Bundes“ im Kontext des Verlages gemeinschaftlich verfasster Werke, dass der einzelne Autor nicht zur Einwilligung in den Verlag gezwungen werden könne, selbst wenn er sich zuvor den anderen Autoren gegenüber dazu verpflichtet hatte. Man könne ihn allenfalls zu einer Geldentschädigung verurteilen, zumal „eine Verurtheilung zur Gestattung der Publikation einer nach der Vorstellung des Verfassers mangelhaften Arbeit, als der freien sittlichen Würde des Menschen zuwider, für unstatthaft zu halten“262 sei. Wenn dies bereits im Innenverhältnis der (Mit-)Autoren zueinander galt, so musste es erst recht im Außenverhältnis und damit gegenüber dem Verleger gelten. Der Jenenser Ordinarius für Handels- und Prozessrecht sowie Rechts- und Wirtschaftsgeschichte Wilhelm Endemann unterstrich in seinem Handelsrechtslehrbuch von 1865, dass es die Natur geistiger Arbeit, zumal bei noch nicht fertiggestellten Werken, nicht dulde, die Freiheit des Autors durch einen Zwang zur Vertragserfüllung zu beschränken. Mit Verweis auf § I 5 1000 ALR sah Endemann – entgegen der herrschenden Ansicht – zwar die Möglichkeit einer Klage auf Erfüllung gegen den Autor vor, betonte jedoch zugleich, dass im Falle der Weigerung des Autors eine Ersatzverbindlichkeit an die Stelle der Leistungspflicht trete. Er sah insofern kein Rücktrittsrecht, sondern eine einzelfallabhängige Prüfung vor, da der Verleger nicht per se von der Willkür des Autors abhängen sollte, zugleich aber „keine Gesetzgebung und keine Theorie […] die Grenze zwischen Freiheit und Gebundenheit“ auf die es hier ankäme, würde „definieren können, sondern nur [eine] konkrete Prüfung“263. Auch der Greifswalder Appellationsgerichtsrat Franz Förster unterstrich in seinem preußischen Privatrechtslehrbuch aus dem Jahr 1866 die Bedeutung der Überprüfbarkeit der veränderten Umstände und wandte sich insofern ebenfalls gegen ein Rücktrittsrecht aus „bloßem Belieben“264. Rudolf Klostermann265, dessen 1867 in Berlin erschienenes Werk „Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen nach Preus261 Wächter, VerlagsR, S. 391 mit ausdrücklichem Verweis auf Bielitz – oben, B. I. 3. lit. c) aa) – und in expliziter Abgrenzung zum Württembergischen HGB-Entwurf – oben, C. IV. 2. lit. a) aa). 262 Jolly, S. 196 f. 263 Endemann, S. 814 / Fn. 11. 264 Förster, S. 168. 265 Zur Person siehe Seckelmann, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 160 ff.
VI. Wissenschaft, „gemeinrechtliche Praxis“ u. Rechtsprechung 1840–1870155
sischem und internationalem Rechte“ eine Vorreiterrolle hinsichtlich des Verständnisses von dem Verhältnis der Rechtsgebiete des Geistigen Eigentums zueinander und zur Privatrechtsordnung im 19. Jahrhundert einnahm266, trat dem ebenfalls bei. Mit Verweis auf die §§ 1005 ff. ALR hob Klostermann hervor, dass die Wahl der Rücktrittsgründe (Klostermann selbst sprach vom „Widerruf“) vollkommen frei sei. Diese könnten insbesondere rein subjektiver Natur sein, also in Gewissenbedenken, persönlichen Rücksichten, einer dem Autor die Muße raubenden Veränderung seiner Lebensumstände oder einem Wandel seiner Überzeugungen bestehen. Die Motive müssten jedoch ausreichend erscheinen, um vom Standpunkt des Verfassers aus den Rücktritt zu motivieren; es stehe gerade nicht im Belieben des Autors, ohne Grund oder aus bloß vorgeschützten Motiven zurückzutreten. Klostermann verwies insofern auf Bluntschli und betonte, dass die preußischen Regelungen über den Rücktritt vom Verlagsvertrag auch für das Gebiet des Gemeinen Rechts anerkannt seien. Darüber hinaus unterstrich er, dass dem Autor das Rücktrittsrecht nur bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung zustehe. Wächters Vorstoß, den Autor im Falle des berechtigten Rücktritts haftungsfrei zu stellen verwarf Klostermann. Er wies vielmehr darauf hin, dass der Rücktritt Folge von Zufälligkeiten in der Person des Autors sei, deren ökonomische Folgen niemand anderes zu tragen habe als der Autor selbst. Insbesondere wäre es mehr als unbillig, dem Verleger die Kosten aufzubürden, wenn das Erscheinen des Werkes lediglich dadurch verhindert wurde, dass sich der Autor infolge eines Wandels seiner Überzeugungen zum Widerruf genötigt sah267. 2. Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Auch zum Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung finden sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur ab 1840 diverse Äußerungen. So unterstrich Berger 1841 – vier Jahre vor Abfassung seines Privatentwurfs268 – mit Verweis auf Kramer, dass der Autor „gegen den Verleger, der durch schlechte Ausstattung oder zu hohe Preise den Vertrieb verhindert, eine Klage auf Entschädigung, vielleicht auf Aufhebung des gestatteten Verlagsrechts habe“269. Ähnlich hieß es in Bluntschlis „Deutschem Privatrecht“ von 1853, dass dem Autor für den Fall, dass das Werk nicht oder unzulänglich 266 Dressel, S. 190; dazu auch Jänich, S. 83 ff. Kohler, UrhR, S. 94 attestierte Klostermanns Arbeiten bereits wenige Jahrzehnte später „bedeutende Verdienste“; dazu auch Wadle, Bd. 1, S. 153. 267 Klostermann, Eigentum, S. 366 f. 268 Siehe oben, C. IV. 2. lit. c) bb). 269 Berger, S. 21.
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
veröffentlicht würde, nicht bloß der Klageweg, sondern in schweren Fällen auch das Recht zustünde, „das Autorrecht wieder an sich zu ziehen und da rüber neu zu verfügen“270. Sowohl bei Berger als auch bei Bluntschli fällt auf, dass diese – ohne von einem Rücktritt zu sprechen – direkt auf eine Aufhebung bzw. Rückübertragung der verlegerischen Befugnis zielten. Bei Eisenlohr hieß es, das Verlagsrecht erhalte seine ganze Bedeutung durch den Vermögenswert der Vervielfältigung, weswegen der Autor verlangen könne, dass mit der Vervielfältigung begonnen werde sowie er das Werk abgeliefert habe. Käme der Verleger dieser Verpflichtung nicht nach, stünde dem Autor nach seiner Wahl der Klageweg oder der Rücktritt offen.271 Eisen lohr sprach dem Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung somit in erster Linie vermögensschützende Funktion zu. Hingegen schrieb der Greifswalder Ordinarius Georg Beseler in seinem 1855 erschienenen „System des gemeinen deutschen Privatrechts“, dass das Autorrecht „eine persönliche und eine vermögensrechtliche Seite“ habe und stellte sich insofern in eine Linie mit dem Königlich Preußischen Literatur-Sachverständigenverein und seiner frühen Differenzierung zwischen persönlichkeits- und vermögensrechtlicher Schutzkomponente272. Erstere bestünde insbesondere in dem Recht des Verfassers, allein und ausschließlich über die Veröffentlichung seines Werkes zu bestimmen273. Einzig zur Ausübung dieses Rechts übertrage der Verfasser sein Autorrecht, weshalb die Veröffentlichung zugleich Wesen und Bedeutung des Verlagsvertrages ausmache274. Der Verleger habe demnach die Pflicht, für die Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes zur rechten Zeit und in gehöriger Weise Sorge zu tragen und hafte „dem Verfasser überhaupt für das in dem Vertragsverhältnis begründete Interesse, dessen Wahrung unter Umständen nur durch die Auflösung des Vertrages für den Verfasser erreicht werden könne“275. Die Wendung „unter Umständen“ zeigt indes, dass auch Beseler dem Autor kein vorbehaltloses, sondern lediglich ein einzelfallabhängiges Rücktrittsrecht als ultima ratio einräumen wollte. Gleichwohl sprach er dem Veröffentlichungsrecht und damit auch dem damit korrespondierenden Rücktrittsrecht ausdrücklich eine persönlichkeitsrechtliche Prägung zu und folgte damit der kantianischen Position Bluntschlis. Auch Walter betonte, dass das Recht des Schriftstellers vor allem darin bestünde, dass das Werk gedruckt und verbreitet werde und der Autor im Falle der Säumnis des Verlegers auf Erfüllung oder Auflösung des Vertrages 270 Bluntschli,
Deutsches Privatrecht (1853), S. 208. Verlagsrecht, S. 85. 272 Siehe oben, C. III. 5. lit. a). 273 Beseler, S. 336. 274 Beseler, S. 339. 275 Beseler, S. 341. 271 Eisenlohr,
VII. Rechtsprechung157
respektive auf einen Ersatz seiner Schäden klagen dür fe276. Die Position Walters unterschied sich demnach insofern von den vorgenannten Autoren, als er für den Fall der Nichtausübung nicht etwa einen Rücktritt, sondern eine Klage des Autors auf Vertragsaufhebung vorsah. Ausgehend von der Prämisse „Der Autor schreibt, um sein Werk in den Verkehr zu bringen“277 nahm Wächter ein Rücktrittsrecht an, wenn der Verleger den Druck so ungebührlich verzögerte, dass dem Interesse des Autors nur noch mit einem Wechsel des Verlegers gedient werden konnte. Ab wann dies der Fall war, sei nach den konkreten Verhältnissen, insbesondere dem Umfang des Werkes und der Dringlichkeit des behandelten Gegenstandes zu bestimmen.278 Wächter wandte sich ausdrücklich gegen Kramer, der dem Autor ein (sofortiges) Rücktrittsrecht bei jedweder Nicht- oder Schlechtausübung des Verlagsrechts zubilligte. Vielmehr sah auch er im Rücktritt lediglich das letzte Mittel für den Fall, dass jedwedes Erfüllungsinteresse entfallen sei279. Klostermann sprach zwar nicht ausdrücklich von einem Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung, betonte jedoch ebenfalls, dass der Autor durch den Verlagsvertrag ein unbedingtes Recht auf die Vervielfältigung erwerbe280. Entsprechend könne – so Klostermann im Kontext von Neuauflagen – der Verleger das Verlagsrecht nicht mehr in Anspruch nehmen, wenn er dieses nicht mehr ausüben wolle und sich damit der wesentlichsten Verbindlichkeit des Verlagsvertrages entziehe. Das Verlagsrecht falle in diesem Fall an den Autor zurück, der es anschließend anderweitig vergeben könne.281
VII. Rechtsprechung Rechtsprechung zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ist seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Landrechts nicht nachweisbar. Dies bestätigen bis in die 1840er Jahre diverse Äußerungen im Rahmen der verlagsrechtlichen Kodifikationsbestrebungen Preußens282, während es in der Kommentarliteratur um das Jahr 1870 bezeichnend hieß, dass der Verlagsvertrag in der Praxis der Gerichte nur eine bescheidene Stellung einnehme, da Rechtsstreitigkeiten zwischen Autoren und Verlegern ausgesprochen selten 276 Walter,
S. 359. VerlagsR, S. 341 / Fn. 9; ähnlich S. 340 f. / Fn. 8. 278 Wächter, VerlagsR, S. 389. 279 Wächter, VerlagsR, S. 387 / Fn. 40 mit ablehnendem Verweis auf Kramer, S. 162; dazu oben B. I. 3. lit. c) bb). 280 Klostermann, Eigentum, S. 368. 281 Klostermann, Eigentum, S. 364 f. 282 Etwa oben, C. III. 7. 277 Wächter,
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
seien283. Einzig nachweisbar ist eine Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahr 1851, welche u. a. den Rücktritt des österreichischen Dichters Karl Beck von einem Verlagsvertrag wegen Nichtausübung zum Gegenstand hatte. Die Berliner Richter stützten das Rücktrittsrecht in diesem Fall auf § I 5 408 ALR, wobei jedoch die Frage im Zentrum stand, ob der Rücktritt ausdrücklich erklärt werden musste oder auch konkludent erfolgen konnte284.
VIII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis In der Zeit des Deutschen Bundes wurde das zunächst genuin „preußische“ Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände zum allgemein anerkannten verlagsrechtlichen Grundsatz und legislatorischen Vorbild. Dies ließ zwar bereits die im vorhergehenden Kapitel betrachtete verlagsrechtliche Literatur bis zum Jahr 1830 vermuten, die Untersuchung der Kodifikationsbestrebungen verschiedener Partikularstaaten wie des Bundes selbst, die allesamt ein entsprechendes Institut vorsahen, schufen hier jedoch ebenso Gewissheit wie die Untersuchung der einschlägigen Literatur bis zum Vorabend der Reichsgründung. Mit Ausnahme des bayerischen BGB-Entwurfs, der sich am österreichischen ABGB orientierte, lehnten sich sämtliche Entwürfe mehr oder weniger stark an das Rücktrittsrecht der §§ 1005 ff. ALR an, dessen Notwendigkeit im Zuge der im Ergebnis gescheiterten preußischen Bestrebungen um ein eigenständiges Verlagsgesetz wiederholt bekräftigt wurde. Gleichwohl erlangte keiner der Entwürfe Gesetzeskraft, so dass das preußische Allgemeine Landrecht bis zum Ende des Deutschen Bundes (und, wie das folgende Kapitel zeigen wird, noch eine ganze Zeit darüber hinaus) die einzige Kodifikation blieb, welche ein Rücktrittsrecht des Autors wegen veränderter Umstände vorsah. Die konkrete Ausgestaltung des Rücktrittsrechts in den einzelstaatlichen Gesetzentwurfen divergierte zwar nicht unerheblich, doch lässt sich eine Reihe augenscheinlicher Parallelen zum preußischen Landrecht feststellen: So wurde zur Begründung des Rücktrittsrechts einhellig der besondere Charakter des Verlagsvertrages als Kontrakt über die Erschaffung und Lieferung eines Werkes, d. h. einer geistigen Schöpfung angeführt. Dieser schließe bereits seiner Natur nach einen Erfüllungszwang aus, weswegen es dem Autor freistehen müsse, vom Vertrag zurückzutreten. Weitere Untermauerungen des Rücktrittsrechts durch Literatur und Legislative schwankten zwischen rein pragmatischen Ansätzen – so sprachen sich 283 Koch,
S. 780. I. Senat, Sitzung v. 26. Septbr. 1851, abgedruckt in Striethorsts Archiv Bd. 2, Berlin 1856, S. 372–383. 284 KG Berlin,
VIII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis159
Mitglieder der „Dresdner Kommission“ für ein freies Rücktrittsrecht des Autors aus, da man diesem aufgrund des besagten besonderen Charakters des Verlagsvertrages ein ebensolches schon de facto nicht vorenthalten konnte und ihn insofern nicht außerhalb des Rechts stellen wollte – und betont persönlichkeitsschützenden Argumentationslinien, die, wie bereits Schmid, Neustetel und Kramer in den 1820er und 1830er Jahren, vom ureigenen Recht des Autors sprachen, eine Veröffentlichung gegen seinen Willen zu verhindern und das Rücktrittsrecht insofern als Korrektiv des Erstveröffentlichungsrechts bis zum Beginn der Publikation fassten. Hinsichtlich der hierfür maßgeblichen Gründe rückte man in Gesetzgebung und Literatur von einer Beschränkung auf „veränderte Umstände“ und „auftretende Hindernisse“ ab und postulierte in der Mehrheit ein von konkreten Gründen unabhängiges, „freies“ Rücktrittsrecht des Autors bis zur Veröffentlichung, was man u. a. mit der Unmöglichkeit einer abschließenden Aufzählung der in Betracht kommenden Rücktrittsgründe rechfertigte. Materiell änderte sich hierdurch jedoch wenig, da unter den Begriff der „veränderten Umstände“ bereits in der frühen Literatur vornehmlich im subjektiven Bereich liegende Aspekte subsumiert wurden. In diesem Kontext konnte nachgewiesen werden, dass man das freie Rücktrittsrecht in erster Linie als Instrument zum Schutz der ideellen Interessen des Autors verstand: So reichten die im Zuge der Gesetzgebungsverfahren wie auch in der Jurisprudenz genannten Rücktrittsgründe von Schaffenskrisen über das Risiko gesellschaftlichen Ansehensverlusts im Nachgang zwischenzeitlicher politischer oder religiöser Umwälzungen und den Schutz der „Autorenehre“ bis hin zum „Gewissen“ und zur gewandelten Überzeugung des Urhebers. Einzig Berger – und damit bemerkenswerterweise ein Vertreter der Autorenschaft – rechtfertigte das freie Rücktrittsrecht des Urhebers mit Gemeinwohl- und Buchhändler- bzw. Verlegerbelangen. Konträr beurteilt wurde die zeitliche Reichweite des Rücktrittsrechts. Teile der Wissenschaft wie auch der Dresdner Entwurf erachteten den Rücktritt lediglich bis zur Ablieferung des Manuskripts als zulässig. Vor dem Hintergrund der Begründung des Rücktrittsrechts mit der Nichterzwingbarkeit geistiger Tätigkeiten erschien dies nur konsequent: Mit der Fertigstellung bzw. der Lieferung des Manuskripts ist die geistige Tätigkeit im handwerklichen Sinne abgeschlossen, so dass die „Nichterzwingbarkeit“ als Rechtfertigung des Rücktrittsrechts entfiel. Der größere Teil der Entwürfe stellte jedoch auf den Zeitpunkt der Herausgabe des Werkes ab. Vereinzelte Stimmen in der Literatur traten dem bei, ohne dass es zu einer endgültigen Klärung der Frage kam. Das größte Risiko der Normierung eines freien Rücktrittsrechts sah man ungebrochen in dem hohen Missbrauchsrisiko, welches mit einem solchen Instrument vermeintlich einherging. Regelmäßig beschworen wurde die Ge-
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C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
fahr einer unzulässigen „Chicane“ des Verlegers oder eines „Ausartens“ des Rücktrittsrechts in Willkür. So wenig man hinterfragte, dass den Besonderheiten geistiger Produktion durch eine gesonderte Möglichkeit der Loslösung vom Vertrag Rechnung getragen werden müsse, so nachdrücklich beharrte man darauf, dass dies nicht zu einer unbilligen Benachteiligung des Verlegers führen dürfe. Dieser Gedanke fand seinen Niederschlag zunächst in der nahezu ausnahmslosen Anerkennung der Verpflichtung des zurücktretenden Autors zum Aufwendungsersatz, welche nach ebenfalls unbestrittener Meinung nicht nur die Druckkosten, sondern sämtliche Aufwendungen des Verlegers im Hinblick auf die Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes umfassen sollte. Insofern sah man sowohl auf legislatorischer Seite als auch seitens der Jurisprudenz eine Verschärfung des „preußischen“ Rücktrittsrechts zugunsten des Verlegers vor. Im Zuge der preußischen Gesetzgebungsbestrebungen wie auch im „Dresdner Entwurf“ wurde sogar eine noch stärkere Verhaftung des zurücktretenden Autors dergestalt gefordert, dass dieser im Falle des Rücktritts grundsätzlich auch den entgangenen Gewinn zu ersetzen haben sollte. Diese Position blieb jedoch in der Minderheit. Zwangsläufig verknüpft war damit die noch in den 1830er Jahren umstrittene Frage nach der Offenlegung und (gerichtlichen) Überprüfung der Rücktrittsgründe. Während die finale Fassung des preußischen Verlagsgesetzentwurfes eine Offenlegung der Rücktrittsgründe und damit auch deren Überprüfung ausdrücklich ausschloss (was man als logische Konsequenz des hier erstmals postulierten „freien“ Rücktrittsrechts erachtete), wandelte sich diese Auffassung im Zuge der weiteren Kodifikationsbestrebungen zugunsten einer Offenlegung und Kontrolle der für den Rücktritt maßgeblichen Motive. Entsprechendes galt für die Literatur und folgte aus dem Umstand, dass man dem Autor zwar aus mannigfaltigen Gründen den Rücktritt zugestand und deshalb auch auf Tatbestandsvoraussetzungen wie „veränderte Umstände“ oder sich ereignende „Hindernisse“ verzichtete, man aber zugleich eine Vertragsaufhebung aus lediglich prätendierten bzw. rechtsmissbräuchlichen Gründen oder – abermals – reiner Schikane verhindern wollte. Wie diese Offenlegungspflicht durchgesetzt bzw. die Motive überprüft werden sollten, blieb hingegen durchgehend offen. Nicht ganz unberechtigt war daher der im Zuge der Vorverhandlungen zum „Dresdner Entwurf“ erhobene Einwand, dass nahezu alle Rücktrittsgründe, die dem tatsächlichen Beweis zugänglich seien, ohnehin einen Fall der (objektiven) Unmöglichkeit darstellten. Auch hinsichtlich der Nachhaftung des Autors modifizierte man das preußische Vorbild, indem man die Zeitspanne ausdehnte, binnen derer der zurückgetretene Autor dem Verleger bei anderweitiger Herausgabe zusätzlich auf den entgangenen Gewinn haften sollte. Die Vorschläge schwankten hier zwischen einem und fünf Jahren, wobei man die Ausdehnung durchgehend damit begründete, dass eine zu kurze Nachhaftungsfrist – was die einjährige
VIII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis161
Frist des § 1007 ALR nach einmütiger Meinung war – den Autor nicht davon abhalten würde, sofern ihm in einem anderen Verlag bessere Konditionen winkten, zurückzutreten und die „kurze“ Einjahresfrist abzuwarten. Teilweise, so etwa im Zuge der preußischen Verlagsgesetzbestrebungen, erweiterte man die Haftung des Autors auf den entgangenen Gewinn auf alle Fälle des vorsätzlich rechtsmissbräuchlichen Rücktritts und maß der anderweitigen Herausgabe insofern lediglich indizielle Wirkung bei. Wiederholt problematisiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Frage der Bestimmung bzw. Bestimmbarkeit des entgangenen Gewinns. Hierzu blieb zunächst die eidliche Bestimmung via Schätzungseid, was jedoch in der frühen Literatur als zu Meineiden verleitend, später mit dem Hinweis auf den veralteten Charakter dieses Prozessinstituts abgelehnt wurde. Zwar wünschte man sich konkrete Berechnungsmethoden, die diesbezüglich geäußerten Vorschläge wurden jedoch unter Hinweis auf die Gefahr unbilliger Ergebnisse zulasten des Autors verworfen. Insbesondere unterstrich man die Gefahr der Prohibitivwirkung, die ein zu hoch veranschlagter Ersatzanspruch hinsichtlich der Ausübung des Rücktrittsrechts entfalten könne. Zugleich verwarf man jedoch Vorschläge, die auf eine gänzliche Streichung der verschärften Nachhaftung abzielten. Trotz aller Schwierigkeiten sah man darin ein im Ergebnis billiges, den Rechtsmissbrauch verhinderndes und insofern unbedingt erforderliches Korrektiv. Die Debatte um die Bestimmung des entgangenen Gewinns schlich damit aus. Das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung fand als genuin verlagsrechtliches Vertragsaufhebungsinstrument erstmals im Zuge der preußischen Bestrebungen um ein eigenständiges Verlagsgesetz Eingang in einen Gesetzentwurf. Die darauffolgenden einzelstaatlichen Entwürfe sahen jeweils entsprechende Institute vor und auch seitens der Jurisprudenz wurde ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung einhellig bejaht – einzig im „Dresdner Entwurf“ sucht man ein solches vergebens. In der Folge wurden hier primär Detailfragen thematisiert: Dies betraf zunächst die Frage, welche Rechtsfolgen ein Rücktritt über die Vertragsaufhebung hinaus nach sich zog, d. h. wie mit einem bereits entrichteten Autorenhonorar zu verfahren sei und ob dem Autor neben der Vertragsaufhebung ein Anspruch auf Schadensersatz – und falls ja, in welcher Höhe – zugebilligt werden sollte. Hier wurden im Zuge der preußischen Gesetzgebungsbestrebungen verschiedene Vorschläge dargetan, die schließlich darin mündeten, dass man dem Urheber die Wahl zwischen einer Klage auf Erfüllung und dem Rücktritt nebst Schadensersatz zusprach; ein etwa bereits gezahltes Honorar musste er hingegen herausgeben. Ähnlich lauteten die entsprechenden Regelungen im bayerischen BGB- und im sächsischen Berger-Entwurf. Allein Württemberg ging einen anderen Weg, indem es dem Urheber nicht nur bei Nichtausübung, sondern auch bei der nicht rechtzeitigen Erfüllung anderer vertraglicher Pflichten – insbesondere der
162
C. Autorenrücktrittsrechte in der Zeit des Deutschen Bundes
Honorarzahlung – ein Rücktrittsrecht einräumte. Dieser Weiterung stand die Einschränkung gegenüber, dass dem zurücktretenden Autor ausdrücklich kein Ersatzanspruch zugebilligt und dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt wurde, dem Verleger im Einzelfall einen Erfüllungsaufschub zu gewähren. Ebenfalls wiederholt aufgeworfen und teilweise ausdrücklich in den Entwürfen geregelt wurde die Frage der unzureichenden Ausübung des Verlagsrechts. Exemplarisch hieß es insofern in den Motiven des preußischen Literatur-Sachverständigenvereins, dass die (Haupt-)Pflicht des Verlegers darin liege, nicht nur für die Vervielfältigung und Veröffentlichung des Werkes an sich, sondern auch für dessen größtmögliche Verbreitung zu sorgen, wozu man eine dem Werk entsprechende Typographie ebenso zählte wie hinlängliche Werbemaßnahmen und einen ordnungsgemäßen Vertrieb. Dem folgend dehnte man das Rücktrittsrecht neben der gänzlichen Nicht- auch auf die unzureichende Ausübung des Verlagsrechts aus, während andere Pflichtverletzungen des Verlegers außen vor bleiben sollten. Ähnlich erklärt sich auch der Verzicht auf das Erfordernis einer Nachfristsetzung: Man erkannte, dass der kommerzielle wie ideelle Erfolg eines Werkes, über die bereits angeführten Punkte hinaus, maßgeblich von dessen rechtzeitiger Publikation abhing und dem Autor eine Nachfristsetzung oder gar ein langwieriges Prozessieren im Einzelfall unzumutbar sein würde. In der Folge sah man von einem Nachfristsetzungserfordernis ab und stellte den Rücktritt ausdrücklich in ein Alternativverhältnis zur Klage auf Erfüllung. Insbesondere die Literatur betonte jedoch den ultima ratio-Charakter eines Rücktritts wegen Nichtausübung und plädierte zum Teil für eine einzelfallabhängige Prüfung, ob ein sofortiger Rücktritt gerechtfertigt oder aber eine Nachfristsetzung angezeigt sei. Das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung war somit am Vorabend der Reichsgründung gleichermaßen anerkannt, wenn auch hier allenfalls mittelbar eine Traditionslinie zum preußischen (Land-)Recht nachweisbar ist. Der Konsens ging auf ein Gestaltungsrecht, welches als Alternative zur Klage auf Erfüllung nicht von einer Nachfristsetzung abhing, von einem Schadensersatzanspruch flankiert wurde und sowohl die ideellen als auch die vermögensrechtlichen Interessen des Autors respektive dessen Vervielfältigungsund Verbreitungsanspruch sicherte.
D. Die Entwicklung der Rücktrittsrechte im Kaiserreich bis zur Aufnahme der Verhandlungen zum Verlagsgesetz von 1901 Dem Ende des Deutschen Bundes im Jahr 1866 folgte 1867 die Gründung des Norddeutschen Bundes, dessen Reichstag am 11. Juni 1870 das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriften, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken verabschiedete.1 Dieses wurde 1871 mit dem Übergang der Gesetzgebungskompetenz für den Schutz des geistigen Eigentums auf das Deutsche Reich2 als Reichsgesetz übernommen.3 In seiner rechtsvereinheitlichenden Wirkung zweifelsohne ein Meilenstein, führte das Gesetz zwar bereits den Titel „Urheberrechtsgesetz“, stand inhaltlich jedoch in einer Linie zum preußischen Gesetz von 1837, indem es die Rechte des Urhebers lediglich als Ausfluss des Nachdruckverbots begriff.4 Dementsprechend enthielt es – obwohl die Inkorporierung verlagsrechtlicher Vorschriften im Reichstag des Norddeutschen Bundes zuvor breit diskutiert worden war5 – keinerlei Vorschriften zur Urheber-Verleger-Beziehung und somit auch keine Rücktrittsrechte des Urhebers. Entsprechendes galt für die in den Folgejahren erlassenen Normenkataloge in Gestalt des Kunsturhebergesetzes vom 9. Januar 1876 und des Photoschutzgesetzes vom 10. Januar 1876.6
1 BGBl. 1870, 339; für Hessen, Baden und Württemberg erlangte das Gesetz mit den Verträgen zur Bildung des Deutschen Bundes mit Wirkung vom 01. Januar 1870 Geltung. 2 Siehe Art. 4 Ziff. 6 der Reichsverfassung; in Bayern trat das Gesetz infolge von § 11 des Gesetzes betreffend die Einführung norddeutscher Bundesgesetze in Bayern vom 22. April 1871 am 01.01.1872 in Kraft. 3 Statt vieler Vogel, GRUR 1987, S. 874. 4 Ähnlich bereits Schürmann, S. 193; ders.; MDB 1876, S. 232 sowie prägnant Osterrieth, GRUR 1898, S. 335 („unsere bisherigen deutschen Urheberrechtsgesetze haben nun thatsächlich nur einen polizeilichen Charakter“); dazu auch Vogel, FS GRUR, S. 1216 f.; ders., Verlagsrecht, S. 194; ders., GRUR 1987, S. 877 f.; GRUR 1994, S. 588. 5 Dazu ausführlich mit Verweis auf die einzelnen, in den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes niedergelegten Positionen Mogg, S. 110 f. 6 So auch Vogel, GRUR 1987, S. 878.
164 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Die vom Bundesrat des Deutschen Reiches im Februar 1874 eingesetzte „Vorkommission zur Beratung des Plans und der Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs“ lehnte in einem Gutachten die Aufnahme des Verlagsrechts in das zu erarbeitende Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ab, regte dafür jedoch spezialgesetzliche Normierung der Materie an, welche parallel zu den Arbeiten am BGB in Angriff genommen werden sollte.7 Nachdem der erste Entwurf des BGB im Jahr 1888 keine Vorschriften über das Verlagsrecht enthielt, wandten sich Interessenvertreter von Verleger- und Autorenschaft in Petitionen an die Reichsleitung unter Bismarck8. Darin forderten sie, wenn schon keine Aufnahme verlagsrecht licher Vorschriften in das BGB in Aussicht stand, den schleunigen Erlass eines eigenständigen Verlagsgesetzes. Andernfalls befürchteten sie eine Anwendung der werk- und dienstvertraglichen Vorschriften des BGB auf die Urheber-Verleger-Beziehung und in der Folge eine Schlechterstellung des Verlagsrechts gegenüber allen anderen Schuldverhältnissen, zumal hierdurch „die besonderen, seiner Natur entsprechenden Ausnahmen von den allgemeinen Regeln bei Seite gelassen“9 zu werden drohten – was nicht zuletzt auch die Rücktrittsrechte des Urhebers betroffen hätte. Eine Intervention des „Eisernen Kanzlers“ blieb jedoch aus, so dass es vorerst bei den einzelstaatlichen Regelungen blieb, wie auch Art. 74 des am 18. August 1896 durch Kaiser Wilhelm II. zusammen mit dem BGB ausgefertigten Einführungsgesetz zum BGB zum Ausdruck brachte.10 Indes machte der, mit der Überwindung der „Kleinstaaterei“ und der fortschreitenden Industrialisierung einhergehende, allgemeine wirtschaftliche Aufschwung auch vor dem Markt für Bücher und Periodika nicht Halt: Begünstigt durch weitere Fortschritte in der Satz- und Drucktechnik, wuchs allein die Zahl der Buchhandelsfirmen zwischen 1865 und 1890 um 142 %, während sich die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften von 3682 im Jahr 7 Gutachten der zur Berathung des Plans und der Methode für die Aufstellung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches gewählten Kommission (16. April 1874), in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1874, No. 53, S. 6; dazu Mogg, S. 111 m. w. N. 8 Siehe die Petition des Deutschen Schriftstellerverbandes vom 24.12.1888, in: BArch, R 3001 / 6542, S. 4 ff. sowie die Petition des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler vom 21.01.1899, in: BArch, R 3001 / 6542, S. 19; dazu auch Mogg, S. 112. 9 Petition des Deutschen Schriftstellerverbandes vom 24.12.1888, in: BArch, R 3001 / 6542, S. 4 ff. 10 Art. 74 EBGB lautete: „Unberührt bleiben die landesrechtlichen Vorschriften, die dem Verlagsrecht angehören“, siehe Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (18.08.1896), RGBl. 1896, No. 21 (S. 604 ff.); so auch bereits im Jahr 1892 Scheele, S. 22; dazu Mogg, S. 112 f.
I. Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre 165
1871 auf 7082 ebenfalls nahezu verdoppelte.11 Dies ließ den Ruf nach einer einheitlichen und allseitig respektierten Ordnung des Urheber- und Verlagsrechts immer lauter werden, was durch den Umstand, dass die bestehenden Regelungen teils aus dem 18. Jahrhundert stammten und neue, vom klassischen Buchverlagsvertrag abweichende Vertragstypen – etwa im Musikgewerbe – nicht mehr abzubilden vermochten, zusätzlich befeuert wurde.12 Schließlich machten auch neue Einsichten über das persönlichkeitsbezogene Wesen des Urheber- und Verlagsrechts in der Jurisprudenz eine Reform unvermeidlich.13 In diesem Kontext finden sich in der Literatur nicht wenige Äußerungen zu den Autorenrücktrittsrechten, welche im Folgenden ebenso betrachtet werden sollen (I.) wie die Entwürfe der Interessenverbände (II.) und der Jurisprudenz (III.), deren Regelungsvorschläge auch Vorschriften zum Rücktritt des Autors umfassten. Einschlägige Rechtsprechung ist indes auch im Zeitfenster zwischen 1870 und 1901 nicht nachweisbar (IV.).
I. Die Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre Die Rechtswissenschaft und Verlagspraxis ab den 1870er Jahren griff hinsichtlich der Rücktrittsrechte des Urhebers im Wesentlichen bisherige Posi tionen und Streitstände auf, wobei teils lediglich hergebrachte Argumente wiederholt, mitunter jedoch auch bisher strittige Fragen sukzessive präzisiert wurden. So entsprachen etwa die von Klostermann in seinem 1871 in Berlin erschienenen Werk „Das Urheberrecht und das Verlagsrecht nach Deutschen und ausländischen Gesetzen“ im Kern seinen bereits im Jahr 1867 geäußerten Positionen14, während in dem u. a. von Franz Hinschiusʼ Sohn Paul Hinschius und Franz Förster in sechster Auflage fortgeführten Kochʼschen Kommentar zum Allgemeinen Landrecht – entgegen dem bisherigen Konsens – erneut betont wurde, dass gerichtliche Überprüfung der Rücktrittsgründe nicht stattfinde, da eine schriftstellerische Tätigkeit nicht erzwungen werden könne, mithin „alles in das Belieben des Autors gestellt“ sei15. Klostermann präzisierte seine Äußerungen in seiner 1876 publizierten Abhandlung „Das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken“ jedoch dahingehend,
11 Vogel,
FS GRUR, S. 1219 f. (mit entsprechenden Nachweisen). FS GRUR, S. 1225 ff.; ders., Verlagsrecht, S. 200; Zu den neuen Vertragstypen siehe Vogel, FS GRUR, S. 1220 ff. m. w. N. 13 Vogel, FS GRUR, S. 1231. 14 Klostermann, UrhR (1871), S. 365 ff. 15 Koch, S. 783 / Fn. 98. 12 Vogel,
166 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
dass die Rücktrittsgründe insbesondere in einem „Wechsel des Glaubensbekenntnisses oder der politischen Überzeugung“16 des Autors liegen konnten. Oskar Wächter, der 1875 eine Abhandlung über das Autorrecht vorlegte, bemerkte im Kontext der Frage, ob das Autorrecht ein Exekutionsobjekt sei, dass es keinen Grund gäbe, weshalb es dem Autor, wenn dieser nicht gerichtlich zur Veröffentlichung gezwungen werden können solle, nicht auch freistehen solle, bis zur „wirklichen Veröffentlichung“ des Werkes seinen diesbezüg lichen Entschluss zu ändern17. Weniger präzise hieß es in Otto Stobbes 1878 erschienenem „Handbuch des Deutschen Privatrechts“, dass der Autor, „wenn er unverschuldet außer Stande ist, seine Verbindlichkeit zu erfüllen (z. B. Krankheit, veränderte Amtsumstände)“18 von eben jener befreit werde, in der Folge jedoch dem Verleger bereits getätigte Auslagen ersetzen müsse. Stobbe verwies insofern sowohl auf die §§ 1005 ff. ALR als auch auf § 1144 sBGB, wobei letzterer gerade kein Rücktrittsrecht, sondern ein Erlöschen des Vertrages von Rechts wegen vorsah19. Auch der Berliner Professor Heinrich Dernburg lehnte in seinem „Lehrbuch des Preußischen Privatrechts“ eine gerichtliche Überprüfung der Rücktrittsgründe bei §§ 1005 ff. ALR ab. Der Grundgedanke des Rücktritts wegen veränderter Umstände liege darin, dass „Niemand zur Publikation eines Geistesprodukts genöthigt werden soll[e], das er nicht für reif, nützlich usw.“ halte. Insofern könne es auch nicht darauf ankommen, ob das Werk erst noch anzufertigen oder bereits formell beendet war, solange es nur vom Autor als zur Publikation ungeeignet erklärt wurde. Diese Dispositionsfreiheit und damit das Rücktrittsrecht bestand nach Dernburgs Auffassung jedoch nur bis zur Ablieferung des Manuskripts. Gründe hierfür gab er, abgesehen von der pauschalen Behauptung, dass dies einem tieferen Verständnis der Materie entspräche20, zunächst nicht an. Erst in seinem 1889 in vierter Auflage erschienenen Lehrbuch über das Obligationenrecht Preußens und des Reichs hieß es, dass die Möglichkeit des Rücktritts bis zum Beginn der Herausgabe zu „hart für den Verleger“21 sei, auch da der Autor mit der Ablieferung des Manuskripts seine Hauptleistungspflicht nach § I 11 1000 ALR erfüllt habe. Dernburg verkannte hier den Charakter des Verlagsvertrages als Dauerschuldverhältnis22. Ferner sprach neben dem Wortlaut des § 1005 ALR („He16 Klostermann, UrhR (1876), S. 149 mit Verweis auf dens., Eigentum, S. 355 (UrhR 1876, S. 114 / Fn. 1). 17 Wächter, AutorR, S. 112 / Fn. 18. 18 Stobbe, S. 291. 19 Dazu oben, C. IV. 1. 20 Dernburg, PrivatR, S. 553 / Fn. 6. 21 Dernburg, UrheberR, S. 641 f. / Fn. 6. 22 Siehe dazu etwa Wächter, S. 241 ff. und Klostermann, Eigentum, S. 305 ff.
I. Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre 167
rausgabe“) bereits eine historisch-genetische Auslegung der §§ 1005 ff. ALR, die ausweislich der Akten Regelungen darstellten, welche die Rechte und Pflichten zwischen Autor und Verleger bis zur Herausgabe des Werkes regeln sollten, gegen diese Auffassung23. Für den Fall der Nicht- bzw. unzureichenden Ausübung des Verlagsrechts billigte Dernburg dem Autor ein Rücktrittsrecht nebst Schadensersatzanspruch zu24. Dies sei bereits deshalb unerlässlich, da auch eine Verurteilung zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes keine hinreichende Garantie für eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung biete. Insofern sei ein Rücktrittsrecht für den Fall der Nicht- oder Schlechtausübung des Verlagsrechts als vertragsgemäß zu unterstellen25. Dies bekräftigte Dernburg wortgleich im Jahr 188926. Der noch heute als Autorität auf den Gebieten des Patent- und Urheberrechts geltende Josef Kohler27, seit 1877 Professor der Rechte in Würzburg, nahm in seinem 1880 erschienenen „Autorrecht“ zwar nicht ausdrücklich, wohl aber indirekt zum freien Autorenrücktrittsrecht Stellung. Kohler schrieb, dass der Autor allein die Befugnis habe, zu bestimmen, welche Äußerungen er „in das Publikum tragen“ wolle. Er bezeichnete dies als „Individualrecht“28 des Autors und verwies insofern auf Neustetel29, dem er jedoch zugleich vorwarf, das Individualrecht und das Autorrecht in unzulässiger Weise zu vermengen. Um diesen Vorwurf und damit Kohlers frühe Äußerungen zum Rücktrittsrecht nachvollziehen zu können, ist eine kurze Betrachtung von dessen Auffassungen zum „Individual-“ und „Autorrecht“ erforderlich. Kohler hatte den Begriff des Individualrechts, auch Individualitäts- oder Persönlichkeitsrecht, von Karl Gareis30 übernommen, der das Autorrecht, wie alle Rechte, die eine Leistung sowie deren Anerkennung und Genuss betrafen, als „Individual23 Siehe
oben, B. I. 2. lit. d). PrivatR, S. 554. 25 Dernburg, PrivatR, S. 554 / Fn. 14. 26 Dernburg, UrheberR, S. 641 f. / Fn. 6 und 15. 27 So etwa Klippel, ZGE 2014, S. 445 mit Verweis auf die Kurzbiographie Kohlers von Spendel, S. 9 f.; zur Person siehe ferner Pahlow, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 165 ff. Kohler veröffentlichte im Lauf seines Lebens eine schier unüberschaubare Anzahl an Schriften; so listet die von Kohlers Sohn Arthur herausgegebene Bibliographie allein zum Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht mehr als einhundert Titel, siehe Kohler, A., S. 54 ff. 28 Kohler, AutorR, S. 137. 29 Siehe oben, B. I. 3. lit. c) aa). 30 Zur Person siehe Schwab, S. 3 ff. sowie Klippel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 109 ff. 24 Dernburg,
168 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
rechte“ definierte.31 Kohler wiederum kritisierte die sich hieraus zwangsläufig ergebende Vermengung übertragbarer und unübertragbarer Rechtspositionen und differenzierte stattdessen zwischen Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten anhand des Kriteriums der Übertragbarkeit: Während über Immaterialgüterrechte als verwertbare Ergebnisse der Arbeit des Autors unproblematisch disponiert werden könne, seien Individualrechte untrennbar mit der Person des Berechtigten verknüpft und somit unübertragbar32. In der Folge erwarb der Verleger durch den Verlagsvertrag auch nicht das Autorrecht – einen Begriff, den Kohler überdies als nicht empfehlenswert und völlig außer Gebrauch bezeichnete33. Der Verlagsvertrag begründete vielmehr ein eigenartiges, quasi-dingliches34 „jus in re immateriali“ und damit ein bloßes Genußrecht35. Letzteres sei ein Mittel, um das Werk zum Druck und zur Verbreitung zu bringen, der Verleger insofern bloßer Mittelsmann zwischen Autor und Publikum36. Nach Kohler war das (Erst-)Veröffentlichungsrecht folglich Persönlichkeitsrecht mit der Folge, dass kein Dritter das Werk des Urhebers gegen dessen Willen in Verkehr bringen durfte37. Sobald das Werk jedoch einmal veröffentlicht sei, der Autor also „zum Publikum gesprochen“ habe (man beachte die unwillkürlich an Kant erinnernde Wortwahl), ist die weitere Ver31 Gareis entwickelte seine zivilrechtliche Theorie der Persönlichkeitsrechte (von ihm zunächst als „Individualrechte“ bzw. „Individualitätsrechte“ bezeichnet) in zwei Aufsätzen. Es waren dies Gareis, Die Privatrechtssphären im modernen Kulturstaate, insbesondere im Deutschen Reiche, Zeitschrift für Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiet des Deutschen öffentlichen Rechts 3 (1877), S. 137–153 sowie ders., Das juristische Wesen der Autorrechte, sowie des Firmen- und Markenschutzes, (Buschs) Archiv für die Theorie und Praxis des Allgemeinen und Deutschen Handels- und Wechselrechts 35 (1877), S. 185–210. Siehe dazu ausführlich Klippel, FS Traub, S. 211 ff. sowie ders., ZGE 2014, S. 450 ff.; ähnlich auch Jänich, S. 90. 32 Kohler, ArchBürgR 10 (1895), S. 258; dazu Jänich, S. 91 sowie Klippel, ZGE 2014, S. 455. 33 Kohler, AutorR, S. 283. 34 Die von Kohler etablierte Charakterisierung des urheberrechtlichen Nutzungsrechts als „quasi-dingliches“ Recht war und ist bis heute umstritten; die Frage nach der exakten Bedeutung des Begriffs wird regelmäßig offengelassen. Herrschende Meinung und Rechtsprechung sprechen heute sowohl dem ausschließlichen als auch dem „einfachen“ Nutzungsrecht dinglichen Charakter zu; siehe BGH GRUR 2009, S. 946 – Reifen Progressiv; ferner McGuire, S. 260 f. sowie Zurth, S. 37 ff. Im Folgenden wird der Begriff der „Quasi-Dinglichkeit“ aus Gründen der Konsistenz beibehalten. 35 Kohler, AutorR, S. 283, 289, 291. 36 Kohler, AutorR, S. 285; in ähnlicher Weise äußerte sich bereits Wächter, AutorR, S. 117 f. 37 Kohler, AutorR, S. 137 verwies insofern u. a. auf die britische Rechtslage, konkret den Fall Jeffrey vs. Boosey: „He (nämlich der Autor) may prevent publication“.
I. Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre 169
breitung des Werkes seinem Einfluss entzogen und insbesondere die Zurückziehung desselben aus dem Verkehr nicht mehr innerhalb seiner Individualrechtssphäre38. Mithin verlor der Autor die persönliche Souveränität über das Werk mit dem Vollzug des Publikationsakts, spätestens jedoch im Augenblick der Publikation selbst39. Alles andere hieße ihm einen Eingriff in den menschlichen Lebens- und Geschäftsverkehr zu gestatten, den keine Rechtsordnung gewähren dürfe. Entsprechend könne auch kein Gesetz dem Autor die Befugnis gewähren, die befugtermaßen verbreiteten Exemplare zurückzuziehen, ebensowenig wie „das sonstige Weiterbekanntwerden seiner Ideeen [sic] seiner Macht anheimgegeben sein“ könne und dürfe40. Kohlers (frühe) Ausführungen zum freien Rücktritt des Autors sind insofern widersprüchlich, als er dem Urheber zwar die persönliche Souveränität über sein Werk und damit den „Rückzug“ bis zur Bewirkung, d. h. dem Beginn der Publikation zugestand und im Kontext des Gläubigerzugriffs auf das Autorrecht im Insolvenzfall nochmals betonte, dass der Autor seinen Publikationsentschluss ändern könne, er andererseits jedoch nur einige Zeilen später schrieb, dass ein „Widerruf“ (so die von Kohler zunächst gebrauchte Terminologie) unerheblich sei, sobald der Verleger das Vertragsangebot angenommen und den darin liegenden Publikationsakt des Autors gebunden habe41. Dies wiederum schloss jedoch einen Rücktritt zwischen Vertragsschluss und „Bewirkung“ denknotwendig aus. Zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung äußerte sich Kohler – wie auch die vorgenannten Autoren – nicht unmittelbar. So betonte er zwar mit Verweis auf Kramer42, dass den Verleger die Pflicht träfe, für Publikation und Betrieb des Buchs zu sorgen, eine Vertragsaufhebungsbefugnis des Autors für den Fall der Nichterfüllung dieser Pflicht sah er jedoch nicht vor. Vielmehr erachtete Kohler die Erfüllung der Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht durch den Verleger als konstitutiv für den Bestand des Verlagsrechts an sich. Wäre dieser etwa „in der rechtlichen Unmöglichkeit des Vertriebs, wäre etwa der Betrieb an gewisse Voraussetzungen gebunden, welche beim Verleger nicht zutreffen, so wäre er nicht nur von der Verpflichtung quitt, sondern die Berechtigung wäre von vornherein nicht auf ihn übergegangen“43. Josef v. Anders, Dozent an der k. u. k. Universität Graz, legte 1881 seine „Beiträge zur Lehre vom literarischen und artistischen Urheberrechte. Eine civilistische Studie mit besonderer Beziehung auf das deutsche und österrei38 Kohler,
AutorR, S. 138. AutorR, S. 139. 40 Kohler, AutorR, S. 139. 41 Kohler, AutorR, S. 140. 42 Siehe oben, B. I. 3. lit. c) bb). 43 Kohler, AutorR, S. 285. 39 Kohler,
170 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
chische Recht“ vor. Anders’ Ausführungen basierten auf einer gemischt persönlichkeits- und vermögensrechtlichen Deutung des Urheberrechts44, welche nach seiner eigenen Einschätzung den Auffassungen Kohlers sehr nahe kam45. Er vertrat den Standpunkt, dass das Urheberrecht durch den Verlagsvertrag nur insoweit übertragen werde, als es Vermögensrecht war. Auch ging Anders davon aus, dass der Autor über sein Recht nur insoweit verfügen wolle, als dies ohne Verletzung oder Gefährdung seines rechtlich geschützten persönlichen Interesses möglich war, wobei er zu den persönlichen Interessen insbesondere „die Autorehre, die literarische oder artistische Verantwortlichkeit; […] die mit der bürgerlichen und socialen Stellung in unmittelbarem Zusammenhange stehenden Interessen, das Interesse an der Verwirklichung des dem Werke zugedachten idealen Zwecks usw.“46 zählte. Vor diesem Hintergrund verblieben dem Urheber stets jene Befugnisse, welche zur Wahrung dieser höchstpersönlichen Interessen unverzichtbar waren und die in bestimmten, „zum gemeinen Rechte gewordenen47 Sätze[n]“ wie dem Recht des Urhebers, vor Veröffentlichung des Werkes gegen Entschädigung vom Vertrag zurückzutreten48, zum Ausdruck kämen. Max Ernst Eccius, der Försters Lehrbuch „Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts“ seit 1882 fortführte, sprach sich ebenfalls gegen eine gerichtliche Überprüfung der Rücktrittsgründe aus. Als Rücktrittsgründe bzw. „veränderte Umstände“ i. S. d. § 1005 ALR definierte er dabei insbesondere „die wirkliche Sinnesänderung des Autors“, die jedoch „wirkliche Sinnesänderung“ und nicht „bloßes Belieben“ sein müsse. Letzteres erblickte Eccius vor allem in der anderweitigen Herausgabe binnen Jahresfrist, wobei offenblieb, wie ohne Offenlegungspflicht bzw. gerichtliche Überprüfung eine „wirkliche Sinnesänderung“ vom „bloßen Belieben“ unterschieden werden sollte. In temporärer Hinsicht erachtete er den Rücktritt zunächst als bis zur Druckvollendung zulässig49, dehnte dies jedoch 1887 auf den Zeitpunkt des Beginns der Herausgabe aus. Zur Begründung verwies Eccius, der die restriktive Position Dernburgs ausdrücklich ablehnte, auf den Wortlaut des § 1005 ALR50. In der 1896 erschienenen siebenten Auflage erfuhren diese Ausführungen eine weitere Präzisierung. Mit Verweis auf Dernburg hieß es hier, dass der Rücktritt des Verfassers zwar „hart für den Verlev. Anders, S. 96; in der Beurteilung ebenso Wittmann, G., S. 42. S. VII. 46 v. Anders, S. 129 / Fn. 157, S. 130. 47 Hier findet sich ein weiterer Beleg dafür, dass der Begriff des „gemeinen“ Rechts Ende des 19. Jahrhunderts im Sinne von „allgemeingültig“ oder „allgemein anerkannt“ gebraucht wurde. Dazu oben, C. VI. 1. 48 v. Anders, S. 129 / Fn. 157. 49 Förster / Eccius (1882), S. 197 / Fn. 72. 50 Förster / Eccius (1887), S. 157 / Fn. 37. 44 Beispielhaft 45 v. Anders,
I. Rücktrittsrechte in der Literatur der 1870er–1890er Jahre 171
ger“ sein könne, dieser Härte jedoch „auch Dernburg [mit seiner temporär engeren Fassung des Rücktrittsrechts] nicht [entgehe], so lange der Verfasser das Manuskript nicht vollständig geliefert“ habe. Vielmehr könne „die Sinnesänderung des Autors bis zum letzten Augenblick [d. h. dem Beginn der Herausgabe] sehr gute Gründe haben“51. Hinsichtlich des Rücktritts bei Nichtausübung verwies Eccius auf die allgemeinen Vorschriften der §§ I 5 408 ff. bzw. § I 11 877 ALR52. 1889 veröffentlichte der Leipziger Verleger Robert Voigtländer, Mitglied des Börsenvereins, ein Werk mit dem Titel „Der Verlags-Vertrag. Zum Geschäftsgebrauch der Verleger“. Auch Voigtländer ging davon aus, dass das Recht des Urhebers „ein doppeltes“ sei, welches in ein „persönliche[s] Recht“ und ein „vermögenrechtliche[s] Nutzungsrecht“ zerfiel, monierte jedoch zugleich das Fehlen allgemeinverbindlicher, klarer Rechtsbegriffe für das Urheber-Verleger-Verhältnis53. Aus diesem Grund führte er eine Reihe von Grundsätzen auf, die er als der Gesetzgebung, Rechtsprechung und den buchhändlerischen Gebräuchen entsprechend bezeichnete. Hierunter fasste er u. a. die Verpflichtung des Verfassers zur rechtzeitigen und vertragsgemäßen Lieferung des Manuskripts, wobei der Verleger im anderen Fall vom Vertrag zurücktreten oder auf Erfüllung klagen bzw. Schadensersatz fordern dürfe54. Damit anerkannte Voigtländer ein Rücktrittsrecht des Verlegers wegen Nichtausübung; dem Urheber billigte er ein entsprechendes Instrument indes nicht zu. An anderer Stelle hieß es: „Zufälle oder unabwendbare Hindernisse, welche das Erscheinen des Werkes unmöglich oder widersinnig machen, berechtigen jeden Teil [sic!] zum Rücktritt vom Vertrage. Für etwaiges Verschulden oder unter Haftpflicht fallenden Zufall haftet der schuldige Teil dem anderen“55. Weiterführende Ausführungen dahingehend, was unter besagte Hindernisse fallen sollte, finden sich bei Voigtländer nicht. Die Einengung auf „unabwendbare“ Fälle und die Gleichsetzung mit Fällen der Unmöglichkeit legt jedoch nahe, dass Voigtländer nicht von einem vollkommen freien Rücktrittsrecht des Urhebers ausging. Schließlich schrieb der bayerische Gerichtsrat Phillip Allfeld56 in dem den Verlagsvertrag betreffenden Abschnitt seines 1893 erschienenen Kommentars zum Urheberrechtsgesetz von 1870, dass sich der Urheber „durch einen Verlagsvertrag […] seines ausschließlichen Vervielfältigungsrechtes immer nur 51 Förster / Eccius
(1896), S. 161 / Fn. 11. (1887), S. 157. 53 Voigtländer, VerlagsV, S. 3. 54 Voigtländer, VerlagsV, S. 7. 55 Voigtländer, VerlagsV, S. 8; Hervorhebung im Original. 56 Zur Person siehe Struve-Urbanczyk, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 27 ff. 52 Förster / Eccius
172 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
unter der Voraussetzung [begebe], daß der Verleger dem Vertrage gemäß das Werk in seinem Vertrag erscheinen“ ließe. Weigere sich derselbe hingegen, die ihm übertragene oder eine weitere Auflage erscheinen zu lassen, so falle das Recht an den Urheber zurück57. Allfeld war damit der einzige, der ein Erlöschen des Verlagsvertrages („Rückfall“) bei Nichtausübung ipso iure annahm.
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände Nachdem die Reichsleitung eine eigenständige Regelung des Verlagsrechts verweigert hatte, gingen Interessenvertreter der Verleger und Autoren ab den späten 1880er Jahren daran, verschiedene Gesetzentwürfe zu erarbeiten, welche im Wesentlichen auf den gängigen Gewohnheitsrechten und Handelsbräuchen basierten.58 Im Einzelnen waren dies Schürmanns Grundordnung (1.), Streißlers Entwurf einer Verlagsordnung (2.), der Gesetzentwurf des Deutschen Schriftstellerverbandes (3.) sowie die vom Börsenverein erarbeitete Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel (4.). Alle Entwürfe enthielten Regelungsvorschläge bezüglich der Rücktrittsrechte des Autors. 1. Schürmanns Grundordnung (1889) Seitens der Interessenverbände legte der Hallenser Buchhändler und Verleger August Schürmann im Jahr 1889 eine „Grundordnung der Verhältnisse zwischen Autoren und Verlegern“ (GO) vor, welche dem Wortlaut der vorangestellten Einleitung nach „das Verlagsrecht in seiner Fortentwicklung seit dem preußischen Landrecht“ darstellen sollte und für sich in Anspruch nahm, lediglich „täglich bethätigte Gewohnheiten oder Normen, die sich sachlich von selbst ergeben“ darzustellen und „alles Willkürliche“59 streng zu meiden. Schürmann folgte mit seinem Entwurf grundsätzlich der Ansicht Kohlers, indem er hervorhob, dass das Verlagsrecht die übertragbare vermögensrechtliche, das Autorrecht die nichtübertragbare personenrechtliche Seite der Materie sei60. Dem Rücktritt der Vertragsparteien widmete er einen eigenen Unterabschnitt, dem er mit § 75 GO die Feststellung voranstelle, dass mit dem Abschluss eines Verlagsvertrages „nicht unter allen Umständen gesagt [sei], daß das Werk, über welches sie [die Kontrahenten] sich einigen, nun 57 Allfeld,
UrhG, S. 54. FS GRUR, S. 1225 ff.; ders., Verlagsrecht, S. 200. 59 Schürmann, S. 321. 60 Schürmann, S. 141. 58 Vogel,
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände173
auch wirklich abgefaßt wird, und wenn es abgefaßt wird, daß es vervielfältigt, und wenn dies, daß es auch veröffentlicht wird“61. Die Grundordnung enthielt ein im Wesentlichen den §§ 1005 ff. ALR entsprechendes Autorenrücktrittsrecht [a)]. Gänzliches Neuland betrat Schürmann hingegen damit, dass er auch dem Verleger ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände einräumte [b)]. Ein gesondertes Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung sah die Grundordnung nicht vor. Da Schürmann seinem Entwurf keine Begründung beigegeben hatte, sind Aussagen über die hinter den Vorschriften stehenden Motive nur begrenzt möglich. a) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände Hinsichtlich des Rücktrittsrechts des Autors wegen veränderter Umstände blieb Schürmann der Terminologie des Allgemeinen Landrechts treu, indem er in § 76 GO formulierte: „Treten Umstände ein, welche es dem Autor (§ 5, a b)62 geboten erscheinen lassen, den Vertrag aufzugeben, so genügt seine Erklärung, die übernommene Verpflichtung nicht erfüllen zu können. In diesem Falle hat der Autor Ersatz zu leisten für etwaige Auslagen, welche durch seine Schuld dem Verleger erwachsen sind, sei es daß das Werk bereits im Drucke ist oder notwendige Vorbereitungen (Herstellung von bildlichen oder graphischen Beigaben etc.) dazu getroffen sind“63.
Im Anschluss daran bestimmte § 77 GO: „Veröffentlicht der Autor, nachdem er vom Vertrage freiwillig zurückgetreten ist, das betreffende Werk im Zeitraume von fünf Jahren anderwärts oder auf eigne Kosten, so kann er von seinem ersten Kontrahenten wegen Entschädigung für vereitelte Gewinnaussichten in Anspruch genommen werden. 61 Schürmann,
S. 338. lautete: „Die Beziehungen zwischen Autor und Verleger werden herkömmlich in folgender Weise eingeleitet: a) Der Autor bietet dem Verleger eine Schrift zum Verlage an; b) Der Verleger macht dem Autor unbestimmte Verlagsanerbietungen, oder er fordert ihn behufs Verlagsübernahme zur Abfassung einer Schrift unter allgemeiner Andeutung von Inhalt und Bestimmung auf; und endlich c) der Verleger ersucht den Autor um eine bestimmte Leistung: Arbeit nach gegebenem Plan, Bearbeitung, Mitarbeiterschaft, Übersetzung u. dgl.“ (Schürmann, S. 324). Die Ausklammerung von lit. c) ist dem Umstand geschuldet, dass es sich hierbei nach § 6 GO um einen Verlagsvertrag „im weiteren Sinne“ handelte, bei dem der Autor nicht „in freier und selbstständiger Thätigkeit“ ein Werk schuf, sondern „bloß Beihilfe“ leistete. Die Frage, ob der Verleger ein originäres Verlagsrecht an Auftragswerken erhielt war zusammen mit der Frage nach der Möglichkeit der zustimmungsfreien Veräußerung des Verlagsrechts durch den Verleger einer der größten Streitpunkte in Autoren- und Verlegerkreisen; siehe dazu Mogg, S. 89 ff. sowie Wittmann, G., S. 31 ff. 63 Schürmann, S. 338. 62 § 5 GO
174 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Die Bemessung der Gewinnaussichten gründet sich auf den durch die Einzelheiten des ursprünglichen Vertrags mehr oder minder deutlich erklärten guten Glauben des Verlegers, soweit derselbe vor der sachverständigen Prüfung zu bestehen vermag“64.
Damit blieb der Entwurf inhaltlich im Wesentlichen bei den Vorgaben des preußischen Allgemeinen Landrechts stehen. Einzig die Ausdehnung der Ersatzpflicht auf sämtliche Auslagen des Verlegers und die Ausweitung der Nachhaftungsfrist von einem auf fünf Jahre stellten Abweichungen vom preußischen Vorbild dar, die jedoch den bereits in den vorhergehenden Dekaden nahezu einhellig geäußerten Auffassungen entsprachen. b) Rücktrittsrecht des Verlegers wegen veränderter Umstände § 78 GO statuierte: „Treten Umstände ein, welche es dem Verleger geboten erscheinen lassen, vor der Zeit vom Vertrage zurückzutreten, so unterliegen seine Gründe weiterer Erörterung. Bleibt dabei ein Verschulden des Autors außer Frage, so hat der Verleger je nach dem Stande der Vorarbeiten entweder das volle bedungene Honorar zu zahlen oder doch eine angemessene Honorarentschädigung zu leisten“.
In § 79 GO hieß es weiter: „Treten Umstände ein, welche es dem Verleger geboten erscheinen lassen, das bereits vervielfältigte Buch nicht auszugeben, so unterliegen seine Bedenken nur dann weiteren Erörterungen, wenn er Ersatzansprüche gegen den Autor erhebt. Werden solche Ansprüche nicht erhoben, so hat der Verleger das bedungene Honorar zu entrichten. Außerdem fällt das Verlagsrecht an den Autor zurück, die gedruckten Vorräte aber hat der Verleger unter Wegfall seiner Firma dem Autor gegen Ersatz der Selbstkosten auf angemessene Zeit zur Verfügung zu halten“65.
Demnach konnte der Verleger jederzeit vom Vertrag zurücktreten, wobei dem Autor einzig dann Ersatzansprüche erwuchsen, wenn diesen keine Verantwortung hinsichtlich des Rücktritts traf; insofern hatte er gemäß § 78 GO seine Rücktrittsgründe offenzulegen. Eine solche Offenlegungspflicht traf den zurücktretenden Verleger nach Vollendung des Drucks nur noch dann, wenn er Ersatzansprüche gegen den Autor geltend machte. War dies nicht der Fall, konnte letzterer das vollumfängliche Honorar verlangen. Schürmann fasste die Autor-Verleger-Beziehung somit ausschließlich vermögensrechtlich: Der Gedanke, dass der Autor primär ein ideelles Interesse an der Veröffentlichung und – zumal bei Erstlingswerken – allenfalls ein sekundäres an 64 Schürmann, 65 Schürmann,
S. 338 f. S. 339.
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände175
dem Honorar haben könne, kam Schürmann offenkundig nicht. Vor diesem Hintergrund wird klar, weshalb bereits die Zeitgenossen Schürmann eine einseitige Betonung der Verlegerinteressen zum Vorwurf machten66. 2. Streißlers Entwurf einer Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel (1890) Im Juni 1890 veröffentlichte der Verleger Flodobard Woldemar von Biedermann seinen in Zusammenarbeit mit Friedrich Streißler erarbeiteten Entwurf einer „Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel“ (SE), der als Anhang zu Streißlers Rechtslexikon erschien und sich ausweislich des Vorwortes insbesondere an Voigtländers Abhandlung zum Verlagsvertrag aus dem Jahr 1889 orientierte67. Der 80 Paragraphen umfassende Entwurf erstreckte das Verlagsrecht gemäß § 6 A. Nr. 1 bis 4 SE auf Schriftwerke, Karten und Pläne, Musikalien sowie Werke der bildenden Kunst, weshalb der Entwurf auch nicht (mehr) vom Autor oder Verfasser, sondern vom Urheber als Berechtigtem sprach. Für diesen war in § 71 SE ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände und in § 38 SE ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung normiert. a) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände In dem im VI. Abschnitt („Auflösung des Vertrages und Zufälle“) verorteten § 71 SE hieß es: „Ereignen sich Umstände, welche das Erscheinen des Werkes zwecklos machen, oder welche den bei Abschluß des Vertrages im Auge gehabten Zweck vereiteln würden, so kann jeder der Beteiligten vom Vertrag zurücktreten“68.
Der Entwurf stellte dem Wortlaut nach eher auf das Eintreten bzw. die Veränderung äußerer Umstände, denn auf die subjektive Perspektive des Urhebers ab. Dies zeigt neben dem Abschnittstitel selbst insbesondere die Tatsache, dass § 71 SE – wohl in Anlehnung an Voigtländers Ausführungen – sowohl dem Urheber als auch dem Verleger ein Rücktrittsrecht ein66 Mogg, S. 90 mit Verweis auf Otto Dambach, den Vorsitzenden des preußischen musikalisch-literarischen Sachverständigenvereins, der Schürmanns Werk „Die Rechtsverhältnisse der Autoren und Verleger sachlich-historisch“, welchem die Grundordnung beigefügt war, nur mit den kühlen Worten kommentierte, dass dieser „einen weiteren Beweis dafür liefere, wie bedenklich es sei, über Gegenstände zu schreiben, die man wissenschaftlich nicht im vollsten Umfange beherrsche“; ähnlich auch Osterrieth, GRUR 1900, S. 299. 67 Streißler, S. VI; siehe oben, D. I. 68 Streißler, S. 246.
176 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
räumte und die Wendung des „im Auge gehabten Zweckes“ insofern den von beiden Parteien vorausgesetzten Zweck gemeint haben dürfte. Daneben fehlten jedwede Vorschriften zu einer etwaigen Aufwendungs- oder Schadensersatzpflicht der zurücktretenden Partei. § 79 SE stellte diesbezüglich lediglich klar, dass sich „Ersatzansprüche wegen Schadens oder entgangenen Gewinns, soweit sie durch die Verlagsordnung nicht ausgesprochen sind […] nach der bürgerlichen Gesetzgebung“69 regelten, die jedoch – zumindest was den BGB-Entwurf anbelangte – keine gesonderten Ersatzvorschriften für den Fall des Rücktritts wegen veränderter Umstände vorsah70. Vielmehr kam allgemeines Schadensrecht zur Anwendung, wonach die Haftung bei Nichterfüllung grundsätzlich die erlittene Vermögenseinbuße als auch den entgangenen Gewinn umfasste (§ 218 BGB-E). Eine Privilegierung des Urhebers dergestalt, dass sich seine Haftung im Rücktrittsfalle nur bei anderweitiger Herausgabe innerhalb einer bestimmten Frist auf den entgangenen Gewinn erstreckte, sah der Streißler-Entwurf nicht vor. Weitergehende Aussagen sind nicht möglich, da dem Entwurf keine Motive beigegeben waren. Die Ausgestaltung des § 71 SE sowie die Bezugnahme auf den Ver leger Voigtländer legt jedoch nahe, dass derselbe maßgeblich von Verleger interessen beeinflusst war71. b) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung § 38 SE lautete wie folgt: „Bleibt der Verleger mit der Veröffentlichung ohne ausreichenden Grund im Verzug, so kann der Urheber vom Vertrag abgehen. Als ausreichende Gründe können persönliche Behinderung oder finanzielle Schwierigkeiten nicht geltend gemacht werden“72.
Die verlegerbegünstigende Tendenz des Streißler-Entwurfes wird hier besonders deutlich: Nicht nur, dass – entgegen der bisherigen Entwürfe – ein Rücktrittsrecht lediglich für den Fall der gänzlichen Nichtausübung, nicht jedoch bei unzureichender Ausübung des Verlagsrechts vorgesehen war (§ 40 SE gestand dem Urheber wegen „grober Versehen“ des Verlegers bei der Vervielfältigung lediglich einen Anspruch auf Vernichtung und Wiederholung des fehlerhaften Teiles zu73, während der Entwurf hinsichtlich einer 69 Streißler,
S. 247. S. 68. 71 So auch bereits Osterrieth, GRUR 1900, S. 299; ähnlich Wittmann, G., S. 62 im Hinblick auf die Vorschriften des Streißler-Entwurfs zur Übertragbarkeit des Verlagsrechts. 72 Streißler, S. 239. 73 Streißler, S. 241. 70 Köbler,
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände177
unzulänglichen Verbreitung keinerlei Regelung vorsah), es bestand für den Verleger offenkundig auch die Möglichkeit der Exkulpation, wie die Wendung „ohne ausreichenden Grund“ zeigt. 3. Der Gesetzentwurf des Deutschen Schriftstellerverbandes (1891) Im Juni 1891 folgte mit dem „Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ (DSV-E) des Deutschen Schriftstellerverbandes der Vorschlag der in den 1890er Jahren einflussreichsten Autorenvereinigung74. Ursprünglich hatte diese zwar an den seit Oktober 1890 laufenden Beratungen des Börsenvereins der deutschen Buchhändler über eine Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel mitwirken sollen, dies scheiterte jedoch an der Unnachgiebigkeit der Verleger, die eine gleichberechtigte Teilnahme des Schriftstellerverbandes verweigerten75. Der Entwurf umfasste 51 Paragraphen und sprach, nachdem sich das Verlagsrecht gemäß § 1 DSV-E sowohl auf Schriftwerke als auch auf Werke der bildenden Künste erstrecken konnte, ebenfalls vom „Urheber“ als Berechtigtem. Dessen Rücktrittsrecht war in § 35 DSV-E folgendermaßen geregelt: „Der Urheber ist berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten: 1. wenn der Verleger den ihm obliegenden Verpflichtungen hinsichtlich rechtzeitiger Herstellung des Verlags-Gegenstandes nicht entspricht; 2. wenn derselbe den Verlags-Gegenstand nicht vertragsmäßig ausstattet, oder grobe Verstöße gegen den Inhalt des Manuskriptes bei der Herstellung begangen wurden; 3. wenn über das Vermögen des Verlegers der Konkurs eröffnet wird, bevor mit der Erfüllung des Verlags-Vertrages auf beiden Seiten der Anfang gemacht ist; 4. wenn der Verleger wegen vorsätzlichen Nachdrucks verurteilt wird. Inwieweit in diesen Fällen der Urheber von dem Verleger Schadensersatz beanspruchen kann, bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuches […]“76.
Demnach sah auch der Entwurf des Schriftstellerverbandes ein genuines Rücktrittsrecht des Urhebers für den Fall der Nicht- oder Schlechtausübung 74 Dazu Mogg, S. 95. Der Entwurf findet sich abgedruckt im Organ des Deutschen Schriftstellerverbandes „Deutsche Presse“ 1891, S. 165–169 sowie im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (BBl.) 1892, S. 74–78. 75 Siehe die entsprechenden Klagen des Schriftstellerverbandes in der „Deutsche Presse“ 1890, S. 145 f., 154 f., 186. Dazu ausführlich Mogg, S. 98 f.; zu den Entwürfen des Börsenvereins siehe den nachfolgenden Abschnitt D. II. 4. 76 Deutsche Presse 1891, S. 168; der Rest der Vorschrift befasste sich mit dem Konkursfall und bleibt deshalb außen vor.
178 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
durch den Verleger vor, wobei Ersterem im Schadensfall überdies ein entsprechender Ersatzanspruch zugebilligt wurde. Die „Rechtzeitigkeit“ i. S. v. § 35 Nr. 1 DSV-E ergab sich aus § 6 DSV-E. Demnach hatte der Verleger nach Vertragsschluss ohne Verzug und nach Maßgabe des ordnungsgemäßen Geschäftsganges mit der Vervielfältigung zu beginnen und diese bis zum vereinbarten Zeitpunkt zu bewerkstelligen. War ein solcher nicht bestimmt, so konnte der Urheber auf Grundlage eines Gutachtens des literarischen Sachverständigenvereins unbeschadet seines Rücktrittsrechts bzw. Schadensersatzanspruches eine Frist gerichtlich bestimmen lassen.77 Wesentlich bemerkenswerter ist jedoch die Tatsache, dass der Schriftstellerentwurf kein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände bzw. kein freies Rücktrittsrecht des Urhebers vorsah. § 36 DSV-E statuierte insofern lediglich die Möglichkeit einer Vertragsaufhebung ipso iure: „Der Verlags-Vertrag erlischt von Rechtswegen: a) durch den Tod des Urhebers vor Ablieferung des noch nicht vollendeten Manuskriptes; b) wenn der Urheber vor Vollendung des Manuskriptes geisteskrank oder aus einem anderen Grund unfähig wird, dasselbe herzustellen. Ob ein solcher Grund vorhanden ist, entscheidet im Streitfalle der zuständige Richter, eventuell nach vorgängiger Erhebung eines Gutachtens des litterarischen SachverständigenVereins; c) wenn das Werk vor seiner Ablieferung an den Verleger, ohne daß den Urheber ein Verschulden dabei trifft, vernichtet wird; d) wenn infolge einer bei Abschluß des Verlags-Vertrages noch nicht bestandenen, seitdem aber erlassenen Anordnung der Staatsgewalt die Veröffentlichung des Werkes gegen die bestehende Gesetzgebung verstoßen würde; e) wenn die Erreichung des Zweckes, wie derselbe aus dem Verlags-Vertrag ersichtlich ist, vor Ablieferung des Manuskriptes durch eingetretene Umstände unmöglich wird, die weder von dem Urheber, noch dem Verleger abgewendet werden konnten; f) wenn dem Verlags-Gegenstande vor Veröffentlichung des Werkes der urheberrechtliche Schutz für das Land entzogen wird, in welchem derselbe kraft des Verlags-Vertrages verbreitet werden soll. Falls in den unter a bis f bezeichneten Fällen ein Honorar schon von dem Verleger bezahlt worden ist, muß dasselbe, soweit die vorgenannten Umstände auf Seite des Urhebers eingetreten sind, von dem Urheber, bezüglich von seinen Rechtsnachfolgern zurückerstattet werden […]“78.
77 Deutsche
Presse 1891, S. 166. Presse 1891, S. 168; der Rest der Vorschrift befasste sich mit der Frage der Verzinsung des Honorars wird deshalb ebenfalls außer Acht gelassen. 78 Deutsche
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände179
Der Schriftstellerverband hatte seinem Entwurf ebenfalls keine Motive beigegeben, so dass nicht nachvollzogen werden kann, weshalb man auf ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände bzw. ein freies Rücktrittsrecht verzichtete. § 36 lit. b) DSV-E erfasste zwar den Fall, dass der Urheber „unfähig“ wurde, das Werk herzustellen. Ähnlich wie beim bayerischen BGBEntwurf79 zeigt jedoch die Einreihung in Konstellationen wie den Tod [a)] bzw. die geistige Umnachtung [b)] des Urhebers, den zufälligen Untergang des Manuskripts [c)], obrigkeitliche Verbote [d)], die Zweckvereitelung durch äußere Umstände [e)] oder den Verlust des urheberrechtlichen Schutzes im Ausland [f)], dass hiervon nur restriktiv zu handhabende Fälle erfasst werden sollten. Hierfür spricht nicht zuletzt auch die von § 36 lit. b) DSV-E vorgesehene Möglichkeit einer „doppelten“ Prüfung etwaiger „anderer Gründe“ durch Gerichte einer- und literarische Sachverständige andererseits. Wollte der Urheber demnach die Verbreitung seines Werkes verhindern, blieb ihm allein die Möglichkeit, das Werk nicht zu liefern. Die §§ 21 lit. a), 24 DSV-E räumten dem Verleger für diesen Fall ein Rücktrittsrecht sowie einen vollumfänglichen Schadensersatzanspruch gegen den säumigen Urheber ein80. Nach Ablieferung des Manuskripts war eine Lösung vom Vertrag ausgeschlossen. 4. Die Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel (1893) Vor dem Hintergrund der ablehnenden Haltung der Reichsleitung hinsichtlich der Frage der Inkorporation des Verlagsrechts in das BGB hatte sich Robert Voigtländer bereits am 24. März 1890 mit dem Antrag, dass sich der deutsche Buchhandel selbst eine Verlagsordnung geben möge81 an den Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler82 gewandt. Diese Verlagsordnung sollte nicht nur die vermeintliche Lückenhaftigkeit der als ver79 Siehe
oben, C. IV. 2. lit. b) aa). maßgeblichen Passagen der genannten Vorschriften lauteten: „Der Verleger ist berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten: a) wenn der Urheber das Manuskript nicht zu der festgesetzten Zeit in druckfertigem Zustande abliefert […]“ (§ 21 lit. a) DSV-E) sowie „Der Urheber bzw. seine Erben sind verpflichtet, das Manuskript dem Verleger in druckfertigem Zustande zu der durch den Vertrag bestimmten Zeit abzuliefern. Ist eine bestimmte Zeit im Vertrage nicht vorgesehen, so kann der Verleger die Festsetzung einer Ablieferungsfrist durch den zuständigen Richter begehren, welcher dieselbe nach vorheriger gutachterlicher Aeußerung des litterarischen Sachverständigen-Vereins festzusetzen hat; nach erfolglosem Ablauf dieser Frist kann der Verleger unbeschadet seines Anspruchs auf Schaden-Ersatz vom Vertrage zurücktreten“ (§ 24 DSV-E), siehe Deutsche Presse 1891, S. 167. 81 Siehe den Antrag Voigtländers, abgedruckt in BBl. 1890, S. 1918. 82 Diesem gehörten im Jahr 1891 an: Eduard Brockhaus, Paul Siebeck, Franz Wagner, Adolph Seibel, Adolf Kröner und Franz Wichern. 80 Die
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altet angesehenen gesetzlichen Bestimmungen beseitigen83, sondern vor allem vollendete Tatsachen schaffen, zumal „eine praktisch bereits eingeführte und eingelebte Verlagsordnung von einer künftigen Staatsgesetzgebung zweifellos eingehendst berücksichtigt werden muss und wird“84. Hierzu setzte der Börsenverein einen außerordentlichen Ausschuss unter Vorsitz des Leipziger Verlegers Eduard Brockhaus ein, der eine Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel erarbeiten sollte.85 Auf Grundlage von Vorarbeiten Voigtländers [a)] erstellte der Ausschuss einen Vorentwurf [b)], aus dem nach Einholung juristischer Fachgutachten der Erstentwurf einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel hervorging [c)]. Aufgrund des darin vorgesehenen freien Rücktrittsrechts des Verlegers scharfer Kritik ausgesetzt [d)], fand der Entwurf nach entsprechender Überarbeitung [e)] schließlich die Billigung des Vereinsvorstands. Da die Verlagsordnung des deutschen Buchhandels bei der Erarbeitung des Verlagsgesetzes von 1901 zurate gezogen wurde86 und dieses nachhaltig prägen sollte87, ist eine detaillierte Untersuchung ihrer Genese unumgänglich. a) Der Vorentwurf Voigtländers Grundlage der Arbeiten des Ausschusses bildete ein von Voigtländer (der seinerseits als Schriftführer des Gremiums fungierte) erarbeiteter, 108 Paragraphen umfassender Vorentwurf vom 11. Juli 1890 (VE-V), der sich insbesondere an den Regelungen des preußischen Landrechts sowie Schürmanns Grundordnung orientierte.88 In der Einleitung betonte Voigtländer, den Entwurf vom buchhändlerisch-praktischen Standpunkt unter gewissenhafter Berücksichtigung der Autorinteressen erstellt zu haben, wobei er sich möglichst eng an bestehendes Recht sowie bestehenden Brauch angelehnt und Lücken unter sorgfältiger Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse ergänzt habe. Ausdrücklich unterstrich er den provisorischen Charakter des Entwurfs, Voigtländers, abgedruckt in BBl. 1890, S. 1917. Voigtländers, abgedruckt in BBl. 1890, S. 1918. 85 Mogg, S. 96. 86 Dies ergibt sich u. a. aus den Beratungsprotokollen zum Referentenentwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, siehe Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 92 r. Entsprechendes bestätigt zudem Osterrieth, GRUR 1900, S. 299, der an den besagten Beratungen teilgenommen hatte. 87 So ausdrücklich Vogel, FS GRUR, S. 1228. 88 Voigtländer, Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44; der Entwurf selbst ist nicht fortlaufend nummeriert; die Nummerierung im Folgenden geht daher von der ersten Seite des Entwurfes aus; eine Liste der bei der Erstellung des Entwurfs verwandten Gesetze, Gesetzentwürfe und Literatur findet sich in BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 3. 83 Antrag 84 Antrag
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weswegen auch die Begründung entsprechend knapp gehalten war. Ohnehin war Voigtländer der Auffassung, dass sich die meisten seiner Vorschläge bereits aus den Verweisen auf bestehene Gesetze und Gesetzentwürfe erklärten89. Das Verlagsrecht definierte § 2 VE-V als die aus dem Urheberrecht abgeleitete, ausschließliche Befugnis zur mechanischen Vervielfältigung und Verbreitung eines litararischen, künstlerischen oder photographischen Erzeugnisses90. Die Beendigung des Vertrages durch Rücktritt war in neun Paragraphen geregelt, die sowohl ein freies Rücktrittsrecht des Autors [aa)] als auch ein freies Verlegerrücktrittsrecht [bb)] vorsahen. Zudem enthielt der Vorentwurf ein Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung [cc)]. aa) Freies Rücktrittsrecht des Autors Sämtlichen Rücktrittsrechten vorangestellt war die allgemeine Vorschrift des § 84 VE-V, welche insbesondere die temporäre Reichweite des Rücktrittsrechts festlegte: „Bis zum Beginn des Vertriebs sind beide Vertragschließende zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt. Der Rücktritt kann freiwillig oder in Rücksicht auf Verschulden des andern Teils erfolgen“.
Voigtländer rekurrierte insofern auf § 1005 ALR bzw. dessen unveränderte Fassung in § I 11 699 der preußischen Gesetzesrevision, § 531 des ungarischen HGB91, § 21 Berger-E, § 75 von Schürmanns Grundordnung sowie die entsprechenden Passagen in den Werken Wächters und Klostermanns. Der Terminus des „freiwilligen“ Rücktritts war dabei als Gegenbegriff zu einem durch Vertragsbrüchigkeit des anderen Teils induzierten Rücktritt zu verstehen.
89 Voigtländer, Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 1. 90 Voigtländer, Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 4; unter „Verlagsrecht im weitern Sinne“ wurden hingegen „die gesamten Rechtsverhältnisse verstanden, welche bei der Ausübung und Verwertung von Urheberrechten an litterarischen und artistischen Erzeugnissen aller Art und an Photographien zwischen Autor und Verleger entstehen“. 91 Ähnlich § 1166 ABGB sahen die §§ 516, 531 des ungarischen HGB kein ausdrückliches Rücktrittsrecht, sondern lediglich einen impliziten „Rücktritt“ durch Nichtablieferung des Werkes vor, siehe Abdruck der Vorschriften bei Voigtländer, VerlagsV, S. 17 f.
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Das freie Rücktrittsrecht des Autors fand seinen Niederschlag in § 85 VE-V: „Tritt der Autor freiwillig vom Vertrage zurück, so hat er dem Verleger sowohl bereits empfangenes Honorar zurückzuerstatten, wie die Auslagen zu ersetzen, welche diesem aus den zur Vervielfältigung schon getroffenen und durch den Rücktritt unnütz werdenden Veranstaltungen entstanden sind“.
Hinsichtlich des Ersatzanspruches des Verlegers wurde dabei ausdrücklich auf § 1006 ALR verwiesen. Der sich anschließende § 86 VE-V lautete: „Das Eigentum an den Druckvorrichtungen verbleibt gleichwohl dem Verleger, welcher Druckvorräte zu makulieren, Stereotyp-Platten einzuschmelzen hat, bild liche Druckvorrichtungen aber nach seinem Belieben anderweit verwenden darf“.
Dieser detaillierte Passus über den Umgang des Verlegers mit Druckvorrichtungen etc. war wohl in erster Linie Voigtländers eigener Verlegertätigkeit geschuldet. In den knapp gehaltenen Motiven hieß es hierzu, dass eine derartige Vorschrift zum Schutz des Verlegers gegen dolosen Vertragsbruch unentbehrlich sei, sich in der bestehenden Gesetzgebung jedoch nichts Derartiges fände. Ein gänzliches Novum stellte § 87 VE-V dar: „Ist der Autor außerstande, dem Verleger die aufgewendeten Auslagen zu ersetzen und erhaltenes Honorar zurückzuerstatten, so erlöscht sein Rücktrittsrecht, wenn sein Werk bereits vollendet ist“.
Zwar hatte man bereits bei früheren Entwürfen die mögliche Prohibitivwirkung der Ersatzpflicht vor Augen gehabt92, § 87 VE-V machte das Bestehen des Rücktrittsrechts jedoch erstmals ausdrücklich von der finanziellen Situation des Autors abhängig. Unverhohlen zeigt sich hier die – kaum überraschende – verlegerbegünstigende Tendenz des Vorentwurfs, welche Voigtländer in den Motiven nochmals bekräftigte, indem er unterstrich, dass § 87 VE-V unentbehrlich sein dürfte, um dem Verleger hinreichenden Schutz gegen einen mittellosen vertragsbrüchigen Autor zu gewähren. Wieder ausdrücklich an das preußische Landrecht, konkret § 1007 ALR, angelehnt war § 88 VE-V: „Veröffentlicht der vom Vertrage zurückgetretene Autor das Werk binnen fünf Jahren in anderem Verlage oder im Selbstverlag, so hat er dem ersten Verleger seine ganze aus dem andern Verlag erzielte Einnahme oder den aus Selbstverlag erzielten Gewinn abzutreten“93.
Unterschiede zum preußischen Vorbild ergaben sich insofern, als die Dauer der Nachhaftung auf fünf Jahre ausgedehnt wurde und der Haftungsumfang 92 So
etwa beim „Dresdner Entwurf“, siehe oben C. V. 3. Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 18. 93 Voigtländer,
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände183
nicht mehr auf den entgangenen Gewinn, sondern auf die tatsächlich erzielten Einnahmen ging. bb) Freies Rücktrittsrecht des Verlegers In ausdrücklichem Anschluss an Schürmanns Grundordnung94 billigte Voigtländer in § 88 VE-V auch dem Verleger ein freies Rücktrittsrecht zu. Andeutungsweise war dies zwar bereits in seinem Werk über den Verlagsvertrag geschehen, doch stand die entsprechende Vorschrift dort einer Unmöglichkeitseinrede näher als einem Rücktrittsrecht95: „Tritt der Verleger freiwillig vom Vertrage zurück, so hat er dem Autor das für die erste Auflage verabredete Honorar oder die verabredete Pauschsumme zu zahlen. Findet der Autor binnen fünf Jahren einen andern Verleger oder veröffentlicht er das Werk im Selbstverlag, so ist er zur Zurückerstattung des aus dem neuen Vertrage ihm zufließenden Honorars oder des aus Selbstverlag erzielten Gewinns an den ersten Verleger verpflichtet, bis zur Höhe der von diesem empfangenen Summe. Bereits hergestellte Druckvorrichtungen und Druckvorräte, diese unter Wegfall seiner Firma, hat der erste Verleger auf Verlangen dem Autor fünf Jahre zur Verfügung zu halten und ihm gegen Erstattung der Selbstkosten abzutreten“.
In seiner Begründung verwies Voigtländer zutreffend darauf, dass außerhalb der Grundordnung Schürmanns und seines eigenen Entwurfes ein freies Rücktrittsrecht des Verlegers bis dato an keiner Stelle vorgesehen war96. Als notwendig erachtete er es dennoch, da der Verleger angesichts der Eigentümlichkeit literarischer Veröffentlichungen ebenso triftige innere Gründe haben könne, von seiner Publikationsabsicht abzurücken, wie der Autor. Beispielhaft nannte er den Fall, wenn ein politisches Werk durch zwischen Vertragsschluss und Veröffentlichung eingetretene Umstände einen bedenklichen Charakter gewonnen hätte. Neben dieser eindeutig persönlichkeitsschützenden Begründung führte Voigtländer vor allem vermögensschützende Aspekte ins Feld: So sei es unbillig, den Verleger zum Verlag eines Werkes zu zwingen, wenn sich nach Vertragsschluss dessen persönliche oder geschäftliche Verhältnisse verändert hätten, oder sich das Werk wider Erwarten als wertlos erwies. Damit zielte Voigtländer auf nichts Geringeres als die Abwälzung des wirtschaftlichen Risikos („gewagtes Geschäft“)97 auf den Autor, was er im Folgenden gar als Wohltat gegenüber letzterem zu verkaufen suchte: Diesem dürfte namentlich „ein zum Druck gezwungener oder dem nötigen Aufwand 94 Siehe
oben, D. II. 1. lit. b). oben, D. I. 96 Voigtländer, Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 18. 97 So bereits Pütter – siehe oben, A. II. 2. 95 Siehe
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nicht mehr gewachsener Verleger wenig Freude bereiten“98. Nicht minder fadenscheinig war auch der gönnerhaft anmutende Hinweis, dass der Autor im Fall des freien Verlegerrücktritts Reugeld erhalten sollte: Fand der Autor binnen fünf Jahren einen neuen Verleger, so hatte er dem zurückgetretenen (!) Erstverleger eben dieses Reugeld zu ersetzen, sofern das Honorar aus dem Zweitverlag der Höhe nach selbigem entsprach. cc) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Für den Fall der Nichtausübung des Verlagsrechts statuierte § 90 VE-V: „In Rücksicht auf Verschulden des andern Teils sind vor Beginn des Vertriebs zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt: A. Der Autor, 1. wenn der Verleger […] die Vervielfältigung und den Vertrieb zu leisten weigert oder binnen einer den Umständen nach erheblichen Frist unterlässt […]“99.
§ 90 VE-V setzte demnach eine schuldhafte Nichterfüllung des Verlegers voraus. Fälle lediglich unzulänglicher Ausübung des Verlagsrechts erfasste er hingegen nicht. Hier verzichtete Voigtländer auf eine nähere Begründung; allein hinsichtlich des in § 90 B Nr. 1 VE-V geregelten Rücktrittsrechts des Verlegers wegen Nichterfüllung durch den Autor verwies er u. a. auf § 1004 ALR und § 1166 ABGB. Der nachfolgende § 91 VE-V stellte schließlich klar, dass der Rücktritt nach § 90 VE-V weitergehende Ansprüche, insbesondere auf Schadensersatz, unberührt ließ. b) Der Vorentwurf des außerordentlichen Ausschusses Auf Grundlage von Voigtländers Vorentwurf erstellte der außerordentliche Ausschuss des Börsenvereins in einer ersten Sitzung vom 7. bis 9. Oktober 1890 den „Entwurf einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel“ (VO-E)100. Dieser blieb hinsichtlich der Rücktrittsrechte den Voigtländerschen Vorschlägen im Wesentlichen treu: So billigte er nicht nur dem Autor [aa)], sondern auch dem Verleger [bb)] ein freies Rücktrittsrecht zu und sah überdies ein gegenüber dem Entwurf Voigtländers gleichermaßen kaum ver98 Voigtländer, Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 19. 99 Voigtländer, Entwurf einer Verlagsordnung, in: BArch, R 3001 / 6542, Anlage 3, Bl. 44, dort S. 19. 100 BArch, R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45; der Entwurf selbst ist nicht fortlaufend nummeriert; die Nummerierung im Folgenden geht daher von der ersten Seite des Entwurfes aus. Ausführlich zur Genese der Entwürfe siehe auch Voigtländer, VerlagsR, S. 49 ff.; ferner Mogg, S. 96 f. und Bandilla, S. 78 ff.
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände185
ändertes Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung vor [cc)]. Der fertige Entwurf wurde schließlich dem Verlagsrechtsexperten Oscar Wächter [dd)] sowie dem Rechtsprofessor Otto Dambach [ee)] zur Begutachtung übersandt. Die von diesen erstellten Expertisen dienten als Grundlage für die Diskussion und Überarbeitung des Vorentwurfs im Rahmen der zwischen Oktober 1890 und Oktober 1891 stattfindenden Ausschusslesungen [ff)]. aa) Freies Rücktrittsrecht des Autors Ausgehend von § 1 VO-E, der das Verlagsrecht als die „ausschließliche, aus dem Urheberrecht abgeleitete Befugnis“ definierte, „ein litterarisches oder künstlerisches Erzeugnis mechanisch zu vervielfältigen und zu verbreiten“101, bestimmte § 49 VO-E: „Bis zur Druckvollendung sind beide Vertragschließende zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt. Der Rücktritt kann freiwillig oder wegen Verschuldens des anderen Teils erfolgen“.
Hier findet sich die erste Abweichung von Voigtländers Vorentwurf, der den Rücktritt temporär bis zum Beginn der Verbreitung zuließ. Was den Ausschuss zur Einengung dieses Fensters auf den Zeitpunkt der Druckvollendung veranlasste, ist nicht nachvollziehbar, da dem Vorentwurf keine Motive beigegeben waren. Im Anschluss an § 49 VO-E behielten die nachfolgenden Vorschriften auch die Differenzierung zwischen Fällen des „freiwilligen“ und des durch die andere Vertragspartei verschuldeten Rücktritts bei. So lautete § 50 VO-E: „Tritt der Autor freiwillig vom Vertrage zurück, so hat er dem Verleger sowohl bereits empfangenes Honorar zurückzuerstatten, wie die Auslagen zu ersetzen, welche diesem aus den zur Vervielfältigung schon getroffenen und durch den Rücktritt unnütz werdenden Veranstaltungen entstanden sind. Das Eigentum an den Druckvorrichtungen verbleibt dem Verleger, welcher Druckvorräte zu makulieren, Stereotyp-Platten einzuschmelzen hat, bildliche Druckvorrichtungen aber nach seinem Belieben anderweit verwenden darf. Ist der Autor außerstande, dem Verleger die aufgewendeten Auslagen zu ersetzen und erhaltenes Honorar zurückzuerstatten, so erlischt sein Rücktrittsrecht. Veröffentlicht der vom Vertrage zurückgetretene Autor das Werk binnen drei Jahren in anderem Verlage oder im Selbstverlag, so hat er den ersten Verleger für den diesem entgangenen Gewinn schadlos zu halten“102.
Damit wurden die Vorschriften des Voigtländerschen Vorentwurfs in einer Norm zusammengefasst. Änderungen ergaben sich insofern, als die in § 50 101 BArch, 102 BArch,
R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45, dort S. 1. R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45, dort S. 6.
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Abs. 3 VO-E übernommene Erlöschensregelung nicht mehr lediglich im Falle bereits vollendeter Werke griff und die Nachhaftungsdauer in § 50 Abs. 4 VO-E von vormals fünf auf drei Jahre verkürzt wurde. Hinsichtlich des Haftungsumfangs verzichtete man in § 50 Abs. 4 VO-E darauf, zwischen Selbst- und Fremdverlag zu differenzieren. bb) Freies Rücktrittsrecht des Verlegers Ebenfalls auf § 49 VO-E aufbauend, hieß es in § 51 VO-E: „Tritt der Verleger freiwillig vom Vertrage zurück, so hat er dem Autor das für die erste Auflage verabredete Honorar oder die verabredete Pauschsumme zu zah len“103
Damit war der Passus des Vorentwurfs, der den Autor, der binnen fünf Jahren einen anderen Verleger gefunden hatte, zur Herausgabe des vom Zweitverleger erhaltenen Honorars an den zurückgetretenen Erstverleger verpflichtete, entfallen. Ebenfalls weggefallen war die Verpflichtung des zurücktretenden Verlegers, dem Autor etwa vorhandene Druckvorrichtungen und Druckvorräte herauszugeben. cc) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Schließlich lautete § 52 VO-E: „Wegen Verschuldens des andern Teils sind bis zur Druckvollendung zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt: A. Der Autor, 1. wenn der Verleger die Vervielfältigung und den Vertrieb zu leisten verweigert oder binnen einer den Umständen nach erheblichen Frist unterläßt […]“104.
Abgesehen von dem ausdrücklichen Hinweis, dass der Rücktritt wegen Nichtausübung nur bis zur Druckvollendung zulässig war, entsprach auch § 52 VO-E dem Voigtländerschen Vorschlag. § 53 VO-E legte schließlich fest, dass der Rücktritt einer Vertragspartei für keinen Teil die Geltendmachung weitergehender Ansprüche ausschloss105.
103 BArch,
R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45, dort S. 6. R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45, dort S. 6. 105 BArch, R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45, dort S. 7. 104 BArch,
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände187
dd) Die Stellungnahme Wächters Wächter kritisierte in seinem im Januar 1891 eingegangenen Gutachten106 zunächst den Begriff des „freiwilligen“ Rücktritts. Dieser stelle gerade keinen Gegensatz zu dem durch Verschulden des anderen Teils induzierten Rücktritt dar, wie es § 49 VO-E suggeriere und berge überdies das Risiko in sich, dahingehend missverstanden zu werden, dass der Rücktritt völlig im Belieben des Autors stünde und die Rücktrittsgründe keiner Offenlegungspflicht bzw. gerichtlichen Kontrolle unterlägen. Seine diesbezüglichen Bedenken hatte Wächter bereits in seinem umfassenden Werk zum Verlagsrecht zum Ausdruck gebracht.107 Indifferent blieb Wächter bezüglich der Frage der temporären Zulässigkeit des Rücktritts: Ob, wie in Voigtländers Vorentwurf angenommen, der Beginn der Verbreitung des Werkes oder, wie in § 49 VO-E niedergelegt, die Voll endung des Druckes der angemessene Zeitpunkt für den Rücktritt sei, konnte in seinen Augen dahingestellt bleiben. Zu dieser Frage hatte Wächter sich auch in seiner Abhandlung über das Verlagsrecht nicht geäußert. Eingedenk dieser Kritik schlug er nachstehende Neufassung des § 49 VO-E vor: „Jeder der Vertragschließenden kann von dem Verlagsvertrag ehe der Druck des Verlagswerkes vollendet ist unter nachstehenden Bedingungen zurücktreten“108.
Zum Rücktrittsrecht nach § 50 VO-E hieß es weiterhin, dass der Autor vor allem dann zurücktreten werde, wenn sich seine Publikationsabsicht nachträglich ändere. Doch auch dann, wenn das Werk bereits in erster Auflage erschienen war, könnten sich Umstände ergeben, welche ihn veranlassten, trotz entsprechender Befugnis des Verlegers weitere Auflagen aus sachlichen Gründen verhindern zu wollen. Dem stehe jedoch die temporäre Begrenzung des Rücktrittsrechts auf den Zeitpunkt der Vollendung des Druckes entgegen, was gleichermaßen für das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung aus § 52 VO-E gelte. Solle das Rücktrittsrecht also auch für Folgeauflagen zur Anwendung kommen, würden in §§ 50 und 51 VO weitere Bestimmungen notwendig sein. Als zu ergänzenden, vierten oder fünften Absatz zu § 50 VO-E empfahl Wächter daher folgende Regelung: „Wenn das Werk bei demselben Verleger schon in einer oder mehreren Auflagen erschienen, so kann der Rücktritt bezüglich der weiteren dem Verleger nach dem
R 3001 / 6542, Bl. 53 (68-seitiges Gutachten Wächters vom 15.01.1891). dazu bereits oben, C. VI. 1. 108 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 53 (68-seitiges Gutachten Wächters vom 15.01.1891; dort S. 43). 106 BArch, 107 Siehe
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Verlagsvertrag zustehenden Auflagen oder Ausgaben109 geschehen. In diesem Falle hat der Verleger nur Rückerstattung des für solche Auflagen etwa schon bezahlten Honorars und Ersatz der Auslagen für solche Veranstaltungen anzusprechen, welche lediglich für eine neue Auflage getroffen waren. Ist aber der Satz stereotypirt, so kann der Verleger hierfür insoweit Ersatz fordern, als seine Auslagen durch die früheren Auflagen nicht gedeckt sind“110.
Darüber hinaus sei zu prüfen, ob dem Verleger neben dem Aufwendungsersatz nicht auch ein angemessener Anspruch auf den entgangenen Gewinn zuzusprechen sei. Diese Anregung überrascht insofern, als Wächter bis dato keineswegs durch eine Parteinahme zugunsten der Verleger hervorgetreten war. Allein könnte dies auch schlicht der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass er sein Gutachten sicherlich nicht ohne Entlohnung durch den Börsenverein verfertigt hatte, selbiges insofern nicht frei von jedweder Tendenz gewesen sein dürfte. Diese Vermutung erhärtet sich, betrachtet man die Ausführungen Wächters zum freien Rücktrittsrecht des Verlegers, einem bis dahin – sieht man von Voigtländers „Verlagsrecht“ ab – an keiner Stelle vorgesehenen und im weiteren Fortgang scharf kritisierten Instrument: Inhaltlich nahm Wächter hierzu nicht Stellung, er setzte sich vielmehr allein mit der Frage auseinander, ob dieses auch bei weiteren Auflagen Anwendung finden sollte.111 Hinsichtlich des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung aus § 52 VO-E regte Wächter eine Angleichung an § 8 VO-E an, welcher dem Verleger eine entsprechende Befugnis für den Fall der Nichtablieferung des Werkes durch den Urheber gewährte112. Die Neufassung sollte folgendermaßen lauten: „Wenn der Verleger die Herstellung des Druckes oder die Verbreitung erheblich verzögert (§ 11)113, so kann der Verlaggeber, nach erfolgloser Mahnung und Ge109 Hier zeigt sich abermals die gedankliche Verhaftung Wächters im preußischen (Land-)Recht, welches gleichermaßen zwischen „Ausgaben“ und „Auflagen“ differenzierte. Dazu oben, B. I. 2. lit. c). 110 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 53 (68-seitiges Gutachten Wächters vom 15.01.1891; dort S. 44 f.). 111 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 53 (68-seitiges Gutachten Wächters vom 15.01.1891; dort S. 45 f.). 112 § 8 VO-E lautete: „Wird ein Werk, welches der Autor in Verlag giebt, von ihm nicht zu dem mit dem Verleger vereinbarten Zeitpunkt abgeliefert, so ist der Verleger berechtigt, von ihm die Feststellung einer angemessenen Lieferfrist zu verlangen und bei Verweigerung des Verlangens oder Nichteinhaltung der Frist – vorbehaltlich des Anspruchs auf Ersatz des Schadens oder entgangenen Gewinnes – entweder auf Vertragserfüllung zu klagen oder von dem Vertrage zurückzutreten“, siehe BArch, R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 45, dort S. 2. 113 § 11 VO-E statuierte: „Der Verleger hat die Vervielfältigung nach Möglichkeit [sic!] zu der verabredeten Zeit zu bewirken; mangels Verabredung in einer durch ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb gegebenen Frist nach Empfang und Annahme des
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währung einer den Umständen angemessenen Frist, den Verlagsvertrag auflösen und Ersatz des ihm durch den Verzug erwachsenen Schadens fordern. Er muß aber seinen Rücktritt vom Vertrag dem Verleger unverzüglich anzeigen oder bei Anberaumung der Frist als Folge ihrer Versäumnis bezeichnen“114.
Diese Vorschrift würde, so unterstrich Wächter, den § 53 VO-E bereits enthalten. Für den Fall der ausdrücklichen Weigerung des Verlegers schlug er einen Absatz mit folgendem Wortlaut vor: „Verweigert der Verleger die Erfüllung des Verlagsvertrags, so ist der Verlaggeber berechtigt, von dem selben zurückzutreten und Ersatz des ihm etwa durch die Nichterfüllung entstandenen Schadens zu fordern“.
Selbstverständlich, so hieß es im nachstehenden Passus, würden durch den Rücktritt die bisher begründeten Verpflichtungen des Verlegers, namentlich die Honorarzahlung für eine früher veranstaltete Auflage, nicht berührt. Im Übrigen erklärte Wächter die Vorschrift auch für den Fall anwendbar, dass sich der Verleger vertraglich zur Veranstaltung weiterer Auflagen verpflichtet hatte und diese unterließ. Gegebenenfalls müsse auch „ein Ersatz des Inte resses gewährt sein, vorausgesetzt, daß der Verlaggeber einen Schaden aus jener Nichterfüllung nachzuweisen vermag“115. ee) Die Stellungnahme Dambachs Ungleich kürzer fiel die Stellungnahme Dambachs116 aus. Dieser regte zunächst an, den auf das Honorar gerichteten Rückerstattungsanspruch aus § 50 Abs. 1 VO-E um einen Zinsanspruch zu erweitern. Zugunsten des zurücktretenden Autors schlug er eine Änderung des § 50 Abs. 2 VO-E insofern vor, als der Verleger etwaige bildliche Druckvorrichtungen nicht mehr nach Belieben, sondern nur noch dann gebrauchen durfte, wenn hierdurch die Interessen des Autors nicht verletzt würden117. Schließlich empfahl Dambach, in § 52 VO-E nicht von einer „erheblichen“, sondern von einer „angemessenen“ Frist zu sprechen118. vollständigen und druckfertigen Manuskripts; bei Werken, die in Teilen (Bänden, Lieferungen) erscheinen, nach Empfang und Annahme des vollständigen Manuskripts des betreffenden Teils“, siehe BArch, R 3001 / 6542, Anlage 4, Bl. 46, dort S. 2. 114 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 53 (68-seitiges Gutachten Wächters vom 15.01.1891; dort S. 47). 115 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 53 (68-seitiges Gutachten Wächters vom 15.01.1891; dort S. 48). 116 Zur Person siehe Kawohl, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 64 ff. 117 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 56 (achtseitiges Gutachten Dambachs vom 28.03. 1891; dort S. 6). 118 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 56 (achtseitiges Gutachten Dambachs vom 28.03. 1891; dort S. 7).
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ff) Die Beratung der Änderungsvorschläge In seiner zweiten Sitzung vom 7. bis 9. April 1891 beriet der Ausschuss des Börsenvereins über die Umsetzung der Änderungsvorschläge Wächters und Dambachs. An dieser Sitzung nahm mit Regierungsrat Dungs auch ein Vertreter des Reichsjustizamtes (RJA) teil119, was den halboffiziellen Charakter des gesamten Vorhabens unterstreicht. Dabei wurde bei § 49 VO-E entsprechend dem Vorschlag Wächters auf das Wort „freiwillig“ verzichtet120, während die Frage, ob der Verleger Vorrichtungen zur Vervielfältigung von Abbildungen anderweitig verwenden durfte, unbeschadet eines etwa daran bestehenden Urheberrechts des Autors im Sinne des Verlegers geklärt wurde. Zu § 50 Abs. 3 VO-E beschloss man einstimmig, dass das freie Rücktrittsrecht des Autors nicht mehr erlöschen sollte, wenn dieser die daraus erwachsenden Ersatzansprüche nicht bedienen konnte. Stattdessen legte man für diesen Fall schlicht fest, dass der Autor dann nicht zurücktreten dürfe121. § 50 Abs. 4 VO-E rief eine Debatte darüber hervor, ob die beabsichtigte Entschädigungspflicht bei anderweitiger Herausgabe nicht etwa nur in dem Fall zuzubilligen sei, wenn das Werk nach einem Plan des Verlegers verfasst worden ist. Ein entsprechender Formulierungsvorschlag wurde jedoch von der Mehrheit der Ausschussmitglieder abgelehnt. Anschließend wandte man sich dem Umfang der Ersatzverbindlichkeit des Autors bei anderweitiger Herausgabe zu. Vorschläge, die Ersatzpflicht auf die Hälfte der Reineinnahmen zu begrenzen oder die bisherige Regelung, welche die (übliche) Haftung auf den entgangenen Gewinn vorsah, beizubehalten, fanden keine Zustimmung. Stattdessen stimmte eine Mehrheit für eine Abänderung des § 50 Abs. 4 VO-E dahingehend, dass der Autor bei anderweitiger Herausgabe binnen drei Jahren nach erfolgtem Rücktritt die hierdurch erzielten Reineinnahmen dem ursprünglichen Verleger zu überlassen habe. Weshalb man sich für diese Regelung, welche sich wieder dem Vorentwurf Voigtländers annäherte, entschied, ist den Protokollen nicht zu entnehmen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die bereits in der Vergangenheit regelmäßig betonten praktischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des entgangenen Gewinns auch hier das maßgebliche Motiv waren. 119 Siehe das Protokoll der [2.] Sitzung des Ausschusses zur Beratung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 75–94. 120 Protokoll der [2.] Sitzung des Ausschusses zur Beratung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 87 v. 121 Protokoll der [2.] Sitzung des Ausschusses zur Beratung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 88 v, 89 r.
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände191
Im Hinblick auf § 51 VO-E wurde erörtert, ob dem Verleger überhaupt ein freies Rücktrittsrecht zugebilligt werden sollte. Gleichwohl wurden zwei Anträge auf Streichung der Vorschrift abgelehnt. Im Anschluss an die Bedenken Dambachs formulierte man die Vorschrift vielmehr so um, dass sie auch auf Folgeauflagen Anwendung finden konnte122. Analog zur Änderung des § 49 VO-E einigte man sich bei § 52 VO-E darauf, die Beschränkung dieses Rücktrittsrechts auf Fälle des Verschuldens des anderen Teils zu beseitigen. Schließlich folgte man Dambachs Vorschlag, die Wendung „erheblich“ durch „angemessen“ zu ersetzen.123 Trotz all dieser Beschlüsse fasste der Ausschuss am Ende der Lesung überraschend den Beschluss, dass die Rücktrittsparagraphen zunächst unverändert bleiben sollten, ohne dass die Protokolle konkrete Gründe nennen124. Aufschluss gewährt insofern jedoch der Sitzungsbericht, den der Vertreter des RJA Ende April 1891 an seinen Vorgesetzten sandte125. Aus diesem geht hervor, dass die Rücktrittsrechte bereits in diesem frühen Stadium (wieder) verworfen werden sollten. Konkret hieß es, dass hinsichtlich der in dem Entwurf vorgesehenen Rücktrittsrechte für die zweite Lesung der Antrag angekündigt wurde, die Materie aufgrund ihrer Komplexität aus der Verlagsordnung zu streichen. Zwar sei der Antrag aus Zeitmangel schließlich nicht gestellt worden, doch seien die das Rücktrittsrecht betreffenden Beschlüsse wohl nur unter der Prämisse zustanden gekommen, dass die entsprechenden Vorschriften ohnehin bald gestrichen werden würden126. Dies galt ausweislich des Berichts vor allem für die freien Rücktrittsrechte. So sah es Dungs als bedenklich an, dem Urheber ein Rücktrittsrecht für den Fall zuzubilligen, dass der Vertrag über ein bereits fertiges Werk abgeschlossen wurde. Für noch fragwürdiger hielt er jedoch das freie Rücktrittsrecht 122 Protokoll der [2.] Sitzung des Ausschusses zur Beratung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 89 r. / v. 123 Protokoll der [2.] Sitzung des Ausschusses zur Beratung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 89 v. 124 Protokoll der [2.] Sitzung des Ausschusses zur Beratung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 94 v. 125 Bericht des kaiserlichen Regierungsrates Dr. Dungs über die 2. Sitzung des außerordentlichen Ausschusses des Börsenvereins zur Ausarbeitung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891 im Buchhändlerhaus in Leipzig, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 62–73. 126 Bericht des kaiserlichen Regierungsrates Dr. Dungs über die 2. Sitzung des außerordentlichen Ausschusses des Börsenvereins zur Ausarbeitung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891 im Buchhändlerhaus in Leipzig, BArch, R 3001 / 6542, Bl. 71 v.
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des Verlegers: Angesichts des Umstandes, dass zur Sicherung des Verlegers gegen den urheberseitigen Missbrauch des freien Rücktrittsrechts eine dreijährige Nachhaftung des Urhebers statuiert wurde, sich jedoch kein Pendant zugunsten des Urhebers in § 43 VO-E I fand, befürchtete Dungs, dass der Verleger nach dem Rücktritt die ihm durch das Vertragsverhältnis bekannt gewordenen Ideen des Verfassers anderweitig verwerfen würde. Allein diese Disparität zeige, dass die Ansichten über das freie Verlegerrücktrittsrecht unsicher und wenig geklärt seien127. c) Der Erstentwurf vom Dezember 1891 Allein, der Antrag auf Streichung der Rücktrittsrechte wurde auch im Zuge der Folgesitzung vom 6. und 7. Oktober 1891, in deren Rahmen die Vorlage nochmals vollumfänglich durchgesprochen wurde128, nicht nachgeholt. Im Gegenteil: Man setzte die Änderungsbeschlüsse der April-Sitzung durchgehend um und Ende Dezember veröffentlichte der Vorstand des Börsenvereins den entsprechend überarbeiteten Entwurf als Teil des (ersten) „Bericht[s] des außerordentlichen Ausschusses zur Ausarbeitung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel nebst Entwurf, Begründung und Sachregister“ (VO-E I) im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel129. Geändert hatte sich darin auch die Nummerierung der Vorschriften: Das Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung [aa)] war fortan in § 40 VO-E I, das freie Autorenrücktrittsrecht [bb)] in § 41 VO-E I und das – gleichsam beibehaltene – freie Rücktrittsrecht des Verlegers [cc)] in § 43 VO-E I geregelt. aa) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung § 40 VO-E I lautete: „Der Verfasser ist, bevor der Druck des Werkes vollendet ist, ohne Weiteres berechtigt, vom Verlagsvertrage zurückzutreten: 1. wenn der Verleger die Vervielfältigung und den Betrieb zu leiten verweigert oder binnen einer den Umständen nach angemessenen Frist unterläßt; […]“.
Die Begründung betonte nochmals ausdrücklich, dass der Rücktritt in allen Fällen130 nur gestattet sein sollte, bevor der Druck des Werkes vollendet war. 127 BArch, R 3001 / 6542, Bl. 62–73 (Bericht des kaiserlichen Regierungsrates Dungs über die 2. Sitzung des außerordentlichen Ausschusses des Börsenvereins zur Ausarbeitung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel vom 7. bis 9. April 1891 im Buchhändlerhaus in Leipzig), hier Bl. 72 f. 128 So der (erste) Bericht des Ausschusses in BBl. 1891, Beilage zu No. 301, S. 3. 129 BBl. 1891, Beilage zu No. 301, S. 3 ff.
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände193
Habe hingegen der Vertrieb begonnen, so sei der Verleger mit Dritten in Rechtsbeziehungen getreten, deren Lösung ihm nicht immer möglich sei und ihm auch nicht zugemutet werden könne. Überhaupt sei dann die Veröffentlichung nicht mehr rückgängig zu machen131. Die temporäre Begrenzung des Rücktrittsrechts und deren Begründung stand jedoch in zweierlei Hinsicht im Widerspruch zu den Regelungen des Entwurfes selbst: Einerseits sollte der Rücktritt nur bis zur Vollendung des Druckes gestattet sein, andererseits nannte § 40 Nr. 1 VO-E I auch die Verweigerung bzw. Unterlassung des Betriebes, d. h. des Verlages an sich als Rücktrittsgrund. Dies betraf gerade den Zeitraum nach Vollendung des Druckes. Zwar ließe die Tatsache, dass der Wortlaut von einer Verweigerung bzw. Unterlassung der Vervielfältigung und des Betriebes sprach auch eine Deutung dahingehend zu, dass der Verleger beides verweigern hätte müssen, doch hätte dies insofern keinen Sinn ergeben, als der Betrieb die Vervielfältigung denknotwendig voraussetzt. Auch hinsichtlich des in § 41 VO-E I geregelten und nachfolgend dargestellten freien Rücktrittsrechts des Urhebers ergaben sich Widersprüche zur temporären Begrenzung des Rücktrittsrechts: Diese wurde vornehmlich begründet mit dem Eintritt in Rechtsbeziehungen mit Dritten ab Vertriebsbeginn respektive der Irreversibilität der Veröffentlichung. Beides war regelmäßig jedoch erst mit der tatsächlichen Herausgabe, d. h. dem Beginn der Verbreitung und nicht bereits mit Beendigung des Druckes der Fall. bb) Freies Rücktrittsrecht des Autors In § 41 VO-E I hieß es: „Tritt der Verfasser aus anderen Gründen vom Vertrage zurück, so hat er dem Verleger sowohl ein bereits empfangenes Honorar nebst Zinsen zurückzuerstatten, als auch die Auslagen zu ersetzen, welche diesem aus den zur Vervielfältigung schon getroffenen und durch den Rücktritt unnütz werdenden Veranstaltungen entstanden sind. Das Eigentum an den für die Vervielfältigung bestimmten Vorrichtungen (Formen, Platten […] usw.) verbleibt dem Verleger. […] Ist der Verfasser außer stande, dem Verleger die aufgewendeten Auslagen zu ersetzen und erhaltenes Honorar zurückzuerstatten, so kann er von dem Vertrage nicht zurücktreten.
130 Über die §§ 40 f. VO-E I hinaus regelte §§ 42 VO-E I ein Rücktrittsrecht des Verlegers wegen Nichterfüllung durch den Urheber, während § 43 VO-E I ein freies Rücktrittsrecht des Verlegers statuierte, siehe BBl. 1891, Beilage zu No. 301, S. 10 sowie die nachfolgenden Abschnitte. 131 BBl. 1891, Beilage zu No. 301, S. 9.
194 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Veröffentlicht der von dem Vertrage zurückgetretene Verfasser das Werk binnen drei Jahren in anderem Verlage oder im Selbstverlage, so hat er die hierdurch erzielte Reineinnahme dem ersten Verleger abzutreten“132.
Die Motive unterstrichen, dass Umstände eintreten könnten, welche dem Verfasser die Veröffentlichung seines Werkes als nicht mehr wünschenswert, unpassend oder nachteilig erscheinen ließen. Da der Urheber jedoch aus besagten Gründen ein großes persönliches Interesse daran habe, sich in diesem Fall vom Verlagsvertrag lösen zu können, gäben „die bestehenden Gesetze [womit nichts Anderes als die §§ 1005 ff. ALR respektive „gemeinrechtliche“ Grundsätze gemeint sein konnten] ihm das Rücktrittsrecht“. In diesem Fall habe er jedoch den Verleger zu entschädigen133, wobei sich die Haftung für den Fall der anderweitigen Herausgabe, wie im Zuge der ersten Revision des Vorentwurfs beschlossen, auch auf die Reineinnahmen des Urhebers erstrecken sollte. Damit zeigt auch die Begründung, dass sich § 41 VO-E I nicht nur an den preußischen Vorschriften orientierte, sondern, zumindest was das freie Rücktrittsrecht des Urhebers anbelangte, eine klar persönlichkeitsschützende Intention aufwies. cc) Freies Rücktrittsrecht des Verlegers Weiterhin behielt der Entwurf in § 43 VO-E I auch das freie Rücktrittsrecht des Verlegers bei: „Tritt der Verleger aus anderen Gründen [als der Nichterfüllung des Verlagsvertrages durch den Urheber] vom Vertrage zurück, so hat dem Verfasser das für die betreffende Auflage vereinbarte Honorar zu zahlen“.
Die Begründung entsprach hier im Kern derjenigen des voigtländerschen Vorentwurfs: Man räumte ein, dass ein derart weitgefasstes Rücktrittsrecht des Verlegers bis dato zwar in keiner Gesetzgebung zu finden, deswegen jedoch nicht minder notwendig sei: Wie für den Autor, so könnten auch für den Verleger wichtige Gründe erwachsen, die ihn von einer Veröffentlichung des Werkes abrücken ließen. So könne dieser aus dem Verlag einer politischen Schrift negative Konsequenzen für sich, seine Familie oder sein Unternehmen zu befürchten haben, in einem übergebenen Manuskript Angriffe gegen ihm befreundete oder geschäftlich nahestehende Personen – beispielsweise andere Autoren seines Verlages – vorfinden oder darin ein gleichsam in seinem Verlag erschienenes Werk schonungslos kritisiert sehen. All dies seien Umstände, so die Begründung, welche den in § 41 VO-E I zugunsten des Autors berücksichtigten Aspekten entsprächen, so dass die Einführung des § 43 VO-E I allein schon aus Paritätserwägungen notwendig sei. Die 132 BBl. 1891, 133 BBl. 1891,
Beilage zu No. 301, S. 9 f. Beilage zu No. 301, S. 10.
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände195
Verpflichtung zur Honorarzahlung sollte den Autor dabei vor dem Missbrauch dieser Vorschrift sichern.134 Ergänzt wurden beide Vorschriften durch § 44 VO-E I, welcher den Fall des durch eine Vertragspartei verschuldeten Rücktritts des anderen Kontrahenten betraf. In diesem Fall traf die Entschädigungspflicht aus § 41 bzw. § 43 VO-E I die Partei, welche den Rücktritt zu verantworten hatte. d) Die Kritik am Erstentwurf Parallel zur Veröffentlichung im Börsenblatt hatte man den Erstentwurf an diverse schriftstellerische und juristische Sachverständige, Zeitschriften und andere Interessenten mit der Bitte um Stellungnahme übersandt. In der Folge ging eine Reihe von Abänderungsvorschlagen ein135, von denen sich insbesondere zwei Zeitschriftenbeiträge mit den Rücktrittsrechten des Entwurfs befassten. In der Zeitschrift „Die Gegenwart“ publizierte Julius Lubszynski einen Aufsatz zur Verlagsordnung, in welcher er in drastischen Worten gegen das Rücktrittsrecht des Verlegers Stellung bezog. Ähnlich wie dies bereits im Bericht Dungs angeklungen war, vermutete Lubszynski, dass die Aufnahme dieser Vorschrift wohl nur ein „Probepfeil“ gewesen sein sollte, da nicht anzunehmen sei, dass der Ausschuss ernstlich an die Aufnahme einer derart willkürlichen und unhaltbaren Regelung in das endgültige Gesetz gedacht habe. Wenn die meisten neueren Gesetze136 dem Autor ein freies Rücktrittsrecht zubilligten, so geschehe dies zum Schutz der ideellen und damit höchsten Interessen des Verfassers. Der Verleger hingegen sei nicht mehr als ein 134 BBl. 1891,
Beilage zu No. 301, S. 10. Auflistung der eingegangenen Änderungsvorschläge findet sich in BBl. 1892, Beilage zu No. 93, S. 2. 136 Welche Gesetze Lubszynski hier meinte ist unklar, zumal die obigen Betrachtungen gezeigt haben, dass kein (gültiges) Gesetz im Bereich des Deutschen Bundes bzw. später auch des Reiches Rücktrittsrechte des Urhebers vorsah. Denkbar wären allein ausländische Gesetze wie etwa das ungarische HGB aus dem Jahr 1875 oder das Schweizer Obligationenrecht (das 1883 an die Stelle des Züricher Gesetzbuches trat), welche jedoch ebenfalls keine freien Rücktrittsrechte normierten, wobei es jedoch etwa bei Müller („Der Verlagsvertrag nach schweizerischem Recht, 1905), S. 86 heißt, dass sich das freie „Rücktrittsrecht […] aus allgemein billigen Grundsätzen ableite“. Im Sinne von Lubszynskis Äußerung zu deuten wären einzig §§ 516, 531 des ungarischen HGB bzw. Art. 389 des Schweizer Obligationenrechts, die jedoch lediglich die Möglichkeit der Nichtlieferung des Werkes bzw. ein Erlöschen des Verlagsvertrages bei veränderten Umständen ipso iure und damit gerade kein Rücktrittsrecht im eigentlichen Sinne vorsahen. Das ungarische Gesetz kannte mit § 523 ein Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung. Die Vorschriften finden sich abgedruckt etwa bei Voigtländer, VerlagsV, S. 17 f. (Ungarn) und 20 (Schweiz). Mög licherweise differenzierte Lubszynski jedoch auch nicht zwischen geltenden Gesetzen und bloßen Gesetzentwürfen. 135 Eine
196 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Kaufmann, der sich aus dem Abschluss des Verlagsvertrages einen Vermögensvorteil erhofft. Tritt der Autor zurück, so ist er um nichts weiter geschädigt als um das gezahlte Honorar, etwa bereits getätigte Aufwendungen und – soweit nachweisbar – den entgangenen Gewinn. Schon aufgrund dieser gänzlich divergenten Interessenlagen sei ein freies Rücktrittsrecht des Verlegers unhaltbar.137 Dem schloss sich Friedrich Streißler in einem Beitrag zur Zeitschrift „Immaterialgüter“ an, in welchem er stärksten Protest gegen das freie Rücktrittsrecht des Verlegers erhob. Dieses spräche nicht nur allen Grundsätzen des Rechts und der Billigkeit Hohn, sondern sei „die grösste Ungerechtigkeit, die grösste Vergewaltigung, die den Autoren zugefügt werden könne“. Die Tat sache, dass derjenige, der ein Verlagsrecht erwirbt, damit auch die Verlagspflicht übernehme, dürfe nicht angetastet werden. Dass dem Autor gemäß § 43 VO-E I die Honorarforderung verblieb, ließ Streißler nicht gelten, zumal das Honorar oftmals auch in Freiexemplaren oder Sonderabdrucken bestünde138, die dann gleichermaßen entfielen. Zwar seien Konstellationen denkbar, in welchen „rein subjective Gründe eines Verlegers zum Rücktritt vom Vertrage […] höchst beachtenswerth“ seien, jedoch könne es „nicht zur Aufgabe der Verlagsordnung gehören, ausserhalb der üblichen Praxis liegende Möglichkeiten durch ausserhalb des Rechts und der Billigkeit stehende Vorschriften […] zu Ungunsten einer Partei zu entscheiden“139. e) Überarbeitung und Verabschiedung der Verlagsordnung Die Kritik fand insofern Berücksichtigung, als man im revidierten Entwurf, der im April 1892 dem „Zweiten Bericht des außerordentlichen Ausschusses zur Ausarbeitung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel nebst Entwurf, Begründung und Sachregister“ (VO-E II) beigegeben140 und u. a. unter Berücksichtigung des Gesetzentwurfs des Deutschen Schriftstellerverbandes erarbeitet worden war, nicht nur das freie Rücktrittsrecht des Verlegers, sondern das freie Rücktrittsrecht per se strich. Mit § 42 VO-E II existierte nunmehr nur noch eine einheitliche Regelung zum Rücktritt: „Sowohl der Verfasser als auch der Verleger darf, bevor der Druck des Werkes vollendet ist, vom Verlagsvertrage zurücktreten: 1. wenn der eine Teil die Vertragserfüllung verweigert oder binnen angemessener Frist unterläßt; 137 Lubszynski,
Die Gegenwart 1892, S. 133. nichtmonetären Autorenhonoraren siehe Steiner, S. 208 ff. 139 Streißler, Immaterialgüter 1892, S. 72. 140 Abgedruckt in BBl. 1892, Beilage zu No. 93, S. 3 ff. 138 Zu
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände197
2. wenn der eine Teil nach Abschluß des Verlagsvertrages wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig zum Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt ist. Hat der eine Teil zum Rücktritte des andern durch sein Verschulden Anlaß gegeben, so hat er den andern Teil in angemessener [sic!] Weise zu entschädigen. Der Rücktritt des einen Teils aus andern Gründen kann nur im Einverständnis mit dem andern Teil erfolgen. Weitergehende Ansprüche geltend zu machen, ist hierdurch nicht ausgeschlossen“.
Mit Verweis auf die Bedenken, welche man bereits im Erstentwurf hinsichtlich des freien Rücktrittrechts des Verlegers gehegt hatte sowie die Beiträge von Autoren wie Lubszynski und Streißler, denen man attestierte, sich in beachtenswerter Weise gegen § 43 VO-E I ausgesprochen zu haben, beschloss der Ausschuss, das freie Rücktrittsrecht des Verlegers, zugleich aber auch das freie Autorenrücktrittsrecht fallen zu lassen. Wolle eine Partei vom Vertrag zurücktreten, so die Begründung, solle sie sich mit dem anderen Teil gütlich einigen. Sofern dies nicht möglich sei, die rücktrittswillige Partei die Gründe aber für derart gewichtig hielt, dass sie eine Erfüllung nicht verantworten könne, müsse sie es eben auf eine Klage des anderen Teils ankommen lassen. Die konkrete Art der Auseinandersetzung, die gegenseitigen Ansprüche sowie die Höhe der ggf. zu zahlenden Entschädigung sei dann im ordentlichen Gerichtsverfahren fest zustellen. Die Begründung schloss mit der Bemerkung, dass der Ausschuss hoffe, auf diese Weise „eine sehr schwierige Materie vereinfacht und sich darin dem gemeinen Rechte genähert zu haben“141. Im Nachgang der Hauptversammlung des Börsenvereins im Mai 1892 erfolgte eine weitere Revision, die § 42 VO-E II jedoch unberührt ließ142. Dieser fand damit in der oben dargestellten Fassung als § 42 Eingang in die Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel (VO), welche am 30. April 1893 verabschiedet und den Vereinsmitgliedern „als Grundlage zu ihren Verlagsverträgen und durch ausdrückliche Bezugnahme darauf in ihren Verlagsverträgen zu deren Ergänzung und Erläuterung zu benutzen“143 empfohlen wurde. Im gleichen Jahr erschien in zweiter Auflage Voigtländers Werk „Das Verlagsrecht an Schriftwerken, musikalischen Kompositionen und Werken der bildenden Künste“. Hierin fand sich u. a. die Verlagsordnung mit einer 141 BBl. 1892,
Beilage zu No. 93, S. 6. dazu den „Dritten Bericht des außerordentlichen Ausschusses zur Ausarbeitung einer Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel“, abgedruckt im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 1893, Beilage zu No. 54, S. 1 ff. 143 Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel, abgedruckt in BBl. 1893, Beilage zu No. 115, S. 1 ff. 142 Siehe
198 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
gegenüber dem Bericht im Börsenblatt erweiterten Kommentierung der Rücktrittsrechte abgedruckt. Voigtländer stellte darin § 42 VO in eine Reihe mit den §§ 1001, 1005–1008 ALR, §§ 1144–1146 sBGB, § 1166 ABGB sowie §§ 516, 523 des ungarischen HGB144 und verwies auf den XI. Abschnitt der Gesetzessammlung von Petsch, in welchem dieser unter der Überschrift „Willkührliches Rücktrittsrecht des Verfassers“ seinerseits die §§ 1005 ff. ALR, die §§ I 11 699–701 der preußischen Gesetzrevision vom März 1831, § 21 des Berger-Entwurfs sowie in Auszügen die maßgeblichen Passagen der Werke Wächters, Klostermanns, Bluntschlis und Walters zitierte145. Ähnlich wie dies etwa im Kontext des österreichischen ABGB146 oder dem Entwurf des preußischen Revisionsministeriums von 1839147 geschehen war, wurde die simple Nichtablieferung des Manuskripts durch den Autor damit abermals dem freien Rücktrittsrecht gleichgestellt und verkannt, dass beides – allein schon unter Aspekten der Rechtsschutzintensität und der Rechtssicherheit – keinesfalls identisch war. Völlig unklar blieb zudem, was unter „angemessenem“ Schadensersatz im Fall des von einer Seite provozierten Rücktritts zu verstehen war (im Übrigen ein Begriff, der in diesem Kontext erstmals auftauchte und sich auch im heutigen § 42 Abs. 3 S. 1 UrhG findet). Weiterhin hieß es zu § 42 Abs. 1 und 2 VO, dass der Rücktritt nur bis zur Vollendung des Drucks gestattet sei. Zur Begründung wiederholte Voigtländer die bereits in den Motiven des Erstentwurfs getätigten Äußerungen, nicht ohne damit auch die darin enthaltenen Widersprüche zu übernehmen.148 Die Beschränkung auf die ersten beiden Absätze des § 42 VO hatte überdies zur Folge, dass der einvernehmliche Rücktritt – zumindest theoretisch – zeitlich unbegrenzt möglich gewesen wäre. Dass Voigtländer insofern auf Klostermann verwieß, der den Rücktritt nur bis zur Veröffentlichung des Werkes gestattete149, ist wohl eher als redaktionelles Versehen einzustufen. Bemerkenswert ist weiterhin, dass die Ausweitung des § 42 Abs. 1 Nr. 1 VO-E II auf jedwede Pflichtverletzung völlig unkommentiert blieb.150
144 Siehe
oben, D. II. 4. lit. d). S. 106; dazu oben, C. VI. 1. 146 Siehe oben, B. III. 147 Siehe oben, C. III. 3. 148 Voigtländer, VerlagsR, S. 111. 149 Konkret: Klostermann, UrhR (1876), S. 149. 150 Siehe dazu bereits die preußischen Bemühungen um ein eigenständiges Verlagsgesetz; hier hatte man einen entsprechenden Entwurf mit dem Verweis auf die Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht als Hauptpflicht des Verlagsvertrages abgelehnt – oben, C. III. 6. lit. b). 145 Petsch,
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände199
Im Hinblick auf § 42 Abs. 3 VO wiederholte er die zu § 41 VO-E I gelieferte Begründung und betonte mit Verweis auf Klostermann und Wächter, dass das Rücktrittsrecht des Urhebers wegen veränderter Umstände der übereinstimmenden Gesetzgebung, Lehrmeinung und Praxis entspräche151. Als Grund für die Streichung dieses Instituts nannte Voigtländer, der sich offensichtlich nur schwer damit abfinden konnte, dass der maßgeblich von ihm selbst ausgearbeitete Erstentwurf der Verlagsordnung scheiterte, die Ablehnung des freien Rücktrittsrechts des Verlegers. Trotz dieser Beteuerungen war die Ausgestaltung der Rücktrittsrechte in der Verlagsordnung des Deutschen Buchhandels ambivalent. Einerseits wurde das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung dergestalt ausgeweitet, dass nunmehr die Nichterfüllung jedweder vertraglichen Pflicht (beispielsweise die Nichtzahlung des Autorenhonorars) die Parteien nach Fristsetzung zum Rücktritt berechtigte. Andererseits stellte das Rücktrittsrecht „aus andern Gründen“ gegenüber der bisherigen Rechtslage (in Preußen) bzw. allgemein anerkannten „gemeinrechtlichen“ Grundsätzen (die, wie gezeigt wurde, im Wesentlichen der preußischen Rechtslage entsprachen) einen Rückschritt zu Ungunsten des Urhebers dar. Dieser konnte fortan nur noch im Einvernehmen mit dem Verleger zurücktreten, was nichts Anderes bedeutete als die Umfunktionierung des Rücktrittsrechts von einem Gestaltungsrecht hin zu einem konsensualen Vertragsaufhebungsinstrument. Darüber hinaus führte der schlichte Hinweis in § 42 Abs. 4 VO, dass weitergehende Ansprüche durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen würden, zumindest de iure zu einer Haftung, die auch den entgangenen Gewinn umfasste. Von einem Gleichklang der Verlagsordnung und der „übereinstimmenden Gesetzgebung und Lehrmeinung“ konnte mithin keine Rede sein. Der später erhobene Vorwurf, die Verlagsordnung berücksichtige einseitig die Interessen des Buchhandels152, überrascht folglich nur bedingt. 5. Die Entwürfe der „Association Littéraire et Artistique Internationale“ (1892–95) Die „Association Littéraire et Artistique Internationale“ (ALAI) war im Jahr 1878 auf Initiative Victor Hugos gegründet worden. Im Rahmen ihrer jährlich abgehaltenen Kongresse verfolgte sie das Ziel einer Verbesserung des internationalen Schutzes der Urheber, wobei an den Beratungen ab 1882 neben Schriftstellern und Künstlern auch Vertreter des Verlagsgewerbes teilnahmen. Nachdem die Bestrebungen der ALAI in der 1886 beschlossenen 151 Voigtländer, 152 So
VerlagsR, S. 111. Osterrieth, GRUR 1900, S. 299.
200 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Berner Übereinkunft, welche u. a. aufgrund der Verankerung des Grundsatzes der Inländergleichbehandlung und der Gewährung von Mindestrechten einen Meilenstein zum internationalen Schutz der Urheber darstellte153, einen ersten Höhepunkt erfahren hatten, bemühte sich der Verband ab den späten 1880er Jahren um eine internationale Regelung des Verlagsrechts.154 a) Der Vorentwurf auf dem Kongress von Neuchâtel (1891) 1891 diskutierte der Kongress in Neuchâtel einen Vorentwurf155 (Neuchâtel-E), der in Art. 10 ein Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung vorsah: „L’auteur peut résilier le contrat avec ou sans dommages-intérêts à fixer par le juge sur l’avis d’experts: 1° Quand l’éditeur contrevient à ses obligations, notamment s’il agit en violation des articles 8 et 12 à 18 de la présente loi […]“156.
Demnach konnte der Autor vom Vertrag zurücktreten, wenn der Verleger seinen Verbindlichkeiten nicht nachkam. Hierunter fielen u. a. die in Art. 12 und 18 Neuchâtel-E157 normierten Pflichten zur Veröffentlichung und hinreichenden Bewerbung des Werkes, jedoch auch die Pflicht zur Honorarzahlung (Art. 16 Neuchâtel-E)158. Ein etwa zu ersetzender Schaden sollte vom Richter auf den Rat von Sachverständigen hin festgesetzt werden. Art. 10 Neuchâtel-E enthielt damit auch, aber nicht ausschließlich ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung, welches nicht von der Setzung einer Nachfrist abhängig war. 153 Pauli,
RBÜ II.1 / Rn. 3; siehe dazu auch Vogel, GRUR 1987, S. 879 ff. dazu den geschichtlichen Überblick über die Bestrebungen der ALAI um eine internationale Regelung des Verlagsrechts, welchen der Vizepräsident der ALAI, Ocampo, auf dem Dresdner Kongress der ALAI im Jahr 1895 vorlegte, S. 96 f.; Zusammenfassungen der Vorgänge liefern Müller, J., S. 14 ff. und Mogg, S. 104 f. 155 Der Entwurf („Projet de loi d’Asssociation littéraire et artistique internationale, présenté au Congrès de Neuchâtel de 1891“) findet sich abgedruckt in Le Droit d’Auteur 1892 (No. 3), S. 32 f. 156 Le Droit d’Auteur 1892 (No. 3), S. 32. 157 Art. 12 Neuchâtel-E lautete: „L’éditeur est tenu de publier l’oeuvre telle qu’elle lui est remise par l’auteur, ses représentants ou ses ayants cause; toute modification, toute suppression, toute addition, même sous forme de notes ou de préface, non consenties par l’auteur lui-même, lui sont interdites“; Art. 18: „L’éditeur est tenu de faire à l’oeuvre la publicité qui est d’usage; il est tenu d’en faciliter l’écoulement par les mesures les plus favorable“. 158 „Les honoraires sont dus à l’auteur toutes les fois que celui-ci n’y a pas formellement renoncé. A défaut de stipulation, ils sont fixés par le juge sur l’avis des experts. Ils doivent être réglés en totalité lorsque chaque édition est prête pour la vente, et dès lors sont exigibles dans un délai de six mois“. 154 Siehe
II. Gesetzentwürfe und Standesordnungen der Interessenverbände201
Ein freies Rücktrittsrecht des Autors enthielt der Entwurf indes nicht. Art. 21 Neuchâtel-E statuierte lediglich: „L’éditeur peut résilier le contrat, avec ou sans dommages-intérêts à fixer par le juge sur l’avis d’experts, lorsque l’auteur contrevient à ses obligations, notamment s’il agit en violation des articles 4 à 7 de la présente loi“159.
Demnach konnte der Verleger zurücktreten, wenn der Urheber seinen vertraglichen Verbindlichkeiten nicht nachkam, worunter insbesondere die Pflicht zur rechtzeitigen Ablieferung des Werkes (Art. 5 Neuchâtel-E)160 fiel. Hier waren etwaige Schadensersatzansprüche gleichermaßen vom Richter nach Expertenrat festzusetzen. Die Vorschrift sei an dieser Stelle aufgeführt, da man das Rücktrittsrecht des Verlegers bei Nichterfüllung durch den Autor – wie gezeigt wurde – verschiedentlich, wenngleich unzutreffend, dem freien Autorenrücktritt gleichgestellte. Für den Fall des zufälligen Unterganges des Manuskripts, den Tod des Autors, dessen unverschuldete Unfähigkeit oder Verhinderung sowie vergleichbare Konstellationen sah schließlich Art. 22 Neuchâtel-E161 die Vertragsaufhebung ipso iure vor. Auch hier ergibt sich aus der engen Fassung der Aufhebungsgründe, dass lediglich unwillkürliche Umstände erfasst sein sollten. b) Der Entwurf auf dem Kongress von Mailand (1892) Auf Grundlage dieses Vorentwurfs wurde ein weiterer Entwurf erarbeitet, der 1892 auf dem Mailänder Kongress zur Abstimmung gestellt wurde (Mailand-E)162. Dieser reduzierte das weite Rücktrittsrecht des Vorentwurfs in Art. 7 Mailand-E auf den Fall der Nichtausübung: „A défaut par l’éditeur d’avoir commence l’impression dans les trois mois qui suivent la remise définitive de l’oeuvre ou des parties de l’oeuvre quand elle parait 159 Le
Droit d’Auteur 1892 (No. 3), S. 33. lautete: „L’auteur est tenu de livrer à l’éditeur l’oeuvre qui fait l’objet du contrat dans la forme acceptée ou convenue et dans le délai fixé, ou à fixer après une première réclamation de l’éditeur dans le cas où aucun délai n’avait été prévu“ (Le Droit d’Auteur 1892 [No. 3], S. 32). 161 Art. 22 Neuchâtel-E lautete: „Le contrat est naturellement dissous : 1° Quand l’oeuvre périt par cas fortuit chez l’auteur; 2° Quand l’auteur meurt avant d’avoir achevé son oeuvre, ou est incapable, ou empêché par force majeure, de la terminer; 3° Quand, par le fait de circonstances étrangères à la volonté des parties contractantes, ou de lois édictées après la Convention, le but vers lequel, d’après le contrat, tendait la publication, ne peut plus être attaint“ (Le Droit d’Auteur 1892 [No. 3], S. 33). 162 Der Entwurf („Projet de loi en matière de Contrat d’édition préparé par l’Asssociation littéraire et artistique internationale“) findet sich abgedruckt in Le Droit d’Auteur 1892 (No. 8), S. 98 ff. 160 Art. 5 Neuchâtel-E
202 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
par parties, l’auteur aura le droit de reprendre son oeuvre, sans préjudice des dommages-intérêts qui pourraient lui être dus […]“163.
Folglich konnte der Autor im Fall der Nichtausübung des Verlagsrechts binnen drei Monaten ab Ablieferung sein Werk zurückfordern und anderweitig in Verlag geben. Etwaige Schadensersatzansprüche blieben hiervon un berührt. Die Vertragsbeendigung von Rechts wegen schränkte der Entwurf gleichermaßen ein, indem Art. 18 Mailand-E diese nur noch im Fall eines zwischenzeitlichen strafrechtlichen Verbots des Werkinhalts und des zufälligen Untergangs des Manuskripts vorsah164. Ein Rücktrittsrecht des Verlegers bei Nichtablieferung des Werks bzw. Nichterteilung der Druckfreigabe nebst flankierendem Schadensersatzanspruch war in Art. 9 Mailand-E vorgesehen. Auch diese Vorschrift sei aus den oben genannten Gründen aufgeführt: „L’auteur est tenu de fournir à l’éditeur son bon à tirer, à peine de résiliation avec dommages-intérêts s’il y a lieu“165.
Der Entwurf wurde noch auf dem Mailänder Kongress zur Abstimmung gestellt, eine Übereinkunft scheiterte jedoch an Meinungsverschiedenheiten zwischen Autoren- und Verlegervertretern. Nachdem auch auf den Kongressen der nächsten beiden Jahre keine Einigung erzielt wurde, fasste der Kongress von Antwerpen (1894) den Beschluss, sich auf die Aufstellung von „Grundlinien“ zu beschränken.166 Diesbezüglich wurden sowohl auf dem Kongress von Dresden (1895) als auch auf dem Berner Kongress (1896) Vorschläge eingebracht. c) Hildebrands Entwurf auf dem Dresdner Kongress (1895) Auf dem Dresdner Kongress legte Martin Hildebrand, seines Zeichens Vorsitzender der Deutschen Schriftsteller-Genossenschaft, einer seit 1891 bestehenden Abspaltung des Deutschen Schriftsteller-Verbandes167, einen weiteren Entwurf eines Verlagsgesetzes vor (Hildebrand-E)168. Hildebrand 163 Le
Droit d’Auteur 1892 (No. 8), S. 99. lautete: „Le contrat d’édition est résilié de plein droit :1° Quand la publication tombe sous le coup d’une loi pénale votée postérieurement à la formation du contrat; 2° Quand l’oeuvre originale périt par cas fortuit; toutefois s’il est établi que l’auteur possède un second exemplaire de son oeuvre, il sera tenu de le remettre à l’éditeur dansle plus bref délai“ (Le Droit d’Auteur 1892 [No. 8], S. 99). 165 Le Droit d’Auteur 1892 (No. 8), S. 99. 166 Ocampo, S. 98. 167 Siehe dazu Parr, S. 363, 365. 168 Der Entwurf ist abgedruckt bei Hildebrand, S. 104 ff. 164 Art. 18 Mailand-E
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ging dabei ebenfalls von einem „zweifachen“ Urheberrecht aus, welches sich in ein individuelles Recht des Urhebers an seinem Werk einer- und ein Recht der wirschaftlichen Nutzung andererseits unterteile. Hierbei kam allein Letzteres für eine Übertragung in Frage169. Die wirtschaftliche Nutzung wiederum könne – so Hildebrand weiter – jedoch derart vielfältig sein, dass eine Beschränkung auf den Bücherverlag unzulänglich sei. Er spielte damit insbesondere auf den Entwurf des Börsenvereins an, der allein vom „Autor“ und nicht vom „Urheber“ sprach und dem er überdies den Vorwurf machte, zu umfassend und kasuistisch zu sein. Ein „brauchbares Gesetz über den Verlagsvertrag“, welches Hildebrand in seinem Entwurf offenkundig erblickte, habe sich vielmehr darauf zu beschränken, allgemeine Grundsätze aufzustellen und hinsichtlich der Einzelheiten auf den Vertrag zu verweisen170. Diese „allgemeinen Grundsätze“ definierten den Verlagsvertrag in Art. 1 Hildebrand-E als das Verhältnis zwischen Urheber und Verleger in Bezug auf die wirtschaftliche Nutzung eines Geistes- oder Kunstwerks und umfassten unter dem Titel „Verlagspflicht“ auch ein Rücktrittsrecht des Urhebers wegen Nicht- bzw. unzulänglicher Ausübung (Art. 5 Hildebrand-E): „Die erlangte Berechtigung in vereinbarter oder angemessener Form auszuüben und, falls die Vervielfältigung oder Nachbildung eines Werkes in Frage steht, die Vervielfältigungen oder Nachbildungen zu vereinbartem oder angemessenem Preise in den Handel zu bringen und im Handel zu halten, ist der Verleger verpflichtet. Unterläßt er dies, so hat er sich über eine angemessene Frist zu erklären. Hält er diese Frist nicht inne, so ist der Urheber berechtigt, vom Vertrage zurückzutreten und eine angemessene Buße zu fordern. Ihm gemachte Leistungen dem säumigen Verleger zu erstatten, ist der Urheber nicht verpflichtet“171.
Dass die Vorschrift auch Fälle der unzulänglichen Ausübung erfassen sollte, ergibt sich aus der Verpflichtung des Verlegers, das Werk „im Handel zu halten“. Der Rücktritt war erst dann möglich, wenn der Verleger selbst eine Nachfrist gesetzt und diese nicht eingehalten hatte, während er ein etwa schon gezahltes Honorar einbehalten durfte. Weitere Rücktrittsrechte des Urhebers sah auch Hildebrand nicht vor. d) Das Ende der Bestrebungen um eine internationale Regelung des Verlagsrechts Hildebrands Entwurf wurde zusammen mit der ebenfalls auf dem Kongress vorgestellten Verlagsordnung des Börsenvereins zur weiteren Begutachtung an eine Sachverständigenkommission der ALAI überwiesen bzw. an 169 Hildebrand,
S. 102. S. 103 f. 171 Hildebrand, S. 105. 170 Hildebrand,
204 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
diverse internationale Interessengruppen zur Stellungnahme übersandt und sollte auf dem Kongress in Bern (1896) nochmals zur Debatte gestellt werden.172 Hierzu kam es indes nicht173 – vielmehr legte der Präsident der ALAI, Pouillet, auf dem Berner Kongress seine „Principes d’une législation sur le contrat d’édition“174 vor. Diese zwölf Grundsätze sollten künftigen nationalen Gesetzen als Leitlinie dienen, sahen ihrerseits jedoch keinerlei Rücktrittsrechte vor. Auf dem Kongress von Monaco (1897) nochmals diskutiert175, erarbeitete ein hierfür eigens eingesetzter Ausschuss176 auf ihrer Grundlage eine „Memento des règles en usage et points a prévoir dans les rapports entre auteurs et éditeurs“, die auf dem Turiner Kongress von 1898 verabschiedet wurde.177 Als allgemein gehaltener Leitfaden zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Autor und Verleger konzipiert, waren Rücktrittsrechte auch hier kein Thema. Nachdem in den Folgejahren immer mehr Staaten, darunter auch das Deutsche Reich, eigenständig und unabhängig von einer internationalen Übereinkunft Verlagsgesetze erließen, verlief das Vorhaben einer internationalen Regelung des Verlagsrechts schließlich im Sande.178
III. Die Entwürfe der Jurisprudenz Auch seitens der Jurisprudenz wurden Entwürfe für ein künftiges Verlagsgesetz erarbeitet, welche Vorschriften zum Rücktritt des Autors enthielten. Aufgrund seines halboffiziellen Charakters ist hier insbesondere der Entwurf Gottlieb Plancks (1.) von Bedeutung, wobei jedoch auch Otto Bährs Gegenentwurf zum BGB, der das Verlagsrecht als Teil des besonderen Schuldrechts vorsah, Beachtung verdient (2.).
172 Siehe den entsprechenden Beschluss des Dresdner Kongresses, abgedruckt in Le Droit d’Auteur 1895 (No. 10), S. 138 f. 173 Weder im inoffiziellen Bericht der ALAI über den Berner Kongress noch in dessen offiziellen Beschlüssen kam Hildebrands Entwurf noch einmal zur Sprache, siehe Le Droit d’Auteur 1896 (No. 9), S. 118 ff., 126 ff. 174 Pouillet, Le Droit d’Auteur 1896 (No. 10), S. 140. 175 Siehe den Bericht über den Kongress von Monaco, abgedruckt in Le Droit d’Auteur 1897 (No. 5), S. 55. 176 Siehe die Beschlüsse des Kongresses von Monaco, abgedruckt in Le Droit d’Auteur 1897 (No. 5), S. 56. 177 Siehe die Beschlüsse des Kongresses von Turin, welche das Memento nebst Vorgeschichte enthalten, abgedruckt Le Droit d’Auteur 1898 (No. 10), S. 122 f. 178 Müller, J., S. 15; Mogg, S. 105.
III. Entwürfe der Jurisprudenz205
1. Der Planck-Entwurf (1890) Die Petitionen der Interessenverbände an Bismarck vermochten zwar nicht die Aufnahme des Verlagsrechts in das BGB zu erreichen, führten jedoch dazu, dass man seitens des RJA den Juristen und Reichstagsabgeordneten Gottlieb Planck179, der als Mitglied der ersten und Referent der zweiten BGB-Kommission über umfassende legislatorische Erfahrung verfügte, mit der Abfassung eines Verlagsgesetzentwurfs betraute.180 Sein im März 1890 vorgelegter „Entwurf eines Gesetzes betreffend den Verlagsvertrag“181 (PE) verstand das „Verlagsrecht“ – entsprechend der Position Kohlers – als quasi-dingliches, aus dem Urheberrecht abgeleitetes und aus dem Verlagsvertrag folgendes Nutzungsrecht des Verlegers. Konkret erhielt dieser auf Grundlage des Verlagsvertrages die temporäre Befugnis zur Ausübung des Nachbildungs- und Vervielfältigungsrechts des Urhebers182, während das Urheberrecht selbst ganz und ungeteilt beim Urheber verblieb.183 Nicht im Verlagsrecht Planckscher Definition enthalten war indes das Recht zur Verbreitung des Werkes, was sich daraus erklärt, dass auch die Urheberrechtsgesetze von 1870 / 76 lediglich ein Vervielfältigungs-, Nachbildungs- und Aufführungs-, nicht aber ein Verbreitungsrecht des Urhebers anerkannten184. Das Verlagsrecht konnte sich gemäß § 1 PE auf Werke der Literatur, der Tonkunst, der bildenden Künste oder der Photographie erstrecken, weshalb der ursprünglich Berechtigte als „Verlag geber“ bezeichnet wurde. Rücktrittsrechte statuierte der Entwurf in den §§ 31 und 34.
Person siehe Meder, UFITA 2010 / I, S. 17 ff. ausführlich Mogg, S. 113 ff.; Meder, UFITA 2010 / I, S. 11 ff. 181 Siehe Planck, UFITA 2010 / I (Nachdruck des Entwurfs), S. 192; ein weiter Nachdruck findet sich bei Mogg, S. 233 ff. Das handschriftliche Original findet sich in den Beständen des Bundesarchivs, BArch, R 3001 / 6542, Anlage zu Nr. 849 / 1890 (nicht foliiert, 195 S.). 182 Siehe allein den Wortlaut des § 1 PE: „Durch den Verlagsvertrag wird der eine Vertragschließende (Verlaggeber) verpflichtet, dem anderen Vertragschließenden (Verleger) das zu verlegende Werk zur Vervielfältigung zu überlassen und das Verlagsrecht an dem Werke zu verschaffen“. 183 So ausdrücklich Planck, UFITA 2010 / I (Nachdruck der „Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Verlagsvertrag), S. 200 (Motive zu § 4 PE); dazu auch Mogg, S. 125 und Wittmann, G., S. 55 f. 184 Mogg, S. 115, 123. 179 Zur
180 Dazu
206 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
a) Aufhebungsanspruch wegen Nichtausübung So lautete § 31 PE: „Der Verlaggeber ist die Aufhebung des Verlagsrechtes [sic!] zu verlangen berechtigt, 1) Wenn der Verlagsberechtigte, nachdem er rechtskräftig zur Vervielfältigung und zum Vertriebe des Werkes verurteilt ist, diese Verpflichtung binnen einer ihm von dem Verlaggeber gesetzten angemessenen Frist nicht erfüllt; die Fristbestimmung muß ergeben, daß der Verlaggeber nach Ablauf die Erfüllung nicht mehr wolle […]“.
Das von Planck vorgeschlagene Instrument für den Fall der Nichtausübung sah die Aufhebung „des Verlagsrechtes“ als solches und nicht etwa den Rücktritt „vom Verlagsvertrag“ vor. Damit zielte es nicht auf die schuldrechtliche, sondern auf die quasi-dingliche Ebene der Urheber-Verleger-Beziehung: Aufgehoben wurde nicht länger der Vertrag, sondern das aus diesem resultierende Nutzungsrecht selbst. Plancks Entwurf war konzise auf den BGB-Erstentwurf (BGB-E) zugeschnitten und verstand das Verlagsrecht als spezialgesetzlich normierten Teil des besonderen Schuldrechts185. Dies kam in einer Reihe von Vorschriften zum Ausdruck, in welchen die Regelungen des BGB für (subsidiär) anwendbar erklärt wurden. Im Kontext der Rücktrittsrechte war dies insbesondere § 38 PE, in dem es hieß, dass auf das Rücktrittsrecht der §§ 34–37 PE die u. a. das Rückgewährschuldverhältnis regelnden §§ 426–431 BGB-E entsprechende Anwendung finden.186 Hiervon ausgehend betonte Planck, dass der Urheber bereits nach den Vorschriften des BGB-Entwurfs (§§ 369, 243)187 zum Rücktritt berechtigt sei, sofern er nach rechtskräftiger Verurteilung zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes ebendiesen Verpflich185 Mogg,
S. 121; McGuire, S. 309. die besagten Vorschriften im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrathe berufene Kommission. Amtliche Ausgabe, Berlin und Leipzig 1888. 187 § 369 BGB-E lautete: „Ist die Leistung aus einem gegenseitigen Vertrage in Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden, so hat der Gläubiger die Wahl, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu fordern oder von dem Vertrage zurückzutreten. Ist die Leistung nur theilweise unmöglich geworden, so steht dem Gläubiger das Rücktrittsrecht nur dann zu, wenn der nicht unmöglich gewordene Theil der Leistung für ihn kein Interesse hat. Das Gleiche gilt in dem im §. 243 bezeichneten Falle sowie dann, wenn die Leistung in Folge des Verzuges des Schuldners für den Gläubiger kein Interesse hat. Auf das Rücktrittsrecht finden die Vorschriften der §§. 426 bis 431, 433 entsprechende Anwendung“. § 243 BGB-E lautete: „Die Vorschriften der §§. 240–242 finden entsprechende Anwendung, wenn der Schuldner, nachdem er rechtskräftig verurtheilt worden ist, binnen einer von dem Gläubiger zu bestimmenden angemessenen Frist die Leistung nicht bewirkt. Die 186 Siehe
III. Entwürfe der Jurisprudenz207
tungen nicht binnen einer vom Verlaggeber zu bestimmenden, angemessenen Frist nachkam188. Dieses Rücktrittsrecht genüge jedoch allenfalls bedingt den Ansprüchen des Verlaggebers, zumal dieser infolge des Rücktritts nicht nur jedweden Vergütungsanspruch verlor, sondern auch ein bereits erhaltenes Honorar würde zurückzahlen müssen. Daher fordere es die Billigkeit, den Interessen des Verlaggebers in anderer Weise Rechnung zu tragen, was allein dadurch geschehen könne, dass ihm das Recht eingeräumt werde, die Aufhebung des Verlagsrechts zu fordern. Planck zog hier eine Parallele zum Schadensersatzrecht, indem er § 31 PE zwar als verlagsrechtliche Sondervorschrift qualifizierte, zugleich aber darauf verwies, dass auch diesem der Gedanke der Naturrestitution zugrundeliege, d. h. der Gläubiger soweit als möglich in den Zustand versetzt werden solle, in welchem er sich ohne das rechtswidrige Verhalten des Schulders befunden hätte. Dieser Zweck lasse sich annähernd dadurch erreichen, dass dem Verlaggeber durch die Gewährung eines Rücktrittsrechts die Möglichkeit gegeben wird, sich einen anderen Verleger zu suchen. Die Voraussetzungen für den Rücktritt hätten sich dabei an den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen (§ 243 BGB-E) zu orientieren, was bedeutete, dass der Verlagsberechtigte zunächst rechtskräftig verurteilt sein müsse und ihm der Verlaggeber danach eine angemessene Frist zur Erfüllung zu setzen habe, wobei aus der Fristsetzung hervorgehen müsse, dass der Verlaggeber nach Fristablauf an der Erfüllung kein Interesse mehr habe. Planck verstand den Aufhebungsanspruch des Urhebers wegen Nichtausübung somit als verlagsrechtliches Vertragsaufhebungsinstrument sui generis, welches in seinen Voraussetzungen schuldrechtlich, in seinen Wirkungen quasi-dinglich geprägt war. Dies wird einerseits an dem Umstand deutlich, dass er für die Aufhebung des Verlagsrechts wegen Nichtausübung dieselben Voraussetzungen verlangte wie für den Rücktritt nach allgemeinem Schuldrecht, andererseits an der Tatsache, dass durch die Aufhebung des Verlagsrechts nicht etwa der Vertrag, sondern das Nutzungsrecht des Verlegers beseitigt wurde. Dies hatte wiederum zur Folge, dass der zurücktretende Autor ein etwa bereits erhaltenes Honorar einbehalten durfte. Dieser „Kunstgriff“ war allein möglich, weil Planck in Anlehnung an Kohler scharf zwischen schuldrechtlichem Verlagsvertrag und quasi-dinglichem Verlagsrecht differenzierte189 und erklärt zugleich, weshalb frühere Entwürfe, die dem Autor ebenfalls die Einbehaltung eines bereits erhaltenen Honorars Fristbestimmung muß ergeben, daß der Gläubiger die Leistung nach Ablauf der Frist nicht mehr wolle“. 188 Dazu und zum Folgenden Planck, UFITA 2010 / I (Nachdruck der „Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Verlagsvertrag“), S. 241 f. (Motive zu § 31 PE). 189 So auch McGuire, S. 309 f.
208 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
gestatteten190, dies explizit normierten: Sie sahen – wie auch das bis dato geltende Recht – regelmäßig keine klare Trennung zwischen obligatorischer und der dinglicher Seite des Verlagsvertrages vor191. Darüber hinaus unterstreicht dies abermals die Wechselwirkung zwischen dem – von Mogg als pandektistisch beeinflusst apostrophierten – Verlagsgesetzentwurf Plancks192 und dem Erstentwurf zum BGB, der im Anschluss an die Lehren Savignys ebenfalls von der Trennung und Abstraktion zwischen schuldrechtlichem Grund- und dinglichem Verfügungsgeschäft ausging193. Andererseits war eben jene Aufhebung erst nach Verurteilung und erfolglos verstrichener Nachfrist möglich, während frühere Entwürfe den Rücktritt in ein Alternativverhältnis zur Klage stellten, was eine Nachfristsetzung gerade entbehrlich machte194. Das Erfordernis der Nachfristsetzung respektive der Klage konnte – wie in der Vergangenheit in anderem Kontext bemerkt worden war – für den Autor insbesondere dann ungünstig sein, wenn sein Werk auf ein bestimmtes kontemporäres Interesse berechnet war, welches nach Beschreiten des (regelmäßig zeitintensiven) Klageweges entfallen sein konnte. b) Freies Rücktrittsrecht Ein freies Rücktrittsrecht sah der Entwurf in § 34 PE vor: „Betrifft der Verlagsvertrag ein von dem Verlaggeber herzustellendes Werk, so ist derselbe bis zur Ablieferung des Werkes an den Verleger von dem Verlagsvertrage zurückzutreten berechtigt. Er ist aber, wenn er nach dieser Vorschrift von dem 190 So etwa der preußischeVerordnungsentwurf vom März 1839 – siehe oben, C. III. 2. lit. c). 191 So beendete § 1005 ALR mit dem (schuldrechtlichen) Rücktritt die Befugnis des Verlegers. Beispielhaft auch § 1 der Verlagsordnung des Börsenvereins, der das Verlagsrecht als die „in dem Urheberrecht begründete Befugnis […], ein Schriftwerk mechanisch zu vervielfältigen oder zu verbreiten“ definierte. Ähnlich auch Oechsler, FS Reuter, S. 248 mit Verweis auf die spätere Begründung zu § 10 Abs. 1 des Erstentwurfs zum Verlagsgesetz, in der es hieß: „Im bestehenden Rechte wird zwischen der obligatorischen und dinglichen Seite des Verlagsvertrags regelmäßig nicht unterschieden. Namentlich geben die vorhandenen Gesetze und Entwürfe darüber keine sichere Auskunft, ob das Verlagsrecht schon mit dem Abschlusse des Verlagsvertrags oder unter Umständen, insbesondere dann, wenn der Verfasser das den Gegenstand bildende Werk erst auszuarbeiten hatte, in einem späteren Zeitpunkte […] zur Entstehung gelangt“ (Erstentwurf, S. 16) sowie Nolden, S. 47 und McGuire, S. 311. 192 Mogg, S. 120 f. 193 Kommission, S. 17 ff., 633 ff.; einen Überblick über die historisch-rechtsphilosophischen Hintergründe des Abstraktionsprinzips liefert Strack, JURA 2011, S. 5 ff. 194 So etwa der preußische Ministerialentwurf vom Juni 1839 – siehe oben, C. III. 3. lit. a).
III. Entwürfe der Jurisprudenz209
Vertrage zurücktritt, verpflichtet, die Veröffentlichung eines Werkes desselben Inhaltes wie das den Gegenstand des Verlagsvertrages bildende Werk, binnen der nächsten fünf Jahre von dem Rücktritt an, zu unterlassen. Handelt er dieser Verpflichtung zuwider, so ist er dem Verleger Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Verlagsvertrages zu leisten verpflichtet“.
Hieran anschließend bestimmte § 36 PE: „Der Verlaggeber ist, wenn er auf Grund der §§ 34 oder 35195 von dem Verlagsvertrage zurücktritt, dem Verleger die Kosten zu ersetzen verpflichtet, welche dieser behuf Vorbereitung der Vervielfältigung und des Vertriebes des Werkes aufgewandt hat“.
Das freie Rücktrittsrecht des Planck-Entwurfs gestattete demnach einen Rücktritt lediglich bis zur Ablieferung des Werkes und auch nur dann, wenn Gegenstand des Verlagsvertrages ein erst noch zu verfertigendes Werk war. Darüber hinaus sah der Entwurf eine Nachhaftung bei anderweitiger Herausgabe binnen fünf Jahren vor. Da etwaige Aufwendungen zum Zwecke der Vervielfältigung und Verbreitung bereits nach § 36 PE zu ersetzen waren, zielte der in § 34 PE angeführte Schadensersatzanspruch zwangsläufig auf den entgangenen Gewinn. Ebenfalls von den §§ 1005 ff. ALR ausgehend, betonte auch Planck den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift, welche von „positiver und anormaler Natur“ sei. Gleichwohl hob er hervor, dass „die eigentümliche Art der geistigen Produktion“ ihre Aufnahme in den Entwurf rechtfertige, zumal sich erst im Verlauf der Arbeit zeigen könne, dass die „geistige Produktionskraft“ des Autors zur Fertigstellung des Werkes nicht ausreiche oder der Autor im Zuge seiner Arbeit zu Resultaten gelange, welche dazu führten, dass er von der Veröffentlichung Abstand nahm. Nicht zuletzt käme es bei jeder Art geistiger Produktion weniger auf die äußere Fertigstellung des Werkes, denn auf den Umstand an, dass „das 195 § 35 PE lautete: „Der Verlaggeber ist, so lange mit der Vervielfältigung des Werkes nicht begonnen ist, von dem Verlagsvertrage zurückzutreten berechtigt, wenn der Verleger stirbt oder auf Grund der Vorschrift des § 26 Absatz 2 von dem Verlaggeber die Einwilligung zur Übertragung des Verlagsrechtes verlangt“. Besagter § 26 PE lautete (1) „Zur Wirksamkeit der Übertragung des Verlagsrechts ist die Einwilligung des Verlaggebers erforderlich. Die erteilte Einwilligung ist unwiderruflich. Die ohne Einwilligung des Verlaggebers erfolgte Übertragung wird wirksam, wenn der Verlaggeber sie genehmigt.“ (2) „Der Verlaggeber ist die Einwilligung oder Genehmigung zu erteilen verpflichtet 1. Wenn das Verlagsgeschäft, zu welchem das Verlagsrecht gehört, aufgelöst oder auf einen anderen übertragen wird. 2. Wenn die Übertragung zum Zwecke der Auseinandersetzung zwischen mehreren Miterben des Verlagsberechtigten oder zum Zwecke der Ausführung einer letztwilligen Verfügung desselben erfolgt. Die Einwilligung des Verlaggebers ist nicht erforderlich, wenn dies vertragsmäßig vereinbart worden war“. Siehe dazu auch Planck, UFITA 2010 / I (Nachdruck der „Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Verlagsvertrag), S. 229 ff. (Motive zu § 26 PE), S. 249 f. (Motive zu § 35 PE) sowie Wittmann, G., S. 55 ff.
210 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Werk der Überzeugung des Verfassers“ entsprach. Genügte das Werk sowohl dem Inhalt als auch der Form nach nicht den Anforderungen, welche der Autor üblicherweise an seine Produktionen stellte, lag in den Augen Plancks ein der Unmöglichkeit sehr naheliegendes Verhältnis vor. Da dieses jedoch auf den subjektiven Auffassungen des Verfassers beruhte, sich mithin objektiv nicht nachweisen ließ, bliebe „nur übrig, die Erklärung des Verfassers, dass er das übernommene Werk nicht herstellen könne, für genügend zu erklären“. Auch Planck sah den Rechtsmissbrauch als das größte Risiko bei der Normierung eines freien Rücktrittsrechts. Gleichwohl falle die Rücksicht, welche man auf die Besonderheiten geistiger Produktion zu nehmen habe, derart schwer ins Gewicht, dass man ein solches Rücktrittsrecht des Autors anerkennen müsse. Hierfür spräche nicht zuletzt der Umstand, dass der Verleger im Rücktrittsfall lediglich eine Gewinnaussicht verlöre, nicht aber einen positiven Schaden erleide. Diese Annahme Plancks korrespondierte mit seinem Regelungsvorschlag in § 34 PE, der den Rücktritt nur bis zur Ablieferung des Manuskripts gestattete. Bis dahin ließen sich tatsächlich kaum Schäden des Verlegers denken. Für den Fall, dass solche – etwa durch Vorbereitungshandlungen – doch entstünden, gewährte § 36 PE einen entsprechenden Ersatzanspruch. Hinsichtlich der Dauer der Nachhaftung bei anderweitiger Herausgabe kritisierte Planck die Einjahresfrist des § 1007 ALR als zu kurz, um Rechtsmissbräuchen hinreichend vorzubeugen. Stattdessen plädierte er mit ausdrücklichem Hinweis auf Schürmanns Grundordnung für eine Ausdehnung der Nachhaftungsdauer auf fünf Jahre. Im Hinblick auf die Begrenzung des Rücktrittsrechts in sachlicher und temporärer Hinsicht hieß es in den Motiven lediglich, dass ein Rücktritt des Verlaggebers seinem Grunde und Zwecke nach nicht stattfinden könne, wenn der Verlagsvertrag ein bereits fertiges Werk zum Gegenstand habe und überdies auch nur solange, wie der Verlaggeber das Werk noch nicht an den Verleger abgeliefert habe. Dass dies zumindest insofern widersprüchlich war, als es nur weniger Zeilen zuvor noch hieß, dass es hinsichtlich eines Überzeugungswandels gerade nicht auf die äußere Fertigstellung des Werkes ankommen könne, da sich auch zwischen dem Zeitpunkt der Fertigstellung bzw. Ablieferung des Werkes und dem Beginn der Verbreitung ein Wandel in den Ansichten des Autors oder dessen Ansprüchen an seine eigenen Werke vollziehen könne, schien Planck entweder übersehen oder in Kauf genommen zu haben – eine nähere Begründung enthalten die Motive diesbezüglich jedenfalls nicht. Tatsächlich lag der Grund hierfür in der engen Verzahnung des PlanckEntwurfs mit dem Entwurf zum BGB: So sah der gemäß § 38 PE auf den Verlagsvertrag anwendbare § 431 BGB-E vor, dass das Rücktrittsrecht er-
III. Entwürfe der Jurisprudenz211
lischt, sobald der Vertrag auch nur teilweise erfüllt wurde. Bezog sich der Verlagsvertrag auf ein bereits fertiges Werk, so traf den Verlaggeber nach § 1 PE die Pflicht, dem Verleger das Verlagsrecht zu verschaffen und das Werk zur Vervielfältigung zu überlassen, während § 4 PE die Vermutung aufstellte, dass das Verlagsrecht mit der Übergabe des Werkes zur Entstehung gelangte. Insofern wäre das Rücktrittsrecht des Urhebers aus § 34 PE bereits nach allgemeinem Schuldrecht mit der Ablieferung des Werkes, welche zumindest eine teilweise Erfüllung des Verlagsvertrages darstellte, erloschen. Im Allgemeinen war Planck bei der Abfassung seines Entwurfs um einen angemessenen Interessensausgleich zwischen Autor und Verleger bemüht – so betonte er in den Motiven, dass sein besonderes Augenmerk der regelmäßig schwächeren Verhandlungsposition der Autoren galt196. Da dies im Gesamten197 wie auch in spezifischen Bereichen wie der umstrittenen Frage der Übertragbarkeit des Verlagsrechts198 durchaus gelang, überrascht es, dass sich Planck bei der Normierung des freien Rücktrittsrechts des Urhebers für eine Regelung entschied, die hinsichtlich ihres sachlich-temporären Schutzumfangs hinter den Vorschlägen von Interessenvertretern der Verlegerseite (wie etwa Schürmann) zurückblieb und sich überdies gegen das Gros der Literaturmeinungen stellte. Im Ergebnis war dies wohl dem Wunsch nach Konsistenz zwischen dem Verlags- und dem allgemeinen Schuldrecht des BGB-Entwurfs geschuldet. 2. Bährs Gegenentwurf zum BGB (1892) Otto Bähr, ehemaliger Reichsgerichtsrat und nationalliberaler Politiker199, war einer der schärfsten Kritiker des im Frühjahr 1888 veröffentlichen BGBEntwurfs, dem er einen nach Form und Inhalt allzu doktrinären Charakter attestierte. Seine Ablehnung des Entwurfs ging so weit, dass er das gemeinhin als veraltet abgetane preußische Allgemeine Landrecht als „in dem Sinne für materielle Gerechtigkeit weit höher“ einordnete: „Liest man im Land196 So hieß es etwa bei Planck, UFITA 2010 / I (Nachdruck der „Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Verlagsvertrag), S. 200 (Motive zu § 4 PE), dass in dem Gesetzentwurf „zu berücksichtigen [sei], dass bei dem geschäftlichen Verkehre zwischen dem Verleger auf der einen und dem Schriftsteller oder Künstler auf der anderen Seite der Erstere regelmässig der geschäftserfahrenere, häufig auch der wirtschaftlich überlegene Teil ist. Im Zweifel wird das Gesetz sich zu Gunsten des Verlaggebers zu entscheiden haben […]“. 197 So Mogg, S. 125. 198 So Wittmann, G., S. 58 f. 199 Ausführlich zu Bähr siehe Binder, passim.
212 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
rechte“, so hieß es in Bährs in der „Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ erschienenen Beurteilung, habe man „stets die wohlthuende Empfindung, daß ein Mann es geschrieben hat, der ein Herz für Recht hatte“. Von einer solchen Empfindung werde man jedoch „beim Lesen des [BGB-] Entwurfs und seiner Motive seltener berührt“200. In der Konsequenz legte Bähr 1892 einen eigenen Gegenentwurf zum BGB vor (BährE), welcher das Verlagsrecht als Teil des besonderen Schuldrechts in neunundzwanzig Paragraphen (§§ 621–650 BährE) regelte. Bähr nahm dabei für sich in Anspruch, mit seinem Entwurf größtenteils lediglich gemeines Recht201 zu paraphrasieren, während er für den verlagsrechtlichen Teil angab, primär das Schweizer Obligationenrecht, den „Dresdner Entwurf“ sowie die §§ I 11 996 ff. ALR benutzt zu haben. Aus diesem Grund hielt er eine nähere Begründung auch nur dort für erforderlich, wo sein Entwurf von besagten Regelungskatalogen abwich. Ferner stellte er hervor, bei der Aus arbeitung von erfahrenen Buchhändlern unterstützt worden zu sein, obschon der Entwurf „das geistige Interesse des Urhebers als das überwiegende Element“202 in den Fokus stelle. Rücktrittsrechte sah Bährs Gegenentwurf, nach welchem Gegenstand des Verlagsrechts jedwede Art von Schrift- und Kunstwerk sein konnte (§ 621 BährE), in den §§ 642 f. und 645 BährE vor. a) Freies Rücktrittsrecht § 642 BährE lautete: „So lange die Veröffentlichung des Werkes noch nicht erfolgt ist, kann der Verlaggeber das Werk von der Veröffentlichung zurücknehmen. Auch nach der Veröffentlichung des Werkes kann der Verlaggeber zwecks dessen Unterdrückung jederzeit verlangen, daß ihm die noch vorhandenen Exemplare zum Buchhändlerpreis überlassen werden“.
Hierauf aufbauend statuierte § 643 BährE: „Hat in den Fällen des § 641 und des § 642, Abs. 1 der Verleger bereits Aufwendungen für das Werk gemacht, so ist ihm hierfür Ersatz zu leisten“203.
Entgegen dem Planck-Entwurf sah Bährs Entwurf damit ein freies Rücktrittsrecht des Urhebers bis zur Veröffentlichung des Werkes vor, wobei letzterer gemäß § 643 BährE dem Verleger die bis zum Rücktritt entstande200 Bähr,
KritV 1888, S. 566 f.; dazu auch Binder, S. 143 ff. S. III f.; zum Begriff des „gemeinen Rechts“ oben, C. VI. 1. 202 Bähr, S. 127 / Einleitung zu Titel 12 „Verlagsvertrag“. 203 Bähr, S. 131. 201 Bähr,
III. Entwürfe der Jurisprudenz213
nen Aufwendungen zu ersetzen hatte. Insofern blieb der Entwurf im Wesentlichen der preußischen Vorlage treu, verzichtete jedoch auf eine verschärfte Haftung bei anderweitiger Herausgabe und damit auf jedwedes Korrektiv zur Vermeidung einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung des freien Rücktrittsrechts. Das in § 642 Abs. 2 BährE normierte Vorkaufsrecht für den Fall des Rücktritts war insofern ein Novum, als weder das preußische Landrecht noch die anderen von Bähr als Vorbild herangezogenen Kodifikationen eine derartige Vorschrift kannten. Einzig im Entwurf des Schriftstellerverbandes ist ebenfalls ein Vorkaufsrecht des Urhebers nachweisbar, welches sich jedoch lediglich auf die im gewöhnlichen Geschäftsgang unverkäuflichen Exemplare eines Werkes erstreckte204. Das preußische Landrecht sah hingegen lediglich eine Pflicht des Autors zur Abnahme verbleibender Exemplare vor, wenn dieser das Werk in einem anderen Verlag neu herausgeben wollte (§ I 11 1019 ALR)205. Dass bei der Regelung in Bährs Entwurf persönlichkeitsschützende Erwägungen im Vordergrund standen, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („Unterdrückung“). b) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Für die Konstellation der Nichtausübung normierte § 645 BährE: „Verweigert der Verleger ohne rechtfertigenden Grund die Herausgabe des Werkes oder hat er sich zu solcher durch sein Verschulden außer Stande gesetzt, so ist er, wenn er die empfangene Vorlage zurückgiebt, von Zahlung des Honorars nur insofern befreit, als der Verlaggeber von einem anderen Verleger gleich günstige Bedingungen erzielt. Verweigert der Verleger die Rückgabe der Vorlage oder hat er sich zu solcher durch sein Verschulden außer Stand gesetzt, so hat er dem Verlaggeber nicht allein das Honorar zu zahlen, sondern auch vollständigen Schadenersatz für dessen Interesse bei Herausgabe des Werkes zu leisten. Dieselbe Verpflichtung trifft den Verleger, wenn er nach der Herausgabe den Vertrieb des Werkes verweigert. 204 § 15 DSVE lautete: „Der Verleger ist verpflichtet, die im gewöhnlichen Geschäftsgange unverkäuflichen Exemplare, bevor er dieselben in anderer Weise verwertet, dem Urheber zu dem Preise anzubieten, zu welchem der Sortimentsbuchhändler das Werk bezogen hat. Veräußert der Verleger den ganzen Rest einer Auflage, so steht dem Urheber das Vorkaufsrecht zu“, siehe BBl. 1892, S. 75. 205 § I 11 1019 ALR lautete: „Können Verfasser und Buchhändler sich wegen der neuen Ausgabe nicht vereinigen, so muß ersterer, wenn er dieselbe in einem andern Verlage herausgeben will, zuvörderst dem vorigen Verleger alle noch vorräthige Exemplare der ersten Ausgabe, gegen baare Bezahlung des Buchhändler-Preises, abnehmen“; in der Literatur zum ALR hieß es jedoch vereinzelt, dass sich dies „auch für den Fall von selbst [verstehe], wenn der Verfasser überhaupt nicht mehr will, daß das Werk veröffentlicht werde“, siehe Förster / Eccius (1882), S. 195 / Fn. 59.
214 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Dem Verlaggeber steht überdies in allen diesen Fällen das Recht zu, den Vertrag als erloschen zu betrachten und das Werk anderweit herauszugeben“206.
Bähr gab auch hierzu keine weitere Begründung an. Da weder das preußische Landrecht noch der Dresdner Entwurf oder das Schweizer Obligationenrecht ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung vorsahen, kann hier lediglich ein Rückgriff auf „gemeinrechtliche Grundsätze“ vermutet werden, zumal – wie gezeigt wurde – ein verlagsrechtliches Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung in der Literatur weithin anerkannt war. Bähr beschränkte sich in seinem Entwurf auf den Fall der gänzlichen Nichtausübung, in welchem er dem Urheber die Möglichkeit zum Rücktritt („den Vertrag als erloschen zu betrachten“) ohne Nachfristsetzungserfordernis einräumte. Hinsichtlich etwaiger monetärer Ansprüche desselben differenzierte er zwischen Fällen, in welchem der Verleger das Manuskript bzw. die Vorlage zurückgab und solchen, in welchen ihm eine Rückgabe nicht möglich war. Bährs Vorschlag nahm zwar kaum Einfluss auf die Inhalte des BGB207, insbesondere nicht hinsichtlich einer Aufnahme des Verlagsrechts ins besondere Schuldrecht; im Hinblick auf die Rücktrittsrechte erfüllte er jedoch sein erklärtes Ziel einer vorrangigen Berücksichtigung der Urheberinteressen, ja schoss zum Teil – insbesondere durch den Verzicht auf eine verschärfte Haftung bei anderweitiger Herausgabe – sogar darüber hinaus.
IV. Rechtsprechung Einschlägige Rechtsprechung ist auch für den Zeitraum zwischen 1870 und 1901 nicht nachweisbar. Erwähnenswert ist jedoch ein Urteil eines Würzburger Gerichts aus den frühen 1880er Jahren, über welches Kohler 1912 im Kontext der Autorenrücktrittsrechte berichtete208: So war 1879 eine Ausführung der als verschollen geglaubten ausgeführten Partitur von Richard Wagners nie vollendetem Erstlingswerk „Die Hochzeit“ bei einem Würzburger Musikalienhändler aufgetaucht. Wagner selbst hatte das Werk niemals in Verkehr gebracht, sondern sein eigenes Manuskript in den 1830er Jahren vernichtet. Fragmente blieben jedoch im Nachlass seiner ersten Ehefrau so206 Bähr,
S. 132. S. 155. 208 Eine Recherche ergab, dass es sich hierbei um das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 06.11.1880 „in Sachen des Komponisten Richard Wagner, derzeit in Bayreuth […] gegen den Musikalienhändler Kaspar Röser von hier [Bamberg] […] wegen Herausgabe eines Manuskripts“ handelt; siehe BayStA Würzburg, G 19168 – Abschrift: Landgericht Würzburg. Urtheils Buch Civilkr. II Band XXI p. 1880. 207 Binder,
IV. Rechtsprechung215
wie beim Würzburger Musikverein erhalten, wo Wagner 1832 Chordirigent geworden war.209 Wagner wandte sich an den Händler mit der Bitte um eine Preisbestimmung, woraufhin dieser eine astronomische Summe forderte. Der Komponist strengte daraufhin ein Verfahren gegen den Händler an und verlangte, dass das Manuskript „außer Verkehr gesetzt und ihm überantwortet werde“. Damit lag hier zwar eine Konstellation vor, welche grundsätzlich jener entsprach, welche nach allgemeiner Literaturmeinung hinter dem freien Rücktrittsrecht des Autors stand, nämlich der Wunsch des Autors, ein von ihm geschaffenes und bis dato nicht publiziertes Werk der Öffentlichkeit vorzuenthalten (ob dies im konkreten Fall daran lag, dass es sich um ein Werk aus Wagners Jugendzeit handelte, über welches der Komponist längst hinausgewachsen war, wie Kohler vermutete, oder ob Wagner, wie Glasenapp mutmaßte, das Manuskript aus purer Sentimentalität zurückerlangen wollte, kann dahingestellt bleiben210), doch fehlte es an der für einen Rücktritt konstitutiven Vertragsbeziehung zwischen dem Komponisten und dem Musikalienhändler. In der Folge verlor Wagner den Prozess in zweiter Instanz, wobei das Landgericht Würzburg insbesondere darauf verwies, dass dem Musikalienhändler nach dem Urheberrechtsgesetz von 1870 / 71 weder Nachdruck noch eine unberechtigte Aufführung zur Last gelegt werden könne, nicht zuletzt da das besagte Gesetz keinen präventiven Zweck verfolge. Auch sei der Händler als rechtmäßiger Eigentümer des Manuskripts unproblematisch zur Veräußerung desselben befugt. Dass Wagner angesichts des Umstandes, dass es sich um die einzige erhaltene Abschrift handelte, sein Autorrecht ohne den Besitz am Manuskript faktisch nicht mehr ausüben könne, könne nicht zulasten des beklagten Musikalienhändlers gehen: Vielmehr greife hier der Grundsatz, dass jeder den Schaden tragen müsse, welchen er sich selbst zugefügt habe211. Eine Entscheidung, die angesichts des Umstandes, dass höhere deutsche Gerichte damals regelmäßig der Rechtssicherheit gegenüber der Billigkeit den Vorzug gaben212, wenig verwundert. „Zu unrecht“, wie Kohler mit dem Hinweis bemerkte, dass hier „das reine Persönlichkeitsrecht […], losgelöst von den Banden des Vertragsverhältnisses“213 zutage trat.
209 Dazu ausführlich Balling, S. 3; Glasenapp, S. 185; ausführlich zu den urheberrechtlichen Problemen, mit welchen sich Wagner Zeit seines Schaffens konfrontiert sah, Wündisch, S. 7 ff. 210 Kohler, MuW 1912, S. 117; Glasenapp, S. 170. 211 BayStA Würzburg, G 19168 – Abschrift: Landgericht Würzburg. Urtheils Buch Civilkr. II Band XXI p. 1880, S. 7 ff. 212 Oestmann in forum historiae iuris, 10.05.2011, abrufbar unter http: / / www.forhistiur.de / 2011-05-oestmann / . 213 Kohler, MuW 1912, S. 117.
216 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
V. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Auch zwischen der Reichsgründung und dem Beginn der Arbeiten zum gesamtdeutschen Verlagsgesetz finden sich in der Literatur zahlreiche Äußerungen zu den Rücktrittsrechten. Im Hinblick auf das freie Rücktrittsrecht des Urhebers bzw. das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ist hier vor allem eine weitere Zunahme jener Stimmen zu verzeichnen, welche die subjektiv-persönlichkeitsschützende Dimension desselben in den Vordergrund rückten. Hatte man noch bis in die 1860er Jahre hinein betont, dass sowohl objektive als auch subjektive Umstände als Rücktrittsgründe in Betracht kamen, sprach man nun ganz überwiegend von persönlichen Gründen wie einem Wechsel des Glaubens oder der politischen Überzeugung, dem ideellen Zweck der Publikation, der Autorenehre, dem Schutz der bürgerlichsozialen Stellung des Autors sowie dessen literarisch-artistischer Verantwortlichkeit und deutete das Rücktrittsrecht als Ausfluss der „höchstpersönlichen Rechte“ des Autors. Zugleich bekräftigte man die Ablehnung eines „vollkommen willkürlichen“ Rücktrittsrechts, wobei man unter „Willkür“ primär die rechtsmissbräuchliche Ausübung dieses Gestaltungsrechts aus gewinnsüchtigen Motiven verstand214. Als probates Gegenmittel galt hier ungebrochen die verschärfte Haftung bei anderweitiger Herausgabe binnen einer bestimmten Frist nach erklärtem Rücktritt. Umstritten blieb die Frage nach der zeitlichen Reichweite des Rücktrittsrechts, wenngleich sich in der Literatur – sofern sie sich überhaupt zu dieser Frage äußerte – eine Tendenz dahingehend abzeichnete, den Rücktritt bis zum Beginn der Herausgabe zu gestatten. Die Befürworter zogen einerseits eine Linie zu bestehenden Gesetzen, d. h. dem preußischen Landrecht, und verwiesen andererseits auf den Umstand, dass sich die maßgeblichen Rücktrittsgründe auch nach der Ablieferung bzw. dem Beginn der Drucklegung (was die restriktiveren Ansichten als zeitliche Grenze ansahen) ereignen konnten. In den Entwürfen wie auch in der Literatur der 1840er, 50er und 60er Jahre war hinsichtlich der Frage der Offenlegungspflicht der Rücktrittsgründe bzw. deren gerichtlicher Prüfung ein Konsens insoweit festzustellen, als im Sinne der Missbrauchsprävention eine Überprüfung derselben stattfinden sollte. Hiervon rückten einzelne Autoren ab den 1870er Jahren wieder ab, ohne jedoch die Frage zu beantworten, wie ansonsten einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung des Rücktrittsrechts vorgebeugt werden sollte. Zahlenmäßig wie inhaltlich überschaubar blieben die Literaturäußerungen zum Rücktrittsrecht wegen Nicht- bzw. unzulänglicher Ausübung des Ver214 Zum Begriff der „Willkür“ und des „willkürlichen“ Rücktritts / Rücktrittsrecht siehe oben, C. III. 2. lit. b).
V. Zusammenfassung und Zwischenergebnis217
lagsrechts. Hier beschränkte man sich auf die Wiederholung bereits geäußerter Positionen bzw. verwies auf die diesbezüglich anerkannten Grundsätze. Vereinzelt postulierte man für den Fall der Nichtausübung auch eine Vertragsauflösung von Rechts wegen. Diese Ansichten blieben jedoch in der Minderheit und sollten sich auch langfristig nicht durchsetzen. Ausgesprochen heterogen gestalteten sich die ab den 1870er Jahren vorgelegten Entwürfe der Interessentenkreise, die eine Reaktion auf die Entscheidung der Reichsleitung darstellten, das Verlagsrecht nicht in das im Entstehen begriffene BGB zu inkorporieren, sondern mittelfristig in einem eigenständigen Gesetz zu regeln. So waren die von Verlegerseite erarbeiteten Vorschläge hinsichtlich des freien Rücktrittsrechts teils lediglich erweiterte Paraphrasierungen der §§ 1005 ff. ALR (wobei die Neuerungen primär den Haftungsumfang sowie die Nachhaftungsfrist betrafen, letztlich also bereits im Zuge der preußischen Verlagsrechtsreform der 1830er und 1840er Jahre angestrebte Änderungen umsetzten), teils gingen sie gänzlich andere Wege. Hier ist insbesondere die Verlagsordnung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu nennen, deren frühe Fassungen noch ein freies Rücktrittsrecht des Autors vorsahen, zugleich jedoch ein entsprechendes Institut für den Verleger normierten, was als „Vergewaltigung“ der Autorenrechte harsch kritisiert wurde. In der Folge strich man jedoch nicht nur das freie Rücktrittsrecht des Verlegers, sondern auch dasjenige des Urhebers und ersetzte es – obgleich man das Rücktrittsrecht des Urhebers als solches nicht hinterfragte – durch ein „Rücktrittsrecht“, welches nur im Einvernehmen mit der jeweils anderen Vertragspartei sowie bis zum Beginn des Drucks ausgeübt werden konnte und damit praktisch eher einem Aufhebungsvertrag glich. Überraschenderweise verzichtete der vom Deutschen Schriftstellerverband als Interessenvertretung der Autorenschaft ausgearbeitete Entwurf völlig auf ein freies Rücktrittsrecht bzw. ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände. Stattdessen beschränkte man sich auf eine Vertragsaufhebung von Rechts wegen, die jedoch nur in eng zu fassenden, der Unmöglichkeit gleichzusetzenden Fällen greifen sollte. Auch in den Entwürfen der sowohl mit Vertretern der Verleger- als auch der Autorenschaft besetzten ALAI sucht man ein entsprechendes Instrument vergebens, sofern man nicht bereit ist, das Rücktrittsrecht des Verlegers im Fall der Nichtablieferung des Manuskripts dem freien Rücktrittsrecht des Autors gleichzusetzen. Anders verhielt es sich hinsichtlich des Rücktrittsrechts des Urhebers wegen Nichtausübung: Mit Ausnahme von Schürmanns „Grundordnung“ sahen sämtliche Entwürfe der Interessentenkreise – gleich ob auf nationaler oder internationaler Ebene – entsprechende Regelungen vor, die sich einzig in ihrer Reichweite unterschieden. In der verlegerfreundlichsten Fassung – dem
218 D. Entwicklung im Kaiserreich bis zu den Verhandlungen zum VerlG v. 1901
Streißler-Entwurf – konnte der Urheber nur bei gänzlicher Nichtausübung des Verlagsrechts und auch nur dann, wenn der Verleger keinen „ausreichenden Grund“ für sein Unterlassen nachweisen konnte, vom Vertrag zurücktreten. Ebenso wenig verwundert es, dass der Entwurf des Deutschen Schriftsteller-Verbandes ein nicht von einer Nachfristsetzung abhängiges Rücktrittsrecht sowohl für den Fall der Nicht- als auch für den der Schlechtausübung statuierte. Die Verlagsordnung des Börsenvereins räumte dem Urheber lediglich bis zur Beendigung des Drucks ein Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung ein, welches überdies das fruchtlose Verstreichen einer Nachfrist voraussetzte, während die frühen Entwürfe der ALAI eine Nachfristsetzung zunächst für entbehrlich hielten, später jedoch wieder auf dieses Erfordernis zurückfielen. Die seitens der Jurisprudenz vorgelegten Entwürfe, namentlich der PlanckEntwurf und Bährs Gegenentwurf zum BGB, enthielten sowohl ein freies Rücktrittsrecht als auch ein Rücktrittsrecht für den Fall der Nichtausübung des Verlagsrechts. Der Entwurf Plancks begrenzte das freie Rücktrittsrecht dabei auf die Fälle, in welchen der Verlagsvertrag ein erst noch zu verfertigendes Werk betraf und gestattete ihn hier auch nur bis zur Ablieferung des Werkes, was im Widerspruch zu den Prämissen stand, welche Planck dem Rücktrittsrecht in seinen Motiven zugrunde legte. Für den Fall der Nichtausübung schlug Planck, der das Verlagsrecht im Sinne Kohlers als quasi-dingliches, aus dem Verlagsvertrag resultierendes Nutzungsrecht definierte, einen völlig neuen Weg ein, indem er kein Rücktrittsrecht, sondern vielmehr eine Aufhebung des Nutzungsrechts selbst vorsah (die allerdings erst nach rechtskräftiger Verurteilung des Verlegers möglich sein sollte). Dies hatte zur Folge, dass der Autor ein etwa schon entrichtetes Honorar einbehalten durfte. Bährs Gegenentwurf zum BGB, der sich erklärtermaßen u. a. am preußischen Landrecht orientierte und überdies einen besonderen Fokus auf die „geistigen Interessen“ der Urheber legte, sah gleichermaßen Rücktrittsrechte vor. Dabei war insbesondere das von ihm vorgesehene freie Rücktrittsrecht ausgesprochen autorenfreundlich: Es gestattete nicht nur den Rücktritt bis zur Veröffentlichung, sondern verzichtete auf eine Nachhaftung bei anderweitiger Herausgabe binnen einer bestimmten Frist nach erfolgtem Rücktritt. Insofern hätte der Entwurf der rechtsmissbräuchlichen Nutzung des Rücktrittsrechts Tür und Tor geöffnet. Ein Novum zugunsten des Urhebers war auch das von Bähr statuierte Vorkaufsrecht des Urhebers, wenn dieser nach der Publikation die weitere Verbreitung des Werkes „unterdrücken“ wollte. Hinsichtlich des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung beschränkte sich der Gegenentwurf indes auf das Unterlassen der Herausgabe, sah also die unzulängliche bzw. schlechte Ausübung des Verlagsrechts durch den Verleger nicht als Rücktrittsgrund vor. Überdies verlangte auch Bähr keine Nachfristsetzung.
V. Zusammenfassung und Zwischenergebnis219
De lege lata blieb jedoch das preußische Allgemeine Landrecht auch in den Jahren zwischen 1870 und 1900 die einzige deutsche Kodifikation, welche ein Rücktrittsrecht des Urhebers im Sinne der Forschungsfrage vorsah.
E. Die Rücktrittsrechte wegen veränderter Umstände und Nichtausübung im Verlagsgesetz von 1901 Im RJA wandte man sich nach einer längeren Pause, welche der hohen Auslastung der Behörde mit den Arbeiten am BGB und anderen Gesetzgebungsvorhaben geschuldet war, im Jahr 1897 der Ausarbeitung eines Verlagsgesetzentwurfs zu. Parallel dazu begannen die Arbeiten am Literatur urhebergesetz, welches ebenfalls 1901 in Kraft treten1, seinerseits jedoch keine urhebervertragsrechtlichen Regelungen enthalten sollte2. Die zeitgleiche Entstehung des Literatururhebergesetzes ist insofern bedeutsam, als darin erstmals auch einzelne Persönlichkeitsrechte des Urhebers normiert wurden (so insbesondere das Erstveröffentlichungsrecht, § 12 Abs. 1 LUG-Entwurf3 sowie das Abänderungsverbot, § 10 LUG-Entwurf), was zu einer sukzessiven Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Schutz der ideellen Interessen des Urhebers führte.4 Im September 1899 wurde ein erster Referentenentwurf (RefE) vorgelegt5, der sowohl ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände als auch Rück1 Siehe das Schreiben des Reichskanzlers Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst vom 27.04.1897, in welchem dieser Kaiser Wilhelm II. „allerunterthänigst“ bat, „Allergnädigst genehmigen zu wollen, daß der Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst, und der Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht aufgestellt werden“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 7. ausführlich zur Genese des LUG Bandilla, passim; ferner Vogel, GRUR 1987, S. 881. 2 So hieß es in dem Schreiben, in welchem der Reichskanzler am 11.07.1900 den Kaiser um die Ermächtigung bat, den Verlagsgesetzentwurf dem Bundesrat vorlegen zu dürfen, dass der parallel ausgearbeitete Entwurf des Literatururhebergesetzes „die Befugnisse bestimmt, die den Urhebern kraft Gesetzes gegenüber Jedem zustehen, dessen Verhalten ihrem Recht widerstreitet“, während es sich „bei dem Verlagsrecht um [die Regelung der] Beziehungen [handle], die für die Betheiligten durch Vertrag entstehen“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 152a v. 3 § 12 Abs. 1 LUG-Entwurf (amtliche Ausgabe, Berlin 1899) lautete: „Der Urheber ist ausschließlich befugt, das Werk zu vervielfältigen und gewerbsmäßig zu verbreiten“, § 10 LUG-Entwurf: „Wird das Recht des Urhebers beschränkt oder unbeschränkt übertragen, so darf der Erwerber an dem Werke selbst, an dessen Titel und an der Bezeichnung des Urhebers ohne Einwilligung des Urhebers keine Zusätze, Weglassungen oder sonstige Aenderungen vornehmen“. 4 Mogg, S. 199; zu den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Regelungen des LUG siehe Vogel, Verlagsrecht, S. 204 ff. und Bandilla, S. 158; speziell zu den Wechselwirkungen zwischen LUG und Verlagsrecht Vogel, FS GRUR, S. 1233 f.
I. Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 221
trittsrechte wegen Nichtausübung vorsah. Auf Grundlage sowohl des PlanckEntwurfs als auch der Verlagsordnung für den deutschen Buchhandel erarbeitet, wurde er im November 1899 einer ersten Revision unterzogen, an der auch Vertreter der Interessenverbände von Autorenschaft und Verlagsgewerbe teilhatten (II.). Eine zweite Überarbeitung im Anschluss an die Beratung des Entwurfs durch das preußische Justiz- und Kultusministerium brachte lediglich geringfügige Änderungen mit sich, von denen jedoch auch das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände betroffen war (III.). Anschließend wurde der Entwurf zur Beschlussfassung an den Bundesrat weitergeleitet und veröffentlicht, wobei erst dieser Fassung offizielle Motive beigegeben waren (IV.). Sie diente als Grundlage für die Stellungnahmen und Änderungsvorschläge der Interessentenkreise sowie der Jurisprudenz, die schwere Kritik insbesondere am Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände übten (V.). Parallel hierzu erfolgte die Behandlung im Bundesrat, welcher den Entwurf im Wesentlichen unverändert an den Reichstag weiterleitete (VI.). Erst die Reichstagsdebatte sowie die Beratungen der Gesetzgebungskommission führte zu weiteren Änderungen an den Rücktrittsrechten (VII.). Die Kritik riss jedoch auch nach Inkrafttreten des Gesetzes im Januar 1901 nicht ab, während in den Jahren bis 1918 die ersten gerichtlichen Entscheidungen zu den Rücktrittsrechten ergingen (VIII.).
I. Die Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 Der Referentenentwurf definierte das Verlagsrecht als das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes (§ 8 RefE)6, wobei der Werkbegriff lediglich Werke der Literatur- und Tonkunst umfasste (§ 1 RefE)7. Rücktrittsrechte des Autors wegen Nichtausübung waren in den §§ 35, 33 und 36 RefE vorgesehen (1.), während ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände in § 39 RefE statuiert wurde (2.). 5 Das handschriftliche Originaldokument, welches vermutlich aus der Hand des späteren Reichsgerichtspräsidenten Heinrich Delbrück stammt (so Mogg, S. 128 f.), findet sich in BArch, R 3001 / 6543, Bl. 33–44. Einen Nachdruck liefert Mogg, S. 240 ff. 6 § 8 RefE lautete: „In dem Umfang, in welchem der Verfasse nach den §§ 2 bis 7 verpflichtet ist, sich der Vervielfältigung und Verbreitung zu enthalten und sie dem Verleger zu gestatten, hat er, soweit nicht aus dem Vertrage sich ein Anderes ergibt, dem Verleger das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung (Verlagsrecht) zu verschaffen“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 34 v. 7 § 1 RefE lautete: „Durch den Verlagsvertrag über ein Werk der Literatur und der Tonkunst wird der Verfasser verpflichtet, dem Verleger das Werk zur mechanischen Vervielfältigung zu überlassen. Der Verleger ist verpflichtet, das Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten […]“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 33 r.
222
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Der handschriftliche Erstentwurf enthielt keinerlei Begründung, da er lediglich als Grundlage für die Beratungen mit Vertretern anderer Behörden und Sachverständigen dienen sollte8. Erst der Fassung, welche zur Beratung und Beschlussfassung im Bundesrat sowie zur Veröffentlichung in dessen Drucksachen bestimmt war, waren umfassende Motive beigegeben9, so dass im folgenden lediglich Unterschiede zum Vorentwurf Plancks bzw. zur Verordnung des Börsenvereins hervorgestellt und Implikationen herausgearbeitet werden, welche sich aus einer Zusammenschau mit anderen Vorschriften des Entwurfs und dessen Gesamtnatur ergeben. 1. Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Gemäß §§ 1, 17 VerlG-E war der Verleger verpflichtet, das Werk in der üblichen Weise zu vervielfältigen und zu verbreiten10, wobei sich das Verlagsrecht nach § 5 RefE im Zweifel nur auf eine Auflage erstreckte11. War der Verleger zur Veranstaltung weiterer Auflagen berechtigt, so traf ihn nach § 21 RefE auch eine korrespondierende Pflicht12. Für den Fall der Nichtausübung des Verlagsrechts durch den Verleger bestimmte § 35 RefE: „Beginnt der Verleger nicht rechtzeitig mit der Verbreitung des Werkes, so finden zugunsten des Verfassers die Vorschriften des § 33 entsprechende Anwendung“13.
§ 33 RefE lautete: „Wird das Werk ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig abgeliefert, so kann der Verleger, statt den Anspruch auf Erfüllung geltend zu machen, dem Verfasser eine ange8 Mogg,
S. 129. eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93; der (im Gegensatz zum Referentenentwurf leicht überarbeitete) Gesetzentwurf findet sich hier auf S. 1–10, die dazugehörigen Motive auf S. 11–49. 10 BArch, R 3001 / 6543, Bl. 33 r. (S. 1 des Entwurfs); § 17 RefE lautete: „Der Verleger ist verpflichtet, das Werk in der üblichen Weise zu vervielfältigen und zu verbreiten. Die Äußere Einrichtung und Ausstattung der Abzüge bestimmt unter Beobachtung der im Verlagshandel herrschenden Uebung der Verleger“, ebd., Bl. 36 v. (S. 8 des Entwurfs). 11 § 5 RefE lautete: „Auf Grund des Verlagsvertrags ist der Verleger im Zweifel nur berechtigt, eine Auflage zu veranstalten. Ist dem Verleger das Recht eingeräumt, eine neue Auflage zu veranstalten, so gelten für diese im Zweifel die gleichen Abreden wie für die zuletzt erschienene Auflage“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 34 r. (S. 3 des Entwurfs). 12 § 21 RefE lautete: „Ist der Verleger befugt, eine neue Auflage oder bei einem nicht in Auflagen erscheinenden Werke weitere Abzüge herzustellen, so ist er zu der Herstellung auch verpflichtet; er hat die Herstellung zu bewirken, sobald der Bestand vergriffen ist. Die Vorschriften des § 20 finden entsprechende Anwendung […]“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 37 r. / v. (S. 9 f. des Entwurfs). 13 BArch, R 3001 / 6543, Bl. 40 r. (S. 15 des Entwurfs). 9 Entwurf
I. Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 223
messene Frist zur Ablieferung mit der Erklärung bestimmen, daß er die Annahme der Leistung nach dem Ablaufe der Frist ablehne. Zeigt sich schon vor dem Zeitpunkt, in welchem das Werk nach dem Vertrag abzuliefern ist, daß das Werk nicht rechtzeitig abgeliefert werden wird, so kann der Verleger die Frist sofort bestimmen; die Frist muss so bemessen werden, daß sie nicht vor dem bezeichneten Zeitpunkt abläuft. Nach dem Ablaufe der Frist ist der Verleger berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn nicht das Werk rechtzeitig abgeliefert worden ist; der Anspruch auf Ablieferung des Werkes ist ausgeschlossen. Der Bestimmung einer Frist bedarf es nicht, wenn die rechtzeitige Herstellung des Werkes unmöglich ist oder von dem Verfasser verweigert wird oder wenn der sofortige Rücktritt von dem Vertrage durch ein besonderes Interesse des Verlegers gerechtfertigt wird. Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn die nicht rechtzeitige Ablieferung des Werkes für den Verleger nur einen unerheblichen Nachteil mit sich bringt. Durch diese Vorschriften werden die im Falle des Verzuges des Verfassers dem Verleger zustehenden Rechte nicht berührt“14.
Schließlich normierte § 36 RefE ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung für den Fall, dass der Verleger vertraglich lediglich zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes berechtigt, nicht aber verpflichtet war: „Ist der Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung berechtigt, aber nicht verpflichtet, so kann ihm der Verfasser zur Ausübung des Rechtes eine angemessene Frist bestimmen. Nach dem Ablaufe der Frist ist der Verfasser berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn nicht die Verbreitung rechtzeitig erfolgt ist. Der Bestimmung einer Frist bedarf es nicht, wenn die Vervielfältigung und Verbreitung von dem Verleger verweigert wird“15.
Mit den §§ 33, 35 RefE wich der Referentenentwurf vom Entwurf Plancks ab: Dessen auf das Nutzungsrecht selbst gerichteter Aufhebungsanspruch wurde nicht übernommen; stattdessen sah der Entwurf ein Rücktrittsrecht des Verfassers für den Fall vor, dass der Verleger die Verbreitung des Werkes nicht rechtzeitig begann bzw. gänzlich unterließ. Die Beschränkung auf die Verbreitung des Werkes hatte indes zur Folge, dass Fälle der nicht vertragsgemäßen Vervielfältigung, wie z. B. eine unzureichende Ausstattung oder inhaltliche Abänderungen, den Verfasser nicht zum Rücktritt berechtigten. Das Rücktrittsrecht war dabei grundsätzlich von der Setzung einer Nachfrist abhängig, die jedoch entbehrlich sein konnte, wenn der sofortige Rücktritt durch ein besonderes Interesse des Autors gerechtfertigt war. Eine Klage, wie sie Planck forderte, war demnach nicht vonnöten. Dafür erklärte 14 BArch, 15 BArch,
R 3001 / 6543, Bl. 39 v. / 40 r. (S. 14 f. des Entwurfs). R 3001 / 6543, Bl. 40 v. (S. 16 des Entwurfs).
224
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
§ 41 RefE16 die für das vertragsmäßige Rücktrittsrecht geltenden, vornehmlich das Rückgewährschuldverhältnis regelnden §§ 346 bis 356 des kurz vor dem Inkrafttreten stehenden Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB 1900)17 für anwendbar, was den zurücktretenden Autor insbesondere zur Herausgabe eines bereits erhaltenen Honorars verpflichtete18. Die §§ 33, 35 und 36 RefE statuierten somit einen Sonderfall des gesetz lichen Rücktrittsrechts, der im Gegensatz zu den Rücktrittsrechten nach §§ 325 und 326 BGB 190019 verschuldensunabhängig war (das in § 326 16 § 41 RefE lautete: „Auf das in §§ 33, 36, 39, 40 bestimmte Rücktrittsrecht finden die für das vertragsmäßige Rücktrittsrecht geltenden Vorschriften der §§ 346 bis 356 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung, Erfolgt der Rücktritt wegen eines Umstandes, den der andere Teil nicht zu vertreten hat, so haftet dieser nur nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung“. 17 Im Folgenden werden Vorschriften des BGB in Fassung RGBl. 1896, S. 195, Nr. 21, ausgegeben am 24.08.1896, in Kraft ab 01.01.1900 mit „BGB 1900“ gekennzeichnet. 18 § 346 BGB 1900 (lautete: „Hat sich in einem Vertrag ein Theil den Rücktritt vorbehalten, so sind die Parteien, wenn der Rücktritt erfolgt, verpflichtet, einander die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Für geleistete Dienste sowie für die Ueberlassung der Benutzung einer Sache ist der Werth zu vergüten oder, falls in dem Vertrag eine Gegenleistung in Geld bestimmt ist, diese zu entrichten“. 19 So lautete § 325 BGB 1900: „Wird die aus einem gegenseitigen Vertrage dem einen Theile obliegende Leistung in Folge eines Umstandes, den er zu vertreten hat, unmöglich, so kann der andere Theil Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder von dem Vertrage zurücktreten. Bei theilweiser Unmöglichkeit ist er, wenn die theilweise Erfüllung des Vertrags für ihn kein Interesse hat, berechtigt, Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit nach Maßgabe des §. 280 Abs. 2 zu verlangen oder von dem ganzen Vertrage zurückzutreten. Statt des Anspruchs auf Schadensersatz und des Rücktrittsrechts kann er auch die für den Fall des §. 323 bestimmten Rechte geltend machen. Das Gleiche gilt in dem Falle des §. 283, wenn nicht die Leistung bis zum Ablaufe der Frist bewirkt wird oder wenn zu dieser Zeit theilweise nicht bewirkt ist“; § 326 BGB 1900 lautete: „Ist bei einem gegenseitigen Vertrage der eine Theil mit der ihm obliegenden Leistung im Verzuge, so kann ihm der andere Theil zur Bewirkung der Leistung eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, daß er die Annahme der Leistung nach dem Ablaufe der Frist ablehne. Nach dem Ablaufe der Frist ist er berechtigt, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen oder von dem Vertrage zurückzutreten, wenn nicht die Leistung rechtzeitig erfolgt ist; der Anspruch auf Erfüllung ist ausgeschlossen. Wird die Leistung bis zum Ablaufe der Frist theilweise nicht bewirkt, so findet die Vorschrift des §. 325 Abs. 1 Satz 2 entsprechende Anwendung. Hat die Erfüllung des Vertrags in Folge des Verzugs für den anderen Theil kein Interesse, so stehen ihm die im Abs. 1 bezeichneten Rechte zu, ohne daß es der Bestimmung einer Frist bedarf“. Hierauf aufbauend bestimmte § 327 BGB 1900: „Auf das in den §§. 325, 326 bestimmte Rücktrittsrecht finden die für das vertragsmäßige Rücktrittsrecht geltenden Vorschriften der §§. 346 bis 356 entsprechende Anwendung. Erfolgt der Rücktritt wegen eines Umstandes, den der andere Theil nicht zu vertreten hat, so haftet dieser
I. Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 225
BGB 1900 normierte Rücktrittsrecht setzte als lex generalis zu §§ 33, 35, 36 RefE den Verzug des Schuldners voraus, der seinerseits gemäß § 285 BGB 1900 nicht eintreten konnte, wenn die Leistung in Folge eines Umstandes unterblieb, den der Schulder nicht zu vertreten hatte20). Von etwaigen Schadensersatzansprüchen war indes nicht mehr die Rede, so dass insofern ebenfalls die Regelungen des BGB Anwendung fanden (Schadensersatz wegen Nichterfüllung, §§ 28321, 325 BGB 1900). § 42 RefE bestimmte schließlich, dass bei einem Rücktritt nach vollständiger oder teilweiser Ablieferung des Werkes auch die teilweise Aufrechterhaltung des Vertrages möglich war22. Dass Plancks Vorschläge zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung verworfen wurden, dürfte in erster Linie an den dahinterstehenden bzw. damit zum Ausdruck kommenden dogmatischen Wertungen gelegen haben: So wurde im Referentenentwurf konsequent jedweder Verweis auf eine ding liche Ausgestaltung des Verlagsrechts getilgt, was auch den Aufhebungsanspruch aus § 31 PE betraf. Für diese Streichung liefert McGuire zwei mög liche und gleichermaßen plausible Erklärungen: Einerseits könnte die Streichung sämtlicher Hinweise auf eine quasi-dingliche Natur des Verlagsrechts nur nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung“. Ausführlich zum Rücktrittsmodell des BGB 1900 Hattenhauer, C., S. 144 ff. sowie zu dessen Genese Leser, S. 26 ff. 20 § 285 BGB 1900 lautete: „Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung in Folge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat“. Dieses Verschuldenserfordernis wurde erst im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung 2002 beseitigt, siehe dazu Harke, Schuldrecht, S. 166 f. 21 § 283 BGB 1900 lautete: „Ist der Schuldner rechtskräftig verurtheilt, so kann der Gläubiger ihm zur Bewirkung der Leistung eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, daß er die Annahme der Leistung nach dem Ablaufe der Frist ablehne. Nach dem Ablaufe der Frist kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, soweit nicht die Leistung rechtzeitig bewirkt wird; der Anspruch auf Erfüllung ist ausgeschlossen. Die Verpflichtung zum Schadensersatze tritt nicht ein, wenn die Leistung in Folge eines Umstandes unmöglich wird, den der Schuldner nicht zu vertreten hat“. 22 § 42 RefE lautete: „Wird der Rücktritt von dem Verlagsvertrag erklärt, nachdem das Werk ganz oder zum Theil abgeliefert worden ist, so hängt es von den Umständen ab, ob der Vertag theilweise aufrechterhalten bleibt. Es begründet keinen Unterschied, ob der Rücktritt auf Grund des Gesetzes oder eines Vorbehalts im Vertrag erfolgt. Im Zweifel bleibt der Vertrag insoweit aufrechterhalten, als er sich auf die nicht mehr im Besitze des Verlegers befindlichen Abzüge, auf vorhergehende Abtheilungen des Werkes oder auf frühere Auflagen erstreckt. Soweit der Vertrag aufrecht erhalten bleibt, kann der Verfasser einen entsprechenden Theil der Vergütung verlangen. Diese Vorschriften finden auch Anwendung, wenn der Vertrag in anderer Weise rückgängig [gemacht] wird“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 42 v., 43 r. (S. 20 f. des Entwurfs).
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
schlicht dem Umstand geschuldet sein, dass die Rechtsnatur desselben auch um 1900 noch nicht abschließend geklärt war23, andererseits scheint auch eine Orientierung an der Verlagsordnung des Börsenvereins denkbar, in welcher das Verlagsrecht in Anlehnung an die geltenden Gesetze sowie die zeitgenössische Kommentarliteratur rein obligatorisch ausgestaltet war24. Hinsichtlich des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung traf letzteres jedenfalls zu: § 33 RefE entsprach im Kern § 42 VO. Der Anwendungsbereich des § 36 RefE ergab sich aus einer Zusammenschau der Vorschrift mit anderen Regelungen bzw. Grundannahmen des Entwurfs: Zunächst waren die Regelungen des Referentenentwurfs – und damit insbesondere die den Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes verpflichtenden §§ 1, 17 und 21 RefE – ausweislich der Protokolle der (an späterer Stelle ausführlich behandelten) Sachverständigenberatungen dispositiver Natur, so dass die Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht abbedungen werden konnte25. Zum anderen konnte diese Pflicht, auch wenn sie nicht vertraglich ausgeschlossen worden war, nach § 20 RefE, der gemäß § 21 RefE auch für Neuauflagen Anwendung fand, nachträglich entfallen. Nach § 20 RefE war der Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes nicht (mehr) verpflichtet, „[…] 1. wenn in Folge neu eingetretener Umstände die bei dem Abschlusse des Vertrages vorausgesetzte Verkäuflichkeit des Werkes weggefallen ist und der Verfasser nicht für den dem Verleger erwachsenden Schaden Sicherheit leistet; 2. wenn Gegenstand des Vertrages ein Beitrag zu einem Sammelwerk ist und dieVervielfältigung des Sammelwerkes unterbleibt“26.
§ 20 RefE ist dabei exemplarisch für die grundlegende und auch im Kontext der Autorenrücktrittsrechte immer wieder aufscheinende Tendenz des Referentenentwurfs, die ökonomischen Interessen des Verlagsgewerbes im Zweifel höher zu gewichten als die (materiellen wie ideellen) Interessen des 23 McGuire,
S. 310 mit Verweis auf Mogg, S. 141 ff. S. 310 f. mit Verweis auf die ausführliche Betrachtung von Nolden, S. 46 ff. Zur Verlagsordnung des Börsenvereins und dem ihr zugrundeliegenden Verständnis des Verlagsrechts siehe oben, D. II. 4. 25 So wies der Vorsitzende der Gesetzeskommission, Staatssekretär im RJA Geheimrat Dr. Nieberding, die anwesenden Sachverständigen zu Beginn der vom 06. bis 09.11.1899 stattfindenden Beratungen ausdrücklich auf den subsidiären Charakter der Vorschriften des Entwurfs hin, siehe Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 1. Sitzung vom 06.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 80 r. (S. 3 der Protokolle). 26 BArch, R 3001 / 6543, Bl. 37 r. (S. 9 des Entwurfs). 24 McGuire,
I. Rücktrittsrechte im Referentenentwurf vom September 1899 227
Autors: Durch § 20 RefE wurde de facto das gesamte wirtschaftliche Risiko der Verlagsunternehmung auf den Autor abgewälzt.27 2. Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände § 39 RefE lautete: „Der Verfasser ist bis zur Ablieferung des Werkes berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn sich Umstände ergeben, die bei dem Abschlusse des Vertrags nicht vorauszusehen waren und ihn bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von dem Abschlusse des Vertrags zurückgehalten haben würden. Erklärt der Verfasser den Rücktritt, so ist er dem Verleger zum Ersatze der von diesem gemachten Aufwendungen verpflichtet. Gibt er innerhalb dreier Jahre seit dem Rücktritte das Werk anderweit heraus, so ist er zum Schadensersatze wegen Nichterfüllung verpflichtet; diese Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verfasser dem Verleger den Antrag, den Vertrag nachträglich zur Ausführung zu bringen, gemacht und der Verleger den Antrag nicht angenommen hat“28.
Sahen die bisherigen Entwürfe wie auch die Literaturstimmen in der Masse ein freies Rücktrittsrecht vor, so führte der Referentenentwurf selbiges wieder auf ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände zurück. Dieses wurde jedoch – insbesondere gegenüber § 1005 ALR – nochmals eingeschränkt, indem die Umstandsänderung allein als Rücktrittsgrund nicht mehr genügte. Vielmehr mussten die veränderten Umstände fortan unvorhersehbar und überdies so beschaffen sein, dass sie den Urheber bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles vom Vertragsschluss abgehalten hätten. Die Beweislast traf den Autor. Die Nachhaftungsdauer, binnen derer der Verfasser bei anderweitiger Herausgabe des Werkes zum Schadensersatz verpflichtet wurde, dehnte man gegenüber dem preußischen Landrecht auf drei Jahre nach dem Rücktritt aus, wobei es nicht zur Verhaftung des Verfassers kam, wenn er dem ersten Verleger zuvor erneut erfolglos den Verlag angeboten hatte. Im Hinblick auf den Umfang des Schadensersatzanspruches war nicht mehr vom Ersatz des entgangenen oder der Herausgabe des tatsächlich erzielten Gewinns die Rede. Stattdessen entschied man sich – in bewusster Anlehnung an die Terminologie des BGB29 – für die Wendung auch Mogg, S. 140, 143. R 3001 / 6543, Bl. 41 v. (S. 18 des Entwurfs). 29 Siehe abermals das Schreiben des Reichskanzlers zu Hohenlohe-Schillingsfürst an Wilhelm II. vom 27.04.1897: „Bei einer solchen Regelung [d. h. einer eigenständigen, reichseinheitlichen Verlagsrechtskodifikation] wird es sich darum handeln, unter thunlichster Wahrung der Vertragsfreiheit die allgemeinen Grundsätze des Bürger lichen Gesetzbuchs auf die Verhältnisse des Verlagsbuchhandels mit den Änderungen 27 So
28 BArch,
228
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
„Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ (§§ 325, 326 BGB 1900)30, welche gemäß §§ 249, 252 BGB 1900 auch den entgangenen Gewinn umfasste. Insofern wurde auch das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände klar zugunsten der Verlegerseite ausgestaltet.
II. Die Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung des Referentenentwurfs vom Dezember 1899 Im November 1899 wurde der Referentenentwurf im RJA mit Interessenvertretern aus den Kreisen der Schriftsteller, Journalisten, Komponisten und Verleger beraten31. Zu Beginn wies der Vorsitzende der Regierungskommission, Nieberding, ausdrücklich auf den offenen Ausgang der Verhandlungen hin, indem er betonte, dass der Referentenentwurf nicht die endgültige Position der Reichsverwaltung darstelle32. Während man das Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung relativ zügig abhandelte (1.), wurde im Kontext des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände u. a. eine Verkürzung der Nachhaftungsfrist sowie eine Erweiterung der Vorschrift auf den Fall der Übertragung des Verlagsrechts durch den Verleger gefordert (2.). Die im zu übertragen, welche deren besondere Natur mit sich bringt“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 6 v., 7 r. 30 Dazu oben, E. I. 1.; ausführlich zum Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung und der strittigen Frage nach dessen Verhältnis zum Rücktrittsrecht im BGB 1900 siehe v. Tuhr, DJZ 1904, Sp. 759 ff. 31 Siehe das entsprechende Einladungsschreiben Nieberdings vom 26.09.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 44a. Schrifstellervertreter waren der Herausgeber der Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Albert Osterrieth (Berlin), der Schriftsteller, Mitherausgeber der Altpreußischen Monatsschrift und erste Vorsitzende des Vereins Deutsche Presse Kammergerichtsrat a. D. Ernst Wichert (Berlin), der Korrespondent der Kölnischen Zeitung in Berlin und Rechtsanwalt am Kammergericht Franz Fischer, der Professor für Deutsche Rechtsgeschichte Heinrich Brunner (Berlin), der Schriftsteller Hermann Sudermann (Berlin), der Journalist und Kunstkritiker Otto Leixner v. Grünberg (Berlin-Lichterfelde) sowie der Professor für Maschinenbauwesen an der Technischen Hochschule Stuttgart Carl v. Bach. Daneben nahmen auch Vertreter der Komponisten teil. Seitens des Verlagswesens waren u. a. die Verleger Ferdinand Springer sen. (Berlin), Robert Voigtländer (Stuttgart) und Oskar Beck (München) sowie der erste Vorsteher des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler Carl Engelhorn (Stuttgart) erschienen. Seitens des RJA nahm eine Kommission unter Vorsitz Nieberdings teil, zu der u. a. der zwischenzeitlich zum Oberregierungsrat ernannte Dungs zählte; siehe die entsprechenden Antwortschreiben in BArch, R 3001 / 6543, Bl. 45–67, die Reisekostenabrechnung auf Bl. 75 f. sowie die Liste der anwesenden und entschuldigten Teilnehmer in Protokollen der Sachverständigenberatungen vom 6. bis 9.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl 79 f.; ausführlich zu den Beratungen Mogg, S. 149 ff. 32 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 1. Sitzung vom 06.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 79 r. (S. 1 der Protokolle).
II. Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung vom Dezember 1899229
Nachgang der Verhandlungen erstellte Neufassung des Referentenentwurfs berücksichtigte jedoch nicht nur die gefassten Beschlüsse, sondern enthielt darüber hinaus weitere, wenngleich auch nur geringfügigere Abänderungen (3.). 1. Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Zu § 35 RefE wurde ausweislich der Protokolle nicht das Wort verlangt. Auch § 33 RefE wurde – zumindest unter dem Aspekt des Autorenrücktritts wegen Nichtausübung – nicht weiter thematisiert33, während sich bei § 36 RefE lediglich der Hinweis findet, dass hier die im Rahmen der Beratung des § 20 gestellten Anträge wiederholt wurden34. Ein Blick auf diese Anträge lohnt sich allein deshalb, da § 20 RefE in überarbeiteter Fassung im Kontext des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände an späterer Stelle des Gesetzgebungsprozesses nochmals zur Sprache kommen sollte und neben der Abbedingung der Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht aus § 1 RefE bis dato den einzigen potentiellen Anwendungsfall des § 36 RefE darstellte. Vertreter des RJA betonten zunächst den ultima ratio-Charakter des § 20 RefE: Die Verpflichtung zur Verfielfältigung und Verbreitung, so unterstrichen sie, entfiele nicht bereits, wenn der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses angenommene Verkaufserfolg gemindert, sondern erst dann, wenn jedwede Verkaufsaussicht entfallen sei35. Entgegen seinem Wortlaut, wonach die Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht von Rechts wegen entfiel, stellte § 20 RefE demnach eine Einrede dar, was sich nicht zuletzt daran zeigte, dass man nicht versäumte zu betonen, dass der Verleger zwar von den genannten Verbindlichkeiten befreit, der Bestand des Vertrages im Übrigen aber nicht berührt werde36. Aus diesem Grund räume § 36 dem Verfasser das Recht ein, dem Verleger eine Frist zur Ausübung des Verlagsrechts zu setzen und nach deren fruchtlosem Ablauf vom Vertrag zurückzutreten. 33 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 4. Sitzung vom 09.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 100 v. (S. 44 der Protokolle). 34 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 4. Sitzung vom 09.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 101 r. (S. 45 der Protokolle). 35 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 93 v. (S. 29 der Protokolle). 36 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 93 v., 94 r. (S. 30 f. der Protokolle).
230
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Dies wiederum habe zur Folge, dass der Autor die Verfügungsgewalt über sein Werk zurückerhalte, zugleich aber seinen Honoraranspruch verliere. Auf diese grundlegenden Ausführungen hin beantragte u. a. der Urheberrechtsexperte Albert Osterrieth37 die gänzliche Streichung der Vorschrift mit der Begründung, dass die zu erwartende Verkäuflichkeit eines Werkes keine Rolle spielen dürfe, da jeder Verleger mit dem Risiko zu leben habe, dass ein Artikel unverkäuflich würde. Mindestens müsse § 20 RefE jedoch auf den Fall beschränkt werden, dass die Veröffentlichung völlig aussichtslos geworden sei. Die Verlegerseite empfahl, wenig überraschend, die Beibehaltung der Vorschrift, trat den Vertretern der Autoreninteressen aber insofern bei, als sie einräumte, dass der Wegfall des Honoraranspruchs des wegen Nichtausübung zurücktretenden Autors zu weit ginge. Darüber hinaus wurde eine Abänderung der Vorschrift dahingehend gewünscht, dass der Verleger, der sich auf § 20 RefE berief, den Autor hiervon in Kenntnis setzen müsse. Schließlich regte man an, den Zusammenhang zwischen § 20 und § 36 RefE deutlicher hervorzuheben.38 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch ein seitens der Verlegervertreter gestellter Änderungsantrag zu § 21 RefE: War bisher ein zu Neuauflagen berechtigter Verleger zugleich zur Veranstaltung derselben verpflichtet, sollte dem Verleger künftig die Möglichkeit gegeben werden, sich von dieser Verpflichtung zu lösen. Insofern befürwortete man eine dem § 30 VO39 entsprechende Neuregelung.40 2. Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände Auch das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände blieb im Kern unangetastet. Die Versammlung beantragte jedoch einstimmig, die NachhafPerson siehe Pahlow, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 214 ff. der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 94 r. (S. 31 der Protokolle). 39 § 30 VO lautete wortwörtlich: „Erstreckt sich der Vertrag auf mehrere Auflagen, so kann der Verfasser, wenn eine Auflage vergriffen ist, von dem Verleger die Erklärung verlangen, ob er in angemessener Frist eine neue Auflage veranstalten wolle. Verneint dies der Verleger oder erklärt er sich nicht binnen drei Monaten nach Empfang der Aufforderung, so darf der Verfasser die neue Auflage in anderm Verlage erscheinen lassen. Eine Auflage gilt als vergriffen, wenn der Verleger dauernd außer stande ist, die Nachfrage zu befriedigen“, siehe Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel, abgedruckt in BBl. 1893, Beilage zu No. 115, S. 3. 40 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 94 r. / v. (S. 31 f. der Protokolle). 37 Zur
38 Berathungen
II. Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung vom Dezember 1899231
tungsfrist von drei auf zwei Jahre zu verkürzen41. Von Seiten der Autorenvertreter wurde überdies die bereits in der Vergangenheit mehrfach vorgebrachte Ansicht wiederholt, dass eine Haftung des zurücktretenden Autors auf den entgangenen Gewinn nicht in Betracht kommen könne, wenn die Gründe für den Rücktritt in der Person des Verlegers lagen. In der Folge stellte ein Vertreter des RJA klar, dass § 39 RefE ohnehin nur Fälle im Auge habe, in welchen der Verfasser aus fachlichen (!) Gründen von der Herausgabe des Werkes abrückte. Die Person des Verlegers habe dabei außer Acht zu bleiben. Die Verlegerseite kritisierte daraufhin, dass diese Absicht in § 39 RefE nicht klar genug zum Ausdruck käme.42 Konkret bezog sich die Kritk auf die Wendung „von dem Abschlusse des Vertrages“ in § 39 Abs. 1 RefE a. E., welche einerseits so gedeutet werden konnte, dass die „sich ergebenden Umstände“ den Autor von dem Abschluss eines Verlagsvertrages (und damit der Herausgabe des Werkes) an sich hätten abgehalten haben müssen. Anderseits konnte man die Regelung auch so verstehen, dass besagte Umstände den Autor lediglich vom Abschluss eines Verlagsvertrags mit diesem konkreten Verleger hätten Abstand nehmen lassen müssen. Vor dem Hintergrund des § 30 RefE43, der dem Verleger die freie Übertragung des Verlagsrechts gestattete, forderte man seitens der Autoren zudem eine Ausdehnung des Rücktrittsrechts aus § 39 RefE auf den Fall, dass das Verlagsrecht vor Ablieferung des Werkes veräußert wurde, da der Verlagskontrakt in stärkerem Maße als andere Verträge auf einem Vertrauensverhältnis beruhe und man es seitens der Autorenschaft als unzumutbar und „mit der Würde der deutschen Schriftsteller unvereinbar [empfand], daß ihre Geistesprodukte […] wie Handelswaren feilgeboten würden“44. Dem widersprachen jedoch nahezu alle Vertreter des Verlagsgewerbes mit Verweis auf 41 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 4. Sitzung vom 09.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 101 v. (S. 46 der Protokolle). 42 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 4. Sitzung vom 09.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 101 v. (S. 46 der Protokolle). 43 § 30 RefE lautete: „Die Rechte des Verlegers aus dem Verlagsvertrage sind übertragbar. Die dem Verleger obliegende Vervielfältigung und Verbreitung kann auch durch den Rechtsnachfolger bewirkt werden. Übernimmt der Rechtsnachfolger dem Verleger gegenüber die Verpflichtung, das Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten, so haftet er dem Verfasser für die Erfüllung der aus dem Verlagsvertrage sich ergebenden Verbindlichkeiten neben dem Verleger als Gesammtschuldner [sic]. Die Haftung erstreckt sich nicht auf eine bereits begründete Verpflichtung zum Schadensersatz“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 38 v. / 39 r. 44 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 98 r. (S. 39 der Protokolle).
232
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
die Argumente, welche die Regierungsvertreter bereits im Zuge der Debatte zu § 30 RefE vorgebracht hatten. Demnach wären die materiellen Interessen der Autoren insbesondere durch die von § 30 RefE vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung von Veräußerer und Erwerber hinlänglich gesichert, während sich die Schriftsteller hinsichtlich der „so stark betonten ideellen Interessen“ damit abfinden sollten, dass sie „den unabweislichen Bedürfnissen des Gewerbes, dessen sie sich zur Verwerthung ihrer Geistesprodukte bedienten, Rechnung zu tragen hätten“. Insbesondere würde es den Kredit der Verleger völlig untergraben, wenn die Verwertung der Objekte, mit welchen sie ihr Gewerbe betreiben, durch ein Rücktrittsrecht zur Disposition der Autoren gestellt werden würde.45 Auch dies entsprach der verlegerbegünstigenden Gesamttendenz. In diesem Kontext ist wohl auch die kryptische Äußerung der Regierungsvertreter zu sehen, nach welcher für den Rücktritt nach § 39 RefE allein „fachliche“ Gründe maßgeblich sein dürften. 3. Die Umarbeitung des Referentenentwurfs zum Dezember 1899 Im Nachgang der Sachverständigenberatungen wurde seitens des RJA eine Reihe von Änderungen an den Bestimmungen des Referentenentwurfes vorgenommen. Die überarbeitete Fassung wurde im Dezember 1899 als „Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ (RefE n. F.) vorgelegt46, wobei auch die Vorschriften über das Rücktrittsrecht des Autors wegen Nichtausübung [a)] und veränderter Umstände [b)] einer Überarbeitung unterzogen worden waren. Hinsichtlich grundlegender Prämissen (Definition des Verlagsrechts, Dispositivität der Vorschriften, Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht des Verlegers) blieb der Referentenentwurf unverändert.47 a) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung § 35 RefE erfuhr eine Erweiterung dahingehend, dass das Rücktrittsrecht des (gegenüber dem Erstentwurf unverändert gebliebenen) § 33 RefE n. F. fortan auch anwendbar sein sollte, wenn das Werk nicht vertragsmäßig ver45 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 98 r. / v. (S. 40 der Protokolle) sowie Protokoll der 4. Sitzung vom 09.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 101 v., 102 r. (S. 46 f. der Protokolle). 46 BArch, 3001 / 6543, Bl. 107 r.–117 v.; ein Nachdruck findet sich bei Mogg, S. 248 ff. 47 Mogg, S. 157, der auf S. 155 ff. zugleich einen Überblick über die übrigen Änderungen gibt, die der Referentenentwurf infolge der Beratungen erfuhr.
II. Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung vom Dezember 1899233
vielfältigt wurde.48 Die auf diese Weise geschlossene Regelungslücke gewährleistete, dass der Autor auch dann zutreten konnte, wenn der Verleger in quantitativer oder qualitativ-inhaltlicher Hinsicht gegen seine Pflicht zur ordnungs- bzw. vertragsgemäßen Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes verstieß. Diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 35 RefE n. F. überrascht insofern, als in der Sachverständigendebatte zu § 35 RefE keinerlei Wortmeldungen erfolgt waren49. Sie lässt sich jedoch aus einer Zusammenschau der Sachverständigenberatungen und Änderungen zu anderen, vornehmlich die Veröffentlichungspflicht des Verlegers und damit verbundene Fragen betreffenden Vorschriften erhellen: So wurde das noch in § 13 RefE vorgesehene Recht des Verlegers, bei erst nach Vertragsschluss herzustellenden Werken Änderungen zu verlangen, sofern ihm dies im Hinblick auf den Absatz des Werkes geboten erschien50, mit Verweis auf die sonst drohende „unerträgliche Abhängigkeit“51 der Autoren von den geschäftlichen Verlegerinteressen ersatzlos gestrichen und in § 16 RefE n. F ein unbedingtes Abänderungsverbot statuiert52. Dass hier das in § 10 des LUG-Entwurfs vorgesehene Änderungsverbot eine Rolle gespielt hat, liegt nicht nur nahe, sondern ergibt sich aus den später veröffentlichten Motiven zu § 16 RefE n. F., welche ausdrücklich auf diese Vorschrift des Literatururhebergesetzentwurfs verwiesen53. Weiterhin hatte man im Rahmen der Sachverständigenerörterung zu § 17 RefE, der den Verleger verpflichtete, das Werk in der üblichen Weise zu vervielfältigen und zu verbreiten, ihm aber zugleich relativ freie Hand hinsichtlich der Einrichtung und Ausstattung desselben ließ54, zu bedenken gegeben, dass in der Vergangenheit Autoren durch eine falsche Illustration 48 BArch,
R 3001 / 6543, Bl. 112 v., 113 r. / v. (S. 11 ff. des Entwurfs n. F.). oben, E. II. 1. 50 § 13 RefE lautete im Wortlaut: „Soll das Werk erst nach dem Abschluße des Verlagsvertrags hergestellt werden, so kann bis zu dem Beginne der Verbreitung der Verleger von dem Verfasser die Vornahme solcher Aenderungen verlangen, die durch die Rücksicht auf den Absatz des Werkes erfordert werden und nicht ein berechtigtes Interesse des Verfassers verletzen […]“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 35 v. (S. 6 des Entwurfs). 51 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 2. Sitzung vom 07.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 90 v. (S. 24 der Protokolle). 52 § 16 RefE n. F. lautete fortan: „Der Verleger darf an dem Werk keine Aenderungen vornehmen“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 109 v. (S. 6 des Entwurfs n. F.). 53 Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93, S. 25. 54 § 17 RefE lautete im Wortlaut: „Der Verleger ist verpflichtet, das Werk in der üblichen Weise zu vervielfältigen und zu verbreiten. Die äußere Einrichtung und Aus49 Siehe
234
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
und vergleichbare Vorkommnisse auf das schwerste geschädigt worden seien55. In der Folge nahm man auch hier eine Präzisierung vor, nach welcher der Verleger fortan auch den Charakter des Werkes selbst zu berücksichtigen hatte56. Im Hinblick auf § 18 RefE, der dem zur Herstellung einer bestimmten Zahl von Vervielfältigungsstücken berechtigten Verleger auch eine korrespondierende Verpflichtung auferlegte57, befürchtete man eine schädigende Auswirkung zulasten des Verlagsgewerbes, wenn ein in hoher Auflage hergestelltes Werk nicht den erwarteten Absatz finde. Stattdessen schlug man vor, die Regelung derart abzuändern, dass der Verleger nicht mehr verpflichtet war, die vereinbarte Zahl an Werkstücken herzustellen, jedoch für den Fall, dass er hinter der vertraglich vereinbarten Auflagenhöhe zurückblieb, sein Recht zur Herstellung der Differenz erlosch. Damit zeigte sich jedoch weder die Autoren- noch die Verlegerseite einverstanden. Insbesondere die Autorenvertreter verwiesen darauf, dass sie „auf die vollständige Herstellung der Auflage Werth legen müßten, da die Verbreitung um so energischer betrieben würde, je größer die Zahl der abzusetzenden Exemplare sei“58. In der Folge behielt § 19 Abs. 1 S. 1 RefE n. F. die unbedingte Vervielfältigungspflicht des Verlegers bei.59 Für den Fall, dass eine exakte Auflagenhöhe nicht vereinbart oder der Verleger vertraglich auch zur Herstellung einer geringeren stattung bestimmt unter Beobachtung der im Verlagshandel herrschenden Uebung der Verleger“, BArch / B R 3001 / 6543, Bl. 36 v. (S. 8 des Entwurfs). 55 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 92 v. (S. 28 der Protokolle). 56 Siehe die Neufassung in BArch, R 3001 / 6543, Bl. 109 v. / 110 r. (S. 6 f. des Entwurfs n. F.). 57 § 18 RefE lautete im Wortlaut: „Der Verleger ist verpflichtet, diejenige Zahl von Abzügen herzustellen, welche er nach dem Vertrag oder gemäß § 6 Abs. 1 herzustellen berechtigt ist“, siehe BArch, R 3001 / 6543, Bl. 36 v. (S. 8 des Entwurfs); § 6 Abs. 1 RefE legte fest: „Ist die Zahl der Abzüge nicht bestimmt, so steht die Bestimmung dem Verleger zu. Die Bestimmung erfolgt durch eine vor dem Beginn der Vervielfältigung dem Verfasser zu machende Mittheilung. Unterläßt der Verleger die Mittheilung, so darf er nur eintausend Abzüge herstellen […]“, siehe BArch, R 3001 / 6543, Bl. 34 v. (S. 3 des Entwurfs). 58 Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 93 r. / v. (S. 29 f. der Protokolle). 59 Im Wortlaut: „Der Verleger ist verpflichtet, diejenige Zahl von Abzügen herzustellen, welche er nach dem Vertrag oder gemäß den §§. 5, 6 herzustellen berechtigt ist“. Dabei entsprach § 5 RefE n. F. im Wesentlichen § 6 RefE; § 6 RefE n. F. betraf allein Werke, die nicht in Auflagen erschienen (z. B. Zeitschriften) und bleibt hier außer Acht, siehe BArch, R 3001 / 6543, Bl. 107 v., 108 r. (§§ 5, 6 RefE n. F., S. 2 f. des Entwurfs n. F.), 110 r. (§ 19 RefE n. F., S. 7 des Entwurfs n. F.).
II. Rücktrittsrechte in der Revisionsfassung vom Dezember 1899235
Anzahl von Werkexemplaren befugt war, verpflichtete § 19 Abs. 1 S. 2 RefE n. F. denselben dazu, zu gewährleisten, dass der Bestand nicht vergriffen wurde. Vor dem Hintergrund dieser Äußerungen, welche teils persönlichkeits-, teils vermögensrechtliche Aspekte der Vervielfältigungspflicht des Verlegers klar zutage treten ließen, erscheint es daher naheliegend, dass zur Absicherung des Anspruchs des Autors auf ordnungsgemäße Vervielfältigung in inhaltlicher, qualitativer und quantitativer Hinsicht das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung in § 35 RefE n. F. auf Fälle nicht vertrasgemäßer Vervielfältigung ausgedehnt wurde. § 36 RefE erhielt folgende Neufassung (Änderungen nicht kursiv): „Ist der Verleger zur Herstellung einer neuen Auflage oder einer weiteren Zahl von Abzügen berechtigt aber nicht verpflichtet, so kann ihm der Verfasser zur Ausübung des Rechtes eine angemessene Frist bestimmen. Nach dem Ablaufe der Frist ist der Verfasser berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn nicht die Verbreitung rechtzeitig erfolgt ist. Der Bestimmung einer Frist bedarf es nicht, wenn die Vervielfältigung und Verbreitung von dem Verleger verweigert wird“60.
In Umsetzung des Antrags der Verleger hatte man in § 21 RefE n. F. die Verpflichtung des zu Neuauflagen berechtigten Verlegers zur tatsächlichen Veranstaltung derselben gestrichen und in § 19 Abs. 2 RefE n. F. ausdrücklich klargestellt, dass fortan ein zur Veranstaltung einer Neuauflage berechtigter Verleger nicht mehr verpflichtet sei, von diesem Recht auch tatsächlich Gebrauch zu machen61. Dem wiederum trug die Neufassung des § 36 RefE Rechnung. Vermutlich um den Autor nicht unnötig von einer im Zweifel schwerlich erzwingbaren Erklärung des Verlegers abhängig zu machen, setzte § 36 RefE n. F. an die Stelle der in § 30 VO vorgesehenen Erklärungspflicht des Verlegers ein Rücktrittsrecht des Autors. Weiterhin hatte die Überarbeitung zur Folge, dass der Autor im Falle einer vertraglichen Abbedingung der Vervielfältigungpflicht für die Erstauflage nicht mehr zum Rücktritt befugt war. Den zweiten Grund für die Abänderung des § 36 RefE stellte die Neufassung des § 20 RefE dar: Hier hatten die Interessenvertreter der Autorenschaft gefordert, dass ein sich auf diese Vorschrift berufender Verleger verpflichtet werden sollte, dem Autor seine Nichtausübungsabsicht ausdrücklich anzuzeigen.62 In der Folge sah § 20 RefE n. F. nunmehr ein Kündigungsrecht des Verlegers mit folgendem Wortlaut vor: 60 BArch,
R 3001 / 6543, Bl. 113 v. (S. 14 des Entwurfs n. F.). R 3001 / 6543, Bl. 110 r. (S. 7 des Entwurfs n. F.). 62 Siehe oben, E. II. 1. 61 BArch,
236
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
„Der Verleger kann sich von der Pflicht zur Vervielfältigung und Verbreitung durch Kündigung des Vertrages befreien: 1) wenn der Zweck, welchem das Werk dienen sollte, nach dem Abschlusse des Vertrags weggefallen ist und der Verfasser nicht für den dem Verleger erwachsenden Schaden Sicherheit leistet; 2) wenn Gegenstand des Verlagsvertrags ein Beitrag zu einem Sammelwerk ist und die Vervielfältigung des Sammelwerks unterbleibt. Mit der Kündigung endigt das Vertragsverhältnis; der Anspruch des Verfassers auf die Vergütung bleibt unberührt“63.
Damit war die Möglichkeit, dass die Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht des Verlegers nachträglich ipso iure entfiel – von Fällen tatsächlicher Unmöglichkeit abgesehen – ausgeschlossen. Überdies wurde § 20 RefE n. F., gleichsam der Kritik der Sachverständigen folgend, deutlich entschärft: So wurde insbesondere die Möglichkeit des Verlegers, von der Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes bei Unverkäuflichkeit absehen zu dürfen, fallen gelassen. b) Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände § 39 RefE n. F. lautete (Änderungen nicht kursiv): „Der Verfasser ist bis zur Ablieferung des Werkes berechtigt, von dem Verlagsvertrage zurückzutreten, wenn der Verleger seine Rechte einem Dritten auf Grund eines Kaufvertrages überträgt, der nur über einzelne Werke geschlossen wird. Das Gleiche gilt, wenn sich Umstände ergeben, die bei dem Abschlusse des Verlagsvertrags nicht vorauszusehen waren und den Verfasser bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes zurückgehalten haben würden. Erklärt der Verfasser auf Grund der Vorschrift des Abs. 1 Satz 2 den Rücktritt, so ist er dem Verleger zum Ersatze der von diesem gemachten Aufwendungen verpflichtet. Gibt er innerhalb zweier Jahre seit dem Rücktritte das Werk anderweit heraus, so ist er zum Schadensersatze wegen Nichterfüllung verpflichtet; diese Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verfasser dem Verleger den Antrag, den Vertrag nachträglich zur Ausführung zu bringen, gemacht und der Verleger den Antrag nicht angenommen hat“64.
Die Vorschrift des § 39 RefE n. F. war somit um ein Rücktrittsrecht des Autors für den Fall der Veräußerung des Verlagsrechts nach § 30 RefE n. F. ergänzt worden (§ 39 Abs. 1 S. 1 RefE n. F.). Dies verwundert insofern, als sich Verleger- und insbesondere Regierungsvertreter während der Sachverständigenverhandlungen noch vehement gegen ein derartiges Rücktrittsrecht 63 BArch, 64 BArch,
R 3001 / 6543, Bl. 110 r. / v. (S. 7 f. des Entwurfs). R 3001 / 6543, Bl. 114 r. / v. (S. 15 f. des Entwurfs n. F.).
III. Begutachtung durch preußisches Justiz- u. Kultusministerium im Jan. 1900237
ausgesprochen hatten. Es ist jedoch anzunehmen, dass man den Autoren, deren entschiedener Widerspruch gegen § 30 RefE65 selbst keine Früchte getragen hatte, damit zumindest ein Stück weit entgegenkommen wollte66. Ferner folgte man dem Beschluss der Sachverständigenkonferenz, die Nachhaftungsfrist bei anderweitiger Herausgabe von drei auf nunmehr zwei Jahre herabzusetzen. Im Übrigen entsprach § 39 RefE n. F. der vorhergehenden Fassung. Dies galt auch für die Masse aller übrigen Normen des Referentenentwurfs, die gleichermaßen keine grundlegenden Änderungen erfuhren, die Wünsche der Sachverständigen also im Wesentlichen unberücksichtigt ließen67.
III. Die Begutachtung durch das preußische Justiz- und Kultusministerium im Januar 1900 Vor seiner Weiterleitung an den Bundesrat wurde der Entwurf am 23. Januar 1900 noch einer Begutachtung durch das preußische Justiz- und Kultusministerium unterzogen68. Auf diese Weise versicherte sich das RJA der Unterstützung des größten und bedeutendsten Bundesstaates des Deutschen Reiches in den anschließenden Bundesratsverhandlungen.69 Von den im Zuge dieser Beratung beschlossenen – in der Masse nur geringfügigen – Änderungen70 war auch das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände betroffen. Ausgangspunkt war § 14 RefE n. F.71, nach welchem der Verleger dem Autor bei Neuauflagen Gelegenheit zur Vornahme von Änderungen am Werk zu geben hatte, soweit diese nicht im Widerspruch zu berechtigten Interessen des Verlegers standen. Einem Vertreter des preußischen Kultus ministeriums war diese Formulierung zu eng, da bisweilen aus fachlichen 65 So die Autorenvertreter im Rahmen der Beratungen des Referentenentwurfs, siehe Berathungen der Grundzüge eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll der 3. Sitzung vom 08.11.1899, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 98 r. (S. 39 der Protokolle). 66 So auch die Vermutung von Mogg, S. 155. 67 Siehe die umfassende Darstellung bei Mogg, S. 155 ff. 68 Siehe die Antwortschreiben des preußischen Justiz- sowie des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten auf die Zusendung des Gesetzentwurfs vom 05. und 13.01.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 118 und 120. 69 So Mogg, S. 158 mit Verweis auf Schulte-Nölke, S. 66 ff. 70 Protokoll der Beratung des Gesetzentwurfs am 23.01.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 121–124; einen Überblick über sämtliche vorgenommenen Änderungen liefert Mogg, S. 158 f. 71 § 14 RefE n. F. lautete: „Wird eine neue Auflage veranstaltet, so darf der Verfasser Aenderungen an dem Werk vornehmen, soweit nicht dadurch ein berechtigtes Interesse des Verlegers verletzt wird. Vor der Veranstaltung der Auflage hat der Verleger dem Verfasser zur Vornahme der Aenderungen Gelegenheit zu geben“, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 109 v. (S. 6 des Entwurfs).
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Gründen oder gewichtigen persönlichen Umständen auf Seiten des Verfassers Änderungen geboten sein konnten, die eine Verminderung des Absatzes befürchten ließen und insofern die Verlegerinteressen beeinträchtigten. Dennoch dürfe es dem Verleger in diesem Fall nicht gestattet werden, eine unveränderte Neuauflage zu veranstalten. Hierauf führte die Gegenseite aus, dass Fälle, in welchen der Verleger gebotene Änderungen unter Berufung auf seine berechtigten Interessen ablehnen dürfe, ohnehin seltene Ausnahmen seien. Dem Autor dürfe hingegen nicht die Möglichkeit eröffnet werden, durch willkürliche Änderungen das Recht des Verlegers zur Neuauflage zu beeinträchtigen. Daher dürfe diesem der Rücktritt nur unter solchen Umständen gestattet werden, bei deren Vorliegen er auch nach § 39 Abs. 1 S. 2 RefE n. F. zum Rücktritt berechtigt wäre. Auf diese Weise sollten insbesondere Fälle abgedeckt werden, in welchen veränderte Umstände Änderungen bei einer Neuauflage notwendig machten, sich aber keine Einigung zwischen den Parteien erzielen ließ72. Mit diesem Vorschlag gab sich der Vertreter des preußischen Kultusministeriums zufrieden73. Ausweislich der im Nachgang der Beratung verfertigten Liste der zu ändernden Vorschriften, sollte § 39 RefE n. F. künftig folgendermaßen lauten (Änderungen nicht kursiv): „Bis zur Ablieferung des Werkes ist der Verfasser berechtigt, von dem Verlagsvertrage zurückzutreten, wenn der Verleger seine Rechte einem Dritten auf Grund eines Kaufvertrags überträgt, der nur über einzelne Werke geschlossen wird. Bis zum Beginne der Vervielfältigung ist der Verfasser berechtigt, von dem Verlagsvertrage zurückzutreten, wenn sich Umstände ergeben, die bei dem Abschlusse des Vertrags nicht vorauszusehen waren und den Verfasser bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe zurückgehalten haben würden. Ist der Verleger befugt, eine neue Auflage zu veranstalten, so findet für die Auflage diese Vorschrift entsprechende Anwendung. Erklärt der Verfasser auf Grund der Vorschrift des Abs. 2 den Rücktritt, so ist er dem Verleger zum Ersatze der von diesem gemachten Aufwendungen verpflichtet. Giebt er innerhalb zweier Jahre seit dem Rücktritte das Werk anderweit heraus, so ist er zum Schadensersatze wegen Nichterfüllung verpflichtet; diese Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verfasser dem Verleger den Antrag, den Vertrag nachträglich zur Ausführung zu bringen, gemacht und der Verleger den Antrag nicht angenommen hat“74.
Den Wünschen des preußischen Kultusministeriums wurde dadurch Rechnung getragen, dass man den Rücktritt wegen veränderter Umstände, der zu 72 Berathung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll vom 23.01.1900, BArch, 3001 / R 6543, Bl. 121 v. 73 Berathung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Protokoll vom 23.01.1900, BArch, 3001 / R 6543, Bl. 122 r. 74 BArch, 3001 / R 6543, Bl. 124 r.
IV. Offizielle Motive zu den Rücktrittsrechten239
vor lediglich bis zur Ablieferung des Werkes zulässig war, fortan bis zum Beginn der Vervielfältigung gestattete. Wie aus dem Besprechungsprotokoll hervorgeht, ergab sich dies jedoch nicht aus der Einsicht, dass sich zwischen Ablieferung des Werkes und Vervielfältigungsbeginn gleichermaßen Umstände ändern konnten. Vielmehr wollte man dem Autor bei Neuauflagen Abänderungen seines Werkes gestatten, zumal für den Fall einer zwischenzeitlich gewandelten Überzeugung oder neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Sofern den geplanten Änderungen jedoch „berechtigte Interessen“ des Verlegers entgegenstanden (hier zeigt sich erneut die Fokussierung der Entwürfe auf die Verlegerinteressen) und in der Folge eine Einigung zwischen Autor und Verleger nicht zustande kam, sollte ersterem (zumindest) der Rücktritt erlaubt sein. Dies wurde in dem neu eingefügten letzten Satz („Ist der Verleger befugt […]“) eigens klargestellt.
IV. Die offiziellen Motive zu den Rücktrittsrechten: Die Bundesratsfassung des „Entwurfs eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ Im Anschluss an die Beratung mit den preußischen Spitzenbehörden wurde der abgeänderte Entwurf durch das RJA – noch ohne Motive – am 14. Juli 1900 im Reichsanzeiger veröffentlicht75, ehe er schließlich durch „Allerhöchste Verfügung“ Wilhelms II., abermals unter der Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ (VerlG-E), am 7. September 1900 in den Bundesrat eingebracht wurde76. In dem Schreiben, in welchem Reichskanzler zu Hohenlohe-Schillingsfürst den Kaiser um die Ermächtigung zur Vorlage an den Bundesrat bat, betonte dieser, dass die Neufassung des Entwurfs insbesondere von dem Gedanken getragen werde, die Autoren gegen Übervorteilung durch die Verleger zu sichern, zumal diese durch ihre Geschäftsgewandtheit und praktische Erfahrung bereits ausreichend geschützt, die Autoren als der schwächere Teil hingegen besonders zu berücksichtigen seien77. Eine Äußerung, die angesichts der im Zuge der Aus 75 Siehe ein entsprechendes Schreiben des RJA vom 04.07.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 148 sowie die Pressemeldung in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung Nr. 163 vom 15.07.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 153 (der handschriftliche Entwurf der Pressemeldung findet sich ebenfalls in den Akten, siehe BArch, R 3001 / 6543, Bl. 151 f.). 76 Schreiben des Reichskanzlers zu Hohenlohe-Schillingsfürst mit entsprechender Randnotiz vom 11.07.1900, BArch, R 3001 / 6543, S. 152a; der Entwurf findet sich in den Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93 und erschien als amtliche Ausgabe in der Verlagsbuchhandlung Guttentag, Berlin 1900. 77 Schreiben des Reichskanzlers zu Hohenlohe-Schillingsfürst mit entsprechender Randnotiz vom 11.07.1900, BArch, R 3001 / 6543, S. 152b v.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
arbeitung der Entwürfe immer wieder betonten besonderen Schutzwürdigkeit des Verlagsgewerbes durchaus bemerkenswert erscheint. Die Bundesratsfassung, welche inhaltlich dem überarbeitenden Referentenentwurf unter Einarbeitung der Wünsche der preußischen Ministerien entsprach, verdient insofern Beachtung, als ihr – ganz im Gegensatz zu den unterschiedlichen Fassungen des Referentenentwurfs – offizielle Motive beigegeben waren. 1. Die Motive zu den Rücktrittsrechten wegen Nichtausübung In den Motiven zu §§ 33, 35 VerlG-E hieß es schlicht, dass der Verfasser im Falle des Verzugs des Verlegers gemäß §§ 326, 327 BGB 190078 auch ohne vorherige gerichtliche Verfolgung seines Erfüllungsanspruchs vom Vertrag zurücktreten dürfe. Insbesondere gebe ihm § 35 VerlG-E das Recht, bei Nichtausübung des Verlagsrechts unabhängig von einem diesbezüglichen Verschulden des Verlegers vom Vertrag zurückzutreten. Darüberhinaus finde die Vorschrift auch dann Anwendung, wenn der Verleger die Veranstaltung einer Neuauflage pflichtwidrig unterlasse79. Weitere Worte verlor die Begründung zum Rücktrittsrecht aus §§ 33, 35 VerlG-E nicht. Zu § 36 VerlG-E trafen die Motive ebenfalls keine Aussage. Allein in der Begründung zu § 19 VerlG-E hieß es, dass die Frage, ob die Berechtigung des Verlegers zu weiteren Auflagen zugleich eine entsprechende Verpflichtung mit sich bringe, in den Kodifikationen anderer Staaten kontrovers geregelt werde, man sich jedoch im Anschluss an Art. 380 des Schweizer Obligationenrechts80 dafür entschieden habe, dass das mit Neuauflagen verbundene wirtschaftliche Risiko zu groß sei, um es dem hierzu an sich befugten Verleger im Wege einer unbedingten Verpflichtung aufzuerlegen. Im Gegenzug gestatte § 36 VerlG-E dem Autor den Rücktritt, falls der Verleger binnen angemessener Frist von seinem Recht keinen Gebrauch mache.81
78 Zu
§§ 326 f. BGB 1900 siehe oben, E. I. 1. eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93, S. 38. 80 § 380 des schweizer Obligationenrechts (Bundesblatt Nr. 26 vom 18.06.1881) lautete: „Wurde das Verlagsrecht für mehrere Auflagen oder für alle Auflagen übertragen und versäumt es der Verleger, eine neue Auflage zu veranstalten, nachdem die lezte vergriffen ist, so kann der Verlaggeber demselben gerichtlich eine Frist zur Herstellung einer neuen Auflage ansezen laßen, nach deren fruchtlosem Ablauf der Verleger sein Recht verwirkt“. 79 Entwurf
IV. Offizielle Motive zu den Rücktrittsrechten241
2. Die Motive zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände In der Begründung zu § 39 VerlG-E hieß es zunächst allgemein, dass sich die Umstände, unter welchen sich der Verfasser zur Veröffentlichung entschlossen habe, nach Vertragsschluss ändern konnten. Neben Veränderungen äußerer Verhältnisse könne dabei insbesondere ein Wechsel in den eigenen Anschauungen den Autor dazu veranlassen, von der Herausgabe des Werkes Abstand zu nehmen. Da dieses Risiko jedwedem künstlerischen und schriftstellerischen Schaffen immanent sei, müsse auch der Verleger von vornherein mit dieser Möglichkeit rechnen. Mit der gesetzlichen Anerkennung eines derartigen Rücktrittsrechts trüge man deshalb lediglich dem Naturell des Verlagsvertragsverhältnisses an sich Rechnung. Im Wesentlichen blieb man damit der althergebrachten Begründung treu, dass die Nichterzwingbarkeit schöpferischer Tätigkeiten ein Rücktrittsrecht unverzichtbar mache. Im Hinblick auf die Restriktion des freien Rücktrittsrechts zugunsten eines Rücktrittsrechts wegen „unvorhersehbarer Umstände“ betonten die Motive zunächst zutreffend, dass sowohl die Literatur zum preußischen Landrecht als auch die Literatur zum „gemeinen Recht“ dem Autor regelmäßig einen Rücktritt nach eigenem Gütdünken freistelle. Dies führe jedoch – so die pauschale Behauptung der Motive – zu einer unbilligen Benachteiligung des Verlegers, weshalb es notwendig sei, den Rücktritt von bestimmten sach lichen Kriterien abhängig zu machen, deren Vorliegen gegebenenfalls durch richterliche Entscheidung festgestellt werden könne. Konkret müsse die Umstandsänderung derart sein, dass sie den Autor von der Herausgabe des Werkes an sich und nicht lediglich von der Herausgabe bei dem konkreten Verleger abrücken ließ. Darüber hinaus genüge es nicht, dass die Umstand änderung nur für den Autor und und damit subjektiv unvorhersehbar war. Sie müsse vielmehr objektiv, d. h. für jedermann unvorhersehbar gewesen sein, wobei die Beweispflicht für beide Aspekte – Umstandsänderung und Unvorhersehbarkeit derselben – beim Autor liege. Ebenfalls im Sinne des Verlegers entschieden wurde die Frage der zeitlichen Reichweite des Rücktrittsrechts: Der Rücktritt sollte gegenüber der bisherigen (preußischen) Rechtslage nunmehr lediglich bis zum Beginn der Vervielfältigung Werkes zulässig sein – eine Entscheidung, die ebenfalls ausdrücklich zur Wahrung der Verlegerinteressen getroffen wurde. Zugunsten des Verfassers führten die Motive lediglich aus, dass diesem das Rücktrittsrecht des § 39 VerlG-E auch im Hinblick auf Neuauflagen zustehe, sofern der Verleger zu solchen befugt sei. Auch eine Neuauflage könne 81 Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93, S. 29 f.
242
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
im Widerspruch mit den persönlichen Interessen des Verfassers stehen, was insbesondere für wissenschaftliche Werke gelte, welche durch die Ergebnisse neuer Forschungen überholt sein könnten, obgleich sie aufgrund ihres hergebrachten Ansehens dem Verleger nach wie vor Gewinn versprachen. Hinsichtlich der Verpflichtung des zurücktretenden Verfassers zum Aufwendungsersatz hieß es schlicht, dass diese der Billigkeit entspräche. Mit Blick auf die Nachhaftung bei anderweitiger Herausgabe betonten die Motive, dass eine derartige Regelung zur Missbrauchsprävention zwar unerlässlich sei, zugleich jedoch nicht unbegrenzt gelten könne. Würde man dem zurückgetretenen Autor durch eine exzessive Nachhaftung die Möglichkeit abschneiden, das Werk später unter ggf. abermals veränderten Umständen zu veröffentlichen, wäre dies eine unbillige Härte. Entsprechend dem Vorschlag der Sachverständigen verkürzte der Entwurf die Nachhaftungsdauer auf zwei Jahre, verlängerte sie damit jedoch gegenüber dem (preußischen) status quo um ein Jahr.82
V. Die Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs Bereits kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Verlagsgesetzentwurfs sah sich der Bundesrat mit einer Welle von Abänderungsvorschlägen der Interessenverbände konfrontiert, was vornehmlich der Tatsache geschuldet war, dass die im Rahmen der Sachverständigenberatungen vom November 1899 von deren Vertretern vorgebrachten Vorschläge wenig bis gar nicht berücksichtigt worden waren.83 Im Fokus stand hier vor allem die Frage der Übertragbarkeit des Verlagsrechts (§ 30 VerlG-E)84, doch kamen auch die Rücktrittsrechte des Autors zur Sprache. Während die Interessenverbände des Verlagswesens naheliegenderweise kaum etwas an den §§ 33, 35, 36 und 39 VerlG-E auszusetzen hatten (1.), fiel die Kritik der Autorenverbände ungleich schärfer aus (2.), so dass sich die Verlegervertreter ihrerseits zu einer erneuten Positionierung veranlasst sahen (3.). Schließlich nahmen auch verschiedene Universitäten (4.) sowie die jurisische Fachwelt zu dem Entwurf und den Rücktrittsrechten Stellung (5.).
82 Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93, S. 41 f. 83 So auch Mogg, S. 160. 84 Dazu ausführlich Wittmann, G., S. 101 ff.
V. Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs243
1. Interessenverbände des Verlagswesens Ende September 1900 kam der außerordentliche Ausschuß für Urheberund Verlagsrecht des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler in Leipzig zu einer Beratung des Entwurfs zusammen. Bereits in der Einleitung des im Börsenblatt veröffentlichten Berichts hieß es, dass das RJA den Wünschen der Verlegerschaft in der verständnisvollsten Weise entgegengekommen sei und der Entwurf insbesamt nur sehr wenig zu wünschen übrige ließe. Der Buchhandel könne demnach ebenso zufrieden sein wie der „verständige Teil der Schriftstellerwelt“85: So äußerte der ebenfalls an den Beratungen teilnehmende Voigtländer im Rahmen der Erörterung des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung, dass dieses eine weitere Sicherung des Autors für den Fall der Veräußerung des Verlagsgeschäfts darstelle86. Insofern nutzte die Verlegerseite die §§ 33, 35 VerlG-E geschickt zur Bekräftigung und Durchsetzung des Grundsatzes der freien Übertragbarkeit des Verlagsrechts. Das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände bezeichnete der Ausschussvorsitzende Wilhelm Spemann indes schlicht als „sehr verständig und nach allen Seiten billig“87. Auch der Vorsitzende des preußischen literarischen Sachverständigenvereins, Paul Daude, bewertete den Entwurf positiv. In seinem für das preußische Kultusministerium verfassten Bericht über die Beratungen hieß es, dass der Entwurf seitens des Börsenvereins mit Genugtuung begrüßt worden sei, da er die Gepflogenheiten des deutschen Buchgewerbes in anerkennenswerter Weise berücksichtige88. Dementsprechend hielten sich die Änderungwünsche des Börsenvereins89, an die sich im November 1900 auch die Corpora85 Bericht des außerordentlichen Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler über die Verhandlungen über den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht am 26. und 27. September 1900, in: BBl. 1900, Beilage zu No. 263, S. 1 (ebenfalls enthalten in BArch, R 3001 / 6543, Bl. 205 ff.). 86 Bericht des außerordentlichen Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler über die Verhandlungen über den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht am 26. und 27. September 1900, in: BBl. 1900, Beilage zu No. 263, S. 25. 87 Bericht des außerordentlichen Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler über die Verhandlungen über den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht am 26. und 27. September 1900, in: BBl. 1900, Beilage zu No. 263, S. 26. 88 Bericht Daudes vom 30.09.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 196–198, hier Bl. 198. 89 Eingabe des außerordentlichen Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler an den Bundesrat vom 29.09.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 161a, 161b.
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tion der Berliner Buchhändler anschloss90, im engen Rahmen; die Rücktrittsrechte des Autors waren hiervon nicht betroffen. Selbiges galt für die Eingabe des Vereins der Deutschen Musikalienhändler zu Leipzig vom 2. Oktober 190091. 2. Interessenverbände der Autorenschaft Erwartungsgemäß stand dem Frohlocken der Verleger eine eher nüchterne Reaktion der Autorenschaft gegenüber. Kritik kam insbesondere vom Verein „Berliner Presse“ [a)] sowie vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) [b)]. a) Die Petition des Vereins „Berliner Presse“ Bereits die Einleitung der am 10. Oktober 1900 eingebrachten Petition des Vereins „Berliner Presse“ verwies auf die Unausgeglichenheit des Entwurfs, der deutlich zulasten der Autoren ausfiele. Diese seien nicht nur regelmäßig wirtschaftlich weniger erfahren, sondern überdies auch materiell auf ihre Verleger angewiesen und befänden sich demnach stets in einer unterlegenen Verhandlungsposition92. Die sich anschließende Kritik berührte die Rücktrittsrechte des Autors jedoch lediglich am Rande: Nachdem sich der Verein eine engere Fassung des § 30 VerlG-E dahingehend wünschte, dass die Übertragung des Verlagsrechts fortan nur noch zusammen mit dem gesamten Verlagsgeschäft zulässig sein sollte, wurde eine entsprechende Neufassung des ersten Absatzes des § 39 VerlG-E verlangt. Das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände sollte dabei insofern erweitert werden, als der Autor auch wegen solcher Umstände zurücktreten dürfen sollte, welche ihn nicht von der Herausgabe des Werkes an sich, sondern lediglich vom Abschluss des Vertrages mit dem konkreten Verleger abgehalten hätten. Der Verein hielt es für unbillig, den Autor zu zwingen, sein Werk bei einem Verleger erscheinen zu lassen, der infolge Vermögensverfalls, einer entehrenden Bestrafung oder eines Boykotts durch den Buchhandel dem Autor keine zweckentsprechende Vertragserfüllung (mehr) garantieren könne und insofern eine Gefährung dessen „literarischen Ansehens“ befürchten ließ. Für diesen Fall sollte 90 Eingabe der Corporation der Berliner Buchhändler an den Bundesrat vom 19.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 211 f. 91 Eingabe des Vereins der Deutschen Musikalienhändler zu Leipzig an den Bundesrat vom 2. Oktober 1900 betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 165–169. 92 Eingabe des Vereins „Berliner Presse“ an den Bundesrat vom 10.10.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 180.
V. Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs245
überdies der Ersatzanspruch des Verlegers bei anderweitiger Herausgabe binnen zwei Jahren entfallen. Zu § 36 VerlG-E wünschte der Verein die Beifügung eines weiteren Absatzes, welcher klarstellen sollte, dass der Vertrag nach erfolgtem Rücktritt ende, sobald die letzte Auflage vergriffen sei.93 b) Die Bemerkungen des Vereins Deutscher Ingenieure Auch der VDI stellte sich in seinen „Bemerkungen zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ vom 23. November 190094 auf den Standpunkt, dass der Entwurf den Besonderheiten der Autoren-Verleger-Beziehung nicht gerecht werde95. Neben der freien Übertragbarkeit des Verlagsrechts war das Rücktrittsrecht des Autors ein zentraler Punkt der Kritik, wobei der VDI jedoch nicht § 39 VerlG-E, sondern das Kündigungsrecht des Verlegers aus § 20 VerlG-E (vormals § 20 RefE n. F.)96 zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen nahm. In den Motiven zu § 20 VerlG-E hieß es insbesondere, dass dem Verleger unter bestimmten Umständen nicht versagt werden könne, sich von der Verpflichtung zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes durch Kündigung zu befreien97. Dies griff der VDI in seiner Kritik auf und betonte, dass der gleiche Gedanke sinngemäß auch für den Verfasser gelten müsse, dem unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls nicht die Befugnis abgesprochen werden könne, sich von der Pflicht zur Abfassung eines Werkes oder der Bearbeitung einer Neuauflage zu befreien98. Konkret schlug der VDI ein Autorenkündigungsrecht folgenden Wortlautes vor: „Der Verfasser kann sich von seiner Pflicht zur Lieferung des Werkes für eine neue Auflage durch Kündigung befreien: 1) wenn der Zweck, welchem das Werk dienen sollte, nach dem Abschluß des Vertrages weggefallen ist; 93 Eingabe des Vereins „Berliner Presse“ an den Bundesrat vom 10.10.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 182 v. 94 So die Datierung des den Bemerkungen beigefügten Anschreibens des VDI an Staatssekretär Nieberding und den Bundesrat, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 220 f. 95 Bemerkungen des VDI zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 222 r. (die Bemerkungen wurden in BBl. 1900, Beilage zu No. 288 veröffentlicht). 96 Siehe oben, E. II. 3. lit. a). 97 Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 93, S. 30. 98 Bemerkungen des VDI zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 223 v.
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2) wenn sich Umstände ergeben, durch die sich der Verfasser bei einer verständigen Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes zurückhalten lassen darf. Ist der Verleger befugt, eine neue Auflage zu veranstalten, so finden für die Auflage die Bestimmungen unter 1) und 2) entsprechende Anwendung. Das gleiche gilt, wenn es sich um ein Werk handelt, von dem einzelne Teile bereits vervielfältigt sind, bezüglich der noch nicht fertig gestellten Teile. Mit der Kündigung endigt das Vertragsverhältnis; das Recht des Verlegers, die etwa noch vorhandenen Exemplare einer alten Auflage zu verkaufen, sowie der Anspruch desselben auf Ersatz der Aufwendungen, welche zum Zwecke der Vervielfältigung und Verbreitung des neuen Werkes oder der neuen Auflage geboten waren und von dem Verleger bis zur Kündigung gemacht worden sind, bleiben unberührt. Giebt der Verfasser binnen zweier Jahre seit der Kündigung das Werk anderweit heraus, so ist er zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung verpflichtet. Diese Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verfasser dem Verleger den Antrag, den Vertrag nachträglich zur Ausführung zu bringen, gemacht und der Verleger den Antrag nicht angenommen hat“99.
Der letzte Absatz war dabei ausdrücklich § 39 VerlG-E entlehnt. Diesen wiederum erachtete der VDI für den Fall der Übernahme seines Autorenkündigungsrechts für hinfällig. Sollte die Vorschrift dennoch beibehalten werden, so hieß es weiter, sei jedenfalls das Erfordernis der Voraussehbarkeit der Umstandsänderung zu streichen, da bestimmte Umstände – beispielhaft wurden altersbedingte Leistungsschwäche oder ein Mangel an Zeit und Muße genannt – streng genommen zwar voraussehbar seien, gleichwohl aber zum Rücktritt berechtigen müssten. Schließlich bedürfe der Begriff der „Aufwendungen“ einer klaren Begrenzung, da der Verleger andernfalls geneigt sein würde, „alles Mögliche“ einzurechnen.100 3. Erwiderungen der Verlegerseite Wenig überraschend reagierten die Interessenverbände der Verleger, namentlich der Börsenverein der Deutschen Buchhändler [a)] sowie die Deutsche Verlegerkammer [b)], weitestgehend ablehnend auf die Vorschläge und Kritik der Autorenvertreter.
99 Bemerkungen des VDI zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 224 r. 100 Bemerkungen des VDI zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 224 v.
V. Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs247
a) Die Erwiderung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler So hieß es bereits in der Einleitung der Erwiderung des Börsenvereins vom 3. Dezember 1900 plakativ, dass man nicht einsehe, weshalb die Autoren eines intensiveren gesetzlichen Schutzes bedürften als die Verleger. Vielmehr sollte jeder Teil danach streben, dem anderen in geschäftlicher Einsicht und Sorgfalt nicht nachzustehen101. Folglich reagierte man auf die vom Verein „Berliner Presse“ gewünschte Änderung des Autorenrücktrittsrechts bei Übertragung des Verlagsrechts (§ 39 Abs. 1 VerlG-E) mit harscher Ablehnung. Überraschenderweise fand jedoch die Forderung, dass auch Veränderungen in der Person des Verlegers als veränderte Umstände und damit als Rücktrittsgrund i. S. v. § 39 Abs. 2 VerlG-E anerkannt werden sollten, die Zustimmung des Börsenvereins. Eine dementsprechende Präzisierung des § 39 Abs. 3 VerlG-E erachtete man jedoch nicht als erforderlich, da derartige Veränderungen in den Augen des Börsenvereins „selbstverständlich“ unter § 39 Abs. 2 VerlG-E fielen.102 Die Ausführungen des VDI griff der Börsenverein am 10. Dezember in einer separaten Erwiderung an.103 Das analog zu § 20 VerlG-E vorgeschlagene Kündigungsrecht des Autors wurde darin brüsk zurückgewiesen. Insofern hieß es, dass § 39 VerlG-E so klar und umfassend sei, dass der Vorschlag des VDI demgegenüber keine Verbesserungen mit sich brächte104. b) Die Erwiderung der Deutschen Verlegerkammer Die Deutsche Verlegerkammer wandte sich am 6. Dezember direkt an den Reichstag105. In der Einleitung der Eingabe hieß es, dass die meisten Vor101 Buchhändlerische Erwiderung verfaßt vom Außerordentlichen Ausschuß für Urheber- und Verlagsrecht im Börsenverein der Deutschen Buchhändler, 03.12.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 5–12, hier Bl. 5 r. (Die Erwiderung wurde in BBl. 1900, Beilage zu No. 288, S. 1 ff. veröffentlicht). 102 Buchhändlerische Erwiderung verfaßt vom Außerordentlichen Ausschuß für Urheber- und Verlagsrecht im Börsenverein der Deutschen Buchhändler, 03.12.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 10 r. 103 Buchhändlerische Erwiderung verfaßt vom Außerordentlichen Ausschuß für Urheber- und Verlagsrecht im Börsenverein der Deutschen Buchhändler, 10.12.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 72–79 (Die Erwiderung wurde ebenfalls in BBl. 1900, Beilage zu No. 288, S. 9 ff. veröffentlicht). 104 Buchhändlerische Erwiderung verfaßt vom Außerordentlichen Ausschuß für Urheber- und Verlagsrecht im Börsenverein der Deutschen Buchhändler, 10.12.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 76 r. 105 Vorstellungen der Deutschen Verlegerkammer vom 06.12.1900 zur Abwehr der Änderungsvorschläge des Vereins Berliner Presse vom 10.10.1900 und der Änderungsvorschläge des Vereins Deutscher Ingenieure vom 23.11.1900, BArch,
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
schläge der Autorenvertreter lediglich auf Schädigungen des Verlagswesens ohne erkennbaren Nutzen für die Autoren abzielten. Insbesondere die in § 30 VerlG-E angestrebte Unübertragbarkeit des Verlagsrechts sowie die mit Blick auf § 39 VerlG-E vorgeschlagene Ausdehnung des Rücktrittsrechts würden sich keineswegs gegen eine drohende Ausbeutung der Autoren richten, als vielmehr eine tiefgreifende Schädigung der vermögensrechtlichen Stellung des Verlegers nach sich ziehen106. Im Folgenden wandte sich die Eingabe zunächst den Ausführungen des Vereins „Berliner Presse“ zu. Mit dessen Wunsch bzgl. einer Erweiterung des § 36 VerlG-E erklärte sich die Verlegerkammer kommentarlos einverstanden, wohl da diese im Falle ihres Inkrafttretens keine gravierenden Änderungen der materiellen Rechtslage nach sich gezogen hätte. Ganz anders verhielt es sich bei den Vorschlägen zur Abänderung des § 39 VerlG-E: Wie auch die vom Verein gewünschte Neufassung des § 30 VerlG-E wurde die hierzu korrespondierende Angleichung des Rücktrittsrechts in § 39 Abs. 1 VerlG-E rundheraus abgelehnt. Ein durch das Tatbestandsmerkmal der „gewichtigen Gründe“ im Wesentlichen in das Belieben der Autoren gestelltes Rücktrittsrecht würde die Übertragung des Verlagsrechts wie auch des Verlages im Ganzen erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Entsprechendes gelte für den Wunsch des Vereins, persönliche Eigenschaften des Verlegers als Rücktrittsgrund i. S. d. § 39 Abs. 2 und 3 VelG-E anzuerkennen: So wie bei Verkäufen davon auszugehen sei, dass das Verlagsrecht einem geeigneten Verlag übertragen würde, habe auch hier die Person des Verlegers grundsätzlich außer Acht zu bleiben. Vielmehr habe sich „die Schriftstellerwelt […] mit den Eventualitäten und Bedürfnissen des Gewerbes […], auf das sie für die Verwertung ihrer Werke angewiesen ist“, abzufinden. Unabhängig davon sei die vorgeschlagene Änderung des § 39 Abs. 3 VerlG-E, wonach der wegen einer Veränderung in der Person des Verlegers zurücktretende Autor grundsätzlich haftungsfrei gestellt werden sollte, als Widerspruch zu den allgemeinen Rücktrittsvorschriften der §§ 324 bis 327 BGB 1900 abzulehnen. Die Stellungnahme schloss mit den Worten, dass man gegen die Vorschläge des Vereins „Berliner Presse“ entschiedensten Protest einlegen müsse, da andernfalls dem unlauteren Wettbewerb Tür und Tor geöffnet und das Gesetz für das Verlagsgewerbe schlichtweg unannehmbar würde107. R 3001 / 6544, Bl. 3 (die Vorstellungen sind innerhalb der Akte nicht fortlaufend nummeriert, weisen jedoch eine eigene Nummerierung auf [S. 1–19]). 106 Vorstellungen der Deutschen Verlegerkammer vom 06.12.1900 zur Abwehr der Änderungsvorschläge des Vereins Berliner Presse vom 10.10.1900 und der Änderungsvorschläge des Vereins Deutscher Ingenieure vom 23.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 3, dort S. 1. 107 Vorstellungen der Deutschen Verlegerkammer vom 06.12.1900 zur Abwehr der Änderungsvorschläge des Vereins Berliner Presse vom 10.10.1900 und der Ände-
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Im Hinblick auf die Ausführungen des VDI verwies man im Wesentlichen auf die Stellungnahme zu den Forderungen des Vereins „Berliner Presse“108. Hinsichtlich des Vorschlages, den Autoren ein § 20 VerlG-E vergleichbares Kündigungsrecht einzuräumen, betonte schließlich auch die Verlegerkammer, dass ein solches aufgrund § 39 VerlG-E redundant sei109. 4. Die Bewertung des Gesetzentwurfs durch die Universitäten Seitens der Universitäten wandte sich die Technische Hochschule Aachen110 sowie die Landesuniversität Gießen111 mit Petitionen an den Bundesrat. In den Eingaben äußerten sie sich grundsätzlich positiv zu dem Gesetzentwurf, wobei die Rücktrittsrechte nicht eigens thematisiert wurden112. Davon unabhängig übersandte die Universität Gießen dem RJA eine Abschrift eines von ihrem Ordinarius Johannes Biermann113 gehaltenen Vortrages über den Verlagsgesetzentwurf. Darin forderte Biermann nichts Geringeres als eine Änderung des § 39 Abs. 2 VerlG-E dahingehend, dass „1. ein Rücktritt auch nach Beginn der Vervielfältigung zulässig ist, 2. ein Rücktritt auch wegen Wegfalls des Zweckes, dem das Werk dienen sollte, zulässig ist, 3. der Satz: ‚bei dem Abschlusse des Vertrages nicht vorauszusehen waren‘ gestrichen wird“.
rungsvorschläge des Vereins Deutscher Ingenieure vom 23.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 3, dort S. 14 f. 108 Vorstellungen der Deutschen Verlegerkammer vom 06.12.1900 zur Abwehr der Änderungsvorschläge des Vereins Berliner Presse vom 10.10.1900 und der Änderungsvorschläge des Vereins Deutscher Ingenieure vom 23.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 3, dort S. 17, 19. 109 Vorstellungen der Deutschen Verlegerkammer vom 06.12.1900 zur Abwehr der Änderungsvorschläge des Vereins Berliner Presse vom 10.10.1900 und der Änderungsvorschläge des Vereins Deutscher Ingenieure vom 23.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 3, dort S. 19. 110 Rektor und Senat der Königl. Technsichen Hochschule Aachen betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 27.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 63. 111 Vortrag des ord. Professors Dr. Biermann betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 30.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 58–61. 112 Siehe Rektor und Senat der Königl. Technsichen Hochschule Aachen betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 27.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 63 sowie Vortrag des ord. Professors Dr. Biermann betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 30.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 58 r.; dazu auch Mogg, S. 165. 113 Zur Person siehe Laband, DJZ 1915, S. 781.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Zur Begründung verwies er auf das preußisch-landrechtliche Rücktrittsrecht und betonte, dass § 39 VerlG demgegenüber eine erhebliche Verschlechterung der Rechtsposition des Autors darstelle114. Biermann schlug stattdessen eine Neufassung des § 39 Abs. 2 S. 1 VerlG-E folgender Gestalt vor: „Auch nach der Ablieferung des Werkes ist der Verfasser berechtigt, von dem Verlagsvertrage zurückzutreten: 1) Wenn der Zweck, welchem das Werk dienen sollte, nach dem Abschlusse des Vertrages weggefallen ist, 2) Wenn nach dem Abschlusse des Vertrages Umstände eingetreten sind, die, wenn sie früher eingetreten wären den Verfasser bei verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes zurückgehalten haben würden“115.
Damit war zum ersten Mal in aller Klarheit ausgesprochen, was offenkundig war – nämlich, dass der Autor mit Blick auf das Rückrufsrecht wegen veränderter Umstände im geplanten gesamtdeutschen Verlagsgesetz gegenüber den bisher gültigen Regelungen und Grundsätzen signifikant schlechter gestellt zu werden drohte. Biermanns Vorstoß zielte im Wesentlichen auf die Wiederherstellung bzw. Beibehaltung des status quo ante: So sollte die temporäre Zulässigkeit des Rücktritts – entsprechend den §§ 1005 ff. ALR – wieder bis auf den Zeitpunkt des Beginns der Herausgabe ausgedehnt und das restriktive Kriterium der Voruassehbarkeit beseitigt werden. Weiterhin befürwortete er die Streichung des § 39 Abs. 2 S. 2 VerlG-E, der durch einen Absatz ersetzt sollte, welcher klarstellte, dass das Rücktrittsrecht aus § 39 VerlG-E auch auf Neuauflagen Anwendung fand116. 5. Die Bewertung des Entwurfs in der juristischen Fachliteratur Der in den Bundesratsdrucksachen veröffentlichte Entwurf blieb erwartungsgemäß auch in der juristischen Fachliteratur nicht ohne Echo. Die hier veröffentlichten Beiträge fielen tendenziell zugunsten der Autorenseite aus, da die meisten Verfasser bereits als Sachverständige an den Beratungen vom November 1899 teilgenommen hatten117 oder Mitglied eines schriftstellerischen Interessenverbands waren118. 114 Vortrag des ord. Professors Dr. Biermann betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 30.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 59 v., 60 r. 115 Vortrag des ord. Professors Dr. Biermann betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 30.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 59 v., 61 r. 116 Vortrag des ord. Professors Dr. Biermann betreffend den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 30.11.1900, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 59 v., 60 v. 117 Siehe oben, E. II. 118 Mogg, S. 166.
V. Autorenrücktrittsrechte in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs251
a) Die Kritik Wicherts So lobte der Berliner Kammergerichtsrat a. D. Ernst Wichert den Entwurf als gelungene Arbeit, die in objektiver Würdigung der beiderseitigen Interessen und unter Anerkennung des Umstandes, dass der Autor im allgemeinen der wirtschaftlich schwächere Teil sei, die Gesetzeslage den bestehenden Rechtsverhältnissen anpasse119. Kritisch äußerte er sich jedoch u. a. zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände. § 39 VerlG-E sei insofern zu eng gefasst, als er dem Verfasser den Rücktritt nur gestatte, wenn sich Umstände ergeben, die beim Abschluss des Vertrages nicht voraussehbar waren und ihn überdies bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes an sich abgehalten haben würden. Vielmehr müsse der Autor, so Wichert weiter, auch dann zurücktreten dürfen, wenn sich die Veränderung der Umstände auf die Person des Verlegers bezog, dieser also beispielsweise sein Vermögen verlor, unsittliche Schriften in sein Programm aufnahm, strafrechtlich belangt wurde oder gar die bürgerlichen Ehrenrechte verlor – Umstände also, die gerade nicht voraus sehbar waren, es für den Autor aber gleichwohl unzumutbar machten, die Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten. In einem solchen Fall müsse dem Autor nicht nur der Rücktritt gestattet werden, er müsse sein Werk auch sofort in einem anderen Verlag herausgeben dürfen.120 Wichert folgte damit im Wesentlichen der Kritik der Interessenvertreter der Autorenschaft. b) Die Kritik Osterrieths Ungleich umfassender setzte sich Osterrieth im Oktober 1900 mit den Rücktrittsrechten des Entwurfs auseinander. Der Betrachtung der Einzelnormen schickte er umfassende allgemeine Ausführungen voran, worin er die mit der Veröffentlichung verbundenen ideellen Zwecke des Autors als vorrangig gegenüber dessen Ertragsinteressen bezeichnete, zugleich aber einräumte, dass diese in der Praxis regelmäßig einen schweren Stand gegenüber den gewerblichen Interessen des Verlagswesens hätten. Tatsächlich verdienten die verlegerischen Ertrags- und ideellen Autoreninteressen jedoch eine Gleichstellung: „Denn ohne unseren Cotta, Brockhaus, Perthes zu nahe zu treten, wird nicht zu bestreiten sein, daß die Bedeutung eines Goethe, Schiller, Mozart für das Kulturleben des deutschen Volkes schwerer“ wiege als die ihrer Verleger. Aus diesem Grund seien in einem neuen Gesetz die ideellen Autoreninteressen im Verlagsvertragsverhältnis genau zu bestimmen. Leitgedanke habe zu sein, dass 119 Wichert,
120 Wichert,
Das Recht 1900, S. 355. Das Recht 1900, S. 431.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
„der Verleger, als Mittelsmann zwischen dem Schriftsteller und dem Publikum [sic!], seine geschäftlichen Zwecke mit den idealen Zwecken des Schriftstellers in Einklang“ bringe, „daß er also in der Art und Weise der Vervielfältigung und Verbreitung dem Willen des Verfassers nicht zuwider“121
handele. Zwar anerkannte Osterrieth, dass sich die Verfasser des Gesetzentwurfs um einen angemessenen Ausgleich der beiderseitigen Interessen bemüht hätten – als durchgehend gelungen erachtete er dies jedoch nicht. So gab es in seinen Augen eine Reihe von Bestimmungen, welche mit dem Wesen des Verlagsvertrages nicht im Einklang standen und zu einer Benachteiligung der ideellen Autoreninteressen führten. Insbesondere der Gedanke, einer Veränderung äußerer Umstände bzw. einem „Wechsel in den eigenen Anschauungen“ des Autors durch ein gesondertes Rücktrittsrecht Rechnung zu tragen – an sich zwar „vortrefflichen Erwägungen“ entsprungen – sei mit § 39 Abs. 2 VerlG-E mangelhaft umgesetzt worden. Nach Auffassung Osterrieths ließen sich gerade jene psychologischen Momente, welche die Eigenart geistigen Schaffens bedingten, nicht als konkrete Umstände fassen, deren Vorliegen ein Richter erforderlichenfalls feststellen könne. Wolle man auf diese Eigenart Rücksicht nehmen, könne dies allein dadurch geschehen, dass zumindest bis zur Ablieferung des Werkes der Rücktritt ausschließlich in das Ermessen des Autors gestellt werde. Weiterhin bemängelte Osterrieth die temporäre Begrenzung des Rücktrittsrechts bis zum Beginn der Vervielfältigung. Dies führe dazu, dass die Entscheidung über die Veröffentlichung des Werkes ab einem gewissen Zeitpunkt allein beim Verleger liege122. Zwar gehe man zu Recht davon aus, dass die vertragliche Hauptpflicht des Autors mit Ablieferung des Manuskripts erfüllt sei, doch habe man stets auch den Zweck der Veröffentlichung sowie die Stellung des Verfassers gegenüber dem Publikum zu berücksichtigen. So sei das vom Verleger verlegte Werk das Organ, durch welches der Autor zum Publikum spreche, zumal es seine Anschauungen, Empfindungen und Vorstellungen offenbare. Könne der Verleger das Werk nun gegen den Willen des Verfassers veröffentlichen, so würde ein geistiger Zwang gegen ihn ausgeübt, der in krassem Widerspruch zu dem Grundsatz stünde, dass ein unmittelbarer Zwang zur Vertragserfüllung im Verlagsrecht nicht bestehe. Vor diesem Hintergrund spräche nicht zuletzt der u. a. in den §§ 10 und 11 des LUG-Entwurfes anerkannte Persönlichkeitsschutz des Urhebers123 dafür, 121 Osterrieth,
GRUR 1900, S. 300; Großschreibungen im Original. GRUR 1900, S. 318. 123 § 10 LUG-Entwurf anerkannte das Recht des Urhebers auf den Schutz der Werkintegrität; siehe dazu bereits oben, E.; § 11 LUG-Entwurf lautete: „Die Zwangsvollstreckung in das Recht des Urhebers findet gegen den Urheber selbst nicht statt. Gegen die Erben des Urhebers ist sie nur zulässig, wenn das Werk erschienen ist“. Urheberpersönlichkeitsrechte wurden im Verlagsgesetzentwurf indes nur soweit aner122 Osterrieth,
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dem Autor das Rücktrittsrecht wenigstens bis zu dem Zeitpunkt zu gewähren, in dem die Erfüllung des Vertrages durch den Verleger nicht in vollem Umfang begonnen habe, womit Osterrieth nichts anderes als ein Rücktrittsrecht mindestens bis zum Beginn der Herausgabe anregte. Schließlich zeige sich die unzureichende Umsetzung des Persönlichkeitsschutzes auch darin, dass der Autor bei Veränderungen in der Person des Verlegers gezwungen sei, sein Werk dennoch bei diesem erscheinen zu lassen. Für den Verleger stünden hier nur die Aufwendungen auf dem Spiel, welche er bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung getätigt habe – für den Autor hingegen „das Schicksal seines Werkes, sein schriftstellerischer Name und der ganze wirthschaftliche Ertrag des Werkes“124. Wenngleich es Biermann war, der im November 1900 erstmals ausdrücklich darauf hinwies, dass die Regelung des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände im Gesetzentwurf eine Schlechterstellung des Autors gegenüber der bisherigen Rechtslage bedeutete, so hatte Osterrieth mit seinem Beitrag bereits einen Monat zuvor zumindest indirekt dasselbe zum Ausdruck gebracht. Vollends einverstanden zeigte sich Osterrieth indes mit der Regelung des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung in den §§ 35, 33 und 36 VerlG-E, indem er unterstrich, dass diese „keiner Erläuterung“ bedürften125. c) Die Kritik Birkmeyers Der Münchner Rechtsprofessor Karl Birkmeyer widmete dem Verlagsgesetzentwurf eine eigene, knapp fünfzig Seiten umfassende Broschüre. Darin kritisierte er u. a. den fehlenden terminologischen Gleichlauf zwischen dem Verlagsgesetzentwurf und dem Entwurf des Literatururhebergesetzes. Dies betraf eine Reihe von termini technici, darunter die des „Erscheinens“, der „Herausgabe“ sowie der „Veröffentlichung“ eines Werkes. Nachdem der LUG-Entwurf unter dem Begriff des „Veröffentlichens“ alle Handlungen zusammenfasste, durch welche ein Werk an die Öffentlichkeit gebracht wurde, meinten die verlagsgesetzentwürflichen Termini des „Erscheinens“ und der „Herausgabe“ insbesondere die Herausgabe im Verlagshandel, d. h. das öffentliche Angebot von Vervielfältigungsexemplaren. Vor diesem Hintergrund schlug Birkmeyer eine Änderung des § 39 VerlG-E dahingehend vor, dass darin nicht mehr von „Herausgeben“, sondern vielmehr von „Veröffentlichen“ die Rede sein sollte. Er begründete dies damit, dass § 39 VerlG-E dem Autor das Rücktrittsrecht als Konsequenz seines höchstpersönkannt, wie dies zur Gewährleistung eines Gleichlaufs mit dem LUG zwingend erforderlich war, siehe dazu ausführlich Mogg, S. 139 f. 124 Osterrieth, GRUR 1900, S. 319. 125 Osterrieth, GRUR 1900, S. 317.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
lichen Rechts zubillige, über die Veröffentlichung seines Geistesprodukts frei zu entscheiden, diese Veröffentlichung aber auch auf andere Weise als durch die „Herausgabe“ bzw. das „Erscheinen“ im Verlagsbuchhandel erfolgen könne. Praktische Auswirkungen hatte diese Differenzierung vor allem hinsichtlich der Nachhaftung des zurückgetretenen Autors, der sein Werk binnen der Nachfrist anderweitig veröffentlichte. Da nicht nur die anderweitige „Herausgabe“ im Verlagsbuchhandel, sondern jede anderweitige Veröffentlichung das Telos des § 39 VerlG-E konterkariere, müsse auch jedwede sonstige Publikation die Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 39 Abs. 3 VerlG-E auslösen. Zur Begründung führte Birkmeyer u. a. die Gesetzesbegründung an, in welcher von einer späteren „Veröffentlichung“ des Werkes die Rede war126. Daneben verwies er auf Dernburgs Ausführungen zu §§ 1005 f. ALR, wo der Gedanke, dass „niemand zur Veröffentlichung eines Geistesprodukts genöthigt werden [können] soll, das er nicht für reif, nützlich u.s.w.“ hielt, als hinter dem Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände stehendes Motiv benannt wurde127. Birkmeyers Ausführungen sind damit zugleich ein weiteres Zeugnis der direkten Linie zwischen den §§ 1005 ff. ALR und § 39 VerlG-E.
VI. Die Beratungen und Beschlüsse des Bundesrates und ihr öffentliches Echo Parallel zu den Stellungnahmen der Öffentlichkeit begann ab September 1900 die Behandlung des Verlagsgesetzentwurfes im Bundesrat128. Ab Oktober waren diverse Änderungswünsche der Bundesstaaten eingegangen, welche die Rücktrittsrechte des Autors wegen Nichtausübung und veränderter Umstände jedoch nur geringfügig berührten (1.). Der Bundesrat selbst hatte den Entwurf bereits unmittelbar nach dessen Veröffentlichung in den Drucksachen an die vereinigten Ausschüsse für Justizwesen sowie Handel und Verkehr verwiesen129. Die von den Ausschüssen vorgenommenen Änderungen waren in der Masse jedoch rein redaktioneller Natur; sie wurden am 6. Dezember 1900 vom Bundesrat beschlossen130 (2.).
126 Birkmeyer verwies insofern auf S. 49 der amtlichen Druckfassung des Verlagsgesetzentwurfes; tatsächlich kommt besagter Gedanke jedoch auf S. 50 zum Ausdruck. 127 Birkmeyer, S. 9 f. mit Verweis auf Dernburg, S. 641; zu Dernburgs Ausführungen zum ALR siehe oben, D. I. 128 Siehe das entsprechende Schreiben des Reichskanzlers vom 07.09.1900, BArch, R 1501 / 107431, Bl. 2. 129 Siehe das Schreiben des Stellvertreters des Reichskanzlers, Graf v. Posadowsky-Wehner, an die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Justizwesen und für Handel und Verkehr vom 12.09.1900, BArch, R 1501 / 107431, Bl. 53.
VI. Beratungen und Beschlüsse des Bundesrates und ihr öffentliches Echo255
1. Die Änderungswünsche der Bundesstaaten Seitens der Bundesstaaten nahmen in chronologischer Reihenfolge Bremen131, Hessen132, Bayern133, Württemberg134, Hamburg135 und Sachsen136 zu dem Gesetzentwurf Stellung, wobei im Hinblick auf die weitere Behandlung der Rücktrittsrechte die Anträge Hessens und Bayerns Erwähnung verdienen. Allein diese wünschten materielle Änderungen des § 39 VerlG-E und geben insofern einigen Aufschluss über die Position der Bundesstaaten zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände. Die Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung hingegen fanden abermals keine Erwähnung. Das Großherzogtum Hessen befürwortete eine Änderung des die freie Übertragung des Verlagsrechts regelnden § 30 VerlG-E dahingehend, dass das Verlagsrecht künftig nur noch mit vorheriger Einwilligung des Autors übertragbar sein sollte. Dieser sollte jedoch zur Erteilung der Einwilligung verpflichtet sein, es sei denn, dass ihm diese mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls, inbesondere den Ruf und die Vermögensverhältnisse des Erwerbers, nicht zugemutet werden könne. Hierdurch sollte den berechtigten Interessen des Autors in höherem Maße Rechnung getragen werden, als dies in der bisherigen Entwurfsfassung der Fall sei.137 Angesichts dieser Neufassung würde das Rücktrittsrecht des § 39 Abs. 1 VerlG-E obsolet. Konsequenterweise beantragte Hessen die Streichung der Vorschrift, so dass § 39 VerlG-E fortan (wieder) ausschließlich das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände enthalten sollte. Für den Fall der Nichtannahme dieses Antrags schlug man vor, zumindest das Wort „Kaufvertrag“ in § 39 Abs. 1 VerlG-E durch das Wort „Vertrag“ zu ersetzen.138
ausführlich Mogg, S. 172 ff. Bremens vom 16.10.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 173. 132 Anträge Hessens zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht (Drucksache Nr. 93), 30.10.1900, 08.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 184–186. 133 Vorläufige Anträge Bayerns zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 08.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 199 f. 134 Anträge Württembergs zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht. – Drucksache Nr. 93. –, 08.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 201. 135 Anträge Hamburgs zu dem Entwurfe eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 14.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 202 f. 136 Anträge Sachsens zu dem Entwurfe eines Gesetzes über das Verlagsrecht. (Drucksache Nr. 93.), 15.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 206 f. 137 Weitere Anträge Hessens zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht (Drucksache Nr. 93), 30.10.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 185 v. 138 Weitere Anträge Hessens zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht (Drucksache Nr. 93), 30.10.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 186 r. 130 Dazu
131 Antrag
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Bayern wünschte eine Änderung des § 39 Abs. 2 VerlG-E insofern, als der Autor auch zum Rücktritt berechtigt sein sollte, wenn ihn die Änderung der Umstände vom Vertragsschluss an sich abgehalten haben würde. Insofern stand man auch seitens Bayerns auf dem Standpunkt, dass Veränderungen in der Person des Verlegers als Rücktrittsgrund i. S. d. § 39 Abs. 2 VerlG-E anerkannt werden sollten. Daneben schloss man sich dem hessischen Vorschlag an, in § 39 Abs. 1 VerlG-E anstatt vom „Kaufvertrag“ vom „Vertrag“ zu sprechen.139 2. Ausschussverhandlungen und Beschlussfassung im Bundesrat Die Akten der von Preußen und Bayern dominierten Bundesratsausschüsse sind nicht erhalten, so dass die dort geführten Debatten nicht mehr nachvollzogen werden können.140 Im Ergebnis beschlossen diese trotz der umfassenden öffentlichen Kritik nur geringfügige materielle Änderungen des Gesetzentwurfs, von denen die Rücktrittsrechte des Autors wegen Nichtausübung und veränderter Umstände nicht betroffen waren. Die diesbezüglichen Änderungswünsche Hessens und Bayerns fanden folglich keine Berücksichtigung.141 Die wenigen materiellen Änderungen betrafen u. a. die Frage der Zulässigkeit von Änderungen des Werkes durch den Autor nach Beginn der Vervielfältigung bzw. die Zulässigkeit von Änderungen am Werk durch den Verleger per se142. Von den zahlreichen redaktionellen Änderungen waren die Autorenrücktrittsrechte nur insofern betroffen, als der hier lediglich am Rande betrachtete § 39 Abs. 1 VerlG-E im Sinne der Anträge Hessens und Bayerns abgeändert wurde, während die Zusammenziehung der §§ 13 bis 15 VerlG-E zu einem einzigen Paragraphen zu einer neuen Nummerierung des Gesetzentwurfs führte (VerlG-E II). In der Folge waren die Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung fortan in den §§ 31, 33 VerlG-E II (vormals §§ 33, 35 VerlG-E) und 34 VerlG-E II (vormals § 36 VerlG-E) geregelt, während das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände in § 37 VerlG-E seinen Nieder-
139 Vorläufige Anträge Bayerns zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, 08.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 200 r. 140 Mogg, S. 172 f. folgert die Dominanz Preußens und Bayerns aus einem Abgleich zwischen den Abänderungsanträgen der Bundesstaaten und der tatsächlich gefassten Ausschussbeschlüsse. 141 Beschlüsse erster Lesung der Ausschüsse für Justizwesen und für Handel und Verkehr zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht – Nr. 93 der Drucksachen – vom 23.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 214–216; die Endfassung findet sich in den Drucksachen des Bundesrats, Session 1900, No. 144 (enthalten in BArch, R 1501 / 107431, Bl. 204–206). 142 Dazu ausführlich Mogg, S. 173 f.
VI. Beratungen und Beschlüsse des Bundesrates und ihr öffentliches Echo257
schlag fand143. Auch die Zählung der über den gesamten Prozess hinweg unverändert gebliebenen §§ 41, 42 VerlG-E änderte sich entsprechend (§§ 39, 40 VerlG-E II). Die Protokolle des Bundesrats selbst enthalten gleichsam keine Angaben zum Verlauf der dortigen Debatte, so dass allein festzuhalten bleibt, dass sich der Bundesrat ohne weitere Änderungen den Abänderungsbeschlüssen der Ausschüsse anschloss und dem Entwurf am 6. Dezember 1900 seine Zustimmung erteilte, dieser also ohne größere inhaltliche Änderungen an den Reichstag gelangte.144 Dies rief scharfe Reaktionen seitens der Interessenvertreter der Autorenschaft, der Universitäten wie auch der Jurisprudenz hervor. Im Zentrum der Kritik stand hier jedoch vor allem die freie Übertragbarkeit des Verlagsrechts, so dass eine Darstellung dieser Neuauflage der Debatte entbehrlich ist145. Gleichwohl hieß es etwa in der Eingabe der Universität Marburg, dass der Entwurf im Gesamten für die Stellung der Verfasser eine wesentliche Beeinträchtigung bedeuten würde, zumal er die unverhohlene Tendenz in sich trage, die Interessen des Verlegers zu schützen, während der Autor gezwungen sei, eine ihm dienliche Abänderung der Vertragsbestimmungen im Verhandlungswege zu erwirken146, was wiederum mit dem die neuere Gesetzgebung beherrschenden Prizip, im Zweifel die schwächere Vertragspartei zu schützen, nicht im Einklang stünde. Die Hoffnung der Schriftstellerwelt konzentriere sich daher darauf, dass „der hohe Reichstag, wie er seiner Zeit in das bürgerliche Gesetzbuch eine ganze Reihe von Schutzbestimmungen für den schwächeren Theil eingefügt“ habe, auch „in diesem Falle das Gesetz nur mit Veränderungen, die den Schriftsteller vor ungerechtfertigter Schädigung bewahren, annehmen werde“147. Ob der Reichstag dem mit Blick auf die Rücktrittsrechte Rechnung trug, bleibt zu prüfen.
143 Beschlüsse (erster Lesung) der Ausschüsse für Justizwesen und für Handel und Verkehr zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht – Nr. 93 der Drucksachen – vom 23.11.1900, BArch, R 3001 / 6543, Bl. 216 r. sowie Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 97. 144 Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats, Session 1900, §§ 674, 694; dazu Mogg, S. 174 f. 145 Ausführlich dazu Mogg, S. 175 ff. m. w. N. 146 Petition der Lehrer der Universität Marburg vom 19.01.1901, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 84 r. 147 Petition der Lehrer der Universität Marburg vom 19.01.1901, BArch, R 3001 / 6544, Bl. 84 v., 85 r.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
VII. Beratung und Beschlussfassung im Reichstag und Verabschiedung des Gesetzes Gesetzentwürfe wurden im Reichstag in drei Lesungen behandelt: An die vorbereitende Generaldebatte (1.) und der Behandlung des Entwurfs durch eine hierfür eingesetzte Gesetzeskommission (2.) schloss sich die Spezialdebatte an (3.), der eine abermalige Beratung durch die Kommission folgte. Ehe der Reichstag über das Gesetz abstimmte (wobei für die Annahme eine einfache Mehrheit genügte), fand eine abschließende Generaldebatte statt (4.).148 In dem aus 397 Abgeordneten bestehenden Reichstag der von 1898 bis 1903 währenden 10. Legislaturperiode verfügte eine große bürger liche Koalition aus Zentrum (102 Mandate), Konservativer Partei (56 Mandate) und Nationalliberalen (47 Mandate) über die Mehrheit der Stimmen. Stärkste Oppositionspartei waren die Sozialdemokraten (56 Madate), gefolgt von den linksliberalen Parteien (Freisinnige Volkspartei, Freisinnige Vereinigung und Süddeutsche Volkspartei), die über insgesamt 50 Mandate geboten. Die übrigen 63 Mandate entfielen auf kleinere Parteien, darunter Vertreter Elsaß-Lothringens sowie der polnischen und dänischen Minderheiten.149 Der Verlagsgesetzentwurf wurde dem Reichstag zusammen mit dem Entwurf des Literatururhebergesetzes durch Reichskanzler v. Bülow am 8. Dezember 1900 vorgelegt150. 1. Die Behandlung der Rücktrittsrechte in der ersten Reichstagslesung Die erste Lesung des Gesetzentwurfs fand am 8. und 9. Januar 1901 statt. Hierbei wurden die Rücktrittsrechte des Autors von Abgeordneten aller Lager aufgegriffen151. So bezogen Vertreter des konservativen Lagers [a)] ebenso Position wie Linksliberale [b)] und Sozialdemokraten [c)]. Nachdem die Urteile der Parteien zwischen Ablehnung und bestenfalls prinzipieller Zustimmung schwankten, sah sich das RJA zu einer verteidigenden Stellungnahme veranlasst [d)].
148 Huber,
S. 921. S. 180 f. 150 Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 97; dem Entwurf waren Motive beigegeben (S. 55 ff.), die aber hinsichtlich der Rücktrittsrechte des Autors von den Motiven der Bundesratsfassung nur unwesentlich abweichen und daher nicht eigens beleuchtet werden. 151 Dazu ausführlich Mogg, S. 181 ff. 149 Mogg,
VII. Beratung / Beschlussfassung im Reichstag u. Verabschiedung des Gesetzes 259
a) Die Position des konservativen Lagers Die Debatte wurde durch einen Redebeitrag des Zentrumsabgeordneten und Präsidenten des Oberlandesgerichts Berlin, Peter Spahn152, eröffnet. Spahn betonte den umstrittenen Charakter vieler Vorschriften, zumal des die Übertragbarkeit des Verlagsrechts regelnden § 30 VerlG-E II und empfahl eine ausführliche Beratung des Entwurfs der Kommission. Hinsichtlich der Rücktrittsrechte zeigte er sich jedoch zufrieden und unterstrich, dass diese zu keinen Bedenken Anlass gäben153. Arthur Esche, seines Zeichens Abgeordneter der Nationalliberalen Partei und Richter am Amtsgericht Dresden, bezeichnete die Vorlage als prinzipiell gelungen, wenngleich auch er sich kritisch zur freien Übertragbarkeit des Verlagsrechts äußerte. Die Rücktrittsrechte empfand Esche hingegen als nicht genügend ausgebaut – vielmehr müssten diesbezüglich noch weitere Bestimmungen in den Entwurf aufgenommen werden154. Welcher Art diese sein sollten führte Esche nicht aus – stattdessen befürwortete auch er die Klärung dieser Fragen in der Kommission155. Der für die Deutsche Reichspartei im Reichstag vertretene Schriftsteller Otto Arendt beurteilte den Entwurf als ausgewogen.156. Er zeigte sich optimistisch, dass sich hinsichtlich der umstrittenen Punkte ein Ausgleich zwischen Urheber- und Verlegerinteressen finden ließe. Aus diesem Grund betonte auch er die Notwendigkeit der Klärung von Einzelfragen in der Kommission; zu den Rücktrittsrechten nahm er nicht gesondert Stellung157. Schließlich nahm der Berliner Chefredakteur Georg Oertel für die Deutsche Konservative Partei zu dem Entwurf Stellung. Im Gesamten wertete auch er den Entwurf als gelungen. Insbesondere attestierte er dem Entwurf die Tendenz, den Rechtsschutz der Parteien im Allgemeinen und den Schutz der ideellen Momente in der Wertung und Verwertung geistiger Arbeit im Besonderen angemessen hervorzuheben. Durch die Kommission zu klären
Biographien der Abgeordneten finden sich bei Schwarz, M., passim. RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 1900), S. 525 A. 154 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 1900), S. 530 B. 155 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01.1900), S. 529 B. 156 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 1900), S. 536 B. 157 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 1900), S. 535 C. 152 Die
153 StenBer
260
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
bliebe jedoch, ob man diesbezüglich unter machen Aspekten zu weit und unter wiederum anderen nicht weit genug gegangen sei158. b) Die Äußerungen der linksliberalen Parteien Seitens des linksliberalen Lagers ergriff zunächst der Stuttgarter Rechtsanwalt Friedrich Haußmann von der Deutschen Volkspartei das Wort. Mit Blick auf die §§ 31, 33 VerlG-E II äußerte er Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit der Parteien, im Falle der Nichterfüllung der Hauptpflicht durch die jeweils andere Seite ohne Setzung einer Nachfrist zurücktreten zu dürfen, wenn der Rücktritt durch ein besonderes Interesse gerechtfertigt war. Konkret erschien ihm der unbestimmte Terminus des „besonderen Interesses“ als zu vage und deshalb in der Praxis nur schwer zu handhaben. Fraglich sei insbesondere, ob hier allein ein objektiver oder auch ein subjektiver Maßstab gelten solle. Auch vermisste Haußmann in den Motiven Beispiele für derartige besondere Gründe. Insofern betonte er, dass die Kommission diesbezüglich versuchen müsse, der Judikatur zuhilfe zu kommen. Überdies empfahl Haußmann eine Ergänzung des § 34 VerlG-E II dahingehend, dass dem Autor auch bei Neuauflagen ein fristloses Rücktrittsrecht zustehen sollte, wenn ein wichtiger Grund ein Abgehen vom Vertrag rechtfertige159. Der Fraktionsvorsitzende der Freisinnigen Vereinigung, Karl Schrader, betonte im Kontext der Übertragbarkeit des Verlagsrechts, dass der Verlagsvertrag aufgelöst werden können müsse, wenn sich ein Teil treuwidrig verhielt160. Er wies jedoch zugleich darauf hin, dass ein übertriebener Autorenschutz nicht selten ins Gegenteil umschlage, zumal es sich bei den Regelungen des Verlagsgesetzentwurfes um dispositives Recht handle und vorsichtige Verleger sich kaum darauf einlassen würden, einen Verlagsvertrag über ein erhebliches Werk abzuschließen, ohne die gegenseitigen Rechte und Pflichten exakt auszutradieren161. Auch Schrader schloss sich deshalb dem Wunsch nach Einsetzung einer Kommission an. Weiterhin bezog der Münchner Oberlandesgerichtsrat Ernst Müller (Freisinnige Volkspartei) zum Verlagsgesetzentwurf Stellung. Er bemängelte insbesondere die Lückenhaftigkeit des Gesetzentwurfs, dessen Regelungen u. a. 158 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 1900), S. 545 A, B, 548 B. 159 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 1900), S. 539 D, 540 A. 160 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 1900), S. 551 C. 161 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 1900), S. 550 D, 551 A.
2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01. 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01. 2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01.
VII. Beratung / Beschlussfassung im Reichstag u. Verabschiedung des Gesetzes 261
nicht für den Kunstverlagsvertrag galten. Zu den Rücktrittsrechten nahm er nicht Stellung, kritisierte jedoch die Diskrepanz zwischen den Motiven des Entwurfes („in dubio pro autore“) und dessen tatsächlichen Regelungsinhalten162. c) Die Äußerungen der Sozialdemokratie Für die Sozialdemokraten äußerte sich der Stuttgarter Verleger Johann Heinrich Wilhelm Dietz, der u. a. die Werke August Bebels und Ferdinand Lasalles herausgab163. Dietz kritisierte den Entwurf im Gesamten als ungenügend, zumal er literarisches Schaffen wie irgendein beliebiges Handelsgut behandle, sei dieses „ein Schweizerkäse […] oder eine Tonne Rosinen“. Zwar nahm auch er nicht ausdrücklich zu den Rücktrittsrechten Stellung, betonte jedoch, dass der menschliche Geist etwas Anderes sei als gewöhnliche Handelsware und demnach auch anders bewertet werden müsse, man mithin einen besseren Weg finden müsse, um die Interessen der Schriftsteller zu wahren als dies in dem vorliegenden Entwurf der Fall sei.164 In diesem Sinne, so schloss Dietz, sollte auch in der Kommission verhandelt werden165. d) Die Verteidigung des Entwurfs durch das Reichsjustizamt Angesichts der parteiübergreifenden Kritik sah man sich seitens des RJA zu einer verteidigenden Stellungnahme veranlasst. Darin stellte Staatssekretär Nieberding hervor, dass man sich zwar bemüht habe, die Interessen der Autoren so weitgehend als irgend möglich zu berücksichtigen, diese jedoch eine zwingende Schranke in der Geschäfts- und Aktionsfreiheit des buchhändlerischen und musikalischen Verlagswesens finden mussten, welches ein hohes wirtschaftliches Gut darstelle und insofern nicht zu sehr beengt werden dürfe166. Ausgehend von dieser Aussage, die auch und insbesondere die Motive für die Einschränkung des freien Rücktrittsrechts preußischer Provinienz zugunsten einer deutlich enger gefassten Regelung pointiert zusammenfasst,
162 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01. 1900), S. 561 D, 562 B, 563 D. 163 Dazu ausführlich Graf, S. 112 ff., auf die ihrerseits auf Mogg, S. 184 verweist. 164 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 1900), S. 531 B, 533 B, C. 165 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 20. Sitzung (08.01. 1900), S. 534 D, 535 A. 166 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01. 1900), S. 553 C.
262
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
gab auch Nieberding seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Kommission den Entwurf besonders sorgfältig prüfen werde167. 2. Die Rücktrittsrechte in der Beratung der Reichstagskommission Die Kommission, welche auf Beschluss des Reichstages gebildet wurde168 und zur Vorberatung der Gesetzesvorlage am 10. Januar 1901 erstmals zusammentrat, bestand aus insgesamt 21 Mitgliedern, wobei die konservativen Parteien, den Verhältnissen im Reichstag entsprechend, auch hier die Mehrheit stellten. Hinzu kamen Vertreter der Bundesstaaten Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg und des Großherzogtums Sachsen (Sachsen-WeimarEisenach) sowie fünf Kommissare des Bundesrats.169 Die Kommission beriet in zwei Lesungen, wobei auf die erste sechs, auf die zweite ein Sitzungstermin entfiel170. Hinsichtlich der Rücktrittsrechte wurde eine Reihe von Ab änderungsanträgen gestellt, die sowohl die Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung [a)] als auch das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände betrafen [b)]. Durchsetzen konnten sich hiervon jedoch nur zwei Anträge, während die flankierenden Vorschriften der §§ 39, 40 VerlG-E II gar nicht zur Sprache kamen bzw. lediglich im Hinblick auf die Paragraphenzählung angepasst wurden171.
167 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01. 1900), S. 555 A. 168 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), 21. Sitzung (09.01. 1900), S. 567 D. 169 Konkret entsandte das Zentrum sechs, die Konservative Partei drei, die Nationalliberalen und die Deutsche Reichspartei jeweils zwei, die Freisinnige Volkspartei drei, die SPD vier und die polnische Minderheit einen Abgeordneten; hiervor wiederum waren neun Juristen, zwei Verleger, drei Redakteure und zwei Schriftsteller, während die übrigen fachfremde Berufe ausübten, siehe die Listen der Sitzungsteilnehmer im Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 1 f., 62 sowie Mogg, S. 186. 170 Siehe die Protokolle der Ausschusssitzungen in BArch, R 101 / 823: 11. Sitzung am 12.02.1901 (Bl. 9), 12. Sitzung am 14.02.1901 (Bl. 12–14), 13. Sitzung 15.02.1901 (Bl. 18), 14. Sitzung am 19.02.1901 (Bl. 19 f.), 15. Sitzung am 21.02.1901 (Bl. 27), 16. Sitzung am 22.02,1901 (Bl. 37) sowie 19. Sitzung am 05.03.1901 (Bl. 47). Ausführlich zu sämtlichen von der Kommission behandelten Fragen Mogg, S. 187 ff. 171 Siehe Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 54 f., wonach auf die Beratung des § 38 VerlG-E II sogleich die Erörterungen zu § 43 VerlG-E II folgten.
VII. Beratung / Beschlussfassung im Reichstag u. Verabschiedung des Gesetzes 263
a) Kommissionsverhandlungen und -beschlüsse zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung § 17 VerlG-E II, dessen Abs. 2 klarstellte, dass mit einer Befugnis des Verlegers zu Neuauflagen keine korrespondierende Verpflichtung einherging und § 34 VerlG-E II, der dem Autor für den Fall der Nichtausübung dieser Befugnis ein Rücktrittsrecht gewährte, wurden von der Kommission zusammen behandelt. Hier waren zwei Änderungsanträge gestellt worden: Zum einen hatte Oertel (Konservative) gefordert, § 17 Abs. 2 VerlG-E II ersatzlos zu streichen172, zum anderen sollte nach einem Antrag Müllers (Freisinnige Volkspartei) § 34 VerlG-E II dahingehend präzisiert werden, dass im Fall des Rücktritts des Autors der Vertrag endete, sobald die letzte Auflage vergriffen war173. Beide Anträge sollten der Klarstellung der Rechtslage dienen. Zum ersten Antrag verwieß ein Regierungsvertreter auf die hinter § 17 VerlG-E II stehenden Motive, welche gegenüber der Bundesratsfassung unverändert geblieben waren174. Zu § 34 VerlG-E II führte man nochmals klarstellend aus, dass dieser eine notwendige Ergänzung des § 17 Abs. 2 VerlGE II darstelle, da der Autor ansonsten weder in der Lage wäre, einen zur Neuauflage befugten Verleger zur tatsächlichen Veranstaltung einer solchen zu bewegen, andererseits das Werk auch nicht in einem anderen Verlag neuauflegen könne, ohne gegenüber dem Erstverleger vertragsbrüchig zu werden. Aus diesem Grund müsse dem Autor die Möglichkeit eröffnet werden, sich durch einen Rücktritt wieder die freie Verfügungsgewalt über sein Werk zu verschaffen, wenn der Verleger, der das Recht, aber nicht die Pflicht habe, eine neue Auflage zu veranstalten, selbiges trotz Aufforderung innerhalb einer angemessenen Frist nicht ausübe. Die Anträge wurden im Anschluss an die Redaktionskommission überwiesen, welche die geforderte präzisierende Ergänzung des § 34 VerlG-E II verwarf, da sie nach § 40 (welcher die einzelfallsabhängige Möglichkeit der teilweisen Aufrechterhaltung des Vertrages im Rücktrittsfall vorsah) selbstverständlich sei. Auch die Notwendigkeit der Beibehaltung des § 17 Abs. 2 VerlG-E II wurde bestätigt, jedoch beschloss man eine Zusammenführung des § 17 mit § 34 VerlG-E: Letzterer sollte fortan in Ersterem enthalten sein.175 172 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 6. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 7 r. 173 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 2. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 3 r. 174 Siehe Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 97, S. 73 sowie oben, E. IV. 1. 175 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 26.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Zum Rücktrittsrecht nach §§ 31, 33 VerlG-E II wurden keine Anträge gestellt; es wurde lediglich darauf verwiesen, dass in diesen Paragraphen im Anschluss an die Vorschriften des BGB über den Werkvertrag (§§ 633–636 BGB 1900) die Befugnisse beider Seiten für den Fall der nicht rechtzeitigen bzw. gänzlich unterbliebenen Erfüllung der Hauptverbindlichkeiten geregelt seien176. b) Kommissionsverhandlungen und -beschlüsse zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände Während die Kommissionsverhandlungen zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung somit überschaubar blieben, gestalteten sich die Verhandlungen zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ungleich umfassender. Zunächst wurde, nachdem die Verhandlungen zu dem die Übertragbarkeit des Verlagsrechts regelnden § 28 VerlG-E II zu dem Beschluss geführt hatten, dass der Verleger fortan nur noch mit Zustimmung des Autors zur Weiterveräußerung seiner Rechte an einem einzelnen Werk befugt sein sollte, das Rücktrittsrecht aus § 37 Abs. 1 VerlG-E II ersatzlos gestrichen.177 Zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände beantragten Esche178 und Müller179 eine Ergänzung dahingehend, dass der Autor auch dann zum Rücktritt befugt sein sollte, wenn ihn die Umstände bei Kenntnis vom Vertragsabschluss selbst abgehalten haben würden. Analog der gleichlautenden Forderung der Interessenvertreter der Autorenschaft180 zielte dies auf die Anerkennung von Veränderungen in der Person des Verlegers als Rücktrittsgrund. Man dürfe, so die Begründung, den Verfasser nicht zwingen, sein Werk in einem Verlag erscheinen zu lassen, der eine Schädigung seines literarischen Ansehens bedeuten würde. Überdies stellte Müller den Antrag, auf das Erfordernis der Unvoraussehbarkeit der Umstandsveränderung zu verzichten. Auf diese Weise sollte der 176 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 45. 177 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 46. Ausführlich zur Debatte um die Übertragbarkeit des Verlagsrechts Mogg, S. 189 f. sowie Wittmann, G., S. 149 ff. 178 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 2. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 2 r. 179 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 2. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 3 v. 180 Siehe oben, E. V. 2. lit. a) sowie E. V. 5. lit. a).
VII. Beratung / Beschlussfassung im Reichstag u. Verabschiedung des Gesetzes 265
Autor von einer äußerst schwierigen, ihm zu Unrecht aufgebürdeten Beweislast befreit werden. Seine Begründung wurde im Kommissionsbericht folgendermaßen wiedergegeben: „Verminderung der Arbeitskraft oder sonstige Schwierigkeiten, die sich dem Abschlusse des Werkes entgegenstellten, Aenderung der Ansichten und dergl. könnten einem Schriftsteller es nahe legen, von der Herausgabe eines geplanten Werkes Abstand zu nehmen; es sei unbillig, ihm unter solchen Umständen den Rücktritt zu erschweren; auch stände das Verlangen des Antrags mit dem §. 1005 Allg. L.-R. im Einklang“181.
Damit wurde nicht nur ein weiteres Mal auf die Möglichkeit des Überzeugungswandels als Rücktrittsmotiv hingewiesen, sondern auch (und gleichsam erneut) die Schlechterstellung des Autors durch den Verlagsgesetzentwurf gegenüber dem preußischen Allgemeinen Landrecht hervorgehoben. Dennoch erklärten die an den Kommissionsberatungen teilnehmenden Regierungsvertreter beide Anträge für unannehmbar. Das Rücktrittsrecht des Autors sei, so ihre Argumentation, Gegenstück zum Kündigungsrecht des Verlegers nach § 18 VerlG-E II (vormals § 20 VerlG-E)182. Würde man den Anträgen stattgeben, so wäre es aus Billigkeitsgründen erforderlich, das Kündigungsrecht des Verlegers entsprechend zu erweitern (was wohl ein den frühen Fassungen der Verlagsordnung des Börsenvereins ähnelndes Rücktrittsrecht des Verlegers wegen veränderter Umstände nach sich gezogen hätte183). Dies läge jedoch nicht im Interesse der Autoren, zumal selbigem durch die Anerkennung des Rücktrittsrechts in der bis dato vorgesehenen Fassung bereits zur Genüge Rechnung getragen würde184. Damit wurden die Anträge abgelehnt und die Vorschriften nach der Fassung des Gesetzentwurfs angenommen, so dass die Beweispflichtigkeit des Autors hinsichtlich der veränderten Umstände und deren objektiver Unvorhersehbarkeit bestehen blieb. Hieran vermochte auch eine Wiederholung des ersten Antrags in der zweiten Lesung nichts zu ändern185.
181 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 47. 182 Dazu oben, E. II. 3. lit. a) sowie E. V. 2. lit. b). 183 Dazu oben, D. II. 4. lit. a) bb), b) bb) sowie c) cc). 184 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 47. 185 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 12. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 46 r.; Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 47.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Hinsichtlich der in § 37 Abs. 3 VerlG-E II vorgesehenen Ersatzverbindlichkeiten des zurücktretenden Autors wurden gleichermaßen zwei Anträge gestellt: Esche und Müller forderten im Anschluss an ihren Antrag zu Abs. 2, dass der wegen in der Person des Verlegers liegenden Umständen zurücktretende Autor von sämtlichen Ersatzverpflichtungen befreit werden solle186. Zur Begründung verwies man abermals auf die Unbilligkeit, die darin läge, dem Autor Ersatzverbindlichkeiten aufzuerlegen, der wegen Umständen zurücktrat, die aus der Sphäre des Verlegers kamen. Abermals hielten die Regierungsvertreter um Nieberding dagegen, indem sie betonten, dass eine Haftungsfreistellung nach allgemeinen Grundsätzen allein dann gerechtfertigt sei, wenn der Verleger den Umstand bzw. die Umstandsänderung, welche den Autor zum Rücktritt veranlasse, tatsächlich zu vertreten habe. Folglich wurden auch diese Anträge abgelehnt.187 Schließlich beantragten die sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder Fischer, Dietz, Stadthagen und Südekum die Verkürzung der in § 39 Abs. 3 VerlG-E II vorgesehenen Nachhaftungsdauer von zwei Jahren auf ein Jahr188. Sie begründeten dies ebenfalls mit Billigkeitserwägungen und verwiesen darauf, dass auch § 1007 ALR eine einjährige Frist vorgesehen habe. Auch diesem Antrag widersprachen die Regierungsvertreter, die sich diesmal auf die Sachverständigenbesprechungen beriefen, in deren Rahmen besagte Frist nicht moniert worden war. Gleichwohl wurde dieser Antrag angenommen und die zweijährige Nachhaftungsfrist in § 39 Abs. 3 VerlG-E II auf ein Jahr verkürzt.189 3. Die zweite und dritte Reichstagslesung und das weitere Verfahren Nach Abschluss der Verhandlungen legte die Kommission am 19. März 1901 ihren Bericht sowie eine Zusammenstellung sämtlicher Abän186 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 2. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 2 r. (Antrag Esche); Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 2. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 3 v. (Antrag Müller). 187 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 48. 188 Abänderungs-Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht No. 7. B., BArch, R 101 / 823, Bl. 8 r. 189 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 48.
VII. Beratung / Beschlussfassung im Reichstag u. Verabschiedung des Gesetzes 267
derungsbeschlüsse dem Reichstag vor und beantragte, dass dieser dem Gesetzentwurf in der entsprechend abgeänderten Fassung (VerlG-E III) zustimmen möge190. Ingesamt ließen die Abänderungsbeschlüsse die Grundlagen des Gesetzentwurfs unberührt, führten jedoch zu einer sanften Korrektur des Gesetzentwurfs zum Vorteil der Autoren191, wofür die Änderung des § 37 Abs. 3 VerlG-E II als exemplarisch betrachtet werden kann. Überdies bedingten redaktionelle Änderungen eine abermalige Änderung der Nummerierung, so dass die Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung nunmehr endgültig in den §§ 17, 30, 32 und das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände in § 35 VerlG-E III geregelt wurden192. Der Reichstag trat am 20. April 1901 zur zweiten Lesung des Entwurfes (Spezialdiskussion) zusammen und übernahm die Beschlüsse der Kommission zu den Rücktrittsrechten ohne weitere Änderungen193; einzig die Frage der Übertragbarkeit des Verlagsrechts sowie die Regelungen zum Konkurs des Verlegers nahmen breiteren Raum in der Debatte ein, wobei vorgebrachte Änderungsanträge durch die Mehrheit der konservativen Parteien abgelehnt wurden194. Die dritte Lesung des Entwurfs (abschließende Generaldebatte) fand am 1. Mai 1901 statt, wobei der Entwurf in der Fassung der zweiten Lesung mit den Abänderungen der XI. Kommission en bloc beschlossen wurde.195 Die Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 13. Juni 1901196 und am 19. Juni fertigte der Kaiser das Gesetz aus197, welches am 28. Juni 1901 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurde198. Es trat am 1. Januar 1902 in Kraft. Damit erlangten die Rücktrittsrechte des Autors wegen Nichtausübung und veränderter Umstände, letzteres bisher ein preußisches Spezifikum, ersteres 190 Bericht der XI. Kommission den Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht betreffend – No. 97 der Drucksachen, in: Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 01), No. 215, S. 62 (Antrag), 63 ff. (Zusammenstellung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verlagsrecht – Nr. 97 der Drucksachen – mit den Beschlüssen der XI. Kommission). 191 Mogg, S. 194, der auf S. 191 ff. überdies sämtliche Änderungen im Anschluss an das zeitgenössische Urteil des Kommissionsvorsitzenden Spahn, DJZ 1901, S. 174 ff. wertend beleuchtet. 192 Dazu ausführlich Mogg, S. 192. 193 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 03), 78. Sitzung (20.04. 1901), S. 2252 B (§ 17 VerlG-E III), S. 2262 A (§§ 31, 32, 35 VerlG-E III). 194 Dazu ausführlich Mogg, S. 195 ff. 195 StenBer RT, 10. Legislaturperiode, 2. Session (1900 / 03), 85. Sitzung (01.05. 1901), S. 2467 B. 196 Protokolle der Verhandlungen des Bundesrats, Session 1901, § 378. 197 Siehe die entsprechende Aktennotiz in BArch, R 3001 / 6544, Bl. 140. 198 RGBl. 1901, No. 27, S. 217.
268
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
bis dato an keiner Stelle gesetzlich geregelt, reichsweite Geltung. Erst durch das Urheberrechtsgesetz von 1965 erfuhren sie mit den §§ 41, 42 UrhG eine Erweiterung. Der Weg dorthin ist Gegenstand der nächsten Kapitel.
VIII. Die mittelfristige Bewertung in der Literatur und die Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG Ehe hierauf eingegangen wird, soll abschließend jedoch noch ein Blick auf den mittelfristigen Widerhall der §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG in Jurisprudenz (1.) und Juristdiktion (2.) geworfen werden. 1. Die Behandlung der Rücktrittsrechte in der Rechtswissenschaft bis 1918 Bereits in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des Verlagsgesetzes erschienen zahlreiche Kommentare [a)] sowie rechtswissenschaftliche Beiträge und Monograhien [b)], die sich mit dem Gesetz im Allgemeinen und den Rücktrittsrechten im Besonderen befassten. Während sich die Kommentare, ihrem Naturell entsprechend, vor allem der näheren Bestimmung der Tatbestandsmerkmale der §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG widmeten, setzte sich die Rechtswissenschaft insbesondere mit dem Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände kritisch auseinander [b)]. a) Kommentarliteratur Noch im Jahr des Inkrafttretens des Verlagsgesetzes veröffentlichte Robert Voigtländer seinen Kommentar zum Urheber- und Verlagsrecht, der hinsichtlich der Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung und gewandelter Überzeugung im Wesentlichen die Aussagen des Berichts der XI. Reichstagskommission wiedergab199. Erwähnenswert ist einzig, dass Voigtländer offenbar nicht verwunden hatte, dass man sich seinerzeit so vehement gegen das von ihm vorgeschlagene freie Rücktrittsrecht des Verlegers ausgesprochen hatte200. So betonte er abermals, dass bei treu- aber nicht pflichtwidrigem Verhalten des Verfassers dem Verleger ebenfalls ein freies Rücktrittsrecht zustehen müsse, welches auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB 1900) zu stützen sei.201 Dieser Versuch, ein Verlegerrücktrittsrecht we199 Siehe Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 213 f. (§ 17 VerlG), 239 f. (§ 30 VerlG), 240 f. (§ 31 VerlG), S. 248 ff. (§ 35 VerlG). 200 Siehe oben, D. II. 4. lit. d). 201 Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 250.
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG269
gen veränderter Umstände über den Umweg des § 242 BGB einzuführen, stieß in der übrigen Literatur jedoch durchgehend auf Ablehnung202. 1902 erschien die erste Auflage des Kommentars zum Urheber- und Verlagsrecht des Erlanger Ordinarius Philipp Allfeld. Dieser soll hier als exemplarisches Beispiel für eine Reihe von Kommentaren203 dargestellt werden, die zum Teil noch vor oder unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Verlagsgesetzes erschienen und eine detaillierte Bestimmung der Tatbestandsmerkmale der §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG enthielten, sich aber inhaltlich allenfalls in Nuancen voneinander unterschieden. Auf andere Kommentare wird daher nur dann ausdrücklich eingegangen, wenn diese in bedeutender Weise von Allfelds Werk abweichen. Allfeld widmete sich zunächst den Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 VerlG. Dabei nahmen insbesondere die Frage der Entbehrlichkeit der Fristsetzung im Falle der Weigerung des zu Neuauflagen berechtigten Verlegers, von diesem Recht auch Gebrauch zu machen, sowie die Frage der Angemessenheit ebendieser Frist breiteren Raum ein. Demnach könne sich die Weigerung des Verlegers, eine Neuauflage zu veranstalten, auch konkludent ergeben, etwa durch Rücksendung des Manuskripts, welches der Autor für die zweite Auflage eingereicht hatte oder durch die Vernichtung der Druckplatten. War eine Fristsetzung vonnöten, so musste diese angemessen, d. h. wenigstens so bemessen sein, dass der Verleger die Chancen des Geschäfts abwägen, seinen Entschluss fassen und diesen zur Ausführung bringen könne204; dabei konnte die Frist nach Ermessen des Autors auch als bloße Erklärungsfrist ausgestaltet sein, binnen derer der Verleger dem Autor seine Entscheidung mitzuteilen, nicht jedoch mit der Veranstaltung selbst zu beginnen hatte205. Im Rahmen seiner Anmerkungen zu § 32 VerlG konkretisierte Allfeld jene Fälle, in welchen keine ordnungsgemäße Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes anzunehmen war: Hier nannte er – vorbehaltlich anderslautender vertraglicher Regelungen – die nicht orginalgetreue Vervielfältigung des Werkes (Verstoß gegen das in § 13 VerlG normierte Abänderungsverbot), eine Vervielfältigung oder Verbreitung in der nicht zweckentsprechenden und 202 Goldbaum,
S. 48.
S. 420; ähnlich Mittelstaedt / Hillig (1901), S. 124 und Eckermann,
203 In concreto die Werke Müllers (1901), Mittelstaedt / Hilligs (1901), Heinitz’ (1901), Stengleins (1903) und Ebners (1910). 204 Allfeld, 1902, S. 470; ähnlich Müller, E., 353; Mittelstaedt / Hillig, S. 70 f., 112 Heinitz, S. 44; Daude, S. 155. 205 Allfeld, 1902, S. 471; Anschütz, Heft 2, S. 23 unterstrich überdies, dass bei einer ausdrücklichen Erklärung des Verlegers, keine weitere Auflage veranstalten zu wollen, eine ausdrückliche Rücktrittserklärung des Autors entbehrlich sei.
270
E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
üblichen Weise (§ 14 VerlG; hierfür maßgeblich war die vom Börsenverein herausgegebene buchhändlerische Verkehrsordnung), die nicht rechtzeitige Vervielfältigung (§ 15 VerlG), eine zu geringe Auflagenhöhe (§ 16 VerlG), die Nicht- oder verspätete Veranstaltung einer Neuauflage, sofern der Verleger sich hierzu verpflichtet hatte (§ 17 VerlG), er nicht für die Korrektur des Manuskripts sorgte (§ 20 VerlG) oder er den Ladenpreis ohne Konsultation des Autors verringerte bzw. erhöhte (§ 21 VerlG). Im Hinblick auf die Möglichkeit des Autors, ohne Setzung einer Nachfrist sofort zurücktreten zu dürfen wenn dies durch ein besonderes Interesse gerechtfertigt war, nannte Allfeld beispielhaft den Fall, dass sich diesem kurzfristig die Möglichkeit eröffnete, das Werk, dessen Vervielfältigung der Verleger verzögerte, in einem anderen Verlag erscheinen zu lassen206. Bei § 35 VerlG ging Allfeld entlang der Tatbestandsvoraussetzungen vor. Demnach durfte für den Rücktritt die Vervielfältigung noch nicht begonnen haben, während die Umstände, auf welche sich der Autor berief „neu“, d. h. solche sein mussten, welche im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht vorlagen und überdies auch nicht voraussehbar waren. Dabei genüge es nicht, dass die Umstandsveränderung vom Autor selbst, d. h. subjektiv nicht vorausgesehen wurde. Vielmehr durfte es ihm nach der objektiven Sachlage und bei Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit nicht möglich gewesen sein, den Umstandseintritt vorauszusehen207. Heinitz betonte in seinem Kommentar, dass der Autor mit entfernten Möglichkeiten nicht zu rechnen brauche und der Rücktritt insbesondere dann nicht ausgeschlossen sei, wenn der Verfasser die Umstandsänderung lediglich als möglich hätte voraussehen können208. Auch Mittelstaedt / Hillig unterstrichen, dass allein das Verkennen des Eintritts eines solchen Ereignisses, das jeder verständige Mann hätte erkennen müssen zum Ausschluss des Rücktrittsrechts führe209. Die Beweislast dafür, dass die Umstände für jedermann unvorhersehbar 206 Allfeld, 1902, S. 508 f.; ähnlich Müller, E., S. 382 f., Nr. 2, 3.; Mittelstaedt / Hillig, S. 114 f.; Heinitz, S. 77 f.; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 243; Ebner, S. 216 f.; Daude, S. 172 ff. 207 Allfeld, 1902, S. 523; ähnlich Müller, E., S. 391 f., Nr. 4; Mittelstaedt / Hillig, S. 125; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 249 sowie Ebner, S. 219 und Daude, S. 179 f. sowie ein von Anschütz verfasstes Gutachten der Rechtsauskunftsstelle des Deutschen Verlegervereins Leipzig aus dem Jahr 1914, Anschütz, Heft 1, S. 11 ff. 208 Heinitz, S. 86. 209 Mittelstaedt / Hillig, S. 124; siehe insofern auch ein Gutachten Anschütz, nach dem Krankheit des Herausgebers kein veränderter Umstand sei, wenn dieser im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits hochbetagt war (wobei das Gutachten verkannte, dass der Rücktritt nach § 35 VerlG in diesem Fall auch deshalb ausgeschlossen gewesen wäre, da die Krankheit ein Umstand war, die den Autor bei Kenntnis nur davon abgehalten hätte, das Werk bei diesem Verleger herauszugeben), Anschütz, Heft 1, S. 59 ff.
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG271
waren, oblag, wie Allfeld nochmals unterstrich, allein dem zurücktretenden Autor210. Hinsichtlich der Rücktrittsgründe selbst betonte er mit Verweis auf die Kommentare Müllers und Mittelstaedt / Hilligs sowie Osterrieths Beitrag zum Verlagsgesetz in der GRUR 1900 nochmals, dass die veränderten Umstände den Autor von der Herausgabe des Werkes an sich abhalten mussten, also Umstände, die in der Person des Verlegers lagen, unberücksichtigt blieben211. Er tat dies, da trotz des eindeutigen Wortlauts des § 39 Abs. 1 VerlG und der Gesetzesbegründung Stenglein in seinem Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reiches das Gegenteil vertrat212. Gleichsam im Einklang mit der herrschenden Meinung unterstrich Allfeld, dass die veränderten Umstände gleichermaßen objektiver wie subjektiver Natur sein konnten. Für erstere führte er beispielhaft die Überholung eines wissenschaftlichen Werkes durch neue Erkenntnisse an, für letztere die persönlichen Verhältnisse des Autors, so z. B. einen Umschwung in dessen religiöser, politischer sowie wissenschaftlicher Anschauung oder einen Wechsel in der Berufsstellung, der eine größere Abhängigkeit des Verfassers – etwa von der öffentlichen Meinung oder den jeweiligen Ansichten seines Dienstherrn bzw. Arbeitgebers – mit sich brachte, so dass ihm die Veröffentlichung des Werkes zu schaden drohte213. Als Beispiele für die infolge des Rücktritts zu ersetzenden Aufwendungen nannte Allfeld die Anschaffung besonderer, eigens für den Druck des konkreten Werkes vorgesehener Lettern, Entschädigungszahlungen, welche der Verleger infolge des Rücktritts an Dritte, etwa den potentiellen Drucker, zu leisten hatte oder Reisen des Verlegers zu Besprechungen mit dem Autor.214 Hinsichtlich des Schadensersatzanspruches wegen Nichterfüllung bei anderweitiger Herausgabe benannte er die Missbrauchsprävention als leitenden Gedanken hinter § 35 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 VerlG und betonte, abermals gegen Stenglein215, dass sich diese insbesondere auf den entgangenen Gewinn erstrecke.216 Zu unterstreichen ist schließlich, dass auch die Kommentarlitera210 Allfeld, 1902, S. 524; ähnlich Müller, E., S. 391 f., Nr. 4; Mittelstaedt / Hillig, S. 125; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 249 sowie Ebner, S. 219 und Daude, S. 179 f. 211 Allfeld, 1902, S. 524 mit Verweis auf Müller, E., S. 392; Mittelstaedt / Hillig, S. 125 sowie den Sonderabdruck von Osterrieths GRUR-Beitrag „Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ (Berlin 1901), S. 76; ähnlich auch Heinitz, S. 86; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 249 und Daude, S. 179. 212 Stenglein, S. 185, Nr. 5. 213 Allfeld, 1902, S. 524.; ähnlich Müller, E., S. 391, Nr. 2; Stenglein, S. 185, Nr. 5; Mittelstaedt / Hillig, S. 125; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 249. 214 Allfeld, 1902, S. 525. 215 Stenglein, S. 186, Nr. 6 lit. d). 216 Allfeld, 1902, S. 526; ähnlich Müller, E., S. 391, Nr. 1; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 250.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
tur § 35 VerlG in der Masse als autorenseitiges Gegenstück zum Kündigungsrecht des § 18 VerlG217 und (enger gefasste) Nachfolgevorschrift zu § 1005 ALR ansah218. b) Jurisprudenz In der Jurisprudenz verdienen einige Schriften besondere Erwähnung, da sie die Rücktrittsrechte des Verlagsgesetzes zum Teil scharf kritisierten. Hauptangriffspunkte waren dabei zum einen die Terminologie des Gesetzes, zum anderen die temporäre Reichweite und die Rücktrittsvoraussetzungen des § 35 VerlG. Bemerkenswerterweise war es eine Arbeit zum schweizerischen Verlagsrecht (dem ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände fremd war), in der die diesbezüglichen Vorgaben des deutschen Verlagsgesetzes ausdrücklich abgelehnt, ja für das schweizerische Recht stattdessen Regelungen nach dem Vorbild der §§ 1005 ff. ALR gefordert wurden [aa)]. Eine umfassende Kritik erfuhr § 35 VerlG auch in dem 1907 erschienenen Werk Josef Kohlers zum „Urheberrecht an Schriften und Verlagsrecht“ [bb)], die ihrerseits von späteren Autoren wie Erwin Riezler [cc)], Alexander Elster [dd)] und Hans Otto de Boor [ee)] aufgegriffen und präzisiert wurde. Befassten sich all diese Beiträge ausschließlich mit dem Rücktrittsrecht nach § 35 VerlG, so verdient hinsichtlich der §§ 30, 32 VerlG schließlich ein Beitrag Kohlers besondere Erwähnung, in dem dieser das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung ausdrücklich persönlichkeitsrechtlich deutete [ff)]. aa) § 35 VerlG als Rückschritt gegenüber §§ 1005 ff. ALR: Gallus Christ 1904 erschien die von der Universität Zürich als Dissertation angenommene Schrift Gallus Christs zum „Verlagsvertrag nach schweizerischem Obligationenrecht unter Mitberücksichtigung des deutschen Rechts“. Den Umstand, dass das schweizerische Verlagsrecht kein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände kannte, bemängelte Christ als Versäumnis des eidgenössischen Gesetzgebers, nicht zuletzt da die Möglichkeit einer „Sinnesänderung […] bei der besondern Art geistiger Produktion sehr naheliegend“ sei. Sofern man sich für die Einführung einer entsprechenden Norm entscheiden sollte, wäre der Rücktritt nach dem Muster des preußischen Landrechts in das freie Belieben des Autors zu stellen und durch einen auf Ersatz des positiven Schadens gerichteten Ausgleichsanspruch des Verlegers gegen Missbrauch zu 217 So insbesondere Mittelstaedt / Hillig, S. 124; Heinitz, S. 85; Voigtländer, UrhR / VerlR, S. 249. 218 So insbesondere Heinitz, S. 85.
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG273
sichern. Mache man das Rücktrittsrecht hingegen – wie in § 35 VerlG geschehen – von einer wirklichen literarischen oder künstlerischen Sinnesänderung abhängig, so sei es dem Verleger ein Leichtes, dem Rücktritt zu widersprechen und eine gerichtliche Überprüfung der Rücktrittsgründe zu erzwingen. Damit würde jedoch etwas erreicht, was nach Auffassung Christs unmöglich im Interesse geistigen Schaffens liegen könne: „Die Blosstellung der intimsten literarischen oder künstlerischen Beziehungen des Verfassers!“. Zwar sei nicht abzustreiten, dass mit einem derart weitgehenden Rücktrittsrecht ein gewisses Missbrauchsrisiko einherginge, jedoch sei dies kein Grund, dessen Ausübung an sachliche Voraussetzungen zu knüpfen, durch deren öffentliche Feststellung ideelle Interessen des Autors verletzt würden. Aus diesem Grund sei eine Vorschrift erforderlich, welche der „ebenfalls im Preussischen Landrecht enthaltenen Bestimmung (§ 1007)“ entspräche, die ihrerseits ein „praktisch ausserordentlich wirksames Korrektiv des in der Tat sehr weitgehenden Rücktrittsrechts des Autors“219 darstelle. Dabei befürwortete Christ eine Ausdehnung der Nachhaftungsdauer auf zwei bzw. drei Jahre. Schließlich betonte er, dass der Rücktritt in zeitlicher Hinsicht bis zur Herausgabe des Werkes erklärt werden dürfe, da erst ab diesem Zeitpunkt ein Widerruf der im Werk entwickelten Ansichten oder Eindrücke unmöglich sei220. Insofern sei es unerklärlich, wieso das das deutsche Verlagsgesetz den Rücktritt lediglich bis zum Beginn der Vervielfältigung gestatte221. Nach Biermann war Christ damit der zweite, der die §§ 1005 ff. ALR als gegenüber § 35 VerlG zu bevorzugende Regelung des Autorenrücktritts wegen veränderter Umstände erachtete. bb) Josef Kohlers Kritik an § 35 VerlG Wirkten Kohlers Äußerungen zu den Autorenrücktrittsrechten in seinem 1880 erschienenen „Autorrecht“ mitunter ambilvalent222, so verdienen die das Autorenrücktrittsrecht betreffenden Passagen in seinem 1907 erschienenen „Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht“ umso mehr Beachtung. Unter der Überschrift „Voraussetzungslehre im Verlagsverhältnis“ betonte er, dass das Verlagsvertragsverhältnis in so tiefgehende Lebensbedingungen eingreife, dass seine Entwicklung ohne vielseitige Voraussetzungen nicht denkbar, zumindest aber rechtlich unangemessen wäre.
219 Christ,
S. 101. S. 102. 221 Christ, S. 102 / Fn. 10. 222 Siehe oben, D. I. 220 Christ,
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Hinter dem Begriff der „Voraussetzung“ stand ausweislich Kohlers Lehrbuch zum Bürgerlichen Recht der Gedanke, dass eine rechtlich erhebliche Handlung mitunter zu einem unberechtigten, der ursprünglichen Rechtshandlung zuwiderlaufenden Ergebnis führen könne223. Im Gegensatz zur Bedingung, welche gesetzt werde, wenn ein Umstand noch in gerechtfertigem Zweifel lag, schütze die Voraussetzung gegen Wechselfälle, die ihren Grund in der Fehlbarkeit des menschlichen Wesens an sich hatten. Konkret solle sie Fälle abdecken, in welchen eine Partei eine Verbindlichkeit in der sicheren Annahme des Eintritts eines bestimmten Umstandes eingegangen war, dieser Umstand jedoch aufgrund unvoraussehbarer Unwägbarkeiten ausblieb oder wegfiel. In diesem Fall müsse der betroffenen Partei zumindest die Möglichkeit gegeben werden, die wirtschaftlichen Folgen der jeweiligen Rechtshandlung rückgängig zu machen.224 Eine Voraussetzung brauchte nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sondern sei immer dann anzunehmen, wenn „bei gesunder Beurteilung des beiderseits vertragsmäßig Gesetzten, im Fall der Ermangelung eines Umstandes, eine Störung in der Gleichgewichtslage der beiderseitigen Vertragsgenossen und ihres Vermögens“225 eintrete. Entscheidend war demnach, dass auf beiden Seiten eine gewisse Sachlage als notwendige Grundlage für die Entwicklung des Geschäfts betrachtet wurde226. Entfiel diese, so war die Folge die Aufhebung des Schuldverhältnisses sowie ggf. die Herausgabe bereits erbrachter Leistungen (§ 812 BGB 1900)227. Gleichwohl, so betonte Kohler, stelle sich die Sachlage beim Verlagsvertrag anders dar: Hier seien die mit der Publikation verknüpften Motive und Erwartungen nicht zwangsläufig deckungsgleich, so dass regelmäßig keine „Voraussetzung“ im obigen Sinne vorlag. Dies zeige sich an den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten: So führten die §§ 18, 35 VerlG gerade nicht zur gänzlichen Aufhebung der Rechtsbeziehung mit der Folge der Rückabwick223 Ursprünglich geht die sogenannte Voraussetzungslehre auf den an der Genese des BGB maßgeblich beteiligten Leipziger Ordinarius Bernhard Windscheid zurück (ausführlich Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 ff.). Sie stellte, nachdem die Figur der clausula rebus sic stantibus seit ihrer letztmaligen Normierung im preußischen Landrecht sukzessive verworfen wurde, einen Versuch dar, der Veränderung von Umständen nach Vertragsschluss Rechnung zu tragen. Die ursprünglich vorgesehene Aufnahme der Voraussetzungslehre ins BGB wurde aufgrund der mit ihr einhergehenden Rechtsunsicherheiten schließlich verworfen, während die Lehre selbst ab den 1920ern durch die Konzeption der Geschäftsgrundlage endgültig abgelöst wurde. Letztere findet heute ihren Niederschlag in § 313 BGB; dazu ausführlich Simshäuser, AcP 172 (1978), S. 19 ff.; Braun, JuS 1979, S. 692 ff.; Wieling, Jura 1985, S. 505 ff.; Köbler, S. 95 ff. sowie Reiter, S. 17 ff. und Fu, S. 76 ff. 224 Kohler, BR, S. 570 f. 225 Kohler, BR, S. 572. 226 Kohler, BR, S. 575. 227 Kohler, BR, S. 572.
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG275
lung nach Bereicherungsrecht, sondern hielten bestimmte Folgen des Verlagsvertrages in Gestalt von Honorar- oder Ersatzansprüchen aufrecht228. So dürfe der Autor „kündigen (das Verlagsgesetz sagt in § 35 unrichtig zurücktreten229), wenn Umstände vorkommen, kraft welcher das Werk für ihn eine ganz andere, negative Bedeutung gewinnt“. Dies geschehe „in der Art […], daß die Folgen insoweit, als sie sich bereits entwickelt haben, den Umständen angepaßt werden, daß also die Auslagen des Verlegers nach Maßgabe der Deckungsmöglichkeit230 […] zu ersetzen, die Vergütung zu streichen“231 sei. Als Umstände, welche die Bedeutung des Werkes für den Verfasser wandelten, nannte Kohler Ereignisse, die dem Werk eine für die Laufbahn des Verfassers verhängnisvolle Konnotation gaben, etwa wenn in dem Werk eine Persönlichkeit angegriffen wurde, die nachträglich ein leitendes Staatsamt bekleidete oder wenn eine Einrichtung kritisiert wurde, die sich durch einen zwischenzeitlich eingetretenen Krieg als Notwendigkeit erwies232. Auch ein Wandel in der Stellung des Verfassers selbst – Kohler nannte hier abermals 228 Kohler,
BR, S. 575. selbst lieferte keine Begründung für diese Kritik; aufschlussreich sind insofern jedoch die weiter unten betrachteten Ausführungen Elsters und de Boors – siehe unten, E. VIII. 230 Kohler verwies insofern auf seine Ausführungen in UrhR, S. 331: Demnach hatte der Verleger einen Aufwendungsersatzanspruch nur bis zu demjenigen Teil, von dem anzunehmen war, dass er „durch die Verbreitung des Werkes hereingekommen wäre“, da nur dieser Teil „dem Gegenseitigeitsgeschäft“ (Hervorhebung im Original) angehöre; soweit der Verleger den Aufwand ohne Ersatz getragen hätte, durfte er ihn auch nicht ersetzt verlangen. Dieser Einschränkung erklärt sich wiederum daraus, dass Kohler in UrhR, S. 330 f. betonte, dass Ergebnis des Verlagsgeschäfts nicht zwangsläufig allein dem Autor nütze: Damit würde „das Verlagsverhältnis verkannt und die ideale Tätigkeit des Verlegers völlig übersehen“, da auch dieser ein ideelles Interesse an der Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes haben könne, was insbesondere bei Verlagsverträgen über wenig gewinnversprechende regelmäßig der Fall sei. Hier arbeite der Verleger, „wenn er ein nicht gewinnbringendes Werk auf sich nimmt, nicht etwa bloß zum Zwecke des Verfassers, sondern zugleich zum eigenen Zweck; denn er übernimmt damit eine Förderung der Kunst und Wissenschaft auch auf seinen wirklichen oder möglichen Verlust hin“. Aus diesem Grund könne „die für das Werk gemachte Auslage nicht als eine den Zwecken des Verlegers fremde und bloß den Zwecken des Verfassers dienende betrachtet werden“, so dass „der Verfasser nicht als hierdurch allein bereichert angesehen werden“ könne, dieser mithin keinen (oder allenfalls anteiligen) Aufwendungsersatz zu leisten habe. 231 Kohler, UrhR, S. 320; Hervorhebung im Original. 232 Hier ist zu bedenken, dass Kohlers Werk zu einer Zeit entstand, in der in der Öffentlichkeit wie auch in der Politik stark über das Für und Wider einer bedeutenden Aufrüstung der Kaiserlichen Marine gestritten wurde, die das Reich vor allem mit Großbritannien in Konflikt bringen sollte; siehe dazu Deist, S. 194 ff. und Epkenhans, S. 21 ff.; entsprechendes galt für die Heeresvorlagen – insbesondere mit Blick auf Frankreich, das ohnehin nach einer Revision des Friedens von Frankfurt trachtete; dazu Wehler, Bd. 3, S. 1109 ff. 229 Kohler
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
den Aufstieg in ein bedeutendes Staatsamt – könne dem Werk eine gänzlich andere Bedeutung verleihen und die Wirkungsmacht des Autors in seiner neuen Position für Volk und Staat beeinträchtigen, während eine an sich belanglose, aus bloß künstlerischer Absicht verfasste humoristische Darstellung durch eine Veränderung der Umstände einen Kontext erhalten könne, der peinliches Aufsehen errege, das Publikum betöre, den Staat schädige oder den Autor in seiner Laufbahn unmöglich mache233. Kohler sah folglich sowohl persönliche als auch öffentliche Interessen als mögliche Rücktrittsgründe, wobei letztere mitunter in Wechselwirkung mit ersteren stehen konnten. Entsprach er damit dem allgemeinen Konsens, so galt dies nicht hinsichtlich seiner Auffassung zur zeitlichen Reichweite des Rücktrittsrechts. Wie Christ hielt auch Kohler es für geboten, dem Autor den Rücktritt bis zum Beginn der Verbreitung zu gestatten, denn allein diese sei „der Rubikon, der, einmal überschritten, keinen Rücktritt mehr gestattet“. Nach alldem beschränkte das Verlagsgesetz in den Augen Kohlers das Recht des Autors in zweierlei Hinsicht: Zum einen durch die temporäre Begrenzung des Rücktrittsrechts auf den Zeitpunkt des Beginns der Vervielfältigung, zum anderen durch das Erfordernis der Unvorhersehbarkeit der Umstandsänderung. Insbesondere letzteres kritisierte er als völlig unberechtigt, da der Autor hierdurch unter Umständen „in die Lage versetzt ist, unrettbar dem Verderben zu verfallen, so daß seine Lebenslaufbahn vernichtet wird, nur deshalb, weil er aus Fahrlässigkeit gewisse Dinge nicht vorausgesehen hat, die er hätte voraussehen sollen“234. Insofern folgte Kohler der Kritik Biermanns, Osterrieths und Christs; im Übrigen wichen seine Ausführungen kaum von der Kommentarliteratur ab, so dass auf eine weitergehende Untersuchung verzichtet werden kann235. cc) Die Kritik Riezlers 1909 konkretisierte Erwin Riezler236, Ordinarius an der Universität Freiburg i. Br., Kohlers Vorwurf, das Gesetz bezeichne § 35 VerlG in unzutreffender Weise als „Rücktrittsrecht“: So stellte er heraus, dass der Rücktritt bestehende Rechtsbeziehungen auch für die Vergangenheit auflöse, während die Kündigung allein für die Zukunft wirke. Gravierende Unterschiede ergaben sich auch hinsichtlich der Rechtsfolgen: Während infolge des Rücktritts bereits bewirkte Leistungen zurückzugewähren seien, mithin anstelle des bishe233 Kohler,
UrhR, S. 321 f. UrhR, S. 321. 235 Siehe dazu Kohler, UrhR, S. 297 f., 307 ff. 236 Zur Person siehe Scholz, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 239 ff. 234 Kohler,
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG277
rigen Schuldverhältnisses ein Rückgewährschuldverhältnis trat, entstehe bei der Kündigung gerade kein Anspruch auf Rückgewähr des Geleisteten.237 Diese Differenzierung werde durch Terminologie des Verlagsgesetzes völlig verwischt: So spreche § 17 VerlG von einem Rücktritt, obschon die Vorschrift lediglich ex nunc wirke. Im Übrigen verwies Riezler auf § 38 Abs. 1 VerlG, welcher die einzelfallabhängige Möglichkeit vorsah, den Vertrag auch nach dem Rücktritt teilweise aufrechtzuerhalten, was im Zweifel insbesondere für nicht mehr zur Verfügung des Verlegers stehende (d. h. an Dritte veräußerte) Werkexemplare sowie frühere Auflagen des Werkes galt. Aufgrund dieser terminologischen Unschärfe sprach Riezler nurmehr von der „einseitigen Auflösung“, welche als Gestaltungsrecht sowohl den Rücktritt als auch die Kündigung umschloss238. Riezlers weitere Ausführungen zu §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG enthielten gegenüber der Kommentarliteratur keine wesentlichen Abweichungen239. In seiner im Jahr 1917 erschienenen Bearbeitung der „Geschäfte des Buch- und Kunsthandels“ in Ehrenbergs „Handbuch des gesamten Handelsrechts“ schloss er sich jedoch hinsichtlich der Forderung nach einer zeitlichen Ausdehnung des Rücktrittsrechts aus § 35 VerlG Kohlers Position an240. Andererseits wollte er als Rücktrittsgrund nur solche Umstände anerkannt wissen, welche auch tatsächlich überprüfbar waren – eine Veränderung subjektiver bzw. intrinsischer Umstände hätte den Autor nach Riezler somit gerade nicht zum Rücktritt berechtigt241.
237 Riezler, UrhR, S. 369 f. mit Verweis auf Oertmann (Das Recht der Schuldverhältnisse, 2. Aufl. Berlin 1906, Vorbem. 1 und 4 vor § 346), Planck (Bürgerliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Bd. 2, Recht der Schuldverhältnisse, 1. / 2. Aufl., Berlin 1900, Bem. 5 zu § 346), Staudinger-Kuhlenbeck, (BGB, 3. / 4. Aufl. Vorbem. II, b vor § 346) sowie das Lehrbuch Friedrich Endemanns (Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl., Berlin 1901, Bd. 1, S. 775). Ausführlich zu den zeitgenössischen Ansichten zum Rücktrittsrecht Leser, S. 154 ff. (m. w. N.). 238 Hinsichtlich des Begriffes des Gestaltungsrechts verwies Riezler auf den berühmten Vortrag Emil Seckels (Riezler, UrhR, S. 370 / Fn. 3) der ebenjenen Begriff geprägt und eingeführt hatte (Seckel, Die Gestaltungsrechte des Bücherlichen Rechts, in: Juristiche Gesellschaft zu Berlin (Hrsg.), Festgabe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin zum fünfzigjährigen Dienstjubiläum ihres Vorsitzenden, des Wirklichen Geheimen Rats Richard Koch, Berlin 1903, S. 205–253); dazu ausführlich Hattenhauer, C., S. 192 ff. 239 Riezler, UrhR, S. 333 f. (§ 17 VerlG), 340 ff. (§§ 30, 32 VerlG). 240 Riezler, Geschäfte, S. 78 / Fn. 5. 241 Riezler, Geschäfte, S. 78 f.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
dd) Die Kritik Elsters Auch der Verlagsleiter Alexander Elster242 griff in einem Beitrag den von Kohler erhobenen und von Riezler weiter präzisierten Vorwurf der terminologischen Unschärfe der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte auf. Elster unterstrich ebenfalls, dass der Gesetzgeber die Begriffe „Rücktritt“ und „Kündigung“ in unzulässiger Weise vermengt habe243 und verwies auf § 38 Abs. 1 VerlG, der dazu führe, dass der Rücktritt i. S. d. §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG nur diejenigen Teile des Vertrages berühre, welche sich noch rückgängig machen ließen. Schon aufgrund dieser Einschränkung der ex tunc-Wirkung könne man bei den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten nicht von einem Rücktritt im Rechtssinne sprechen. Abgesehen von dieser grundlegenden dogmatischen Kritik enthielten die Ausführungen Elsters zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände und zu den Rücktrittsrechten wegen Nichtausübung wenig Neues: So bezeichnete er es als Irrtum des Verlagsgesetzes, dass bei einer Weigerung des zu Neuauflagen berechtigten Verlegers der Autor nach § 17 VerlG den Rücktritt zu erklären habe, obschon hier tatsächlich wie wirtschaftlich der Verleger derjenige sei, der den Rücktritt erkläre244. Zum Rücktrittsrecht aus §§ 30, 32 VerlG unterstrich Elster, dass es kein Auflösungsgrund für den Verfasser sei, wenn nur seiner Meinung nach nicht genug für das Buch geschehe, er mithin unbillige und nicht verkehrsübliche Anforderungen an die Betriebstätigkeit des Verlegers stelle245. § 35 VerlG bezeichnete Elster hingegen als das bei weitem wichtigste Rücktrittsrecht, wenngleich es auch nicht ohne nachhaltige Einschränkungen gewährt werde. Er griff insofern die Kritik Kohlers auf, indem er auf die restriktive Wirkung des Tatbestandsmerkmals der objektiven Voraussehbarkeit verwies, durch welches der Kreis möglicher Rücktrittgründe erheblich eingeschränkt werde. Das Erfordernis der Voraussehbarkeit sei, so schloss Elster, nichts Geringeres als eine „probatio diabolica“246. Person siehe Otto, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 80 ff. ArchBürgR 42 (1916), S. 220 mit Verweis auf Kohler, UrhR, S. 320; ähnlich, wenngleich weniger ausführlich hatte sich 1915 auch Riezler, Geschäfte, S. 77 geäußert. 244 Elster, ArchBürgR 42 (1916), S. 222. 245 Elster, ArchBürgR 42 (1916), S. 225 verwies hier auf einen Beitrag Coulins, JhJb 52 (1907), S. 325 ff., wo dieser ein ausgesprochen weitgehendes Forderungsrecht des Autors auf Versendung von Rezensionsexemplaren postulierte, bei dessen Nichtausübung der Verfasser nach §§ 30, 32 VerlG zurücktreten hätte dürfen; dagegen hatte neben Elster, ArchBürgR 32 (1908), S. 341 ff. selbst auch Voigtländer, JhJb 53 (1908), S. 325 ff. vehement Stellung bezogen. 246 Der Begriff der probatio diabolica (teuflischer Beweis) wurde im römischen Recht vorrangig für die Schwierigkeit des absoluten Eigentumsnachweises gebraucht, 242 Zur
243 Elster,
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG279
ee) Die Ausführungen Hans Otto de Boors Hans Otto de Boor247, dessen Habilitationsschrift „Urheberrecht und Verlagsrecht“ 1917 erschien, charakterisierte den Verlagsvertrag, in ähnlicher Weise wie zuvor Kohler248, als ein Vertragsverhältnis welches gegenüber den übrigen synallagmatischen Verträgen durch eine wesentlich engere wechselseitige Abhängigkeit von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet ist. Damit auch nur eine Seite ihren Vertragszweck erreiche, sei stets die Erfüllung beider Hauptleistungspflichten erforderlich, d. h. der Autor habe dem Verleger die Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes ausschließlich zu gestatten (Gestattungs- und Unterlassungspflicht), während dieser selbige zwingend auszuführen habe (Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht).249 Entfalle eine der beiden Pflichten, so erlösche zwangsläufig auch die andere – der Parteiwille sei dabei nur insofern bedeutsam, als er diese Tatsache zu beeinflussen vermochte250. Die Rücktrittsrechte der §§ 17, 30, 32 VerlG waren nach de Boor nichts anderes als ein Ausdruck dieser Implikation251. Einzig in § 35 VerlG sah er ein besonderes, dem Verlagsrecht eigentümliches Institut, welches auf eine beschränkte Anwendung der clausula rebus sic stantibus hinausliefe und aus der besonderen Interessenlage des Verlagsvertrages folge. Diese zeichne sich dadurch aus, dass „die Leistung, die dem Gegner in dessen Interesse versprochen wird, zugleich, und vom egoistischen Standpunkt des Versprechenden aus gesehen sogar vornehmlich seinem eigenen Interesse dienen soll“. Aufgrund dessen läge eine gewisse Härte darin, einen Autor, dessen Publikationsinteresse infolge veränderter Umstände erloschen war, am Vertrag festzuhalten. Dementsprechend sei hier Milderung geboten, soweit dies unter Berücksichtigung der Interessen des Verlegers möglich war252. Relativ umfassend setzte sich de Boor hingegen mit der Frage der Rechtsfolgen des Rücktritts auseinander, wobei er zu der Schlussfolgerung gelangte, dass die Differenzierung zwischen Rücktritt und Kündigung für den Verlagsvertrag von geringerer Bedeutung sei als üblich253, da unabhängig von der siehe Winter, S. 2; zur Herkunft des Begriffs Kiefner, ZRG RA 81 (1964), S. 212 (m. w. N.). 247 Zur Person siehe Schubert, Akademie, S. XLVII sowie Vogt, S. 208 / Fn. 858 und insbesondere Löhr, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 71 ff. 248 Zu den Unterschieden zu Kohlers Auffassung der gegenseitigen Immanenz von Recht und Pflicht aus dem Verlagsvertrag siehe de Boor, UrhR / VerlR, S. 308, 234 ff., 263 ff. 249 de Boor, UrhR / VerlR, S. 306 f. 250 de Boor, UrhR / VerlR, S. 310. 251 Siehe de Boor, UrhR / VerlR, S. 317. 252 de Boor, UrhR / VerlR, S. 317 mit Verweis auf Kohler, UrhR, S. 319 ff. 253 de Boor, UrhR / VerlR, S. 319.
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genauen dogmatischen Beurteilung des Rücktrittsrechts und seiner Folgen254 § 38 VerlG ohnehin dafür sorge, dass die Rückwirkung des Rücktritts aus geschlossen sei. Die begrifflichen Unschärfen des Gesetzes, die letztlich dazu führten, dass der verlagsrechtliche Rücktritt eher einer fristlosen Kündigung gleiche, seien allein der besonderen Eigenart des Verlagsverhältnisses geschuldet und daher letztlich kein Schaden: Es käme, so schloss de Boor seine Ausführungen, nicht auf die möglichst scharfe theoretische Ausgestaltung der Rechtsbehelfe an, „sondern allein darauf, daß jeder Fall den ihm angemessenen Rechtsbehelf finde“255. ff) Kohler zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung: „Anatole France und das Verlagsrecht“ Außerhalb der Kommentarliteratur waren Äußerungen zu den Rücktrittsrechten wegen Nichtausübung bis zum Ende der Monarchie rar. Offenkundig war man mit den Regelungen der §§ 17, 30 und 32 VerlG im Wesentlichen zufrieden. Ein Beispiel hierfür stammt abermals aus der F eder Josef Kohlers, der sich 1912 mit einem den späteren Literaturnobelpreisträger Anatole France betreffenden Urteil des französischen Kassationsgerichtshofes auseinandersetzte: In der Zeit vor seinen großen Erfolgen hatte sich dieser vertraglich zur Abfassung eines mehrbändigen Werkes über die Geschichte Frankreichs bis 1789 verpflichtet. Zwar hatte France das Manuskript 1882 abgeliefert und im Gegenzug das Autorenhonorar in Höhe von 3000 Francs erhalten. Das Werk wurde indes nicht gedruckt, ohne dass sich France darüber beklagte. Nachdem er spätestens ab der Jahrhundertwende – um mit Kohlers Worten zu sprechen – zum „Star am Himmel der französischen Dichtung“256 avancierte, besann sich der Verleger des Manuskripts und wollte dieses veröffentlichen. France, der zum Zeitpunkt der Abfassung des Werkes eher konservative Auffassungen vertreten hatte und zwischenzeitlich politisch deutlich nach links gerückt war257, war hiermit jedoch nicht einverstanden. Auf den Vorschlag des Verlegers, dem Werk den Hinweis voranzustellen, 254 de Boor, UrhR / VerlR, S. 320 f. vertrat insoweit den Standpunkt, dass hinsichtlich der ex tunc-Wirkung des Rücktritts „nirgends im Gesetze [stehe], daß er alte Vertrag zu behandeln sei, als wäre er nie da gewesen“, zumal „das Rücktrittsrecht […] letzten Endes auf dem Vertrage“ beruhe. Wäre die Rechtsfolge demnach die, dass „der Rücktritt den Vertrag vernichtete, als wäre er nie dagewesen, so würde er damit auch das Rücktrittrecht vernichten und also sich selber verneinen“. 255 de Boor, UrhR / VerlR, S. 324 mit Bezugnahme auf Elster, ArchBürgR 42 (1916), S. 220 ff. 256 Kohler, MuW 1912, S. 117 (wie auch im Folgenden). 257 Siehe dazu ausführlich Antoniu, S. 69 ff. sowie den Essay Heinrich Manns über France (Mann, S. 204 ff.).
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG281
dass selbiges nicht mehr den jetzigen Auffassungen des Autors entspreche, wollte er sich nicht einlassen. Er verlangte Unterlassung gegen Herausgabe des Honorars, wobei ihm die französische Jurisdiktion Recht gab. Übertragen auf die deutsche Rechtslage ordnete Kohler die Konstellation als Anwendungsfall des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung nach §§ 30, 32 VerlG ein, bei dem eine Nachfristsetzung aufgrund eines besonderen Interesses des Autors am sofortigen Rücktritt nach § 30 Abs. 2 VerlG entbehrlich war. Er begründete dies damit, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung für den Autor derart bedeutungsvoll sei, dass eine übermäßige Verzögerung der Publikation eine gänzlich andere Bedeutung verleihen könne. Durch die Veröffentlichung offenbare der Autor dem Publikum seine Persönlichkeit und diese müsse die Persönlichkeit sein „wie sie ist bei Erscheinen des Werkes“. Sei der Autor während des Zeitraums der Verzögerung über sich hi nausgewachsen und stellte er (und / oder das Publikum) in der Folge gänzlich andere Anforderungen an sich und sein Werk, so rufe dies „die Geister des Persönlichkeitsrechts wach“. Hinter selbigen hätten die Anforderungen des Verkehrs im Zweifel zurückzustehen, so dass der Autor zum sofortigen Rücktritt berechtigt sei. Damit war Kohler der erste, der das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung ausdrücklich auch als Instrument zum Schutz der Persönlichkeitsrechte deutete – auch wenn die hier maßgebliche Konstellation faktisch eher einen Fall veränderter Umstände darstellte. gg) Sonstige Autoren zu den Rücktrittsrechten Kohler, Riezler, Elster und de Boor waren nicht die Einzigen, die sich bis 1918 mit den Rücktrittsrechten des Autors befassten. Gleichwohl setzten sie sich in besonderem Maße kritisch mit dem Inhalt und dogmatischen Unterbau der §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG auseinander. Andere schlossen sich dem lediglich an: So betonte Dernburg im 1910 erschienenen sechsten Band seines mehrbändigen Lehrbuchs zum Bürgerlichen Recht mit ausdrücklichem Verweis auf Kohler258, dass das Gesetz den Rücktritt des Autors wegen veränderter Umstände durch die zeitliche Begrenzung auf den Beginn der Vervielfältigung und das Erfordernis der Unvorhersehbarkeit der Umstandsänderung sehr erschwere. Insofern forderte auch er eine Ausdehnung „mindestens [sic!] bis zur Verbreitung“ und gab mit Blick auf die (Un-)Voraussehbarkeit 258 Dies überrascht insofern wenig, als Dernburg selbst 1907 verstorben war und es niemand geringeres als Josef Kohler selbst war, der dessen Lehrbuch fortführte. Gleichwohl ist der die Behandlung der Rücktrittsrechte enthaltende Teil des Lehrbuchs ausdrücklich als Beitrag Dernburgs gekennzeichnet, siehe Dernburg, geist. Eig., S. 222, was überdies auch in der Zitation Kohlers zum Ausdruck kommt, siehe etwa Dernburg, geist. Eig., S. 144.
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
zu bedenken, dass diese auch lediglich Folge eines zu ausgeprägten Optimismus des Autors sein könne, ohne dass hierin notwendig eine fahrlässige Verkennung liegen müsse259. Thematisiert wurden die Autorenrücktrittsrechte u. a. auch von dem renommierten Berliner Ordinarius Otto v. Gierke im 1917 erschienenen dritten Band seines „Deutschen Privatrechts“. Gierke beschränkte sich dabei auf eine nichts Neues verheißende Beschreibung der Rechtslage respektive der Tatbestandsmerkmale der §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG260 sowie in dogmatischer Hinsicht auf die Feststellung, dass der Rücktritt in Wahrheit die Natur einer fristlosen Kündigung habe261. Ähnliches galt für einschlägige Werke weniger namhafter Autoren262. Weitere kritische Stimmen sowie die ersten Gerichtsentscheidungen zu den Rücktrittsrechten finden sich erst in der Zeit der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Sie sind u. a. Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. 2. Rechtsprechung bis 1918: Präzisierung und Erweiterung Bis 1918 ergingen lediglich Urteile zu §§ 30, 32 VerlG; die §§ 17 und 35 VerlG waren nicht Gegenstand einer Entscheidung [a)]. Stattdessen führte das Reichsgericht (RG) mit dem Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ein gesondertes, neben den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten stehendes Vertragsaufhebungsinstrument für jedwede Art von Dauerschuldverhältnis ein [b)].
259 Dernburg, geist. Eig., S. 145 mit Verweis auf Kohler, UrhR, S. 321; Hervorhebung im Original. 260 v. Gierke, Bd. III, S. 766. 261 v. Gierke, Bd. III, S. 764 mit Verweis auf Elster, ArchBürgR 42 (1916), S. 220 ff. 262 So befassten sich etwa Hillenbrand, S. 138 ff. und Klasing, S. 86 ff. in ihren Dissertationsschriften auch mit den §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG, förderten dabei jedoch nichts wesentlich Neues zutage; entsprechendes gilt für den das Rücktrittsrecht nach § 35 VerlG betreffenden Abschnitt bei Hoeniger (S. 40) sowie den Beitrag Ebners in BBl. 1914, S. 1254, 1259; Lehmann, S. 843 ff. schloss sich in seinem Handelsrechtslehrbuch aus dem Jahr 1908 weitestgehend den Positionen Kohlers an. Entsprechendes galt für die im gleichen Jahr erschienene Abhandlung zur „Rechtsstellung des Verlegers nach modernem Recht“ von Henneberg, S. 99 ff.
VIII. Bewertung in der Literatur u. Rechtsprechung zu §§ 17, 30, 32, 35 VerlG283
a) Entscheidungen zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung Im November 1909 erging mit einem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden die erste Entscheidung zu den §§ 30, 32 VerlG. Darin stellte das Gericht klar, dass unter den Begriff der „nicht vertragsgemäßen Vervielfältigung und Verbreitung“ i. S. d. § 32 VerlG auch die nicht rechtzeitige Vervielfältigung und Verbreitung fiel. Zwar hatte sich der Verleger, der ein Werk nicht rechtzeitig herausbrachte, auf die Unzuverlässigkeit des von ihm beauftragten Druckers berufen, doch unterstrich das Gericht, dass der Rücktritt nach §§ 30, 32 VerlG auf Seiten des Verlegers gerade kein Vertretenmüssen und damit keinen Verzug i. S. d. § 285 BGB 1900 voraussetze und, selbst wenn, sich dieser das Verhalten seines Druckers, der insofern Erfüllungsgehilfe sei, über § 278 BGB 1900 zurechnen lassen müsse. Weiterhin betonte das Gericht, dass selbst dann, wenn der Verzug des Verlegers für den Autor nur unerhebliche Nachteile mit sich bringe und das Rücktrittsrecht des § 32 deshalb nach § 30 Abs. 3 VerlG ausgeschlossen wäre, dem Autor in jedem Fall die Rechte aus § 326 BGB 1900 zustünden, d. h. er im Verzugsfalle (§ 285 BGB 1900) auch nach den Vorschriften des BGB zurücktreten könne.263 Auch das Urteil des Kammergerichts Berlin vom Mai 1915 betraf die §§ 30, 32 VerlG: Hier hatte ein Verleger, während er mit dem Autor über die Veranstaltung einer Neuauflage verhandelte, ohne dessen Wissen Nachdrucke der Altauflage produziert. Dies stellte nach Ansicht des Gerichts einen Fall widerrechtlichen Nachdrucks und eine grobe Vertragsverletzung dar, welche den Autor zum (fristlosen) Rücktritt nach §§ 30, 32 VerlG berech tigte.264 Weitere Urteile zu den Rücktrittsrechten wegen Nichtausübung ergingen erst nach dem Ende der Monarchie265.
263 OLG Dresden, Urt. v. 26.11.1909, Sächsisches Archiv für Rechtspflege, 5. Jg., Leipzig 1909, S. 93 f. 264 KG Berlin, Urt. v. 05.05.1915, MuW 1915, S. 235 f. 265 Zwar verwies die spätere Kommentarliteratur insbesondere im Kontext des § 17 VerlG auf Urteile aus der Zeit vor 1918, doch befassten sich diese nicht mit § 17 VerlG selbst, sondern mit allgemeinen Fragen des Rücktrittsrechts, so etwa mit der Frage, ob sich eine „unangemessene“ Frist eo ipso zu einer „angemessenen“ ausdehne, siehe etwa Allfeld, 1929, S. 92 mit Verweis auf RGZ 91, 204.
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b) Entscheidungen zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände Zu § 35 VerlG finden sich bis 1918 keine nennenswerten Entscheidungen. Einzig 1912 ergingen zwei Urteile, welche die Frage der Unvorhersehbarkeit der Umstansänderung betrafen. So entschied das Amtsgericht Berlin-Mitte, dass sich ein Autor, der sich zur Abfassung eines wissenschaftlichen Werkes verpflichtet habe, jedoch im Zuge der Auswertung seiner Forschungsunterlagen zu der Überzeugung gelange, dass er sich hinsichtlich der Lösbarkeit der gestellten Frage geirrt habe, nicht auf § 35 VerlG berufen könne. Da der Autor im konkreten Fall nicht nachweisen konnte, dass er außerstande war, sein Quellenmaterial vorab zu prüfen, mangle es bereits an der Un vorhersehbarkeit der veränderten Umstände266. Ein anderer Fall betraf einen Marineingenieur, der sich zur Abfassung eines dreibändigen Werkes über Schiffsantriebe verpflichtet hatte: Als ihm die Marineverwaltung nach Abfassung des ersten Bandes unter dem Vorwurf des Geheimnisverrats den Zugang zu ihren Aktenbeständen verweigerte, berief sich dieser auf veränderte Umstände und wollte hinsichtlich der übrigen Bände vom Verlagsvertrag zurücktreten. Das Reichsgericht folgte der Argumentation des Verlegers, dass sich der Ingenieur die Benutzung des amtlichen Materiales für sämtliche Bände zuvor hätte sichern müssen, die Sperrung insofern also nicht unvorhersehbar war267. Beide Entscheidungen verdeutlichen, dass das Tatbestandsmerkmal der Unvorhersehbarkeit bzw. die diesbezügliche Beweisbelastung des Autors – wie beabsichtigt und von den Kritikern prophezeiht – zu einer bedeutenden Einschränkung des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände führte. c) Das Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache Erwähnung verdienen schließlich zwei Entscheidungen des RG aus dem Jahr 1912, in welchem sich dieses mit der Zulässigkeit eines grundsätzlichen Ausschlusses jedweder Rücktritts- und Kündigungsrechte und deren Ersatz durch Vertragsstrafen in Verlags- und sog. Aufführungsagenturverträgen auseinandersetzte. Hier kam man zu dem Ergebnis, dass es selbst im Falle eines solchen Ausschlusses „in der Natur derartiger Verhältnisse [liege], daß sie aus wichtiger Ursache gelöst werden können, wenn ihre Fortsetzung nach den besonderen Umständen des Falls den Beteiligten nicht mehr zugemutet werden“ könne. Dies habe seinen Grund vor allem darin, dass derartige Vertragsverhältnisse persönliche Dienstleistungen der Beteiligten zum Gegenstand hätten und daher nur auf Grundlage persönlichen Vertrauens begründet 266 AG
267 RG,
Berlin-Mitte, BBl. 1912, S. 16056 f.; dazu Ebner, BBl. 1914, S. 1259. Az. I 22 / 11, BBl. 1912, S. 2062; dazu Ebner, BBl. 1914, S. 1259.
IX. Zusammenfassung und Zwischenergebnis285
würden bzw. gedeihen könnten. Damit etablierte das RG eine neben den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten stehende, für jedwede Art von Dauerschuldverhältnissen mit besonderer persönlicher Prägung anwendbare Möglichkeit der außerordentlichen Vertragsaufhebung268. Diese leitete es aus den zugrundeliegenden „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“269 ab, die insbesondere in § 626 BGB 1900 (und überdies in § 723 BGB 1900 und §§ 70, 92 [heute 89a], 133, 140 HGB270) zum Ausdruck kamen. Darin hieß es: „Das Dienstverhältniß kann von jedem Theile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt“.
Damit war das RG – wenngleich unwillkürlich – auch der Forderung Voigtländers nach einem auf dem Grundsatz von Treu und Glauben gegründeten Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände, welches auch für den Verleger galt, ausgesprochen nahegekommen271. Zugleich deckte es mit dem Sonderkündigungsrecht zwei Anwendungslücken der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte ab, wobei zumindest hinsichtlich der ersteren die diesbezügliche Intention ebenfalls dahinstehen muss: So führte das Sonderkündigungsrecht faktisch dazu, dass fortan auch bei Veränderungen in der Person einer der Vertragsparteien eine Vertragsaufhebung möglich war. Im Zuge der Gesetzesgenese mit Blick auf den Verleger stark umstritten, sollte dieser Möglichkeit in den folgenden Jahrzehnten noch erhebliche Bedeutung zukommen272. Darüber hinaus gewährleistete es angesichts der Dispositivität des allergrößten Teils der verlagsgesetzlichen Vorschriften einen gewissen subsidiären Schutz für den Fall der vertraglichen Abbedingung der §§ 17, 30, 32 und / oder 35 VerlG.
IX. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Die Arbeiten am gesamtdeutschen Verlagsgesetz begannen im September 1899 mit einem Referentenentwurf, der auf Grundlage sowohl des Planck-Entwurfs als auch der Verlagsordnung des Deutschen Buchhandels erarbeitet worden war. Das darin vorgesehene Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung deckte zwei Konstellationen ab: Zum einen konnte der Autor zurücktreten, wenn die Verbreitung des Werkes nicht bzw. nicht rechtzeitig erfolgte, wobei ein diesbezügliches Verschulden des Verlegers nicht erforderauch Rüthers, S. 237. 156, 160 f. mit Verweis auf RGZ 78, 298 (siehe dort insbesondere S. 301 f.); der verlagsrechtliche Fall betraf den ungarischen Komponisten Georg Jarno; siehe dazu auch Vogel, FS GRUR, S. 1246 f. 270 Rüthers, S. 237. 271 Siehe insbesondere oben, D. II. 4. lit. a) bb), lit. b) bb) und lit. c) cc). 272 Dazu unten, F. I. 2. lit. d). 268 So
269 RGZ 79,
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
lich war, zum anderen, wenn der Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung berechtigt, aber nicht verpflichtet war und er von diesem Recht keinen Gebrauch machte. Die Beschränkung auf die nicht rechtzeitige Verbreitung im erstgenannten Fall hatte zur Folge, dass ein Rücktritt bei lediglich unzureichender Ausübung des Verlagsrechts nicht möglich war. Insofern übernahm man die entsprechende Regelung der Verlagsordnung des Buchhandels, während man hinsichtlich der Rechtsfolgen des Rücktritts auf die das Rückgewährschuldverhältnis regelnden Vorschriften des kurz vor dem Inkrafttreten stehenden BGB verwies. Damit hatte der zurücktretende Autor ein bereits erhaltenes Honorar herauszugeben, womit sämtliche Vorschläge, die einen ggf. vom Grad des Verschuldens des Verlegers abhängigen Schadensersatzanspruch des Autors vorsahen, verworfen wurden. Die Notwendigkeit des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung bei fehlender Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht hingegen folgte primär aus dem Umstand, dass die Masse der Regelungen des Referentenentwurfs und damit insbesondere die den Verleger zur Ausübung des Verlagsrechts verpflichtenden Vorschriften für dispositiv erklärt wurden. Darüber hinaus konnte die Verbreitungspflicht des Verlegers entfallen, wenn die Verkäuflichkeit des Werkes infolge nachträglich veränderter Umstände hinter den Erwartungen zurückblieb, was einer Abwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf den Autor gleichkam. Diese ausgesprochen verlegerfreundliche Tendenz spiegelte sich auch in der Ausgestaltung des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände wieder: So sollte der Rücktritt fortan lediglich bis zur Ablieferung des Werkes sowie allein dann gestattet sein, wenn die Umstandsveränderung unvorhersehbar war und den Autor bei verständiger Würdigung der Sachlage von der Herausgabe des Werkes abgehalten hätte. Beweispflichtig war insofern der Autor. Die Nachhaftungsdauer wurde auf drei Jahre ausgedehnt, wobei man den Autoren jedoch dahingehend entgegenkam, dass die Pflicht zum Schadensersatz entfiel, wenn dem Erstverleger das Werk erneut angeboten wurde und dieser den Verlag ablehnte. Damit bestach der Referentenentwurf nicht nur gegenüber dem bisher gültigen (preußischen) Recht sowie der herrschenden Meinung durch eine bedeutend restriktivere Fassung des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände, sondern blieb auch hinter dem Vorentwurf Plancks zurück. Zugleich ging er jedoch weiter als die Verlagsordnung der Buchhändler, in welcher das freie Autorenrücktrittsrecht faktisch gestrichen worden war. Dennoch fiel die im Rahmen der ersten Sachverständigenberatungen geäußerte Kritik am Referentenentwurf verhältnismäßig zurückhaltend aus. So erhoben die Autorenvertreter zwar Protest gegen die Unverkäuflichkeitseinrede, zeigten sich im Übrigen jedoch mit dem Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung einverstanden. Ganz anders die Verlegerseite: Sah der Entwurf ursprünglich vor, dass sich die Ausübungspflicht – sofern vereinbart – auch auf
IX. Zusammenfassung und Zwischenergebnis287
Folgeauflagen erstrecken sollte, forderte man hier eine Möglichkeit für den Verleger, sich von dieser Verpflichtung zu befreien. Das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände wurde im Kern ebenfalls wie vorgeschlagen akzeptiert: Im Rahmen der Sachverständigenberatungen einigte man sich auf eine Verkürzung der Nachhaftungsdauer auf zwei Jahre, während seitens der Autorenvertreter insbesondere die Frage aufgeworfen wurde, ob der Autor auch dann zum Rücktritt berechtigt sein sollte, wenn die veränderten Umstände in der Person des Verlegers selbst lagen, er mithin also nicht von der Herausgabe des Werkes an sich, sondern allein von der Herausgabe in einem konkreten Verlag abrückte. Seitens der RJA wurde dies jedoch ausdrücklich verneint. Den Beratungen folgte eine Überarbeitung des Referentenentwurfs, die im Dezember 1899 abgeschlossen war. Das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung wurde darin auf Fälle der nichtvertragsgemäßen Ausübung des Verlagsrechts ausgedehnt, nachdem man sämtliche Vorschriften, welche dem Verleger einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung des Werkes gelassen hatten, zugunsten eines unbedingten Änderungsverbots fallengelassen hatte. Die damit einhergehende Stärkung des Autorenschutzes war jedoch allenfalls mittelbares Motiv – primär ging es um die Herstellung des Gleichlaufs mit dem zeitgleich im Entstehen begriffenen Literatururhebergesetz, welches als Ausfluss des Persönlichkeitsrechts ein allgemeines Änderungsverbot statuierte. Als essentiell bekräftigte man auch die Pflicht des Verlegers, das Werk in der vereinbarten Auflagenhöhe zu vervielfältigen. Zugleich hatte man, den Wünschen der Verlegerseite entsprechend, für den Fall, dass sich das Verlagsrecht auch auf Folgeauflagen erstreckte, die damit korrespondierte Pflicht zur tatsächlichen Veranstaltung weiterer Auflagen gestrichen und das ursprüngliche Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung bei fehlender Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht auf den Fall eingeengt, dass ein zu Neuauflagen berechtigter Verleger binnen einer bestimmten Frist von seinem Verlagsrecht keinen Gebrauch machte. Ein weiterer Grund für diese Änderung lag darin, dass man die Unverkäuflichkeitseinrede durch ein Kündigungsrecht des Verlegers ersetzt hatte, welches nunmehr auf den Fall beschränkt war, dass der Zweck, dem das Werk dienen sollte, nach Vertragsschluss wegfiel. Der überarbeitete Entwurf wurde im Januar 1900 durch das preußische Justiz- und Kultusministerium begutachtet. Die von dieser Seite beantragten Änderungen betrafen vor allem das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände: Um dessen Anwendbarkeit auch für Folgeauflagen zu gewährleisten, gestattete man den Rücktritt fortan bis zum Beginn der Vervielfältigung. Im Juli 1900 wurde der Entwurf – mit einer umfassenden Begründung versehen – als Bundesratsdrucksache erstmals veröffentlicht. Zu den Rücktrittsrechten wegen Nichtausübung beschränkten sich die Motive darauf, die
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
Unterschiede zu den Rücktrittsvorschriften des BGB in Gestalt der Verschuldensunabhängigkeit und des Verzichts auf eine vorhergehende Beschreitung des Klageweges hervorzustellen. Das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände wurde auch hier mit der Eigenart schriftstellerischen und künstlerischen Schaffens begründet. Beispielhaft führte man einen Wechsel in den Anschauungen des Autors an. Zugleich unterstrich man die Notwendigkeit, den Rücktritt entgegen der bisherigen Rechtslage und der herrschenden Literaturmeinung nicht gänzlich in das Ermessen des Autors zu stellen, sondern ihn zum Schutz der Verlegerinteressen von dem ggf. gerichtlich zu überprüfenden Kriterium der objektiven Voraussehbarkeit der Umstandsänderung abhängig zu machen. Hatte man bisher die Verpflichtung des Autors auf Aufwendungs- und ggf. Gewinnersatz als hinreichende Maßnahmen zur Missbrauchsprävention erachtet, ging man damit noch einen Schritt weiter und entschied den jahrzehntewährenden Streit um die Offenlegung der Rücktrittsgründe klar zugunsten der Verleger. Als Maßnahme zur Wahrung der Verlegerinteressen rühmte man auch die zeitliche Begrenzung des Rücktrittsrechts bis zum Beginn der Vervielfältigung. Damit entsprach die Regelung des Rücktrittsrechts der allgemeinen Tendenz des Gesetzentwurfs, den ökonomischen Interessen des Verlegers im Zweifel einen höheren Rang beizumessen als den – gesetzlich bis dahin nur begrenzt anerkannten – ideellen Autoreninteressen. Auch hier hielten sich die Reaktionen der Interessenverbände im Rahmen: Während sich die Verlegerseite mit der Ausgestaltung der Rücktrittsrechte erwartungsgemäß einverstanden zeigte, wiederholten die Interessenvertreter der Autorenschaft im Wesentlichen allein ihre Forderung nach Anerkennung von Umstandsänderungen in der Person des Verlegers als Rücktrittsgrund. Dem folgte auch die juristische Fachliteratur, wobei die Äußerungen zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände hier ungleich schärfer ausfielen. In verschiedenen Beiträgen kritisierte man nahezu sämtliche Änderungen als gegenüber der bisherigen Rechtslage zu verlegerbegünstigend und dem Wesen des Verlagsvertrages insgesamt widersprechend. Man argumentierte hier insbesondere mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht, welches im parallel zum Verlagsgesetz im Entstehen begriffenen Literatururhebergesetz – zumindest partiell – erstmals gesetzlich normiert wurde. Noch weiter ging die Kritik einzelner Universitäten, die eine Zurückführung der Regelung auf die preußischen Rücktrittsvorschriften forderten. Der Bundesrat zeigte sich jedoch von diesen teils umfangreichen Beanstandungen unbeeindruckt. Er leitete den Entwurf, von wenigen redaktionellen Änderungen abgesehen, im Dezember 1900 nahezu unverändert an den Reichstag weiter. Das Urteil der Abgeordneten fiel indes geteilt aus: Während die Vertreter des konservativen Lagers den Entwurf überwiegend als gelungen bezeichneten, monierten die linksliberalen Parteien terminologische Un-
IX. Zusammenfassung und Zwischenergebnis289
schärfen und Regelungslücken. Die Sozialdemokratie erhob gar den Vorwurf, der Entwurf behandle geistige Schöpfungen nicht anders als jede beliebige Handelsware und bemängelte eine unzureichende Berücksichtigung der ideellen Autoreninteressen. Einstimmig wurde daher die Einsetzung einer Kommission beschlossen, welche im Januar 1901 erstmals zusammentrat. Hinsichtlich der Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung ergaben die Beratungen jedoch lediglich redaktionelle Änderungen: So wurde das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung bei Neuauflagen in die Regelung, welche klarstellte, dass mit der Berechtigung zu Neuauflagen keine entsprechende Verpflichtung einherging, inkorporiert. Ungleich umfassender gestaltete sich die Behandlung des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände. Konservative und Linksliberale bekräftigten erneut die Forderung nach einer Anerkennung von Umstandsänderungen auf Verlegerseite als Rücktrittsgrund und beantragten unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten die Streichung des Erfordernisses der objektiven Unvorhersehbarkeit. Auch sie erachteten die Regelungen des preußischen Landrechts als gelungener, scheiterten jedoch abermals an der unnachgiebigen Haltung des RJA. Hier erblickte man im Verlagswesen einen Wirtschaftsfaktor von nationaler Bedeutung, dessen Handlungsfreiheit nicht durch einen zu ausgeprägten Autorenschutz beeinträchtigt werden durfte. Einzig der seitens der Sozialdemokratie eingebrachte Vorschlag einer Verkürzung der Nachhaftungsdauer um ein weiteres Jahr konnte sich, wenngleich ebenfalls gegen den Widerwillen des RJA, durchsetzen. Nach der zweiten und dritten Lesung im Reichstag wurde der Gesetzentwurf im Juni 1901 verabschiedet und trat am 1. Januar 1901 in Kraft. Die Kritik an den Rücktrittsrechten riss jedoch auch nach dem Inkrafttreten des Verlagsgesetzes nicht ab. Übergreifend beklagte man dogmatischterminologische Unschärfen, die sich daraus ergaben, dass die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte aufgrund der Regelung des § 38 VerlG lediglich ex nunc wirkten und insofern eher einem Kündigungs- denn einem Rücktrittsrecht glichen. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen veränderter Umstände wurde insbesondere die Beschränkung der Anwendbarkeit bis zum Verbreitungsbeginn bemängelt. Man verwies insofern darauf, dass erst mit dem Herausgabebeginn eine den Rücktritt ausschließende Irreversibilität eintrete. Eine signifikante Benachteiligung des Autors erblickte man ungebrochen in dem Erfordernis der objektiven Unvorhersehbarkeit der Umstandsveränderung respektive in der dem Autor diesbezüglich obliegenden Beweislast, welche die Ausübung des Rücktrittsrechts im Einzelfall unbotmäßig erschwerte. Seitens der Literatur ging die Kritik mitunter so weit, dass die preußisch-landrechtlichen Rücktrittsvorschriften als gegenüber der verlagsgesetzlichen Neuregelung vorzugswürdig bezeichnet wurden, da sie einen vermeintlich besseren Schutz der (ideellen) Autoreninteressen gewährleisteten. Dass dies nicht von der Hand zu weisen war, zeigten die ersten höchst-
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E. Rücktrittsrechte wg. veränderter Umstände u. Nichtausübung im VerlG
richterlichen Entscheidungen zu § 35 VerlG, in welchen ein Rücktritt des Autors jeweils an der fehlenden Unvorhersehbarkeit der Umstandsänderung scheiterte. Im Gegensatz dazu wurden die Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung kaum kritisiert. Kohler bezeichnete die §§ 30, 32 VerlG ausdrücklich als Instrument zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Autors, da auch eine unbotmäßig verzögerte Verbreitung die ideellen Interessen des Autors beeinträchtigen konnte, etwa wenn dieser zwischenzeitlich über sein Werk „hinausgewachsen“ war. Auch die ersten Entscheidungen zum Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung enthielten wenig Hervorstellenswertes. Erwähnung verdient jedoch das vom RG im Jahr 1912 entwickelte Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache, welches neben die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte trat und künftig auch bei Veränderungen in der Person einer der Vertragsparteien oder im Fall der vertraglichen Abbedingungen der Rücktrittsrechte die Vertragsaufhebung gestattete, sofern es zu einer massiven Erschütterung des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Autor und Verleger kam. Damit wurden zwei, zum Teil bereits im Rahmen der Genese des Verlagsgesetzes monierte Anwendungslücken der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte frühzeitig geschlossen.
F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht: Nichtausübung und veränderte Umstände in der Weimarer Republik und im NS-Staat Die verbleibenden Kapitel der Untersuchung widmen sich der Enstehung der urheberrechtlichen Rückrufsrechte ab den späten 1920er Jahren. Zunächst soll jedoch noch ein Blick auf die weitere Entwicklung im Bereich des Verlagsrechts geworfen werden, zumal die hier geäußerte Kritik für die spätere Ausgestaltung der urheberrechtlichen Vertragsaufhebungsinstrumente von maßgeblicher Bedeutung war (I.). Im Bereich des Urheberrechts war es die (erneute)1 Revision der Berner Übereinkunft auf der Konferenz von Rom, welche ab 1928 die Reformbedürftigkeit des Urheberrechts wieder in den Fokus des wissenschaftlichen Diskurses rücken ließ.2 Während die Ergebnisse der Konferenz in Deutschland allenfalls eine bedingte Überarbeitung des Urheberrechts erfordert hätten, stellte sich die Lage in Österreich gänzlich anders dar: Die infolge des Zerfalls des Habsburgerreiches entstandene Alpenrepublik war zu einer umfassenden Reform ihres Urheberrechts gezwungen. Dies wiederum nahm man zum Anlass, eine Rechtsvereinheitlichung mit dem Deutschen Reich mit dem Ziel anzustreben, dass „die Einheit der Bildung und der Kultur beider Staaten auch durch die Einheit des Gesetzes zum Ausdruck komme“3. Das aber wohl maßgeblichste Moment für die alsbald einsetzenden Reformbestrebungen waren technische Neuerungen in Gestalt des Rundfunks, der Schallplatte und des Tonfilms. Im Zuge dieser Reformarbeiten, die teils in die Zeit der Weimarer Republik (II.), teils in die Zeit des Nationalsozialismus (III.) fielen, wurden von amtlicher wie auch von privater Seite zahlreiche Urheberrechtsgesetzentwürfe erarbeitet, welche sich im Hinblick auf die Rücktrittsrechte teils an das Verlagsgesetz, teils an internationale und ausländische Übereinkommen anlehnten und den Schritt vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht mit sich brachten. 1 Bereits 1908 war es auf der Berliner Konferenz zu einer Revision der Berner Übereinkunft gekommen; die infolgedessen erlassene LUG-Novelle vom 22.05.1910 passte auch das Verlagsgesetz dem internationalen Schutzniveau an; die §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG waren hiervon jedoch nicht betroffen; siehe Vogel, FS GRUR, S. 1244. 2 Dazu zum zum Folgenden Vogt, S. 17 ff. 3 So Alfred Seiller, der 1928 eine erste Vorarbeit zu einem gemeinsamen deutsch-österreichischen Urheberrechtsgesetz vorlegte (Seiller, JBl 1928, S. 385); dazu ausführlich Dillenz, S. 155 f.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
I. Die Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939 Aus den Jahren 1918 bis 1939 sind mit Blick auf die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung und veränderter Umstände Äußerungen in der Literatur (1.), Entscheidungen der Jurisdiktion (2.) und Entwicklungen in der Verlagspraxis (3.) zu untersuchen. 1. Die Literatur zu den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten In der Literatur knüpfte die Masse der Autoren an die Kritik der Jahre 1901–1918 an und wandte sich § 35 VerlG zu, während die Rücktrittsrechte wegen Nichtausübung kaum thematisiert wurden. Dabei verdient aus dem Bereich der Zeitschriftenbeiträge ein Aufsatz Hoffmanns aus dem Jahr 1921 Erwähnung, der sich vor dem Hintergrund von Kriegsende und Inflation mit aktuellen Anwendungsfragen des § 35 VerlG befasste [a)]. Lobe setzte sich 1922 kritisch mit § 17 VerlG auseinander [b)]. 1923 legte Schwarz die erste Monographie zu § 35 VerlG vor [c)]. Im selben Jahr veröffentliche Passow zwei Beiträge, in welchen er die Vorkriegskritik zu § 35 sowie die Kritik Lobes zu § 17 VerlG nochmals pointierte [d)]. Streisslers Monographie „Das Recht des Ungreifbaren“ verdient als Exponent der auf der Kohlerschen Lehre aufbauenden dualistischen Konzeption des Urheberrechts vor allem aufgrund der ausdrücklichen Einordnung des § 35 VerlG als Persönlichkeitsrecht Erwähnung [e)]. Die 1936 und 1937 erschienenen Schriften Aldenrats [f)] und Fehligs [g)] zeigen die Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie im Kontext der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte. Auf eine nähere Betrachtung der Kommentarliteratur wird indes verzichtet, da diese, von geringfügigen Abweichungen und Präzisierungen abgesehen, inhaltlich im Wesentlichen den bereits oben beleuchteten Werken der Vorkriegszeit entsprach4. 4 Siehe beispielhaft die späteren Auflagen der Kommentare von Heinitz (Heinitz / Marwitz, S. 57 ff. [§ 17 VerlG]; 87 ff., 93 ff. [§§ 30, 32 VerlG] sowie S. 101 ff. [§ 35 VerlG]) und Allfeld (Allfeld, 1929, S. 90 ff. [§ 17 VerlG], S. 144 ff., 157 ff. [§§ 30, 32 VerlG] sowie S. 173 ff. [§ 35 VerlG]) sowie den Kommentar von Hoffmann (Hoffmann, W., VerlG, S. 84 ff. [§ 17 VerlG], 119 ff., 127 ff. [§§ 30, 32 VerlG] sowie S. 135 ff. [§ 35 VerlG]). Ein Beispiel für eine Abweichung ist der Kommentar von Goldbaum, in welchem dieser die zeitliche Zulässigkeit des Rücktritts abermals einschränkte, indem er unter dem „Beginn der Vervielfältigung“ i. S. d. § 35 Abs. 1 VerlG nicht etwa die tatsächliche Herstellung des Satzes bei Druckwerken oder den Beginn der Filmaufnahmen, sondern bereits den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen Verleger und Drucker respektive Filmfabrikanten und Regisseur annahm, siehe Goldbaum, S. 334; dies wurde gleichwohl von späteren Autoren abgelehnt. So betonten beispielsweise Hoffmann, W., VerlG, S. 136 und Aldenrath, S. 27, dass Verlagsverträge über eine künftige Vervielfältigung und Verbreitung abgeschlossen würden
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939293
a) Hoffmann: Revolution und Inflation als „veränderte Umstände“? Im Jahr 1921 setzte sich der Leipziger Rechtsanwalt Willy Hoffmann5 mit der Frage auseinander, ob ausländische Verfasser, deren Autorenhonorar in deutscher Mark bemessen war, angesichts der durch die Kriegsniederlage bedingten Inflation6 nach § 35 VerlG zurücktreten durften. Hoffmann nahm hierfür eine Bestimmung der Rücktrittsvoraussetzungen vor, die vor allem aufgrund ihrer Feingliedrigkeit Beachtung verdient. Er definierte das maßgebliche (von ihm selbst als „Neuheit“ bezeichnete) Tatbestandsmerkmal der Umstandsveränderung so, dass unter veränderten bzw. „neuen“ Umständen nur solche Tatsachen zu verstehen waren, deren Entstehungsgründe im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung noch nicht angelegt waren. Folglich war ein Umstand dann nicht als „neu“ einzustufen, wenn er „lediglich die Abwandlung eines früheren Zustandes bedeutet[e] und die Gründe dieses Veränderungsprozesses bereits beim Vertragsschluss gegeben“ oder lediglich dem Verfasser selbst unbekannt geblieben waren. Demnach war etwa der Ausbruch der Revolution für einen in den ersten Novembertagen des Jahres 1918 in Deutschland geschlossenen Verlagsvertrag nicht als neuer Umstand zu werten. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Voraussehbarkeit unterstrich Hoffmann, dass hier kein allzu strenger Maßstab anzulegen sei7 und verwies auf Kohler, der bereits 1908 in polemischer Weise Kritik am Ausschluss des Rücktrittsrechts bei fahrlässiger Nichtvoraussicht geübt hatte8. Weiterhin stellte er hervor, dass die Umstände solcher Art sein mussten, dass sie den Autor, hätte er sie rechtzeitig gekannt, von der Herausgabe des Werkes per se hätten abhalten müssen. Wurde dieser Umstand bisher vor allem betont, um die Unbeachtlichkeit von Veränderungen in der Person des Verlegers zu untermauern, griff Hoffmann, wie zuvor bereits Birkmeyer, den Begriff der „Herausgabe“ an sich an. Im Gegensatz zu Birkmeyer, der beund von daher bereits aus Gründen der Logik der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht als Beginn der Vervielfältigung angesehen werden könne. 5 Zur Person Willy Hoffmanns siehe Vogt, S. 59 sowie Apel / Wießner, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 142 ff. Hoffmann legte eine ähnlich rege Publikationstätigkeit wie Josef Kohler an den Tag, was allein das von Härtwig zusammengestellte Schriftenverzeichnis Hoffmanns in UFITA 16 (1944), S. 198 zeigt. 6 Dazu Holtferich, S. 97 ff. sowie speziell zur Situation im Buchhandel Wittmann, R., S. 345 ff.; ausführlich zur Behandlung der veränderten Wirtschaftslage ab 1918 / 19 durch deutsche Gerichte Heinsheimer, DJZ 1920, Sp. 669 ff.; grundsätzlich zum Einfluss wirtschaftlicher Veränderungen auf das Verlagsvertragsverhältnis Schwarz, R., S. 25 ff. 7 Hoffmann, GRUR 1921, S. 62. 8 Kohler, UrhR, S. 321; dazu oben, E. VIII. 1. lit. b) bb).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
sagten Terminus unter dem Aspekt der Nachhaftung des Autors kritisiert hatte, wies Hoffmann darauf hin, dass die der „Herausgabe“ immanente Beschränkung auf den Verlagsbuchhandel dazu führe, dass der Autor nicht zurücktreten könne, wenn er bei Kenntnis der neuen Umstände zwar keinen Verlagsvertrag abgeschlossen, das Werk aber stattdessen in anderer Weise veröffentlicht hätte. Daher wäre es richtiger gewesen, in § 35 VerlG von „Veröffentlichung“ statt von „Herausgabe“ zu sprechen (wenngleich dieser Kritikpunkt angesichts des Umstandes, dass das Verlagsgesetz qua natura nur solche Werke erfasste, welche im Wege des Nachdrucks und damit verlegerisch verbreitet werden konnten, eher grundsätzlich-theoretischer Natur war). Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen gelangte Hoffmann zu dem Schluss, dass die Inflation der deutschen Währung (ausländische)9 Autoren nicht zum Rücktritt nach § 35 VerlG berechtigte, da selbige deren Herausgabeentschluss nicht beeinträchtigt, sondern sie allenfalls dazu veranlasst hätte, das Honorar in anderer Weise festzusetzen10. b) Lobes Kritik an § 17 VerlG Der Senatspräsident am RG Adolf Lobe11 nahm 1922 kritisch zum Rücktrittsrecht des Autors nach § 17 VerlG Stellung. Er warf dem Gesetz hier Inkonsequenz vor, da die Vorschrift dazu führe, dass zwar der Autor zur Überlassung des Verlagsrechts für mehrere Auflagen verpflichtet werden konnte, die Ausübung desselben hinsichtlich der Folgeauflagen jedoch im Ermessen des Verlegers stand. In der Folge könne der Verleger, etwa wenn der Gewinn der Erstauflage hinter seinen Erwartungen zurückbliebe oder er im Nachhinein zu der Auffassung gelangte, dem Autor ein zu hohes Honorar versprochen zu haben, vom Vertrag abgehen und so die Vorschrift des § 5 Abs. 1 S. 2 VerlG, wonach für Folgeauflagen die gleichen vertraglichen Konditionen galten wie für die Erstauflage, umgehen: „Wenn diese verschiedenartige Behandlung des Verfassers und des Verlegers bei einer Vereinbarung über mehrere Auflagen noch gerecht sein soll“, so Lobe weiter, wisse er nicht „wann von Gerechtigkeit noch gesprochen werden“ könne. Zwar anerkannte er das wirtschaftliche wie auch das ideelle Interesse der Verleger an 9 Riezler, JW 1922, S. 1171, der sich mit der gleichen Frage auseinandersetzte, betonte zurecht, dass dies für inländische Autoren nicht minder galt. 10 Hoffmann, GRUR 1921, S. 63; ähnlich auch Riezler, JW 1922, S. 1171, Eckermann, S. 35 sowie (ohne verlagsrechtlichen Bezug) Heinsheimer, DJZ 1920, Sp. 670. 11 Zur Person siehe Anonymus, DJZ 1928, S. 369 sowie Hattenhauer, FS Hadding, S. 72 f. und insbesondere Pahlow, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 191 ff.
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939295
der Veranstaltung von Folgeauflagen – zumal bei besonders erfolgreichen Werken – und damit auch an der vertraglichen Sicherung der entsprechenden Befugnisse, doch berechtigten diese Interessen den Verleger nicht, ebenso wichtige und anerkennenswerte Interessen des Autors zu gefährden. Eine den beiderseitigen Interessen gerecht werdende Lösung dieses Problems sah Lobe in der Gewährung eines „Vorverlagsrechts“ für den Erstverleger in analoger Anwendung der Vorschriften über das Vorkaufsrecht (§§ 504 ff. BGB 1900). Dies sei auch im Interesse der Autoren, welche sich nach Lobes Ansicht nur selten dazu hinreißen ließen, von ihrem altbewährten Verlag abzugehen; wichtig sei nur „daß kein Teil gebunden ist, um mißbräuchlicher Ausbeutung dieser Gebundenheit zu begegnen“12. c) Schwarz: § 35 VerlG als Ausfluss des „eigenartigen Bandes“ zwischen Autor und Verleger 1923 erschien mit Richard Schwarzʼ Dissertation „Der Einfluss veränderter Umstände und des Konkurses auf das Verlagsverhältnis“ die erste Untersuchung, welche sich ausschließlich mit § 35 VerlG beschäftigte. Schwarz ging davon aus, dass das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände nicht Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens (und damit insbesondere nicht der clausula rebus sic stantibus) sei, sondern sich unmittelbar aus dem „eigenartige[n] Band, […] zwischen Verfasser und Verleger“13 ergebe. Denn unabhängig von seiner dogmatischen Einordnung als Persönlichkeitsund / oder Vermögensrecht umfasse das Urheberrecht jedenfalls all jene Befugnisse, welche den Schöpfern idealer Gebilde als absolute Rechte zustünden, indem sie „nicht das künstlerische Produkt als Materie, sondern die Künstleridee, ‚das immaginäre Bild‘, unabhängig von der Form, in der diese Idee ihren Niederschlag gefunden hat“ schützten. Als e igentlicher Kern des Urheberrechts verdiene die „Künstleridee“ Schutz s owohl gegen Eingriffe in ihren vermögensrechtlichen wie auch in ihren ideellen Wert, da sie „nicht selten das Ergebnis einer ganzen Lebensarbeit“14 sei. Um mit diesem (Lebens-)Werk den höchstmöglichen Grad an Publizität und zugleich den maximalen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen, sei der Autor regelmäßig auf einen Verleger angewiesen, welcher insofern „zum Beherrscher des höchsten Gutes des Verfassers“ aufsteige. Aus diesem Grund sei der Ver12 Lobe,
GRUR 1922, S. 99. R., S. 2. 14 Schwarz, R., S. 5 f., der hinsichtlich der Begriffe der „Künstleridee“ und des „immaginären Bildes“ auf Kohler, UrhR, S. 6 verwies. Zur historischen Entwicklung der Unterscheidung zwischen Form und Inhalt („Idee“) im Urheberrecht siehe Handle, S. 14 ff. 13 Schwarz,
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lagsvertrag mehr als jeder andere Kontrakt von dem Vertrauen getragen, welches eine Partei der anderen entgegenbringe. Um dieser Besonderheit Rechnung zu tragen, sei eine Reihe von Sonderregelungen erforderlich, wofür § 35 VerlG geradezu exemplarisch sei: Angesichts des Umstandes, dass ein Werk regelmäßig so sehr von der Persönlichkeit des Autors durchdrungen sei, dass es als Spiegelbild seiner geistigen Verfassung in einem bestimmten Lebensabschnitt gelten könne, verhindere das Rücktrittsrecht, dass dieser zur Preisgabe seiner Gedanken gezwungen werde, obwohl ihn veränderte Umstände zwischenzeitlich von seinem Publikationsentschluss haben abrücken lassen. Niemand, so pointierte Schwarz, sei in seinem Schaffen so sehr von äußeren Verhältnissen beeinflusst und mehr den Wandlungen in seinem eigenen Inneren ausgesetzt, wie der Künstler. Blieben diese Wechselwirkungen im Gesetz unberücksichtigt, würde man den Autor zur Selbstverleugnung zwingen.15 § 35 VerlG schütze demnach sowohl die Person des Verfassers wie auch sein Werk, wobei die Gründe für den Rücktritt sowohl objektiver wie auch subjektiver Natur sein konnten, solange nur ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen Herausgabe und Gefährdung der Autoreninteressen bestünde.16 Nur konsequent war in den Augen Schwarzʼ folglich auch die Nichtanwendbarkeit des § 35 VerlG auf Umstände, die in der Person des Verlegers lagen: Derlei Veränderungen waren keine Besonderheit des Verlagsvertragsverhältnisses, sondern entsprangen dem allgemeinen Vertrags- bzw. Lebens risiko. In derlei Fällen konnten demnach allein allgemeine Vertragsgründsätze, so etwa eine Anfechtung nach § 119 BGB 1900 oder die Regelungen über die Unmöglichkeit Anwendung finden17. Da § 35 VerlG ausschließlich den Autoreninteressen Rechnung trug, hielt auch Schwarz es für notwendig, der Ausübung des Rücktrittsrechts gewisse Schranken aufzuerlegen, damit sich „der Eingriff in die Rechte des Verlegers […] möglichst schmerzlos“ gestalte. So anerkannte er die prinzipielle Notwendigkeit einer zeitlichen Begrenzung des Rücktrittsrechts, monierte jedoch zugleich, dass der Gesetzgeber „ins andere Extrem verfallen“ sei, als er den Beginn der Vervielfältigung als spätestmöglichen Rücktrittszeitpunkt festlegte. Insofern forderte auch Schwarz die Ausdehnung der zeitlichen Anwendbarkeit des Rücktrittsrechts auf den Zeitpunkt der Herausgabe. Im Gegenzug sollte der Ersatzanspruch des Verlegers auf das negative Interesse (§ 249 BGB 1900) ausgedehnt werden.18
15 Schwarz,
R., S. 7 f. R., S. 9 f. 17 Schwarz, R., S. 13, der Unmöglichkeit im Verlagsvertragsverhältnis und ihrer Abgrenzung zu § 35 VerlG widmete sich Schwarz ausführlich ebd., S. 31 ff. 18 Schwarz, R., S. 15 f. 16 Schwarz,
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939297
Völlig einverstanden zeigte er sich mit dem Tatbestandsmerkmal der Unvorhersehbarkeit der Umstände, da der Autor, der bereits mit einiger Gewissheit von einer künftigen Umstandsänderung ausgehen musste, nicht schutzwürdig sei19. Ausdrücklich gegen Kohler betonte Schwarz, dass Fahrlässigkeiten hier eindeutig zulasten des Autors gingen, da man auch von diesem eine gewisse Sorgfalt erwarten können dürfe und müsse20. Die Voraussetzung, dass die Kenntnis der Sachlage und die verständige Würdigung des Falles den Autor von der Herausgabe hätten abgehalten haben müssen, sah Schwarz aus verschiedenen Vorschriften des BGB abgeleitet. So führte er u. a. § 1333 BGB 1900 an, welcher einen Ehegatten zur Anfechtung der Ehe berechtigte, wenn sich dieser „bei der Eheschließung in der Person des anderen Ehegatten oder über solche persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden“21.
Der sich mit den maßgeblichen Passagen des § 35 VerlG deckende Wortlaut legt eine Entlehnung zwar nahe, nachweisbar ist dies jedoch nicht. Aufschlussreich sind schließlich auch Schwarz’ Ausführungen zur Wiederanbietungspflicht des § 35 Abs. 2 S. 2 VerlG. Hier schrieb er: „Die Zeiten ändern sich. Die Anschauungen der Menschen über Gut und Schlecht unterliegen einem steten Wandel. Das Werk, dessen Herausgabe den Verfasser heute unmöglich machen würde, kann ihn schon nach einiger Zeit zum gefeierten Autor machen“.
Da das Gesetz den Autor mit § 35 Abs. 1 VerlG fast ohne Rücksicht auf den Verleger zum Rücktritt berechtige, sei – gewissermaßen als Korrektiv zu dieser Freiheit – von dem zurückgetretenen Autor Rücksichtnahme auf den Verleger zu verlangen, falls ein erneuter Umschwung in den Verhältnissen die Herausgabe doch noch ermögliche.22 19 Schwarz, R., S. 16 sprach insofern von einer „Art culpa in contrahendo“ und nannte beispielhaft den Fall eines „Politiker[s], der einen Abhandlung über den Versailler Vertrag schreibt“: Dieser sei nicht zum Rücktritt berechtigt, wenn „die Schrift für das Gebiet des [zum Zeitpunkt des Erscheinens von Schwarz’ Schrift von den Alliierten besetzten] Rheinlands, das er als Hauptabsatzgebiet erhoffte, verboten wird“, zumal er „bei dem Charakter seines Werkes und den Umständen der Zeit“ damit hätte rechnen müssen. 20 An späterer Stelle konkretisierte Schwarz dies dahingehend, dass der Autor „mit entfernten Möglichkeiten nicht zu rechnen“ brauche (Schwarz, R., S. 18). 21 Schwarz, R., S. 18, der hier irrig vom „Abschluss des Vertrages sprach“, verwies überdies auf § 119 BGB 1900 („[…] kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde“) und § 2033 BGB 1900 („[…] anzunehmen ist, daß er die Erklärung bei Kenntniß der Sachlage nicht abgegeben haben würde“). 22 Schwarz, R., S. 20 mit Verweis auf Kohler, UrhR, S. 323.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Im Ergebnis erachtete Schwarz die Regelung des § 35 VerlG, deren persönlichkeitsschützenden Charakter er besonders hervorstellte, als gelungen. Nachbesserungsbedarf sah er in seinen, stets auf Interessenausgleich bedachten Ausführungen einzig bei der zeitlichen Reichweite des Rücktrittsrechts. d) Passows Kritik an §§ 35 und 17 VerlG Der Tendenz nach völlig anders und gerade deshalb erwähnenswert ist der Beitrag, den der Göttinger Rechtsprofessor Richard Passow23 1927 in „Schmollers Jahrbuch“ veröffentlichte. Dieser widmete sich zwar vornehmlich „Friedrich Nicolais Einfluß auf das deutsche Verlagsrecht“, bewertete jedoch zugleich einzelne Aspekte der Fortentwicklung des Verlagsrechts vom preußischen Landrecht hin zum gesamtdeutschen Verlagsgesetz. So unterstrich Passow, dass das Verlagsgesetz von 1901 zwar manches verbessert habe, in einigen Punkten aber auch eine signifikante Verschlechterung der Rechtslage zulasten der Autoren herbeiführte. Als Beispiel führte er § 35 VerlG an, welcher das im Wesentlichen uneingeschränkte Rücktrittsrecht des preußischen Landrechts durch seine tatbestandsmäßigen Anforderungen sowie seine zeitliche Begrenzung „auf das äußerste“24 beschnitten habe. Passow verwies hier auf die Kritiken Kohlers, Dernburgs und Hoffmanns. Zugleich war er nach Biermann25 und Christ26 der Dritte, der ausdrücklich die autorenfreundlichere Ausgestaltung des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände im mittlerweile über hundert Jahre alten preußischen Allgemeinen Landrecht betonte und damit zugleich den in dieser Hinsicht „rückschrittlichen“ Charakter des Verlagsgesetzes von 1901 monierte. Nicht minder kritisch setzte sich Passow in einem im gleichen Jahr erschienenen Beitrag mit § 17 VerlG auseinander. Zutreffend stellte er hervor, dass die Vorschrift ihren Ursprung in der Verlagsordnung des Deutschen Buchhandels hatte und insofern eindeutig den Verlegerinteressen Rechnung trug27. In ähnlicher Weise wie Lobe bezeichnete Passow § 17 VerlG als „einzigartiges Ausnahmeunrecht zulasten der Autoren“, welches dazu führe, dass der Verleger nur Rechte, der Autor hingegen nur Pflichten erwerbe. Dies gesetzlich festzulegen sei an sich bereits „ein starkes Stück“28. Zwar sei es korrekt, dass der Verleger bei Vertragsschluss nicht um den Erfolg etwaiger Neuauflagen wisse, doch zwinge ihn niemand, über solche zu kontrahieren. Person siehe Szabó, S. 149 ff. Schmollers Jb. 51 (1927), S. 462 f. 25 Siehe oben, E. V. 4. 26 Siehe oben, E. VIII. 1. lit. b) aa). 27 Passow, ZHR 1927, S. 439; dazu oben, E. II. 1. 28 Passow, ZHR 1927, S. 437. 23 Zur
24 Passow,
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939299
Wolle der Verleger einen Anspruch auf weitere Auflagen, so gäbe es keinen Grund, ihn von dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Risiko zu befreien.29 Aus diesem Grund forderte Passow eine ersatzlose Streichung des § 17 VerlG, mindestens aber eine Neufassung dergestalt, dass die Übertragung des Verlagsrechts an künftigen Auflagen fortan nur noch insoweit zulässig sein sollte, als der Verleger auch die Pflicht zur Veranstaltung übernahm30. e) Streisslers „System des Immaterialgüterrechts“: § 35 VerlG zwischen monistischer und dualistischer Theorie 1932 veröffentliche Alfred Streissler unter dem Titel „Das Recht des Ungreifbaren“ den „Versuch eines Systems des Immaterialgüterrechts“. Darin teilte er Immaterialgüter in drei Kategorien ein: Während sog. „personengebundene Immaterialgüter“ vor allem die Ehre und Persönlichkeit ihres Schöpfers umfassten, bezeichneten „sachgebundene Immaterialgüter“ den in jeder Sache enthaltenen immateriellen Wert. Unter den Begriff der „selbstständigen Immaterialgüter“ fielen schließlich sämtliche, von einer Person oder Sache loslös- und damit übertragbaren Immaterialgüter. Urheber- und Verlagsrecht gehörten als zumindest teilweise disponible Positionen primär letztgenannter Kategorie an, enthielten jedoch zugleich wichtige persönlichkeitsrechtliche Elemente, da nach Streisslers Auffassung mit jedem selbstständigen Immaterialgut personen- oder sachgebundene Immaterialgüter einherliefen – entweder dergestalt, dass sie sich gegenseitig ergänzten oder aber sich gegenseitig ausschlossen31. So seien insbesondere das Rücktrittsrecht des § 35 VerlG sowie das Änderungsverbot des § 12 VerlG „echte Persönlichkeitsrechte“, wobei ersteres insbesondere das „öffentliche Geltungsinteresse“ sowie das „publizistische Beschränkungsinteres se“32 des Autors schütze. Streisslers Ausführungen sind dabei vor dem Hintergrund der seit Kriegsende sukzessiv weiterentwickelten Kohlerschen Lehre vom Immaterialgüterrecht zu sehen, in deren Zentrum die Frage des Verhältnisses zwischen Persönlichkeits- und Vermögensrecht stand. Ausgehend von Kohlers „Doppelrecht“ bildeten sich dabei zwei Ansätze heraus: Nach der sog. monistischen Theorie war das Urheberrecht weder reines vermögensnoch reines Persönlichkeitsrecht, sondern vielmehr ein Recht eigener Art, welches sich in persönlichkeits- und vermögensrechtliche Befugnisse unterteilte. Diese waren ihrerseits jedoch derart eng miteinander verwoben, dass 29 Passow,
ZHR 1927, S. 443. ZHR 1927, S. 452 f. 31 Streissler, S. 12, 61. 32 Streissler, S. 22 f. 30 Passow,
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nicht etwa zwei unterschiedliche Schutzkomponenten vorlagen, sondern das Urheberrecht vielmehr ein einheitliches Recht mit doppelter, namentlich ideeller und materieller Schutzfunktion bildete.33 Streissler war hingegen der dualistischen Theorie zuzuordnen, welche sich eng an die originäre Doktrin Kohlers anlehnte: Demnach zerfiel das Urheberrecht in eine vermögens- und eine persönlichkeitsrechtliche Schutzkomponente, wobei erstere als Immaterialgüterrecht aus der Werkschöpfung floss, letztere ein Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts war. Beide Teile waren streng voneinander zu trennen, fanden sich im Urheberrecht jedoch zu einem Doppelrecht verklammert.34 So auch bei Streissler: Das Rücktrittsrecht des Autors aus § 35 VerlG, welches dem Schutz der „Autorenehre“ diente, wurde von diesem als eigenständiges Persönlichkeitsrecht gedeutet, welches mit dem (übertragbaren) Verlagsrecht zwangsläufig einherging35. Nachdem Kohler bereits 1912 das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung als persönlichkeitsrechtliches Instrument bezeichnet hatte36, war Streissler der erste, der dem Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ausdrücklich persönlichkeitsrechtlichen Charakter zusprach37. f) Aldenraths „Rücktritt vom Verlagsvertrag“ Adolf Aldenraths 1936 publizierte Dissertation „Der Rücktritt vom Verlagsvertrag“ war die zweite Untersuchung, welche sich ausschließlich mit dem Rücktritt vom Verlagsvertrag befasste. Zwar hatte nach Schwarz 1925 auch Johannes Mnich eine Monographie zum „Ende des gegenständlichen Verlagsrechts“ vorgelegt. Diese beschränkte sich hinsichtlich der §§ 17, 30, 33 Vertreter dieser Theorie waren insbesondere Allfeld, LUG, S. 16 ff. und de Boor, Wesen, S. 33 ff.; ferner die in dieser Richtung deutbaren Anklänge in ders., UrhR / VerlR, S. 306 ff., wenngleich er in UrhR / VerlR, S. 161, 165 und 180 das Urheberrecht als reines Vermögensrecht charakterisierte; weitere Nachweise liefert Vogt, S. 245 f.; dazu auch Hansen, S. 25 f. 34 Vertreter dieser Ansicht waren etwa Michaelis, S. 26 f., 33; Smoschewer, GRUR 1927, S. 248 und insbesondere Elster, GRUR 1927, S. 431 ff.; ders., FS RG, S. 279; weitere Nachweise liefert Vogt, S. 246; dazu auch Hansen, S. 24 f. 35 Streissler, S. 21. 36 Siehe oben, E. VIII. 1. lit. b) ff); diese Deutung bestätigte Elster 1929 im Kontext des § 17 VerlG (Elster, FS RG, S. 279). 37 Indes hatte Michaelis, S. 41 f. bereits 1926 § 35 VerlG als Instrument zum „mittelbaren [sic!] Schutz der Autorenpersönlichkeit“ bezeichnet, welches sich „zwar unmittelbar nur auf das vermögensrechtlich geartete Vertragsverhältnis zwischen Autor und Verleger“ beziehe, „aber mittelbar für das Persönlichkeitsrecht insofern Bedeutung [habe], als die in ihm vorgesehenen Umstände auch auf rein persönlichen Verhältnissen beruhen können“.
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939301
32 und 35 VerlG jedoch im Wesentlichen auf eine Paraphrasierung des Gesetzestextes bzw. die Wiedergabe bereits bekannter Auffassungen38. Aldenrath hingegen legte eine ausgesprochen detaillierte Arbeit vor, die sich vertieft mit den Tatbestandsvoraussetzungen der Rücktrittsrechte auseinandersetzte39. Hinsichtlich des § 35 VerlG, den Aldenrath als eine „gewisse Anerkennung“ der clausula rebus sic stantibus umschrieb40, plädierte er für eine Ausweitung der Vorschrift zugunsten des Autors. Dass dieser nicht zurücktreten könne, wenn sich Umstände in der Person des Verlegers änderten, erachtete er zwar als selbstverständlich, gleichwohl sah er eine zu strenge Beschränkung des Verfasserrechts darin, dass der Rücktritt nach herrschender Ansicht auch dann ausgeschlossen war, wenn der Verlag nach Vertragsschluss seine politische Richtung gänzlich änderte oder im Niveau stark nachließ. Gäbe ein Verlag etwa „nur noch erotische Werke, Hintertreppenromane, kurz Schundliteratur“ heraus und geriete dadurch beim Publikum in Misskredit, sei nicht nur zu befürchten, dass das Werk nicht den richtigen Leserkreis finden, sondern auch, dass der Ruf des Autors Schaden nehmen würde. Dies gelte umso mehr, als das Publikum über die Tendenzen der einzelnen Verlage größtenteils informiert sei und gerade Erstlingswerke nicht selten in Abhängigkeit des anbietenden Verlages kaufe oder ablehne. Bedenke man – und hier zeigt sich, wenn nicht Aldenraths eigene Überzeugung41, so doch zumindest der Zeitgeist – „allein die Schwierigkeiten, die zwischen arischem Verfasser und nichtarischem Verleger in dieser Hinsicht entstehen können, so wäre eine Änderung des Verlagsgesetzes nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten wohl zu erwägen“42. Zwar sollte es hierzu nie kommen, doch insbesondere Mnich, S. 19 ff. §§ 30, 32 VerlG siehe Aldenrath, S. 14 f. (Ausstattung und Qualität der Vervielfältigungsstücke), 15 f. (Korrektur), 16 f. (veränderte Wiedergabe), 17 f. (korrekte Auflagenhöhe), 20 f. (geeignete Werbemaßnahmen, von Aldenrath als „Propaganda“ bezeichnet sowie „Verramschungsverbot“), S. 21 f. (ordnungsgemäße Preisgestaltung), 22 f. (gesetzwidriges Verhalten bei Untergang vorrätiger Exemplare); zu § 17 VerlG ders., S. 24 f. 40 Aldenrath, S. 26 / Fn. 91 sowie S. 40. 41 Aldenrath fand ausweislich des Totenbuches des sowjetischen Speziallagers Nr. 2, welches zwischen 1945 und 1950 vom sowjetischen NKWD bzw. MWD auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald betrieben wurde, in ebendiesem Lager den Tod, siehe http: / / totenbuch-speziallager.buchenwald.de / recher che / index / q / a / reset / true / page / 9. Dort wurden mutmaßlich überzeugte Nationalsozialisten ebenso wie bloße Mitläufer und vermeintliche Kriegsverbrecher interniert; im Laufe der Zeit kamen jedoch auch Sozialdemokraten, Bauern, „Junker“ und andere mutmaßliche oder tatsächliche Gegner der sich konstituierenden SED-Diktatur hinzu, siehe v. Flocken / Klonovsky, S. 15 ff., 23 ff. Ob mit Aldenrath hier ein überzeugter Nationalsozialist oder ein bloßer Mitläufer sprach, kann daher nicht mehr geklärt werden. 42 Aldenrath, S. 27; ähnlich auch in dem 1939 erschienenen Kommentar zum Verlagsgesetz von Elster, der in dritter Auflage das von Voigtländer begründete Werk 38 Siehe 39 Zu
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sollte Aldenrath nicht der einzige bleiben, der ab 1933 die „Problematik“ jüdischer Autoren im Kontext der Rücktrittsrechte aufgriff. Im Hinblick auf die temporäre Reichweite des Rücktrittsrechts schloss er sich den Positionen Osterrieths, Biermanns, Kohlers, Dernburgs und Schwarz’ an und sprach sich für eine Anwendbarkeit des § 35 VerlG bis zum Beginn der Herausgabe aus43. Fürchte man hierdurch einen Missbrauch des Rücktrittsrechts, so sei eine Ausweitung der Schadensersatzpflicht unter Berücksichtigung des § 252 BGB 1900 das probate Mittel44. Konkret hätte dies im Einzelfall eine Ausweitung der Haftung auf den entgangenen Gewinn bedeutet. Aldenrath ging insoweit noch über Schwarz hinaus, dem im Gegenzug für die zeitliche Ausdehnung der Rücktrittsmöglichkeit lediglich ein Anspruch des Verlegers auf das negative Interesse vorschwebte45. g) Nationalsozialistische Instrumentalisierung des § 35 VerlG: Fehligs „Einseitige Aufhebung des Verlagsvertrags“ 1937 erschien Hildegard Fehligs Dissertation zur „einseitige[n] Aufhebung des Verlagsvertrages“. Darin betonte sie, dass § 35 VerlG die enge „personenrechtliche“ Beziehung schütze, die auch nach Vertragsschluss zwischen Autor und Werk fortwirke und damit letztlich die „geistige Freiheit“ des Autors gewährleiste46. Nachdem sich bereits bei Aldenrath Tendenzen zu einer Deutung bzw. Instrumentalisierung des Rücktrittsrechts im Sinne der neuen Machthaber abgezeichnet hatten, ging Fehlig noch einen Schritt weiter und stilisierte § 35 VerlG zum Werkzeug nationalsozialistischer Kulturpolifortführte: Hier hieß es im Hinblick auf die Möglichkeit, einen sich auf mehrere Auflagen erstreckenden Verlagsvertrag wegen veränderter Umstände nach § 35 VerlG aufzuheben, dass diese Aufhebung im Einzelfall auch dem Verleger zugutekommen könne. Dies gelte insbesondere „für die Weiterführung der Werke von Verfassern, die aus ihrer zuständigen Fachorganisation (Reichsschrifttumskammer) ausgeschlossen sind, oder für Werke, die aus staatspolitischen Gründen abgelehnt werden“ sowie für „noch nicht ausgeführte Verlagsverträge mit jüdischen Autoren“, siehe Elster, S. 155 mit Verweis auf OLG München, UFITA 8 (1935), S. 295 [296 f.]; RG, Urt. v. 27.06.1936, UFITA 9 (1936), S. 368 [370 ff.], worin die besagten Gerichte das „Nichtariertum“ von Verfassern bzw. Regisseuren als Unmöglichkeit i. S. v. § 275 BGB beurteilten, zumal „infolge der völlig veränderten politischen Verhältnisse einem Verleger aus wirtschaftlichen Gründen nicht gemutet werden“ könne, „das Werk eines nichtarischen Urhebers weiterhin zu verlegen“. 43 Aldenrath, S. 27 mit Verweis auf den Sonderabdruck von Osterrieths GRURBeitrag „Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht“ (Berlin 1901), S. 76; Dernburg, geist. Eig., S. 145 sowie Kohler, UrhR, S. 321. 44 Aldenrath, S. 28 mit Verweis auf Christ, S. 104 ff. 45 Siehe oben, F. I. 1. lit. c). 46 Fehlig, S. 19, 53 f.
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939303
tik. Diese habe sich die Förderung der deutschen Kunst als wesentliches Ausdrucksmittel und Bindeglied der „Volksgemeinschaft“ zur Aufgabe gemacht und habe daher ein ausgeprägtes Interesse am Erscheinen möglichst vieler, qualitativ hochwertiger Bücher, die als Ausfuhrobjekte ein wertvolles Mittel der „Kulturpropaganda“47 seien. Da sich ein Autor, dem man die Möglichkeit einräumt, sein Werk unter bestimmten Bedingungen auch nach Vertragsschluss wieder an sich zu ziehen, nicht nur eher zur Veröffentlichung entschließen, sondern überhaupt mehr Werke schaffen würde, diene § 35 VerlG in letzter Instanz dem nationalsozialistischen Gedanken. Daher sei das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände im Verlagsrecht geradezu essentiell. In ihrer Kritik wandte sich Fehlig gegen den erstmals von Kohler unterbreiteten Vorschlag, einen Rücktritt nach § 35 VerlG auch dann zuzulassen, wenn der Autor die für den Rücktritt maßgeblichen Umstände aus bloßer Fahrlässigkeit nicht vorausgesehen habe, zumal man den Verleger so in ungebührlicher Weise der Willkür des Autors ausliefern würde48. Dem Verfasser bliebe in diesem Fall die Möglichkeit, seine Interessen durch Ausübung des Vorkaufsrechts aus § 26 VerlG49 zu wahren, wobei Fehlig eingestand, dass ihm dieses Recht jedenfalls dann nichts nütze, wenn er nicht über die für den Ankauf erforderlichen Geldmittel verfügte. Gerade in diesem Fall wäre es jedoch umso unbilliger, dem Autor ein Rücktrittsrecht zu gewähren, da der Verleger dann den gesamten Schaden zu tragen hätte. Indes befürwortete auch Fehlig eine Ausdehnung des temporären Anwendungsbereichs des § 35 VerlG bis zum Verbreitungsbeginn, da sich bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche Verlegerleistungen rückgängig machen ließen. Im Gegenzug müsse jedoch, und hier schloss sie sich ausdrücklich Aldenrath an, der Ersatzanspruch des Verlegers bis auf den entgangenen Gewinn ausgedehnt 47 Der Begriff der „Kulturpropaganda“ wurde von dem französischen Schriftsteller Edmond Rostand geprägt und bezeichnete einen „Imperialismus der Idee“, d. h. eine Steigerung nationaler Weltgeltung ohne kriegerische Unterwerfung fremder Länder, siehe Engel, K., S. 35 f. Fehligs Äußerungen sind dabei vor dem Hintergrund der deutschen Revisionsbestrebungen bzgl. der durch den Versailler Vertrag erlittenen Gebietsverluste, der nationalsozialistischen Agitation in Österreich sowie nicht zuletzt der NS-Parteiprogrammatik („Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland“, Punkt 1 des Parteiprogramms der NSDAP, abgedruckt bei Rosenberg, S. 11, erläutert auf S. 14 f.) zu sehen. Allgemein zum Buchhandel und Verlagswesen im Nationalsozialismus siehe Wittmann, R., S. 360 ff. 48 Fehlig, S. 54. 49 § 26 VerlG lautet: „Der Verleger hat die zu seiner Verfügung stehenden Abzüge des Werkes zu dem niedrigsten Preise, für welchen er das Werk im Betriebe seines Verlagsgeschäfts abgibt, dem Verfasser, soweit dieser es verlangt, zu überlassen“.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
werden50. Eine Ausdehnung der Zulässigkeit des Rücktritts über den Ver breitungsbeginn hinaus – Fehlig verwies insofern auf Art. 15 des italienischen Urheberrechtsgesetzes vom 7. November 192551 (italUrhG) – sei jedoch als übermäßige Begünstigung des Autors zu verwerfen52. Trotz dieser ablehnenden Haltung war Fehling damit die erste, welche die Möglichkeit eines über den Zeitpunkt der Herausgabe hinausgehenden Rücktrittsrechts anstieß. Zugleich befürwortete sie ein § 35 VerlG entsprechendes Rücktrittsrecht für den Verleger, welches mittels einer Erweiterung des § 18 VerlG in das Gesetz implementiert werden und dem Verleger u. a. dann den Rücktritt gestatten sollte, wenn die Herausgabe des Werkes sein Ansehen oder das Gemeinwohl („Gemeinnutz geht vor Eigennutz“53) zu beeinträchtigen drohte.54 50 Die von Fehlig, S. 69 f. vorgeschlagene Neufassung des § 35 VerlG lautete: „Bis zum Beginn der Verbreitung [sic!] ist der Verfasser berechtigt, vom Verlagsvertrag zurückzutreten, wenn sich nicht vorhersehbare Umstände ergeben, die den Verfasser bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Veröffentlichung zurückgehalten haben würden. Erklärt der Verfasser auf Grund der Vorschrift des Abs. 1 den Rücktritt vor Beginn der Vervielfältigung, so ist er dem Verleger zum Ersatz der von diesem gemachten Aufwendungen verpflichtet. Erklärt er den Rücktritt nach Beginn der Vervielfältigung oder gibt er innerhalb eines Jahres seit dem Rücktritt das Werk anderweitig heraus, so ist er zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung verpflichtet. Die übrigen Bestimmungen des § 35 werden unverändert beibehalten“. 51 Art. 15 italUrhG lautete: „Wenn schwerwiegende moralische Gründe vorliegen, hat der Urheber das Recht, vorbehaltlich der Entschädigung der beteiligten Herausgeber oder Drucker, sein Werk aus dem Handel zurückzuziehen. Durch Verfügung des Gerichtspräsidenten kann er gezwungen werden, für solche Schäden vorher Sicherheit zu leisten. Das Recht, das Werk aus dem Handel zurückzuziehen, steht nur dem Urheber persönlich zu und ist nicht übertragbar“, siehe Gazetta Ufficiale Nr. 270 v. 20.11.1925, S. 4599; deutsche Übersetzung in Deutsches Handels-Archiv 1926, S. 1766–1772 (dort S. 1767); das Gesetz wurde am 17.01.1929 novelliert, wovon Art. 15 jedoch unberührt blieb (siehe Ghiron, UFITA 5 [1932], S. 50, 54, 57 f.); dazu auch Engel, G., S. 39 und insbesondere Piola Caselli, Il Diritto di Autore 1 (1930), S. 25 f., 39 f., der anlässlich der Einführung der Vorschrift betonte, dass eine derartige Regelung – auch international ein gänzliches Novum sei und ausländische Urheber ihre italienischen Kollegen um selbige beneiden würden („Le leggi estere non la conoscono; gli autori straneri ce la invidiano.“) sowie ders., Arch. f. Funkr. 3 (1930), S. 221 ff. Allgemein zur Entwickling des italienischen Urheberrechts ab 1882 Fuchs, S. 10 ff. 52 Fehling, S. 55 f. 53 Siehe Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP, abgedruckt und erläutert bei Rosenberg, S. 13, 37 ff. Zu diesem Grundsatz als „kennzeichnend[em Element] für ein nationalsozialistisches Urheberrecht“ Vogt, S. 303 ff. 54 Fehling, S. 57; die vorgeschlagene Neufassung des § 18 lautete im Wortlaut: „Ergeben sich nach Abschluß des Vertrages nicht vorhersehbare Umstände, durch die der Zweck des Werkes wegfällt, oder durch die die Herausgabe des Werkes zu einer erheblichen Schädigung des Gemeinwohls oder des Ansehens des Verlegers führen würde, so kann dieser das Verlagsverhältnis kündigen. § 35 Abs. 3 findet entspre-
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Gegen §§ 30, 32 VerlG äußerte Fehlig keine Bedenken55; anders bei § 17 VerlG: Hier schloss sie sich der Kritik an, die Vorschrift würde den Autor unangemessen benachteiligen. Zugleich lehnte sie jedoch die Vorstöße Lobes und Passows56 ab, den Verleger im Falle der Vereinbarung weiterer Auflagen auch zur Veranstaltung derselben zu verpflichten oder Verlagsverträge künftig zwingend auf eine Auflage zu begrenzen. Darin läge, so Fehling weiter, eine unbillige Härte gegen den Verleger, da sich die Kosten der Erstauflage oftmals erst in der Folgeauflage amortisierten. Auch dem Autor wäre damit nicht gedient, zumal die Kosten für die Erstauflage in der Folge zwangsläufig ansteigen würden. Stattdessen schlug sie eine Neufassung des § 17 VerlG dergestalt vor, dass der Verleger, der zu mehreren Auflagen berechtigt ist, auch zur Veranstaltung derselben verpflichtet sein sollte, sofern nicht vertraglich ausdrücklich etwas Anderes bestimmt war. Das bisherige Rücktrittsrecht wäre damit hinfällig geworden57. Neben den hier dargestellten Werken gab es zwischen 1918 und 1939 noch eine Fülle weiterer Literatur zum Verlagsrecht. Diese lieferte jedoch keine wesentlich neuen Erkenntnisse zu den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten bzw. verwies diesbezüglich auf die hier betrachteten Abhandlungen.58
chende Anwendung. Der Anspruch des Verfassers auf die Vergütung bleibt unberührt, es sei denn, daß er sich nach dem Absatz oder dem Gewinn bestimmt. § 649 BGB findet entsprechende Anwendung“ (Fehling, S. 69). 55 Fehling, S. 63 f., 70. 56 Siehe oben, F. I. 1. lit. b) und d). 57 Fehlig, S. 67 f.; die künftige Fassung des § 17 sollte wie folgt lauten: „Der Verleger, der das Recht hat, eine neue Auflage zu veranstalten, ist verpflichtet, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Eine abweichende Regelung bedarf einer ausdrücklichen Vereinbarung“ (Fehlig, S. 69). 58 Siehe etwa die Beiträge Osterrieths bzw. Teichmanns in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik (Osterrieth, Schriften des Vereins für Sozialpolitik 152 Bd. I [1922], S. 245 ff.; Teichmann, ebd., S. 309 ff.) sowie die Aufsätze Hoeltges in den Volkswirtschaftlichen Blättern (Hoeltge, Volkswirtschaftliche Blätter 1926, S. 185 ff.) und Allfelds im Zentralblatt für Handelsrecht (Allfeld, ZHR 1927, S. 6 ff.), welche sich, wie auch Scheringer, S. 141 ff., 231 f., vor allem kritisch mit § 17 VerlG auseinandersetzten; hinzu traten sämtliche Rücktrittsgründe beleuchtende Schriften wie die Monograhien Eckermanns (Eckermann, S. 15 ff. [§§ 30, 31, 32 VerlG], 30 ff. [§ 35 VerlG] sowie S. 41 ff. [§ 17 VerlG]) und Engels (Engel, G., S. 16 ff. [§ 17 VerlG], 29 ff. [§ 32 VerlG] sowie S. 35 ff. [§ 35 VerlG]) sowie der Beitrag Kuhnkes in der UFITA (Kuhnke, UFITA 9 [1936], S. 123 ff.).
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2. Rechtsprechung zu den Rücktrittsrechten 1921–1939 Obgleich das RG insgesamt nur wenige verlagsrechtliche Fälle verhandelte59, erging zwischen 1921 und 1939 eine Reihe von Entscheidungen zu den Rücktrittsrechten. Das höchste deutsche Zivilgericht befasste sich dabei mit verschiedenen Fällen zum Rücktritt nach §§ 17, 30, 32 VerlG [a)], zum Rücktritt wegen Nichtausübung im Filmbereich [b)] sowie zum Rücktritt nach § 35 VerlG [c)]. Im Sinne einer umfassenden Betrachtung sollen überdies auch solche Entscheidungen beleuchtet werden, die vertraglich vereinbarte Rücktrittsrechte wegen „veränderter Umstände“ im weitesten Sinne betrafen [d)]. Letztere sind insbesondere insofern interessant, als sie dokumentieren, dass der Wandel zum Unrechtsstaat ab 1933 auch vor dem Gebiet des Urheber- und Verlagsrechts keinen Halt machte. a) Rechtsprechung zum Rücktritt nach §§ 17, 30, 32 VerlG Der Dramaturg Julius Kapp, der vor allem als Herausgeber der Schriften Richard Wagners Bekanntheit erlangen sollte, hatte im Juni 1917 von seinem Verleger die Herausgabe seiner Hector-Berlioz-Biographie bis zum Herbst desselben Jahres verlangt. Nachdem der Verlag sich weigerte, eine Verpflichtung hinsichtlich eines bestimmten Veröffentlichungstermins zu übernehmen, erklärte Kapp den Rücktritt vom Verlagsvertrag nach §§ 30, 32 VerlG, wobei er die Äußerung des Verlegers als Leistungsverweigerung i. S. d. § 30 Abs. 2 Var. 2 VerlG deutete. In der Folge hatte das RG 1920 die Frage zu klären, wann eine zum Rücktritt ohne Nachfristsetzung berechtigende Erfüllungverweigerung des Verlegers vorlag. Im Anschluss an ihre Rechtsprechung zu § 326 BGB 1900 betonten die Leipziger Richter, dass eine die Nachfristsetzung entbehrlich machende ernstliche und endgültige Erfüllungverweigerung nur dann vorläge, wenn die tatsächlichen Umstände keinen Zweifel daran ließen, dass die säumige Partei auch bei Setzung einer Nachfrist ihrer Verpflichtung nicht nachkommen würde, die Nachfristsetzung mithin zur leeren Formel herabsinken würde. Bloße Meinungsverschiedenheiten über den Vertragsinhalt seien insofern nicht genügend. Solche sah das RG hier jedoch als gegeben an, da es vorliegend nicht um das „Ob“, sondern allein um das „Wann“ der Herausgabe ging und der Verlag selbst erklärt hatte, dass ihm an einem zeitnahen Erscheinen des Werkes gelegen sei, sich jedoch aufgrund der Kriegsereignisse nicht ausdrücklich festlegen wollte. Meinungsverschiedenheiten über den den bloßen Zeitpunkt der Vervielfältigung des Werkes seien jedoch keine Verweigerung.60 59 So
auch Vogel, FS GRUR, S. 1246. Urt. v. 20.11.1920, MuW 1920, S. 144 f.
60 RG,
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Das Verhältnis zwischen den §§ 17, 30, 32 VerlG und den Rücktrittsvorschriften des BGB war Gegenstand eines Urteils des OLG Dresden aus dem Jahr 1924: Die Vorinstanz hatte einem Autor, der sich aufgrund verspäteter Honorarzahlung vom Vertrag lösen wollte, den Rücktritt mit der Argumentation verweigert, dass die §§ 17, 30, 32 VerlG den Rücktritt wegen Nichterfüllung vertraglicher Pflichten für den Bereich des Verlagsrechts abschließend regelten. Da eine unterbliebene Honorarzahlung jedoch keine unzureichende Vervielfältigung oder Verbreitung, sondern eine bloße Nebenpflichtverletzung sei, sei ein Rücktritt ausgeschlossen. Diese Ansicht teilte das OLG Dresden nicht. Die dortigen Richter unterstrichen vielmehr, dass die §§ 17, 30, 32 VerlG den Rücktritt vom Verlagsvertrag nicht abschließend regelten, sondern nur „besondere, dem Verlagsrecht eigentümliche Rücktrittsfälle“ aufführten, welche das Rücktrittsrecht nach dem BGB respektive das von der Rechtsprechung entwickelte Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache unberührt ließen. Das Verlagsgesetz, so ihre Argumentation, sei lediglich ein „ausgelagerter“ Abschnitt des besonderen Schuldrechts, dessen Vorschriften im Übrigen anwendbar blieben.61 1925 entschied das RG, dass eine einseitige Erhöhung des Ladenpreises durch den Verleger den Autor nicht zwangsläufig zum Rücktritt nach §§ 30, 32 VerlG berechtige. Zwar handle es sich um einen anerkannten Rücktrittsgrund, doch sei auch hier stets die besondere Natur des Verlagsvertragsverhältnisses als persönliches Vertrauensverhältnis zu berücksichtigen. Unter Bezugnahme auf v. Gierke, Kohler und de Boor betonte das Gericht, dass der Urheber dem Verleger sein Persönlichkeitsgut anvertraue, der Verleger im Gegenzug aber „dem innern Werte und der äußeren Verwertbarkeit der fremden geistigen Schöpfung“62 vertraue. Werde dieses Vertrauen erschüttert, so könne sich hieraus eine erhebliche Gefährdung des Vertragszwecks und eine grobe Verletzung vertraglicher Pflichten ergeben, jedoch sei dies nicht zwangsläufig der Fall. Vielmehr müssten der konkrete Anlass, die Umstände sowie der Grad der Pflichtverletzung berücksichtigt und einzelfallabhängig geprüft werden, ob das Verhalten des Verlegers dem Autor einen erheblichen Nachteil brachte. Im vorliegenden Fall wurde dies vom RG verneint, da der 61 OLG Dresden, Urt. v. 26.06.1924, GRUR 1925, S. 45 f.; siehe insofern auch auch Meyer, S. 56, der mit Verweis auf diese Entscheidung schrieb, dass bei einer drohenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Verfassers „die Möglichkeit der nachträglich eine Auflösung aus einem wichtigen Grunde, insbesondere wegen veränderter Umstände“ in Betracht käme, „und zwar auch, soweit die Voraussetzungen des § 35 VerlGes., wie z. B. die Nichtvoraussehbarkeit, nicht gegeben waren“ (Hervorhebungen im Original). 62 RGZ 110, 275 [281] mit Verweis auf v. Gierke, Bd. III, S. 751; Kohler, UrhR, S. 310 und de Boor, UrhR / VerlR, S. 273 ff.; siehe dazu auch die Anmerkung von Hillig, JW 1920, S. 1399 f.
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Verleger infolge der galoppierenden Inflation zur einseitigten Preiserhöhung gezwungen war.63 Erwähnung verdient auch eine weitere Entscheidung des RG aus dem Jahr 1925, in welcher dieses feststellte, dass ein Autor, der ein Manuskript in mehreren Teilen bei seinem Verleger einreicht, nicht zum Rücktritt nach §§ 30, 32 VerlG berechtigt sei, wenn der Verleger zunächst den Eingang des gesamten Manuskripts abwarten wollte (§ 15 VerlG)64. Daneben bekräftigten die Leipziger Richter in dieser sowie in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 192865 das Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache, indem sie darauf verwiesen, dass insbesondere langfristige, sich über mehrere Auflagen erstreckende Verlagsverträge auch außerhalb der §§ 17, 30, 32 VerlG aufgelöst werden könnten, wenn die Fortsetzung nach den Umständen des Falls den Beteiligten nicht mehr zugemutet werden könne66. 1929 stellte das RG schließlich klar, dass eine eigenmächtige Vervielfäl tigung durch den zu Neuauflagen befugten Verleger während schwebender Verhandlungen über die weiteren Auflagen einen Rücktrittsgrund i. S. d. §§ 30, 32 VerlG darstellte, während die anschließende Weigerung des Verlegers, den Druck in der vom Autor gewünschten äußeren Ausgestaltung zu veranlassen, eine Fristsetzung nach §§ 32, 30 Abs. 2 VerlG entbehrlich mache. Überdies betonte das Gericht, dass für den Fall, dass „sich nach der ganzen Entwicklung der Beziehungen unter den Parteien das Vertragsverhältnis als unhaltbar“ erweist, ein „sofortige[r] Rücktritt des Klägers durch sein besonderes Interesse gerechtfertigt [sei] (§ 32 verbunden mit 30 Abs. 2 VerlG)“67. Das bis dato auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ gestützte Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache68 wurde hier unter §§ 30, 32 VerlG subsumiert. b) Nichtausübung außerhalb des Verlagsgesetzes: Das Reichsgericht zu Verfilmungsverträgen 1923 hatte das RG einen Fall zu entscheiden, in welchem der Autor eines Filmmanuskripts („Nur eine Tänzerin“) gegen eine Produktionsfirma vorging, welche das Manuskript zwar erworben, jedoch nicht zur Ausführung gebracht hatte. Beide Vorinstanzen hatten der Klage des Autors auf Verfil275 [282 f.] mit Anmerkung Hillig, JW 1920, S. 1400. 173 [185 f.]. 65 RG, Urt. v. 08.02.1928, UFITA 1928 / I, S. 93 [99]. 66 RGZ 112, 173 [188 f.]. 67 RG, Urt. v. 26.01.1929, UFITA 1929 / II, S. 84 [89 f.]. 68 Siehe oben, E. VIII. 2. lit. c). 63 RGZ 110, 64 RGZ 112,
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939309
mung, Vervielfältigung und Vertrieb des Films stattgegeben. Beide vertraten den Standpunkt, dass hier zwar kein Verlagsvertrag vorliege, der hinter der Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht des § 1 VerlG stehende Gedanke, dass der Verleger für die Autoren nur der Mittler sei, um ihre Geistesprodukte der Allgemeinheit mitzuteilen, jedoch auch hier Anwendung finden müsse, da kein Grund ersichtlich sei, Filmautoren schlechter zu stellen als die Verfasser anderer Geisteserzeugnisse69. Insbesondere die hohen Kosten einer Filmproduktion dürften hierbei keine Rolle spielen. Dem trat das RG nicht bei: Insbesondere, so der entscheidende Senat, seien die Parallelen zwischen Buch- und Filmgewerbe nicht so wesentlich, dass eine Übertragung verlagsrechtlicher Grundsätze auf den Filmbereich ohne Weiteres möglich wäre. Auch ein Vergleich mit Bühnenwerken greife zu kurz. Vielmehr handle es sich bei einem Filmvertrag um einen Vertrag eigener Art, der einer eigenständigen rechtlichen Würdigung bedürfe. Ein verständiger Interessenausgleich zwischen dem Filmverfasser und dem Filmfabrikanten könne demnach nicht in derselben Weise wie zwischen Verfasser und Verleger oder Dichter und Theaterdirektor vorgenommen werden, da dem Vervielfältigungs- und Verbreitungsinteresse des Autors hier das spezifische Interesse des Fabrikanten gegenüberstehe, der durch seinen Regisseur das Werk erst umsetze und das große wirtschaftliche Risiko der Herstellung und ihrer Ausnutzung trage. Darüber hinaus habe das noch junge Medium „Film“ noch keine derart umfassende „rechtliche Verdichtung“ erfahren, wie dies beim Verlagsrecht vor dessen reichseinheitlicher Regelung der Fall gewesen sei. Folglich könne nur schwerlich von dem einen auf das andere geschlossen werden, so dass man nicht ohne Weiteres eine allgemeingültige Pflicht zur Vervielfältigung und Verbreitung annehmen könne, wenn eine solche vertraglich nicht explizit geregelt war. In der Folge wies das RG die Klage als unbegründet ab, empfahl jedoch die künftige Normierung eines „Anspruch[s] auf Rückgabe der Urschrift, wenn das Werk binnen angemessener Frist nicht verfilmt“ werde – „sei es ohne, sei es mit Entschädigungsanspruch je nach Lage des Falls“70. Damit regte das RG nichts weniger an, als die künftige Regelung eines Rücktritts- bzw. Rückrufsrechts für außerhalb des Verlagsrechts stehende Verbreitungs- bzw. Werkarten71.
69 RGZ 107,
62 [62 f.]. 62 [67]. 71 So auch Nolden, S. 123. 70 RGZ 107,
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
c) Rechtsprechung zum Rücktritt nach § 35 VerlG Das erste Urteil zu § 35 VerlG nach Kriegsende betraf den Juristen und Schriftsteller Rudolf Huch72, welcher neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit u. a. die Werke Rudolf v. Jherings herausgab. Nachdem Huch mit seinem Verleger über die Veröffentlichung seiner Erzählungen „Der tolle Halberstädter“, „Der Herr Kammerrat und seine Söhne“ sowie „Hans der Träumer“ in Streit geraten war, berief er sich auf das Rücktrittsrecht des § 35 VerlG, wobei er Beleidigungen des Verlegers ihm gegenüber als „veränderte Umstände“ anführte. Hierauf betonte das RG erneut, dass Verlagsverträge zwar ein besonderes persönliches Vertrauenverhältnis voraussetzten, dessen „Zerstörung oder erhebliche Erschütterung […] beispielsweise durch Beleidigungen, eine erhebliche Gefährdung des Vertragszwecks begründen und sich als grobe Vertragsverletztung darstellen“ könne, jedoch seien für die Beurteilung nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Erwägungen maßgeblich. Insofern folgte man der Vorinstanz, wonach die unangemessenen Angriffe gegen die Person Huchs allein aus der Prozeßgegnerschaft der Parteien herrührten und sich eine Gefährdung des Vertragszwecks hieraus nicht zwangsläufig ableiten ließe. Insbesondere eröffneten sie nicht den Anwendungsbereich des § 35 VerlG, da sie den Kläger im Vorfeld allenfalls dazu veranlasst hätten, das Werk nicht bei diesem Verleger herauszugeben, ihn aber nicht – wie von der absolut herrschenden Meinung verlangt – von der Herausgabe als solcher hätten abrücken lassen.73 Ein weiteres Urteil des RG erging im Jahr 1933. Dieses betraf den Finanzfachmann Bruno Buchwald, bis 1928 Herausgeber von „Buchwalds Börsenberichten“ und Autor des Werkes „Die Technik des Bankbetriebes“. Letzteres war auf Grundlage eines im Jahre 1902 geschlossenen und 1922 revidierten Verlagsvertrags letztmalig 1931 in neunter Auflage erschienen. Buchwald, der seit 1929 in der Schweiz lebte, wollte sich nunmehr vom Vertrag lösen. Er berief sich einerseits darauf, dass ein über eine derartig lange Zeitspanne geschlossener Vertrag eine sittenwidrige Knebelung darstelle, andererseits führte er sowohl seine Übersiedelung in die Schweiz als auch die Tatsache, dass er selbst nicht mehr in der Finanzbranche respektive als Herausgeber besagter Börsenberichte tätig war, als veränderte Umstände und damit Rücktrittsgrund i. S. d. § 35 Abs. 1 VerlG an. Nachdem das RG bereits 1925 festgestellt hatte, dass ein sich auf sämtliche künftige Auflagen Person siehe Schulz, S. 708 f. Urt. v. 20.04.1922, MuW 1921, S. 211 [213]; in Kurzfassung auch in JW 1922, S. 1208; zur Möglichkeit des Rücktritts des Verlegers wegen schwerer Beleidigungen durch den Verfasser siehe Hillig / Greuner, S. 167 f. (Gutachten Nr. 109). 72 Zur
73 RG,
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939311
erstreckender Verlagsvertrag den Tatbestand der sittenwidrigen Knebelung nicht erfüllt74, beschränkte man sich hier auf einen bloßen Verweis. Bezüglich der Möglichkeit eines Rücktritts nach § 35 VerlG betonte das RG, dass es für den Ausschluss des Rücktrittsrechts bereits genüge, wenn die veränderten Umstände objektiv ganz allgemein voraussehbar waren. Es sei mithin nicht erforderlich, dass die Umstände, wie hier der Verkauf der Zeitschrift und die Übersiedelung des Herausgebers in die Schweiz, en detail voraussehbar gewesen sein mussten. Ausreichend sei vielmehr bereits, dass die Umstände „ihrer Art und allgemeinen Wirkung nach […] vorauszusehen waren“. Dies sei bei Aufenthaltswechseln und Erschwernissen beruflicher Art grundsätzlich der Fall. Überdies erachtete das RG diese Gründe für nicht derart beschaffen, dass sie den Kläger bei verständiger Würdigung von vornherein davon abgehalten hätten, den Verlagsvertrag in der vorliegenden Form abzuschließen75. d) „Veränderte Umstände“ und das Sonderkündigungsrecht im Nationalsozialismus Beachtung verdienen schließlich zwei weitere Entscheidungen, welche zwar nicht unmittelbar zu § 35 VerlG ergingen, jedoch ebenfalls die Aufhebung von Verlagsverträgen wegen „veränderter Umstände“ – wenn auch im weiteren Sinne und aus ausgesprochen perfiden Gründen – zum Gegenstand hatten. So lag einem Fall, den das OLG München im Jahr 1935 zu entscheiden hatte, der Sachverhalt zugrunde, dass ein jüdischer Autor einen Verlagsvertrag über mehrere Auflagen eines Werkes geschlossen hatte, wobei Honorar und Auflagenhöhe jeweils in separaten Verträgen festgesetzt worden waren. Als Anfang 1933 die zehnte Auflage anstand, wurde ein weiterer Honorar- und Auflagenvertrag geschlossen. Dieser enthielt u. a. eine Klausel, welche es dem Verlag gestattete, das Werk im Fall des Todes oder der andauernden Krankheit des Autors von einem anderen Bearbeiter fertigstellen zu lassen. Im Dezember 1933 teilte der Verlag dem Verfasser jedoch mit, dass seine Mitarbeit an der Neuauflage als „Nichtarier“ wegen der völlig veränderten politischen Verhältnisse ausgeschlossen sei. Das Gericht folgte dieser Argumentation und betonte, dass es einem Verleger bereits aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr zugemutet werden könne, das Werk eines „nichtarischen“ Urhebers weiterhin zu verlegen. Insofern sei
74 RGZ 112,
75 RGZ 140,
173 [178 f.]. 264 [273 f.].
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
dem Verlag aufgrund der Rassenzugehörigkeit76 des Autors die Vertragserfüllung i. S. d. § 275 BGB unmöglich.77 Ähnlich urteilte das RG ein Jahr später: In diesem Fall waren alle Urheber-, Aufführungs- und Verlagsrechte sowie insbesondere das Verfilmungsrecht an einem Filmmanuskript des jüdischen Regisseurs Erik Charell78 an die Universum Film AG (Ufa) übertragen worden, wobei Charell in einem an den „Filmmanuskriptsvertrag“ gekoppelten Regievertrag zur Mitarbeit verpflichtet worden war. Der Kontrakt sah u. a. ein Rücktrittsrecht für den Fall vor, dass Charell durch Krankheit, Tod oder einem ähnlichen Grund zur Regieführung außerstande und der Vertrag somit undurchführbar werden sollte79. Unter Bezugnahme auf dieses Rücktrittsrecht trat die Ufa im April 1933 von den Verträgen zurück. Zur Begründung führte sie an, dass sich das nämliche Rücktrittsrecht auf sämtliche Fälle persönlicher Verhinderung erstrecke und „infolge des völligen und wider Erwarten schleunigen Umschwungs in Denkart und Geschmack des deutschen Volkes […] ein Film, an dem ein Nichtarier mitwirke, innerhalb des Deutschen Reiches nicht mehr vorgeführt werden“ könne. Charell sei demnach aus einem in seiner Person liegenden Grund außerstande, die vereinbarte Leistung zu erbringen. Der Regisseur wiederum hatte in erster und zweiter Instanz den Standpunkt vertreten, dass die Tatsache, dass er Jude sei, keinen „ähnlichen Grund“ im Sinne der vertraglichen Absprache darstelle, da man hier nur an Hindernisse infolge physischer oder psychischer Krankheit gedacht habe und im Rahmen der Vertragsverhandlungen auch nur davon die Rede gewesen sei. Überdies habe die Ufa den Vertrag in voller Kenntnis der Rassenzugehörigkeit Charells geschlossen80. Das RG entschied hingegen, dass eine Auslegung des Begriffes der „ähnlichen Gründe“ dahingehend, dass hierunter lediglich pathologische Fälle fielen, in unhaltbarer und gesetzwidriger Weise an Wortlaut und Buchstaben des Vertrages hafte. Vielmehr gestatte die Unbestimmtheit des Begriffs, im Wege der §§ 133, 157 BGB sämtliche Möglichkeiten verschuldeter oder un76 Nach der nationalsozialistischen Ideologie handelte es sich bei den Juden nicht um eine Religionsgemeinschaft, sondern um eine Rasse, die gewissermaßen die „Gegenrasse“ und damit den (historischen) Antagonisten respektive die Nemesis der „deutschen“ bzw. „arischen Rasse“ darstellte; gleichwohl gab es im Nationalsozialismus keinen einheitlichen „Rassebegriff“; siehe dazu Geulen, S. 86 ff. sowie Lepsius, S. 77 ff.; beispielhaft insofern auch RGSt 71, 29 ff. 77 OLG München, Urt. v. 04.02.1935, UFITA 8 (1935), S. 295 [296 f.]. 78 Unter Charell (1894–1971), der bürgerlich Erich Karl Löwenberg hieß, hatte u. a. Marlene Dietrich ihr Schauspieldebut; es war auch Charell, der die Comedian Harmonists entdeckte; zur Person siehe etwa Weniger, S. 120 ff. 79 RG, Urt. v. 27.06.1936, UFITA 9 (1936), S. 368. 80 RG, Urt. v. 27.06.1936, UFITA 9 (1936), S. 368 [369].
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939313
verschuldeter Behinderung als „ähnliche Gründe“ anzusehen. Nachdem „seit der Machtübernahme des Nationalsozialismus der Befugniskreis des einzelen rassenmäßig bedingt“ und in der Folge „zwischen voll Rechtsfähigen und Personen minderen Rechts“ bis hin zum Grad völliger Rechtlosigkeit zu differenzieren sei, sei eine aus gesetzlich verankerten, rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit sehr wohl dem tatsächlichen Ableben oder der Krankheit des Verpflichteten gleichzuachten. Man sprach insofern vom „bürgerlichen Tod“ der betreffenden Person. Auch das Argument, dass der Vertrag in Kenntnis der jüdischen Abstammung Charells geschlossen worden und ein Berufen auf ebendiese als widersprüchliches Verhalten unzulässig sei, verwarf der Senat: Mit Verweis auf die entsprechende Argumentation der Berufungsinstanz81 führte er aus, dass es darauf nicht ankäme, da weniger die jüdische Abstammung Charells bzw. deren Kenntnis durch die Ufa, als vielmehr „die Bedeutung, welche die Rassefrage infolge der Umwälzung seit Ende März 1933 für das öffentliche Leben in Deutschland gewonnen habe“ entscheidend sei. Für die Ufa sei es gerade nicht voraussehbar gewesen, dass dieser Teil des Parteiprogramms der NSDAP (die „Beseitigung jüdischen Einflusses im Geistesleben“82) derart schnell und mit solch elementarer Wucht umgesetzt werden würde83. Dementsprechend sei das Rücktrittsrecht auch nicht wegen Kenntnis bzw. Absehbarkeit des Rücktrittsgrundes ausgeschlossen. In der Folge bestätigte das RG die Rechtmäßigkeit des Rücktritts und verurteilte Charell zur Rückzahlung der bereits empfangenen Honorarraten. Zwar betrafen sowohl das Urteil des OLG München als auch die Entscheidung des RG Konstellationen, in welchen der Nutzungsberechtigte und nicht der Rechteinhaber vom Vertrag zurücktrat, doch dokumentieren sie in plakativer Art und Weise, wie der Umstand der „veränderten Verhältnisse“ im Lichte des NS-Staates ausgelegt und zur Auflösung politisch unerwünschter Dauerschuldverhältnisse instrumentalisiert wurde84. Ganz unverhohlen räumte etwa der Berliner Rechtsassessor Hubertus Bung in einem Beitrag mit dem vielsagenden Titel „Verlagsverträge mit Juden“ ein, dass alle Rechtsfragen, welche die Stellung des Judentums in Deutschland beträfen nur dann befriedigend gelöst werden könnten, wenn im Zweifel stets die 81 Es
war dies das KG Berlin, JW 1933, 2918. hieß es in u. a. Punkt 23 lit. c) des Parteiprogramms der NSDAP: „Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt […]“ (abgedruckt bei Rosenberg, S. 13; erläutert ebd., S. 36 f.). 83 RG, Urt. v. 27.06.1936, UFITA 9 (1936), S. 368 [372, 374]; zu den kulturpolitischen Maßnahmen der NS-Regierung ab Anfang 1933 siehe Wittmann, R., S. 361 ff. 84 Dazu ausführlich Rüthers, S. 238 ff. 82 Konkret
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
„die Reinerhaltung des deutschen Geistes von jüdischem Einfluß maßgebend“ sei. Biete also das Gesetz Auslegungsmöglichkeiten, so seien „diese im Sinne der Ausschließlichkeit des deutschen Schrifttums für deutsche Menschen zu behandeln“85. Insofern kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der jüdische Glaube des Verlegers als Grund, wenn nicht für einen Rücktritt nach § 35 VerlG86, so doch zumindest für eine Vertragsaufhebung „aus wichtiger Ursache“ hinreichend gewesen wäre87. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass diesem Instrument bereits in der Weimarer Republik eine Auffangfunktion beim Fehlen einzelner Voraussetzungen der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte zugesprochen worden war. 3. Die Entwicklung in der Verlagspraxis: Normverträge Anfang der 1920er Jahre war man in der Verlagspraxis dazu übergegangen, die allgemein gefassten, dispositiven Regelungen des Verlagsgesetzes nochmals branchenspezifisch zu konkretisieren. So erarbeiteten verschiedene Autorenvereinigungen und Verlegerverbände Normverträge, Vertragsrichtlinien oder -muster, welche die in der jeweiligen Branche zur Usance gewordene Praktiken abbildeten88 und dort Abhilfe schaffen sollten, wo die Vereinigungen die Verleger durch die gesetzlichen Regelungen ungerechtfertigt privilegiert sahen89. Eine der ältesten dieser Übereinkünfte ist der zwischen dem Akademischen Schutzverein und dem Verband der Deutschen Hochschulen auf der einen sowie dem Börsenverein der Buchhändler und dem Deutschen Verlegerverein auf der anderen Seite geschlossene Mantelvertrag 85 Bung,
JW 1937, S. 2639. hätten sich zum einen Schwierigkeiten insofern ergeben können, als Religion bzw. Rasse einen „in der Person des Verlegers“ liegenden Umstand dargestellt hätte; überdies wäre, wie das Reichsgerichtsurteil verdeutlicht, einiger Aufwand zur Begründung der fehlenden Voraussehbarkeit vonnöten gewesen. 87 Siehe dazu insbesondere Fehlig, S. 45 f., die unterstrich, dass das Kündigungsrecht aus wichtiger Ursache „in letzter Zeit eine besondere Bedeutung erlangt [habe], weil es die Auflösung von Verlagsverträgen ermöglichte, bei denen der eine Vertragspartner nichtarischer Abstammung war“; da es „eine der Hauptaufgaben nationalsozialistischer Kulturpolitik“ sei, „die Einwirkung jüdischen Geistes auf die deutsche Nation zu verhindern“ und dieser Aufgabe zu dienen sei insbesondere „derjenige verpflichtet, der sioch wie z. B. der Verleger berufsmäßig mit der Verbreitung von Kulturgut befaßt“. Da im „nationalsozialistischen Staat […] dem Juden kein Recht zur Mitarbeit am kulturellen Leben des deutschen Volkes gewährt“ werde, sind folglich auch Verträge zwischen jüdischen Verlegern und deutschen Autoren „aus wichtigem Grund“ kündbar. 88 Siehe ausführlich Vogel, FS GRUR, S. 1247 f. 89 Lobe, GRUR 1922, S. 94. 86 Hier
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939315
vom 15. März 1922.90 Dieser Mantelvertrag enthielt u. a. Vorschriften zur einseitigen Auflösung von Verlagsverträgen, welche über mehrere Auflagen geschlossen worden waren. In Abweichung von § 17 VerlG bestimmte Nr. 2 des Mantelvertrages, dass der Autor zur Bearbeitung seines Werkes für eine Neuauflage nicht verpflichtet sei und in der Folge jede Seite von ihrem jeweiligen Vertragspartner die in § 17 VerlG vorgesehene Absichtserklärung verlangen und ggf. wegen Nichtausübung zurückzutreten durfte (der Mantelvertrag selbst sprach von „kündigen“). Darüberhinaus existierten noch weitere, teils verbindliche, teils unverbindliche Normabkommen wie etwa die zwischen dem Börsenverein, dem Deutschen Verlegerverein sowie dem Verband Deutscher Erzähler vereinbarten „Richtlinien für den Geschäfts verkehr“91 oder der von der Reichsschrifttumskammer angeordnete Formularvertrag für Verlagsverträge zwischen Verlegern und Verfassern schöngeistiger Literatur92. Darin wurden jedoch keine gesonderten Absprachen hinsichtlich der Autorenrücktrittsrechte getroffen, so dass es auch insofern bei den §§ 17, 30, 32 und VerlG blieb. 4. Verlagsrechtsreform oder Urheberschuldrecht: Die Ansätze des Jahres 1939 Nachdem im Zuge der urheberrechtlichen Reformbemühungen der 1920er und 1930er Jahre93 verschiedentlich die Reformbedürftigkeit des Verlagsgesetzes angemahnt worden war, wandte man sich im Jahr 1939 abermals dem Verlagsrecht zu94. So entschied Hans Otto de Boor die von ihm in einem Beitrag zur UFITA aufgeworfene Grundsatzfrage, ob lediglich das Verlags gesetz novelliert oder ein, sämtliche Nutzungsformen erfassendes, Urhe bervertragsgesetz geschaffen werden sollte („kleine“ bzw. „große“ Verlags rechtsreform), tendenziell zugunsten eines neuen, umfassenden „Urheber schuldrechts“95. Alexander Elster legte daraufhin einen „Vorentwurf eines Gesetzes über die Verlags- und ähnlichen Verwertungsrechte an Urheberrechtsgut“ (Elster-E) vor. Als Zweck des Entwurfs bezeichnete Elster „nicht die individualistische Förderung auf den Nutzungserfolg des einen im Gegensatz zu dem anderen Partner, sondern die gemeinsame Förderung des Werkes zum Zweck seiner größtmöglichen Nutzung für die Volksgemein
Meyer, S. 52 ff. bei Schulze, Urhebervertragsrecht, S. 353 ff. (Nr. 17). 92 Abgedruckt bei Schulze, Urhebervertragsrecht, S. 356 ff. (Nr. 18). 93 Siehe den nachfolgenden Abschnitt F) II. 94 Schubert, Akademie, S. XLI; dazu auch Vogel, FS GRUR, S. 1254 f. 95 de Boor, UFITA 12 (1939), S. 145 ff. 90 Dazu
91 Abgedruckt
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
schaft“96. Gegenstand des Rechtsverkehrs war dabei jedwedes Nutzungsrecht an Urheberrechtsgut, unabhängig von einer bestimmten Verbreitungsform97. Ausgehend von § 2 Abs. 1 S. 2 Elster-E, welcher eine Pflicht des Verwerters zur sorgfältigen und pünktlichen Ausübung eines übertragenen Nutzungsrechts vorsah, bestimmten § 4 Abs. 1 und 3 Elster-E, dass das Verwertungsvertragsverhältnis – von Fällen der Täuschung und des Irrtums abgesehen – nur aus den gesetzlich oder vertraglich aussdrücklich festgeschriebenen Gründen beendet werden durfte. Ausnahmsweise gestattete § 4 Abs. 2 ElsterE jedoch eine Vertragsaufhebung „aus wichtigen Gründen“: „Aus wichtigen Gründen kann der Verwertungsvertrag gekündigt werden. Die Wichtigkeit der Gründe ergibt sich aus dem Nutzungszweck des Werkes. Kann dieser bei Fortbestehen der vereinbarten Partnerschaft nicht mehr erfüllt werden, so kann das Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung gelöst werden“98.
Ausweislich der Begründung goss Elster damit das von der Rechtsprechung entwickelte Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache in eine gesetzliche Regelung. Dabei stellte er hervor, dass der Begriff der „wichtigen Gründe“ aufgrund des Treueverhältnisses zwischen Urheber und Verleger „nicht nur wirtschaftlich, sondern namentlich auch ethisch bedingt“99 sei. Im Übrigen verwies Elster auf die gesonderten Rücktrittsvorschriften des Entwurfs. So sahen die §§ 36, 28 Elster-E für drucktechnisch-graphisch herzustellende Wiedergaben ein Rücktrittsrecht des Verlegers wegen nicht vertragsgemäßer Vervielfältigung und Verbreitung vor, welches inhaltlich den §§ 30, 32 VerlG entsprach100. Vom Verlagsgesetz abweichend war indes das in § 34 Elster-E vorgesehene Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände: „(1) Bis zum Beginn der Verbreitung sind die Vertragsparner berechtigt, von dem Verlagsvertrage zurückzutreten, wenn sich Umstände ergeben, die bei dem Abschlusse des Vertrags nicht vorauszusehen waren und bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles von der Herausgabe des Werkes zurückgehalten haben würden. (2) Wer aufgrund der Vorschrift des Abs. 1 den Rücktritt erklärt, ist dem Andern zum Ersatze der von diesem gemachten Aufwendungen verpflichtet. Gibt der Verfasser innerhalb eines Jahres seit seinem Rücktritte das Werk anderweitig heraus, so ist er zum Schadensersatze wegen Nichterfüllung verpflichtet; diese 96 Elster,
UFITA 12 (1939), S. 44. § 1 Elster-E: „Rechte der gestaltenden Verwertung im Sinne dieses Gesetzes sind die Rechte zur gewerblichen Schaffung des Ausdrucksmittels, insbesondere der Vervielfältigung, Aufführung, Sendung u. dgl., sowie der Verbreitung des Geistesund Kunstwerkes, nicht die Rechte der Weiterverwertung eines bereits gewerblich gestalteten Ausdruckmittels“, Elster, UFITA 12 (1939), S. 45. 98 Elster, UFITA 12 (1939), S. 46. 99 Elster, UFITA 12 (1939), S. 80. 100 Elster, UFITA 12 (1939), S. 51, 83. 97 Siehe
I. Entwicklung im Verlagsrecht bis 1939317
Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verfasser dem Verleger den Antrag, den Vertrag nachträglich zu erfüllen, gemacht und der Verleger den Antrag nicht angenommen hat. Gleiches gilt für den Verleger, der in dieser Zeitspanne ein gleichgeartetes Werk eines anderen Verfassers herausgibt, es sei denn, daß der Rücktrittsgrund als in der Person des Verfassers gelegen nachweisbar ist“101.
Der Entwurf Elsters stellte sich damit in die Tradition der Verlagsordnung für den Deutschen Buchhandel respektive der diesbezüglichen Vorarbeiten Voigtländers, die jeweils auch dem Verleger ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände einräumten102. Im Übrigen entsprach die Regelung § 35 VerlG. Zur Begründung führte Elster lediglich an, dass § 34 Elster-E seines Erachtens nach eine gegenüber der bisherigen Rechtslage gerechtere Lösung darstelle103 und empfahl die Normierung eines entsprechenden Rücktrittsrechts auch für die in dem Entwurf lediglich knapp behandelten Verbreitungsformen der „wiederholbaren Bild- und Schallvorrichtungen“ (Film, Schallplatten und mechanische Musikinstrumente, sonstige Bild- und Schallvorrichtungen) sowie für Vorträge, Auf- und Vorführungen und Schaustellung104. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte die weitere Verfolgung dieser Vorarbeiten. 5. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs riss die Auseinandersetzung mit den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten nicht ab. Teils warfen die politischen bzw. wirtschaftlichen Ereignisse in Gestalt von Revolution und Inflation selbst konkrete Fragen zum Autorenrücktritt wegen Nichtausübung und veränderter Umstände auf, mit welchen sich Rechtsprechung und Jurisprudenz auseinanderzusetzen hatten. Auf Grundlage diverser Einzelfallkonstellationen kam es ab den frühen 1920er Jahren zu einer sukzessiven Präzisierung der Rücktrittsanforderungen sowohl bei § 35 als auch bei den §§ 30, 32 VerlG. Strittig blieb insbesondere die Frage, wann eine Umstandsänderung vorlag und wann diese als unvorhersehbar einzustrufen war. Während vereinzelte Stimmen der Vorkriegsposition Kohlers beitraten, hinsichtlich der Frage der Vorhersehbarkeit keinen allzu strengen Maßstab anzulegen, befürwortete der Großteil der Jurisprudenz eine restriktive Handhabung, die jedwede Fahrlässigkeit zulasten des Autors gehen ließ. Dogmatisch wurde das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände in der Literatur zunehmend als Ausfluss des (Urheber-)Persönlichkeitsrechts gedeutet. Nicht zuletzt vor diesem 101 Elster,
UFITA 12 (1939), S. 53. oben, D. II. 4. 103 Elster, UFITA 12 (1939), S. 83. 104 Elster, UFITA 12 (1939), S. 57 ff. 102 Siehe
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Hintergrund monierte die Literatur noch in den späten 1920er Jahren die Schlechterstellung der Autoren gegenüber dem preußischen Allgemeinen Landrecht und forderte nachdrücklich eine Ausdehnung der Anwendbarkeit des § 35 VerlG bis zum Verbreitungsbeginn. Man verwies hier insbesondere auf Art. 15 italUrhG, der insofern noch weiter gefasst war und ein zeitlich unbegrenztes „Zurückziehungsrecht“ wegen „schwerwiegender moralischer Gründe“ statuierte (zugleich aber auch einen ausgeprägteren Missbrauchsschutz enthielt, indem er es dem Gericht gestattete, die Wirksamkeit der „Zurückziehung“ von vorherigen Sicherheitsleistungen abhängig zu machen). Beim Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung sah man sich mit einer ganzen Reihe an Fragen konfrontiert. So entschied das RG, dass das Vorliegen eines anerkannten Rücktrittsgrundes den Rücktritt nach §§ 30, 32 VerlG nicht zwangsläufig gestatte, sondern vielmehr eine Wertung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich sei. Wiederholt geklärt werden musste, wann die Setzung einer Nachfrist entbehrlich war. Als von langfristiger Bedeutung sollte sich die Entscheidung erweisen, dass die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte im Bereich des „neuen Mediums“ Film keine Anwendung finden sollten. Dies führte faktisch dazu, dass Filmunternehmen in unbegrenztem Umfang Manuskripte erwerben konnten, ohne diese jemals zur Ausführung bringen zu müssen. Man begründete dies mit der vermeintlich fehlenden Vergleichbarkeit zwischen Verlagswesen und Filmproduktion, die sich insbesondere aus den signifikant höheren Produktionskosten im Filmgewerbe ergab. Das OLG Dresden stellte schließlich in einer Grundsatzentscheidung klar, dass die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte lediglich eine spezialgesetzliche Ausprägung der allgemeinen Rücktrittsregelungen des BGB darstellten, letztere mithin neben den §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG anwendbar blieben. Seitens der Jurisprudenz übte man massive Kritik an der Regelung des § 17 VerlG, welche letztlich dazu führte, dass sich ein zu mehreren Auflagen befugter Verleger nach eigenem Gutdünken von seiner Vervielfältigungspflicht lösen konnte. Während man dazu verschiedene Lösungsansätze ausarbeitete, entschärfte die Verlagspraxis das Problem zumindest teilweise durch branchenspezifische Normverträge, welche die Pflicht des Autors zur Bearbeitung seines Werkes für eine vom Verleger beabsichtigte Neuauflage aufhoben, indem sie dem Verleger für diesen Fall ebenfalls ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung einräumten und insoweit Parität herstellten. Die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten änderte wenig an diesen grundsätzlichen Erwägungen, führte jedoch dazu, dass zunehmend Aspekte der NS-Ideologie in den Komplex der Autorenrücktrittsrechte hineingetragen wurden. So wurde etwa vor dem Hintergrund der nach wie vor strittigen Frage, ob eine Änderung der politischen oder programmatischen Ausrichtung
II. Urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933319
eines Verlages den Autor zum Rücktritt nach § 35 VerlG berechtige, die vollständige Novellierung des Verlagsgesetzes unter nationalsozialistischen Gesichtspunkten vorgeschlagen, um auf diese Weise „Schwierigkeiten“ zwischen „arischem“ Autor und „nichtarischem“ Verleger vorzubeugen. Andere stilisierten § 35 VerlG zum Instrument der NS-Kulturpropaganda, da man in der Möglichkeit des Rücktritts wegen veränderter Umstände ein die Publikationsbereitschaft begünstigendes Moment sah, welches letztlich zur Erhöhung des Ausstosses an Kulturgütern – vor dem Hintergrund der expansionistischen Bestrebungen NS-Deutschlands auch und insbesondere über die Grenzen des Reiches hinaus – beitrug. Eine perfide Aufwertung erfuhr auch das von der Rechtsprechung entwickelte Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache, welches von Werknutzerseite zur Lösung von Verwertungsverträgen mit jüdischen Künstlern und Autoren missbraucht wurde. Noch kurz vor Kriegsausbruch wurde ein privater Vorentwurf eines Urhebervertragsgesetzes vorgelegt. Letzteres sollte mittelfristig an die Stelle des Verlagsgesetzes von 1901 treten. Der Entwurf billigte auch dem Verleger ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände zu, war im Übrigen jedoch ideologisch neutral gehalten. Die Kriegsereignisse und der Zusammenbruch verhinderten jedoch die weitere Verfolgung dieses Vorhabens, so dass es im Bereich des Verlagsrechts bei den Rücktrittsrechten der §§ 17, 30, 32 und 35 VerlG blieb.
II. Die urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933 Noch auf der letzten internationalen Vorkriegskonferenz, welche 1908 zu einer Revision der Berner Übereinkunft aus dem Jahr 1886 führte105, kam man überein, alsbald eine weitere Konferenz auf dem Gebiet des internationalen Schutzes von Urheberrechtsgütern durchzuführen. Dies wurde durch die Kriegsereignisse verhindert, so dass es bis zum Jahr 1928 dauern sollte, ehe die nächste Konferenz in Rom stattfand.106 Das – nicht nur für die weitere Entwicklung der Autorenrücktritts- bzw. Rückrufsrechte – wichtigste Ergebnis der Konferenz war die Einführung des im deutschsprachigen Raum als „Urheberpersönlichkeitsrecht“ bezeichneten „droit moral“ (1.). Auf nationaler Ebene zwang die angespannte wirtschaftliche Lage den Gesetzgeber, sich zunächst akuteren Fragen zuzuwenden. Mittelfristig führten jedoch insbesondere die neuen technischen Verbreitungsformen dazu, dass eine Reform der bestehenden Urheberrechtsgesetze unausweichlich wurde. Hierzu wurden 105 Aus diesem Grund spricht man seitdem von der „Revidierten Berner Übereinkunft“ (RBÜ). 106 Ausführlich zur Konferenz von Rom, ihren Ergebnissen und der Rolle der deutschen Delegation Vogt, S. 19 ff. (m. w. N.).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
zunächst von privater (2.), später auch von amtlicher Seite Entwürfe erarbeitet (3.), von welchen der Großteil Rücktritts-, Rückforderungs- oder Rückrufsrechte wegen Nichtausübung oder veränderter Umstände enthielt (die Terminologie schärfte sich erst im Zuge dieser Entwicklungen). Der amtliche Entwurf von 1932 wurde in der Weimarer Republik zwar noch umfassend begutachtet (4.), der weitere Fortgang der Reform fiel jedoch bereits in Zeit des Nationalsozialismus. 1. Die Normierung des Urheberpersönlichkeitsrechts in der revidierten Berner Übereinkunft und der technische Fortschritt Der das droit moral107 regelnde Art. 6bis RBÜ lautete wie folgt: „(1) Unabhängig von den vermögensrechtlichen Befugnissen des Urhebers und selbst nach deren Übertragung verbleibt dem Urheber das Recht, sich jeder Entstellung, Verstümmelung oder sonstiger Änderung seines Werkes zu widersetzen, die seiner Ehre oder seinem Rufe abträglich sein würde. (2) Der inneren Gesetzgebung der Verbandsländer bleibt es vorbehalten, die Bedingungen für die Ausübung dieser Rechte festzusetzen. Die zu ihrer Wahrung dienenden Rechtsbehelfe werden durch die Gesetze des Landes geregelt, wo der Schutz beansprucht wird“108.
Die Vorschrift war das Ergebnis längerer Verhandlungen, in deren Rahmen immer wieder auf die zunehmende Bedeutung hingewiesen wurde, die persönlichkeitsrechtlichen Befugnissen angesichts der neuen Verbreitungsmedien in Gestalt von Film, Rundfunk und Schallplatte zukam109. Exemplarisch betonte Georg Klauer110, der als Ministerialrat (MR) Mitglied der deutschen Verhandlungsdelegation war: „Je mehr […] dem Urheber die Verfügung über sein Werk [durch den technischen Fortschritt] entzogen wird, desto wichtiger ist es, daß er sich auf sein Persönlichkeitsrecht als letztes Refugium zurückziehen kann, um einer seinem künstlerischen oder schriftstellerischem Rufe Abbruch tuenden Wiedergabe des Werkes entgegenzutreten“111. Als Grundlage der Erörterungen hatte das italienische Urheberrechtsgesetz von 1925 107 Der Begriff des droit moral war in Frankreich bereits seit den 1880er Jahren in Gebrauch und bezeichnete im Gegensatz zum vermögensrechtlichen droit pécuniaire die persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse des Urhebers, siehe Mittelstaedt, GRUR 1913, S. 84 f. und Müller, UFITA 2 (1929), S. 382. 108 RGBl. II 1933, 889 [897]. 109 Siehe Vogt, S. 32 ff., der ausführlich auf neuen Verbreitungsmedien Schallplatte (S. 33 f.), Rundfunk (S. 35 ff.) und Tonfilm (S. 38 ff.) eingeht. 110 Zur Person siehe Vogt, S. 21 / Fn. 91 sowie insbesondere Otto, in: Apel / Pah low / Wießner, S. 157 ff. 111 Klauer, UFITA 1 (1928), S. 373.
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gedient, welches sich durch einen ausgeprägten Urheberpersönlichkeitsschutz auszeichnete und neben dem „Rückzugsrecht“ des Art. 15 italUrhG auch ein Rücktritts- bzw. „Heimfallsrecht“ wegen Nichtausübung vorsah (Art. 44 italUrhG)112. Angesichts der Ambivalenz zwischen derartigen Regelungen und dem Kollektivismus, der dem faschistischen System Mussolinis im Übrigen innewohnte, spricht Baldwin von einer „Strange Birth of Moral Rights in Fascist Europe“113 – eine Behauptung, die hinsichtlich des Umgangs mit Rücktritts- bzw. Rückrufsrechten im nationalsozialistischen Deutsch land noch zu überprüfen sein wird. Im Nachgang der Konferenz fand im Reichsjustizministerium (RJM) eine Besprechung zwischen Ministerialbeamten und Vertretern der Interessenverbände statt, in deren Rahmen insbesondere die Frage erörtert wurde, ob und inwiefern die Revision der Berner Übereinkunft auch eine Angleichung des deutschen Urheberrechts im Sinne des Art. 6bis Abs. 2 RBÜ erforderlich mache. Hinsichtlich des droit moral war man sich vor allem über die konkrete Form der Ausgestaltung uneins, so dass die Interessenverbände aufgefordert wurden, die Frage zunächst intern zu erörtern und entsprechende Vorschläge beizubrigen.114 Parallel dazu wurden die Ergebnisse der Rom-Konferenz auch in der Literatur diskutiert, wo man zu dem Schluss kam, dass das Urheberpersönlichkeitsrecht in Deutschland mit den §§ 9 LUG (Änderungsverbot), 12, 13 und 18 Abs. 3 KUG (Änderungsverbot und Namensrecht) hinreichend gewährleistet sei115. Hierbei mag sicherlich eine Rolle gespielt haben, dass das Ur112 Smoschwer, UFITA 1 (1928), S. 524; Mittelstaedt, GRUR 1930, S. 43, 55; Hoffmann, GRUR 1938, S. 5; Baldwin, S. 165 ff.; zum Wortlaut des Art. 15 italUrhG siehe oben, F. I. 1. lit. f) / Fn. 51. Art. 44 italUrhG lautete: „[1] Gerät der Cessionar des Rechts auf Darstellung, Aufführung, Veröffentlichung oder Vervielfältigung mit der Herbeiführung der Darstellung, Aufführung, Veröffentlichung oder Vervielfältigung in Verzug, so können der Urheber oder seine Rechtsnachfolger ihm durch einen Gerichtsbeamten eine Aufforderung, seinen Pflichten nachzukommen, zustellen lassen. [2] Mit dem fruchtlosen Ablauf eines Jahres seit der Zustellung verliert der Cessionar seine Rechte und muß das Original des Werkes zurückgeben, während der Urheber oder seine Rechtsnachfolger das Recht auf die ausbedungene Vergütung behalten, abgesehen von dem Anspruch auf Ersatz des etwa eingetretenen Schadens. [3] Gegenteilige vertragliche Abmachungen sind nichtig“, siehe Gazetta Ufficiale Nr. 270 v. 20.11.1925, S. 4599; deutsche Übersetzung in Deutsches Handels-Archiv 1926, S. 1766–1772 (dort S. 1769). 113 Baldwin, S. 163. 114 Siehe Vogt, S. 29 f. m. w. N. 115 Siehe Klauer, UFITA 1 (1928), S. 375, der überdies auf die §§ 18 Abs. 1, 24 f. LUG und § 21 KUG, welche die Fälle der unerlaubten Entnahme behandelten sowie auf die urheberstrafrechtlichen Vorschriften der §§ 38 Abs. 2, 44 LUG, 32 Abs. 2, 33, 34, 40 KUG verwies. Aus der Weimarer Reichsverfassung ergab sich in-
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heberpersönlichkeitsrecht in der Rechtsprechung des RG bereits seit 1912 („Felseneiland mit Sirenen“) anerkannt war116. Als wünschenswert erachtete man allenfalls eine prägnantere Formulierung, aus welcher hervorgehen sollte, dass es sich „nicht um Befugnisse des materiellen Urheberrechts, sondern um ein selbstständiges, unveränderliches Persönlichkeitsrecht“117 handelte. Auch die übrigen Ergebnisse der Rom-Konferenz ließen eine grundlegende Umarbeitung der geltenden Gesetze nicht dringlich erscheinen. Seitens des RJM hielt man einzig Ergänzungen in technischen Fragen, etwa im Bereich des Rundfunks, für erwägenswert118. Gleichwohl waren es die Ergebnisse der Konferenz, welche die Frage der Reformbedürftigkeit des Urheberrechts wie auch das Urheberpersönlichkeitsrecht als solches in das Blickfeld von Jurisprudenz und Öffentlichkeit rückten. So betonte der Berliner Landgerichtsrat Fritz Smoschewer119 in seinem 1930 erschienenen Beitrag „Das Persönlichkeitsrecht im Allgemeinen und im Urheberrecht“120, dass zum Persönlichkeitsrecht des Urhebers u a. das Recht gehöre, dass „derjenige, dem er das Urheberrecht übertragen hat, das Werk nicht stilllegt und dadurch tot macht“. Mit Verweis auf § 32 VerlG und Art. 44 italUrhG forderte er daher ein Rücktritts- oder „Heimfallsrecht“121 für den Fall der Nichtausübung urheberrechtlicher Befugnisse, während der ebenfalls aus Berlin stammende Rechtsanwalt sofern nichts Konkretes. Vielmehr schützte deren Art. 158 Abs. 1 lediglich pauschal „die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der Künstler“. Im Allgemeinen schenkte man dem Verfassungsargument im Rahmen der den „Grünen Bereich“ betreffenden Reformdiskussionen in der Weimarer Republik scheinbar wenig bis kaum Beachtung (siehe für das Patentrecht Schmidt, S. 156 ff.). 116 RGZ 79, 397 [399]; darin hieß es u. a., dass „der Künstler, dem modernen Rechtsempfinden entsprechend, ein gesetzlich geschütztes Recht darauf hat, daß das von ihm geschaffene Werk, als ein Ausfluß seiner individuellen künstlerischen Schöpferkraft, der Mit- und Nachwelt nur in seiner unveränderten individuellen Gestaltung zugänglich gemacht bzw. hinterlassen werde“; das RG bezog sich dabei auch auf frühere Entscheidungen, die bereits Ähnliches hatten anklingen lassen, so RGZ 12, 50 [51] sowie RGZ 69, 242 („Lesezirkel-Entscheidung“) und 69, 401 („NietzscheBriefe“); dazu ausführlich Vogt, S. 249 ff.; ähnlich auch Baldwin, S. 167 f. Der Begriff des „Urheberpersönlichkeitsrechts“ wurde erstmals in einem Urteil des Reichsgerichts vom 26.01.1929 (GRUR 1929, S. 509; MuW 1929, S. 181, UFITA 2 [1929], S. 84) gebraucht. 117 Mittelstaedt, JW 1928, S. 2057; Smoschewer, UFITA 1 (1928), S. 527 sprach von Art. 6bis RBÜ als „ausgezeichnete[r] Gelegenheit und […] Ansporn zu gesetz licher Regelung“. 118 So Klauer, UFITA 1 (1928), S. 383 f. 119 Zur Person siehe Scholz, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 261 ff. 120 Smoschewer, UFITA 3 (1930), S. 119 ff. (Teil I), 229 ff. (Teil II) und 349 ff. (Teil III). 121 Smoschewer, UFITA 3 (1930), S. 358.
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und Justizrat Bruno Marwitz122 aufgrund der diesbezüglichen Lückenhaftigkeit des LUG eine analoge Anwendung des § 32 VerlG im Bereich des (Literatur-)Urheberrechts anriet123. Wesentlich ausschlaggebender für die Aufnahme der Reformarbeiten waren jedoch besagte technische Neuerungen im Bereich der Verbreitungsmedien, welche unter der bestehenden Rechtslage, die aus der Zeit vor diesen Erfindungen stammte und selbige folglich nicht berücksichtigte, zu Unklarheiten und Unbilligkeiten führten124. Hierfür kann das oben beleuchtete Urteil des RG zur analogen Anwendbarkeit verlagsgesetzlicher Vorschriften auf den Verfilmungsvertrag als exemplarisch angesehen werden125. In der Folge erarbeiteten sowohl amtliche wie auch private Stellen und Personen Entwürfe für ein neues, einheitliches Urheberrechtsgesetz, welche u. a. auch Vorschläge zur Implementierung von Rücktritts- bzw. Rückrufsrechten in das Urheberrecht enthielten. 2. Die Rücktritts- und Rückfallsrechte der nichtamtlichen Urheberrechtsgesetzentwürfe der Jahre 1928 bis 1931 Bereits 1923 hatte der Verband Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Urheberrechts vorgelegt, dem sich auch der Verband Deutscher Filmautoren sowie der Verband Deutscher Erzähler anschlossen. Dieser fasste Literatur- und Kunsturheberrechtsgesetz zu einem einheitlichen Katalog zusammen, enthielt jedoch keinerlei Vorschriften zum Urhebervertragsrecht.126 Entsprechendes galt für die 1929 im Nachgang der Rom-Konferenz erarbeiteten Entwürfe von Wenzel Goldbaum und Hans-Erich Wolf127 sowie Alexander Elster128. Lediglich 122 Zur Person siehe Göppinger, S. 226 sowie Apel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 199 ff. 123 Marwitz, UFITA 1 (1928), S. 404. 124 Marwitz, UFITA 1 (1928), S. 391; v. Erffa, GRUR 1931, S. 1106 ff.; Elster, UFITA 4 (1931), S. 243 f.; dazu auch Vogt, S. 32 ff. sowie speziell zur Entwicklung des Film- bzw. Filmurheberrechts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hogertz, S. 141 ff. 125 Prominent ist überdies etwa die Entscheidung des RG, in welcher sich selbiges mit der Frage zu befassen hatte, ob sich die ausschließlichen Befugnisse des Urhebers aus dem LUG auch auf eine Übertragung des Werkes via Rundfunk erstreckten (RGZ 113, 413); dazu Vogt, S. 35 ff. m. w. N. 126 Dazu ausführlich Vogt, S. 44 ff. 127 Abgedruckt in UFITA 2 (1929), S. 185–191; dazu sowie zu Goldbaum und Wolf selbst Vogt, S. 48 ff. sowie Göppinger, S. 282 (Goldbaum); ausführlich zu Goldbaum überdies Wießner / Apel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 119 ff. 128 Abgedruckt in UFITA 2 (1929), S. 652–658; ausführlich zum Entwurf Vogt, S. 51 ff.
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die Privatentwürfe von Bruno Marwitz [a)] und Willy Hoffmann [b)] sahen Rücktritts- bzw. Rückfallsrechte für den Fall der Nichtausübung vor. Ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände kannten auch sie nicht. Gleichwohl dienten die Entwürfe u. a. als Vorbild für die Vorschläge, welche der Urheberrechtsausschuss des Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums („Grüner Verein“129; später GRUR) dem RJM unterbreitete [c)]. Den letzten Privatentwurf der Weimarer Repubik lieferte der Reichsverband bildender Künstler Deutschlands in Kooperation mit der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer und dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller. Dieser war der erste Urheberrechtsentwurf, der sowohl ein Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung als auch ein Rücktrittsrecht wegen geänderter Überzeugung vorsah [d)]. a) Der Entwurf Bruno Marwitzʼ Bruno Marwitz legte 1929 einen 62 Paragraphen umfassenden „Entwurf eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken des Schrifttums, der Kunst und der Photographie“130 vor (Marwitz-E). § 10 Marwitz-E, der Art. 6bis RBÜ umsetzte, definierte das Urheberrecht als das Recht, „das Werk zu gestalten und mitzuteilen (Urheberpersönlichkeitsrecht) und das Werk zu verwerten (Urhebervermögensrecht)“131. Bereits hier zeigt sich, dass – wie Vogt zutreffend bemerkt – die monistische Theorie fortan die Grundlage für die weitere Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bildete132. Nachdem Marwitz für den Fall der Nichtausübung eines urheberrechtlichen Nutzungsrechts bereits in seinem im gleichen Jahr erschienenen, zusammen seinem Berliner Kollegen Philipp Möhring133 herausgegebenen Kommentar zum LUG eine analoge Anwendung des § 17 VerlG unter der Bezeichnung „Heimfallsrecht“ vorgeschlagen hatte134, überrascht es wenig, dass sein Urheberrechtsentwurf in § 28 ein eigenes Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung enthielt: „Wird von einem übertragenen Werknutzungsrechte ohne den Willen und ohne Verschulden des Urhebers innerhalb einer angemessenen Frist kein oder ein von dem üblichen erheblich abweichender Gebrauch gemacht, so kann der Urheber nach 129 Die Bezeichnung leitet sich von dem grünen Einband der von dem Verein herausgegebenen Zeitschrift (GRUR) ab. 130 Abgedruckt in UFITA 2 (1929), S. 668–681; ausführlich zum Entwurf siehe Vogt, S. 54 ff. 131 Marwitz, UFITA 2 (1929), S. 671. 132 Vogt, S. 247. 133 Zur Person siehe Oppenhoff, GRUR 1975, S. 623 f. sowie Struve-Urbanczyk, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 203 ff. 134 Marwitz / Möhring, S. 81 f.
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Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrage zurücktreten; sein Anspruch auf die ihm zustehende Vergütung bleibt durch den Rücktritt unberührt. Das gleiche gilt bei dem Übergange von Werknutzungsrechten auf Grund des § 26135. Ein Verzicht auf dieses Rücktrittsrecht vor seiner Entstehung ist unwirksam; doch kann die Zeit, innerhalb derer von dem Werknutzungsrechte Gebrauch zu machen ist, vertraglich vereinbart werden“136.
§ 27 Marwitz-E, dem – wie dem gesamten Entwurf – keine Begründung beigegeben war, statuierte damit ein Rücktrittsrecht, welches zwar prinzipiell mit § 32 VerlG vergleichbar war, sich jedoch in bedeutenden Punkten von diesem unterschied. So erstreckte sich § 27 Marwitz-E als urhebervertragsrechtliches Instrument im Anschluss an § 1 Marwitz-E auf sämtliche Nutzungsrechte an Werken der Literatur, Kunst und Photographie137, war unabdingbar und schloss überdies eine Rückgewährpflicht hinsichtlich des Honorars im Rücktrittsfalle aus. b) Der Entwurf Willy Hoffmanns Auch Willy Hoffmann legte einen Privatentwurf vor138. Dessen § 11 lautete wie folgt: „Hat ein Urheber die Befugnis zur Wiedergabe seines Werkes an einen anderen übertragen, und hat der Erwerber der Befugnis die Wiedergabe innerhalb von drei Jahren trotz Fristsetzung unterlassen, so fällt die Befugnis an den Urheber zurück, ohne daß dieser verpflichtet ist, das Entgelt für die Übertragung der Befugnis he rauszugeben. 135 § 26 Marwitz-E bestimmte, dass bei Werken der Kinematographie die Werknutzungsrechte der an der Werkherstellung beteiligten Personen an den Unternehmer fallen sollten, soweit dies für die Verbreitung des Werkes erforderlich war, siehe Marwitz, UFITA 2 (1929), S. 675. 136 Marwitz, UFITA 2 (1929), S. 675. 137 § 1 Marwitz-E lautete: „Nach Maßgabe dieses Gesetzes werden alle Werke geschützt, die der Literatur oder der Kunst angehören und nach ihrer Form oder der Art ihrer Zusammenstellung eine eigenpersönliche Leistung des Urhebers sind. Desgleichen sind Werke geschützt, die durch ein photographisches oder ein ihm ähnliches Verfahren hergestellt sind (Werke der Photographie). […]“, Marwitz, UFITA 2 (1929), S. 668. Die Werknutzungsrechte, welche nach § 25 Abs. 1 Marwitz-E beschränkt oder unbeschränkt übertragen werden konnten, ergaben sich aus § 14 Marwitz-E und umfassten insbesondere die Vervielfältigung bzw. Nachbildung (Nr. 1), die Verbreitung und Vorführung des Werkes (Nr. 2) sowie dessen Übertragung und funkmäßige Wiedergabe (Nr. 4 und 5), wobei die §§ 16 ff. Marwitz-E dies für Werke der Literatur, der Tonkunst sowie der bildenden Kunst nochmals spezifizierten, siehe Marwitz, UFITA 2 (1929), S. 672 ff. 138 Abgedruckt in UFITA 2 (1929), S. 659–668.
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Dieses Rückfallsrecht ist unabdingbar“139.
Hoffmann postulierte damit ein – gleichermaßen unabdingbares – „Rückfallsrecht“ wegen Nichtausübung, welches jedoch nicht vom Willen des Urhebers abhing, sondern den Heimfall des Nutzungsrechts ipso iure herbeiführte140. Er rückte damit von der bisherigen Terminologie des Rücktritts und somit von der schuldrechtlichen Ebene ab. Eine nähere Begründung hierfür lieferte er nicht. Vielmehr verwies er auf § 20 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes vom 14. September 1920141 (öUrhG), der – von geringfügigen Unterschieden abgesehen – Entsprechendes vorsah142. c) Die Beratung der Entwürfe im Urheberrechtsausschuss des „Grünen Vereins“ Die Privatentwürfe dienten ihrerseits dem Urheberrechtsausschuss des Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums als Beratungsgrundlage. Ziel der Beratungen dieses Gremiums, dem u. a. Vertreter des RJM, des Auswärtigen Amtes, der Preußischen Akademie der Künste 139 Hoffmann,
UFITA 2 (1929), S. 660. dazu auch de Boor, Wesen, S. 65. 141 St. G. Bl. 1920, 1649 (Nr. 417); die Norm war bereits im österreichischen Urheberrechtsgesetz von 1895 als § 20 enthalten, siehe RGBl. 1895, 667 (Nr. 197); in dem 1906 erschienenen Lehrbuch von Schmidl hieß es dazu u. a. mit Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialien, dass die Vorschrift „das persönliche Interesse des Autors und das allgemeine Interesse des Publikums“ schütze, indem sie „dem ersteren die Möglichkeit eröffnet […], die Verfügung über sein Werk, welches der Verleger im Stiche gelassen hat, wieder an sich zu nehmen“, siehe Schmidl, S. 149; allgemein zum österreichischen Urheberrechtsgesetz von 1895 Dillenz, S. 148 f. 142 Hoffmann, UFITA 2 (1929), S. 667; die Norm war bereits im österreichischen Urheberrechtsgesetz von 1895 als § 20 enthalten, siehe RGBl. 1895, 667 (Nr. 197) und hatte folgenden Wortlaut: „(1) Hat ein Urheber sein Werk zur Herausgabe der öffentlichen Aufführung einem anderen überlassen und ist innerhalb dreier Jahre die Herausgabe oder Aufführung ohne Willen und ohne Verschulden des Urhebers unterblieben, so tritt dieser in sein ursprüngliches Recht zur Verfügung über das Werk wieder ein. Es steht ihm alsdann frei, entweder nach Inhalt des Vertrages die Erfüllung, beziehungsweise den Schadensersatz zu begehren oder – ohne Verpflichtung zum Rückersatze des bereits empfangenen Entgeltes – über sein Werk anderweitig zu verfügen. (2) Durch Verträge kann im voraus weder diesem Rückfall des Verfügungsrechtes entsagt, noch die Frist verlängert werden […]“; in dem 1906 erschienenen Lehrbuch von Schmidl hieß es dazu u. a. mit Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialien, dass die Vorschrift „das persönliche Interesse des Autors und das allgemeine Interesse des Publikums“ schütze, indem sie „dem ersteren die Möglichkeit eröffnet […], die Verfügung über sein Werk, welches der Verleger im Stiche gelassen hat, wieder an sich zu nehmen“, siehe Schmidl, S. 149; allgemein zum österreichischen Urheberrechtsgesetz von 1895 Dillenz, S. 148 f.; zur Novelle von 1920 Adler, GRUR 1921, S. 13 ff. sowie Dillenz, S. 154 f. 140 Siehe
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sowie Vertreter von 21 Autorenverbänden und zwölf Verlegervereinen angehörten, war es, dem RJM bei seinem Reformvorhaben eine detaillierte und ausgewogene Materialsammlung zur Verfügung zu stellen, um auf diese Weise das Gesetzgebungsverfahren so weit als möglich zu verkürzen.143 Die Vorschläge, welche der Ausschuss in anderthalbjährigen Verhandlungen auf Grundlage einer Zusammenschau der Privatentwürfe, des Literatur- und Kunsturhebergesetzes sowie des österreichischen Urheberrechtsgesetzes erarbeitet hatte, wurden am 18. August 1931 dem Justizministerium unterbreitet144. Sie empfahlen u. a. die Normierung eines „Rückforderungsrechts“ wegen Nichtausübung folgenden Wortlauts: „Wenn eine, mehrere oder alle urheberrechtlichen Befugnisse übertragen sind und wenn von einer übertragenen Befugnis kein oder von dem üblichen erheblich abweichender Gebrauch gemacht wird, so kann der Urheber insoweit unbeschadet anderer ihm sonst zustehender Rechte die Rückübertragung der Befugnis verlangen, sofern eine den Umständen entsprechende angemessene Zeit zur Wiedergabe seit der Übertragung verflossen ist und die Wiedergabe oder ihre Wiederaufnahme trotz Setzung einer angemessenen Frist nicht erfolgt“145.
Der Beschluss des Urheberrechtsausschusses bewegte sich damit nah an dem Vorschlag Marwitzʼ: Gleich diesem ersetzte er den schuldrechtlichen Rücktritt durch ein ausschließlich auf die Nutzungsbefugnis gerichtetes Rückforderungsrecht, verzichtete dabei jedoch auf Regelungen zum Autorenhonorar sowie auf die Festlegung der Unabdingbarkeit des Rückforderungsrechts. d) Der Entwurf des Reichsverbandes bildender Künstler Deutschlands, der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer und des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller vom 20. April 1931 Der Entwurf, welchen der Reichsverband bildender Künstler Deutschlands zusammen mit der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer und dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller am 20. April 1931 beim RJM einreichte (VerbE)146, markierte das Ende der Reihe von Privatentwürfen, welche in der Zeit der Weimarer Republik erarbeitet worden waren. Der Schutzverband war insofern von besondererer Bedeutung, als in ihm nicht nur nahezu alle bedeutenden Schriftsteller der Weimarer Republik organisiert waren, er vertrat überdies auch die Interessen der deutschen Schriftsteller im vorläufigen 143 Kobel,
DJZ 1930, S. 755 f.; dazu ausführlich Vogt, S. 62 ff. R 3001 / 6556, Bl. 203–205; die Beschlüsse finden sich überdies abgedruckt in GRUR 1931, S. 894–903. 145 BArch, R 3001 / 6556, Bl. 205 (dort S. 5). 146 BArch, R 3001 / 6556, Bl. 64–76; ausführlich zum Inhalt des Entwurfes Vogt, S. 65 ff. 144 BArch,
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Reichswirtschaftsrat (RWR). In diesem Gremium waren gemäß Art. 165 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV)147 „alle wichtigen Berufsgruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung“ vertreten. Seine Aufgabe bestand vornehmlich darin, Gesetzesentwürfe von sozialoder wirtschaftspolitisch elementarer Bedeutung vor der eigentlichen parlamentarischen Beratung aus ökonomischer Perspektive zu begutachten und insofern sowohl mittelbar als auch unmittelbar auf die Gesetzgebung des Reiches einzuwirken (Art. 165 Abs. 4 WRV)148. Ausgehend von §§ 6 und 7 Verb-E, welche den Bestand der „aus dem Schutz der Persönlichkeit des Urhebers fließenden Rechte […] unabhängig von seinen Nutzungsrechten (Persönlichkeitsrecht)“ festschrieben, gab § 8 Verb-E dem Urheber das „ausschließliche Recht […], daß das Werk und seine Vervielfältigungen nicht mehr öffentlich wiedergegeben und aus dem Verkehr zurückgezogen werden [sic!], sofern dieses Verlangen durch Gründe gerechtfertigt wird, die offenbar höher zu bewerten sind als die Interessen des Berechtigten. Der Urheber ist zum Ersatz des entstehenden Schadens und auf Verlangen des Berechtigten zur vorgängigen Sicherheitsleistung verpflichtet“149.
Hatten die Privatentwürfe Marwitzʼ und Hoffmanns bereits Rückforderungsrechte wegen Nichtausübung vorgesehen, so war es der Entwurf des Schutzverbandes, der erstmals ein – wenngleich auch noch nicht ausdrücklich so bezeichnetes – Rückrufsrecht aus „höheren Gründen“ als dem (monetären) Werknutzerinteresse vorsah. Dieses wurde ausdrücklich mit anderen persönlichkeitsrechtlichen Befugnissen, allen voran dem Erstveröffentlichungsrecht (§ 8 Nr. 1 Verb-E), in eine Reihe gestellt. Es war ausgesprochen weit gefasst, da es auch auf bereits in Verkehr gebrachte Werkstücke Anwendung finden sollte. Wie selbige dem Verkehr wieder entzogen werden sollten blieb allerdings offen, da auch diesem Entwurf keine Motive beigegeben waren. Mit § 20 Verb-E sah der Entwurf des Schutzverbandes überdies ein Rückforderungsrecht des Urhebers wegen Nichtausübung vor. Dieses entsprach, von Nuancen abgesehen, dem Vorschlag des Urheberrechtsausschusses:
147 Offiziell
„Verfassung des Deutschen Reichs“; RGBl. 1919, 1383. bereits 1920 absehbar war, dass die Konstituierung des Reichswirtschaftsrates geraume Zeit in Anspruch nehmen würde, bildete man einen „vorläufigen Reichswirtschaftsrat“. Dieser umfasste 326 Mitglieder aus zehn Berufsgruppen, welche später in drei Abteilungen gegliedert wurden: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und „Neutrale“ (Verbraucher, Beamte, Angehörige freier Berufe); ausführlich zu Stellung, Tätigkeit und Organisation des vorläufigen RWR Lilla, S. 29 ff. 149 BArch, R 3001 / 6556, Bl. 66 (S. 3 des Entwurfs). 148 Nachdem
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„Ist ein Nutzungsrecht übertragen und wird ohne Willen und ohne Verschulden des Urhebers von dem Nutzungsrechte kein ausreichender oder ein von dem üblichen erheblich abweichender Gebrauch gemacht, so kann der Urheber unbeschadet anderer ihm zustehender Rechte die Rückübertragung des Nutzungsrechts verlangen, sofern eine den Umständen nach angemessene Zeit seit der Übertragung verflossen ist“150.
Das RJM ging jedoch nicht mehr auf den Entwurf des Reichsverbandes ein, was dem Umstand geschuldet gewesen sein dürfte, dass man dort bereits mit der Erstellung eines eigenen, amtlichen Entwurfes beschäftigt war. Daneben wäre der Verbandsentwurf auch nur eingeschränkt brauchbar gewesen, da er insbesondere zu den technischen Neuerungen keinerlei Ansätze präsentierte151. Neben diesen Entwürfen kam es zu weiteren privaten Initiativen, die allerdings nicht in konkrete Gesetzentwürfe mündeten: So bemühte sich Marwitz erfolgreich darum, österreichische Juristen für die Ausarbeitung eines gemeinsamen Entwurfes zu gewinnen. Letzterer sollte auf Grundlage eines Fragenkataloges erstellt werden, den Marwitz zusammen mit Elster und Hoffmann ausgearbeitet hatte. Von den insgesamt befragten 24 deutschen und zehn österreichischen Juristen sprachen sich 31 für die Aufnahme eines „Rückfallsrechts“ wegen Nichtausübung in einen gemeinsamen Entwurf aus, welches sich primär an § 20 öUrhG orientieren sollte152. Zur tatsächlichen Ausarbeitung eines Entwurfes kam es angesichts der folgenden Entwicklungen nicht mehr. 3. Der amtliche Entwurf von 1932 Bereits 1930 hatte man im RJM einen „Entwurf eines Gesetzes über die Regelung einiger urheberrechtlicher Fragen“153 ausgearbeitet, der u. a. die Vorschriften des LUG an die Bedürfnisse des Tonfilms anglich und die öffentliche Wiedergabe von Werken mittels Musikapparaten regelte154. Urhebervertragsrechtliche Vorschriften enthielt der Entwurf nur in geringem Umfang. Er wurde vom RJM schließlich mit Blick auf die geplante Rechtsver150 BArch,
R 3001 / 6556, Bl. 69 (S. 6 des Entwurfs). S. 69. 152 Der Bericht von Elster, Hoffmann und Marwitz ist abgedruckt in der UFITA 2 (1929), S. 125 ff., konkret zum „Rückfallsrecht“ wegen Nichtausübung siehe ebd., S. 171 f.; eine Zusammenfassung der Antworten findet sich auch in einem Sonderheft der GRUR („Reform des deutschen Urheberrechts im Anschluss an die Ergebnisse der Rom-Konferenz 1928“, Berlin 1929; enthalten in BArch, R 3001 / 6553, Bl. 179). 153 BArch, R 3001 / 6555, Bl. 144. 154 Ausführlich zu diesem Entwurf, seinem Inhalt und seiner Behandlung Vogt, S. 70 ff. 151 Vogt,
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
einheitlichung mit Österreich verworfen. In Österreich selbst hatte man bereits mit der Ausarbeitung eines eigenen Entwurfes begonnen, als das RJM Anfang 1931 die Arbeiten an einem (ersten) amtlichen Urheberrechtsentwurf aufnahm. Der in enger Absprache mit Wien und unter Beteiligung der Interessentenkreise ausgearbeitete „Entwurf zu einem Gesetz über das Urheberrecht an Werken der Literatur, Kunst und Photographie“ (UrhG-E 1932) wurde im Mai 1932 veröffentlicht155. Er zerfiel in neun Abschnitte, wobei insbesondere die Vorschriften des zweiten und dritten Abschnitts („Inhalt des Urheberrechts“, §§ 12–18 sowie „Rechtsverkehr in Urheberrechtssachen“, §§ 19–30 UrhG-E 1932) von Interesse sind. So postulierte § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 in Umsetzung des Art. 6bis RBÜ den Schutz des Urhebers gegen unbefugte Eingriffe in seine „berechtigten persönlichen Interessen am Werk“156. Das damit zum Ausdruck gebrachte Urheberpersönlichkeitsrecht stand gleichberechtigt neben dem in § 12 Abs. 1 niedergelegten und in §§ 13 bis 17 UrhG-E 1932 konkretisierten Verwertungsrecht des Urhebers. Letzeres umfasste insbesondere das Erstveröffentlichungs-157 und Verbreitungsrecht (§ 13 Abs. 1 UrhG-E 1932), wobei 155 Tatsächlich waren die Entwürfe nahezu gleichlautend, siehe die Endversion der deutschen Fassung in BArch, R 3001 / 6557, Bl. 62 (der Entwurf selbst ist in sich fortlaufend nummeriert), dessen amtliche Druckfassung, S. 9 f. (Begründung S. 76 ff.) sowie die amtliche Druckfassung des österreichischen Entwurfs, S. 5 (Begründung S. 45 f.); zu ihrer Genese ausführlich Vogt, S. 83 ff. (m. w. N.); das schlussendlich normierte Rücktrittsrecht kam ausweislich der Darstellung Vogts weder in den Beratungen zwischen Wien und Berlin noch in den Besprechungen des RJM mit den Interessenverbänden vertieft zur Sprache; im Zentrum standen auch hier eher Fragen wie die Schutzfrist, der Schutz des ausübenden Künstlers oder die Handhabung der technischen Neuerungen Rundfunk, Schallplatte und Film. So hieß es in den „Vorschläge[n] des Verbands der Filmregisseure Deutschlands e. V. zur Urheberrechtsreform“ vom 29.10.1931 lediglich, dass „als Eingriffe in das Urheber-Persönlichkeitsrecht, welche die Urheber abzuwehren befugt sein sollen, […] insbesondere aufzuzählen [seien]: […] die Herausbringung […] auf eine offenbar ungeeignete Weise“, BArch, R 3001 / 6557, Bl. 40 (dort S. 2), was erst recht für die gänzliche Nichtherausbringung gelten musste. 156 § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 lautete: „Neben den in Abs. 1, 2 [Abs. 2 regelte den Anspruch bildender Künstler auf den Urheberanteil i. S. v. § 18 UrhG-E 1932] Befugnissen genießt der Urheber Schutz gegen unbefugte Eingriffe in seine berechtigten persönlichen Interessen am Werk“. Darauf aufbauend hieß es in Abs. 4: „Namentlich ist es dem Urheber vorbehalten, zu bestimmen, ob und mit welcher Urheberbezeichnung (§ 9) das Werk zu versehen ist. Ohne seine Einwilligung darf an dem Werke selbst, an dessen Titel oder an der Urheberbezeichnung in anderen als den vom Gesetz bezeichneten Fällen keine Änderung vorgenommen werden“ und in Abs. 5: „Der Inhalt eines Werkes der Literatur darf ohne Einwilligung des Urhebers nicht öffentlich mitgeteilt werden, solange weder das Werk noch dessen wesentlicher Inhalt veröffentlicht ist. […]“ (amtlicher Entwurf, S. 3; dazugehörige Begründung auf S. 44 ff.). 157 Gleichwohl war, so Klauer im Rahmen der Besprechungen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates, „die Trennung zwischen Werknutzungsrecht und droit moral
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die Vorschriften gegenüber dem LUG und KUG insbesondere den neuen Verbreitungsformen Rundfunk, Schallplatte und Tonfilm Rechnung trugen. In Anlehnung an Art. 6bis Abs. 1 RBÜ normierte § 19 Abs. 1 UrhG-E die Unveräußerlichkeit des Urheberrechts aufgrund von denen teilweiser persönlichkeitsrechtlicher Prägung. Eine vollständige Übertragung war einzig im Erbgang möglich158, während der Urheber zu Lebzeiten lediglich (ausschließliche) Werknutzungsrechte einräumen konnte. Im Anschluss hieran sah § 29 UrhG-E 1932 ein Rücktrittsrecht des Urhebers wegen Nichtausübung folgenden Wortlautes vor: „(1) Macht der Erwerber eines ausschließlichen Werknutzungsrechts ohne einen Grund, den der Veräußerer zu vertreten hat, von dem ihm übertragenen Recht keinen oder einen so unzureichenden Gebrauch, daß berechtigte Interessen des Veräusserers dadurch wesentlich verletzt werden, so kann ihm dieser zur Nachholung eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, daß er nach dem Ablauf der Frist vom Vertrage zurücktrete. Ist die Frist ergebnislos verstrichen, so ist der Rücktritt zulässig. Ist keine Frist für die Ausübung des Werknutzungsrechts vereinbart worden und ergibt sich aus dem Zweck des Vertrages keine kürzere Frist, so steht dem Veräusserer die Befugnis zur Bestimmung der Nachfrist nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Tage des Vertragsabschlusses oder, bei späterer Ablieferung des Werkes, seit dem Tage der Ablieferung zu. (2) Der Gewährung einer Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Werknutzungsrechts dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Bestimmung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Veräußerers gefährdet würden. (3) Eine bereits empfangene Vergütung ist vom Veräußerer im Fall seines berechtigten Rücktritts nicht zurückzuerstatten. (4) Auf das Rücktrittsrecht (Abs. 1 bis 3) kann im Voraus nicht verzichtet werden. (5) Die vorstehenden Vorschriften gelten auch dann entsprechend, wenn der Verleger die Herausgabe einer neuen Auflage, zu der er berechtigt ist, oder der Erwerber eines anderen ausschließlichen Nutzungsrechts die weitere Verwer[…] nicht so streng zu verstehen“, zumal letzteres „elastisch gestaltet“ sei, so dass in der Folge einzelne urheberrechtliche Befugnisse bzw. Werknutzungsrechte sowohl eine vermögens- als auch eine persönlichkeitsrechtliche Dimension aufweisen konnten. Es handle sich mithin um Rechte, die „einander durchdringen“, wobei „das Urheberpersönlichkeitsrecht stets dem Werknutzungsrecht vor[gehe]“. Insbesondere das Erstveröffentlichungsrecht habe eine Doppelnatur in diesem Sinne, da eine „unbefugte Veröffentlichung […] auch die Persönlichkeit mit dem Urheberrecht am Werke auf Grund des droit moral“ beeinträchtigen könne (Klauer in der 30. Sitzung des vorl. RWR am 14.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 30, S. 45 f. sowie in der 36. Sitzung des vorl. RWR am 22.11.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 36, S. 60). 158 Siehe insofern die der amtlichen Druckfassung beigegebene Begründung (im Folgenden: Begr. UrhG-E 1932), S. 67; aus Art. 6bis RBÜ ging dies nicht ausdrücklich hervor, siehe Runge, S. 223, Maracke, S. 593 f.
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tung des Werkes ohne einen vom Verfasser zu vertretenden Grund binnen der in Abs. 1 bezeichneten Frist unterlässt. Diese Frist beginnt für die Herausgabe einer Neuauflage mit dem Zeitpunkt, wo die frühere Auflage vergriffen ist, sonst mit der zuletzt vorgenommenen Verwertung (6) Hat sich der Erwerber verpflichtet, das ihm übertragene Nutzungsrecht auszuüben, so bleiben im Fall einer von ihm verschuldeten nicht rechtzeitigen oder nicht gehörigen Erfüllung weitergehende Rechte unberüht, die dem Urheber nach den allgemeinen Vorschriften zustehen“159.
Die Vorschrift stellte eine Melange aus dem Rückfallsrecht österreichischer Provenienz sowie §§ 17, 30 und 32 VerlG dar. In der Begründung hieß es, dass „§ 29 die Vorschriften, die das Werk gegen Unterdrückung durch Nichtausübung eines übertragenen Werknutzungsrechts schützen sollen, den Vorschriften der §§ 30, 32 Verlagsgesetzes, § 326 BGB über das Rücktrittsrecht“ anpasse. Angesichts der Tatsache, dass die Vorschriften des VerlG und BGB nur für gegenseitige Verträge galten, trug § 29 UrhG insbesondere dem Fall Rechnung, dass ein Werknutzungsrecht ohne korrespondierende Ausübungspflicht übertragen wurde, wobei jedwede Nutzungsart, darunter auch das Verfilmungsrecht, erfasst wurde160. Klauer betonte in diesem Zusammenhang, dass mit § 29 UrhG-E 1932 „ein weiteres persönliches Interesse des Urhebers“ geschützt werde, welches darin bestehe, dass der Urheber „mit seiner Schöpfung zum Publikum durchdringen“161 wolle. Dies galt jedoch nur für den Fall der Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts, da es dem Urheber im anderen Fall freistand, das Werk selbst oder durch Dritte zur Ausführung zu bringen. Während sich das Rücktrittsrecht als solches an § 20 öUrhG orientierte, war die zweijährige Ausschlussfrist des § 29 Abs. 1 S. 2 dem § 20 des tschechoslowakischen Urheberrechtsgesetzes von 1926 entnommen162. Da man 159 Amtlicher
Entwurf UrhG-E 1932, S. 9 f. UrhG-E 1932, S. 76, 78; dass das Rücktrittsrecht des § 29 Abs. 1 UrhG-E vornehmlich für den Fall gedacht war, dass eine vertragliche Pflicht zur Vervielfältigung und Verbreitung nicht vorgesehen war zeigt auch Abs. 6. Siehe insofern auch Klauers eigene Darstellung zum Stand der deutsch-österreichischen Urheberrechtsreform in GRUR 1932, S. 646. 161 Klauer, GRUR 1932, S. 646. 162 Begründung UrhG-E 1932, S. 76; § 20 des tscheoslowakischen Gesetzes lautete wie folgt (Übersetzung nach Gellner, Prager Archiv 1927, S. 161 f.): „(1) Hat der Urheber […] ein Werk einer anderen Person zu dem Zwecke überlassen, daß es vervielfältigt und verbreitet oder öffentlich aufgeführt, durch mechanische oder optische Vorrichtungen vorgeführt, durch Rundfunk verbreitet oder öffentlich ausgestellt werde, und ist die Verbindlichkeit, sofern keine andere Frist vereinbart wurde, innerhalb zweier Jahre seit Übergabe des Werkes ohne seine Schuld und seinen Willen entweder überhaupt nicht oder in einer dem Vertrage wesentlich zuwiderlaufenden Weise erfüllt worden, so kann der Urheber […] entweder Erfüllung und Schadenser160 Begründung
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befürchtete, dass das Rücktrittsrecht im Fall seiner Dispositivität regelmäßig vertraglich ausgeschlossen werden würde, statuierte § 29 Abs. 4 dessen Unabdingbarkeit. Ähnlichen Zwecken diente der gleichsam § 20 öUrhG entlehnte § 29 Abs. 3: Da der Urheber in der Regel der wirtschaftlich schwächere Teil sei, gewährleiste der Ausschluss einer Rück erstattungspflicht, dass die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht von der finanziellen Situation des Urhebers abhing163. Damit ging § 29 UrhG-E 1932 klar über das verlagsrechtliche Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung hinaus. Da die §§ 17 S. 2 bis 4, 32 VerlG damit obsolet geworden wären, sah § 93 Abs. 1 UrhGE 1932164 ihr Außerkrafttreten vor. Schließlich sollte der Umstand, dass § 29 nicht vom „Urheber“, sondern vom „Veräußerer“ als Aktivlegitimiertem sprach, gewährleisten, dass auch der im Kettenhandel ein Nutzungsrecht übertragende Inhaber gegen Nichtausübung geschützt war165.
satz verlangen oder unter Gewährung einer angemessenen Frist zur nachträglichen Erfüllung erklären, daß er vom Vertrage zurücktrete, wenn die Frist nicht eingehalten wird. Er ist aber nicht verpflichtet, eine Frist zur nachträglichen Erfüllung zu gewähren, wenn es dem anderen Teile überhaupt nicht möglich ist, die Verbindlichkeit zu erfüllen, oder wenn er die Erfüllung verweigert hat oder der Urheber […] ein besonderes Interesse daran hat, sofort vom Vertrage zurückzutreten. (2) Wurde die Erfüllung zu einer fest bestimmten Zeit oder binnen einer fest bestimmten Frist bei sonstigem Rücktritte vom Vertrage bedungen oder geht aus der Natur des Vertrages oder aus dem dem Verpflichteten bekannten Zwecke der Erfüllung hervor, daß der andere Teil durch die Verspätung das Interesse an der Erfüllung verlieren würde, so muß der Urheber […], wenn er auf dem Vertrage bestehen will, dies dem anderen Teile ohne Verzug anzeigen, sobald der Zeitpunkt eingetreten oder die Frist abgelaufen ist; unterläßt er dies, so kann er später nicht mehr auf der Erfüllung bestehen. (3) Selbst wenn der Urheber […] vom Vertrage zurückgetreten ist, kann er Ersatz des durch verschuldete Nichterfüllung verursachten Schadens verlangen, ohne zur Rückerstattung des erhaltenen Entgelts verpflichtet zu sein. (4) Diese Bestimmungen sind entsprechend auch auf jene Fälle anzuwenden, in denen die Verbindlichkeit zur neuen Ausgabe eines vergriffenen Werkes nicht erfüllt wurde, sowie auf jene Fälle, in denen ein zur Wiederaufführung (Vorführung, Rundfunk) vergebenes Werk während einer Frist von mehr als zwei Jahren nicht aufgeführt wurde. […]“; zum tschechosklowakischen Gesetz ferner Eckstein, RabelsZ 1928, S. 201 f. 163 Begründung UrhG-E 1932, S. 77. 164 § 93 Abs. 1 UrhG-E 1932 lautete auszugsweise: „Dieses Gesetzt tritt am ………. in Kraft. Gleichzeitig treten […] die Vorschriften im § 2 Abs. 3 und in den §§ 3, 17 Satz 2 bis 4, §§ 32, 42 des Gesetzes über das Verlagsrecht (Reichsgesetzbl. 1901 S. 217; 1910 S. 793) außer Kraft“. 165 Begründung UrhG-E 1932, S. 78.
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4. Stellungnahmen zum amtlichen Entwurf von 1932 Nach seiner Veröffentlichung nahm eine Vielzahl von Stellen und Personen zu dem Entwurf Stellung. Besondere Bedeutung kam hier der Behandlung des Entwurfs im vorläufigen Reichswirtschaftsrat zu [a)], doch nahmen auch die Interessenverbände [b)], die Rechtswissenschaft [c)], das Reichsgericht [d)] sowie die Länder nebst weiterer staatlicher Stellen [e)] zu den darin vorgesehenen Vertragsaufhebungsinstrumenten Stellung. a) Die Beratungen im vorläufigen Reichswirtschaftsrat Im Juli 1932 übersandte das RJM den Entwurf mit der Bitte um gutachterliche Stellungnahme an den RWR. Innerhalb des Rates fiel diese Aufgabe dem „Ausschuß zur wirtchaftlichen Förderung der geistigen Arbeit“ zu, welcher sich zwischen dem 14. Oktober 1932 und dem 13. März 1933 in insgesamt 15 Sitzungen (30. bis einschließlich 45. Sitzung) mit dem Entwurf befasste. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Frage, welche Konsequenzen der Entwurf für die Entwicklung der Wirtschaft, die (sozialen) Belange der Urheber sowie die Verbraucher haben würde.166 Die Behandlung im RWR ist von besonderem Interesse, da an besagten Sitzungen u. a. sowohl Interessenvertreter und Sachverständige der Urheber- (Schriftsteller, Presse, Hochschulen, bildende Künstler, Film- und Tonkünstler) als auch der kommerziellen Werknutzerseite (Verleger, Schallplatten- und Filmindustrie, Musikveranstalter) teilnahmen. Hinzu traten überparteiliche Generalsachverständige sowie Vertreter des RJM.167 Im Rahmen der Diskussion des Urheberpersönlichkeitsrechts wurde ein Vorschlag unterbreitet, der letztlich auf eine Umwandlung des § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 in ein Rücktritts- bzw. Rückrufsrecht des Urhebers hinauslief [aa)], während im Zuge der Auseinandersetzung mit § 29 UrhG-E 1932 nicht nur die Interessenvertreter ihre verschiedenen Bedenken hinsichtlich der Vorschrift zum Ausdruck brachten, sondern auch erstmalig eine ausdrückliche Differenzierung zwischen Rücktritts- und Rückrufsrecht erfolgte [bb)].
166 Vogt, 167 Eine
S. 127. ausführliche Liste aller Teilnehmer liefert Vogt, S. 128.
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aa) de Boors Vorschlag eines urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts Das Urheberpersönlichkeitsrecht wurde in der 41. Sitzung diskutiert. Hierbei stand die Frage im Mittelpunkt, in welcher Weise Art. 6bis RBÜ und damit der Gedanke, dass „durch die Schöpfung des Werks ganz besondere persönliche Beziehungen zwischen Schöpfer und Werk entstehen und [auch nach einer Nutzungsrechtsübertragung] bestehen“168 blieben, in das künftige Urheberrechtsgesetz implementiert werden sollte. Bereits diese, von MR Klauer formulierte Umschreibung des „droit moral“ verdeutlicht, welche Schwierigkeiten man bei der Übersetzung und Ausfüllung dieses Begriffs im Deutschen hatte. So kritisierte Hans Otto de Boor, der bis zur 34. Sitzung als Vertreter des Verbandes Deutscher Hochschulen, danach als Generalsach verständiger an den Beratungen teilnahm, die vorgeschlagene Fassung des § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 wie auch Art. 6bis RBÜ als zu eng, da darin mit dem Änderungsverbot bzw. dem Titelschutz und dem Namensrecht des Urhebers lediglich zwei konkrete Aspekte des Urheberpersönlichkeitsrechts geregelt worden seien. Auch sei unklar, inwieweit persönlichkeitsrechtliche Befugnisse abdingbar sein sollten, da § 19 Abs. 1 UrhG-E 1932 allein die Übertragbarkeit unter Lebenden, nicht jedoch sonstige Abreden darüber ausschloss.169 Nachdem sich der Arbeitgebervertreter des Handels, Fritz Demuth, mit seinem Antrag, anstelle des § 12 Abs. 3 und 4 UrhG-E 1932 schlicht den Wortlaut des Art. 6bis Abs. 1 RBÜ zu setzen, nicht durchsetzen konnte170, schlug de Boor eine Neufassung des § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 folgenden Wortlauts vor: „Der Urheber kann eine Veröffentlichung oder sonstige Verwertung seines Werkes, die sein Ansehen oder seinen Ruf erheblich gefährden würde, selbst dann verbieten, wenn er Verwertungsrechte übertragen oder sich zur Gestattung der Verwertung vertraglich verpflichtet hat, und zwar gleichgültig, ob es sich um Verwertung in der Originalform oder in einer abgeänderten oder bearbeiteten Form handelt“171.
Den wesentlichen Vorteil seines Vorschlages sah de Boor darin, dass damit die Unabdingbarkeit des innersten persönlichkeitsrechtlichen Kerns des Ur168 Klauer in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 3. 169 Siehe etwa die Stellungnahme Klauers in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 4 sowie Begr. UrhG-E 1932, S. 68. 170 Siehe den Antrag Demuths sowie dessen diesbezügliche Erläuterungen in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 1 f. sowie insbesondere die ablehende Stellungnahmen des Vertreters der Schriftsteller, Max Cohen ebd., S. 5 f., 18 f. 171 de Boor in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 9.
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heberrechts zementiert wurde, nachdem alle anderen Vorschläge der Grenzziehung zwischen Abdingbarkeit und Indisponibilität persönlichkeitsrechtlicher Befugnisse in seinen Augen fehlgingen. Sonstige Fragen, die zwar persönlichkeitsrechtlich aufgeladen waren, jedoch im Einzelfall einer graduellen Übertragung zugänglich waren und insofern ohnehin einer speziellen Regelung bedurften – wie das Änderungs- oder Namensrecht – wollte er aus der eigentlichen Normierung des Urheberpersönlichkeitsrechts heraushalten172. Faktisch lief de Boors Vorschlag auf nichts anderes als ein Wiederaufleben des Verbotsrechts und damit auf ein Vertragsaufhebungsinstitut für den Fall einer Gefährdung der idellen Urheberinteressen hinaus. Plastisch hatte er dies bereits an früherer Stelle der Beratungen zum Ausdruck gebracht, als die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) als natürliche Grenze der Abdingbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts vorgeschlagen wurde173: „Ein wissenschaftlicher Autor hat einen Verlagsvertrag abgeschlossen, das Manuskript ist bei dem Verleger, die Drucklegung hat schon begonnen [womit § 35 VerlG unanwendbar war]. Jetzt kommt ein Konkurrenzwerk heraus, mit anderen Resultaten. Der Gelehrte sieht auf einmal: ich habe Unrecht gehabt, was ich gesagt habe, ist falsch, das wird mich meinen wissenschaftlichen Ruf kosten. Ist es dann mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht vereinbar, dass er, weil der den [i. S. v. § 138 BGB sittlich nicht zu beanstandenden] Verlagsvertrag abgeschlossen hat, gezwungen wird, das Werk herauszugeben? Die Antwort lautet unzweifelhaft: nein!“174
de Boors Vorschlag stieß umgehend auf Kritik: So warf der ebenfalls als Generalsachverständiger geladene Wenzel Goldbaum ein, dass eine derart weite Fassung des Urheberpersönlichkeitsrechts, die wie ein „Damoklesschwert“ über dem Verwerter schwebe, ebenfalls Gefahren in sich barg. Die damit verbundene Unsicherheit schrecke potentielle Nutzungsrechtserwerber ab, was letztlich auf Kosten der Urheber selbst ginge175. Goldbaum plädierte daher für die Beibehaltung des status quo176 und merkte mit Blick auf de Boors Beispiel an, dass sich ein solcher Fall auch ohne systematischen Eingriff nach § 242 BGB lösen ließe. Im Übrigen hielt er es nicht für einen Schaden, wenn der Autor gezwungen werde, sein Werk zu veröffentlichen. 172 de Boor in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 10. 173 Diese Position wurde insbesondere vom Regierungsvertreter Klauer vertreten, siehe Klauer in der 39. Sitzung des vorl. RWR am 10.12.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 39, S. 30. 174 de Boor in der 30. Sitzung des vorl. RWR am 14.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 30, S. 40. 175 Goldbaum in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 13. 176 Goldbaum in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 15.
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Dieser müsse schließlich wissen, „was er geschrieben hat“177. Dem traten diverse Interessenvertreter mit ähnlichen Argumentationslinien bei178, während die Regierungsseite mit MR Klauer betonte, dass der Sinn der aktuellen Fassung des § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 vor allem darin liege, Rechtssicherheit zu schaffen179 und der Urheber deshalb nicht ohne weiteres befugt sein dürfe, sich seiner vertraglichen Verbindlichkeiten zu entsagen180. Ein Rücktrittsrecht wegen Gefährdung des Urheberpersönlichkeitsrechts würde jedoch „eine Rechtsunsicherheit bilden, die alle Grenzen überschreiten und unerträglich für den Vertrag sein würde“181. Verhaltene Zustimmung erhielt de Boor seitens des Vertreters des Reichsverbandes bildender Künstler, Justus Koch. Dieser unterstrich zwar ebenfalls, dass die mit dem Nutzungsrechtserwerb einhergehende Gewinnchance des Verwerters zu respektieren sei, schlug jedoch die Normierung eines eigenen „Rechts auf Zurückziehung“ vor. Mit Verweis auf § 15 italUrhG182 sprach sich Koch für eine Regelung aus, wie sie sein Verband bereits in dessen eigenem Entwurf formuliert hatte183. Rudolf Cahn-Speyer, der Vertreter des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter, verwies auf § 35 VerlG, der zumindest für das Verlagsrecht einen großen Teil der notwendigen Vorschriften enthalte und stellte anheim, dass „eine Ausdehnung dieses Gesichtspunktes auf andere Gebiete des Urhebervertragsrechts […] eine Frage [sei], die vielleicht ernstliche Erwägung verdienen würde“184. 177 Goldbaum in der 30. Sitzung des vorl. RWR am 14.10.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 30, S. 83. 178 Siehe etwa die Ausführungen der Generalsachverständigen Baum (Vertreter der Schallplattenindustrie) in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 26 f., 32 f. 179 Klauer in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 21. 180 So Klauer bereits in der 30. Sitzung des vorl. RWR am 14.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 30, S. 46 als Entgegnung auf de Boors o. g. Beispiel des wissenschaftlichen Autors. 181 So Klauer bereits in der 36. Sitzung des vorl. RWR am 22.11.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 36, S. 62. 182 Der Wortlaut findet sich oben, F. I. 1. lit. f) / Fn. 51. 183 Konkret sollte es dem Urheber gestattet sein, „zu verlangen, dass sein Werk nicht weiter verwertet, vervielfältigt wird […] wenn das Verlangen aus Gerechtigkeitsgründen gerechtfertigt erscheint, man kann sagen: Aus Gründen, die mehr wiegen als die Interessen der Verwertung. […] Dann würde hinzuzusetzen sein, dass der Urheber das Recht nur hat, wenn er den entstandenen Schaden ersetzt und darüber hinaus für drohenden Schaden Sicherheit leistet“, siehe Koch in der 30. Sitzung des vorl. RWR am 14.10.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 30, S. 92 f. sowie oben, F. II. 2. lit. d). 184 Cahn-Speyer in der 30. Sitzung des vorl. RWR am 14.10.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 30, S. 95 f.
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Gleichwohl ruderte de Boor, der von vornherein keinen Hehl daraus gemacht hatte, dass sein Vorschlag lediglich ein Provisorum darstellte185, zurück. Es ginge ihm, so betonte er, einzig darum, Art. 6bis RBÜ in irgendeiner Form in das neue Gesetz inkorporiert zu sehen186; insofern könne man es ruhig bei dem Regierungsvorschlag belassen. Im Ergebnis kam man schließlich überein, an § 12 Abs. 3 UrhG-E 1932 den Wortlaut des Art. 6bis Abs. 1 RBÜ anzuhängen und den unabdingbaren Schutz des Urhebers gegen Entstellung, Verstümmelung oder sonstige Änderungen seines Werkes, die seine Ehre oder seinen Ruf gefährden könnten, besonders hervorzustellen187. bb) Die „Geburt“ des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung Das Rücktrittsrecht des § 29 UrhG-E 1932 wurde im Rahmen der 32., 37. und 43. Sitzung des vorläufigen RWR am 28. Oktober 1932 bzw. 9. März 1933 thematisiert. In diesem Rahmen betonte der Sachverstände des Kunstverlagswesens, Kirstein, dass diese neue Bestimmung auch seitens der Verlegerschaft als wünschenswert erachtet werde, da der Verleger den Autor nicht mundtot machen dürfe. Umso massiver störte er sich jedoch an dem Umstand, dass der Urheber nach der Entwurfsfassung auch bei einer lediglich unzureichenden Ausübung des Urheberrechts zurücktreten durfte. Der stark auslegungsbedürftige Begriff mache die Vorschrift zu einer „Kautschukbestimmung“, die jedwedem „widerwärtigen Konkurrenzmanöver“ und damit dem unlauteren Wettbewerb Tür und Tor öffne. Kirsten sprach sich stattdessen für die Wendung „von dem üblichen völlig abweichenden Gebrauch“ aus, wie sie bereits in den Beschlüssen des Urheberrechtsausschusses des „Grünen Vereins“ vorgesehen war, da die Kopplung an die Gepflogenheiten des Marktes etwaige Rechtsunsicherheiten beseitige. Überdies kritisierte Kirstein die Regelung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932, wonach ein empfangenes Honorar im Fall des berechtigten Rücktritts nicht zu erstatten war. Diese Vorschrift sei insofern zu pauschal, als durchaus Fälle denkbar seien, in welchen dies zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Urhebers führen würde188. In ähn 185 de Boor in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 10. 186 de Boor in der 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 35. 187 Siehe den entsprechenden Beschluss i. R.d. 41. Sitzung des vorl. RWR am 24.02.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 41, S. 87; ebenfalls in Beschlüsse des Ausschusses zur wirtschaftlichen Förderung der geistigen Arbeit zum Entwurf eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken der Literatur, der Kunst und der Photographie“, BArch, R 3001 / 6564, Bl. 17 (dort S. 2). 188 Kirstein in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 6 f.; ähnliches wiederholte er in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 74 f., der Generalsachverstän-
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licher Weise äußerte sich auch der Arbeitgebervertreter der Industrie, Gustav Kilpper, der eine Vielzahl an Praxisbeispielen gegen das Rücktrittsrecht wegen unzureichender Ausübung ins Feld führte189. Alfred Baum, der Vertreter der Schallplattenindustrie und Justitiar der Deutschen Grammophon und Polydor190, forderte mit Verweis auf drohende Rechtsunsicherheiten ebenfalls die ersatzlose Streichung des Rücktrittsrechts wegen unzureichender Ausübung. Die Folgen, so Baum, wären Fragen wie diejenige, ob auch die Weigerung des Verlegers, illustrierte Ausgaben oder fremdsprachige Übersetzungen zu veranstalten, als „unzureichende Ausübungen“ zu werten seien. Darüber hinaus forderte er eine Klarstellung dahingehend, dass das Rücktrittsrecht auch dann ausgeschlossen sein sollte, wenn der Nutzungsrechtsinhaber die Nichtausübung nicht zu vertreten hatte.191 Paul Baecker, der als Vertreter der Presse an den Beratungen teilnahm, schlug eine Formulierung dergestalt vor, dass der Urheber zum Rücktritt berechtigt sein sollte, wenn durch die Art der Ausübung seine „berechtigte[n] Interessen wesentlich verletzt“ würden, um nicht durch den Begriff des „Üblichen“ neue, innovative Verbreitungsmethoden zu hemmen192. Kirstein entgegnete hierauf, dass der Terminus der „berechtigten Interessen“ nicht minder unbestimmt sei und man auch hieraus allenfalls eine Fülle von Prozessen zu erwarten hätte. Bevor man dieses Risiko eingehe, wäre es sinnvoller, das Rücktrittsrecht wegen unzureichender Ausübung gänzlich zu streichen193. Dem pflichteten weitere Sitzungsteilnehmer durch spontane Zurufe bei. Der Vertreter des Kunstgewerbes194, Schubert, gab zu bedenken, dass bei Produkten seiner Branche – er führte Seifen- und Pralinenverpackungen als dige und Vertreter des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter, Cahn-Speyer, sowie der Schriftstellervertreter Cohen unterbreiteten in der der 37. Sitzung des vorl. RWR am 23.11.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 37, S. 74 ff. ebenfalls den Vorschlag, in § 29 Abs. 1 UrhG-E 1932 von einem „vom üblichen völlig abweichenden Gebrauch“ anstatt von einem „unzureichenden Gebrauch“ zu sprechen. 189 Kilpper in der 37. Sitzung des vorl. RWR am 23.11.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 37, S. 68 ff. 190 Zur Person siehe Apel, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 32 ff. 191 Baum in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 28 ff. sowie in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 96. 192 Baecker in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 7. 193 Kirstein in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 8 f. 194 Der Begriff des Kunstgewerbes war vornehmlich im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebräuchlich und wurde ab den 1950er bzw. 1960er Jahren durch die Begriffe Produktgestaltung und schließlich Design abgelöst; dazu ausführlich Berents, S. 9 ff.
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Beispiele an – die Verwertung nicht vom Willen des Nutzungsrechtsinhabers, als vielmehr vom Geschmack der potentiellen Abnehmer abhinge. So könnten von einhundert kunstgewerblichen Entwürfen am Ende höchstens fünf oder sechs am Markt platziert werden. In der Folge wäre seine Branche mit dem Risiko konfrontiert, dass bei den übrigen 95 Entwürfen der Rücktritt wegen Nichtausübung erklärt und der für den Entwurf investierte Betrag verfallen würde, was in den Augen Schuberts ein unhaltbarer Zustand war. In der Folge beantragte er, Werke des Kunstgewerbes von der Unabdingbarkeitsregelung des § 29 Abs. 4 UrhG-E 1932 auszunehmen, da andernfalls die Kunstdrucker „ihre“ Urheber künftig erst bezahlen würden, wenn der Entwurf endgültig am Markt plaziert sei. Dies würde man dann auch vertraglich verankern, was jedoch nicht im Interesse der Künstlerschaft liegen könne195. MR Klauer wies in diesem Kontext darauf hin, dass der Entwurf in Abs. 1 lediglich vorsehe, dass das Rücktrittsrecht frühestens nach zwei Jahren ausgeübt werden dürfe, Abs. 4 jedoch Parteivereinbarungen über einen temporären Ausschluss des Rücktrittsrechts vollkommen offen ließe. Demnach könnten Unternehmen des Kunstdruckgewerbes ohne Weiteres längere Ausschlussfristen vereinbaren, nach deren Ablauf „Gegenstände wie Schokoladenverpackungen usw., die ja dem Zeitgeschmack ganz ausserordentlich unterworfen sind“ aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin keine praktische Rolle mehr spielen würden. Dass er damit nichts Geringeres als die gezielte Umgehung des § 29 UrhG-E 1932 propagierte, schien Klauer nicht aufgefallen zu sein. Weiterhin betonte er, dass durch die Nichtausführung eines Verpackungsentwurfs, der bereits keinen Anklang bei potentiellen Abnehmerkreisen fände, auch keine „berechtigten Interessen“ des Urhebers verletzt werden könnten, zumal dieser wisse, dass in der besagten Branche allein solche Entwürfe umgesetzt würden, welche auf dem Markt Erfolg versprächen. Klauer schlug vor diesem Hintergrund jedoch eine Änderung des Wortlautes des § 29 Abs. 1 UrhG-E 1932 dahingehend vor, dass künftig klar hervortreten solle, dass sich das Erfordernis der Verletzung berechtigter Interessen auch auf den gänzlichen Nichtgebrauch des Werknutzungsrechts erstrecke.196 195 Schubert in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 13 f., 15 f. In ähnlicher Weise äußerten sich später der Sachverständigenvertreter der Kunstanstalt, Cramer (ebd., S. 33 f.) sowie der Arbeitgebervertreter des Handels, Demuth in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 75 f. 196 Klauer in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 16 f.
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Egberts, der Vertreter des Reichsverbandes der deutschen Lichtspieltheater und der als Generalsachverständiger an den Sitzungen teilnehmende Vertreter der Spitzenorganisation der deutschen Filmindustrie (SPIO), Walther Plugge, wiesen – ebenso wie Fritz Demuth – darauf hin, dass Filmproduktionen nicht selten Jahre in Anspruch nahmen und – selbst wenn sie weit fortgeschritten waren – im Einzelfall wegen Änderungen im Publikumsgeschmack oder der konjunkturellen Lage zurückgestellt werden mussten, so dass hier „ein Rücktrittsrecht sehr erhebliche aufgewendete Kapitalien in Gefahr bringen könnte“. In Zweifelsfällen würden die Produktionsfirmen daher wohl eher auf den Erwerb eines Manuskripts verzichten als sich diesem Risiko auszusetzen, so dass sich die Vorschrift auch hier zum Nachteil der Urheber auswirken müsse197. In der Folge beantragten sie die gänzliche Streichung des § 29 UrhG-E 1932 respektive eine Ausnahme, welche die Abdingbarkeit des Rücktrittsrechts im Filmwesen ermöglichen sollte. Eine entsprechende Ausnahme für das Theaterwesen forderte der Sachverständigenvertreter des Deutschen Bühnenvereins, Leers. Dieser führte aus, dass das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung für seine Branche unpassend sei, da der Urheber nur dann „mundtot“ gemacht zu werden drohe, wenn der jeweils Berechtigte Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts sei. Dies sei jedoch im Theaterwesen nicht das Fall, da Aufführungsrechte in der Regel von sehr vielen Bühnen gleichzeitig erworben würden. Insofern forderte Leers zumindest eine Klarstellung, „wie denn das mit dem ausschliesslichen Aufführungsrecht gemeint“198 sei. Daneben gab er zu bedenken, dass Theaterarrangements hinsichtlich Produktionsdauer und -kosten einem ähnlichen Risiko unterlägen wie Filmprojekte.199 Seitens der Generalsachverständigen wies Hans Otto de Boor auf ein bisher – bewusst oder unbewusst – umgangenes dogmatisches Problem hin, welches sich aus dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip ergab und bereits bei der Ausarbeitung des Verlagsgesetzes bestenfalls kaschiert worden war200. Konkret kritisierte de Boor, dass u. a. in § 29 UrhG-E 1932 nicht berücksichtigt werde, dass die Verpflichtung zur Übertragung eines Nut-
197 Egberts in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 32 f.; ähnlich Plugge in der 37. Sitzung des vorl. RWR am 23.11.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 37, S. 67 f. und Demuth in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 76. 198 Leers in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 37 f. 199 Leers in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 39 f., 71 f. (die laufende Nummerierung überspringt hier aus unerfindlichen Gründen 20 Seiten, d. h. auf S. 40 folgt S. 71). 200 Siehe dazu oben, E. I. 1.
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zungsrechts und die eigentliche Übertragung unterschiedliche Dinge seien201. So erfolge ein Rücktritt stets vom Vertrag – ein solcher sei im Tatbestand des § 29 jedoch schlechterdings nicht erwähnt. Ausweislich des Wortlautes sei vielmehr erforderlich, dass jemand ein (ausschließliches) Nutzungsrecht übertragen habe, was für ein Verfügungsgeschäft spreche. Trotzdem sei § 29 UrhG-E 1932 auch nicht rein dinglicher Natur, da es gerade „die Sorge [sei], dass schuldrechtliche Verträge mit Werknutzungsverpflichtung“ durch dieselbe „zu kurz kommen könnten“. Gleichwohl plädierte de Boor dafür, bei der weiteren Behandlung der Vorschrift vom Verfügungsgeschäft auszugehen: „Der Urheber muss, wenn er etwas veröffentlichen will, Werknutzungsrechte übertragen. Das hat den Zweck, dass er an die Öffentlichkeit kommt. Wird dieser Zweck verfehlt, so soll er sein Werknutzungsrecht wieder haben. Das kann man machen, ohne auf den schuldrechtlichen Vertrag einzugehen. Dann würde aber auch aus diesem Grund das Rücktrittsrecht nicht dem Veräusserer gegeben, sondern dem Urheber als solchem. Das hat Schwierigkeiten202, das gebe ich zu, ist aber doch wohl das Konsequenteste. Wenn wir nun dem Urheber das Rücktrittsrecht geben – wir müssten eigentlich nicht vom Rücktritt sprechen, denn das ist ein schuldrechtlicher Ausdruck, sondern wir müssten von Rückruf sprechen […], so muss der Erwerber das Werknutzungsrecht verlieren“.
Damit war der Begriff des Rückrufsrechts geboren, welches sich allein auf die (quasi-)dingliche Ebene, d. h. das Nutzungsrecht auswirkte, den schuldrechtlichen Vertrag über die Nutzungsrechtseinräumung jedoch unberührt ließ. Letzterem wandte sich de Boor im Anschluss zu, indem er unterstrich, dass sich hier bereits aus den allgemein-schuldrechtlichen Vorschriften über die Unmöglichkeit alles Weitere ergäbe203. Dementsprechend sprach er sich auch gegen die Regelung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 aus, dessen Begründung er zwar für bestechend hielt, zugleich jedoch zu bedenken gab, dass ohnehin nur derjenige Urheber ein Nutzungsrecht zurückrufe, der eine andere Pubikationsperspektive habe. Dürfe dieser nun die Vergütung aus dem Erst201 de Boor in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 79 sowie in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 87. 202 Mit „Schwierigkeiten“ meinte de Boor aller Wahrscheinlichkeit nach Konstellationen wie diejenige, dass der Erwerber eines Nutzungsrechts, der selbst ein bedeutendes oder gar größeres Interesse an der Ausübung desselben hatte als der Urheber selbst, die Ausübung jedoch – etwa aufgrund finanzieller Engpässe – nicht selbst umsetzen konnte, dieses weiterübertrug, der Zweiterwerber jedoch anschließend die Ausübung unterließ. 203 de Boor in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 83 f.; ähnlich in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 87 f.
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vertrag behalten, bestünde die Gefahr einer doppelten Entlohnung, was wiederum zur Folge hätte, dass die Nutzungsrechtserwerber die Vergütungszahlung künftig von der tatsächlichen Veröffentlichung abhängig machen würden204. Die Leidtragenden wären auch hier die Urheber, die im Einzelfall lange auf ihre Entlohnung warten müssten bzw. schlimmstenfalls gar nichts erhielten. De Boor wies ferner darauf hin, dass eine Ausgestaltung des § 29 UrhG-E 1932 als Rückrufs- statt als Rücktrittsrecht den Vorteil habe, dass etwaige Schadensersatzansprüche des Urhebers erhalten blieben, zumal sich nach damaliger Rechtslage Rücktritt und Schadensersatz exklusiv gegenüberstanden205, der Rückruf also die diesbezügliche Wahlmöglichkeit des Urhebers erhalte und damit auch Sonderregelungen zum Verhältnis zwischen dem urhebervertragsrechtlichen Rücktritt und den Rücktrittsvorschriften des BGB überflüssig mache206. Abschließend wandte sich de Boor noch zwei weiteren Fragen zu: Zum einen mahnte er eine Abänderung der Formulierung des § 29 Abs. 1 UrhGE 1932 dahingehend an, dass das Rücktritts- bzw. Rückrufsrecht künftig nur noch bei überwiegendem Verschulden des Urhebers ausgeschlossen sein sollte, da sich irgendein „kleiner Fehler […] für den Juristen immer“ fände. Zum anderen sprach er sich vehement gegen die von MR Klauer hervorgehobene Möglichkeit aus, die Ausübung des Rücktrittsrechts temporär in beliebiger Dauer vertraglich ausschließen zu können. Damit laufe man Gefahr, § 29 völlig zu entwerten. Solle die Bestimmung für den Urheber wirklich wertvoll sein, so müsse man eine Obergrenze für den temporären vertrag lichen Ausschluss des Rücktritts- bzw. Rückrufsrechts festlegen. Das österreichische Vorbild, so de Boor, sehe hier eine dreijährige Frist vor – er selbst befürwortete etwas mehr: „5 Jahre werden wohl immer genügen“207. Eine Reihe der von de Boor vorgebrachten Punkte wurde von anderen Sitzungsteilnehmern umgehend aufgegriffen. Mit Dr. Tovote vom Verband Deutscher Erzähler ergriff zunächst ein Urhebervertreter das Wort. Tovote begrüßte die Unabdingbarkeit des Rücktrittsrechts und befürwortete die von de Boor vorgeschlagene Obergrenze für die Abbedingbarkeit von fünf Jahren. Auch hinsichtlich der Streichung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 schloss sich Tovote de Boor an, da mit dem Inkrafttreten des Gesetzes ohnehin jeder 204 de Boor in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 85 f. 205 Siehe dazu Leser, S. 138 ff. sowie Riewert, S. 13 ff. 206 So de Boor insbesondere der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 88; de Boor verwies insofern auch auf seine Vorschläge in ders., Wesen, S. 58 ff.; dazu unten, F. II. 4. lit. c) aa). 207 de Boor in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 87; zum Vorbildcharakter des § 20 öUrhG siehe bereits oben, F. II. 3.
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Verlag seine Verträge so gestalten würde, dass bei Aufhebung des Vertrages ggf. gezahlte Beträge zurückerhalten würde208. Ebenfalls in Übereinstimmung mit de Boor betonte der Sachverständige Schendell vom Schutzverband deutscher Schriftsteller die Notwendigkeit, das Rücktrittsrecht des § 29 nicht pauschal dem Veräußerer eines Werknutzungsrechts, sondern allein dem Urheber selbst einzuräumen. Zur Begründung führte er an, dass jedes literarische Werk nur eine begrenzte Wirkungsdauer habe und derjenige, der mit der Verwertung betraut sei, sich dieser zeitgeist- und zeitgeschmacksbedingten „Viralenz“ bewusst, ja ein „Liebhaber“ sein müsse, was jedoch beim „Kettenhandel“, bei dem ein Werknutzungsrecht durch eine Vielzahl von Hände gehe, regelmäßig nicht der Fall sei. In der Folge sei der Urheber dem Risiko ausgesetzt, im Falle der Nichtausübung am Ende lediglich eine unverkäufliche „Leiche“209 zurückzuerhalten. Mit ähnlicher Argumentation sprach sich Schendell gegen eine Streichung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 aus, da der Verleger, der seine Befugnis zu lange ungenutzt ließ, nicht das Recht haben solle, das gesamte Risiko und die Gefahr der Unverwertbarkeit auf den Urheber abzuwälzen. Bis dieser sein Recht zurückerhalte könne sich der Publikumsgeschmack so geändert haben, dass sein Werk kaum noch mehr sei als ein nutzloses „Gerippe“210, so dass es nur angemessen sei, dem Urheber zumindest das bereits erhaltene Honorar zu belassen. Auch hinsichtlich der möglichen temporären Ausschlussdauer trat Schendell de Boor bei, wandte sich jedoch ausdrücklich gegen Ausnahmevorschriften zugunsten der Filmindustrie, da das Geschäft mit Filmmanuskripten ohnehin nicht mehr lukrativ sei: Es könne nicht sein, dass Urheber oder Verleger für ein Filmmanuskript 500 Dollar erhielten, während „nachher in Hollywood 10.000, 20.000, 40.000 Dollar dafür gezahlt“ würden – lieber sollten die Produktionsfirmen „nicht so viel Werke kaufen, dafür die Filme wirklich drehen“211. 208 Tovote in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 92 f. 209 Schendell in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 93 f. 210 Schendell verwies insofern auf den um 1930 vorherrschenden, u. a. von Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ ausgelösten „Kriegsbuchboom“, von dem auch andere, bis dato in Deutschland mäßig erfolgreiche Werke wie der bereits 1927 veröffentlichte und 1930 in den USA verfilmte Roman Arnold Zweigs „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ profitierten, siehe Schendell in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 94; dazu Kaiser, S. 901. 211 Schendell in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 95; zum Verhältnis zwischen Autorenschaft und Filmindustrie um 1930 siehe Wittmann, R., S. 350.
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Schendell schloss mit einem Plädoyer für die Unabdingbarkeit des Rücktrittsrechts, welches als dispositives Recht nutzlos wäre. Die Indisponibilität sei vielmehr „eine kleine Peitsche“, welche dazu führen könne, dass sich Verleger oder Agenten tatsächlich um die Verwertung bemühten, so dass „die vielen Werte, die in diesen Werken und Rechten liegen“ schneller und besser verkauft würden. Dies nütze nicht zuletzt den Verlegern selbst, da insbesondere „das Verfilmungsrecht der deutschen Bücher […] ein wertvoller Exportartikel“212 sei. Für die künstlerischen und künstlerisch-technischen Theaterangestellten ergriff Dr. Schlesinger von der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger das Wort. Er forderte, den Ausschluss des Rücktrittsrechts bei Verantwortlichkeit des Veräußerers zu streichen, da dies so aussähe, als bevorzuge das Gesetz eine Partei. Überdies seien die Vorschriften des BGB in dieser Hinsicht absolut ausreichend213. Schließlich wandte sich Schlesinger mit einer Reihe von Beispielen gegen den Antrag, die Theaterbranche vom Anwendungsbereich des § 29 UrhG-E 1932 auszunehmen. Für die Beibehaltung des § 29 UrhG-E 1932 in seiner ursprünglichen Fassung plädierte allein der Generalsachverständige Rosenberger. Die Streichung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 führe letztlich zu einer Anwendung der allgemeinen Vorschriften über das Rückgewährschuldverhältnis, so dass man dem Urheber, der ein Jahre vor dem Rücktritt empfangenes Honorar in den seltensten Fällen thesauriert haben dürfte, letztlich mit der einen Hand nähme, was man ihm mit der anderen Hand gegeben hatte. Demnach musste eine grundsätzliche Herausgabepflicht im Ergebnis prohibitiv wirken214. Rigoros verwarf Rosenberger auch die Ausnahmewünsche der Film- und Theatervertreter. Der Agent wie auch der Produzent sei letztlich Kaufmann und als solcher müsse er wissen, was ein Nutzungsrecht wert sei. Dass er an der Ausübung gehindert sei, sei letztlich sein Betriebsrisiko215. Justus Koch, Interessenvertreter der bildenden Künstler, hielt die Masse der Wünsche der Verwerterseite für indiskutabel. Einzig denkbar war in seinen Augen die Einführung einer Klausel, wonach das Rücktrittsrecht ausge212 Schendell in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 97; man denke hier neben dem bereits erwähnten 1930 verfilmten „Sergeanten Grischa“ an die Verfilmung von Remarques „Im Westen nichts Neues“ von Lewis Milestone aus demselben Jahr. 213 Schlesinger verwies hier insbesondere auf die §§ 325 f. BGB 1900 (Schlesinger in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 101), zum Wortlaut der Vorschriften oben, E. I. 1. 214 Rosenberger in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 106 f. 215 Rosenberger in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 108 f.
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schlossen sein sollte, wenn die Ausübung aus Gründen unterblieb, welche der Nutzungsrechtsinhaber nicht zu vertreten hatte bzw. ihm die Ausübung aus ebensolchen Gründen unzumutbar war. Insbesondere verwies Koch da rauf, dass man sich den gesamten § 29 UrhG-E 1932 sparen könne, wenn man das Rücktrittsrecht auf beliebige Zeit vertraglich ausschließen könne. Einzig darüber, ob die Obergrenze eines vertraglichen Ausübungsverzichts bei drei oder fünf Jahren liegen solle, könne man diskutieren.216 Hinsichtlich der Frage der Rückerstattung des Honorars im Rücktrittsfall betonte Koch, dass die Dinge hier letztlich wie bei einer Option lägen: Der Erwerber eines Nutzungsrechts sei jahrelang in der Lage, das Recht auszunutzen. Tue er dies nicht, sei dies allein sein Problem – schließlich dürfe man auch nach dem Erwerb körperlicher Gegenstände nicht einfach die Rechtsbeziehung auflösen und das Geleistete gegen Rückgabe des Erhaltenen herausverlangen, wenn man für letzteres keine Verwendung (mehr) habe.217 Aufgrund dieser pointierten Parteinahme für das Rücktrittsrecht schickte der im Folgenden das Wort ergreifende Generalsachverständige Julius Kopsch218 vorweg, dass es „trotz Betonung der betreffenden [d. h. neutralen] Gesinnung keinem Generalsachverständigen möglich“ sei, sich gänzlich „von dem Interessenkreis, aus dem er kommt, zu trennen“. Indes galt dies für niemanden so sehr wie für Kopsch selbst, der für die Lindström AG und damit für den damals größten Schallplattenhersteller Europas tätig war219. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen forderte dieser nichts Geringeres als die ersatzlose Streichung des gesamten (!) § 29 UrhG-E 1932: Es gäbe, so Kopsch, keinen Grund, weshalb der Autor von der Verpflichtung befreit werden sollte, seine ureigensten Interessen vertraglich abzusichern. Insbesondere sähe er nicht, weshalb hinsichtlich des Rücktrittsrechts ein besonderes Schutzbedürfnis des Urhebers gegeben sein sollte. Einzig wenn man diesem jedwedes wirtschaftliche Verantwortungsgefühl abspräche sei es notwendig, ihm den Schutz des § 29 zu geben220. Nachdem damit alle beteiligten Interessentenkreise ihre Positionen dargelegt hatten, schlug MR Klauer vor, die umstrittene Passage des § 29 Abs. 1 UrhG-E 1932 wie folgt zu fassen: 216 Koch in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 109 f. 217 Koch in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 111. 218 Zur Person siehe Kawohl, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 173 ff. 219 Zeitlin in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 113. 220 Kopsch in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 113 f.
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„Macht der Erwerber von dem ihm übertragenen Recht keinen Gebrauch und werden berechtigte Interessen des Veräusserers dadurch wesentlich verletzt“221.
Damit sollte nicht nur den Vertretern der Film- und Kunstgewerbeindustrie entgegengekommen, sondern auch der eigentliche Sinn des Rücktrittsrechts, nämlich zu verhindern, dass der Urheber von seinem Publikum abgetrennt werde222, wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Sowohl CahnSpeyer als auch der Schriftstellervertreter und sozialdemokratische Politiker Max Cohen223 zeigten sich hiermit einverstanden224. Ebenso signalisierte Indus trievertreter Kilpper seine Zustimmung225, während der Vorsitzende Zeitlin zu bedenken gab, dass diese Formulierung zwar alle Unklarheiten beseitige, der Zusatz, dass der Rücktritt nur bei Verletzung berechtigter Veräußererinteressen zulässig sein solle, die Ausübung jedoch ungemein erschwere226. Emil Riedel, der Arbeitnehmervertreter der ständischen Betriebe, warf den Urhebervertretern indessen vor, die Interessen ihrer Klientel nicht hinreichend energisch zu vertreten, wenn sie die Streichung des Rücktrittsrechts wegen unzureichender Ausübung ohne weiteres hinnähmen. So lade die Beschränkung des § 29 Abs. 1 UrhG-E 1932 auf Fälle der gänzlichen Nichtausübung förmlich zum Rechtsmissbrauch ein, indem sie dem Nutzungsrechtsinhaber die Möglichkeit eröffne, einen drohenden Rücktritt durch eine völlig unzureichende Ausübung im letztmöglichen Zeitpunkt abzuwenden227. De Boor war sich dieses Problems bewusst, betonte jedoch, dass man in Fällen der unzureichenden Ausübung, die derart schwerwiegend waren, dass sie einer gänzlichen Nichtausübung gleichkamen, auf den Richter vertrauen müsse. Er hielt dies für sinnvoller, als die bisherige Formulierung des § 29 Abs. 1 UrhG-E 1932 beizubehalten und wies abermals darauf hin, dass ein zu ausgeprägter Urheberrechtsschutz potentielle Werk nutzer
221 Klauer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 78; offiziell als Änderungsantrag eingebracht durch Cohen, ebd., S. 97. 222 Klauer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 85, 112 f. 223 Auch Cohen-Reuß genannt; zur Person siehe das Biogramm bei Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1876– 1933 (BIOSOP), abrufbar unter http: / / zhsf.gesis.org / ParlamentarierPortal / biosop_ db / biosop_db.php?id=30070. 224 Cahn-Speyer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 79 f., Cohen ebd., S. 80 ff. 225 Kilpper in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 83 f. 226 Zeitlin in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 84. 227 Riedel in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 85 f.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
verschrecke und sich damit gegen die Urheber selbst kehren würde228. Dem traten auch die Sachverständigen Baum (Schallplattenindustrie), Cohen und Kilpper bei229. Cahn-Speyer bezweifelte hingegen, dass die Richter in der Lage sein würden, einem legislativen Willen zum Durchbruch zu verhelfen, den schon der Gesetzgeber nicht klar in Worte zu fassen vermochte.230 De Boor hatte für diese Problematik einen ebenso einleuchtenden wie naheliegenden Vorschlag parat: „Herr MR Klauer“ müsse „nur in die Begründung hineinschreiben“, dass Fälle der unzureichenden Ausübung, die faktisch einer Nichtausübung gleichkamen, auch rechtlich wie eine solche zu behandeln seien – und schon sei „alles in Ordnung“231. Hiermit gab sich Cahn-Speyer zufrieden232. Die entsprechende Änderung des § 29 Abs. 1 S. 1 UrhG-E 1932 wurde mit neun zu vier Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen.233 Die bildenden Künstler stellten ferner den Antrag, die zweijährige Ausschlussfrist des § 29 Abs. 1 S. 2 UrhG-E 1932 auf ein Jahr zu verkürzen. Man begründete dies damit, dass in § 29 ohnehin drei Fristen hintereinander gereiht würden, namentlich die zweijährige Ausschlussfrist, bis zu deren Ablauf der Rücktritt de iure ausgeschlossen war, die Frist, welche der Veräußerer anschließend dem Berechtigen zu setzen hatte und endlich den Zeitraum, den ersterer benötigte, um nach erfolgtem Rücktritt eine neue Verwertungsmöglichkeit zu finden234. Dies könne so viel Zeit in Anspruch nehmen, 228 de Boor in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 88 f.; bereits im Rahmen der 32. Sitzung hatte de Boor zum Ausdruck gebracht, dass er zwar Urheberinteressen vertrete, es aber gleichwohl „eine alte Erfahrung [sei], wenn ich dem Urheber rechtlich zu viel gebe, so rächt sich das an niemand anders [sic] als an dem Urheber“, siehe de Boor in der 32. Sitzung des vorl. RWR am 28.10.1932, BArch, R 3001 / 6565, G 32, S. 85. 229 Baum in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 89, 91; Cohen ebd., S. 90 f., 98; Kilpper, ebd., S. 92 (wobei dieser ausdrücklich auf de Boors Diktum der urheberschädigenden Wirkung „zu starken“ Urheberrechtsschutzes verwies). 230 Cahn-Speyer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 99 f. 231 de Boor in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 102; Entsprechendes hatte Kilpper bereits in einem Zwischenruf im Rahmen der Ausführungen Cohens vorgeschlagen, siehe Cohen in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 98. 232 Cahn-Speyer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 113. 233 Zeitlin in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 113 sowie Beschlüsse des Ausschusses zur wirtschaftlichen Förderung der geistigen Arbeit zum Entwurf eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken der Literatur, der Kunst und der Photographie“, BArch, R 3001 / 6564, Bl. 17 (dort S. 4).
II. Urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933349
dass Werke bzw. Nutzungsrechte – zumal in schnelllebigen Gewerbezweigen wie der Werbebranche – nutzlos würden, ehe der Urheber wieder darüber verfügen könne235. Die Äußerungen der übrigen Sachverständigen hierzu waren, sofern sie überhaupt Stellung bezogen, uneinheitlich236. In jedem Fall war mit MR Klauer die Regierungsseite von ihrer bisherigen Position abgerückt: Ausdrücklich sprach dieser sich nunmehr für eine zeitliche Obgrenze für die Möglichkeit des vertraglichen Ausschlusses des Rücktrittsrechts aus, ohne jedoch diesbezüglich konkrete Vorschläge zu unterbreiten237. Im Ergebnis wurde der Antrag der bildenen Künstler mit sieben zu sechs Stimmen ebenfalls angenommen. Überdies verabschiedete der Ausschuss eine Erklärung, welche die Notwendigkeit betonte, die Möglichkeit des vertraglichen Ausschlusses des Rücktrittsrechts zeitlich zu begrenzen238. Schließlich wurde § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 und damit die Frage diskutiert, ob der zurücktretende Urheber ein erhaltenes Honorar einbehalten dürfen solle. De Boor wies im Anschluss an seine früheren Ausführungen darauf hin, dass diese Vorschrift, sollte sie Gesetzeskraft erlangen, dazu führen würde, dass kein Nutzungsrechtserwerber mehr bereit wäre, Honorarvorschüsse zu zahlen. Ausgehend von der Überlegung, dass kein Urheber zurücktritt, der nicht eine andere Möglichkeit der Verwertung in Aussicht hat, schlug er stattdessen vor, dass der Urheber lediglich herausgabepflichtig sein sollte, wenn und soweit er noch bereichert war239. Die übrigen Sitzungsteilnehmer plädierten teils für die Beibehaltung des Absatzes, nachdem man 234 Hoene (Vertreter der bildenden Künste; zugleich Vertreter Zeitlins als Ausschussvorsitzender) in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 107 f. 235 Bosselt (Vertreter der bildenden Künste) in Ergänzung zu Hoenes Antrag in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 108. 236 So kam Cohen nicht umhin zu bemerken, dass es widersprüchlich sei, dass sich Vertreter des Kunstgewerbes zuvor möglichst lange Fristen ausgesprochen hätten (siehe die obigen Ausführungen Schuberts), jetzt aber eine möglichst kurze Rücktrittsfrist gewünscht werde; Cahn-Speyer verwies darauf, dass Schubert nur für einen „ganz bestimmten Kreis des Kunstgewerbes“ (namentlich das Kunstdruckgewerbe) gesprochen hatte (siehe Cohen in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 109 sowie Cahn-Speyer, ebd., S. 109 f.); Baecker äußerte sich zustimmend (Baecker in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 111). 237 Klauer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 111. 238 Zeitlin in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 113 sowie Beschlüsse des Ausschusses zur wirtschaftlichen Förderung der geistigen Arbeit zum Entwurf eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken der Literatur, der Kunst und der Photographie“, BArch, R 3001 / 6564, Bl. 17 (dort S. 4). 239 de Boor in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 114.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
durch die Änderungen in Abs. 1 das Rücktrittsrecht ohnehin schon „mit so viel Stacheldraht versehen“240 habe, teils forderten sie seine ersatzlose Streichung und wollten auch hier alles Weitere in die Hand der Gerichte legen241. Mitunter warf man de Boor auch vor, die „Psychologie des Künstlers“ zu verkennen, indem er davon ausgehe, dass dieser nur zurücktrete, wenn er eine alternative Verwertungsmöglichkeit gefunden habe242. Gleichwohl wurde auch dieser Antrag de Boors – wenngleich auch nur mit neun zu sieben Stimmen – angenommen und die Reichsregierung ersucht, § 29 Abs. 3 so zu formulieren, dass eine Rückerstattung nur im Fall und in Höhe der ungerechtfertigten Bereicherung stattfinde243. Die Anträge der Film- und Theatervertreter auf Ausnahmevorschriften wurden mit der beschlossenen Abänderung des § 29 Abs. 1 als erledigt betrachtet244, während § 29 Abs. 2, 5 und 6 UrhG-E überhaupt nicht diskutiert wurden. Auch die Frage, ob der Begriff des „Veräußerers“ künftig durch den des „Urhebers“ ersetzt werden sollte, wurde nicht weiter thematisiert. Die Beratungen des vorläufigen RWR endeten nur wenige Tage später, am 13. März 1933. Ihre Ergebnisse wurden am 27. April an das RJM übersandt245. b) Das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung in den Stellungnahmen der Interessenverbände Die Interessenverbände gaben zu weiten Teilen eigene Denkschriften he raus, in denen das Rücktrittsrecht des § 29 UrhG-E 1932 mitunter starker Kritik ausgesetzt war, zum Teil aber auch ausdrücklich begrüßt wurde. So lehnte die SPIO, deren Gutachten von Walther Plugge verfasst worden war, das Rücktrittsrecht wenig überraschend ab bzw. forderte zumindest eine Ausnahme zugunsten ihrer Branche. Kritisiert wurde auch hier der infolge der 240 So Baecker in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 114. 241 So Kilpper in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 114 f. sowie Cohen, ebd., S. 115. 242 So Cahn-Speyer in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 116 f. 243 Cohen in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 118; Beschlüsse des Ausschusses zur wirtschaftlichen Förderung der geistigen Arbeit zum Entwurf eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken der Literatur, der Kunst und der Photographie“, BArch, R 3001 / 6564, Bl. 17 (dort S. 4). 244 Demuth und Zeitlin in der 43. Sitzung des vorl. RWR am 09.03.1933, BArch, R 3001 / 6565, G 43, S. 118. 245 Siehe das entsprechende, an MR Klauer adressierte Schreiben vom 27.04.1933 in BArch, R 3001 / 6564, Bl. 16.
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hohen Herstellungskosten von Filmproduktionen mit § 29 faktisch einhergehende Verfilmungzwang, die unklare inhaltliche Ausgestaltung, aus der nicht hervorgehe, ob und in welchem Umfang die Zweijahresfrist des § 29 Abs. 1 S. 2 UrhG-E 1932 vertraglich ausgedehnt werden könne, sowie die Vergütungsregelung des § 29 Abs. 3, welche zu unbilligen Ergebnissen führe, wenn bereits Dritte zur Mitwirkung an einem Filmprojekt engagiert worden seien246. Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft bemängelte in ihrer Denkschrift zum einen die systematisch-terminologische Unschärfe des Entwurfs, der vom „Rücktritt“ spreche, obgleich es sich tatsächlich um eine einseitige Auflösung des Verfügungsgeschäfts handelte, zum anderen gab sie zu bedenken, dass sich infolge des Rücktritts Schwebezustände und damit Rechtsunsicherheiten in Übertragungsketten ergeben könnten (konkret bezog man sich hier auf das Verhältnis Urheber-Verwertungsgesellschaft-Rundfunk anstalt)247. Der Verband deutscher Offset- und Steindruckereibesitzer wies, entsprechend der Äußerungen des Vertreters des Kunstdruckgewerbes im vorläufigen RWR, auf die Besonderheiten bei lediglich für gewerbliche Zwecke hergestellten Werken hin. Insofern hegte man hinsichtlich § 29 UrhG-E 1932 „schwerste Bedenken“248. So würden derlei Entwürfe regelmäßig von Angestellten der Druckunternehmen erarbeitet, welche ihre Nutzungsrechte auf ihre Arbeitgeber übertrügen. Diese wiederum böten dem Endkunden eine Vielzahl solcher Entwürfe an, wobei dieser einen konkreten Entwurf für sein Produkt auswähle, die übrigen Entwürfe mithin nicht zur Ausübung kämen.249 Bei derartigen Gebrauchsgrafiken erfolge die Übertragung somit nicht zur unmittelbaren Veröffentlichung, so dass ihr Zweck nach dem übereinstimmenden Willen von Unternehmer und Urheber auch schon dann e rfüllt sei, wenn es niemals zu einer Verwertung kam. Aus diesem Grund schlug der Verband eine Neufassung des § 29 Abs. 4 UrhG-E vor, wonach das Rück246 SPIO, S. 6 f.; die Denkschrift ist auch enthalten in BArch, R 3001 / 6562, Bl. 56b. 247 Denkschrift der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft vom 23.11.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 86 (dort S. 18 f.); konkret war hier vom „Musikschutzverband“ die Rede, in dem die seit 1915 bestehende deutsche Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte (GEMA) und die österreichische Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM) zusammengeschlossen waren, siehe dazu Schulze, Urheberrecht, S. 46 ff. 248 Denkschrift des Verbandes deutscher Offset- und Steindruckereibesitzer (ohne Datum), BArch, R 3001 / 6562, Bl. 85 (dort S. 4). 249 Denkschrift des Verbandes deutscher Offset- und Steindruckereibesitzer (ohne Datum), BArch, R 3001 / 6562, Bl. 85 (dort S. 1 f.); siehe dazu auch die diesbezüglichen Ausführungen Schuberts und Demuths im vorl. RWR – oben, F. II. 4 lit. a) bb).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
trittsrecht abdingbar sein sollte, wenn „die Veröffentlichung nach Art und Zweck des Werkes nicht allein vom Berechtigten abhängig ist“250. Der Verein Deutscher Zeitungsverleger und Reichsverband der Deutschen Presse wandte sich gegen die Vergütungsregelung des § 29 Abs. 3 UrhGE 1932 und betonte, dass man nicht erkennen könnte, weshalb für den Urheber eine über die allgemeinen Rücktrittsvorschriften des BGB hinausgehende Schutzbestimmung vonnöten sein sollte251. Der Deutsche Musikalien-Verleger-Verein (DMVV) forderte in seiner Eingabe vom 18. Dezember 1932 mit Verweis auf die Besonderheiten der Musikbranche ebenfalls die Streichung des Rücktrittsrechts wegen unzureichender Ausübung. Auch von dieser Seite befürchtete man ausufernde Rechtsstreitigkeiten über den Begriff des „unzureichenden Gebrauchs“. So würden im Bereich der Tonkunst regelmäßig Werke geschaffen, die häufig erst spät, vielfach aber überhaupt nicht zur Ausführung gelangten. Hierzu stünden Erwartungen der Urheber, die nicht selten ohne Rücksicht auf wirtschaftlichen Sinn übertriebene Anforderungen an die Vertriebs- und Werbetätigkeit der Verleger stellten, in krassem Gegensatz.252 Dieses Risiko würde durch den Umstand, dass die im Zweifel entscheidenden Gerichte über die Branchenverhältnisse regelmäßig kaum im Bilde seien, zusätzlich erhöht. Wollte man § 29 UrhG-E 1932 unverändert beibehalten, so müsse zur Klärung derartiger Fragen zumindest eine Instanz mit entsprechender Fachexpertise – etwa in Form eines ständigen Schiedsgerichts – geschaffen werden253. Daneben forderte der DMVV eine Ergänzung der Vergütungsregelung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 dahingehend, dass dem Musikalienverleger im Rücktrittsfall zumindest diejenigen Aufwendungen zu ersetzen seien, welche die Einnahmen aus dem Werk überstiegen und ggf. auch ein bereits gezahltes Honorar zurückzuerstatten sei254. Diesen Änderungswunsch, der faktisch eine Verkehrung der Vorschrift ins Gegenteil zur Folge gehabt hätte und im Ergebnis dem Vorschlag de Boors entsprach, begründete man damit, dass der Urheber, zumal bei Werken der Tonkunst, deren (bühnenmäßige) Verwertung bedeutende finanzielle Aufwendungen erforderte, nur dann zurückträte, wenn er 250 Denkschrift des Verbandes deutscher Offset- und Steindruckereibesitzer (ohne Datum), BArch, R 3001 / 6562, Bl. 85 (dort S. 4 f.). 251 BArch, R 3001 / 6562, Bl. 70b (dort S. 3 f.); es handelte sich hierbei lediglich um eine Vorarbeit zur endgültigen Stellungnahme, welche dem RJM am 16.12.1932 vorab zugesandt wurde. Die endgültige Fassung glich ihr jedoch in diesem Punkt. 252 Abänderungswünsche des DMVV vom 18.12.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 104 (dort S. 6 f.). 253 Abänderungswünsche des DMVV vom 18.12.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 104 (dort S. 10 f.). 254 Abänderungswünsche des DMVV vom 18.12.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 104 (dort S. 6).
II. Urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933353
eine andere Verwertungsmöglichkeit in Aussicht habe. Insofern gehe das von der Gesetzesbegründung für § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 ins Feld geführte Motiv der besonderen Schutzwürdigkeit des zurücktretenden Urhebers als wirtschaftlich schwächerem Teil fehl.255 Den Ausführungen des DMVV schloss sich der Börsenverein der Deutschen Buchhändler im Januar 1933 nahezu vorbehaltlos an: Auch hier wurde eine Streichung der Rücktrittsmöglichkeit bei lediglich unzureichender Ausübung als unüberschaubarer Quell von Rechtsstreitigkeiten und Einfallstor für unlautere Konkurrenzmanöver angeregt. Mindestens sei daher eine Zurückführung der Vorschrift auf den Vorschlag des „Grünen Vereins“ erforderlich256. Insofern forderte der Börsenverein eine gänzliche Umkehr des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 folgenden Wortlauts: „Eine bereits empfangene Vergütung ist vom Veräusserer im Fall des Rücktritts zurückzuerstatten“.
Zur Begründung hieß es hier, dass der Zurücktretende durch den Rücktritt in die Lage versetzt werde, das Nutzungsrecht neu verwerten zu können und eine zweimalige Entlohnung dementsprechend nicht gerechtfertigt sei257. Der Verband deutscher Orchester- und Chorleiter hingegen begrüßte das Rücktrittsrecht, was insofern wenig überrascht, als die Denkschrift vom 25. August 1932 von Rudolf Cahn-Speyer verfasst wurde, der sich wenig später auch als Generalsachverständiger im Rahmen der Beratungen im vorläufigen RWR für das Rücktrittsrecht einsetzen sollte258. Konkret hieß es darin, dass der Künstler durch die Nichtausübung eines Werknutzungsrechts in seiner Berufstätigkeit „völlig lahmgelegt“ werden könne und er bisher allenfalls den „sehr unsicheren Versuch“ unternehmen konnte, „Abhilfe durch Heranziehung von Rechtskonstruktionen anzustreben, die in der Judikatur nicht genügend geklärt“ waren. Durch die Einführung des Rücktrittsrechts würde seine Lage demnach wesentlich verbessert259. Daneben forderte man eine entsprechende Befugnis auch für ausübende Künstler260. 255 Abänderungswünsche des DMVV vom 18.12.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 104 (dort S. 9 f.); zu § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 siehe oben, F. II. 3. 256 „Begründete Wünsche“ des Börsenvereins der Deutschen Buchhänder vom 10.01.1933, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 105 (dort S. 8). 257 „Begründete Wünsche“ des Börsenvereins der Deutschen Buchhänder vom 10.01.1933, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 105 (dort S. 9). 258 Siehe oben, F. II. 4. lit. a) bb). 259 Denkschrift des Verbandes deutscher Orchester- und Chorleiter vom 25.08.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 12 (dort S. 15 f.). 260 Als „ausübender“ oder auch „reproduzierender“, „wiedergebender“ oder „nach schaffender“ Künstler wurde bezeichnet, wer „berufsmäßig die künstlerische Wiedergabe eines fremden Werkes der Literatur oder Tonkunst allein oder zusammen mit anderen in der dem Werk wesengerechten Darstellung wiedergab oder eine solche
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Einzelne Interessenverbände erhielten zudem die Möglichkeit, ihre Bedenken im Rahmen von Besprechungen dem RJM direkt vorzutragen. So bekräftigten Vertreter der Filmindustrie und der Lichtspieltheaterbesitzer in einer Nachbesprechung nochmals ihre Forderung nach einer Ausnahme von § 29 UrhG-E 1932 zugunsten ihrer Branche; insbesondere müsse die Möglichkeit gewährleistet sein, dass Produktionsfirmen Manuskripte auf Vorrat kaufen könnten, ohne einem Verfilmungszwang unterworfen zu sein261. c) Bewertung in der Jurisprudenz Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde der Entwurf ausführlich erörtert, wobei das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung als Instrument zum Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts grundsätzlich begrüßt wurde, während die geäußerte Kritik – nicht zuletzt aufgrund personeller Überschneidungen – im Wesentlichen jene Punkte betraf, die auch im vorläufigen RWR angesprochen wurden. Die Stellungnahmen der Jurisprudenz wurden im RJM aufmerksam verfolgt, was sich u. a. daran zeigt, dass MR Klauer de Boor sogar ausdrücklich für die Zusendung eines Vorabexemplars seiner Ausführungen zum Entwurf [aa)] dankte und sich in den Akten mitunter Zusammenfassungen von Beiträgen aus einschlägigen Publikationsorganen [bb)] finden262. aa) de Boors „Vom Wesen des Urheberrechts“ Hans Otto de Boor widmete dem Entwurf eine 136 Seiten starke Monographie, in der er sich auf zehn Seiten mit dem Rücktrittsrecht des Urhebers auseinandersetzte und eigene Formulierungsvorschläge unterbreitete263. Die 1933 erschienene Schrift „Vom Wesen des Urheberrechts“ entstand parallel zu den Beratungen im vorläufigen RWR, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass de Boor darin eine Reihe von Vorschlägen und Argumenten, welche er bereits im Rahmen der dortigen Besprechungen vorgebracht hatte, wortgleich Wiedergabe leitete oder einrichtete“, siehe Vogt, S. 292, der auf S. 292–300 zugleich einen umfassenden Überblick über die damals gleichermaßen strittige Frage des Rechtsschutzes des ausübenden Künstlers, d. h. einer Person, die lediglich eine originäre Schöpfung eines anderen wiedergab, liefert. Kern der Debatte war, ob dieser Schutz urheberrechtlicher Natur oder bloßer Leistungsschutz sein sollte. 261 Siehe die Zusammenfassung der Besprechung in BArch, R 3001 / 6562, Bl. 56 (dort S. 3). 262 Siehe das Dankschreiben Klauers an de Boor vom 08.12.1932 in BArch, R 3001 / 6562, Bl. 59 sowie etwa die Zusammenfassung des Beitrags von Englänger (GRUR 1932, S. 916 ff.) in BArch, R 3001 / 6562, Bl. 17. 263 de Boor, Wesen, S. 58–68.
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wiederholte. Dennoch ist eine Betrachtung dieser Ausführungen lohnenswert, da sie nicht nur die Äußerungen de Boors im vorläufigen RWR nachhaltig erhellen, sondern auch eigene Formulierungsvorschläge enthielten, welche MR Klauer in seinem besagten Schreiben an de Boor als „für die Umarbeitung des Entwurfs sehr beachtenswert“264 bezeichnete. De Boor ging dabei vom Veröffentlichungs- und Verbreitungsrecht des Urhebers als teilweise persönlichkeitsrechtlich geprägter Befugnis aus: Werde dieses nicht ausgeübt, so sei es nur angemessen, dem Urheber die Rückforderung zu gestatten, was überdies auch logische Konsequenz des Umstandes sei, dass selbiger „den Werknutzungsrechten auch nach ihrer Übertragung unlösbar verbunden“ bleibe265. Vor diesem Hintergrund sei es auch bedenklich, dass § 29 UrhG-E 1932 das Rücktrittsrecht jedem Veräußerer eines ausschließlichen Werknutzungsrechts, d. h. auch dem bloßen Agenten oder Zwischenhändler, zusprach. Berechtigt, so de Boor, sollte hier einzig der Ur heber sein266. Daneben präzisierte er seine dogmatischen Bedenken hinsichtlich der Terminologie des Entwurfs, aus der nicht klar hervorgehe, ob § 29 UrhG-E 1932 auf die schuldrechtliche oder die dingliche Ebene der Urheber- bzw. Veräußerer-Erwerber-Beziehung zielte267. De Boor vertrat insofern den Standpunkt, dass sowohl die Einheitlichkeit grundlegender Implikationen des deutschen Zivilrechts (Trennungs- und Abstraktionsprinzip) als auch die (Rechts-)Einfachkeit und Klarheit sowie die besondere Eigenart des Urheberrechts für eine Lösung auf dinglicher Ebene sprächen268: So ergäbe sich bei einer Lösung auf schuldrechtlicher Ebene das Problem, dass der Urheber im Falle eines nichtigen oder angefochtenen Vertrages nicht zurücktreten und somit kein Rückgewährschuldverhältnis herbeiführen, sondern lediglich auf bereicherungsrechtliche Ansprüche zurückgreifen könne. Die Lösung durch ein direkt an das nichtausgeübte, quasi-dingliche Nutzungsrecht anknüpfende Rückrufsrecht hingegen lasse sämtliche schuldrechtlichen Fragen und Probleme außen vor. Daneben entspräche sie als aus der 264 Dankschreiben Klauers an de Boor vom 08.12.1932 in BArch, R 3001 / 6562, Bl. 59 r.; Klauer lud de Boor darin sogar zu einer privaten Unterredung mit sich und seinem österreichischen Pedant, MR Lißbauer, ins Reichsjustizministerium ein. 265 de Boor, Wesen, S. 58. 266 de Boor, Wesen, S. 59; Entsprechendes hatte de Boor, wenn auch mit weniger eindeutiger Begründung, im Rahmen der Besprechungen des vorläufigen RWR geäußert – siehe oben, F. II. 4. lit. a) bb). 267 de Boor, Wesen, S. 59, der den u. a vom Urheberrechtsausschusses des „Grünen Vereins“ gebrauchten Begriff des „Rückforderungsrechts“ insofern als „kor rekte[re] Formulierung“ bezeichnete – dazu oben, F. II. 2. lit. c). 268 de Boor, Wesen, S. 62 ff.
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besonderen Interessenlage des Urheberrechts entwickelter Ansatz besser dem Charakter dieses Rechtsgebiets, zumal insbesondere das Veröffentlichungsund Verbreitungsrecht kein ausschließlich eigennütziges Recht sei, mit welchem der Erwerber – gleich dem Erwerber eines beliebigen körperlichen Objekts – nach Belieben verfahren könne269. Vielmehr sei ihm dieses Recht „zugleich im Interesse des Urhebers selbst gegeben, der […] das Werk durch solche Übertragungen an die Öffentlichkeit bringen“270 wolle. Um dies auch terminologisch hervorzustellen, sei der Begriff des „Rücktritts“ zu vermeiden und stattdessen von einem Rückrufsrecht zu sprechen271. Konkret schlug de Boor eine Neufassung des § 29 UrhG-E 1932 folgenden Wortlautes vor, welche alle von ihm bereits im vorläufigen RWR angeratenen Änderungen enthielt: „I. Macht der Erwerber eines Werknutzungs- oder eines Bearbeitungsrechts von dem Rechte keinen oder einen so unzureichenden Gebrauch, daß wesentliche Interessen verletzt werden, so kann ihm dieser zur Nachholung eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, daß er nach Ablauf der Frist das Recht zurückrufen werde. Ist die Frist ergebnislos verstrichen, so ist der Rückruf zulässig. Die Bestimmung der Nachfrist ist, wenn sich nicht aus dem Zweck der Übertragung eine kürzere Frist ergibt, nach 2 Jahren vom Vertragsschluß oder, falls diese später erfolgt ist, von der Ablieferung an, im Falle anderweitiger Fristvereinbarung aber spätestens nach fünf Jahren zulässig. II. Die Befugnis zur Fristsetzung und zum Rückruf tritt nicht ein, wenn die ungenügende Rechtsausnutzung überwiegend durch Verschulden des Urhebers verursacht ist. III. Der Gewährung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Werknutzungsrechts dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Bestimmung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Veräußerers gefährdet würden. I. Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. II. Die vorstehenden Vorschriften gelten auch dann entsprechend, wenn der Verleger die Herausgabe einer Neuauflage, zu der er berechtigt ist, oder der Erwerber eines anderen Werknutzungsrechts die weitere Verwertung binnen der im Abs. 1 bezeichneten Frist unterläßt. Diese Frist beginnt für die Herausgabe einer Neuauflage mit dem Zeitpunkt, in dem die frühere Auflage vergriffen ist, sonst mit der zuletzt vorgenommenen Verwertung“272.
Hinsichtlich des Urheberpersönlichkeitsrechts und dessen Umwandlung in ein „Verbietungsrecht“ decken sich die Ausführungen nahezu vollständig mit 269 de Boor,
Wesen, Wesen, 271 de Boor, Wesen, 272 de Boor, Wesen, 270 de Boor,
S. 65. S. 61, 67 f. S. 65. S. 105 ff.
II. Urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933357
den Äußerungen de Boors im vorläufigen RWR, so dass diesbezüglich nach oben verwiesen werden kann273. bb) Die Beiträge Engländers, Möhrings, Koehnes, Elsters und Hoffmanns Auch der Leipziger Ordinarius Karl Engländer kritisierte die terminologische Unschärfe des § 29 Abs. 1 UrhG-E 1932, der seiner Ansicht nach nicht klar genug zum Ausdruck brachte, ob sich der Rücktritt auf das Verpflichtungs- oder das Verfügungsgeschäft beziehe274. Möhring sah im Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung, welches in seinen Augen besser als „Heimfallsrecht“ bezeichnet werden sollte, eine wesentliche Stütze des Urheberpersönlichkeitsrechts275, verwies jedoch zugleich auf praktische Anwendungsschwierigekeiten in der Filmbranche sowie im Verlagswesen. Da es bei Filmproduktionen kaum möglich sei, hinsichtlich des Veröffentlichungszeitpunktes exakte Zusagen zu machen, müssten diese – wie bereits mehrfach gefordert – vom Anwendungsbereich des Rücktrittsrechts ausgenommen werden. Im Verlagswesen könne hingegen die Frage der Veranstaltung einer Neuauflage häufig erst nach längerer Zeit entschieden werden, wobei insbesondere bei wissenschaftlichen Werken auch die Mitwirkung des Urhebers erforderlich sei276. Allgemein dürfe man nicht ausschließlich die Belange des Urhebers berücksichtigen: So müsse für den Fall, dass der Werknutzungsberechtigte die Nichtausübung nicht zu vertreten hatte, mindestens der Rückerstattungsanspruch aus § 29 Abs. 3 UrhGE 1932 entfallen. Schließlich dürfe das Rücktritts- bzw. Heimfallsrecht aufgrund seines persönlichkeitsrechtlichen Charakters ausschließlich dem Urheber selbst, nicht aber jedem Veräußerer von Werknutzungsrechten zustehen277. Kritisch äußerte sich Möhring auch zur Einordnung des Veröffentlichungsrechts (§ 13 UrhG-E 1932) als einfaches und damit grundsätzlich übertragbares Nutzungsrecht. Das Erstveröffentlichungsrecht habe stets auch urheberpersönlichkeitsrechtlichen Charakter – könne dieses frei übertragen werden, müsse der Urheber damit rechnen, dass ein Werk, zu dem er aus irgendwelchen Gründen nicht mehr stehen könne, auch gegen seinen Willen publiziert werde. Indes habe „schon das alte Verlagsgesetz“ anerkannt, dass der Autor in diesem Fall die Möglichkeit haben müsse, die Verde Boor, Wesen, S. 36 ff., 88 ff. bzw. oben, F. II. 4. lit. a) aa). GRUR 1932, S. 920. 275 Möhring, UFITA 5 (1932), S. 468. 276 Möhring, UFITA 5 (1932), S. 469. 277 Möhring, UFITA 5 (1932), S. 470. 273 Siehe
274 Engländer,
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
öffentlichung zu verhindern.278 Möhring forderte damit nichts anderes als die Aufnahme eines § 35 VerlG entsprechenden Instituts in das neue Urheberrechtsgesetz. Der Landrichter Fritz Koehne widmete sich in einem Beitrag den besonderen Bestimmungen des Entwurfs für Filmwerke. Nachdem sich die Vertreter der Filmindustrie vehement gegen den vermeintlich aus § 29 UrhG-E 1932 resultierenden Verfilmungszwang gewehrt hatten, erblickte Koehne in der Vorschrift, welcher er eine Anlehnung an die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte attestierte, eine beidseitig interessengerechte Regelung. Entgegen den bisher geäußerten Positionen betonte er, dass § 29 UrhG-E 1932 den Filmunternehmer gerade nicht zur Verfilmung zwänge, sondern dessen Risiko allein auf den Verlust der für das Manuskript gezahlten Vergütung beschränke. Andererseits werde dem Urheber auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, das Werk im Fall der Nichtausübung anderweitig zur Ausführung zu bringen. Koehe verwies insofern auf die Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1923, worin einerseits ein Verfilmungszwang abgelehnt, andererseits jedoch die Möglichkeit eines „Anspruchs auf Rückgabe“279 offengelassen wurde.280 Zum Verhältnis zwischen den Vorschriften des Verlagsgesetzes und dem Urheberrechtsgesetzentwurf äußerte sich auch Alexander Elster. Der Verlegervertreter mutmaßte, dass die Einführung des § 29 UrhG-E 1932 vorrangig durch Missstände im Filmrechtsverkehr motiviert sei, wo übertragene Nutzungsrechte häufig nicht zur Ausführug kämen. Er verwies insofern ebenfalls auf die einen Verfilmungszwang verneinende Entscheidung des Reichsgerichts. Auch Elster ordnete das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung als Instrument zur Sicherung der Wirkungsmöglichkeit des Werkes und damit als das Urheberpersönlichkeitsrecht schützende Regelung ein, die „skrupellose Saboteure der Geisteswerke“ in ihre Schranken verweise. Trotz dieser grundsätzlichen Berechtigung sei § 29 UrhG-E 1932 jedoch in einer Weise ausgestaltet, welche insbesondere für den Bereich des Verlagsrechts schwerste Gefahren mit sich brächte. Abgesehen von dem Widerspruch zwischen der persönlichkeitsrechtlichen Begründung der Vorschrift und dem Umstand, dass das Rücktrittsrecht nicht nur dem Urheber, sondern jedem Veräußerer eines Werknutzungsrechts zustehen sollte, kritisierte auch Elster die Vieldeutigkeit der Rücktrittsvoraussetzungen des „unzureichenden Gebrauchs“ und der Notwendigkeit der hierdurch „wesentlich“ beeinträchtigten „berechtigten Interessen“ des Veräußerers. Überdies verwies er für diesen 278 Möhring,
UFITA 5 (1932), S. 465. besagten Entscheidung des RG (RGZ 107, 62) siehe oben, F. I. 2. lit. b). 280 Koehne, UFITA 5 (1932), S. 482 f.; ähnlich bereits ders., UFITA 4 (1931), S. 506 f. 279 Zur
II. Urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933359
Fall auf Rückabwicklungsschwierigkeiten, wenn erhebliche Teile des Übertragungsvertrags ordnungsgemäß erfüllt worden seien und der Urheber – etwa infolge von Streitigkeiten um eine Neuauflage – aus lediglich materiellen Erwägungen oder bloßen Prestigegründen zurückträte281. Schließlich lasse der Entwurf den Umstand außer Acht, dass wirtschaftliche oder konjunkturelle Schwierigkeiten282 den Erwerber eines Werknutzungsrechts trotz besten Willens an der rechtzeitigen Ausübung hindern könnten. Im Falle des Inkrafttretens des § 29 Abs. 5 und 6 UrhG-E 1932 würden Verleger daher künftig zurückhaltender mit Vorschusszahlungen und Voraushonorierungen sowie mit der Eingehung bindender Vervielfältigungs- und Verbreitungspflichten sein283. Willy Hoffmann sah in § 29 UrhG-E 1932 schließlich eine „Fortbildung des Treuegedankens, von dem die bisher einzig und allein vom Gesetzgeber geregelte Verwertungsart von Urheberrechtsgut, der Verlagsvertrag beherrscht“ werde und betonte, dass der Entwurf damit zurecht von dem Gedanken ausgehe, dass es dem Urheber, der ein ausschließliches Nutzungsrecht auf einen anderen übertrage, weniger darauf ankäme, „vermögensrechtliche Vorteile dadurch zu erwerben, als daß diese seine Schöpfung der Allgemeinheit bekannt gemacht werde“. Daher solle der durch den Rücktritt „ausgelöste Rückfall dem Urheber es ermöglichen, das Werk durch einen anderen der Allgemeinheit bekannt zu machen“284. d) Die Bewertung des Reichsgerichts Ausgehend von der Wertung, dass das Veröffentlichungsrecht des § 13 Abs. 1 UrhG-E 1932 „eins und doppelt“ sei, d. h. „zum Urheberpersönlichkeitsrechte [gehöre], […] aber dennoch als Werknutzungsrecht übertragen werden“285 könne, nahm der I. Zivilsenat des RG im Rahmen seiner Begutachtung des Gesetzentwurfs, welche dem RJM im Juni 1932 zuging286, auch zu § 29 UrhG-E 1932 Stellung287. Nach einer knappen Zusammenfassung 281 Elster,
UFITA 5 (1932), S. 514 f. sei hier nochmals daran erinnert, dass sich zum Zeitpunkt der Abfassung des Beitrags die Weltwirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt befand. 283 Elster, UFITA 5 (1932), S. 515. 284 Hoffmann, UFITA 5 (1932), S. 448 f. 285 Stellungnahme des RG vom 22.05.1933, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 124 (dort S. 32 sowie S. 36 f.). 286 Siehe das dem Gutachten beigefügte Anschreiben des Reichsgerichtspräsidenten an den Reichsjustizminister von diesem Datum, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 122. 287 Ausführlich zum Gutachten des RG sowie zur Besetzung des genannten Senats Vogt, S. 143 ff. Vogt datiert die Stellungnahme des Gerichts jedoch fälschlicherweise auf das Jahr 1932. 282 Es
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
der Vorschrift und der dahinterstehenden Motive („Schutz des Werkes gegen rechtsgüterverletzende Unterdrückung, die durch Nichtausübung eines übertragenen (oder vom ersten Erwerber weiterübertragenen) Werknutzungs rechts“288) erfolgte eine „Bewertung“, die im Wesentlichen die Schriften Elsters, Möhrings und de Boors respektive die Stellungnahmen der SPIO und der Offset- und Steindruckerei-Verbände zusammenfasste289. Im Ergebnis beschränkten sich die Leipziger Richter auf die Empfehlung, den § 29 auf die gegen ihn erhobenen Bedenken hin nochmals zu prüfen. Insbesondere sollte geklärt werden, ob die Vorschrift im Filmbereich anwendbar sein oder diesbezüglich beschränkt werden sollte290. Im Gesamten hielt man den Entwurf jedoch für gelungen. e) Stellungnahmen sonstiger staatlicher Stellen und der Länder Neben dem Reichsgericht äußerten sich weitere staatliche Stellen zu dem Entwurf. So monierte auch die Preußische Akademie der Wissenschaften, dass nicht hinreichend klar hervorträte, ob sich § 29 UrhG-E 1932 auf den vermögens- oder den persönlichkeitsrechtlichen Aspekt des Urheberrechts beziehe291. Das Reichspostministerium forderte ebenfalls die Streichung der Rücktrittsmöglichkeit bei unzureichender Ausübung, sprach sich jedoch stattdessen für den Lösungsvorschlag des „Grünen Vereins“ aus292. Seitens der Länder nahmen Braunschweig, Thüringen, Württemberg und Hessen zu dem Entwurf Stellung. Während man sich auch hier mit der Vorlage im Gesamten weitestgehend einverstanden erklärte, war das Rücktrittsrecht des § 29 UrhG-E 1932 Gegenstand vielfältiger Kritik293: Als Erstes äußerte sich Braunschweig im September 1932 zu dem Entwurf. Konkret hatte das dortige Justizministerium den „auf diesem Gebiete 288 Stellungnahme des RG vom 22.05.1933, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 124 (dort S. 77). 289 Konkret verwies die Stellungnahme des RG vom 22.05.1933, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 124 (dort S. 78 f.) auf Elster, UFITA 5 (1932), S. 514; de Boor, S. 58–68 und 105–108; Möhring, UFITA 5 (1932), S. 469; SPIO, S. 6–7; auf die Eingabe der Offset- und Steindruckereivertreter – oben, F. II. 4. lit. b) – wurde ohne konkrete Seitenangabe verwiesen. 290 Stellungnahme des RG vom 22.05.1933, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 124 (dort S. 79). 291 Bemerkungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften vom 31.10.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 74 (dort S. 7). 292 Stellungnahme des Reichspostministeriums vom 02.12.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 93. 293 Dazu ausführlich Vogt, S. 152 f.
II. Urheberrechtliche Entwicklung zwischen 1918 und 1933361
besonders sachkundige[n]“294 Rechtsanwalt Heyser ein Gutachten abfassen lassen, welches man direkt an das RJM weiterleitete. Darin vertrat Heyser, der aus seiner Mitgliedschaft in der Urheberrechtskommission des Reichsverbands bildender Künstler Deutschlands keinen Hehl machte295, mit Blick auf § 29 UrhG-E 1932 eine ausgesprochen urheberfreundliche Position. So forderte er nicht nur, das Wort „wesentlich“ in § 29 Abs. 1 S. 1 UrhG-E 1932 zu streichen, um auf diese Weise den Rücktritt bei unzureichender Ausübung zu erleichtern, sondern kritisierte überdies die ebenfalls in Abs. 1 verankerte zweijährige „Sperrfrist“ als Rückschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage, da etwa § 17 VerlG eine solche nicht vorsah. Da der Urheber „einen nie wieder gut zu machenden Schaden zu erleiden [drohe], wenn es [das Werk] zwei Jahr[e] aus der Öffentlichkeit verschwunden ist oder noch länger, da die Nachfrist hinzugerechnet“ werden müsse, schlug Heyser eine Neufassung des § 29 Abs. 1 S. 3 UrhG-E 1932 folgeden Wortlauts vor: „Der Urheber kann nach angemessener Zeit, spätestens aber nach zwei Jahren eine Nachfrist bestimmen…“296.
Dem braunschweiger Gutachten folgte Ende Oktober die Stellungnahme Thüringens. Das seit August 1932 von dem Nationalsozialisten Otto Weber297 geführte thüringische Justizministerium betonte, dass die Rechte des Urhebers ihre Grenze in dem Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“298 finden müssten. Daher dürfe eine Stärkung des Urheberschutzes nicht dazu führen, dass der Allgemeinheit der Genuss künstlerischer Werke unbillig erschwert oder die Verwertungsindustrie unverhältnismäßig behindert würde. Bereits an zweiter Stelle der Stellungnahme riet man daher die Normierung eines Rücktrittsrechts für Theaterunternehmer an, falls von diesen mandatierte Bühnen von ihrem Aufführungsrecht keinen oder lediglich unzureichenden Gebrauch machten. Auf diese Weise sollte eine schwere wirtschaftliche Schädigung des Theaterunternehmers verhindert werden, der in diesem Fall überdies befugt sein sollte, eine bereits gezahlte Vergütung zurückzuverlangen299. Warum man diese Ausnahmeregelung ausgerechnet für die bisher kaum beachteten Theaterunternehmer vorschlug, muss hier offenbleiben. Denkbar erscheint ein gewisser Zusammenhang zwischen Hitlers Vorliebe 294 Schreiben des braunschweigischen Justizministeriums an das RJM vom 30.09.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 28. 295 Siehe die allgemeinen Ausführungen Heysers am Anfang des Gutachtens, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 29 (dort S. 1). 296 Stellungnahme Heysers namens des braunschweigischen Justizministeriums vom 30.09.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 29 (dort S. 13). 297 Zur Person siehe Marek, S. 181 ff. 298 Siehe dazu bereits oben, F. I. 1. lit. f). 299 Stellungnahme des thüringischen Justizministeriums vom 29.10.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 78 (nicht fortlaufend nummeriert, Punkt II. 2).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
für die thüringische „Gauhauptstadt“ Weimar mit dem dortigen Deutschen Nationaltheater: So gelobte Hitler bereits 1928, im Falle der Regierungsübernahme „dieser Stadt und ihrem Theater noch manche Förderung zuteil werden [zu] lassen“300. Schließlich forderte Thüringen eine nochmalige Prüfung des Entwurfs hinsichtlich der Notwendigkeit besonderer Regelungen für den Tonfilm301. Im November ging die Stellungnahme des württembergischen Justizministeriums ein. Die Stuttgarter Beamten forderten, dass dem Rücktrittsrecht des Urhebers aus § 29 UrhG-E 1932 billigerweise ein entsprechendes Instrument des Nutzungsrechtsinhabers gegenüberstehen müsse, wenn die Ausübung aus Gründen unterblieb, welche dieser nicht zu vertreten hatte302. Im gleichen Monat übersandte auch das hessische Justizministerium seine Anmerkungen. Hier wandte man sich vor allem gegen die Vergütungsregelung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932, welche zu allgemein gefasst sei und daher zu unbilligen Ergebnissen führen könne, zumal dann, wenn der Urheber – entgegen der von der Begründung pauschal unterstellten Tatsache – nicht der wirtschaftlich schwächere Part sei oder der Nutzungsrechtsinhaber die Nichtausübung nicht zu vertreten habe303. Als letzte Länderstellungnahme erreichte das RJM im Dezember 1932 das Positionspapier der Landesjustizverwaltung Hamburg. Die Hanseaten vertraten den Standpunkt, dass ein Rücktritt nach § 29 UrhG-E 1932 nur statthaft sein sollte, wenn der Nutzungsrechtsinhaber die Nicht- bzw. unzureichende Ausübung auch zu vertreten hatte. Sie verwiesen insofern auf das Rücktrittsrecht des § 326 BGB 1900, welches als lex generalis ebenfalls das Verschulden des anderen anderen Teils voraussetzte (Verzug i. S. v. § 285 BGB 1900)304. Andernfalls drohten unbillige Ergebnisse, wobei die Hamburger Behörde beispielhaft den Fall anführte, dass ein Musikverleger mit der Aufführung des Werkes keine hinreichenden Einnahmen erzielte, gleichwohl aber das Honorar 300 So Hitler angeblich 1928 in einem Gespräch mit späteren Intendanten des Nationalthearters Hans Severus Ziegler, zit. n. Wendtland, S. 34. In Weimar fand überdies 1926 der erste und programmatisch wichtigste Parteitag nach der Wiedergründung der infolge des Putsches von 1923 verbotenen NSDAP statt; dazu sowie allgemein zur Rolle der Stadt und des Nationaltheaters in der NS-Zeit Wendtland, S. 29 ff. und Mauersberger, S. 201 ff. 301 Stellungnahme des thüringischen Justizministeriums vom 29.10.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 78 (nicht fortlaufend nummeriert, Punkt II. 5). 302 Stellungnahme des württembergischen Justizministeriums vom 01.11.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 77 (dort S. 2 f.). 303 Bemerkungen des hessischen Justizministeriums vom 29.11.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 97 (dort S. 8 f.). 304 Dazu oben, E. I. 1.
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939363
nach § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 herausgeben musste.305 Angesichts dieses Beispiels und der Tatsache, dass die in den Motiven neben § 326 BGB 1900 als legislatorisches Vorbild benannten §§ 17, 30 und 32 VerlG ebenfalls kein Verschulden voraussetzten, ist jedoch davon auszugehen, dass das Hamburger Eintreten für die Verschuldensabhängigkeit in erster Linie als (weitere) Spitze gegen die Vergütungsregelung des § 29 Abs. 3 UrhG-E 1932 gedacht war.
III. Die urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939 Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurden die Arbeiten an der Urheberrechtsreform nahtlos fortgesetzt. So enthielten sowohl die amtlichen Entwürfe von 1933 (1.) und 1934 (2.) als auch die Privatentwürfe Willy Hoffmanns und des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) (3.) sowie der halbamtliche Entwurf der Akademie für Deutsches Recht (AkDR) aus dem Jahr 1939 (4.) Regelungen zur Vertragsaufhebung. 1. Der amtliche Entwurf von 1933 Nach Eingang bzw. Erscheinen der verschiedenen Stellungnahmen und Kritiken zum amtlichen Entwurf von 1932 ging man im RJM an die Überarbeitung des Entwurfs [a)]. Der novellierte, jedoch unveröffentlichte Entwurf (UrhG-E 1933) wurde Ende Juli 1933 im Rahmen einer Ressortbesprechung im RJM ausführlich erörtert [b)]. Zugleich nahmen verschiedene offizielle Stellen, allen voran die Länder, zu dem Entwurf Stellung [c)]. a) Verbietungs- und Rückrufsrecht Bis zum Juli 1933, die Nationalsozialisten hatten inzwischen ihre Macht kosolidiert306, hatte das RJM den Entwurf auf Grundlage der eingegangenen Kritik und wissenschaftlichen Stellungnahmen überarbeitet. Hierbei ergaben sich zwei für die weitere Entwicklung der Urheberrückrufsrechte entscheidende Änderungen: Zum einen wurde die Regelung des Urheberpersönlichkeitsrechts um ein auch nach einer Nutzungsrechtseinräumung greifendes Verbietungsrecht erweitert [aa)], zum anderen erfolgte eine umfassende 305 Stellungnahme der Landesjustizverwaltung Hamburg vom 01.12.1932, BArch, R 3001 / 6562, Bl. 96 (dort S. 3 f.). 306 Erinnert sei hier insbesondere an die Reichstagsbrandverordnung vom 28.02. (eigentlich „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, RGBl. 1933 I, S. 83.sowie das Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933 (eigentlich „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, RGBl. 1933 I, S. 141).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Umarbeitung des bisherigen Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung, in deren Zuge auch der Begriff des Rückrufsrechts etabliert wurde [bb)]. aa) Die Erweiterung des Urheberpersönlichkeitsrechts um ein Verbietungsrecht bei nachträglicher Ansehens- und Rufgefährdung Der neueingefügte Abs. 4 des nunmehr in § 10 UrhG-E 1933 geregelten Urheberpersönlichkeitsrecht lautete wie folgt: „Der Urheber kann eine Veröffentlichung oder sonstige Verwertung eines Werkes, die sein Ansehen oder seinen Ruf erheblich gefährden würde, selbst dann verbieten, wenn er die Verwertung einem anderen überlassen hat, gleichgültig ob es sich um die Verwertung in der Urform oder in einer veränderten oder bearbeiteten Form handelt“307.
Unzweifelhaft dem Vorschlag de Boors nachgebildet, war diese Vorschrift zwar nicht als Rücktritts- bzw. Rückrufsrecht etikettiert, lief jedoch faktisch auf eine Aufhebung der Nutzungsbefugnis zum Zwecke des Schutzes der ideellen Urheberinteressen hinaus308. Dem Entwurf waren weder Motive beigegeben noch wurde er veröffentlicht; vielmehr wurde er am 12. Juli 1933 ausschließlich an offzielle Stellen des Reiches und der Länder versandt, wobei das Begleitschreiben des RJM die wesentlichen Änderungen gegenüber dem 1932er-Entwurf knapp zusammenfasste. Ausweislich dieses Schreibens sollte mit § 10 Abs. 4 UrhG-E 1933 die Rechtslage besser als bisher dem Inhalt des Artikels 6bis RBÜ angepasst werden309. bb) Die Überarbeitung des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung Das bisherige Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung war nunmehr als Rückrufsrecht wegen Nichtausübung in § 28 UrhG-E 1933 vorgesehen: „(1) Macht der Erwerber eines Werknutzungsrechts, gleichviel ob er es vom Urheber oder von einem anderen Berechtigten erworben hat, von dem Recht ohne einen Grund, den der Urheber zu vertreten hat, keinen Gebrauch und werden dadurch berechtigte Interessen des Urhebers wesentlich verletzt, so kann ihm dieser erklären, daß er sein Recht zurückrufe. Das Rückrufsrecht kann nach zwei Jahren vom Vertragsabschluß oder, falls die Ablieferung des Werkes 307 Siehe die Entwurfsfassung vom 12.07.1933, welche als Grundlage der Ressortbesprechung vom 28.07.1933 diente und die Änderungen gegenüber dem amtlichen Entwurf von 1932 mittels Klammern und Unterstreichungen besonders deutlich macht, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 5 f. des Enwurfs); ausführlich zu dem Entwurf im Gesamten siehe Vogt, S. 166 ff. 308 Siehe oben, F. II. 4. lit. a) aa). 309 Anschreiben des RJM vom 12.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 2).
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939365
später erfolgt, von der Ablieferung ab geltend gemacht werden, es sei denn, daß sich aus dem Vertrag oder dem Zweck der Übertragung eine andere Frist ergibt (2) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Erwerber unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist zur Ausübung des Werknutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Werknutzungsrechts dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Bestimmung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden. (3) Im Fall des Rückrufs fällt das Werknutzungsrecht an den Urheber zurück. Die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den durch den Rückruf betroffenen Parteien regeln sich in sinngemäßer Anwendung des Bürgerlichen Gesetz buches §§ 323 bis 325310. (4) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Auch kann seine Geltendmachung nicht im voraus für eine längere Zeit als fünf Jahre ausgeschlossen werden. (5) Die Vorschriften der vorstehenden Absätze gelten entsprechend, wenn der Verleger die Herausgabe einer Neuauflage, zu der er berechtigt ist, oder der Erwerber eines anderen Werknutzungsrechts die weitere Verwertung des Werkes ohne einen vom Urheber zu vertretenden Grund binnen der im Abs. 1 bezeichneten Frist unterläßt. Diese Frist beginnt für die Herausgabe einer Neuauflage mit dem Zeitpunkt, wo die frühere Auflage vergriffen ist, sowie mit der zuletzt vorgenommenen Verwertung“311.
310 § 323 BGB 1900 lautete: „Wird die aus einem gegenseitigen Vertrage dem einen Theile obliegende Leistung in Folge eines Umstandes unmöglich, den weder er noch der andere Theil zu vertreten hat, so verliert er den Anspruch auf die Gegenleistung; bei theilweiser Unmöglichkeit mindert sich die Gegenleistung nach Maßgabe der §§. 472, 473. Verlangt der andere Theil nach §. 281 Herausgabe des für den geschuldeten Gegenstand erlangten Ersatzes oder Abtretung des Ersatzanspruchs, so bleibt er zur Gegenleistung verpflichtet; diese mindert sich jedoch nach Maßgabe der §§. 472, 473 insoweit, als der Werth des Ersatzes oder des Ersatzanspruchs hinter dem Werthe der geschuldeten Leistung zurückbleibt. Soweit die nach diesen Vorschriften nicht geschuldete Gegenleistung bewirkt ist, kann das Geleistete nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückgefordert werden“; § 324 BGB 1900 lautete: „Wird die aus einem gegenseitigen Vertrage dem einen Theile obliegende Leistung in Folge eines Umstandes, den der andere Theil zu vertreten hat, unmöglich, so behält er den Anspruch auf die Gegenleistung. Er muß sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er in Folge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt. Das Gleiche gilt, wenn die dem einen Theile obliegende Leistung in Folge eines von ihm nicht zu vertretenden Umstandes zu einer Zeit unmöglich wird, zu welcher der andere Theil im Verzuge der Annahme ist“; der Wortlaut des § 325 BGB 1900 findet sich oben, E. I. 1. 311 Entwurfsfassung vom 12.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 15 f. des Entwurfs).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Von dieser Vorschrift statuierte der ebenfalls neu eingefügte § 29 UrhGE 1933 eine Reihe von Ausnahmen: „(1) Die Vorschriften […] über das Rückrufsrecht (§ 28) gelten nicht 1. für den unselbstständigen Urheber (§ 21 Abs. 2); 2. für den Urheber eines Werkes, das von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ohne Angabe des Urhebers herausgegeben worden ist (§ 20); 3. für den Urheber eines Werkes des Kunstgewerbes, das von dem Angestellten eines Unternehmens im Rahmen seiner dienstlichen Verpflichtungen für die Zwecke des Unternehmens hergestellt worden ist; 4. für den Urheber eines gewerbsmäßig hergestellten Filmwerks. (2) Beim Erwerb von Werknutzungsrechten an einer Filmhandschrift, die zur gewerbsmäßigen Herstellung eines Filmwerks verwendet werden soll, kann vereinbart werden, daß die Rechte ohne Zustimmung des Urhebers weiterübertragen werden dürfen (§ 19); auf das Rückrufsrecht (§ 28) kann im voraus verzichtet werden“312.
§ 58 Abs. 2 UrhG-E 1933 normierte eine gesonderte Ausnahme für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder: „Für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder gelten nicht die Vorschriften über das Urheberpersönlichkeitsrecht in § 10 Abs. 1, 3 und 4 […] über das Rückrufsrecht (§ 28) und über die Zwangsvollstreckung […]“313.
Damit hatte man die überwiegende Zahl der geforderten Änderungen umgesetzt: So wurde – den Vorschlägen de Boors entsprechend314 – die Rechtswirkung des Rückrufs auf die quasidingliche Ebene bezogen, was seinen Niederschlag nicht nur in der Formulierung des § 28 Abs. 1 S. 1 UrhGE 1933 a. E. und der terminologischen Änderung von „Rücktritts-“ in „Rückrufsrecht“ fand, sondern auch in dem neueingefügten § 28 Abs. 3 UrhGE 1933 zum Ausdruck kam, welcher klarstellte, dass der Rückruf auf quasidinglicher Ebene den Heimfall des Nutzungsrechts an den Urheber nach sich zog, während auf schuldrechtlicher Ebene die Unmöglichkeitsvorschriften des BGB (§§ 323 ff. BGB 1900) zur Anwendung kommen sollten. Erhalten blieb trotz dieser Änderungen jedoch die Formulierung des § 28 Abs. 1 S. 2, wonach für die zweijährige Ausschlussfrist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich war. Konsequent wäre hier ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Nutzungsrechtseinräumung gewesen. Lediglich halbherzig umgesetzt wurde auch die Forderung, das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung auf312 Entwurfsfassung vom 12.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 16 des Entwurfs). 313 Entwurfsfassung vom 12.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 25 des Entwurfs). 314 Siehe oben, F. II. 4. lit. a) bb), lit. c) aa).
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939367
grund seiner persönlichkeitsrechtlichen Prägung auf den Urheber zu beschränken. Zwar sprach § 28 Abs. 1 S. 1 UrhG-E 1933 nunmehr ausdrücklich vom Urheber als Aktivlegitmiertem, gestattete jedoch zugleich auch jedem anderen „Berechtigten“ den Rückruf. Dem Vorstoß der verwertenden Industrie entsprechend, hatte man das Rücktrittsrecht wegen unzureichender Ausübung gestrichen und die wesentliche Beeinträchtigung berechtigter Urheberinteressen zur Voraussetzung des Rückrufs gemacht. Auch wurde das Rückrufsrecht für unselbstständige Urheber, d. h. Urheber, die „an dem Werk eines anderen nach dessen Weisung nur als Gehilfe oder in verhältnismäßig geringem Umfang mitgearbeitet“315 hatten (§ 29 Abs. 1 Nr. 1), für angestellte Urheber im Kunstgewerbe (Nr. 3) sowie im Falle gerwerbsmäßig hergestellter Filmwerke ausgeschlossen (Nr. 4). Für Filmmanuskripte konnte des Rückrufsrecht gemäß § 29 Abs. 2 UrhGE 1934 abbedungen werden, so dass der massiv kritisierte, sich indirekt aus dem Rückrufsrecht ergebende Verfilmungszwang des Vorentwurfs entfiel. § 58 Abs. 2 UrhG-E 1933 ähnelte dem Ausschlusstatbestand für das Kunstgewerbe, erklärte für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder jedoch auch das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht für unanwendbar. Den Forderungen der Urhebervertreter kam man insoweit entgegen, als man die Möglichkeit der vertraglichen Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung in § 29 Abs. 4 UrhG-E 1933 auf maximal fünf Jahre begrenzte. Gleichwohl erfuhr das Rückrufsrecht in dem Schreiben des RJM keine Erwähnung. Thematisiert wurden einzig die Ausnahme und Abbedingungsregelungen, zu deren Begründung man anführte, dass Einschränkungen des Rechtsverkehrs in Urheberrechtssachen mit Zweck und Charakter von Werken des Kunst- und Filmgewerbes unvereinbar seien, zumal diese ausschließlich geschaffen würden, um als Gegenstände des gewerblichen Verkehrs zu dienen316. Überdies müsse ein gewisses Bedürfnis der Filmunternehmer anerkannt werden, Filmstoffe auf Vorrat zu erwerben, ohne unbedingt zur Herstellung eines Films verpflichtet zu sein317. Die Streichung des Begriffes des „ausschließlichen“ Werknutzungsrechts in § 28 Abs. 1 S. 1 UrhG-E 1933 erklärt sich schließlich daraus, dass der 1933er-Entwurf, gleich dem Vorentwurf von 1932, unter dem Terminus des „Werknutzungsrechts“ allein die ausschließliche Nutzungsbefugnis verstand 315 So die Legaldefinition in § 21 Abs. 2 UrhG-E 1933, siehe BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 10 des Enwurfs). 316 Anschreiben des RJM vom 12.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 3 f.). 317 Anschreiben des RJM vom 12.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 64 (S. 7).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
und für nicht ausschließliche Nutzungsrechte Begriffe wie „Gebrauchs erlaubnis“ oder „einfache Lizenz“ verwandte318. Insofern handelte es sich bei der Streichung lediglich um die Beseitigung einer Redundanz. b) Die Erörterung des Entwurfs im Reichsjustizministerium Der amtliche Entwurf wurde am 28. Juli 1933 im Rahmen einer Ressortbesprechung im RJM erörtert, wozu sämtliche Länder319 sowie ausgewählte Reichsministerien geladen waren320. Auf eine Einladung österreichischer Vertreter hatte man bewusst verzichtet. Vielmehr wollte man abwarten, bis auch im Nachbarland der nationalsozialistische „Umschwung“321 eingetreten war. Damit endeten die Bemühungen um eine gemeinsame deutsch-österreichische Urheberrechtsnovelle. Stattdessen wies MR Klauer darauf hin, dass man bei der Überarbeitung des 1932er-Entwurfs nicht nur die eingegangenen bzw. erschienenen Kritiken, Stellungnahmen und Gutachten berücksichtigt habe, sondern vielmehr bemüht war, auch „den Anschauungen der nationalsozialistischen Bewegung gerecht zu werden“, d. h. im Sinne des Grundsatzes „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“322 einen Ausgleich zwischen den Urhebern, den gewerblichen Verwertern sowie der Allgemeinheit zu schaffen, deren ureigenstes Interesse darin liege, die „Quelle der Kultur zu erhalten“, was gleichbedeutend damit sei, „das urheberrechtliche Schaffen zu sichern und zu fördern“. Aufgrund dieser Kongruenz zwischen Urheber- und Allgemeininteresse habe man insbesondere das droit moral im jetzigen Entwurf erheblich verstärkt323, womit Klauer auch auf die Einführung des § 10 Abs. 4 UrhG-E 1933 anspielte. Klauers Ausführungen waren geradezu plakativ für das nationalsozialistische Urheberrechtsverständnis, nach dem Urheber sein Werk stets als Teil 318 Siehe etwa Begründung UrhG-E 1932, S. 70 sowie die Motive zu dem die Übertragung von Werknutzungsrechten im Entwurf von 1934 regelnden § 16, BArch, R 3001 / 20602, Bl. 95 r. (S. 75 der Motive); ferner kann dies auch aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 3 S. 1 UrhG-E 1933 hergeleitet werden. 319 Die am 31.03. und 07.04.1933 erlassenen Gesetze „zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ (RGBl. 1933 I, S. 153 und S. 173) berührten die Existenz der Länderministerien nicht. 320 Ausführlich zu der Besprechung siehe Vogt, S. 166 ff. 321 Siehe die entsprechenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes, des Reichspropagandaministeriums sowie insbesondere des preußischen Justizministeriums im Rahmen der Ressortbesprechung vom 28.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 94 (dort S. 7). 322 Dazu bereits oben, F. I. 1. lit. f) sowie II. 4. lit. e). 323 Klauer im Rahmen der Ressortbesprechung vom 28.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 94 (dort S. 1 f.).
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939369
der „Volksgemeinschaft“ erschuf, aus deren geistigem Reservoir er schöpfte. In der Folge sollte auch der Ausbau des Urheberpersönlichkeitsschutzes in erster Linie dem Zweck dienen, den Urheber im Interesse der „Volksgemeinschaft“ zu weiteren kreativen Leistungen anzuhalten und damit letztlich den Ausstoss an Kulturgütern zu fördern324. Der Schutz der ideellen Urheberinteressen war insofern lediglich Mittel zum Zweck, so dass der Urheber letztlich zum „Treuhänder des Werkes“ herabsank, der „die in ihm zum Ausdruck kommenden Kräfte zum allgemeinen Wohle verwaltet[e]“325. Indes betonte die Masse der beteiligten Stellen, aufgrund der kurzen Zeitspanne zwischen Versendung des Entwurfs und der Ressortbesprechung keine Zeit zu einer umfassenden Durchsicht desselben gehabt zu haben; hilfsweise bezog man sich auf die jeweiligen Stellungnahmen zum 1932erEntwurf.326 Klauer setzte daher eine Frist zur Abgabe von Stellungnahmen und Gutachten bis Ende September 1933327. c) Stellungnahmen der Länder und weitere Besprechungen Die Länder, die seit April 1933 faktisch durch NSDAP-zugehörige Reichsstatthalter regiert wurden, erklärten sich mit dem Entwurf teilweise rund heraus einverstanden (Baden328, Lippe329, Bremen330), während Thüringen, wo die „Machtergreifung“ bereits 1932 vorweggenommen worden war331, die verstärkte Ausgestaltung des Urheberpersönlichkeitsrechts begrüßte, die man als geeignet erachtete, „das urheberrechtliche Schaffen im Gemeininte resse zu sichern und zu fördern“332.
324 So auch Vogt, S. 302 f.; Apel, ZJS 2010, S. 141 f. (jeweils m. w. N.); ausführlich Baldwin, S. 163, 170 ff.; dazu im verlagsrechtlichen Kontext bereits oben, F. I. 1. lit. g). 325 So etwa Gast, UFITA 8 (1935), S. 340; dazu auch Marl, S. 34 m. w. N. 326 Siehe insbesondere die Äußerungen der Vertreter des preußischen Kultusministeriums, Bayerns und Thüringens im Rahmen der Ressortbesprechung vom 28.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 94 (dort S. 9 f.). 327 Klauer im Rahmen der Ressortbesprechung vom 28.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 94 (dort S. 12.). 328 Schreiben der badischen Staatskanzlei vom 16.08.1933, BArch, R 3001 / 6563, Bl. 4. 329 Schreiben der Lippischen Landesregierung vom 21.08.1933, BArch, R 3001 / 6563, Bl. 5. 330 Schreiben des Senats des Landes Bremen vom 06.09.1933, BArch, R 3001 / 6563, Bl. 7. 331 Siehe Post, S. 147 ff. 332 Stellungnahme des thüringischen Justizministeriums vom 21.09.1933, BArch, R 3001 / 6563, Bl. 10 (nicht fortlaufend nummeriert, S. 2 ab erster Seite).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Zu § 28 UrhG-E 1932 äußerte sich das sächsische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten mit Schreiben vom 26. Juli 1933. Darin wurde auf ein beigefügtes Gutachten des vierten Zivilsenats des Sächsischen Oberlandesgerichts verwiesen. Kritisiert wurde darin insbesondere die Regelung des § 28 Abs. 3 UrhG-E 1933, wonach für die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Urheber und Nutzungsrechtsinhaber im Rückrufsfall u. a. § 324 BGB 1900 zur Anwendung kommen sollte. Diese Vorschrift regelte den Fall der von einer Seite zu vertretenden Unmöglichkeit, worin man einen Widerspruch zu § 28 Abs. 1 UrhG-E 1933 erblickte, nach welchem das Rückrufsrecht gerade keine Anwendung finden sollte, wenn der Urheber für die Nichtausübung verantwortlich war. In der Folge regte man an, den Verweis auf § 324 BGB 1900 zu streichen.333 Die Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus ging am 12. September 1933 ein. Darin hieß es, dass das Rückrufsrecht auch in der Neufassung für die Filmindustrie nicht tragbar sein dürfte. Vielmehr sei es Sache der Vertragsparteien, im konkreten Einzelfall Absprachen hinsichtlich einer etwaigen Verfilmungspflicht zu treffen. Daneben gab man zu bedenken, dass der Nutzungsrechtsinhaber auch unverschuldet an der Nutzung gehindert sein könne und regte an, auch bei Verträgen über Nutzungsrechte an Filmmusik die Abdingbarkeit des Rückrufsrechts zu gestatten.334 In ähnlicher Weise äußerte sich das Reichswirtschaftsministerium in seiner Stellungnahme vom 9. November 1933335. Abgesehen von diesen offiziellen Stellungnahmen kam es am 9. und 10. Oktober zu einer Besprechung zwischen MR Klauer und den Professoren de Boor und Ernst Heymann (Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin)336. In diesem Rahmen wurde abermals das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung erörtert, wobei man sich auf eine Unterteilung des § 28 Abs. 1 S. 1 UrhGE 1933 in zwei Sätze mit nachstehendem Wortlaut einigte: „Macht der Erwerber eines Werknutzungsrechtes, gleichviel, ob er es vom Urheber oder von einem anderen Berechtigten erworben hat, von dem Recht keinen Gebrauch und werden dadurch berechtigte Interessen des Urhebers wesentlich verletzt, so kann ihm dieser erklären, daß er das Werk zurückrufe. Dies gilt nicht, wenn das Verhalten des Erwerbers durch einen vom Urheber zu vertretenden Grund gerechtfertigt wird“ 333 Gutachten des 4. Zivilsenats des Sächsischen OLG vom 24.07.1933, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 85 (nicht fortlaufend nummeriert; dort Punkt 4.). 334 Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 13.09.1933, BArch, R 3001 / 6563, Bl. 24 (dort S. 10). 335 Stellungnahme des Reichswirtschaftsministeriums vom 09.11.1933, BArch, R 3001 / 6563, Bl. 30 (dort S. 2). 336 Zur Person siehe Mitteis, DA 1951, S. 256 sowie Otto, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 137 ff.
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939371
Neu war hier insbesondere die Ausschlussregelung des zweiten Satzes, wonach dem Urheber das Rückrufsrecht nicht zustand, wenn er die Nichtausübung seitens des Berechtigten zu vertreten hatte. Damit wurde faktisch der Stand des Entwurfs von 1932 wiederhergestellt, was insofern überrascht, als es niemand anderes als de Boor selbst war, der sich gegen einen Ausschluss des Rückrufsrechts in diesem Fall ausgesprochen hatte337. Für den bisherigen Abs. 1 S. 2 wurde überdies folgende Änderung vorgeschlagen: „Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit dem Vertragsabschluß oder …“.338
2. Der überarbeitete amtliche Entwurf vom 22. Januar 1934 Anfang 1934 legte das RJM die finale Fassung des Urheberrechtsgesetzentwurfes vor (UrhG-E 1934). Mit einer ausführlichen Begründung versehen, wurde diese am 22. Januar 1933 ausschließlich an staatliche Stellen versandt. Sowohl das urheberpersönliche Verbietungsrecht [a)] als auch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung [b)] erfuhren darin leichte Überarbeitungen, die zum Teil in den Beratungen der AkDR aufgegriffen wurden [c)]. Stellungnahmen zu dem Entwurf im Allgemeinen und den Rückrufsrechten im Speziellen sind kaum vorhanden, was vor allem daran lag, dass der Entwurf nur einer begrenzten Anzahl an Personen zugänglich gemacht worden war [d)]. a) Urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht Eine bedeutende Erweiterung erfuhr das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht des § 10 Abs. 4: Mit dem neueingeführten S. 2 ergänzte man die Vorschrift um einen Entschädigungsanspruch des Nutzungsrechtsinhabers gegen den zurückrufenden Urheber im Billigkeitsfalle: „Er [der Urheber] hat den vom Verbot Betroffenen angemessen zu entschädigen, soweit dies der Billigkeit entspricht; Ansprüche aufgrund anderer Vorschriften bleiben unberührt“339. 337 Siehe oben, F. II. 4. lit. a) bb) sowie de Boors eigenen Vorschlag, wonach der Rückruf lediglich bei „überwiegendem Verschulden“ des Urhebers ausgeschlossen sein sollte – oben, F. II. 4. lit. c) aa). 338 Vermerk über die Besprechung des Urheberrechtsgesetzentwurfes mit den Professoren Heymann und de Boor am 9. u. 10.10.33, BArch, R 3001 / 6559, Bl. 123a (dort S. 3). 339 BArch, R 3001 / 20602, Bl. 8 r. (S. 5 des Entwurfs); der Entwurf nebst Begründung findet sich mit einer Vorbemerkung von Rehbinder auch abgedruckt in UFITA 2000 / II, S. 743 ff.; ausführlich zu dem Entwurf und seinen Inhalten Vogt, S. 177 ff.
372
F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
In den Motiven hieß es, dass § 10 Abs. 4 UrhG-E 1934 als deutsche Entsprechung des Art. 6bis RBÜ der Unübertragbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts („Verbundenheit des Werkes mit seinem Schöpfer“340) und damit dem Gedanken Rechnung trage, dass sich der Urheber unabhängig von einer Einräumung von Nutzungsbefugnissen an Dritte gegen jedwede Entstellung, Verstümmelung oder sonstige ehrrührige bzw. rufschädigene Änderung seines Werkes zur Wehr setzen können müsse. § 10 Abs. 4, so die Motive weiter, gehe jedoch noch über die Vorgaben der Verbandsübereinkunft hinaus, indem er dem Urheber ein allgemeines Verbietungsrecht für jedwede Art der Beeinträchtigung des Urheberpersönlichkeitsrechts einräume, die geeignet ist, Ruf oder Ansehen des Urhebers zu gefährden. Es müsse anerkannt werden, dass durch eine unangemessene Verwertung „die ganze Zukunft des betreffenden Schriftstellers, Künstlers, Komponisten vernichtet“ werden könne. Als Maßstab und Korrektiv zugleich diente das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit: Wann diese gegeben war, sollte sich nicht nach den Empfindlichkeiten des Künstlers oder dessen schwankenden Launen bemessen, sondern nach den objektiven Kriterien des Einzelfalls. Zugleich betonte man, dass auch die Veränderung der Umstände nach Vertragsschluss als Verbietungsgrund in Betracht käme: So etwa „bei der Sachlage, daß ein Gelehrter ein Werk in Verlag gegeben hat und vor der Veröffentlichung eine Untersuchung erscheint, die nach seiner Überzeugung die Ergebnisse seines Werkes widerlegt“341. Es sei dem Urheber nicht zumutbar, in derlei Fällen durch eine Veröffentlichung seinen wissenschaftlichen Ruf zu gefährden. Unabhängig von den bestehenden Vertragsbeziehungen habe der vom Verbot Betroffene jedoch einen Anspruch auf angemessene Entschädigung, soweit dies der Billigkeit entspräche342. Weitere Gründe für die Einführung des Entschädigungsanspruches aus § 10 Abs. 4 S. 2 UrhG-E 1934 lieferten die Motive nicht. Im Hinblick auf die Frage der Feststellung des Tatbestandsmerkmals der „erheblichen Gefährdung“ des Urheberansehens räumte man jedoch ein, dass eine zweifelsfreie, d. h. objektive Überprüfung der diesbezüglichen Einschätzungsprärogative des Urhebers „nur selten“343 möglich sein dürfte. Insofern wurde der Entschädigungsanspruch auch hier zum Zwecke der Missbrauchsprävention statuiert.
340 BArch,
R 3001 / 20602, R 3001 / 20602, 342 BArch, R 3001 / 20602, 343 BArch, R 3001 / 20602, 341 BArch,
Bl. 78 v. (S. 42 der Motive). Bl. 79 r. (S. 43 der Motive). Bl. 79 v. (S. 44 der Motive). Bl. 79 r. (S. 43 der Motive).
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939373
b) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Nach der Umarbeitung lautete § 28 UrhG-E 1934 folgendermaßen (Änderungen nicht kursiv): „(1) Macht der Erwerber eines Nutzungsrechts, gleichviel, ob er es vom Urheber oder von einem anderen Berechtigten erwoben hat, von dem Recht keinen Gebrauch und werden dadurch berechtigte Interessen des Urhebers wesentlich verletzt, so kann ihm dieser erklären, daß er das Recht zurückrufe. Dies gilt nicht, wenn das Verhalten des Inhabers durch einen vom Urheber zu vertretenden Grund gerechtfertigt wird. Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit dem Vertragsabschluß oder, falls die Ablieferung des Werkes später erfolgt, von der Ablieferung ab geltend gemacht werden, es sei denn, daß sich aus dem Vertrag oder dem Zweck der Übertragung eine andere Frist ergibt. (2) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Erwerber unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist zur Ausübung des Werknutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Werknutzungsrechts dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Bestimmung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden. (3) Im Fall des Rückrufs fällt das Werknutzungsrecht an den Urheber zurück. Er hat den Betroffenen angemessen zu entschädigen, soweit dies der Billigkeit entspricht; Ansprüche aufgrund anderer Vorschriften bleiben unberührt. (4) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Auch kann seine Geltendmachung nicht im voraus für eine längere Zeit als fünf Jahre ausgeschlossen werden. (5) Die Vorschriften der vorstehenden Absätze gelten entsprechend, wenn der Verleger die Herausgabe einer Neuauflage, zu der er berechtigt ist, oder der Erwerber eines anderen Werknutzungsrechts die weitere Verwertung des Werkes ohne einen vom Urheber zu vertretenden Grund binnen der in Abs. 1 bezeichneten Frist unterläßt. Diese Frist beginnt für die Herausgabe einer Neuauflage mit dem Zeitpunkt, wo die frühere Auflage vergriffen ist, sonst mit der zuletzt vorgenommenen Verwertung“344.
Gegenüber dem Vorentwurf hatte das Rückrufsrecht einige bedeutende Änderungen erfahren: So wurden in Abs. 1 die von de Boor und Heymann vorgeschlagenen Änderungen umgesetzt, während mit Abs. 3 S. 2 eine Entschädigungsregelung eingeführt wurde, welche sich inhaltlich mit derjenigen des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts aus § 10 Abs. 4 S. 2 UrhG-E 1934 deckte. Damit kam es zu einer ersten Annäherung zwischen beiden Instrumenten. Auf Rechtsfolgenseite behielt man die Klarstellung bei, dass der Rückruf zum Heimfall des Nutzungsrechts führte (Abs. 3 S. 1); der 344 BArch,
R 3001 / 20602, Bl. 38 r. / v. (S. 13 f. des Entwurfs).
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Verweis auf die Anwendung der allgemeinen vertragsrechtlichen Regelungen für die schuldrechtliche Ebene wurde indes als redundant gestrichen345. Die Motive betonten – wohl angesichts der veränderten politischen Gegebenheiten – dass § 28 UrhG-E 1934 den Urheber nicht nur in dessen eigenem Interesse, sondern vielmehr auch im Interesse der Allgemeinheit vor der Unterdrückung seines Werkes schütze.346 Die Neufassung der Vorschrift als Rückrufsrecht begründete man damit, dass der Rücktritt stets nur innerhalb eines Vertragsverhältnisses wirke, während der Rückruf „dem Urheber die Wiedererlangung eines übertragenen Werknutzungsrechts“ ermögliche, „gleichviel in wessen Hand“ sich dieses befinde. Weiterhin wurde hervorgehoben, dass ein ausschließliches Nutzungsrecht übertragen worden sein müsse, da bei einer nichtausschließlichen „Nutzungserlaubnis“ keine Gefahr der Unterdrückung des Werkes bestünde347. Daneben bekräftigten die Motive abermals den Vorbildcharakter des Verlagsgesetzes sowie ausländischer Kodifikationen für die Regelung des Rückrufsrechts348. Zum neueingefügten Ersatzanspruch in Abs. 3 S. 2 hieß es lediglich, dass damit, „ähnlich wie bei einem Verbot aus § 10 Abs. 4“, eine Sondervorschrift neben etwaige vertragsrechtliche Ansprüche trete, wonach „der vom Rücktritt Betroffene in jedem Fall, also auch dann, wenn Vertragsbeziehungen zwischen ihm und dem Urheber fehlen, einen Anspruch auf angemessene Entschädigung“349 habe, soweit dies der Billigkeit entsprach. Dies war insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass gemäß § 19 Abs. 1 UrhG-E 1934 – der seinerseits § 28 S. 2 und 3 VerlG nachempfunden war – die Weiterübertragung eines Urheberrechts zwar von der Genehmigung des Urhebers abhängig war, diese Genehmigung jedoch nur aus triftigen Gründen verweigert werden durfte350. Unverändert blieb § 29 UrhG-E 1934, der das Rückrufsrecht u. a. für unselbstständige Urheber (Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 21 Abs. 2), Werke des Kunstgewerbes (Abs. 1 Nr. 3) sowie gewerbsmäßig hergestellte Filmwerke 345 BArch, R 3001 / 20602, Bl. 107 v. (S. 100 der Motive): „[…] beurteilt sich nach den allgemeinen Vorschriften des Vertragsrechts“. 346 BArch, R 3001 / 20602, Bl. 105 v. / 106 r. (S. 96 f. der Motive). 347 BArch, R 3001 / 20602, Bl. 106 r. / v. (S. 97 f. der Motive). 348 BArch, R 3001 / 20602, Bl. 106 v. (S. 98 der Motive), 107 v. (S. 100 der Motive); siehe dazu bereits oben, F. II. 3. 349 BArch, R 3001 / 20602, Bl. 107 v. (S. 100 der Motive). 350 § 19 Abs. 1 UrhG-E 1934 lautete: „Zur Weiterübertragung eines Werknutzungsrechts unter Lebenden bedarf es der Zustimmung des Urhebers; sie darf nur verweigert werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt oder die Weiterübertragung durch Vereinbarung zwischen dem Urheber und dem Erwerber ausgeschlossen worden ist. Eine Vereinbarung, daß es zur Weiterübertragung der Zustimmung nicht bedarf, ist unwirksam“, siehe BArch, R 3001 / 20602, Bl. 9 v. / 10 r. (S. 8 f. des Entwurfs).
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939375
(Abs. 1 Nr. 4) ausschloss bzw. seine Abbedingung für Drehbücher und sonstige Werke gestattete, die zur gewerbsmäßigen Herstellung von Filmwerken bestimmt waren351. Entsprechendes galt für die Ausschlussregelung im Lichtbildbereich (§ 58 Abs. 4 UrhG-E 1934). Hierzu hieß es in den Motiven nur knapp, dass ein Teil der urheberrechtlichen Vorschriften nicht auf gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder passe bzw. mit dem Zweck solch gewerblicher Erzeugnisse unvereinbar sei, zumal es sich bei diesen nicht um eigenpersönliche Schöpfungen handele sondern, wie bereits der Entwurf von 1932 feststellte, lediglich um „mit technischen Mitteln bewirkte Festlegung[en] eines Ausschnitts der Außenwelt“, die zwar einen gewissen Leistungs- nicht aber Urheberrechtsschutz verdienten352. c) Die Debatten im Urheberrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht Am 16. und 17. Februar 1934 wurde der Entwurf in der AkDR beraten, deren Aufgabe die Umgestaltung und Fortbildung des deutschen Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung war353. Unter Vorsitz von Gustav Kilpper war mit u. a. de Boor, Willy Hoffmann, Ernst Heymann sowie Walther Plugge eine Reihe angesehener Experten im Urheberrechtsausschuss der AkDR vertreten354, die bereits federführend an der Überarbeitung des Entwurfes von 1932 im vorläufigen RWR beteiligt waren. Im Zentrum der Debatte stand hier die Ausdehnung der Schutzdauer, während im Hinblick auf § 10 UrhG-E 1934 lediglich ganz allgemein betont wurde, dass „gerade vom Standpunkt des nationalsozialistischen Staates aus […] das Persönlichkeitsrecht mit aller Entschiedenheit in den Vordergrund gerückt werden“ müsse, zumal der Einzelne ein Werk immer auch „als Glied der Gemeinschaft“ erschaffe, sich also „um so höher und freier auswirken“ könne, je mehr die „Volksgemeinschaft“ anerkenne, dass „dieses Interesse des einzelnen auch gleichzeitig das Interesse der Gesamtheit“355 sei. Insofern schien man mit dem amtlichen Entwurf zufrieden: Ausdrücklich wurden hier keine Änderungen verlangt356. 351 BArch,
R 3001 / 20602, Bl. 39 r. (S. 15 des Entwurfs). die Motive zu § 58 Abs. 2 UrhG-E 1934, siehe Nachdruck in UFITA 2000 / II, S. 880 ff. sowie Hoffmann, FS AkDR, S. 262; dazu auch Maracke, S. 33. 353 Siehe dazu Hattenhauer, JuS 1986, S. 680 f. sowie Vogt, S. 221 / Fn. 897 m. w. N. 354 Siehe die Anwesenheitsliste der Sitzungen vom 16. und 17.02.1934, abgedruckt bei Schubert, Akademie, S. 556. 355 So der Göttinger Rechtsprofessor Herbert Meyer im Rahmen der Sitzung vom 16.02.1934, siehe das bei Schubert, Akademie, S. 560 abgedruckte Protokoll; ähnlich äußerten sich auch de Boor sowie Justizminister Gürtner (Schubert, S. 559). 356 Schubert, Akademie, S. 560, 568. 352 So
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Zum Rückrufsrecht des § 28 UrhG-E 1934 bemerkte der Vertreter der Reichskammer der bildenden Künste, dass die zweijährige „Sperrfrist“ des Abs. 1 für die graphische Kunst, sofern sie aktueller Natur war, zu lang sei. Der ebenfalls anwesende, zwischenzeitlich zum Präsidenten des Reichspatentamtes avancierte Georg Klauer entgegnete hierauf, dass derlei Besonderheiten mit § 28 Abs. 1 S. 2 UrhG-E 1934 a. E. („es sei denn…“) abgedeckt seien. Im Übrigen wurden auch zum Rückrufsrecht wegen Nichtausübung keine Änderungen gewünscht. d) Stellungnahmen zum amtlichen Entwurf von 1934 Nachdem der amtliche Entwurf von 1934 nicht veröffentlicht worden war, sind zu diesem praktisch keine Stellungnahmen vorhanden357. Einzig eine Eingabe der 1933 etablierten Reichsfilmkammer358, die der Reichswirtschaftsminister am 5. März 1934 seinem Amtskollegen im RJM zukommen ließ, lobte die Beseitigung des Verfilmungszwangs durch § 29 UrhGE 1933 / 1934, kritisierte aber zugleich die Neufassung des Urheberpersönlichkeitsrechts in § 10 Abs. 4 UrhG-E 1934: Für Deutschland als filmerzeugendes Land bestünde kein Grund, zugunsten des Urhebers über international vereinbarte Standards hinauszugehen, zumal wenn Gegenstand der Regelung „eine so schwierige Frage wie die des ‚droit moral‘“359 sei. Damit sprach man sich seitens der Reichsfilmkammer gegen das Verbietungsrecht und für eine Rückführung des § 10 UrhG-E 1934 auf den Gehalt des Art. 6bis RBÜ aus. Willy Hoffmann nahm in einem Beitrag zur Festschrift der Akademie für Deutsches Recht anlässlich des Kongresses der internationalen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz (Berlin 1936) zum Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Stellung. Auch er ergänzte die bisherigen Argumentationslinien um eine kollektivistische Komponente, indem er unterstrich, dass nicht 357 Zutreffend weist Vogt, S. 186 jedoch darauf hin, dass eine Vernichtung von Unterlagen im Zuge des Zweiten Weltkrieges, sei es durch vorsätzliche Vernichtung gegen Kriegsende oder durch alliierte Luftangriffe, nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. 358 Aufgabe der Reichsfilmkammer war die Förderung des deutschen Filmgewerbes im Rahmen der Gesamtwirtschaft, die Vertretung der Belange der einzelnen Kammermitglieder untereinander sowie gegenüber Reich, Ländern und Gemeinden sowie die Herbeiführung eines gerechten Ausgleiches zwischen diesen Mitgliedern. Ihr musste angehören, wer gewerbsmäßig oder gemeinnützig als Unternehmen Filme herstellte, vertrieb oder aufführte respektive als Filmschaffender an deren Herstellung mitwirkte, siehe Vogt, S. 158 f. 359 Kritische Stellungnahme der Reichsfilmkammer zu dem Urheberrechtsgesetz E 1934, BArch, R 3001 / 6566, Bl. 6 (dort S. 4).
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939377
nur der Urheber, sondern auch die Allgemeinheit ein begründetes Interesse an der Ausübung eines übertragenen Werknutzungsrechts habe und das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung dem Schutz ebendieses Interesses diene. Dabei ließ er ausdrücklich offen, ob das Rückrufsrecht „auf die Anschauung von der Elastizität des Urheberrechts […] oder auf die urheberpersönlichkeitsrechtliche Erwägung der Urheberschaft“360 zu stützen sei. Abgesehen davon gab es bis 1939 nur noch wenige Beiträge zur Urheberrechtsreform. Sieht man von den nachstehend betrachteten Privatentwürfen Willy Hoffmanns sowie des BNSDJ ab, bemühte sich die Jurisprudenz vornehmlich darum, das Urheberrecht und seine Begründung mit der NS-Ideologie in Einklang zu bringen361. So finden sich zahlreiche Abhandlungen, deren Autoren versuchten, den Begriff des Urheberpersönlichkeitsrechts durch den der „Urheberehre“ zu ersetzen362. Beispielhaft betonte der Göttinger Ordinarius Herbert Meyer363, dass der Urheber „als Wahrer seiner Ehre […] allein zu Entscheidung darüber berufen [sei], ob er von dem Recht der Veröffentlichung überhaupt Gebrauch machen“ wolle. Doch auch nachdem er sein Werk dem „Gemeingebrauch des Volkes“ überlassen habe, fließe aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht die Befugnis, die (weitere) Verbreitung und Mitteilung zu untersagen, etwa wenn die konkrete Art der Verbreitung dem Zweck des Werkes zuwiderlief.364 Weniger ideologiegeschwängert, aber nicht minder auf Regierungslinie war ein weiterer Beitrag Hoffmanns, in welchem dieser unter der These „Das Urheberrecht ist ein sozial gebundenes Recht“ betonte, dass der Urheber ein Werk nicht für sich selbst, sondern für die Allgemeinheit schuf und ein künftiges Gesetz daher sowohl im Interesse derselben als auch im Interesse des Urhebers eine Ausübungspflicht statuieren sowie für den Fall der Nichtausübung derselben die Möglichkeit vorsehen müsse, das betreffende Werknutzungsrecht zurückzurufen365.
360 Hoffmann,
FS AkDR, S. 259 f. ausführlich Vogt, S. 187 ff. m. w. N. 362 Siehe insofern beispielhaft Kopsch, ZAkDR 1936, S. 376 ff.; ders., FS AkDR, S. 271 f.; ders., UFITA 12 (1939), S. 43 f. und Meyer, ZAkDR 1936, S. 155 ff. Diese Bemühungen sind vor dem Hintergrund der großen Bedeutung zu sehen, welche die Nationalsozialisten dem Begriff der „Ehre“ ganz allgemein beimaßen („Meine Ehre heißt Treue“ als Losung der SS; „Blut und Ehre“ als Schlagwort der HJ; „Reichsparteitag der Ehre“ im Jahr 1936, um nur einige Beispiele zu nennen). Speitkamp, S. 193 betont unter Hinweis auf entsprechende Äußerungen Hans Franks jedoch zurecht, dass sich die Ehre des Einzelnen im Nationalsozialismus allein aus seinem Wert für die Gemeinschaft speiste; ähnlich auch Burkhart, S. 111 f. 363 Zur Person siehe Grill, S. 307 f. 364 Meyer, ZAkDR 1936, S. 156. 365 Hoffmann, GRUR 1938, S. 4. 361 Dazu
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
3. Rücktritts- und Rückrufsrechte in den Privatentwürfen der Jahre 1933 / 34 Von privater Seite arbeiteten den Jahren 1933 und 1934 sowohl Willy Hoffmann [a)] als auch der BNSDJ [b)] Urheberrechtsgesetzentwürfe aus, welche Rückrufs- bzw. Rücktrittsrechte des Urhebers für den Fall der Nichtausübung vorsahen. a) Der Entwurf Willy Hoffmanns Willy Hoffmann legte 1933 einen weiteren Privatentwurf mit dem Titel „Ein deutsches Urheberrechtsgesetz“ vor (HE 1933). Er rühmte seinen Entwurf, der eine Überarbeitung des amtlichen Entwurfes von 1932 darstellte, als Überwindung der „liberal-individualistischen Auffassung“ der Weimarer Republik, indem dieser an die Stelle des bisher vermeintlich maßgeblichen Grundsatzes „pro autore“ den Grundsatz „pro arte“ setze und somit der „deutschen nationalen Erhebung“ auch im Bereich des Urheberrechts Rechnung trüge366. Der insgesamt 76 Paragraphen umfassende Katalog regelte den Rechtsverkehr in Urheberrechtssachen im vierten Abschnitt (§§ 31– 41 HE 1933), wobei § 37 ein Rückrufsrecht wegen Nichtausübung vorsah: „(1) Macht der Erwerber einer urheberrechtlichen Befugnis von dieser keinen oder einen von dem üblichen erheblich abweichenden Gebrauch, so daß wesentliche Interessen des Urhebers verletzt werden, kann ihm der Urheber zur Nachholung eine angemessene Frist mit der Erklärung setzen, daß er nach fruchtlosem Ablauf der Frist die Befugnis zurückrufen werde. Ist keine Frist für die Ausübung der Befugnis vereinbart worden, und ergibt sich aus dem Zweck der Übertragung nicht eine kürzere Frist, so ist die Bestimmung der Nachfrist erst nach 2 Jahren nach Vertragsabschluss oder nach Ablieferung des Werkes, falls diese später erfolgt, zulässig, spätestens aber seit fünf Jahren seit dem Vertragsschluss. (2) Die Befugnis zur Friststetzung und zum Rückruf tritt nicht ein, wenn die ungenügende Ausübung der Befugnis durch Verschulden des Urhebers verursacht ist, oder wenn den Erwerber ein Verschulden hierbei nicht trifft. (3) Der Gewährung einer Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung der Befugnis dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird, oder wenn durch die Bestimmung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet werden. (4) Eine bereits empfangene Vergütung ist vom Urheber im Falle des berechtigten Rückrufs nicht zurückzuerstatten.
366 Hoffmann, W., UrhG, S. 23; eine ausführliche Darstellung des Entwurfs liefert Vogt, S. 192 ff.
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939379
(5) Auf das Rückrufrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. (6) Die Bestimmungen der Abs. 1–5 gelten nicht, wenn beim Erwerb der Befugnis eine Veröffentlichung des Werkes (§ 13 Abs. 1367) nicht bezweckt wird“368.
Ausweislich der Motive verstand Hoffmann das Rückrufsrecht als Instrument zum Schutz sowohl der vermögens- als auch der persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers: Dieser schriebe nicht nur, um „vermögensrechtliche Vorteile zu erwerben“, sondern weil er sein Werk „der Allgemeinheit zugänglich machen“ wolle. Dementsprechend könne die Vorschrift auch keine Anwendung finden, wenn vertraglich keine Veröffentlichungspflicht übernommen wurde (Abs. 6). Dies sei, so Hoffmann weiter, vor allem für das Filmgewerbe relevant, wo es üblich sei, dass Filmhersteller in großem Umfang Manuskripte erwarben, an deren Verwertung sie erst gingen, wenn nach dem Geschmack des Publikums sowie unter Berücksichtigung der politischen Situation eine gewinnbringende Verwertung zu erwarten war. Entsprechendes gelte für Werke aus dem Kunstgewerbe. Wie die amtlichen Entwürfe folgte er damit den Wünschen der Film- und Kunstgewerbebranche. Mit ausdrücklichem Verweis auf de Boor formte auch Hoffmann in seinem Entwurf das Rücktrittsrecht des amtlichen Entwurfes von 1932 in ein Rückrufsrecht um und beschränkte die Aktivlegitimation auf den Urheber.369 Dabei unterliefen ihm jedoch dieselben systematischen Fehler wie den amt lichen Entwürfen, indem er für die Ausschlussfrist des Abs. 1 S. 2 den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht denjenigen der Nutzungsrechtseinräumung als maßgeblich ansah. Restriktiver als das Rückrufsrecht der amtlichen Entwürfe war § 37 HE 1933 insofern, als er den Rückruf nur gestattete, wenn der Nutzungsrechtsinhaber die Nichtausübung zu vertreten hatte. Hoffmann begründete dies damit, dass es sich bei § 37 um „eine Ausübung des Treugedankens“370 handle, so dass ein verschuldensunabhängiger Rückruf nicht gerechtfertigt sei. Wie in den amtlichen Entwürfen sollte der Rückruf jedoch auch dann gestattet sein, wenn das Nutzungsrecht in einer Weise ausgeübt wurde, die faktisch der Nichtausübung gleichkam. Zwar wurde Hoffmanns Entwurf von de Boor in der Juristischen Wochenschrift 1934 besprochen371, zum Rückrufsrecht des § 37 HE 1933 finden 367 § 13 Abs. 1 HE 1933 lautete: „Die Befugnis, ein Werk zu veröffentlichen, umfaßt alle Arten des Zugänglichmachens des Werkes für die Öffentlichkeit“ (Hoffmann, W., UrhG, S. 8). 368 Hoffmann, W., UrhG, S. 13. 369 Hoffmann, W., UrhG, S. 76. 370 Hoffmann, W., UrhG, S. 77. 371 de Boor, JW 1934, S. 1105 ff.; ausführlich zur Kritik de Boors Vogt, S. 208 ff.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
sich darin indes keine Äußerungen, was wohl dem wesentlichen Gleichlauf des Entwurfs mit den diesbezüglichen Positionen de Boors (und damit auch mit den amtlichen Entwürfen) geschuldet war. b) Der Entwurf des BNSDJ Der 1934 vorgelegte Entwurf des BNSDJ372 (NSJ-E) war parallel zur Ausarbeitung des amtlichen Entwurfes von 1934 entstanden und wurde ohne Begründung in der UFITA veröffentlicht373. Er basierte, entsprechend dem amtlichen Entwurf, auf den amtlichen Entwürfen von 1932 und 1933374, nahm jedoch für sich in Anspruch, das Gesetz „aus einer einheitlichen, der nationalsozialistischen Lehre entsprechenden Grundanschauung abzulei ten“375. Nach dieser war der „Quell des Urheberrechts das Interesse, das der Staat als Träger der Volksgemeinschaft an der Erhaltung und Förderung der individuellen schöpferischen Leistung“376 habe. Der BNSDJ-Entwurf statuierte in § 34 ein Rücktrittsrecht des Urhebers für den Fall der Nicht- bzw. unzureichenden Ausübung der übertragenen Befugnisse: „(1) Übt derjenige, dem eine urheberrechtliche Befugnis zur Ausübung übertragen worden ist, diese schuldhafterweise nicht oder nur in offenbar ungenügender Weise aus, so kann ihm der Urheber zur Nachholung eine angemessene Frist mit der Erklärung setzen, er werde nach deren fruchtlosen Ablauf vom Vertrage zurücktreten. (2) Mit der Rücktrittserklärung fällt die urheberrechtliche Befugnis an den Urheber zurück; die schuldrechtlichen Verhältnisse regeln sich gemäß §§ 323 bis 325 BGB. (3) Auf das Rücktrittsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. (4) Die Bestimmungen des Abs. 1–3 gelten nicht, wenn beim Erwerb der Befugnis die unmittelbare Veröffentlichung des Werks (§ 8) nicht bezweckt wird“377.
Damit entsprach die Regelung des § 34 NSJ-E zwar im Wesentlichen derjenigen des Hoffmann-Entwurfs, behielt jedoch die systematisch-terminologische Einordnung als „Rücktrittsrecht“ bei und sprach dem Urheber ein solches auch im Falle der ungenügenden Ausübung einer Nutzungsbefugnis 372 Der BNSDJ, ab 1936 „Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund“, hatte insbesondere die Aufgabe, rechtspolitische Grundsätze zu erarbeiten, die den Maximen der NSDAP entsprachen, siehe dazu Vogt, S. 211 f. sowie insbesondere Sunnus, S. 21 ff. 373 Kopsch, UFITA 7 (1934), S. 383 ff.; ausführlich zum NSJ-Entwurf Vogt, S. 211 ff. 374 Kopsch, UFITA 7 (1934), S. 384. 375 Kopsch, UFITA 7 (1934), S. 383. 376 Kopsch, UFITA 7 (1934), S. 385. 377 Kopsch, UFITA 7 (1934), S. 395.
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939381
zu. Auf ein Verbietungsrecht verzichtete der NSJ-Entwurf indes ebenso wie der Privatentwurf Hoffmanns. Stattdessen lieferte er mit § 7 NSJ-E eine auch gegenüber Art. 6bis RBÜ eigenständige Regelung des Urheberpersönlichkeitsrechts, welche selbiges als die ausschließliche Befugnis definierte, das Werk zu veröffentlichen (Nr. 1), die Urheberschaft am Werk geltend zu machen (Nr. 2) sowie Verletzungen des „eigenpersönlichen Ausdruckswillens im Werke“378 zu verbieten (Nr. 3). De Boor verfasste für die AkDR ein Gutachten, in welchem er zu der Frage Stellung nahm, ob der amtliche Entwurf von 1932 / 33 oder aber der Entwurf des BNSDJ die geeignetere Grundlage für die weiteren Reformarbeiten sei. Während sich de Boor zum Rücktrittsrecht des § 34 NSJ-E nicht ausdrücklich äußerte, kritisierte er insbesondere die Fassung des Urheberpersönlichkeitsrechts in § 7 NSJ-E. Hier sei die ausdrückliche Statuierung der Erstveröffentlichungsbefugnis (Nr. 1) redundant, da diese „in jedem Verlagsrecht, jedem Erstaufführungsrecht“, kurzum jedem Nutzungsrecht denknotwendig mitenthalten sei. Das Urheberpersönlichkeitsrecht wende sich vielmehr vor allem „dagegen […], daß die Veröffentlichung unter Verletzung der Beziehung des Urhebers zu seinem Werk“ erfolge, wobei de Boor abermals das Beispiel des wissenschaftlichen Autors bemühte, dessen Werk ihm nach Vertragsschluss („in seinen Augen“) – etwa infolge von Konkurrenzpublikationen – „überholt und widerlegt […] erscheint“. In der Folge müsse ihm die Möglichkeit blieben, die (weitere) Veröffentlichung und Verbreitung zu verhindern.379 Dabei versäumte auch de Boor nicht, die Bedürfnisse der infolge der „nationalen Revolution“ angebrochenen „neuen Zeit“380 als Begründung heranzuziehen: Demnach schuf der Urheber sein Werk aus der Allgemeinheit und für die Allgemeinheit, weshalb seine Interessen insofern schützenswert waren, als sie sich mit dem Kollektivinteresse deckten, im Zweifel aber hinter dasselbe zurückzutreten hatten381. In der Konsequenz sei der Urheber „für sein Werk dem Volke verantwortlich“ und müsse „daher auch die Mittel haben, um sich gegen eine unwürdige Wiedergabe, ein kulturwidriges Verfahren mit seinem Werke zu wehren“, nicht zuletzt da kommerzielle Werknutzer stets gezwungen seien, ihre „Bilanzen gesund zu halten“. Entsprechend sei bei ihnen auch „die Gefahr am größten, daß aus merkantilen Gründen eine Ausnutzung geschieht, die aus kulturellen Gründen nicht am Platz ist“382. 378 Kopsch,
UFITA 7 (1934), S. 391. de Boors vom 26.06.1934, BArch, R 3001 / 6566, Bl. 15 (dort S. 26); entsprechend de Boor, UFITA 7 (1934), S. 431 f. 380 de Boor, UFITA 7 (1934), S. 413. 381 Dazu ausführlich Vogt, S. 301 ff. m. w. N. sowie die Ausführungen im Rahmen der Akademieberatungen des UrhG-E 1934, oben F. III. 2. lit. c). 382 Gutachten de Boors vom 26.06.1934, BArch, R 3001 / 6566, Bl. 15 (dort S. 36 f.); entsprechend de Boor, UFITA 7 (1934), S. 439. 379 Gutachten
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Vor diesem Hintergrund, so schloss de Boor seine Untersuchung, sei der amtliche Entwurf von 1932 / 33 mit seinen §§ 10 Abs. 4 und 28 dem NSJEntwurf vorziehen. 4. Der Entwurf der Akademie für Deutsches Recht von 1939 Entsprechend dieser Empfehlung nahm die AkDR den amtlichen Entwurf in der Überarbeitungsfassung von 1934 als Grundlage für die Beratungen ihres „Fachausschusses für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht“383. In insgesamt 15 Sitzungen zwischen 1934 und Ende 1938 wurde ein Entwurf ausgearbeitet, der schließlich 1939 der Öffentlichkeit präsentiert wurde (AkDR-E)384. Zu den Ausschusssitzungen sind lediglich kursorisch gehaltene Berichte erhalten, die sich nicht zu Einzelvorschriften und damit auch nicht zum Rückrufs- und Verbietungsrecht äußerten385. Beide Normen wurden jedoch im Kern unverändert aus den amtlichen Entwürfen übernommen [a) und b)] und auch die diesbezüglichen Stellungnahmen in der Literatur förderten wenig Neues zutage [c)]. a) Urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht § 10 AkDR-E fasste das Urheberpersönlichkeitsrecht, welches im Anschluss an Stimmen wie die Meyers oder Kopschs als „Urheberehre“ bezeichnet wurde, und das Verwertungsrecht in einer Norm zusammen386. Auf diese Weise sollte verdeutlicht werden, dass es sich nicht etwa um getrennte Rechte, sondern vielmehr um verschiedene Ausstrahlungen eines einheitlichen Urheberrechts handelte387. Der neueingefügte § 10a AkDR-E konkretisierte die einzelnen, aus der „Urheberehre“ fließenden Befugnisse in Gestalt 383 Schubert,
Akademie, S. XXXIX. Entwurf ist abgedruckt in GRUR 1939, S. 242 ff. sowie im Arbeitsbericht der Akademie für Deutsches Recht Nr. 11 („Die Neugestaltung des deutschen Urheberrechts“), Berlin und München 1939. Zu den Inhalten des Entwurfs im Gesamten siehe Vogt, S. 227 ff. 385 Siehe Schubert, Akademie, S. 556 ff., 583 f., 585 f. sowie den Überblick über die Entwicklung ebd., S. XXXVIII ff. und Vogt, S. 221 ff.; die detaillierteren Beratungsunterlagen sind wohl infolge des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen (so auch Vogt, S. 221 / Fn. 899). 386 Konkret lautete § 10 AkDR-E: „Das Urheberrecht umfaßt den Schutz des Urhebers in seinen eigenpersönlichen Beziehungen zu dem Werk (Urheberehre) und die Verwertung des Werkes in der ursprünglichen oder einer abgeänderten Form“, siehe AkDR, GRUR 1939, S. 243. 387 AkDR, GRUR 1939, S. 259. 384 Der
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des Erstveröffentlichungsrechts (Abs. 1), des Rechts auf Anerkennung der Urheberschaft und auf die Urheberbezeichnung (Abs. 2) sowie des Verbietungsrechts (Abs. 3). Letzteres lautete: „(3) Der Urheber kann eine Veröffentlichung oder Verwertung seines Werkes, die sein Ansehen oder seinen Ruf gefährden würde, auch dann verbieten, wenn er sie einem anderen überlassen hat, gleichviel, ob es sich um eine Veröffent lichung oder Verbreitung in der Urform oder in einer abgeänderten oder bearbeiteten Form handelt. Er hat den vom Verbot Betroffenen angemessen zu entschädigen, soweit dies der Billigkeit entspricht“388.
Damit entsprach die Fassung des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts jener des § 10 Abs. 4 UrhG-E 1934, wobei man den Hinweis, dass Ansprüche aus anderen Vorschriften unberührt blieben, hatte entfallen lassen. Speziell für Filmwerke stellte § 19b Abs. 2 AkDR-E klar, dass die Rechte des Urhebers aus § 10a AkDR-E auch bei diesen zum Tragen kämen, jedoch mit der Einschränkung, dass bei ihrer Ausübung „angemessene Rücksicht auf die Belange der Miturheber und des Filmherstellers zu nehmen“389 sei. b) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Wie auch die amtlichen Entwürfe legte der Akademieentwurf in § 16 fest, dass das Urheberrecht aufgrund seiner persönlichkeitsrechtlichen Prägung einzig von Todes wegen übergehen, der Urheber zu Lebzeiten demnach ausschließlich Nutzungsbefugnisse übertragen konnte. Das im Anschluss hieran in § 28 AkDR-E vorgesehene Rückrufsrecht enthielt gegenüber den amt lichen Entwürfen lediglich wenige Änderungen (im Folgenden nicht kursiv): „(1) Macht der Inhaber eines Werknutzungsrechts, gleichviel ob es ihm vom Urheber eingeräumt worden ist oder er es von einem Werknutzungsberechtigten erworben hat, von dem Recht keinen ernstlichen Gebrauch und werden dadurch berechtigte Interessen des Urhebers wesentlich verletzt, so kann dieser das Recht zurückrufen. Dies gilt nicht, wenn das Verhalten des Inhabers durch einen vom Urheber zu vertretenden Grund gerechtfertigt wird. Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit der Einräumung des Rechts oder, falls die Ablieferung des Werkes später erfolgt, von der Ablieferung ab geltend gemacht werden, es sei denn, daß sich aus dem Vertrag oder dem Zweck der Rechtseinräumung eine andere Frist ergibt. (2) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Erwerber unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist zur Ausübung des Werknutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Werknutzungsrechts dem Erwerber unmög388 AkDR, 389 AkDR,
GRUR 1939, S. 243. GRUR 1939, S. 245.
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lich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Bestimmung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden. (3) Im Fall des Rückrufs endet das Werknutzungsrecht. Der Urheber hat jedoch den Betroffenen angemessen zu entschädigen, soweit dies der Billigkeit entspricht; Ansprüche auf Grund anderer Vorschriften bleiben unberührt. (4) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Auch kann seine Geltendmachung nicht im voraus für eine längere Zeit als fünf Jahre ausgeschlossen werden. (5) Die Vorschriften der vorstehenden Absätze gelten entsprechend, wenn der Verleger die Herausgabe einer Neuauflage, zu der er berechtigt ist, oder der Erwerber eines anderen Werknutzungsrechts die weitere Verwertung des Werkes ohne einen vom Urheber zu vertretenden Grund binnen der in Abs. 1 bezeichneten Frist unterläßt. Diese Frist beginnt für die Herausgabe einer Neuauflage mit dem Zeitpunkt, wo die frühere Auflage vergriffen ist, sonst mit der zuletzt vorgenommenen Verwertung“390.
Für einen Rückruf sollte demnach fortan erforderlich sein, dass der Nutzungsrechtsinhaber von seiner Befugnis keinen „ernstlichen“ Gebrauch machte. Während die übrigen Änderungen in Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1 lediglich sprachliche Präzisierungen darstellten, beseitigte man durch die Ersetzung der Wendung „seit dem Vertragsabschluss“ durch die Formulierung „seit der Einräumung des Rechts“ in Abs. 1 S. 3 jene systematische Inkonsequenz, welche noch aus der Zeit der Fassung der Vorschrift als Rücktrittsrecht herrührte (§ 29 UrhG-E 1932)391. Für den Begriff des Werknutzungsrechts wurde in § 17 Abs. 1 AkDR-E eine Legaldefinition eingefügt. Demnach handelte es sich dabei um die ausschließliche Werknutzungsbefugnis, während einfache Befugnisse als „Werknutzungsbewilligung“ bezeichnet wurden392. Eine gesonderte Begründung war dem Rückrufsrecht nicht beigegeben. Die Motive verwiesen insofern auf die Begründung des amtlichen Entwurfes von 1934393. Der die ausnahmsweise Unanwendbar- bzw. Abdingbarkeit des Rückrufsrechts regelnde § 29 AkDR-E entsprach im Wesentlichen § 29 UrhG-E 1934, jedoch wurde die Möglichkeit des Vorabverzichts auf das Rückrufsrecht bei Filmhandschriften oder sonstigen, zur gewerbsmäßigen Herstellung von Filmen dienenden Werken unter den Vorbehalt der Zustimmung der Reichskulturkammer gestellt394. Diese sollte Mantel- bzw. Normalverträge erlassen, aus welchen hervorgehen sollte, wann ein Verzicht künftig zulässig sein 390 AkDR,
GRUR 1939, S. 246. oben, F. II. 3. 392 AkDR, GRUR 1939, S. 244, dazu auch Seiller, UFITA 12 (1939), S. 240 f. sowie Müller, UFITA 12 (1939), S. 305. 393 AkDR, GRUR 1939, S. 260. 394 AkDR, GRUR 1939, S. 247. 391 Siehe
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939385
sollte395. Die Ausschlussregelung für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder (§ 58 Abs. 4 AkDR-E) wurde gegenüber § 58 Abs. 2 UrhG-E 1934 dahingehend eingeschränkt, dass künftig nur noch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung, nicht aber das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht ausgeschlossen sein sollte396. Eine nähere Begründung wurde hierzu nicht geliefert; die Motive sprachen einzig davon, dass die Vorschrift des amt lichen Entwurfes (§ 58 UrhG-E 1934) den ansonsten in Aussicht genommenen Änderungen angepasst wurde. c) Stellungnahmen zum Akademieentwurf Angesichts der seit dem „Münchner Abkommen“ von 1938 zunehmenden außenpolitischen Spannungen und dem folgenden Kriegsausbruch hielt sich die öffentliche Diskussion über ein neues Urheberrechtsgesetz im Jahr 1939 im engen Rahmen397. Folglich ist auch die Zahl der Stellungnahmen zu §§ 10a Abs. 3 und 28 AkDR-E überschaubar. Mit Blick auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung schrieb der Münchner Rechtsanwalt Wilhelm Dieß, dass angesichts der Neuheit der gegenüber jedermann, d. h. nicht nur dem Vertragspartner des Urhebers gegenüber wirkenden Regelung eine klarere Fassung der Ausübungsvoraussetzungen angezeigt gewesen wäre398. Dießʼ Kritik erklärt sich vor allem daraus, dass insbesondere der mit einer ausführlichen Begründung versehene Entwurf von 1934 unveröffentlicht geblieben und dem Akademieentwurf selbst keine Motive beigegeben waren. Willy Hoffmann kritisierte den Begriff der „Urheberehre“ als bloße Facette des Urheberpersönlichkeitsrechts, welches neben dem Erstveröffentlichungsrecht und dem Recht, die Urheberschaft gegenüber Dritten geltend zu machen insbesondere in der Befugnis bestehe, jede Verletzung des aus dem Werk hervorgehenden eigenpersönlichen Ausdruckswillens abzuwehren. Für diesen Zweck bemängelte er das Verbietungsrecht des § 10a Abs. 3 AkDR-E als zu ausführlich und deshalb unklar geraten, ohne jedoch konkrete Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Ob dies aus Kränkung über die Nichtannahme seines eigenen Entwurfes geschah, muss dahingestellt bleiben. Gleichwohl unterstrich er den Charakter des Verbietungsrechts als Ausdruck des immer, d. h. unabhängig von etwaigen Nutzungsrechtseinräumungen erhalten bleibenden vinculum spirituale zwischen Urheber und Werk.399 395 AkDR,
GRUR 1939, S. 265. GRUR 1939, S. 252. 397 Vogt, S. 236. 398 Dieß, UFITA 12 (1939), S. 285. 399 Hoffmann, DR 1939, S. 1223. 396 AkDR,
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Hatte Hoffmann in seinem Privatentwurf von 1933 das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung noch als Instrument zum Schutze sowohl der persönlichkeits- als auch der vermögensrechtlichen Interessen des Urhebers bezeichnet400, definierte er dieses nunmehr primär als Auswirkung des sozial gebundenen Wesens des Urheberrechts401. Es liegt nahe, dass Hoffmann damit der nationalsozialistischen Urheberrechtsauffassung Rechnung tragen wollte. Ganz anders äußerte sich der Wiener Rechtsanwalt Alfred Seiller. Dieser lobte die Regelung des § 10a Abs. 3 AkDR-E als „in jeder Beziehung gerechtfertigt und äußerst glücklich gefaßt“, ja „fast unentbehrlich“, wobei er Art. 15 italUrhG402 als Vorbild der Regelung vermutete. Als typischen Anwendungsfall nannte Seiller die Konstellation, in welcher ein Urheber nach Abschluss des Verwertungsvertrages aber noch vor der Publikation des Werkes zu der Erkenntnis gelange, dass sein Werk nicht zur Veröffentlichung geeignet sei. Konkret seien dies insbesondere Fälle, in welchen der Urheber seine Kunstauffassung geändert habe oder die zutage geförderten (wissenschaftlichen) Erkenntnisse für noch nicht genügend gesichert halte. Zwar könne man, so schloss Seiller seine Betrachtungen zu § 10a Abs. 3 AkDR-E, das Recht des Urhebers, die Veröffentlichung seines Werkes gegen Geldentschädigung zu verhindern, ggf. auch aus dem droit moral oder der „Urheberehre“ selbst ableiten, doch sei die Stellung des Urhebers ungleich stärker, wenn sich dieser auf eine klare gesetzliche Bestimmung stützen könne403. Ausdrücklich mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht des Akademieentwurfes befasste sich Reichsgerichtsrat a. D. Georg Müller. Müller kritisierte im Kontext der §§ 10, 10a AkDR-E zwar den Begriff der „Urheberehre“ als zu unpräzise, beschränkte sich im Übrigen jedoch auf eine Paraphrasierung der seit 1929 veröffentlichten Gesetzentwürfe404. Damit endete die Auseinandersetzung mit dem Akademieentwurf, der aufgrund des Kriegsausbruches ebenfalls nicht mehr weiterverfolgt wurde. Die Reformarbeiten sollten erst zu Beginn der 1950er Jahre wiederaufgegriffen werden. Sie gipfelten in der Urheberrechtsnovelle von 1965, in welcher die Rückrufsrechte der §§ 41, 42 UrhG in ihrer im Kern noch heute gültigen Form normiert wurden. Dies ist Gegenstand des nachfolgenden, letzten Kapitels.
400 Siehe
oben, F. II. 2. lit. b). DR 1939, S. 1223 f. 402 Wortlaut oben, F. I. 1. lit. f) / Fn. 51. 403 Seiller, UFITA 12 (1939), S. 237. 404 Müller, UFITA 12 (1939), S. 260 f. 401 Hoffmann,
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5. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Die Berner Konferenz von 1928, auf welcher das Urheberpersönlichkeitsrecht mit dem auf Grundlage des italienischen Urheberrechtsgesetzes von 1925 geschaffenen Art. 6bis RBÜ international anerkannt wurde, mehr jedoch der technische Fortschritt im Bereich der Verbreitungsmedien machten eine Reform des deutschen Urheberrechts unumgänglich. Bereits im Nachgang der Konferenz forderten einzelne Literaturstimmen eine Implementierung des Urheberpersönlichkeitsrechts in ein künftiges deutsches Urheberrechtsgesetz, welches insbesondere ein Rücktritts- oder „Heimfallsrecht“ für den Fall der Nichtausübung nach Vorbild der §§ 30, 32 VerlG respektive Art. 44 italUrhG umfassen sollte. Nachdem bereits Kohler 1912 das verlagsgesetzliche Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung (auch) als Instrument zum Schutz der Urheberpersönlichkeit bezeichnet hatte, argumentierte man hier vor allem mit der mittlerweile absolut vorherrschenden monistschen Deutung des Urheberrechts. Demnach wohnte insbesondere dem Veröffentlichungsrecht neben der vermögens- auch eine persönlichkeitsrechtliche Schutzkomponente inne, welche durch eine „Stilllegung“ des Werkes verletzt würde und die Normierung eines entsprechenden Sicherungsinstruments unverzichtbar mache. In der Folge sah eine Reihe der zwischen 1928 und 1932 vorgelegten Privat entwürfe die Möglichkeit vor, dass der Urheber eine nicht ausgeübte Werk nutzungsbefugnis zurückerhielt, wobei sich das Spektrum von einem Rückfall von Rechts wegen über ein (schuldrechtliches) Rücktritts- bis hin zu einem (quasi-dinglichen) Rückforderungsrecht erstreckte. Vereinzelt fand sich in den Entwürfen auch ein, als unmittelbarer Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts definiertes Rückforderungsrecht des Urhebers für den Fall, dass sein Interesse am Rückzug des Werkes die Verwertungsinteressen des Berechtigten überwog. Der erste amtliche Entwurf, den das RJM im Jahr 1932 vorlegte, sah ein Rücktrittsrecht für den Fall der Nicht- bzw. unzureichenden Ausübung eines ausschließlichen Werknutzungsrechts vor, welches durch den Veräußerer nach Ablauf von zwei Jahren ab Vertragsschluss ausgeübt werden konnte, sofern er die Nichtausübung nicht zu vertreten hatte. Zur Gewährleistung der Anwendbarkeit der Vorschrift im Kettenhandel hatte man bewusst auf den Begriff des „Urhebers“ als Aktivlegitimiertem verzichtet. Das Rücktrittsrecht war unverzichtbar, konnte jedoch temporär abbedungen werden. Ein bereits erhaltenes Honorar durfte der Zurücktretende einbehalten. Schließlich wurde das Rücktrittsrecht für den Fall entsprechend anwendbar erklärt, dass ein zu Neuauflagen berechtigter Verleger oder sonstiger Berechtigter die weitere Verwertung des Werkes ohne einen vom Verfasser zu vertretenden Grund unterließ.
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
Die Regelung war u. a. den §§ 17, 30, 32 VerlG sowie § 20 öUrhG entlehnt. Letzteres erklärt sich aus den kurzlebigen Bestrebungen um eine Rechtsangleichung zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Österreich. Zur Begründung führte man auch hier das Interesse des Urhebers an, mit seiner Schöpfung zum Publikum durchzudringen. Der Entwurf wurde im Anschluss von einer Reihe staatlicher Stellen, in der Literatur sowie seitens der Interessentenkreise diskutiert. Repräsentativ für diese öffentliche Auseinandersetzung und zugleich richtungsweisend für die weitere Genese der Rückrufsrechte waren die Beratungen im vorläufigen RWR, wo Experten aus der Wissenschaft, Regierungsbeamte sowie Interessenvertreter von Urheberschaft und Verwertungsindustrie aufeinandertrafen. Die hier aufgeworfenen Problemkreise sollten die Diskussion um die konkrete Ausgestaltung und Reichweite der Rücktritts- bzw. Rückrufsrechte für die kommenden Jahrzehnte beherrschen. Im Rahmen der Behandlung der Frage, in welcher Weise das Urheberpersönlichkeitsrecht aus Art. 6bis RBÜ in das künftige deutsche Urheberrechtsgesetz zu implementieren sei, schlug Hans Otto de Boor die Einführung eines Verbietungsrechts des Urhebers für den Fall vor, dass die Veröffentlichung oder sonstige Verwertung des Werkes sein Ansehen oder seinen Ruf erheblich zu gefährden drohte. Die Befürworter dieses Vorstoßes begründeten dies mit der Notwendigkeit, die Anwendungslücken des § 35 VerlG zu schließen, welche man insbesondere in der temporären Begrenzung des Rücktritts bis zum Vervielfältigungsbeginn sowie der dem Verlagsrecht immanenten Beschränkung auf Druck erzeugnisse erblickte. Verwiesen wurde in diesem Kontext insbesondere auf das ausgesprochen weite „Rückzugsrecht aus moralischen Gründen“ des Art. 15 italUrhG. Indes konnte sich de Boor mit seinem Vorschlag nicht durchsetzen. Angesichts des Fehlens jedweder Entschädigungspflicht des Urhebers erblickte man darin ein Risiko für die Rechtssicherheit. Stark umstritten war auch die Ausgestaltung des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung in § 29 UrhG-E 1932. So sprachen sich die Vertreter der Verwertungsindustrie vehement gegen die Möglichkeit des Rücktritts bei lediglich „unzureichender“ Ausübung aus. Man sah in dem Terminus ein Einfallstor für unlautere Konkurrenzmanöver und befürchtete in der Folge eine Flut an Prozessen zur Klärung der Frage, ab wann eine Ausübung „ausreichend“ war. In der Folge beschloss man eine Streichung der Rückrufsmöglichkeit bei unzureichender Ausübung, wobei den Interessen der Urheber insofern Rechnung getragen wurde, als die Begründung klarstellte, dass Fälle der unzureichenden Ausübung, die faktisch einer Nichtausübung gleichkamen, gleichermaßen zum Rücktritt berechtigen sollten. Bedenken wurden auch hinsichtlich der Regelung geäußert, wonach das Rücktrittsrecht ausgeschlossen sein sollte, wenn der Veräußerer die Nichtausübung zu ver-
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939389
treten hatte. Man erachtete dieses Kriterium als zu niedrigschwellig und regte stattdessen an, den Rücktritt erst dann auszuschließen, wenn durch die Nichtausübung keine berechtigten Interessen des Veräußerers verletzt wurden. Als besonders langlebig sollte sich die Auseinandersetzung um die Frage des Ausschlusses bzw. der gänzlichen Abgedingbarkeit des Rücktrittsrechts bei zu verfilmenden Werken, fertigen Filmwerken sowie Werken des Kunstgewerbes erweisen. Angesichts der regelmäßig langen Herstellungsdauer und der hohen Produktionkosten von Filmwerken sowie des Umstandes, dass ihre Veröffentlichung stets von der schwankenden konjunkturellen Lage und dem nicht minder wechselvollen Publikumsgeschmack abhing, hielt man es für unerlässlich, den Produktionsfirmen die Bevorratung mit Filmstoffen zu gestatten, indem man das Rücktrittsrecht in diesem Bereich für gänzlich abdingbar erklärte. Hierdurch sollte es den Unternehmen ermöglicht werden, den für eine Filmproduktion geeigneten Zeitpunkt nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Mit Blick auf Werke, die als Entwürfe von Angestellten im Kunstgewerbe geschaffen wurden, führte man ebenfalls den schwankenden Publikumsgeschmack ins Feld, welcher dazu führe, dass von einer Vielzahl derartiger Entwürfe lediglich eine Handvoll am Markt platziert werden könne. Ohne eine Beschränkung der Rücktrittsmöglichkeit, so drohten die Vertreter des Kunstgewerbes, würden nur noch diejenigen Entwürfe vergütet, welche tatsächlich zur Ausführung kamen, so dass sich das Rücktrittsrecht letztlich zulasten der Urheber auswirken müsse. Eng mit der Auseinandersetzung um branchenspezifische Ausnahmevorschriften verwoben war die Frage der Möglichkeit des temporären Ausschlusses des Rücktrittsrechts durch vertragliche Vereinbarung: Zwar gestattete § 29 Abs. 2 UrhG-E 1932 den Rücktritt erst nach zwei Jahren, Abs. 4 ermöglichte darüber hinaus jedoch den faktisch unbegrenzten Ausschluss des Rücktrittsrechts durch Parteivereinbarung. Nachdem die Regierungsseite zu Beginn der Beratungen zur Beschwichtigung der Kunstgewerbevertreter noch auf diese Möglichkeit verwiesen hatte, erkannte man im Laufe der Debatte die mit einer zeitlich unbegrenzten Ausschlussmöglichkeit zwangsläufig einhergehende Entwertung des Rücktrittsrechts. Das RJM entschied sich schließlich dafür, den vertraglichen Ausschluss des Rücktrittsrechts nur bis zu einer Maximaldauer von fünf Jahren zuzulassen. Auch der Regelung, dass dem Zurücktretenden ein bereits gezahltes Honorar verbleiben sollte, begegnete man mit Skepsis. Neben einer möglichen ungerechtfertigten Bereicherung des Urhebers befürchtete man insbesondere, dass die Verwertungsindustrie in diesem Fall keinerlei Vorabzahlungen mehr vornehmen würde, so dass sich auch diese Vorschrift letztlich als Danaergeschenk für die Urheber erweisen würde. Hier kam man überein, die Honorarregelung so zu gestalten, dass der Urheber ein bereits erhaltenes Honorar
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
einzig im Fall der ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben hatte, womit insbesondere eine Doppelhonorierung ausgeschlossen werden sollte. Seitens der Urhebervertreter schlug man vor, die Aktivlegitimation auf den Urheber zu beschränken, da allein dieser aufgrund seiner persönlichen Verbundenheit mit dem Werk Garant dafür sei, dass einer Nichtausübung energisch entgegengetreten würde. Zu einer abschließenden Klärung kam es hier indes nicht. Von langfristiger Bedeutung war schließlich Hans Otto de Boors dogmatische Kritik am bisherigen Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung: Unter Hinweis auf das Trennungs- und Abstraktionsprinzip betonte dieser, dass der Rücktritt stets vom Vertrag erfolge, das Telos des § 29 UrhG-E 1932 aber auf eine Rückübertragung des Werknutzungsrechts und damit auf die quasi-dingliche Ebene ziele. Um dies zu verdeutlichen, schlug de Boor vor, den Begriff des Rücktritts durch jenen des „Rückrufs“ zu ersetzen. Die klare Fokussierung auf die quasi-dingliche Ebene brachte überdies den Vorteil mit sich, dass etwaige vertragliche Schadensersatzansprüche erhalten blieben und Rechtsunsicherheiten – etwa im Rahmen von Übertragungsketten – reduziert wurden. Nachdem bereits in der Vergangenheit verschiedentlich Begriffe wie „Heimfalls“- oder „Widerrufsrecht“ für die nachträgliche Entziehung von Nutzungsrechten aufgeflackert waren, war damit der Begriff des Rückrufsrechts geboren. Der überarbeitete Entwurf, den das RJM im Sommer 1933 vorlegte, setzte einen großen Teil der Kritik um. So schien das Ministerium die im vorläufigen RWR geäußerten Bedenken hinsichtlich des von de Boor vorgeschlagenen Verbietungsrechts nicht zu teilen, da man mit § 10 Abs. 4 UrhG-E 1933 eine nahezu wortgleiche Regelung als Bestandteil des Urheberpersönlichkeitsrechts implementierte. Mit der Fassung des bisherigen Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung als Rückrufsrecht (§ 28 UrhG-E 1933) wurde ein weiterer Vorstoß de Boors umgesetzt. Die Vorschrift enthielt gegenüber dem Entwurf von 1932 einige Änderungen: Rückrufsberechtigt war fortan der Urheber bzw. jeder andere „Berechtigte“, so dass der Begriff des „Veräußerers“ als Aktivlegitimiertem lediglich formell beseitigt wurde. Den Forderungen der Verwertungsindustrie entsprach man insofern, als die Möglichkeit des Rückrufs bei lediglich unzureichender Ausübung gestrichen wurde. Mit Blick auf die Auswirkung des Rückrufs auf die schuldrechtliche Ebene der Urheber-Nutzer-Beziehung wurden die Vorschriften des BGB über die Unmöglichkeit für entsprechend anwendbar erklärt. Darüber hinaus wurde die vertragliche Abbedingung des Rückrufsrechts auf maximal fünf Jahre begrenzt. Ein neu eingefügter § 29 setzte die Forderungen der Film- und Kunstgewerbeindustrie um, indem er das Rückrufsrecht u. a. für den unselbstständigen Urheber, für angestellte Urheber im Kunstgewerbe sowie für Urheber von Filmwerken ausschloss, während man einen vollständigen vertraglichen Vorabverzicht für Urheber von Filmmanuskripten zuließ. Überdies wurde
III. Urheberrechtliche Entwicklung 1933–1939391
sowohl das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht als auch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder ausgeschlossen. Eine Begründung war dem Entwurf nicht beigegeben, doch wies man seitens des RJM darauf hin, dass die Änderungen nicht nur eine Umsetzung der verschiedenen Stellungnahmen darstellten, sondern vielmehr auch Ausdruck des Bemühens seien, den Anschauungen der seit Januar 1933 regierenden NSDAP gerecht zu werden. Insbesondere rühmte man sich damit, mit dem Entwurf einen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, der Verwertungsindustrie sowie der „Volksgemeinschaft“ zu schaffen, deren höchstes Interesse in der Förderung und Erhaltung des geistigen Schaffens als „Quelle der Kultur“ liege. Insofern sollte auch der Ausbau des Urheberpersönlichkeitsschutzes in erster Linie dem Zweck dienen, den Urheber zu weiteren kreativen Leistungen anzuhalten und damit letztlich – wie auch die zeitgenössische Literatur zu § 35 VerlG betonte – den Ausstoss an Kulturgütern im Sinne des Volksganzen und der Programmatik der NSDAP befördern. Da die Überarbeitungsfassung des Entwurfes nicht veröffentlicht wurde, blieb die Kritik überschaubar. Zwar wurden seitens der zwischenzeitlich gleichgeschalteten Länder diverse Stellungnahmen eingereicht, doch begrüßten diese den Entwurf und den damit einhergehenden Ausbau des Urheberpersönlichkeitsschutzes zu weiten Teilen ausdrücklich, während die geäußerte Kritik nicht von grundlegender Natur war. Der Entwurf von 1933 ist daher lediglich als Zwischenstufe zum amtlichen Entwurf von 1934 zu sehen, der mit einer ausführlichen Begründung Mitte Januar 1934 veröffentlicht wurde. Das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht, für dessen Anwendungsbereich die Begründung beispielhaft einen Wandel der Überzeugung des Urhebers anführte, wurde darin um einen billigkeitsabhängigen Entschädigungsanspruch des Nutzungsrechtsinhabers im Verbietungsfall ergänzt. Eine wortgleiche Entschädigungsregelung war für das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung vorgesehen. Insofern vollzog sich eine erste Annäherung zwischen beiden Instrumenten, wobei die Begründung betonte, dass die Entschädigungsverpflichtung der Sicherung des Nutzungsrechtsinhabers auch und insbesondere in dem Fall diente, dass zwischen ihm und dem Urheber keine vertraglichen Beziehungen bestanden. Unverändert übernommen wurden die Regelungen zum Ausschluss bzw. zur Abbedingung des Rückrufs- und Verbietungsrechts. Der amtliche Entwurf wurde anschließend in der AkDR beraten, wo man die Stärkung der Urheberpersönlichkeitsrechte als im Sinne des nationalsozialistischen Staates begrüßte. Mit entsprechender Argumentation wurde seitens der Literatur die Einführung des Rückrufs- sowie des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts als Instrument zum Schutz der „Urheberehre“ gepriesen. Parallel zu den amtlichen Entwürfen wurden auch von pri-
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F. Vom Rücktritts- zum Rückrufsrecht
vater Seite Urheberrechtsgesetzentwürfe erarbeitet. Erwähnung verdient hier insbesondere der Entwurf des BNSDJ, der ausdrücklich als „nationalsozialistische Alternative“ zum amtlichen Entwurf des RJM präsentiert wurde. Der Entwurf rühmte sich, die individuelle schöpferische Leistung im Interesse der „Volksgemeinschaft“ zu schützen und zu fördern, sah ein Rücktrittsrecht wegen Nicht- oder unzureichender Ausübung sowie ein Verbietungsrecht für den Fall der Verletzung des „eigenpersönlichen Ausdruckswillens“ des Urhebers im Werk vor. Gleichwohl zog die AkDR den amtlichen Entwurf als Grundlage für die weiteren Reformarbeiten vor. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem stärkeren Urheberpersönlichkeitsschutz des offiziellen Entwurfs, wobei man insbesondere auf urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht verwies. Der Urheber, so betonte man, müsse die Möglichkeit haben, eine „kulturwidrige“ Wiedergabe seines Werkes zu untersagen, da er mit seinem Werk letztlich der „Volksgemeinschaft“ verantwortlich sei. In der Folge übernahm der Akademieentwurf von 1939 das urheberpersön lichkeitsrechtliche Verbietungsrecht ebenso wie das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung sowie die entsprechenden Ausschluss- und Abdingbarkeitsregelungen. Die wenigen Abhandlungen, die vor Kriegsbeginn noch zum Akademieentwurf erschienen, lobten insbesondere das urheberpersönliche Verbietungsrecht als unentbehrliches Instrument zum Schutz der Urheberpersönlichkeit. Im Ergebnis zeigt die Entwicklung zwischen 1918 und 1939, dass die in den Entwürfen vorgesehenen Rücktritts-, Rückrufs- und Verbietungsrechte einerseits auf den einschlägigen Regelungen des Verlagsgesetzes basierten, deren Lücken sie schließen sollten, andererseits internationale Vorgaben zum Urheberpersönlichkeitsschutz umsetzten. Als Vorbilder wurden vergleichbare Vorschriften anderer Staaten herangezogen, wobei mit Blick auf das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht, welches – wie das nachfolgende Kapitel zeigt – die direkte Vorstufe des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung darstellte, dem italienischen Urheberrechtsgesetz von 1925 besondere Bedeutung zugesprochen wurde. Vor diesem Hintergrund von einer faschistischen Patenschaft zu sprechen, erscheint jedoch allenfalls mittelbar zutreffend. Im Kern knüpfte man an bestehende Regelungen des Verlagsgesetzes an, während die italienischen Vorschriften vor allem in der Literatur beispielhaft-vergleichend herangezogen wurden. Ein direkter Rückgriff der Verantwortlichen – hier allen voran Hans Otto de Boors und des RJM – auf die italienischen Vorschriften ist an keiner Stelle nachweisbar und muss damit Vermutung bleiben. Auch ein genuin nationalsozialistischer Charakter der Regelungen ist zu verneinen, da sowohl das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung in seiner Vorstufe als Rücktrittsrecht als auch das urheberpersönliche Verbietungsrecht bereits in der Zeit der Weimarer Republik erarbeitet und nach der „Machtergreifung“ lediglich mit nationalsozialistischen Be-
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gründungsansätzen angereichert wurden. Wie eine Vielzahl anderer Reformvorhaben aus dem Bereich der Wirtschaftsgesetzgebung – beispielhaft sei hier auf das Patentgesetz von 1936 verwiesen405 – blieben auch die ab 1933 erarbeiteten bzw. fortentwickelten Entwürfe zum Urheberrecht im Kern ideologisch neutral und systemindifferent. Dies belegt nicht zuletzt der Umstand, dass man im Zuge der Wiederaufnahme der Reformarbeiten in der Bundesrepublik nahtlos an den Akademieentwurf von 1939 anknüpfte und sowohl das urheberpersönliche Verbietungs- wie auch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung nahezu unverändert übernehmen sollte.
405 Dazu
Schmidt, S. 244 ff. (hier insbesondere S. 249).
G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965 Während die ersten Jahre nach Kriegsende ganz im Zeichen des Wiederaufbaus sowie der Lösung der dringlichsten sozialen Probleme (Flucht und Vertreibung, Wohnraumnot sowie Sicherung der Grundbedürfnisse) standen, wandte man sich 1949 / 50 wieder der Reform des Urheberrechts zu, nachdem Verwertungspraxis und Jurisprudenz mit entsprechenden Eingaben und Anfragen an das Bundesjustizministerium (BMJ) herangetreten waren1. Unter Rückgriff auf den Akademieentwurf von 1939 wurde ein Vorentwurf erarbeitet, der im März 1951 vorgelegt wurde und das Verbietungs- wie auch das Rückrufsrecht des Akademieentwurfes nahezu wortgleich übernahm (I.). An dessen Ausarbeitung wie am weiteren Fortgang der Reformarbeiten war eine Reihe von Sachverständigen beteiligt, deren jeweilige Auffassungen zu den Rückrufsrechten insofern von Interesse sind, als Wechselwirkungen auch hier nicht ausgeschlossen werden können (II.). Bis zum September 1951 wurde der Vorentwurf abermals überarbeitet, wobei an die Stelle des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts ein „Widerrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ trat (III.). Die nächste Entwicklungsstufe markierte der Referentenentwurf von 1954, der das Widerrufsrecht zum Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung umgestaltete und in direkte Wechselwirkung mit dem Rückrufsrecht wegen Nichtausübung setzte (IV.). Nach umfassender Kritik erfolgte im Ministerialentwurf von 1959 eine weitere Ausdifferenzierung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung, während das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung im Wesentlichen unverändert übernommen wurde (V.). Diverse Änderungen erfuhren auch die seitens der Verwertungsindustrie vehement kritisierten Ausschluss- und Abbedingungsvorschriften. Der entsprechend überarbeitete Regierungsentwurf wurde im Dezember 1961 bzw. März 1962 veröffentlicht und trat, nachdem im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch geringfügere Änderungen an den Rückrufsrechten vorgenommen wurden, am 1. Januar 1966 als „Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ in Kraft (VI.)
1 Dazu
ausführlich Maracke, S. 47 ff. m. w. N.
I. „Berliner Entwurf“ der Sachverständigenkommission395
I. Der „Berliner Entwurf“ der Sachverständigenkommission Den Beginn der Reformarbeiten markierte Ende 1950 die Einberufung einer Sachverständigenkommission im BMJ. Ihr gehörten mit Margarethe v. Erffa2, Hans Otto de Boor, Eugen Ulmer3, Walther Plugge und Philipp Möhring ausgewiesene Urheberrechtsexperten an, die zum Teil bereits an den Reformarbeiten der 1920er und 1930er Jahre mitgewirkt hatten4. Auf der konstituierenden Sitzung wurde ein „kleiner Ausschuss“ gebildet, welcher im März 1951 an insgesamt 17 Sitzungstagen einen ersten, nach dem Tagungsort als „Berliner Entwurf“ bezeichneten Arbeitsentwurf auf Grundlage des Akademieentwurfes von 1939 erstellte (Berlin-E)5. Von den Beratungen sind keine Aufzeichnungen erhalten, während der Entwurf selbst unveröffentlicht blieb. Im Folgenden kann daher allein auf dessen Wortlaut und die beigefügte Erklärung zurückgegriffen werden. Die Begriffsbestimmung des Urheberrechts lieferte § 10 Berlin-E, wonach der Urheber „Schutz in seinen persönlichen Beziehungen zu dem Werk und das ausschließliche Recht zu seiner Verwertung“6 genoß. Damit wurde die bereits vor dem Krieg vorherrschende monistische Deutung des Urheberrechts beibehalten und der Begriff der „Urheberehre“ verworfen7. Tatsächlich sah v. Erffa eine der Hauptaufgaben der Urheberrechtsreform darin, der neuen Erkenntnis von der Rechtsnatur des Urheberrechts in der Systematik des Gesetzes Rechnung zu tragen8. Entsprechend dem Akademieentwurf ging auch der Berliner Entwurf von der grundsätzlichen Unübertragbarkeit des Urheberrechts außerhalb des Erbganges aus (§ 16 Abs. 1 Berlin-E) und unterschied in § 17 zwischen der Einräumung eines ausschließlichen Werknutzungsrechts und einer „einfachen“ Werknutzungsbewilligung9. Ebenfalls analog zum Akademieentwurf Person siehe Röwekamp, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 86 f. Person siehe das Biogramm bei Maracke, S. 739 f. sowie Katzenberger, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 267 ff. 4 Maracke, S. 57; Vogt, S. 70 ff. 5 Es entfielen jedoch alle Bezugnahmen auf genuin nationalsozialistische Institutionen; hierzu sowie ausführlich zu den Änderungen und Inhalten des „Berliner Entwurfs“ Maracke, S. 60 ff. 6 BArch, B 141 / 2551, Bl. 14 (S. 4 des Entwurfs). 7 So auch Maracke, S. 63. In der Begründung (BArch, B 141 / 2551, Bl. 43 [S. 4 der Begründung]) hieß es konkret, dass durch Verzicht auf den Klammerbegriff der „Urheberehre“ der Eindruck vermieden werden sollte, das Urheberrecht bestünde aus zwei trennbaren Komponenten in Gestalt des Urheberpersönlichkeits- und des Verwertungsrechts. 8 v. Erffa, JR 1951, S. 311. 9 BArch, B 141 / 2551, Bl. 16 (S. 6 des Entwurfs). 2 Zur 3 Zur
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
sah der Entwurf ein urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht (1.) sowie ein Rückrufsrecht wegen Nichtausübung vor (2.). 1. Urheberpersönlichkeitsrechtliches Verbietungsrecht Ersteres war in § 10a Abs. 4 Berlin-E geregelt und lautete folgendermaßen: „Der Urheber kann eine Veröffentlichung oder Verwertung des Werkes verbieten, die ihm aus Gründen seiner wissenschaftlichen oder künstlerischen Überzeugung nicht zugemutet werden kann. Er hat den vom Verbot Betroffenen angemessen zu entschädigen, soweit dies der Billigkeit entspricht“10.
Gegenüber dem Akademieentwurf hatte sich damit eine Reihe an Änderungen ergeben: Stellte § 10a Abs. 3 AkDR-E noch auf die Gefährdung des Rufes oder Ansehens des Urhebers durch die konkrete Art und Weise der Verwertung und damit vorrangig auf externe Faktoren ab, benannte § 10a Abs. 4 Berlin-E mit der wissenschaftlichen oder künstlerischen Überzeugung des Urhebers intrinsische Motive als maßgebliche Rückrufsgründe. In den Motiven hieß es hierzu, dass es notwendig sei, dem Urheber das Recht zu geben, die Veröffentlichung oder Verwertung seines Werkes zu verbieten, wenn „er selbst aus triftigen Gründen von seinem Werk abgerückt ist und dessen Veröffentlichung oder Verwertung nicht mehr verantworten kann“11. Ein weiterer Vorteil dieser Neufassung lag darin, dass auch anonym oder pseudonym gebliebene Urheber von der Vorschrift Gebrauch machen konnten, während ansonsten stets hätte geklärt werden müssen, ob eine Ruf- oder Ansehensgefährung in diesen Fällen überhaupt möglich war12. Schließlich entfiel in diesem Zusammenhang auch der Passus, der die Anwendung des Verbietungsrechts auf Abänderungen oder Bearbeitungen des Werkes gestattete, da gemäß § 11a Berlin-E die Veröffentlichung und Verwertung von Bearbeitungen ohnehin nur noch mit Zustimmung des Urhebers möglich war13. Der dem Berechtigten im Falle der Ausübung des Verbietungsrechts erwachsende Ersatzanspruch nach Billigkeit wurde indes unverändert übernommen. 2. Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 28 Berlin-E) erfuhr ebenfalls einige Änderungen (im Folgenden nicht kursiv): 10 BArch,
B 141 / 2551, Bl. 14 (S. 4 des Entwurfs). B 141 / 2551, Bl. 44 (S. 5 der Motive). 12 So auch Maracke, S. 63 f. / Fn. 34. 13 BArch, B 141 / 2551, Bl. 15 (S. 5 des Entwurfs). 11 BArch,
I. „Berliner Entwurf“ der Sachverständigenkommission397
„(1) Macht der Inhaber eines Werknutzungsrechts, gleichviel, ob es ihm vom Urheber eingeräumt worden ist oder ob er es von einem Werknutzungsberechtigten erworben hat, von dem Recht keinen oder nur einen so unzureichenden Gebrauch, daß dadurch berechtigte Interessen des Urhebers wesentlich verletzt werden, so kann dieser das Werk zurückrufen. Dies gilt nicht, wenn die Nichtausübung oder unzureichende Ausübung des Rechts überwiegend auf Umständen beruht, deren Behebung dem Urheber zuzumuten ist. Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit der Einräumung des Rechts, oder, falls die Ablieferung des Werkes später erfolgt, von der Ablieferung ab geltend gemacht werden, es sei denn, daß etwas anderes vereinbart ist. (2) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Berechtigten unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist zur Ausübung des Werknutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Werknutzungsrechtes dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird, oder wenn … die Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährden würde. (3) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden, auch kann seine Ausübung nicht im voraus für eine längere Zeit als fünf Jahre ausgeschlossen werden. (4) Im Falle des Rückrufs endet das Werknutzungsrecht. (5) … Falls es der Billigkeit entspricht, hat der Urheber den Betroffenen angemessen zu entschädigen. (6) Ansprüche der Beteiligten nach anderen Vorschriften bleiben unberührt“14.
Hervorstechendste Änderung war die Ersetzung des Begriffes des „ernstlichen Gebrauchs“ in Abs. 1 durch die Wendung „keinen oder einen so unzureichenden Gebrauch“. Die Motive bemerkten hierzu schlicht, dass erstgenannter unbrauchbar und deshalb durch den Wortlaut des § 29 UrhG-E 1932 ersetzt worden sei15. Die (Wieder-)Ausdehnung des Rückrufsrechts auf den Fall der unzureichenden Ausübung dürfte ihren Grund jedoch weniger in einer bewussten Entscheidung denn in dem Umstand gehabt haben, dass dem BMJ bei Wiederaufnahme der Reformarbeiten die überarbeiteten Entwürfe der Jahre 1933 und 1934 nicht zur Verfügung standen16. Weiterhin strich man die in § 28 Abs. 1 S. 2 AkDR-E enthaltene Regelung, die dem Urheber den Rückruf versagte, wenn er die Nichtausübung zu vertreten hatte. Stattdessen sollte das Rücktrittsrecht fortan ausgeschlossen sein, wenn die Nichtausübung auf Umständen beruhte, deren Beseitigung dem Urheber zuzumuten war. Auf ein Verschulden des letzteren kam es daher, wie die Motive hervorhoben, nicht mehr an. Sofern vertraglich nicht anders geregelt, sollte der 14 BArch,
B 141 / 2551, Bl. 20 f. (S. 10 f. des Entwurfs). B 141 / 2551, Bl. 56 (S. 17 der Motive); zu § 29 UrhG-E 1932 siehe oben, F. II. 3. 16 Maracke, S. 61. 15 BArch,
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Rückruf erst nach zwei Jahren ab Rechteeinräumung möglich sein. Um Unklarheiten zu vermeiden, ließ man in § 28 Abs. 1 S. 3 Berlin-E jenen Passus entfallen, der auf den Zweck der Rechtseinräumung abstellte. In Abs. 2 wie auch im neueingefügten Abs. 3 wurden sprachliche Änderungen vorgenommen, während man den bisherigen Abs. 3 aus systematischen Gründen hinter Abs. 4 stellte17. Letzterer entsprach dem früheren § 28 Abs. 3 S. 1 AkDRE, wurde jedoch aufgrund der essentiellen Bedeutung der Unabdingbarkeit des Rückrufsrechts als eigenständiger Absatz gefasst. Entsprechendes galt für den vormaligen § 28 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 AkDR-E, dessen separate Fassung als neuer Abs. 5 verdeutlichen sollte, dass der Betroffene nur im Billigkeitsfall Ersatz fordern durfte. § 28 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 AkDR-E wurde, da er einen eigenständigen Rechtsgedanken enthielt, als Abs. 6 ans Ende der Vorschrift gestellt. Gänzlich gestrichen wurde § 28 Abs. 5 AkDR-E. Es sei nicht ersichtlich, so die Motive, weshalb der Urheber gegenüber einem Verleger, der keine Neuauflage des Werkes veranstalte, erst nach zwei Jahren zum Rückruf berechtigt sein sollte. Vielmehr enthalte § 17 VerlG insofern eine „bessere Regelung“18. Auch bedürfe es keines gesonderten Hinweises darauf, dass dem Urheber das Rückrufsrecht auch dann zustehe, wenn ein Werknutzungsberechtigter eine bereits aufgenommene Werknutzung einstellt. Der die Unanwendbar- bzw. Abdingbarkeit des Rückrufsrechts für bestimmte Werkarten und Urheber regelnde § 29 Berlin-E glich im Wesentlichen der entsprechenden Vorschrift des Akademieentwurfs. Abgesehen von geringen sprachlichen Überarbeitungen hatte man jedoch den Begriff der Gewerbsmäßigkeit in Abs. 1 Nr. 4 sowie Abs. 2 gestrichen, da man davon ausging, dass sich die Vorschrift in der Praxis ohnehin nur auf kommerziell hergestellte Werke auswirken würde. Als überholt entfiel zudem der Zustimmungsvorbehalt der Reichskulturkammer beim Vorabverzicht auf das Rückrufsrecht im Kontext von Filmwerken19. Darüber hinaus hatte man mit § 58 Abs. 4 Berlin-E auch die Ausschlussregelung für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder übernommen20. 3. Stellungnahmen zu §§ 10a Abs. 4 und § 28 Berlin-E Ende März 1951 leitete das BMJ den Entwurf mit der Bitte um Stellungnahme an die übrigen Mitglieder der Sachverständigenkommission, die für das bürgerliche Recht und Rechtsverfahren zuständige Abteilung I im BMJ sowie an den I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) weiter. Stellung17 BArch,
B 141 / 2551, B 141 / 2551, 19 BArch, B 141 / 2551, 20 BArch, B 141 / 2551, 18 BArch,
Bl. 56 Bl. 57 Bl. 21 Bl. 31
(S. 17 der Motive). (S. 18 der Motive). (S. 11 des Entwurfs), Bl. 57 (S. 18 der Motive). (S. 21 des Entwurfs).
I. „Berliner Entwurf“ der Sachverständigenkommission399
nahmen der Interessenvertreter und der Jurisprudenz wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht angefordert21. Ausführliche, u. a. die §§ 10a Abs. 4 und 28 Berlin-E behandelnde Gutachten brachten insbesondere der bereits an den Beratungen des vorläufigen RWR beteiligte Rechtsanwalt und Filmrechts experte Plugge, der Heidelberger Ordinarius Ulmer, sein Hamburger Kollege Kurt Bussmann22, die Abteilung I des BMJ sowie der I. Zivilsenat des BGH bei. Walther Plugge befasste sich in seinem Gutachten ausschließlich mit Fragen der Zwangslizenz und des Filmwesens. Mit Verweis auf die hierzu bereits in der Vergangenheit geführten Debatten23 lehnte er insbesondere das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung ab. Bemerkenswert ist insofern, dass Plugge trotz der im Entwurf vorgesehenen Ausschluss- und Abbedingungs regelungen ungebrochen das Argument des Ausführungszwangs bemühte und die hieraus vermeintlich resultierende Gefahr eines Hintertreffens des deutschen Films beschwor24. Eugen Ulmer erachtete den Entwurf im Allgemeinen als eine wertvolle Grundlage für die Beratungen25, kritisierte jedoch seinen Aufbau. Zwar stelle § 10 Berlin-E zutreffend fest, dass das Urheberrecht den Werkschöpfer sowohl in seinen persönlichen Beziehungen zum Werk als auch im Hinblick auf dessen Verwertung schütze, doch lasse die Anordnung der Vorschriften (Urheberpersönlichkeitsrecht in §§ 10a und 10b, Verwertungsrechte in §§ 11 ff. Berlin-E) den Schluss zu, dass die ideelle Komponente des Urheberrechts der materiellen vorginge bzw. das Verwertungsrecht ausschließlich materiellen Interessen diene. Dies sei jedoch nicht nur angesichts der vorherrschenden monistischen Deutung des Urheberrechts falsch, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass die „prinzipalen Befugnisse“ des Urhebers in Gestalt des Rechts auf Veröffentlichung, Verbreitung etc. den ideellen Rechten zwar nicht der Wertigkeit, wohl aber der Logik nach vorangehen mussten. Letztere dienten vorrangig dazu, „den auf den Benutzungsrechten beruhenden Schutz zu ergänzen“. Als Beispiel zog Ulmer hier das Verbietungsrecht des § 10a Abs. 4 Berlin-E heran, welches nur dann zum Tragen kommen könne, wenn der Urheber in irgendeiner Weise über sein Veröffentlichungsrecht verfügt habe26, während er an anderer Stelle betonte, dass die durch 21 Maracke,
S. 76 f. Person siehe das Biogramm bei Maracke, S. 737 sowie Otto, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 52 ff. 23 Plugge bezog sich damit aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Besprechungen im vorläufigen RWR, siehe oben, F. II. 4. lit. a) bb). 24 Stellungnahme Plugges vom 14.06.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 59. 25 Stellungnahme Ulmers vom 31.07.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 76. 26 Stellungnahme Ulmers vom 31.07.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 86; dazu auch Maracke, S. 79 f. 22 Zur
400
G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
ebensolche Verfügungen entstehenden, abgeleiteten Rechte „im Hinblick auf das beim Urheber verbleibende Mutterrecht gewissen Bindungen unterworfen [seien], die in den Bestimmungen über die Weiterübertragung, das Rückrufsrecht u. a. ihren Ausdruck finden“27. Bussmann verlangte in seinem Gutachten nichts weniger als die vollumfängliche Abdingbarkeit des Rückrufsrechts: Mit Verweis auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit und entgegen dem bisherigen Konsens, dass die Unabdingbarkeit des Rückrufsrechts vor allem aufgrund der regelmäßig schwächeren Verhandlungsposition des Urhebers essentiell sei, erklärte Bussmann, dass Gründe für eine „besondere Bevormundung“ des Urhebers nicht ersichtlich seien, ja eine Dispositivität des § 28 Berlin-E sich wirtschaftlich nachteilig auswirken müsse28. Die Abteilung I des BMJ kritisierte lediglich, dass § 10a Abs. 4 Berlin-E die (für ein Verbot denknotwendig erforderliche) Übertragung von Verwertungsrechten nicht ausdrücklich benannte29. Auch der I. Zivilsenat des BGH äußerte sich zum Verbietungsrecht des § 10a Abs. 4 Berlin-E. Anders als Bussmann nahmen die Bundesrichter eine ausgesprochen urheberfreundliche Position ein: So kritisierten sie die Beschränkung der Verbietungsgründe auf die wissenschaftliche oder künstlerische Überzeugung des Urhebers als zu eng und betonten, dass auch die religiöse Überzeugung ihren Niederschlag in der Vorschrift finden müsse, ja eine Aufzählung der Überzeugungsgründe überhaupt entbehrlich erscheine, da etwaige Missbrauchsfälle durch eine Zumutbarkeitsklausel abgefedert werden könnten. In der Folge schlug der I. Zivilsenat eine Neufassung des § 10a Abs. 4 S. 1 mit folgendem Wortlaut vor: „Der Urheber kann eine Veröffentlichung oder Verwertung des Werkes verbieten, die ihm aus Gründen gewandelter Überzeugung nicht zugemutet werden kann“.
Im Hinblick auf die Entschädigungsregelung des § 10a Abs. 4 S. 2 BerlinE forderte der BGH klarer herauszustellen, dass die Ausübung des Verbietungsrechts in jedem Fall von der Leistung einer Entschädigung abhing, mithin keinesfalls ausgeübt werden könne, wenn der Urheber zur Entschädigung nicht willens oder in der Lage war.30 Als entbehrlich erachtete man die Billigkeitsschranke, da man der Auffassung war, dass eine angemessene Ulmers vom 31.07.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 93. Bussmanns (Datum unleserlich, wohl Juni oder Juli 1951), BArch, B 141 / 2562, Bl. 146. 29 Stellungnahme der Abt. I des BMJ vom 14.07.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 70. 30 Stellungnahme des I. Zivilsenats vom 25.08.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 173 r. (Bl. 173 wurde in den Akten – wohl versehentlich – doppelt gezählt). 27 Stellungnahme 28 Stellungnahme
II. Rückrufsrechte in der Jurisprudenz der 1950er u. frühen 1960er Jahre401
Entschädigung stets auch eine billige sei. Stattdessen sollte § 10a Abs. 4 S. 2 künftig folgendermaßen lauten: „Die Ausübung des Verbietungsrechts ist nur gegen Leistung angemessener Entschädigung an die vom Verbot Betroffenen zulässig“31.
Zum Rückrufsrecht wegen Nichtausübung nahm der I. Zivlsenat nicht Stellung. Einzig zur Ausschluss- und Abdingbarkeitsregelung des § 29 Berlin-E wurden Änderungsvorschläge unterbreitet, welche die Vorschrift im Kern jedoch unberührt ließen32.
II. Die Rückrufsrechte in der Jurisprudenz der 1950er und frühen 1960er Jahre Der weiteren Beleuchtung der Reformarbeiten soll an dieser Stelle ein kurzer Blick auf jene Teile der Jurisprudenz vorangestellt werden, welche sich zwischen 1951 und 1965 unabhängig vom jeweils aktuellen Stand der Reformarbeiten mit der Frage des Rückrufs von Nutzungsrechten befassten. Es handelte sich dabei vornehmlich um Lehrbuchliteratur, die zu untersuchen sich allein schon deshalb lohnt, da die Autoren mitunter an der Urheberrechtsnovelle mitwirkten. Eine Wechselwirkung liegt demnach nahe. So unterstrich Ulmer in seinem 1951 erschienenen Lehrbuch zum Urheber- und Verlagsrecht, dass dem Urheber in Fällen, in welchen er über Nutzungsrechte verfügt habe, die in ihrer Auswirkung zu einer schwerwiegenden Gefährdung seiner ideellen Interessen führten, die Befugnis zur Beseitigung der Befugnisse des Nutzungsrechtsinhabers zustehen müsse. Er differenzierte dabei zwischen dem „Widerruf“, der das ideelle Interesse am Unterbleiben der Verbreitung schütze und dem „Rückruf“ zur Sicherung des positiven Interesses an der Verbreitung. Beides waren nach Ulmer allgemeine, aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht fließende Rechtsgedanken, die über die bestehenden, ihrer Rechtsnatur nach im besonderen Schuldrecht zu verortenden verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte hinausgingen. Demnach sei bereits de lege lata ein Widerruf auch nach Beginn der Veröffentlichung i. S. d. § 35 Abs. 1 VerlG zulässig, wenn er unter persönlichkeitsrechtlichen Aspekten geboten sei. Entsprechendes gelte für den Rückruf, falls ein Rücktritt nach verlagsgesetzlichen Vorschriften mangels Ausübungsverpflichtung nicht in Betracht käme.33 31 Stellungnahme des I. Zivilsenats vom 25.08.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 173 v.
des I. Zivilsenats vom 25.08.1951, BArch, B 141 / 2562, Bl. 179. (1951), S. 191 ff.; in der Folgeauflage von 1960 sprach Ulmer – wohl in Anlehnung an die Gesetzentwürfe – auch hinsichtlich des Überzeugungswandels vom „Rückruf“, siehe Ulmer (1960), S. 360 f. 32 Stellungnahme 33 Ulmer
402
G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Ähnliche Positionen vertrat auch der eingangs zitierte Heinrich Hubmann in den Jahren 195434 und 195935, wobei dieser zur Begründung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung auf die Entscheidung des BGH vom 26. November 1954 verwies. Darin hatte das höchste deutsche Zivilgericht anlässlich der umstrittenen Veröffentlichung der Tagebücher Cosima Wagners u. a. festgestellt, dass das Recht des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob, wann und wie sein Werk veröffentlicht werden sollte, sowohl vermögensals auch persönlichkeitsrechtlicher Natur sei und die Nichtausübung der übertragenen Befugnisse einen Rückruf derselben rechtfertige, da hierdurch persönliche und geistige Interessen des Urhebers an seinem Werk verletzt würden36. Insofern war zumindest das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung bereits vor seiner Normierung höchstrichterlich anerkannt. Weitere zeitgenössische Werke äußerten sich lediglich referierend und ohne eigene Stellungnahme zu den Rückrufsrechten37.
III. Der Rengsdorfer Entwurf vom September 1951 Nach Eingang sämtlicher Gutachten trat der kleine Ausschuss im September 1951 im rheinland-pfälzischen Rengsdorf zusammen38. Das Ergebnis der Beratungen, von welchen ebenfalls keine Protokolle erhalten sind, war eine handschriftlich überarbeitete Fassung des Berliner Entwurfs (RengsdorfE). Entsprechend fehlt auch hier eine gesonderte Begründung. Gleichwohl brachte der Entwurf vor allem eine bedeutende Änderung mit sich: Das Verbietungsrecht des § 10a Abs. 4 wurde gestrichen; stattdessen führte man mit § 20a Rengsdorf-E ein im Abschnitt „Rechtsverkehr im Urheberrecht“ (§§ 16–30 Rengsdorf-E) verortetes Widerrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ein39: „Der Urheber kann die Einräumung eines Werknutzungsrechtes und die Erteilung einer Werknutzungsbewilligung gegenüber dem Berechtigten widerrufen, wenn ihm wegen gewandelter Überzeugung die Verwertung des Werkes nicht zugemutet wer34 Hubmann,
Geist, S. 118 f. UrhR, S. 174 f. 36 BGHZ 15, 249, 257 f. – Cosima Wagner; siehe dazu etwa Leinveber, GRUR 1956, S. 205 sowie Troller, UFITA 28 (1959), S. 273 f. 37 Siehe beispielhaft Bussmann / Pietzcker / Kleine, S. 376; Troller (1962), S. 678 und Rintelen, S. 329; dazu auch Hirsch, FS Nipperdey, S. 369. 38 Hierzu sowie zum „Rengsdorfer Entwurf“ im Gesamten siehe ausführlich Maracke, S. 84 ff. 39 Maracke, S. 602 schreibt insofern, dass die neu eingefügte Regelung des § 20a Rengsdorf-E „ohne Vorbild“ gewesen sei. Dies ist vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse und angesichts der teleologisch-grammatischen Nähe zwischen § 10a Abs. 4 Berlin-E und § 20a Rengsdorf-E klar zu verneinen. 35 Hubmann,
IV. Referentenentwurf vom März 1954403
den kann. Er hat die vom Widerruf Betroffenen zu entschädigen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht“40.
Inhaltlich hervorstechend war dabei nicht nur die Präzisierung der Begriffe „Veröffentlichung und Verwertung“ zu „Einräumung eines Werknutzungsrechts und […] Erteilung einer Werknutzungsbewilligung“ und die Benennung des „Berechtigten“ als passivlegitimiertem Part, sondern insbesondere der Verzicht auf besondere Anforderungen hinsichtlich des Überzeugungswandels sowie die (terminologische) Änderung des bisherigen Verbietungs- in ein Widerrufsrecht. Damit setzte man die Vorschläge der Abteilung I des BMJ und insbesondere des I. Zivilsenats um, wobei die Wahl des Begriffes „Widerrufsrecht“ mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit auf Ulmer zurückzuführen sein dürfte. Mit der Neufassung des vormaligen Verbietungsrechts als Widerrufsrecht ging auch eine klare Annäherung zwischen § 20a Rengsdorf-E und dem in § 28 Rengsdorf-E geregelten Rückrufsrecht wegen Nichtausübung einher. So sollte die Bezeichnung des letzteren zunächst ebenfalls in „Widerrufsrecht“ geändert werden. Die maßgeblichen handschriftlichen Ergänzugen wurden jedoch nachträglich wieder gestrichen. Zugleich wurde die Entschädigungsregelung in § 28 Abs. 5 Rengsdorf-E derart geändert, dass sie § 20a S. 2 Rengsdorf-E entsprach41. Die Ausnahmeund Abdingbarkeitsregelungen blieben mit den §§ 29 und 58 Abs. 4 Rengsdorf-E unverändert42.
IV. Der Referentenentwurf vom März 1954 Nach einer weiteren Besprechung des Entwurfs in der Sachverständigenkommission, welche im Oktober 1951 im rheinland-pfälzischen Unkel stattfand, wurde die Öffentlichkeit erstmals über den Stand der Reformarbeiten informiert. Anschließend kam es zu ersten Besprechungen mit einzelnen Interessenverbänden im BMJ43, während man weitere Interessentenkreise zur Einreichung von Gutachten aufforderte. Parallel zu den zwischen Oktober 1951 und Januar 1952 stattfindenden Erörterungen mit Vertretern der Magnettongeräte- und Magnettonhersteller-, Schallplatten- sowie Tonbandbespielerfirmen, setzte man die internen Arbeiten an dem Entwurf fort44. Im Fokus stand hier zunächst die Sammlung und Sichtung weiteren Materials, ehe man 40 BArch,
B 141 / 2551, Bl. 93 (S. 10 des Entwurfs). B 141 / 2551, Bl. 98 (S. 14 des Entwurfs); im Wortlaut: „Der Urheber hat die Betroffenen zu entschädigen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht“. 42 BArch, B 141 / 2551, Bl. 98 (S. 14 des Entwurfs) sowie Bl. 111 (S. 27 des Entwurfs). 43 Dazu Maracke, S. 87 f. 44 Dazu ausführlich Maracke, S. 89 ff. 41 BArch,
404
G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
im Frühjahr 1952 mit der Ausarbeitung eines Referentenentwurfs nebst Begründung begann. Bereits der erste Vorentwurf (VE-RefE), welchem noch keine Begründung beigegeben war, enthielt weitere bedeutende Änderungen der Rückrufsrechte45 (1.), die zu weiten Teilen auch Eingang in die endgültige Fassung des Referentenentwurfes fanden (2.). Im Gegensatz zum Berliner und Rengsdorfer Entwurf wurde der Referentenentwurf anschließend öffentlich zur Diskussion gestellt (3.). 1. Die Rückrufsrechte im Vorentwurf zum Referentenentwurf Nachdem sich im Rengsdorfer Entwurf bereits eine Annäherung zwischen dem Rückrufsrecht wegen Nichtausübung und dem „Widerrufsrecht“ wegen gewandelter Überzeugung angedeutet hatte, wurde im Vorentwurf der nunmehr als „Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ betitelte § 33 VERefE direkt hinter das in § 32 VE-RefE geregelte Rückrufsrecht wegen Nichtausübung gestellt und durch Verweise mit diesem verschränkt: „(1) Der Urheber kann ein Nutzungsrecht gegenüber dem Inhaber zurückrufen, wenn ihm die Verwertung des Werkes wegen gewandelter Überzeugung nicht zugemutet werden kann. (2) Die Bestimmungen in § 32 Abs. 4 und 5 sind entsprechend anzuwenden“46.
Auffallend ist eine weitere Neuerung des Vorentwurfs: Statt der bisher gebrauchten Unterscheidung zwischen (ausschließlichem) Werknutzungsrecht und (nicht ausschließlicher) Werknutzungsbewilligung wurde fortan nur noch von Nutzungsrechten gesprochen, wobei diese gemäß § 24 Abs. 1 VE-RefE ausschließlich (Abs. 2) oder nichtausschließlich (Abs. 3 – „einfaches“ Nutzungsrecht) eingeräumt werden konnten47. Das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung sollte demnach sowohl für ausschließliche als auch für einfache Nutzungsrechte Anwendung finden. Änderungen hatte auch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung erfahren, die durch handschriftliche Streichungen und Ausbesserungen in den Akten klar zutage treten (im Folgenden durch „[…]“ gekennzeichnet): „(1) Übt der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts […] das Recht nicht oder nur so unzureichend aus, dass dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt werden, so kann dieser […] das Nutzungsrecht zurückrufen. Dies gilt nicht, wenn die Nichtausübung oder die unzureichende Ausübung des Nutzungsrechts überwiegend auf Umständen beruht, deren Behebung dem Urheber zuzumuten ist. Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf zu den Neuerungen des Entwurfs Maracke, S. 97 ff. B 141 / 2551, Bl. 135 f. (S. 10 f. des Entwurfs). 47 BArch, B 141 / 2551, Bl. 133 (S. 8 des Entwurfs). 45 Ausführlich 46 BArch,
IV. Referentenentwurf vom März 1954405
von zwei Jahren seit der Erteilung oder der Übertragung des Nutzungsrechts, oder, falls die Ablieferung des Werkes später erfolgt, von seit der Ablieferung des Werkes geltend gemacht werden., es sei denn, dass etwas anderes vereinbart worden ist. (2) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Inhaber des Nutzungsrechts unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist zur zureichenden Ausübung des Nutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung einer Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Nutzungsrechts dem Inhaber unmöglich ist oder von diesem verweigert wird oder wenn durch die Gewährung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden. (3) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Seine Ausübung kann im voraus für eine längere Zeit als fünf Jahre nicht ausgeschlossen werden. (4) Mit Wirksamwerden des Rückrufs […] erlischt das Nutzungsrecht. (5) Der Urheber hat die Betroffenen zu entschädigen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspicht. (6) Ansprüche der Beteiligten nach anderen Vorschriften bleiben unberührt“48.
Von stilistischen Änderungen und der durchgehenden Einführung des Begriffs des Nutzungsrechts abgesehen, stechen insbesondere die Streichungen in Abs. 1 S. 1 ins Auge. Hierdurch wurde die Aktivlegitimation (wieder) auf den Urheber beschränkt, während im Verzicht auf die Disponibilität der Ausschlussfrist des Abs. 1 S. 3 eine (weitere) Stärkung der Urheberposition zu sehen ist. Auch der den Ausschluss der Rückrufsrechte für bestimmte Werkarten regelnde § 34 VE-RefE hatte nennenswerte Änderungen erfahren: „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 27) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 32) und gewandelter Überzeugung (§ 33) gelten nicht 1. für den Urheber eines Werkes, das von einem Rechtsträger des öffentlichen Rechts ohne Angabe des Urhebers herausgegeben worden ist (§ 2349), 2. für den Urheber eines Werkes des Kunstgewerbes, das er als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens im Rahmen seiner vertraglichen Verpflichtung für die Zwecke des Unternehmens hergestellt hat“50.
48 BArch,
B 141 / 2551, Bl. 135 (S. 10 des Entwurfs). lautete: „Rechtsträger des öffentlichen Rechts, die ein Werk herausgeben, ohne daß der Urheber nach § 7 Abs. 1 angegeben ist, erwerben, sofern nichts anderes vereinbart ist, mit der Veröffentlichung des Werkes das Verbreitungsrecht“, BArch, B 141 / 2551, Bl. 132 (S. 7 des Entwurfs). 50 BArch, B 141 / 2551, Bl. 136 (S. 11 des Entwurfs). 49 § 23 VE-RefE
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Konsequenterweise erklärte man für die genannten Fälle auch das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung für unanwendbar. Die Unanwendbarkeit der Rückrufsrechte auf Filmwerke (vormals Nr. 4) wurde ebenso gestrichen wie der die Abdingbarkeit des Rückrufsrechts für Filmmanuskripte regelnde Abs. 2. Nachdem man sich dazu entschieden hatte, dem Entwurf einen eigenen Abschnitt mit besonderen Bestimmungen über gewerbsmäßig hergestellte Filmwerke beizugeben (§§ 62–73 VE-RefE), wurden diese Regelungen in eigene Vorschriften ausgelagert. So normierte § 64 VE-RefE, dass der Urheber bei der Erteilung von Nutzungsrechten an Werken, die zur Herstellung von Filmwerken verwandt werden sollten, auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung durch schrift liche Erklärung im Voraus verzichten konnte51. Gemäß § 65 VE-RefE erwarb ein Filmproduzent mit der Herstellung des Filmwerkes ipso iure einige ausschließliche Nutzungsrechte, welche ursprünglich den an der Gestaltung des Filmwerkes in seiner besonderen filmischen Prägung mitwirkenden Urhebern zustanden (u. a. das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht). Für diese Nutzungsrechte am fertigen Filmwerk war das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung grundsätzlich ausgeschlossen (§ 67 VE-RefE)52. Bei gewerbsmäßig hergestellten Lichtbildern erklärte § 79 Abs. 2 VE-RefE nicht mehr nur das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung, sondern auch das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung für unanwendbar53. 2. Inhalt und Begründung der Rückrufsrechte im Referentenentwurf Die endgültige Fassung des Referentenentwurfs wurde am 15. März 1954 veröffentlicht. Sie sollte als Grundlage für weitere Erörterungen dienen, auf deren Basis wiederum der Regierungsentwurf ausgearbeitet werden sollte54. Insbesondere sollte der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt werden55. Aus diesem Grund war dem Entwurf erstmals auch eine umfassende Begründung beigegeben. Gegenüber dem Vorentwurf hatten sowohl das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung [a)] als auch das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung [b)] sowie die Ausschluss- und Abbedingungsregelungen [c)] Änderungen erfahren. 51 BArch,
B 141 / 2551, Bl. 149 (S. 25 des Entwurfs). B 141 / 2551, Bl. 150 (S. 26 des Entwurfs). 53 BArch, B 141 / 2551, Bl. 153 (S. 27 des Entwurfs). 54 Ausführlich zu Genese, Inhalt und Behandlung des Referentenentwurfs Maracke, S. 104 ff. 55 BMJ, RefE, S. V (Vorwort des Bundesjustizministers Neumayer zum Referentenentwurf). 52 BArch,
IV. Referentenentwurf vom März 1954407
a) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung (§ 33 RefE) wurden in erster Linie die handschriftlichen Änderungen des Vorentwurfs um gesetzt. Daneben wurde der vormalige § 32 Abs. 1 S. 3 VE-RefE in einen eigenständigen, zweiten Absatz ausgegliedert: „(1) Übt der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts das Recht nicht oder nur so unzureichend aus, daß dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt werden, so kann dieser das Nutzungsrecht zurückrufen. Dies gilt nicht, wenn die Nichtausübung oder die unzureichende Ausübung des Nutzungsrechts überwiegend auf Umständen beruht, deren Behebung dem Urheber zuzumuten ist. (2) Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit der Einräumung oder der Übertragung des Nutzungsrechts, oder falls die Ablieferung des Werkes später erfolgt, seit der Ablieferung geltend gemacht werden. (3) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Inhaber des Nutzungsrechts unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist zur zureichenden Ausübung des Nutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Nutzungsrechts dem Erwerber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird, oder wenn durch die Gewährung der Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden. (4) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet weden. Seine Ausübung kann im voraus für eine längere Zeit als fünf Jahre nicht ausgeschlossen werden. (5) Mit Wirksamwerden des Rückrufs erlischt das Nutzungsrecht. (6) Der Urheber hat die Betroffenen zu entschädigen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht. (7) Ansprüche der Beteiligten nach anderen Vorschriften bleiben unberührt“56.
Wie sämtliche Entwürfe seit Beginn der Reformarbeiten benannte auch die dem Referentenentwurf beigegebene Begründung die Sicherung des Veröffentlichungsinteresses als Telos des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung57. In der Konsequenz war die Vorschrift auf ausschließliche Nutzungsrechte beschränkt, da dem Urheber bei einfachen Nutzungsrechten die anderweitige Veröffentlichung und Verbreitung unbenommen blieb. Dabei sollte § 33 RefE insbesondere jene Konstellationen abdecken, in welchen das verlagsrechtliche Rücktrittsrecht aus § 32 VerlG keine Anwendung fand, namentlich wenn der Verleger keine Verpflichtung zur Veröffentlichung und Verbreitung des Werkes übernommen hatte oder wenn infolge einer Kettenübertragung keine 56 BMJ, 57 BMJ,
RefE, S. 16 f. RefE, S. 121.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Vertragsbeziehungen zwischen Urheber und Nutzungsrechtsinhaber bestanden. Zum Zwecke der Missbrauchsprävention verlangte § 33 Abs. 1 S. 1 RefE a. E. für den Fall der unzureichenden Ausübung eines Nutzungsrechts zusätzlich eine erhebliche Verletzung berechtigter Urheberinteressen. Ähnliche Erwägungen standen hinter der Zumutbarkeitsklausel des Abs. 3 S. 2: Diese war ausweislich der Motive insbesondere für den Fall gedacht, dass „ein Werk wegen veränderter Umstände nicht herausgebracht werden kann, es dem Urheber aber leicht ist, das Werk den veränderten Umständen anzupassen“58. Zu § 33 Abs. 2 RefE hieß es, dass die zweijährige Ausschlussfrist im Fall von Übertragungsketten die Gefahr in sich berge, dass das Rückrufsrecht erst nach wesentlich längerer Zeit ausgeübt werden könne. Dieses Risiko sah man durch § 27 Abs. 1 RefE abgefedert, wonach ein Nutzungsrecht nur mit Zustimmung des Urhebers übertragen werden konnte59. Im Übrigen hielt man die Zweijahresfrist einerseits für kurz genug, um die Rechte des Urhebers zu wahren, andererseits für ausreichend lang, um die Interessen des Nutzungsrechtsinhabers zu schützen.60 Hinsichtlich der übrigen Regelungen paraphrasierte die Begründung lediglich den Wortlaut des Entwurfes bzw. führte hergebrachte Argumente an: So hieß es etwa zur Unabdingbarkeitsklausel des § 33 Abs. 4 RefE, dass zum Schutze des Urhebers der gänzliche Ausschluss sowie die Vereinbarung einer überlangen, faktisch einem Ausschluss gleichkommenden Ausschlussfrist unzulässig seien61. b) Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung Auch im Hinblick auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung wurden die Änderungen des Vorentwurfs übernommen. Neu eingefügt wurde ein zweiter Absatz, der das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung für unabdingbar erklärte: „(1) Der Urheber kann ein Nutzungsrecht gegenüber dem Inhaber zurückrufen, wenn ihm die Verwertung des Werkes wegen gewandelter Überzeugung nicht zugemutet werden kann. (2) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Seine Ausübung kann nicht ausgeschlossen werden. 58 BMJ,
RefE, S. 122. RefE, S. 14: „Ein Nutzungsrecht kann nur mit Zustimmung des Urhebers übertragen werden. Diese darf nur aus wichtigem Grunde verweigert werden, es sei denn, daß zwischen dem Urheber und dem Inhaber des Nutzungsrechts ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist“. 60 BMJ, RefE, S. 123. 61 BMJ, RefE, S. 124. 59 BMJ,
IV. Referentenentwurf vom März 1954409
(3) Die Bestimmungen in § 33 Abs. 5 bis 7 sind entsprechend anzuwenden“62.
Neben den bekannten Argumenten führte die Begründung zu § 34 RefE ebenfalls die Schließung von Gesetzeslücken als Regelungsmotiv an: So sei das verlagsrechtliche Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände insbesondere aufgrund seiner temporären Beschränkung unzureichend, womit man einem der Hauptkritikpunkte an § 35 VerlG Rechnung trug. Weiterhin mache die, sich aus dem Anwendungsbereich des Verlagsgesetzes selbst ergebende, Restriktion des § 35 VerlG auf Werke der Literatur und Tonkunst eine umfassendere Regelung erforderlich.63 Die Zumutbarkeitsschranke in Abs. 1 beuge dabei einem exzessiven Gebrauch des Rückrufsrechts und damit letztlich dem Rechtsmissbrauch vor, während die nach Abs. 3 entsprechend anzuwendende Entschädigungspflicht aus § 33 Abs. 6 RefE die wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Nutzungsrechtsinhabers absichere. Gegenüber § 33 Abs. 4 RefE war gemäß § 34 Abs. 2 nicht nur ein Vorabverzicht, sondern auch jedweder temporäre Ausschluss des Rückrufsrechts unzulässig. Diese Abweichung, so die Motive weiter, rechtfertige sich daraus, dass das Rückrufsrecht den Ruf und das Ansehen des Urhebers schütze. Hinsichtlich des Verweises auf § 33 Abs. 7 RefE hieß es schließlich, dass neben § 33 RefE insbesondere § 35 VerlG weiterhin anwendbar bleiben sollte.64 c) Ausschluss- und Abbedingungsregelungen Wie auch die vorhergehenden Entwürfe enthielt der Referentenentwurf Vorschriften, welche die Rückrufsrechte für bestimmte Urheber oder Werk arten sowie für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbildwerke ausschlossen. So lautete § 35 RefE: „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 27) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 33) und wegen gewandelter Überzeugung (§ 34) gelten nicht 1. für den Urheber eines Werkes, das von einem Rechtsträger des öffentlichen Rechts ohne Angabe des Urhebers herausgegeben worden ist (§ 23), 2. für den Urheber eines Werkes des Kunstgewerbes, das er als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens im Rahmen seiner vertraglichen Verpflichtungen für die Zwecke des Unternehmens hergestellt hat“65.
Gegenüber den Entwürfen der 1920er und 1930er Jahren war der Ausschluss für unselbstständige Urheber entfallen, während die Ausnahmen für 62 BMJ,
RefE, RefE, 64 BMJ, RefE, 65 BMJ, RefE, 63 BMJ,
S. 17. S. 124 f. S. 125. S. 17.
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Filmwerke, entsprechend dem Vorentwurf, in eigenständige Vorschriften (§§ 92 und 95 RefE) ausgegliedert wurden. In den Motiven zu § 35 RefE hieß es, dass die, in den Rückrufsrechten zum Ausdruck kommende, enge Gebundenheit der Nutzungsrechte an die Person des Urhebers in den dort genannten Konstellationen mit der Interessenlage nicht vereinbar sei: So müsse die Verwertung von Werken, welche von Körperschaften des öffentlichen Rechts he rausgegeben werden, als Material wissenschaftlicher Forschung zur freien Verfügung stehen (Nr. 1), während kunstgewerbliche Erzeugnisse, wie bereits in der Vergangenheit regelmäßig betont, leicht verwertbar sein müssten.66 Der Schutz der Lichtbilder wurde im neu gefassten Abschnitt über „verwandte Schutzrechte“, der den hierfür bis dato gebrauchten Terminus der „angrenzenden Rechtsgebiete“ ablöste, geregelt67. Den Ausschluss der Rückrufsrechte für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder enthielt § 71 Abs. 3 RefE: „Für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder sind die Bestimmungen der §§ 27, 33 und 34 nicht anzuwenden“68.
Wie bei allen bisherigen Entwürfen, die einen entsprechenden Ausschlusstatbestand vorsahen, fiel auch die Begründung zu § 71 RefE ausgesprochen kurz aus. Hier hieß es schlicht, dass ein Teil der urheberrechtlichen Vorschriften für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder nicht geeignet sei, da diese als Gegenstände des gewerblichen Verkehrs unkompliziert übertragbar sein müssten69. Das Filmrecht war in den §§ 91 bis 99 RefE als eigenständiger Abschnitt normiert. Gemäß § 93 Abs. 1 RefE galt der Inhaber der Produktionsfirma als Urheber des Filmwerkes. Hiervon streng zu separieren waren nach Abs. 2 die Urheberrechte an den zur Herstellung des Filmwerkes benutzten Werken wie dem zugrundeliegenden Roman, dem Drehbuch usw.70 (sog. „vorbenutzte Werke“). Die Vorschrift hatte zur Folge, dass dem Urheber des Verfilmungsstoffes sämtliche urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse und damit inbesondere auch die Rückrufsrechte verblieben. Vor diesem Hintergrund behielt § 92 Abs. 4 RefE die Möglichkeit des schriftlichen Vorabverzichts 66 BMJ,
RefE, S. 125 f. Maracke, S. 97. 68 BMJ, RefE, S. 30. 69 BMJ, RefE, S. 187. 70 BMJ, RefE, S. 36 f.: „(1) Als Urheber eines Filmwerkes gilt der Inhaber des Unternehmens, welches das Filmwerk hergestellt htat (Filmhersteller). (2) Die Urheberrechte an den zur Herstellung des Filmwerkes benutzten Werken (wie Roman, Drehbuch und Filmmusik) bleiben unberührt“. Ausführlich zum Filmrecht des Entwurfs siehe BMJ, RefE, S. 213 ff. sowie Maracke, S. 111 f., 668 ff. 67 Dazu
IV. Referentenentwurf vom März 1954411
auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung für Nutzungsrechte an vorbenutzten Werken bei: „[…] (4) Der Urheber kann bei der Einräumung von Nutzungsrechten für Filmwerke auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 33) durch schriftliche Erklärung im voraus verzichten“71.
Auch hier wiederholten die Motive hergebrachte Argumente, indem sie darauf verwiesen, dass sich Filmhersteller in der Regel einen gewissen Vorrat an Drehbüchern und sonstigen literarischen Werken anlegten, um diese zu geeigneter Zeit verfilmen zu können. Für diese Praxis bestehe ein anerkennenswertes Bedürfnis, da sich nicht immer prognostizieren lasse, ob und wann sich ein Stoff zur Verfilmung eigne. Da § 33 RefE den Filmunternehmer nach frühestens zwei (Abs. 1), spätestens aber fünf Jahren (Abs. 5) zur Ausübung seiner Nutzungsrechte zwinge, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, diese durch Rückruf zu verlieren, sei die Möglichkeit eines Vorabverzichts auf das Rückrufsrecht unerlässlich. Das Schriftformerfordernis habe dabei den Zweck, dem Urheber die Bedeutung und Tragweite des Vorausverzichts auf dieses „wichtige, aus dem droit moral fließende Recht“ klar vor Augen zu führen.72 Dass die Abbedingungsmöglichkeit auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung begrenzt blieb, war Folge des § 34 Abs. 2 RefE, der jedweden Vorabverzicht auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ausschloss. Dem Filmhersteller hingegen versagte § 95 RefE jedwede Rückrufsrechte: „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 27), über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 33) und wegen gewandelter Überzeugung (§ 34) sowie über die Einschränkung der Zwangsvollstreckung in das Urheberrecht nach §§ 119 bis 123 gelten nicht für den Filmhersteller und seinen Rechtsnachfolger (§ 22)“73.
Die Vorschrift betraf demnach allein das Verhältnis zwischen Filmhersteller und Filmverleiher. Ähnlich wie bei den Lichtbildwerken führte die Begründung auch hier die Gewährleistung der freien Verwertbarkeit im geschäftlichen Verkehr als Regelungsmotiv an74.
71 BMJ,
RefE, RefE, 73 BMJ, RefE, 74 BMJ, RefE, 72 BMJ,
S. 36. S. 216 f. S. 37. S. 222 f.
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3. Stellungnahmen zu den Rückrufsrechten des Referentenentwurfs Alle interessierten Kreise waren aufgerufen, bis zum 1. November 1954 ihre Positionen zum Referentenentwurf vorzubringen. In der Folge gingen Stellungnahmen der Interessenverbände von Urhebern und Verwertern [a)], einzelner Sachverständiger und Privatpersonen [b)] sowie von amtlichen Stellen auf Bundes- und Landesebene [c)] ein. Neben diesen direkt an das BMJ gerichteten Eingaben wurde der Referentenentwurf auch in der Jurisprudenz umfassend diskutiert [d)]. Der die Rückrufsrechte enthaltende Abschnitt über den Rechtsverkehr in Urheberrechtssachen wurde dabei verhältnismäßig wenig kritisiert: Im Zentrum der Debatte standen vielmehr die Abschnitte über die Einschränkungen des Urheberrechts zugunsten der Allgemeinheit (§§ 38–57 RefE), das Filmrecht sowie die Vorschläge, das bisher nicht geregelte Folgerecht75, die Vermietgebühr und die Urhebernachfolgevergütung76 sowie eine Kulturabgabe in das künftige Gesetz zu implementieren77. Gleichwohl finden sich in den Stellungnahmen nicht wenige Passagen, welche die Rückrufsrechte des Urhebers sowie die Frage ihres Ausschlusses im Filmbereich zum Gegenstand hatten. a) Stellungnahmen der Interessenverbände Seitens der Interessenverbände gingen sowohl Stellungnahmen der Urheberverbände [aa)] als auch der Verwertungsindustrie ein [bb)]. aa) Interessenverbände der Urheberschaft In seinen Betrachtungen zum Rückrufsrecht wegen Nichtausübung forderte der Urheber- und Rechtsausschuss der Vereinigung Deutscher Schriftstellerverbände am 19. November 1954 eine Präzisierung des § 33 Abs. 5 RefE dergestalt, dass Folge des Rückrufs nicht das Erlöschen, sondern der Heimfall des ausschließlichen Nutzungsrechts an den Urheber sein sollte. Der Entschädigungsanspruch des Abs. 6 sollte gänzlich entfallen, der Verweis in 75 Folgerecht (droit de suite) meint die Beteiligung der bildenden Künstler an der Wertsteigerung ihrer veräußerten Werke, siehe BMJ, MinE, S. VII. 76 Vergütungspflicht für die Verwertung gemeinfrei gewordener Werke, siehe BMJ, MinE, S. VII. 77 Maracke, S. 607 sowie ausführlich dies., S. 113 ff., 143 ff.; beispielhaft insofern der von Strauß, UFITA 22 (1956), S. 129 ff., der einen zeitgenössischen Überblick über sämtliche umstrittenen Punkte der Reform gibt; speziell zum Filmrecht siehe Roeber, UFITA 18 (1954), S. 283 ff.
IV. Referentenentwurf vom März 1954413
§ 34 Abs. 3 RefE diesen Änderungen entsprechend angepasst werden.78 Da rüberhinaus forderte der Ausschuss, die Unanwendbarkeit der Rückrufsrechte auf Filmwerke (§ 95 RefE) ersatzlos zu streichen79. Eine Begründung für die Änderungsvorschläge wurde nicht beigefügt. Der Deutsche Schriftstellerverband begrüßte in seiner Eingabe vom 3. Dezember 1954 das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung, monierte jedoch die zweijährige Ausschlussfrist des § 33 Abs. 2 RefE als im Einzelfall zu lang: So könnten insbesondere (tages-)aktuelle Manuskripte nach zwei Jahren wertlos sein. Aus diesem Grund schlug man eine Verkürzung der Frist auf ein Jahr vor.80 Für den Verband deutscher Filmautoren reichte dessen Vorstand Erich Ebermeyer ein Aufsatzmanuskript mit dem Titel „Die Filmautoren und der Referentenentwurf“ ein. Darin bezeichnete er das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung als „einen der heikelsten Punkte des Urheberrechts und seiner gesamten Reform“. Entscheidend war nach Ebermeyers Auffassung die Unabdingbarkeit des Rückrufsrechts: So sei die Abbedingungsmöglichkeit nach § 92 Abs. 4 RefE der sprichwörtliche „Wolf im Schafspelz“, da der Ausschluss des Rückrufsrechts angesichts der regelmäßig unterlegenen Verhandlungsposition der Drehbuchautoren durch diese Vorschrift zur Regel zu werden drohe. Ebermeyer plädierte stattdessen für eine gänzliche Streichung der Ausnahmeregelung, zumal sich jeder Filmproduzent angesichts der Schnelllebigkeit der Filmbranche nach spätestens fünf Jahren darüber im Klaren sei, ob der ein Werk verfilmen wolle oder nicht.81 Der Bund deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler hatte gegen §§ 33, 34 RefE ebenfalls keine Einwände, forderte jedoch eine Streichung der Ausnahmeregelung des § 35 Nr. 2 RefE, nach dem die Rückrufsrechte keine Anwendung auf angestellte Urheber von Werken im Bereich des Kunstgewerbes finden sollten: Der bloße Umstand, dass der Urheber in einem Beschäftigungsverhältnis steht, dürfe nicht zu einer Einschränkung seines Urheberpersönlichkeitsrechts führen. Überdies seien die Unternehmer durch die Entschädigungsregelungen in §§ 33 und 34 RefE hinlänglich geschützt.82 78 Stellungnahme der Vereinigung deutscher Schriftstellerverbände vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 96. 79 Stellungnahme der Vereinigung deutscher Schriftstellerverbände vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 104. 80 Kritische Betrachtungen des Deutschen Schriftstellerverbandes zum Referenten-Enwurf vom 03.12.1954, BArch, B 141 / 2572, Bl. 42. 81 Eingabe des Verbands deutscher Filmautoren vom 12.01.1955, BArch, B 141 / 2573, Bl. 85 f. 82 Denkschrift des Bundes deutscher Landesberufsverbände bildender Künster, BArch, B 141 / 2579, Bl. 61 f.
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Die Internationale Richard Strauss Gesellschaft (ehemalige, von Richard Strauss gegründete Genossenschaft Deutscher Tonsetzer) warf schließlich die Frage auf, ob es überhaupt angebracht sei, urhebervertragsrechtliche Regelungen in das neu zu schaffende Gesetz aufzunehmen oder ob diese Materie nicht, vergleichbar dem Verlagsrecht, in einem eigenständigen Gesetz besser aufgehoben sei83. Infolgedessen beschränkte man sich hinsichtlich des Rechtsverkehrs in Urheberrechtssachen auf einige knappe Ausführungen. So hieß es, dass im Speziellen nur das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung „wichtig im Sinne des Urheberrechts“ sei, da sich hier „die lebendige Kraft des geistigen Schaffens [zeige], die sich auch gegenüber der ursprünglichen Form des Werkes durchzusetzen vermag“, da ein Werk „seiner Natur nach eben niemals eine Sache oder Ware, sondern Ausdruck einer lebendigen geistigen Persönlichkeit“84 sei. Nahezu wortgleich äußerte sich die Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer in ihrer Stellungnahme85. bb) Interessenverbände der Verwertungsindustrie Seitens der Verwertungsindustrie regte der Börsenverein deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände in seiner Denkschrift vom 1. Dezember 1954 wesentliche Abänderungen bzw. Ergänzungen der §§ 33 und 34 RefE an86. Konkret verlangte der Verein, das Verlagsrecht vom Anwendungsbereich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung auszunehmen, da hier mit den §§ 17, 30 und 32 VerlG eine spezialgesetzliche Regelung vorhanden sei, welche die Urheberinteressen hinreichend berücksichtige. Grundsätzlich anerkannt wurde das „Interesse des Urhebers, die Vervielfältigung und Verbreitung seines Werkes nicht mehr zu gestatten, wenn seine geistigen und materiellen Interessen ernstlich beeinträchtigt werden, weil das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht“87. Dennoch forderte man, § 34 RefE zur Gewährleistung effektiven Missbrauchsschutzes mit einer Wiederanbietungsklausel nach Art des § 35 Abs. 2 S. 2 VerlG. zu versehen. Für nicht 83 Stellungnahme der Internationalen Richard Strauss Gesellschaft vom 09.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 233 f. 84 Stellungnahme der Internationalen Richard Strauss Gesellschaft vom 09.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 234. 85 Stellungnahme des Präsidiums der Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer vom 31.10.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 203 v. 86 Denkschrift des Börsenvereins deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände vom 01.12.1954, BArch, B 141 / 2571, Bl. 17; abgedruckt auch in BBl. 1954 (Frankfurter Ausgabe), S. 729 ff. 87 Denkschrift des Börsenvereins deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände vom 01.12.1954, BArch, B 141 / 2571, Bl. 38.
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ausreichend erachtete man die Entschädigungsregelung: Da im Verlagswesen zumeist mit mehreren Auflagen kalkuliert und entsprechend umfangreiche Investitionen getätigt würden, der Urheber aber nur in den seltensten Fällen die Mittel habe, um diese Schäden zu ersetzen, müsse gewährleistet sein, dass der Rückruf erst dann wirksam würde, wenn sämtliche Ausgleichszahlungen, zumindest jedoch hinreichende Sicherheiten geleistet wurden. Andernfalls könne, so die Denkschrift weiter, ein gewissenloser Urheber durch den Rückruf die weitere Verbreitung verhindern, ohne den Nutzungsrechtsinhaber jemals angemessen entschädigen zu können.88 Abschließend verlangte der Börsenverein eine Klarstellung dahingehend, dass das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung nicht auf die Erben des Urhebers übergehe89. Auch der deutsche Musikverleger-Verband betonte die Zulänglichkeit der §§ 17, 30 und 32 VerlG, der allgemeinen Unmöglichkeits- und Rücktritts regelungen (§§ 323–326 BGB) sowie des außerordentlichen Kündigungsrechts aus wichtiger Ursache90, ging jedoch insofern weiter als der Börsenverein, als er das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung als gänzlich redundant ablehnte. Für den Fall, dass sich der Gesetzgeber aber dennoch für die Einführung desselben entscheiden sollte, wurden diverse Änderungen angemahnt. So sollte der Rückruf erst gestattet sein, wenn durch die Nicht- bzw. unzureichende Nutzungsrechtsausübung erhebliche Urheberinteressen „auf lange Zeit“ gefährdet würden. Gänzlich ausgeschlossen sollte der Rückruf gar sein, wenn dem Nutzungsrechtsinhaber eine alsbaldige oder umfassende Ausübung unzumutbar war, während der nachfristlose Rückruf wegen Unmöglichkeit künftig nur bei „dauernder“ Unmöglichkeit statthaft sein sollte.91 Im Hinblick auf § 34 RefE forderte auch der Musikverleger-Verband eine weitergehende Absicherung des Nutzungsrechtsinhabers gegen Missbrauch durch eine Wiederanbietungspflicht, die im Gegensatz zum Vorschlag des Börsenvereins jedoch nicht unbedingt, sondern lediglich für eine Dauer von zehn Jahren ab dem Rücktritt gelten sollte92. Am 30. Dezember 1954 folgte die Stellungnahme der SPIO. Ihrem Metier entsprechend befasste sich diese nahezu ausschließlich mit dem Filmrecht und forderte, ebenfalls wenig überraschend, einen (weiteren) Ausbau der Ausschlusstatbestände zugunsten der Filmwirtschaft. So sollte die Abding88 Denkschrift des Börsenvereins deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände vom 01.12.1954, BArch, B 141 / 2571, Bl. 39. 89 Denkschrift des Börsenvereins deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände vom 01.12.1954, BArch, B 141 / 2571, Bl. 40. 90 Siehe dazu oben, E. VIII. 2. lit. c). 91 Stellungnahme des Musikverleger-Verbandes, BArch, B 141 / 2572, Bl. 172. 92 Stellungnahme des Musikverleger-Verbandes, BArch, B 141 / 2572, Bl. 173.
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barkeitsregelung des § 92 Abs. 4 RefE auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ausgedehnt werden, da man in einem derart subjektiven Vertragsaufhebungsinstitut eine große Gefahr für die Filmproduktion erblickte93. Weitere Stellungnahmen kamen u. a. von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)94, dem Deutschen Gewerkschaftsbund95 oder dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)96. Hier stieß der Entwurf überwiegend auf Zustimmung, wobei die Rückrufsrechte des Urhebers nicht eigens thematisiert wurden97. b) Stellungnahmen einzelner Sachverständiger und Privater Abgesehen von den Interessenverbänden reichten auch einzelne Sachverständige sowie prominente Urheber Stellungnahmen zum Referentenentwurf ein. Bereits am 26. September verlieh de Boor seiner Enttäuschung über den Entwurf in einem Gutachten Ausdruck: Zwar bringe dieser in manchen Einzelfragen gegenüber dem Rengsdorfer Entwurf Verbesserungen mit sich, insgesamt sei er jedoch durch eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Urhebers gegenüber der verwertenden Industrie gekennzeichnet98. Auch verkünde die Begründung des Entwurfs vollmundig „neue Rechte“ des Urhebers99, doch seien diese zu weiten Teilen nur eine Kodifizierung des ohnehin vorherrschenden Rechtszustandes (so beim längst anerkannten Urheberpersönlichkeitsrecht) sowie dessen, was ohnehin im Verlagsrecht anerkannt sei (so bei den Rückrufsrechten)100. Das Filmrecht des Entwurfs hielt er gar für völlig verfehlt: Der Ausschluss von elementaren urheberrechtlichen Befugnissen wie dem Rückrufsrecht führe dazu, dass in diesem Bereich „kein echtes Urheberrecht“ und „gewiss kein Urheberrecht im Sinne des Entwurfs“ mehr vorhanden sei101. der SPIO vom 30.12.1954, BArch, B 141 / 2572, Bl. 146. der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland zu § 59 des Referentenentwurfs eines Urheberrechtsgesetzes, BArch, B 141 / 2571, Bl. 64 ff. 95 Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 05.10.1954, BArch, B 141 / 2579, Bl. 5 ff. 96 Stellungnahme des BDI vom 11.01.1955, BArch, B 141 / 2573, Bl. 24 ff. 97 Ausführlich zu sämtlichen eingegangenen Stellungnahmen Maracke, S. 117 ff. 98 Stellungnahme de Boors vom 26.09.1954, BArch, B 141 / 2568, Bl. 6. 99 Siehe BMJ, RefE, S. 66 f. 100 Stellungnahme de Boors vom 26.09.1954, BArch, B 141 / 2568, Bl. 7. 101 Stellungnahme de Boors vom 26.09.1954, BArch, B 141 / 2568, Bl. 25 f. 93 Stellungnahme 94 Stellungnahme
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Die an der Ausarbeitung der Vorentwürfe ebenfalls maßgeblich beteiligte Berliner Rechtsanwältin und Notarin v. Erffa reichte ihr Gutachten am 11. Oktober 1954 ein. Bereits 1951 hatte sie unterstrichen, dass das Urheberrecht monistischer Prägung die stete Verbindung des Urhebers zu seinem Werk schütze und das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung nichts anderes als die logische Konsequenz dieser Auffassung sei: Wäre der Urheber nicht in der Lage, sein Werk an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, läge hierin – von monetären Aspekten völlig abgesehen – zwangsläufig ein Verstoß gegen das persönlichkeitsrechtliche Element des Urheberrechts102. Die Ausgestaltung des Rückrufsrechts traf offenkundig im Kern die Vorstellungen v. Erffas, da sie lediglich präzisierende Änderungen anregte. Gleich dem deutschen Schriftstellerverband empfahl sie, den Heimfall des Nutzungsrechts anstelle des Erlöschens als Rechtsfolge des Rückrufs zu benennen und in § 33 Abs. 5 von „Rechten und Ansprüchen“ zu sprechen. Auf diese Weise sollte klargestellt werden, dass der Rückruf die Möglichkeit der Kündigung aus außerordentlichem Grund ebenso unberührt ließ wie vertragliche Schadensersatzansprüche.103 Auch v. Erffa wandte sich vehement gegen die Möglichkeit der gänzlichen Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung bei Filmwerken. Die Möglichkeit des bis zu fünfjährigen Ausschlusses sei zusammen mit der Entschädigungspflicht des Urhebers im Billigkeitsfall derart hinreichend, dass eine weitergehende Ab sicherung der (zumeist ohnehin staatlich subventionierten104) Filmhersteller schlicht überflüssig sei. Insbesondere könne es nicht angehen, dass ein erfolgreicher Drehbuchautor sein Werk bei einem in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Filmunternehmer belassen müsse, wenn er die Möglichkeit habe, es andernorts gewinnbringend zur Ausführung zu bringen.105 Philipp Möhring, der inzwischen als Aufsichtsratsvorsitzender der Commerz- und Creditbank AG tätig war, unterzog den Entwurf einer Fundamentalkritik: Er erachtete ihn im Gesamten als nicht geeignet, die Grundlage weiterer Debatten und Erörterungen zu bilden. Hauptkritikpunkte waren auch hier das Filmrecht und die Einschränkungen der Nutzungsrechte106. Obgleich Möhring das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung in der Vergangenheit als 102 v. Erffa,
JR 1951, S. 313. v. Erffas vom 11.10.1954, BArch, B 141 / 2568, Bl. 46. 104 Zwischen 1950 und 1955 übernahm der Bund als Wirtschaftsförderungsmaßnahme Bürgschaften für die Filmindustrie sowie ganze Filmprojekte; die Verwaltung erfolgte durch die hierfür eigens gegründete Bürgschaftsgesellschaft für Filmkredite; hinzu traten ab 1955 kulturpolitische Maßnahmen zur Stärkung des deutschen Films, wozu u. a. Finanzförderungen durch das Bundesinnenministerium zählten, siehe Altendorfer, S. 86. 105 Stellungnahme v. Erffas vom 11.10.1954, BArch, B 141 / 2568, Bl. 107 f. 106 Dazu Maracke, S. 127. 103 Stellungnahme
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wesentliche Stütze des Urheberpersönlichkeitsrechts begrüßt hatte107, erachtete er die nunmehr vorliegende Fassung vor allem aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs der „unzureichenden Ausübung“ für bedenklich108. Nicht nachvollziehbar erschien ihm überdies die zweijährige Ausschlussfrist des § 33 Abs. 2 RefE in Konstellationen, in welchen sich bereits unmittelbar nach der Einräumung bzw. Übertragung des Nutzungsrechts zeigte, dass eine unzureichende Ausübung desselben zu erwarten war. Gänzlich unverständlich sei zudem, weshalb der wegen Nichtausübung zum Rückruf berechtigte Urheber denjenigen, der das Nutzungsrecht nicht ausübe, gemäß § 33 Abs. 6 RefE auch noch entschädigen solle. Ersatzlos gestrichen werden sollte ferner die Ausnahmeregelung des § 35 RefE, da kein Grund für eine Privilegierung der Rechtsträger des öffentlichen Rechts gegenüber allen anderen Nutzungsrechtsinhabern ersichtlich sei. Die Ausnahmevorschrift für das Kunstgewerbe hingegen sei schon deshalb überflüssig, da in diesem speziellen Bereich ohnehin gesonderte vertragliche Absprachen notwendig seien.109 Als unbillig erachtete Möhring schließlich die Abdingbarkeitsregelung des § 92 Abs. 4 RefE, ohne dass er hier näher ins Detail ging110. Von Seiten der Urheberschaft reichte u. a. der Schriftsteller Hermann Kasack111 ein Gutachten ein. Auch Kasack kritisierte die Ersatzpflicht des zurückrufenden Urhebers, deren Anwendungsbereich er vor allem im Filmrecht vermutete112. Im Buchverlag hielt er es hingegen für ausgeschlossen, dass ein nichtausübender Verleger durch den Rückruf einen Schaden erlitt. Vor diesem Hintergrund gab Kasack zu bedenken, dass § 33 Abs. 6 RefE dazu missbraucht werden könne, künstlich Schäden zu konstruieren. Auch er sprach sich deshalb für die Streichung des Absatzes aus.113 Ganz anders beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung: Hier befürwortete Kasack, selbiges auch den Erben des Urhebers zuzusprechen, zumal alle Argumente, welche man für § 34 RefE ins Feld führe, auch für die Erben des Urhebers Geltung besäßen114. Mit dieser Auffassung stand er insbesondere den Forderungen des Börsenvereins diametral gegenüber.
107 Siehe
oben, F. II. 4. lit. c) bb). Möhrings vom 29.10.1954, BArch, B 141 / 2589, Bl. 22. 109 Stellungnahme Möhrings vom 29.10.1954, BArch, B 141 / 2589, Bl. 23. 110 Stellungnahme Möhrings vom 29.10.1954, BArch, B 141 / 2589, Bl. 39. 111 1896–1966, Pionier auf dem Bereich der Vermittlung literarischer Werke via Rundfunk; zur Person siehe etwa Bauermeister, S. 221 ff. 112 Wie Kasack angesichts des Umstandes, dass das Rückrufsrecht im Bereich des Films entweder abding- oder gänzlich unanwendbar war, zu dieser Vermutung gelangte, muss an dieser Stelle offenbleiben. 113 Gutachten Kasacks vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 65 f. 114 Gutachten Kasacks vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 66. 108 Stellungnahme
IV. Referentenentwurf vom März 1954419
Letztere wurden von dem Verleger Arthur Sellier (Verlag J. Schweitzer)115 aufgegriffen. In seinem Privatgutachten betonte dieser die Notwendigkeit einer Wiederanbietungspflicht in § 34 RefE. Der ehemalige Nutzungsrechtsinhaber habe, so Sellier, ein berechtigtes Interesse daran, ein Werk, das er unter Umständen bereits in mehreren Auflagen herausgegeben hat, das aber zwischenzeitlich zurückgerufen wurde und nunmehr – etwa in einer abgeänderten Fassung – neu aufgelegt werden soll, ebenfalls herauszugeben, allein weil es bibliographisch bei ihm gesucht werden würde. Insbesondere müsse jedoch verhindert werden, dass ein Urheber unter Vorgabe gewandelter Überzeugung ein Werk zurückrufe, nur um es in leicht abgewandelter Fassung in einem anderen Verlag zu günstigeren Konditionen herauszugeben. Aus diesem Grund sei die Entschädigungspflicht nach §§ 34 Abs. 3 i. V. m. 33 Abs. 6 RefE zwingend zu verschärfen: Ein Rückruf wegen gewandelter Überzeugung dürfe erst dann wirksam werden, wenn der Urheber vollumfänglichen Ersatz geleistet, zumindest aber hinreichende Sicherheiten hinterlegt habe.116 c) Stellungnahmen amtlicher Stellen auf Bundes- und Länderebene Von offizieller Seite brachten die Länder sowie jene Bundesministerien Stellungnahmen bei, die ihr Ressort durch die Urheberrechtsreform berührt sahen117. Die Rückrufsrechte thematisierende Gutachten kamen dabei vom Bundesinnenministerium [aa)], von sechs der damals insgesamt neun Landesjustizministerien [bb)] sowie dem BGH [cc)]. aa) Bundesinnenministerium Das Bundesministerium des Innern (BMI) forderte in einer umfassenden Stellungnahme, die auf Grundlage sämtlicher bisher eingegangener Gutachten sowohl zu den Vorentwürfen als auch zum Referentenentwurf ausgearbeitet worden war, eine Reihe von Änderungen an den Rückrufsvorschriften. So sollte im Anschluss an den entsprechenden Vorschlag des deutschen Musikverleger-Verbandes der sofortige Rücktritt wegen Unmöglichkeit nach § 33 Abs. 3 S. 2 RefE fortan nur noch bei „dauernder“ Unmöglichkeit gestattet sein, um auf diese Weise einem missbräuchlichen nachfristlosen Rückruf
115 Arthur Sellier gilt als Begründer der Vereinigung Rechts- und Staatswissenschaftlicher Verleger, siehe dazu Henschel, S. 218 f. 116 Stellungnahme Selliers vom 27.11.1954, BArch, B 141 / 2578, Bl. 167. 117 Ausführlich dazu Maracke, S. 130 ff., 610 ff.
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vorzubeugen118. § 33 Abs. 5 RefE sollte entsprechend den Vorschlägen des Schriftstellerverbandes und v. Erffas dahingehend abgeändert werden, dass Folge des Rückrufs nicht mehr das Erlöschen, sondern vielmehr der Heimfall des Nutzungsrechts sein sollte. Man begründete dies damit, dass Nutzungsrechte nicht abgetreten, sondern lediglich eingeräumt würden. Ferner befürwortete auch das BMI eine Streichung des Ersatzanspruches des Nutzungsrechtsinhabers (§ 33 Abs. 6 RefE): Entgegen der Behauptung Kasacks seien zwar sehr wohl Konstellationen denkbar, in welchen der Nutzungsrechtsinhaber Aufwendungen getätigt habe, ehe er den Entschluss fasste, auf die Ausübung des Rechts zu verzichten, doch liege der Grund dafür, dass eben jene Aufwendungen überflüssig würden, einzig in der Nichtausübung und damit im Verantwortungsbereich des Nutzungsrechtsinhabers selbst119. Schließlich folgte das BMI v. Erffa, indem es im Hinblick auf § 33 Abs. 7 RefE vorschlug, künftig von „Rechten und Ansprüchen“ zu sprechen120. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung betonte man, dass eine Streichung der Vorschrift nicht in Betracht käme. Zwar könne man die geäußerten Bedenken nicht gänzlich beiseite wischen, doch würden diese zumindest teilweise durch das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit abgefedert. Davon abgesehen sei das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung als Ausfluss des in § 9 RefE niedergelegten Urheberpersönlichkeitsrechts faktisch unumgänglich. Nachdem sich das BMI bereits an früherer Stelle für die Vererblichkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts ausgesprochen hatte121, hielt man es nur für konsequent, den Erben des Urhebers den Rückruf zu gestatten. Gleichwohl sollte der Erbe auch nach Ansicht des BMI den Rückruf einzig wegen eines Überzeugungswandels des Urhebers erklären dürfen, nicht aber, wenn das Werk lediglich seiner eigenen Überzeugung widersprach. Dies sollte dadurch klargestellt werden, dass in § 34 Abs. 1 RefE das Wort „seiner“ vor „Überzeugung“ eingefügt werden sollte122. § 34 Abs. 3 RefE sollte hingegen mit folgendem Wortlaut neu gefasst werden: „Der Inhaber des Nutzungsrechts hat für den ihm durch den Rückruf entstehenden Schaden gegen den Urheber einen Entschädigungsanspruch. Der Inhaber des Nutzungsrechts kann die Auszahlung der Entschädigung oder der Sicherheitsleistung 118 Stellungnahme des Bundesministeriums B 141 / 2580, Bl. 77 r. 119 Stellungnahme des Bundesministeriums B 141 / 2580, Bl. 77 v. 120 Stellungnahme des Bundesministeriums B 141 / 2580, Bl. 77 v. / 78 r. 121 Stellungnahme des Bundesministeriums B 141 / 2580, Bl. 71 r. ff. 122 Stellungnahme des Bundesministeriums B 141 / 2580, Bl. 78 r.
des Innern vom 17.12.1955, BArch, des Innern vom 17.12.1955, BArch, des Innern vom 17.12.1955, BArch, des Innern vom 17.12.1955, BArch, des Innern vom 17.12.1955, BArch,
IV. Referentenentwurf vom März 1954421
vor Wirksamwerden des Rückrufs verlangen. Die Bestimmungen in § 33 Abs. 5 und 7 sind entsprechend anzuwenden“123.
Die Notwendigkeit dieser Regelung ergab sich aus der vorgeschlagenen Streichung der Entschädigungspflicht beim Rückruf wegen Nichtausübung (§ 33 Abs. 6 RefE). Im Gegensatz dazu unterstrich das BMI die Gebotenheit einer Entschädigungspflicht beim Rückruf wegen gewandelter Überzeugung. Hier sei der Nutzungsrechtsinhaber nicht nur leistungswillig, sondern habe unter Umständen bereits erhebliche Aufwendungen im Vertrauen auf den Bestand des Nutzungsrechts getätigt. Mit Bezug auf jene Stellungnahmen, welche eine von Billigkeitserwägungen unabhängige Entschädigungspflicht verlangten und die Wirksamkeit des Rückrufs überdies von der vollumfänglichen Ersatz- bzw. hinreichenden Sicherheitsleistung des Urhebers abhängig machen wollten, gab das BMI zu bedenken, dass dies praktisch eine Prohibitivwirkung zur Folge hätte und damit zu einer erheblichen Einschränkung des Rückrufsrechts zu Lasten des Urhebers führen würde. Trotzdem schloss man sich diesen Forderungen an und befürwortete eine unbedingte Einschädigungspflicht, welche mindestens die Aufwendungen des Betroffenen abdecken sollte124. Als billig und zumutbar erachtete man überdies die vorgeschlagene Wiederanbietungspflicht des wegen Überzeugungswandels zurückrufenden Urhebers. Diese sollte in einem neu einzufügenden § 34 Abs. 4 normiert werden, wobei das BMI hinsichtlich der zeitlichen Reichweite dem Vorschlag des Musikverleger-Verbandes folgte: „Will der Urheber das zurückgerufene Werk innerhalb von zehn Jahren nach dem Rückruf wieder verwerten, so muß er das Werk zunächst demjenigen, dem gegenüber er den Rückruf geltend gemacht hat, zu angemessenen Bedingungen an bieten“125.
Mit Blick auf die Ausschlussregelung des § 35 RefE folgte das BMI den Forderungen Möhrings sowie des Bundes deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler und forderte – mit entsprechender Argumentation – die ersatzlose Streichung der Vorschrift126. Entfallen sollte auch § 92 Abs. 4 RefE: Wie zuvor v. Erffa, erachtete das Ministerium die Möglichkeit der fünfjährigen Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung auch für den Filmbereich als ausreichend. Abgesehen davon sei die Vorschrift ohnehin ungenügend, da sie lediglich die Abbedingung des § 33, nicht aber diejenige 123 Stellungnahme des B 141 / 2580, Bl. 79 r. 124 Stellungnahme des B 141 / 2580, Bl. 78 v. 125 Stellungnahme des B 141 / 2580, Bl. 79 r. 126 Stellungnahme des B 141 / 2580, Bl. 79 v.
Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch, Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch, Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch, Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch,
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des § 34 RefE gestattete, der nach der Entwurfsfassung ungleich größere wirtschaftliche Risiken für den Filmhersteller in sich barg. Diese Risiken sah man durch die vorgeschlagene Neufassung des § 34 Abs. 4 RefE als gebannt an.127 Schwerpunktmäßig war man im Bereich des Filmrechts jedoch gegen die Regelung des § 93 RefE zu Felde gezogen, wonach der Filmhersteller zugleich als Urheber des Filmwerks anzusehen war128. Stattdessen sollte künftig der Regisseur als Urheber gelten, während dem Hersteller das ausschließliche Verbreitungs-, Vervielfältigungs- und Vorführungsrecht zufallen sollte.129 Da damit an die Stelle des bisherigen, „fiktiven“ Filmurhebers ein „echter“ Urheber trat, sei eine entsprechende Angleichung der Ausschlussregelung des § 95 RefE erforderlich. Künftig sollte deshalb dem Regisseur als Träger des droit moral auch das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung zustehen. Im Übrigen sei die Regelung des § 95 RefE beizubehalten.130 bb) Länderministerien und -behörden Die Justizministerien der Länder äußerten sich zu dem Referentenentwurf im Gesamten überwiegend zustimmend131. Zu den Rückrufsrechten im Speziellen nahm zunächst der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen Stellung. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung schlug er lediglich redaktionelle Änderungen vor: So sollte die Formulierung des § 33 Abs. 3 S. 2 RefE („Erwerber“) jener des Abs. 1 S. 1 („Inhaber“) angeglichen werden. Nachdem der Minister bereits am Anfang seiner Stellungnahme die Anerkennung des droit moral im Referentenentwurf ausdrücklich begrüßte132, galt auch sein Hauptaugenmerk beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung der Missbrauchsprävention: So regte er an, in § 34 Abs. 1 RefE von „seiner“ gewandelten Überzeugung zu sprechen, um auf diese Weise hervorzustellen, dass nicht etwa ein Überzeugungswandel des Publikums, sondern allein ein Überzeugungswandel des Urhebers maßgeblich sei. Auf 127 Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch, B 141 / 2580, Bl. 101 v. 128 Siehe oben, G. IV. 2. lit. c). 129 Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch, B 141 / 2580, Bl. 101 v., 102 r. / v.; dazu Maracke, S. 130. 130 Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern vom 17.12.1955, BArch, B 141 / 2580, Bl. 103 r. 131 Dazu ausführlich Maracke, S. 130 ff. 132 Stellungnahme des Justizministers des Landes Nordrhein-Westphalen vom 20.10.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 64.
IV. Referentenentwurf vom März 1954423
diese Weise sollte vermieden werden, dass das Rückrufsrecht zur Abschüttlung unliebsamer Verträge zweckentfremdet würde.133. Ähnlich wie das BMI hielt auch der nordrhein-westfälische Justizminister die entsprechende Anwendung der Entschädigungsregelung des § 33 Abs. 6 RefE auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung für bedenklich. Da bei der Nichtausübung der Nutzungsrechtsinhaber für die Störung verantwortlich war, sei es angemessen, die Entschädigungspflicht des Urhebers hier von Billigkeitserwägungen abhängig zu machen. Beim Rückruf wegen gewandelter Überzeugung liege die Ursache der Vertragsaufhebung indes beim Urheber selbst. Aus diesem Grund sei es nur gerecht, den Urheber hier in jedem Fall zur Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers zu verpflichten134. Der Justizminister Schleswig-Holsteins wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass man seitens des schleswig-holsteinischen Verkehrsministeriums die Einführung eines Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung grundsätzlich ablehnte. Diese Meinung teilte er selbst jedoch nicht – der Minister sprach sich vielmehr dafür aus, selbiges auch juristischen Personen zuzusprechen, zumal es etwa bei amtlichen Gutachten und Stellungnahmen durchaus denkbar sei, dass diese aufgrund veränderter politischer Verhältnisse nicht mehr der Auffassung der ausgebenden Stelle entsprächen135. Wenig später äußerte sich auch der Berliner Justizsenator zu den Rückrufsrechten. In seiner Stellungnahme, die auf eingeholten Gutachten der Berliner Gerichte sowie der dortigen GRUR-Bezirkgruppe basierte136, regte auch er an, in § 33 Abs. 7 RefE von „Rechten und Ansprüchen“ zu sprechen, um dem Urheber andere Vertragsaushebungsinstrumente zu erhalten. Daneben rügte man die Ausschlussregelung des § 35 Nr. 2 RefE als teilweise unbillig: Zumindest Schöpfern von Werken des Kunstgewerbes, die als freie Mitarbeiter nicht in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis standen, sollten die dort genannten Rechte zugesprochen werden.137 Die Möglichkeit der Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung bei Filmwerken lehnte der Berliner Senator gänzlich ab. Auch er verwies auf die Zulänglichkeit der Sicherungsmechanismen in § 33 RefE und betonte, dass es nicht einzusehen 133 Stellungnahme des Justizministers des Landes Nordrhein-Westphalen vom 20.10.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 77 f. 134 Stellungnahme des Justizministers des Landes Nordrhein-Westphalen vom 20.10.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 78. 135 Stellungnahme des Justizministers des Landes Schleswig-Holstein vom 02.11.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 120. 136 Stellungnahme des Berliner Senators für Justiz vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 71. 137 Stellungnahme des Berliner Senators für Justiz vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 75 f.
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sei, weshalb es Produktionsfirmen gestattet sei sollte, Verfilmungsrechte zu horten138. Ausgesprochen ausführlich nahm das bayerische Staatsministerium für Justiz zum Filmrecht des Referentenentwurfs Stellung. In München stellte man sich auf den Standpunkt, dass Filmwerke als Bearbeitungen anzusehen seien und insofern unabhängig vom bearbeiteten Werk, namentlich dem verfilmten Literaturwerk, dem Drehbuch etc., eigenständigen Schutz nach § 2 RefE139 genössen140. Da mit dem Filmwerk ein gänzlich neues Werk entstünde, könne auch die vom Urheber des verfilmten Materials eingeräumte Erlaubnis keine Nutzungsrechtseinräumung, sondern allenfalls eine Zustimmung i. S. d. § 15 RefE141 darstellen, so dass hier kein Rückruf des Nutzungsrechts, sondern allenfalls ein Widerruf der Zustimmung in Betracht käme. In der Folge schlug das bayerische Justizministerium ein an das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung angelehntes gesondertes „Widerrufsrecht“ für Filmwerke vor: „Die Zustimmung zur Verarbeitung des bearbeiteten Werkes (z. B. des Drehbuchs) kann aus den Gründen, aus denen ein Rückrufsrecht wegen Nichtausübung eines Nutzungsrechts gegeben ist, widerrufen werden; auf den Widerruf kann durch schriftliche Erklärung im Voraus verzichtet werden“142.
Bayerischerseits sprach man sich demnach lediglich für eine dogmatisch begründete Modifikation, nicht aber für eine Streichung der Abdingbarkeit des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung für vorbenutzte Werke aus. Nachdrücklich wandte man sich gegen eine Anwendbarkeit des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung im Filmbereich: Auf keinen Fall, so das Ministerium, sollte ein Urheber, der der Filmverwertung zugestimmt habe, diese durch Berufung auf seine gewandelte Überzeugung unmöglich machen können143. Unter Bezugnahme auf die entsprechenden Forderungen v. Erffas befürwortete das Ministerium schließlich die Streichung der Ausschlussregelung des § 95 RefE: Auch der Filmunternehmer habe ein berech138 Stellungnahme des Berliner Senators für Justiz vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2570, Bl. 85. 139 „Übersetzungen und andere Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, werden unbeschadet des Urheberrechts am bearbeiteten Werk wie selbstständige Werke geschützt“, BMJ, RefE, S. 7 f. 140 Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 21.01.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 136 f. 141 „Eine Bearbeitung des Werkes darf nur mit Zustimmung des Urhebers des bearbeiteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden“, BMJ, RefE, S. 11. 142 Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 21.01.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 137 r. 143 Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 21.01.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 140 v.
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tigtes Interesse daran, dass der Film tatsächlich verbreitet werde, da ihm durch die Nichtausübung regelmäßig erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohten144. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg schloss sich in seinem Gutachten vom März 1955 hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung dem Berliner Justizsenator an145. Darüber hinaus betonten die Hanseaten, dass der gesamte Entwurf in erfreulicher Weise die aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht fließenden Rechte anerkenne. Begrüßenswert sei insbesondere die Einführung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung, wenngleich hier Nachbesserungen erforderlich seien: Wie bereits Nordrhein-Westfalen wollte man klarer hervorgestellt wissen, dass allein der Überzeugungswandel des Urhebers für den Rückruf maßgeblich sei. Befürwortet wurde zudem der Wunsch nach Einführung einer Wiederanbietungspflicht.146 Zuvor hatte sich die Hamburger Behörde für Wirtschaft und Verkehr, ähnlich wie ihr schleswig-holsteinisches Gegenstück, für eine gänzliche Streichung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung ausgesprochen. Zur Begründung hatte das Wirtschaftsressort angeführt, dass dem Urheber nicht gestattet werden dürfe, sich der Verantwortung für eine von ihm früher vertretene Auffassung zu entziehen. Stattdessen verlangte man, einen Rückruf einzig auf Grundlage objektiv überprüfbarer Kriterien zuzulassen. Den Justizsenator überzeugten diese Einwände nicht: Nach Erscheinen des Werkes sei es bereits aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, sich zur Gänze der Verantwortung zu entziehen, während es dem Urheber andererseits vor Erscheinen des Werkes kaum verboten werden könne, seine diesbezüglichen Auffassungen zu ändern.147 Ähnlich verhielt es sich im Bereich des Filmrechts: Hier hatte die Wirtschaftsbehörde die Einführung eines § 95 Abs. 2 gefordert, wonach bei der Übertragung von Nutzungsrechten zu Verfilmungszwecken jedwede Rückrufsrechte ausgeschlossen sein sollten. Der Justizsenator verwarf jedoch auch diesen Vorstoß unter erneutem Hinweis auf die „begrüssenswerte Systematik des droit moral“148 im Referentenentwurf. 144 Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 21.01.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 142 r. / v. 145 Stellungnahme des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 05.03.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 152 v. 146 Stellungnahme des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 05.03.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 153 r. / v. 147 Stellungnahme des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 05.03.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 153 v. 148 Stellungnahme des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 05.03.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 159 r. / v.
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Zeitgleich mit der Stellungnahme Hamburgs ging das Gutachten des hessischen Justizministers ein. Auch dieser teilte den Wunsch nach Klarstellung der Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers149 und lieferte einen konkreten Formulierungsvorschlag. So sollte § 34 Abs. 1 RefE um folgenden Satz ergänzt werden: „Dieses Recht steht dem Rechtsnachfolger des Urhebers nicht zu, es sei denn, daß der Urheber den Rückruf von Todes wegen erklärt hat“150.
Die Gutachten der übrigen Länder, namentlich Niedersachsens151, BadenWürttembergs152, Bremens153 sowie die Stellungnahme aus RheinlandPfalz154 äußerten sich nicht zu den Rückrufsrechten des Urhebers. cc) BGH Der I. Zivilsenat des BGH nahm schließlich am 27. Oktober 1954 zu dem Entwurf Stellung. Während sich die Bundesrichter zum Rückrufsrecht wegen Nichtausübung nicht äußerten, mahnten sie mit Blick auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ebenfalls die Einführung einer Wiederanbietungspflicht an. Ebensowenig neu war die Forderung des I. Zivilsenats, in § 34 RefE klarzustellen, dass trotz der Vererblichkeit des Urheberrechts einzig ein Überzeugungswandel des Urhebers für den Rückruf maßgeblich sein dürfe. Konkret schlug man eine Ergänzung der Vorschrift dahingehend vor, dass Erben lediglich ein in der Person des Werkschöpfers bereits entstandenes Rückrufsrecht ausüben können sollten. Dies zielte insbesondere auf den Fall ab, dass der verstorbene Urheber noch zu Lebzeiten den Wunsch geäußert hatte, von einer (weiteren) Verwertung des Werkes abzusehen.155 Befürwortend äußerte sich der Senat zum Ausnahmetatbestand des § 35 Nr. 2 RefE zulasten sog. freier Mitarbeiter. Man begründete dies zum einen mit den erheblichen Kosten, welche die Kunstgewerbeindustrie regel149 Stellungnahme des hessichen Ministers der Justiz vom 05.03.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 171 f. 150 Stellungnahme des hessichen Ministers der Justiz vom 05.03.1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 172. 151 Stellungnahme des niedersächsischen Ministers der Justiz vom 28.09.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 58 ff. 152 Stellungnahme des baden-württembergischen Justizministeriums vom 15.02. 1955, BArch, B 141 / 2592, Bl. 145 ff. 153 Stellungnahme des Bremer Senators für Justiz und Verfassung vom 19.11.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 124 f. 154 Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Justizministeriums vom 29.11.1954, BArch, B 141 / 2592, Bl. 126 ff. 155 Stellungnahme des I. Zivilsenats vom 27.10.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 36 f.
IV. Referentenentwurf vom März 1954427
mäßig in die Entwicklung und Verwertung derartiger Werke investiere, zum anderen mit wettbewerbsrechtlichen Erwägungen. So würden bestimmte künstlerische Gestaltungen im Verkehr oftmals als Herkunftshinweis auf eine konkrete Erzeugerstätte gewertet. Allein aus diesem Grund könne es nicht angehen, dem Urheber mit dem Rückrufsrecht wegen Nichtausübung die Möglichkeit zu geben, nach Einstellung der Produktion die entsprechenden Entwürfe einem anderen kunstgewerblichen Unternehmen zur Verwertung zu überlassen.156 Schließlich hielt Karlsruhe die Möglichkeit der Abbedingung des § 33 RefE im Bereich des Filmrechts (§ 92 Abs. 4 RefE) für bedenklich, ohne jedoch hierzu eine weitergehende Begründung zu liefern157 d) Die Thematisierung der Rückrufsrechte in Fachpublikationen Im Anschluss an die Veröffentlichung des Referentenentwurfs erschien in den einschlägigen Publikationsorganen eine Vielzahl an Beiträgen, die sich teils mit dem Entwurf im Allgemeinen, teils mit konkreten Einzelaspekten158 desselben auseinandersetzen. Während sich die allgemeinen Abhandlungen zur Urheberrechtsreform bezüglich der Rückrufsrechte mit entsprechend grundlegenden Fragen wie der Schutzrichtung der Rückrufsrechte im Kontext der monistischen Urheberrechtsauffasung befassten [aa)], wandten sich jene Beiträge, welche sich dem Filmrecht und damit einem umstrittenen Einzelaspekt des Entwurfs widmeten, konsequenterweise dem Ausschluss der Rückrufsrechte in diesem Bereich zu [bb)]. Übergreifende Abhandlungen stellten Beziehungen zu anderen Rechtsmaterien oder ausländischen Gesetzgebungsvorhaben in den Fokus [cc)]. Dabei nahmen sich sämtliche Beiträge hinsichtlich der Rückrufsrechte ausgesprochen kurz aus, was abermals zeigt, dass selbige – im Gegensatz etwa zum Filmrecht – nicht zu den großen Streitfragen der Reform zählten. aa) Grundsatzfragen Nachdem er die Rückrufsrechte in seinem Privatgutachten noch als bloße Entlehnung aus dem Verlagsrecht bezeichnet hatte, unterstrich de Boor in einem Beitrag zur UFITA nunmehr deren persönlichkeitsrechtlichen Charakter: Aufgrund der (aus der monistischen Theorie folgenden) natürlichen Verdes I. Zivilsenats vom 27.10.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 37 f. des I. Zivilsenats vom 27.10.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 59. 158 Abgesehen vom Filmrecht etwa mit dem Recht des ausübenden Künstlers oder dem photographischen Urheberrecht, dazu ausführliche Maracke, S. 137 ff. m. w. N. 156 Stellungnahme 157 Stellungnahme
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bundenheit von Urheberpersönlichkeits- und Verwertungsrechten seien Nutzungsrechte auch nach ihrer Übertragung bis zu einem gewissen Grad mit der Person des Urhebers verknüpft, was insbesondere in den §§ 33 und 34 RefE zum Ausdruck komme159. Die Ausführungen de Boors sind dabei nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Cosima-Wagner-Entscheidung des BGH zu sehen160. Mit Blick auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung führte der Münchener Rechtsanwalt Carl Schramm Ähnliches aus, wobei er – im Gegensatz etwa zu v. Erffa161 – § 33 RefE in erster Linie als vermögensrechtlich begründet erachtete, in dem aus der Nichtausübung resultierenden „Nicht-Bekanntwerden“ des Werkes jedoch einen das Urheberpersönlichkeitsrecht verletztenden Reflex sah. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung gab er die vermeintlich noch nicht vollständige Abklärung der Konsequenzen dieses Novums zu bedenken und forderte die Ergänzung des § 34 RefE um eine Zumutbarkeitsklausel.162 bb) Beiträge zum Film- und Lichtbildrecht des Entwurfs Als einem der umstrittensten Aspekte der Reform erschien zum Filmrecht zwar eine Fülle an Beiträgen, doch hielten sich auch hier die Stellungnahmen zu den Rücktrittsrechten im überschaubaren Rahmen. So befürwortete der Düsseldorfer Landgerichtsrat Karl Burkhardt angesichts der Tatsache, dass das Nutzungsrecht am Filmstoff die Grundlage für das spätere Filmwerk bildete, eine möglichst weite Ausdehnung des § 92 RefE. Insbesondere sollte die Abbedingungsklausel des § 92 Abs. 4 RefE dahingehend erweitert werden, dass der Urheber im Zweifel stets auf das Rückrufsrecht des § 33 RefE verzichtete. Burkhardt führte insofern die bekannte Argumentation der Filmindustrie an, dass zur langfristigen Produktionsplanung und damit zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Filmproduktion eine hinlängliche Bevorratung mit Filmstoffen unabdingbar sei. Ein bedeutendes Risiko für die Filmproduktion sah er auch im Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung. Dieses werde durch die Entschädigungspflicht des rückrufenden Ur hebers abgemildert, doch wäre vom filmwirtschaftlichen Standpunkt aus eine Ausdehnung des § 92 Abs. 4 auf § 34 RefE wünschenswert.163 159 de Boor, UFITA 18 (1954), S. 271. Die Verbundenheit zwischen Urheber und Werk auch nach der Einräumung von Nutzungsrechten hatte de Boor bereits in den 1930er Jahren ausdrücklich hervorgestellt, siehe oben, F. II. 4. lit. c) aa). 160 Dazu bereits oben, G. II. 161 Siehe oben, G. IV. 3. lit. b). 162 Schramm, UFITA 19 (1955), S. 98 f. 163 Burkhardt, UFITA 19 (1955), S. 169 f.
IV. Referentenentwurf vom März 1954429
Der Ausschlussregelung des § 95 RefE sprach Burkhardt nur geringe Praxisrelevanz zu, da die Rechtsbeziehungen zwischen Filmhersteller und -verleiher in der Regel ohnehin sondervertraglich geregelt würden. In diesem Kontext bekräftigte er nochmals seine Forderung nach Abbedingbarkeit des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung, da ein Rückruf des Filmstoffes durch den Urheber stets auch auf den Verleiher durchschlagen würde.164 Wenig überraschend vertrat Eugen Leer, Syndikus des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, die exakt gegensätzliche Position. Er bezeichnete die Möglichkeit der vertraglichen Abbedingung des § 33 im Wege des § 92 Abs. 4 RefE als eine der für die Verwerter vorgesehenen Großzügigkeiten, deren wirtschaftliche und politische Notwendigkeit von den Urhebern vehement bestritten werde. Eine ungenützte Anhäufung von Vervielfältigungsrechten seitens der Filmproduktionsfirmen stelle eine erhebliche Vernach lässigung der Urheberinteressen dar, der ein Gesetz nicht das Wort sprechen sollte. Als „Verkennung der natürlichen Rechte der Urheber und ihrer Stellung in der sozialen Ordnung“ lehnte Leer diese „gesetzlich geförderte Vorrangstellung gewerblicher und industrieller Verwerter schöpferischer Ar beit“165 entschieden ab. Mit den bisher kaum umstrittenen Vorschriften über den Lichtbildschutz befasste sich der Münchener Landgerichtsrat Hermann Riedel 1954 in der GRUR. Darin wandte er sich gegen den Ausschluss der Rückrufsrechte bei gewerbsmäßig hergestellten Lichtbildern, indem er darauf hinwies, dass die Konstellationen der Nichtausübung und des Überzeugungswandels auch hier eintreten könnten166. cc) Verhältnis zum Verlagsrecht und Vergleich mit dem französischen droit de repentir ou de retrait Der Freiburger Rechtsanwalt und Verlagsrechtsexperte Walter Bappert167 widmete den Rückrufsrechten einen eigenen Beitrag, in welchem er die praktischen Auswirkungen der §§ 33, 34 RefE auf das Verlagsrecht beleuchtete und nach etwa notwendigen Änderungen fragte. Als grundsätzlich unbedenklich erachtete er das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung, da § 33 Abs. 7 RefE gewährleiste, dass die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte als leges speciales nach wie vor anwendbar blieben. Ein Unterschied ergab sich zwar 164 Burkhardt,
UFITA 19 (1955), S. 173. Der Schriftsteller, Sonderheft November 1954, S. 28 f. 166 Riedel, GRUR 1954, S. 507. 167 Zur Person siehe Götz v. Olenhusen, UFITA 2003 / III, S. 743 ff. 165 Leer,
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insofern, als § 33 RefE unabdingbar war, doch sei ein vertraglicher Ausschluss der §§ 30, 32 und 17 VerlG in der Praxis ohnehin nicht üblich. Bedenken äußerte Bappert hinsichtlich § 33 Abs. 5 RefE: Die Regelung, wonach das Nutzungsrecht mit Wirksamwerden des Rückrufs erlöschen sollte, führe zu einer faktischen Außerkraftsetzung des § 38 VerlG, der im Rücktrittsfall das Verlagsrecht für die Vergangenheit aufrechterhielt, was dem Verleger zumindest ermöglichte, verbleibende Restbestände oder Altauflagen eines Werkes zu veräußern. Wie auch v. Erffa168 regte er daher an, § 33 Abs. 7 RefE so zu fassen, dass nicht lediglich Ansprüche, sondern auch Rechte aus anderen Vorschriften unberührt blieben. Im Übrigen sah Bappert den größten Vorteil des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung darin, dass damit künftig auch Urhebern außerhalb des Anwendungsbereichs des Verlagsgesetzes – etwa im Kunstgewerbe oder in der Filmbranche – die Möglichkeit zur Vertragsaufhebung wegen Nichtausübung gewährt wurde. Ungleich skeptischer zeigte er sich hinsichtlich § 34 RefE: Die faktische Ausdehnung des § 35 VerlG auf die gesamte Vertragsdauer berge die Gefahr in sich, dass beträchtliche Aufwendungen des Verlegers Makulatur würden. Zwar solle durch die Unzumutbarkeitsklausel gewährleistet werden, dass von § 34 RefE nicht leichtfertig gemacht werden konnte, doch lägen die Probleme dieses Kriteriums auf der Hand: Weder sei klar, welchen Maßstab der Richter hier anlegen solle, noch könne der Verleger ohne Weiteres beweisen, dass die Weiterverbreitung den Urheber entgegen seiner Einlassungen nicht schädigte.169 Auch mit Blick auf die Entschädigungspflicht, von den Motiven als weitere Missbrauchsschranke gepriesen, werde man sich verlegerseits „eines ironischen Lächelns nicht erwehren können“, zumal der Autor in den seltensten Fällen solvent genug sein dürfte, die getätigten Aufwendungen tatsächlich zu ersetzen. Hier helfe auch § 26 VerlG nicht weiter, da dieser dem Autor zwar einen Anspruch auf Überlassung, nicht aber dem Verleger einen Anspruch auf Abnahme der noch vorhandenen Bestände gewähre. Vor diesem Hintergrund hielt Bappert eine Verschärfung des § 34 RefE für zwingend erforderlich. Im Sinne einer nachhaltigen Missbrauchsprävention sollte nicht nur eine Wiederanbietungspflicht entsprechend § 35 Abs. 2 S. 2 VerlG eingeführt, sondern überdies die Wirksamkeit des Rückrufs von der vollumfänglichen Bewirkung der Entschädigung abhängig gemacht werden, zumal der Verleger mit Fug und Recht „der Ansicht sein darf, daß ihm sein gutes Geld genauso viel wert sei wie dem Verfasser seine gewandelte Überzeugung“170.
168 Siehe
oben, G. IV. 3. lit. b). BBl. 1955 (Frankfurter Ausgabe), S. 18 f. 170 Bappert, BBl. 1955 (Frankfurter Ausgabe), S. 19. 169 Bappert,
IV. Referentenentwurf vom März 1954431
Der Frankfurter Rechtsanwalt Hans Kleine setzte sich ebenfalls mit dem Verhältnis der Vorschriften des Referentenentwurfs zum Verlagsrecht auseinander. Während sich seine Ausführungen zu § 33 RefE mit denjenigen Bapperts deckten171, zeigte er sich gegenüber dem Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung zumindest im Grundsatz aufgeschlossener: So sei der Regelung des § 34 RefE die Berechtigung nicht abzusprechen, zumal man es „gerade jetzt“ oft erlebt habe, dass ein Verfasser „nicht mehr zu seinem Werk stehen kann und mag“172 (ob Kleine hier auf Werke ehemaliger NS-Parteigänger anspielte muss, wenngleich naheliegend, Vermutung bleiben). Dennoch sei § 34 RefE in seiner derzeitigen Fassung lebensfremd, da durch die Zumutbarkeitsschranke allein ein Missbrauch der Vorschrift nicht ausgeschlossen werden könne. Aus diesem Grund trat Kleine den Forderungen nach einer Wiederanbietungspflicht und der Erhebung der Entschädigungsbewirkung zur Wirksamkeitsvoraussetzung des Rückrufs bei.173 Nachdem auch Frankreich im Jahr 1954 einen neuen Urheberrechtsgesetzentwurf vorgelegt hatte174, veröffentlichte Ulmer 1955 einen überblicksartigen Vergleich beider Entwürfe. Darin hieß es u. a., dass das droit moral in beiden Vorschlägen breiter entfaltet würde, als dies in Art. 6bis RBÜ der Fall sei. Dies komme nicht nur in dem von beiden Entwürfen vorgesehenen Recht des Urhebers zum Ausdruck, einzig und allein darüber bestimmen zu dürfen, ob und wie das Werk zu veröffentlichen sei, sondern auch in dem – gleichsam in beiden Ausarbeitungen enthaltenen – Rückrufsrecht (droit de repentir ou de retrait, Art. 33 des französischen Entwurfs175). Das Rückrufsrecht des französichen Entwurfs war hinsichtlich der Rückrufsanforderungen weiter gefasst als seine deutschen Pendants, indem es, vergleichbar Art. 15 italUrhG, 171 Kleine,
UFITA 19 (1955), S. 152. UFITA 19 (1955), S. 152 f. 173 Kleine, UFITA 19 (1955), S. 153. 174 Siehe dazu insbesondere Escarra, RIDA 53 (1954), S. 3 ff. sowie Desbois, GRUR Ausl. 1957, S. 57 ff. 175 „[1] Nonobstant la cession de son droit d’exploitation, l’auteur, même postérieurement à la publication de son oeuvre, jouit d’un droit de repentir ou de retrait vis-à-vis du cessionnaire. Il ne peut toutefois exercer ce droit qu’à charge d’indemniser préalablement le cessionnaire du préjudice que ce repentir ou ce retrait peut lui causer. [2] Lorsque, postérieurement à l’exercice du droit de repentir ou de retrait, l’auteur décide de faire publier son oeuvre, il est tenu d’offrir par priorité ses droits d’exploitation au cessionnaire qu’il avait originairement choisi et aux conditions originairement déterminées“. In der endgültigen Fassung des Gesetzes wurde das droit de repentir in Art. 32 geregelt (Loi n°57-298 du 11 mars 1957 sur la propriété littéraire et artistique); es findet sich heute in unveränderter Fassung in L.121-4 des Code de la propriété intellectuelle (Loi 92-597 1992-07-01 annexe JORF 3 juillet 1992). Dazu ausführlich Desbois, UFITA 39 (1963), S. 143 ff.; ders., S. 483 ff. sowie Schadel, S. 75 ff. 172 Kleine,
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
keinerlei Rückrufsgründe verlangte und dem Urheber insofern die Offenbarung seiner Beweggründe und einen Streit über dieselben im Prozess ersparte, andererseits machte es die Wirksamkeit des Rückrufs, wie von vielen Seiten auch für das deutsche Recht gefordert, von der vollumfänglichen Vorabzahlung der Entschädigung abhängig.176 4. Die Rückrufsrechte in den Beratungen zum Referentenentwurf Nachdem er der Öffentlichkeit vorgestellt worden war und parallel zum Erscheinen obiger Stellungnahmen, wurde der Referentenentwurf u. a. im Fachausschuss der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht [a)] sowie im Rahmen einer Reihe von Sitzungen im BMJ beraten [b)], wobei auch die Rückrufsrechte zur Sprache kamen. a) Die Beratungen im Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Sinn und Zweck der Sitzungen des Fachausschusses, an welchen unter dem Vorsitz von Eugen Ulmer nicht nur anerkannte Urheberrechtsexperten und Sachverständige, sondern auch Vertreter des BMJ und des BMI teilnahmen177, war es, über die Interessengegensätze hinweg einen grundlegenden Konsens hinsichtlich des Referentenentwurfes und seiner weitergehenden Behandlung herbeizuführen178. Die Rückrufsrechte wurden bereits im Rahmen der ersten Sitzung am 28. und 29. September 1954 erörtert. Zu § 33 RefE wurde dabei einzig die Frage aufgeworfen, ob die Regelung auch im Bereich des Verlagsrechts Anwendung finden solle, was von Margarethe v. Erffa sowie Regierungsdirektor (RD) Schneider, einem der Vertreter des BMJ, ausdrücklich bejaht wurde. Im Übrigen zeigte man sich mit der Vorschrift einverstanden179. Im Gegensatz dazu gab es zu § 34 RefE eine Reihe von Wortmeldungen. Sellier z. B. nahm vorweg, was er im November in seinem Privatgutachten nochmals ausführlich darstellen sollte180, nämlich dass zur Antizipation rechtsmiss176 Ulmer,
JZ 1955, S. 405. die Teilnehmerliste der Sitzungen vom 28. und 29.09.1954 im Buchhändlerhaus zu Frankfurt / Main in BArch, B 141 / 2566, Bl. 49. 178 Siehe die einleitenden Worte Ulmers in der Sitzung vom 28.09.1954, BArch, B 141 / 2566, Bl. 50; ausführlich dazu und zum Folgenden auch Maracke, S. 143 ff. 179 Protokoll der Sitzung des Urheber- und Verlagsrechtsausschusses vom 28.09.1954, BArch, B 141 / 2566, Bl. 89 sowie Beschlussprotokoll in BArch, B 141 / 2567, Bl. 66. 180 Siehe oben, G. IV. 3. lit. b). 177 Siehe
IV. Referentenentwurf vom März 1954433
bräuchlicher Rückrufe dringend eine Wiederanbietungspflicht gegenüber dem früheren Nutzungsrechtsinhaber erforderlich sei. Freiin v. Erffa warf die nicht minder vieldiskutierte Frage auf, ob das Rückrufsrecht auch den Erben des Urhebers zustehen solle. Der als Gast anwesende Sachverständige Dr. Friedrich181 gab in der Folge zu bedenken, dass man bei einem Rechtsnachfolger hinsichtlich des Werkes nicht von „gewandelter Überzeugung“ sprechen könne. Wilken v. Ramdohr, Autor und Jurist aus München182, wandte ein, dass sich die Erben eventuell auf die gewandelte Überzeugung des Urhebers berufen könnten, woraufhin Ulmer die Diskussion mit dem Hinweis beendete, dass es zwar hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung, nicht aber beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung gerechtfertigt sei, dem Rechtsnachfolger des Urhebers die entsprechenden Befugnisse zuzugestehen. Dies wurde abschließend ebenso als Diskussionsergebnis festgehalten wie die Notwendigkeit der Einführung einer Wiederanbietungspflicht.183 Zu § 35 Nr. 2 RefE schlug v. Erffa vor, Urhebern von Werken des Kunstgewerbes, die als Beauftragte eines Unternehmens tätig sind, vom Ausschluss der Rückrufsrechte auszunehmen. Zur Begründung führte sie an, dass freie Mitarbeiter, zumal wenn sie bekannte Werkschöpfer seien, in der Regel nicht nur ihre Entwürfe vergütet, sondern auch Stücklizenzen erhielten. Auch würden die einzelnen Werkstücke oftmals mit deren Urheberzeichen signiert, so dass es unbillig sei, ihnen das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung vorzuenthalten. Auch hier zeigte sich Friedrich skeptisch und verwies auf die Gewinnorientierung der Kunstgewerbebranche, die einen Missbrauch der Rückrufsrechte aus öko nomischen Motiven befürchten lasse. Dem schlossen sich der Vertreter der Schallplattenindustrie, Baum, sowie der gleichsam als Gast anwesende Sachverständige Dr. Wegner184 an. MR Haertel vom BMJ gab zu bedenken, dass Produkte des Kunstgewerbes ohnehin nur in der minderen Zahl der Fälle eigenpersönliche Schöpfungen und damit Werke im urheberrechtlichen Sinne darstellten, während Eberhard Henssler, Experte für Urheberrechtsschutz im Bereich der angewand-
181 In welcher konkreten Funktion Friedrich an den Beratungen teilnahm, ist anhand der Protokolle nicht ersichtlich. 182 Auch über v. Ramdohr ist wenig bekannt; er war während des Krieges als Kriegsgerichtsrat Mitglied der Wehrmacht-Untersuchungsstelle zur Ermittlung alliierter Völkerrechtsverletzungen; siehe de Zayas, S. 233, 238 f., 414. 183 Protokoll der Sitzung des Urheber- und Verlagsrechtsausschusses vom 28.09.1954, BArch, B 141 / 2566, Bl. 89 f. sowie Beschlussprotokoll in BArch, B 141 / 2567, Bl. 66. 184 In welcher konkreten Rolle Wegner an der Beratung teilnahm geht aus den Protokollen ebenfalls nicht hervor.
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ten Kunst und der Architektur185, einwandte, dass es überdies nur sehr wenige hochkarätige Urheber im Sinne der Ausführungen v. Erffas gäbe. Diese wiederum würden in der R egel allenfalls befristete Verträge mit Unternehmen eingehen, so dass für eine Änderung des § 35 Nr. 2 RefE keine Notwendigkeit bestehe. Man einigte sich schließlich darauf, dass sich Henssler mit Vertretern der Kunstgewerbebranche besprechen und eine entsprechende Stellungnahme erwirken sollte.186 Wesentlich ausführlicher und konträrer disktutiert wurden die Rückrufsrechte im Rahmen der Sitzung zum Filmurheberrecht am 5. und 6. November 1954. Ulmer eröffnete die Erörterungen zu den Ausschlusstatbeständen des Filmurheberrechts, indem er auf einen Antrag der GRUR-Bezirksgruppe Nord sowie der Filmindustrie vom Oktober 1954 verwies, in welchem diese vorschlugen, die Abdingbarkeitsregelung des § 92 Abs. 4 RefE auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung auszudehnen. Zur Begründung hatte man angeführt, dass mit § 34 RefE ein außerordentlicher Unsicherheitsfaktor in die Filmauswertung hineingetragen würde, der zu unüberschaubaren und praktisch kaum lösbaren Problemen bei der Nutzungsrechtsvergabe ins Ausland führe187. Ulmer räumte zwar ein, dass das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung beim Film nicht vordringlich sei, hielt es jedoch für bedenklich, einen derart wesentlichen Bestandteil Urheberpersönlichkeitsrecht für verzichtbar zu erklären. Er unterstrich vielmehr, dass man sich bei der Ausgestaltung der Rückrufsrechte im Gesetz so knapp wie möglich fassen sollte, um der Jurisdiktion im Einzelfall die größtmögliche Entscheidungsfreiheit zu lassen, wobei er davon überzeugt sei, dass „die deutsche Rechtsprechung ihre Hand nicht zu einem Mißbrauch des droit moral reichen“ werde. Wohl vornehmlich zur Beruhigung der Filmindustrie sprach sich auch Ulmer dafür aus, die Wirksamkeit des Rückrufs Zug-um-Zug von der vorherigen Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers abgängig zu machen. Er verwies insofern auf den französischen Entwurf188 und betonte, dass dies ein probates Mittel sei, um zu gewährleisten, dass der Urheber vom Rückrufsrecht wegen ge185 Henssler veröffentlichte ab Mitte der 1950er Jahre eine Reihe von Beiträgen u. a. zum Recht der industriellen Formgebung in Deutschland und den einschlägigen Vorschriften der Referentenentwürfe, so etwa in Graphik 9 (1956), S. 94 ff.; BB 13 (1958), S. 529 ff. und in GRUR Ausl. 1959, S. 13 ff. 186 Protokoll der Sitzung des Urheber- und Verlagsrechtsausschusses vom 28.09.1954, BArch, B 141 / 2566, Bl. 90 f.; siehe ferner das Beschlussprotokoll der Sitzung in BArch, B 141 / 2567, Bl. 66. 187 Memorandum des Ausschusses für Urheber-und Filmrecht der GRUR-Bezirksgruppe, BArch, B 141 / 2567, Bl. 48. 188 Siehe oben, G. IV. 3. lit. d) cc).
IV. Referentenentwurf vom März 1954435
wandelter Überzeugung nur in den schwerwiegendsten Fällen Gebrauch mache.189 Die Verteter des BMJ äußerten verhaltene Bedenken gegen diesen Vorstoß. Minsterialdirektor (MD) Joël und RD Schneider führten aus, dass infolge einer solchen Regelung nur vermögende Urheber Nutzungsrechte würden zurückrufen können. Hierauf warf der ebenfalls als Sachverständiger an den Sitzungen teilnehmende Heinz Kleine ein, dass dies unumgänglich sei, sofern man die Entschädigungspflicht nicht gänzlich streiche. Dem setzte Hermann Voss, Gründungsgeschäftsführer der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten190, entgegen, dass man sich ebenso gut auf den Standpunkt stellen könne, dass Rückrufe durch den Urheber schlicht zum Betriebsrisiko der Verwertungsindustrie gehörten. Herbert Kühnemann, späterer Präsident des Deutschen Patentamts, gab zu, dass der Einwand der Ministeriumsvertreter nicht von der Hand zu weisen sei, jedoch sei es nun einmal der Urheber gewesen, welcher das Werk in die Welt gesetzt und den Nutzungsrechtsinhaber zu Aufwendungen veranlasst habe.191 Die Wirksamkeit des Rückrufs von der tatsächlichen Bewirkung der Entschädigungzahlung abhängig zu machen, hielt jedoch auch Kühnemann für zu weitgehend: Für die meisten Urheber werde ein Rückruf dadurch illusorisch. Er schlug stattdessen vor, den Rückruf bereits bei der Hinterlegung hinreichender Sicherheiten wirksam werden zu lassen.192 Im Gegensatz dazu sprachen sich Heinz Kleine und Kurt Runge, Rechtsanwalt und Sachverständiger aus Köln, für die Entschädigungszahlung als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung aus, wobei ersterer anmerkte, dass eine derartige Verschärfung des § 34 RefE eine Abdingbarkeit der Vorschrift im Bereich des Films oder gar des Kunstgewerbes entbehrlich mache.193 MR Haertel befürwortete ebenfalls eine Entschädigungspflicht nach französischem Vorbild, verweigerte sich jedoch jeder weitergehenden Änderung des § 34 RefE, indem er betonte, dass mit dem Erfordernis der Unzumutbarkeit einer fortgesetzten Verwertung jeder Fall richtig gelöst werden könne. Überdies war Haertel der Auffassung, dass man auf die Abbedingungsvorschrift des § 92 Abs. 4 RefE verzichten könne, sofern man auch die Wirksamkeit 189 Protokoll der Sitzung des Urheber06.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 181. 190 Samson, GRUR 1960, S. 174. 191 Protokoll der Sitzung des Urheber06.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 182. 192 Protokoll der Sitzung des Urheber06.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 183. 193 Protokoll der Sitzung des Urheber06.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 182.
und Verlagsrechtsausschusses vom und Verlagsrechtsausschusses vom und Verlagsrechtsausschusses vom und Verlagsrechtsausschusses vom
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des Rückrufs wegen Nichtausübung Zug-um-Zug von der Entschädigungszahlung abhängig mache. Dies hätte überdies den Vorteil, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „erheblichen Beeinträchtigung“ der Urheberinte ressen entfallen könne. Im Übrigen war auch er der Meinung, dass es bei den Rückrufsrechten ohnehin ganz entscheidend auf das „Fingerspitzengefühl des Richters“ im Einzelfall ankäme.194 Ulmer beendete die Diskussion mit dem Hinweis, dass die Frage der Formulierung zunächst dahingestellt bleiben müsse. Als einstimmiges Ergebnis hielt man fest, dass die Entschädigung sowohl bei § 33 als auch bei § 34 RefE im Voraus gezahlt oder entsprechende Sicherheiten geleistet werden müssten, ehe der Rückruf seine Wirksamkeit entfalte. Im Gegenzug sollte mit § 92 Abs. 4 RefE die Abbedingungsregelung für vorbenutzte Werke im Filmbereich entfallen.195 b) Die Beratung im Bundesjustizministerium Zur weiteren Akzentuierung der Änderungsvorschläge lud das BMJ zwischen Januar und Juli 1955 Vertreter der Interessenverbände zu Beratungen ein196. Thematisiert wurden dabei vornehmlich die bisherigen Streitpunkte der Reform und weniger der Entwurf in seiner Gesamtheit. Insofern verwundert es nicht, dass die Rückrufsrechte lediglich im Kontext des Filmurheberrechts zur Sprache kamen, wobei abermals die Abdingbarkeit des § 33 RefE nach § 92 Abs. 4 RefE im Fokus stand. Mit Blick auf das Ergebnis der Erörterungen im „Grünen Verein“ warf MD Joël in der Sitzung vom 22. Juni 1955197 die Frage auf, ob an § 92 Abs. 4 RefE festgehalten werden solle. Kritiker wie Sülwald vom deutschen Bühnenverlagsverein und Richartz vom Deutschen Komponistenverband stellten sich auf den Standpunkt, dass die Vorschrift nicht erforderlich sei, da Verfilmungsrechte in der Praxis zumeist nur für fünf bis sieben Jahre vergeben würden und verwiesen auf das Verlagsrecht, wo eine entsprechende 194 Protokoll der Sitzung des Urheber- und Verlagsrechtsausschusses vom 06.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 182 f. 195 Protokoll der Sitzung des Urheber- und Verlagsrechtsausschusses vom 06.11.1954, BArch, B 141 / 2569, Bl. 183 f. sowie Beschlussprotokoll in BArch, B 141 / 2569, Bl. 196. 196 Dazu ausführlich Maracke, S. 146 ff., 683 ff. 197 Siehe dazu die Anwesenheitsliste der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 100 f. Die Sitzung selbst fand in den Räumlichkeiten des Bundesinnenministeriums statt, stand jedoch unter der Ägide des Bundesjustizministeriums, siehe Zusatzvermerk für die Sitzung am 22.06.1955 vom 21.06.1955, BArch, B 141 / 2585, Bl. 204.
IV. Referentenentwurf vom März 1954437
Vorschrift ebenfalls nicht vorhanden sei. Kleine hob zudem hervor, dass die Regelung ohnehin entbehrlich sein dürfte, sofern – wie vom Fachausschuss der GRUR vorgeschlagen – die Wirksamkeit des Rückrufs Zug um Zug von der Zahlung einer Entschädigung abhängig gemacht werden würde198. Sein Kollege Fromm, Vertreter der Vereinigung Deutscher Schriftsteller-Verbände, lehnte die Vorabzahlung einer Entschädigung bzw. Hinterlegung einer Sicherheit rundheraus ab. Eine derartige Erschwerung des Rückrufs würde „Eiskellerverträgen“, mittels derer sich Produktionsfirmen einen Vorrat an Verfilmungsrechten anlegten, ohne diese jemals zur Ausführung zu bringen, weiteren Vorschub leisten. Er verwies insofern auf die Praxis der Ufa in der Vorkriegszeit.199 Der Leiter der Rechtsabteilung der SPIO, Georg Roeber200, rügte den Vergleich zwischen Filmunternehmer und Verleger als unpassend: Während letzterer zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes verpflichtet und insofern „Werkzeug des Autors“ sei, sei der Filmstoff aufgrund des fehlenden Ausführungszwangs des Filmunternehmers bloßes „Mittel zum Zweck“. Dementsprechend müsse man hinsichtlich der Frage, ob das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung bei Filmwerken disponibel sein sollte, zwischen zwei verschiedenen Werkarten differenzieren. So sei das Verfilmungsrecht, wie Richartz bereits angemerkt hatte, bei Verträgen über die Verfilmung bereits publizierter Werke (Romane, Dramen etc.) in praxi zumeist ohnehin zeitlich begrenzt, wobei dem Filmunternehmer gegen Zahlung eines weiteren Honorars regelmäßig eine Fristverlängerung gewährt werde. Anders sei es hingegen bei ausschließlich zur Verfilmung geschaffenen Werken: Bei solchen Handlungsskizzen müsse ein Verzicht auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung zugelassen werden, da auf Grundlage solcher Skizzen in einem jahrelangen Prozess zunächst ein Exposé, anschließend ein Treatment und schließlich mehrere Drehbuchentwürfe201 erarbeitet würden und nach Fertigstellung des Drehbuches auch noch der Zeitpunkt der besten Publikumswirkung abge198 Niederschrift
der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 87. der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 88. 200 Zur Person siehe Struve-Urbanczyk, in: Apel / Pahlow / Wießner, S. 243 ff. 201 Filmexposé, Filmtreatment und Drehbuch sind aufeinander aufbauende, sprachliche Vorstufen des Filmwerks. Das Exposé schildert stichwortartig Filmhandlung und -aufbau (10–20 Seiten). Das ausführlichere Treatment grenzt sich vom Exposé durch eine szenische Aufgliederung und eine Charakterisierung der tragenden Rollen ab und enthält zudem bereits die Dialoge im Rohentwurf (ca. 100 Seiten) und entwickelt das Exposé weiter. Das Drehbuch (einschließlich der Vorstufe Rohdrehbuch) unterscheidet sich vom Treatment durch konkrete, filmspezifische Anweisungen für die Dreharbeiten (Bildeinstellungen, vollständige Texte und Dialoge, Beschreibungen und Anweisungen für die szenische Gestaltung, die Regie, Kameraeinstellungen, Ausstattung, Kostüme, Masken, Ton und Geräusche), siehe Manegold / Czernik, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 88 Rn. 34 m. w. N. 199 Niederschrift
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
wartet werden müsse. Zeitfenster von bis zu zehn Jahren seien hier keine Seltenheit, weshalb ein unabdingbares Rückrufsrecht in solchen Fällen die Gefahr in sich berge, sämtliche Vorarbeiten obsolet zu machen.202 Günther Schwenn vom Bund deutscher Liederdichter warf hierauf ein, dass auch Filmstoffe mit der Zeit ihren Wert verlören, so dass der Urheber auch hier berechtigt sein müsse, sie bei zu langer Nichtausübung zurückzurufen. Eine vermittelnde Position nahm Kopsch203 ein, der als Vertreter der Vereinigung der Landesverbände deutscher Tonkünstler und Musiklehrer an den Beratungen teilnahm. Er vertrat den Standpunkt, dass man der Filmindustrie ausreichend Zeit lassen müsse, erworbene Nutzungsrechte an Filmstoffen tatsächlich verwerten zu können. Andererseits müsse der Urheber dagegen geschützt werden, dass der Stoff über Gebühr liegenbleibe. In jedem Fall müsse das Gesetz jedoch, so ergänzte Richartz, unerfahrene Urheber davor schützen, vorschnell auf das Rückrufsrecht zu verzichten.204 Hans Fritz v. Zwehl vom Verband deutscher Bühnenschriftsteller und -komponisten hielt dies für illusorisch: Erklärte das Gesetz das Rückrufsrecht für disponibel, so würden die Filmunternehmen in jedem Fall auf einen Verzicht bestehen. Dem trat auch Ulmer bei, der das künftige Hauptanwendungsfeld des § 33 RefE in Konstellationen sah, in welchen bis dato gerade kein Ausführungszwang bestand, d. h. vor allem im Filmsektor205. Das Rückrufsrecht gerade hier auszuschließen, sei widersinnig. Auch Fromm vertrat den Standpunkt, dass es für den Filmbereich keine Ausnahme geben dürfe. In seinen Augen war die Möglichkeit der fünfjährigen Abbedingung absolut ausreichend. Als Alternative schlug er vor, das Nutzungsrecht an Filmwerken grundsätzlich gesetzlich zu befristen und, ähnlich der von Roeber beschriebenen Praxis, zugleich die Möglichkeit einer Fristverlängerung gegen erneute Honorarzahlung vorzusehen.206 Fromm befürwortete insofern eine Frist von zwölf Jahren mit der Option der Verlängerung um weitere zwölf Jahre207. Roeber hingegen beharrte auf seinem Standpunkt: Die Befristung sei zwar für bereits erschienene Werke diskutabel, nicht aber für unveröffentlichte 202 Niederschrift
der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 88 f. Kopsch hatte als Sachverständiger bereits an den Beratungen des vorläufigen RWR in den 1930er Jahren teilgenommen – siehe oben, F. II. 4. lit. a) bb). 204 Niederschrift der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 89. 205 Siehe oben, F. I. 2. lit. b). 206 Niederschrift der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 89 f. 207 Dies geht aus einer nur schwer entzifferbaren, handschriftlichen Randbemerkung in der Niederschrift der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 91 hervor. 203 Julius
IV. Referentenentwurf vom März 1954439
Werke. Hier müsse die Abbedingung zwingend zulässig sein. Auch Sülwald hielt an seiner Position fest: Für ihn war es nicht einzusehen, weshalb Filmhersteller hinsichtlich des Rückrufs privilegiert werden sollten, während Ausnahmen zugunsten der Bühnenverleger, die regelmäßig ebenfalls bedeutende Aufwendungen für ihre Arrangements zu tätigen hätten, nicht vorgesehen seien.208 Ein weiterer Lösungsvorschlag kam von Schwenn, der bei Filmwerken eine Differenzierung zwischen „schöpferischen“ und „technischen“ Urhebern anregte: Erstere lieferten den Filmstoff; ihnen müsse daher in jedem Fall das Rückrufsrecht zustehen. Letztere setzten ihn lediglich um, wofür sie überdies vom Filmhersteller entlohnt würden – für sie sollte § 33 RefE abdingbar sein. Ulmer hielt diese Unterscheidung für wenig nutzbringend, da der Drehbuchautor den Filmstoff ohne Zustimmung des Urhebers ohnehin nicht anderweitig verwerten dürfe, so dass ihm der Rückruf praktisch nichts nützen würde.209 Ohne dass man eine Übereinkunft erzielte, endete die Debatte um die Frage der Abdingbarkeit des § 33 RefE an dieser Stelle. Der Grund hierfür kann nur vermutet werden. Vermutlich lag dieser in dem Umstand, dass eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung nicht in Sicht war und die Klärung anderer Streitfragen der Reform mindestens ebenso dringlich erschien. c) Weitere Erörterungen Diese wiederum sollten anschließend in weiteren Gremiensitzungen geklärt werden. Dabei kamen die Rückrufsrechte weder im Rahmen der B esprechungen des BMJ mit einzelnen Sachverständigen und prominenten Urhebern (August 1954 bis Dezember 1956)210 noch bei den Sitzungen der intraministeriellen Sachverständigenkommission für Urheberrecht (Oktober 1955 bis Juni 1956)211 zur Sprache. Entsprechendes galt für die Erörterungen im Wirt208 Niederschrift
der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 91. der Sitzung vom 22.06.1955, BArch, B 141 / 2584, Bl. 91 f. 210 Siehe die Vermerke über die Besprechungen mit prominenten Urhebern in BArch, B 141 / 2586, Bl. 168 ff. und BArch, B 141 / 2599, Bl. 79 ff.; thematisiert wurden hier u. a. die Schutzdauer, die Frage nach der Einführung einer Kulturabgabe, das Folgerecht sowie die Rechte der ausübenden Künstler, während im Filmrecht insbesondere umstritten war, wer als Urheber eines Filmrechts anzusehen sei; dazu ausführlich Maracke, S. 150 ff. 211 Siehe Niederschrift über die Sitzung der Sachverständigenkommission für Urheberrecht vom 25.–27.10.1955, BArch, B 141 / 2587, Bl. 106 ff. sowie Niederschrift der Sachverständigenkommission für Urheberrecht vom 13.–14.06.1956, BArch, B 141 / 2599, Bl. 91 ff.; im Fokus der Sitzungen der Sachverständigenkom209 Niederschrift
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schaftsbeirat CSU zwischen März und Dezember 1956212. Erwähnung verdient jedoch der Umstand, dass im Rahmen der Sitzungen der Sachverständigenkommission im BMJ vom 25. bis 27. Oktober 1955 sowie vom 13. und 14. Juni 1956 die Frage der Schaffung bzw. Notwendigkeit eines eigenständigen Urhebervertragsgesetzes, wie es de Boor und Elster bereits vor dem Krieg angeregt hatten213, wieder aufgegriffen und im Ergebnis bejaht wurde214. Die Arbeiten hieran sollten direkt nach Abschluss der Urheberrechtsreform aufgenommen werden215. Das Gesetz sollte neben den gängigsten Vertragsarten im Urheberrechtsverkehr insbesondere sämtliche Vorschriften übernehmen, die man bis dahin – da als unverzichtbar erachtet216 – im Abschnitt „Rechtsverkehr in Urheberrechtssachen“ vorgesehen hatte. Hierdurch wollte man nicht nur eine weitere Stärkung des Urheberschutzes erreichen, sondern auch jenen Stimmen Rechnung tragen, welche vertragsrechtliche Vorschriften als Fremdkörper im Urheberrechtsgesetz kritisierten217. Zum Abschluss der letzten Sitzung der Sachverständigenkommission gab MR Haertel den weiteren Gang der Reformarbeiten vor: So sollte der Refemission standen u. a. die Schutzdauer, das Folgerecht, die gesetzlichen Lizenzen sowie das Filmrecht; dazu ausführlich Maracke, S. 154 ff. 212 Siehe Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verlagswesen, Presse, Rundfunk und Film des Wirtschaftsbeirates der Union vom 24.03.1956, BArch, B 141 / 2594, Bl. 171 ff. und vom 20.10.1956, BArch, B 141 / 2601, Bl. 7 ff. sowie Protokoll der Sitzung des Ausschusses der freien geistigen Berufe des Wirtschaftsbeitrates der Union vom 23.12.1956, BArch, B 141 / 2601, Bl. 16 ff.; diskutiert wurde hier vornehmlich die Einführung einer Kulturabgabe sowie die Urhebernachfolgevergütung; dazu ausführlich Maracke, S. 152 ff. 213 Siehe mit ausdrücklichem Verweis auf de Boor und Elster den Vermerk für die Sitzung der Urheberrechtskommission vom 25.–27.10.1955, BArch, B 141 / 2587, Bl. 75 ff., die Niederschrift über die Sitzung vom 25.–27.10.1955 ebd., Bl. 106 ff. sowie die Niederschrift über die Sitzung vom 13. / 14.06.1956, BArch, B 141 / 2599, Bl. 132 ff. Ausführlich zu den kurzlebigen Vorkriegsbemühungen um eine Verlagsrechtsreform bzw. ein Urhebervertragsgesetz oben, F. I. 4. 214 Niederschrift über die Sitzung vom 13. / 14.06.1956, BArch, B 141 / 2599, Bl. 135. Der Vorschlag wurde mit nur einer Gegenstimme (Plugge) angenommen. 215 Tatsächlich sollte es hierzu nie kommen, da man sich auch im Rahmen der Urhebervertagsrechtsreform des Jahres 2002 für eine „kleine Lösung“ und damit gegen ein eigenständiges Urhebervertragsgesetz entschied. Bis dahin wurde die Frage einer Urhebervertragsrechtsreform sowohl in den 1970er als auch in den frühen 1990er Jahren wiederholt aufgegriffen, konkrete rechtspolitische Maßnahmen folgten hieraus jedoch nicht, siehe Götz v. Olenhusen / Steyert, ZRP 2000, S. 526 m. w. N. sowie Schack, GRUR 2002, S. 853; zur Reform des Jahres 2002 unten, H). 216 So MR Haertel in der Sitzung vom 13. / 14.06.1956, BArch, B 141 / 2599, Bl. 135. 217 Siehe die entsprechenden Äußerungen Haertels, Runges, Schulzes, Kleines, Selliers und Bussmanns in der Sitzung vom 13. / 14.06.1956, BArch, B 141 / 2599, Bl. 132 ff.
V. Ministerialentwurf von 1959441
rentenentwurf auf Grundlage der Beratungsergebnisse sowie der zahlreichen Stellungnahmen umgearbeitet und im Anschluss erneut erörtert werden218. Die überarbeitete Fassung legte das BMJ am 26. Mai 1959 in Gestalt des Ministerialentwurfs (MinE) vor.
V. Der Ministerialentwurf von 1959 Der Ministerialentwurf war im Gegensatz zum Referentenentwurf nicht mehr als bloße Arbeits- und Diskussionsgrundlage gedacht, sondern gab bereits die endgültige Position des Bundesjustizministeriums wieder219. Da man nicht davon ausging, dass es in der laufenden Legislaturperiode (29. Oktober 1957 bis 14. November 1961) noch zu einer Verabschiedung des Entwurfes kommen würde, verzichtete man auf eine direkte Weiterleitung an den Bundestag. Inhaltlich setzte der Ministerialentwurf zahlreiche Forderungen der Urheberschaft um (so sah er u. a. ein Folgerecht sowie eine Urhebernachfolgevergütung vor), zu welchen man der Öffentlichkeit vor Abfassung eines endgültigen Regierungsentwurfes nochmals die Möglichkeit zur Stellungnahme geben wollte.220 Die Ausgestaltung der Rückrufsrechte im Ministerialentwurf hatte gegenüber dem Referentenentwurf Änderungen unterschiedlichen Ausmaßes erfahren (1.). Im Anschluss an seine Veröffentlichung wurde auch der Ministerialentwurf in zahlreichen Stellungnahmen (2.) und Besprechungen (3.) behandelt, ehe er in nochmals umgearbeiteter Fassung im Dezember 1961 als Regierungsentwurf an den Bundesrat und im März 1962 an den Bundestag gelangte. 1. Inhalt und Begründung der Rückrufsrechte im Ministerialentwurf Während das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung nahezu unverändert übernommen wurde [a)], wurden beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung eine Reihe von Ergänzungen auf Grundlage der eingegangenen Stellungnahmen und Diskussionergebnisse vorgenommen [b)]. Bedeutende Änderungen erfuhren auch die Ausschluss- und Abbedingungsregelungen [c)]. 218 MR Haertel in in der Sitzung vom 13. / 14.06.1956, BArch, B 141 / 2599, Bl. 153 f. 219 So Staatssekretär Strauß im Rahmen der Ankündigung der Veröffentlichung des Entwurfs in GRUR 1957, S. 578; siehe dazu und zum Folgenden Maracke, S. 157 ff. 220 So Bundesjustizminister Fritz Schäffer in der Einleitung zum Ministerialentwurf, BMJ, MinE, S. VII.
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a) Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung war fortan in § 36 MinE vor gesehen, wobei die Vorschrift gegenüber dem Referentenentwurf nahezu unverändert geblieben war. Inhaltlich modifiziert wurden Abs. 1 und Abs. 7, während die Absätze 2, 3, 4 und 6 lediglich redaktionelle Überarbeitungen enthielten (Änderungen nicht kursiv): „(1) Übt der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts das Recht nicht oder nur unzureichend aus und werden dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt, so kann dieser das Nutzungsrecht zurückrufen. Dies gilt nicht, wenn die Nichtausübung oder die unzureichende Ausübung des Nutzungsrechts auf überwiegend auf Umständen beruht, deren Behebung dem Urheber zuzumuten ist. (2) Das Rückrufsrecht kann nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit Einräumung oder Übertragung des Nutzungsrechts oder, wenn das Werk später abgeliefert wird, seit der Ablieferung geltend gemacht werden. (3) Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Inhaber des Nutzungsrechts eine angemessene Nachfrist zur zureichenden Ausübung des Nutzungsrechts bestimmt hat. Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es nicht, wenn die Ausübung des Nutzungsrechts seinem Inhaber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Gewährung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden. (4) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Seine Ausübung kann im voraus für mehr als fünf Jahre nicht ausgeschlossen werden. (5) Mit Wirksamwerden des Rückrufs erlischt das Nutzungsrecht. (6) Der Urheber hat den Betroffenen zu entschädigen, wenn und soweit es der Billigkeit entspricht. (7) Ansprüche und Rechte der Beteiligten nach anderen Vorschriften bleiben unberührt“221.
Auch hinsichtlich des Telos der Norm entsprachen die Motive im Wesentlichen jenen des Referentenentwurfes222. Im Übrigen begründeten sie die Abweichungen gegenüber selbigem und gaben darüber Aufschluss, weshalb man sich gegen die Umsetzung einzelner Forderungen der Interessentenkreise und sonstigen Beteiligten entschied. So hieß hinsichtlich der ablehnenden Äußerungen des Börsenvereins deutscher Verleger- und BuchhändlerVerbände sowie des deutschen Musikverleger-Verbandes223, dass weder die Rücktrittsvorschriften des Verlagsgesetzes und des BGB, noch die Grundsätze der Jurisdiktion über die außerordentliche Kündigung die Interessen 221 BMJ,
MinE, S. 6. oben, G. IV. 2. lit. a). 223 Siehe oben, G. IV. 3. lit. a) bb). 222 Siehe
V. Ministerialentwurf von 1959443
des Urhebers hinreichend berücksichtigten. Vielmehr erforderten die besonderen Verhältnisse zwischen Urheber und Verwerter eine Sonderregelung, da die bestehenden Instrumente nicht griffen, wenn zwischen Urheber und Verwerter keine vertraglichen Beziehungen bestanden. § 35 Abs. 1 S. 1 MinE erfuhr gegenüber § 33 Abs. 1 S. 1 RefE eine Klarstellung dahingehend, dass nicht nur die unzureichende Ausübung, sondern auch die gänzliche Nichtausübung berechtigte Interessen des Urhebers erheblich beeinträchtigen musste, ehe dieser zum Rückruf befugt war. Die Motive verwiesen insofern auf die erforderliche Sicherung gegen einen Missbrauch des Rückrufsrechts. Bei Abs. 2 hatte man sich gegen eine Umsetzung des Vorschlages des Deutschen Schriftstellerverbandes entschieden, die Ausschlussfrist mit Blick auf tagesaktuelle Werke von zwei Jahren auf ein Jahr zu verkürzen, da es dem Urheber hier im Einzelfall unbenommen war, eine kürzere Frist zu vereinbaren.224 Im Hinblick auf den u. a. von Möhring und dem Urheber- und Rechtsausschuss der Vereinigung Deutscher Schriftstellerverbände erhobenen Einwand225, dass die Entschädigungspflicht das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung entwerte und deshalb zu streichen sei, verwiesen die Motive auf Vertrauensschutzerwägungen und betonten, dass der Urheber aufgrund der Billigkeitsschranke des § 35 Abs. 6 MinE nicht in jedem Fall ersatzpflichtig sei.226 Den Vorschlag des GRUR-Fachausschusses, auch bei § 35 MinE die Wirksamkeit des Rückrufs von der vollständigen Entschädigungsleistung bzw. der Hinterlegung entsprechender Sicherheiten abhängig zu machen227, hatte man folglich verworfen. Ausdrücklich hieß es in der Begründung, dass eine derartige Regelung vermögende Urheber unangemessen bevorzugen und die Geltendmachung des Rückrufsrechts unbillig erschweren würde. In Abs. 7 hatte man schließlich den Vorschlag v. Erffas umgesetzt, fortan von „Ansprüchen und Rechten“ zu sprechen, um klarzustellen, dass sonstige Gestaltungsrechte von der Ausübung des Rückrufsrechts unberührt blieben.228
224 BMJ,
225 Siehe
MinE, S. 43. oben, G. IV. 3. lit. b) (Möhring) sowie lit. a) aa) (Urheber- und Rechts-
ausschuss). 226 BMJ, MinE, S. 43 f. 227 Siehe oben, G. IV. 4. lit. a). 228 BMJ, MinE, S. 44.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
b) Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung Das in § 37 MinE geregelte Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung lautete fortan wie folgt (Änderungen nicht kursiv): „(1) Der Urheber kann ein Nutzungsrecht gegenüber dem Inhaber zurückrufen, wenn ihm die Verwertung des Werkes nicht mehr zugemutet werden kann, weil das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht. (2) Der Rechtsnachfolger des Urhebers (§ 25)229 kann den Rückruf nur erklären, wenn er nachweist, daß das Werk der Überzeugung des Urhebers nicht mehr entsprechen würde. (3) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Seine Ausübung kann nicht ausgeschlossen werden. (4) Der Urheber hat den Inhaber des Nutzungsrechts durch einen angemessenen, mindestens dessen Aufwendungen deckenden Betrag zu entschädigen. Der Inhaber des Nutzungsrechts kann den Urheber auffordern, seine Aufwendungen binnen angemessener Frist zu ersetzen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist kann er das Nutzungsrecht so lange weiter ausüben, bis der Urheber ihm Ersatz seiner Aufwendungen oder Sicherheit dafür geleistet hat. (5) Will der Urheber nach Rückruf das Werk wieder verwerten, so ist er verpflichtet, dem früheren Inhaber des Nutzungsrechtes ein entsprechendes Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen anzubieten. (6) Die Bestimmungen in § 36 Abs. 5 und 7 sind entsprechend anzuwenden“230.
Angesichts der umfassenden Änderungen nahm sich die Begründung bemerkenswert knapp aus: So wurden die grundlegenden Erwägungen auch hier aus dem Referentenentwurf übernommen231, während die Einführung der Zumutbarkeitsschranke in Abs. 1 gänzlich unkommentiert blieb. Zu dem neu eingefügten Abs. 2 führten die Motive an, dass sich der Rechtsnachfolger des Urhebers hinsichtlich des Rückrufs lediglich auf eine gewandelte Überzeugung des Urhebers, nicht aber auf einen eigenen Überzeugungswandel berufen dürfe232. Damit hörte man auf Stimmen wie die des BGH, des hessischen Justizministeriums oder Wilken v. Ramdohrs233, die für eine vermittelnde Lösung zwischen den Vorschlägen des Börsenvereins deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände (keinerlei Vererblich 229 § 25 MinE lautete: „Der Rechtsnachfolger des Urhebers hat die dem Urheber nach diesem Gesetz zustehenden Rechte, soweit nichts anderes bestimmt ist“, siehe BMJ, MinE, S. 5. 230 BMJ, MinE, S. 6 f. 231 Siehe oben, G. IV. 2. lit. a). 232 BMJ, MinE, S. 44. 233 Siehe oben, G. IV. 3. lit. c) cc) (BGH) und bb) (Hessen) sowie IV. 4. lit. a) (v. Ramdohr).
V. Ministerialentwurf von 1959445
keit)234 und Kasacks (vollumfängliches Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung auch für den Rechtsnachfolger des Urhebers)235 eingetreten waren. Ebenfalls neu war Abs. 4, der eine unbedingte, mindestens die Aufwendungen des Nutzungsrechtsinhabers abdeckende Entschädigungspflicht normierte. Die gegenüber dem lediglich im Billigkeitsfall greifenden § 36 Abs. 5 MinE verschärfte Entschädigungsregelung rechtfertige sich daraus, so die Begründung, dass der Rückruf wegen gewandelter Überzeugung – im Gegensatz zum Rückruf wegen Nichtausübung – aus Gründen erfolge, die ausschließlich in der Sphäre des Urhebers lagen. Aufgrunddessen war man auch bereit, jene Folge in Kauf zu nehmen, die man bei § 36 Abs. 5 MinE ausdrücklich hatte verhindern wollen, nämlich dass die Rückrufsmöglichkeit letztlich von der Solvenz des Urhebers abhing. Zu § 37 Abs. 5 MinE hieß es, dass der Urheber das Rückrufsrecht nicht dazu missbrauchen können solle, ein bestehendes Vertragsverhältnis zu lösen, nur um später mit einem Dritten einen Vertrag zu günstigeren Bedingungen abzuschließen. Damit hatte man den Vorschlägen u. a. des BGH sowie Bapperts und Kleines236 entsprochen, das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung mit einer, § 35 Abs. 2 S. 2 VerlG nachempfundenen Wiederanbietungspflicht „zu angemessenen Bedingungen“ zu versehen.237 c) Ausschluss- und Abbedingungsregelungen Leicht modifiziert wurde die Ausschlussregelung des vormaligen § 35 RefE. So behielt § 38 MinE den Ausschluss der Rückrufsrechte für Werke der angewandten Kunst bei, ließ jedoch den Ausschluss für Werke, die von einem Rechtsträger des öffentlichen Rechts ohne Urhebernennung herausgegeben wurden238, fallen. Auch fand die Ausschlussregelung fortan nur noch für festangestellte Urheber und nicht mehr für bloße Beauftragte Anwendung: „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 29) und zur Einräumung einfacher Nutzungsrechte (§ 30) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 36) und gewandelter Überzeugung (§ 37) gelten nicht für den Urheber eines Werkes der angewandten Kunst, daß er als Arbeitnehmer eines Unternehmens in Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen für das Unternehmen hergestellt hat“239. 234 Siehe
oben, G. IV. 3. lit. a) bb). oben, G. IV. 3. lit. b). 236 Siehe oben, G. IV. 3. lit. c) cc) (BGH), G. IV. 3. lit. d) cc) (Bappert und Kleine). 237 BMJ, MinE, S. 44. 238 BMJ, MinE, S. 44; dies war Folge der Streichung des § 23 RefE. 239 BMJ, MinE, S. 7. 235 Siehe
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Entgegen den verschiedentlich geäußerten Bedenken behielt die Begründung den Standpunkt bei, dass es sich bei Werken der angewandten Kunst überwiegend um Schöpfungen geringer persönlicher Prägung handelte, deren Verwertung die geistigen Interessen des Urhebers nicht in dem Umfang berührte, wie dies bei anderen Werkarten der Fall war240. Sofern dieser durch ein festes Arbeitsverhältnis materiell gesichert war, bestand demnach kein Bedürfnis für die enge Bindung der Nutzungsrechte an die Person des Urhebers, wie sie in den Rückrufsrechten zum Ausdruck kam. Darüber hinaus sei das Interesse der Industrie einzustellen, kunstgewerbliche Erzeugnisse ihrer wirtschaftlichen Zweckbestimmung entsprechend leicht verwerten zu können. Sollte ein in abhängiger Beschäftigung stehender Urheber im Einzelfall dennoch ein Interesse an der Ausübung des Rückrufsrechts haben, etwa weil sein Name auf den Erzeugnissen erschien241, so unterstellten ihm die Motive eine hinreichend starke Stellung gegenüber dem Nutzungsrechtsinhaber, um sich die entsprechenden Befugnisse auch vertraglich einräumen lassen zu können.242 Im Bereich des Filmurheberrechts hatte man die umstrittene Fiktion, dass der Filmhersteller zugleich Urheber des Filmwerkes sei, fallengelassen. Damit blieb es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass diejenigen Personen als Urheber eines Filmwerks galten, welche einen schöpferischen Beitrag an seiner Entstehung geleistet hatten.243 Gestrichen wurde auch die seit ihrer Einführung nicht minder umstrittene Möglichkeit, das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung bei Filmstoffen vollständig abzubedingen (§ 92 Abs. 4 RefE). Die Motive verwiesen insofern ausdrücklich auf jene Kritiker, welche die Interessen der Filmhersteller durch die Möglichkeit der vertraglichen Abbedingung des Rückrufsrechts für bis zu fünf Jahre (§ 36 Abs. 4 S. 2 MinE, vormals § 33 Abs. 4 S. 2 RefE) als hinreichend geschützt erachteten244. Geändert wurde schließlich auch die Ausschlussregelung für fertige Filmwerke in § 95 MinE (Änderungen nicht kursiv): „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 29), und zur Einräumung einfacher Nutzungsrechte (§ 30) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 36) und gewandelter Überzeugung (§ 37) gelten nicht für Nutzungsrechte am Filmwerk“245. 240 Siehe insofern die Ausführungen MR Haertels und Hensslers im Rahmen der Besprechungen des GRUR-Fachausschusses, oben G. IV. 4. lit. a). 241 Dies hatte v. Erffa im Rahmen Besprechungen des GRUR-Fachausschuses zu Bedenken gegeben, oben, G. IV. 4. lit. a). 242 BMJ, MinE, S. 44. 243 Dazu Maracke, S. 689 f. 244 BMJ, MinE, S. 76 f.; siehe insbesondere die entsprechenden Einwände v. Erffas und v. Zwehls, oben G. IV. 3. lit. b) (v. Erffa) und IV. 4. lit. b) (v. Zwehl). 245 BMJ, MinE, S. 14.
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Durch diese Änderung sollte erreicht werden, dass der Ausschluss fortan auch für Nutzungsrechte am Filmwerk galt, die der Filmhersteller von den Urhebern vorbestehender Werke (§ 93 MinE, vormals § 92 RefE) erwarb. Dies sollte der weiteren Erleichterung des Rechtsverkehrs im Filmbereich dienen.246 d) Das Verbietungsrecht im Rahmen der Schrankenregelung für Sammlungen für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch Einen weiteren Niederschlag fand das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung schließlich in der Schrankenregelung des § 43 MinE247. Dieser gestattete die Vervielfältigung von Teilen von Werken, Sprachwerken oder Werken der Musik geringen Umfangs sowie von einzelnen Werken der bildenden Künste in Sammlungen, die ausschließlich für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt waren, ohne vorherige Zustimmung des Urhebers. Die Regelung wurde im Ministerialentwurf um nachstehenden Abs. 3 ergänzt: „Mindestens zwei Wochen vor Beginn der Vervielfältigung ist der Urheber oder, falls sein Aufenthalt unbekannt ist, der Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts zu benachrichtigen. Der Urheber kann die Vervielfältigung verbieten, wenn sie ihm nicht mehr zugemutet werden kann, weil das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht, und er ein etwa bestehendes Nutzungsrecht aus diesem Grunde zurückgerufen hat (§ 37) […]“248.
In den Motiven hieß es, dass im Falle des Überzeugungswandels das Interesse der Allgemeinheit an derartigen Sammlungen gegenüber den persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers zurückstehen müsse. Um dem Urheber den Rückruf zu ermöglichen, sah S. 1 eine rechtzeitige Benachrichtigung desselben vor. Ferner betonte die Begründung, dass eine Entschädi246 BMJ,
MinE, S. 77. entsprechende Schrankenregelung war in Anlehnung an §§ 19 Nr. 4, 21 Nr. 3 LUG, 19 KUG erstmalig in § 19 UrhG-E 1932 vorgesehen und wurde in § 40 RefE übernommen (siehe Maracke, S. 31, 107). Hinter ihr stand der Gedanke, dass das öffentliche Interesse an der sittlichen und geistigen Heranbildung der Jugend die Urheberinteressen überwog und die Herausgabe entsprechender Sammlungen daher nicht von der Zustimmung des Urhebers abhängig sein dürfe (BMJ, MinE, S. 47). Umstritten war in diesem Kontext vor allem die Frage, ob der Urheber gegenüber dem Herausgeber der Sammlung einen Vergütungsanspruch erwerben sollte; dazu ausführlich Maracke, S. 410 ff. 248 BMJ, MinE, S. 7; als lediglich an das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung angeschlossenes „Verbietungsrecht“ wird die Genese der Regelung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht vertieft untersucht, sondern lediglich der Vollständigkeit halber sowie im Hinblick auf spätere Bezugnahmen in der Literatur kursorisch mitbehandelt. 247 Eine
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gungspflicht des Urhebers hier nicht angezeigt sei, da es sich nicht um eine vertragliche Nutzungsrechtseinräumung handle.249 § 43 Abs. 3 MinE war auf die Schrankenregelung für die Herstellung von Tonträgern entsprechend anwendbar (§ 61 Abs. 1 S. 3 MinE)250. Die Motive unterstrichen insofern ganz allgemein, dass der Urheber im Fall des Überzeugungswandels auch die Möglichkeit haben müsse, die Ausübung eines gesetzlichen Nutzungsrechts zu verhindern251. 2. Stellungnahmen zu den Rückrufsrechten des Ministerialentwurfs Nach der Veröffentlichung des Ministerialentwurfs erfolgten Stellungnahmen aller einschlägig interessierten Kreise. Neben den Interessenverbänden [a)] legten Sachverständige und namhafte Urheber [b)], Bundes- und Länderministerien sowie der BGH [c)] Positionspapiere vor, welche sich in unterschiedlichem Umfang mit den Rückrufsrechten des Urhebers befassten. Auch die Jurisprudenz setzte sich mit dem Ministerialentwurf auseinander, wenngleich auch in wesentlich geringerem Umfang als dies noch beim Referentenentwurf der Fall war [d)]. a) Stellungnahmen der Interessenverbände Seitens der Verwertungsindustrie nahm der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in seiner Denkschrift vom 28. Mai 1960 zu den Rückrufsrechten Stellung. In einem gegenüber seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf erheblich verschärften Ton kritisierte der Verband die das Urhebervertragsrecht regelnden §§ 31, 33 und 35–37 MinE als Fremdkörper im Gesetzentwurf. Wenn überhaupt, so sei das Urhebervertragsrecht, wie vom BMJ angekündigt, in einem eigenständigen Gesetz zu regeln. Die Notwendigkeit eines solchen Urhebervertragsgesetzes verneinte der Börsenverein jedoch rundheraus: Mit Verweis auf einen Aufsatz von Bappert zu der Frage, ob das Verlagsgesetz von 1901 (noch) modernen Bedürfnissen genüge252, hieß es darin, dass „die Erneuerungsbedürftigkeit des Verlagsrechts, mag sie in Einzelheiten gegeben sein, im ganzen gesehen von seiner Modernität überboten“253 werde. In der Folge verlangte der Börsenverein nichts Geringeres als die ersatzlose Streichung der urhebervertragsrechtlichen Vorschrif249 BMJ,
MinE, S. 48. MinE, S. 10. 251 BMJ, MinE, S. 61. 252 Bappert, GRUR 1959, S. 582 ff. 253 Stellungnahme des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vom 28.05.1960, BArch, B 141 / 2629, Bl. 94. Der „Börsenverein deutscher Verleger- und 250 BMJ,
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ten aus dem Ministerialentwurf. Rein vorsorglich nahm er dennoch zu den einzelnen Vorschriften Stellung. Dabei widersprach man bei § 36 MinE der Auffassung des BMJ, dass die Vertragsaufhebungsinstrumente des VerlG, des BGB sowie das von der Rechtsprechung entwickelte außerordentliche Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zu kurz griffen, falls der Verwerter nicht Vertragspartner des Urhebers sei254. Vielmehr bestehe auch im Fall der Weiterveräußerung des Verlagsrechts die Verpflichtung zur Vervielfältigung und Verbreitung, da diese für den Verlagsvertrag konstitutiv sei. Sofern der Erwerber des Verlagsrechts gegenüber dem bisherigen Verleger diese Verpflichtung übernommen habe, so hätten sogar beide für deren Erfüllung einzustehen (§ 28 VerlG). Insofern sei § 36 MinE für den Bereich des Verlagsrechts entbehrlich. Sollte man dennoch die Regelung bestehen, so forderte der Börsenverein die Aufnahme der ausdrücklichen Feststellung, dass das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung für den Bereich des Verlagsrechts keine Anwendung finde. Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass ein Rückruf nach § 36 MinE nur dann geltend gemacht werden könne, wenn die Nichtausübung auf einem Verschulden des Nutzungsrechtsinhabers beruhe; in diesem Fall könne auch die Verpflichtung des Urhebers zum Aufwendungsersatz nach § 36 Abs. 6 MinE entfallen.255 Ebenfalls vorbehaltlich seiner gänzlichen Streichung hieß es zu § 37 MinE, dass die Vorschrift auf gemeinschaftlich geschaffene Werke keine Anwendung finden dürfe, da der Anteil des einzelnen Miturhebers an einem Gesamtwerk selten feststellbar sei. Zumindest sei hier die Möglichkeit der Abbedingung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung vorzusehen. Ferner bekräftigte der Börsenverein seine Forderung nach einer vollumfänglichen, von Billigkeitserwägungen unabhängigen Entschädigungspflicht des rückrufenden Urhebers.256 Auch der Deutsche Musikverleger-Verband sprach sich dafür aus, die Schuldhaftigkeit der Nichtausübung zur Voraussetzung des Rückrufs nach § 36 MinE zu machen. Andernfalls würden die Verhältnisse für die Verlegerschaft untragbar, zumal ein Urheber, dessen Werk in pucto Widerhall oder Umsatz hinter den Erwartungen zurückblieb, stets die Schuld beim Verleger suchen und eine unzureichende Ausübung geltend machen würde. Die aktuBuchhändler-Verbände“ war im Zuge einer Reorganisation 1955 in „Börsenverein des Deutschen Buchhandels“ umbenannt worden. 254 Siehe insofern bereits die Stellungnahme des Börsenvereins zum Referentenentwurf – oben, G. IV. 3. lit. a) bb). 255 Stellungnahme des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vom 28.05.1960, BArch, B 141 / 2629, Bl. 96 f. 256 Stellungnahme des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vom 28.05.1960, BArch, B 141 / 2629, Bl. 97 f.
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elle Fassung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung gebe ihm hierzu die praktische Handhabe. Statt den Grundsatz „pacta sunt servanda“ derart zu durchlöchern, solle der Urheber bei der Wahl des Verlegers vielmehr gut überlegen, ob dieser „der Richtige“ sei.257 Überraschend urheberfreundlich betonte der Deutsche Bühnenverein, dass dem ideellen Urheberpersönlichkeitsschutz und der darin gründenden Dispositionsfreiheit des Urhebers in ideeller wie materieller Hinsicht der Vorrang vor wirtschaftlichen Verwertungsinteressen eingeräumt werden müsse. Dies werde insbesondere durch die Unanwendbarkeit der Rückrufsrechte bei Filmwerken (§ 95 MinE) außer Acht gelassen. Zumindest nochmals zu diskutieren sei überdies die Frage, ob die Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Urhebers durch die Entschädigungsregelungen der §§ 36 Abs. 4 und 37 Abs. 3 MinE in diesem Umfang angemessen sei.258 Die Ausführungen des Bühnenvereins wurden vom Verband schöngeistiger Verleger wortgleich übernommen.259 Im Gegensatz dazu erachtete auch der Verband der Schulbuchverlage (Ernst Klett, Cornelsen, Westermann Verlagsgruppe) § 36 MinE aufgrund der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte für überflüssig260. Nichts anderes galt für das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung: § 37 MinE sei gänzlich zu streichen, mindestens aber für den Wissenschafts- und Schulbereich auszuschließen, da nicht nur der Nutzungsrechtsinhaber, sondern auch die Allgemeinheit – zumal im Bereich von Forschung und Lehre – ein Interesse daran habe, dass einmal publizierte Erkenntnisse der Öffentlichkeit erhalten blieben. Dem Urheber sei hinlänglich gedient, wenn man ihm das Recht einräume, in Fußnoten oder ähnlichen Anmerkungen auf seine gewandelte Überzeugung hinzuweisen.261 Auch sei es unhaltbar, dem Rechtsnachfolger des Urhebers das Rückrufsrecht zuzubilligen. Selbst wenn sich in einer letztwilligen Verfügung oder sonstigen nachgelassenen Schriftstücken Hinweise für einen Überzeugungswandel fänden, beweise dies nicht mit letzter Sicherheit den tatsäch lichen Meinungsumschwung des Urhebers. Auch sei nicht auszuschließen, dass es sich dabei um bloße Entwürfe handle, zwischen deren Abfassung und dem Tod ein erneuter Sinneswandel eingetre257 Stellungnahme des Deutschen Musikverleger-Verbandes, Ende Mai 1960, BArch, B 141 / 2630, Bl. 94. 258 Stellungnahme des Deutschen Bühnenvereins vom 28.06.1960, BArch, B 141 / 2635, Bl. 114. 259 Ergebnisse der Arbeitsgruppe für Urheberrecht des Verbandes schöngeistiger Verleger vom 20.07.1960, BArch, B 141 / 2633, Bl. 79. 260 Stellungnahme des Verbandes der Schulbuchverlage vom 30.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 212 r. 261 Stellungnahme des Verbandes der Schulbuchverlage vom 30.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 212 r. / v.
V. Ministerialentwurf von 1959451
ten sei. Als viel zu vage kritisierte der Verband die Entschädigungsregelung des § 37 Abs. 4 MinE. Selbst wenn ein Verlag profunde Kalkulationsunter lagen vorhalte, sei es doch regelmäßig ausgeschlossen, sämtliche auf ein einzelnes Werk entfallende Aufwendungen, geschweige denn den entsprechenden Anteil an den Gemeinkosten eines Verlagshauses oder gar das mit der Verlagsübernahme einhergehende wirtschaftliche Risiko exakt zu beziffern.262 Die SPIO wandte sich in ihrer Stellungnahme vehement gegen die Streichung der Abbedingungsmöglichkeit des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung für vorbenutzte Werke (vormals § 92 Abs. 4 RefE). Insbesondere wurde angemahnt, dass die uneingeschränkte Anwendbarkeit des Rückrufsrechts dazu führen würde, dass Filme unter dem Druck der als zu kurz monierten zwei- bzw. fünfjährigen Ausübungsfrist (§ 36 Abs. 2 und Abs. 4 MinE) nicht hinreichend sorgfältig vorbereitet werden könnten. Abermals unterstrich man, dass Filmvorhaben nicht zur Unzeit und nicht unter wirtschaftlich falschen Bedingungen (politische Konstellation, Publikumsgeschmack, Übersättigung des Marktes, Nichtverfügbarkeit maßgeblicher Filmschaffender, Vermeidung von Doppelvorhaben etc.) realisiert werden könnten, ein unabdingbares Rückrufsrecht die Produktionsfirmen jedoch faktisch dazu nötige. Die Folge wäre, dass ein einzelner U rheber ein objektiv erwünschtes Filmvorhaben torpedieren könne, was angesichts des Umstandes, dass ein Filmwerk stets auf den Vorarbeiten mehrerer Urheber beruhe, auch den übrigen beteiligten Werkschöpfern zu schaden drohe.263 Dies sei umso bedenklicher, als die Gründe für einen Rückruf nicht selten in Konkurrenzangeboten zu sehen seien. § 36 MinE, und hier insbesondere die Anerkennung der „unzureichenden Ausübung“ als Rückrufsgrund, biete dem Urheber nichts anderes als die gesetzliche Möglichkeit, von bereits geschlossenen Verfilmungsverträgen loszukommen.264 Zur Bekräftigung verwies man auf die Rechtsprechung des RG265. Nicht einzusehen war in den Augen der SPIO überdies, weshalb das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung zwar für den Urheber des fertigen Filmwerks (§ 95 MinE), nicht aber für die Urheber der vorbenutzten Werke ausgeschlossen sein sollte. Mit Rücksicht auf das große finanzielle Risiko von Filmproduktionen und die lange Umsetzungsdauer sei nicht nur der gesetzliche Verzicht auf eine Ausschlussmöglichkeit untragbar, auch würde eine unterschiedliche Behandlung von Urhebern vorbenutzter Werke und 262 Stellungnahme des Verbandes der Schulbuchverlage vom 30.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 213 r. / v. 263 Stellungnahme der SPIO vom März 1960, BArch, B 141 / 2625, Bl. 42. 264 Stellungnahme der SPIO vom März 1960, BArch, B 141 / 2625, Bl. 42 f. 265 Siehe oben, F. I. 2. lit. b).
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Urhebern von Filmwerken bei voneinander abweichenden Überzeugungen zu unlösbaren Konflikten führen. Die Möglichkeit einer Abbedingung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung sei demnach in beiden Fällen im Interesse der Erhaltung des Gesamtwerkes und aller daran Beteiligten essentiell. Insofern schlug die SPIO vor, § 95 MinE unter der Überschrift „Ausnahmen für Nutzungsrechte an filmisch benutzten Werken und am Filmwerk“ auf die Urheber vorbenutzter Werke auszudehnen266. Der BDI verlangte, Werke der angewandten Kunst vom Anwendungsbereich des künftigen Urheberrechtsgesetzes auszunehmen und diese stattdessen – ggf. unter Einbeziehung des Geschmacksmustergesetzes – in einem eigenständigen Gesetz zu regeln. Im Gegensatz zu den übrigen Werkarten seien diese keine „sich selbst genügende“ Kunst, sondern träten lediglich als Gebrauchsgut oder in Verbindung mit einem anderen Gebrauchsgut im wirtschaftlichen Verkehr in Erscheinung und bedürften demnach einer gesonderten rechtlichen Würdigung.267 Falls man sich gegen eine spezialgesetzliche Regelung entscheide, seien zumindest die im Ministerialentwurf vorgesehenen Sonderregelungen stärker auf diesen Gedanken auszurichten. So sollte insbesondere die Ausnahmevorschrift des § 38 MinE wieder auf den Stand des Referentenentwurfes zurückgeführt werden und damit auch für solche Urheber gelten, welche in der Kunstgewerbebranche als bloße Beauftragte tätig waren. Alles andere würde zu große Risiken für den Unternehmer bedeuten und diesen im Zweifel eher dazu veranlassen, von der Beauftragung freier Künstler abzusehen.268 Im Gegensatz zu den teils ausgesprochen umfangreichen Stellungnahmen der Verwertungsindustrie schien die Urheberseite mit den Rückrufsrechten einverstanden. Sofern zu diesen überhaupt Stellung bezogen wurde, thematisierte man lediglich die Ausschlussregelungen, wobei selbst diese mitunter begrüßt wurden: So betonte der Verband Deutscher Filmautoren mit Blick auf § 95 MinE, dass der Urheber bereits aus Gründen der Logik nicht zum 266 Stellungnahme der SPIO vom März 1960, BArch, B 141 / 2625, Bl. 43, 46. § 95 MinE sollte demnach künftig lauten: „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 29), ferner über die Beteiligung des Urhebers (§ 31) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 36) und wegen gewandelter Überzeugung (§ 37) gelten nicht für Nutzungsrechte am filmisch benutzten Werk und am Filmwerk“. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 29.11.1960 wiederholte die SPIO ihre Forderungen nahezu wortgleich, siehe BArch, B 141 / 2640, Bl. 198. 267 Stellungnahme des BDI vom 01.04.1960, BArch, B 141 / 2627, Bl. 55 r. / v. 268 Stellungnahme des BDI vom 01.04.1960, BArch, B 141 / 2627, Bl. 60 r. / v. Die relevante Passage der vorgeschlagenen Neufassung des § 38 MinE lautete wie folgt: „(1) Die Bestimmungen der §§ 26–37 gelten nicht für den Urheber eines Werkes der angewandten Kunst, das er in Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung für ein Unternehmen hergestellt hat […]“.
V. Ministerialentwurf von 1959453
Rückruf von Nutzungsrechten an Filmstoffen befugt sein könne, wenn das Filmwerk fertiggestellt und damit erhebliche Werte an Arbeit und Geld investiert worden seien. Gleichwohl regte der Verband eine Klarstellung dahingehend an, dass dem Urheber von Filmstoff und Drehbuch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung zumindest dann zustehen sollte, wenn mit der Verfilmung nicht binnen einer angemessenen Frist nach Rechteeinräumung begonnen werde. Man schlug hier eine Frist von drei Jahren vor, wobei man zur Begründung abermals auf die Tendenz zur Hortung von Filmmaterial und die regelmäßig unterlegene Position des Urhebers in den Vertragsverhandlungen verwies.269 Der Bund Deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler wünschte zwar keine Änderungen an den §§ 36 und 37 MinE270, wiederholte im Hinblick auf § 38 MinE jedoch seine bereits zu § 35 Nr. 2 RefE geäußerten Bedenken271, indem er nochmals unterstrich, dass das bloße Bestehen eines Arbeitsverhältnisses keinen Grund darstelle, den Urhebern von Werken der angewandten Kunst persönlichkeitsrechtliche Befugnisse wie den Rückruf von vornherein vorzuenthalten – wenn überhaupt, so seien diese arbeitsvertraglich auszuschließen272. b) Stellungnahmen einzelner Sachverständiger und prominenter Urheber Auch einzelne Sachverständige und sontige Privatpersonen ergriffen die erneute Gelegenheit zur Stellungnahme. Zu den Rückrufsrechten äußerte sich Freiin v. Erffa, die eine Abänderung des § 37 Abs. 5 MinE vorschlug: So sollte der Urheber nach erfolgtem Rückruf nur dann zur Wiederanbietung verpflichtet sein, wenn er das zurückgerufene Werk in unveränderter Form erneut verwerten wollte; andernfalls sollte ihm die Wahl des künftigen Nutzungsberechtigten freistehen.273 Erich Schulze, Vorstand der GEMA, befürwortete den sofortigen Erlass eines Urhebervertragsgesetzes, der u. a. die bis dato im Ministerialentwurf vorgesehenen Rückrufsrechte des Urhebers enthalten sollte. Entgegen der 269 Stellungnahme des Verbandes Deutscher Filmautoren vom 18.03.1960, BArch, B 141 / 2625, Bl. 110 f. 270 Stellungnahme des Bundes Deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler vom 19.12.1960, BArch, B 141 / 2641, Bl. 141 f. 271 Siehe oben, G. IV. 3. lit. a) aa). 272 Stellungnahme des Bundes Deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler vom 19.12.1960, BArch, B 141 / 2641, Bl. 142. 273 Bemerkungen v. Erffas zum Ministerialentwurf vom 07.03.1960, BArch, B 141 / 2625, Bl. 19.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Auffassung des BMJ könne das Verlagsgesetz den Zeitraum bis zum Abschluss der Arbeiten am Urheberrechtsgesetz allein schon aufgrund seines dispositiven Charakters nicht überbrücken274. Der Stuttgarter Rechtsanwalt Ferdinand Sieger reichte namens diverser namhafter Urheber, darunter Ernst Jünger, Carl Zuckmayer sowie der Erben Hugo v. Hofmannthals, eine umfassende Stellungnahme ein275. Darin hieß es, dass die Praxis und Rechtsprechung im Verlagsrecht dahin gehe, dass Nutzungsrechte stets auch Nutzungspflichten seien. In der Folge sei die Ausdehnung des Nutzungszwangs auf neue Verbreitungsformen wie Film, Funk, Fernsehen und Schallplatte im Wege des § 36 MinE zu begrüßen – auch da sie verhindere, dass miteinander konkurrierende Filmgesellschaften und Fernsehstationen „Rechtsbestände“ einkauften, ohne sie auszunutzen.276 Das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung, so die Stellungnahme weiter, bringe im Bereich des Verlagsrechts wenig Neues, sei jedoch insofern erfreulich, als durch seine Unabdingbarkeit auch die großen Verlagshäuser, die bis dato infolge ihrer überlegenen Verhandlungsposition auf eine Abbedingung des § 35 VerlG insistieren konnten, in die verlagsgesetzliche Rechtslage einbezogen würden.277 Ausgesprochen harsch kritisiert wurde die Ausschlussregelung des § 95 MinE: Die Vorschrift müsse „als eine Kapitulation vor dem finanziellen Investment bei der Filmwirtschaft und […] der Produktion eines Films angesehen werden“278, da sie mit den Rückrufsrechten wichtige urheberschützende Vorschriften ausschließe. Dies sei umso unangemessener, als die Regelung auch für die Urheber vorbenutzter Werke gelte und die Filmhersteller damit in eine Sonderstellung gegenüber allen anderen kommerziellen Verwertern hebe279. c) Stellungnahmen von Bundes- und Länderbehörden Von staatlicher Seite gingen ebenfalls Stellungnahmen ein. Auf Bundesebene äußerte sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als erstes zu den Rückrufsrechten. Er beschränkte sich dabei auf § 36 MinE, 274 Denkschrift Schulzes zur Urheberrechtsreform vom 30.03.1960, BArch, B 141 / 2626, Bl. 73. 275 Stellungnahme Siegers vom 17.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 46; neben den Genannten vertrat Sieger die Positionen Ernst Schnabels, Albrecht Goes’, Paul Eippers, Curt Hamrichs, Kasimir Edschmids, Erhart Kästners, Gerhart Hermann Mostners, Luise Rinsers, Hans Sahls, Oda Schäfers und Alexander Spoerls. 276 Stellungnahme Siegers vom 17.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 57. 277 Stellungnahme Siegers vom 17.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 59. 278 Stellungnahme Siegers vom 17.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 85. 279 Stellungnahme Siegers vom 17.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 85 f.
V. Ministerialentwurf von 1959455
vertrat hier jedoch eine ausgesprochen urheberfreundliche Position: Wenn das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung seinen Zweck erfüllen sollte, so die ministeriale Stellungnahme, müsse die fünfjährige Abbedingungsmöglichkeit nach Abs. 4 gestrichen werden, da die Verwertungsindustrie ansonsten grundsätzlich auf einen vertraglichen Verzicht bestehen würde. Entsprechendes gelte für die Ersatzpflicht des Urhebers aus § 36 Abs. 6 MinE: Da Abs. 7 ohnehin weitergehende Ansprüche unberührt lasse, sei ein gesonderter Entschädigungsanspruch des Nutzungsberechtigten nicht notwendig und würde zu einer weitgehenden Entwertung des Rückrufsrechts führen.280 Das BMI wiederholte seine bereits in der Stellungnahme zum Referentenentwurf geäußerten Bedenken hinsichtlich der Entschädigungspflicht beim Rückrufsrecht wegen Nichtausübung und regte ebenfalls die Streichung des § 36 Abs. 6 MinE an281. Seitens der Justizministerien und -verwaltungen der Länder lobte das Justizministerium des Landes Schleswig-Holstein den Ministerialentwurf als außerordentlich gründliches und gelungenes Werk, welches gegenüber dem Referentenentwurf erfreuliche Verbesserungen mit sich bringe282. Trotz der Bedenken, die verschiedene Wirtschaftsressorts in ihren Gutachten zum Referentenentwurf gegen das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung angemeldet hatten, hielt man § 37 MinE nach wie vor für eine begrüßenswerte Regelung. Gerade hier, so das Ministerium, liege einer der Punkte, in welchen sich der Unterschied zwischen geistigem Eigentum und Sacheigentum zeige. Die besondere schöpferische Beziehung zwischen Urheber und Werk gebiete es, ihr den Vorrang vor jedwedem wirtschaftlichen Interesse des Nutzungsrechtsinhabers einzuräumen. Die Neufassung des § 37 Abs. 1 MinE trage dem noch besser Rechnung als § 34 Abs. 1 RefE, da sie das subjektive Moment noch stärker in den Fokus rücke. Dass mit der Zumutbarkeitsschranke zugleich ein objektives Sicherungskriterium eingeführt werde, sei dabei nicht zu beanstanden. Zugleich bemängelte das Ministerium, dass § 37 Abs. 2 MinE nicht die richtigen Konsequenzen aus Abs. 1 ziehe: Die persönlichkeitsrechtliche Natur der Vorschrift erfordere es, den Rechtsnachfolger von ihrer Geltendmachung auszuschließen, da bei diesem gerade nicht die für den Rückruf konstitutive innere Konfliktsituation vorläge. Hinzu träten praktische Schwierigkeiten dergestalt, dass niemand mit letzter Gewissheit sagen könne, wie der verstorbene Urheber auf künftige Verhältnisse 280 Stellungnahme des Bundesarbeitsministers vom 11.02.1960, BArch, B 141 / 2624, Bl. 116. 281 Stellungnahme des Bundesinnenministeriums vom 03.05.1960, BArch, B 141 / 2628, Bl. 64 v. 282 Stellungnahme des schleswig-holsteinischen Justizministeriums (Datum unleserlich), BArch, B 141 / 2628, Bl. 73 r.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
reagiert hätte, eine nachträgliche Prognose mithin erst recht unmöglich sei. Ferner nehme der Urheber zu Lebzeiten an den wechselnden geistigen Strömungen der Zeit teil, während er nach seinem Tode Repräsentant einer abgeschlossenen Epoche sei. Treffend hieß es insofern: „Wenn schon der Autor seine Geisteskinder in die Freiheit entläßt, so hat die Nachwelt einen Anspruch, die Werke in ihrer ursprünglichen Gestalt als wahren Ausdruck der vergangenen Zeitströmungen kennenzulernen – denn insofern behalten sie ihre bleibende Bedeutung – nicht eine im Interesse der Erben heutiger Auffassung konformistisch angepaßte Ausgabe“283.
Die in § 37 Abs. 4 MinE vorgesehene Entschädigungspflicht war nach Auffassung des Ministeriums unverzichtbar. Bedenken äußerte man jedoch hinsichtlich § 37 Abs. 4 S. 3 MinE, der die Wirksamkeit des Rückrufs von der vollständigen Ersatz- oder zumindest hinreichenden Sicherheitsleistung des Urhebers abhängig machte. Da man indes keinen besseren Vorschlag hatte, so schloss das Gutachten, müsse „es wohl hingenommen werden, daß hier das wirtschaftliche Interesse des Nutzungsberechtigten dem des Urhebers vorgeht“284. Der hessische Justizminister schloss sich im Wesentlichen den Ausführungen seines norddeutschen Kollegen an. Da das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung sichtbarer Ausdruck der erklärten Gesetzesabsichts sei, den Urheber nicht nur in der Nutzung des Werkes, sondern auch in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk zu schützen, sei in jedem Fall eine Änderung des § 37 Abs. 2 MinE notwendig. Als auf die individuelle geistige Entwicklung des Urhebers abstellende Befugnis dürfe das Rückrufsrecht dem Rechtsnachfolger lediglich dann zustehen, wenn der Urheber den Rückruf letztwillig verfügt habe. Man schlug daher eine entsprechende Neufassung des § 37 Abs. 2 MinE vor285. Weniger enthusiastisch war die Position Bayerns: Zwar ging man seitens des Münchner Justizressorts nicht so weit, sich der Kritik des bayerischen Arbeitsministeriums anzuschließen, wo man die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte ebenfalls als ausreichend und §§ 36, 37 MinE im Umkehrschluss als überflüssig erachtete, doch begrüßte man die gegenüber dem Referenten283 Stellungnahme des schleswig-holsteinischen Justizministeriums (Datum unleserlich), BArch, B 141 / 2628, Bl. 77 r. 284 Stellungnahme des schleswig-holsteinischen Justizministeriums (Datum unleserlich), BArch, B 141 / 2628, Bl. 77 v. 285 Stellungnahme des hessischen Justizministers vom 30.12.1960, BArch, B 141 / 2642, Bl. 53 f.; konkret sollte schlug man folgende Fassung des § 37 Abs. 2 MinE vor: „(2) Der Rechtsnachfolger des Urhebers (§ 25) kann den Rückruf nur erklären, wenn der Urheber den Rückruf durch letztwillige Verfügung angeordnet hat“.
V. Ministerialentwurf von 1959457
entwurf verstärkte Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des Nutzungsrechtsinhabers286. Die Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers aus § 37 Abs. 2 MinE wollte man jedoch beibehalten wissen. Zwar räumte man ein, dass den Gerichten die Klärung der Frage, ob der vom Rechtsnachfolger behauptete Überzeugungswandel des Urhebers glaubhaft sei, im Streitfall nicht leichtfallen dürfte, doch sei dies kein Grund, § 37 Abs. 2 MinE zu streichen oder z. B. auf wissenschaftliche Werke zu beschränken. Den Vorschlag des bayerischen Arbeitsministeriums, den Entschädigungsanspruch des § 37 Abs. 4 MinE auf den entgangenen Gewinn auszudehnen, verwarf das Justizministerium mit Verweis auf die hieraus drohende Prohibitivwirkung. Dort erblickte man in der Entschädigungsregelung des Ministerialentwurfes einen billigen Ausgleich des Interessengegensatzes zwischen Urheber und Nutzungsrechtsinhaber. Schließlich monierte man einen Widerspruch zwischen § 37 Abs. 4 S. 3 und dem auf § 36 Abs. 5 und 7 MinE verweisenden Abs. 6: Gemäß § 36 Abs. 5 MinE erlosch das Nutzungsrecht mit Wirksamwerden des Rückrufs, d. h. mit Zugang der Rückrufserklärung. Für die von § 37 Abs. 4 S. 3 MinE vorgesehene Weiternutzungsmöglichkeit bis zur Entschädigungszahlung sei ab diesem Zeitpunkt kein Raum mehr. Denkbar sei allenfalls eine Fortsetzung der Werknutzung zu den Konditionen des erloschenen Nutzungsrechts.287 Ähnlich wie ihr bayerisches Pendant räumte auch die Landesjustizverwaltung Hamburg ein, dass mit der Prüfung der Frage, ob tatsächlich ein Überzeugungswandel vorlag und der daraus resultierenden Frage der Unzumutbarkeit gewisse Schwierigkeiten für die Gerichte verbunden seien. Gleichwohl verwarf man den Vorschlag der hanseatischen Gerichtspraxis, die Zumutbarkeitsklausel in § 37 Abs. 1 MinE zu streichen, da man diese neben Abs. 4 und 5 als unverzichtbares Mittel zur Missbrauchsprävention erachtete. Im Übrigen trat die hamburgische Landesjustizverwaltung den Ausführungen des schleswig-holsteinischen Justizministers bei.288 Das rheinland-pfälzische Justizministerium befürwortete mit Blick auf die Motive zu § 38 MinE, der Regelung einen zweiten Absatz beizugeben, welcher klar zum Ausdruck bringen sollte, dass die Ausschlussregelung dann nicht griff, wenn der Name des Urhebers auf den Werkstücken erschien. Zur Begründung hieß es, wenn man schon Fälle für denkbar halte, in welchen 286 Stellungnahme des bayerischen Justizministeriums vom 01.04.1960, BArch, B 141 / 2626, Bl. 145 v. 287 Stellungnahme des bayerischen Justizministeriums vom 01.04.1960, BArch, B 141 / 2626, Bl. 146 r. 288 Stellungnahme der Landesjustizverwaltung Hamburg vom 25.11.1960, BArch, B 141 / 2640, Bl. 164.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
das ideelle Interesse des (angestellten) Urhebers jenem des Unternehmers vorgehe, dies auch im Gesetz Niederschlag finden sollte289. Davon abgesehen beschränkten sich die Stellungnahmen der Länder – redaktionelle Änderungswünsche ausgenommen290 – auf jene Vorschriften, die neu in den Ministerialentwurf aufgenommen worden waren.291 d) Äußerungen der Jurisprudenz Die Äußerungen der Jurisprudenz zu den Rückrufsrechten des Ministerialentwurfs blieben zahlenmäßig überschaubar. Mit den §§ 36, 37 MinE befasste sich einzig Hermann Riedel, der mit seiner Forderung nach einem ersatzlosen Wegfall der Vorschriften einen ausgesprochen rigorosen Standpunkt vertrat. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung trat er der Argumentation des Börsenvereins, des Deutschen Musikverleger-Verbandes sowie des bayerischen Arbeitsministeriums bei, indem er auf die absolute Zulänglichkeit der bestehenden Vertragsaufhebungsinstrumente verwies und – zumal hier vor allem Vertragsrecht einschlägig sei – die Obliegenheit des Urhebers betonte, sich selbst vertraglich gegen Nichtausübung zu sichern. Sollte dennoch ein weitergehender Schutz des Urhebers erforderlich sein, was Riedel stark bezweifelte, so sei dieser jedenfalls nicht im Urheberrechtsgesetz zu regeln, sondern bei einer Reform des Verlagsgesetzes zu erwägen. Den Rückruf wegen gewandelter Überzeugung erachtete er als etwas „sehr Problematisches“; er sei bereits aufgrund der umfassenden Entschädigungspflicht, welche eine hinreichende Solvenz des Urhebers voraussetze, fallenzulassen. Bedenklich sei überdies, dass das Gesetz gleichzeitig regele, wie es ist, wenn das zurückgerufene Werk zu einem späteren Zeitpunkt doch veröffentlicht werden solle, insofern bereits einen weiteren Überzeugungswandel des Urhebers vorsehe. Wo wirklich ein Bedürfnis zum Rückruf bestehe, so Riedels Fazit, seien die allgemeinen Rechtsgrundsätze ausreichend. Sofern man jedoch eine Erweiterung des § 35 VerlG wünsche, so sei dies im Verlags- und nicht im Urheberrecht zu bewerkstelligen.292
289 Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Justizministeriums vom 12.01.1961, BArch, B 141 / 2644, Bl. 55. 290 So forderte das nordrhein-westfälische Justizministerium in seinem Gutachten, die § 37 Abs. 4 S. 2 und S. 3 MinE durch Semikolon zu trennen, siehe die Stellungnahme vom 02.05.1960, BArch, B 141 / 2628, Bl. 16. 291 Siehe den die sonstigen Positionen der Landesjustizverwaltungen zusammenfassenden Vermerk des BMJ, BArch, B 141 / 2630, Bl. 29 ff.; dazu ausführlich Maracke, S. 178 ff. 292 Riedel, GRUR 1960, S. 225.
V. Ministerialentwurf von 1959459
3. Die Rückrufsrechte in den Beratungen zum Ministerialentwurf Ab dem Juni 1960 war der Ministerialentwurf Gegenstand von Beratungen des Fachausschusses für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht [a)], Besprechungen mit diversen Interessengruppen und Behörden im BMJ [b)] sowie der Sachverständigenkommission des BMJ [c)]. a) Die Beratung im Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Den Anfang der Beratungen des Ministerialentwurfes markierte die Arbeitssitzung des Fachausschusses für Urheber- und Verlagsrechts der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, welche vom 7. bis 11. Juni 1960 unter dem Vorsitz Eugen Ulmers bzw. Freiin v. Erffas in München stattfand293. Hier wurde zunächst die grundsätzliche Frage erörtert, ob die urhebervertragsrechtlichen Vorschriften im Ministerialentwurf beizubehalten oder mit Blick auf ein künftiges Urhebervertragsgesetz zu streichen seien. Nachdem insbesondere RD Schneider zu bedenken gab, dass die Verabschiedung eines solchen Gesetzes noch sehr lange auf sich warten lassen dürfte und die Aussparung der besagten Vorschriften nicht möglich sei, ohne ein Vakuum zu hinterlassen, einigte man sich auf ihre Beibehaltung.294 Bei der Beratung des § 36 MinE wurde nochmals darauf hingewiesen, dass der Ausschluss des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung gemäß § 95 MinE nur für fertige Filmwerke, nicht hingegen für die dem Filmwerk zugrundeliegenden Schöpfungen gelte. Daneben wurde betont, dass die Vorschrift – trotz der besonderen verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte – auch im Bereich des Verlagsrechts Anwendung finden sollte. Ferner bat der Ausschuss das Ministerium, klarzustellen, dass ein vertraglich vereinbarter Ausschluss des Rückrufsrechts i. S. d. § 36 Abs. 4 S. 2 MinE ab dem Zeitpunkt seiner Vereinbarung und nicht etwa erst nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 36 Abs. 2 MinE wirke. Darüber hinaus sollte das Ministerium gewährleisten, dass die zeitliche Obergrenze der vertraglichen Abbedingung nicht durch Optionsvertrage umgangen würde. Roeber und der spätere Bundesrichter Wolfgang Sprenkmann setzten sich schließlich nochmals dafür ein, dass § 36 MinE zumindest für solche vorbestehenden Werke anwendbar sein ausführlich Maracke, S. 183 ff. über die Arbeitssitzungen des Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht, BArch, B 141 / 2633, Bl. 123. 293 Dazu
294 Protokolle
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
sollte, welche eigens für die Filmherstellung geschaffen wurden (z. B. Treatments)295. Die Meinungen der Ausschussmitglieder hierüber blieben jedoch geteilt.296 Auch Henssler wiederholte seinen Vorschlag297, freischaffende Urheber im Bereich der angewandten Kunst (wieder) den angestellten Urhebern gleichzustellen, fand hierfür aber gleichermaßen keine Mehrheit.298 b) Die Beratungen im Bundesjustizministerium Die gegenüber dem Referentenentwurf vorgenommenen Änderungen waren ferner Gegenstand einer Reihe von Besprechungen im BMJ, zu denen neben den Vertretern der betroffenen Interessenverbände auch Delegierte des Bundesinnen- sowie des Bundeswirtschaftsministeriums teilnahmen299. Die Rückrufsrechte wurden am 12. September 1960 im Kontext der Neuerungen im Bereich der besonderen Bestimmungen für Filmwerke thematisiert300. Nachdem Dr. van der Hurk vom Verband Deutscher Filmautoren Bedenken gegen den Ausschluss des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung bei Filmwerken geäußert hatte, wurde von Regierungsseite nochmals unterstrichen, dass die Regelung allein für fertige Filmwerke gelten solle. Gleichwohl hielt der Interessenvertreter die Vorschrift für unzureichend: Die Entschädigungsregelung des § 36 Abs. 6 MinE führe angesichts des Umstandes, dass der Großteil der von der Filmindustrie erworbenen Filmstoffe nicht benutzt werde dazu, dass es all jenen Urhebern, welche sich die Entschädigungszahlung nicht leisten konnten, unmöglich gemacht würde, sich um eine anderweitige Verfilmung ihres Werkes zu bemühen. Obgleich die Urheber ein Honorar erhalten hätten, ginge es ihnen primär darum, mit ihrem Werk bekannt zu werden. Hurk schlug daher vor, das Nutzungsrecht nach dreijähriger Nichtausübung automatisch an den Urheber zurückfallen zu lassen, wobei er von Richartz unterstützt wurde.301 Erwartungsgemäß widersprach der Vertreter der SPIO, Rechtsanwalt Schwerin, diesem Vorstoß nachdrücklich, indem er erneut die lebensnotwendige Bedeutung des Vorratskaufs von Verfilmungsrechten für die Filmindustrie betonte: So könnten von 500 Filmstoffen durchschnittlich lediglich 100 295 Zum
Begriff oben, G. IV. 4. lit. b). über die Arbeitssitzungen des Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht, BArch, B 141 / 2633, Bl. 126. 297 Siehe bereits oben, G. IV. 4. lit. a). 298 Protokolle über die Arbeitssitzungen des Ausschusses für Urheber- und Verlagsrecht, BArch, B 141 / 2633, Bl. 127. 299 Dazu ausführlich Maracke, S. 185 ff. 300 Ausführlich dazu Maracke, S. 698 ff. 301 Niederschrift der Sitzung vom 12.09.1960, BArch, B 141 / 2638, Bl. 158. 296 Protokolle
V. Ministerialentwurf von 1959461
zeitnah verwertet werden – zwänge man die Industrie dazu, die nichtbenutzten Stoffe nach drei Jahren entschädigungslos zurückzugeben, werde dies nur die Urheber selbst schädigen, da die Filmunternehmen beim Ankauf von Verfilmungsrechten künftig wesentlich zurückhaltender agieren würden. Dem pflichtete MR Haertel bei, der davor warnte, das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung zu überspannen und darauf verwies, dass die Entschädigungspflicht des § 36 Abs. 6 MinE ohnehin nur im Billigkeitsfall greife und damit bereits weitestmöglich zugunsten der Urheber eingeschränkt sei302. In diesem Entgegenkommen erblickte man seitens der SPIO offenbar eine günstige Gelegenheit, den Regierungsvertretern noch weitere Zugeständnisse abzuringen. So bekräftigte die Spitzenorganisation nochmals ihre Forderung nach einem gänzlichen Ausschluss oder zumindest einer stärkeren Beschränkung des Rückrufsrechts für vorbenutzte Werke. Dass man hier die Wiederherstellung der Möglichkeit des vollumfänglichen vertraglichen Ausschlusses des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung im Auge gehabt haben dürfte, liegt nahe. Als weiteres Argument führte die SPIO an, dass an Drehbüchern oftmals eine Vielzahl an Autoren mitwirke, so dass es unbillig sei, wenn ein einzelner Urheber die Verwendung durch den Rückruf verhindern könne. Dieser Vorschlag ging der Regierungsseite zu weit. MD Joël betonte, dass ein Ausschluss des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung aufgrund dessen persönlichkeitsrechtlicher Wurzel keinesfalls in Betracht käme. Er fand dabei die Zustimmung Schulzes.303 Letzterer regte angesichts der mannigfaltigen, nicht nur den Ausschluss der Rückrufsrechte betreffenden Meinungsverschiedenheiten im Bereich des Filmurheberrechts an, die Materie einstweilen aus dem Entwurf auszuscheiden und dem geplanten Urhebervertragsgesetz vorzubehalten, konnte sich hiermit jedoch nicht durchsetzen304. Neben diesen Besprechungen, in welchen lediglich bestimmte Regelungsbereiche des Entwurfes mit den jeweils betroffenen Interessenkreisen dis kutiert wurden, kam es im BMJ zu einer Reihe weiterer Erörterungen mit einzelnen Verbänden, den Landesjustizverwaltungen, den Bundesressorts sowie prominenten Urhebern305. Hinsichtlich der Rückrufsrechte wurden hier, wenn überhaupt, lediglich bereits dargelegte Standpunkte wiederholt.306
302 Aus dem Protokoll gestrichen wurde dabei die Bemerkung Haertels, dass die Filmautoren „zufrieden sein [sollten], daß ihnen das Rückrufsrecht überhaupt verbleibe“, siehe Niederschrift der Sitzung vom 12.09.1960, BArch, B 141 / 2638, Bl. 159. 303 Niederschrift der Sitzung vom 12.09.1960, BArch, B 141 / 2638, Bl. 159. 304 Niederschrift der Sitzung vom 12.09.1960, BArch, B 141 / 2638, Bl. 181 f. 305 Dazu ausführlich Maracke, S. 190 ff. 306 Siehe Protokoll der Sitzung vom 17., 18. und 19.01.1961, BArch, B 141 / 2645, Bl. 27 f.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
c) Die Sitzung der Sachverständigenkommission im Bundesjustizministerium Ende Januar 1961 traf sich die im BMJ gebildete Sachverständigenkommission für Urheberrecht zu einer endgültigen Erörterung des Entwurfs, der anschließend abermals überarbeitet und als Regierungsentwurf noch im Herbst 1961 dem neugewählten Bundestag vorgelegt werden sollte307. Als Grundlage diente eine Zusammenstellung der in Aussicht genommenen Änderungen, welche den Kommissionsmitgliedern mit der Einladung übermittelt worden war308. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung waren dabei keine Änderungen vorgesehen. Anders beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung: Durch eine Neufassung des § 37 Abs. 1 MinE sollte klarer zum Ausdruck gebracht werden, dass sowohl der Überzeugungswandel als auch die (daraus resultierende) Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung zwingende Voraussetzungen des Rückrufs waren, mithin beide Kriterien kumulativ erfüllt sein mussten. Neu gefasst werden sollte auch die Entschädigungsregelung, um im Anschluss an die Kritik des bayerischen Justizministeriums einen eindeutigen Zeitpunkt festzulegen, in welchem der Rückruf wirksam wurde und zugleich die sich aus der bisherigen Fassung des § 37 Abs. 4 MinE für die Weiterausübung des Nutzungsrechts ergebene Zäsur zu vermeiden.309 Beide Änderungsvorschläge wurden in der Kommission ohne Gegenstimmen angenommen. Einstimmig akzeptiert wurde auch der Vorschlag einer bedeutend engeren Fassung der Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers des Urhebers, wodurch insbesondere den Bedenken der Länder Rechnung getragen wurde, die sichergestellt wissen wollten, dass nur ein Überzeugungswandel des Urhebers zum Zeitpunkt seines Ablebens den Erben zum Rückruf berechtigte310. Im Übrigen äußerten die Kommissionsmitglieder keine grundlegenden Bedenken gegen das Rückrufsrecht. Einzig Senatspräsident Schulze-Rhonhof regte an, das Verhältnis zwischen § 37 307 So das erklärte Ziel ausweislich der einleitenden Worte des Vorsitzenden Dr. Strauß in der Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.–03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 9 f.; eine Liste aller Teilnehmer, zu denen neben Sachverständigen wie v. Erffa, Kleine und Bussmann auch Vertreter des BMJ wie MD Joël, MR Haertel und RD Schneider sowie Delegierte des Bundes innenministeriums zählten, findet sich in BArch, B 141 / 2647, Bl. 8; ausführlich zum Gang der Sitzung Maracke, S. 193 ff. 308 Änderungsvorschläge zum Ministerialentwurf eines Urheberrechtsgesetzes vom 06.01.1961, BArch, B 141 / 2643, Bl. 49 ff. 309 Änderungsvorschläge zum Ministerialentwurf eines Urheberrechtsgesetzes vom 06.01.1961, BArch, B 141 / 2643, Bl. 59 f. 310 Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.– 03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 36; entsprechend auch in der Aufstellung weiterer Änderungsvorschläge zu den Ministerialentwürfen, BArch, B 141 / 2646, Bl. 61.
V. Ministerialentwurf von 1959463
Abs. 4 MinE und dem in Abs. 6 enthaltenen Verweis auf § 36 Abs. 7 MinE klarer zu fassen, um auszuschließen, dass sich der zurückrufende Urheber mit weitergehenden Ersatzansprüchen konfrontiert sah. MD Joël sicherte zu, dies zu prüfen.311 Gänzlich neu gefasst werden sollte § 38 MinE: Anstelle der Ausschlussregelung für Werke der angewandten Kunst sollte eine Regelung treten, welche insbesondere das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung für sämtliche Werke ausschloss, welche im Rahmen von Arbeits- und Dienstverhältnissen geschaffen wurden, sofern sich nicht aus der konkreten Vertragsbeziehung etwas anderes ergab312. Zugleich entsprach man Einwänden wie denjenigen des Bundes Deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler, indem man das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung aufgrund seiner ausschließlich persönlichkeitsrechtlichen Prägung vom Anwendungsbereich des § 38 MinE ausnahm. Grundgedanke hinter der Neufassung war, dass die Regelungen über den Rechtsverkehr in Urheberrechtssachen grundsätzlich auf den freien Werkschöpfer, nicht aber auf Urheber in Arbeits- oder Dienstverhältnissen gemünzt waren. Dahinter stand letztlich die Absicht, den Arbeitsfrieden zu sichern und die Vertragsgestaltung zu vereinfachen.313 Ulmer hob daher hervor, dass der Begriff des Dienstverhältnisses daher nicht im Sinne eines Dienstvertrages mit freien Mitarbeitern verstanden werden dürfe. Auch äußerte er Bedenken hinsichtlich der Anwendung des § 38 MinE im Bereich der Forschung: So müsse etwa wissenschaftlichen Assistenten im Einzelfall das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung zustehen.314 Der Kölner Rechtsanwalt Runge führte an, dass in diesem Fall durch den Hinweis auf die besondere Art des Dienstverhältnisses Abhilfe geschaffen werden könne, woraufhin Ulmer eine dementsprechende, klarstellende Änderung des § 38 S. 2 MinE vorschlug315. 311 Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.– 03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 36. 312 Aufstellung weiterer Änderungsvorschläge zu den Ministerialentwürfen, BArch, B 141 / 2646, Bl. 62; Für ausübende Künstler war in § 85a MinE eine entsprechende Regelung vorgesehen. 313 MR Haertel und der Berliner Senatsrat Haeuseler im Rahmen der Kommis sionssitzungen, Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.–03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 37. 314 So Ulmer im Rahmen der Kommissionsitzungen, Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.–03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 37. 315 Siehe die Äußerungen Runges und Ulmers im Rahmen der Kommissionsitzungen, Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.– 03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 37. Die Neufassung sollte wie folgt lauten: „In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen der Urheber Nutzungsrechte an dem Werk überträgt oder sich zur Einräumung von Nutzungsrechten verpflichtet, bestimmt sich nach der besonderen Eigenart des Arbeits- oder Dienstverhältnisses“.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Auch hinsichtlich der besonderen Bestimmungen für Filmwerke waren vereinzelte Änderungen vorgesehen316. Eine Neugestaltung erfuhren die §§ 93 und 94 MinE, in welchen fortan ausdrücklich zwischen dem „Recht zur Verfilmung“ und dem „Recht am Filmwerk“ differenziert wurde. Während ersteres dem Filmhersteller das ausschließliche Recht gewährte, ein Werk unverändert oder unter Bearbeitung bzw. Umgestaltung zur Herstellung eines Filmwerks zu nutzen, ließ letzteres die Urheberrechte an den zur Verfilmung verwandten Werken unberührt. Die Ausschlussregelung des § 95 MinE sollte insofern überarbeitet werden, als die von den Einschränkungen betroffenen Befugnisse künftig ausdrücklich benannt werden sollten. Auch diese Änderungen wurden von den Anwesenden im Wesentlichen akzeptiert317. Lediglich v. Erffa merkte an, dass der Ausschluss des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung in § 95 MinE zumindest dann nicht gerechtfertigt sei, wenn der Name des Urhebers in oder auf dem Filmwerk erschien. MR Haertel verwies jedoch darauf, dass die entsprechenden Inte ressen des Urhebers bereits durch das Namensrecht des § 21 MinE318 hinreichend gewahrt seien.319 d) Besprechungen mit anderen Bundesministerien und Abschluss der Arbeiten Schließlich kam es Anfang Februar 1961 zu einer finalen Sitzung mit den übrigen betroffenen Bundesressorts und -behörden320. Auch hier wurde der Ministerialentwurf im Kern gebilligt.321 Die Vertreter des BMI sowie des Bundesarbeitsministeriums (BArbM) bekräftigten hingegen mit Verweis auf die Verantwortlichkeit des Nutzungsrechtsinhabers erneut die bereits mehrfach vorgetragene Forderung nach einer Streichung der Entschädigungspflicht des wegen Nichtausübung zurückrufenden Urhebers322. MR Haertel, der in dieser Frage vom Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützt 316 Änderungsvorschläge zum Ministerialentwurf eines Urheberrechtsgesetzes vom 06.01.1961, BArch, B 141 / 2643, Bl. 127 ff. 317 Ausführlich dazu Maracke, S. 702 ff. 318 § 21 MinE lautete: „Der Urheber hat das Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist“, BMJ, MinE, S. 5. 319 Siehe die Äußerungen v. Erffas und MR Haertels im Rahmen der Kommis sionsitzungen, Niederschrift der Sachverständigenkommissionssitzungen vom 30.01.– 03.02.1961, BArch, B 141 / 2647, Bl. 67. 320 Eine Liste der Teilnehmer findet sich in BArch, B 141 / 2645, Bl. 170. 321 Dazu ausführlich Maracke, S. 196 ff. 322 Geissler und Halbach im Rahmen der Sitzung vom 07.02.1961, BArch, B 141 / 2645, Bl. 175; siehe dazu oben, G. IV. 3. lit. c) aa).
V. Ministerialentwurf von 1959465
wurde, führte dagegen an, dass eine gänzliche Streichung des § 36 Abs. 6 MinE bis dato nicht einmal von den Interessenvertretern der Urheberschaft gefordert worden sei und warnte erneut davor, die Rückrufsrechte zu urheberfreundlich auszugestalten.323 Während gegen die Überarbeitung der Rückrufsmöglichkeit der Rechtsnachfolger des Urhebers keine Einwände erhoben wurden, behielt sich das BArbM eine umfassende Stellungnahme zur Neufassung des § 38 MinE vor324. Tatsächlich wurden die neu vorgeschlagene Bestimmung für angestellte Urheber im Rahmen einer weiteren Besprechung mit den Vertretern des BArbM im April sowie in einer Abteiligungsleiterbesprechung des BMJ mit Vertretern des BArbM und des BMI im Mai 1961 separat erörtert. Hierbei erklärten die Vertreter des Arbeitsressorts, dass es grundsätzlich nicht einzusehen sei, weshalb angestellte Urheber durch § 38 MinE gegenüber den selbstständigen Urhebern schlechter gestellt werden sollten. Eine Einigung wurde nicht erzielt, obschon beide Seiten Kompromissbereitschaft signalisierten.325 Das BMJ entsprach schließlich der Kritik des BArbM und schlug eine Neufassung der Vorschrift vor, welche die bisherige Regelung im Sinne der angestellten Urheber ins Gegenteil verkehren sollte: Fortan sollten die Rückrufsrechte auch für angestellte Urheber Anwendung finden, sofern sich aus dem individuellen Arbeits- oder Dienstverhältnis nichts Anderes ergab326. Eine weitergehende Begründung dieser überraschenden Maßnahme lieferte man nicht. Abgesehen davon kam es u. a. im Interministeriellen Ausschuss für Verfassungsfragen zu weiteren Besprechungen; die Rückrufsrechte wurden hierbei nicht thematisiert327. Am 25. April 1961 versandte das BMJ den Vorentwurf zum Regierungsentwurf an die übrigen Ministerien, das Presse- und Informa323 MR Haertel und Gördel im Rahmen der Sitzung vom 07.02.1961, BArch, B 141 / 2645, Bl. 175. 324 Regierungsdirektor Sahmer im Rahmen der Sitzung vom 07.02.1961, BArch, B 141 / 2645, Bl. 176. 325 Siehe Vermerk des BMJ zu der Sitzung mit Vertretern des Bundesarbeitsministeriums vom 19.04.1961, BArch, B 141 / 2649, Bl. 132 ff. sowie Vermerk des BMJ zu der Abteilungsleiterbesprechung vom 24.05.1961, BArch, B 141 / 2650, Bl. 149 ff. 326 Vorschläge des BMJ zur Neufassung der §§ 38, 85a und 106a des Entwurfs eines Urheberrechtsgesetzes vom 07.07.1961, BArch, B 141 / 2651, Bl. 46; siehe dazu auch die diesbezügliche Stellungnahme des Bundesinnenministeriums vom selben Tag in BArch, B 141 / 2652, Bl. 145 ff.; das Ministerium gab darin u. a. zu bedenken, dass künftig der Arbeitgeber die Beweislast hinsichtlich der Unanwendbarkeit der besagten Vorschriften zu tragen hätte; auf die Rückrufsrechte wurde nicht eigens eingegangen. 327 Siehe die Niederschrift der Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Verfassungsfragen vom 20.02.1961, BArch, B 141 / 2649, Bl. 18 ff.; dazu sowie zu den weiteren Besprechungen Maracke, S. 197 f.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
tionsamt der Bundesregierung sowie das Bundespräsidialamt. Stellungnahmen wurden hier nur noch zu den im Entwurf enthaltenen Neufassungen erbeten. Im Übrigen behielt sich das Ministerium selbst weitere Änderungen im Anschluss an interne Abteilungsleiterberatungen vor328.
VI. Der Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962 In der Folge wurde der Ministerialentwurf abermals überarbeitet und am 5. Dezember 1961 als Regierungsentwurf in Bundesrat und Bundestag eingebracht. Änderungen hatten darin vor allem das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung sowie die flankierenden Vorschriften erfahren, während das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung unverändert aus dem Ministerialentwurf übernommen wurde (1.). Der Bundesrat gab im Januar 1962 seine Stellungnahme ab (2.). Obwohl der Regierungsentwurf nicht mehr als Diskussionsgrundlage gedacht war, sondern die parlamentarischen Arbeiten einleiten sollte, gingen vereinzelt noch weitere Stellungnahmen der Interessenverbände ein (3.). In der Wissenschaft wurde lediglich das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung thematisiert (4.). Im Zuge des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens in Bundestag und Bundesrat kam es infolge der Ausschussberatungen zu weiteren Änderungen an den Rückrufsrechten (5.), ehe das Urheberrechtsgessetz schließlich am 1. Januar 1966 in Kraft trat. 1. Inhalt und Begründung der Rückrufsrechte im Regierungsentwurf Im Regierungsentwurf (RegE) waren die Rückrufsrechte in den §§ 41 und 42 und damit bereits an ihrer endgültigen Stelle vorgesehen329. Die der Begründung vorangehenden allgemeinen Betrachtungen stellten sie als Ausfluss des Grundsatzes der Unveräußerlichkeit des Urheberrechts und inbesondere des Gedankens hervor, dass dem Urheber auch dann, wenn er die wirtschaftliche Auswertung einem anderen überlassen habe, eine gewisse Kontrolle über das weitere Schicksal seines Werkes erhalten bleiben müsse330. Grund hierfür sei – so die Motive zu § 11 RegE („Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in 328 Vorentwurf des Regierungsentwurfs eines Urheberrechtsgesetzes vom 25.04. 1961, BArch, B 141 / 2650, Bl. 5 ff. 329 BT-Drs. IV / 270, S. 1–116; zugleich auch in BR-Drs. I / 62; ausführlich zum Regierungsentwurf und seiner Behandlung Maracke, S. 198 ff.; zu den Änderungen gegenüber dem Ministerialentwurf Schiefler, GRUR 1962, S. 338 ff. 330 BT-Drs. IV / 270, S. 30.
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962467
der Nutzung des Werkes“331) – die Natur des Urheberrechts als untrennbare Einheit vermögensrechtlicher und persönlichkeitsrechtlicher Befugnisse. Diese Eigentümlichkeit führe dazu, dass auch die Verwertungsrechte im Banne der persönlichen Beziehung zwischen Urheber und Werk stünden und dies auch blieben, wenn der der Urheber durch Einräumung von Nutzungsrechten über sie verfügt habe332. Während das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 41 RegE) nahezu unverändert aus dem Ministerialentwurf übernommen wurde und daher keiner erneuten Darstellung im Detail bedarf333, wurden sowohl das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung [a)] als auch die Ausschlussregelungen [b)] entsprechend der Ergebnisse der Besprechungen im BMJ geändert. a) Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung Das in § 42 RegE vorgesehene Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung lautete nunmehr folgendermaßen (Änderungen nicht kursiv): „(1) Der Urheber kann ein Nutzungsrecht gegenüber dem Inhaber zurückrufen, wenn das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht und ihm deshalb die Verwertung des Werkes nicht mehr zugemutet werden kann. (2) Der Rechtsnachfolger des Urhebers (§ 30)334 kann den Rückruf nur erklären, wenn er nachweist, daß der Urheber vor seinem Tode zum Rückruf berechtigt gewesen wäre und an der Erklärung des Rückrufs gehindert war oder diese letztwillig verfügt hat. (3) Auf das Rückrufsrecht kann im voraus nicht verzichtet werden. Seine Ausübung kann nicht ausgeschlossen werden. (4) Der Urheber hat den Inhaber des Nutzungsrechts angemessen zu entschädigen. Die Entschädigung muß mindestens die Aufwendungen decken, die der 331 BT-Drs. IV / 270,
S. 6. S. 44. 333 Siehe BT-Drs. IV / 270, S. 9 f. (Wortlaut), S. 60 f. (Motive); geändert wurde allein § 37 Abs. 7 MinE (nunmehr § 41 Abs. 7 RegE), wobei die Änderungen rein redaktioneller Art waren: So lautete § 41 Abs. 7 RegE: „Rechte und Ansprüche der Beteiligten nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleiben unberührt“; in § 37 MinE hieß es noch „Ansprüche und Rechte“, während das Adjektiv „gesetzlich“ neu eingefügt worden war; die Motive nahmen hierzu nicht gesondert Stellung. Die Übergangsbestimmung des § 141 RegE legte fest, dass das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung auch für Altverträge Anwendung finden sollte mit der Maßgabe, dass die Ausschlussfrist des § 41 Abs. 2 RegE frühestens mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes begann, um die wohlerworbenen Rechte der Nutzungsberechtigten zu wahren; siehe BT-Drs. IV / 270, S. 24 f. (Wortlaut), 114 (Motive). 334 § 30 RegE (BT-Drs. IV / 270, S. 8; Begründung ebd., S. 56) entsprach § 25 MinE. 332 BT-Drs. IV / 270,
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
Inhaber des Nutzungsrechts bis zur Erklärung des Rückrufs gemacht hat; jedoch bleiben hierbei Aufwendungen, die auf bereits gezogene Nutzungen entfallen, außer Betracht. Der Rückruf wird erst wirksam, wenn der Urheber die Aufwendungen ersetzt oder Sicherheit dafür geleistet hat. Der Inhaber des Nutzungsrechts hat dem Urheber binnen einer Frist von einem Monat nach Erklärung des Rückrufs die Aufwendungen mitzuteilen; kommt er dieser Pflicht nicht nach, so wird der Rückruf bereits mit Ablauf dieser Frist wirksam. (5) Will der Urheber nach Rückruf das Werk wieder verwerten, so ist er verpflichtet, dem früheren Inhaber des Nutzungsrechts ein entsprechendes Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen anzubieten. (6) Die Bestimmungen in § 41 Abs. 5 und 7 sind entsprechend anzuwenden“335.
Durch die Umformulierung des § 42 Abs. 1 RegE wurde dem Beschluss der Sachverständigenkommission Rechnung getragen, die Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens von Überzeugungswandel und Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung klarer zum Ausdruck zu bringen. Den Beschlüssen entsprechend hatte man auch die Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers in Abs. 2 stärker beschränkt. Die Motive unterstrichen insofern, dass das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung in besonderem Maße den persönlichen Interessen des Urhebers diene und daher grundsätzlich nur diesem selbst, nicht aber seinem Rechtsnachfolger zustehe. Aus diesem Grund war der Erbe fortan nur noch dann zum Rückruf befugt, wenn der Urheber denselben letztwillig verfügt hatte oder vor seinem Ableben an der Ausübung gehindert war, weil ihm Person oder Aufenthaltsort des Nutzungsrechtsinhabers unbekannt waren. Auch die Entschädigungsregelung des Abs. 4 wurde in Umsetzung der Kommissionsentscheidung gänzlich umstrukturiert. So begrenzte man den Anspruch auf Aufwendungsersatz ausdrücklich auf die bis zum Zeitpunkt der Rückrufserklärung getätigten Aufwendungen und schloss solche Ausgaben aus, die auf bereits gezogene Nutzungen entfielen. In Begründung hieß es hierzu, dass die Entschädigung allein jene Ausgaben abzudecken habe, welche der Nutzungsberechtigte für die durch den Rückruf unterbundene, weitere Ausübung des Nutzungsrechts getätigt habe. Insofern sollte eine ungerechtfertigte Bereicherung des Nutzungsrechtsinhabers und damit verbundene Rückabwicklungsfragen vermieden werden. Ferner hatte man die vom bayerischen Justizministerium kritisierte Befugnis des Nutzungsrechtsinhabers, nach nicht fristgerechter Entschädigung das Nutzungsrecht weiter ausüben zu dürfen, durch die von der Verwertungsindustrie befürwortete Regelung ersetzt, wonach der Rückruf erst mit tatsächlicher Bewirkung der Entschädigung bzw. dementsprechender Sicherheitsleistung wirksam wurde. Damit der Nutzungsrechtsinhaber das 335 BT-Drs. IV / 270,
S. 10.
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962469
Wirksamwerden des Rückrufs seinerseits nicht dadurch herauszögern konnte, dass er den Urheber über seine Aufwendungen im Unklaren ließ, sah § 42 Abs. 4 S. 3 RegE vor, dass der Rückruf binnen eines Monats nach Erklärung wirksam wurde, falls der Nutzungsrechtsinhaber seine Aufwendungen innerhalb dieser Frist nicht beziffert habe. Die Änderung des Abs. 6 war der neuen Paragraphenzählung geschuldet. Im Übrigen entsprach die Begründung jener des Ministerialentwurfes.336 Die Übergangsbestimmung des § 141 RegE stellte klar, dass § 42 RegE auch für solche Verträge anwendbar sein sollte, die vor dem (künftigen) Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen wurden, da der Überzeugungswandel ein vom Vertragsinhalt unabhängiger Tatbestand sei337. b) Die Sonderregelung für angestellte Urheber, die Ausschlussregelung im Filmrecht sowie das Verbietungsrecht im Rahmen der Schrankenregelung für Sammlungen für den Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch In § 43 RegE wurde der Vorschlag des BMJ zu einer Neufassung der bisherigen Ausschlussregelungen für Urheber in Arbeits- und Dienstverhältnissen umgesetzt: „Die Vorschriften dieses Unterabschnitts338 sind auch anzuwenden, wenn der Urheber das Werk in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen hat, soweit sich aus dem Inhalt oder Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt“339.
Wie vorgesehen wurde damit das ursprüngliche Regel-Ausnahme-Verhältnis, nach welchem u. a. das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung für im Rahmen von Arbeits- oder Dienstverhältnissen geschaffene Werke grundsätzlich ausgeschlossen und lediglich im Einzelfall anwendbar sein sollte, umgekehrt. Ausweislich der Begründung sollte der allgemeine Grundsatz, dass der Schöpfer eines Werkes als dessen Urheber anzusehen ist (§ 7 RegE), auch in Arbeits- oder Dienstverhältnissen gelten. Gleichwohl seien die zur Sicherung der Verbundenheit zwischen Urheber und Werk vorgesehenen Regelungen, darunter insbesondere die §§ 41 und 42 RegE, in erster Linie zum Schutz des freischaffenden Urhebers gedacht. Dieser beziehe kein festes Gehalt und sei daher auf die Erträge aus der Verwertung seiner Werke beson336 BT-Drs. IV / 270,
S. 61. S. 24 f. (Wortlaut), S. 114 (Motive). 338 Es war dies der zweite Abschnitt („Nutzungsrechte“) des fünften Abschnitts („Rechtsverkehr im Urheberrecht“), §§ 31–44 RegE. 339 BT-Drs. IV / 270, S. 10. 337 BT-Drs. IV / 270,
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
ders angewiesen, was auf den wirtschaftlich gesicherten Arbeitnehmer oder Beamten nur bedingt zuträfe. Gleichwohl könne sich die Sachlage je nach individuellem Arbeits- oder Dienstverhältnis anders darstellen.340 Die Beweislast hierfür trug mit § 43 RegE jedoch nicht mehr der Urheber, sondern der Arbeitgeber, was eine weitere Stärkung des Urheberpersönlichkeitsschutzes bedeutete. Die nunmehr in § 100 RegE vorgesehene Ausschlussregelung im Filmrecht wurde in Umsetzung der Kommissionsbeschlüsse ebenfalls geändert (Änderungen nicht kursiv): „Die Bestimmungen über das Erfordernis der Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 34) und zur Einräumung einfacher Nutzungsrechte (§ 35) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 41) und wegen gewandelter Überzeugung (§ 42) gelten nicht für die in § 98 Abs. 1 Nr. 2 bis 5341 und § 99342 bezeichneten Rechte. Dem Urheber des Filmwerkes (§ 99) stehen Ansprüche aus § 36 nicht zu“343.
Betreffend die Rückrufsrechte hatten sich damit keine materiellrechtlichen Änderungen ergeben. Hatte § 95 MinE diese pauschal für „Nutzungs340 BT-Drs. IV / 270,
S. 62. überarbeitete Fassung des § 98 RegE („Recht zur Verfilmung“) lautete: „(1) Gestattet der Urheber einem anderen, sein Werk zu verfilmen, so liegt darin im Zweifel die Einräumung folgender ausschließlicher Nutzungsrechte: 1. das Werk unverändert oder unter Bearbeitung oder Umgestaltung zur Herstellung eines Filmwerkes zu benutzen; 2. das Filmwerk zu vervielfältigen und zu verbreiten; 3. das Filmwerk öffentlich vorzuführen, wenn es sich um ein zur Vorführung bestimmtes Filmwerk handelt; 4. das Filmwerk durch Funk zu senden, wenn es sich um ein zur Funksendung bestimmtes Filmwerk handelt; 5. Übersetzungen und andere filmische Bearbeitungen oder Umgestaltungen des Filmwerkes in gleichem Umfang wie dieses zu verwerten. (2) Die in Absatz 1 bezeichneten Befugnisse berechtigen im Zweifel nicht zu einer Wiederverfilmung des Werkes. Der Urheber ist im Zweifel berechtigt, sein Werk nach Ablauf von zehn Jahren nach Herstellung des Filmwerkes anderweit filmisch zu verwerten. (3) Die vorstehenden Bestimmungen sind auf die in den §§ 80 und 81 bezeichneten Schutzrechte entsprechend anzuwenden“, BT-Drs., S. 18 (Motive ebd., S. 98 f.). 342 Die überarbeitete Fassung des § 99 RegE („Rechte am Filmwerk“) lautete: „(1) Wer sich zur Mitwirkung bei der Herstellung eines Films verpflichtet, räumt damit für den Fall, daß er ein Urheberrecht am Filmwerk erwirbt, dem Filmhersteller im Zweifel das ausschließliche Recht ein, das Filmwerk sowie Übersetzungen und andere filmische Bearbeitungen oder Umgestaltungen des Filmwerkes auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen. (2) Hat der Urheber des Filmwerkes das in Absatz 1 bezeichnete Nutzungsrecht im voraus einem Dritten eingeräumt, so behält er gleichwohl stets die Befugnis, dieses Recht beschränkt oder unbeschränkt dem Filmhersteller einzuräumen. (3) Die Urheberrechte an den zur Herstellung des Filmwerkes benutzten Werken, wie Roman, Drehbuch und Filmmusik bleiben unberührt“, BT-Drs. IV / 270, S. 18 (Motive ebd., S. 99 f.). 343 BT-Drs. IV / 270, S. 18. 341 Die
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rechte am Filmwerk“ ausgeschlossen, verwies § 100 RegE nunmehr konkret auf die in den §§ 98 f. enumerativ benannten Befugnisse. Auch die Motive zu § 100 RegE wiederholten Althergebrachtes, indem sie darauf verwiesen, dass dem Filmhersteller angesichts der regelmäßig hohen Produktionskosten für Filmwerke die Verfügung über die Rechte erleichtert werden müsse. Zu diesem Zweck würden die Rückrufsrechte sowohl der Urheber vorbenutzteter Werke (§ 98 RegE) als auch der Urheber des Filmwerkes selbst (§ 99 RegE) hinsichtlich des fertigen Filmwerkes ausgeschlossen, wobei die Urheberrechte an den vorbenutzten Werken durch die Verfilmung nicht berührt werden sollten (§ 99 Abs. 3 RegE). Bis zur tatsächlichen Herstellung des Filmwerkes blieb den Urhebern der zu verfilmenden Werke damit sowohl der Rückruf wegen Nichtausübung als auch der Rückruf wegen gewandelter Überzeugung unbenommen. Insofern hatte sich insbesondere die SPIO mit ihren Forderungen nicht durchsetzen können. Die Motive führten hierzu aus, dass, solange der Film nicht hergestellt sei, das Verfilmungsrecht also nicht ausgeübt wurde, der Filmhersteller keines besonderen Schutzes bedürfe, da er noch keine wesentlichen Aufwendungen getätigt habe.344 Das Verbietungsrecht für die Vervielfältigung von Werken im Rahmen von Sammlungen für den Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch wurde in § 46 Abs. 3 RegE übernommen. Die Vorschrift erfuhr eine Klarstellung dahingehend, dass der Urheber fortan nicht nur die Vervielfältigung, sondern auch die Verbreitung untersagen konnte, während die Benachrichtigungspflicht (vormals § 43 Abs. 3 S. 1 MinE)345 entfallen war. Beibehalten wurde die Anordnung der entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschrift auf die gesetzliche Schrankenregelung betreffend die Herstellung von Tonträgern (§ 61 Abs. 1 S. 3 RegE)346. 2. Die Stellungnahme des Bundesrates Der Bundesrat überwies den Entwurf, der ihm am 15. Dezember 1961 übermittelt worden war, zum Zwecke der Vorbreitung einer Stellungnahme an seinen Rechtsausschuss, den Ausschuss für Kulturfragen sowie den Wirtschaftsausschuss. Am 25. Januar 1962 legten die Ausschüsse ihre Stellungnahme vor. Darin wurden nur wenige Änderungen gefordert, welche primär die Vergütungsregelungen betrafen. Die Rückrufsrechte wurden nicht thematisiert. Sie waren dementsprechend auch nicht Gegenstand der Bundesratssit344 BT-Drs. IV / 270,
S. 100 f. S. 10 f. 346 BT-Drs. IV / 270, S. 13 f. (Motive ebd., S. 77). 345 BT-Drs. IV / 270,
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zung vom 2. Februar347 sowie der im Rahmen dieser Sitzung beschlossenen Stellungnahme. Eine ausführliche Beleuchtung derselben sowie der darauffolgenden Reaktionen verschiedener Bundesministerien ist daher ebenso entbehrlich wie eine Darstellung der im Anschluss von der Bundesregierung am 16. März 1962 beschlossenen Änderungen348. 3. Stellungnahmen der Interessenverbände zu den Rückrufsrechten Erwartungsgemäß blieb eine Reaktion seitens der Interessenverbände nicht aus. Diese übermittelten noch im laufenden Gesetzgefahren weitere Gutachten und Änderungsvorschläge. So reichte im Mai 1962 der Deutsche Journalisten-Verband eine Stellungnahme ein. Darin wurde moniert, dass der Entwurf der Bedeutung sowie den Besonderheiten journalistischer Arbeit nicht voll gerecht würde349. Dies gelte insbesondere den zweijährigen gesetzlichen Ausschluss des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung (§ 41 Abs. 2 RegE), der für Presseerzeugnisse angesichts deren Schnelllebigkeit und des daraus resultierenden geringeren Umfangs von Disposition, Planung und Vorratshaltung unangemessen sei. Stattdessen schlug man kürzere Fristen für das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen vor. Auch auf das Erfordernis einer Nachfristsetzung könne verzichtet werden, da die Satzmöglichkeiten im Zeitungs- und Zeitschriftenwesen wesentlich einfacher lägen als im Buchverlag. Schließlich sprach sich auch der Journalisten-Verband mit Verweis auf die Verantwortlichkeit des Verlegers für eine Beibehaltung des Honoraranspruchs des zurückrufenden Urhebers aus. All dies sollte in einem neu zu schaffenden § 41 Abs. 8 RefE normiert werden: „Übt der Verleger oder Herausgeber einer Zeitung oder Zeitschrift, dem ein ausschließliches Nutzungsrecht an einem Beitrag eingeräumt ist, das Recht nicht oder nur unzureichend aus, so kann der Urheber das Nutzungsrecht zurückrufen. Das Rückrufsrecht kann gegenüber einer Zeitung nicht vor Ablauf von drei Monaten, gegenüber einer Zeitschrift, die monatlich oder in kürzeren Fristen erscheint, nicht vor Ablauf von sechs Monaten, bei sonstigen periodischen Schriften nicht vor Ablauf von einem Jahr geltend gemacht werden. Der Bestimmung einer Nachfrist bedarf es nicht. Der Anspruch auf die Vergütung bleibt unberührt“350. 347 Siehe den stenographischen Bericht der 240. Sitzung des Bundesrates vom 02.02.1962, S. 8 ff. 348 Ausführlich zur Behandlung des Regierungsentwurfs in den Bundesratsausschüssen sowie im Bundesrat selbst bis zum bzw. am 02.02.1962 siehe Maracke, S. 209 ff.; zu den Reaktionen der Ministerien sowie der Bundesregierung dies., S. 219 ff. 349 Stellungnahme des Deutschen Journalisten-Verbandes vom 04.05.1962, BArch, B 141 / 16469, Bl. 98. 350 Stellungnahme des Deutschen Journalisten-Verbandes vom 04.05.1962, BArch, B 141 / 16469, Bl. 102.
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962473
Der Deutsche Museumsbund äußerte Bedenken hinsichtlich der Anwendung der Rückrufsrechte auf Werke der bildenden Künste: So müsse jedenfalls bei Kunstwerken, welche bereits geistiges Allgemeingut geworden seien, das Interesse der Allgemeinheit dem Interesse des Urhebers am Rückruf grundsätzlich vorgehen. Die Museumsvertreter regten deshalb an, derartige Werke ganz allgemein vom Anwendungsbereich der Rückrufsrechte auszunehmen351. Die Interessenverbände der Verwertungsindustrie bekräftigten hinsichtlich der Rückrufsrechte im Wesentlichen abermals ihre bereits zum Referenten- und Ministerialentwurf vorgebrachten Bedenken und Forderungen352. Stellvertretend für sämtliche Stellungnahmen sei hier die Denkschrift des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels aufgeführt: Dieser beschränkte sich darauf, abermals die Zulänglichkeit der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte zu betonen und anzuregen, etwaige Verbesserungswünsche in dem geplanten Urhebervertrags-, nicht aber im Urheberrechtsgesetz umzusetzen.353 Bezüglich des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung mahnte man eine Klarstellung dahingehend an, dass den Rechtsnachfolger, der nach § 42 Abs. 2 RegE anstelle des Urhebers den Rückruf erklärte, auch die Entschädigungspflicht des Abs. 4 treffen sollte. Zugleich sollte die Frist, binnen derer der Nutzungsrechtsinhaber dem zurückrufenden Urheber seine Aufwendungen mitzuteilen hatte (§ 42 Abs. 4 S. 4 RegE), von einem auf sechs Monate ausgedehnt werden. 4. Finale Behandlung in der Jurisprudenz Auch in der Literatur wurden zu den Rückrufsrechten im Regierungsentwurf keine grundsätzlich neuen Positionen vertreten354. Hervorzustellen ist jedoch ein Festschriftenbeitrag des Berliner Professors Ernst Hirsch355, der § 42 RegE vor dem Hintergrund der Frage, ob und inwiefern sich ein Rück351 Stellungnahme des Deutschen Museumsbundes vom Mai 1962, BArch, B 141 / 16469, Bl. 120. 352 Hierzu ausführlich Maracke, S. 222 ff.; neben dem Börsenverein reichten u. a. der Deutsche Musikverleger-Verband, die ARD sowie die SPIO weitere Stellungnahmen ein. 353 Stellungnahme des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vom 26.04.1963, BArch, B 141 / 16471, Bl. 112 r., 118 f., 128 r.; dieser Stellungnahme ging eine kürzere Denkschrift voran, welche der Börsenverein zusammen mit diversen Verlegerverbänden im April 1962 beschlossen hatte (Börsenverein, BBl. 1962 (Frankfurter Ausgabe), S. 681 f.); in dieser kamen die Rückrufsrechte jedoch nicht zur Sprache. 354 Siehe beispielhaft Strömholm, GRUR 1963, S. 359 f. sowie die grundlegenden Implikationen bei Hirsch, FS Nipperdey, S. 351 ff. 355 Zur Person siehe Rehbinder, UFITA 92 (1982), S. VII ff. sowie Meißner, Wetterauer Geschichtsblätter 52 / 2003, S. 181 ff.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
ruf auf Dritte auswirke, die vor dessen Wirksamwerden Rechte an Werkstücken oder am Werk selbst durch Rechtsgeschäft oder kraft Gesetzes erworben hatten, einer tiefgreifenden Analyse unterzog. Hirsch, der in § 42 RegE eine Entlehnung aus dem französischen Urheberrecht sah356, gab zunächst zu bedenken, dass Geschehenes nicht ungeschehen gemacht werden könne. Selbst wenn ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers publiziert wurde und damit die Rechtsfolgen der Veröffentlichung im urheberrechtlichen Sinne nicht eintraten, wirke es in denjenigen, welche es gelesen, gehört oder gesehen haben, fort. Diese Tatsache könne das Recht nicht beseitigen, es könne lediglich gewillkürte oder gesetzliche Rechtsfolgen, welche an Fakten wie die Veröffentlichung eines Werkes anknüpften, nachträglich als nicht eingetreten fingieren oder ihre weitere Fortdauer für die Zukunft verhindern. Hiermit sei jedoch unweigerlich die Gefahr verbunden, gegen das Prinzip des Schutzes wohlerworbener Rechte sowie die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zu verstoßen und die auf Berechenbarkeit ruhende Rechtssicherheit zu gefähren.357 Hirschs zweiter Einwand ging dahin, dass jeder Mensch für seine Handlungen verantwortlich sei. Mit dieser Voraussetzung stehe und falle die Anerkennung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Ein Überzeugungswandel sei allein schon aufgrund der Fehlbarkeit des Menschen nichts Außergewöhnliches. Angesichts einer verfassungsmäßigen Werteordnung, durch welche „die Eigenständigkeit, die Selbstverantwortlichkeit und die Würde des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft gesichert werden soll“358, sei die Gewährung eines Rückrufsrechts zumindest bedenklich, während die Frage einer Wirkung außerhalb der Urheber-Nutzungsrechtsinhaber-Beziehung auf den ersten Blick gar völlig verfehlt anmute. Dennoch hielt Hirsch eine weitere Klärung der Frage für geboten, da sich der Rückruf wegen gewandelter Überzeugung über das Verbietungsrecht des § 46 Abs. 3 RegE zumindest in einem Fall auf Dritte außerhalb der Urheber-Nutzer-Beziehung auswirkte. Ausgehend von der Verbundenheit zwischen Urheber und Werk359 betonte er, dass die Schrankenregelungen (§§ 45 bis 61 RegE) die ausschließliche Herrschaftsmacht des Urhebers lediglich im Hinblick auf überwiegende Interessen der 356 Hirsch, FS Nipperdey, S. 353; siehe dazu auch oben G. IV. 3. lit. d) cc) sowie G. IV. 4. lit. a). 357 Hirsch, FS Nipperdey, S. 355. 358 Hirsch, FS Nipperdey, S. 356 mit Verweis auf BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (204 ff.) und 6, 32 (40). 359 Hirsch selbst (FS Nipperdey, S. 358) bevorzugte hierfür den Terminus der „Werkherrschaft“ oder den von Herholz (AcP 130 [1929], S. 257 ff.) geprägten Begriff der „konstanten Rahmenbeziehung“.
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962475
Allgemeinheit durchbrächen360, den hieraus Berechtigten jedoch keine subjektiven Rechte gewährten. Insofern bleibe es auch gegenüber Dritten bei dem Grundsatz der untrennbaren Verbundenheit, so dass der Urheber auch diesen gegenüber Rechtsschutz für seine gewandelte Überzeugung in Anspruch nehmen können müsse, zumal die im allgemeinen Persönlichkeitsrecht enthaltene und (spätestens mit § 42 RegE) für rechtsschutzwürdig anerkannte Berechtigung zum Überzeugungswandel illusorisch wäre, wenn von dem fraglichen Zeitpunkt an nur dem bisherigen Inhaber des Nutzungsrechts, nicht aber den durch die Schrankenregelungen der §§ 45 ff. RegE Berechtigten die weitere Verbreitung des Werkes untersagt werden könne.361 § 46 Abs. 3 RefE sei daher nur ein Ausdruck dieses allgemeinen Prinzips, welches auch für die übrigen Schrankenregelungen Beachtung finden müsse. Demnach wirke ein Rückruf auch gegenüber Dritten, sofern die aus den Schrankenregelungen fließenden Befugnisse noch nicht ausgeübt worden seien. Eine bereits begonnene Herstellung von Werkstücken, z. B. Tonträgern (§ 64 RegE), oder die Nutzung bereits verbreiteter Werkstücke mittels Groß- und Kleinzitat (§ 51 Nr. 1 und 2 RegE) bleibe indes unberührt362. Als bedenklich erachtete Hirsch auch jene Vorschriften des Entwurfs, welche gegenüber der allgemeinen Schutzdauer von 50 Jahren post mortem auctoris kürzere Schutzfristen vorsahen (so etwa 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung bei anonymen oder pseudonymen Werken, § 69 Abs. 1 RegE, oder 25 Jahre nach dem Erscheinen bzw. der Herstellung bei Lichtbildwerken, § 71 RegE). Nach all diesen Vorschriften sei dem Urheber die Ausübung des Rückrufsrechts verwehrt, obgleich Art. 6bis Abs. 1 RBÜ in der Brüsseler Fassung von 1948363 dem Urheber die Geltendmachung persönlichkeitsrechtlicher Befugnisse Zeit seines Lebens gestattete. Sofern der Gesetzgeber die Auffassung von dem unlösbaren und ständigen Band zwischen Urheber und Werk ernstlich zur Grundlage des neuen Gesetzes machen wolle, müsse auch der Urheber eines Werkes, dessen Schutzfrist bereits zu seinen Lebzei360 Hirsch, FS Nipperdey, S. 360 verwies insofern auf BGHZ 19, 227 (=GRUR 1956, S. 131 f. – Schützenfest). 361 Hirsch, FS Nipperdey, S. 362 f. 362 Hirsch, FS Nipperdey, S. 364 ff.; Mit Blick auf das Zitatrecht betonte Hirsch (ebd., S. 364 f.), dass jeder Urheber für die „Sünden“ seiner Vergangenheit büßen und es sich insofern gefallen lassen müsse, dass die von ihm selbst öffentlich kundgetane Wandlung seiner Überzeugung durch Groß- oder Kleinzitat konkret beleuchtet und festgehalten werde, sofern dies nicht in ehrenkränkender Absicht geschehe. 363 Art. 6bis Abs. 1 RBÜ lautete nunmehr: „Unabhängig von seinen vermögensrechtlichen Befugnissen und selbst nach deren Abtretung behält der Urheber während seines ganzen Lebens das Recht, die Urheberschaft am Werk für sich in Anspruch zu nehmen und sich jeder Entstellung, Verstümmelung oder sonstigen Änderung dieses Werkes oder jeder anderen Beeinträchtigung des Werkes zu widersetzen, welche seiner Ehre oder seinem Ruf nachteilig sein könnten“.
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
ten ablaufe, die Möglichkeit haben, einmal eingeräumte Nutzungsrechte mit schutzfristunterbrechender Wirkung zurückzurufen.364 Andernfalls ließe man zu, dass das vom Urheber abgelehnte Werk gemeinfrei und der Urheber damit „vogelfrei“ würde365. Hirsch schloss seine Betrachtungen mit der Bemerkung, dass § 42 RegE keine sachlich neue Rechtsnorm darstelle, sondern lediglich den Zweck habe, ein de facto bereits vorhandenes und weithin anerkanntes Instrument in Gesetzesform zu gießen. Auch wenn noch keine höchstrichterliche Entscheidung zum Rückruf wegen gewandelter Überzeugung ergangen sei, so beruhe doch die gesamte neuere Rechtsprechung des BGH zum Urheberrecht auf denselben Prämissen und verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen – namentlich der überragenden Rolle des Urheberpersönlichkeitsschutzes366. 5. Die Behandlung des Regierungsentwurfs in Bundestag und Bundesrat Am 23. März 1962 wurde der Regierungsentwurf zusammen mit den Änderungswünschen des Bundesrates und der diesbezüglichen Stellungnahme der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegt367. Die erste Lesung erfolgte in der 100. Sitzung des vierten Deutschen Bundestages am 6. Dezember 1963 [a)]. Die Mehrheit der Mandate entfiel zu diesem Zeitpunkt auf eine bürgerliche Koalition aus CDU / CSU (250 Sitze) und FDP (66 Sitze). Die SPD als einzige Oppositionspartei war mit 204 Mandaten im Parlament vertreten. Hinzu kam ein franktionsloser Abgeordneter. Der Bundestag überwies den Entwurf anschließend an den Rechtsausschuss [b)], welchem der Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik [c)] sowie der Wirtschaftsausschuss [d)] beratend zur Seite standen. Die im Rahmen der Ausschusssitzungen beschlossenen Änderungen, welche u. a. die Rückrufsrechte betrafen, wurden vom Rechtsausschuss im Wesentlichen übernommen [e)]. Der geänderte Entwurf wurde schließlich von Bundestag und Bundesrat abermals beraten [f)]. Nach Beschluss durch den Bundestag und Zustimmung des Bundesrates trat das Gesetz am 1. Januar 1966 in Kraft [g)].
364 Hirsch, 365 Hirsch,
FS Nipperdey, S. 366 f. FS Nipperdey, S. 371 mit Verweis auf Nordemann, GRUR 1964,
S. 119. 366 Hirsch, FS Nipperdey, S. 369 mit Verweis auf BGHZ 13, 334 – Leserbriefe; 15, 242 – Cosima Wagner; 17, 266 – Magnettonband I. 367 BT-Drs. IV / 270; ausführlich zur Behandlung des Entwurfs im Bundestag und dessen Ausschüssen Maracke, S. 232 ff.
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962477
a) Die erste Lesung im Bundestag am 6. Dezember 1963 Bundesjustizminister Ewald Bucher (CDU)368 eröffnete die Behandlung des Urheberrechtsgesetzentwurfs im Bundestag mit einem knappen historischen Abriss über die mittlerweile mehrere Jahrzehnte währenden Reform arbeiten sowie einer Zusammenfassung des Gesetzentwurfs. Auf die Rückrufsrechte ging er dabei nicht ausdrücklich ein, betonte aber, dass der Entwurf im Gesamten keine bloße Modernisierung der bestehenden Gesetze darstellen, sondern in einer zunehmend materialistischen Welt die Achtung vor der geistig-schöpferischen Leistung und das Rechtsgefühl für ihre Schutzwürdigkeit stärken solle. Ferner solle er gewährleisten, dass dem Urheber, der wie jeder andere Werktätige darauf angewiesen sei, von den Einkünften aus seiner Arbeit leben zu können, der gebührende Lohn zuteil werde369. Für die hierfür zwangsläufig abzuschließenden Nutzungsverträge sehe der Entwurf unabdingbare Schutzbestimmungen vor. Diese rechtfertigten sich bereits da raus, dass der Urheber ungebrochen der in der Regel weniger geschäftsgewandte Part sei370. Dies gelte jedoch nicht unbegrenzt: So griff Bucher hinsichtlich der besonderen Bestimmungen für Filmwerke die hergebrachte Argumentation auf, dass dem Filmhersteller angesichts der hohen Produk tionskosten und der großen Zahl der an der Produktion beteiligten Personen die Auswertung desselben erleichtert werden müsse, weshalb eine gewisse Einschränkung der Rechte der Filmurheber unumgänglich sei371. Für die CDU / CSU-Fraktion begrüßte der Abgeordnete Arved Deringer372 den Entwurf als ausgewogene Arbeit und lobte dessen Tendenz, die Rechtsstellung des Urhebers zu stärken, indem diesem u. a. das Recht zugesprochen werde, sein Werk zurückzurufen, wenn er seine eigene Meinung geändert hatte. Gleichwohl sei auch das Urheberrecht sozial gebunden, so dass – und darin sah Deringer eine der Hauptaufgaben der bevorstehenden Ausschussarbeiten – eine sorgfältige Abwägung der Interessen des Urhebers, der Öffentlichkeit sowie der anderen Beteiligten vonnöten sei. Dass dies alles andere als einfach sei, hätten bereits die Vorarbeiten und die Vielzahl konträrer Stellungnahmen gezeigt.373 Seitens der oppositionellen SPD ergriff der Abgeordnete Gerhard R eischl374 das Wort. Auch Reischl zeigte sich mit dem Entwurf zufrieden und gab seiPerson siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 107. in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4640 B–C. 370 Bucher in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4642 A. 371 Bucher in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4644 B. 372 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 142. 373 Deringer in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4645 D, 4646 A. 374 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 2, S. 678. 368 Zur
369 Bucher
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ner Hoffnung Ausdruck, die Reform noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode abschließen zu können, zumal es kaum ein Rechtsgebiet gäbe, auf dem die geltenden Gesetze so sehr von der technischen Entwicklung überholt worden seien wie im Bereich des Urheberrechts375. Zugleich wies er darauf hin, dass der Entwurf zahlreiche Regelungen zum Urhebervertragsrecht enthalte, welche in der Öffentlichkeit stark umstritten seien. Unter anderem führte Reischl § 42 RegE an, der in seinen Auswirkungen noch nicht ganz überschaubar sei und deshalb sehr sorgfältig geprüft werden müsse. Dies bedeute zwar nicht, dass seine Fraktion das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ablehne, doch habe man sich angesichts der Ankündigung der baldigen Inangriffnahme eines Urhebervertragsgesetzes die Frage zu stellen, ob es nicht ratsamer sei, Bestimmungen, welche die Beratungen aufgrund ihres problematischen Charakters aufhalten könnten, aus dem Entwurf auszuscheiden und einer späteren spezialgesetzlichen Regelung vorzubehalten – schließlich sei es für die Urheber das Wichtigste, dass das moderne Urheberrecht zeitnah verabschiedet würde.376 Hermann Dürr377, der für die FDP sprach, schloss sich den Positionen seiner Vorredner im Wesentlichen an. Zu den Rückrufsrechten nahm er nicht eigens Stellung378. Nachdem sich sämtliche Fraktionen zu dem Regierungsentwurf geäußert hatten, schloss Bundestagsvizepräsident Thomas Dehler379 die erste Beratung und überwies den Entwurf an den Rechtsausschuss, dem der Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik sowie der Wirtschaftsausschuss beratend zur Seite stehen sollten380. Die Rückrufsrechte wurden dabei sowohl im Rechtsausschuss (bzw. dem von diesem eingesetzten Unterausschuss) als auch im Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik behandelt. b) Die Behandlung der Rückrufsrechte im Rechtsausschuss / Unterausschuss „Urheberrecht“ zwischen Januar 1964 und Februar 1965 Zur Beratung des Regierungsentwurfes bildete der Rechtsausschuss am 12. Dezember 1963 einen eigenen Unterausschuss „Urheberrecht“ (12. Ausschuss des Bundestages), der sich in insgesamt 17 Sitzungen, teilweise auch zusammen mit dem vom Ausschuss für Kulturfragen und Publizistik einge375 Reischl
in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4648 C. in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4649 B–C. 377 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 160. 378 Siehe die Ausführungen Dürrs in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4651 C–4653 B. 379 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 137. 380 Dehler in der 100. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 54, S. 4653 B. 376 Reischl
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962479
setzten Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“, über die strittigen Punkte des Gesetzentwurfes beriet381. Neben dem zum Vorsitzenden bestimmten Gerhard Reischl gehörten ihm Arved Deringer und Edeltraut Kuchtner382 für die CDU / CSU, Peter Nellen383 (SPD) sowie Hermann Dürr an384. An den Sitzungen nahmen überdies MD Joël, RD Schneider und Amtsrat Schiefler für das BMJ sowie die Regierungsassessoren Alberding und Holzapfel vom BMI teil385. Dabei wurden sämtliche Vorschriften des Gesetzentwurfes nochmals erörtert, wobei auch die zum Regierungsentwurf eingegangenen Stellungnahmen berücksichtigt wurden. Die Rückrufsrechte wurden erstmalig im Rahmen der dritten Sitzung (19. Februar 1964) behandelt. Reischl sprach sich zunächst gegen den seitens der Verlegerverbände wiederholt vorgebrachten Vorschlag aus, § 41 RegE ersatzlos zu streichen oder zumindest für den Bereich des Verlagsrechts auszuschließen. Aufgeschlossen zeigte er sich jedoch gegenüber dem Vorstoß des Deutschen Journalisten-Verbandes, die zweijährige Ausschlussfrist des § 41 Abs. 2 RegE für Presseerzeugnisse zu verkürzen. Das BMJ hatte hierzu einen Änderungsvorschlag erarbeitet, der zur Verlesung kam: „(2) … Bei einem Beitrag zu einer Zeitung beträgt die Frist drei Monate, bei einem Beitrag zu einer Zeitschrift, die monatlich oder in kürzeren Abständen erscheint, sechs Monate und bei einem Beitrag zu anderen Zeitschriften ein Jahr“386.
Dieser fand die Billigung der Ausschussmitglieder387. Anschließend fasste der Vorsitzende die seit der Veröffentlichung des Regierungsentwurfs unterbreiteten Vorschläge der Interessentenkreise zu § 42 RegE zusammen, als da waren: Eine Klarstellung in § 42 Abs. 4 und 5 RegE dahingehend, dass die dort genannten Pflichten auch den Rechtsnachfolger des Urhebers trafen, wobei Reischl selbst eine derartige Ergänzung befürwortete; die Verlängerung 381 Siehe insofern auch ein Schreiben RD Schneiders an den Oberregierungsrat im Rechtsausschuss des Bundestages Meyer vom 14.01.1964, welches die aus Sicht des BMJ strittigsten Punkte der Reform benannte (BArch, B 141 / 16477, Bl. 8 ff.). Die Rückrufsrechte wurden in dieser Zusammenstellung nicht genannt. 382 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 464. 383 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 2, S. 596. 384 Maracke, S. 234. 385 Siehe die Anwesenheitsliste der konstituierenden Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ des Rechtsausschusses vom 08.01.1964, BArch, B 141 / 16477, Bl. 5 v. 386 Der Wortlaut des Vorschlages ergibt sich aus den Protokollen des Unterausschusses „Urheberrechtsfragen“ des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik, siehe Kurzprotokoll der 3. Sitzung vom 05.02.1964, BArch, B 141 / 16476, Bl. 19. 387 Kurzprotokoll der 3. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ des Rechts ausschusses vom 19.02.1964, BArch, B 141 / 16477, Bl. 22 r.
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der Mitteilungsfrist des § 42 Abs. 4 S. 3 RegE von einem auf sechs Monate; die von den Schulbuchverlegern geforderte ersatzlose Streichung der Vorschrift sowie die vom Museumsverband gewünschte Ausnahmeregelung. In der Folge sprach sich Nellen für eine Beibehaltung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung aus. Eine Ausnahme für Museen erachtete der Ausschuss als nicht notwendig, da deren Ausstellungsrecht (§ 18 RegE) ohnehin kein Nutzungsrecht i. S. d. § 42 RegE darstellte. Einigkeit herrschte auch dahingehend, die Mitteilungsfrist auf sechs Monate auszudehnen, während man die Frage der Erwähnung des Rechtsnachfolgers des Urhebers in § 42 Abs. 4 und 5 einer nochmaligen Prüfung vorbehielt. Zu § 43 RefE hatte man keine Einwände388. Entsprechendes galt für die Regelungen für Filmwerke, welche Gegenstand der sechsten Sitzung des Unterausschusses waren389. Im Mai und Juni 1964 wurden zusammen mit dem Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“ des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik Sachverständigenanhörungen durchgeführt, in deren Rahmen die Rückrufsrechte ebensowenig nochmals erörtert wurden wie in den weiteren Sitzungen des Unterausschusses „Urheberrecht“ von Ende Juni bis Anfang November390. Erwähnung verdient einzig der Umstand, dass im Rahmen der 11. Sitzung (29. September) die Umwandlung des gesetzlichen Nutzungsrechts zugunsten der Herstellung von Tonträgern, in dessen Rahmen dem nach § 42 RegE zurückrufenden Urheber ein § 46 Abs. 3 RegE entsprechendes Verbietungsrecht eingeräumt wurde, in eine gesetzliche Zwangslizenz beschlossen wurde.391 Erst im Zuge der abschließenden Erörterung des Gesamtentwurfs, welche am 16. November in der 12. Sitzung gemeinsam mit Ulmer und der Bundesrichterin Krüger-Nieland erfolgte, kamen die §§ 41, 42 RegE erneut zur Sprache. Nachdem sich auch der Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“ des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik für eine Präzisierung der Sperrfrist des § 41 Abs. 2 RegE im Sinne des Vorschlages des BMJ ausgesprochen hatte392, wurde die Änderung einstimmig beschlossen. Hinsichtlich 388 Kurzprotokoll der 3. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ des Rechts ausschusses vom 19.02.1964, BArch, B 141 / 16477, Bl. 22 v. 389 Kurzprotokoll der 6. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ des Rechts ausschusses vom 29.04.1964, BArch, B 141 / 16477 (Protokoll Nr. 6); ausführlich dazu Maracke, S. 237 f., 705 f. 390 Siehe die entsprechenden Kurzprotokolle in BArch, B 141 / 16477 (Protokolle Nr. 7 und 8) und BArch, B 141 / 16478 (Protokolle Nr. 9 bis 11); dazu ausführlich Maracke, S. 238 ff. 391 Kurzprotokoll der 11. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ des Rechtsausschusses vom 29.09.1964, BArch, B 141 / 16478, Bl. 31 ff. 392 Siehe Kurzprotokoll der 4. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrechtsfragen“ des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik vom 17.03.1964, BArch, B 141 / 16476, Bl. 19.
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des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung berichtete Reischl über hitzige Debatten innerhalb des Arbeitskreises der SPD-Fraktion, wo man § 42 RegE nur insoweit zu billigen bereit war, als Neuauflagen und ein weiterer Verkauf der Restauflage eines Werkes verhindert werden sollten, nicht jedoch, soweit es sich um eine Veröffentlichung zu Dokumentationszwecken bzw. in historischen, kulturellen oder wissenschaftlichen Untersuchungen handelte. RD Schneider betonte daraufhin, dass Zitate nicht vom Rückrufsrecht berührt würden; etwas Anderes gelte allein für Schulbücher. Seitens der Union stellte Deringer hervor, dass der Urheber zwar verhindern könne, dass eine frühere Auffassung als seine heutige verbreitet, nicht aber, dass über seine frühere Ansicht überhaupt berichtet würde.393 Nellen wiederum wandte sich gegen den Vorschlag, in § 42 Abs. 4 und 5 RegE gesonderte Regelungen für den Rechtsnachfolger des Urhebers zu treffen, da dies dem System des Gesetzentwurfs zuwiderliefe. Zur Klarstellung regte er an, den Ausnahmecharakter der Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers durch eine Zusammenziehung von § 42 Abs. 1 und Abs. 2 RegE zu verdeutlichen. Schließlich bekräftigte Dürr die Notwendigkeit einer Ausdehnung der Mitteilungsfrist des § 42 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 RegE, da bei Weiterübertragungen und Unter lizenzierungen regelmäßig mehr Zeit vonnöten sei, um die jeweils Berechtigten zu ermitteln. Nach Darlegung all dieser Positionen beschloss der Ausschuss einstimmig, § 42 in der Fassung des Regierungsentwurfs mit der Maßgabe anzunehmen, dass die ersten beiden Absätze zu einem Absatz zusammenzufassen und die Mitteilungsfrist des Abs. 4 von einem auf drei Monate auszudehnen sei. Mit Blick auf § 43 RegE wies Deringer auf den Wunsch der Verwertungsindustrie hin, die Vorschrift auch auf Werkverträge auszudehnen. Reischl lehnte dies als zu weitgehend ab, so dass § 43 im Wortlaut des Regierungsentwurfs übernommen wurde.394 Die Ausschlussregelung für Filmwerke (§ 100 RegE) wurde ohne jede Diskussion am Folgetag in der 13. Sitzung angenommen395. Mit der letzten Sitzung am 17. Februar 1965 war die Beratung des Regierungsentwurfs im Unterausschuss des Rechtsausschusses abgeschlossen396.
393 Kurzprotokoll der 12. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ Rechtsausschusses vom 16.11.1964, BArch, B 141 / 16478, Bl. 49 v. 394 Kurzprotokoll der 12. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ Rechtsausschusses vom 16.11.1964, BArch, B 141 / 16478, Bl. 50 r. 395 Kurzprotokoll der 13. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ Rechtsausschusses vom 17.11.1964, BArch, B 141 / 16478, Bl. 67 v. 396 Zum weiteren Inhalt und Gang der Ausschussberatungen bis dahin siehe racke, S. 247 f.
des des des Ma-
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G. Der Weg zu den §§ 41, 42 UrhG: das Urheberrechtsgesetz von 1965
c) Die Beratung der Rückrufsrechte im Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik / Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“ zwischen Februar und Dezember 1964 Auch der Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik (8. Ausschuss) setzte einen Unterausschuss ein, welcher sich am 20. Februar 1964 konstituierte. Zum Vorsitzenden wurde der sozialdemokratische Abgeordnete Georg KahnAckermann397 gewählt. Weiterhin gehörten dem Ausschuss Lambert Huys398 und Friedrich Knorr399 für die CDU / CSU sowie Peter Jacobs400 (SPD) an. Der Unterausschuss besprach den Regierungsentwurf in insgesamt zwölf Sitzungen zwischen Februar und Dezember 1964401. Nachdem im Rahmen der vierten Sitzung die vom BMJ vorgeschlagene Änderung der Sperrfristen des § 41 Abs. 2 RegE für Presseerzeugnisse einstimmig angenommen worden war, wurde das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung in der fünften Sitzung am 15. April 1964 behandelt. Im Anschluss an die Verlesung des Protokolls der Sitzung des Unterausschusses „Urheberrecht“ des Rechtsausschusses vom 19. Februar, trat Knorr den dort geäußerten Bedenken Reischls bei, während Kahn-Ackermann die Frage aufwarf, ob nicht der Begriff der Zumutbarkeit einer näheren Definition bedürfe. Im Übrigen erachtete er § 42 RegE jedoch für eine begrüßenswerte Regelung. Der ebenfalls an der Sitzung teilnehmende MD Joël nutzte die Gelegenheit, um nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers nach § 42 Abs. 2 RegE eine Einschränkung des in § 30 RegE niedergelegten Grundsatzes darstelle, wonach dem Rechtsnachfolger prinzipiell sämtliche, dem Urheber aus dem Entwurf erwachsenden Rechte zustanden. Im Übrigen war sich auch der Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“ einig, dass die Mitteilungsfrist des § 42 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 RegE auf sechs Monate ausgedehnt werden müsse.402 Zu § 43 RegE wurden indes ebensowenig Bedenken geäußert wie gegen die Ausnahmen für Filmwerke. Auf Grundlage der Beschlüsse seines Unterausschusses beriet der Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik den Regierungsentwurf abschließend am 11. März 1965. Hinsichtlich der Rückrufsrechte wurden hier keine gegenüber den Unterausschussbeschlüssen abweichenden Vorschläge unterbreiPerson siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 2, S. 399. Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 373. 399 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 433. 400 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 380. 401 Ausführlich zum Gang der Beratungen Maracke, S. 248 ff. 402 Siehe Kurzprotokoll der 5. Sitzung des Unterausschusses „Urheberrechtsfragen“ des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik vom 15.04.1964, BArch, B 141 / 16476, Bl. 21. 397 Zur 398 Zur
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962483
tet403. Am 30. März übermittelte der Ausschuss dem Unterausschuss „Urheberrecht“ des Rechtsausschusses seine Empfehlung zur Annahme des Entwurfs nach Maßgabe der vorangegangenen Beratungen404. d) Die Beratung im Wirtschaftsausschuss (November / Dezember 1964) Der Wirtschaftsausschuss (16. Ausschuss) beriet den Regierungsentwurf in zwei Sitzungen am 11. November und 3. Dezember 1964 unter dem Vorsitz des Abgeordneten Albrecht Aschoff (FDP)405. Dabei kam lediglich das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung zur Sprache: Der Abgeordnete Prof. Franz Stein406 führte in der zweiten Sitzung aus, dass § 42 RegE der Industrie erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde, wenn keine saubere Abgrenzung zwischen Geschmacksmustern und Werken der angewandten Kunst gelänge und es der Industrie insofern erschwert würde, sich der Arbeit von Formgestaltern zu bedienen. Der anwesende Vertreter des BMJ erkannte die Problematik zwar an, betonte jedoch, dass die Frage im Geschmacksmuster- und nicht im Urheberrechtsgesetz zu regeln sei. Gleichwohl sollte der Rechtsausschuss gebeten werden, eine Überprüfung des Geschmacksmustergesetzes unter diesem Gesichtspunkt anzuregen.407 Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses übermittelte die Ergebnisse der Beratungen schließlich am 11. Dezember an den Vorsitzenden des Unterausschusses „Urheberrecht“. e) Die abschließende Beratung und der Abschlussbericht des Rechtsausschusses (April / Mai 1965) Auf Basis der Beschlüsse seines Unterausschusses sowie der beiden assis tierenden Ausschüsse beriet der Rechtsausschuss des Bundestages unter dem Vorsitz von Hans Wilhelmi (CDU)408 in drei Sitzungen zwischen Anfang April und Anfang Mai 1965 abschließend über den Gesetzentwurf. Inhaltlich übernahm man dabei weitestgehend die Vorschläge des Unterausschusses „Urheberrecht“409. Die Ergebnisse wurden in einem schriftlichen Bericht zu403 Siehe Protokoll der 45. Sitzung des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik vom 11.03.1965, BArch, B 141 / 16476, Bl. 67. 404 Siehe dazu Maracke, S. 253 f. 405 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 23; ausführlich zu den Beratungen im Wirtschaftsausschuss Maracke, S. 254 f. 406 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 2, S. 840. 407 Siehe Kurzprotokoll der 2. Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 03.12. 1964, BArch, B 141 / 16476, Bl. 88 ff. 408 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 2, S. 955. 409 Siehe dazu ausführlich Maracke, S. 255 ff.
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sammengefasst, mit welchem der Rechtsausschuss zugleich die Annahme des Entwurfs in der aus dieser Zusammenstellung hervorgehenden Fassung beantragte. Hinsichtlich § 41 RegE wurde die Verkürzung der Sperrfristen für Presseerzeugnisse in Abs. 2, bei § 42 RegE die Zusammenziehung der ersten beiden Absätze zu einem Absatz sowie die Ausdehnung der Mitteilungsfrist in Abs. 4 auf drei Monate beantragt. Zugleich unterstrich man nochmals ausdrücklich, dass der zurückrufende Urheber weder befugt sei, bereits in Verkehr gebrachte Werkstücke zurückzuziehen, noch die Berichterstattung über seine frühere Auffassung oder Zitate aus dem zurückgerufenen Werk zu verbieten. § 42 RegE solle ihm allein die Möglichkeit geben, zu verhindern, dass das Werk weiterhin in der ursprünglichen Fassung vervielfältigt, verbreitet oder sonstwie urheberrechtlich genutzt und insofern der Eindruck erweckt würde, das Werk entspräche nach wie vor seiner Überzeugung.410 Die §§ 43, 46 Abs. 3 sowie 100 RegE wurden unverändert übernommen, während das vormalige gesetzliche Nutzungsrecht für die Herstellung von Tonträgern in eine gesetzliche Zwangslizenz umgewandelt wurde, welche in § 61a Abs. 1 ein § 46 Abs. 3 RegE entsprechendes Verbietungsrecht für den Fall des Rückrufs wegen gewandelter Überzeugung vorsah411. f) Das weitere Verfahren im Bundestag und Bundesrat Nach Abschluss der Beratungen im Rechtsausschuss fand im Rahmen der 187. Sitzung des Bundestages am 25. Mai 1965 die zweite und dritte Lesung des Regierungsentwurfes statt. Der als Berichterstatter des Rechtausschusses vortragende Reischl verwies auf den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses und beantragte die Annahme des Entwurfs in der auf Grundlage der Ausschussberatungen erstellten Änderungsfassung412. Mit Ausnahme des § 54 RegE (Vervielfältigungen zum persönlichen Gebrauch), der eine leichte Abänderung erfuhr, wurden sämtliche Vorschriften und damit auch die Rückrufsrechte angenommen413. In der folgenden dritten Beratung nebst allgemei410 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV / 3401, S. 13 f. (Gegenüberstellung der Vorschriften des RegE sowie der Änderungsanträge des Rechtsausschusses), S. 5 f. (Begründung der Änderungen). 411 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV / 3401, S. 14 f., 21, 34 (Gegenüberstellung der Vorschriften des RegE sowie der Änderungsanträge des Rechtsausschusses), S. 6, 11, 14 (Begründung zu den Änderungsvorschriften). 412 BT-Drs. IV / 3401. 413 187. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 59, S. 9416 D (Abstimmung ohne vorherige Aussprache über §§ 1–52 RegE), S. 9419 D, 9420 A (Abstimmung ohne vor-
VI. Regierungsentwurf vom Dezember 1961 / März 1962485
ner Aussprache begrüßten Vertreter aller drei Fraktionen den neuen Gesetzentwurf einmündig als „echten Fortschritt zum Schutz der geistigen Tätigkeit“414 und brachten ihre Genugtuung über den Abschluss der Reformarbeiten zum Ausdruck415. Dem schloss sich Bundesjustizminister Karl Weber (CDU)416 vorbehaltlos an. Daraufhin wurde der Gesetzentwurf einstimmig angenommen417. Die vom Bundestag beschlossene Gesetzesfassung wurde noch am Folgetag dem Bundesrat übermittelt (BR-Drs. 291 / 65)418. Dieser hatte binnen 14 Tagen darüber zu entscheiden, ob der Vermittlungsausschuss angerufen werden sollte (Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG). Der Bundesratsausschuss für Kulturfragen hatte sich bereits im Vorfeld mit den Änderungsbeschlüssen des Rechtsausschusses des Bundestages befasst, während der vom Rechtsausschuss des Bundesrates gebildete Unterausschuss den Gesetzentwurf in der vom Bundestag angenommenen Fassung am 26. Mai beriet. Grundsätzliche Bedenken wurden hier nicht erhoben und auch die Rückrufsrechte wurden nicht eigens thematisiert. Im Ergebnis empfahl der Unterausschuss, dem Bundesrat die Zustimmung i. S. v. Art. 84 Abs. 1 GG vorzuschlagen. Dem trat der Rechtsausschuss des Bundesrates am 2. Juni 1965 bei. Gleichwohl beschloss der Bundesrat in seiner 284. Sitzung am 11. Juni 1965 im Anschluss an einen zuvor eingegangenen Antrag des Landes Rheinland-Pfalz419 die Anrufung des Vermittlungsausschusses420. Dieser wiederum beriet am 30. Juni über die strittigen Vergütungsfragen; die vorgeschlagene Lösung421 wurde vom Bundestag in dessen 196. Sitzung am 2. Juli angenommen422. Der Bundesrat erteilte seine Zustimmung im Rahmen seiner herige Aussprache über §§ 55–152); zu § 53 RegE (öffentliche Wiedergabe) lag ein Streichungsantrag Nellens vor; dieser wurde jedoch von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt, siehe 187. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 59, S. 9419 A–B; dazu ausführlich Maracke, S. 257 f. 414 Reischl in der 187. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 59, S. 9430 C. 415 Siehe die Ausführungen Nellens (SPD) in der 187. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 59, S. 9421 C, Deringers (CDU / CSU), ebd., S. 9421 D–9422 A, 9424 A, Buchers (FDP), ebd., S. 9424 A, 9426 A, Reischls (SPD), ebd., S. 9426 A–B, 9430 C–D sowie Besolds (CDU / CSU; zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 1, S. 62), ebd., S. 9431 C–D. 416 Zur Person siehe Vierhaus / Herbst, Bd. 2, S. 924. 417 187. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 59, S. 9431 D–9432 D. 418 Zum Folgenden ausführlich Maracke, S. 259 ff. 419 BR-Drs. 291 / 1 / 65. 420 BR-Sitzungsberichte 1965, S. 153 C–D; ferner BT-Drs. IV / 3536. 421 Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG vom 30.06.1965, BT-Drs. IV / 3706. 422 196. Sitzung BT, 4. Wp, StenBer Bd. 59, S. 10004 D.
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285. Sitzung am 9. Juli423. Noch am selben Tag wurde dieser Beschluss Bundeskanzler Ludwig Erhard mitgeteilt424. g) Verkündung und Inkrafttreten Das Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – und mit ihm die Rückrufsrechte wegen Nichtausübung und gewandelter Überzeugung in ihrer im Wesentlichen noch heute gültigen Fassung – wurde am 9. September 1965 verkündet425 und trat am 1. Januar 1966 in Kraft426.
VII. Zusammenfassung und Zwischenergebnis Die Reformarbeiten in der noch jungen Bundesrepublik knüpften unmittelbar dort an, wo der Kriegsausbruch 1939 ihre weitere Verfolgung verhindert hatte. Auf Grundlage des Entwurfes der AkDR legte das BMJ 1951 den „Berliner Entwurf“ vor, welcher sowohl das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht als auch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung sowie die entsprechenden Ausschluss- und Abbedingungsregelungen in leicht modifizierter Form übernahm. Stellte das Verbietungsrecht im Akademieentwurf noch auf eine drohende Gefährdung des Rufes oder Ansehens des Urhebers durch die konkrete Art der Verwertung ab, so wurde im „Berliner Entwurf“ die aus der gewandelten wissenschaftlichen oder künstlerischen Überzeugung folgende Unzumutbarkeit der (weiteren) Verwertung als Verbietungsgrund benannt. Diese Fokussierung auf rein intrinsische Momente stellte nicht nur den persönlichkeitsschützenden Charakter der Norm noch stärker in den Vordergrund, sie hatte überdies zur Folge, dass fortan auch Urheber anonym oder pseudonym veröffentlichter Werke vom Verbietungsrecht Gebrauch machen konnten. Das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung hatte man gegenüber dem Akademieentwurf insbesondere dahingehend geändert, dass man die Rückrufsvoraussetzung des fehlenden „ernstlichen“ Gebrauchs wieder 423 BR-Sitzungsberichte 1965,
S. 167 B. den entsprechenden Beschluss, BR-Drs. 414 / 65. 425 BGBl. I, 1273–1293. 426 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch darauf verwiesen, dass das „Gesetz über das Urheberrecht“ der DDR vom 13.09.1965 (GesBl. I, 209, in Kraft ab 01.01.1966) mit § 45 unter der Überschrift „Rücktritt“ ein Rücktrittsrecht für den Fall der „Verletzung der Verpflichtung, das Werk der Öffentlichkeit zugängig zu machen“ vorsah. Von § 41 UrhG unterschied sich dieses insoweit, als der Rücktritt an keinen Zeitablauf gebunden war und das Rückrufsrecht unbeschränkt abbedungen werden konnte; ein § 42 UrhG vergleichbares Instrument kannte das DDR-Recht bezeichnenderweise nicht, siehe Bielenberg, GRUR 1967, S. 232 f.; einen Überblick zum DDRUrheberrechtsgesetz von 1965 liefert Püschel, GRUR 1968, S. 300 ff. 424 Siehe
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durch die im amtlichen Entwurf von 1932 gebrauchte Wendung des fehlenden oder „unzureichenden“ Gebrauches ersetzte. Weiterhin wurde festgelegt, dass der Rückruf einzig dann ausgeschlossen sein sollte, wenn die Nichtoder unzureichende Ausübung des Nutzungsrechts auf Gründen beruhte, deren Beseitigung dem Urheber zuzumuten war. Insofern trug man den bereits vor dem Krieg geäußerten Bedenken Rechnung, dass das niedrigschwellige Kriterium des Vertretenmüssens der Nichtausübung das Risiko eines vorschnellen Ausschlusses des Rückrufsrechts zulasten des Urhebers in sich barg. Die überraschende Wiedereinführung des seitens der Verwertungs industrie seinerzeit massiv kritisierten Rückrufsrechts bei lediglich unzureichender Ausübung war indes einzig dem Umstand geschuldet, dass die amtlichen Entwürfe von 1933 und 1934 zum Zeitpunkt der Fortsetzung der Reformarbeiten nicht zur Verfügung standen. Der „Berliner Entwurf“ wurde diversen Sachverständigen und staatlichen Stellen zur Stellungnahme zugesandt. Die nachfolgende Kritik betraf in erster Linie die Ausgestaltung des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts. Seitens der Jurisdiktion wurde die Beschränkung auf einen Wandel der künstlerischen oder wissenschaftlichen Überzeugung als zu eng bemängelt. Mit Verweis auf die Möglichkeit eines Wandels der religiösen Anschauungen empfahl der BGH, auf jedwede Spezifikation der Verbietungsgründe zu verzichten und fortan nur noch auf die Unzumutbarkeit der Veröffentlichung oder Verwertung des Werkes infolge „gewandelter Überzeugung“ abzustellen. Um angesichts dieser Ausweitung Missbräuche auszuschließen, sollte die Ausübung des Verbietungsrechts künftig eine unbedingte, d. h. von Billigkeitserwägungen unabhängige Pflicht des Urhebers zur angemessenen Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers nach sich ziehen. Vertreter der Filmindustrie forderten – trotz der Ausschluss- und Abbedingungsregelungen – ungebrochen die Streichung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung, während vereinzelte Stimmen aus der Jurisprudenz mit Verweis auf die Vertragsfreiheit zumindest seine uneingeschränkte Dispositivität verlangten. Die erste Überarbeitungsfassung in Gestalt des „Rengsdorfer Entwurfes“ setzte die am Verbietungsrecht geäußerte Kritik um. In „Widerrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ umbenannt, wurde fortan jedweder Überzeugungswandel des Urhebers als Widerrufsgrund anerkannt. Der (terminologische) Wandel vom Verbietungs- zum Widerrufsrecht ging aller Wahrscheinlichkeit nach auf Eugen Ulmer zurück, der bereits in seinem 1951 erschienenen Lehrbuch zwischen dem (das ideelle Interesse schützenden) „Widerruf“ und dem (das Publikationsinteresse schützenden) „Rückruf“ differenzierte, wobei er beide Instrumente als Ausprägungen des Urheberpersönlichkeitsrechts definierte. Zugleich vollzog sich auch systematisch eine Annäherung
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zwischen Widerrufs- und Rückrufsrecht. So wurden beide Vorschriften im Abschnitt „Rechtsverkehr im Urheberrecht“ angesiedelt und sahen einen wortgleichen Entschädigungsanspruch des Nutzungsrechtsinhabers im Billigkeitsfall vor. Vervollständigt wurde diese Annäherung im Vorentwurf zum Referentenentwurf: Das „Widerrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ wurde hier in „Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ umbenannt, direkt hinter dem Rückrufsrecht wegen Nichausübung verortet und durch Rechtsfolgenverweise mit diesem verschränkt. Angeglichen wurden auch die Ausschluss- und Abbedingungsvorschriften. Das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung wurde für angestellte oder beauftragte Urheber von Werken des Kunstgewerbes sowie für gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder ausgeschlossen. Die Ausschluss- und Abbedingungsregelungen betreffend Filmwerke wurden ausgegliedert und dem neuen, eigenständigen Abschnitt über Filmwerke beigegeben. Im Kern blieben sie unverändert und gestatteten die Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung für Werke, die zur Filmherstellung genutzt werden sollten bzw. schlossen selbiges für fertige Filmwerke gänzlich aus. Letzteres galt fortan auch für das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung. Die Veröffentlichung des Referentenentwurfes nebst Begründung erfolgte im März 1954. Betreffend die Rückrufsrechte wurden darin die Änderungen des Vorentwurfs übernommen und teilweise ergänzt. Nicht durchzusetzen vermochten sich jene Stimmen, die eine Streichung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung oder zumindest seine vollumfängliche Disposititivät verlangt hatten. In der Begründung hieß es insofern, dass die Unabdingbarkeit der Rückrufsrechte für einen effizienten Urheberschutz essentiell sei. In der Konsequenz erklärte der Referentenentwurf auch das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung für indisponibel. Als Regelungszweck der Rückrufsrechte benannten die Motive die Sicherung des Veröffentlichungs interesses, den Schutz der Urheberpersönlichkeit sowie die Schließung der Regelungslücken des Verlagsgesetzes. Damit wurde die seit Beginn der Reformarbeiten klar nachweisbare Vorbildfunktion der verlagsgesetzlichen Rücktritts- für die urheberrechtlichen Rückrufsrechte zur offiziellen Lesart. Ohne Änderungen übernommen wurden auch die Abbedingungs- und Ausschlussregelungen für vorbenutzte Werke im Filmbereich, Werke angestellter Urheber im Kunstgewerbe sowie gewerbsmäßig hergestellte Lichtbilder. Nachdem der Referentenentwurf die erste Konfrontation der Öffentlichkeit mit der Urheberrechtsreform seit 1934 darstellte, fiel die Kritik dementsprechend breit aus. Die Daseinsberechtigung der Rückrufsrechte wurde dabei kaum noch hinterfragt. Stattdessen verlagerte sich die Auseinandersetzung auf Einzelfragen, allen voran die Abbedingungs- und Ausschlussvorschriften
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sowie die konkrete Ausgestaltung und Reichweite des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung. Erwartungsgemäß forderten die Interessenvertreter der Urheberschaft eine Streichung der Ausnahmeregelungen für angestellte Urheber im Kunstgewerbe sowie für vorbenutzte Werke in der Filmbranche. Zur Begründung führten sie insbesondere an, dass die Nutzungsrechtsinhaber durch die in den Rückrufsrechten selbst enthaltenen Entschädigungsklauseln hinreichend geschützt seien. Kritisiert wurde ferner die zweijährige gesetzliche Ausschlussfrist beim Rückrufsrecht wegen Nichtausübung: Man verwies hier auf tagesaktuelle Manuskripte, die nach Ablauf dieser Frist wertlos zu werden drohten. Vereinzelt warf man die Frage auf, ob die Regelung urhebervertragsrechtlicher Fragen im Urheberrechtsgesetz überhaupt angezeigt oder nicht eher einem künftigen Urhebervertragsgesetz vorzubehalten sei. Private Sachverständige und prominente Urheber traten dieser Kritik bei und ergänzten sie um weitere Punkte: So hielt man die in der Regelung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung vorgesehene Möglichkeit der bis zu fünfjährigen Abbedingung des Rückrufsrechts auch für den Filmbereich für ausreichend. Überdies sollte die Entschädigungspflicht des wegen Nichtausübung zurückrufenden Urhebers entfallen sowie klarer zum Ausdruck gebracht werden, dass der Rückruf sonstige Rechte und Ansprüche, etwa das Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache, unberührt ließ. Schließlich befürwortete man, das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung auf den Rechtsnachfolger des Urhebers auszudehnen. Die Positionen der Vertreter der Verwertungsindustrie zum Rückrufsrecht wegen Nichtausübung reichten von Zufriedenheit mit den Vorschlägen des Referentenentwurfs über den Wunsch nach weiteren tatbestandlichen Einschränkungen bis hin zur Wiederholung der bereits in den 1930er Jahren erhobenen Forderungen nach einer ersatzlosen Streichung der Vorschrift. Hinsichtlich des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung setzte man sich – wenig überraschend – für einen stärkeren Ausbau des Missbrauchsund Investitionsschutzes ein. Konkret forderte man, das Wirksamwerden des Rückrufs von der vollständigen Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers abhängig zu machen und eine Wiederanbietungspflicht einzuführen. Die Filmindustrie verlangte überdies, die Möglichkeit des vertraglichen Vorabverzichts auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung auszudehnen. Private Sachverständige wiesen mit Blick auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung vornehmlich auf die bereits in der Vergangenheit angemahnten Auslegungsschwierigkeiten hin, welche sich aus dem Begriff der „unzureichenden Ausübung“ zwangsläufig ergaben. Die ebenfalls zur Stellungnahme berufenen amtlichen Stellen auf Bundesund Landesebene griffen Aspekte aus beiden Sachverständigenlagern auf. So sprach man sich mehrheitlich für eine Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers aus, wobei jedoch klargestellt werden sollte, dass einzig ein Überzeu-
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gungswandel des Urhebers, nicht aber ein solcher des Rechtsnachfolgers oder gar des Publikums maßgeblich sein dürfe. Ferner befürwortete man eine stärkere Verhaftung des wegen Überzeugungswandels zurückrufenden Urhebers. Im Anschluss an den BGH und die Verwertungsindustrie wurde eine angemessene, von Billigkeitserwägungen unabhängige Entschädigungspflicht gefordert, von deren Bewirkung das Wirksamwerden des Rückrufes abhängig sein sollte. Ebenfalls zum Schutze des Nutzungsrechtsinhabers sollte eine § 35 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 VerlG vergleichbare Wiederanbietungspflicht eingeführt werden. Im Gesamten erblickte man im Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung eine erfreuliche Stärkung des Urheberpersönlichkeitsschutzes. Nur folgerichtig war es demnach, dass die Bundes- und Landesbehörden einschließlich des BGH die Ausschluss- und Abbedingungsregelungen für Werke der Kunstgewerbebranche sowie für Filmwerke als unangemessene Beschneidung des droit moral ablehnten. Sie verwiesen vielmehr auf den ausreichenden Schutz des Nutzungsrechtsinhabers durch die bereits in den Rückrufsvorschriften selbst enthaltenen Sicherungsklauseln, allen voran den temporären Ausübungsausschluss beim Rückrufsrecht wegen Nichtausübung und die (erweiterte) Entschädigungspflicht beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung. Auch die Literatur betonte die persönlichkeitsrechtliche Schutzrichtung der Rückrufsrechte, befürwortete jedoch ebenfalls, das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung durch die Einführung einer Wiederanbietungspflicht und die Erhebung der Entschädigungsbewirkung zur Wirksamkeitsvoraussetzung stärker gegen Rechtsmissbrauch zu sichern. Zum Teil verwies man auf das droit de repentir ou de retrait der zeitgleich im Entstehen begriffenen (jedoch bereits 1957 abgeschlossenen) französischen Urheberrechtsnovelle, welches – ähnlich wie bereits das italienische Urheberrecht – keinerlei Rückrufsgründe verlangte, die Wirksamkeit des Rückrufs jedoch von der vollumfänglichen Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers abhängig machte. Entgegen der Behauptung Hirschs war das „deutsche“ Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung jedoch nicht dem französischen Urheberrecht entlehnt. Wie die entsprechende italienische Vorschrift auch, wurde das droit de repentir ou de retrait allenfalls als Orientierungshilfe bzw. Vergleichsmaßstab, nicht aber als unmittelbares Vorbild herangezogen. Ambivalent waren die Ausführungen zum Filmrecht: So forderte man teils eine Ausweitung der maßgeblichen Ausschluss- und Abbedingungsvorschriften, teils ihre Begrenzung bzw. gänzliche Streichung. Parallel zum Erscheinen dieser Stellungnahmen und Beiträge wurde der Referentenentwurf im Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der GRUR sowie in einer Reihe von Sitzungen im BMJ beraten. Der Fachausschuss sprach sich ebenfalls für die Einführung einer Wiederanbietungspflicht
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aus. Daneben befürwortete man auch von dieser Seite, das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung auf den Rechtsnachfolger des Urhebers auszudehnen – ebenfalls mit der Maßgabe, dass einzig ein Überzeugungswandel des letzteren einen zulässigen Rückrufsgrund darstellen dürfe. Der Fachausschuss trat ferner dafür ein, zum Zwecke der Missbrauchsprävention auch die Wirksamkeit des Rückrufs wegen Nichtausübung von der vorherigen Zahlung der Entschädigung respektive der Hinterlegung hinlänglicher Sicherheiten abhängig zu machen. Im Gegenzug sollte die Abbedingungsregelung für im Rahmen der Filmproduktion vorbenutzte Werke entfallen. Mit Blick auf Werke des Kunstgewerbes schlug man vor, die Rückrufsrechte nur noch für festangestellte Urheber auszuschließen. Die Frage der Abbedingbarkeit der Rückrufsrechte im Filmbereich stand auch im Fokus der Erörertungen im BMJ, für welche die Ergebnisse der GRUR-Sitzungen als Grundlage dienten. Während sich die teilnehmenden Urheberverbände im Wesentlichen den Vorschlägen der GRUR anschlossen und eine Streichung der Abbedingungsmöglichkeit im Gegenzug für eine Verschärfung der Rücktrittsrechte befürworteten, sperrten sich die Vertreter der Filmindustrie vehement gegen diesen Vorschlag. Sie verwiesen auf die essentielle Bedeutung, die sowohl einer angemessenen Vorbereitungszeit als auch der freien Wahl des Veröffentlichungszeitpunkts mit Blick auf den wirtschaftlichen Erfolg von Filmproduktionen zukam. Da eine Einigung nicht in Sicht war, wurde die Debatte schließlich ergebnislos abgebrochen. Der Referentenentwurf wurde im Anschluss auf Grundlage der Stellungnahmen, Beiträge und Beratungsprotokolle überarbeitet und im Mai 1959 als Ministerialentwurf vorgelegt. Das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung wurde darin nahezu identisch aus dem Referentenentwurf übernommen, nachdem man den Vorstoß des GRUR-Fachausschusses, das Wirksamwerden des Rückrufs auch hier von der vollständigen Entschädigungsbewirkung abhängig zu machen, ebenso verworfen hatte wie gegenteilige Vorschläge, den wegen Nichtausübung zurückrufenden Urheber gänzlich haftungsfrei zu stellen. Jedoch erfuhr die Norm eine Klarstellung dahingehend, dass die Ausübung der Rückrufsrechte Rechte und Ansprüche aus anderen Vorschriften unberührt ließ. Das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung wurde entsprechend der Masse der Änderungsvorschläge überarbeitet. So wurde sein Anwendungsbereich auf den Rechtsnachfolger des Urhebers ausgedehnt, der den Rückruf jedoch nur dann erklären konnte, wenn er nachwies, dass das Werk der Überzeugung des Urhebers nicht mehr entsprochen hätte. Ferner wurde eine grundsätzliche Ersatzpflicht eingeführt, welche sich der Höhe nach mindestens auf die Aufwendungen des Nutzungsrechtsinhabers belief. Man begründete dies damit, dass beim Rückruf wegen gewandelter Überzeugung der Grund für den Entzug des Nutzungsrechts allein in der Person des
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Urhebers lag und dieser deshalb in jedem Fall zum Ersatz verpflichtet sein müsse. Sofern der Urheber die dem Nutzungsrechtsinhaber entstandenen Aufwendungen nicht binnen einer angemessenen Frist ersetzte, war letzterer bis zur tatsächlichen Ersatz- oder Sicherheitsleistung zur Weiterausübung des Nutzungsrechts befugt. Schließlich setzte man auch die allseits geforderte Wiederanbietungspflicht um. Ein Ausschluss der Rückrufsrechte bestand fortan nur noch für Werke aus dem Bereich des Kunstgewerbes, die ein festangestellter Urheber im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen geschaffen hatte. Man verwies insofern auf die materielle Absicherung des angestellten Urhebers und das branchenspezifische Bedürfnis einer schnellen und leichten Verwertbarkeit. Im Bereich des Filmurheberrechts wurde die Möglichkeit der Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung für vorbenutzte Werke angesichts der als zureichend empfundenen, in den Rückrufsvorschriften selbst enthaltenen Fristenregelungen und (nochmals verschärften) Sicherungsinstrumente fallengelassen. Der Ausschluss für fertige Filmwerke wurde indes auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ausgedehnt. In den auf den Ministerialentwurf folgenden Stellungnahmen verschärften die Interessenverbände der Verwertungsindustrie ihren Ton teils erheblich. Das Verlagsgewerbe, das sich beim Referentenentwurf noch auf Änderungsvorschläge beschränkt hatte, forderte nunmehr die gänzliche Streichung der Rückrufsrechte: Als vermeintlich vertragsrechtliche Vorschriften scholl man sie Fremdkörper im Urheberrecht, die – wenn überhaupt – in einem eigenständigen Gesetz zu regeln seien. Für das Verlagswesen seien sie angesichts der bereits existenten Vertragsaufhebungsinstrumente ohnehin entbehrlich. Sollten die Rückrufsrechte beibehalten werden, verlangte man zumindest entsprechende Ausnahmen und Modifikationen zugunsten des Verlagswesens. Die Filmbranche wandte sich erwartungsgemäß gegen die Streichung der Abbedingungsmöglichkeit für vorbenutzte Werke, der BDI gegen die Streichung des Ausschlusses für beauftragte Urheber im Kunstgewerbe. Seitens der Urhebervertreter zeigte man sich mit den Änderungen im Wesentlichen einverstanden. Bezüglich des Ausschlusses der Rückrufsrechte für angestellte Urheber der Kunstgewerbebranche mahnte man an, dass der bloße Umstand, dass der Urheber ein Werk im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erschuf, nicht dazu führen dürfe, dass diesem persönlichkeitsrechtliche Befugnisse wie die Rückrufsrechte vorenthalten blieben. Kritik übte man überdies an der Ausschlussregelung für fertige Filmwerke. Auch der überwiegende Teil der Bundes- und Länderbehörden begrüßte die Regelung der Rückrufsrechte im Ministerialentwurf. Die von dieser Seite geäußerte Kritik betraf vornehmlich konkrete Fragen der Ausgestaltung bzw. Systematik der Rückrufsrechte: So sollte der Rechtsnachfolger den Rückruf
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wegen gewandelter Überzeugung nur erklären dürfen, wenn der Urheber dies letztwillig verfügt hatte. Hinsichtlich der Weiternutzungsbefugnis bis zur Entschädigungsbewirkung bzw. Sicherheitsleistung gab man zu bedenken, dass der Rückruf nach bisheriger Regelung mit Zugang der Rückrufserklärung wirksam wurde, so dass sich hier ein systematisch-logischer Bruch ergab. In der Jurisprudenz blieben die Äußerungen überschaubar: Hier regte man ebenfalls an, die Materie, wenn überhaupt, dann in einem eigenständigen Urhebervertragsgesetz zu regeln oder das Verlagsgesetz entsprechend zu überarbeiten. Als geradezu prophetisch sollte sich der Einwand erweisen, dass die Verschärfung der Entschädigungspflicht beim Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung letztlich dazu führe, dass sich nur solvente Urheber den Rückruf würden leisten können. Ab Juni 1960 wurde der Ministerialentwurf abermals im GRUR-Fachausschuss sowie im BMJ beraten. Der „Grüne Verein“ lehnte eine Ausgliederung der urhebervertragsrechtlichen Vorschriften in ein künftiges Urhebervertragsgesetz mit Blick auf die zu erwartende lange Dauer des Gesetzgebungsprozesses entschieden ab. Kontrovers diskutiert wurden nach wie vor die Ausschlussregelungen im Filmbereich. Hier unterstrich das Ministerium abermals, dass der Ausschluss nicht für vorbenutzte Werke gelten solle. Die Streichung der Abbedingungsmöglichkeit hatte demnach zur Folge, dass für Filmstoffe fortan die allgemeine, auf maximal fünf Jahre begrenzte Abbedingungsregelung galt. Zugleich bat der Fachausschuss um verschiedene Präzisierungen, etwa hinsichtlich des Beginns einer vertraglich vereinbarten Ausschlussfrist für das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung. Im BMJ wurde der Entwurf zunächst mit Vertretern der Interessenverbände erörtert. Auch hier standen die Ausschlussregelungen im Filmbereich im Zentrum der Debatte, wobei das Ministerium nochmals klarstellte, dass den wegen Nichtausübung zurückrufenden Urheber nur im Billigkeitsfalle eine Entschädigungspflicht traf. Zugleich betonte das BMJ den persönlichkeitsrechtlichen Charakter des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung und lehnte einen weiteren Vorstoß der Filmindustrie ab, selbiges zumindest bei einzig zur Filmproduktion geschaffenen Werken vollständig auszuschließen. Im Anschluss an die Beratungen wurde der Entwurf ministeriumsintern im Fachausschuss für Urheberrecht sowie mit anderen betroffenen Bundesressorts erörtert. Während das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung unverändert beibehalten werden sollte, einige man sich auf Grundlage der Beratungs ergebnisse auf eine Reihe von Änderungen des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung: So sollte klarer hervorgestellt werden, dass nicht nur der Wandel der Überzeugung, sondern auch eine hieraus resultierende Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung Voraussetzung des Rückrufs sein sollte. Zugleich sollte eindeutig festgelegt werden, ab wann ein erklärter
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Rückruf seine Wirkung entfaltete. Die umstrittene Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers sollte ebenfalls entsprechend der Diskussionsergebnisse präzisiert werden. Im Bereich der Ausschlussregelungen führten die intraministeriellen Beratungen zu einer bedeutenden Änderung zugunsten angestellter Urheber. Auf Betreiben des BArbM beschloss das BMJ, den ebenfalls umstrittenen Ausschluss der Rückrufsrechte für dauerhaft beschäftigte Urheber der Kunstgewerbebranche durch eine Regelung zu ersetzen, wonach die Rückrufsrechte grundsätzlich auch für angestellte Urheber Anwendung finden sollten, sofern sich aus dem konkreten Dienst- oder Arbeitsverhältnis nichts anderes ergab. Die Rückrufsrechte wurden im Regierungsentwurf, der Ende 1961 vorgelegt wurde, gemäß der Ministerialbeschlüsse revidiert. Die Neufassung des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung stellte klar, dass der Überzeugungswandel und die hieraus resultierende Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung kumulative Rückrufsvoraussetzungen darstellten und der Rückruf erst mit der vollumfänglichen Entschädigung des Nutzungsrechtsinhabers wirksam wurde. Der Rechtsnachfolger des Urhebers konnte den Rückruf fortan nur noch dann erklären, wenn ihm der Nachweis gelang, dass der Urheber vor seinem Tod zum Rückruf berechtigt gewesen wäre und lediglich an der Rückrufserklärung gehindert war bzw. diese letztwillig verfügt hatte. Für angestellte Urheber fügte man die besagte Regelung ein; im Filmurheberrecht blieben die Rückrufsrechte lediglich für bereits fertiggestellte Filmwerke ausgeschlossen. Der Regierungsentwurf wurde anschließend dem Bundesrat vorgelegt, welcher die Rückrufsrechte nicht beanstandete. Obwohl das eigentliche Gesetzgebungsverfahren damit bereits eingeleitet war, gingen weitere Positionspapiere der Interessenverbände ein. Erwähnung verdient hier insbesondere die Stellungnahme des Deutschen Journalisten-Verbandes, der mit Blick auf das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung kürzere gesetzliche Ausschlussfristen für Presseerzeugnisse forderte, um auf diese Weise den Interessen der Urheber schnelllebiger, tagesaktueller Werke besser Rechnung zu tragen. Seitens der Jurisprudenz wurden erste dogmatische Abhandlungen zum kurz vor dem Inkrafttreten stehenden Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung publiziert, in welchen zutreffend betont wurde, dass selbiges kein Novum sei, sondern lediglich eine faktisch bereits seit langem anerkannte, aus dem (Urheber-)Persönlichkeitsrecht fließende Befugnis in geschriebenes Recht goss. Ab März 1962 wurde der Entwurf im Bundestag behandelt. In der ersten Lesung hoben die regierenden Unionsparteien das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung als Beispiel für die Stärkung der Rechtsstellung des Urhebers hervor, während die oppositionelle SPD befürchtete, dass die be-
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reits im Vorfeld des eigentlichen Gesetzgebungsverfahren kontrovers diskutierte Regelung den weiteren Fortgang der Reform verzögern könnte. Bewahrheiten sollte sich dies jedoch nicht: So wurde der Entwurf insbesondere in den Unterausschüssen sowohl des Rechtsausschusses als auch des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik erörtert, ohne dass die Behandlung der Rückrufsrechte dort zu größeren Komplikationen führte. Zwar wurde insbesondere die Frage, ob das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung auch dem Rechtsnachfolger des Urhebers zustehen sollte, breit diskutiert, doch kam man hier relativ schnell zu einer Übereinkunft. Anstelle die Rückrufsmöglichkeit des Rechtsnachfolgers als eigenen Absatz zu regeln, sollte diese künftig mit dem eigentlichen Rückrufsrecht in einem Absatz zusammengezogen werden, um den Charakter des Rechtsnachfolgerrückrufs als Ausnahme gegenüber der Regel stärker zu betonen. Zudem wurde die Frist, binnen derer der Nutzungsrechtsinhaber dem zurückrufenden Urheber seine Aufwendungen mitzuteilen hatte, mit Blick auf Unterlizenzierungen auf drei Monate ab Erklärung des Rückrufs verlängert. Überdies entsprach man dem Wunsch des Journalisten-Verbandes, indem man sich auf die Einführung verkürzter Ausschlussfristen für Presseerzeugnisse beim Rückrufsrecht wegen Nichtausübung verständigte. Die Vorschriften für angestellte Urheber und Filmwerke wurden ohne größere Debatte angenommen. Nach Abschluss der Beratungen im Rechtsausschuss kam es zur zweiten und dritten Lesung des Entwurfes im Bundestag. Hier wurden die Rückrufsrechte jedoch ebensowenig thematisiert wie im Rechtsausschuss des Bundesrates oder dem anschließend eingesetzten Vermittlungsausschuss, so dass sie ohne weitere Veränderungen mit dem Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte am 1. Januar 1966 in Kraft traten.
H. Ausblick Ehe die vorliegende Untersuchung mit einem Fazit in Thesen schließt, gibt der nachfolgende Ausblick einen arrondierenden Überblick über die weitere legislatorische Entwicklung der Rückrufsrechte (I.) sowie die einschlägige Rechtsprechung (II.) von 1965 bis in die jüngste Vergangenheit.
I. Die Entwicklung der Rückrufsrechte seit 1965 Seit ihrem Inkrafttreten haben die Rückrufsrechte nur wenige Änderungen erfahren. Während § 42 UrhG noch heute in seiner ursprünglichen Form gilt, sind seit der Jahrtausendwende wiederholt Änderungen des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung vorgeschlagen und teilweise auch umgesetzt worden. So sah der im Vorfeld der Urhebervertragsrechtsreform von 20021 vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ – aufgrund des akademischen Hintergrunds seiner Autoren auch als „Professorenentwurf“ bezeichnet2 – eine Ergänzung des § 41 Abs. 1 UrhG vor, welche den unbestimmten Rechtsbegriff der unzureichenden Ausübung3 präziser fassen sollte. Konkret beabsichtigte man, den subjektiven Untätigkeitsvorwurf durch einen objekti1 Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern vom 22.03.2002; in Kraft seit 01.07.2002 (BGBl. I, 1155); Überblicke dazu liefern etwa Schricker, GRUR Int. 2002, S. 797 ff. und Jacobs, NJW 2002, S. 1905 ff. Zur Vorgeschichte Götz v. Olenhusen / Steyert, ZRP 2000, S. 526 ff. 2 Verfasst wurde der Entwurf von Adolf Dietz (Abteilungsleiter im Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München), Ulrich Loewenheim (Institut für Rechtsvergleichung der Universität Frankfurt am Main, Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main a. D.), Wilhelm Nordemann (Juristische Fakultät der Humboldt-Universität Berlin und Rechtsanwalt in Potsdam), Gerhard Schricker (Juristische Fakultät der Universität München und Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München) sowie Martin Vogel (Mitglied der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, Richter am Bundespatentgericht, München); kritisch zum „Professorenentwurf“ etwa Flechsig, ZUM 2000, S. 484 ff. (zu den die Rückrufsrechte betreffenden Vorschlägen im Speziellen S. 495) sowie Schack, ZUM 2001, S. 453 ff. 3 Wie gezeigt werden konnte, ist diese Kritik im Grunde so alt wie das urheberrechtliche Rücktritts- bzw. Rückrufsrecht wegen Nichtausübung an sich – siehe allein oben, F. II. 4. lit. a) bb).
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ven Maßstab zu ersetzen, nach dem eine unzureichende Ausübung immer dann angenommen werden sollte, wenn dem Urheber aus der Ausübung des Nutzungsrechts keine oder nach den Umständen zu geringe Erträge zuflossen4. Hierdurch sollte es dem Verwerter erleichtert werden, dem Urheber dort, wo seine Bemühungen vergeblich waren, die Rechte wieder zu überlassen. Dem Urheber sollte die geplante Neufassung insoweit entgegenkommen, als dieser das Ausbleiben des (objektiven) Verwertungserfolges zwar relativ leicht belegen kann, der Nachweis eines fehlenden (subjektiven) Bemühens des Nutzungsrechtsinhabers jedoch regelmäßig nur schwer möglich ist. Die Ergänzung sollte ihn von der diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast befreien, auch da der – mit der Ankündigung des Rückrufs durch Nachfristsetzung zwangsläufig verbundene – Untätigkeitsvorwurf vielen Verwertern gegen die berufliche Ehre gehe und schon deshalb ihren Widerstand provoziere5. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit, das Rückrufsrecht temporär vertraglich auszuschließen (§ 41 Abs. 4 UrhG), von fünf auf vier Jahre verkürzt werden. Zur Begründung führte man an, dass derart lange Ausführungsdauern heute nicht einmal mehr im Filmbereich üblich seien und das Erfordernis der Nachfristsetzung aus § 41 Abs. 3 S. 1 UrhG das Wirksamwerden des Rückrufs in der Praxis regelmäßig ohnehin um bis zu ein Jahr verzögere.6 Durchsetzen konnten sich diese Vorstöße indes nicht: Die vorgeschlagene Änderung des § 41 Abs. 4 UrhG wurde bereits in der Überarbeitungsfassung des „Professorenentwurfes“ vom August 2000 fallengelassen7, während der im Mai 2001 vorgelegte Referentenentwurf des BMJ die Entwürfe von Dietz et al. zwar als verdienstvolle Vorarbeit lobte8, seinerseits jedoch keinerlei Änderungen des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung mehr vorsah9. Der Grund hierfür ist wohl in den harschen Reaktionen zu sehen, welche die Änderungsvorschläge auf Seiten der Verwertungsindustrie und der Fachpresse hervorriefen. Exemplarisch sei hier auf die kritische Würdigung des Münchener Rechtanwaltes Mathias Schwarz (SKW Schwarz Rechtsanwälte) verwiesen, der die Vorschläge zu § 41 UrhG im Allgemeinen als potentielle „Folterinstrumente“ zulasten der Verwerter, die Ausführungen zur Produktionsdauer von Filmwerken im Kontext des § 41 Abs. 4 UrhG gar als „ersichtlich unsinnig“ und „mit den Produktionsgegebenheiten in keiner
4 Im Wortlaut: „Unzureichend ist die Ausübung insbesondere dann, wenn dem Urheber aus der Ausübung des Nutzungsrechts keine oder nach den Umständen zu geringe Erträgnisse zufließen“, Dietz et al., UrhG-E 05 / 2000, S. 9 f. 5 Dietz et al., UrhG-E 05 / 2000, S. 50. 6 Dietz et al., UrhG-E 05 / 2000, S. 9 f., 50 f. 7 Dietz et al., UrhG-E 08 / 2000, S. 9 f., 49 f. 8 BMJ, RefE 2001, S. 21. 9 Siehe BMJ, RefE 2001, S. 9 f.
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H. Ausblick
Weise übereinstimmend“ bezeichnete10. Ähnliche Töne schlug der Arbeitskreis Verwerter an, der in der vorgeschlagenen „Objektivierung“ des § 41 Abs. 1 UrhG eine „Strafe“ für solche Nutzungsrechtsinhaber erblickte, die sich um die ökonomisch prinzipiell risikoreiche Etablierung junger Autoren, Musik- oder Filmurheber bemühten11. Erwähnung verdient jedoch das im Zuge der Reform von 2002 eingeführte Rückrufsrecht bei Unternehmenstransaktionen (§ 34 Abs. 3 S. 2 und 3 UrhG), welches dem Urheber den Rückruf gestattet, wenn ihm die Ausübung des Nutzungsrechts durch den Unternehmenserwerber nach Treu und Glauben unzumutbar ist12. Nicht zuletzt ist darin eine späte Umsetzung jener Forderungen zu sehen, welche bereits im Kontext der Einführung des § 35 VerlG – d. h. über hundert Jahre zuvor – eine Möglichkeit zur Vertragsaufhebung bei Veränderungen in der Person des Verwerters verlangt hatten13. Für diese Konstellation hatte man bis dahin auf den „Notbehelf“ des Sonderkündigungsrechts aus wichtiger Ursache zurückgegriffen, dessen ungebrochene Anwendbarkeit der BGH bereits 1954 bestätigt hatte14.
10 Schwarz, M., S. 7; speziell zum Filmurheberrecht Kreile, ZUM 2001, S. 302. Auch Kreile brachte eine seitens der Filmindustrie bereits in der Vergangenheit ins Feld geführte Argumentation an, wonach eine Ausdehnung der Rückrufsrechte zwangsläufig zu einer Schwächung der deutschen Filmwirtschaft gegenüber der internationalen Konkurrenz führe – siehe etwa oben, G. I. 3.; ähnlich auch Geulen / Klinger, ZUM 2000, S. 893. 11 Arbeitskreis Verwerter, S. 50, ferner die Ausführungen der SPIO, siehe Poll, S. 14 f. Sämtliche im Zuge des Gesetzgebungsprozesses vorgelegten Stellungnahmen sind abrufbar unter http: / / www.urheberrecht.org / UrhGE-2000 / . Die Verwertung von Erstlingswerken bzw. Werken (noch) unbekannter Urheber erachteten Werknutzer seit der frühen Neuzeit als wirtschaftlich besonders risikobehaftet, siehe – siehe oben, A. II. 2. 12 Dazu statt vieler v. Pfeil, S. 89 ff.; Koch-Sembdner, passim sowie speziell im Kontext des Verlagswesens ders., AfP 2004, S. 211 ff. 13 Siehe oben, E. (ab II. 2.). 14 Siehe Hemler, GRUR 1994, S. 582 mit Verweis auf BGHZ 15, 209 [213]; der BGH stützte sich insofern ausdrücklich auf die oben unter E. VIII. 2. lit. c), F. I. 2. lit. a) und c) dargestellte Rechtsprechung des RG zum Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache (RGZ 79, 156 [160]; 112, 173 [188]; 140, 264 [275]) und unterstrich dessen Anwendbarkeit im Falle personeller Veränderungen auf Werknutzerseite („Verlagsverträge als Dauerschuldverhältnisse, die eine Vertrauensbeziehung zwischen den Vertragsparteien voraussetzen“); einen Überblick der Rechtsprechung zum Sonderkündigungsrecht bis zum Jahr 2010 liefern Loewenheim / J. B. Nordemann, in: Loewenheim, Handb. § 26 Rn. 17 ff.; Hemler, GRUR 1994, S. 583 erläutert zudem treffend, weshalb insbesondere § 42 UrhG im Fall der Unternehmensveräußerung unanwendbar ist („Voraussetzung für einen Rückruf […] ist die veränderte Überzeugung des Autors in bezug [sic] auf sein Werk. Beim Unternehmensverkauf handelt es sich jedoch um Veränderungen in der Person des Verlegers“).
I. Entwicklung der Rückrufsrechte seit 1965499
Zu einer tatsächlichen Änderung des § 41 UrhG – wenn auch in anderer Hinsicht – kam es schließlich über zehn Jahre später. § 41 Abs. 4 UrhG, welcher den vertraglichen Ausschluss des Rückrufsrechts auf maximal fünf Jahre begrenzte, wurde durch das Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung vom 20. Dezember 2016 neu gefasst15. Die seit dem 1. März 2017 gültige Neuregelung legt fest, dass das Rückrufsrecht aus § 41 UrhG einzig dann ausgeschlossen werden kann, wenn zwischen Urheber- und Werknutzerverbänden respektive einzelnen Werknutzern geschlossene Vergütungsregeln oder Tarifverträge dies vorsehen. Ausweislich der Gesetzesbegründung wird der Urheberschutz damit an das Regelungsregime für die angemessene Vergütung (§§ 32 ff. UrhG)16 und das Recht zur anderweitigen Verwertung nach zehn Jahren bei pauschaler Vergütung (§ 40a UrhG) angeglichen17. In der Literatur als „inhaltlich nicht überzeugende Entscheidung“18 kritisiert, ging auch dieser Regelung eine Reihe an Vorschlägen zur „effizienteren Ausgestaltung“19 des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung voraus. So sah der im Oktober 2015 vorgelegte Referentenentwurf des BMJ – abgesehen von der besagten Neufassung des Abs. 4 – eine Änderung des § 41 Abs. 1 UrhG dergestalt vor, dass der Urheber künftig zum Rückruf berechtigt sein sollte, wenn der Berechtigte sein Nutzungsrecht für einen „unangemessen langen Zeitraum“ nicht ausübte. Auch sollte die Verletzung berechtigter Urheberinteressen nicht mehr länger Voraussetzung für einen Rückruf sein. § 41 Abs. 2 sollte um einen Satz erweitert werden, der die gesetzliche Vermutung aufstellte, dass eine „unangemessen lange“ Nichtausübung jedenfalls dann vorläge, wenn das Nutzungsrecht für zwei Jahre weder ausgeübt noch seine Ausübung vorbereitet wurde20. Ferner sah der Entwurf in § 40a die Einführung eines „Rückrufsrechts wegen anderweitiger Nutzung“ vor, welches dem Urheber gestatten sollte, ein ausschließliches Nutzungsrecht nach fünf Jahren zurückzurufen, sofern er den Abschluss eines Parallelvertrages mit einem Zweitverwerter nachwies21. Dem 15 Dazu
bereits oben, Einleitung / Fn. 21. gesetzliche Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung war im Rahmen der Reform von 2002 eingeführt worden. Dazu statt vieler Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 32 Rn. 1 ff. und § 32a Rn. 1 ff. (jeweils m. w. N.) sowie speziell aus Urhebersicht Schimmel, ZUM 2010, S. 95 ff. 17 BT-Drs. 18 / 8625, S. 30. 18 Grünberger, ZUM 2017, S. 328. 19 BMJ, RefE 2015, S. 10. 20 BMJ, RefE 2015, S. 6. 21 BMJ, RefE 2015, S. 5 f.: „(1) Der Urheber kann ein ausschließliches Nutzungsrecht nach Ablauf von fünf Jahren zurückrufen, sofern sich ein anderer Vertragspartner zur Nutzung nach dem Rückruf verpflichtet hat. (2) Die Frist nach Absatz 1 beginnt mit der Einräumung oder Übertragung des Nutzungsrechts oder, wenn 16 Der
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Erstverwerter verblieb in diesem Fall gemäß § 40b die vorkaufrechtsähnliche Befugnis, die Verwertung zu den Konditionen des Konkurrenzangebots fortzusetzen22. Auch diesem Entwurf waren private Vorschläge vorausgegangen, so der u. a. von Wissenschaftlern der Universität zu Köln im November 2014 vorgelegte „Kölner Entwurf“23, welcher die Rückrufsrechte in ihrer bisherigen Fassung als „kaum wirkungsvoll“24 kritisierte und vergleichbare Änderungen des § 41 UrhG vorsah25. Indes fanden weder die Änderungen des § 41 Abs. 1 und 2 UrhG noch das Rückrufsrecht wegen anderweitiger Nutzung Eingang in den Regierungsentwurf, den das Bundeskabinett im März 2016 beschloss. Beibehalten wurde lediglich die Änderung des Abs. 4, welche in dieser Form auch verabschiedet wurde26. Die Gründe lagen hier abermals in der breiten Kritik, welche den geplanten Neufassungen aus der Verwertungsindustrie, aber auch von Seiten der Jurisprudenz entgegenschlug. So gab etwa das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb zu bedenken, dass mit dem Wegfall des Erfordernisses der Verletzung berechtigter Urheberinteressen auch die notwendigerweise objektive Betrachtung des Sachverhalts das Werk später abgeliefert wird, mit der Ablieferung. Der Rückruf wird sechs Monate nach Zugang der Rückrufserklärung wirksam. (3) Die Bestimmungen zu Mit urhebern (§ 8) und zu Urhebern verbundener Werke (§ 9) sind anzuwenden. (4) Der Rückruf ist ausgeschlossen, wenn 1. das Werk Grundlage einer Marke oder eines sonstigen Kennzeichens, eines Designs oder eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist und das entsprechende Schutzrecht besteht, sowie 2. die Nutzung gemäß Nummer 1 zwischen dem Urheber und dem Werknutzer in Textform vereinbart worden ist. (5) Mit dem Wirksamwerden des Rückrufs erlischt das Nutzungsrecht des bisherigen Inhabers. Gleiches gilt für ein Nutzungsrecht, das der bisherige Inhaber einem Dritten eingeräumt oder übertragen hat. (6) Von den Absätzen 1 bis 5 kann zum Nachteil des Urhebers nur durch eine Vereinbarung abgewichen werden, die auf einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36) oder einem Tarifvertrag beruht“. 22 BMJ, RefE 2015, S. 6: „(1) Ruft der Urheber das Nutzungsrecht nach § 40a zurück, so finden zu Gunsten des bisherigen Inhabers des Nutzungsrechts die Vorschriften über das Vorkaufsrecht nach den §§ 463 bis 473 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung. An die Stelle des Kaufvertrags tritt die Vereinbarung mit dem anderen Vertragspartner gemäß § 40a Absatz 1. (2) Die Frist zur Ausübung des Rechts entsprechend § 469 Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beträgt einen Monat“. 23 Konkret wurde der „Kölner Entwurf“ von Karl-Nikolaus Peifer, Dieter Frey und Matthias Rudolph unter Mitwirkung von Christopher Nohr und Benjamin Wahlen ausgearbeitet. 24 Universität zu Köln / Frey Rechtsanwälte, S. 1. 25 Neben den „Kölner Entwurf“ trat der vom Carl Hanser Verlag, Constantin Film, der Münchner Verlagsgruppe, ProSiebenSat.1, dem Verlag C. H. Beck, Wiede mann & Berg Filmproduktion und der Sozietät SKW Schwarz vorgelegte „Münchner Entwurf“. Die Rückrufsrechte wurden im „Münchner Entwurf“ nicht thematisiert, siehe Carl Hanser Verlag et al., S. 2 ff. Ausführlich zum Einfluss der Privatentwürfe auf den Referentenentwurf Kreile / Schley, ZUM 2015, S. 837 ff. 26 BMJ, RegE 2016, S. 7.
I. Entwicklung der Rückrufsrechte seit 1965501
entfiele. „Keinen Bedarf“ sah man auch für die vorgeschlagene Ergänzung des Abs. 2; insofern verwies man auf das richterliche Entscheidungsermessen.27 Exemplarisch für die Verwertungsindustrie erachtete der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die mit den geplanten §§ 41 Abs. 1 und 2 faktisch einhergehende Zementierung von „Rückrufrechten nach starren Fristen und ohne eine Interessenabwägung [als gänzlich] inakzeptabel“28, da der Urheber in der Folge selbst dann Rechte zurückrufen konnte, wenn ihm durch die Nichtausübung keinerlei Nachteil entstand. Das geplante Rückrufsrecht wegen anderweitiger Nutzung wurde nach ähnlich ablehnenden Reaktionen, welche insbesondere die mit der Regelung zwangsläufig einhergehende Erhöhung des wirtschaftlichen Risikos des Nutzungsrechtsinhabers und eventueller Sublizenznehmer monierten29, ebenfalls fallengelassen und war bereits im Regierungsentwurf nicht mehr vorgesehen30. Von den die Rückrufsrechte flankierenden Normen wurde § 90 UrhG, welcher die §§ 41, 42 UrhG im Filmbereich teilweise ausschließt, sowohl im Zuge der 2002er- als auch der 2016er-Reform modifiziert. Die Verfasser des „Professorenentwurfes“ hatten zunächst die ersatzlose Streichung des § 90 UrhG gefordert, in welchem sie eine nicht mehr zeitgemäße Privilegierung einer einzelnen Verwerterbranche erblickten31. Nachdem dieser Vorstoß sowohl in der Filmwirtschaft32 als auch in der Jurisprudenz, wo man im Ausschluss der Rückrufsrechte ungebrochen die „wichtigste Vorschrift des Filmurheberrechts“33 erblickte, auf breite Ablehnung stieß, behielten sowohl 27 Hilty
et al., S. 16. S. 13. Sämtliche im Zuge des Gesetzgebungsprozesses vorgelegten Stellungnahmen sind abrufbar unter http: / / www.urheberrecht.org / topic / Urhe bervertragsrecht / . 29 Siehe allein Hilty et al., S. 8 ff., die Stellungnahme des „Grünen Vereins“ (GRUR, S. 5 ff.), des Börsenvereins, S. 5 ff. sowie Berger / Freyer, GRUR 2016, S. 13 ff. 30 Stattdessen wurde ein „Recht zur anderweitigen Verwertung nach zehn Jahren bei pauschaler Vergütung“ vorgeschlagen, welches letztlich auch Eingang in das Gesetz fand, siehe BMJ, RegE 2016, S. 6 f.; siehe dazu auch die Äußerungen der Abgeordneten Tabea Rößner (Bündnis 90 / Die Grünen) und Volker Ullrich (CDU / CSU) im Rahmen der ersten Lesung des Gesetzentwurs im Bundestag, 176. Sitzung BT, 18. Wp, Plenarprotokoll 18 / 176 [09.06.2016], S. 17414 A, 17417 B f. sowie die vorangehenden Äußerungen einzelner Abgeordneter der im Bundestag vertretenen Fraktionen, Steinhau, S. 1. 31 Dietz et al., UrhG-E 05 / 2000, S. 13, 54 bzw. dies., UrhG-E 08 / 2000, S. 12, 53 f. 32 Siehe allein Poll, S. 11 f. („destruktive Wirkung“ einer Streichung des § 90 UrhG). Bei Schack, GRUR 2002 heißt es insofern, der Druck aus der Filmwirtschaft sei „von Anfang an […] so stark“ gewesen, dass mit Blick auf das Filmurheberrecht „mehr als ein höchst bescheidenes Reförmchen nicht herausgekommen“ sei. 33 Geulen / Klinger, ZUM 2000, S. 892, die überdies einen Überblick über die ihrer Ansicht nach drohenden, nur „ansatzweise absehbar[en]“ Auswirkungen einer Streichung des § 90 UrhG gaben. 28 Börsenverein,
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H. Ausblick
der Referenten- als auch der Regierungsentwurf vom Mai bzw. Juni 2001 die Vorschrift in ihrer ursprünglichen Fassung bei34. Ein im Januar 2002 eingebrachter Antrag sah schließlich eine Neufassung des § 90 S. 2 UrhG vor, welche klarstellen sollte, dass der Ausschluss der Rückrufsrechte für Urheber vorbenutzter Werke erst mit dem Beginn der Dreharbeiten galt35. Ausweislich der Begründung handelte es sich dabei lediglich um einen deklaratorischen Satz, welcher die bisher anerkannte Rechtslage in gesetzliche Formen gießen sollte36. Eine weitere Änderung des § 90 UrhG erfolgte im Zuge der Reform von 2016. § 90 Abs. 1 UrhG wurde hier u. a. um einen dritten Satz erweitert, nach dem ein Ausschluss der Ausübung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung bis zum Beginn der Dreharbeiten im Voraus für eine Dauer von bis zu fünf Jahren vertraglich vereinbart werden kann37. Die Änderung war weder in den Privatentwürfen38 noch im Referenten- bzw. Regierungsentwurf39 vorgesehen, sondern Ergebnis der Beratungen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz40. Als solche ist sie Korrelat der Neufassung des § 41 Abs. 4 34 BMJ,
RefE 2001, S. 12; BT-Drs. 14 / 6433, S. 5. BMJ, Antrag, S. 12. Die vorgeschlagene Neufassung des § 90 UrhG lautete folgendermaßen: „(1) Die Bestimmungen über die Übertragung von Nutzungsrechten (§ 34) und über die Einräumung weiterer Nutzungsrechte (§ 35) sowie über das Rückrufrecht wegen Nichtausübung (§ 41) und wegen gewandelter Überzeugung (§ 42) gelten nicht für die in § 88 Abs. 1 und § 89 Abs. 1 bezeichneten Rechte. (2) Satz 1 findet bis zum Beginn der Dreharbeiten für das Recht zur Verfilmung keine Anwendung“. 36 BMJ, Antrag, S. 27 f. sowie BT-Drs. 14 / 8058, S. 22 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss] vom 23.01.2002); zur urheberrechtlichen Relevanz des Beginns der Dreharbeiten siehe bereits Roeber, GRUR Int 1973, S. 325 ff. 37 Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung vom 20.12.2016 (BGBl. I, 2037), § 90 UrhG lautet seit dem Inkrafttreten am 01.03.2017 wie folgt: „(1) Für die in § 88 Absatz 1 und § 89 Absatz 1 bezeichneten Rechte gelten nicht die Bestimmungen 1. über die Übertragung von Nutzungsrechten (§ 34), 2. über die Einräumung weiterer Nutzungsrechte (§ 35) und 3. über die Rückrufsrechte (§§ 41 und 42). Satz 1 findet bis zum Beginn der Dreharbeiten für das Recht zur Verfilmung keine Anwendung. Ein Ausschluss der Ausübung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung (§ 41) bis zum Beginn der Dreharbeiten kann mit dem Urheber im Voraus für eine Dauer von bis zu fünf Jahren vereinbart werden. (2) Für die in § 88 und § 89 Absatz 1 bezeichneten Rechte gilt nicht die Bestimmung über das Recht zur anderweitigen Verwertung nach zehn Jahren bei pauschaler Vergütung (§ 40a)“. Siehe dazu auch oben, Einleitung / Fn. 22. 38 Siehe Universität zu Köln / Frey Rechtsanwälte, S. 7; Carl Hanser Verlag et al., S. 7. 39 Siehe BMJ, RefE 2015, S. 7 bzw. dass., RegE 2016, S. 8. 40 Im Rahmen der den Beratungen vorangegangenen ersten Lesung im Bundestag war die Streichung der fünfjährigen Abbedingungsmöglichkeit lediglich kurz thema35 Siehe
II. Rechtsprechung seit 1965503
UrhG, wonach ein individualvertraglicher Ausschluss des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung nicht mehr möglich ist. In der Folge wären Filmhersteller, wollten sie einen Rückruf wegen Nichtausübung vermeiden, gezwungen gewesen, Filmprojekte binnen zwei Jahren (Sperrfirst des § 41 Abs. 2 S. 1 UrhG) auszuführen, was man von dieser Seite als praktisch viel zu kurz kritisierte, vor allem da nicht mit allen maßgeblichen Urheberverbänden kollektivrechtliche Vereinbarungen im Sinne der Neufassung des § 41 Abs. 4 UrhG bestanden41. Der Ausschuss folgte dieser Argumentation und hielt damit die Regelung des § 41 Abs. 4 S. 2 UrhG a. F. für den Filmbereich aufrecht42.
II. Rechtsprechung seit 1965 Die ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Rückrufsrechten wegen Nichtausübung und gewandelter Überzeugung seit 1965 ist verhältnismäßig überschaubar43. Entsprechendes gilt für die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte. Im Folgenden sollen diejenigen Entscheidungen beleuchtet werden, die aufgrund ihres Grundsatzcharakters besondere Erwähnung verdienen. So entschied der BGH in zwei Urteilen aus den Jahren 1969 und 1972, dass ein Rückruf von Nutzungsrechten an einem bestimmten Werk, die ausreichend ausgewertet worden sind, nicht damit begründet werden kann, dass der Nutzungsberechtigte andere ihm zur Verbreitung überlassene Werke desselben Urhebers nicht hinreichend betreut und gefördert habe44. Anderertisiert worden. So bezeichnete Tabea Rößner –siehe oben, H. I. / Fn. 30 – die Neufassung des § 41 Abs. 4 und den vorgeschlagenen § 40a (siehe oben, Fn. 28) als „nicht Fisch und nicht Fleisch“; konkrete Vorschläge wurden in diesem Zusammenhang jedoch nicht unterbreitet, siehe 176. Sitzung BT, 18. Wp, Plenarprotokoll 18 / 176 [09.06.2016], S. 17414 A. Bereits im Vorfeld der Lesung hatte Rößner betont, man setze seitens der Grünen auf „das bestehende Rückrufsrecht wegen Nichtausübung“, siehe Steinhau, S. 1. 41 Siehe das Positionspapier des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e. V. vom Dezember 2015, S. 18 f. 42 BT-Drs. 18 / 10637 (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss] vom 13.12.2016), S. 13, 24. 43 Siehe insofern auch bereits die Fußnotennachweise oben, Einleitung. 44 BGH, Urt. v. 11.06.1969 – I ZR 54 / 67 – Musikverleger I (= GRUR 1970, S. 40) und Urt. v. 01.12.1972 – I ZR 18 / 71 – Musikverleger II (= GRUR 1973, S. 328 [m. Anm. Bielenberg]). Im Anschluss an die bereits seit den ersten Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten des Verlagsgesetzes herrschende Auffassung (siehe allein oben, E. VIII. 1. lit. b) cc), dd), ee) und gg)) stellte der BGH in „Musikverleger I“ (GRUR 1970, S. 43) mit Verweis auf BGH, Urt. v. 19.11.1954 – I ZR 241 / 52 – Ludwig Thoma (= GRUR 1955, S. 256 [258]) überdies klar, dass es sich bei dem Rücktrittsrecht nach § 17 VerlG „um einen Rückruf der dem Verleger übertragenen Auswertungsrechte [handelt], der in seiner rechtlichen Auswirkung einer Kündigung des
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H. Ausblick
seits muss ein Nutzungsrechtsinhaber bei Werken, die sich einer derartigen Popularität erfreuen, dass sie im Grunde „Selbstläufer“ sind – so die Entscheidung des BGH zum bekannten „Hofbräuhauslied“ aus dem Jahr 1974 – nicht zwangsläufig weitere aktive Schritte zur Vermarktung unternehmen, um einen Rücktritt oder Rückruf wegen Nichtausübung auszuschließen45. In den 1980er Jahren stellten die Bundesrichter klar, dass die §§ 41, 42 UrhG nicht von den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten verdrängt werden, sondern parallel zu diesen anwendbar sind46, wobei jedoch bei Verlagsverträgen vorrangig die Anwendbarkeit der §§ 17, 30 und 32 VerlG zu prüfen sei47. Dass die bereits im Zuge der Entstehung des Rücktritts- bzw. Rückrufsrechts wegen Nichtausübung kontrovers geführte Debatte um den unbestimmten Rechtsbegriff der „unzureichenden Ausübung“ keineswegs rein akademischer Natur war, zeigt ein Urteil des OLG München aus dem Jahr 1997. Demnach ist die Frage, ob ein Nutzungsrecht unzureichend ausgeübt wurde, anhand des Vertragszwecks, der Branchengepflogenheiten sowie einer Intressenabwägung nach Treu und Glauben zu beurteilen48. Auf Grundlage dieses Maßstabes ergingen in den Folgejahren diverse, branchen- und einzelfallabhängige Entscheidungen zur Frage des Vorliegens einer unzureichenden Ausübung – so etwa im Verlags- und Filmwesen49. Im Jahr 2003 urteilte das Vertrags gleichsteht“. Dies belegt zugleich, dass der Begriff des „Rückrufs“ für die Aufhebung von Nutzungsrechten (auch) in der Rechtsprechung bereits vor seiner Normierung im Jahr 1965 gebräuchlich war. 45 BGH, Urt. v. 05.12.1973 – I ZR 51 / 72 – Hofbräuhauslied (= GRUR 1974, S. 789); a. A. heute Wandtke, in: Wandtke / Bullinger, UrhG, § 41 Rn. 13 m. w. N. 46 Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 41 Abs. 7 UrhG, siehe etwa oben, G. IV. 3. lit. b) sowie lit. c) aa) und bb). 47 BGH, Urt. v. 06.03.1986 – I ZR 144 / 83 – Ligäa (= GRUR 1986, S. 613); ferner BGH, Urt. v. 15.10.1987 – I ZR 114 / 85 – Sonnengesang (= GRUR 1988, S. 303); zuletzt OLG München, Urt. v. 06.12.2007 – 29 U 2420 / 07 (= BeckRS 2007, S. 65017; m. Anm. Musiol in FD-GewRS 2008, S. 250737). 48 OLG München, Urt. v. 12.06.1997 – 6 U 4308 / 96 – Fix und Foxi (oben, Einleitung / Fn. 18) – im konkreten Fall wurde eine unzureichende Ausübung angenommen, nachdem der Nutzungsrechtsinhaber bei einer vereinbarten wöchentlichen Erscheinungswiese auf eine monatliche Erscheinungsweise überging. Zur Frage der unzureichenden Ausübung im Verlagswesen siehe auch die RG-Rechtsprechung zu §§ 30, 32 VerlG – oben, E. VIII. 2. lit. a) und F. I. 2. lit. a). 49 BGH, Urt. v. 03.02.2011 – I ZR 134 / 08 – World’s End (= NJW 2011, S. 2732; Softcoverneuauflage bei Hardcovervorauflage als unzureichende Ausübung; zugleich auch zur Frage, wann eine den Rücktritt nach § 17 VerlG auschließende Neuauflage anzunehmen ist) sowie OLG Frankfurt, Urt. v. 19.08.2008 – 11 U 57 / 07 (= BeckRS 2010, S. 03391; unterlassene Werbemaßnahmen bei Musikverlagsverträgen) sowie LG München I, Urt. v. 10.05.2007 – 7 O 11550 / 06 (= ZUM 2007, S. 758; zur Frage, ab wann eine unzureichende Ausübung von Verfilmungsrechten anzunehmen ist und welchen zeitlichen Umfang eine „angemessene Nachfrist“ i. S. d. § 41 Abs. 3 S. 1 UrhG im Filmbereich erfordert).
II. Rechtsprechung seit 1965505
OLG München, dass ein vom Urheber erklärter Verzicht auf ausschließliche Befugnisse – hier auf das Urheberbenennungsrecht (§ 13 UrhG) – analog § 41 UrhG zurückgerufen werden kann50. Schließlich erging ab 2009 eine Reihe von Entscheidungen zur Auswirkung des Rückrufs nach § 41 UrhG auf Lizenzketten, wobei der BGH den Grundsatz aufstellte, dass ein einfaches Nutzungsrecht, das sich von einem ausschließlichen Nutzungsrecht ableitet, nicht untergeht, wenn das ausschließliche Nutzungsrecht auf Grund eines wirksamen Rückrufs erlischt51. Zugleich bestätigte er die (quasi-)dingliche Wirkung einfacher sowie ausschließlicher Nutzungsrechte52. Zum Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung selbst besteht – abgesehen von vereinzelten Entscheidungen ohne Grundsatzcharakter53 – keinerlei Rechtsprechung höherer Gerichte. Nichts anderes gilt für § 35 VerlG. § 42 UrhG wird jedoch regelmäßig in analoger Anwendung herangezogen, wenn es um die Untersagung der (fortgesetzten) Verbreitung persönlichkeitsrechtsverletzender Medieninhalte geht54. So entschied das OLG München im Jahr 1989, dass der Widerruf einer Einwilligung in die Veröffentlichung eines Bildnisses nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich ist, wobei der Begriff des „wichtigen Grundes“ in Fällen dieser Art „insbesondere durch entsprechende Heranziehung von § 35 VerlG und § 42 UrhG auszu füllen“55 sei. Gleichwohl bezieht sich diese Analogie nicht zwangsläufig auf die gesamte Regelung des § 42 UrhG. Steht eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild im Raum, besteht nach einem Urteil des AG Berlin-Charlottenburg aus dem Jahr 2002 mangels vergleichbarer Interessenlage kein Ersatzanspruch des Nutzungsrechtsinhabers entsprechend § 42 Abs. 3 UrhG, da das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwerer wiege als die durch das Urheberrechtsgesetz geschützte „urheberrechtlich relevante Nutzung“56. Der Schutz der Persönlichkeit dürfe in diesen Fällen nicht durch eine derart umfassende Ersatzpflicht erschwert werden, so dass allenfalls ein Anspruch analog § 122 50 OLG München, Urt. v. 22.05. 2003 – 29 U 5051 / 02 – Pumuckl-Illustrationen (= GRUR-RR 2004, S. 33). 51 BGH, Urt. v. 26.03.2009 – I ZR 153 / 06 – Reifen Progressiv (= GRUR 2009, S. 946, m. Anm. Scholz, ebd., S. 1107 ff.). 52 BGH, Urt. v. 19.07.2012 – I ZR 24 / 11 – Take Five (= ZUM 2012, S. 788, m. Anm. Szalai, ebd., S. 790 ff.) und Urt. v. vom 19.07.2012 – I ZR 70 / 10 – M2Trade (ZUM 2012, S. 782, m. Anm. Becker, ebd., S. 786 ff.); siehe dazu statt vieler auch Meyer-van Raay, NJW 2012, S. 3691 ff. sowie die bereits unter Einleitung, III. aufgeführte Literatur. 53 Siehe dazu bereits oben, Einleitung, dort insbesondere Fn. 28. 54 Dazu auch Frömming / Peters, NJW 1996, S. 959. 55 OLG München, Urt. v. 17.03.1989 – 21 U 4729 / 88 (= NJW-RR 1990, S. 999 [1000]). 56 Schulze, in: Dreier / Schulze, UrhG, § 42 Rn. 10.
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H. Ausblick
BGB in Betracht komme57. Ob dieser Ansatz auch vom BGH geteilt wird, ist bis dato jedoch offen. So lösten die Karlsruher Richter die Frage, ob nach dem Ende einer Beziehung ein Anspruch auf Löschung intimer Bildnisse besteht, über die Annahme einer zweckgebundenen Einwilligung entsprechend § 22 KUG58, ohne hierbei näher auf die Ausführungen des eine Analogie zu § 42 UrhG annehmenden Berufungsgerichts59 einzugehen60.
57 AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 21.02.2002 – 204 C 574 / 01 – Entschädigung wegen Widerrufs (= GRUR-RR 2002, S. 187 [188]); dazu auch Martin, S. 192 (dort fälschlich „§ 43 Abs. 3 UrhG“); ferner Ludyga, MMR 2017, S. 160. 58 BGH, Urt. v. 13.10.2015 – VI ZR 271 / 14 (= ZD 2016, S. 134 [135 ff.]). 59 OLG Koblenz, Urt. v. 20.05.2014 – 3 U 1288 / 13 (= ZUM 2015, S. 58 [61]). 60 Siehe dazu Tölle, ZUM 2016, S. 364 f.
I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit I. Im Zuge dieser Betrachtungen konnte nachgewiesen werden, dass die Entwicklung der Regelungen zur Nichtausübung von Nutzungsrechten und zum Umstands- bzw. Überzeugungswandel im deutschen Verlags- und Urheberrecht von einer bemerkenswerten Kontinuität geprägt ist, deren Ursprünge bis auf das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 zurückgehen. Auf Betreiben des preußischen Justizreformers Carl Gottlieb Svarez als spezialgesetzliche Ausprägung der clausula rebus sic stantibus in den §§ I 11 1005 ff. ALR normiert, sollte das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände der Nichterzwingbarkeit geistig-schöpferischer Tätigkeiten Rechnung tragen. Dabei wurde es von Anfang an auch als Instrument zum Schutz der ideellen Autoreninteressen verstanden. Als solches avancierte es im 19. Jahrhundert zum ungeschriebenen Rechtsgrundsatz und legislatorischen Vorbild im bzw. für das Verlagsrecht und die verlagsrechtlichen Kodifikationsbestrebungen anderer deutscher Staaten – wenngleich man in Österreich und Bayern andere Ansätze verfolgte. Nicht minder frühzeitig anerkannte man die Notwendigkeit eines Rücktrittsrechts für den Fall, dass der Verleger die Vervielfältigung und Verbreitung nicht oder unzureichend besorgte und damit seine verlagsvertragliche Hauptpflicht verletzte. Im Gegensatz zum Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände war dieser Grundsatz vor 1901 im Verlagsrecht jedoch nicht ausdrücklich kodifiziert, so dass man ihn mehrheitlich aus dem allgemein-schuldrechtlichen Rücktrittsrecht ableitete oder als konkludent vereinbart unterstellte. II. In der Folge konzentrierte sich die Auseinandersetzung mit den Rücktrittsrechten schnell auf konkrete Einzelfragen. Insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach einer möglichst weitgehenden Rücktrittsfreiheit des Autors und der Sicherung des Verlegers gegen einen Missbrauch der Rücktrittsrechte durch besondere Tatbestandsvoraussetzungen, temporäre Begrenzungen, Entschädigungsansprüche und Wiederanbietungspflichten sollte Gesetzgebung, Interessenvertreter und Jurisprudenz vom frühen 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein beschäftigen. Indes kam keines der Gesetzgebungsvorhaben des 19. Jahrhunderts zum Abschluss – zumeist scheiterten diese an den politischen Gegebenheiten oder an dem Umstand, so dass angesichts der überschaubaren Anzahl verlagsrechtlicher Gerichtsverfahren anderen, dringlicher erscheinenden Projekten der Vorrang eingeräumt wurde. Wenn die diversen Vorhaben die Auseinandersetzung mit und die wechselnden Auffassungen zu den Rücktrittsrechten auch gut dokumentieren,
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I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
blieb das preußische Landrecht bis zum Jahr 1901 dennoch die einzige Kodifikation, die genuine Autorenrücktrittsrechte vorsah. III. Auch im Zuge der Genese des gesamtdeutschen Verlagsgesetzes von 1901 griff man auf das preußisch-landrechtliche Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände als Vorbild zurück, wenngleich man sich im Ergebnis für eine bedeutend enger gefasste Vorschrift entschied, was der allgemeinen Tendenz des Gesetzes entsprach, im Zweifel den Interessen des Verlegers den Vorrang vor jenen des Autors einzuräumen. Zugleich wurden im Verlagsgesetz auch erstmals Rücktrittsrechte für den Fall der Nicht- oder Schlechtausübung des Verlagsrechts kodifiziert. Diese wurden, lässt man das (wenngleich umstrittene, doch für die weitere Entwicklung nachrangige) Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung bei Folgeauflagen außen vor, im weiteren Verlauf nicht grundlegend beanstandet. Ganz anders das Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände, welches man aufgrund seiner Beschränkungen – temporär bis zum Vervielfältigungsbeginn, materiell auf lediglich solche Umstandsänderungen, welche für den Autor unvorhersehbar waren – bereits im Zuge des Gesetzgebungsprozesses als Rückschritt zulasten der Autoren kritisierte, insbesondere im Vergleich zu seinem preußisch-landrechtlichen Vorbild. Auftrieb erhielten diese Stimmen durch die sukzessive Anerkennung des Urheberpersönlichkeitsrechts in Rechtsprechung und Literatur, welche eine nachhaltige Sensibilisierung weiter Kreise der Öffentlichkeit für den Schutz der ideellen Urheberinteressen zur Folge hatte. Dabei stellte insbesondere die Jurisprudenz die Rücktrittsrechte regelmäßig als Instrumente zum Schutz der Urheberpersönlichkeit hervor. IV. Die Befürchtungen der Kritiker bestätigten sich insofern, als die ersten höchstrichterlichen Entscheidungen zu den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten durch eine ausgesprochen restriktive Handhabung insbesondere des Rücktrittsrechts wegen veränderter Umstände bestachen. So ließ das RG den Rücktritt regelmäßig am Kriterium der – vom Autor zu beweisenden – Unvorhersehbarkeit der Umstandsänderung scheitern. Vor dem Hintergrund des medial-technischen Fortschritts des frühen 20. Jahrhunderts stellte sich zudem die Frage der Anwendbarkeit der Rücktrittsrechte auf Urheber-Werknutzer-Verträge außerhalb des Verlagsrechts. Für die Filmbranche verneinte das RG die Anwendbarkeit des Rücktrittsrechts wegen Nichtausübung mangels Vergleichbarkeit mit dem Verlagswesen, regte jedoch eine gesonderte Regelung des Rücktritts für nicht dem Verlagsgesetz unterfallende Werkarten an. V. Zugleich etablierte das RG mit dem Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache ein neben den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten stehendes Instrument zur Aufhebung von Verlagsverträgen für den Fall der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Autor und Verleger, auf das sich beide Parteien berufen konnten. Damit wurde faktisch ein Auffangtatbestand für
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die im Zuge der Genese des Verlagsgesetzes kontrovers diskutierte – und letztlich verneinte – Frage geschaffen, ob ein Rücktritt auch dann möglich war, wenn sich in der Person des Verlegers liegende Umstände veränderten, welche den Autor lediglich von einer Herausgabe bei diesem konkreten Verleger, nicht aber von der Herausgabe an sich abrücken ließen. Praktische Anwendung fand das Sonderkündigungsrecht im Folgenden jedoch vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus, wo es seitens der Verwertungsindustrie zur Auflösung von unliebsamen Nutzungsverträgen mit jüdischen Künstlern missbraucht wurde. Das Sonderkündigungsrecht war zudem zur Aufnahme in ein künftiges „Urheberschuldrecht“ vorgesehen, um das man sich im Jahr 1939 kurzzeitig bemühte. VI. Die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte dienten ihrerseits als Vorbild für die Ausgestaltung der Regelungen zur Vertragsaufhebung in den Entwürfen für ein neues Urheberrechtsgesetz, die ab den späten 1920er Jahren erarbeitet wurden. So sahen sämtliche bis 1932 vorgelegten privaten wie amtlichen Vorschläge Regelungen für den Fall der Nichtausübung ausschließlicher Nutzungsrechte vor, die sich mehr oder weniger stark an den Rücktrittsrechten des Verlagsgesetzes orientierten. Einzelne Aspekte wurden aus ausländischen Urheberrechtsgesetzen übernommen. Während sich die Notwendigkeit einer Urheberrechtsreform im Gesamten vor allem durch die technischen Neuerungen im Verbreitungswesen ergab, wirkte für die weitere Entwicklung der Regelungen zur Nutzungsrechtsaufhebung v. a. die internationale Anerkennung des Urheberpersönlichkeitsrechts in Art. 6bis der 1928 revidierten Berner Übereinkunft katalysierend. Hinzu trat das Bestreben, die Anwendungslücken des Verlagsgesetzes zu schließen. In der Folge wurde das im amtlichen Entwurf von 1932 vorgesehene Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung ausdrücklich als Instrument zum Schutz des persönlichen Urheber interesses hervorgestellt, mit seinem Werk auch tatsächlich zum Publikum durchzudringen – und zwar unabhängig vom Bestehen einer vertraglichen Verbreitungspflicht. Letzteres hatte zur Folge, dass sich fortan auch Urheber solcher Werke auf eine Nichtausübung berufen konnten, die bisher außerhalb des Verlagsgesetzes und damit des Anwendungsbereichs der verlagsrechtlichen Rücktrittsrechte standen. In der Praxis betraf dies vor allem Urheber zur Verfilmung bestimmter Werke. Um die Effektivität des Rücktrittsrechts zu gewährleisten, wurde ein vertraglicher Vorabverzicht ausdrücklich ausgeschlossen. Im Rahmen der Erörterung der Frage, wie Art. 6bis RBÜ in ein künftiges deutsches Urheberrechtsgesetz zu implementieren sei, tat sich der renommierte Urheber- und Verlagsrechtsexperte Hans Otto de Boor mit dem Vorschlag eines urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts hervor. Dieses sollte dem Urheber gestatten, auch nach dem Zeitpunkt des Vervielfältigungsbeginns die Veröffentlichung oder Verwertung seines Werkes zu untersagen, wenn dadurch eine erhebliche Gefährdung seines Ansehens oder
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I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
Rufes drohte. Obgleich zunächst als Gefahr für die Rechtssicherheit verworfen, fand das Verbietungsrecht ab 1933 als Unterabsatz der Regelung des Urheberpersönlichkeitsrechts Eingang in die amtlichen Entwürfe. Die offizielle Begründung zum Entwurf von 1934 bezeichnete es als deutsche Entsprechung des Art. 6bis RBÜ, Ausfluss der unlösbaren Verbundenheit zwischen Schöpfer und Werk und Instrument zum Schutz der Urheberpersönlichkeit – auch und insbesondere für den Fall des Überzeugungswandels. Um Rechtsmissbrauch auszuschließen, wurde das Verbietungsrecht im Entwurf von 1934 mit einem billigkeitsabhängigen Entschädigungsanspruch des Nutzungsrechtsinhabers versehen, welcher im Wortlaut der Entschädigungsregelung des Rücktritts- bzw. Rückrufsrechts wegen Nichtausübung entsprach. Diese Annäherung war der erste Schritt einer Entwicklung, die schließlich in die Umwandlung des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts in das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung münden sollte. Gleichwohl wurden das urheberpersönliche Verbietungsrecht und das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung zunächst als Instrumente von unterschiedlicher Rechtsnatur verstanden. VII. Dies zeigte sich vor allem daran, dass die ebenfalls in den 1930er Jahren vollzogene Umwandlung des Rücktrittsrechts in ein Rückrufsrecht allein Letzteres betraf. Bereits im Zuge der Entstehung des Verlagsgesetzes waren dogmatische Brüche zwischen den verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechten und dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip angemahnt worden. Die seit 1900 im BGB verankerte Trennung zwischen schuldrecht lichem Verpflichtungs- und dinglichem Verfügungsgeschäft wurde im Verlagsgesetz insofern verwässert, als die Nutzungsbefugnis darin ausschließlich auf dem Verlagsvertrag fußte. Dies zeigte sich u. a. daran, dass der Rücktritt nach §§ 17, 30, 32 oder 35 VerlG unmittelbar zum Erlöschen des Verlagsrechts führte. Hinzu traten schuldrechtliche Folgeprobleme, die sich u. a. daraus ergaben, dass sich Rücktritt und Schadensersatz nach damaliger Rechtslage exklusiv gegenüberstanden. Obwohl bereits die ersten Privatentwürfe der 1920er Jahre dieses Problem durch eine Umgestaltung des Rücktrittsrechts in ein auf die quasidingliche Ebene zielendes „Rückforderungs-“ oder „Rückübertragungsrecht“ zu lösen versuchten, sah der amtliche Entwurf von 1932 nach wie vor ein Rücktrittsrecht für den Fall der Nicht- oder unzureichenden Ausübung nach dem Muster des Verlagsgesetzes vor. Auch hier war es ein Vorstoß de Boors, der letztlich dazu führte, dass das Rücktrittsrecht wegen Nichtausübung ab dem amtlichen Entwurf von 1933 als Rückrufsrecht gefasst wurde, dessen Rechtsfolge das Erlöschen der Nutzungsbefugnis war. Abgesehen von der Gewährleistung dogmatischer Konsistenz brachte dies insbesondere den Vorteil mit sich, dass schuldrechtliche Ansprüche unberührt blieben, was andernfalls notwendige Sonderregelungen oder Verweise entbehrlich machte.
I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit511
VIII. Während das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht kaum beanstandet wurde, stieß das Rücktritts- bzw. Rückrufsrecht wegen Nichtausübung auf umso mehr Kritik. Die Interessenvertreter der Verwertungsindustrie wandten sich vehement gegen die Möglichkeit des Rückrufs bei lediglich unzureichender Ausübung, da man in dem hochgradig auslegungsbedürftigen Begriff eine Gefährdung der Vertrags- respektive Rechts sicherheit erblickte. Die Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf bis dato außerhalb des Verlagsgesetzes stehende Werkarten und seine Ausgestaltung als ex ante unabdingbar führte zu einem jahrzehntewährenden Streit um die Frage des gänzlichen Ausschlusses bzw. der Möglichkeit der (temporären) vertraglichen Abbedingung insbesondere des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung für bestimmte Werkarten oder Urheber. So insistierten Vertreter der Filmindustrie mit Verweis auf die typischerweise lange Herstellungsdauer und die hohen Produktionskosten von Filmwerken auf eine Möglichkeit zur Abbedingung bei zu verfilmenden Werken. Eine entsprechende Ausnahme forderten die Vertreter des Kunstgewerbes für angestellte und beauftragte Urheber ihrer Branche. Hier führte man den schwankenden Publikumsgeschmack, die finanzielle Absicherung des angestellten Urhebers sowie die Tatsache an, dass von einer Vielzahl kunstgewerblicher Entwürfe zwangsläufig nur wenige zur tatsächlichen Ausführung kamen. In der Folgezeit entbrannte eine hitzige Debatte über das Für und Wider derartiger Ausnahmevorschriften, bei der sich die Verwertungsindustrie letztendlich durchsetzte. Ab 1933 schlossen die amtlichen Entwürfe daher das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung insbesondere für fertige Filmwerke, unselbstständige Urheber sowie angestellte und beauftragte Urheber der Kunstgewerbebranche aus, während es für vorbenutzte Werke (etwa Filmmanuskripte und -musik) zeitlich unbegrenzt abbedungen werden konnte. Außerhalb dieser Sondervorschriften begrenzte man die Möglichkeit des vertraglichen Verzichts auf maximal fünf Jahre. IX. In den Jahren zwischen 1928 und 1939 wurden damit Weichen gestellt, die für die weitere Entwicklung der Rückrufsrechte von entscheidender Bedeutung waren. Ein nicht unmaßgeblicher Teil der Arbeiten fiel hierbei in die NS-Zeit. Dennoch ist ein genuin nationalsozialistischer Einfluss auf die Ausgestaltung der Rückrufsrechte ebenso wenig nachweisbar wie eine – gelegentlich behauptete – Entlehnung aus dem (faschistisch-)italienischen Urheberrecht. So waren zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ die für die künftige Entwicklung der Rückrufsrechte maßgeblichen Weichen – allen voran die Übernahme der Vorschläge de Boors – bereits gestellt. Sie wurden in die amtlichen Entwürfe von 1933, 1934 und 1939 implementiert und teilweise ergänzt, während der ausdrücklich als „nationalsozialistische Alternative“ präsentierte Entwurf des BNSDJ nicht zuletzt aufgrund der als unzureichend empfundenen Regelungen zum Urheberpersönlichkeitsschutz verwor-
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fen wurde. Im Ergebnis knüpften die Nationalsozialisten demnach – sowohl was das Urheberrecht im Gesamten als auch was die Befugnisse des Urhebers zur Nutzungsrechtsentziehung im Speziellen anbelangt – lediglich an bereits vorhandene Vorarbeiten an. Einzig auf Motivebene wurden einige Anstrengungen unternommen, das Rückrufs- und Verbietungsrecht zum Ausfluss nationalsozialistischen Urheberrechtsdenkens zu stilisieren. Entsprechendes galt für die verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte. So versuchte man etwa, § 35 VerlG in eine Stütze nationalsozialistischer „Kulturpropaganda“ umzudeuten. X. Angesichts dieser systemindifferenten Ausgestaltung machte die im BMJ gebildete Sachverständigenkommission bei der Wiederaufnahme der Reformarbeiten in den frühen 1950er Jahren den letzten amtlichen Vorkriegsentwurf zur Grundlage ihrer Arbeiten. Der 1951 vorgelegte „Berliner Entwurf“ – im Wesentlichen eine modifizierte Fassung des Akademieentwurfs von 1939 – übernahm das urheberpersönlichkeitsrechtliche Verbietungsrecht ebenso wie das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung und die dazugehörigen Abbedingungs- und Ausschlussregelungen. Gleichwohl enthielt der Entwurf einige bedeutende Änderungen. Setzte die Ausübung des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts bisher eine drohende Ruf- oder Ansehensgefährdung voraus, war für ein Verbot nunmehr ein Wandel der wissenschaftlichen oder künstlerischen Überzeugung des Urhebers maßgeblich, welcher ihm die weitere Verwertung seines Werkes unzumutbar machen musste. Nachdem der Überzeugungswandel bisher, ähnlich wie bei § 35 VerlG, lediglich als ein Anwendungsfall des Verbietungsrechts genannt wurde, stellte diese Änderung klar, dass es aufgrund der persönlichkeitsrechtlichen Schutzrichtung der Norm ausschließlich auf die intrinsische Auffassung des Urhebers ankam. Die Loskopplung von Ruf oder Ansehen eröffnete zudem Urhebern anonymer oder pseudonymer Werke die Möglichkeit der Verbietung. Weniger weitreichend waren die Änderungen beim Rückrufsrecht wegen Nichtausübung, welche u. a. die Wiederaufnahme der in der Vorkriegszeit stark umstrittenen – und zwischenzeitlich fallengelassenen – Möglichkeit des Rückrufs bei lediglich unzureichender Ausübung umfassten. XI. Der „Berliner Entwurf“ blieb unveröffentlicht, wurde aber u. a. vom BGH einer Durchsicht unterzogen. Von dieser Seite kritisierte man die Neufassung des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbietungsrechts als zu eng, da sich nicht nur künstlerische und wissenschaftliche Überzeugungen, sondern auch religiöse Auffassungen und Bekenntnisse wandeln konnten. Die Bundesrichter empfahlen daher, auf einschränkende Konkretisierungen zu verzichten und stattdessen den Wandel jedweder Überzeugung als Verbietungsgrund vorzusehen. Der mit dieser Ausweitung zwangsläufig einhergehende Anstieg des Missbrauchsrisikos sollte durch eine stärkere Verhaftung des Urhebers kompensiert werden. Anders als beim Rückrufsrecht wegen
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Nichtausübung, wo den Urheber lediglich im Billigkeitsfall eine Ersatzpflicht traf, sollte der verbietende Urheber in jedem Fall zum Ersatz verpflichtet werden. Einen Teil dieser Vorschläge setzte die Kommission in der Überarbeitungsfassung („Rengsdorfer Entwurf“) um. Vermutlich auf Initiative Eugen Ulmers wurde das urheberpersönliche Verbietungsrecht darin in ein eigenständiges „Widerrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ umgewandelt, welches auf jedwede Spezifikation des Überzeugungswandels verzichtete, den billigkeitsabhängigen Entschädigungsanspruch jedoch beibehielt. Wie auch das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung wurde das Widerrufsrecht im Abschnitt „Rechtsverkehr im Urheberrecht“ verortet, so dass sich hier eine weitere Annäherung zwischen beiden Instrumenten vollzog. Ihren Abschluss fand diese Annäherung im Referentenentwurf, der auf Grundlage eines auf dem „Berliner“ bzw. „Rengsdorfer Entwurf“ basierenden Vorentwurfes ausgearbeitet und im Jahr 1954 veröffentlicht wurde. Das Widerrufsrecht wurde darin in „Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“ umbenannt, direkt hinter dem Rückrufsrecht wegen Nichtausübung verortet, durch Rechtsfolgenverweise mit diesem verschränkt und zur Gewährleistung seiner Effektivität ebenfalls für indisponibel erklärt. Zugleich wurden die Ausschlussvorschriften auf das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung ausgedehnt. Die Motive betonten dabei ausdrücklich, dass die Rückrufsrechte des Urheberrechtsentwurfes nicht nur dem Schutz des Veröffentlichungsinteresses und des Persönlichkeitsrechts des Urhebers dienen, sondern auch die Anwendungslücken des Verlagsgesetzes schließen sollten. Die Heranziehung der verlagsgesetzlichen Rücktrittsrechte als Vorbild – oder zumindest Ausgangspunkt – für die urheberrechtlichen Rückrufsrechte wurde damit auch offizielle Lesart. XII. Nachdem der Referentenentwurf die erste Konfrontation der Öffentlichkeit mit der Urheberrechtsreform seit 1939 darstellte, fielen die Reaktionen ausgesprochen umfassend aus. Neben den Interessenvertretern von Urheberschaft und Verwertungsindustrie nahm eine Reihe von Sachverständigen sowie verschiedene Bundes- und Länderministerien bzw. -behörden zu den Rückrufsrechten Stellung. Die vorgebrachte Kritik betraf primär zwei Pro blemkreise: Zum einen die Frage der Notwendigkeit und Ausgestaltung gesonderter Abbedingungs- und Ausschlussvorschriften für das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung – im Grunde die nahtlose Fortsetzung der diesbezüglichen Vorkriegsdebatte – zum anderen die Ausgestaltung bzw. Reichweite des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung und dessen Absicherung gegen Rechtsmissbrauch. Beide Komplexe sollten die Diskussion um die Rückrufsrechte bis zur Verabschiedung des Urheberrechtsgesetzes im Jahr 1965 nahezu ausschließlich beherrschen. Fundamentalkritik wurde angesichts der Anerkennung der Rückrufsrechte durch die Rechtsprechung und Jurisprudenz der jungen Bundesrepublik kaum noch geübt. Wo dies der Fall war,
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verlangte man spätestens ab dem Ministerialentwurf von 1959 nicht mehr die ersatzlose Streichung der Rückrufsrechte, sondern lediglich ihre Ausgliederung in ein eigenständiges Urhebervertragsgesetz. Durchsetzen konnten sich diese Forderungen indes nicht. Zwar fasste man im BMJ ein entsprechendes Gesetz ins Auge, hielt jedoch angesichts des zu erwartenden langwierigen Gesetzgebungsprozesses an den vertragsrechtlichen Vorschriften und damit auch den Rückrufsrechten als Bestandteil des zu schaffenden Urheberrechtsgesetzes fest. Eine weitsichtige Entscheidung, bedenkt man, dass ab den 1970er Jahren wiederholt Vorstöße zu einer Reform des Urhebervertragsrechts unternommen wurden, die erst ab der Jahrtausendwende zu diversen Änderungen des Urheberrechtsgesetzes, nicht aber zu einer sogenannten „großen Lösung“ in Gestalt eines separaten Urhebervertragsgesetzes führten. XIII. Die weitere Entwicklung, welche über den Ministerialentwurf und den Regierungsentwurf von 1961 im Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte 1965 ihren vorläufigen Abschluss fand, zeichnete sich dementsprechend durch diverse Änderungen der Rückrufsregelungen unter vorgenannten Aspekten aus. Die Frage der Missbrauchsprävention dominierte ungebrochen die Auseinandersetzung mit dem Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung. So wurde klargestellt, dass neben dem Überzeugungswandel eine hieraus resultierende Unzumutbarkeit der (weiteren) Verwertung zwingende Voraussetzung für den Rückruf war. Das Tatbestandsmerkmal stellte eine dem Erfordernis der Unvoraussehbarkeit des Umstandswandels in § 35 VerlG vergleichbare Einschränkung dar und sollte verhindern, dass sich ein Urheber aus bloßer Eigensinnig- oder Boshaftigkeit auf das Rückrufsrecht berief. An § 35 VerlG orientierte sich auch die neueingeführte Wiederanbietungspflicht. In Umsetzung der Vorschläge des BGH wurde der Ersatzanspruch des Nutzungsrechtsinhabers, der bisher lediglich im Billigkeitsfall greifen sollte, zu einer unbedingten Ersatzpflicht ausgeweitet, welche mindestens die Aufwendungen des Verwerters zu decken hatte. Die Bewirkung dieser Entschädigung wurde zur Voraussetzung für das Wirksamwerden des Rückrufs erklärt. Obgleich die Befürworter dieser Ausweitung auf das droit de repentir ou de retrait der gleichzeitig im Entstehen begriffenen französischen Urheberrechtsnovelle verwiesen, ist eine direkte Übernahme hier ebenso wenig nachweisbar wie bei der Rückrufsregelung des italienischen Urheberrechtsgesetzes. Beide Vorschriften stellten vielmehr gesonderte, „romanische“ Varianten des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Rückrufs dar, die dem deutschen Gesetzgeber zwar als Orientierungshilfe, nicht aber als direktes Vorbild dienten. Als gleichermaßen naheliegend wie weitsichtig sollten sich jedoch die Bedenken der Literatur erweisen, welche eine Prohibitivwirkung der verschärften Haftung beim Rückruf wegen gewandelter Überzeugung anmahnten, welche letztlich dazu führte, dass der Rückruf von der finanziellen Situation des Urhebers abhing. Bedeutend war zudem die Auswei-
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tung der Aktivlegitimation auf den Rechtsnachfolger des Urhebers. Nachdem die ursprünglich vorgesehene Fassung, nach welcher der Rechtsnachfolger ein Nutzungsrecht bereits dann zurückrufen können sollte, wenn er nachwies, dass das Werk der Überzeugung des Urhebers nicht mehr entsprochen hätte, als zu weitgehend abgelehnt worden war, verständigte man sich auf eine Regelung, wonach der Rechtsnachfolger den Rückruf einzig dann erklären konnte, wenn der Urheber dies letztwillig verfügt hatte oder an einer entsprechenden Verfügung gehindert war. XIV. Die umstrittenen Ausnahme- und Abbedingungsregelungen hatten im Ministerialentwurf signifikante Änderungen erfahren: Man engte den Ausschluss für Werke der Kunstgewerbebranche auf angestellte Urheber ein und strich die Möglichkeit der Abbedingung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung für vorbenutzte Werke im Filmbereich. Zur Begründung verwies man auf die materielle Absicherung festangestellter Urheber einer- und die ausreichende Absicherung des Nutzungsrechtsinhabers durch die den Rückrufsrechten immanenten Schutzmechanismen andererseits. Zwar wehrten sich die Interessenvertreter der Verwertungsindustrie vehement gegen diese Änderungen, vermochten sich letztlich jedoch nicht durchzusetzen. Die seitens der Urhebervertreter geäußerte Kritik bezog sich primär auf die verbleibende Ausschlussregelung für angestellte Urheber des Kunstgewerbes. Konkret warf man die Frage auf, weshalb der bloße Umstand, dass ein Werk im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses erschaffen wurde, zum Ausschluss persönlichkeitsrechtlicher Befugnisse führen solle. Im BArbM teilte man diese Auffassung: Auf dortiges Betreiben hin änderte man die Vorschrift dergestalt ab, dass die Rückrufsrechte auch für angestellte Urheber – gleich welcher Branche – Anwendung finden sollten, sofern sich aus dem konkreten Arbeitsverhältnis nichts anderes ergab. XV. Am geringfügigsten waren die Änderungen betreffend das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung. Hervorzustellen ist hier vor allem die im Zuge der Sitzungen der Bundestagsausschüsse beschlossene, auf eine Eingabe des Deutschen Journalisten-Verbandes zurückgehende Einführung verkürzter Ausschlussfristen für Presseerzeugnisse. Generell gestalteten sich die parlamentarischen Arbeiten an den Rückrufsrechten ausgesprochen harmonisch. Zwar wurde das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung in der oppositionellen SPD-Fraktion kontrovers diskutiert, doch wurden die geäußerten Bedenken – man befürchtete u. a. eine Einschränkung des Zitatrechts durch den Rückruf – schnell ausgeräumt. Zu einer Verzögerung des Gesetzgebungsprozesses durch die Rückrufsrechte kam es, entgegen vereinzelter Befürchtungen, somit nicht. Die Rückrufsrechte traten mit dem Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte schließlich am 1. Januar 1966 in Kraft.
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I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
XVI. In dieser Form gelten sie im Wesentlichen bis heute. Bedeutendere Änderungen, wie sie etwa im Zuge der Urhebervertragsrechtsreform von 2002 angedacht waren, scheiterten regelmäßig am Widerstand der Verwertungsindustrie, aber auch der Jurisprudenz, wo man in der bestehenden Fassung insbesondere des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung eine sowohl für die Urheber- wie auch für die Verwerterseite gerecht austradierte Regelung erblickte. Zwar kam es zu geringfügigen Änderungen im Zuge der Urhebervertragsrechtsreform von 2016 / 17, diese ließen die bestehenden Regelungen in Gestalt der §§ 41, 42 UrhG jedoch im Kern unberührt. Die Rechtsprechung befasste sich bis in die jüngste Vergangenheit vornehmlich mit Fragen des Rückrufs wegen Nichtausübung, so etwa mit den konkreten Auslegungsmodalitäten des unbestimmten Rechtsbegriffs der unzureichenden Ausübung oder der Auswirkung des Rückrufs auf Lizenzketten. Das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung war, sieht man von analogen Heranziehungen der Vorschrift im Kontext der Verbreitung persönlichkeitsrechtsverletzender Medieninhalte ab, bis heute nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Ob es demnach, wie bereits vor einigen Jahren vermutet, durch den rasanten und ungebrochen anhaltenden technischen Fortschritt im Bereich der Verbreitungsmedien – Stichwort „User-generated-content“ und das vermeintlich „nichts vergessende Internet“ – aus seinem „Dornröschenschlaf“ geweckt wurde1, bleibt zumindest unter diesem Aspekt abzuwarten.
1 Siehe
Rauda, GRUR 2010, S. 22 f., 27. Dazu auch oben, Einleitung / Fn. 26.
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Stichwortverzeichnis Abbedingung und Ausschluss –– der urheberrechtlichen Rückrufsrechte 29, 343, 367, 375, 391–393, 394, 399, 406, 409–411, 413, 417, 422 f., 427–429, 436, 438 f., 441, 445–447, 449, 451–455, 460, 464, 470 f., 487–493, 502, 511–513, 515 –– der verlagsgesetzlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht 229, 235 –– der verlagsrechtlichen Rücktrittsrechte 285, 290 Abstraktionsprinzip siehe Trennungsund Abstraktionsprinzip Akademie für Deutsches Recht 363, 372, 375–377, 381 ff., 392, 396 ff., 487 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 24, 475, 505 Änderungsverbot 233, 287, 299, 321, 335 Anonyme und pseudonyme Werke 396, 475, 487, 512 Arbeitsverhältnis, Urheber in Arbeitsoder Dienstverhältnissen 28, 351, 366 f., 389, 391, 405, 409, 413, 445, 458, 460, 463, 465 f., 469 f., 488–495, 511, 515 Association Littéraire et Artistique Internationale 199 ff., 217 f. Aufwendungsersatz siehe auch Entschädigungspflicht –– beim urheberrechtlichen Rückruf 28, 352 f., 420 f., 430, 435, 439, 444 f., 449, 451, 468 f., 471, 474, 492, 495, 514 –– beim verlagsrechtlichen Rücktritt 55, 74, 79, 86, 101, 105–107, 110, 113, 122, 127 f., 134, 153, 160, 176, 188,
196, 209, 213, 242, 246, 253, 271, 275, 288, 316 Ausführungszwang siehe auch Film werke 351, 354, 358, 367, 377, 399, 437 f., 454 Ausschlussfrist für Presseerzeugnisse siehe auch Deutscher JournalistenVerband 26, 472, 479, 482, 484, 495, 515 Ausschuss für Kulturpolitik und Publizistik des Bundestages / Unterausschuss „Urheberrechtsfragen“ 482 f. Autorrecht 96, 152 f., 156, 166–169, 172, 215 Berner Übereinkunft (revidierte) 200, 291, 319–321, 387, 509 Bluntschli, Johann Caspar 150–153, 155–157, 198, Boor, Hans Otto de 272, 279 f., 307, 315, 335–338, 341–344, 347–350, 352, 354–357, 360, 364, 366, 371, 374, 376, 379–382, 388 ff., 395, 416, 427 f., 440, 509–511 Börsenverein der Deutschen Buchhändler / des Deutschen Buchhandels 94, 119, 149, 164, 172, 180 ff., 217, 243, 246 f., 270, 314 f., 353, 414 f., 448 f., 458, 473, 501 Börsenverein deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände 414 f., 442, 444 Buchdruckerordnungen siehe auch Verlagseigentumslehre 36, 38 f., 48 Bund Deutscher Landesberufsverbände bildender Künstler 413, 421, 453, 463 Bund Deutscher Liederdichter 438 Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen 363, 377, 380–382, 511
556 Stichwortverzeichnis
Bundesgerichtshof (Stellungnahmen) 398–401, 419, 426 f., 487, 490, 512, 514 Bundesministerien –– Bundesarbeitsministerium 454 f., 465 f., 494, 515 –– Bundesinnenministerium 419–422, 423, 432, 455, 465, 479 –– Bundesministerium der Justiz 394 f., 397–400, 403, 412, 432 f., 435 ff., 465–467, 448 f., 454, 459 f., 462, 465–467, 469, 479–483, 487, 491–494, 497, 499 ff., 512, 514 –– Bundeswirtschaftsministerium 460, 465 Bundesrat (BRD) 441, 466, 472, 476 f., 485 f., 494 f. Bundesrat (Deutsches Reich) 164, 221 f., 237, 239 f., 242, 249, 254 ff., 262 f., 267, 288 Bundesregierung 466, 472, 476 Bundestag –– Ausschüsse 479–484, 515 –– Lesungen im Bundestag 476–479, 485, 495 Clausula rebus sic stantibus 32, 54 f., 67, 69 f., 78 f., 82, 85, 89, 132, 279, 295, 301, 507 Deutsche Verlegerkammer 247–249 Deutscher Bühnenverein 341, 450 Deutscher Bühnenverlagsverein 436 Deutscher Bund 31, 92–94, 134, 140, 142 f., 149, 158, 163 Deutscher Journalisten-Verband 472, 479, 495, 515 Deutscher Komponistenverband 436 Deutscher Museumsbund 473, 480 Deutscher Musikalien-Verleger-Verein / Deutscher Musikverleger-Verband 352, 415, 419, 442, 449, 458 Deutscher Schriftstellerverband 164, 172, 177–179, 217 f., 413, 417, 443 Deutscher Verein für den Schutz des gewerblichen Eigentums / Deutsche
Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht 324, 326 f., 433–436, 459 f. Deutscher Verlegerverein 315 Droit de repentir ou de retrait 431 f., 490 f., 514 Droit moral siehe auch Urheberpersönlichkeitsrecht 319–321, 335, 369, 377, 387, 411, 422, 425, 431, 434, 490 Dualistische Theorie des Urheberrechts 120, 292, 299 f. Eigentum –– Geistiges Eigentum 36, 40–49, 51, 61 f., 72, 75, 81, 89, 92 f., 95, 119 f., 152, 155, 163, 455 –– Sacheigentum 45 f., 49, 59 f., 62, 82, 455 Entgangener Gewinn siehe auch Entschädigungspflicht 64, 71, 73 f., 79, 86, 90 101, 104, 106, 108, 110, 112–114, 117, 121–124, 127, 129, 139, 141, 144, 146, 152, 160 f., 176, 183, 185, 188, 190, 196, 199, 209, 227 f., 231, 271, 302, 304, 457 Entschädigungspflicht siehe auch Aufwendungsersatz –– beim urheberrechtlichen Rückruf 26, 28, 372–375, 383 f., 387, 389, 392, 396 f., 400 f., 403, 405, 407, 409, 412 f., 415, 417–419, 421, 423, 428, 430–432, 434–437, 442–445, 449–451, 455–458, 460–462, 465, 468 f., 473, 487 ff., 510, 513 f. –– beim verlagsrechtlichen Rücktritt 53, 55, 84, 98 f., 103, 113, 117, 121 f., 141, 154 f., 170, 174, 190, 194 f., 197, 271, 309, 507 Entstellung, Schutz des Urhebers 320, 338, 372 Erbe des Urhebers siehe auch Rechtsnachfolger 83, 137, 415, 418, 420, 426, 433, 455 f., 463 Erffa, Margarete Freiin von 395, 417, 420 f., 432 f., 446, 453, 464
Stichwortverzeichnis557
Erscheinen des Werkes 87, 155, 171, 175, 253 f., 281, 306, 425 Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für gewerblichen Rechtsschutz in der Akademie für Deutsches Recht 382 Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht 432–436, 437, 443, 459 f., 491–493 Filmhersteller 379, 411, 417, 422, 429, 439, 446 f., 454, 464, 471, 477, 503 Filmindustrie siehe auch Spitzenorganisation der deutschen Filmindustrie 334, 341, 344, 354, 358, 370, 428, 434, 438, 460 f., 488, 490 f., 494, 501, 511 Filmregisseur 309, 312, 422 Filmwerke siehe auch Abbedingung und Ausschluss –– urheberrechtliche Rückrufsrechte 334, 344 f., 347, 350, 354, 358, 370, 379, 391, 422, 425, 428–430., 434, 438, 454, 460 f., 471, 488, 490 f., 494, 501, 511 –– verlagsgesetzliche Rücktrittsrechte 309, 318, 430 Geistiges Eigentum siehe Eigentum Gemeines Recht 134, 149 f., 194, 199, 212, 214 Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger 345 Genossenschaft deutscher Tonsetzer 324, 327–329 Geschmacksmuster- / Designrecht 483 f. Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriften, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken (1870 / 71) 163 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der
Photographie (1876 / 1907) 163, 321, 331, 447 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (1901) 220, 287 f., 321, 323 f., 329, 331, 447 Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung (1837) 94–96 Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern (2002) 496 Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung (2016) 26, 499 Gesetzliche Lizenz siehe Sammlungen von Werken für Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch Gewandelte Überzeugung siehe auch Verbietungsrecht u. Rechtsnachfolger 26–29, 32, 74 f., 79 f., 117, 151, 153, 159, 166, 210, 239, 372 f., 392 f., 396, 400, 402, 404–406, 408, 414 f., 419 ff., 430 f., 433–435, 441, 444 f., 447, 450, 456, 462 f., 468, 475, 481 f., 484, 487 ff., 505, 510, 512–516 Gute Policey 39, 41, 48 Honorar, auch: Herausgabe 39, 51, 106–111, 114 f., 117 f., 123 f., 128 f., 137, 140, 142, 161, 174 f., 178, 182–186, 188 f., 193–196, 198–200, 203, 207 f., 213, 218, 224, 230, 275, 280 f., 286, 293 f., 307, 325, 327, 338, 344–346, 349, 352, 363, 388, 390, 437 f., 460, 473 Ideelle Urheberinteressen siehe auch Urheberpersönlichkeitsrecht u. Persönlichkeitsschutz 23, 48, 75, 89, 120, 133, 159, 162, 175, 195, 216, 220, 226, 232, 251 f., 259, 273,
558 Stichwortverzeichnis
288–290, 294, 300, 364, 369, 399, 401, 458, 488, 507 f. Internationale Richard Strauss Gesellschaft 414 Italienisches Urheberrecht 304, 318, 321 f., 337, 386 f., 389, 393, 432, 491, 511, 514 Jüdische Urheber siehe auch Nationalsozialismus 302, 311–314, 319, 509 Kant, Immanuel 45–48, 49, 58, 72 f., 76–79, 83, 152 f., 156, 168 Klage auf Erfüllung –– des Autors 124, 128, 140, 142, 156, 161 f., 208 –– des Verlegers 51, 53, 66, 79, 86 f., 110–112, 114, 138, 145 f., 148, 154, 171 Kohler, Josef 120, 167–169, 207, 214 f., 274–276, 278, 280 f., 290, 293, 297, 300, 303, 307, 387 Königlich Preußischer Literatur-Sachverständigenverein / Preußischer literarischer Sachverständigenverein 80, 97, 118 ff., 156, 162, 178, 243 Kulturpropaganda siehe auch Nationalsozialismus 303, 319, 512 Kunstgewerbe / kunstgewerbliche Werke siehe auch Abbedingung und Ausschluss 339 f., 347, 366 f., 375, 379, 389–391, 405, 409 f., 413, 418, 423, 427, 430, 433–435, 446, 452, 488–494, 511, 515 Landesjustizministerien / -verwaltungen 360–363, 369–371, 392, 422–426, 455–458, 463, 469, 462, 493, 513 Lichtbilder 366 f., 375, 385, 391, 398, 406, 409–411, 428 f., 476, 488 f. Lizenzen siehe auch gesetzliche Lizenz u. Zwangslizenz 368, 433, 481, 495, 501, 505, 516 Miturheber 154, 383, 449
Monistische Theorie des Urheberrechts 23, 299, 324, 387, 395, 399, 417, 427 f. Museen siehe auch Deutscher Museumsbund 480 Namensrecht 321, 335 f., 464, Nationalsozialismus 292, 301–304, 311–314, 318 f., 361, 363, 368 f., 375–377, 380, 386, 392 f., 431, 509, 511 f. Nichtausübung 25, 37–39, 42, 48 f., 53, 76, 80, 88, 90 f., 108–111, 115, 118, 121, 123 f., 128 f., 137 f., 139 f., 142, 155–158, 161 f., 169, 171 f., 176 f., 184, 186–188, 192 f., 199, 200–202, 206 f., 213 f., 217 f., 222–226, 229 f., 232–236, 240, 243 253, 256, 263 f., 267, 278, 280 f., 283, 285–287, 289 f.306–309, 315, 317 f., 321–324, 326–329, 331–333, 338–341, 344, 347 f., 350, 353 f., 357 f., 360, 362, 365–367, 370 f., 373 ff., 380, 384–386, 387–393, 396 f., 399, 402 ff., 412–415, 417 f., 420–430, 433, 436–438, 442 f., 445, 449–451, 453, 455, 458–465, 470–472, 486, 487 ff., 496 f., 499, 501–505, 507 ff. Nicolai, Friedrich 57 f., 66, 67–69, 112, 298 Nutzungsrechte siehe auch Werknutzungsrecht –– ausschließliche 24 f., 95, 105, 109, 126, 172, 182, 185, 221, 279, 328, 331 f., 341 f., 355, 359, 368, 374, 381, 385, 388, 395, 404, 406 f., 412, 422, 442, 447, 464, 473, 499, 505, 509 f., –– einfache (auch Gebrauchserlaubnis, „einfache“ Lizenz, Werknutzungsbewilligung) 27, 168, 358, 368, 385, 395, 404, 407, 445 f., 470, 505 Österreich –– ABGB 82, 84 ff., 90, 105, 111, 138 f., 143, 158, 198, 507
Stichwortverzeichnis559
–– Urheberrecht und Rechtsvereinheit lichung 291, 326 f., 329 f., 332, 343, 368, 388 Patentrecht 30 f., 393 Persönlichkeitsschutz siehe Urheberpersönlichkeitsrecht u. ideelle Urheber interessen 133, 140, 145, 147, 159, 183, 194, 213, 216, 253, 307 Preußische Akademie der Künste 326 Preußische Akademie der Wissenschaften 360 Preußische Justizministerien 94, 125, 129, 237–239 Preußisches Kultusministerium 237– 239 Privilegienwesen 36–38, 42, 56, 92 Prohibitivwirkung siehe auch Aufwendungsersatz, Entschädigungspflicht, Schadensersatz u. entgangenen Gewinn 148, 161, 182, 345, 421, 457, 514 Rechtsausschuss des Bundestages / Unterausschuss „Urheberrecht“ 479–482, 483 f., 484–486, 495 Rechtsmissbrauch, Prävention 28, 54, 69–71, 90, 102, 111, 114, 133, 146 f., 160 f., 192, 210, 213, 216, 218, 242, 271, 273, 288, 302, 318, 373, 400, 408 f., 414 f., 418 f., 422, 430 f., 433, 443, 445, 457, 487, 490 f., 507, 510, 512–514 Rechtsnachfolger des Urhebers siehe auch Erbe 27, 426, 433, 444 f., 450, 455–457, 462 f., 465, 468, 473, 480 f., 483, 489 ff., 515 Reichsfilmkammer 366 f. Reichsgericht (Stellungnahme) 359 f. Reichsjustizamt 190 f., 205, 220, 228 ff., 237, 239, 243, 249, 261 f., 287, 289 Reichskulturkammer 385, 398 Reichsleitung 164, 172, 179, 217 Reichsministerien
–– Reichsjustizministerium 321 f., 326 f., 329 f., 334, 350, 354, 360–364, 367 f., 371, 377, 380, 388, 390–393 –– Reichspostministerium 360 –– Reichswirtschaftsministerium 370 Reichsregierung 350 Reichs-Rundfunk-Gesellschaft 351 Reichsschrifttumskammer 315 Reichstag –– Lesungen 258–262, 266 f., 288 f. –– Kommission 262–266, 268, 288 f. Reichsverband bildender Künstler Deutschlands 324, 327–329 Reichsverband der deutschen Lichtspieltheater 341 Reichsverband der Deutschen Presse 352 Römisches Recht 74, 77 f., 79, 150 Rücktritt und Rückruf, Verhältnis 26, 417, 429 ff., 443, 454, 489, 492 Rücktrittsgründe, auch: Überprüfung, Offenlegung 75, 80, 85 f., 88, 90, 104, 122, 133, 137, 144, 146, 148, 151–153, 155, 159 f., 165 f., 170, 174, 187, 193, 216, 219, 227, 247 f., 256, 264, 271, 273, 276 f., 288 f., 307 f., 310, 313, 317 f., Rücktrittsrecht des Verlegers –– wegen nicht vertragsgemäßer Erfüllung durch den Urheber 51, 63, 105, 110, 112, 121, 171, 193, 201 f., 316 –– wegen veränderter Umstände / freies Rücktrittsrecht 174, 183, 186, 188, 194–197, 217, 265, 268 Ruf und Ansehen des Urhebers siehe auch Verbietungsrecht u. gewandelte Überzeugung 159, 244, 264, 304, 335, 364, 372 f., 383, 389, 396, 409, 487, 509 f., 512 Rundfunk 291, 320, 322 f., 331, 351 Sachverständige siehe auch Königlich Preußischer Literatur-Sachverständigenverein / Preußischer literarischer Sachverständigenverein 195, 200, 204, 222, 226, 232 f., 236 f., 242, 250,
560 Stichwortverzeichnis
266, 286 f., 334–337, 340 f., 344–346, 348 f., 353, 395–403, 416, 432 f., 435, 439–441, 453 f., 480, 487, 489 f., 512 f. Sachverständigenkommission des Bundesjustizministeriums 462–464, 468 Sammlungen von Werken für Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch 447, 469, 471 Schadensersatz siehe auch Entschädigungspflicht u. entgangener Gewinn 51, 53, 88, 101, 103, 107 f., 111 f., 114, 123, 128 f., 138–140, 142, 145, 161 f., 167, 171, 176–179, 184, 198, 201 f., 206 f., 209, 225, 227 f., 236, 238, 246, 254, 271, 286, 302, 316, 343, 390, 417, 510 Schallplatte, Schallplattenindustrie 291, 317, 320, 323, 331, 334, 339, 346, 348, 403, 433, 454 Schätzungseid 71, 148, 161 Schutzverband Deutscher Schriftsteller 324, 327–329, 344, 429 Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache 284 f., 290, 307 f., 311 f., 316, 319, 489, 498, 508 f. Spitzenorganisation der deutschen Filmindustrie 341, 350 f., 360, 415 f., 437, 451 f., 461, 471 Svarez, Carl Gottlieb 54, 57 ff., 76–78, 89, 507 Tonträger siehe auch Sammlungen von Werken für Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch 448, 472, 475, 481, 484 Trennungs- und Abstraktionsprinzip 208, 341, 355, 390, 510 Ufa 312 f., 437 Ulmer, Eugen 395, 399, 401, 403, 431–434, 436, 438 f., 459, 463 f., 481, 488, 513 Universitäten / universitäre Gutachten –– Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. 102–104, 117
–– Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau 99 –– Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 99–102 –– Königliche Universität zu Greifswald 104 –– Philipps-Universität Marburg 257 –– Universität Gießen 249 f. –– Universität zu Köln 500 Unvorhersehbarkeit der Umstandsänderung 227, 241, 265, 270 f., 276, 282, 284, 286, 289 f., 297, 317, 508 Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung siehe auch Rechtsmissbrauch 26 f., 400, 408 f., 420, 428, 430 f., 435, 444, 455, 457, 462, 468, 482, 487, 494, 512, 514 Unzureichende Ausübung 24 f., 33, 118, 124, 129, 162, 167, 176, 223, 286, 307, 331, 338 f., 347 f., 352 f., 356, 359–362, 367, 381, 388 f., 391 f., 397, 404, 407 f., 415, 418, 442 f., 449, 451, 473, 487, 490, 496 f., 504, 507, 510–512, 516 Urheberehre 377, 383, 386 f., 392, 395 Urheberpersönlichkeitsrecht siehe auch Verbietungsrecht 23–25, 27, 29, 33, 72, 76, 79, 90, 152, 156, 167 f., 170, 215, 220, 235, 252, 272, 281, 287 f., 290, 292, 295, 298–300, 317, 319–322, 324, 328, 330 f., 334–337, 354 f., 357–360, 364, 366 f., 369 f., 372, 376–379, 381, 383 ff., 399, 401 f., 410, 413, 416 f., 418, 420, 425, 427 f., 434, 447, 450, 453, 455, 461, 463, 467, 470, 476, 487–490, 493–495, 508–515 Urhebervertragsrecht; (geplantes) Urhebervertragsgesetz 29, 315, 319, 325, 329, 337, 343, 414, 440, 448, 453, 459, 461, 473, 478, 489, 492 f., 496, 514, 516 Veränderte Umstände 32, 44 f., 49, 52, 54 f., 63 f., 71–75, 77–80, 85, 88, 89 f., 98–100, 102–104, 106, 110 f., 113, 116–118, 121 f., 126 f., 132 f., 139,
Stichwortverzeichnis561
143, 147, 149–155, 158–160, 166, 170, 173, 175 f., 178 f., 183, 187, 193 f., 199, 216 f., 227 f., 230–232, 236–239, 241 f., 244, 246 f., 250–254, 255 f., 264 f., 270–273, 275–277, 279, 281 f., 284 f., 286–289, 293 f., 295–298, 300 f., 303, 310 f. 316 f., 317–319, 372, 408 f., 507–509 Verband der Schulbuchverlage 450, 480 Verband deutscher Bühnenschriftsteller und -komponisten 323, 438 Verband Deutscher Erzähler 315, 323, 343 Verband deutscher Filmautoren 323, 413, 453, 460 Verband deutscher Offset- und Steindruckereibesitzer 345 Verband Deutscher Orchester- und Chorleiter 337, 353 Verbietungsrecht 335 f., 357, 363 f., 366 f., 371 f., 374, 377, 381 f., 383, 385 f., 389, 391–393, 394, 396, 399–403, 447, 469, 471, 475, 481, 484, 487 f., 509–513 Verbreitungsrecht 205, 232, 330, 355 f., 406 Verein „Berliner Presse“ 244 f. Verein Deutscher Ingenieure 245 f. Verein Deutscher Zeitungsverleger 352 Vereinigung der Landesverbände deutscher Tonkünstler und Musiklehrer 438 Vereinigung Deutscher Schriftstellerverbände 412, 437, 443 Verlagseigentumslehre 36–40 Vermögensrechtliche Interessen des Urhebers 25, 31, 48, 96, 120, 131, 156, 162, 170, 172, 235, 295, 299, 320, 324, 359, 379, 386, 428, 467, Veröffentlichungsrecht 24, 46 f., 49, 102, 156, 168, 220, 328, 358 f., 386 f. Vertrauensverhältnis zwischen Autor und Verleger siehe auch Sonderkündigungsrecht aus wichtiger Ursache
231, 282, 284, 290, 296, 307, 310, 498, 508 Vervielfältigungsrecht 37 f., 46, 84, 134, 150, 162, 169, 172, 205, 232, 406, 422, 429 Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht 102, 142, 169, 226, 229, 233–236, 279, 286 f., 299, 309, 318, 359, Voigtländer, Robert 171, 175 f., 179 ff., 190, 194, 197–199, 243, 268, 285, 317 Vorbenutzte Werke siehe auch Film werke 370, 410 f., 424, 436, 451 f., 454, 459, 461, 471, 489, 491–493, 502, 511, 515 Vorläufiger Reichswirtschaftsrat 334 ff., 351, 353–357, 376, 388, 391, 399 Werknutzungsrecht siehe auch Nutzungsrechte 324 f., 331 f., 340, 342, 344, 353, 355–357, 359 f., 365 f., 368, 371, 373 f., 377 f., 384 f., 388, 390, 395, 397, 402–404 Widerruf 72 f., 75, 96, 155, 169, 273 390, 394, 401–404, 424, 488, 513 Wiederanbietung siehe auch Rechtsmissbrauch 52, 63 f., 108, 110, 127 f., 137, 182 f., 185, 194, 297, 414 f., 419, 421, 425 f., 430–433, 445, 453, 490–492, 507, 514 Wirksamwerden der Nutzungsrechtsentziehung / des Rückrufs 28, 318, 415, 419, 421, 430–432, 434–437, 443, 456 f., 462 f., 468 f., 474, 490–494, 497, 514 Wirtschaftsausschuss des Bundestages 483 f. Zeitliche Begrenzung/Reichweite der Rücktritts- und Rückrufsrechte 52, 137, 151, 159, 216, 239, 241, 273, 276 f., 282, 288, 296, 298, 302, 318, 349, 389, 508 f. Zwangslizenz 399, 481, 484