Die Entdeckung des Nordpazifiks: Eine Geschichte in 44 Objekten 3805350643, 9783805350648

Lippenpflöcke aus Walrosselfenbein, mit Vogelschnäbeln besetzte Rasseln oder Holzhüte in Form von Robbenköpfen: 44 spezi

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German Pages 256 [258] Year 2017

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
I Aufbruch und Eroberung
1 Wasser zwischen Russland und Amerika
2 Anfänge der Völkerbeschreibung (Ethnographie)
3 Geschenke von den Rändern der bekannten Welt
4 Handelspartner China
5 Überbrückbare Distanzen – Verbindung und Austausch zwischen zwei Kontinenten
6 Das wichtigste sind gute Karten
7 Doch nicht allein auf weiter Flur …
8 Zufallsfund mit Folgen
9 James Cook im Nootka Sound
10 Der Norden – in jeder Hinsicht unwirtlich
11 John Ledyard bei den Aleuten
II Verflechtungen und Konkurrenz
12 Keine Expedition ohne Künstler
13 Wissenschaftliche Neugierde und kommerzielle Begehrlichkeiten
14 Wasserdichte Anoraks, zwei Deutsche in Cooks Mannschaft und wieder spanischer Besuch im Norden
15 Kuka’ilimoku
16 James Cooks Tod auf Hawaii
17 Der Fellhändler Grigori Iwanowitsch Schelichow setzt sich durch
18 Alaska wird russisch – erste dauerhafte Ansiedlung auf der Insel Kodiak
19 Das Spiel ist eröffnet – Ankunft britischer Kaufleute im Nootka Sound – 1785
20 „Gedränge“ im Nootka Sound
21 Verlagerung der Handelsaktivitäten vom Nootka Sound in den Prince William Sound 1786/87
22 Das weiche Fell der Seebären und die Entdeckung der Pribilof Inseln
III Wunschdenken und Scheitern
23 Die französische Antwort auf James Cook
24 Geheime Astronomische und Geographische Expedition zur Erforschung Ostsibiriens und Alaskas
25 John Ledyards großer Plan
26 Weiches Fell, harte Männer und Kriegsgerassel 1788
27 Internationale Verwicklungen
28 Manager gesucht
29 „Beschreibung der Tschuktschi, von ihren Gebräuchen und Lebensart“
30 Verflechtung indianischer, spanischer, englischer, russischer und hawaiianischer Interessen
31 Gründung der Russisch-Amerikanischen Kompanie (RAK)
32 Auseinandersetzungen zwischen Russen und Tlingit
33 Versorgungsprobleme in der russischen Kolonie
IV Rückzug und Vermächtnis
34 Ausdehnung Russisch-Amerikas Richtung Süden
35 Versuch der Selbstversorgung mit Getreide
36 Gescheiterter Griff nach Hawaii
37 Das Ende der Ära Baranow
38 Fellhandel in der Beringstraße
39 Religiöse Vorstellungen
40 Und von der anderen Seite nähert sich die Hudson’s Bay Company
41 Gouverneure Russisch-Amerikas als Sammler von Ethnographika
42 Kulturelle Veränderungen
43 100 Jahre Kulturkontakt – und die Entstehung der Ethnologie
44 Wem gehört die Geschichte?
Anhang
Literaturverzeichnis
Ortsregister
Sachregister
Personenregister
Informationen zum Buch
Informationen zum Autorin
Back Cover
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Die Entdeckung des Nordpazifiks: Eine Geschichte in 44 Objekten
 3805350643, 9783805350648

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Gudrun Bucher

Die Entdeckung des

Nordpazifiks Eine Geschichte in 44 Objekten

Herausgegeben von Brigitta Hauser-Schäublin und Gundolf Krüger

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Philipp von Zabern Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2017 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Melanie Jungels, scancomp GmbH, Wiesbaden Einbandabbildung: © Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Einbandgestaltung: Harald Braun, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-5064-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-5076-1 eBook (epub): 978-3-8053-5077-8

INHALT Vorwort Einleitung

8 10

I AUFBRUCH UND EROBERUNG

19

1 Wasser zwischen Russland und Amerika

20

2 Anfänge der Völkerbeschreibung (Ethnographie)

25

3 Geschenke von den Rändern der bekannten Welt

29

4 Handelspartner China

34

5 Überbrückbare Distanzen – Verbindung und Austausch zwischen

39

6 Das wichtigste sind gute Karten

47

7 Doch nicht allein auf weiter Flur …

53

8 Zufallsfund mit Folgen

59

9 James Cook im Nootka Sound

62

10 Der Norden – in jeder Hinsicht unwirtlich

67

11 John Ledyard bei den Aleuten

72

zwei Kontinenten

II VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

79

12 Keine Expedition ohne Künstler

81

13 Wissenschaftliche Neugierde und kommerzielle Begehrlichkeiten

85

5

INHALT

14 Wasserdichte Anoraks, zwei Deutsche in Cooks Mannschaft

89

15 Kuka’ilimoku

95

16 James Cooks Tod auf Hawaii

99

17 Der Fellhändler Grigori Iwanowitsch Schelichow setzt sich durch

105

und wieder spanischer Besuch im Norden

18 Alaska wird russisch – erste dauerhafte Ansiedlung auf der Insel Kodiak

111

19 Das Spiel ist eröffnet – Ankunft britischer Kaufleute im Nootka Sound – 1785

115

20 „Gedränge“ im Nootka Sound

121

21 Verlagerung der Handelsaktivitäten vom Nootka Sound in den

127

22 Das weiche Fell der Seebären und die Entdeckung der Pribilof Inseln

131

Prince William Sound 1786/87

III WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

135

23 Die französische Antwort auf James Cook

137

24 Geheime Astronomische und Geographische Expedition zur

141

25 John Ledyards großer Plan

147

26 Weiches Fell, harte Männer und Kriegsgerassel 1788

151

27 Internationale Verwicklungen

155

28 Manager gesucht

161

29 „Beschreibung der Tschuktschi, von ihren Gebräuchen und Lebensart“

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Erforschung Ostsibiriens und Alaskas

6

INHALT

30 Verflechtung indianischer, spanischer, englischer, russischer

169

31 Gründung der Russisch-Amerikanischen Kompanie (RAK)

174

32 Auseinandersetzungen zwischen Russen und Tlingit

179

33 Versorgungsprobleme in der russischen Kolonie

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und hawaiianischer Interessen

IV RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

189

34 Ausdehnung Russisch-Amerikas Richtung Süden

191

35 Versuch der Selbstversorgung mit Getreide

196

36 Gescheiterter Griff nach Hawaii

201

37 Das Ende der Ära Baranow

207

38 Fellhandel in der Beringstraße

211

39 Religiöse Vorstellungen

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40 Und von der anderen Seite nähert sich die Hudson’s Bay Company

221

41 Gouverneure Russisch-Amerikas als Sammler von Ethnographika

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42 Kulturelle Veränderungen

231

43 100 Jahre Kulturkontakt – und die Entstehung der Ethnologie

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44 Wem gehört die Geschichte?

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ANHANG Literaturverzeichnis Ortsregister Sachregister Personenregister

243 244 249 252 254

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VORWORT

R

und zwei Jahrzehnte Forschung stehen hinter diesem Band, der den krönenden Schlusspunkt und die Brücke zwischen zwei früheren Einzelprojekten bildet, die regional ausgerichtet waren: Zum einen handelte es sich dabei um die Aufarbeitung der Sammlung, deren Erwerb auf die drei Südsee-Reisen von James Cook zwischen 1768 und 1780 zurückgeht und deren Objekte größtenteils von den dortigen Inselgruppen stammen (Hauser-Schäublin und Krüger 1998). Zum anderen wurde die sogenannte Baron von Asch-Sammlung, die sich schwerpunktmäßig aus materiellen Zeugnissen Sibiriens und Russisch-Amerikas des ausgehenden 18.  Jahrhunderts zusammensetzt, wissenschaftlich erschlossen und dokumentiert (Hauser-Schäublin und Krüger 2007). Beide Sammlungen genießen Weltrang. Sie befinden sich in der Ethnologischen Sammlung des Instituts für Ethnologie der ­Georg-August-Universität Göttingen. Diese Forschungs- und Publikationstätigkeit hat der Göttinger Sammlung zu einem ausgezeichneten internationalen Ruf verholfen, und es resultierten daraus, neben lokalen Schauen, große Ausstellungen in Honolulu, Canberra, Paris und Bonn. In einem weiteren ­Forschungsprojekt, das im Hinblick für ein in Göttingen Anfang der 2000er  Jahre geplantes Ethno­ logisches Landesmuseum stattfand, wurden die Südsee-Sammlungen und speziell

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jene zum Nordpazifik (Sibirien, Kamtschatka, Aleuten und Alaska) im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover und im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg bearbeitet und ausgewertet. Ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Ethnologie war an diesen wissenschaftlichen Arbeiten beteiligt; den „harten Kern“ bildeten die beiden Herausgeber und Gudrun Bucher, die jetzige Autorin des vorliegenden Bandes, sowie der Fotograf Harry Haase. Weitere langjährige Mitwirkende waren Julia Racz, Nicole Zornhagen und Katharina Herrmann: Sie alle haben zum Erfolg der Projekte beigetragen. Die Forschungen wären nicht möglich gewesen ohne finanzielle Unterstützung, für die wir sehr dankbar sind. An erster Stelle wäre ein privater Sponsor zu nennen, der anonym bleiben möchte; er hat die Ausarbeitung des Manuskripts zu diesem Band ermöglicht. Ihm verdanken wir dieses Werk. Die Drucklegung unterstützten die VW-Stiftung und das Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Hannover, im Rahmen der Brigitta Hauser-Schäublin gewährten Seniorprofessur (2010–2016); ein weiterer Druckkostenzuschuss ergab sich aus den Einnahmen der Ethnologischen Sammlung in Göttingen. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte, welche die Revision und Digitalisierung

VORWORT

der Ethnologischen Sammlung in Göttingen sowie sich ständig weiter entwickelnde Einzel-Forschungen über sie beinhaltete, haben folgende Institutionen unsere Tätigkeit großzügig gefördert, auch ihnen sind wir zu großem Dank verpflichtet: die Stiftung Pro Niedersachen, das Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover, die VW-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Dr. Walther Liebehenz-Stiftung, die Göttinger Gesellschaft für Völkerkunde  e.V. und die vor einigen Jahren eingerichtete

Zentrale Kustodie der Universität Göttingen. Unser Dank geht nicht zuletzt an das Institut für Ethnologie, die Sozialwissenschaftliche Fakultät, die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und die Universität Göttingen insgesamt, die unseren Forschungs- und Publikationsaktivitäten ohne Einschräntiv gegenüberstanden kung immer posi­ und uns bzw. die Ethnologische Sammlung nach besten Möglichkeiten unterstützt haben. Die Herausgeber

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EINLEITUNG VON BRIGITTA HAUSER-SCHÄUBLIN UND GUNDOLF KRÜGER Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen Februar 2016

Was Objekte zu erzählen vermögen Es sind neue Wege des „Lesens“ von Dingen – üblicherweise Objekte, Gegenstände, Artefakten oder Ethnographica genannt –, die dieser Band einschlägt. Isoliert erscheinende Regionen und Kulturen, früher als trennend aufgefasst und beschrieben, werden als etwas Verbindendes begriffen: Indigene Dokumente, die Dinge also, werden als Markstein der europäischen Entdeckung, dem Wettlauf um Territorien im Nordpazifik (Sibirien, Kamtschatka, Aleuten, Alaska, nordwestamerikanische Küste und Hawaii-Inseln) verstanden und in miteinander verknüpften Geschichten präsentiert. Mit den Regionen Südsee einerseits und Nordpazifik andererseits werden in der Regel ganz unterschiedliche Landschaften, Menschen und Kulturen assoziiert: hier sonnendurchflutete tropische Inseln inmitten eines riesigen Ozeans, üppige Vegetation, fröhliche Menschen, Bootsfahrten, Tänze, exotische Speisen, und dort, weiter nördlich an den kontinentalen Rändern von Asien und Amerika, endlos erscheinende, öde, im

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Winter von Eis und Schnee dominierte Landschaften, eingemummelte Menschen, die ein entbehrungsvolles Leben in einer kargen Umgebung fristen. Dazwischen an der amerikanischen Nordwestküste Überflussgesellschaften umgeben von bis zu 50 m hohen RiesenLebensbäumen (Thuja plicata), deren Holz zu vielfältigen künstlerischen Ausdrucksformen genutzt wurde. Die materiellen Dinge, Gegenstände des täglichen Gebrauchs sowie religiöse Objekte, die Menschen in diesen Regionen angefertigt haben, belegen tatsächlich die Verschiedenheit der Gebiete und des Lebens der Menschen. Die 44 Objekte, die im vorliegenden Buch abgebildet sind und von der Autorin zum Erzählen gebracht werden, verdeutlichen dies eindrücklich. Es ist zweifellos ungewöhnlich, dass Gegenstände aus der Südsee und dem in die Arktis hineinreichenden Hohen Norden, die zudem aus verschiedensten Lebensbereichen stammen und bezüglich Form und Material augenscheinlich wenig mit-

EINLEITUNG

einander zu tun haben, dennoch in einem Buch zusammen vorgestellt werden. Ein gemeinsamer Nenner scheint auf den ersten Blick zu fehlen. Zudem stammen die Objekte auch aus unterschiedlichen Sammlungen, nämlich derjenigen des deutschstämmigen russischen Arztes Baron Georg Thomas von Asch (1729– 1807) aus Sibirien und Russisch Amerika (Alaska). Sie sind heute Bestandteil der Ethnologischen Sammlung der Universität Göttingen. Diese frühesten Ethnographica aus dem Hohen Norden erfahren im Buch narrativ ihre Ergänzung durch Artefakten, die von Iwan Antonowitsch Kuprejanow (1799–1857), russischer Gouverneur in Russisch-Amerika, gesammelt und Prinz Peter von Oldenburg (1812–1881) im Jahr 1841 übermittelt wurden: Sie befinden sich im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg. Drei weitere Objekte stammen von der ersten russischen Weltumsegelung unter der Leitung von Adam Johann von Krusenstern (1770–1846) und Juri Fjodorowitsch Lisjanski (1773–1837): Diese beherbergt heute das Museum Fünf Kontinente in München. Andere in diesem Buch vorgestellte Ethnographica gehen auf die dritte Südseereise (1776– 1780) des englischen Seefahrers und Ent­ deckers James Cook (1728–1779) zurück: Sie gehören als älteste materielle Kulturzeugnisse der Hawaii-Inseln ebenfalls zur Ethnologischen Sammlung der Universität Göttingen.

Aufgrund von geographischen und klimatischen Unterschieden – Landmassen und Klimazonen – wurden die Südsee und der Hohe Norden, der sich über die Kontinente Asien und Amerika erstreckt, als getrennte Einheiten auch in die Kulturwissenschaften eingeführt. Dies gilt ebenso für ethnologische Sammlungen, die in der Regel geographisch, nach Kontinenten geordnet sind. Um jedoch verstehen zu können, wie diese von Europa weit entfernten Gebiete, sozusagen „am Rande der Welt“, „entdeckt“ (aus europäischer Sicht, notabene), erobert und schließlich in weltweite ökonomische und politische Verflechtungen eingebunden wurden, ist die Betrachtung dieser heute als Nordpazifik bekannten Großregion aus einer übergreifenden Warte unerlässlich. Der vorliegende Band schließt diese Lücke in der Betrachtung der europäischen Entdeckungs- und Eroberungsgeschichte dieser beiden getrennten Gebiete und zeigt auf, wie territoriale Expansion, Handel und Ressourcennutzung (vor allem in Bezug auf den Fellhandel) im Nordpazifik zu den Grundlagen einer globalisierten Welt beigetragen haben. Angehörige einstmals entfernter und isolierter Ethnien wurden über die bei ihnen gesammelten Dinge in dieses weltumspannende Beziehungsnetz von Akteuren unterschiedlicher Nationen ein­gegliedert: Die Welt begann näher zusammenzurücken.

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EINLEITUNG

Objekte als vielfältige Dokumente Die 44 Objekte legen Zeugnis von vielfältigen Beziehungen und Vernetzungen ab, sie sind historische und kulturelle Dokumente in einem: Dokumente, weil sie einzigartige Gegenstände aus der Zeit der ersten Kontakte zwischen den europäischen Entdeckern und der lokalen Bevölkerung sind (zweite Hälfte des 18. und frühes 19. Jahrhunderts). Sie wurden fast ausnahmslos von den Menschen vor Ort für die Verwendung in ihrem Alltag und im Ritualleben angefertigt. Viele von ihnen weisen Gebrauchsspuren auf. Die Beschaffenheit der Objekte und ihr Material, die Gestaltung ihrer Form und die Zwecke, für die sie hergestellt wurden, vermitteln Einblicke in die jeweilige Lebensform der Menschen. Sie zeigen, welche Rohstoffe genutzt wurden, wie funktionale Ansprüche an den Gegenstand sowie ästhetische und auch religiöse Vorstellungen „materialisiert“ wurden, d. h. ihren gegenständlichen Ausdruck gefunden haben. Es sind Dokumente traditioneller, von Europa noch kaum beeinflusster Lebenswelten. Sie erzählen die Geschichte von einem inzwischen fast mythisch gewordenen „Damals“, die Zeit der längst verstorbenen Ahnen. In diesem Sinn stellen diese Objekte auch Mosaikstücke einer früheren historischen Zeit vor Ort dar, sie sind Teil eines kulturellen Erbes geworden. Was manche dieser Dokumente kulturhistorisch besonders wertvoll macht, sind ergänzende schriftliche und bildliche Aufzeichnungen, die sammelnde Expedi­­

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tionsteilnehmer oder sie b­egleitende Künstler vor Ort gemacht haben: Diese berichten teilweise d­ avon, was sie von den Indigenen in situ zu einem Objekt erfahren haben, sie geben also indigene Sichtweisen wieder oder halten Verwendungszweck(e) und Bedeutung(en) fest. Die 44  Artefakte stellen jedoch auch Dokumente in einer anderen Hinsicht dar, denn sie befinden sich heute nicht mehr an ihrem Ursprungsort, sondern sind seit rund 200 Jahren in Europa. Diese Objekte sind deshalb auch Dokumente des Aufeinandertreffens von Europäern mit Vertretern und Vertreterinnen lokaler Gemeinschaften, persönlichen Begegnungen zwischen Europäern und Indigenen. Nur in wenigen Fällen wissen wir, wie einzelne Gegenstände in den Besitz der Expeditionsteilnehmer gelangt sind. Hatten sie nach solchen Gegenständen gefragt? Wurden sie ihnen freiwillig angeboten – etwa um als Gegenwert einen begehrten europäischen Gegenstand, wie zum Beispiel ein mit einer Eisenklinge versehenes Messer, zu erhalten? Gab es eine Bezahlung mit Geld? Geschah der Handel einvernehmlich? Und umgekehrt wäre zu fragen, von welchen Gegenständen sich die Menschen vor Ort nicht trennen wollten. Warum also konnten gerade diese Gegenstände, die sich heute vor allem in den ethnologischen Sammlungen von Göttingen, Oldenburg und München befinden, gesammelt werden? Dies alles sind Fragen, die heute mit dem Begriff „Provenienzforschung“ umschrie-

EINLEITUNG

ben werden. In vielen Fällen können wir keine Antwort geben; jedoch gehört es längst zur methodischen Vorgehensweise, dass man solche Fragen an einem Objekt überprüft, um Herkunft, kontextuelle Bedeutung(en) und den Weg der Objekte benennen zu können. Noch in einer weiteren Hinsicht stellen die Objekte Dokumente dar, denn sie haben, nachdem sie vor Ort von einem – oft als Person nicht genauer zu identifizierenden – Europäer erworben worden waren, lange und oft verschlungene Wege durch soziale Beziehungsnetze beschritten, die sie letztlich in die genannten

ethnologischen Sammlungen führten. In diesen Sammlungen stellen sie, sammlungshistorisch gesehen, Meilensteine dar, denn sie haben ihnen zu einer besonderen Bedeutung verholfen und bildeten schon früh den Anziehungspunkt für Gelehrte aus aller Welt. Diese Geschichte und speziell auch die Bedeutung der Göttinger Universität mit seiner Ethnologischen Sammlung haben wir im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte erforscht, herausgestellt und veröffentlicht (Hauser-Schäublin und Krüger 1998; HauserSchäublin und Krüger 2007). Wir fassen sie in der Folge kurz zusammen.

Früheste Sammlungen von Expeditionen in die Südsee und nach Sibirien Die europäischen Expeditionen in die Südsee und den Nordpazifik dienten der Erkundung bisher unbekannter Gebiete. Hinter ihnen standen handfeste politische und ökonomische Motive, die Gewinnung (bzw. Eroberung) neuer Territorien und die Erschließung neuer Ressourcen. Von verschiedenen Ländern Europas aus starteten im 18. Jahrhundert solche Expeditionen: Es war ein Wettbewerb um Gebiete, die später zu Kolonien wurden. Vor allem russische, englische, französische und amerikanische Expeditionen drangen bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts in die Weiten jenes nahezu unbekannten Ozeans vor, den sein europäischer Entdecker, der Spanier Vasco Nuñez de Balboa, 1513 „Mar del sur“ (Südsee) genannt hatte. 1521/22, während der ersten euro-

päischen Weltumsegelung, taufte der als Kapitän in spanischen Diensten stehende Portugiese Fernão de Magalhães (Magellan) ihn „Mar Pacifico“ (Pazifischer Ozean). Der danach von zwei spanischen Expeditionen 1542/43 und 1595/96 auf­ gesuchte und heute zum Nordpazifik gerechnete Bereich blieb in Bezug auf Erkenntnisse über die fremden Kulturzeugnisse ohne nennenswerte Spuren und Ergebnisse, so dass die dort von euro­ päischen Mächten in Gang gebrachten Begegnungen mit den Indigenen und die daraus resultierenden kulturellen Veränderungen erst ab dem 18.  Jahrhundert von nachhaltiger Bedeutung sind. Neben politischen Interessen ging es damals im Geiste der Aufklärung auch darum, die Südsee systematisch karto-

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EINLEITUNG

graphisch zu erfassen; zugleich sollte das Naturreich sowie die „Gesittung“ (der damalige Begriff für Kultur) der dort lebenden Menschen erforscht werden. Folglich gehörten den Schiffen, die zu den Weltreisen aufbrachen, neben Naturforschern und Gelehrten auch Zeichner an, die die Begegnungen vor Ort bildlich dokumentierten. Die erfolgreichsten interdisziplinär arbeitenden Forscherteams jener Zeit waren sicherlich James Cook und die Teilnehmer seiner drei Expeditionen in die Südsee (1768–1780). Für die ethnologisch relevanten Erkenntnisse war es ein Glücksfall, dass auf Cooks zweiter Reise (1772–1775) der deutsche Naturforscher Johann Reinhold Forster (1729–1798) und vor allem dessen Sohn Georg (1754–1794) teilnahmen. Letzterem verdanken wir in Gestalt von Reisetagebüchern, die auf der Grundlage der Reisebeobachtungen des Vaters zustande kamen, beachtenswerte eigenständig verfasste ethnographische Beschreibungen. Georg Forsters kulturphilosophische und komparatistische Reflexionen über die Südsee sowie seine sich zur Subjektivität bekennenden Analysen erhellen die Begegnung mit den anderen Kulturen in einer vorher nicht gekannten Weise. Als führender deutscher Südsee-Experte bereits im jungen Alter hoch geachtet, bildete die Verarbeitung der Weltreise ein prägendes Kapitel im Leben Georg Forsters, das ihn ab 1778 für mehrere  Jahre aufs engste mit Göttingen verband (vgl. dazu Hauser-Schäublin und Krüger 1998). Die reichen Bestände der Universitätsbibliothek für seine Südsee-Studien nutzend,

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war der weitgereiste Forster jemand, in dessen Überlegungen sich anbahnende weltweite Transformationsprozesse stets Berücksichtigung fanden. Der besondere Wert der von Baron von Asch gesammelten ethnographischen Gegenstände liegt nicht nur in ihrem hohen Alter begründet, sondern auch in der Tatsache, dass sie die Expansion Russlands nach Osten widerspiegeln. Der Hauptteil der Sammlung stammt von den großen wissenschaftlichen Expeditionen, die im damaligen Zarenreich der erstmaligen systematischen Erforschung Sibiriens dienten. Deren Zielsetzungen bestanden nicht nur in der Suche nach neuen Lebensmöglichkeiten und nach natürlichen Schätzen, sondern auch in dem Aufspüren eines Weges zum amerikanischen Kontinent. Diesen Vorstößen folgte die Kolonisierung Sibiriens und ihrer dort seit Jahrhunderten und Jahrtausenden lebenden Ethnien. An mehreren dieser Expeditionen beteiligten sich deutsche Forschungsreisende, wie zum Beispiel der Arzt Carl Heinrich Merck (1761–1799) oder die Geographen Peter Simon Pallas (1741–1811) und Johann Gottlieb Georgi (1729–1802). Die russische Erkundung Sibiriens und RussischAmerikas stellt aus heutiger Sicht somit ein erstes Projekt russischdeutscher Forschungskooperation dar. Zur gleichen Zeit, als Asch aufgrund persönlicher Beziehungen zu Teilnehmern der Expeditionen zu sammeln begann, dies geschah von den 1770er Jahren an, erkundete, wie bereits erwähnt, James Cook auf dem Seeweg die Küsten

EINLEITUNG

der beiden Kontinente und suchte im Jahr 1778 eine Durchfahrt zwischen ihnen. Zeitlich und geographisch besitzen die Asch und Cook/ForsterSamm-

lungen also Berührungspunkte, die sich nicht zuletzt in den gesammelten Objekten widerspiegeln, die schließlich nach Göttingen gelangten.

Personelle Verflechtungen: von Hawaii nach Sibirien Das Wissen um die Vorstöße von rivalisierenden Staaten und Expeditionen verband viele der Entdeckungsreisen miteinander. Verknüpfungen zwischen den einzelnen Reiseunternehmungen gab es auch auf personeller Ebene. Nicht nur bestand die Equipe auf diesen Schiffen und Landexpeditionen aus Angehörigen verschiedenster Staaten, also aus bunt zusammen gewürfelten Mannschaften. Manche Personen nahmen sowohl an Britischen wie auch Russischen Entdeckungsreisen teil. So war beispielsweise der Engländer Joseph Billings (1758– 1806) auf der 3.  Reise von James Cook (1776–1780) dabei, die im Auftrag der Britischen Admiralität stattfand: Auf dieser Fahrt wurde eigens der Nordpazifik bereist und ein schiffbarer Weg, der den Nordpazifik mit dem Atlantik v­ erbindet, die sogenannte Nordwestpassage, g­ esucht. Wetterbedingt blieb dieser Vorstoß ergebnislos. Aufgrund der bei dieser Reise gewonnenen Expeditionserfahrung übertrug die Zarin Katharina  II. Joseph Billings die Leitung einer russischen wissenschaftlichen Expedition zur weiteren Erkundung des Nordpazifiks. Diese fand von 1785–1794 statt und diente vor allem der Kartographierung der Tschuktschen-Halbinsel, der Beringstraße, der

Inselkette der Aleuten und der Westküste Alaskas. Der Amerikaner John Ledyard (1751–1789) war ebenfalls auf der dritten Cookschen Weltreise mit dabei gewesen. Danach trampte er abenteuerlustig von St.  Petersburg bis nach Jakutsk, das fast 5.000 Kilometer östlich von Moskau liegt. Dort stieß er auf die Expedition von Joseph Billings und schloss sich ihr für kurze Zeit an. Selbst zwei Deutsche nahmen als Matrosen an der dritten Reise von James Cook teil: Johann Heinrich Zimmermann (1741–1805) und der nur wenig bekannte Barthold Lohmann (Uhlig 2004:128). Der aus Wiesloch (Baden-Württemberg) stammende Zimmermann war von Beruf Gürtler und heuerte als Matrose auf der Discovery an. Er führte während der Reise Tagebuch über seine Erfahrungen und Erlebnisse, trotz striktem Verbot der britischen Admiralität. Persönlich ermuntert durch Georg Forster, der an der zweiten Reise Cooks (1772–1775) teilgenommen hatte, veröffentlichte er seine eigentlich unerlaubten Aufzeichnungen nach seiner Rückkehr. Auf dieser dritten Weltreise kam bekanntlich James Cook ums Leben. Zimmermann, selbst nicht Augenzeuge der tragischen Ereignisse auf Hawaii im Februar 1779, hielt

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EINLEITUNG

das fest, was ihm andere Mitglieder der Mannschaft berichtet hatten. Die Autorin Gudrun Bucher gibt Einblick in die aufschlussreichen Aufzeichnungen dieses deutschen Seemanns. Zimmermann nahm später an einer Reise nach Indien teil, seine geplante Teilnahme an einer Expedition in den Nordpazifik scheiterte aufgrund von Kriegsereignissen und finan­ziellen Schwierigkeiten des Organisators. Während Deutschland nicht direkt an den Vorstößen des 18.  Jahrhunderts in die Südsee und den Hohen Norden beteiligt war, so gab es dennoch eine Reihe von internationalen Beziehungen, sei es von Herrscherhäusern, sei es von Wissen­schaftlern, die an der Erforschung bislang unbekannter Gebiete und der politischen und wirtschaftlichen Expan-

sionen Europas direkt und indirekt mitwirkten. Dafür gab es berühmte Beispiele wie die bereits genannten Naturforscher Johann Reinhold und Georg Forster auf der 2.  Weltumsegelung von James Cook (1772–1775) oder den Arzt Carl Heinrich Merck, der an der von Katharina  II. von Russland in Auftrag gegebenen Billings-Expedition zur Erforschung der nordostsibirischen Küste, der pazifischen Inseln und Alaskas teilgenommen hatte. Ein weiterer bekannter Deutscher, Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), nahm als Historiker von 1733–1743 an der Zweiten Kamtschatka-Expedition teil (Bucher 2002). Auch auf dieser Ebene zeigt sich, wie vielfältig verwoben die Vorstöße unterschiedlicher europäischer Staaten in bis dahin unbekannte und weit voneinander entfernt liegende Gebiete waren.

Sammlungsgeschichten Die ethnologischen Sammlungen aus der Südsee und speziell dem Nordpazifik gelangten über persönliche akademische bzw. verwandtschaftliche und herrschaftliche Beziehungen nach Göttingen und Oldenburg. Der Kurator des Academischen Museums der Universität Göttingen, Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840), dem durch seine wissenschaftlichen Kontakte nach England bekannt war, dass insbesondere die auf den letzten zwei Reisen Cooks gesammelten Gegenstände direkt am Londoner Hafen verkauft wurden, wo die Schiffe der Expedition nach ihrer

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jeweiligen Rückkehr 1775 und 1780 vor Anker gingen, wollte auch für das Universitäts-Museum „Artificial Curiosities“ sichern: Er wandte sich deshalb am 27. August 1781, also ein Jahr nach Beendigung der drei Weltreisen von James Cook, mit einem Gesuch an die für die Göttinger Universität zuständige Behörde, die „Königlich GroßBrittannische zur Churfürstlich Braunschweigisch-Lüneburgischen Landesregirung Höchst verordnete Herrn Geheimde Räthe“, der Georgia Augusta „etwas von dem Ueberfluße ausländischer Natürlicher Merkwürdigkeiten“ zu überlassen. Dieses Gesuch, welches

EINLEITUNG

sich im Wiss. Kulturarchiv am Institut für Ethnologie der Universität Göttingen befindet, wurde an König Georg III, König von Großbritannien und in Personalunion Kurfürst von Hannover, weitergeleitet und von ihm einige Monate später in einem Schreiben an die Hannoverschen „Geheimden Räthe“ positiv beschieden: Am 15.  Juli 1782 bestätigte Blumenbach den Empfang einer Sammlung aus „349  Nummern“ bestehend. Die Kaufsumme dieser als „Königliche Schenkung“ in die Göttinger Annalen eingegangenen Sendung entsprach mit insgesamt 105 Pfund Sterling in Hannoverscher Währung etwa 560 Reichstalern, etwas mehr als dem doppelten Jahresgehalt eines damaligen Göttinger Professors. Was die erworbene Sammlung aus England bis in die Gegenwart insbesondere auszeichnet, ist die Genauigkeit, mit der sie durch einen zweiteiligen Katalog (drei  Hefte) dokumentiert worden ist. Dieser stammt von dem Londoner „Naturaliensammler“ George Humphrey. Er erhielt den offiziellen Auftrag, die für Göttingen bestimmte Sammlung zusammenzustellen. Durch intensive Befragung der Begleiter Cooks hat er alle Objekte, die nach Göttingen übersandt wurden, in seinem „Catalogue of Rarities from the New discovered Countries in the Pacific Ocean“ minutiös erfasst und beschrieben. Dieses Dokument der Ethnologischen Sammlung in Göttingen stellt bis heute eine unschätzbare ethnographische Fundgrube dar. Blumenbach ist es ebenso zu verdanken, dass die Cook-Sammlung durch den Nachlass von Johann Reinhold

Forster, der nach Übersiedlung von England vor seinem Tod  1798 in Halle Naturgeschichte gelehrt hatte, erfolgreich ergänzt wurde: Im Jahr  1799 gelangten 160 Ethnographica einschließlich eines „Verzeichniß der (Forsterschen) Südseesachen“ von Halle nach Göttingen. Die auf Baron Georg Thomas von Asch (1729–1807) zurückgehende Sammlung ist ein Geschenk des aus St.  Petersburg stammenden Arztes, der an der Georgia Augusta-Universität in Göttingen in den  Jahren von 1747 bis 1750 Medizin studiert hatte und unter dem berühmten Anatomie-Professor Albrecht von Haller promoviert wurde. Neben ethnographischen Objekten enthält die Sammlung weitere, sehr unterschiedliche Sachgruppen, die sich heute auf verschiedene Sammlungen der Universität Göttingen verteilen: Sie reichen von geologischen Proben, Tier und Menschenknochen, Pflanzen, Büchern und Landkarten über Münzen, Medaillen und Kupferstiche. Der ethnographische Bestand dürfte ursprünglich aus etwas mehr als 200 Gegenständen bestanden haben, von denen sich in der Ethnologischen Sammlung am Institut für Ethnologie der Universität Göttingen gegenwärtig noch 181 Arte­fakte nachweisen lassen. Diese in ihrem Umfang und ihrer wissenschaftlichen Qualität für das 18. Jahrhundert weltweit einzigartige Russland-Sammlung übersandte Asch auf Vermittlung des Direktors der Göttinger Universitätsbiblio­ ottlob Heyne, von 1771 thek, Christian G bis kurz vor seinem Tode im Jahr 1807 aus Dankbarkeit gegenüber seiner ehe-

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EINLEITUNG

maligen Alma Mater. Asch kann deshalb heute als einer der bedeutendsten privaten Spender der Göttinger Universität bezeichnet werden. Im Fall des Landesmuseums Natur und Mensch von Oldenburg, das einmal ein Großherzogliches Museum war und dessen Russland-Bestand die ­Göttinger Asch-Sammlung zeitlich vortrefflich kom­ plementiert, erfolgte der Erwerb der Sammlung, die Iwan Antonowitsch Kuprejanow (1799–1857) aus RussischAmerika (seit 1867 Alaska, USA) zusammengetragen hatte, auf der Grundlage der weitreichenden Beziehungen des Prinzen Peter von Oldenburg (1812–1881). Ein Brief des russischen Grafen Pawel Dmitriewitsch Tolstoi, der Geheimrat und Hofmeister des Prinzen war, belegt für das Jahr

1841 die Übersendung der KuprejanowSammlung an Prinz Peter von Oldenburg „zuhanden des Königlichen Museums in Oldenburg“. Kuprejanow war Offizier der Russischen Marine gewesen und hatte Transporte für Kamtschatka und Russisch-Amerika geleitet. Von ihm stammt auch eine ursprünglich offensichtlich sehr namhafte Sammlung im heutigen Museum für Anthropologie und Ethnographie, der einstigen Kunstkammer Peters des Großen, in St. Petersburg. Prinz Peter von Oldenburg hatte es bei der russischen Armee bis zum General gebracht und war damals Generalgouverneur von Nowgorod, Jaroslaw and Twer. Ob es persönliche Beziehungen zwischen Prinz Peter von Oldenburg und Iwan Antonowitsch Kuprejanow gab, wissen wir bis heute nicht.

Schluss Zurück zum Inhalt dieses Bandes: Aufgrund gezielt ausgewählter Objekte im Sinne polyvalenter Dokumente legt Gud­ run Bucher eine ethnologische Geschichts­ schreibung mit dem Anspruch einer Wissensforschung über frühe Globalisie­ rungsprozesse vor. Dabei dienen ihr die einzelnen Artefakte dazu, einerseits deren kulturellen Hintergrund, Funktion und Bedeutung kurz darzustellen, andererseits – und dies steht im Vordergrund des Unternehmens – aufzuzeigen, wie sie symbolhaft als Meilensteine die Geschichte der europäischen Entdeckung und des

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internationalen Konkur­ renzkampfes um die Gewinnung außereuropäischer Territorien und Handelsvormachtstellungen markieren. Die 44 Objekte werden nicht als isolierte Einheiten behandelt. Vielmehr stellt Bucher die Objektbiographien in ein Netz von historischen Beziehungen der Vorstöße europäischer Mächte in neue Gebiete. Es handelt sich um eine Geschichte des Beginns globalisierter Handels- und Kulturbeziehungen, erzählt am Beispiel ausgewählter Objekte aus den ehemaligen Randzonen der Südsee, Nordamerikas und Asiens.

KOLUMNENTITEL

I AUFBRUCH UND EROBERUNG

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WASSER ZWISCHEN RUSSLAND UND AMERIKA

D

ie handgezeichnete und kolorierte Landkarte stammt aus dem Jahr 1729. Pjotr Tschaplin (gest. 1765), Leutnant zur See, fasste darauf die wichtigsten Erkenntnisse von Vitus Berings Erster Kamtschatka-Expedition (1725–1730) zu­sammen und dokumentierte den vorläufigen Abschluss der Eroberung Sibiriens. Die Karte zeigt Sibirien östlich von Tobolsk. Der noch unerforschte Norden

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Sibiriens verliert sich im mittleren oberen Kartenrand, aber die von Bering erkundeten Umrisse von Tschukotka und Kamtschatka sind einigermaßen deutlich eingezeichnet. Links oben ist das russische Wappen, der von Byzanz übernommene Doppeladler, zu sehen. Darin ist der Heilige Georg als Drachentöter dargestellt, die beiden zusätzlichen Kronen stehen für die Einverleibung von Ka-

KOLUMNENTITEL

Abb. 1 Landkarte von Sibirien, um 1729. 59,5 x 137 cm. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 246.

san und Astrachan ins Moskauer Reich (s. u.). Unter dem Doppeladler befindet sich die Titelkartusche, an deren Rand links eine mit Fellen bekleidete Frau sowie ein nackter, lediglich mit Bändern um die Knie geschmückter Mann und an der rechten Seite eine in wallende Gewänder gehüllte Person dargestellt sind. Darunter sind farbige Zeichnungen von Tieren und Gegenständen aus Sibirien.

­ wei Kreise enthalten Abbildungen von Z Bestattungsweisen. Auffällig sind die zehn schwarz umrandeten farbigen Zeichnungen von Vertretern verschiedener Völker Sibiriens: Sie geben einen Überblick über die bis 1729 bekannten Völker im größer werdenden Russischen Reich und zeigen vier Darstellungen von Tungusen (s. Kap. 2), den einzigen Einwohnern Sibiriens, die Rentiere

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

zum Reiten nutzten. Zu erkennen sind eine Frau und ein Mann, die auf einem Rentier reiten. Außerdem eine Frau mit einem Fisch in der Hand und ein Mann mit Bogen und Köcher. Der männliche Tunguse trägt ein Gewand mit dem charakteristischen Brustlatz, der eine große Ähnlichkeit mit dem im nächsten Kapitel beschriebenen Kleidungsstück aufweist. Weiterhin sind ein Samojede mit Schneeschuhen, eine Jakutin, ein Korjake mit Schneeschuhen und Bogen sowie ein Kurile mit Pfeil und Bogen abgebildet. Auf der rechten Seite ist ein Tschuktsche

mit einem Vogel zu erkennen sowie ein Kamtschadale mit Hundeschlitten. An der Kleidung und den jeweils beigefügten Attributen sind die Zugehörigkeiten zu einzelnen Ethnien gut zu erkennen. Die Beschriftungen unter den Bildern und auf der Karte sind in russischer Sprache. Der Betrachter erhält eine Vorstellung von der dramatischen Vergrößerung des Russischen Reichs im Laufe des 17. Jahrhunderts. Diese Expansion war die Voraussetzung für die im weiteren Verlauf dieses Buchs dargestellte Geschichte der Nordpazifikregion. Wie kam es dazu?

Ausdehnung des Russischen Reichs bis zum Pazifik Begonnen hatte die Ausdehnung des Moskauer Großfürstentums unter Iwan  IV. (Iwan der Schreckliche), der sich im Jahr 1547 zum ersten Zaren ganz Russlands krönen ließ. Mit den Angriffen auf die Khanate Kasan an der Wolga im Jahr 1552 und Astrachan 1556, ebenfalls an der Wolga nicht weit vom Kaspischen Meer gelegen, erweiterte er das Territorium des Moskauer Reichs in nicht einmal 10 Jahren entscheidend über die bis dahin russischen Gebiete hinaus. Zur treibenden Kraft für die Überschreitung des Urals wurde die Kaufmannsfamilie Stroganow. Im Dienst der Stroganows gelang es dem Kosaken Jermak Timofejewitsch im Jahr 1582 den Ural zu überqueren und das Khanat Sibir (das Khanat ist eine Art Staatsgebilde, strukturell dem mittelalterlichen Feudalstaat ähnlich) ein-

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zunehmen. Das um 1470 entstandene Khanat Sibir wurde von Nachkommen ehemals berühmter mongolischer Herrscher regiert, die sich von der usbekischen Oberhoheit befreit hatten. Mit der Einnahme von Sibir war der Bann gebrochen und das weitere Vordringen ging rasch voran. Wirtschaftliche Interessen, insbesondere die Jagd auf Zobel, trieben die Kosaken immer weiter nach Osten. Schon in den  Jahren 1639 und 1648 erreichten sie an verschiedenen Stellen die Küste des pazifischen Ozeans. Unter Zar Peter I. (Peter der Große) fand schließlich die Ausdehnung des Russischen Reichs Richtung Osten ihr vorläufiges Ende. Der russische Entdecker Wladimir Atlassow eroberte im Jahr 1697 die Halbinsel Kamtschatka und machte die Einwohner zu steuerpflichtigen russischen Untertanen.

WASSER ZWISCHEN RUSSLAND UND AMERIKA

Vitus Berings Erste Kamtschatka-Expedition (1725–1730) Erste Antworten auf geographische Fragen, die in den Studierstuben seit dem 16.  Jahrhundert diskutiert wurden, liefert die Karte ebenfalls, indem sie keine Landbrücke nach Amerika aufweist. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war man sich nicht sicher, ob Russland und Amerika miteinander verbunden waren, oder ob das Meer die jeweiligen Küsten voneinander trennte. Existierte die vermutete Meeresstraße zwischen Russland und Amerika, die als „Straße von Anian“ auf einigen Karten verzeichnet war? Um zur Klärung dieser Frage etwas beitragen zu können, aber noch viel mehr um sein gigantisches Reich besser kennenzulernen und herauszufinden, welche Schätze es barg, hatte Zar Peter  I. den Auftrag zu einer groß angelegten Expedition gegeben. Vitus Bering, ein im russischen Dienst stehender dänischer Marineoffizier, sollte von Kamtschatka aus nach Norden segeln, um zu prüfen, ob es eine Landverbindung nach Amerika gab oder nicht. Wie die Karte zeigt, konnte Bering nachweisen, dass die beiden Kontinente nicht miteinander verbunden waren. Aber die Lage Amerikas in Bezug auf den äußersten östlichen Rand von Russland hatte er nicht klären können, da er in dichtem Nebel durch jene Straße gesegelt war, die heute seinen Namen trägt. An der schmalsten Stelle

ist die Beringstraße lediglich 80 km breit und nur an klaren Tagen kann man von der durch Bering entdeckten St. Lorenzinsel aus das Festland auf der anderen Seite erkennen. Dies zu sehen war Vitus Bering nicht vergönnt. Vermutlich wäre es nie zu dieser, später als „Erste Kamtschatka-Expedition“ bezeichneten Reise gekommen, hätte man nicht die Berichte des Kosaken Semjon Deschnjow im Archiv von Jakutsk zurückgehalten. Die örtlichen Vertreter leiteten sie nicht nach Moskau weiter, weil sie sie für unwichtig hielten. Erst der Historiker Gerhard Friedrich Müller fand die Papiere im Winter 1736/37 und lieferte damit den Nachweis, dass Semjon Deschnjow bereits im Jahr 1648 durch die heutige Beringstraße gesegelt war. Deschnjow war mit seinen Männern, von der Mündung des Flusses Kolyma kommend, in Booten bis zum Fluss Anadyr vorgedrungen und hatte erkannt, dass Tschukotka eine Halbinsel ist. Zar Peter  I. hatte die Notwendigkeit der genaueren Erkundung seines riesigen Reichs erkannt. Allerdings fehlten ihm gut ausgebildete Männer, die Kartierungsarbeiten sowie die Beschreibung der natürlichen Ressourcen des Landes übernehmen konnten. Um dem entgegen zu wirken, beschloss er den Aufbau einer Akademie der Wissenschaften.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften Im Austausch mit westlichen Gelehrten wie Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte Zar Peter  I. Konzepte für die Gründung einer Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Erst kurz vor seinem Tod im Januar 1725 kam er dazu, diese Pläne auch in die Tat umzusetzen. Zu den Aufgaben der Akademie sollten Aufbau und Einrichtung von Museen, zoologischen Gärten und Raritätenkabinetten sowie die Erforschung der natürlichen Ressourcen und die Anfertigung einer Liste aller im Russischen Reich gesprochenen Sprachen gehören (Dahlmann 1999, S. 16-17). Zusammengefasst könnte man daraus deuten, dass Russ-

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land in intellektueller Hinsicht den Anschluss an das westliche Europa suchte. Da es damals noch keine Universitäten in Russland gab, musste die junge Akademie auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses übernehmen. Die ersten Professoren wurden aus dem Ausland nach Russland berufen. Viele kamen aus Deutschland und der Schweiz. Einige von ihnen, wie der bereits erwähnte Historiker Gerhard Friedrich Müller, hatten im weiteren Verlauf der Geschichte erheblichen Anteil an der Erforschung des Russischen Reichs und der Entstehung ethnographischer Sammlungen in St. Petersburg.

2

ANFÄNGE DER VÖLKERBESCHREIBUNG (ETHNOGRAPHIE)

A

bb. 2 zeigt ein vorne offenes Gewand ohne Kapuze, vermutlich aus Rentierleder. Die Ränder sind mit schwarzen, blauen, hell- und rotbraunen Streifen aus Leder und Stoff verziert. Teilweise sind weiße Perlen aufgenäht. An der Schulter und der Saumlinie befinden sich lange Fransen aus Tierhaar. Die Ränder der Ärmel sind mit rotem und blauem, grob gewebtem Stoff verziert. Die Vorderseite kann von oben bis zur Hüfte mittels Schlaufen verschlossen werden. Die reichhaltige Verzierung deutet darauf hin, dass das Gewand an Festtagen getragen wurde. Ein gleichermaßen reichlich ausgestatteter Brustlatz ist zusätzlich mit blauen und weißen Perlen geschmückt. Im Gegensatz zum Gewand, bei dem es sich vermutlich um ein Sommergewand handelt, besteht bei dem Brustlatz die Außenseite aus Fell, so dass sich die Frage

stellt, ob die beiden Stücke ursprünglich zusammengehörten oder erst später zusammengefügt wurden, da zu tungusti­ schen Gewändern typischerweise ein Brustlatz gehörte. Die Bezeichnung Tungusen war im 18.  Jahrhundert gebräuchlich und umfasste nomadisierende Völkerschaften im östlichen Sibirien. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde dazu übergegangen, die Eigenbezeichnungen der Völker zu übernehmen, sodass man heute eher von Ewenken, Ewenen, Solonen, Negidalen und Oroken sprechen würde, als diese Gruppen zusammenfassend als Tungusen zu bezeichnen. Woher der Begriff Tungusen stammt, ist bislang ungeklärt (Forsyth 1992, S. 49), wenngleich als gesichert gilt, dass das Wort weder der russischen noch der ewenkischen Sprache entlehnt ist (Levin und Potapov 1964, S. 621).

Russland als Vielvölkerreich Sibirien war zum Zeitpunkt der russischen Eroberung zwar nur sehr dünn besiedelt, aber bei Weitem nicht menschenleer. Die einzelnen Ethnien lebten weit voneinander entfernt in kleinen Gruppen, die riesige Territorien benötigten, um ihr Überleben zu sichern. Zu den wichtigsten Wirtschaftsformen der indigenen Gruppen Sibiriens gehörten damals die

Jagd auf Landtiere und Rentierhaltung im Landesinneren sowie die Jagd auf Robben, Walrosse und Wale an den Küsten. Hinzu kamen Fallenstellerei und Fischfang. Nach der russischen Eroberung wurde die einheimische Bevölkerung gezwungen, eine Pelzsteuer an den Zaren zu entrichten (= jassak). Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, nahmen die Kosaken

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 2 Kleidungsstück, „Tungusen“. Material: Leder, Stoff. Maße: 98 x 150 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – As 47 (Foto: Harry Haase).

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ANFÄNGE DER VÖLKERBESCHREIBUNG (ETHNOGRAPHIE)

Geiseln (= amanaty) und hielten sie in ihren befestigten Siedlungen (= ostrogi) gefangen. Das Wohlergehen der Geiseln war fortan von den regelmäßigen Pelzlieferungen der Angehörigen abhängig. Mit dieser grausamen Art der Steuereintreibung sollte verhindert werden, dass die jeweiligen Ethnien sich in die Weiten Sibiriens zurückzogen, um den Tributzahlungen auszuweichen. Heute macht die indigene Bevölkerung Sibiriens nur noch ca. 4 % der Einwohner aus. Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts werden die Ethnien des nördlichen Sibirien zusammenfassend als die „Kleinen Völker des Nordens“ bezeichnet. „Klein“ bezieht sich hierbei auf die sehr

geringen Bevölkerungszahlen, die zwischen wenigen Hundert und ungefähr 35.000 liegen. Selbstverständlich gibt es – vor allem im südlichen Sibi­rien  – noch sehr viel größere Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise Sacha ( Jaku­ten) und Burjaten. Die Sprachen der sibirischen Ethnien werden folgenden Sprachgruppen zugeordnet: finno-ugrisch, tungusomandschurisch, türkisch, mongolisch und paläoasiatisch. Bei den paläoasiatischen Sprachen handelt es sich allerdings nicht um miteinander verwandte Sprachen. In dieser Gruppe werden jene Sprachen zusammengefasst, die sich keiner der größeren Sprachfamilien zuordnen lassen.

Gelehrte mit Perücke und Puder am Rand der bekannten Welt Alle Teilnehmer der Expeditionen, die über Land nach Kamtschatka oder Tschukotka reisten, kamen unterwegs mit Tungusen in Kontakt, da sich ihr Lebensraum über ein riesiges Gebiet erstreckte, von der Wasserscheide zwischen Ob und Jenissei bis an die Küsten des Ochotskischen Meeres. Auch war die Bevölkerungszahl mit circa 36.000 im 17.  Jahrhundert vergleichsweise hoch (Forsyth 1992, S. 48). Erste ausführlichere Beschreibungen der Lebensweise der Tungusen verdanken wir zwei Teilnehmern der sogenannten „Zweiten Kamtschatka-Expedition“. Diese stand, ebenso wie die erste, unter dem Oberkommando von Vitus B ­ ering und dauerte insgesamt zehn Jahre (1733– 1743). Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften waren an dieser Expe-

dition einige Gelehrte beteiligt. Unter ihnen waren der Historiker Gerhard Friedrich Müller und der Naturkundler Johann Georg Gmelin. Sie beschrieben unterwegs neben Flora, Fauna, Bodenschätzen, Siedlungen, Flüssen, Gebirgen und archäologischen Funden auch die einzelnen Völkerschaften, denen sie begegneten. In diesen Völkerbeschreibungen unterschieden sie zwischen „sitzenden“, d. h. sesshaften Tungusen, deren Lebensgrundlage Jagd und Fischfang waren, Rentiertungusen, die von Rentierhaltung und der Jagd auf wilde Rentiere lebten sowie Pferde- bzw. Rindertungusen, die zwar auch von der Jagd lebten, aber zusätzlich noch Pferde oder Rinder hielten. Die Pferdetungusen am Fluss Argun wurden auch als Solonen bezeichnet.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Gerhard Friedrich Müller über die Kleidung der Tungusen Als Beispiel einer frühen Völkerbeschreibung aus einer Zeit, noch bevor es das Fach Ethnologie an den Universitäten gab, sei hier eine längere Passage aus Ger-

hard Friedrich Müllers ‚Beschreibung der sibirischen Völker‘ (1736–1742) zitiert, in der er sich mit der Kleidung einer Gruppe von Tungusen beschäftigte:

„Odinjami ist bey diesen Tungusen die eintzige Leib-Kleidung im Sommer, welcher im

winter auch nur eine respondiret. Bestehet aus jungen Rennthiers Fellen (odindri), das rauhe aus­wendig, auf denen Schultern, um die Hüffte, und rund umher mit schwart-

zen und weissen eingeflikten Streiffen. Von anderen Rennthiers fellen nach eines jeden belieben geZieret. Schliesset sich vorne nicht gantz Zusammen, sondern wenn man

es allein anZiehen sollte, so würde die Haut auf 2 Hande breit Bloß Bleiben. Ist hinten etwas Länger als Vorn. gehet in allem nicht gar Bis auf die Knie. Enge Ermeln.

Unten rundherum sind Frangen [Fransen]. Von weißen Pferde Mähne[n] oder Ziegen

Bärten welche sie von denen Rußen einTauschen oder von denen langen Haaren so

denen Rennthieren unter dem Halse wachsen auf eine gute Handbreit […], und dar-

Zwischen Röthlich gefärbte Haare, die denen Rennthieren inwendig an denen Hufen wachsen, welche aber nur etwan halb so Lang sind. […]

Urúptun, Tungusischer Brustlappen hänget vom Halse über die brust herab, reichet

Bis über die Hosen-, und ist auf 2 bis 3 Hande breit. Er wird unter dem vorigen odini-

ami getragen, und das Odiniami wird über dem Uruptun vorne auf der brust und dem bauche mit Riemen Zugebunden.“

(zit. nach Hintzsche 2010, S. 171 f., für bessere Lesbarkeit leicht verändert)

Müller fertigte möglichst genaue Beschreibungen der Kleidungsstücke an und verwendete dazu auch die indigenen Bezeichnungen. In der zitierten Passage beschreibt er unter anderem den typischen Brustlatz, der in dieser Form bei den anderen von ihm beobachteten Völkern nicht vorkam. Wie Müllers Völkerbeschreibung und die wachsenden Sammlungen der Kunstkammer (das erste noch von Peter

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dem Großen gegründete Museum in Russland) zeigen, war die wissenschaftliche Neugier im 18. Jahrhundert auf das Fremde und Andersartige ausgerichtet. Dies wird auch in einer Anleitung zur Völkerbeschreibung deutlich, die Müller im Jahr 1740 für seinen Nachfolger verfasste. Dieses Dokument gilt heute als wichtiger Meilenstein für die Herausbildung des Fachs Ethnologie (Bucher 2002, Vermeulen 2015).

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GESCHENKE VON DEN RÄNDERN DER BEKANNTEN WELT

V

orne geschlossenes Kindergewand der Samojeden das mit der Fellseite nach innen direkt auf der Haut getragen wurde (Abb. 3). Die Ärmel weisen einen Fellbesatz auf und die Handschuhe sind direkt angenäht. Zur Verzierung sind dunkle und rote Lederstreifen aufgebracht. Die Tundra-Landschaften des Nordens westlich des Jenissei sowie die Halbinseln Tamar und Taimyr bildeten den Lebensraum der Samojeden, in welchem sie mittels Rentierhaltung ihre Existenz sicherten. Eine Besonder-

heit ihrer Lebensweise war, dass einige Gruppen sich auch während des Sommers mit Schlitten fortbewegten, die von Rentieren über das Gras durch die baumlosen Gebiete gezogen wurden. Unter dem Begriff Samojeden wurden von den Gelehrten des 18. Jahrhunderts mehrere indigene Ethnien zusammengefasst, nämlich Enzen, Nenzen, Nganassan und Selkupen. Erst im 20.  Jahrhundert, nach der Oktoberrevolution, ging man dazu über, die Eigenbezeichnungen der einzelnen Gruppen zu verwenden.

Falsche Vorstellungen von den „Randvölkern“ Die Samojeden gehörten zu den ersten Völkerschaften, die intensivere Kontakte mit den russischen Eroberern hatten. Sie wurden bereits in den frühesten Schriften über das Russische Reich erwähnt, in denen ihnen aufgrund einer falschen Volksetymologie  – nämlich Russisch sam  = „selbst“ und Russisch jedjat (3. Pers. Plural) = „sie essen“ – Kannibalismus unterstellt wurde (Pypin 1892, S. 187). Vorstellungen von Wildheit, zu denen Kannibalismus wie selbstverständlich dazu gehörte, wurden auf sie projiziert, ganz ähnlich wie dies in anderen neu entdeckten Weltgegenden geschah. So konnte

man lesen, bei den Samojeden sei der Mund oben auf dem Kopf und sie nähmen Nahrung zu sich, indem sie das Essen unter den Hut schöben und dann die Schultern auf und ab bewegten (Slezkine 1994, S. 32 f.). Allerdings gab es auch andere Stimmen, wie die von Adam Olearius, der im 17. Jahrhundert als Gesandtschaftsreisender in Russland unterwegs war. Er hatte in Moskau zwei Samojeden getroffen und befragt. In seinem Reisebericht bemühte er sich um Erklärungen für die sonderbaren Beobachtungen seiner Vorgänger. Die Angewohnheit der Samojeden, bei großer Kälte die Arme

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 3 Kinderkleidung, „Samojeden“. Material: Fell, Leder. Maße: 75 x 118 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – As 46 (Foto: Harry Haase).

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GESCHENKE VON DEN RÄNDERN DER BEKANNTEN WELT

aus den Ärmeln ihrer vorne geschlossenen Obergewänder zu nehmen und am Körper zu wärmen, schrieb er, könne aus der Ferne betrachtet wirken, als befände sich das Gesicht auf der Brust. Schneeschuhe könnten, aus größerer Distanz betrachtet, durchaus für riesige Füße gehalten worden sein (Olearius 1656, S. 159–161). Als sich die Kontakte zwischen Kosaken und Ein-

heimischen intensivierten und mit Beginn des 18. Jahrhunderts mehr und mehr wissenschaftlich ausgerichtete Expeditionen in die Weiten Sibiriens geschickt wurden, änderten sich die Berichte über die sibirischen Völker. In den gerade neu gegründeten Museen konnte sich der Besucher dann selbst ein Bild von den fremden Gebrauchsgegenständen machen.

Georg Thomas von Asch als Gönner der Göttinger Universität Am 28. Juli des Jahres 1777 bestätigte der Direktor der Göttinger Universitätsbibliothek, Christian Gottlob Heyne, den Eingang eines Briefes aus St. Petersburg. Der Brief war signiert mit „Ihr ergebenster und gehorsamster Diener, Baron Georg von Asch“ („Votre très humble et très obeïssant Serviteur, Le Baron George d’Asch“). Noch schrieb der russische Generalstabsarzt Georg Thomas von Asch hochoffiziell auf Französisch, der Sprache des russischen Adels. Dies änderte sich aber bald, denn das Verhältnis zwischen dem St. Petersburger Doktor der Medizin und dem Göttinger Gelehrten wurde zunehmend persönlicher. Baron von Asch beschränkte sich allerdings nicht auf das Schreiben höflicher oder freundschaftlicher Briefe, sondern machte es sich zur Gewohnheit, wertvolle Geschenke von wissenschaftlicher Bedeutung nach Göttingen zu schicken. Von Aschs Familie stammte ursprünglich aus Schlesien und war 1707 auf Einladung von Zar Peter  I. nach Russland gezogen. Der Vater trat in den Beamten-

dienst, stieg rasch auf und brachte es bis zum Postdirektor. Die Familie war recht vermögend. Am 12. April 1729 kam der Sohn Georg Thomas zur Welt. Seine Erziehung erfolgte durch Hauslehrer, nur ein Jahr lang besuchte der junge von Asch das St. Petersburger Gymnasium. Im Oktober des Jahres 1744 ging von Asch zum Studium der Medizin zunächst nach Tübingen. Zur Promotion wechselte er nach Göttingen und war von 1748 bis 1750 ein Schüler des berühmten, aus der Schweiz stammenden Professors für Botanik, Anatomie und Chirurgie Albrecht von Haller. Auch nach von Aschs Weggang aus Göttingen blieben Lehrer und Schüler einander in Freundschaft verbunden. Zurück in Russland dachte von Asch häufig und voller Freude an seine Göttinger  Jahre. Seinen ersten Brief schrieb er 21  Jahre nach dem Ende seines Studiums im November des Jahres 1771. Da die mitgelieferten Geschenke höchst wohlwollend aufgenommen wurden, begann von Asch seiner Alma Mater beim Aufbau der Bibliothek und des Academischen Museums

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

zu helfen, indem er fortan über 35 Jahre hinweg die Göttinger Universität mit seinen Sendungen unterschiedlichsten Inhalts beglückte, wozu neben Büchern, Manuskripten, Münzen, Medaillen, Kup-

ferstichen, Landkarten, Pflanzensamen, ausgestopften Tieren und menschlichen Schädeln auch die Gewänder und andere Gebrauchsgegenstände sibirischer Völker­schaften gehörten.

Transportprobleme Die Kindergewänder der Samojeden stehen exemplarisch für die sehr unterschiedlichen und teilweise verzweigten und je nach politischer Situation auch riskanten Transportwege, auf denen von Asch seine Kisten nach Göttingen bringen ließ. Wann immer möglich, gab er die Sendungen Ärzten, Gelehrten oder Studenten mit, wenn diese von St. Petersburg nach Deutschland reisten. Viele Kis-

ten gelangten auf dem Seeweg nach Lübeck und wurden dann in der Obhut von Reisenden, die mit dem Baron bekannt waren, nach Göttingen transportiert. Im Laufe der Zeit hatte von Asch sich unterschiedlicher Spediteure und Mittelsmänner bedient und in all den Jahren scheint nur eine einzige Kiste bei einem Schiffbruch verloren gegangen zu sein. Dazu schrieb von Asch am 3./14. April 1791:

„Für die guten Nachrichten, daß alle dahin abgesandten Sachen dort eingetroffen

sind, bin ich Ihnen, verehrter Freund, herzlich verbunden – Nur den Verlust des Chien Loup [Wolf-Hund-Mischling] muß unser Hr. Blumenbach verschmerzen, da Neptun

den hübschen Hund sich zugeeignet hat. Ein Opfer, dem Wassergott nicht zu missgönnen, für die bisherige Schonung so mancher Sendungen über See.“

Da in Russland noch der julianische Kalender galt, machte von Asch seine Datumsangaben in seinen Briefen nach Göttingen immer sowohl nach dem gregorianischen als auch nach dem julianischen Kalender, der im 18.  Jahrhundert 11 Tage gegenüber dem gregorianischen zurücklag. Die samojedische Kinderkleidung hatte Georg Thomas von Asch dem jüngsten

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Sohn des Göttinger Geschichtsprofessors August Ludwig von Schlözer mitgegeben. Karl von Schlözer lebte als Kaufmann in Lübeck und hatte im Jahr 1806 eine längere Reise ins Baltikum und nach St. Petersburg unternommen, wo er offenbar Kontakt zu von Asch gehabt hatte. Im Brief vom 15./27. September des  Jahres 1806 schrieb von Asch:

GESCHENKE VON DEN RÄNDERN DER BEKANNTEN WELT

„Hr. v. Schloetzer, nun nach Lübeck zurückreisend, nimmt gar gerne die SamojedenKinderkleidungen in 8 Nummern, zur weiteren Beförderung für das academische

Museum. Ich hoffe diese nordischen Trachten werden dort unbeschädigt anlangen.“

Von Aschs Hoffnung hatte sich tatsächlich erfüllt und die vier Obergewänder, eine Mütze, eine Hose und zwei Paar Stiefel befinden sich noch heute in Göttingen in der Ethnologischen Sammlung der Universität. Die Übersendung dieser Kleidungsstücke zeigt unter anderem, dass von Asch aus den unterschiedlichsten Quel-

len geschöpft haben muss, reichen seine Gaben doch vom nordwestlichen Teil Sibiriens bis zum östlichsten Zipfel der Halbinsel Tschukotka und darüber hinaus bis zu den Aleuten, der Insel Kodiak und dem Prince William Sound, sowie weiter südlich bis Tibet, China, Persien, Türkei, Armenien, Griechenland, Moldawien und Marokko.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

4

HANDELSPARTNER CHINA

A

uch diese Zeichnung gelangte im Rahmen der Geschenksendungen Georg Thomas von Aschs nach Göttingen. Von Asch hatte sie von dem Apotheker Karl Sievers (s. u.) erhalten, der zeitweilig in Kjachta lebte. Auf der Zeichnung ist links der nur spärlich bebaute russische

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Teil des Grenzorts und Handelszentrums Kjachta zu erkennen und rechts der extrem dicht besiedelte chinesische Teil. In der Mitte des Bildes ist der Grenzzaun mit einer geöffneten Pforte zu sehen. Am Eingang zur eigentlichen, durch Zäune geschützten Siedlung Kjachta, sind Wäch-

KOLUMNENTITEL

Abb. 4 Darstellung von Kjachta. Zeichnung, aquarelliert. Mit deutscher Beschrif­­­tung: „Prospect der beiderseitigen Handlungs = Örter Kiachta an der Russischen und Chine­sischen Grenze entworfen durch Chinesische Hand“. Maße: Breite 125 cm, Höhe 59 cm. Nieder­ sächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 269.

ter postiert. Im Zen­trum befindet sich der durch hohe Mauern abgeschirmte Handelshof. Dahinter ist eine im Vergleich zu den restlichen Gebäuden recht groß dargestellte Kirche. Auf der anderen Seite der Grenze liegt der ebenfalls umzäunte chinesische Ort, dessen Mitte von einer

Pagode dominiert wird. Jeweils in den Außenbezirken befinden sich Wohnungen und Gästehäuser. Alle größeren Grenztore sind sowohl auf der russischen als auch auf der chinesischen Seite bewacht. Diese Darstellung verweist auf eine Situation, die für Russland im weiteren

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Verlauf der Geschichte zu einem erheblichen Nachteil wurde. Denn der gesamte Handel zwischen Russland und China

musste entweder durch Karawanen in Peking oder an diesem Grenzort abgewickelt werden. Wie kam es dazu?

Handels- und Grenzverträge zwischen Russland und China – Der Vertrag von Nertschinsk Erste Verhandlungen zwischen Russland und China über den Grenzverlauf und den Handel hatten im Jahr 1689 nach aufreibenden Grenzstreitigkeiten begonnen und endeten mit dem Vertrag von Nertschinsk, der schließlich am 27. August / 7. September 1689 unterschrieben wurde. Möglich geworden war dies Dank der Vermittlung zweier Jesuiten (Tomás Pereira aus Portugal und Jean-François Gerbillon aus Frankreich), die zur chinesischen Delegation gehörten und neben Latein auch Mandschurisch und Chinesisch beherrschten, sodass das Vertragsdokument in lateinischer Sprache abgefasst

werden konnte. Der Vertrag von Nertschinsk regelte den russisch-chinesischen Grenzverlauf im Nordosten Chinas am Fluss Argun und dem Stanowoi Gebirge bis zum Ufer des Ochotskischen Meeres. Darüber hinaus war er von wesentlicher Bedeutung, weil China mit der Unterzeichnung dieses Dokumentes erstmals die Existenz eines weiteren souveränen Staates, nämlich des Russischen Reiches, anerkannte (Nentwig 1996, S. 163). Außerdem wurden den Russen Handelsrechte eingeräumt, die ihnen den chinesischen Markt öffneten (Dahlmann 2009, S. 87).

Der Vertrag von Kjachta Im Jahr 1728 kam es aufgrund personeller Veränderungen in den jeweiligen chinesischen und russischen Regierungshäusern zu weiteren Verhandlungen, die schließlich zur Unterzeichnung des Vertrags von Kjachta führten. Dieser regelte fortan neben Grenzfragen auch solche des Handels und der Diplomatie. Alle drei  Jahre durften russische Handelskarawanen nach Peking reisen, sollten aber nicht mehr als 200 Personen umfassen. Ansonsten wurde den Kaufleuten gestattet, an der Staats-

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grenze Kleinhandel zu betreiben. Dafür bot sich die genau an der Grenze liegende Siedlung Kjachta an. Südlich an Kjachta angrenzend wurde auf chinesischer Seite die Marktstadt Maimai Cheng (= Kleinhandelsstadt) gegründet. Russische Kaufleute boten Felle, Edelmetalle und Leder als Waren an und erwarben im Gegenzug Tee, Seide und die Wurzeln des Medizinalrhabarber (Buchholz, 1961 S. 86). Zunächst wurde der Abschluss des Vertrags als Vorteil gesehen, ermöglichte

HANDELSPARTNER CHINA

er doch endlich den ersehnten Handel mit China. Wie noch zu zeigen sein wird, entwickelte sich das Handelsabkommen zwischen Russland und China in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts jedoch zu einem erheblichen Nachteil für russische Kaufleute im Pelzhandel. Da ihnen der Verkauf von Fellen nur dort gestattet war, mussten sie ihre Waren den gesamten Weg von Ochotsk an der Pazifikküste über Landwege bis nach Kjachta transportieren. Das hatte zur Folge, dass

häufig ganze Ladungen von Pelzen auf dem langen Landtransport verdarben, weil sie zur Konservierung nicht ausreichend eingesalzen worden waren. Die Verträge von Nertschinsk und Kjachta behielten bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit und wurden erst von den Verträgen von Aigun (1858) und Peking (1860) abgelöst, durch die China seinen nordöstlichsten Teil verlor und der Grenzverlauf dann den Flüssen Amur und Ussuri folgte.

Georg Thomas von Asch und sein weit gespanntes Netz von Korrespondenten Baron Georg Thomas von Asch ­verfügte über ein vielfach verzweigtes und sich über das gesamte Russische Reich erstreckende Netz von Korrespondenten, die ihm mit ihren Briefen nicht nur Nachrichten aus den verschiedenen Regionen zukommen ließen, sondern auch „Merckwürdigkeiten“ für die Göttinger Universität. Zu diesen Korrespondenten gehörte der Apotheker Karl Sievers, von dem von Asch die hier dargestellte Zeichnung erhalten hatte. Sievers stammte ursprünglich aus Peine, war aber nach seiner Lehrzeit als Apothekergehilfe im Alter von 22 Jahren nach St. Petersburg ausgewandert, wo er wie viele junge Gelehrte aus Deutschland sein Glück versuchen wollte. Ab dem Jahr 1789 nahm Sievers an mehreren Expeditionen zur Suche nach dem damals als Abführmittel höchst begehrten Medizinalrhabarber teil und kannte daher das russisch-chinesische

Grenzgebiet recht gut. Über Sievers berichtet von Asch beispielsweise im Brief vom 18./29. September des Jahres 1793: „Der würdige Naturforscher, A ­ potheker Sievers hat eine gefährliche Reise

aus Krasnojarsk in die Bucharey unter­ nommen, durch ihn verspreche

ich mich manche neue Sämereyen zu bekommen.“

Diese Erwartung konnte Sievers zu von Aschs vollster Zufriedenheit erfüllen. Mehrfach schickte Sievers Samen und Wurzeln von Pflanzen an von Asch, die dieser umgehend nach Göttingen weiterleitete, wo sie von dem Botanikprofessor Johann Andreas Murray begeistert aufgenommen und untersucht wurden. Murray stammte aus Stockholm und hatte

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

von 1756 bis 1759 bei Carl von Linné in Uppsala studiert. 1760 nahm Murray einen Ruf nach Göttingen an und ab 1769 war er zusätzlich als Kustos des Botanischen Gartens in Göttingen tätig. Der Medizinalrhabarber, eine spezielle Art von Rhabarber, die man zur Herstellung des Abführmittels benötigte, wuchs nur in China. Die getrockneten Wurzelstücke gelangten auf zwei unterschiedlichen Handelsrouten nach Europa: Entweder fand der Handel im Grenzort Kjachta statt, von wo aus die Rhabarberwurzeln auf dem Landweg durch Russland transportiert wurden oder sie wurden von Kanton (die Stadt Guangzhou im Süden Chinas) aus direkt nach England oder andere europäische Häfen verschifft. Diese Route blieb russischen Händlern allerdings aufgrund der geschlossenen Verträge verwehrt. Solange die Beziehungen zwischen Russland und China geregelt waren und

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der Handel florierte, schickte von Asch hin und wieder ein Päckchen mit chine­ sischem Tee nach Göttingen, um die Gattin des Bibliotheksdirektors Heyne mit diesem damals großen Luxus zu erfreuen. Den Tee erhielt er ebenfalls von Sievers, der zeitweilig in Kjachta lebte. Über Sievers’ frühen Tod im April 1795 schrieb von Asch in seinem Brief vom 2./13. Dezember des Jahres 1795 nach Göttingen: „Der Apotheker Joh. Aug. Sievers aus

Peina gebürtig, überbrachte mir diese Sämereyen zu Anfang dieses Jahres,

und endigte alhier sein Leben schleunig den 6./17. April, eben da er seine

Rückreise nach Kjachta antreten sollte. Er war unverheyrathet – ich bedaure den Verlust eines Mannes der für die Naturgeschichte noch so nützlich hätte seyn können.“

5 D

ÜBERBRÜCKBARE DISTANZEN  – VERBINDUNG UND AUSTAUSCH ZWISCHEN ZWEI KONTINENTEN

ie Besonderheit dieser Kette ist, dass sie nicht aus einzelnen Gliedern zusammengefügt, sondern aus einem einzigen Walrossstoßzahn herausgeschnitzt wurde (Abb. 5). Sie besteht aus 19 Kettengliedern ohne jede Naht und zwei Endstücken, von denen das eine den Kopf und das andere die Fluke (Schwanzflosse) eines Grönlandwals darstellt. Die Jagd auf Walrosse war für die Völker beiderseits der Beringstraße von besonderer Bedeutung. Das Fleisch der Jungtiere diente als Nahrung, mit der Haut von Walrossweibchen wurden die Holzgerüste der Boote bespannt – sie war so dick, dass sie zuvor gespalten werden musste. Aus den Knochen wurden Waffen und Werkzeuge hergestellt und die Stoßzähne, wie an der Kette zu sehen ist, zu Schnitzereien verarbeitet. Walrosselfenbein war ein häufig verwendetes Rohmaterial für die Herstellung von Schnitzwerk. Dadurch wurde es zu einem wichtigen Wirtschaftsgut, das auch den im Nordpazifik ankommenden Europäern gut bekannt war. Bereits die Wikinger hatten im 14. Jahrhundert von Grönland aus Stoßzähne von Walrossen nach Europa geliefert, um damit ihre Steuerlast zu begleichen. Gegenstände aus Walrosselfenbein waren meist recht klein, aber stabil, verdar-

ben unterwegs nicht und ließen sich mit geringem Aufwand transportieren. Als nun häufiger Expeditionen den hohen Norden erkundeten und Nachrichten über verwertbare Ressourcen mitbrachten, wurden diese Regionen auch für Kaufleute interessant. Durch deren Präsenz entwickelte sich eine wachsende Nachfrage nach den kleinen Schnitzfiguren, die nicht zuletzt von den Seeleuten gerne als Souvenirs erworben wurden. Dies regte die lokale Produktion an. Die Einführung von Metallwerkzeugen erleichterte zudem die Bearbeitung des Materials, allerdings waren auch ohne Metallwerkzeuge meisterhaft bearbeitete Stücke hergestellt worden, wie archäologische Ausgrabungen zeigen. So wiesen beispielsweise Fitzhugh und Kaplan im Jahr 1982 darauf hin, dass Ketten aus Walrosselfenbein bei Ausgrabungen im westlichen Alaska gefunden wurden. Dies bedeutet, dass solche Ketten bereits vor der Kolonisierung und ihren Begleiterscheinungen, wie die Verfügbarkeit von Metallwerkzeugen und gesteigerte Nachfrage, hergestellt und möglicherweise gehandelt wurden. Die beiden Autoren gelangten zu dem Schluss, dass es im Nordpazifikgebiet weitreichende Beziehungen und Kontakte gegeben haben muss und materielle und immaterielle

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 5 Kette. Material: Walrossstoßzahn. Maße: Länge 29 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 681 (Foto: Harry Haase).

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ÜBERBRÜCKBARE DISTANZEN

Kulturgüter über große Distanzen hinweg weitergegeben wurden. Sie vermuteten, dass von sibirischen Schamanen getragene Metallketten als Vorbild für solche Elfenbeinschnitzereien gedient haben könnten (Fitzhugh und Kaplan 1982, S.  234). Wie diverse Ausgrabungen belegen (siehe Leskov und MüllerBeck 1993), existierten Kontakte und Austausch sogar über die Beringstraße hinweg. Diesen Umstand nutzten auch die frühen Expeditionsteilnehmer im Beringmeergebiet, indem sie sich durch Befragungen und Kommunikation mit-

tels Zeichensprache von der indigenen Bevölkerung Informationen über die jeweils andere Seite beschafften. Die Kette aus Walrosselfenbein gelangte ebenfalls durch Baron von Asch nach Göttingen. Sie stammt, wie alle anderen Gegenstände aus von Aschs Sendungen, aus der Frühzeit des ethnographischen Sammelns und ist damit ein Kulturdokument der frühen Kontaktgeschichte und zwar aus der Zeit, bevor sich die lokalen Gesellschaften durch die neu eindringenden Einflüsse grundlegend ver­änderten.

Sammeln für die Wissenschaft Als die ersten wissenschaftlichen Expeditionen im 18.  Jahrhundert die Küsten des Beringmeeres erreichten, hatten sie bereits Anleitungen zum Anlegen von Sammlungen im Gepäck. Der bereits erwähnte Historiker Gerhard Friedrich Müller verfasste um 1740, während seiner Teilnahme an der Zweiten KamtschatkaExpedition, eine solche Anleitung zum Sammeln mit dem Titel: „Von Sammlung verschiedener Sachen für die Kayserliche Kunstkammer.“ In diesem Dokument legte Müller ausführlich dar, was von unterwegs mitzubringen war. Besonders wichtig war ihm das Sammeln von Kleidung. Es sollte unbedingt darauf geachtet werden, sowohl Männer- als auch Frauengewänder zu erwerben. Eines der Auswahlkriterien für die mitzubringenden Objekte war Müller zufolge der Grad ihrer Fremd- oder Andersartig-

keit: „Allerley Hauss-Geräthe, so etwas besonders hat, und von dem unsrigen unterschieden ist“ waren das Ziel der Sammlung (Russow 1900, S.  98). Neben Kriegs- und Jagdgerät waren Zeremonial- und Alltagsgegenstände für die Kunstkammer einzutauschen oder zu kaufen. Als Handelsgut empfahl Müller chinesischen Tabak. Die Expeditionsteilnehmer sollten versuchen, auch Objekte aus Gegenden zu beschaffen, die sie selbst gar nicht bereist hatten. Müller bat, darauf zu achten, „dass dafür denen Völkern eine richtige Bezahlung gereichet, und was bezahlet worden, angezeiget werden möge“ (Russow 1900, S.  99). Dies erklärt, warum bereits in der Mitte des 18.  Jahrhunderts mehr und mehr Artefakte aus den russischen Randgebieten in die Kunstkammer nach St. Petersburg gelangten.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Vitus Berings Zweite Kamtschatka-Expedition (1733–1743) Die wissenschaftliche Erforschung der nichtrussischen Völker des Russischen Reiches und der östlichen Ränder, also insbesondere Kamtschatkas und später auch Tschukotkas, begann im 18.  Jahrhundert. Während der bereits erwähnten, insgesamt zehn  Jahre andauernden Zweiten Kamtschatka-Expedition, wurde Pionierarbeit geleistet. Eine Abteilung von Gelehrten der Akademie der Wissenschaften reiste über Land durch Sibirien bis Kamtschatka, um alles Wissenswerte aus den drei Naturreichen – Mineralogie, Pflanzen, Tiere – und über die Menschen in den abgelegenen Gebieten zu beobachten und aufzuschreiben. Vitus Bering selbst hatte neben der Gesamtleitung der Expedition den Auftrag, von Kamtschatka aus den Weg nach Amerika zu suchen und dabei die damaligen Landkarten zu überprüfen, auf denen südöstlich von Kamtschatka Land eingezeichnet war. Nach langjährigen Vorbereitungen und dem Bau zweier Schiffe – St. Peter und St. Paul – konnte Bering Anfang Juni 1741 endlich mit seiner wichtigen Aufgabe beginnen. Er erbrachte den Nachweis, dass das eingezeichnete Land nicht existierte, entdeckte dafür aber mehrere Inseln, die erheblich weiter östlich lagen. Schließlich erreichte er am 20. Juli, dem Eliastag, Kayak Island, und taufte das gesichtete Stück Land Kap St. Elias. Auch der Mount St. Elias im heutigen Alaska verdankt seinen Namen Berings Sichtung an diesem Tag. Wie der mitreisende Arzt und Naturkundler Georg Wilhelm Steller aufgrund

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eines kleinen blauen Vogels erkannte, war die Expedition auf einer direkt vor dem amerikanischen Kontinent liegenden Insel gelandet. Bei dem kleinen blauen Vogel handelte es sich um den Diademhäher (Cyanocitta stelleri), den Steller aus der vorbereitenden Lektüre zu kennen glaubte. Da er ihn für den in Amerika beheimateten Blauhäher (Cyanocitta cristata) hielt, war er davon überzeugt, tatsächlich in der Neuen Welt angekommen zu sein. Aufgrund der fortgeschrittenen  Jahreszeit drängte Bering alsbald zur Rückreise. Dies veranlasste Steller zu dem berühmt gewordenen und viel zitierten Ausspruch: „Die Zeit, welche hier zu Untersuchungen angewendet ward, hatte mit

den Zurüstungen ein arithmetisches Verhältnis; zehn Jahre währte die Vorbereitung zu diesem großen

Endzweck, zehn Stunden wurden zur Sache selbst gewidmet.“

(zit. nach Posselt 1990, S. 251)

Die Mannschaft musste den Winter schließlich auf einer bis dahin unbekannten und unbewohnten Insel verbringen. Vitus Bering starb dort am 8. Dezember 1741, weshalb das Eiland heute seinen Namen trägt. Stark dezimiert kehrte die Mannschaft im folgenden Sommer nach Kamtschatka zurück und berichtete über

ÜBERBRÜCKBARE DISTANZEN

die vielen Füchse auf der Beringinsel sowie über das angenehm schmeckende und nahrhafte Fleisch der Steller’schen Seekuh (Hydrodamalis gigas bzw. Rhytina stelleri). Alexei Tschirikow, Berings Stellvertreter und Kommandant des zweiten Schiffs, der St.  Paul, hatte im Sommer 1741 ebenfalls die Aleuten und weitere Inseln vor dem amerikanischen Kontinent erreicht. Ihm war aber im Gegensatz zu Bering die Rückkehr noch im Herbst des Jahres 1741 gelungen. Beide Mannschaften berichteten vom weichen Fell der Seeotter vor der amerikanischen Küste und dass diese Tiere in großer Zahl dort vorkamen. Seeotterfelle lie-

ßen sich ebenso gewinnbringend verkaufen wie Zobelpelze. Letztere waren zunehmend schwieriger zu finden, weil der Zobel bereits hoffnungslos überjagt war. Die Erzählungen von der neuen Ressource wanderten rasant von Mund zu Mund und bereits 1742 machten sich die ersten promyschlenniki auf den Weg nach Amerika. Promyschlenniki nannte man in Russland freie Personen, die sich auf eigene Rechnung mit der Jagd auf Pelztiere oder dem Fischfang beschäftigten. Sie waren meist Händler, Jäger und Abenteurer in einer Person. Gelegentlich wurden sie  – vom Staat besoldet  – mit speziellen Aufträgen in sehr unzugängliche Gebiete geschickt.

… und weiter führt der Weg nach Osten Zunächst trieben also private Initiativen die russische Ausbreitung über den Nordpazifik voran. Zwei der GeneralGouverneure von Sibirien, Wassili Miatlew (Amtszeit 1753–1757) und Fedor Soimonow (Amtszeit 1757–1762), begleiteten diese Aktivitäten mit Wohlwollen, teilweise sogar mit Unterstützung. Der Drang Richtung Osten, der nur vorübergehend an der Pazifikküste aufgehalten worden war, setzte sich seit der Rückkehr von Berings Mannschaften zwar unter schwierigen Bedingungen, aber ohne politische Hindernisse fort. Soimonow sorgte sogar dafür, dass private Fellhändler staatliche Unterstützung für die Bewaffnung ihrer Schiffe und Munition für die Gewehre ihrer Mann-

schaften erhielten. Er war insbesondere an der Kartierung der fernöstlichen Regionen interessiert. Georg Thomas von Asch – auch da wieder auf der Höhe der Zeit und nahe an den aktuellen Ereignissen – gelang es, eine der von Soimonow zusammengestellten Karten nach nach Göttingen zu schicken. Außerdem unterstützte Soimonow die Erkundung der Kurilen, der Region um Anadyr sowie der Tschuktschenhalbinsel. Im Jahr 1761 instruierte er Leutnant Iwan Sindt, von Ochotsk aus entlang der Küsten Kamtschatkas und der St. Lorenz Insel zur Beringstraße und dann zum amerikanischen Festland zu segeln, um die jeweiligen Küsten zu beschreiben und zu kartieren. Sindt schien prädestiniert

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 6 Karte von der Halbinsel Kamtschatka und dem gegenüberliegenden Festlande und den Inseln von Amerika, so wie sie aus den Journalen des Capitän Bering Tschirikow und Anderer auf ihrer Rückreise in den Jahren 1741/2 aufgenommen und beschrieben worden sind. Farbige Tuschzeichnung mit russischen Erklärungen. Maße: Breite 86 cm, Höhe 49 cm. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 276.

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ÜBERBRÜCKBARE DISTANZEN

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 7 John Webber. Meerotter. Forster, 1789.

für diese Aufgabe, da er mit Bering nach Amerika gesegelt war und die Überwinterung auf der Beringinsel überlebt hatte, sich also in der Region bereits auskannte. Darüber hinaus stand Soimonow mit Gelehrten wie Gerhard Friedrich Müller in Verbindung und tauschte sich mit ihnen aus. Ob die Kette aus Walrosselfenbein vielleicht sogar über Ivan Sindt nach Petersburg gelangt sein könnte, bleibt Spekulation; es wäre aber aufgrund der engen Verflechtungen durchaus denkbar. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie auf die noch zu erwähnende Expedition unter der Leitung von Joseph Billings zurückgeht (s. Kap. 24).

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Dies alles macht deutlich, dass Russlands Vordringen nach Osten nicht an der Pazifikküste endete. War die Eroberung bis dahin über Land vonstatten gegangen, mit dem Zobel als Triebfeder, löste der Seeotter den Zobel nun ab. Die von Peter  I. eingeführte Konzentration auf Schiffsbau und die Meere machte sich nun bezahlt: neben den staatlich finanzierten Expeditionen begannen viele Kaufleute, Schiffe auszurüsten, um an den weichen Fellen der Seeotter, deren Hauptabsatzmarkt in China war, gut zu verdienen.

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DAS WICHTIGSTE SIND GUTE KARTEN

A

uch diese Karte (Abb. 8) gelangte Dank der Großzügigkeit des Barons von Asch in die Göttinger Universitätsbibliothek. Sie stellt die kartographischen Ergebnisse einer staatlich finanzierten Expedition zu den Aleuten dar (s. u.). Am linken Rand der Karte ist die Halbinsel Kamtschatka eingezeichnet, in der Mitte das Beringmeer, das

damals noch „Kamt­schatkameer“ genannt wurde und auf der rechten Seite sind einige Inseln der Aleutenkette zu erkennen. Die Beschriftung der Karte ist teilweise auf Deutsch und teilweise auf Russisch. Links neben dem eingerahmten, in Russisch beschrifteten, Feld in der unteren Mitte der Karte ist auf Deutsch zu lesen:

„Carte von Kamtschatka und den benachbarten Inseln, nach den Beschreibungen

der Hrn. Lewaschoff, KrenZin und anderer, in den Jahren 1767–1769, deren Reise nach der Zeit, durch die L­ inien auf der See bestimmt sind.“

Die Inselkette der Aleuten Auf der abgebildeten Karte wirken die Aleuten wie eine Gruppe dicht beieinanderliegender Inseln. Eigentlich handelt es sich aber um eine Inselkette aus 110 größeren sowie einer Vielzahl kleinerer Inseln und Vogelfelsen. Diese heute zum US-Bundesstaat Alaska gehörenden Inseln erstrecken sich von der Alaska-Halbinsel ungefähr 1800 km nach Westen und bilden die Grenzlinie zwischen Beringmeer und Pazifik. Die in der Verlängerung der Inselkette liegenden und zur Russischen Föderation gehörenden Kommandeurinseln (Beringinsel und Kupferinsel) östlich von Kamtschatka sind ein biolo-

gisches und geographisches Bindeglied zwischen Nordostasien und Nordwestamerika. Die meisten der aleutischen Inseln sind vulkanischen Ursprungs und an vielen Stellen auch heute noch geothermal und vulkanisch aktiv. Zwar sind die Temperaturen im Winter mit Werten um den Gefrierpunkt vergleichsweise mild, die Sommer aber sind mit ca. 6° bis 8 °C relativ kühl. Auf den Inseln gibt es jedoch keinen Dauerfrostboden und das Meer um die Aleuten friert in der Regel nicht zu. Insgesamt waren die Bedingungen für die Russen dort milder und weniger extrem als in den zentralen Teilen Sibiriens.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Neue staatliche Aktivitäten Katharina  II. (Katharina die Große) war ab 1762 Zarin des Russischen Reiches und begann die staatlichen Interessen im Nordpazifik zu festigen, indem sie der Marine befahl, die promyschlenniki (Gewerbetreibende) zu unterstützen. Während ihrer gesamten 34-jährigen Regierungszeit (1762–1796) zeigte sie Interesse für die russischen Gebiete in Amerika (Black 2004, S.  79). Recht bald nach ihrem Re-

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gierungsantritt entsandte die Zarin im Jahr 1764 gleich zwei Marineexpeditionen an die nordöstlichen Küsten Russlands. Dabei handelte es sich um die ersten staatlich finanzierten Expeditionen seit Vitus Berings Zweiter Kamtschatka-Expedition (1733–1743). Die Ziele der beiden Expeditionen waren hoch angesetzt: Die eine sollte unter der Leitung von Wassili Tschitschagow von Spitzbergen an Grön-

DAS WICHTIGSTE SIND GUTE KARTEN

Abb. 8 Karte mit den Resultaten der Expedition von Michail Lewaschow und Petr Krenitsyn, Kam­ tschatka und dem Weg der Expedition zu den Aleuten. Farbige Tuschzeichnung. Maße: Breite 134 cm, Höhe 52,5 cm. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 277.

land vorbei, durch das Polarmeer zu den Aleuten segeln, also die Nordwestpassage erkunden. Pjotr Krenizyn und Michail Lewaschow erhielten als Kommandanten der zweiten Expedition den Auftrag, von Ochotsk aus über Kamtschatka zur amerikanischen Küste und dann zu einem vereinbarten Punkt auf den Aleuten zu segeln, um dort mit Tschitschagow zusammen zu treffen, sich auszutauschen und

dann auf dem Weg, auf dem der jeweils andere gekommen war, zurückzukehren. Eine mehr als optimistische Planung, da bis dahin weder der Weg über den Pol gelungen, noch die Nordwest- oder Nordostpassage gemeistert worden waren. Katharina erhoffte sich durch die Erkundung der nördlichen Seewege, diese künftig als Handels- bzw. Transportrouten nutzen zu können. Ziel beider Expeditionen war es

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

deshalb auch, Offiziere und Mannschaften mit der Navigation im Eis vertraut zu machen (Black 2004, S. 84). Tschitschagow versuchte nun in zwei aufeinander folgenden Sommern von der Kola-Halbinsel aus nach Norden vorzudringen, stieß aber jedes Mal bei ca. 80° Nord auf undurchdringliches Eis. Damit wurden die Pläne eines Zusammentreffens der beiden Expeditionen undurchführbar. Erfolgreicher waren Lewaschow und Krenizyn. Zu ihren Aufgaben gehörte die Überprüfung von Gerüchten bezüglich der Präsenz anderer Europäer, insbesondere von Spaniern an der Küste (Black 2004, S.  86). Es galt, heraus-

finden, ob die indigene Bevölkerung bereits unter die Herrschaft einer europäischen Macht geraten war und dieser Tribut leistete. Zu diesem Zweck sollte Krenizyn, einerseits promyschlenniki an Bord nehmen, die sich im Bereich der Aleuten gut auskannten und andererseits junge Aleuten, die in Kamtschatka Russisch gelernt hatten, als Dolmetscher mitnehmen. Neben kartographischen und hydrographischen Arbeiten und der Erhebung demographischer Daten erwartete man von der Expedition Beschreibungen der Lebensweise der Aleuten sowie eine Dokumentation von Flora, Fauna und Bodenschätzen.

Konflikte zwischen Aleuten und Russen Die Krenizyn-Lewaschow Expedition fand zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Es war zu Beginn der 1760er  Jahre zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Russen und Aleuten gekommen, in deren Verlauf die Aleuten russische Schiffe angegriffen und große Teile der Mannschaften getötet hatten. In dieser angespannten Lage mussten Krenizyn und Lewaschow äußerst vorsichtig vorgehen. Sie erreichten die Inselkette im Jahr 1768 und überwinterten unabhängig voneinander, weil die beiden Schiffe sich während eines Sturms aus den Augen verloren hatten. Krenizyn verbrachte den Winter auf der Insel Unimak in St.  Catherine Cove. Er verlor 36 seiner 71 Männer durch Skorbut und Nahrungsknappheit. Grund dafür war, dass er aus Angst vor weiteren

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Auseinandersetzungen jeglichen Kontakt mit den Aleuten untersagte und seinen Männern verbot, sich vom Camp zu entfernen, um selbst auf die Jagd zu gehen. Besser erging es der Lewaschow’schen Mannschaft, die in der Unalaska Bucht überwinterte und „nur“ drei Besatzungsmitglieder verlor. Nachkommende russische promyschlenniki zerstörten Waffen und Boote der Inselbewohner, um sie an der Kriegführung zu hindern. Durch den Verlust von Harpunen, Lanzen und Booten waren die Aleuten nicht nur wehrlos gegenüber den Russen, sie büßten darüber hinaus ihre Lebensgrundlage ein, weil sie ohne Waffen nicht mehr jagen konnten. Dies bedeutete das Ende ihrer Unabhängigkeit und fortan waren sie gezwungen, für die

DAS WICHTIGSTE SIND GUTE KARTEN

russischen promyschlenniki zu arbeiten (Black 2004, S. 89). Nach überstandenem Winter und der Wiedervereinigung der beiden Schiffe am 1. Juni 1769 trat die Expedition die Rückreise nach Kamtschatka an. Dort ertrank Krenizyn am 4. Juli 1770 im Fluss Kamtschatka infolge eines Unfalls (Ordubadi 2016, S.  50). Lewaschow hingegen gelang die Rückkehr nach St. Petersburg und damit die Vollendung der Expedition sowie die Übergabe ihrer Ergebnisse an die Admiralität in St. Petersburg. Als Resultate entstanden exzellente Karten, ausführliche ethnographische Beschreibungen sowie Berichte über das Vorgehen der Fellhändler. Baron von Asch glückte es, eine der

Karten mit der Reiseroute der beiden Schiffe nach Göttingen zu schicken. Die russischen Aktivitäten wurden außerhalb Russlands nicht nur aus poli­ tischen Gründen verfolgt. Auch die wissenschaftliche Welt nahm regen Anteil und veröffentlichte meist zeitnah Artikel in verschiedenen Sprachen über die russischen Entdeckungen (Dahlmann, Friesen, Ordubadi 2009, S. 23). Auf staatlicher Ebene lösten die russischen, jetzt offiziellen, Aktivitäten unterschiedliche Reaktionen aus: Spanien sah seine Ansprüche auf die Westküste des amerikanischen Kontinents bedroht und England fürchtete, Russland könne dem Königreich bei der Suche nach einer der Nordpassagen zuvorkommen (Black 2004, S. 91).

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Abb. 9 Lippenpflöcke, Aleuten. Material: Knochen oder Walrosselfenbein. Maße: Am 779 1 x 0,9 cm; Am 780 a) 1,2 x 1,1 cm; b) 1 x 0,9 cm; Am 781 a) 3,5 cm lang, b) 3,8 cm lang. Ethno­ logische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 779, Am 780 a, b Am 781 a, b (Foto: Harry Haase).

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DOCH NICHT ALLEIN AUF WEITER FLUR …

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er Schmuck der Aleuten, vor allem die Lippenpflöcke, waren den russischen promyschlenniki besonders aufgefallen und ab 1760 wurden sie regelmäßig in ihren Berichten erwähnt. So zitiert Waldemar Jochelson 1933 in seinem Überblickswerk über die Aleuten aus den

Tagebüchern russischer Händler und Kosaken, wie Andrejanow Tolstych. Tolstych gilt als der Entdecker der mittleren Inseln der Aleutenkette, die ihm zu Ehren als Andreanof Islands bezeichnet werden (Isto 2012, S.8, Jones 2014, S.  83). Er schrieb um 1760:

„Ihren Gebräuchen entsprechend schneiden sie Löcher in beide Seiten der Oberlippe und ein Loch in die Unterlippe über dem Bart. In diese Löcher stecken sie Stücke

(= Lippenpflöcke) aus Walrosselfenbein, deren Form einem Eberbackenzahn gleicht.

Manche – sowohl Männer als auch Frauen – stecken sich bis zu 10 cm lange Knochen von der Dicke eines Gänsekiels durch ein Loch in der Nasenscheidewand, was den

Reichtum des Klans und ihre Lebensweise zeigt.“

Aber auch von den staatlich finanzierten Expeditionen, wie der im vorigen Kapitel erwähnten von Krenizyn und Lewaschow, stammen Berichte über diesen auf die Russen fremd und exotisch wirkenden Brauch. So notierte Lewaschow als er 1769 in Unalaska war, dass sich die

(Jochelson 1933, S. 10)

Männer in die Einschnitte der Unterlippe ein Stück aus einem weichen Stein oder Knochen ähnlich einem Eberhauer steckten und sich zu besonderen Anlässen oder im Krieg Perlen und Bernstein zwischen die eingefügten „Zähne“ hängten ( Jochelson 1933, S. 19).

Verflechtungen von Wissenschaft, Politik und Wirtschafts­ interessen Wenngleich sich die ­Erklärungsversuche für die Gewohnheit Lippenpflöcke zu tragen unterschieden, wurden die Berichte darüber doch alle im Geiste der

Aufklärung verfasst, während der man sich voller Neugier und zunächst einmal relativ unvoreingenommen mit solchen Phäno­menen beschäftigte. Die wachsende

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 10 John Webber. A man of Oonalashka.

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DOCH NICHT ALLEIN AUF WEITER FLUR …

An­zahl solcher veröffentlichten Beob­ achtungen wies auf die intensive russische Präsenz im Nordpazifik hin, deren deutlichstes Zeichen die von Katharina  II. entsandte und staatlich organisierte Marineexpedition (s. Kap. 6) war. Zusammen genommen führte all das in Spanien zu Beunruhigung. Zwar gab es noch keine dauerhaften russischen Siedlungen an der Nordwestküste Amerikas, aber während der Sommermonate waren

die promyschlenniki regelmäßig auf den Aleuten präsent und betrieben Seeotterjagd. Zeitgleich dehnte Spanien sein Herrschaftsgebiet an der Westküste des amerikanischen Kontinents immer weiter nach Norden aus und sogar Frankreich bekundete mit der ersten französischen Weltumsegelung (1766–1769) unter dem Kommando von Louis Antoine de Bougainville Interessen im Pazifik (Gough 1992, S. 26).

Spanien zeigt Flagge Spanische Missionsstationen wurden immer weiter nördlich angelegt und mit der Gründung der Mission San Francisco im Jahr 1769 begann die spanische Kolonisierung Kaliforniens. Dafür wurde ein weiterer Stützpunkt nördlich von Acapulco zur Versorgung der neuen Missionsstationen notwendig. Man entschied sich für den Gezeitenkanal von San Blas (heute in Mexiko), der 140 Meilen westlich von Guadalajara lag. Obgleich recht flach, war der Hafen günstig gelegen und vor Stürmen geschützt. Die Nähe zu Kalifornien sowie die gute Süßwasserversorgung und ein Wald mit Harthölzern in unmittelbarer Nähe, die zum Schiffsbau benötigt wurden, waren weitere Vorteile. Ein großer Nachteil war jedoch das sumpfige Umfeld, in dem während der Regenzeit unzählige Stechmücken brüteten, die diverse Tropenkrankheiten auf die in San Blas lebenden Arbeiter übertrugen (Olson 2004, S. 3-4). Als der Stützpunkt im Jahr 1773 fertig eingerich-

tet war, wurde unmittelbar mit dem Bau der Fregatte Santiago (225 Tonnen) begonnen. Der Hafen San Blas entwickelte sich zum Kernpunkt der spanischen Interessen an der Nordwestküste des amerikanischen Kontinents. Mit Ausnahme der Expedition von Alessandro Malaspina (s. Kap. 30) starteten alle anderen spanischen Expeditionen ins heutige Alaska oder Kanada von San Blas aus. Die erste Expedition fand im Jahr 1774 unter dem Kommando von Juan Pérez statt. Er erhielt die Order mit der gerade fertig gestellten Fregatte Santiago bis 60° N vorzudringen und stach am 25. Januar 1774 von San Blas aus mit 88 Mann Besatzung in See (Pethick 1980, S. 9). Am 19. Juli 1774 – viele Crewmitglieder litten bereits an Skorbut – kam, nach sechs Monaten, endlich Land in Sicht. Dabei handelte es sich um die nördlichste der Queen Charlotte Islands, wobei die Inselgruppe ihren Namen erst später erhielt. Haida Indianer näherten sich den

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Spaniern in Kanus, um mit ihnen Handel zu treiben. Auf Pérez wirkte es, als hätten diese Indianer bereits Übung im Handel mit Schiffen  – sie brachten, neben Handelswaren, auch Süßwasser mit zum Schiff. Da die Spanier nicht an Land gingen, existiert von dieser Reise leider kein Bericht über die Siedlungen der Haida (Olson 2004, S. 9). Aufgrund von Krankheit, Nebel und gegenläufigen Strömungen kehrte Pérez bei 55° N um und fuhr an der Küste entlang zurück nach Süden, wo er im August 1774 auf der Westseite von Vancouver Island eine große Bucht entdeckte, die er Surgidero de San Lorenzo (Ankerplatz St. Lorenz) taufte. Als James Cook 1778 dieselbe Bucht erreichte, gab er ihr den Namen King George’s Sound, später erhielt sie den Namen Nootka Sound (s. Kap. 9). Pérez ging auch hier nicht an Land, aber während er in der Bucht ankerte, kamen ihm zur Begrüßung mehrere Kanus der Nuu-chah-nulth-Indianer entgegen. Einige kletterten an Bord und es kam zum Austausch von Geschenken. Die Indianer brachten darüber hinaus zwei Silberlöffel in ihren Besitz, die im weiteren Verlauf der Geschichte noch

eine bedeutende Rolle spielen sollten (Wilson 1970, S. XXIX). Den Spaniern fiel auf, dass diese Indianer sich in Kleidung, Erscheinung und Sprache von jenen auf den Queen Charlotte Islands unterschieden. Nach kurzem Aufenthalt und offizieller Inbesitznahme der Bucht segelte Pérez nach Süden. Am 28. August 1774 legte er einen kurzen Stopp in Monterey ein und setzte die Fahrt dann direkt nach San Blas fort. Die Spanier zeigten sich überrascht von der Tatsache, dass viele der indianischen Frauen Ringe und Armbänder aus Eisen und Kupfer trugen. Außerdem bewunderten sie die, aus der Wolle von Bergziegen gewebten Roben der Indianer und Pérez gelang es, zwei davon einzutauschen. Wie groß in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts in Europa das Interesse an „Kuriositäten“ aus fernen Ländern war, zeigt die Tatsache, dass eine der Roben bereits ein Jahr später in Madrid ausgestellt wurde. Zwar hatte die Expedition nicht den 60. Breitengrad erreicht, sie galt aber dennoch als Erfolg, was Vizekönig Bucareli dazu veranlasste gleich für das nächste Jahr eine weitere Expedition Richtung Norden anzuordnen (Olson 2004, S. 10).

Die zweite spanische Expedition nach Norden (1775) Diese wurde im Sommer 1775 mit zwei Schiffen, der Santiago unter dem Kommando von Bruno de Hezeta und der Sonora unter Juan Francisco de la Bodega y Quadra durchgeführt.

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Am 13. Juli 1775 wurden während eines Landgangs an der Küste des heutigen Staates Washington sechs Männer der Sonora von Indianern getötet. Dennoch setzten die beiden Schiffe die Fahrt

DOCH NICHT ALLEIN AUF WEITER FLUR …

weiter fort. Hezeta entschied am 29. Juli 1775, mit der Santiago zurückzukehren. Bodega y Quadra hingegen wollte mit der Sonora versuchen, die geforderten 60° N zu erreichen. Am 18. August 1775 ankerte die Sonora in der Nähe des heutigen Sitka Sounds. Zwei Kanus mit Indianern begannen sich dem Schiff zu nähern, doch der Kommandant ordnete die Suche nach einem anderen Ankerplatz an. Er fand diesen noch am selben Tag in Sea Lion Cove an der Westseite von Kruzof Island (Alexander-Archipel, Alaska). Am Ufer entdeckten die Spanier eine Siedlung der Tlingit (s. Kap. 30). Als sie an Land gingen, um sich mit Süßwasser zu versorgen und Feuerholz zu holen, versuchten sie, die Tlingit mit Geschenken freundlich zu stimmen. Die Spanier errichteten ein Kreuz und nahmen offiziell Besitz von der Bucht. Nach einem zweitägigen Aufenthalt entschied Bodega y Quadra nach San Blas zurückzukehren, da er selbst und ein großer Teil seiner Mannschaft stark unter Skorbut litten. Am 24. August 1775 ankerte er erneut in einer geschützten Bucht, die er nach dem Vizekönig Bucareli (Bucareli Bay, Prince of Wales Island, Alexander-Archipel, Alaska) benannte. Nach der Inbesitznahme und der Versorgung mit frischem

Wasser segelte er weiter nach Süden. Am 7. Oktober ankerte er vor der spanischen Siedlung in Monterey Bay im Norden Kaliforniens. Bodega y Quadra, sein Lotse Francisco Antonio Mourelle de la Rúa und die meisten seiner Crewmitglieder waren so krank, dass sie an Land getragen werden mussten. Die Tagebücher von Bodega y Quadra und Mourelle de la Rúa enthalten kurze, aber treffende Beschreibungen der angetroffenen Ureinwohner. Eine Kopie von Mourelles Journal gelangte nach England, wo es übersetzt und veröffentlicht wurde (Mourelle 1780, Olson 2004, S. 12–13). Wie diese Aktivitäten verdeutlichen, zeichnete sich bereits in den frühen 1770er  Jahren ein internationales Interesse an der Nordpazifikregion ab. Aus verschiedenen Richtungen kam es zu Annäherungen: Russen drangen von den Aleuten aus weiter nach Osten und Süden vor, um Seeotter zu jagen. Engländer erkundeten in Konkurrenz zu den Franzosen den Nordamerikanischen Kontinent westlich der Hudson Bay mit dem Ziel, die Nordwestpassage zu finden und über sie den Pazifik zu erreichen. Spanier bewegten sich von ihren Besitzungen in Peru und Mexiko aus weiter nach Norden an der Küste entlang, um Präsenz zu zeigen.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 11 Angelhaken, Hawaii. Material: Oz 225 (oben links), Oz 226 (oben Mitte und rechts) Perlmutt. Oz 227 Knochen. Oz 228, Oz 229 Knochen, Pfl anzenmaterial. Maße: Oz 225 4,2 x 2,5 cm. Oz 226 4,2 x 2,7 cm. Oz 227 4,6 x 2 cm. Oz 228 7,5 x 3,4 cm. Oz 229 5 x 2,5 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen – Slg. Cook/Forster (Foto: Harry Haase).

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8F

ZUFALLSFUND MIT FOLGEN

ischhaken wurden auf Hawaii üblicher weise aus Perlmutt, Hundeknochen, menschlichen Knochen, Walzähnen, Schildkrötenpanzern oder Holz angefertigt. Manchmal dienten aber auch Hundezähne, Vogelknochen sowie Waloder Schweineknochen als Rohmaterial zu ihrer Herstellung. Man unterscheidet zusammengesetzte Angelhaken von solchen, die aus einem Stück bestehen. Für die beiden Angelhaken Oz 225 und Oz 226 wurde Perlmutt verarbeitet und mit einem Widerhaken versehen. Oz 227 ist aus Knochen gefertigt mit einem geraden Schenkel, an dessen Außenseite direkt unter der Spitze sich ein Widerhaken befindet. Die beiden Angelhaken Oz  228 und Oz  229 bestehen aus zwei Knochenstücken, die mit einer Schnur aus Pflanzenmaterial zusammengebunden sind. Der Widerhaken befindet sich jeweils auf der inneren Seite des Hakens. Angeln war eine von vielen Methoden

des Fischfangs auf den Inseln des Hawaii Archipels. Fische wurden aber auch mit Speeren, Fallen oder Netzen gefangen. Da es nur zu vorher festgelegten und eingeschränkten Zeiten des  Jahres gestattet war, bestimmte Fischarten zu fangen, konnten sich die Bestände nach der Phase des intensiven Fangs wieder erholen. Fischfang war die Arbeit von Spezialisten po’e lawai’a, die ihre Kenntnisse und Fähigkeiten der Herstellung von Fangwerkzeug nur innerhalb der eigenen Familie weitergaben. Haushaltsgegenstände von Hawaii sind in den Sammlungen des 18. Jahrhunderts nur spärlich vertreten. Die fünf Angelhaken in der Göttinger Sammlung gehen auf die dritte Reise von James Cook zurück und stammen damit aus der Zeit vor den ersten Kontakten mit Europäern. Insgesamt wurden von dieser Reise etwa 25 Angelhaken mitgebracht, die weltweit auf verschiedene Museen verteilt sind.

Es muss doch einen nördlichen Seeweg geben! Die europäische Entdeckung Hawaiis und die Erkundung der amerikanischen Nordwestküste sind eng mit der Suche nach dem nördlichen Seeweg vom Atlantik zum Pazifik, entlang der amerikanischen Nordküste, der sogenannten Nordwestpassage verbunden. Gelehrte, Kaufleute und Seefahrer waren gleicher-

maßen von der Vorstellung einer nördlichen Durchfahrt besessen. Die Abkürzung zu den Gewürzinseln und nach China musste einfach existieren! Seitdem Spanien und Portugal im Vertrag von Tordesillas im Jahr 1494 die Welt unter sich aufgeteilt hatten, suchten die aufstrebenden Seemächte England und die Nieder-

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

lande nach der Nordroute, da ihnen die Wege um Kap Hoorn oder um das Kap der Guten Hoffnung durch Spanien bzw. Portugal versperrt waren. Aber selbst für Spanien bot die Nordwestpassage einen Anreiz: Würde Spanien die Passage vor Großbritannien finden, bedeutete dies nicht nur einen Zugewinn an Prestige, sondern das spanische Königreich besäße dann mit der Magellanstraße und der Nordwestpassage zwei Zugänge zu den fernöstlichen Reichtümern. Die Rivalität zwischen England und Spanien bestand schon lange. Bereits während der Regierungszeit der englischen Königin Elisabeth I. (1558–1603) war der spanische Anspruch auf die westliche Küste Amerikas nicht unangefochten geblieben, wie die Weltumsegelung von Francis Drake in den  Jahren 1577–1580 zeigte. Als Korsar plünderte er im Auftrag der Königin spanische Schiffe vor der Küste

Südamerikas und drang, bevor er sich auf den Rückweg nach England begab, so weit wie möglich nach Norden vor. Seinen nördlichsten Punkt an der amerikanischen Küste taufte er „New Albion“. England suchte zunächst von der Atlantikseite aus nach der Passage und tastete sich langsam von der Hudson Bay über Land nach Westen vor. In Konkurrenz dazu fanden vergleichbare französische Aktivitäten statt. Aufgrund zweier Berichte aus dem 16. und 17.  Jahrhundert vermutete man den pazifischen Eingang zur Nordwestpassage viel zu weit südlich, nämlich zwischen 47° und 60° Nord (vgl. Olson 2004, S.  2, Williams 2002, S.  132, Gough 2012, Bucher 2013). Da alle Versuche ergebnislos blieben, erwog man im 18.  Jahrhundert, von der pazifischen Seite aus nach der Nordwestpassage zu suchen. Und kein anderer Seefahrer schien geeigneter für diese Aufgabe zu sein als James Cook.

James Cook sucht nach der Nordwestpassage …

S

o kam es, dass Cook – kaum zurück von seiner zweiten Weltumsegelung (1772–1775)  – den Auftrag annahm, nach der Nordwestpassage zu suchen. Da es sich während seiner zweiten Reise bewährt hatte, mit zwei Schiffen unterwegs zu sein, wurden dem berühmten Kapitän auch für die Suche nach der Nordwestpassage zwei der robusten Frachtschiffe aus Whitby zur Verfügung gestellt: Die generalüberholte Resolution sowie ein ähnliches Schiff, das neu gekauft wurde und den Namen Discovery erhielt. Leider

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war die Überholung der Resolution nicht so gründlich erfolgt, wie es nötig gewesen wäre, was Cook ein paar Jahre später zum Verhängnis wurde … Streit mit Gelehrten würde es auf dieser dritten Reise zumindest nicht geben, denn Cook hatte dafür gesorgt, dass keine an Bord waren. Zu sehr hatten die Auseinandersetzungen mit Johann Reinhold Forster und seinem Sohn Georg an seinen Nerven gezerrt. Aber auf Bilder wollte man dennoch nicht verzichten, so erhielt ein junger Künstler

ZUFALLSFUND MIT FOLGEN

die Chance seines Lebens: John Webber (s. Kap. 12) wurde als Expeditionsmaler engagiert. Im Juli 1776 begann James Cooks dritte große Expedition, die ihn zunächst zu den schon bekannten Inseln der Südsee führte. Aufgrund verschiedener Ver­ zögerungen konnte er mit seinem eigent­ lichen Auftrag, der Suche nach dem

„Hintereingang“ zur Nordwestpassage, erst Ende 1777 beginnen. Auf dem Weg Richtung Norden kam am 24. Dezember 1777 plötzlich Land in Sicht: eine unbewohnte Insel, der Cook den Namen „Christmas Island“ gab und die Gelegenheit bot, Weihnachten mit Delikatessen wie frischem Fisch und Schildkröten zu feiern.

… und findet stattdessen Hawaii Da Eile geboten war, hielt Cook sich nicht lange auf „Christmas Island“ (heute Kiritimati, Line Islands) auf. Am 18. Januar 1778 stieß die Expedition erneut auf Land, das auf keiner Karte verzeichnet war, möglicherweise aber bereits zweihundert  Jahre zuvor von Juan Gaetano gesichtet wurde, als dieser in spanischen Diensten den Pazifik durchquerte. Für die Bewohner der Inseln hatte erst die Entdeckung durch Cook gravierende Folgen und für den berühmten Kapitän sollte der neue Archipel zum Schicksal werden. Cook taufte die Inselgruppe nach seinem Förderer, dem ersten Lord der Admiralität, Earl of Sandwich „Sandwich Islands“, das heutige Hawaii. Cook sichtete zunächst die Inseln O’ahu, Kaua’i und Ni’ihau. Als er sich am östlichen Ende von Kaua’i befand und sich zu fragen begann, ob diese Inseln, wie Christmas Island unbewohnt seien, kamen ihm Menschen in Booten

entgegen und geleiteten ihn zur Mündung des Flusses Waimea. Mit Verblüffung registrierte er, dass er sich mit den auf Tahiti und Tonga erlernten Worten einigermaßen verständigen konnte. Mit Hawaii hatte Cook die nördliche Spitze des polynesischen Dreiecks entdeckt. Neuseeland und die Osterinsel als die anderen zwei Spitzen des Dreiecks waren bereits bekannt. Vermutlich war Hawaii zwischen 700 und 800 nach Christus von den Marquesas bzw. den Gesellschaftsinseln aus besiedelt worden. An der Mündung des Waimea ankerte Cook für einige Tage und legte einen zweiten mehrtägigen Stopp vor der Insel Ni’ihau ein. Da er bereits ein gesamtes Jahr hinter dem ursprünglichen Zeitplan lag, setzte Cook die Fahrt schon am 2. Februar 1778 nach Norden fort, merkte sich die Inseln aber als möglichen Ort für eine Überwinterung.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

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JAMES COOK IM NOOTKA SOUND

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ieses Modellboot stammt von den Nootka (s. u.) aus dem Nootka Sound auf der Westseite der Insel Vancouver. Es verfügt, genau wie die ungefähr 13 Meter langen Originale, über eine schnabelartige Bugverzierung. An der hinteren Seite des Modellbootes ist das normalerweise steil aufragende Heck abgebrochen. Solche Boote wurden zu Transportzwecken, zum Fischoder Walfang aber auch als Kriegskanus verwendet. Möglicherweise waren

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schon die spanischen Seeleute bei ihrer Ankunft im Nootka Sound im Jahr 1774 von solchen Booten aus begrüßt worden (s. Kap. 7). Von Cooks dritter Reise existieren unterschiedliche Beschreibungen solcher Boote. Unerwähnt bleiben jedoch Modelle davon, obwohl mehrere während der Reise gesammelt wurden. In einer von Georg Forster übersetzten deutschen Version des Berichts von der dritten Reise heißt es:

KOLUMNENTITEL

Abb. 12 Modellboot, Nuu-chah-nulth, Nootka Sound, Westseite von Vancouver Island, Kanada. Material: Holz. Maße: Länge 32 cm, Breite 6,9 cm, Höhe 5 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Am 831 (Foto: Harry Haase).

„Die Kähne sind überaus einfach aber zweckmäßig gebauet. Die größten, worin

zwanzig und mehr Menschen Raum haben, sind aus einem einzigen Baume ausgehöhlt. […] Die meisten Kanots sind ohne Zierrath, doch ist an einigen etwas

Schnitzwerk angebracht, und in der Oberfläche stecken Seehundszähne, wie in ihren Masken und Waffen. Auch bemerkten wir zuweilen am Vordertheil einen Zusatz wie einen großen Schnabel, der mit der Figur eines Thieres bemahlt war.“

(Cook 1789, 3. Bd. S. 74)

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Indianische Gruppen an der Nordwestküste Die Nootka (heutige Selbstbezeichnung: Nuu-chah-nulth) bilden eine von sechs Hauptgruppen an der Nordwestküste neben den Tlingit, Haida, Tsimshian, Bella Coola und Kwakiutl (heutige Selbstbezeichnung Kwakwaka’wakw). Cook hatte für sie die Bezeichnung „Wak’ashians“ vorgeschlagen, da er häufig den Ausdruck „Wakash“ gehört hatte, der Bewunderung oder Zustimmung ausdrückte. Heute wird er für die Sprachfamilie verwendet, zu deren südlichem Zweig die Sprache der Nootka gehört (Feest 2009, S.109). James Cook hatte Kontakt zu den Mowachaht, einer Untergruppe der Nuuchah-nulth. Ähnlich wie die meisten Gruppen an der Nordwestküste lebten die Nuu-chahnulth in selbständigen Dörfern, die sich hin und wieder zu größeren Allianzen

zusammenschlossen. Sie wohnten in bis zu 50 m langen Holzhäusern. Ihre Gesellschaft war durch Rangunterschiede geprägt. Auf der untersten Stufe standen die Sklaven, die auf Kriegszügen gefangen genommen wurden. Da sie außerhalb der lokalen Verwandtschaftsgruppe standen, betrachtete man sie nicht als vollwertige Menschen (Feest 1998, S.  270). Es gab spezialisierte Handwerker, die aufwendige Schnitzereien herstellten. Die komplexe Gesellschaftsordnung, der Reichtum an Kunst und die Vielfalt der Mythen stehen im Widerspruch zur eher kargen Ausstattung der Gebrauchsgegenstände und Kleidung der Nuu-chah-nulth. Lebensgrundlage war Fischfang, ergänzt durch das Sammeln von Meeresfrüchten und Waljagd. Es fand ein Wechsel zwischen Sommer- und Winterwohnungen statt.

Das Wetter und die Resolution machen Probleme Als Cook endlich die Nordwestküste Amerikas erreichte, war er bereits über eineinhalb Jahre unterwegs. Seit die Expedition Hawaii verlassen hatte, waren zwei Monate auf See vergangen und die Trinkwasservorräte erschöpft. Die Resolution hatte ein Leck und musste dringend repariert werden. Den gesamten März des  Jahres 1778 hatte Cook aufgrund vieler Winde und Stürme große Mühe, sich der Küste zu nähern. So gelangte der Name „Cape Foulweather“ (auf 44°55’  N) auf die Landkarten und

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Cook übersah den Eingang zur Juan de Fuca Straße, die die Insel Vancouver im Süden vom Festland trennt (Gough 1992, S. 42). Ende März 1778 entdeckte Cook einen schmalen Kanal, dem er sich mit der Hoffnung näherte, dort Trinkwasser zu finden (Barnett 2008, S.  41). Der Kanal öffnete sich zu einer großen Bucht voller Inseln, die er zu Ehren des britischen Königs „King George’s Sound“ taufte. Cook wusste nicht, dass er nun vier Jahre nach der ersten spanischen Expedition

JAMES COOK IM NOOTKA SOUND

dieselbe Bucht erreicht hatte wie Juan Pérez 1774. Über den Verlauf der spanischen Expeditionen wusste man auf der Resolution und der Discovery nur wenig (Gough 1992, S. 41), denn erst kurz vor seiner Abreise hatte Cook in englischen Zeitungen davon gelesen (Williams 2015, S. 39). Als die Resolution in einer Bucht der Insel, die Cook „Bligh Island“ taufte, festmachte, kamen 30 bis 40 Kanus der Mowachaht-Indianer auf die Expeditionsmitglieder zu. Der erste Eindruck war enttäuschend für Cooks Männer. Mit Fellen bekleidet und das Gesicht „reichlich mit rotem Ocker beschmiert, mit Russ

und anderem Schmutz, was sie uns gänzlich widerlich erscheinen ließ“ (Beaglehole 1967, S. 311), boten sie einen völlig anderen Anblick, als die Männer es von den polynesischen Inseln gewohnt waren. Die Indianer riefen in ihrer Sprache: „itehme nutka“, was „fahr herum“ bedeutet. Sie meinten damit Cooks Schiffe sollten um die Insel herum in einen geschützten Hafen fahren, wo sich die Siedlung Yuquot befand. Cook hielt den Ausdruck für den einheimischen Namen der Bucht. Er hatte sie aber bereits „King George Sound“ getauft und erst später entschied die Admiralität, diese Bucht „Nootka Sound“ zu nennen.

Freundliche Beziehungen zu den Mowachaht Da die Bedingungen gut waren, blieb Cook einen Monat, um seine Schiffe zu reparieren und die Mannschaft ausruhen zu lassen. Schnell begann ein intensiver Warenaustausch zwischen den Mowachaht und den Engländern (Gough 1992, S. 45). Bei den Engländern waren insbesondere die extrem weichen Seeotterfelle sehr begehrt. Noch wichtiger allerdings

war das Holzvorkommen auf der Insel, da man mehrere Masten ersetzen musste. Die Engländer begannen Bier aus der Sitka-Fichte zu brauen, das Skorbut vorbeugte und angeblich auch gegen Gonorrhoe helfen sollte (Gough 1992, S.  47). Es zeigte sich, dass die Nordwestküstenindianer geübte Händler waren. Im Expeditionsbericht heißt es dazu:

„Gegen ihre Waaren tauschten sie von uns ein: Messer, Meißel, Stückchen Eisen und

Zinn, Nägel, Spiegel, Knöpfe, kurz alles Metall. Glaskorallen nahmen sie nicht gern, und Tuch aller Art verwarfen sie ganz und gar.“

So zeigte sich schon bei den ersten Kontakten, dass die Indianer sehr genau

(Cook 1789, 3. Bd. S. 17).

wussten, was sie wollten und was nicht. Die Mowachaht sahen den Handel mit

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

den Engländern als ihr exklusives Recht an. Sie verwehrten anderen Stämmen, wenn nötig mit Waffengewalt, den Kontakt zu ihnen. Grund dafür war, dass sie alleine in den Genuss des Prestigezuwachses durch die neuen Handelswaren kommen wollten (Gough 1992, S.  48). Am 20. April 1788 hatte Cook die Gelegenheit, sich in der von Mowachaht bewohnten Siedlung Yuquot etwas genauer umzusehen. Da die Briten sehr freundlich aufgenommen wurden, sich alles anschauen und auch einige Häuser betreten durften, gab Cook der kleinen Bucht den Namen „Friendly Cove“. In seinem Reisebericht notierte Cook, dass er von den Indianern zwei Silberlöffel erworben habe, von denen er aufgrund ihrer speziellen Form annahm, dass sie aus spanischer Herstellung stammten (Synge 1897, S.  430 zit. nach Wilson 1970, S. XXIX). Damit hielt er nun den

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Beweis in Händen, dass die Spanier die Bucht bereits vor ihm erreicht hatten, interpretierte dieses Zeichen jedoch völlig anders: In seiner Überzeugung, der erste Europäer im Nootka Sound zu sein, vermutete er, dass die spanischen Silberlöffel entweder von Mexiko oder von der Hudson Bay aus durch Handel, d. h. durch mehrere Hände nach Nootka gelangt seien (Cook 1789, 3. Bd. S. 81). Die Beobachtungen von Teilnehmern an Cooks dritter Reise sowie Hinweise in den Tagebüchern der spanischen Expeditionen bilden den Auftakt zur wissenschaftlichen Beschreibung der Kulturen an der Nordwestküste. Diese frühen Dokumente sind von besonderer Bedeutung, weil sie die Kulturen schildern, bevor der Kontakt zu Europäern zu massiven Veränderungen der Lebensweise und insbesondere der materiellen Kultur führte.

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DER NORDEN – IN JEDER HINSICHT UNWIRTLICH

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ieser Handgelenkschutz für Bogenschützen (Abb. 13) stammt nicht unmittelbar von Cooks dritter Reise, sondern gelangte durch Baron von Asch nach Göttingen. Er verweist darauf, dass die Tschuktschen, denen Cook während seines Vorstoßes nach Norden begegnete, versierte Bogenschützen und wehrhaft waren. Wenn sie den Bogen benutzten, trugen sie längliche Scheiben mittels eines Lederriemens am Handgelenk bzw. an der Unterseite des Daumens befestigt, um die Hand vor der zurückschnellenden Bogensehne zu schützen. Als Material zur Anfertigung dieser Scheiben dienten Knochen oder Walrosselfenbein. Einer der Reisenden des 18.  Jahrhunderts, Carl Heinrich Merck (s. Kap. 29), schrieb darüber:

„… zum beßren Anziehn der Bögenschnur, tragen sie, den Amerika-

ner gleich, immer deß Vorderarms eine Elfenbeinplatte (ihren Enwauul),

an der rechten, wie an der linken, weils ihnen mit beiden fast einerlei ist, ihre Pfeile abzuschießen.“

(Merck 2014, S. 137)

Die Wehrhaftigkeit der Tschuktschen bekamen die russischen Kosaken seit den ersten Kontakten im Jahr 1648 immer wieder zu spüren. Es kam oft zu heftigen Auseinandersetzungen, da die Tschuktschen ihrer Unterwerfung erbittert Widerstand leisteten.

Hoffnungen und Enttäuschungen wechseln sich ab Nachdem James Cook Ende April des  Jahres 1778 den Nootka Sound verlassen hatte, setzte er die Erkundung Richtung Norden fort. Er hatte eine von Jacob von Stählin, Konferenzsekretär der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, angefertigte Karte mit den Ergebnissen der beiden KamtschatkaExpeditionen sowie nachfolgender russischer Erkundungen im Gepäck und war damit auf den Spuren von Vitus Bering und Alexei Tschirikow unterwegs (s. Abb. 16).

Es gelang ihm, Berings Mount St.  Elias zu identifizieren und am 11. Mai 1788 kurz auf der Kayak-Insel (s. Kap.  5) an Land zu gehen. Cook folgte weiterhin der Küste und entdeckte dabei den Prince William Sound. Dort machte sich Enttäuschung breit, weil die Küste nach Westen abbog und Cook weder die erhoffte Nordwestpassage fand noch eine Möglichkeit sah, weiter nach Norden vorzudringen. Darüber hinaus wich das Bild, das er sich von der Region machte,

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 13 Handgelenkschutz für Bogenschützen, Tschuktschen. Material: Knochen oder Walrosselfenbein. Maße: Länge: 9 cm, Breite 3,3 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – As 29 (Foto: Harry Haase).

erheblich von der Darstellung auf Stählins Karte ab. In der zweiten Maihälfte gab es wieder neue Hoffnung: Cook fuhr tief in den Cook Inlet hinein und glaubte schon, die Einfahrt zur Nordwestpassage gefunden zu haben, musste aber erkennen,

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dass sich alle Öffnungen als Buchten erwiesen. Im Juni tastete er sich an der Alaska-Halbinsel entlang und fand einen Durchschlupf nach Norden zwischen den Inseln Unimak und Unalaska. Vom 28. Juni bis 2. Juli 1778 hielt er sich auf der Insel Unalaska (Aleuten) auf. Zwar

DER NORDEN – IN JEDER HINSICHT UNWIRTLICH

traf er dort nicht direkt auf Russen, die Aleuten zeigten ihm aber ein russisches Schriftstück, was zumindest auf eine zeitweilige Anwesenheit russischer promyschlenniki auf Unalaska hindeutete. Am 8. August 1778 erreichte Cook endlich die Beringstraße und taufte die in die Meeresstraße hineinragende Spitze des amerikanischen Kontinents Cape Prince of Wales. Schließlich sichtete er die beiden Inseln Little und Big Diomede. Heute verläuft zwischen diesen beiden Inseln nicht nur die internationale Datumslinie, sondern auch die Staatsgrenze zwischen Russland und den USA. Diese derzeitige politische Grenze führte dazu, dass Objekte von Tschuktschen oder Sibirischen Eskimo auf der russischen Seite der Beringstraße in Museen in einer anderen Abteilung aufbewahrt werden als die kulturell ähnlichen Objekte der Yupik oder Inupiaq auf der amerikanischen Seite der Beringstraße bzw. des Beringmeers. Beispielsweise trägt der Daumen-

schutz der Tschuktschen in der Göttinger Sammlung die Inventarnummer ‚As 29‘ für Asien und die in Kapitel 5 vorgestellte Elfenbeinkette ‚Am 681‘ für Amerika. Da die reisenden Beobachter im 18.  Jahrhundert diese politische Grenze noch nicht in ihren Köpfen hatten, konnten sie den kulturellen Ähnlichkeiten völlig unvoreingenommen begegnen. Obwohl die Bezeichnung Eskimo in Verruf geraten ist, wird sie hier dennoch verwendet. Die Bedeutung des Wortes Eskimo wird oft mit Rohfleischfresser wiedergegeben, eine Übersetzung, die einer eindeutigen linguistischen Grundlage entbehrt. Die in Kanada bevorzugte Alternative „Inuit“ ist untauglich, wenn von den Einwohnern Alaskas die Rede ist. Diese nennen sich im Norden Inupiaq und im Süden Yupik, und empfinden es nicht als beleidigend, wenn man sie zusammenfassend als Eskimo bezeichnet. Und für die Yupik auf Tschukotka ist ohnehin die Bezeichnung „Sibirische Eskimo“ geläufig.

Zusammentreffen mit Tschuktschen Am 10. August 1778 steuerten die beiden Schiffe Resolution und Discovery die russische Seite der Beringstraße an. In einer großen Bucht, der Cook den Namen St.  Lorenzbucht gab, entschloss er sich zum Landgang. Der Name der Bucht ist ­geblieben und lautet heute in der russischen Version ‚Lawrentija‘. Als sich die Schiffe dem Land näherten, konnte man von Bord aus beobachten, dass einige der Einwohner mit Lasten beladen ins Landes-

innere flüchteten (Barnett 2008, S.  144). Mit drei bewaffneten Landungsbooten näherte Cook sich dem Ufer und stand etwa 50 mit Bogen bewaffneten Männern gegenüber. Möglicherweise trugen die Schützen einen solchen Handgelenkschutz wie den abgebildeten. Die Tschuktschen verhielten sich sehr zurückhaltend und vorsichtig. Offenbar hatten sie schlechte Erfahrungen mit großen Schiffen und deren Besatzungen gemacht und waren deshalb auf

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 14 John Webber. Zwei Tschuk­ tschen. August 1778.

der Hut (Barnett 2008, S. 144). In seiner häufig erprobten Methode ging Cook  – alleine und unbewaffnet – langsam auf die fremden Menschen zu. Mit jedem Schritt, den er näherkam, zogen die Tschuktschen sich etwas zurück. Es dauerte lange, bis er mittels Zeichensprache deutlich machen

konnte, dass er in friedlicher Absicht kam. Cook realisierte, dass er sich nun im Land der Tschuktschen befand, dort wo Vitus Bering auf seiner Ersten Kamtschatka-Expedition 1728 gewesen war, und beschrieb ausführlich Kleidung, Boote und Waffen der Tschuktschen.

Eis versperrt den Weg Nach dem Aufenthalt bei den Tschuktschen segelte James Cook wieder zur amerikanischen Küste hinüber und überquerte Mitte August 1778 den nördlichen Polarkreis. Damit war er der erste Mensch, der über beide Polarkreise gesegelt war. Nun erst gab es eine reale Chance, den Eingang zur ersehnten Nordwestpassage zu finden. Aber schon bald sah Cook den Eisblink, der alle Hoffnung zunichte machte. Er kannte die durch Mehrfachreflektion aufgehellte Wolkenbasis über einer Meereisoberfläche schon von seiner

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letzten Reise, als er auf der Suche nach dem unbekannten, aber vermuteten Südkontinent (Terra Australis Incognita) den südlichen Polarkreis überquert hatte. Nun wusste er, dass das Eis nicht mehr weit weg sein konnte, und die Mannschaft hatte mit der extremen Kälte zu kämpfen (Barnett 2008, S. 147). Als sie am 18. August 1778 eine Breite von 71 Grad Nord erreichten, gefror die Suppe im Teller, noch bevor man einmal den Löffel zum Mund führen konnte. Cook war erstaunt, schon bei 71 Grad nördlicher Breite auf Eis zu stoßen,

DER NORDEN – IN JEDER HINSICHT UNWIRTLICH

wusste er doch, dass man um Spitzbergen herum problemlos 80 Grad nördlicher Breite erreichen konnte, ohne durch Eis behindert zu werden. Walfänger und Entdecker bekamen vor Spitzbergen die Auswirkungen des Golfstroms zu spüren, ohne dass man zu der Zeit genau gewusst hätte, warum es dort weniger Eis gab, als auf vergleichbaren Breiten im Nordpazifik. Das Eis stand wie eine Wand vor den beiden Schiffen, und an ein Weiterkommen war jetzt nicht mehr zu denken. Als das Wetter kurz aufklarte, war in drei bis vier Meilen Entfernung Land sichtbar, das Cook Icy Cape taufte. Die Stelle trägt den von Cook vergebenen Namen noch heute und befindet sich etwas südwestlich von der Siedlung Barrow im Norden Alaskas. Cook hatte damit den nördlichsten Punkt seiner Reise erreicht. In der Region nördlich der Beringstraße sah Cooks Mannschaft häufiger Walrosse. Von den massigen Tieren ging eine gewisse Faszination aus doch der Versuch die „Sea Horses“, wie Cooks Männer die Walrosse nannten, zu erlegen erwies sich erheblich schwieriger als erwartet. Wenn eine Walrossgruppe sich irgendwo niedergelassen hatte und scheinbar alle schliefen, gab es immer ein Tier, das eine Wächterfunktion übernahm und die anderen warnte, sobald jemand versuchte sich zu nähern. Cook duldete jedoch nicht, dass die Walrossjagd aufgegeben wurde, weil er bei seinen vorherigen Expeditionen festgestellt hatte, dass der regelmäßige Konsum von frischem Fleisch den Ausbruch von Skorbut zu verhindern half. Deshalb zwang Cook die gesamte Mannschaft,

Walrossfleisch zu essen, obwohl viele den tranigen Geschmack verabscheuten. Zur Ermunterung ging er mit gutem Beispiel voran, aß mit Appetit und lobte den vorzüglichen Geschmack des Walrossfleischs (Barnett 2008, S. 150). Cook war der Meinung, er hätte mehr erreichen können, wenn er früher im Jahr in dem Gebiet nördlich der Beringstraße angekommen wäre, und fasste deshalb den Entschluss, im nächsten Jahr zeitiger nach Norden vorzudringen. In diesem Punkt irrte der große Seefahrer. Er hatte sich exakt zum richtigen Zeitpunkt im Norden aufgehalten. Denn gerade zwischen Mitte August und Mitte September herrscht die geringste Eisbedeckung im arktischen Ozean und nur zu dieser Zeit ist überhaupt eine Fahrt durch die Nordwestpassage möglich. Insgesamt war Cook nun schon seit zwei Jahren unterwegs, von denen er der Suche nach der Nordwestpassage gerade einmal drei Monate hatte widmen können. Am 29. August 1778 entschied er sich, die Suche für das laufende Jahr aufzugeben, da die Expedition dringend Wasser und Holz benötigte. Außerdem wurde es immer kälter und das Schiff war völlig vereist. Auf dem Weg nach Süden zur Suche nach einem Überwinterungsplatz erreichte die Expedition am 2. Oktober 1778 ein zweites Mal die Insel Unalaska. Da die Resolution kurz zuvor während eines Sturms leck geschlagen war, musste sie erneut repariert werden, was zu einem längeren Aufenthalt in der Bucht Samgoonoodha (English Bay) auf der Insel Unalaska führte (Barnett 2008, S. 163).

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JOHN LEDYARD BEI DEN ALEUTEN

B

ei dem abgebildeten Objekt handelt es sich um das Holzmodellgerüst einer baidarka, das vermutlich von der aleutischen Insel Unalaska stammt (Black 2003, S.  100), die Cook im Jahr 1778 zwei Mal besuchte. Die Aleuten fertigten häufiger Modelle von Werkzeugen, Waffen und Booten an, denen sie rituelle und symbolische Bedeutung beimaßen. Es heißt, dass die Aleuten solche Bootsmodelle zu Hause aufbewahrten, um die sichere Rückkehr des Jägers zu gewährleisten oder sie über den Wiegen oder

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Schlafplätzen kleiner Jungen aufhängten. Wahrscheinlich um frühzeitig sicher zu stellen, dass sie später gute Jäger wurden und sich den gewandten Umgang mit dem Boot problemlos aneigneten. Ein Junge galt als erwachsen und heiratsfähig, wenn er seine erste baidarka angefertigt hatte und damit umzugehen wusste. Ähnlich wie die Eskimo verwendeten die Aleuten zwei Bootstypen. Das größere, oben offene Boot, bei den Eskimo umiak genannt, wird bei den Aleuten als baidara bezeichnet. Das kleinere, ge-

Abb. 15 Modellgerüst einer „baidarka“ („kajak“), Aleuten. Material: Holz. Maße: 5,5 x 7 x 85,8 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 692 (Foto: Harry Haase).

schlossene Boot entspricht in Form und Benutzung dem kajak der Eskimo und heißt bei den Aleuten baidarka. Beide wurden aus einem Holzgerüst gefertigt und mit Häuten von Meeressäugern

überzogen. Das Wort baidarka wurde aus dem Russischen übernommen und bezeichnet ein langes, schmales Boot mit einem Rahmen aus Treibholz, der mit Seelöwenhaut bespannt wurde.

Engländer und Russen auf Unalaska Auf der aleutischen Insel Unalaska traf James Cook im Oktober 1778 erstmals direkt auf Russen. Die Begegnung fand während seines zweiten Aufenthalts in

der Bucht Samgoonoodha statt  – Cook gab der Bucht diesen Namen, weil er glaubte, dies sei ihr aleutischer Name. Von russischer Seite wurde sie später

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

English Bay getauft, um an das Treffen mit Cook zu erinnern. Die Reparaturen an der Resolution und damit der Aufenthalt der Expedition auf Unalaska dauerten insgesamt drei Wochen. Während

der ersten Woche hatten die Engländer ausschließlich Kontakt zu Aleuten. Wie Cook in seinem Tagebuch erläuterte, änderte sich dies mit Beginn der zweiten Woche:

„Am achten Tag (?) erhielt ich von einem Einwohner von Unalaschka, Namens Derra­ muschk ein für hiesige Gegend seltenes Geschenk. Es war ein Roggen = Brod, oder

vielmehr eine Pastete in Form eines Brods, denn wir fanden einen stark gepfefferten

Lachs darin. Der Mann hatte ein ähnliches Geschenk für Herrn Capitain Clerke, und ein Billet an jeden von uns, welches wir aber nicht lesen konnten, weil es in einer uns un­

bekannten Sprache geschrieben war. Wir mußten natürlicherweise auf die Vermuthung geraten, daß diese Geschenke von Russen kämen, die sich etwa in der Nachbarschaft

befänden. Diesen unseren unbekannten Freunden schickten wir daher durch denselben Booten einige Flaschen Rum, Wein und Porterbier, weil wir glaubten, daß diese ihnen

willkommen sein würden, worin wir uns auch, wie wir bald nachher erfuhren, nicht geirrt hatten. Ich schickte ferner den Corporal der Seesoldaten, Lediard, einen ver-

ständigen Mann, mit dem Derramuschk ab, um nähere Erkundigung einzuziehen, und befahl ihm, im Fall er Russen anträfe, ihnen begreiflich zu machen, daß wir Engländer, die Freunde und Aliierten ihrer Nation wären.“

Leider hatte die Britische Admiralität versäumt, ein der russischen Sprache mächtiges Mannschaftsmitglied zu rekrutieren, obwohl zu vermuten gewesen war, dass die englische Expedition irgendwann im Nordpazifik auf russische Fellhändler oder sogar staatliche Expeditionen stoßen würde. Die verstärkten Aktivitäten

(Cook 1789, 3. Bd. S. 233)

von Katharina  II. im Nordpazifik waren schließlich in England nicht unbemerkt geblieben. Um aber wenigstens herauszufinden, wo genau sich die Russen aufhielten, schickte Cook den amerikanischen Seesoldaten John Ledyard (s. Kap.  25) mit den Überbringern der Lachspastete zu den Absendern des Briefes.

… und zum Frühstück gab es Walfleisch Mit John Ledyard, einem der wenigen amerikanischen Teilnehmer an seiner Expedition, hatte Cook eine gute Wahl

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getroffen, war dieser doch schon in seiner Jugend aufgefallen, weil er in einem nach indianischem Vorbild selbst gebauten

JOHN LEDYARD BEI DEN ALEUTEN

Kanu auf dem Connecticut River aus dem Dartmouth College in New Hampshire geflüchtet war. Die Anpassung an indigene Lebensweisen bereitete Ledyard großes Vergnügen und so machte es ihm auch nichts aus, alleine und unbewaffnet nur mit einheimischen Führern unterwegs zu sein. Cook versprach, maximal zwei Wochen auf ihn zu warten und Ledyard ging das Risiko einer verspäteten Rückkehr ein (Gifford 2007, S. 100). Am ersten Tag wanderten Ledyard und seine Begleiter ungefähr 15 Meilen ins baumlose Innere der Insel, bis sie auf ein kleines Dorf mit etwa 30 Häusern trafen (Barnett 2008, S.  165). Die Aleuten dort hatten offenbar häufiger Umgang mit blonden Menschen; zumindest zeigten sie sich nicht erstaunt über Ledyards Erscheinung. In der Nacht feierten alle zusammen ein großes Fest, und obwohl Ledyard am nächsten Morgen unter geschwollenen Füßen litt, war an Ausruhen nicht zu denken. Nach einiger Zeit gelangten sie an eine Bucht, wo sie in eine Zweimann-baidarka umstiegen. Aus Platzmangel musste Ledyard allerdings in den Rumpf klettern. Dort eingezwängt, sah er nicht, wohin die Reise ging. Nass und frierend erreichte er das Camp der Russen, wo er mit frischer Kleidung versorgt wurde: ein blaues Seidenhemd, Stiefel und eine Fellmütze. Als Gegengabe packte er Schnaps und Tabak aus. Das war der Auftakt zu einem opulenten Abendes-

sen mit geräuchertem Lachs, gekochtem Wal und frittiertem Fisch (Gifford 2007, S.  100–101). Am nächsten Morgen besuchte Ledyard gemeinsam mit den Russen die Banja (russische Sauna). Als er nach all den Strapazen in Ohnmacht fiel, weckte man ihn mit kaltem Wasser und einem Schluck Wodka. Zum Frühstück gab es Wal- oder Robbenfleisch – Speisen, die selbst für Ledyard am frühen Morgen gewöhnungsbedürftig waren. Zum Glück kam ein Schneesturm auf. Das schlechte Wetter verschaffte dem amerikanischen Seesoldaten einen Tag Pause sowie eine gute Gelegenheit, um sich in dem russischen Handelsposten umzuschauen. Dort arbeiteten 30  Russen und über 70 Einheimische aus Kamtschatka. Ein kleines Schiff lag im Hafen, nur ein Zehntel so groß wie die Resolution –. Ledyard wunderte sich, wie man damit die Passage nach Kamtschatka bewältigen konnte. Während seines Aufenthalts auf Unalaska versuchte Ledyard eine Wortliste in Englisch, Russisch und Aleutisch zusammenzustellen, merkte aber im Nachhinein, dass er Aleutisch und Russisch verwechselt hatte. In Begleitung einiger Russen trat Ledyard am nächsten Tag den Rückweg an. Dieses Mal ruderten sie in einem großen Hautboot (baidara) über die Bucht und kehrten dann auf dem Weg zurück, den Ledyard mit seinen aleutischen Begleitern gekommen war.

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

Abb. 16 Karte aus: „Johann Jakob Stählin. Das von den Russen in den Jahren 1765, 66, 67 entdekte nördliche Insel-Meer, zwischen Kamtschatka und Nord-Amerika, nebst einer Landcharte, worinnen diese vorher unbekannte Welt-Gegend verzeichnet ist“, Stuttgart 1774.

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JOHN LEDYARD BEI DEN ALEUTEN

Verständigungsschwierigkeiten mit Gerassim Grigorjewitsch Ismailow Die russischen Händler standen unter Führung von Gerassim Grigorjewitsch Ismailow. Ismailow stammte aus ­Jakutsk, war also in Sibirien geboren und aufgewachsen und gehörte zu den ersten Absolventen der bereits erwähnten Irkuts­ ker Navigationsschule. Als junger Mann hatte Ismailow an der Expedition von Leutnant Iwan Sindt in den Jahren 1764 bis 1767 und direkt anschließend an der Expedition von Krenizyn und Lewaschow in den Jahren 1768 bis 1770 teilgenommen. Schließlich hatte Ismailow im Jahr 1776 den Auftrag erhalten, mit dem Schiff St.  Paul, das drei russischen Kaufleuten gehörte, eine fünfjährige Jagd­

expedition zu den Fuchs-Inseln (Aleuten) zu leiten. Als Stützpunkt wählte Ismailow die Insel Unalaska, was bedeutet, dass der russische Handelsposten bereits seit zwei  Jahren bestand, als Cook auf Unalaska an Land ging, und es zu dem Treffen zwischen Engländern und Russen kam. Cook und Ismailow tauschten sich mittels Symbolen und Zeichnungen aus, vor allem zeigten sie sich gegenseitig ihre aktuellen Landkarten. Ismailows Karte bestätigte Cooks Vermutung, dass Alaska eine Halbinsel und keine Insel war, wie auf der Karte von Jacob Stählin (Williams 2015, S. 40). Cook schrieb dazu:

„Da ich nun endlich vollkommen überzeugt war, dass des Herrn von Stählins Charte

unrichtig wäre, und da ich die Gegend, die seine eingebildete Insel Alaschka einnahm, dem Amerikanischen festen Lande wiedergegeben hatte; so war es hohe Zeit, diese

nordischen Gegenden zu verlassen, und mich auf den Winter an einen Ort zu begeben, wo ich Erfrischungen für meine Mannschaft, nebst einem kleinen Vorrath von Lebensmittel einnehmen könnte.“

Cook zeigte sich von Ismailows astro­ nomischen und navigatorischen Fähigkeiten beeindruckt und schenkte ihm zum Abschied einen Hadley Oktanten, was ein sehr wertvolles Geschenk war (Pierce 1990, S. 205–207). Im Gegenzug erhielt Cook von Ismailow mehrere Empfehlungsschreiben an den Gouverneur von Kamtschatka, Magnus von Behm,

(Cook 1789, 3. Bd., S. 225)

und den Dienstoffizier in Petropawlowsk, was sich im weiteren Verlauf von Cooks Expedition als äußerst hilfreich erweisen sollte. Cook vertraute Ismailow einen Brief an die Britische Admiralität an, der sein Ziel noch erreichte, bevor die Expedition zurück in England war. Denn kaum waren promyschlenniki im Nord­ pazifik ­aktiv geworden, hatte sich so etwas wie

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AUFBRUCH UND EROBERUNG

ein Postsystem etabliert. Genutzt wurde dafür der lange Postweg durch Sibirien, der zeitgleich mit dem Vordringen der russischen Kosaken entstanden war. Insgesamt hatte Cook die Insel Unalaska also zwei Mal besucht, auf der

Hinfahrt ins Nordmeer im Juni 1778 und auf der Rückfahrt im Oktober 1778. Über das Zusammenleben von Aleuten und Russen auf Unalaska äußerte er die folgenden Gedanken:

„Es ist nunmehr an der Zeit, daß ich von den Eingebohrnen dieser Insel einige Nachricht gebe. Allem Anschein nach sind es die friedlichsten, harmlosesten Leute, die ich je

gesehen habe, und in Absicht der Ehrlichkeit könnten sie der gesittesten Nation auf Erden zum Muster dienen. Was ich indeß bei ihren Nachbarn, die kein Verkehr mit

den Russen haben, bemerkte, läßt mich vermuthen, dass diese Tugend eben keine ihrer ursprünglichen Anlagen, sondern die Folge ihrer gegenwärtigen Abhängigkeit sei.“

(Cook 1789, 3. Bd., S. 250)

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KOLUMNENTITEL

II VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 17 Oben offener Hut mit langem Schild (Augenschirm), Aleuten. Material: Holz, bemalt, Barthaare von Seelöwen. Maße: 42 x 19,5 x 8,5 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Sammlung Kuprejanow – Inv. Nr. 32 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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12

KEINE EXPEDITION OHNE KÜNSTLER

B

ei den Aleuten existierten aus Treibholz angefertigte Hüte in verschiedenen Variationen. Je nach Region unterschieden sie sich leicht in der Form: oben offen mit langem Schild wie in diesem Beispiel, oben offen mit kurzem Schild, oben geschlossen mit langem Schild und oben geschlossen mit entenschnabelartigem Schild. Meist waren sie mit Pflanzenfarben bemalt und mit Barthaaren von Seelöwen besetzt. Solche Augenschirme wurden möglicherweise von den Jägern in der baidarka zum Schutz der Augen vor dem vom Wasser reflektierten Sonnenlicht und Spritzwasser getragen (Feest 1998, S.  110). Wahrscheinlicher ist aber, dass zumindest die größeren Hüte mit langem Schild rituellen Zwecken dienten, da sie während der Jagd eher hinderlich waren.

Das hier gezeigte Beispiel gehört zwar zur Sammlung Kuprejanow, die erst im 19.  Jahrhundert nach Deutschland gelangte, entspricht in der Form aber ziemlich genau einem jener Stücke, das von Cooks dritter Reise stammt und sich in London befindet (King 1981, S.  46–49, Plate  11). Aufgefallen waren Cook die Augenschirme bereits während seines ersten Aufenthalts auf Unalaska (Aleuten) Ende Juni 1778. Offenbar fand er die ungewöhnlichen Hüte interessant genug, um ihnen eine längere Passage in seiner Reisebeschreibung zu widmen. Cook vermutete, dass solche Augenschirme eher dazu dienten, die Kapuze des wasserdichten Anoraks fest auf dem Kopf zu halten als vor der Sonne zu schützen:

„… it hath no crown, but a circular hole to receive the head, for which reason one would think it designed to shade the face from the Sun, but as this luminary does not, I  

apprehend, often trouble them, I rather think it is intended to confine the hood of the upper garment close to the head.“

(Beaglehole 1967, S. 459, Fußnote 2; King 1981, S. 48).

Ein Bild – besser als jede Beschreibung Da die Jagd auf Wale von der baidarka aus extrem gefährlich war, wurde sie von reichhaltigen rituellen Handlungen begleitet, zu denen wahrscheinlich auch

das Tragen der speziell geformten, quasi dreieckigen Holzhüte mit langer Spitze gehörte. Solche Hüte wurden erstmals im Jahr 1930 von Sergei Wassilijewitsch

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Iwanow als Kunstwerke angesehen und beschrieben. Iwanow war es auch, der als erster versuchte, die komplexe Ikonographie dieser Hüte zu interpretieren. Die konischen Holzhüte gab es, wie die Verbreitungskarte in Black (1991, S. 12) zeigt, einerseits in baumreichen Gebieten, wurden aber erstaunlicherweise auch im baumlosen Lebensraum der Aleuten hergestellt. Dort kam Holz nur in Form von Treibholz vor. Zwar unterschieden sich die Herstellungsarten der Hüte, die Formen waren aber ähnlich. Iwanow vermutete deshalb, dass sich die Traditionen der Beringmeervölker mit denen der Nordwestküste im Südwesten Alaskas vermischt hatten (Black 1991, S. 15) und stützte seine Argumentation auf Zeichnungen von Hüten, die während Cooks dritter Reise angefertigt wurden. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelte sich ein charakteristisches Muster zur Durchführung von Expeditionen. Gelehrte der Akademien der Wissenschaften sammelten und kategorisierten das neue Wissen und formulierten daraus weitere Fragen. Diese fassten sie in

Form von Forschungsanleitungen oder Fragebögen zusammen und gaben sie neuen Expeditionen mit auf die Reise. Es wurde gängige Praxis, mindestens einen, meist mehrere naturgeschichtlich geschulte Gelehrte an den Expeditionen teilnehmen zu lassen. Und da man sich ob der Fremdheit vieler Beobachtungen nicht nur auf die schriftliche Dokumentation verlassen wollte, stach keine der großen Entdeckungsreisen ohne Zeichner oder Maler an Bord in See. Resultat dieser Praxis ist reichhaltiges Bildmaterial, das die Reiseberichte ergänzt, bestätigt oder sogar konterkariert. Es wurden auch einzelne Objekte aus den mitgebrachten Sammlungen gezeichnet bzw. in Kupfer gestochen, um damit die Bücher zu illustrieren. James Cook hatte auf jeder seiner drei berühmten Expeditionen Künstler dabei. Da es jedes Mal andere waren, sind die bildlichen Darstellungen der drei Reisen sehr unterschiedlich. Für die Suche nach der Nordwestpassage erhielt John Webber die Aufgabe der Visualisierung wichtiger Beobachtungen.

John Webber zieht das große Los John Webber wurde am 6. Oktober 1751 in London geboren. Er war das zweite von sechs Kindern der Eheleute Mary Quant und Abraham Wäber. Abraham Wäber stammte aus Bern. Von Beruf war er Bildhauer und wanderte zu Beginn der 1740er  Jahre nach England aus, wo er seine künftige Frau Mary kennen lernte.

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Da es der Familie in England finanziell sehr schlecht ging, wurde der Sohn John im Alter von sechs Jahren nach Bern geschickt und in die Obhut seiner Tante Rosina Esther Wäber gegeben. Sie förderte Johns Zeichentalent und sorgte dafür, dass er ab 1767 Schüler des damals tonangebenden Schweizer Landschaftsmalers

KEINE EXPEDITION OHNE KÜNSTLER

Johann Ludwig Aberli wurde (Hauptmann 1996). Drei  Jahre blieb John bei Aberli und wechselte im Jahr 1770 nach Paris, um bei Jean-Georges Wille weiter zu lernen. Ermöglicht wurde ihm diese Reise durch die Unterstützung der „Gesellschaft zu Kaufleuten“, einer Körperschaft handeltreibender Bürger in Bern. 1775 schließlich ging er nach London und schrieb sich in seiner Heimatstadt in die Royal Academy ein. Der Wechsel in die britische Hauptstadt sollte Webbers Leben nachhaltig prägen. Er nahm erstmals im April 1776 an der jährlichen Ausstellung der Royal Academy teil und präsentierte dort ein Porträt sowie zwei Landschaftsbilder. Zu den Besuchern der Ausstellung gehörte der Botaniker Daniel Carl Solander, der als Gelehrter an Cooks erster Weltumsegelung (1769–1771) teilgenommen hatte und nun auf der ­Suche nach einem geeigneten Expeditionsmaler für die bald anstehende dritte Expedition von James Cook war. Solander war begeistert von Webbers Arbeiten, besuchte ihn

zuhause und ließ sich weitere Landschaftsbilder zeigen. Kurz darauf schlug er ihn als Künstler für Cooks Suche nach der Nordwestpassage vor. Am 24. Juni des  Jahres 1776 erhielt Webber die offizielle Bestätigung seiner Ernennung zum Expeditionsmaler und bereits am 5. Juli schiffte er sich ein. Es blieb ihm also nur wenig Zeit, um sich auf die insgesamt vierjährige Reise vorzubereiten. Mit der klaren Anweisung, was er zu tun habe, ging er an Bord. Er sollte „dem Betrachter durch entsprechende Zeichnungen und Bilder eine bessere Vorstellung der im Laufe der Reise

angesteuerten Orte und Länder ver­

mitteln, als dies durch eine schriftliche Darstellung allein möglich wäre.“

(Hauptmann 1996, S. 38)

Dies war eine Aufgabe, der er sich mit Hingabe und zu aller Zufriedenheit widmete.

Zurück in London Als er am 4. Oktober 1780 nach Beendigung der Expedition wieder englischen Boden betrat, hatte John Webber mehr als zweihundert Studien unterschiedlichster Motive im Gepäck, darunter rituelle Opferzeremonien, Tänze, detaillierte Zeichnungen von Gebrauchsgegenständen, aber auch Flora, Fauna, Landschaften und Darstellungen der Kontakte zwischen den Einheimischen und den

Engländern. Der oberste Lord der Admiralität, Lord Sandwich zeigte sich beeindruckt von Webbers ­Arbeiten, und beauftragte ihn mit der Illustration des offiziellen Reiseberichts. Fast drei Jahre war er damit beschäftigt, seine Zeichnungen in Kupfer zu stechen und Gemälde nach seinen eigenen Skizzen anzufertigen. Als die drei Bände 1784 endlich erschienen, wurden sie ein voller Erfolg und waren

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

schnell vergriffen. Sie faszinierten die Betrachter noch bis ins 19. Jahrhundert hinein und setzten Maßstäbe für nach-

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folgende wissenschaftliche und ethnographische Illustrationen (Hauptmann 1996, S. 46–48).

13 K

WISSENSCHAFTLICHE NEUGIERDE UND KOMMERZIELLE BEGEHRLICHKEITEN

leine aus Knochen geschnitzte Figu­ren in sitzender Position mit über den Knien verschränkten Armen (Abb. 18). Die Augenhöhlen sind groß und tief, die Nase deutlich hervorstehend gearbeitet. Am abgeflachten Hinterkopf der Figur (Am  788) befindet sich ein Loch durch das ein Faden gezogen wurde, mittels dessen diese sogenannten Hohlwürfelfiguren (Black 1991, S. 41) auf den Holzhüten (s. Kap. 12) befestigt wurden. Sie dienten dem Jäger als Schutzgeister zur Abwehr von Gefahren auf der Jagd. Sie sind typisch für die frühe Kontaktzeit bzw. die Phase kurz vor den ersten Kontakten mit Europäern. Anthropomorphe (menschengestaltige) Elfenbein- oder Knochenschnitzereien der Aleuten zeichneten sich durch ein ho-

hes Maß an Abstraktion und Stilisierung aus. Sitzende männliche Figuren, wie die hier abgebildeten, wurden vorne auf den aleutischen Hüten oder Augenschirmen befestigt, wie auf der Zeichnung von John Webber deutlich zu erkennen ist (s. Kap.  7, Abb. 10). Sie kamen auf den östlichen Aleuten, den Shumagin Islands und dem Kodiak-Archipel vor. Im Museum für Anthropologie und Ethnographie in St.  Petersburg befindet sich ein Augenschirm mit einer daran befestigten Hohlwürfelfigur, der möglicherweise von Vitus Berings Zweiter Kamtschatka-Expedition stammt und auf den Shumagin Islands erworben wurde (Black 1991, S. 41). Auch Cook hatte die charakteristischen Hüte der Aleuten mit solchen Figuren gesehen. Er schreibt:

„… und alle durchgehends haben eine ovale, vorstehende hölzerne Mütze, mit einem Rande, der um den Kopf schließt. Diese Mützen sind grün oder anders gefärbt, und  

um dem obern Theil des Randes herum stecken lange Borsten von einem Seethiere, an   denen Glaskorallen aufgereihet werden. Vorne ist ein kleines Bildchen von Knochen,

oder auch ein Paar derselben, angebracht. Die hier beygefügte Abbildung eines Einge­

bohrnen aus der Insel Unalaschka, giebt von ihrer Gesichtsbildung, von dem eben

beschriebenen Kopfputz und zum Theil auch von der Kleidung einen erstaunlichen Begriff.“

(Cook 1789, 3. Bd., S. 251)

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 18 Hutschmuck, Aleuten. Material: Knochen. Maße: Am 710 (Cook) Länge 2,4 cm, Breite 1,5 cm, Am 788 (Asch) Länge 2,5 x Breite 1 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster & Asch – Am 710, 788 (Foto: Harry Haase).

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WISSENSCHAFTLICHE NEUGIERDE UND KOMMERZIELLE BEGEHRLICHKEITEN

In der Ethnologischen Sammlung der Universität Göttingen befinden sich drei solcher Hohlwürfelfiguren. Eine geht auf James Cooks dritte Reise zurück und die beiden anderen gelangten durch Baron von Asch nach Göttingen. Offenbar wurden solche Figuren gerne gesammelt, bzw. als Souvenir erworben, denn sie waren einfach zu transportieren und gingen unterwegs nicht kaputt. Die Frage, wie schwer oder leicht sich ihre Besitzer da-

von trennten, muss unbeantwortet bleiben, weil es dazu an Dokumenten bzw. Tagebucheinträgen von Sammlern fehlt. Möglicherweise waren sie aufgrund der Darstellung auf dem Bild von John Webber bei späteren Sammlern beliebt, weil die frühe bildliche Darstellung Authentizität garantierte. Außerdem wertete es die eigene Sammlung auf, wenn sie Stücke enthielt, die denen aus der Sammlung des berühmten Kapitäns ähnelten.

Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Anfänge der Kolonisierung Üblicherweise werden alle Einwohner der Inselkette zwischen Russland und Festland-Alaska als Aleuten bezeichnet. Eigentlich ist dies aber nicht richtig, denn nur die Einwohner der westlichsten Inseln, wie z. B. Attu und Kiska nannten sich selbst Aleut. Mit ihrer Ausbreitung immer weiter nach Osten übertrugen die russischen promyschlenniki diese Selbstbezeichnung der westlichen Aleuten fälschlicherweise auch auf alle anderen Gruppen auf den Inseln weiter östlich, sogar bis zur Insel Kodiak, der AlaskaHalbinsel und in den Prince William Sound. Die Einwohner der östlichen Inseln, wie Unalaska, wo Cook sich drei Wochen aufgehalten hatte, nannten sich selbst Unangan. Der Unterschied zwischen Aleut und Unangan spiegelte sich auch in der Sprache wieder, da sie deutlich in zwei verschiedene Dialekte zerfiel, deren Grenze östlich der Insel Atka lag. Den Angaben des Alaska Native Lan-

guage Center zufolge sprechen heute von etwa 2.200 Aleuten in Alaska nur noch weniger als 100 Aleutisch. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts, also zur Zeit der ersten Kontakte mit Russen, soll es Schätzungen zufolge ungefähr 12.000 bis 15.000 Aleuten gegeben haben (Lantis 1984:163). Die erste offizielle Zählung wurde in den  Jahren 1791–1792 von Mitgliedern der Billings-Sarytschew-Expedition (s. Kap.  24) durchgeführt und stand in Zusammenhang mit der Eintreibung des jassak (Pelzsteuer). Deshalb wurden nur die aktiven Jäger gezählt und die Gesamtzahl davon ausgehend hochgerechnet. Problematisch war der Umstand, dass getaufte Aleuten für drei Jahre von der Steuer befreit waren und somit auch nicht gezählt wurden. Diese Unwägbarkeiten einbeziehend kam man gegen Ende des 18. Jahrhunderts nur noch auf eine Bevölkerungszahl von 3.800 bis 4.800 Aleuten.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Die Lebensweise der Aleuten war stark auf das Meer ausgerichtet. Sie ernährten sich hauptsächlich von der Jagd auf Robben und Wale und ergänzten ihr Nahrungsangebot durch Fischfang, Jagd auf Vögel und das Sammeln von Mollusken im Tidenbereich sowie von Beeren, Wur-

zeln und Vogeleiern an Land. Ähnlich wie die Ureinwohner Kamtschatkas lebten die Aleuten in halbunterirdischen Häusern, die entweder durch einen langen Eingangstunnel oder durch eine Lücke im Dach, von wo aus man einen Pfahl hinunterklettern musste, betreten wurden.

Trotz großer Risiken lockt das weiche Fell der Seeotter Bereits 1742, im Jahr nach der Rückkehr von Alexej Tschirikow (s. Kap. 5), machten sich die ersten promyschlenniki auf den Weg zur Inselkette der Aleuten. Sie blieben nur während des kurzen Sommers und bereicherten sich an den Seeotterfellen. Das reichhaltige Vorkommen der Seeotter sprach sich schnell herum und die Auflösung des staatlichen Monopols für den Chinahandel im Jahr 1762, gepaart mit dem Wegfall der zehnprozentigen Steuer auf den Verkauf von Fellen, machte den Einstieg in die Unternehmungen auf den Aleuten für private Handelshäuser trotz aller Schwierigkeiten attraktiv (Black 2004, S. 101). Seeotterfelle,

das sogenannte „weiche Gold“, schienen zu diesem Zeitpunkt nahezu unbegrenzt zur Verfügung zu stehen. In den  Jahren zwischen 1743 und 1800 bauten mehr als 40 russische Handelskompanien über 80 Schiffe, mit denen sie sich am Fellhandel auf den Aleuten beteiligten (Anich­ tchenko 2015, S. 74). Die Reisen waren aufgrund unzureichender Karten und feindlicher Zusammenstöße mit der indigenen Bevölkerung ausgesprochen risikoreich, viele Schiffe erlitten Schiffbruch und gingen mitsamt der Mannschaft verloren. Doch trotz aller Rückschläge fanden sich immer wieder wagemutige Kaufleute, die Profit witterten.

Gegenseitige Abhängigkeiten Die Aleuten litten erheblich unter dem kulturellen Zusammenstoß mit den Russen und eingeschleppte Krankheiten taten ihr Übriges. So lange russische promyschlenniki nur vereinzelt und ohne Kanonen an Bord ihrer Schiffe erschienen, waren die Aleuten durchaus in der Lage sich gegen die Eindringlinge zu wehren. Erst als die Russen

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sich dauerhaft im Lebensraum der Aleuten niedergelassen hatten, begannen sie die Jäger für eigene Belange einzuspannen, blieben dadurch aber trotz aller konfliktreichen Auseinandersetzungen bei der Seeotterjagd immer abhängig von den exzellenten Fähigkeiten der Aleuten im Umgang mit ihren wendigen Booten auf dem Meer.

14 W

WASSERDICHTE ANORAKS, ZWEI DEUTSCHE IN COOKS MANNSCHAFT UND WIEDER SPANISCHER BESUCH IM NORDEN

ie alle Völker des Nordens waren die Aleuten bestens an ihren Lebensraum angepasst. Um sich gegen Spritzwasser zu schützen, trugen sie sogenannte kamleikas (Abb. 19). Kamleikas sind aus Darmstreifen von Seelöwen oder anderen Seesäugetieren zusammengenähte Anoraks mit Kapuze, die über der norma­ len, wärmenden Kleidung als gut eingefettete und damit wasserdichte Hülle getragen wurden. An Gesicht und Handgelenken konnte man die kamleikas zubinden, um bestmöglichen Schutz gegen eindringen­des Wasser zu gewährleisten. Mittels Schnüren aus Sehnen wurde das gesamte Kleidungsstück mit der baidarka verbunden, so dass der Jäger weitestgehend trocken blieb. Die Frauen nähten die einzelnen Darmstreifen unter Verwendung von Sehnen als Fäden aneinander. Es gehörte zu ihren bewunderten Fertigkeiten, die Nähte wasserdicht zu machen. Manche kamleikas wurden an den Nähten mit winzigen, bunten Federn verziert. Cooks gesamte Mannschaft hatte sich während ihres Aufenthalts auf Unalaska im Oktober 1778 mit solchen

Anoraks versorgt. Im Bericht über Cooks Expedition heißt es: „… die Männer haben aber noch einen Ueberrock von Darmhäuten, welcher

der Nässe widersteht, und woran eine Kapuze ist, die man über den Kopf ziehen kann.“

(Cook 1789, 3. Bd. S. 251)

Wie einer der Offiziersanwärter in seinem Tagebuch festhielt, empfanden sie die kamleikas als leichter, fester und mindestens genauso wasserdicht im Vergleich mit dem Ölzeug, das sie normalerweise trugen. Damit schnitt das indigene Produkt in der Beurteilung durch Cooks Mannschaft besser ab als die eigenen Kleidungsstücke. Der einzige Nachteil war, dass das Material anfing zu bröckeln, wenn die kamleikas eintrockneten und nicht regelmäßig eingefettet wurden. Die Aufbewahrung solcher Kleidungstücke stellt aufgrund dieser Eigenschaft für heutige Museen eine echte Herausforderung dar.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 19 „Kamleika“, Aleuten, Unalaska. Material: Seesäugerdarm. Maße: 160 cm x 175 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 816 (Foto: Harry Haase).

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WASSERDICHTE ANORAKS, ZWEI DEUTSCHE IN COOKS MANNSCHAFT

„Mit frischem Pfälzermut“ Zur Besatzung der Discovery gehörte auch Johann Heinrich Zimmermann, einer von zwei deutschen Teilnehmern an Cooks dritter Expedition. Zimmermann stammte aus Wiesloch in der Pfalz, wo er am 25. Dezember 1741 geboren wurde. Über seine Kinder- und Jugendjahre ist kaum etwas bekannt (Kurz 2010, S. 3). Als junger Mann erlernte er das Gürtlerhand-

werk. Da er damit sein Auskommen in Wiesloch nicht zu sichern vermochte, zog er auf der Suche nach Arbeit um die Welt. Erste Stationen waren Genf, Lyon und Paris, wo er als Rotgießer, Glockengießer und Schwertfeger arbeitete. In London war er schließlich in einer Zuckersiederei beschäftigt und hörte dort offenbar von den Plänen für Cooks dritte Expedition:

„Ich wollte, nach dem mir angebohrnen frischen Pfälzermuthe auch noch versuchen,  

wie es auf der See hergehe, und da im Jahre 1776 von dem Königreich Großbrittannien zwei Kriegsschaluppen, nemlich die alte ‚Resolution‘ und die ‚Discovery‘ auf neue  

Entdeckungen ausgeschicket wurden, so gieng ich unterm 11. Merz nemlichen Jahres auf letzterer als Matrose in Dienste.“

Unterwegs schrieb er heimlich über seine Erlebnisse, was den Männern in den untergeordneten Stellungen eigentlich verboten war. Die Offiziere und Offiziersanwärter wurden gezwungen, ihre Tagebücher am Ende der Reise der Admiralität zu übergeben, und manches daraus floss in den allgemeinen Expeditionsbericht ein. Zimmermann gelang es, seine Notizen von Bord zu schmuggeln, sie auszuformulieren und im Jahr 1781 drucken zu lassen. Er widmete seine Reiseerinnerungen dem Reichsfreiherrn Albert von Oberndorf, der damals Statthalter des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz und Bayern war.

(Zimmermann 1781, S. 9)

Durch den Erfolg des Büchleins mit der geschickten Widmung wurde der Kurfürst auf Zimmermann aufmerksam und nahm ihn in seine Dienste. Als „Kurfürstlicher Leibschiffsmeister“ zog Zimmermann an den Starnberger See, wo er die Aufsicht über die Gondeln sowie die Jagd- und Lustschiffe des Starnberger Sees übernahm. Da ihn die Sehnsucht nach der Ferne nicht losließ, heuerte er 1787 als Steuermann auf einem englischen Handelsschiff nach China und Ostindien an. Nach zwei  Jahren kehrte er zurück und lebte dann bis zu seinem Tod im Jahr 1805 mit seiner Familie in Starnberg.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Die Konkurrenz schläft nicht Als der spanische Minister „of the Indies“, José de Gálvez, von Cooks dritter Expedition erfuhr, ordnete er sofort eine weitere  – nun schon die dritte  – spanische Expedition an. Sie sollte nach James Cook und möglichen russischen Siedlungen an der Nordwestküste Ausschau halten, 70° Nord erreichen und möglichst noch vor Cook den Eingang zur Nordwestpassage finden. Die Abreise der beiden Schiffe Princesa und Favorita unter dem Kommando von Ignacio Arteaga und Bodega y Quadra von San Blas verzögerte sich bis zum 11. Februar 1779, weil die Favorita generalüberholt und von Peru nach San Blas überführt werden musste (Olson 2004, S. 15). Anfang Mai erreichten sie die Bucareli Bay in der Region westlich von Prince of Wales Island im südöstlichen Teil von Alaska, dem sogenannten „Panhandle“. Mit Gewehren und Schwertern bewaffnet, nahmen sich die Spanier in zwei Beibooten Zeit für Kartierungsarbeiten. Mehrfach trafen sie dabei auf Tlingit (s. Kap.  30). Die auftretenden  – oft heiklen  – Spannungen ließen sich zum Glück ohne Einsatz von Waffengewalt ausräumen. Am 1. Juli 1779 verließen die beiden Schiffe die Bucareli Bay und erkundeten

den Prince William Sound. Dort trafen sie auf Alutiiq (Chugach). Die Alutiiq unterschieden sich von den zuvor angetroffenen Tlingit. Sie benutzten mit Haut bespannte Boote, trugen andere Kleidung und auch ihre Sprache war offenbar nicht dieselbe. Sie erwiesen sich als freundlich und waren bereit, Handel zu treiben. Eine Kiste mit Artefakten der angetroffenen Völkerschaften wurde nach Spanien übersandt. Noch heute befinden sich im Museo de América in Madrid Objekte, die wahrscheinlich von dieser Expedition stammen (Cabello 2000, S. 23). Leider war auch hier weder Richtung Norden noch Osten ein Eingang zur Nordwestpassage zu finden und schon bald segelten die Spanier nach Südwesten durch die Montaguestraße. Am 2. August 1779 waren beide Schiffe an der Südspitze der Kenai-Halbinsel. Es folgte das übliche Vorgehen von Erkundung, Inbesitznahme und Vergabe neuer Namen, bevor die Expedition sich auf den Rückweg begab und Mitte September San Francisco erreichte. Als sie Ende November zurück in San Blas war, befanden sich England und Spanien im Krieg (Cabello 2000, S. 22).

Enttäuschte Erwartungen Die dritte spanische Expedition in den Norden war die vorerst längste und teuerste gewesen. Wenngleich sie keines ihrer

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offiziellen Ziele erreicht hatte, lieferte sie als Ergebnis immerhin exzellente Karten und einige Tagebücher mit ersten Infor­

WASSERDICHTE ANORAKS, ZWEI DEUTSCHE IN COOKS MANNSCHAFT

mationen über die Tlingit. Dennoch führte der relativ geringe Erfolg vorläufig zur spanischen Zurückhaltung im Norden (Olson 2004, S. 16–18). Die spanischen Stützpunkte in San Francisco, Monterey und San Blas lagen nicht allzu weit von den interessant gewordenen Gebieten entfernt, aber aufgrund der vorherrschenden Wind- und Strömungsverhältnisse war es extrem schwierig, der Küste entlang nach Norden zu folgen. Wollte man von Monterey aus zum Nootka Sound oder Cook Inlet segeln, war es günstiger, weit nach Westen auszuholen, der beste Weg führte sogar über Hawaii (Gough 1992, S. 8). Dies erklärt, warum die wesentlichen Entdeckungen an der amerikanischen Nordwestküste nur ge-

langen, wenn die Schiffe auf Südkurs an der Küste entlang segelten und warum Cook auf dem Weg nach Norden weder den Eingang zum Columbia River noch die Juan de Fuca Straße fand (Gough 1992, S. 9). Die Spanier hätten ihre neuen Karten gerne geheim gehalten. Später entschieden sie sich dennoch zur Herausgabe, da die offizielle Anerkennung von Ansprüchen nur möglich war, wenn die Daten der Logbücher und Kartierungsarbeiten als Beweise für die Begründung dieser Ansprüche offen gelegt wurden. Zwischen Geheimhaltung und Veröffentlichung existierte also ein gewisses Spannungsverhältnis.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 20 Kriegsgott „Ku“, Hawaii. Material: Luftwurzeln, Federn, Hundezähne, Perlmutt, Holz. Maße: Höhe 46,5 cm, Breite (max.) 16 cm, Durchmesser am Hals 7,5 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Oz 254 (Foto: Harry Haase).

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KUKA’ILIMOKU

Z

u den heiligsten Gegenständen der hawaiianischen Kultur gehören mit roten Federn des i‘iwi (Kleidervogel, Vestiaria coccinea) geschmückte Götterbildnisse. Diese werden allgemein als ki’i hulu manu (Bilder der gefiederten Vögel) bezeichnet. Sie bestehen aus einem Kopf mit längerem oder kürzerem Hals und erhalten ihre Gestalt durch ein geflochtenes Innenskelett aus den Luftwurzeln der ’ie‘ie Pflanze (Freycinetia arborea). Auf dem Innenskelett wurde ein fein gewirktes Netzgewebe aus fester olona-Schnur (Touchardia latifolia) befestigt und mit Federn besetzt. Sind sie mit menschlichem Haar versehen, gelten sie als Aufenthaltsort des Gottes Lono, des Gottes des Friedens, der Fruchtbarkeit und des Pflanzenanbaus. Das Federbildnis der

Göttinger Sammlung repräsentiert hingegen den Kriegsgott Kuka’ilimoku (Ku, der das Land ergreift). Typisch für Darstellungen von Ku ist der verzerrte Mund, der bei dem Göttinger Stück zusätzlich mit Hundezähnen besetzt ist. Die roten Federn des Kleidervogels waren ein Zeichen hohen Ranges und die Götterfiguren wurden bei Prozessionen auf einen Stab gesteckt und zu Ehren der Götter ebenso mitgeführt wie bei Kriegszügen der regionalen Oberhäupter (Menter 2009, S. 250). Im rituellen Leben der Bevölkerung von Hawaii wechselten Phasen, die dem friedlichen Fruchtbarkeitsgott Lono gewidmet waren, mit solchen unter der Ägide des kriegerischen Ku ab (s. Thomas 2003, S.  382 ff., über verschiedene Deutungen s. HauserSchäublin 2012).

… von roten und gelben Federn… Roten Federn kam in Hawaii sakrale Bedeutung zu und man glaubte, sie besäßen die Fähigkeit, alles zu beleben, was sie bedeckten. Gelbe Federn hingegen waren politisch bedeutsam. Sie kamen seltener vor und waren erheblich schwieriger zu beschaffen. Nur mächtige Häuptlinge konnten sie in ausreichender Menge erwerben, um ein gelbes Muster in ein Federstück einfügen zu lassen. Die gelben Federn stammten vom Prachtmoho ‘o’o (Moho nobilis) und dem Königskleider-

vogel mamo (Drepanis paci­fica). Beide gelten seit dem Ende des 19.  Jahrhunderts als ausgestorben. Diese Vögel mit vorwiegend schwarzem Federkleid wurden mit Leimruten gefangen. Die wenigen gelben Federn wurden ausgerupft und die Vögel dann wieder frei gelassen. Sie wurden zu kleinen Bündeln gebunden und niedere Häuptlinge mussten sie als eine Art Steuer an ranghöhere abgeben. Da der Kleidervogel am ganzen Körper rote Federn hatte, wurde er getötet,

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

was bei dem immensen Bedarf an F ­ edern in Kombination mit anderen Ursachen, wie eingeschleppte Schädlinge, zu einer starken Dezimierung führte.

Mit der Herstellung von Götterbildnissen befasste sich Zimmermann in seiner Reisebeschreibung recht ausführlich:

„Diese Götter flechten sie in der Form eines Brustbildes aus einer Art dünnen und bieg­

samen Holzes, samt dem Halse, Kopf, Nase, Mund und Ohren. Sie setzen selben  

Augen von Perlmutterschalen und große Schweinszähne ein. Von der Brust bis ganz über den Kopf besetzen sie selbige mit kleinen rothen Vögelfedern in solcher Menge,  

daß man von dem inneren Holze gar nichts mehr wahrnimmt. […] Einigen von diesen

ihren Göttern machen sie auf den hinteren Theil des Kopfes falsche Haare, und  

einigen setzen sie auch Kappen auf, die ebenfalls auf nemliche Art geflochten, und mit Federn besetzet, jedoch aber mit gelben und noch mehr anderen Federn schattieret sind, und den römischen Pickelhauben viel gleichen.“

(Zimmermann 1781, S. 76 f.)

Zur Überwinterung nach Hawaii und Götterbildnisse für die Sammlung Als Cooks Schiffe Unalaska Ende Oktober 1778 verließen, mussten sie sich auf dem Weg Richtung Hawaii durch heftige Stürme kämpfen. Ende November 1778 kam schließlich die Insel Maui in Sicht. Die Suche nach einem Überwinterungsplatz zog sich aber noch längere Zeit hin bis die Expedition im Januar 1779 in der Kealakekua Bay landete. Diese befindet sich an der Westküste der größten und am weitesten im Osten gelegenen Insel, die den Namen Hawaii (eigentlich Hawai’i) trägt, so wie der gesamte Archipel heute heißt. Da die Expedition auf den Erwerb von frischen Lebensmitteln angewiesen war, hatte man sich auf den beiden Schiffen Gedanken gemacht, was

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man sinnvoller Weise den Einwohnern Hawaiis als Gegengabe anbieten könne. Zimmermann schrieb dazu: „… hatten uns auch schon zum Handel 

mit diesen während unserm Auf­

enthalt auf der Insel Unalaska vor­be­ rei­tet, indem Herr Cook den auf der

Discovery, wie schon oben gemeldet, zerbrochenen Buganker von onge- 

fehr 18 Centner aufarbeiten, und daraus  

verschiedene unter den Heiden ge­

bräuchliche Werkzeuge, dann Nägel und Messer, verfertigen lassen.“

(Zimmermann 1781, S. 71–73)

KUKA’ILIMOKU

Nachdem die Lebensmittelvorräte auf­ gefrischt waren, wurde der Tauschhandel

ausgedehnt. Hierzu schreibt Zimmermann:

„Sie trugen uns mehrere ihrer Götzen­bilder zum eintauschen an; wir handelten auch

verschiedene von ihnen ein, die wir mit nach England nahmen.“

Zimmermann fährt fort: „Herrn Cook machten jene auf der Insel O-waihi auch zu einem Gott, und richteten

ihm zu Ehren ein Götzenbild auf. Sie nannten es nach dessen Namen: O-runa no te tuti. O-runa hies Gott, tuti Cook. Dieser Abgott war wie die ihrige geformt; aber statt der

rothen mit lauter weissen Federn gezieret, vermuthlich aus der Ursache, weil Herr Cook als ein Europäer von weisser Gesichtsfarbe war.“

In dieser kurzen Passage werden zwei Dinge deutlich. Zum einen verweist Zimmermann auf den Umgang der Bevölkerung von Hawaii mit dieser für sie neuen und auch potentiell gefährlichen Situation, nämlich der Ankunft von mit mächtigen Waffen ausgestatteten Fremden, deren Verhalten oft nicht zu verstehen war.

(Zimmermann 1781, S. 77)

Zum anderen gibt er Hinweise, die später in der Diskussion um James Cooks Tod auf Hawaii eine große Rolle spielten und zu der Frage Anlass gaben, ob die Hawaiianer in Cook eine Verkörperung einer ihrer Gottheiten sahen oder „nur“ einen fremden Menschen, der Häuptling seiner Begleiter war.

Georg Forsters Interesse an Cooks dritter Reise Kaum waren die beiden Deutschen aus Cooks Mannschaft, Zimmermann (s. Kap. 14) und Barthold Lohmann aus Kassel, zurück in der Heimat, besuchten sie gemeinsam Georg Forster. Georg Forster, der mit seinem Vater an Cooks zweiter Reise teilgenommen und eine Reisebeschreibung verfasst hatte, interessierte sich sehr für die Ergebnisse der dritten Reise.

Während ihres Treffens fragte Forster Zimmermann und Lohmann nach vielen Details. Da Forster, der inzwischen am Collegium Carolinum in Kassel lehrte, einige der besuchten Inseln aus eigener Anschauung kannte, konnte er den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen gut einschätzen, wie er selbst in einem Artikel noch Ende 1780 schrieb:

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

„Unzählige Fragen, die ich diesen beyden Leuten vorlegte, wurden von ihnen so beant­

wortet, dass mir kein Zweifel über ihre Glaubwürdigkeit zurückblieb. Ich möchte daher den kleinen Vorschmack, den ich auf solche Art von den Ereignissen der letzten Reise erhalten habe, gern mittheilen.“

Sein Artikel erschien im „Göttingischen Magazin der Wissenschaften und Litteratur“ mit dem Titel: „Fragmente über Capitain Cooks letzte Reise und sein Ende“ (Forster 1780, 1. Jg. 4. Stück 1780, S. 387 f.). Lohmann hatte dem „Hochfürstlichen Cabinet“ in Kassel einen „rothen Baumläufer“, gemeint ist damit der i‘iwi

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(Kleidervogel) und eine Halsschnur geschenkt. Von dem i‘iwi war Forster so begeistert, dass er im gleichen Magazin, dessen Herausgeber er gemeinsam mit dem Göttinger Physiker Georg Christoph Lichtenberg war, einen ganzen Artikel darüber veröffentlichte: „Beschreibung des rothen Baumläufers von der Insel O-Waihi“.

16 I

JAMES COOKS TOD AUF HAWAII

n vielen polynesischen Gesellschaften stellten Federn einen hohen Wert dar. Federmäntel hochrangiger Personen aus Tahiti, Neuseeland und Hawaii sind Beispiele dafür. Mit Federn besetzte Kopfbedeckungen hingegen gab es ausschließlich auf den Inseln des Hawaii Archipels (Buck 1957, S. 215, 231). Helme mit auffälligem Federkamm wie der hier abgebildete aus der Göttinger Ethnologischen Sammlung galten als Insignien des hohen Adels und wurden bei wichtigen politischen und zeremoniellen Anlässen gemeinsam mit den Federmänteln von männlichen Adeligen getragen (Abb. 21). Bis ins 19. Jahrhundert galten sie darüber hinaus als geschätzte Gaben im zeremoniellen Tausch, bei dem sie festgelegten Verhaltensregeln entsprechend weitergegeben wurden. Sie enthielten vom Priester oder Herrscher übertragene religiös-mystische Kraft mana und es war für nicht autorisierte Personen gefährlich, diese Gegenstände zu berühren (vgl. Krüger 2012, S. 13–25). Es gab

zwei Typen von Federhelmen. Solche mit hohem Kamm, wie der in der Göttinger Sammlung, stammten von der Insel Hawaii und solche mit einem kürzeren und breiteren Kamm von der Insel Kaua’i. Die Form des Helms entstand durch ein Flechtwerk aus Pflanzenfasern, an dem die roten und gelben Federn befestigt wurden. Ein Federhelm wie jener aus der Göttinger Sammlung ist auf dem Gemälde „Der Tod Kapitän Cooks am 14. Februar 1779“ von Johann Joseph Zoffany dargestellt. Beide Hauptpersonen auf dem Gemälde – Cook und sein Mörder – sind deutlich als Personen hohen Rangs gekennzeichnet, der eine durch seine Uniform und der andere durch den Federhelm und -mantel (s. Abb. 22). Die Rangunterschiede zwischen den einzelnen Gruppen auf Hawaii traten offenbar so deutlich zutage, dass Cook bzw. seine Offiziere sie ausführlich beschreiben konnten, obwohl sie sich nicht allzu lange auf Hawaii aufgehalten hatten:

„Die Einwohner dieser Inseln sind offenbar in drey Klassen getheilt. Die erste besteht aus den Erihs oder Oberhäuptern jeden Bezirks, unter denen einer der vornehmste  

ist, und in Owaihi den Titel: Erih-tabu oder Erih-moi führt. Das erstere Beywort geht auf seine unumschränkte Macht, und das letztere bedeutet, daß sich jedermann in seiner

Gegenwart niederwerfen (wörtlich: sich schlafen legen) muß. Die zweyte Klasse scheint ein gewisses Eigentumsrecht zu besitzen, doch ohne daß damit Gewalt verbunden

wäre. Die dritte besteht aus den Tautaus oder Knechten, welche weder Rang noch Eigen­ thum haben. In welchen Graden diese Klassen einander untergeordnet sind, davon

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 21 Federhelm „mahiole“, Hawaii. Material: Federn, Flechtwerk aus Pflanzenfasern. Maße: Umfang des Kamms ca. 61 cm, Tiefe des Helms 15,5 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Oz 2457 (Foto: Harry Haase).

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JAMES COOKS TOD AUF HAWAII

ließe sich keine systematische Nachricht entwerfen, ohne der Wahrheitsliebe etwas zu vergeben, die gleichwohl in diesem Falle schätzbarer seyn muß, als die sinnreichsten Muthmaßungen.“

(Cook 1789, 3. Bd. S. 449)

Beobachtungen und Einschätzungen von Heinrich Zimmermann „Auf der […] Insel O-waihi sahe ich einem Götzendienste zu. Der König gieng mit vielen Ehris aus seiner Wohnung, und einige von den letzteren trugen mehrere Götter  

voraus. Der König war mit einem großen, bis auf die Ferse reichenden rothen Mantel, und die Ehris theils mit eben so langen, theils aber mit etwas kleineren und zum  

Theil auch nur bis über die Schulter reichenden Mänteln umhüllet. Ein jeder hatte auch so eine nemliche Kappe, wie zum Theil ihre Götter haben. Der Zug ging in Fahrzeugen

über den Seehafen hinüber auf die Seite, wo Herr Cook sich in seinem auf dem Lande aufgeschlagenen Zelte befande, und diesem wurde allda auch einer ihrer Mäntel  

angezogen und eine der vorgesagten Kappen aufgesetzt. Unterwegs fiel das gemeine Volk, als die Götter vor ihnen vorbeigetragen wurden, auf das Angesicht nieder;   keiner von diesen durfte aber dem Zuge folgen.“

Über den Tod von James Cook auf Hawaii wurde viel diskutiert und es gibt unterschiedliche Interpretationen des Geschehens. In diesem Rahmen kann hier nicht auf diese Debatte eingegangen werden, daher soll ein weiteres Zitat aus dem Tagebuch von Heinrich Zimmermann genügen, um ein Bild zu entwerfen, wie die Ereignisse rund um Cooks Tod

(Zimmermann 1781, S. 77 f.)

sich zugetragen haben könnten. Eigentlich hatte die Expedition Hawaii bereits verlassen, nachdem sie dort in hohen Ehren während eines der wichtigsten Feste im  Jahreslauf empfangen worden war. Der schlechte Zustand der Resolution trug zu dem nun folgenden Unheil bei. Zimmermann schreibt dazu in seinem Bericht:

„Nach unserer von O-waihi den 4ten Februarii genommenen und schon oben gemeldten

Abreise wollte Herr Cook eine vollkommene Untersuchung der übrigen Inseln vornehmen,

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

auch die noch abgängige eigentliche und wilde Namen derselben aufnehmen. Unter­

wegs aber sprang auf der Resolution in einem heftigen Sturme der Fockmast; und dies

nöthigte uns, wieder in den Hafen von O-waihi zurückzukehren.

Wir fanden das Volk bei dieser unserer Zurückkunft viel geändert gegen vorhin; und

überhaupt bemerkten wir an selbigem schon vor unserer Abreise einige Unzufriedenheit, auch nicht mehr so viele Ehrfurcht gegen uns, wie zuvor. An beidem mag allerdings die

Schuld gewesen seyn, weil Herr Cook von dem Begräbnisplatze alle von ihnen aufgerich­

tete Stangen, jedoch mit Erlaubnis ihres Oberhaupts, dem 6 Beile zum Geschenke dafür gereichet worden, um deswillen zum Feuerholz kleinmachen ließ, weil dieses Holz be­

quemer als jenes auf den hohen Gebürgen zu bekommen war; dann weil Herr Cook auch

noch diesem einen verstorbenen alten Quartiermeister William Wattmann auf derselben

Begräbnis zur Erde bestättigen ließ, und dadurch ihnen ein europäisches Leichenbegäng­

nis zeigen wollte. Über ersteres hatte das Volk einen heimlichen Verdruß verspüren lassen;

und ohnerachtet sich keiner wegen der Erlaubnis des Königs darüber ausserte, so konnte man doch diesen Verdruß ihnen aus den Gesichtern nehmen. Durch letzteres wurde ih­

nen die von uns geschöpfte irrige Meinung, als wenn wir unsterblich wären, benommen: und damit fiel auch die Ehrfurcht weg.“

(Zimmermann 1781, S. 80–81)

Die Lage spitzt sich zu Zimmermann berichtete weiter über zunehmende Diebereien und damit einhergehende Scharmützel. Die Situation

eskalierte. Offenbar beobachtete Zimmermann die Ereignisse von der Discovery aus und war nicht direkt daran beteiligt:

„In dieser Nacht von dem 13. auf den 14. wurde von unserem Schiff, der ‚Discovery‘, ein

Boot abgeschnitten und entwendet. Es war das beste, das wir hatten, und als ich, weil

ich damals auf dem Verdeck Wache hatte, morgens bei Anbruch des Tages den Diebstahl wahrgenommen und es Herrn Commodore Cook hinterbracht worden war, so ließ er

gleich sechs Boote mit Ober- und Untergewehr stark bemannen. Vier davon mussten den Hafen sperren und keinen Kahn der Wilden hinauslassen; mit zweien ging er selbst an

Land, stieg nebst dem Seesoldatenleutnant Herrn Philipps und ungefähr noch zwölf

Mann aus und gab dem Schiffleutnant Herrn Williamson Order, dass er mit der übrigen

Mannschaft, die ungefähr noch in vierzehn Mann bestand, in den Booten bleiben solle.

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JAMES COOKS TOD AUF HAWAII

Herr Cook hatte im Sinn, den König auf das Schiff in Arrest zu bringen, und ihn so

lange nach dem auf der Insel Ulibra geschehenen Beispiel als Geisel zu behalten, bis

das Boot wieder herbeigeschafft würde. Dieses Vorhaben hätte ihm auch hier, wenn er die bewaffnete Mannschaft zurückgelassen und den König auf das Schiff wie dorten

mit Freundlichkeit und gütlich eingeladen hätte, gelingen können. Allein er war hier zu hitzig, und dies führte zu seinem nicht genug zu bedauernden Tod.

In der Zeit, als er den König aus seiner Wohnung am Arm bis an das Ufer brachte,

wurde von der Mannschaft der vier Boote, die den Hafen sperrten, auch die Kähne von

Insulanern, die ausfahren wollten, verschiedentlich gefeuert, und vermutlich dadurch einige dieser Leute verwundet. Das Volk, das sich bei unserer Ankunft gleich in einer unzählbaren Menge versammelte, und das sich schuldig wußte, riet dem König ab, mitzugehen, und dieser weigerte sich hierauf auch. […] Herr Cook wollte den König

gewaltsam mit sich fortreißen, das Volk aber warf ihn mit kleinen Steinen. Er, der zuvor von diesen Leuten als ein Abgott verehrt wurde, ergrimmte darüber, schoß aus seiner mitgeführten doppelten Flinte den mit Schrot geladenen Lauf auf sie ab, ergriff den König nochmals bei der Hand und riß ihn […] mit sich fort.“

(Zimmermann 1966, S. 64–65)

Abb. 22 Johann Joseph Zoffany. Der Tod Kapitän Cooks am 14. Februar 1779. Öl auf Leinwand. Maße: 137,2 cm x 182 cm. National Maritime Museum, London – Greenwich Hospital Collection.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Ein verhängnisvolles Geschenk „Einer, der gleich hinter Herrn Cook stand, stieß ihm einen eisernen Dolch, von denen er dem Volk in der Art ihrer oben beschriebenen hölzernen Dolche einige hatte verferti­

gen lassen und zum Geschenk gegeben, zur rechten Schulter hinein und vorne auf der linken Seite zum Herzen hinaus.

Herr Cook fiel tot zur Erde, und unsere Mannschaft auf dem Lande gab auf das  

Volk Feuer. Dieses stürmte gleich auf sie los, erschlug noch drei Männer von ihnen und

drei wurden verwundet.“

(Zimmermann 1966, S. 64–65)

Soweit Zimmermanns Schilderung. Auffällig ist, dass Zimmermann mehrfach Kritik am Verhalten Cooks übt, was ihm in seiner untergeordneten Rolle eigentlich nicht zustand. Die Mannschaft stand unter Schock. Charles Clerke, Kapitän der Discovery und Cooks Stellvertreter, übernahm nun das Kommando über die Expedition, obwohl er bereits seit längerem an Tuberkulose litt. Cooks Planung entsprechend startete Clerke den zweiten Vorstoß nach Norden zur Suche nach der Nordwestpassage früher in der Saison. Dies stellte sich als Fehler heraus, weil die Eisbedeckung noch zu dicht war und die beiden Schiffe nicht einmal die nördliche Breite vom Vorjahr erreichten. Auf dem Rückweg legten sie eine längere Pause auf der Halbinsel Kamtschatka ein. Clerke war kurz vor der Ankunft verstorben und erhielt ein Begräbnis an Land. Sein Grab befindet sich im Zentrum von Petropaw­lowsk-

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Kamtschatski, der heutigen Hauptstadt Kamtschatkas und wird seit 1913 durch einen kleinen, von der britischen Admiralität errichteten Obelisken markiert. Dank der Empfehlungsschreiben, die Cook von Ismailow während seines Aufenthalts auf Unalaska im Oktober 1778 erhalten hatte (s. Kap. 11), wurden die beiden Schiffsmannschaften freundlich aufgenommen. Der Gouverneur von Kamtschatka, Magnus von Behm, reiste eigens von Bolscheretsk (im Südwesten der Halbinsel) in die Awatscha-Bucht, um mit der Expedition zusammen zu treffen. Nach intensivem Austausch nahm Behm Briefe und Abschriften von Tagebüchern in seine Obhut und ließ sie über St.  Petersburg nach England transportieren. Durch einen noch von Clerke verfassten Brief erfuhr man auf diesem Weg in England, bereits lange vor der Rückkehr der beiden Schiffe, dass sie ohne ihren verehrten Kapitän heimkehren würden.

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DER FELLHÄNDLER GRIGORI IWANOWITSCH SCHELICHOW SETZT SICH DURCH

D

ie großformatige Zeichnung gelangte ebenfalls in einer der Sendungen des Barons von Asch nach Göttingen (Abb. 23). Sie zeigt ein Handelstreffen zwischen Russen und Japanern, vermutlich auf der Insel Hokkaido. Am oberen Rand sind drei russische Boote zu erkennen. Alle drei tragen eine im Verhältnis zum Boot übergroße russische Flagge und der Segelmast endet oben mit einem russisch-orthodoxen Kreuz. Unten ist ein japanisches Schiff mit drei Landungsbooten dargestellt. Zelte und Warenlager sind ebenfalls abgebildet sowie zwei Gruppen

von Menschen, die einander gegenüberstehen. Oben, eine Reihe von Russen, aus der Reihe hervorgetreten sind der Anführer sowie zwei Dolmetscher; die Gruppe der Japaner bewegt sich nach links als würde sie vor den Russen paradieren und besteht aus mehreren Händlern unterschiedlichen Rangs sowie mehreren Ainu. Die Ainu sind an den langen Bärten und den im Gegensatz zu den Japanern behaarten Beinen zu erkennen und tragen unterschiedliche Waren auf ihren Schultern. Das dargestellte Zusammentreffen fand im Jahr 1779, also dem Todesjahr von James Cook, statt.

Unkalkulierbare Risiken Seit dem Beginn des Entdeckungszeitalters füllten sich die Landkarten. Ganze Kontinente und Inseln wurden vermessen und eingezeichnet. Sie v­erdrängten Monster und Seeungeheuer, die zur Zierde auf die Leerstellen gesetzt worden waren. Aber die genauen Positionen einzelner Inseln blieben noch vage, da es bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nicht möglich war, auf See eine exakte Längenbestimmung durchzuführen. Dies trug dazu bei, dass viele Inseln mehrfach entdeckt und unter verschiedenen Namen an unterschiedlichen Stellen auf den Karten plat-

ziert wurden. Die ungenaue Kartierung führte häufig zum Totalverlust von Schiffen und Ladung durch Schiffbruch in in den betroffenen Gewässern. Aufgrund dieser unkalkulierbaren Risiken waren nur wenige Fellhändler dauerhaft im Nordpazifik aktiv. Zumal die Ausrüstung von Schiffen eine teure Herausforderung darstellte. Die russischen Kaufleute mussten das gesamte Material für den Schiffsbau  – mit Ausnahme des Holzes  – vom westlichen Russland, wo es gefertigt wurde, durch ganz Sibirien bis an die Küste des Ochotskischen

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 23 „Karte, entworfen von dem Vormann des Kompagnons der Seeschiffe, des Jakutsker Kaufmanns Pawel Sergejewitsch Lebedew-Lastotschkin, dem Irkutsker Kaufmann Dmitri Jakowlewitsch Schabalin, bei seinem Aufenthalt auf der Insel Atkis am 6. September 1779.“ Farbige Zeichnung, Russland um 1779. Niedersächsische Staats und Universitätsbibliothek Göttingen – gr. 2° Cod. Ms. Asch 283.

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DER FELLHÄNDLER GRIGORI IWANOWITSCH SCHELICHOW SETZT SICH DURCH

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Meeres transportieren lassen. In Ochotsk ließen sie dann ihre Schiffe bauen und mussten anschließend die Überfahrt von Ochotsk bis zu den Aleuten bewerkstelligen, was kein einfaches Unterfangen war, und nicht immer glückte. In jedem

Fall brauchte man genügend Kapital und einen langen Atem. In den 1770er Jahren waren insbesondere Pawel Sergejewitsch Lebedew-Lastotschkin, Grigori Iwanowitsch Schelichow und Iwan Larionowitsch Golikow aktiv.

Beziehungen zu Japan Lebedew-Lastotschkin gelangte erstmals im Jahr 1773 nach Kamtschatka, wo er als Agent für den Moskauer Händler Iwan Saweljew tätig war. Er und Schelichow begegneten sich vermutlich zwischen 1773 und 1775 und beschlossen zusammen zu arbeiten. Sie kauften das Schiff Sv. Nikolai und erhielten vom Gouverneur Kamtschatkas die Erlaubnis, die Kurilen anzulaufen. Unter Kapitän Iwan Antipin stach die Sv. Nikolai im Juni 1775 in See, erlitt aber Ende August 1776 vor der Insel Urup (Kurilen) Schiffbruch. Ein Teil der Mannschaft schlug sich in Hautbooten bis Bolscheretsk im Südwesten von Kamtschatka durch. Der Rest blieb auf der Insel und widmete sich der Seeotterjagd. Es gelang Lebedew-Lastotschkin eine Rettungsexpedition zu organisieren – ebenfalls in Hautbooten. Darüber hinaus erbat er sich ein Schiff der Regierung, das

ihm bewilligt wurde. Mit der Brigantine Sv. Natalia sollte er mit staatlicher Unterstützung Kontakte und Handelsbeziehungen zu Japan aufbauen, was Russland bereits seit der Zeit von Peter dem Großen immer wieder ohne Erfolg versucht hatte. An Bord befand sich der aus Irkutsk stammende Dmitri Schabalin, dem es gelang, die Insel Hokkaido anzulaufen, wo es 1779 zu der erwähnten, und auf der Zeichnung dargestellten Begegnung mit japanischen Händlern kam. Dass der Handel nicht so erfolgreich vonstatten ging wie Schabalins Zeichnung suggeriert, geht aus einer Beschreibung der Kurilen hervor, die der Leiter der Irkutsker Navigationsschule Michail Tatarinow 1782 an die St.  Petersburger Akademie der Wissenschaften schickte. Eine deutsche Übersetzung davon veröffentlichte Peter Simon Pallas im Jahr 1783:

„Da Antipin auf Matmai war, erschienen die Japaneser beym russischen Lager am 5ten

September 1779 in einer Art von Procession. Voran gieng ein Japaneser mit einer großen, gelb geschäffteten Muskete auf der Schulter […] dann folgte der Oberbefehlshaber in

weiten Hosen, einem kurzen ausgenähten Obergewandt, mit einem Fächel in der Hand, zwey kurzen Säbeln an der Seite, und auf Klotzschuhen, wie die Weiber in Holland

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DER FELLHÄNDLER GRIGORI IWANOWITSCH SCHELICHOW SETZT SICH DURCH

auf der Straße tragen, einhergehend […] Antipin gieng mit dem Steuermannslehrling, Putinzof, und dem Vormann Schebalin [sic] zu ihnen, um sie zu begrüßen, und ihnen

die Ursach seiner Ankunft anzuzeigen […] Der Japanische Oberkaufmann erwiederte darauf, sie hätten keine andre Waaren bey sich, als Provisionen, Branntwein, Tabak,   und könnten also keinen Tausch anbieten.“

Schelichow war an dieser Unternehmung nicht beteiligt, da er seine Anteile in der Zwischenzeit verkauft hatte und sich fortan auf die Inselkette der Aleuten und die Insel Kodiak konzentrierte. Lebedew-

(Pallas 1783, S. 139 f.)

Lastotschkin hingegen blieb weiterhin auf den Kurilen aktiv, erweiterte seinen Ak­ tionsrahmen aber bis zu den Aleuten und später bis zum Prince William Sound, wo er in Konkurrenz zu Schelichow auftrat.

Die siegreichen Vier Im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass sich nur große Handelshäuser im Nordpazifik behaupten konnten. Nur sie waren in der Lage, die mit dem Handel verbundenen Unwägbarkeiten wie z. B. die 1763–1764 erfolgte Zerstörung von vier russischen Schiffen durch Aleuten, abzufedern. Drei der vier verlorenen Schiffe hatten Nikifor Trapesnikow gehört, der sich daraufhin aus dem Fellhandel im Nordpazifik zurückzog. Erschwerend kam für die Russen hinzu, dass der Handel mit China in Kjachta von 1763 bis 1768 aufgrund politischer Auseinandersetzungen unterbrochen wurde und erst in den 1780er Jahren wieder in Gang kam. Aber schon Ende der 1780er  Jahre florierte der illegale Handel mit Seeotterfellen in Macao. Dadurch war es den Russen kaum noch möglich, in Kjachta Seeotter abzusetzen (Black 2004, S. 101).

Letztlich blieben nur vier russische Handelsgesellschaften im Seeotterhandel erfolgreich: die Gebrüder Kiseljow mit ihrem Stützpunkt auf Unalaska (Black 2004, S.  102), die Gebrüder Panow mit Stützpunkten auf der Alaska-Halbinsel und in der heutigen Bristol Bay. Gegen Ende des 18.  Jahrhunderts verkauften die Panows ihre Anteile allerdings an die Handelsgesellschaft von Lebedew-Lastotschkin. Ab 1786 wurden die Männer von LebedewLastotschkin auch auf den gerade entdeckten Pribilof Islands aktiv (s. Kap. 22). Hauptrivale und letztlich am erfolgreichsten war die Schelichow-Golikow Kompanie. Schelichow stammte aus einer Familie von Kaufleuten, die in Rylsk im Gouvernement Kursk im S­ üden Russlands ansässig war. Im Jahr 1772 war er nach Sibirien gegangen und dort zunächst für Iwan Larionowitsch Golikow als Agent tätig gewe-

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

sen. Drei Jahre später heiratete er Natalja Alekseewna. Sie brachte eigenes Kapital und Interesse am Fellhandel in die Ehe

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ein. Schelichow verstand, dieses Geld gut zu investieren und stieg binnen kürzester Zeit zum führenden Fellhändler auf.

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ALASKA WIRD RUSSISCH  – ERSTE DAUERHAFTE ANSIEDLUNG AUF DER INSEL KODIAK

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ie Lanzen- oder Harpunenspitze besteht aus einem schwarzen Stein, möglicherweise dunklem Schiefer oder Basalt (Abb. 24). Die Spitze steckt in einem hölzernen Vorschaft und ist umwickelt. Der Vorschaft weist drei eingeschnitzte Widerhaken auf. In einer vergleichbaren Sammlung aus dem frühen 19.  Jahrhundert werden ähnliche, zum Walfang eingesetzte Spitzen beschrieben (Varjola 1990,

S. 312). Der zugehörigen Dokumentation der Göttin­ger Sammlung zufolge, stammt diese Lanzenspitze von der Insel Kodiak, der größten Insel Alaskas. Kodiak gehörte im 18.  Jahrhundert zu den wenigen sehr dicht besiedelten Gebieten. Schätzungen gehen von etwa 6.500 Einwohnern aus. Gestützt werden diese Zahlen durch extrem reichhaltige archäologische Funde auf Kodiak und der Nachbarinsel Afognak.

Namensverwirrung Die Einwohner der Insel Kodiak unterschieden sich in Sprache und Kultur von den Aleuten, was in der frühen Kontaktzeit allerdings nicht wahrgenommen wurde. Die russischen promyschlenniki gingen zunächst davon aus, es auch auf Kodiak mit Aleuten zu tun zu haben. Später setzte sich die Bezeichnung Koniag durch, bei der es sich um die russifizierte Version des Namens handelte, den die östlichen Aleuten für ihre ‚Nachbarn‘, die Bewohner von Kodiak verwendeten und in manchen Quellen als ‚Feind‘ übersetzt wird (Black 1992, S. 171). Die Eigenbezeichnung der Einwohner von Kodiak lautete Sugpiaq (echter Mensch). Inzwischen nennen sie sich teilweise Alutiiq, wie in ihrer Sprache das Wort ‚Aleuten‘

ausgesprochen wird. Die Übernahme dieser Eigenbezeichnung zeigt einerseits, dass sie sich im Laufe der Geschichte daran gewöhnt hatten, als Aleuten zu gelten, andererseits steht dahinter auch das Bedürfnis, sich von den Eskimo abzugrenzen. In der wissenschaftlichen Literatur des 20. Jahrhunderts waren die Einwohner von Kodiak und dem Prince William Sound nämlich auch als Chugach oder Pacific Eskimo bezeichnet worden, um auf die sprachliche Nähe zu den Yupik (= südliche Eskimo in Alaska) hinzuweisen. Wie gerade angedeutet, hören sie die Bezeichnung Pacific Eskimo nicht gerne. Letztlich, so schreibt Gordon Pullar, stehen heute die drei Bezeichnungen Sugpiaq, Alutiiq und Aleuten nebeneinan-

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 24 Lanzen- oder Harpunenspitze, Alutiiq, Kodiak. Material: Schwarzer Schiefer oder Basalt, Holz. Maße: 14,5 cm x 3,3 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 650 (Foto: Harry Haase).

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ALASKA WIRD RUSSISCH

der, mal wird die eine favorisiert, mal die andere, jeder trifft da seine persönliche Entscheidung (Pullar 2010, S. 158). Der Lebensraum der Alutiiq reicht von der Alaska-Halbinsel über Kodiak, die Kenai-Halbinsel, den Cook-Inlet bis zum Prince William Sound. Wie bereits erwähnt, ist ihre Sprache eng mit derjenigen der Yupik verwandt, gehört also zu den Eskimosprachen. Um 1980 beherrschte noch ein Drittel der ca. 3000 Alutiiq ihre Sprache (Krauss 1980, S. 44). Unterschiedliche Einflüsse auf die Alu-

tiiq-Kultur führten dazu, dass man sie im 18. Jahrhundert nicht so recht einzuordnen wusste. So glaubten die nach Norden vordringenden Spanier, es mit Indianern zu tun zu haben, da die Gegenstände, die sie dort sahen, denen ähnlich waren, die sie an der Nordwestküste bei verschiedenen indianischen Gruppen gesehen hatten. Cook hingegen war die Ähnlichkeit ihrer Boote mit denen der Grönländer aufgefallen, die er aus Veröffentlichungen kannte (Crowell und Lührmann 2001, S. 22–25).

Handelsschiffe mit Kanonen Wale, Robben, Seeotter und Vögel kamen in großer Zahl an den Küsten Kodiaks vor und ernährten die relativ dichte Bevölkerung. Die Sommer wurden an den Flussmündungen verbracht, um das Überangebot an Lachsen zu nutzen. Die Insel Kodiak war bereits im Jahr 1741 während Berings Zweiter KamtschatkaExpedition gesichtet, aber für Festland gehalten worden (Pierce 1990, S.  89). Der erste überlieferte Aufenthalt eines Russen war die Überwinterung von Stepan Glotow 1763/64 (Black 2004, S. 70; Pierce 1990, S. 170). Da die Einwohner der Insel sich heftig gegen das russische Eindringen in ihren Lebensraum zur Wehr setzten, gelang es den Russen vorerst nicht, sich dauerhaft auf der Insel niederzulassen. 20  Jahre lang verteidigten die Alutiiq (Sugpiaq) ihre Insel gegen die Fremden. Die meisten Pelzhändler begnügten sich in dieser Zeit mit kurzen

Aufenthalten während des Sommers. Im Gegensatz dazu träumte Grigori Iwanowitsch Schelichow von dauerhaften russischen Ansiedlungen in Amerika. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Iwan Golikow rüstete er im Jahr 1783 drei Schiffe aus, von denen im August 1784 zwei die Insel Kodiak erreichten, nachdem sie den Winter auf den Kommandeurinseln verbracht hatten. Das dritte Schiff tauchte erst drei Jahre später wieder auf. Kapitän des Hauptschiffs, der Tri Swiatitelja, war jener Ismailow, den Cook 1778 auf Unalaska getroffen hatte. Gewarnt durch die Erfahrungen seiner Vorgänger hatte Schelichow um Erlaubnis gebeten, seine Handelsschiffe mit Kanonen ausstatten zu dürfen, so dass er die Insel Kodiak schwer bewaffnet erreichte (Black 1992). Erwartungsgemäß kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der indigenen Bevölkerung, aus denen

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Schelichow siegreich hervorging und mit dem Aufbau der ersten dauerhaften russischen Siedlung in der Three Saints Bay an der Südseite der Insel begann. Außergewöhnlich war, dass auch seine Frau Natalja als erste russische Frau in die neue Kolonie mitgekommen war. Sie nahm regen Anteil an den Aktivitäten ihres Gatten, der sein Einflussgebiet von Kodiak aus auf die nähere und weitere Umgebung ausdehnte. Nachdem er sich zwei  Jahre auf der Insel aufgehalten hatte, reiste er, wieder in Begleitung seiner Gattin, nach St.  Petersburg, um ein Handelsmonopol

von Zarin Katharina II. zu erbitten. Dieses wurde ihm aber aus strategisch-politischen Gründen verweigert. Immerhin freundete sich Schelichow in St. Petersburg mit dem damaligen Günstling der Zarin an und später gelang es ihm, seine älteste Tochter mit dem Grafen Nikolai Resanow zu vermählen. Beides half, ihm Einfluss bei Hofe zu sichern. Der feste Standort auf Kodiak trug dazu bei, dass Schelichow sich gegenüber der Konkurrenz durchsetzen konnte und die Schelichow-Golikow-Kompanie zur erfolgreichsten Kompanie im Nord­ pazifik wurde.

Nicht ohne eine Kirche Gemeinsam mit seiner Frau hatte Schelichow während seiner Anwesenheit auf Kodiak bereits eine Schule gegründet, da ihm sehr an einer dauerhaften russischen Ansiedlung gelegen war. Zu einer solchen gehörte unbedingt auch eine Kirche, egal wie grobschlächtig die Mehrzahl der Männer war, die sich bereit erklärt hatten, dort zu leben. Nicht selten handelte es sich um entflohene Gefangene oder entlaufene Leibeigene. Nichtsdestotrotz bemühte Schelichow sich ab 1789 den Bau einer Kirche auf Kodiak zu veranlassen. Im April 1793 richtete er schließlich gemeinsam mit Golikow eine Bitte um Abordnung eines Priesters an die oberste Kirchenbehörde der Orthodoxen Kirche, den Synod. Da schaltete sich Zarin Ka-

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tharina II. ein und ordnete an, eine ganze Mission aufzubauen, da sie die religiösen Angelegenheiten nicht länger in den Händen von Laien belassen wollte. Man suchte aus den Klöstern am Ladogasee Mönche aus, die sich durch umfangreiche Bildung sowie einen bescheidenen und ehrfürchtigen Lebenswandel auszeichneten. Nach neunmonatiger Reise über Land bis Ochotsk und glücklicher Schiffspassage erreichte die 10-köpfige Gruppe unter Leitung des Archimandriten Joasaph die Insel Kodiak im September des Jahres 1794 (s. Kap. 39) und begann die Missionierung der indigenen Bevölkerung zu übernehmen und das kirchliche Leben auf Kodiak zu prägen (Bucher 2005, S. 45–46).

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DAS SPIEL IST ERÖFFNET  – ANKUNFT BRITISCHER KAUFLEUTE IM NOOTKA SOUND – 1785

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ie lanzettförmige Spitze stammt von Cooks dritter Reise und besteht aus einem Stück Muschelschale, das zwischen zwei an den Enden spitz zulaufenden Knochenstücken eingeklebt ist (Abb. 25). Ränder und Spitze der Muschelschale sind sehr scharf. Ihre Außenseite ist lila, die Innenseite weißlich mit einem lilafarbigen Rand. Haberland zufolge sind Harpunenköpfe mit einer Spitze aus Muschelschale höchst selten, da bereits sehr bald nach den ersten Kontakten mit Europäern statt der Muschelschale Eisen für die Spitze verwendet wurde (Haberland

1979, S. 211). Die dazugehörige Leine besteht aus mit Rindenstreifen umwickelten Tiersehnen. Vermutlich wurden solche Spitzen beim Walfang eingesetzt oder zur Seehundjagd. Vergleichbare Spitzen waren von den Küsten-Salish zum Störfang verwendet worden (Haberland 1979, S. 211). Der Walfang gehörte zu den in der mythischen Urzeit verliehenen Privilegien des lokalen Adels und war nur ranghohen Mitgliedern einer Verwandtschaftsgruppe gestattet (Feest 2009, S.  240). Johann Heinrich Zimmermann schreibt in seinem Tagebuch über den Walfang:

„Das gesamte amerikanische Volk ist in der Fischerei sehr geschickt, sie wissen sogar die Wall­fische zu fangen. Sie haben Harpuns von Bein, und diese gleich ihren Pfeilen  

vornen mit einem geschliffenen scharfen Stein versehen. In der Mitte hat dieser Harpun ein Gewerbe [ein Riemengelenk]; und wenn er in den Wallfisch eingeworfen ist, so

kann er nicht mehr wegen dem Gewerbe heraus. Sie verfolgen den Wallfisch beständig, und werfen immer lange Harpuns in ihn bis er sich verblutet.“

(Zimmermann 1781, S. 63)

Wie die Schärfe der Spitze zeigt, verfügten die Nootka auch ohne Gewehre über höchst effiziente Waffen, mittels

derer sie sich zur Not auch gegen unwillkommene Gäste zur Wehr setzen konnten.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 25 Harpunenspitze, Nootka, Vancouver Island. Material: Muschelschale, Knochen, Tiersehnen, Rinde. Maße: Länge 13 cm, Länge der Schnur 99 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Am 663 (Foto: Harry Haase).

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DAS SPIEL IST ERÖFFNET

Konkurrierende Tagebücher und Berichte Nachdem die beiden Schiffe Resolution und Discovery im Oktober 1780 ohne ihren berühmten Kapitän, James Cook, nach England zurückkehrten, erschienen binnen Jahresfrist bereits die ersten inoffiziellen Berichte über die Reise. 1781 gaben Johann Heinrich Zimmermann und John Rickman ihre Texte in Druck. 1782 erschien das Journal von William Ellis und 1783 jenes von John Ledyard. Alle erschienen unerlaubt noch vor dem offiziellen Reisebericht. Außerdem verbreitete sich auch mündlich, welche fantastischen Gewinne Cooks Seeleute in Kanton mit dem Verkauf ihrer an der amerikanischen Nordwestküste gegen Kleinigkeiten eingetauschten Felle gemacht hatten. Vor allem die in Kanton bzw. Macao ansässigen englischen Kaufleute hatten unmittelbar gesehen, welchen Erfolg Cooks Besatzung mit ihren Rauchwaren hatte. Und so wundert es nicht, dass bereits im Jahr 1781 der in Amsterdam gebürtige und ehemals für die East India Company tätige William Bolts erste Pläne für einen Einstieg in den Fellhandel entwarf. Die frisch gegründete österreichische Asienhandelsgesellschaft (Imperial Company of Trieste for the Commerce of Asia) sollte seiner Idee folgend das Schiff Graf Cobenzell (500– 600 Tonnen) im September 1782 zur Nordwestküste Amerikas und nach Kanton schicken. George Dixon und Johann

Heinrich Zimmermann, beide waren mit Cook bereits an der Nordwestküste gewesen, hatten sich zur Teilnahme bereit erklärt. Leider zerschlug sich Bolts Vorhaben aufgrund diverser Intrigen, die dazu führten, dass die Geldgeber sich zurückzogen (Gough 1992, S.  72, King 2011, S. 235–262). Der offizielle Expeditionsbericht von Cooks dritter Reise erschien erst im Jahr 1784. James King erläuterte darin ein lohnendes Schema für den Handel mit Seeotterfellen von der amerikanischen Nordwestküste. Er empfahl der East India Company im Frühjahr zwei Schiffe von Kanton aus, beladen mit Eisen, Wollstoffen, Schmuck aus Glas und Kupfer, Messer und billigem Tand als Handelsgut, an die Nordwestküste zu entsenden. Während des Sommers könne man etwa 250 Seeotterfelle eintauschen und diese im Herbst in Kanton umsetzen. Mit dem Verkauf der Felle wäre ein Gewinn von nahezu 400 Prozent möglich (Gibson 1992, S. 23). Wie sich erst später zeigen sollte, mussten alle Schiffe aus Europa und den USA mindestens einmal, teilweise sogar mehrfach überwintern, damit sich die Reisen überhaupt rentierten. Die meisten entschieden sich, den Winter in Hawaii zu verbringen, wodurch der Archipel während der Hochphase des Fellhandels im Nordpazifik eine zentrale Bedeutung erlangte (Gough 1992, S. 71).

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Erfolgreiche Premiere Das erste britische Handelsschiff erreichte im Sommer 1785 den Nootka Sound. Die 60-Tonnen Brigg Sea Otter unter dem Kommando des Kapitäns James Hanna war von John Henry Cox, einem britischen Kaufmann in Kanton und dessen Partner John Reid gechartert worden. John Reid war österreichischer Konsul in Kanton und hatte Kenntnis von William Bolts gescheiterten Plänen, von denen er sich offenbar inspirieren ließ. Am 15. April 1785 stach Hanna von Macao aus in See und kam nach 115 Tagen, am 18. August 1785, im Nootka Sound an. Es folgten fünf erfolgreiche Wochen, in denen Hanna es schaffte, 560 Felle einzutauschen. In Kanton angekommen veräußerte er diese, je nach zu Rate gezogener Quelle, für 20.600 oder 24.000 spanische Dollar. In jedem Fall wurden die Auslagen von 17.000 spani-

schen Dollar gedeckt und er konnte einen satten Gewinn einstreichen (Fisher und Bumsted 1982, S.  199, 276). Der spanische Dollar war die damals gängige Währung im Chinahandel. Die Nootka erwiesen sich als erfahrene Händler und ließen sich auf einen Tausch nur ein, wenn ihnen die angebotenen Waren zusagten. Ihr Interesse galt hauptsächlich verschiedenen Metallen. Beispielsweise arbeiteten sie Kupferkessel in Armbänder und Ohrringe um. Sie achteten auf ihr Eigentum, ließen sich alles bezahlen, was sie hergaben und die von ihnen geforderten Preise stiegen kontinuierlich (Gough 1992, S. 80 f.). Schon Cook hatte während seines Aufenthalts im Nootka Sound verwundert in seinem Tagebuch vermerkt, dass er sogar für das Holz bezahlen musste, das er in der Umgebung von Nootka schlug, um damit die Resolution zu reparieren.

Die King George’s Sound Company entsteht Richard Cadman Etches war Kaufmann und interessierte sich neben den üblichen Waren wie Tee, Seide und Gewürze auch für Walfang, Fellhandel sowie die Gründung von Sträflingskolonien. Im Jahr 1785 beteiligte er sich federführend an der Gründung eines Londoner Konsortiums für den Fellhandel im Nootka Sound, das sich den passenden Namen „King George’s Sound Company“ gab. Erste Aktion war der Erwerb einer Fünf-

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jahreslizenz von der South Sea Company. Da die East India Company und die South Sea Company über ein Monopol für den Pazifikhandel verfügten, mussten alle britischen Schiffe eine Lizenz von einer der beiden Handelskompanien erwerben, wenn sie sich am Handel beteiligen wollten. Ohne Lizenz war der Handel illegal. Das führte dazu, dass erfahrene britische Kauf- und Seeleute in ausländische Dienste gingen, und

DAS SPIEL IST ERÖFFNET

englische Schiffe häufig unter portugiesischer oder österreichischer Flagge segelten, um das Monopol zu umgehen und Zugang zum portugiesischen Hafen von Macao zu erhalten (Gough 1992, S. 72–75). Den Empfehlungen von James King folgend sollte die Handelsreise des neuen Konsortiums mit zwei Schiffen erfolgen, die nach dem Königspaar King George und Queen Charlotte benannt wurden. Als

Kapitäne wurden Nathaniel Portlock und George Dixon ausgewählt, da sie als ehemalige Mannschaftsmitglieder von James Cooks dritter Reise die Bedingungen vor Ort, vor allem die schwierigen Windverhältnisse, kannten. Bis alles organisiert war, und die beiden Schiffe England verlassen konnten, war es bereits August 1785. Dies bedeutete, dass sie frühestens im Sommer 1786 den Nootka Sound erreichen würden.

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Abb. 26 Rindenklopfer, Nootka, Vancouver Island. Material: Walknochen. Maße: Länge 26,6 cm, Breite 4,5 cm, Höhe 6 cm. Länge des Griffs 9,5 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Am 620 (Foto: Harry Haase).

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20 B

„GEDRÄNGE“ IM NOOTKA SOUND – 1786/1787

ei diesem Objekt handelt es sich um einen Rindenklopfer, der aus einem Stück Walknochen gefertigt wurde und einen trapezförmigen Querschnitt aufweist. Eine Verlängerung am oberen Rand bildet den Griff. Die glatte Seite des Knochens ist die Oberseite, während die Unterseite des Klopfers porös ist und elf parallele Rillen am Schlagkopf aufweist. Das Ende des flachen Griffs ist breit und eingekerbt, so dass es wie ein Fischschwanz aussieht. Eine kleine Mulde an der Seite stützt den Daumen des Nutzers. Durch langjährige Verwendung wirkt das Objekt wie poliert (Feest 1998, S. 342). In den Tagebüchern und Berichten von Cooks dritter Reise werden Rindenklopfer nur kurz erwähnt. Feest vermutet deshalb, dass die Expeditionsmitglieder das Objekt nie im Gebrauch sahen (Feest 1998, S.  342). Lediglich James King schreibt, dass die Nootka Rindenklopfer verwendeten, um die Rinde eines Nadelbaums in eine hanfartige Konsistenz zu bringen. Da alltägliche Gebrauchsgegenstände nur spärlich in den frühen Sammlungen vorhanden sind, handelt es sich hier um ein wichtiges Dokument aus der Zeit vor den großen Veränderungen. Wie im vorigen Kapitel dargelegt, bildete das Jahr 1785 den Auftakt für den Fellhandel im Nootka Sound, und damit auch für einschneidende Veränderungen im Leben der Mowachaht auf

Vancouver Island und anderer indianischer Gruppen an der amerikanischen Nordwestküste. Denn schon im nächsten Jahr – 1786 – fanden sich gleich mehrere Schiffe ein und britische Schiffseigner begannen, sich untereinander Konkurrenz zu machen. Während der Handelsreisen wurden kaum Ethnographika gesammelt, weil die Kaufleute den Matrosen das Eintauschen von Objekten verboten. Sie befürchteten, eigenmächtige Tauschgeschäfte der Seeleute würden die Preise und den Umgang miteinander verderben (Gunther 1972, S. XIII). Der hohe Gewinn seiner ersten Reise gestattete es James Hanna 1786 erneut aufzubrechen. Dieses Mal mit einer 30 Mann umfassenden Besatzung und einem größeren Schiff (120 Tonnen), das ebenfalls den so passenden Namen Sea Otter trug (Gough 1992, S. 74). Als Hanna im August 1786 im Nootka Sound ankam, waren schon zwei weitere Schiffe dort, nämlich die Captain Cook und die Experiment (s. u.). Die unerwarteten Konkurrenten hatten bereits alle in Nootka verfügbaren Felle an Bord genommen. Hanna fuhr deshalb zunächst Richtung Norden zum Queen Charlotte Sound und von dort nach Süden zum Clayoquot Sound. Dort tauschte er mit Cleaskinah, einem Chief der Ahousat, den Namen als Zeichen gegenseitigen Respekts. Trotz der guten Kontakte zu Cleashinah blieb die Fellaus-

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

beute gering und als Hanna im Februar 1787 in Macao eintraf, war sein Gewinn erheblich niedriger als im Vorjahr. Hanna hatte seine Lektion gelernt. Schon im zweiten Jahr zeichnete sich also ab, dass

die Ressource Seeotter nur begrenzt verfügbar war (Gough 1992, S. 74). Zu einer dritten Reise Hannas kam es nicht mehr, er starb im Jahr 1787 in einem asiatischen Hafen.

James Strange – von Bombay zum Nootka Sound Die Schiffe Captain Cook und Experiment waren Ende 1785 von Bombay (Mumbai) aus gestartet und standen unter dem Kommando von James Charles Stewart Strange. Strange war sowohl für die East India Company tätig als auch privat im Handel aktiv. Von 1773 bis zum Beginn der 1780er  Jahre hatte er in Madras gelebt und war dann nach England gereist, um dort zu heiraten. Auf dem Weg von England zurück nach Indien las er 1785 den Bericht über Cooks dritte Reise und beschloss sofort sich, den Vorschlägen von James King folgend, im Fellhandel zu engagieren (Fisher und Bumsted 1982, S. 9). Er überzeugte David Scott, den führenden britischen Kaufmann in Bombay in das Unternehmen zu investieren. Dank Scotts Beziehungen und Stranges Energie gelang es, die Expedition bis Ende 1785 reisefertig zu machen. Um den Profit der weiten Reise abzusichern, wollte Strange sich auf mehrere Produkte stützen und zunächst an der Malabarküste Sandelholz als Handelsware aufnehmen, womit er aber scheiterte. Durch das Misslingen

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des geplanten Sandelholzhandels war Strange nun auf erfolgreichen Fellhandel angewiesen. Am 7. Juli 1786 erreichten seine beiden Schiffe nach siebenmonatiger Reise Friendly Cove im Nootka Sound (Westseite von Vancouver Island). Strange erwarb alle verfügbaren Felle und war damit Hanna zuvorgekommen. Obwohl es sich um eine rein private Unternehmung handelte, unterstützte die East India Company Strange mit einem Kontingent von 15 Soldaten unter der Leitung des 21-jährigen Alexander Walker. Auch Walker hatte den Bericht von Cooks dritter Reise gelesen und sich eingehend mit den Sprachproben befasst, so dass er mit den Nootka ein wenig kommunizieren konnte. Er mischte sich unter die Nootka und beschrieb ihren Alltag (Gough 1992, S. 80). Gegen Ende seines Lebens, als Walker Gouverneur von St.  Helena war, nahm er seine Beobachtungen und Notizen noch einmal zur Hand und bereitete sie zur Veröffentlichung vor, die leider erst über hundert Jahre später erfolgte.

„GEDRÄNGE“ IM NOOTKA SOUND – 1786/1787

Abb. 27 Tomás de Suria: Maquinna. akg-images / Album / Oronoz.

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Maquinnas heikle Mission Maquinna war der Name des Häuptlings von Yuquot. Ob es dieser Häuptling war, der Cook vom Kanu aus zur Begrüßung entgegengetreten war oder dessen Vater, ist bis heute umstritten. Als sicher gilt, dass mehrere Generationen von Chiefs der Mowachaht den Namen Maquinna trugen. Alexander Walker hatte damals bereits verstanden, wie wichtig Reichtum und das damit verbundene Prestige für die Chiefs an der Nordwestküste war, wollten sie ihre Führungsposition behaupten. Strange hatte nicht erkannt, dass es erhebliche Rangunterschiede zwischen den einzelnen Häuptlingen gab, die vom Alter unabhängig waren. So beschwor er einen Streit hervor, indem er den rangniederen Chief Callicum vor Maquinna mit Geschenken bedachte. Maquinna ließ sich nur besänftigen, indem er erheblich mehr Gaben erhielt als Callicum (Fisher und Bumsted 1982, S. 16).

Um seine Macht gegenüber anderen Häuptlingen zu festigen, brauchte Maquinna also den regelmäßigen Zustrom europäischer Waren zur Vergrößerung seines Reichtums. Da sein Stammesbund Kontakte auf die Ostseite von Vancouver Island zu den Kwakiutl hatte, verfügte er über stetigen Nachschub von Seeotterpelzen. Dennoch gestaltete sich das Zusammenleben mit den Fremden schwierig. Da Spanier, Briten und Amerikaner sehr unterschiedliche Interessen und Strategien verfolgten, kam es häufig zu Konflikten. Schiffsbesatzungen vergingen sich an den Frauen der Nootka, stahlen Pelze und Vorräte. Andererseits wurden die Ausländer auch von Nootka-Männern bestohlen und angegriffen, was zu gewaltsamen Todesfällen auf beiden Seiten führte. Zunächst setzte Maquinna erfolgreich auf Diplomatie. Die Europäer und Amerikaner fühlten sich in seinen Gewässern daraufhin sicherer als im Einflussbereich seines südlichen Nachbarn Wickaninnish.

Ein Ire bei den Mowachaht – oder der abenteuerliche Winter des John Mackay Da Strange dauerhafte Handelsbeziehungen aufbauen wollte, ließ er einen jungen Iren, John Mackay, der als Helfer des Arztes an Bord der Experiment war, bei Chief Maquinna zurück. Mackay wurde beauftragt, die Sprache der Nootka zu lernen, ein Vokabular zu erstellen und Notizen über ihre Lebensweise anzufer-

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tigen. Maquinna erhielt Geschenke, mit denen man ihn verpflichten wollte, sich um Mackay zu kümmern. Mackay hingegen überließ man Medikamente zum Verteilen sowie Waren, die er nach eigenem Gutdünken verschenken durfte. Ein Gewehr zur Selbstverteidigung gehörte ebenfalls zu seiner Ausstattung. Außer-

„GEDRÄNGE“ IM NOOTKA SOUND – 1786/1787

dem ließ man ihm Ziegen und Saatgut, damit er sich eine kleine Landwirtschaft aufbauen könne, womit er, wie zu erwarten war, gründlich scheiterte. Strange reiste mit dem Versprechen ab, Mackay im nächsten Jahr wieder abzuholen (Gough 1992, S. 82). Schon bald verdarb Mackay es sich mit Maquinna, weil er ein lokales Verbot übertrat, indem er über die Wiege eines von Maquinnas Kindern hinweg stieg. Als das Kind einige Zeit später starb, wurde Mackay dafür verantwortlich gemacht und im Ort zurückgelassen, als die Mowachaht sich in ihr Winterquartier im Tahsis Inlet zurückzogen. Er befand sich in einem entsprechend desolaten Zustand als der Winter zu Ende ging. Man kann nur vermuten, wie sehr er Stranges Rückkehr herbeisehnte. Dieser aber kehrte nicht an die Küste zurück (s. Kap. 21). Im November bzw. Dezember 1786 erreichten die Captain Cook und die Experiment, um einen Monat zeitversetzt, Macao. Die beiden Schiffe hatten insgesamt 604 Felle gemischter Qualität an Bord. Obwohl diese für einen guten Preis von 24.000 spanischen Dollar verkauft werden konnten, reichte diese Summe bei weitem nicht, um die Kosten der Expedition zu decken. Trotz des finanziellen Desasters, hatte die Expedition von

Strange gezeigt, dass Nootka sich für die Gründung einer Handelsstation eignen würde, nicht zuletzt weil die Mowachaht sich mit Begeisterung auf den Handel einließen. Die Einwohner von Prince William Sound hingegen, waren erheblich zurückhaltender gewesen. Das entscheidende Problem, dass Felle nicht in der erwarteten Menge zu erhalten waren, bestand weiterhin (Gough 1992, S. 86). In der Zwischenzeit hatten Portlock und Dixon im August 1785 London im Auftrag der King George’s Sound Company verlassen und mit ihren Schiffen King George und Queen Charlotte Kap Hoorn umrundet, auf Hawaii gestoppt und im Juli 1786 den Cook Inlet erreicht. Dort waren sie auf russische promyschlenniki gestoßen, die mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung Seeotter jagten. Der Versuch, im Sommer 1786 vom Cook Inlet aus Richtung Süden zum Nootka Sound zu segeln, scheiterte wegen widriger Winde. Da sie an der unwirtlichen Küste nicht überwintern wollten, entschlossen sie sich, den Winter 1786/87 auf Hawaii zu verbringen (Gough 1992, S.  76). Damit waren bereits zwei  Jahre vergangen, und die beiden Schiffe der King George’s Sound Company hatten weder den Nootka Sound erreicht noch nennenswerte Profite erwirtschaftet.

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Abb. 28 Hut, Alutiiq (Chugach), Prince William Sound. Material: Fichtenwurzeln. Maße: Höhe ca. 9 cm, Durchmesser max. 39 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 617 (Foto: Harry Haase).

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VERLAGERUNG DER HANDELSAKTIVITÄTEN VOM NOOTKA SOUND IN DEN PRINCE WILLIAM SOUND 1786/1787

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eil die Region um den Nootka Sound durch das vermehrte Auftreten von Handelsschiffen schnell überjagt war, mussten Alternativen gefunden werden. Sowohl die britischen Kaufleute als auch die Russen dehnten ihre Aktivitäten in das Gebiet des Prince William Sound aus, der Dank James Cooks dritter Reise auf den gängigen Landkarten verzeichnet war. Aus dieser Region stammt der aus Fichtenwurzeln in der Technik des Zwirnbindens geflochtene Hut der Alutiiq (Chugach). Die Oberseite ist in den Farben Rot, Schwarz und Grün bemalt. In der zeitgenössischen Dokumentation des ehemaligen Academischen Museums in Göttingen heißt es:

Beispiele für kulturelle Beeinflussun­gen der indigenen Völker untereinander und Austausch zwischen den einzelnen Ethnien, auch bevor die Europäer als Mittler auftraten. Die Art der Herstellung wurde ganz ähnlich auch bei den Tlingit (s. Kap. 30) und anderen indianischen Gruppen an der Nordwestküste praktiziert. Die

Abb. 29 „Ein Einwohner der Insel Kodiak in Festtagskleidung führt vor, wie sie jagen“. Michail Tichanow, 1817.

„Der gewöhnliche Hut der Amerikaner von Prinz Will. Sund von der Wurzel

des Pinus canadensis geflochten bunt grün und braun bemahlt.“

Ein ganz ähnlicher Hut, bei dem aller­ dings auch die Krempe blau bemalt ist, befindet sich in Madrid im Museo de América und wurde während einer der frühen spanischen Expeditionen zwischen 1775 und 1792 erworben. Beide sind gute

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Zeichnungen sind von der generellen Erscheinung her denen der Tlingit ähnlich, im Detail verraten sie dennoch ihre Herkunft von den Alutiiq (Chugach) (Brown 2000, S. 73). Die Region um den Prince William Sound ist von besonderem Interesse, nicht nur weil sich Russen und Engländer dort trafen, sondern weil es sich bereits vor der

Ankunft der Europäer um einen Treffpunkt verschiedener indigener Ethnien ­handelte. Hier kam es zum Austausch zwischen Tlingit, Dena’ina (Athapasken), ­Alutiiq (Chugach) und einer sehr kleinen Gruppe von Eyak, auf die schon Georg Wilhelm Steller während Berings Zweiter KamtschatkaExpedition gestoßen war.

Die Bengal Fur Society Auch für die im Indienhandel aktiven Briten in Bengalen war der neue Markt von Interesse. So gründete Sir John Macpherson die „Bengal Fur Society“, um sich im Fellhandel zu engagieren und neue Handelsmöglichkeiten zu eröffnen (Wilbur 1945, S. 340). Schon im Januar 1786 kaufte die Bengal Fur Society zwei Schiffe. Eines davon war bereits das dritte Schiff mit dem Namen Sea Otter. Es sollte von William

Tipping befehligt werden und war mit 100 Tonnen etwas kleiner als die zweite Sea Otter von James Hanna. Das zweite Schiff (200 Tonnen) wurde dem Auftrag entsprechend Nootka getauft und unter das Kommando von John Meares gestellt. Im März 1786 verließen beide Schiffe Kalkutta (Kolkata) mit dem Ziel in den Fellhandel an der amerikanischen Nordwestküste einzusteigen (Gough 1992, S. 85).

John Meares überwintert im Prince William Sound und überlebt nur knapp John Meares, Kapitän der Nootka, wollte im Sommer des Jahres 1786 im Cook Inlet eine dauerhafte Handelsstation errichten. Von dieser Idee musste er sich allerdings schon bei seiner Ankunft verabschieden, da sich bereits Russen dort niedergelassen hatten. Heute befindet sich dort die Stadt Anchorage. Es entbrannte eine Konkurrenz um die Gunst der indigenen Bevölkerung. Die russischen promyschlenniki versuchten den Alutiiq (Chugach) den Unterschied zwischen Briten und Russen zu erklären,

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um sie vom Handel mit den neu angekommenen Engländern abzuhalten. Meares blieb nichts anderes übrig als nach einer anderen geeigneten Stelle für seinen Handelsposten Ausschau zu halten. Diese fand er am 25. September 1786 im Prince William Sound. Dort stellte sich ihm niemand in den Weg. Meares schloss eine Allianz mit Chief Shenawah in Snug Corner Cove und erhielt von ihm eine große Anzahl an Fellen (Gough 1992, S.  89). Er begann mit dem Bau eines Hauses, in dem einige seiner Män-

VERLAGERUNG DER HANDELSAKTIVITÄTEN VOM NOOTKA SOUND

ner überwintern sollten. Meares hatte keine Vorstellung von der Härte des Winters in der Region und wusste offenbar auch nicht, ab wann er mit Frost zu rechnen hatte. So kam es, dass im November sein Schiff fest fror und er gezwungen war, mit seiner gesamten Mannschaft im Prince William Sound zu überwintern (Gough 1992, S.  90). Sieben Monate lang war sein Schiff im Eis eingeschlossen und er verlor 23 seiner Männer durch Skorbut und andere Krankheiten. Während Meares im Prince William Sound fror, schwitzten Portlock und Dixon auf Hawaii. Im März 1787 verließen sie den Archipel und segelten Richtung Norden. Im Mai stießen Dixon und Portlock auf John Meares und die neun Überlebenden seiner Mannschaft. Die Nootka war zu diesem Zeitpunkt noch immer vom Eis eingeschlossen (Gough 1992, S.  90). Dixon und Portlock behandelten Meares wie einen Schmuggler. Zwar halfen sie ihm, sein Schiff aus dem Eis zu befreien, aber nur, um ihn aus dem Prince William Sound zu vertreiben, weil er sich dort ohne die benötigte Lizenz der East India Company aufgehalten hatte. In dem erbärmlichen Zustand nach der ungeplanten Überwinterung hätte er ohnehin keine zweite Sommersaison durchgehalten und segelte nach Macao. Dort verkaufte Meares insgesamt 350 Felle für 14.000 spanische Dollar, d. h. 40 Dollar pro Stück (Gough 1992, S. 90). Dixon und Portlock blieben vorerst im Prince William Sound und tauschten ausgiebig Seeotterfelle ein. Portlock erkundete anschließend die Festlandküste Alaskas, während Dixon sich nach Süden wandte und jene Inselgruppe erkundete, die später nach seinem

Schiff Queen Charlotte benannt wurde. Allerdings glaubte Dixon, es handele sich nur um eine einzige große Insel (Gough 1992, S.  76). Am 8. August 1787 traf Dixon im Nootka Sound auf James Colnett (Prince of Wales) und Charles Duncan (Princess Royal). Beide waren ebenfalls im Auftrag der King George’s Sound Company unterwegs und hatten England im September 1786, also ein Jahr nach Dixon und Portlock verlassen. James Colnett war als Offiziersanwärter auf der Resolution unter Cooks Kommando gesegelt  – allerdings, im Gegensatz zu Portlock und Dixon, auf der zweiten Reise. Nach dem Zusammentreffen segelten Colnett und Duncan nach Hawaii, wo sie den Winter verbrachten. Es kam zu Konflikten in der Waimea Bucht mit mehreren Toten auf Seiten der Hawaiianer. Im Sommer 1788 kehrten sie an die Nordwestküste zurück und erwarben weitere Felle. Ende November 1788 verkauften sie ihre Ladung in Kanton. Die Prince of Wales wurde zurück nach England beordert. Aber Colnett blieb mit der Princess Royal in China. Er sollte im kommenden Jahr, 1789, erneut mit zwei Schiffen zur Nordwestküste aufbrechen. Das zweite Schiff hieß Argonaut und wurde unter das Kommando von Thomas Hudson gestellt. Portlock und Dixon kamen einige Wochen später als Meares in Macao an und hatten 2.552 Felle an Bord, die sie für 54.857 spanische Dollar verkauften, also für nur etwas mehr als 20 Dollar pro Stück. Dieser Erlös lag deutlich unter den erwarteten 60 bis 90 spanischen Dollar pro Fell, was zum Konflikt zwischen dem Geldgeber Etches auf der einen Seite sowie Portlock und Di-

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

xon auf der anderen Seite führte (Gough 1992, S. 77). Es zeigte sich, dass die Investitionen für die Ausrüstung der Schiffe und die Anreise von Europa aus derart hoch waren, dass selbst einigermaßen erfolgreiche

Handelsreisen die Kosten nicht deckten. Dabei hatten Dixon und Portlock von den bis 1787 insgesamt gehandelten 5.033 Seeotterfellen mit 2.552 mehr als die Hälfte erworben (Gough 1992, S. 77).

John Mackays Rettung kommt aus Oostende John Mackay, der Ire bei den Mowachaht, wartete vergeblich auf die Rückkehr von James Strange. Schließlich hatte er Glück im Unglück, als Kapitän Charles William Barkley im Juni 1787 auf der Imperial Eagle (400 Tonnen) als erster Ausländer der neuen Handelssaison im Nootka Sound ankam. Barkley war unter österreichischer Flagge von Oostende aus gestartet, obwohl seine Expedition von Angestellten der East India Company finanziert wurde. Der Kapitän der Imperial Eagle staunte nicht wenig, als ein „verwahrloster Mowachaht“ ihn mit irischem Akzent ansprach und sich als Dr. John Mackay vorstellte. Barkley nahm den Iren an Bord und profitierte von dem Wissen, das er sich über Lebensweise und Vorkommen der Seeotter angeeignet hatte (Gough 1992, S.  83). Nach dem Erwerb von Fellen im Nootka Sound segelte Barkley Richtung Süden zum Clayoquot Sound und erkundete anschließend einen großen Sund, der heute seinen Namen trägt, sowie den Eingang zur Juan de Fuca Straße, den Cook übersehen hatte. Damit beendete er seine Saison und begab sich auf den Weg nach Kanton, wo er 800 Felle für 30.000 spanische Dollar verkaufte. Agenten der Imperial Eagle und John Meares konfiszierten Barkleys Karten und Tagebücher. In

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Russland zeigte man sich alarmiert ob der Präsenz neuer britischer Handelsschiffe in der Region und begann im Jahr 1787 Wappen und russische Besitzplaketten entlang der Nord­westküste und ab 1788 auch im Prince William Sound und nordöstlich davon zu platzieren (Black 2004, S. 125). Die stürmischen Anfangsjahre des Fellhandels an der amerikanischen Nordwestküste waren also durch die Konkurrenz der King George’s Company und der Bengal Fur Society geprägt. Beide Handelskompanien waren von Briten gegründet worden. Allerdings operierte die King George’s Sound Company ganz offiziell mit einer Lizenz der South Sea Company, wohingegen die Bengal Fur Society ihre Schiffe unter portugiesischer Flagge segeln ließ, um die Kosten für die Lizenz zu sparen. Damit bewegte sie sich am Rande der Illegalität. Im Januar 1789 entschieden die Geldgeber beider Kompanien, künftig zusammen zu arbeiten und gründeten eine neue, gemeinsame Handelsgesellschaft, die unter folgenden Namen agierte: „The Associated Merchants of London and India“, oder „The United Company of British Merchants Trading to the North West Coast of America“ oder einfach nur als „United Company“ bezeichnet wurde.

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DAS WEICHE FELL DER SEEBÄREN UND DIE ENTDECKUNG DER PRIBILOF ISLANDS

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as abgebildete Objekt stellt bis heute ein ungelöstes Rätsel dar (Abb. 30). Es wird in der jüngsten ­Oldendenburger Dokumentation als Memorialstab der Tschuktschen beschrieben. Ein sehr ähnliches Stück befindet sich in St.  Petersburg im Museum für Anthropologie und Ethnographie. Dort gibt es nur spärliche Informationen dazu. Es heißt dass der Ge-

genstand ursprünglich aus dem Marinemuseum stamme, auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts datiert sei, von den Eskimo herrühre und durch einen Seemann während einer der russischen Weltumsegelungen erworben wurde. Der zuständige Kurator vermutet allerdings, dass es sich bei dem Objekt um ein Schamanenmesser der Aleuten handeln könnte.

Bildgeschichten Unabhängig von der ursprünglichen Benutzung und Herkunft des Stücks geben die Ritzzeichnungen darauf einige Hinweise auf Zeit und Kontext. Es werden Geschichten vom Robbenschlagen erzählt. Eine der Figuren scheint einen solchen Gegenstand wie den hier vorliegenden in der Hand zu halten und stellt sich schützend (?) vor die Robben. Wenn diese Interpretation stimmt, könnte es sich tatsächlich um ein Schamanenmesser handeln, das dem Schamanen magische Kraft verleiht und ihm ermöglicht, die Robben gegen die fremden Robbenschläger zu schützen. Von der Kleidung her scheint es sich bei den dargestellten Figuren allerdings eher um Europäer zu handeln.

Auf der Rückseite des oberen Teils sind vier Ritzzeichnungen untereinander angeordnet. Die oberste zeigt im Zentrum ein Walross, das von vorne und hinten mit Lanzen angegriffen wird. Darunter befindet sich eine ähnliche Szene, ein Seebär oder Seelöwe wird von hinten mit einer Lanze bedroht. Vor dem Tier steht ein Mensch mit einer erhobenen Keule. Beide scheinen Schirmmützen zu tragen. Auf der Darstellung darunter sieht man links angedeutet eine größere Gruppe von Robben, eine Person redet mit erhobenem Zeigefinger auf den Robbenschläger mit der Lanze ein. Auf dem vierten Bild ist ein Mensch abgebildet der, im Gegensatz zu den vorherigen, ein

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

Abb. 30 Schamanenmesser, Aleuten oder Ritualstab, Tschuktschen? Material: Walrosselfenbein. Maße: Länge 48 cm, Breite max. 5 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Nr. 106 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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DAS WEICHE FELL DER SEEBÄREN

dunkles Hemd trägt, mit dem Gesicht zu den Robben steht und einen Gegenstand (Keule? Schamanenmesser?) hoch hält. Ein anderer stützt sich auf seine Lanze. Diese Darstellungen können auf unterschiedliche Weise gedeutet werden: Beispielsweise als Hinweis, Pelzrobben nicht mit Lanzen zu töten, um blutende Wunden zu vermeiden und sie stattdes-

sen mit Keulen zu erschlagen, damit die Qualität der Felle nicht durch Löcher oder Blutreste beeinträchtigt wird. Eine alternative Interpretation unter Einbeziehung der Vermutung, dass es sich um ein Schamanenmesser handeln könnte, wäre  – wie bereits erwähnt  – dass der Schamane sich schützend vor die Robben stellt, um Überjagung zu verhindern.

Die Legende von Igadik Igadik war der Sohn eines berühmten Chiefs von der Insel Unimak (Aleuten) und galt als einer der versiertesten Jäger im Umgang mit seiner baidarka. Jedes Frühjahr beobachtete er wie Seebärenweibchen trächtig nach Norden schwammen, und jeden Herbst sah er, wie sie mit ihren Jungtieren Richtung Süden zurückkehrten. Oft fragte er sich, wo die Weibchen wohl ihre Jungen warfen. Eines Tages geriet Igadik in einen heftigen Sturm, der ihn in seiner baidarka viele Tage lang nach Norden abdriften ließ. Als der Sturm sich endlich legte, war er weiter nördlich als je ein Jäger seiner Insel gewesen war. Durch dichten Nebel vernahm er das Geschrei

von Seevögeln und das Rufen der Seebären. Er paddelte in die Richtung aus der er die Tierstimmen hörte und gelangte an einen Strand der übersäht war von Seebären mit ihren frisch geborenen Jungtieren. Er hatte den Geburtsplatz der Seebären gefunden. An klaren Tagen konnte er südlich von der Insel, auf der er gelandet war, eine weitere Insel erblicken. Er wartete bis ein kräftiger Nordwind blies und kehrte mit dessen Hilfe zurück zu seiner Heimatinsel. Dort wurde seine glückliche Rückkehr mit einem rauschenden Fest gefeiert und seine Geschichte wurde von Generation zu Generation weitergegeben und bei allen Festen erzählt (Torrey 1983, S. 5–6).

Das Bellen der Seebären im Nebel Wie sich bereits Mitte der 1780er  Jahre gezeigt hatte, waren Seeotter nicht in der Menge verfügbar, wie russische, englische und amerikanische Kaufleute dies gerne gehabt hätten. Da in China zu dieser Zeit ein Verfahren entwickelt wurde,

um die rauen Grannenhaare der Seebären besser entfernen zu können, kam ihr Fell nun auch als Handelsware in Frage. Man brauchte nur ihre Liegeplätze ausfindig zu machen, wo sie sich zu Hunderttausenden einfanden. Dort waren sie mit Keulen

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VERFLECHTUNGEN UND KONKURRENZ

relativ leicht zu erlegen. Möglicherweise hatte Gawriil Loginowitsch Pribylow, der als Chief-Navigator der Lebedew-Lastotschkin Kompanie jahrelang im Bereich der Aleuten unterwegs war, die Legende von Igadik gehört. Zumindest bemannte er sein Schiff, die St. George, im Juni 1786 mit einer aus Russen und Aleuten gemischten Besatzung, um nach der legendären Insel zu suchen. Drei Wochen lang tastete er sich in dichtem Nebel durch die Gewässer nördlich von Unalaska, bis am Morgen des 25. Juni die Männer plötzlich das vertraute Bellen der jungen Seebären vernahmen. Obwohl die Insel bereits den aleutischen Namen Amiq trug, taufte Pribylow sie nach seinem Schiff St. George. Im Nebel lief die St.  George auf einen Felsen auf, überstand den Grundkontakt aber weitgehend unbeschadet, so dass Beiboote zu Wasser gelassen werden konnten, und die Mannschaft sich vorsichtig zum Strand vortasten konnte. Sie schlugen so viele Robben wie möglich, bevor sie sich auf den Rückweg begaben. Einen Teil seiner Besatzung ließ Pribylow auf der Insel St.  George zurück, um mit dem Robbenschlagen fortzufahren, bzw. im nächsten Frühjahr damit beginnen zu können, sobald die ersten Tiere sich am Strand niederließen. Pribylow würde sie im nächsten Sommer, mitsamt den erbeuteten Fellen wieder abholen. Schon bald waren die Lebensmittelvorräte und vor allem der Wodka aufgebraucht, so dass die Männer auf Seebärenfleisch und Vogeleier ausweichen mussten. Zum Glück wussten die Aleuten, wie man sich von dem Land, bzw. dem Meer ernährte.

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Ab dem Frühjahr stieg jeden Tag einer der Männer auf einen Felsen, um Ausschau nach Pribylow und der St.  George zu halten. An einem besonders klaren Tag war eine weitere Insel weiter nördlich zu sehen. Die Aleuten bauten eine baidara, in der sie die Distanz von etwa 60 Kilometer zwischen den beiden Inseln überbrücken konnten. Am 29. Juni 1787 erreichten sie die Insel. Da dies der Tag der Heiligen St. Peter und St. Paul war, erhielt die Insel diesen Namen, der später auf St. Paul verkürzt wurde. Dort gab es nicht nur Seebären, sondern auch Seeotter in großer Zahl. Trotz aller Vorsicht konnte Pribylow nicht verhindern, dass andere Schiffe ihm folgten, als er sich auf den Weg machte, um seine zurückgelassenen Männer und deren Fellausbeute im nächsten Sommer abzuholen. Die Freude war groß, als die St.  George in Sicht kam, denn die meisten hatten inzwischen die Hoffnung auf Pribylows Rückkehr aufgegeben (Torrey 1983, S. 43–46). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden dauerhaft Aleuten auf den beiden Inseln St. George und St. Paul angesiedelt, um im Auftrag russischer Fellhändler Robben zu schlagen. Heute befinden sich die größten geschlossenen, rein unter aleutischer Selbstverwaltung stehenden Siedlungen auf den Pribilof Islands, St.  George und St.  Paul. Ähnlich wurde mit den unbewohnten Kommandeurinseln verfahren. Dort wurden im Jahr 1826 Aleuten angesiedelt, und es existiert noch eine kleine aleutisch-russisch gemischte Siedlung auf der Beringinsel, die den Namen Nikolskoje trägt.

KOLUMNENTITEL

III WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 31 Schlittenmodell, Itelmenen, Kamtschatka. Material: Holz und Leder. Maße: Höhe 19,5 cm, Länge 42,5 cm, Breite 9,5 cm. Museum Fünf Kontinente, München, Slg. Krusen­ stern – Inv. Nr. 64 (Foto: Marianne Franke).

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DIE FRANZÖSISCHE ANTWORT AUF JAMES COOK

M

odell eines Sattelschlittens der Itel­ menen von Kamtschatka. Solche Schlitten dienten der schnellen Fortbe­ wegung ohne Last. Wenn Fracht zu be­ fördern war, nutzten die Itelmenen dafür größere und anders geformte Transport­ schlitten. Reisen und Transporte fanden bevorzugt im Winter statt, da im Sommer die Fortbewegung in dem meist sumpfi­ gen Gelände sehr schwierig war. Der hier abgebildete Schlittentyp wurde von Hun­ den gezogen und war nur für eine Person gedacht, die rittlings auf dem Sattel saß. Im 18. Jahrhundert lebten die Itelme­ nen nahezu über die gesamte Halbinsel Kamtschatka verteilt. Da ihre Lebens­

grundlage die Lachsfischerei war, errich­ teten sie ihre Dörfer entlang von Flüssen oder an Flussmündungen. Besonders dicht besiedelt war das Tal des zentralen Flusses Kamtschatka. Wenn die Lachse flussaufwärts zogen um zu laichen, fin­ gen die Itelmenen diese mit Netzen aus Nesselfasern. Den Fang hängten sie an­ schließend an Gestellen zum Trocknen auf und nannten den lange haltbaren Tro­ ckenfisch Jukola. Ergänzend sammelten die Frauen Wurzeln, Beeren und Nüsse. Im Winter lebten die Itelmenen in hal­ bunterirdischen Behausungen, während sie im Sommer in leichten, auf Pfählen errichteten Hütten (Balagane) wohnten.

Begeisterung für indigene Technologie Schon Georg Wilhelm Steller, einer der Teilnehmer an Vitus Berings Zweiter Kam­ tschatka-Expedition (1733–1743), zeigte sich begeistert von der komplexen und

wirksamen Federung der itelmenischen Schlitten und schrieb in seiner posthum ge­ druckten Beschreibung des Landes Kamt­ schatka:

„Die kamtschazkischen Schlitten sind nach den Kräften der Hunde und nach der bergigten Gegend des Landes dergestalt wohl ausgedacht, dass solche der beste Mechanicus nicht besser hätte erfinden können. […] Oben ist ein länglicher hohler Korb der aus

lauter gebogenen Hölzern und 2 dünnen langen Stöcken bestehet, daran dieselben mit

Riemen vest gebunden sind. Dieses Gegitter ist nun überal und auf allen Seiten mit Riemen umwunden, und biegt sich alles daran ohne zu brechen; bricht auch ein Hölzgen, so lassen doch die Riemen den Korb nicht auseinander fallen. […] Ob nun gleich daran

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

alles sehr dünne und biegsam ist, so stehen sie doch solche Gewalt aus daß man sich

nicht genug darüber verwundern kan. Man fährt öfters dergestalt gegen die Bäume an, daß sich der Schlitten fast doppelt zusammenbieget, und doch keinen Schaden leidet.

[…] Man sitzet darauf mehrentheils auf einer Seite, um sogleich bei einer gefährlichen

Stelle von demselben abspringen zu können. Zuweilen setzet man sich an ebenen Orten darauf wie auf ein Pferd.“

(Steller 1774, S. 370 f.)

Ein weiterer Reisender, der im späten 18.  Jahrhundert die Gelegenheit hatte, eine längere Strecke auf solch einem

Schlitten zurückzulegen, war Jean Bap­ tiste Barthélemy de Lesseps. Wie war er nach Kamtschatka gekommen?

Auch Frankreich steht nicht zurück Während die privaten Fellhändler be­ gannen, sich im Nootka Sound und im Prince William Sound Konkurrenz zu machen, wurden erneut staatlich finan­ zierte Expeditionen in Auftrag gegeben, um im Nordpazifik offiziell Flagge zu zei­ gen. Auch für die staatlichen Aktivitäten wurde 1785 zum Schlüsseljahr. Der französische König Louis  XVI. gab 1785 eine Expedition in Auftrag, die Cooks Reisen an Glanz und Ruhm möglichst noch übertreffen sollte. Ent­ sprechend weit gefasst waren die Pläne. Neben vielen wissenschaftlichen Auf­ gaben wollte Frankreich im Süd- und Nordpazifik Ansprüche geltend machen, neue Inseln entdecken und in Besitz neh­ men. Auch für Frankreich sollten Mög­ lichkeiten einer Teilhabe am Fellhandel erkundet werden. Insbesondere nach dem Verlust von Kanada war Frankreich an Gebietszuwachs und neuen Handels­

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schauplätzen interessiert. Die Expedition sollte sich darüber hinaus einen Über­ blick über spanische, russische, englische und amerikanische Aktivitäten an der amerikanischen Nordwestküste verschaf­ fen. Kein anderer als Jean François Galaup de Lapérouse kam für das Oberkom­ mando der groß angelegten französischen Expedition in Frage. Er hatte sich im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ausgezeichnet und interessierte sich für Kartographie. Dem Muster von Cooks Expeditionen folgend wurden ihm zwei Schiffe  – Astrolabe und Boussole  – zur Verfügung gestellt. Zwecks Erkundung und Beschreibung der Natur wurde der Expedition ein ganzes Kontingent von Gelehrten mitgegeben: jeweils ein Astro­ nom, Geologe, Botaniker, Ingenieur und ein Künstler, um die Entdeckungen auch im Bild zu dokumentieren. Die Gruppe

DIE FRANZÖSISCHE ANTWORT AUF JAMES COOK

wurde mit einer Bibliothek von Büchern über vorhergehende Reisen sowie über Astronomie, Navigation und Naturge­ schichte ausgestattet. Der König selbst hatte die ausführliche Instruktion für die Expedition verfasst, ließ Lapérouse aber die Freiheit, den Erfordernissen entspre­ chend Änderungen vorzunehmen. Und tatsächlich änderte Lapérouse recht bald den vorgeschlagenen Kurs, indem er nach der erfolgreichen Umrun­ dung von Kap Hoorn Anfang 1786 direkt nach Norden Richtung Hawaii (Maui) und Alaska segelte, statt sich zunächst nach Westen Richtung Tahiti und Austra­ lien zu wenden (Inglis 1997, S. 53). Anfang Juli 1786 entdeckte Lapérouse die Lituya Bay im Schatten von Mount Fairweather im heutigen Alaska. Er taufte die Bucht „Port des Français“ und beschrieb sie als „den vielleicht außer­ gewöhnlichsten Ort der Welt“. In dieser herrlichen Bucht kam es zum ersten von

mehreren tragischen Unglücksfällen. La­ pérouse verlor im schmalen Eingang zur Bucht zwei Beiboote mit 21 Mann Besat­ zung. Nach einem Monat Aufenthalt setzte er die Reise fort und erkundete die Küste südlich der Queen Charlotte Islands und Vancouver Island nach Süden bis Kalifor­ nien (Inglis 1997, S. 53). Möglicherweise waren zusätzliche, geheime Instruktionen bezüglich französischer Interessen an der Nordwestküste der Grund für den mit vier Wochen vergleichsweise langen Aufent­ halt auf 58 Grad nördlicher Breite. Sowohl amerikanische als auch spanische Diplo­ maten hatten bereits im Vorfeld der Ex­ pedition die Befürchtung geäußert, auch Frankreich wolle an der Nordwestküste einen Stützpunkt gründen und Port des Français lag strategisch günstig zwischen den Grenzen der spanischen Aktivitäten in der Bucareli Bay und der russischen Niederlassung auf der Insel Kodiak.

In 13 Monaten von Kamtschatka nach Versailles Im Gegensatz zu den Briten hatten die Franzosen daran gedacht, einen Expedi­ tionsteilnehmer mitzunehmen, der die russische Sprache beherrschte. Die Wahl war auf Jean Baptiste Barthélemy de Les­ seps gefallen. Er war als Sohn des fran­ zösischen Generalkonsuls in Russland, teilweise in St.  Petersburg aufgewach­ sen, wo er Russisch gelernt hatte und sich dadurch bestens als Dolmetscher eignete. Als die französische Expedition einen Stopp auf Kamtschatka einlegte,

erteilte Lapérouse Ende September 1787 de Lesseps den Auftrag, Tagebücher und Landkarten mit Informationen über al­ les, was bis dahin erreicht worden war, auf dem Landweg zum König nach Ver­ sailles zu bringen. De Lesseps verließ Petropawlowsk Ende September 1787 und reiste durch ganz Sibirien. Dreizehn Monate nachdem er die See-Expedition verlassen hatte, gelangte er im Oktober 1788 nach Paris. Welche Bedeutung den Dokumenten zukam, die er im Gepäck

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

hatte, sollte sich erst einige  Jahre später zeigen. Denn die See-Expedition kehrte nie nach Frankreich zurück, es dauerte 35  Jahre bis ihr Verbleib einigermaßen

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geklärt werden konnte. Die Schiffe waren vor Vanikoro, einer kleinen, heute zu den Salomonen gehörenden Insel, im Meer versunken.

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GEHEIME ASTRONOMISCHE UND GEOGRAPHISCHE EXPEDI­ TION ZUR ERFORSCHUNG OSTSIBIRIENS UND ALASKAS

„Copie der Instruction für Carl Heinrich Merck“ „Für den bey der geheimen See Expedition unter Commando des Herrn Capitains Billings, als Naturforscher und Reise Beschreiber angestellten Herrn Doctor Merck.

Da Sie an die Stelle des wegen seiner kränklichen Umstände verabschiedeten Herrn Assessor Patrin bey der von Ihro

Kayserlichen Majestaet Selbst angeordneten See Expedition

welche die Beschreibung der noch unbekannten Nordöstlichen Küsten von Siberien, und der Inseln zwischen Siberien

und America zum Endzweck hat, angestellt sind, so erwartet man von Ihnen alles was Ihre Einsichten, Ihr Eyfer

für die Wissenschaft und für den Dienst, und eigne Ehrbegierde Ihnen zur Pflicht machen, umso viel mehr, da Ihro

Kayserliche Majestaet Sie zuverlässig an den Gnaden

bezeugungen und Belohnungen, welche den übrigen Officianten bey der Expedition allergnädigst zugesichert sind, nach glücklich geendigter Reise und nach Maasgabe der geleisteten Dienste Theil nehmen lassen wird. Um Ihnen aber von Ihren verrich=

tungen bey der Expedition umständlichern Einsicht zu geben habe ich es für nöthig gehalten Ihnen eben die jenigen In=

structions Puncte mitzutheilen, welche für Ihren bestimmten Vorgänger bey der Expedition Herrn Assessor Patrin aufge=

setzt und von Ihro Kayserlichen Majestaet genehmigt wor= den waren.

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 32 Instruktion für Carl Heinrich Merck – Niedersächsische Staats­ und Universitäts­ bibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 229.

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GEHEIME ASTRONOMISCHE UND GEOGRAPHISCHE EXPEDITION

Sie haben außer da, wo Ihre Naturgeschichte betreffenden

Beobachtungen eine absonderung nüzlicher machen, die Expe= dition in denen, dem Cheff derselben, laut dessen Instruc= tion vorgeschriebenen Reisen, zu Wasser und zu Lande zu

begleiten, auch, nach endigung dieser Reisen, sich mit dem Cheff [Seite 2]

der Expedition zurück nach St: Petersburg zu verfügen, um Ihre

Beobachtungen, Journale und Eingesamlete Merkwürdigkeiten

an die von Ihro Kayserliche Majestat zu bestimmende Behörde abzu= liefern.“

Die russische Antwort auf James Cook Als 1784 der mehrbändige Bericht über Cooks dritte Reise erschien, waren die­ sem auch aktuelle Landkarten beige­ geben, auf denen bisherige russische Bezeichnungen durch neuere englische Namen ersetzt worden waren. Dieses Vorgehen wurde in Russland als „engli­ sches Vordringen“ interpretiert und man fürchtete, dass England Anspruch auf die umbenannten Orte erheben wolle (Dahlmann, Friesen, Ordubadi 2009, S.  24 siehe auch Okun 1951, S.  14 f.). Zur Beunruhigung trugen außerdem die im vorigen Kapitel erwähnten Vorberei­ tungen einer staatlich finanzierten, fran­ zösischen Expedition bei . Zarin Katha­ rina  II. sah sich gezwungen zu handeln und ordnete die „Geheime Astronomi­ sche und Geographische Expedition zur Erforschung Ostsibiriens und Alaskas“ an. Als Kommandant der Expedition wurde der im Jahr  1761 in der Nähe

von London geborene Joseph Billings bestimmt. Billings verfügte bereits über Erfahrung in nordpazifischen Gewäs­ sern, da er als Gehilfe des Astronomen an der dritten Expedition von James Cook teilgenommen hatte. Auf Empfehlung des russischen Gesandten in London  – Graf S.  R. Woronzow  – war Billings im Jahr 1783 in russische Dienste getreten. Neben vielen anderen Aufgaben sollte Billings Untersuchungen über Scheli­ chows Vorgehen auf der Insel Kodiak anstellen (s. Kap. 18). Grund dafür war, dass Schelichow seinen Stützpunkt unter Anwendung von Gewalt gegenüber der Urbevölkerung gegründet hatte, was den russischen Gesetzen zufolge strengstens verboten war und hart bestraft werden konnte (Black 2004, S. 126). Gawriil Andrejewitsch Sarytschew war im Seekadettenkorps in Kronstadt unweit von St.  Petersburg ausgebildet worden

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

und hatte während seiner Einsätze im Mit­ telmeer und auf der Ostsee Interesse an der Hydrographie entwickelt (Dahlmann, Friesen, Ordubadi 2009, S. 27). Er zeigte großes Talent im Erstellen von neuen und genaueren Landkarten und Dank seines persönlichen Eifers gelang es ihm, eine führende Rolle innerhalb der Expedition

zu übernehmen. Um den langen Namen der Expedition zu umgehen, wird sie daher häufig als Billings-Sarytschew-Expedition bezeichnet (Ordubadi 2016). Insgesamt waren an dem Unternehmen 141 ständige Mitglieder beteiligt, ergänzt durch Solda­ ten und Helfer, die Billings unterwegs für kurze Zeit engagierte.

Zur rechten Zeit am richtigen Ort Der Franzose Eugène Melchior Louis Patrin war eigentlich als Naturforscher vorgesehen. Da er sich ohnehin gerade in Sibirien befand, sollte er sich der Expe­ dition in Irkutsk anschließen. Patrin zog sich aber aus gesundheitlichen Gründen zurück. Möglicherweise war dies nur ein Vorwand, denn Einiges deutet darauf hin, dass Patrin sich mit Pallas überworfen hatte, weil dieser von ihm verlangte, sich konsequent nach seinen Anweisungen zu richten und ihm alle Ergebnisse zur Verfügung zu stellen (Ordubadi 2016, S. 122). Dies wurde für einen jungen Arzt aus Deutschland zur Chance seines Le­ bens: Carl Heinrich Merck, geboren am 19. November 1761 in Darmstadt, ver­ brachte den größten Teil seiner Kindheit und Jugend im oberhessischen Alsfeld. Wie sein Vater ergriff er den Beruf des Arztes und studierte von 1780 bis 1784 an den Universitäten Gießen und Jena Medizin. Dank der Vermittlung seines Onkels, des Schriftstellers Johann Hein­ rich Merck, ging Carl Heinrich Merck im Sommer des Jahres 1785 nach Russland. In St.  Petersburg angekommen, musste

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er zunächst ein damals für alle aus dem Ausland einreisenden Mediziner ver­ pflichtendes Examen ablegen, das der Ve­ rifizierung seiner Kompetenzen als Arzt dienen sollte. Es ist davon auszugehen, dass Baron von Asch an den Prüfungen für die Neuankömmlinge beteiligt war und Merck kurz nach dessen Ankunft in St.  Petersburg im Sommer 1785 ken­ nen lernte. Immerhin fügte von Asch im August 1785 einem seiner Briefe an Christian Gottlob Heyne in Göttingen ein Exemplar der Dissertation von Carl Heinrich Merck für die Göttinger Biblio­ thek bei (diss med coll max 522 (2)). Nach bestandener Prüfung reiste Merck nach Irkutsk, um eine Stelle als Hospi­ talsarzt anzutreten. Als die Billings-Saryt­ schew-Expedition im Februar 1786 nach Irkutsk kam, war Merck sozusagen zur rechten Zeit am richtigen Ort und wurde gefragt, ob er die frei gewordene Stelle des Naturforschers übernehmen wolle. Ohne langes Nachdenken sagte er zu. Er erhielt alle Bücher und Artikel zur Natur­ geschichte, die für Patrin als Referenzbib­ liothek vorgesehen waren, zu seiner Verfü­

GEHEIME ASTRONOMISCHE UND GEOGRAPHISCHE EXPEDITION

gung und sollte während der Expedition neben dem Zeichenmeister Luka Woro­ nin von mehreren Assistenten begleitet werden, denen die Aufgabe zukam, ihm beim Präparieren von Tieren und meteo­ rologischen Beobachtungen behilflich zu sein sowie Zeichnungen des Gesehenen anzufertigen. Neben der Instruktion für Patrin erhielt Merck die hier abgebildete eigens von Peter Simon Pallas für ihn überarbeitete Forschungsanleitung. Diese gelangte „als Copie“ zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls als Bestandteil einer

der Sendungen des Barons von Asch an die Universität in Göttingen. Obwohl die Billings-Sarytschew-Ex­pe­ dition vermeintlich geheim war, erschien bereits Ende Oktober 1785 in den in Berlin erscheinenden „Wöchentlichen Nachrich­ ten“ ein ausführlicher Hinweis auf die Ex­ pedition. Pallas hatte seinen guten Freund, den Geographen Anton Friedrich Bü­ sching, per Brief informiert und Büsching zögerte nicht, die Neuigkeiten unmittelbar nach Erhalt zu veröffentli­chen (Dahlmann, Friesen, Ordubadi 2009, S. 24).

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 33 Pfeilschaftglätter, Nordalaska. Material: vermutlich Walrosselfenbein. Maße: 3 x 19 x 2 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 682 (Foto: Harry Haase).

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JOHN LEDYARDS GROSSER PLAN

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ieser Pfeilschaftglätter wurde ver­ mutlich aus Walrosselfenbein ge­ schnitzt. Dem Eingangsvermerk zufolge gelangte das Objekt im Jahr  1790 nach Göttingen, stammt also möglicherweise von der Billings-Sarytschew-Expedition. Es stellt ein Karibu ohne Geweih dar, die Vorderläufe sind gebeugt, die Hinter­ beine sehen wie ein Rentierhuf aus. Die Aussparung für den Pfeilschaft ist abge­ schrägt, damit der Schaft keine Kerben bekommt, wenn man ihn in das Loch steckt und zurechtbiegt, um ihn zu begra­ digen. Die rautenförmige Form der Aus­ sparung ist Jenness (1937, S. 73) zufolge typisch für den Norden Alaskas. Das Gerät wurde in Form eines Karibus hergestellt, um den Seelen der Tiere eine Freude zu bereiten. Außerdem wurden die damit bearbeiteten Pfeile dadurch mit magischen Kräften aufgeladen. Der Jäger, der solche Pfeile benutzte, konnte mit bes­ seren Jagderfolgen rechnen, da der große Aufwand, mit dem die Waffen hergestellt und verziert wurden, die Karibus veran­ lasste, sich als Beute zur Verfügung zu stel­ len (Fitzhugh und Kaplan 1983, S. 8–12, siehe auch Jenness 1937, S. 73). Wie von Asch in den Besitz dieses Gerätes gelan­

gen konnte, bleibt vorerst ein Rätsel, zu­ mal die Expeditionsteilnehmer um 1790 noch unterwegs waren. Offenbar hatten sie von verschiedenen Etappen ihrer Reise Kisten gepackt und diese nach St. Peters­ burg voraus geschickt, was durch einen Brief von John Ledyard an Peter Simon Pallas vom Dezember 1787 aus Jakutsk bestätigt wird (Wendland 1992, S.  667). Das Objekt legt Zeugnis dafür ab, dass die russischen Interessen durchaus bis in das Gebiet der Beringstraße reichten, wenn­ gleich der Fellhandel und die Seeotterjagd sich zunächst mehr auf die Aleuten, die Insel Kodiak und Teile von Südostalaska konzentrierten. Vorerst führten nur staat­ liche Aktivitäten weit in den Norden, gehörte es doch zu den Aufgaben der Billings-Sarytschew-Expedition alle noch nicht von anderen Staaten beanspruchten Gebiete, in russischen Besitz zu nehmen. Jetzt mussten auch die Bewohner des Lan­ desinneren damit rechnen, dass Russen in ihren Lebensraum eindrangen. Die Gefahr des Zusammenstoßes mit Spaniern oder Briten war für die indigene Bevölkerung im Norden Alaskas erheblich geringer als für die Indianer in den Regionen um den Nootka Sound.

Unermüdlich von einer Idee besessen Der Amerikaner John Ledyard hatte als Seesoldat an Cooks Expedition zur Suche

nach der Nordwestpassage ­teilgenommen (s. Kap. 11). Nachdem er zurückgekehrt

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

war, ging ihm die Möglichkeit, bei den Indianern günstig Seeotterfelle zu erwer­ ben und diese zu Höchstpreisen in China zu verkaufen, nicht mehr aus dem Kopf. Er arbeitete einen grandiosen Plan aus, mit dem er in den Fellhandel einsteigen wollte. Dafür suchte er in den  Jahren 1783 bis 1786 einen Finanzier. Zunächst wandte er sich an Kaufleute in Philadel­ phia, Boston und New York. Wen auch immer er fragte, allen erschienen seine waghalsigen Ideen zu riskant. Auch in Frankreich blieben seine Bemühungen vergeblich. Als sich abzeichnete, dass es mit dem Fellhandel für Ledyard nichts werden würde, begann er sich auf einen weiteren Traum zu konzentrieren, den er von Cooks Reise mitgebracht hatte. Ledyard war in Neuengland aufge­ wachsen. Als er mit Cook an der entge­ gengesetzten Küste des amerikanischen Kontinents stand, fiel ihm auf, dass noch niemand den Kontinent von Ost nach West oder umgekehrt durchquert hatte. Er fühlte sich berufen, dieses Vorhaben

als Erster in die Tat umzusetzen. Das einzige was er dazu brauchte, war eine Schiffspassage an die Nordwestküste, denn er wollte den Kontinent von West nach Ost durchstreifen und seine Hei­ mat zum Endpunkt dieser Reise machen. Da Ledyard kein Schiff für die Überfahrt zur Nordwestküste fand, entschloss er sich, über Land bis nach Kamtschatka zu reisen. Von dort, so hoffte er, würde ihn eines der russischen Schiffe an die Nordwestküste Amerikas bringen. Ausgestattet mit einem Fellmantel, zwei Hunden, einer Pfeife und einem Beil machte er sich auf den Weg. Ledyard ver­ ließ London Anfang Dezember des Jahres 1786. Über Oostende und Hamburg, wo er einen seiner Hunde verlor, reiste er nach Kopenhagen und Stockholm, von wo aus er auf Schlitten den Bottnischen Meerbu­ sen überqueren wollte. Da aber der Win­ ter 1786/87 relativ warm war, war das Eis nicht tragfähig. Deshalb entschloss er sich zu Fuß um den Meerbusen zu wandern, wofür er acht Wochen benötigte.

Endlich in Russland Im März 1787 kam er in St. Petersburg an und hielt sich etwas über zwei Monate in der russischen Hauptstadt auf, um einen Pass zu beantragen und seine Weiterreise zu organisieren. In dieser Zeit hatte er Kontakt zu Peter Simon Pallas und ver­ liebte sich erfolglos in dessen Tochter Al­ bertine. Ab dem 1. Juni 1787 reiste er in einer Kibitka, einem geschlossenen, von Pferden gezogenen Wagen, über Mos­

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kau, Kasan, Jekaterinburg nach Tobolsk, und von dort weiter über Barnaul nach Irkutsk, wo er am 15.  August ankam und sich einen zehntägigen Aufenthalt gönnte. Er lernte den Gouverneur von Sibirien, Jakobi, kennen und traf mit dem russischen Fellhändler Schelichow zusammen, der sich gerade auf seiner Rückreise von Kodiak nach St.  Peters­ burg befand und sich für längere Zeit in

JOHN LEDYARDS GROSSER PLAN

Irkutsk aufhielt, nicht zuletzt, um dem Gouverneur seine Pläne für ein Handels­ monopol vorzulegen. Ledyard berichtete in Briefen erfreut von dem angeregten Gespräch, das er mit Schelichow geführt hatte. Dieser hingegen sah in Ledyards Anwesenheit eine Bedrohung für den russischen Fellhandel und begann ge­ gen den amerikanischen Eindringling vorzugehen. Unmittelbar nach dem Aus­ tausch mit Ledyard wandte Schelichow sich an Gouverneur Jacobi . Dieser, nun misstrauisch geworden, ließ Ledyard zu­

nächst weiter nach Jakutsk reisen, aber nicht ohne den dortigen Kommandan­ ten Marklowskii zu instruieren, Ledyards Weiterreise nach Ochotsk zu verhindern (Zug 2005, S. 204–206). Als Ledyard am 18.  September in Jakutsk eintraf, wollte er gleich weiter nach Ochotsk, um vor dem Winter dort anzukommen. Mark­ lowskii aber wies nachdrücklich darauf hin, dass die  Jahreszeit bereits zu weit fortgeschritten sei, und er bis zum nächs­ ten Frühjahr mit der Weiterreise warten müsse.

Alles vergebens Noch von Jakutsk aus schrieb Ledyard nichtsahnend einen Brief an Pallas, in dem er offen die Methoden der russi­ schen Kolonisierung kritisierte und mit dem Vorgehen der Spanier, Portugiesen und Engländer verglich. Im November erschien Joseph Billings mit einem klei­ nen Kontingent seiner Expedition. Er war auf dem Weg nach Irkutsk, um dort Nachschub abzuholen. Außerdem hatte er beschlossen, den Winter dort zu ver­ bringen, da Irkutsk mehr Abwechslung bot als andere sibirische Ortschaften. Ledyard, dessen Weiterreise ohnehin blockiert war, schloss sich seinem alten Bekannten von Cooks dritter Reise an. Kaum in Irkutsk angekommen, wurde Ledyard Mitte Januar 1788 als Spion verhaftet. Ein Dekret von Katharina  II. zwang ihn, möglichst umgehend das Land zu verlassen. So musste er den ge­

samten Weg, den er gekommen war, un­ ter Bewachung von zwei Staatsbeamten wieder zurück reisen. Er wurde bis zur polnischen Grenze eskortiert und dort seinem Schicksal überlassen. Dank finan­ zieller Unterstützung von Sir Joseph Banks schaffte er es zwar zurück nach London, aber alle seine Pläne waren hiermit ge­ scheitert. Trotz allem ließ Ledyard sich nicht entmutigen und stürzte sich unmittelbar ins nächste Abenteuer. Im Auftrag der African Association sollte er von Ägyp­ ten aus mit einem Abstecher nach Mekka das nördliche Afrika durchqueren, starb aber im Januar 1789 in Kairo (Zug 2005, S.  225–228). Seinen großen Traum, die Durchquerung des Nordamerikanischen Kontinents, verwirklichten schließlich Meriwether Lewis und William Clark in den Jahren 1804–1806.

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 34 Kopfbedeckung in Form eines Robbenkopfes, Prince William Sound. Material: Holz. Maße: Länge 35 cm, Breite 25,5 cm, Höhe 12 cm. Ethnologische Sammlung der Univer­ sität Göttingen, Slg. Asch – Am 820 (Foto: Harry Haase).

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WEICHES FELL, HARTE MÄNNER UND KRIEGSGERASSEL 1788

S

olche Holzhüte, wie der hier abgebil­ dete, wurden auf der Insel Kodiak, im Prince William Sound und auf der Kenai-Halbinsel angefertigt. Die Männer der Alutiiq trugen sie während der Jagd zur Tarnung bzw. um die Robben anzu­ locken. Auf der rechten Seite dieses Huts sind noch Barthaare einer Robbe erhal­ ten geblieben, die auf der linken Seite be­

reits fehlen. Er wurde aus Holz in Form eines Robbenkopfes geschnitzt, Augen und Tupfen, die an das gepunktete Fell von Largharobben erinnern, sind aufge­ malt. Solche Hüte befinden sich in meh­ reren Sammlungen und waren bereits im 18. Jahrhundert gut dokumentiert. Schon James Cook waren sie am 15. Mai 1778 im Prince William Sound aufgefallen:

„Diejenigen unter ihnen, welche den Kopf bedecken, pflegen zu dem Ende, wie die Einwohner von Nutka, eine hohe kegelförmige Mütze, entweder von Stroh oder

von Holz, aufzusetzen, die mannichmal wie ein gemahlter Seehundskopf aussieht.“

(Cook 1789, 3. Bd., S. 117)

Auch von einer der spanischen Ex­ peditionen zwischen 1775 und 1792 wurde ein solcher Seehundkopfhut mit­ gebracht und befindet sich im Museum

de América in Madrid, lässt sich aber nicht konkret einer bestimmten Expedi­ tion zuordnen (Brown 2000, S. 59).

Russische Pläne Spanien, das Anspruch auf die gesamte westliche Küste Amerikas erhob und sich von seinen Besitzungen in Mexiko stetig nach Norden ausdehnte, zeigte sich alarmiert, weil Zarin Katharina  II. im Dezember 1786 per Erlass eine wei­ tere russische Expedition anordnete. Sie sollte unter der Leitung des Kapitäns Grigori Mulowski vom Baltikum aus um

das Kap der Guten Hoffnung nach Kam­ tschatka segeln und russische Anrechte auf alle Länder und Inseln im Nordpazi­ fik geltend machen, die von russischen Seefahrern entdeckt worden waren. Ihr Start wurde für den Herbst 1787 geplant (Ordubadi 2016). Es handelte sich dabei um eine unmittelbare Reaktion der Za­ rin auf die britischen Handelsaktivitäten

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

an der amerikanischen Nordwestküste in den Sommern 1785 und 1786. Allein im Sommer 1786 hatten sich sechs bri­ tische Schiffe im Prince William Sound aufgehalten (Black 2004, S.  123). Auf­ grund des sich anbahnenden russischtürkischen Kriegs (1787–1792) wurde die Expedition zunächst verschoben und fand letztlich gar nicht statt. Dies grämte

vor allem Georg Forster, war er doch zur Teilnahme mit einem üppigen Gehalt vorgesehen gewesen. Forster lehrte zu dieser Zeit im polnisch-litauischen Wilna (heute Vilnius, Litauen) und verließ seinen Posten in Erwartung der Reise, kehrte aber nicht nach Wilna zurück, als sich herausstellte, das die Expedition nicht stattfinden würde.

Spanische Reaktion Während der letzten spanischen Expedi­ tion im Jahr 1779 hatten sich zwei Schiffe längere Zeit im Prince William Sound aufgehalten, ohne dort auf Russen zu treffen (s. Kap. 14). Aus Kostengründen hatte Spanien sich in der Folge zurück­ gehalten, sah sich nun aber aufgrund der russischen und der britischen Aktivitäten genötigt, an seiner „nördlichen Grenze“ erneut Flagge zu zeigen. Im Jahr 1788, nach neun  Jahren Pause, startete also die vierte spanische Expedition Rich­ tung Norden. Nach bekanntem Muster fand sie mit zwei Schiffen statt. Estéban Martínez, der bereits 1774 mit Juan Pé­ rez im Nootka Sound gewesen war, er­ hielt das Oberkommando und als Schiff die Princessa. Als Kapitän für das zweite Schiff – San Carlos – wurde Gonzalo Ló­ pez de Haro verpflichtet. Spanien rech­ nete fest damit, dass die Expedition auf Russen stoßen würde und wählte mit Estéban Mondofia einen Lotsen, der in Ragusa (dem heutigen Dubrovnik) aufgewachsen war und neben Spanisch auch Italienisch und eine slawische Spra­

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che beherrschte. Dadurch wäre er in der Lage, mit möglicherweise anzutreffen­ den Russen zu kommunizieren. Obwohl Martínez Cooks Bericht und Karten zur Verfügung standen, vergab er neue Be­ zeichnungen, sogar für solche Stellen, die eindeutig bereits kartiert und mit Namen versehen waren. Die spanischen Neue­ rungen fanden aber keinerlei internatio­ nale Akzeptanz. Von San Blas (Mexiko) aus steuerte die Expedition direkt den Prince William Sound an, wo sie sich elf Tage lang aufhielt. Die beiden Schiffe an­ kerten vor dem Nordende von Montague Island. Dort handelten die Spanier mit den Alutiiq (Chugach), auf Russen trafen sie dort aber nicht. Bevor die Expedition den Prince William Sound verließ, nahm Martínez ihn offiziell im Namen von Car­ los III . für Spanien in Besitz. Bald schon verloren die beiden Schiffe sich aus den Augen, trafen sich aber im Südwesten der Insel Kodiak wieder, wo sie zwei der russischen Ansiedlungen be­ suchten. Der nächste knapp vierwöchige Stopp erfolgte in der Nähe der russischen

WEICHES FELL, HARTE MÄNNER UND KRIEGSGERASSEL 1788

Siedlung auf Unalaska (heute Dutch Har­ bor). Auch hier kam es zu Kontakten und Austausch mit Russen. Obwohl russische promyschlenniki bereits seit vielen  Jahren auf Unalaska präsent waren, beanspruchte Martínez die Insel nun für Spanien. Von Unalaska aus segelte die spanische Expedition zurück nach San Blas. Weil die Schiffe sich erneut aus den Augen ver­ loren, erreichten sie ihren Ausgangshafen um zwei Monate zeitversetzt im Oktober und Dezember 1788. Die beiden Kapi­ täne erstatteten dem Vizekönig ausführ­ lich Bericht über die russischen Aktivi­ täten. Im Glauben, dass Russland eine

dauerhafte Ansiedlung im Nootka Sound zu gründen plante, sah der Vizekönig Eile geboten und schickte Martínez im Feb­ ruar 1789 erneut nach Norden. Da man mit der Errichtung eines Stützpunkts im Nootka Sound Russland unbedingt zu­ vorkommen wollte, wurde die offizielle Reaktion des spanischen Königs nicht abgewartet. Sie wäre ohnehin zu spät ein­ getroffen, um noch rechtzeitig handeln zu können (Olson 2004, S. 21–23). Auf­ grund der Expedition von 1774 sah Spa­ nien sich als Erstentdecker des Nootka Sounds und formulierte entsprechende Ansprüche.

Unheil bahnt sich an Während die Spanier Pläne schmiedeten, um einer russischen Ansiedlung an der Nordwestküste Amerikas, insbesondere im Nootka Sound, zuvor zu kommen, fanden dort ganz andere Akti­vitäten statt: Am 13.  Mai 1788 ankerte John Meares (vgl. Kap.  21) mit zwei Schiffen (Felice Adventurer und Iphigenia Nubiana) vor Maquinnas Sommersiedlung, Yuquot, in Friendly Cove (Nootka Sound), wo die Saison des Heilbuttfangs gerade begon­ nen hatte. Drei Monate zuvor war er in Macao unter portugiesischer Flagge ab­ gesegelt und hatte chinesische Schmiede sowie Zimmerleute an Bord. Aus den mitgebrachten Materialien ließ Meares nach ausgiebigen Verhandlungen mit Maquinna auf dessen Land ein Haus bauen mit Werkstätten, Lagerräumen, Ess- und Schlafräumen für die Arbeiter.

Ein Zaun und eine Kanone sollten Schutz bieten und der Verteidigung dienen. Am 28. Mai 1788 war alles fertig gestellt. Die Stelle war gut gewählt. Sie befand sich in angemessenem Abstand zur indianischen Siedlung Yuquot. Holz, Wasser, Bee­ ren, Fisch und Geflügel sowie Hirsche waren in der Umgebung ausreichend vorhanden (Gough 1992, S.  97–98). Erst im Nachhinein zeigte sich, dass die „Vereinbarungen“ mit Maquinna nicht so einvernehmlich waren, wie Meares behauptete. Meares war der Überzeu­ gung Land von Maquinna gekauft und für England in Besitz genommen zu ha­ ben, was Maquinna als er dazu befragt wurde, vehement bestritt (Gough 1992, S. 101 f.). Kaum stand das Haus und war bewohnbar, begannen die chinesischen Zimmerleute mit dem Bau einer 40–

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

50 Tonnen Schaluppe. Diese konnte be­ reits am 20. September des Jahres 1788 zu Wasser gelassen werden und wurde auf den Namen North West America ge­ tauft, um an den Ort ihrer Entstehung zu erinnern (Gough 1992, S. 98 f.). Ob das

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von Meares errichtete Haus im nächsten Jahr noch stand oder nicht ist umstritten. Sein Vorgehen war aber einer der ersten Schritte, die im folgenden Jahr zur so­ genannten Nootka-Krise bzw. NootkaKontroverse führten.

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INTERNATIONALE VERWICK­ LUNGEN

B

ei diesem Objekt handelt es sich um einen Haken zum Angeln von Heilbutt oder Kabeljau, dessen U-Form typisch für das südliche S­ iedlungsgebiet der Nootka ist (Abb. 35). Der im Quer­ schnitt fast runde Schaft wurde mit Hilfe von Dampf in Form gebogen. Am dicke­ren Ende befindet sich eine nach ­innen zeigende Knochenspitze, die mit Fichten­ wurzelfasern befestigt ist. Auch dieses Objekt zeigt, dass Cooks Männer sich nicht nur für außergewöhnliche Gegen­ stände, sondern auch für Alltagsgerät inte­ressierten. Fischfang bildete die Lebens­ grundlage vieler Gruppen an der Nord­ westküste und gehörte zu den Sommerak­ tivitäten, die von den Schiffsbesatzungen während ihrer Aufenthalte beobachtet werden konnten. Lachs und Heilbutt ka­ men so reichhaltig vor, dass die einzelnen Gruppen ein Leben im Überfluss führen konnten. Um solche Haken herzustellen, wur­ den zunächst ca. 30 cm lange Holzstäbe ausgewählt, geschnitzt und anschließend

mit Wasser in die Schwimmkörper von Kelp (Seetang, Braunalgen) gesteckt. Diese natürlichen, feuchten Behälter wurden fest verschlossen und über Nacht in die heiße Asche des Feuers gelegt, damit sich Wasserdampf bilden konnte, der das Holz aufweichte, so dass es beim Herausnehmen am nächsten Morgen biegbar war und mit der Herstellung des Hakens begonnen werden konnte. Dieser sollte am Ende elastisch genug sein, um den Heilbutt festzuhalten und um nicht zu zerbrechen, wenn man den Fang vom Haken entfernte. Die Knochenspitze wurde mit Bast aus Nadelholzwurzeln angebunden. Die Bastleine, die später zur Befestigung des Köders (meist Tinten­ fischteile) diente, hielt in diesem Zustand den Schaft in Spannung, um eine Verfor­ mung zu verhindern. Nahm man sie ab, öffnete sich der Haken weiter sodass die Spitze schließlich nicht mehr den gegen­ überliegenden Schaft berührte (Haber­ land 1979, S. 210; siehe auch Feest 1998, S. 340).

Auftakt 1788 Wie bereits im vorigen Kapitel dargestellt, hatte John Meares im Nootka Sound da­ mit begonnen, eine kleine Ansiedlung zu errichten. Während die Zimmerleute mit dem Bau der North West America

beschäftigt waren, hatte Meares in der näheren Umgebung Felle eingetauscht und die Küsten weiter südlich erkundet. Er hatte Kontakte zu mehreren indiani­ schen Häuptlingen geknüpft und mit ih­

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Abb. 35 Heilbutthaken, Nootka, Vancouver Island. Material: Holz, Knochen, Wurzelbast. Maße: Breite 6,1 cm, Länge 12,7 cm. Knochenspitze Länge 8 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Am 618 (Foto: Harry Haase).

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INTERNATIONALE VERWICKLUNGEN

nen „Verträge“ geschlossen. Mit all diesen Aktivitäten glaubte er, britische Ansprü­ che auf den Nootka Sound deutlich ge­ macht zu haben, obwohl er ja eigentlich unter portugiesischer Flagge segelte. Für den Winter 1788/1789 sah Meares‘ Plan vor, dass er mit der Felice Adventurer nach Kanton segelte, um dort alle eingetausch­ ten Felle zu verkaufen. Die Iphigenia Nubiana sowie die North West America soll­

ten nach Hawaii segeln, dort überwintern und möglichst früh im April 1789 wieder zurück an der Nordwestküste sein. Der Plan klang gut, mit Konkurrenten war im Winter nicht zu rechnen und die In­ dianer zogen sich sowieso ins Landesin­ nere zurück, so dass keinerlei Gefahr für die kleine britische Ansiedlung bestand (Gough 1992, S. 99). Dennoch erschien plötzlich unerwartete Konkurrenz.

Ankunft der „Boston Men“ im Nootka Sound Am 30.  September 1787 waren zwei amerikanische Schiffe von Boston aus Richtung Nordwestküste gestartet. Die Ankunft der Columbia unter Kapitän John Kendrick und der Lady Washington mit Kapitän Robert Gray am 16. Septem­ ber 1788 im Nootka Sound bildete den Auftakt der amerikanischen Teilhabe am Handel mit Seeotterfellen. Die beiden Schiffe ankerten an Cooks altem Punkt in Ship Cove, Bligh Island. Meares und seine Leute versuchten, die Amerikaner mit Schauergeschichten zu vertreiben, diese durchschauten aber die List und blieben (Ridley 2010, S.  77). Sie halfen

Meares und seinen Männern ihre Schiffe reisefertig zu machen und waren froh, als die Engländer die Region verließen. Gray und Kendrick hingegen verbrach­ ten den Winter im Nootka Sound. Noch im Oktober tauschten sie bei den Nootka viele Felle ein und begannen im nächsten Jahr (1789) bereits ab Mitte März, die Küste nach weiteren Möglichkeiten für den Fellhandel abzusuchen, vor allem im Clayoquot Sound (ebenfalls an der West­ seite von Vancouver Island, aber südlich des Nootka Sound gelegen), wo schon Meares im Jahr  zuvor gute Erfahrungen gesammelt hatte (Gough 1992, S. 100).

Die Ereignisse spitzen sich zu Im Sommer 1789 kollidierten die spa­ nischen und britischen Interessen im Nootka Sound. Um der erwarteten russi­ schen Expedition zuvor zu kommen, er­ schien Martínez bereits am 5. Mai 1789 erneut im Nootka Sound und war reich­

lich verblüfft darüber, bei seiner Ankunft statt der befürchteten russischen Schiffe, zwei amerikanische und ein britisches, das allerdings unter portugiesischer Flagge agierte, vorzufinden. Gray und Kendrick waren aufgrund ihrer Überwinterung im

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Nootka Sound mit der Columbia und der Lady Washington früh in der Saison prä­ sent und die Iphigenia Nubiana war Me­ ares‘ Plan entsprechend ebenfalls sehr zeitig im Frühjahr aus Hawaii kommend im Nootka Sound eingetroffen. Martí­ nez duldete die amerikanischen Schiffe, forderte aber den Kapitän der Iphigenia Nubiana auf, den Sound zu verlassen und nicht wieder zu kommen. Dieser nahm die Verwarnung ernst und zog sich tat­ sächlich zurück. Martínez hatte in der Zwischenzeit das kleine Fort San Miguel in der Nähe von Yuquot errichten lassen, um den spanischen Ansprüchen Nach­ druck zu verleihen. Als am 8.  Juni die North West America eintraf, wurde sie von Martínez beschlagnahmt, in Santa Gertrudis la Magna umgetauft und für spani­ sche Erkundungen der Küsten eingesetzt. Am 24. Juni erklärte Martínez schließlich die gesamte Küste bis zum Prince William Sound offiziell zu spanischem Besitz. Am 2.  Juli 1789 spitzten sich die Ereignisse zu, als Thomas Hudson und James Col­ nett in der Bucht eintrafen. Beide waren jetzt im Auftrag der United Company (s. Kap.  21) tätig. Martínez forderte Hud­ son, der als erster mit der Princess Royal ankam, auf, unmittelbar das spanische Gebiet zu verlassen und nach China zu­ rückzukehren. Als James Colnett später in die Bucht segelte, beschlagnahmte Martínez Colnetts Schiff, die Argonaut, inklusive der chinesischen Arbeiter und des Materials, das Colnett mitgebracht hatte, um eine britische Niederlassung im Nootka Sound zu errichten. Nach einem heftigen Disput nahm Martínez

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Colnett gefangen und als Hudson in den Nootka Sound zurückkehrte, wurde auch sein Schiff beschlagnahmt. Im Laufe der Streitigkeiten während der sogenannten Nootka-Krise starb Chief Callicum durch eine spanische Kugel. Die genauen Um­ stände seines Todes sind nicht eindeutig geklärt (Arima 1983, S. 125, Inglis 2008, S. 338). Als der Amerikaner Simon Metcalfe im Oktober 1789 mit zwei Schiffen in den Nootka Sound einfuhr, weitete sich die Kontroverse aus. Zwar ließ Martínez die Befestigungen von Fort San Miguel niederreißen, beschlagnahmte aber eines der beiden amerikanischen Schiffe, das andere entkam nur knapp. Die beiden konfiszierten britischen Schiffe und das amerikanische wurden mit spanischen Offizieren bemannt und nach San Blas überführt. Die ursprünglichen Besatzun­ gen befanden sich noch als Gefangene an Bord. Das amerikanische Schiff wurde gleich im Frühjahr 1790 ohne große Um­ stände in die Freiheit entlassen (Pethick 1980, S.  22 f.). Die durch die Beschlag­ nahmung britischer Schiffe durch Mar­ tínez ausgelöste Nootka Krise brachte England und Spanien an den Rand eines Krieges. Insbesondere als John Meares in London eintraf und eine übertrie­ bene Darstellung der Ereignisse lieferte, begann man in Großbritannien mit der Aufrüstung der Marine. Spanien suchte die Zusammenarbeit mit dem verbünde­ ten Frankreich, das aber unter den Wir­ ren der Französischen Revolution litt und unter keinen Umständen Beistand in ei­ nem Krieg gegen Großbritannien leisten

INTERNATIONALE VERWICKLUNGEN

Abb. 36 The Spanish Insult to the British Flag at Nootka Sound. London 1791. Library of Congress Prints and Photographs Division Washington D.C. 20540 USA.

wollte. Spanien sah sich nicht in der Lage, alleine einen Krieg gegen Großbritannien zu führen und kehrte an den Verhand­ lungstisch zurück. Es dauerte bis Ende Oktober 1790 bis ein erstes Abkommen unterzeichnet werden konnte, das aber so vage gehalten war, dass es noch jahre­ langer Verhandlungen bedurfte, bis eine Einigung erzielt werden konnte (Pethick 1980, S. 23). Unbehelligt von all dem setzten die Amerikaner Kendrick und Gray ihre Handels- und Erkundungsfahrten im Be­ reich der Nordwestküste fort. Ende Juli

1789 tauschten sie ihre Schiffe, transfe­ rierten alle Felle auf die Columbia, mit der Gray nach Kanton segelte und dort die Felle verkaufte. Den Erlös setzte er in Tee um, den er nach Boston brachte. Auf dem Rückweg von Kanton nach Boston nahm Gray die Strecke um das Kap der Guten Hoffnung und führte damit die erste US-amerikanische Weltumsegelung durch (Busch und Gough 1997, S.  33; Inglis 2008, S.  141). Im August 1790 war Gray wohlbehalten zurück in Bos­ ton, während Kendrick vereinbarungs­ gemäß an der Nordwestküste geblieben

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

war und weiter Felle eingetauscht hatte. Auf den Queen Charlotte Islands kam es zu ­feindlichen Auseinandersetzungen zwischen Kendrick und den Haida, die dazu führten, dass die Haida den „Boston Men“, wie die amerikanischen Kaufleute an der Nordwestküste genannt wurden, im weiteren Verlauf der Handelsbezie­ hungen sehr negativ gegenüber einge­ stellt waren. Kendrick pendelte mehrfach zwischen der Nordwestküste, Macao und Hawaii. Er starb Ende 1794 auf völlig absurde Weise im Hafen von Honolulu: Der britische Kapitän William Brown war ebenfalls an der Nordwestküste in den Fellhandel involviert gewesen und hatte mehrfach auf Hawaii überwintert. Dort hatte er sich in einen lokalen Krieg eingemischt, dessen Ausgang mit Salut­

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schüssen gewürdigt werden sollte. Eine der Kanonen war versehentlich mit ei­ ner Schrotladung gefüllt. Da Browns und Kendricks Schiffe sehr dicht nebenein­ ander lagen, perforierte die Ladung die Seite der Lady Washington und führte zum Tod von John Kendrick, der sich gerade in seiner Kajüte aufgehalten hatte (Busch und Gough 1997, Ridley 2010). Kendrick und Gray hatten den Fellhan­ del zwischen den Neuenglandstaaten und der Nordwestküste eröffnet. Dieser wurde in den nächsten 30  Jahre aktiv betrieben und schon bald waren sehr viel mehr ame­ rikanische als britische Schiffe daran betei­ ligt. Die Amerikaner begannen den Han­ del zu dominieren, da sie ohne zu zögern Gewehre als Handelsware anboten. Dies hatte fatale Folgen für die Russen.

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MANAGER GESUCHT

Außergewöhnliche Seltenheit Wie bei den meisten Völkern des Nor­ dens gab es bei den Aleuten ebenfalls zwei Bootstypen, ein oben offenes für mehrere Personen und häufig für Transportzwe­ cke eingesetztes Boot (baidara) und ein geschlossenes mit Einstiegsloch für einen Jäger (baidarka). Die Abbildung zeigt ein sehr seltenes Modell einer aleutischen baidara (Abb. 37). Aus der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts sind weltweit nur vier Modelle von offenen Hautbooten der Aleuten bekannt. Bei dem hier abgebilde­ ten Modell handelt es sich um die beste Quelle zur Untersuchung der Bootsbau­ technologie der Aleuten (Anichtchenko 2012, S. 165). Die baidara ist relativ breit und flach und weist einen langen, löffel­ förmigen Bug auf. Die Haut wurde aus kleineren Stücken zusammengenäht, um zu zeigen wie beim Bootsbau in Origi­ nalgröße mehrere Seelöwenhäute zuge­ schnitten und verbunden wurden. Die Rahmenstücke sind sehr schmal und mit Sehnen oder Walbartenstücken verbun­ den, was die Konstruktion insgesamt sehr flexibel und biegsam macht. Das geringe Gewicht war typisch für solche Boote, mussten sie doch an Land getragen wer­ den. Lydia Black publizierte im Jahr 2003 ein Modell eines offenen Hautbootes mit Mannschaft, das viele ethnographische Details aufweist (Black 2003, S.  100).

Zwar entwickelten sich Bootsmodelle im 19.  Jahrhundert zu beliebten Souvenirs für Reisende, es heißt aber, dass es sie in der Vorkontaktzeit auch schon gegeben habe, und dass die Aleuten sie zu Hause aufbewahrten, um die sichere Heimkehr der Jäger zu gewährleisten (Black 2003, S.  99). Dass die Produktion solcher Modelle im Laufe des 19.  Jahrhunderts anstieg, zeigen die Sammlungen im Mu­ seum für Anthropologie und Ethnogra­ phie (Kunstkammer) in St.  Petersburg und im finnischen Nationalmuseum in Helsinki (Black 2003, S.  99). Größere Modellsammlungen in anderen Museen datieren allerdings ins letzte Viertel des 19.  Jahrhunderts, was noch einmal die Besonderheit der Göttinger und Olden­ burger Bestände verdeutlicht, stammen sie doch allesamt aus der frühen Kontakt­ zeit Ende des 18. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Waldemar Jochelson zufolge wurden die offenen Hautboote der Aleuten be­ nutzt, um größere Mengen von Lasten zu transportieren oder um mehrere Men­ schen zu offiziellen Besuchen oder be­ deutenden Festen in andere Siedlungen zu bringen. Bis zu 20 Personen fanden in solchen Booten Platz ( Jochelson 1933). Ursprünglich verwendeten die Aleuten Paddel, übernahmen aber recht bald von

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 37 „Baidara“ mit 10 Rudern und fünf Holzstreben zum Sitzen, Modell, Aleuten. Indigene Bezeichnung: nixalax. Material: Holz, Robbenleder. Maße: Länge 111 cm, Breite 41 cm, Höhe 18,5 cm. Länge eines Ruders 56 cm, Breite des Ruderblatts 2 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 1394 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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MANAGER GESUCHT

den Russen das Rudern. Die Ruderer sa­ ßen nun mit dem Rücken zum Anführer, das jedoch erschwerte die Kommunika­ tion. Anichtchenko sieht darin eine sicht­ bare und fast symbolische Abkehr von traditionellen Formen der Führung in der Gesellschaft der Aleuten (Anichtchenko 2015, S. 116). Der löffelförmige Bug fand

sich in ähnlicher Art auch bei den Boo­ ten der Küstenkorjaken Kamtschatkas. Ob es Kontakte und Beeinflussungen gab, ist vorerst mangels archäologischer Funde noch ungeklärt (Anichtchenko 2012, S.  169). Auch die halbunterirdi­ schen Häuser der Aleuten sind den Häu­ sern auf Kamtschatka ähnlich.

Alexander Baranow übernimmt die Leitung der russischen Kolonie Im Jahr 1790 fand der Fellhändler Scheli­ chow mit Alexander Baranow einen Mit­ arbeiter, der seine Interessen einer dau­ erhaften Besiedlung Russisch-Amerikas teilte und übertrug ihm die Leitung sei­ ner Handelskompanie auf der Insel Ko­ diak. Baranow stammte aus Kargopol im Nordwesten Russlands (ca. 350 km süd­ westlich von Archangelsk gelegen), wo er 1746 geboren wurde. Ohne formale Ausbildung gelang ihm dennoch der Aufstieg in die Handelskreise von Mos­ kau und St. Petersburg. Seinen wechseln­ den Interessen folgend widmete er sich der Herstellung von Glasperlen für den Handel mit der indigenen Bevölkerung, betrieb zeitweilig eine Distille, arbeitete als Steuereintreiber und eröffnete spä­ ter gemeinsam mit seinem Bruder ei­ nen Handelsposten am Fluss Anadyr im Gebiet der Tschuktschen. 1790 wollte Baranow sich eigentlich in seine Heimat­ stadt Kargopol zurückziehen, nachdem Tschuktschen die Niederlassung am Anadyr geplündert und zerstört hatten.

Baranows Versuch, die ausgehandelten Tauschbeziehungen mit den Tschukt­ schen durch List und Betrug zu seinen Gunsten zu verbessern, hatte unter an­ derem dazu beigetragen, den Unmut der Tschuktschen heraufzubeschwören (Ordubadi 2016, S.  150). In dieser Si­ tuation kam Schelichows Angebot, in Alaska tätig zu werden, gerade recht, half es ihm doch seine privaten Schwierigkei­ ten zu regeln. Er ließ seine Frau und die beiden Töchter finanziell abgesichert in Kargopol zurück und gab den adoptier­ ten Sohn in die Obhut seines Bruders. Jetzt konnte er unbeschwert nach Alaska reisen und war frei, sich auf die neue Aufgabe zu konzentrieren (Black 2004, S. 121–123). Am 15.  August 1790 einigten sich Schelichow und Baranow und schlossen einen detaillierten Vertrag. Als Assis­ tent wählte Baranow Iwan Kuskow aus Totma, mit dem er die folgenden 28 Jahre zusammenarbeiten würde (Black 2004, S. 121–122).

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Schiffbruch und Weiterreise in einer baidara Den Winter 1790/91 musste Baranow aufgrund eines Schiffsbruchs in der Kas­ hega Bay auf der Insel Unalaska (Aleuten) verbringen. Erst im nächsten Frühjahr konnte er in einer baidara (wie im Modell am Anfang des Kapitels vorgestellt) wei­ ter nach Kodiak reisen. Die sehr anstren­ gende und aufreibende Tour in der baidara dauerte fast zwei Monate (25. April bis 27. Juni). Kaum angekommen, stellte Baranow fest, dass die 1784 in der Three Saints Bay auf der südöstlichen Seite der Insel von Schelichow gegründete Ansied­ lung unbedingt verlegt werden musste, weil ein Erdbeben mit nachfolgendem Tsunami den Ankergrund so verändert hatte, dass Hochseeschiffe diesen Hafen nicht mehr nutzen konnten. Hinzu kam, dass es in der Umgebung der Häuser keine Wälder gab und damit Baumaterial fehlte. Baranow entschied, die Siedlung in die Chiniak Bay auf der nordöstlichen Seite der Insel zu verlegen und gab der neuen Ortschaft 1792 den Namen Pawlowsk zu Ehren des Kronprinzen Paul; heute be­ findet sich die moderne Stadt Kodiak an dieser Stelle (Black 2004, S. 141). Durch Ankunft und Wirken von Alexander Ba­ ranow kam es für die indigene Bevölke­

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rung, insbesondere für die Aleuten (auf den gleichnamigen Inseln), Alutiiq (Ko­ diak, östliche Alaska-Halbinsel, Prince William Sound, äußerer Cook Inlet) und Küstengruppen der Dena’ina (s. Kap. 40) zu erheblichen Veränderungen, selten zu deren Vorteil (Black 2004, S. 135). Pawlowsk blieb bis zum Verkauf Rus­ sisch-Amerikas im Jahr  1867 die zweit­ größte russische Siedlung in Alaska. Schon 1796 verfügte der St.  Paulshafen, wie er damals genannt wurde, über eine Kirche, Lager und Wohngebäude sowie Gemü­ segärten, in denen mit dem Anbau land­ wirtschaftlicher Produkte experimentiert wurde; man versuchte sogar Eisen zu ver­ hütten (Black 2004, S.  142). Schelichow und Baranow hatten großes Interesse an weiterer Expansion und der Gründung neuer Siedlungen, nicht zuletzt, um Groß­ britannien zuvor zu kommen. Je nach ihrer Herkunft gab es eindeu­ tige Unterschiede in der Vorgehensweise der Fellhändler. Russische promyschlenniki ließen Aleuten für sich jagen, wäh­ rend Engländer und Amerikaner sich dank ihrer bei Nootka und Tlingit be­ gehrten Tauschwaren darauf beschrän­ ken konnten, Felle einzutauschen.

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„BESCHREIBUNG DER TSCHUKTSCHI, VON IHREN GEBRÄUCHEN UND LEBENSART“

D

ie schmale, aus Leder gefertigte Tasche wird von zwei seitlichen Holzstangen in Form gehalten. Auf der Vorder­ seite bilden Lederapplikationen Längs- und Querstreifen (Abb. 38). Die Rückseite ist nicht verziert. Der rechteckige Köcher

konnte mittels zweier Riemen wie ein Rucksack auf dem Rücken getragen wer­ den (vgl. Rousselot und Grahammer 2004, S. 236–237; Rousselot 2009, S. 37). Auch James Cook waren die reichhaltig verzier­ ten Köcher der Tschuktschen aufgefallen:

„Diejenigen, die mit Pfeilen und Bogen zur Hand standen, hatten den Speer an einem ledernen Riemen über die rechte Schulter hangen. Ueber die linke hing ein lederner

Köcher mit Pfeilen. Einige von diesen Köchern waren von rothem Leder, sehr schön, und mit einer netten Stickerey und andern Zierrathen versehen. Ueberhaupt bemerkten

wir in mancher andern Rücksicht, und zumal an ihrer Kleidung, mehr Sinnreiches und Erfinderisches, als wir bey einem so nördlichen Volke vermuthet hätten.“

(Cook 1789, 3. Bd., S. 190)

Lebensweise der Tschuktschen Sowohl bei den Tschuktschen als auch bei den südlich von ihnen lebenden Kor­ jaken gab es eine charakteristische Auftei­ lung der Wirtschafts- und Lebensweise. Die Gruppen an den Küsten führten ein sesshaftes Leben und ernährten sich von der Jagd auf verschiedene Robbenarten, Walrosse und Wale. Im Landesinneren lebten die Tschuktschen als Nomaden von der Rentierhaltung mit halbdomes­ tizierten Rentieren. Neben Nahrung lie­ ferte das Ren auch Material für Kleidung

und Behausung. Die Rentiertschuktschen trugen mit ihrer Mobilität zum Kultur­ austausch zwischen den einzelnen, sehr isoliert gelegenen Küstensiedlungen bei . Neben den gegenseitigen Handelsbezieh­ ungen gab es verwandtschaftliche Bande zwischen den Küsten- und Inlandbewoh­ nern. Die Tschuktschen wohnten in Zel­ ten (Jarangas), deren Inneres noch ein extra abgeteiltes Schlafgemach (Polog) aufwies. Die Zelte sind kreisförmig im Grundriss, bis zur Hälfte zylinderförmig

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 38 Köcher, Tschuktschen. Material: Leder, Holz. Maße: 74 x 18 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – As 60 (Foto: Harry Haase).

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„BESCHREIBUNG DER TSCHUKTSCHI, VON IHREN GEBRÄUCHEN UND LEBENSART“

und laufen nach oben konisch zu. Die Konstruktion war bei den Küsten- und Inlandbewohnern die Gleiche, es wur­ den aber unterschiedliche Materialien verwendet. Im Inland benutzten die Tschuktschen Rentierfelle und an den Küsten Walrosshaut, um die Zeltstangen damit zu bedecken. Die Küstenbewohner gebrauchten ebenfalls Walrosshaut, um damit ihre Boote zu bespannen. Carl Heinrich Merck lebte als Teil­ nehmer der Billings-Sarytschew-Expe­ dition (s. Kap. 24) eine Zeitlang mit den Tschuktschen und teilte ihren Alltag. Auf diese Weise bekam er tiefen Einblick in

ihre Kultur. Er erwähnte die Tschuk­ tschen nicht nur in seinem Reiseta­ gebuch, sondern widmete ihnen eine ganze Abhandlung mit dem Titel: „Be­ schreibung der Tschuktschi . Von ihren Gebräuchen und Lebensart“ (Dahl­ mann, Ordubadi, Pivovar 2014). Es han­ delt sich dabei um das erste und ausführ­ lichste Dokument des 18.  Jahrhunderts zur Ethnologie der Tschuktschen. In früheren Berichten russischer Kosaken über die Tschuktschen war es lediglich um kriegerische Auseinandersetzungen und um das Problem der Steuereintrei­ bung gegangen.

Eine See-Expedition reist über Land Zu den vielfältigen Aufgaben der soge­ nannten Billings-Sarytschew-Expedition gehörte die Erforschung einer Durchfahrt zwischen der Mündung der Kolyma und der Beringstraße. Sollte dies aufgrund zu hohen Eisaufkommens nicht möglich sein, könne die Erkundung durchaus auch während einer Landreise erfolgen, hieß es in der Instruktion, die man Bil­ lings mit auf den Weg gegeben hatte (Or­ dubadi 2016, S. 188). Nachdem Billings den Sommer 1790 mit seinem Schiff Slawa Rossii in den Gewässern um die Aleuten verbracht hatte, beschloss er im folgenden Jahr mit der Erkundung der Tschuktschen-Halbinsel zu beginnen. Er landete Anfang August 1791 in der St. Lorenzbucht auf der Halbinsel Tschu­ kotka, d. h. dort, wo auch Cook bereits Tschuktschen begegnet war. Billings ver­

ließ gemeinsam mit Carl Heinrich Merck, dem Zeichner Luka Woronin und einigen anderen das Schiff, um die Halbinsel auf dem Landweg zu erkunden. Unterstützt wurden sie von dem Kosakenhauptmann Iwan Kobelew und einem getauften und bei Russen aufgewachsenen Tschukt­ schen, Nikolai Daurkin. Beide hielten sich bereits seit März 1790 auf Tschukotka auf, denn Billings hatte sie engagiert und vor­ aus geschickt, um die Tschuktschen auf die Ankunft des Schiffes vorzubereiten. Mit zahlreichen Geschenken hatten sie um einen sicheren Aufenthalt für die Expediti­ onsteilnehmer gebeten, die über Land rei­ sen und das Leben der nomadischen Ren­ tiertschuktschen kennen lernen wollten. Kobelew und Daurkin waren selbst zehn Monate lang mit nomadisierenden Ren­ tiertschuktschen unterwegs, was Eingang

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

in die mündlichen Überlieferungen der Tschuktschen fand. Die Nachricht über ei­ nen Kosakenhauptmann, der monatelang mit Tschuktschen umherzog, Geschenke verteilte und sogar von ihnen lernen wollte, wanderte schnell von einer Jaranga (Zelt der Tschuktschen) zur nächsten und

wirkte dem verbreiteten Misstrauen den Russen gegenüber entgegen (Ordubadi 2016, S. 194). Die Bemühungen waren er­ folgreich und die Tschuktschen willigten ein, Billings und seine Männer ins Landes­ innere mitzunehmen (Dahlmann, Ordu­ badi, Pivovar 2014, S. 20–21).

Zwischen zwei Kulturen – Nikolai Daurkin Nikolai Daurkin war als Sohn eines kor­ jakischen Vaters und einer tschuktschi­ schen Mutter im Jahr  1733 geboren worden. Er hatte wegen des korjakischen Vaters den Namen Tangitan erhalten, was Fremdling bedeutet. 1744 wurde der Junge von Major Pawluzki entführt und nach Jakutsk gebracht. Dort taufte man ihn Nikolai Iwanowitsch Daurkin und ließ ihn als Diener von Pawluzkis Gattin arbeiten. Er lernte nicht nur Russisch, sondern auch Lesen und Schreiben. Als junger Mann wandte er sich im Jahr 1760 an den Generalgouverneur Sibiriens, Soi­ monow, und bat ihn um Aufnahme in den russischen Militärdienst, um sich auf die­ sem Weg aus der Knechtschaft im Hause Pawlutski zu befreien. Soimonow erkannte das Potenzial des Tschuktschen und enga­ gierte ihn fortan als Übersetzer, Vermittler und Kartograph für unterschiedlichste Aufgaben (Ordubadi 2016, S. 67). Carl Heinrich Merck hatte eigens eine Instruktion von Peter Simon Pallas er­ halten (s. Kap. 24). Obwohl sie ihm viel

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abverlangte, wurde Merck Pallas‘ An­ forderungen in vollem Umfang gerecht. Merck sollte sich nicht nur auf Sprache und Lebensweise der angetroffenen Völker konzentrieren, sondern auch die geologischen und klimatischen Verhält­ nisse sowie die Pflanzen- und Tierwelt dokumentieren. Da Mercks Aufzeich­ nungen die ersten überhaupt über die Tschuktschen waren, haben sie einen großen historischen Wert (Dahlmann, Ordubadi, Pivovar 2014, S.  23). Derart frühe Beschreibungen ermöglichen es der Forschung, sich mit dem Wandel der Kulturen und den Veränderungen zu beschäftigen, die durch die fremden Ein­ flüsse ausgelöst wurden. Die nächsten gründlichen und ausgiebigen Forschun­ gen im Gebiet der Tschuktschen fanden erst zu Beginn des 20.  Jahrhunderts im Rahmen der Jesup North Pacific Expe­ dition statt. Diese hatte zum Ziel, die Beziehungen der Ethnien auf beiden Seiten der Beringstraße zueinander zu untersuchen.

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VERFLECHTUNG INDIANISCHER, SPANISCHER, ENGLISCHER, RUSSISCHER UND HAWAIIANI­ SCHER INTERESSEN

B

ei dieser Schale in Form eines Ro­ chens ist nicht eindeutig geklärt, ob sie von den Alutiiq auf Kodiak oder den Tlingit aus Nowo-Archangelsk (Sitka) stammt (Abb. 39). Feest (2008) zufolge führten die verstärkten Kontakte zwischen den indigenen Völkern der russischen Kolonie zur gegenseitigen Übernahme stilistischer Konventionen. So deuten die Reliefschnitzereien dieses Bildgefä­ ßes auf Einfluss der Tlingit hin, während die strichlierten Linien an der Innenseite und die rote Bemalung aus dem Formen­ repertoire der Alutiiq stammen. Schon in älteren Publikationen wurde unter Heranziehung von stilistischen Verglei­ chen vermutet, dass solche Gefäße auf

der Insel Kodiak von den Alutiiq herge­ stellt wurden. Da Iwan Antonowitsch Kuprejanow, aus dessen Sammlung die Schalen stammen, viel Zeit in Nowo-Ar­ changelsk verbrachte, spricht Haberland zufolge einiges dafür, dass Kuprejanow die Schalen von dort mitbrachte. Dies beinhaltet allerdings nicht zwingend eine Aussage über den Herstellungsort, da die indigenen Gruppen auch unter­ einander rege Handel trieben und es zu einem weiträumigen Austausch diverser Gebrauchsgegenstände kam (Haberland 1979, S. 212). Möglicherweise sind Scha­ len dieses Typs tatsächlich Resultate der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung, was die Zuordnung so schwierig macht.

Die Tlingit – ähnlich wehrhaft wie die Tschuktschen Bei den Tlingit handelt es sich um die nördlichste der indianischen Gruppen an der amerikanischen Nordwestküste. Zu einer ersten Begegnung zwischen Russen und Tlingit war es bereits 1741 während Vitus Berings Zweiter Kamtschatka-Ex­ pedition gekommen. Alexei Tschirikow, Kapitän der St. Paul, schickte einige seiner Männer, auf dem Territorium der Tlingit,

an Land um Wasser zu holen - die Män­ ner kamen nie zurück, und ihr Schicksal ist bis heute ungeklärt (Dauenhauer und Black 2008, S. XXIII). Schätzungen zufolge lebten während der frühen Kontaktzeit ca. 10.000 Tlin­ git an den Küsten zwischen der Yakutat Bay und dem Alexander-Archipel (Inglis 2008, S.  318). Ähnlich wie die Nootka

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 39 Schale, Alutiiq oder Tlingit, Alaska. Material: Holz mit dunkelroter und schwarzer Farbe bemalt. Maße: Länge 48 cm, Breite 24,8 cm, Höhe 7,2 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 221 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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VERFLECHTUNG UNTERSCHIEDLICHER INTERESSEN

lebten sie in Dörfern aus großen Planken­ häusern und verfügten Dank ergiebigen Fischfangs über stabile Nahrungsquel­ len. Die Gesellschaft der Tlingit bestand aus zwei exogamen Stammeshälften, einer Raben- und eine Wolfshälfte (bei manchen Gruppen eine Adlerhälfte). Exogam bedeutete, dass ein Heiratspart­ ner unbedingt aus der anderen Hälfte stammen musste, die Zuordnung er­ folgte über die mütterliche Linie. Die Stammeshälften wiederum setzten sich aus ebenfalls exogamen, matrilinearen Abstammungsgruppen (Klanen) zusam­ men. Jedem Klan gehörte ein bestimm­ tes Territorium, das die Rechte an den natürlichen Ressourcen einschloss. Dies erklärt, warum die ankommenden Euro­ päer für alles, was sie der Natur (vor al­ lem Holz, Fische etc.) entnahmen, dem Klan eine Gegenleistung liefern mussten, bzw. zumindest um Erlaubnis zu fragen hatten (Kan 1989, S.23). Darüber hinaus verfügte jeder Klan über symbolischen Besitz wie Wappen, Mythen der Vor­ fahren, Lieder, Tänze sowie vererbbare Namen und Titel. Die meisten Klane bestanden aus mehreren Unterklanen mit eigenen Wappentieren. Die kleinste soziale Einheit bildeten die Bewohner eines Hauses, die über die mütterliche Linie miteinander verwandt waren. Jedes Haus besaß seinen eigenen Vorstand und eigene Wappen (Kan 1989, S. 23 f.). Tlingit ist eine Eigenbezeichnung und bedeutet in etwa ‚Mensch‘, oder ‚Volk‘. In russischen Quellen wurden die Tlin­ git durchgehend als Koloshi bezeichnet, woraus in den deutschen Übersetzungen

Abb. 40 Tomás de Suria. Frau (Tlingit) mit Lippenpflock.

Koloschen wurde. Der Begriff geht ver­ mutlich auf große, löffelförmige Lippen­ pflöcke in der Unterlippe zurück, die nur von Frauen getragen wurden. Sie konn­ ten aus Holz, Knochen oder Stein sein und hießen kaluzhka. Diese Bezeichnung lässt sich auf das aleutische Wort kaluga zurückverfolgen, das ‚Holzgefäß‘ bedeu­ tet. Die auf den aleutischen Inseln tätigen Russen übernahmen diese Bezeichnung wahrscheinlich von den Aleuten (Grinev 2005, S.  22). Umgekehrt bezeichneten die Tlingit die Russen als kushekuan (= Leute der fernen Wolken). Da die Tlingit an den Innenpassagen zwischen den Inseln lebten, kamen sie später als die an der Außenseite von Van­ couver Island lebenden Nootka in dauer­ haften Kontakt mit den Handelsschiffen.

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Die spanische Antwort auf James Cook – Alessandro Malaspina Im Jahr 1788 konzipierten die zwei jun­ gen hoch angesehenen spanischen Ma­ rineoffiziere, Alessandro Malaspina und José Bustamente, eine wissenschaftlichpolitische Weltumsegelung zur Inspek­tion der spanischen Kolonien. Ihr Vorschlag wurde noch im selben Jahr angenom­ men und man ließ eigens dafür zwei neue Schiffe bauen, die Descubierta (Malaspina) und Atrevida (Bustamente). Es sollten angesehene Gelehrte von Eu­ ropa mitreisen, einer davon war Thad­ däus Haenke, der allerdings erst Anfang April 1790 in Santiago de Chile an Bord gehen konnte, weil er das Schiff in Cádiz knapp verpasst hatte (Olson 2004). Erst­ mals waren auch ausgebildete Künstler mit an Bord einer spanischen Expedition, unter ihnen Tomás de Suria, von dem das in Kap. 20 abgebildete Porträt des Chiefs Maquinna stammt. Die Expedition verließ Spanien Ende Juli 1789 und stattete zunächst den spa­

nischen Kolonien in Südamerika und Mexiko Besuche ab. Die Nordwestküste erreichte sie im Sommer 1791 und ver­ brachte zehn Tage in der Yakutat-Bucht. Die Tlingit hießen die Spanier willkom­ men und freuten sich über neue Möglich­ keiten des Handels. Der Kontakt zwischen Spaniern und Tlingit verlief weitgehend friedlich. Lediglich vereinzelt gab es Span­ nungen, die daraus resultierten, dass die Tlingit alles Eisen beanspruchten, das die Expedition besaß, und auch vor Dieb­ stahl nicht zurück schreckten. Die Spanier hingegen nahmen sich, ohne zu fragen, Wasser und Holz und beachteten dabei ihrerseits nicht, dass ihr Verhalten von den Tlingit als gewaltsame Verletzung von pri­ vatem Eigentum, also als Raub empfunden wurde (Olson 2004, S.  34). Nach einem kurzen Aufenthalt in Nootka wandte sich die Expedition anderen Weltregionen zu und kehrte erst im September 1794 nach Spanien zurück (Rigby et al 2005, S. 93).

Fortsetzung von Cooks Suche nach der Nordwestpassage – George Vancouver George Vancouver, der an Cooks zweiter und dritter Reise teilgenommen hatte, erhielt in den  Jahren 1791 bis 1795 ein eigenes Kommando. Seine Expedition hatte die Kartierung der amerikanischen Nordwestküste, die Suche nach dem Ein­ gang zur Nordwestpassage sowie weitere Verhandlungen mit Spanien wegen des Konflikts um den Nootka Sound zum

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Ziel. Sie bestand aus zwei Schiffen, der neu gebauten Discovery und der von Wil­ liam Broughton befehligten Chatham. Als Naturkundler reiste der Marinearzt Archibald Menzies an Bord der Discovery mit. Menzies war bereits mit James Col­ nett an der amerikanischen Nordwest­ küste gewesen und genoss die Protektion von Sir Joseph Banks. Banks – inzwischen

VERFLECHTUNG UNTERSCHIEDLICHER INTERESSEN

Präsident der Royal Society – setzte Men­ zies Teilnahme an der Expedition gegen Vancouvers Willen durch. Insgesamt hielt Vancouver sich drei Sommer lang an der Nordwestküste auf (1792, 1793, 1794) und kartierte jede auch noch so winzige Bucht oder Öffnung. Im Sommer 1792 umrundete Vancouver die Insel, die später nach ihm benannt wurde und lieferte damit den Beweis für den Inselcharakter der Land­ masse nördlich der Juan de Fuca Straße. Dabei entdeckte er den Puget Sound und erkundete den Burrard Inlet, an dem sich heute die Stadt Vancouver befindet. Er traf auf zwei kleine spanische Schiffe, Sutil und Mexicana, von deren Besatzung er erfuhr, dass Don Francisco de la Bo­ dega y Quadra im Nootka Sound auf ihn wartete, um die Nootka Krise durch wei­ tere Verhandlungen endlich beizulegen (Rigby et al. 2005, S. 108). Ende August fand Vancouver sich im Nootka Sound ein und begann mit Bodega y Quadra nach einer Lösung des Konflikts zu su­ chen. Die Verhandlungen fanden zwar in freundschaftlicher Atmosphäre statt, zogen sich aber bis zum 22.  September 1792 hin und führten zu keinem Ergeb­ nis (Bown 2008, S.  152–156). Vancou­ ver schickte Zachary Mudge, den ersten Leutnant der Discovery und Broughton auf unterschiedlichen Wegen nach Eng­ land zurück, um Bericht zu erstatten und neue Befehle bezüglich des weiteren Vor­ gehens zu erfragen. Obwohl er noch zwei weitere Sommer an der Nordwestküste Kartierungsarbeiten durchführte, erhielt er nie eine Antwort mit weiteren Direkti­

ven. Den März 1793 verbrachte Vancou­ ver in Hawaii und knüpfte intensive Kon­ takte zu König Kamehameha I . Letzterer übergab Vancouver seinen Federmantel als Geschenk für den britischen König und ermahnte ihn eindringlich, dass nie­ mand anders als der König, den Umgang tragen dürfe (Cordy 2003, S. 157; Bown 2008, S. 169). Zurück an der Nordwest­ küste entging Vancouver im Sommer 1793 nur knapp einem Angriff von Tlin­ git im Behm Canal. Diesen Wasserweg hatte Vancouver nach dem Gouverneur von Kamtschatka, Magnus von Behm, benannt, den er 1779 auf dem Rückweg von dem zweiten Vorstoß nach Norden, während eines längeren Aufenthalts auf Kamtschatka kennen gelernt hatte. Vom 8. Januar 1794 an hielt Vancouver sich erneut für sechs Wochen auf Hawaii auf und schloss in dieser Zeit eine Verein­ barung mit König Kamehameha  I . , die von beiden Seiten sehr unterschiedlich in­ terpretiert wurde: Kamehameha I . wollte sich der Protektion der Briten gegenüber den Übergriffen ausländischer Schiffsbe­ satzungen versichern und erhoffte sich außerdem Unterstützung im Kampf gegen seine Rivalen. Vancouver hingegen war der Ansicht, die Insel O‘ahu offiziell für Großbritannien in Besitz genommen zu haben. Er ließ den Union Jack hissen und übergab Kamehameha I . anlässlich dieser Zeremonie eine Gedenktafel aus Kupfer (Bown 2008, S.  191). Da die Nachricht über die britische Inbesitznahme von O‘ahu nie nach Großbritannien gelangte, hatte sie keinerlei Bedeutung für den wei­ teren Verlauf der Ereignisse (s. Kap. 36).

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GRÜNDUNG DER RUSSISCHAMERIKANISCHEN KOMPANIE (RAK)

D

ie baidarkas der Aleuten unter­ schieden sich von den kajaks der Nachbarvölker durch den gegabelten und aufgebogenen Bug, der das Reiten über die Wellen erleichterte. Außerdem waren sie erheblich länger als die kajaks der Inuit. Während der Waljagd wagten die Aleuten sich in ihren baidarkas weit hinaus aufs Meer, was erhebliches Ge­ schick erforderte. Der gekonnte Umgang

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mit den Booten machte sie für die Russen zu unentbehrlichen Jägern bei der Seeot­ terjagd (vgl. Luehrmann 2008). Die Ale­ uten waren die einzigen im Nordpazifik, die Wale mit vergifteten Pfeilen von der baidarka aus jagten. Als Gift für die Har­ punenspitzen verwendeten sie Eisenhut (Aconitum), was bei den verwundeten Walen zu einer Atemlähmung und inner­ halb von zwei bis drei Tagen zum Tod des

Abb. 41 „Baidarka“ mit drei Sitzluken, Modell, Aleuten. Material: Leder, Holz. Maße: Länge 105 cm, Breite 15 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 1389 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

Wals führte. Andere Gruppen, wie die Inu­piat im Norden Alaskas nutzten grö­ ßere Boote (umiaks), wenn sie auf Wal­ jagd gingen. Bei den Aleuten war der Bruder der Mutter für die Unterweisung der Jungen im Umgang mit dem Boot zuständig. Das Training erfolgte zunächst in zweisitzigen baidarkas, so dass die Heranwachsenden in Begleitung eines erfahrenen Jägers aufs

Meer hinausfahren konnten. Außerdem erforderte die Einführung von Jagdge­ wehren eine zweite Person im Boot, um die baidarka nach dem Schuss stabil auf dem Wasser zu halten, wenn sie aufgrund des Rückstoßes der Waffe ins Schwanken geriet (Liapunova 1996, S. 109). Die Be­ deutung des Boots für die Aleuten zeigt sich auch in der Tatsache, dass ein Junge mit dem Bau seiner ersten eigenen bai-

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

darka erwachsen wurde und als heirats­ fähig galt. Während der russischen Kolonialzeit begannen die Aleuten dreisitzige baidarkas anzufertigen. Dies wurde nötig, da kaum ein Russe lernte, mit dem langen

schmalen Boot umzugehen. Die dreisit­ zigen baidarkas dienten zum Transport eines, meist russischen Passagiers, der in der Mitte Platz nahm, während vorne und hinten jeweils ein Aleute saß und paddelte.

Schelichows Traum vom Monopol – Politik contra wirtschaft­ liche Interessen Zwei Jahre nach der Gründung der Sied­ lung auf der Insel Kodiak (s. Kap.  18) war Schelichow zum bedeutendsten Fell­ händler des Russischen Reichs aufgestie­ gen. Er verließ Kodiak im Jahr 1786 und reiste nach St. Petersburg, um von Zarin Katharina  II. ein Handelsmonopol für das russische Amerika zu erbitten. Er war der Meinung, dass Russland unbe­ dingt eine starke mit staatlicher Unter­ stützung operierende Handelsgesell­ schaft brauche, um sich der englischen und amerikanischen Konkurrenz erweh­ ren zu können. Schelichow träumte von einem Monopol nach dem Vorbild der britischen East India Company oder der Hudson’s Bay Company (Black 2004, S. 106). Noch hielten sich die britischen und amerikanischen Händler südlich der russischen Stützpunkte auf, man rechnete aber mit einer Ausdehnung

ihrer Aktivitäten nach Norden. Eine zu­ sätzliche amerikanische Bedrohung sah Schelichow in der Person von John Le­ dyard (s. Kap. 25). Zwar verwies die Za­ rin Ledyard des Landes, das staatlich un­ terstützte Handelsmonopol verweigerte sie aber aus strategischen Gründen. Sie konzentrierte sich auf den Krieg gegen das Osmanische Reich (1787–1792) und wollte unter allen Umständen ver­ meiden, am östlichen Rand Russlands eine weitere Front zu eröffnen. Auch seine recht guten Kontakte zum Zaren­ hof nutzten Schelichow in dieser Ange­ legenheit vorerst nichts. Immerhin ge­ lang es ihm im Jahr  1794, seine älteste Tochter im Alter von erst 14 Jahren mit Nikolai Resanow zu verheiraten, der aus adeligen Verhältnissen stammte und die Kontakte der Familie Schelichow zum Zarenhof weiterhin verbesserte.

Natalja Alekseewna Schelichowa spinnt solide Fäden Schelichows Frau, Natalja Alekseewna Schelichowa, brachte fünf Töchter und drei Söhne zur Welt. Zwei ihrer Söhne

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starben allerdings bereits im Kindesalter (Black 2004, S. 105). Als Schelichow im Juli 1795 plötzlich starb, zeigte sich, dass

GRÜNDUNG DER RUSSISCH-AMERIKANISCHEN KOMPANIE (RAK)

sie zu den starken und einflussreichen Frauen in der russischen Geschichte ge­ hörte. Sie setzte sich gegen diverse Intri­ gen durch und richtete eine Anfrage an die Zarin, um das Erbe ihres Mannes an­ treten und die Handelsgesellschaft wei­ terführen zu dürfen. Die Konkurrenten hätten lieber gesehen, wenn das gesamte Handelsimperium zerfallen wäre, aber durch geschickten Einsatz, vermehrte sie sogar noch das Kapital. Mit dem Tod von Zarin Katharina II. im Jahr  1796 änderte sich die Situation für die Fellhändler grundlegend, was im Sommer 1797 zum Zusammenschluss aller in Russisch-Amerika tätigen Fell­ handelsgesellschaften unter dem Namen „Vereinigte Amerikanische Gesellschaft“ führte. Über die verworrenen Umstände und verschiedenen Sichtweisen zur Grün­ dung dieser Gesellschaft siehe: Starr 1987, S.  52–60, Littke 2003, S.  120, Black und Petrov 2010, S. 79–81.

Unter Zar Paul I . gelang es Schelichows Schwiegersohn, Resanow, in höhere Äm­ ter aufzusteigen. Und im Jahr 1799 sprach Zar Paul  I. der Vereinigten Amerikani­ schen Gesellschaft endlich das lange er­ sehnte Monopol zu. Fortan nannte sich die Gesellschaft Russisch-Amerikanische Kompanie (RAK). Die Charta wurde zu­ nächst mit einer Gültigkeit von 20 Jahren ausgestellt und schließlich am 13.  Sep­ tember 1821 um weitere 20 Jahre verlän­ gert. Nikolai Resanow fungierte als erster Direktor der RAK. Es handelte sich dabei um eine von der Regierung kontrollierte Aktiengesellschaft nach Art der alten überseeischen Kompanien Hollands und Englands (Amburger 1966, S. 368), in die auch die Zarenfamilie investierte. Da es Natalja Alekseewna Schelichowa gelang, drei weitere ihrer Töchter an angesehene Männer zu verheiraten, die sich ebenfalls aktiv an der RAK beteiligten, blieb der Einfluss der Familie Schelichow auf die RAK recht stark (Black 2004, S. 105).

Gliederung und Struktur der RAK Der RAK wurden alle vom Russischen Reich besetzten Gebiete nördlich des 55. Breitengrades zugesprochen. Sie erhielt die Erlaubnis neu entdeckte Inseln im Nordpazifik in Besitz zu nehmen, sofern noch kein anderer Staat Ansprüche darauf erhob. Allen privat operierenden promyschlenniki wurde  – wenn sie nicht in die Kompanie eintraten  – verboten Pelztiere zu jagen, sich am Handel zu beteiligen oder neue Inseln zu suchen. Eine Missach­

tung des Verbots hatte die Konfiszierung des gesamten Eigentums zur Folge (Maka­ rova 1975, S. 163). Die RAK durfte fortan in Staatswäldern Holz schlagen und Waf­ fen aus den staatlichen Arsenalen erwer­ ben. Im Gegenzug oblag ihr die Verpflich­ tung zur weiteren Kolonisierung Alaskas und damit verbunden die Bekehrung der indigenen Bevölkerung zur Orthodoxie. Die RAK sollte auch weiter im Süden Siedlungen gründen, ohne allerdings da­

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

durch Konflikte mit anderen Staaten zu provozieren. Die Verwaltung vor Ort lag weiterhin in den Händen von Alexander Baranow. Die Jagd auf Seeotter war eine Kunst, die für die russischen Jäger kaum zu er­ lernen war. Die Tiere mussten auf offener See von der baidarka aus mit Harpunen erlegt werden, was nur die Aleuten und Alutiiq gut beherrschten. Um sich ihrer Arbeitskraft zu versichern, ohne stän­ dig Waffengewalt anwenden zu müs­ sen  – über Handelsgüter als Anreiz ver­ fügte die RAK nicht in ausreichender Menge – wurde ein System der Zwangs­ verpflichtung indigener Jäger etabliert. Dieses kombinierte die Androhung von Gewalt mit diplomatischen Beziehun­ gen zu hochgestellten Familien und die Kontrolle über wichtige Wirtschaftsgü­ ter. Kurz zusammengefasst, mussten die

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Aleuten für die Russen Seeotter jagen und erhielten als Entgelt für ihre Arbeit Kleidung und Seelöwenhäute für die Be­ spannung ihrer Boote. Die als Lohn an die Männer verteilte Kleidung wurde von ihren Frauen im Auftrag der RAK herge­ stellt. Als Bezahlung durften die Frauen lediglich die Nadeln behalten, die ihnen für die Arbeit zur Verfügung gestellt wur­ den (Luehrmann 2008, S. 107). Den russischen Arbeitern auf den Stützpunkten ging es nicht viel besser. Die Schiffspassagen zwischen RussischAmerika und St.  Petersburg waren für Offiziere frei . Die Arbeiter mussten für ihre Heimreise bezahlen, was viele bei Vertragsabschluss nicht bedachten und darum fast ohne Ersparnisse in die Hei­ mat zurückkehrten oder sehr viel länger bleiben mussten als geplant, weil sie die Rückreise nicht finanzieren konnten.

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AUSEINANDERSETZUNGEN ZWISCHEN RUSSEN UND TLINGIT

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ieses Bootsmodell stammt vermut­ lich von den Tlingit, obwohl es in seiner Form, vor allem was den Bug anbe­ langt, den Kanus der südlich angrenzend lebenden Haida ähnelt (Abb. 42). Das ganze Kanu wurde als Wolf aufgefasst: der plastische Kopf am Bug und der – für den Wolf typisch – nach oben gebogene Schwanz am Heck deuten darauf hin (Haberland 1979, S. 216). Das Kanu ist außen schwarz und weiß bemalt und in­ nen rot mit kaum noch sichtbaren weißen Punkten. George Dixon, Lapérouse und

James Colnett äußerten sich in ihren Rei­ seberichten bewundernd über die Kanus der Tlingit und ihren geschickten Um­ gang damit. Die Tlingit verfügten über Kanus in drei Größen, wobei die kleinen beim Fischfang und der Jagd auf Robben eingesetzt wurden. Die Kanus mittlerer Größe dienten zum Reisen und für Han­ delsexpeditionen, während die größten Boote im Krieg Verwendung fanden. In der Form waren sich die drei Bootstypen, mit dem hochgezogenen Bug und Heck, ähnlich.

Michailowski Ostrog Da bereits kurz nach seiner Ankunft auf Kodiak im Jahr  1790 die Seeotterbe­ stände zurückgingen, versuchte Alexan­ der Baranow die russischen Aktivitäten weiter nach Süden auszudehnen. Dabei kam es schon während der ersten Erkun­ dungstouren zu Angriffen der Tlingit von ihren Kriegskanus aus, da sie es als erheb­ lichen Eingriff in ihre territorialen Rechte empfanden, wenn aleutische Jäger unter Aufsicht russischer promyschlenniki in ihren Lebensraum eindrangen, um See­ otter zu jagen. Die Situation spitze sich Ende der 1790er  Jahre so zu, dass die aleutischen baidarkas in den Jahren von

1797 bis 1799, wenn sie ins Gebiet der Tlingit eindrangen, von kanonenbewaff­ neten Schiffen eskortiert wurden, um sie gegen die Angriffe der Tlingit zu schüt­ zen (Black 2004, S. 145, S. 155). Mehrere Gründe veranlassten Bara­ now zur Gründung eines russischen Forts auf Sitka Island (heute Baranof Island). Um das reichhaltigere Vorkommen von Seeottern im Siedlungsgebiet der Tlin­ git nutzen zu können, war jeweils eine weite und in baidarkas mühsame Anreise von Kodiak aus nötig. Ein Stützpunkt vor Ort würde die Arbeit erheblich er­ leichtern. Darüber hinaus galt es, die

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 42 Bootsmodell, Tlingit. Material: Holz. Maße: Länge 96 cm, Breite 14,3 cm, Höhe 14 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg; Sammlung Kuprejanow – Inv. Nr. 1393 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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AUSEINANDERSETZUNGEN ZWISCHEN RUSSEN UND TLINGIT

amerikanische und europäische Konkur­ renz um die Seeotter sowie um die Indi­ aner als Handelspartner besser im Blick zu haben. Nach dem britischen Auftakt dominierten inzwischen amerikanische Kaufleute mit ihrem forscheren Vorgehen den Fellhandel. Schon im Jahr  1791 wa­ ren sieben amerikanische Schiffe an der Nordwestküste aktiv gewesen (Gibson 1992, S. 28–35, Malloy 1998, S. 27). Die Tlingit ließen sich gerne auf den Handel mit ihnen ein, boten sie doch Gewehre mit Munition, Kanonen, Rum, Kleidung, Knöpfe, Perlen und Metall als Handels­ waren an. Da die Russen bei diesem Wa­ renangebot nicht mithalten konnten, waren sie weiterhin auf die Ausbeutung der Aleuten nach dem in Kapitel 31 be­ schriebenen Muster angewiesen. Alkohol war immer Mangelware in den russischen Außenposten, was im Laufe der Zeit zu so manchem (illegalen) Tauschgeschäft zwi­ schen den promyschlenniki und der ame­ rikanischen Konkurrenz führte. Waffen gaben die Russen bewusst nicht an die in­ digene Bevölkerung ab, um sich selbst vor indigenen Angriffen zu schützen und sie sahen es nicht gerne, wenn Amerikaner

dies taten. Die fremden Schiffsbesatzun­ gen griffen auch zu brutaleren Methoden wie der Geiselnahme einzelner ranghoher Persönlichkeiten. Die Geiseln wurden nur gegen die Zahlung mehrerer Seeotterfelle frei gelassen (Grinev 2005, S. 108). Baranow begann auf Sitka Island mit Chiefs aus beiden Stammeshälften der Tlingit zu verhandeln und behauptete, dass sie als Gegenleistung für Handel und Beistand gegenüber gemeinsamen Fein­ den mit einer ständigen russischen Sied­ lung einverstanden seien, obwohl das Gegenteil der Fall war. Die Tlingit waren unter keinen Umständen bereit, eine dau­ erhafte Ansiedlung der Russen in ihrem Gebiet zu dulden. Dennoch begann Ba­ ranow im Juli 1799, im Jahr  der Grün­ dung der RAK, mit dem Bau eines neuen Stützpunktes, der im Laufe des  Jahres 1800 offiziell eingeweiht und Michailow­ ski Ostrog genannt wurde. Die Leitung des neuen Postens übertrug er Wassili Medwednikow. Die Tlingit machten mit Nachdruck deutlich, dass sie diese Sied­ lung nicht haben wollten, und so war das russische Fort auch nur von kurzer Dauer (Grinev 2005, S. 116–132).

Angriff der Tlingit auf das russische Fort – 1802 Baranow war sich durchaus bewusst, dass die Russen in Michailowski in der Unterzahl gegenüber den Tlingit waren und instruierte Medwednikow, Konflikte mit den Tlingit möglichst zu vermeiden (Dauenhauer & Black 2008, S.  XXIX). Anfangs schien alles gut zu funktionie­

ren, wenngleich Medwednikow öfter die Kontrolle über die riesigen, hauptsächlich von Alutiiq gebildeten sommerlichen Jagd­ gruppen entglitt. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen, gegenseitigen Angriffen und Missverständnissen. Bei­ spielsweise „heirateten“ russische Männer

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Frauen der Tlingit, ohne den Brautpreis zu bezahlen, d. h. ohne Geschenke zu geben, was seitens der Tlingit als heftige Beleidigung aufgefasst wurde. Vermutlich haben der Ärger wegen der Übergriffe einerseits und die Verfügbar­ keit von bei amerikanischen Händlern erworbenen Gewehren andererseits zur Entscheidung der Tlingit beigetragen, das russische Fort im Jahr 1802 anzugreifen. Russische Dokumente und mündliche Überlieferung der Tlingit berichten glei­ chermaßen, dass der Überraschungsan­ griff an einem Sonntag erfolgte, weil zu diesem Zeitpunkt nur 16 Männer zur Verteidigung anwesend waren. Die Tlin­ git näherten sich von See aus in Kriegs­ kanus und gleichzeitig von Land durch den Wald. Der russische Wachposten, der Schmied des Forts, fiel dem Angriff als erster zum Opfer. Es heißt, der berühmte Tlingit Kriegsführer K’alyáan habe das

Kommando geführt, den Schmied ge­ tötet und seinen Hammer als wichtige Trophäe mitgenommen (Dauenhauer  & Black 2008, S. XXX). Die Tlingit steckten das russische Hauptgebäude in Brand, retteten aber die dort gelagerten Felle. Es gab mehrere Tote unter den Russen und anwesenden Aleuten, 3.000 Seeotter­ felle wurden gestohlen und ein Schiff der RAK versenkt. Die Attacke der Tlingit zeigte, dass die Beziehungen zwischen Tlingit und Rus­ sen völlig anders verliefen als zwischen Aleuten bzw. Alutiiq und Russen. Die Tlingit erwiesen sich als äußerst wehrhaft und konnten im Kampf gegen die uner­ wünschten Eindringlinge auf ein komple­ xes Gefüge von Allianzen und gegensei­ tigen Verpflichtungen zurückgreifen das durch das Eintauschen schlagkräftiger Waffen bei den amerikanischen Händ­ lern ergänzt wurde.

Maquinnas Zorn Zu Beginn des 19.  Jahrhunderts wehr­ ten sich aber nicht nur die Tlingit. Auch bei den Nootka weiter südlich sorgte Chief Maquinna im März 1803 für Empörung: Er griff das amerikanische Handelsschiff Boston an, das Eignern aus Massachusetts gehörte, und er­ mordete die gesamte Crew bis auf den englischen Schmied John Jewitt und den amerikanischen Segelmacher John Thompson. Das gekaperte Schiff ließ er niederbrennen. Jewitt und Thomp­

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son lebten zweieinhalb  Jahre als Skla­ ven Maquinnas im Nootka Sound, bis sie von einem anderen amerikanischen Schiff gerettet und im Mai 1807 zurück nach Boston gebracht wurden. Jewitts Geschichte wurde berühmt, weil er nach seiner Rückkehr sein Tagebuch veröffentlichte. Seither ist der Bericht über seine Erlebnisse in vielen, teilweise reichhaltig illustrierten Neuauflagen erschienen (s. z. B. Jewitt und Stewart 1987; Shurcliff und Shurcliff 1993).

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VERSORGUNGSPROBLEME IN DER RUSSISCHEN KOLONIE

D

er hier abgebildete Beutel wurde aus dünner, schuppenfreier Fischhaut hergestellt und in Längsstreifen aneinan­ der genäht (Abb. 43). Zur Verstärkung der Nähte wurden dunkelrote, schmale Lederstreifen eingearbeitet (Paspel-Näh­ weise). Fischhaut ist ein leichtes, etwas fetthaltiges und biegsames Material, lässt sich gut falten und war immer in ausrei­ chender Menge vorhanden, nicht zuletzt deshalb, weil kein kommerzielles Inter­ esse daran bestand. Wahl und Anord­ nung der Fischhäute bilden ein dekorati­ ves Muster. Am oberen Rand konnte der Beutel mittels einer Schnur aus Sehnen verschlossen werden. Zur Verzierung wur­ den kleine Fransen angebracht. Da Fisch­ haut Wasser abweisend ist, blieb der Inhalt des Beutels gegen Feuchtigkeit geschützt. Die Beringmeerküste Alaskas wird als Herkunftsregion des Beutels angegeben, eine ethnische Zuordnung fehlt leider. Aber genau dieser Beutel ist in einer Veröf­ fentlichung aus dem Jahr 1812 abgebildet, nämlich in der Reisebeschreibung Georg Heinrich von Langsdorffs (s. Abb. 44). Georg Heinrich von Langsdorff stammte aus Wöllstein (Rheinhessen) und studierte

ab Oktober 1793 Medizin und Naturwis­ senschaften an der Georg August Uni­ versität in Göttingen. Vermutlich stat­ tete er während seiner Studienzeit auch dem Academischen Museum der Göttin­ ger Universität einen Besuch ab. Dort sah er höchstwahrscheinlich bereits Ob­ jekte aus der Nordpazifikregion, waren doch die ersten Sendungen von Aschs mit Ethnographika vom nordöstlichen Rand des Russischen Reiches schon um 1790 eingetroffen. Langsdorff gehörte in Göttingen zu den Schülern des berühm­ ten Professors für Medizin und Naturge­ schichte Johann Friedrich Blumenbach, der ab 1776 Unteraufseher im Academischen Museum war und damit das An­ recht hatte, die Sammlungen in seine Forschungen und in die Lehre einzubin­ den. Blumenbach weckte Langsdorffs Interesse an der Natur. Nach Abschluss seines Studiums hielt Langsdorff sich mehrere Jahre in Portugal auf. Von dort aus knüpfte er Kontakte zur russischen Akademie der Wissenschaften und be­ warb sich zur Teilnahme an der ersten russischen Weltumsegelung, sobald er von ihrer Planung gehört hatte.

Die erste russische Weltumsegelung von 1803–1806 Die Ausstattung der russischen Außen­ posten in Amerika mit Gebrauchsgütern,

Lebensmittel, Verwaltungspersonal und russischen Arbeitern war von Beginn an

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Abb. 43 Kleiner Beutel, ethnische Zuordnung unsicher. Material: Fischhaut. Maße: Höhe 26 cm, Durchmesser oben 23 cm, unten 30 cm. Museum Fünf Kontinente, München, Samm­ lung Krusenstern Inv. Nr.63 (Foto: Marietta Weidner).

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VERSORGUNGSPROBLEME IN DER RUSSISCHEN KOLONIE

mit großen Schwierigkeiten und viel Auf­ wand verbunden. Da seit der Gründung der RAK im Jahr 1799 auch der Staat in den Fellhandel und die daran gekoppelte Kolonisierung Russisch-Amerikas einge­ bunden war, erschien es nur folgerichtig, eine Expedition der Marine zu beauftra­ gen, um bei der Versorgung der Kolonie mitzuwirken. Einen ersten Vorschlag für ein solches Unternehmen hatte der deutsch-baltische Kapitän Adam Johann von Krusenstern bereits dem Zaren Paul  I. (Regierungs­ zeit von 1796–1801) mit dem Argument unterbreitet, dass eine Weltumsegelung besser zur Versorgung der pazifischen Be­ sitzungen geeignet sei, als die langwieri­ gen Transporte durch Sibirien. Zar Paul I. lehnte den Vorschlag rundweg ab. Aber mit dem Amtsantritt seines Nachfolgers, Alexander  I., veränderte sich die Einstel­ lung am Zarenhof, und Krusenstern erhielt im Jahr 1802 die Order zur Durchführung einer ersten russischen Weltumsegelung. Krusenstern hatte seine Ausbildung im Seekadettenkorps in Kronstadt be­ gonnen, und war nachdem er erste Erfah­ rungen auf See unter Kapitän Mulowski gesammelt hatte, im Jahr  1793 gemein­ sam mit elf weiteren jungen russischen Marineoffizieren nach England geschickt worden. In englischen Diensten been­ dete er seine Ausbildung und lernte alle Weltmeere kennen. Bereits in dieser Zeit kam er zu dem Schluss, dass es besser für Russland wäre, den Handel mit China nicht, wie seit 1728 vertraglich festgelegt,

über Kjachta, sondern über Kanton abzu­ wickeln, wie es die Engländer und Ame­ rikaner ja bereits seit 1785 regelmäßig ta­ ten. Kanton wäre von Russisch-Amerika aus außerdem schneller und einfacher zu erreichen als Kjachta (Mumenthaler 2008, S. 87, Pierce 1990). Krusenstern sollte nun ganz nach Cooks britischem Vorbild mit zwei Schif­ fen in See stechen. Diese wurden im Fe­ bruar des Jahres 1803 in London gekauft und nach Kronstadt überführt, wo sie die Namen Nadeschda (Hoffnung) und Newa (= Name des Flusses, der durch St. Petersburg fließt) erhielten. Als zweiter Kommandant wurde Juri Fjodorowitsch Lisjanski bestimmt, der ebenfalls Erfah­ rungen bei der britischen Marine gesam­ melt hatte und inzwischen fast besser Eng­ lisch als Russisch sprach. Die Ladung der beiden Schiffe war Eigentum der RAK, die darüber hinaus entscheidend zur Finan­ zierung der Expedition beigetragen hatte, was im weiteren Verlauf zu erheblichen Konflikten führte (Engstrom 2004, S. 100, Mumenthaler 2008, S.  87, Lange 1986, S. 9). Die Gelegenheit zur weiteren Erfor­ schung der Region blieb nicht ungenutzt, denn als Naturforscher waren der Schwei­ zer Astronom Johann Kaspar Horner (so­ wie Wilhelm Gottfried Tilesius aus Thü­ ringen vorgesehen. Georg Heinrich von Langsdorff war es quasi in letzter Sekunde gelungen, die Erlaubnis zur Mitreise zu er­ halten, sodass er sich der Expedition erst in Kopenhagen anschließen konnte, wo er sich auf der Nadeschda einschiffte.

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

Gescheiterte Mission Die Weltumsegelung wurde zusätzlich mit einer diplomatischen Mission be­ traut. Im Jahr 1796 hatten 15 Japaner auf den Aleuten Schiffbruch erlitten. Vier von ihnen sollte Resanow, der gerade frisch zum Kammerherrn ernannt wor­ den war, und damit seine Stellung bei Hofe gefestigt hatte, zurück nach Japan bringen. Die restlichen elf waren zum Christentum übergetreten und zogen es aus Angst vor japanischen Sanktionen vor, in Russland zu bleiben. Die Rück­ sendung der Schiffbrüchigen sollte als Vorwand für die Aufnahme diplomati­ scher Beziehungen mit Japan dienen. Die Gelegenheit sollte außerdem ge­ nutzt werden, um einen wirtschaftlichen Austausch mit Japan anzuregen. Bislang waren alle Versuche, Kontakt zu dem sich hermetisch abschließenden Insel­ staat aufzunehmen, gescheitert. Resanow hatte als offizieller Direktor der RAK seine Instruktionen vom Zaren­ hof erhalten, während Krusenstern der Admiralität unterstand. Es entbrannte ein Streit darüber, wem nun die Gesamt­ leitung der Expedition oblag. Resanow mit seiner Entourage und Krusenstern mussten sich die Kapitänskajüte der Nadeschda teilen, was unterwegs zu unschö­

nen Streitigkeiten mit Beleidigungen jed­ weder Art führte (Lange 1986, S. 10). Die Nadeschda verließ am 27. August 1803 Kopenhagen und erreichte über Teneriffa, Brasilien und Kap Hoorn die Marquesas, wo sie mit der Newa zusam­ mentraf. Gemeinsam segelten sie weiter bis Hawaii und waren damit die ersten russischen Schiffe, die die von James Cook entdeckten Inseln anliefen ( Judd 1974, S. 1–10). Nach kurzem Aufenthalt trennten sich hier ihre Wege: Die Newa segelte direkt zur Insel Kodiak, um dort Güter abzuliefern und den Winter zu verbringen, während Krusenstern mit der Nadeschda über Kamtschatka nach Nagasaki segelte, wo er am 26.  Septem­ ber 1804 eintraf. Hier kam es nicht zu den erwarteten Verhandlungen mit Ja­ pan  – im Gegenteil  – Resanow und die Mannschaft der Nadeschda wurden unter Hausarrest gestellt und durften sich nicht frei in Nagasaki bewegen. Weder die mit­ gebrachten Geschenke, noch Gespräch­ sangebote oder Drohungen halfen. Die Delegation wurde lange hingehalten und erst im April 1805 war eine Fortsetzung der Expedition möglich. Damit war Resa­ nows Japanmission auf erniedrigende Art gescheitert.

Inspektion der russischen Kolonien Im Mai 1805 kehrte die Nadeschda schließlich nach Kamtschatka zurück und Resanow entschloss sich in seiner

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Funktion als Direktor der RAK zu einer Inspektion der russischen Besitzungen in Amerika. Da seine Frau im Oktober 1802

VERSORGUNGSPROBLEME IN DER RUSSISCHEN KOLONIE

Abb. 44 Darstellung des Fischhautbeutels (1). Langsdorff, 1812.

nach der Geburt ihres zweiten Kindes verstorben war, zog es ihn ohnehin nicht allzu schnell nach St. Petersburg zurück. Gemeinsam mit Langsdorff, der ihn als

Leibarzt begleiten sollte, stieg Resanow auf ein anderes Schiff der RAK um. Er besuchte die Pribilof Islands (s. Kap. 22), Unalaska, Kodiak und Nowo-Archan­

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WUNSCHDENKEN UND SCHEITERN

gelsk (s. Kap.  34), wo er am 26.  August 1805 ankam. Ohne eine Zustimmung aus St. Petersburg abzuwarten, erteilte er von dort aus die Order, als Rache für die abgelehnten Gespräche, japanische Sied­ lungen auf Hokkaido zerstören zu lassen (Black 2004, S. 171 f.). Ein Vorgehen, das die Beziehungen zu Japan über Jahre hi­ naus weiterhin verschlechterte und ihm, wäre er nach St.  Petersburg zurückge­ kehrt, erhebliche Nachteile und Ärger eingebracht hätte. Zu der Zeit als Resa­ now sich in Nowo-Archangelsk aufhielt, bot der Amerikaner John d’Wolf ihm sein Schiff Juno zum Kauf an. Resanow griff zu. Er ließ die Juno zunächst einige Transporte durchführen und segelte an­ schließend mit ihr und noch immer in Begleitung von Langsdorff nach Kali­ fornien, um Lebensmittel zu beschaffen sowie Handelsbeziehungen mit den dort ansässigen Spaniern anzubahnen. In Ka­ lifornien verlobte Resanow sich, wie er in einem Brief an den russischen Handels­ minister mitteilte, mit der 15-jährigen Tochter des spanischen Kommandanten. Da aber der Papst in Rom bezüglich der geplanten bikonfessionellen Ehe konsul­ tiert werden musste, vereinbarte man, die

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Verlobung vorerst geheim zu halten und Resanow reiste ab, ohne dass es zu einer Eheschließung gekommen war (Tikhme­ nev 1979, S. 210). Unterwegs überwarf er sich mit Langsdorff, der ab der Rückkehr nach Nowo-Archangelsk, im Juni 1806, getrennte Wege ging. Resanow wollte zu­ nächst persönlich an den Angriffen auf Hokkaido teilnehmen, verließ aber das Schiff auf dem Weg nach Japan schon in Ochotsk, um von dort über Land nach St.  Petersburg zurückzukehren. Nach ei­ nem dreimonatigen Aufenthalt in Irkutsk starb Resanow noch während der weiteren Rückreise am 1. März1807 in Krasnojarsk. Auch Langsdorff hatte sich entschie­ den, über Land nach St.  Petersburg zu­ rückzukehren. Nach einem längeren Auf­ enthalt auf Kamtschatka verließ er am 14.  Mai 1807 Petropawlowsk und reiste auf der üblichen Route über Ochotsk. Als er im November 1807 in Krasnojarsk ankam, besuchte er dort Resanows Grab. Schließlich erreichte er am 16.  März 1808 mit 16 Kisten voller Sammlungsstü­ cken die russische Hauptstadt. Er begann sofort mit dem Sortieren seiner Samm­ lungen und mit der Vorbereitung von Veröffentlichungen.

KOLUMNENTITEL

IV RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb. 45 „Fingerlinge“, zwei Stück, östliche Aleuten, Alaska. Material: Leder. Maße: Länge 10 cm, mit Fransen 12 cm, Breite 5 cm. Museum Fünf Kontinente, München, Sammlung Krusenstern – Inv. Nr. 84 (Foto: Stefania Beretta).

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34 B

AUSDEHNUNG RUSSISCHAMERIKAS RICHTUNG SÜDEN

ei den abgebildeten Hüllen aus Leder für die Finger handelt es sich um zwei sehr seltene Objekte, zu denen es nur wenige Vergleichsstücke gibt. Im Reisebericht Georg Heinrich von Langsdorffs aus dem Jahr 1812 befindet sich eine Abbildung von einem solchen Objekt. Dort wird es als „Ein Finger-Ueberzug von Leder“ beschrieben, „der anstatt eines Fingerhutes beym Nähen von den Alaskanerinnen gebraucht wird.“ In München befinden sich zwei solcher Finger-Überzüge aus einem dünnen, weißen Leder, die dem im Jahr 1812 abgebildeten ähnlich sind. Auf der langen Seite befindet sich eine Naht, oben und unten sind die nach oben weiter werdenden Röhren offen. Bei einem der „Fingerlinge“ (Rousselot) ist die untere Kante mit braunem Leder verziert, bei dem anderen fehlt diese Kante. Das obere Ende ist bei beiden Stücken mit unterschiedlichen Mosaikstreifen besetzt, ganz oben befinden sich Fransen. Wozu diese Lederhülsen ursprünglich verwendet wurden, ist nicht eindeutig geklärt. Wenn das Objekt angezogen ist, lässt es die Fingerkuppe frei, so dass es zumindest nicht in genau gleicher Funktion wie ein Fingerhut verwendet worden sein kann. Vorstellbar wäre allerdings, dass es als seitlicher Fingerschutz beim Herstellen von Sehnengarn oder

Flechten von Gras Verwendung fand. Rousselot vermutet, dass sie als Fingermasken zeremoniellen Zwecken dienten, da das dünne Leder und die empfindliche Verzierung der hier abgebildeten Fingerhülsen gegen einen Einsatz bei der Handarbeit sprechen (Rousselot 1994, S. 67). Das Objekt ist Bestandteil einer insge­ samt 187 Nummern umfassenden Sammlung aus dem Nordpazifikgebiet, die auf Georg Heinrich von Langsdorff zurückgeht. Er hatte sie von seiner Teilnahme an der ersten russischen Weltumsegelung mitgebracht (s. Kap. 33). Insgesamt 113 Objekte der Sammlung stammen aus Russisch-Amerika. Im Jahr 1823 schenkte Langsdorff seine Sammlung dem König Maximilian  I. Joseph von Bayern. 1868 schließlich wurden die Objekte Bestandteil der „Königlichen Ethnographischen Sammlungen“ und befinden sich heute im Museum Fünf Kontinente in München, wo sie als Sammlung Krusenstern inventarisiert sind (Rousselot 1994, S.  25). Im Akzessionskatalog des Museums werden sie als „zwei Fingerhüte aus Leder der Unalaschkerinnen (Langsdorff Liste: 64)“ bezeichnet, was einen Hinweis auf die Herkunft der Objekte gibt, da die Bezeichnung „Unalaschkerinnen“ auf die Insel Unalaska (östliche Aleuten) hindeutet.

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb. 46 Stich von Sitka. Langsdorff, 1812.

Weitere Kämpfe zwischen Russen und Tlingit Die Anzahl der Russen in Russisch-Amerika war nie sehr hoch. Einerseits warb die RAK russische Arbeiter an, andererseits achtete sie darauf, dass es nicht zu viele wurden, da deren Versorgung unglaublich aufwendig und teuer war. In den Jahren um die Wende zum 19. Jahrhundert lebten ungefähr 400 Russen in Russisch-Amerika. Von 1799, dem Jahr der Gründung der RAK bis 1867, dem

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Jahr in dem Russland die Kolonie an die USA verkaufte, schwankte die russische Bevölkerungszahl zwischen 225 und maxi­ mal 823 (Grinev 2005, S. 319, Fedorova 1971, S. 136–146). Baranow hatte Mühe, den Verlust des südlichsten Stützpunkts der RAK zu verschmerzen, zumal er durch den Angriff der Tlingit mehrere enge Mitarbeiter bzw. Freunde verloren hatte. Zwei  Jahre lang

AUSDEHNUNG RUSSISCH-AMERIKAS RICHTUNG SÜDEN

bereitete er sich auf den Gegenangriff vor. In Yakutat ließ er zwei kleine Schiffe bauen, die Ermak und die Sv. Rostislaw. Im September 1804 erreichte Baranow mit den beiden neuen Schiffen und einer riesigen Jagdgruppe aus 300  baidarkas Sitka Island. Zu seiner Freude befand sich auch ein mit Kanonen ausgestattetes Schiff der Marine in der Nähe von NowoArchangelsk. Es handelte sich um die Newa unter Führung von Juri Lisjanski, die sich gerade auf der ersten russischen Weltumsegelung befand, und ihre Ladung auf der Insel Kodiak gelöscht hatte. Dort hatte Lisjanski eine Nachricht vorgefunden, mit der Bitte, umgehend nach Nowo-Archangelsk zu segeln (Andrews 1945, S. 33–35). Die Tlingit hatten sich in ihrer Siedlung verschanzt und wehrten den russischen Angriff mit Gewehren und kleinen Kanonen ab, die sie von amerikanischen Händlern erworben hatten. Erst der zweite russische Angriff unter Einsatz der Kanonen der Newa führte dazu, dass die Tlingit ihr Fort während der Nacht heimlich verließen. Die Russen begannen mit dem Neuaufbau eines Forts, an einer anderen Stelle auf der heutigen Baranof Insel, größer und besser befestigt und zusätzlich

mit einer Schiffswerft ausgestattet. Als Namen wählte Baranow Nowo-Archangelsk (nowo = neu) um an das russische Fenster zur See im Westen, den Hafen Archangelsk am Weißen Meer, zu erinnern. Nowo-Archangelsk sollte das Gegenstück dazu im Osten bilden (Black 2004, S.  155 f.). Schon bald entwickelte sich Nowo-Archangelsk zum Verwaltungszentrum von Russisch-Amerika. Künftige Gouverneure der Kolonie hatten dort ihren Hauptsitz. Sitka, wie der Ort heute, in Anlehnung an die ursprüngliche Bezeichnung der Tlingit für die Stelle, heißt, war bis 1906 Verwaltungssitz des District of Alaska (Alaska wurde erst im Jahr 1959 zum 49. Staat der USA). Schon vor der Errichtung von NowoArchangelsk hatte Baranow zunächst eine Siedlung weiter nördlich in Yakutat gegründet, die ebenfalls nur von relativ kurzer Dauer war. 1805 wurde sie von Tlingit völlig zerstört und daraufhin von den Russen aufgegeben. Nach diesem Erfolg griffen die Tlingit die Siedlung der Russen auf der Insel Hinchinbrook im Prince William Sound an, wurden aber von den Alutiiq (Chugach) zurückgeschlagen, mit 200 Toten auf Seiten der Tlingit (Dauenhauer & Black 2008, S. XXVI).

Vollendung der Weltumrundung und gleich aufs Neue Die beiden Schiffe Nadeschda und Newa trafen sich im November 1805 in Kanton bzw. Macao wieder. Erst nachdem viele Formalitäten erledigt waren, gelang

es ihnen ihre Felle erfolgreich zu verkaufen und von einem Teil des Erlöses die Schiffe mit Tee, Seide und Porzellan zu beladen. Ende Juli/Anfang August

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

des Jahres 1806 kehrten beide Schiffe im Abstand von zwei Wochen nach Kronstadt zurück (Ivashintsov 1980, S. 1–13). Die erste russische Weltumsegelung war damit vollendet und galt in jeder Hinsicht als Erfolg. Kaum war die Newa zurück in Kronstadt, wurde sie erneut mit Waren beladen nach Nowo-Archangelsk geschickt. Ende Oktober 1806 verließ die Newa, dieses Mal unter dem Kommando von Leonti Adrianowitsch Hagemeister; (eigentlich Ludwig Karl August von Hagemeister), erneut Kronstadt. Ähnlich wie Lisjanski erreichte Hagemeister die russische Kolonie in gut elf Monaten und hielt sich ungefähr ein Jahr in RussischAmerika auf. 1808 segelte er von NowoArchangelsk nach Hawaii und von dort zurück nach Petropawlowsk, wo er die Newa für den Dienst der RAK zurückließ und selbst über Land zurück nach St. Petersburg reiste.

Ende Juli 1807 verließ ein weiteres Schiff mit Ausrüstung und Verbrauchsgütern für Kamtschatka und Ochotsk den Hafen von Kronstadt. Es handelte sich dabei um die Diana, eine gerade erst fertig gestellte 300-Tonnen Schaluppe mit 16 Kanonen unter dem Kommando von Wassili Michailowitsch Golownin. Auch Golownin hatte vier Jahre lang Erfahrungen in englischen Diensten gesammelt, was zeigt, wie stark die russische Marine von den damals guten Kontakten zu England profitierte. Golownin hatte eigentlich vor, auf dem üblichen Weg um Kap Hoorn nach Kamtschatka zu segeln, kam aber in der ungünstigsten  Jahreszeit dort an, so dass Stürme und heftige westliche und nordwestliche Winde ein Weiterkommen verhinderten. In dieser Situation fällte Golownin eine folgenschwere Entscheidung. Er änderte am 29. Februar 1808 den Kurs und plante, um das Kap der Guten Hoffnung nach Kamtschatka zu segeln.

Wassili Michailowitsch Golownin wird ausgebremst Im April 1808 erreichte Golownin Kapstadt. Dort wurde er für die nächsten 13  Monate festgehalten, weil sich aufgrund des Friedens von Tilsit 1807 die Allianzen verändert hatten und Russland sich nun im Krieg mit England befand. Es sollte eine Anfrage nach London gerichtet werden, ob der vor dem Krieg ausgestellte Passierschein noch gültig wäre oder nicht. Mit einer Antwort war so bald nicht zu rechnen. Ungeduldig geworden, flüchtete Golownin im Mai 1809 bei gu-

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tem Wind mit einem waghalsigen Manöver in der Dunkelheit und nutzte einen aufkommenden Sturm, um mit hoher Geschwindigkeit davon zu segeln. Am 25. September 1809 erreichte er schließlich Kamtschatka und hatte aufgrund der Verzögerungen über zwei Jahre benötigt (Pierce 1990, S.  175). Dies zeigte, dass die Versorgung der Kolonie im Rahmen von Weltumsegelungen nicht unbedingt schneller und auch nicht sicherer war, als über den Landweg.

AUSDEHNUNG RUSSISCH-AMERIKAS RICHTUNG SÜDEN

Im Jahr 1810 segelte Golownin mit der Diana von Kamtschatka nach Nowo-Archangelsk und blieb bis September dort, um die Siedlung gegen mögliche Überfälle von Korsaren zu schützen (Nozikov o.J., S. 85). Zu seinen Aufgaben als Repräsentant der Regierung gehörte, im Nordpazifik Flagge zu zeigen. Von der RAK hatte Golownin keine gute Meinung, da er der Ansicht war, sie habe sich zu viele der eigentlich staatlichen Aufgaben angeeignet. Den Winter 1810/11 verbrachte er erneut auf Kamtschatka und unternahm im Sommer 1811 eine Inspektion der zentralen und südlichen Kurilen. Als er auf der Insel Kunaschir landete, um seine Wasservorräte aufzufüllen, wurde er mit zweien seiner Offiziere und vier Seeleuten von Japanern verhaftet. Seine Gefangennahme war eine japanische Vergeltungsmaßnahme wegen der von Nikolai Resanow angeordneten Überfälle auf japanische Siedlungen im Süden der Insel Sachalin (Aniva Bay), einigen Kurilen und Hokkaido im Jahr 1807. Golownin

und seine Männer wurden nach Hakodate auf Hokkaido geschafft und dort für zwei Jahre und drei Monate festgehalten. Erst 1813 gelang es dem ersten Offizier der Diana, Pjotr Iwanowitsch Rikord ihre Freilassung zu erwirken. Golownin kehrte auf der Diana nach Petropawlowsk zurück, übernahm aber nicht mehr das Kommando, sondern reiste stattdessen über Land nach St. Petersburg. Noch im Winter 1813 fuhr er mit Hundeschlitten bis Ochotsk, und weiter mit Rentierschlitten und teilweise auf Pferderücken bis Jakutsk. Ab da reiste er etwas bequemer in der typischen Kibitka, einem geschlossenen, von Pferden gezogenen Wagen bis er am 22. Juli 1814 nach siebenjähriger Abwesenheit in St.  Petersburg eintraf. Bei seiner Ankunft stand er in dem Ruf einer der besten Offiziere der Kaiserlichen Marine zu sein. 1816 wurde er zum Ehrenmitglied des Staatlichen Admiralitätsdepartments ernannt und im Jahr 1817 erhielt er den Auftrag zu einer erneuten Weltumsegelung (s. Kap. 37).

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VERSUCH DER SELBSTVERSORGUNG MIT GETREIDE

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ur zwei Objekte der Sammlung Kuprejanow stammen aus Kalifornien. Beide werden den Pomo zugeschrieben. Es handelt sich um den hier vorgestellten Federgürtel und um einen Korb. In einem der frühen Inventarbücher wurde der Federgürtel der Pomo fälschlich als „Langer Leibgurt mit Schnecken besetzt, aus Neu Guinea“ beschrieben. Solche Gürtel wurden von verschiedenen Völkern Zentralkaliforniens während diverser Zeremonien getragen. Sie bestanden aus Indianerhanf, auf dem Enten- und Spechtfedern sowie flache Muschelschalen als Verzierung befestigt wurden. Heute existiert nur noch etwa

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ein Dutzend solcher Gürtel in Sammlungen aus dem 19.  Jahrhundert, einer befindet sich in der Sammlung Wrangel im Weltkulturen Museum der Stadt Frankfurt (s. Kap. 41). Der Lebensraum der Pomo erstreckte sich zwischen der Pazifikküste und den sumpfigen Ufern des Clear Lake. Es gab sieben Pomo-Völker, deren Sprachen zwar miteinander verwandt waren, sich aber so stark unterschieden, dass eine gegenseitige Verständigung kaum möglich war. Die Pomo lebten in großen, ovalen Mehrfamilienhäusern, die sie mit Holzplanken oder Binsenmatten bedeckten. In jedem Dorf befand sich ein halb im

Abb. 47 Federgürtel, Pomo, Kalifornien. Material: Pflanzenfasern, Muschelschalen, Federn. Maße: Länge 167 cm, Breite 10,5 – 11 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 335 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

Boden eingelassenes Tanzhaus, in dem große Zeremonien abgehalten wurden. An der Küste waren die Wohnungen weniger aufwendig, sie bestanden aus kegelförmig an ein Gerüst gelehnten Eichenbrettern und beherbergten eine Familie von acht bis zwölf Personen. Im Sommer lebten die Familien über das gemeinsame Territorium verteilt unter leichten

Windschirmen. Sie sammelten Eicheln von sieben Eichenarten und die Samen von 15 verschiedenen Grasarten. Ergänzt wurde das Nahrungsangebot durch Fischfang und an der Küste durch das Sammeln von Schalentieren und Algen. Die Hauptnahrung war ein stärkehaltiger Körner- oder Eichelbrei mit getrocknetem Fisch vermengt.

Gründung von Fort Ross im Jahr 1812 Um nicht dauerhaft auf die selten eintreffenden Schiffsladungen aus dem fernen Kronstadt angewiesen zu sein, schlug

Alexander Baranow vor, noch weiter im Süden Gebiete ausfindig zu machen, die einen Anbau von Getreide erlaubten.

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Kurzzeitig war sogar im Gespräch die Versorgung von Hawaii aus durchzuführen, eine Idee, die schnell wieder aufgegeben wurde (s. Kap. 36). Mit der Erlaubnis von Zar Alexander I. schickte Baranow seinen langjährigen Gehilfen Iwan Kuskow nach Kalifornien, um dort einen Ort zum Siedeln zu suchen, der nicht von Spaniern besetzt war. So kam es im Jahr 1812 zur Gründung von Fort Ross

nördlich von Bodega Bay, etwa 100  km nördlich des heutigen San Francisco. Kuskow hatte eine Stelle, an einem Fluss, den die Russen damals Slawjanka nannten, und der heute Russian River heißt, ausgewählt. Das Fort sollte auf einem hohen, uneinnehmbaren Plateau errichtet werden. Der Standort war ideal, um feindliche Angriffe abzuwehren  – die allerdings nie stattfinden sollten – wie sich später zeigte.

Kulturzusammenstoß der anderen Art Fort Ross wurde zu einer kleinen umzäunten Holzfestung ausgebaut. Das Fort lag auf dem Gebiet der Kashaya-Pomo, mit denen erst 1817, also fünf Jahre nach Errichtung des Forts, ein Vertrag über die Nutzung des Gebiets abgeschlossen wurde (Okun 1951, S.  128). Unter dem Kommando von Iwan Kuskow wurden Russen, Mischlinge, Aleuten und Alutiiq dort angesiedelt. Neben dem Versuch Ackerbau zu betreiben und dadurch die Stützpunkte im Norden, also insbesondere Nowo-Archangelsk, Kodiak und Unalaska zu versorgen, sollte auch in Kalifornien Jagd auf Seeotter betrieben werden. In den ersten zehn Jahren erwies sich die Jagd sogar als recht ergiebig im Gegensatz zu den Versuchen des Getreideanbaus. Das Klima war zu feucht, und es fehlte der RAK an erfahrenen Bauern. Auch der Versuch, die Pomo zum Bestellen der Felder einzusetzen, schlug fehl, da ihnen, als ausschließlich von der Sammelwirtschaft lebenden Menschen die Idee von Anbau und allen daran geknüpften Tätigkeiten

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völlig fremd war. Der Misserfolg war vorprogrammiert. Lediglich kleine Erfolge im Gartenbau und der Viehzucht ließen sich verzeichnen. Immerhin wuchsen Trauben, die man aus Chile eingeführt hatte, Wassermelonen, sowie Äpfel und Pfirsiche (Black 2004, S.  181). Um den weiterhin bestehenden Mangel an Getreide auszugleichen, wurde trotz eines bestehenden Verbots seitens des spanischen Mutterlands von den in Kalifornien ansässigen Spaniern Weizen eingehandelt. Damit versorgte die RAK die Kolonie im Norden und wenn möglich sogar Kamtschatka. Die großen Mengen von Salz, die benötigt wurden, um die Felle für den Transport haltbar zu machen, wurden entweder ebenfalls in Kalifornien gekauft oder aus Hawaii bezogen. Die dauerhafte russische Präsenz in Kalifornien führte aber auch zu Spannungen mit Spaniern bzw. Mexikanern, die dieses Gebiet für sich beanspruchten. Die Bevölkerung von Fort Ross war recht überschaubar, bestand sie doch

VERSUCH DER SELBSTVERSORGUNG MIT GETREIDE

nur aus 26 Russen und 102 Aleuten und Alutiiq, unter denen sich auch einige wenige Dena’ina von der Kenai-Halbinsel befanden. Sie alle hatten Kontakt zu den Kashaya-Pomo. So gab es einen doppelten kulturellen Zusammenstoß, einerseits zwischen Pomo und Russen und andererseits zwischen Pomo und Alutiiq bzw. Aleuten, die ja aus völlig anderen klimatischen und landschaftlichen Bedingungen kamen und eine von den Pomo grundlegend verschiedene Lebensweise gewohnt waren. Da die Russen den Aleuten und Alutiiq verboten hatten, ihre Frauen mit-

zunehmen, lebten diese mit Frauen der Pomo zusammen. Der Mangel an menschlicher Arbeitskraft war ein Problem, das sich während der gesamten Existenz des russischen Außenpostens nicht beheben ließ. Viele der russischen Arbeiter desertierten in die nahegelegen von Spanien verwalteten Gebiete und entzogen sich somit dem russischen Zugriff (Okun 1951, S. 142 f.). Im Laufe der Jahre wurde Fort Ross eher zu einer finanziellen Last für die RAK als zur Lösung der Versorgungsprobleme beizutragen (Okun 1951, S. 144).

Keine Ablösung für Baranow Durch die napoleonischen Kriege veränderten sich aufgrund wechselnder Allianzen die Bedingungen in der fernen russisch-amerikanischen Kolonie. Vor allem der Frieden von Tilsit und die Auflösung der Allianz zwischen England und Russland hatten Folgen, die sich auch in Russisch-Amerika bemerkbar machten. Unabhängig davon wurde es für Baranow auch vor Ort schwieriger. Unzufriedene Arbeiter begehrten auf und planten ein Komplott gegen ihn. In dieser Zeit dachte er darüber nach, seinen Posten

aufzugeben. Die Direktoren der RAK in St. Petersburg sprachen sich zunächst gegen eine Ablösung Baranows aus, willigten dann aber doch ein, einen Nachfolger zu benennen. Dieser starb leider im Jahr 1811 auf dem Weg nach Alaska. Der zweite vorgesehene Nachfolger schaffte es immerhin fast bis Nowo-Archangelsk. Das Schiff, auf dem er sich befand, lief am 8. Januar 1813 in der Nähe von Mount Edgecumbe auf Grund, und von den 77 Menschen an Bord ertranken 39, unter ihnen auch Baranows designierter Nachfolger.

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb. 48 Brustschmuck mit Haken – „lei niho palaoa“. Hawaii. Material: Walzahn. Maße: Ha­ ken Länge 2,6 cm; Breite 0,9 cm, Haarbündel eine Seite 15 cm, andere Seite 16 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Cook/Forster – Oz 234 (Foto: Harry Haase).

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GESCHEITERTER GRIFF NACH HAWAII

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as zentrale Element dieses Brustschmucks besteht aus einem hakenförmigen Gebilde, das aus dem Zahn eines Pottwals angefertigt wurde. Die Spitze des Hakens, der an zwei Bündeln verdrehten menschlichen Haars befestigt ist, musste nach vorne zeigen, wenn der Brustschmuck getragen wurde. Am oberen Ende eines jeden Haarbündels ist eine Kordel angebracht, mittels derer das Schmuckstück um den Hals gelegt und im Nacken verschlossen werden konnte. In der Gesellschaft Hawaiis war die materielle Kultur sichtbarer Ausdruck

für Status, Rang und Macht (Kaeppler 1998, S. 234). So war es nur ranghohen Persönlichkeiten, sogenannten ali’i, gestattet, einen solchen Haken aus Walzahn zu besitzen. Er wurde sowohl von Männern als auch von Frauen im Krieg oder während wichtiger ritueller Handlungen getragen. Alle Ausländer, die in der frühen Kontaktzeit Hawaii besuchten, haben mit großer Wahrscheinlichkeit den typischen Brustschmuck gesehen, da sie mit den ali’i über ihr Anliegen verhandeln mussten. Cook schrieb seinerzeit darüber:

„Personen beyderley Geschlechts tragen Halsbänder aus kleinen auf Fäden gereihten Muscheln. Ein anderer Zierrath, welcher wie das Henkelchen einer Tasse gestaltet,

gegen zwey Zoll lang, einen halben Zoll dick, und sehr sauber aus Holz, Stein oder Knochen gearbeitet ist, wird an einer von Haaren geflochtenen Schnur getragen, welche bisweilen hundertfach um den Hals geht.“

Auch vom ersten König von Hawaii, Kamehameha  I., ist durch Schrift- und Bildquellen überliefert, dass er diesen für den hawaiischen Adel repräsentativen Schmuck, der als wertvolles Erbstück von Hawaiiern bis heute mit großem Stolz getragen wird, bei festlichen Angelegenheiten und formellen Begegnungen mit Europäern anlegte. Kamehameha I. hatte es geschickt verstanden, die Anwesen-

(Cook 1789, 3. Bd., S. 428)

heit der unterschiedlichen Ausländer zum Erwerb von Gewehren und Kanonen zu nutzen, und damit seine Macht auszuweiten. Die Verhandlungen mit Vancouver 1794 (s. Kap. 30) sind nur eines von vielen Beispielen für seine Taktik. Im Jahr 1810 war es ihm schließlich gelungen, alle Inseln unter seine Herrschaft zu bringen, als sein erbittertster Rivale, das Oberhaupt der Inseln Kaua’i und Ni’ihau, Kaumuali’i, sich

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

einverstanden erklärte, die Oberherrschaft von Kamehameha  I. anzuerkennen und Steuerzahlungen an ihn zu leisten (Morrison 2003, S.  51 f.). Außerdem verfügte Kamehameha I. über einen englischen und

einen amerikanischen Berater. Beide waren im Jahr 1790 von einer amerikanischen Fellhandelsexpedition unter Kapitän Simon Metcalfe auf Hawaii zurückgeblieben und hatten sich dort niedergelassen.

Hawaii als Versorgungsstopp Bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war es den meisten Handelsschiffen aus Europa und den USA zur Gewohnheit geworden, mehr als eine Saison an der Nordwestküste Handel zu treiben und den Winter auf Hawaii zu verbringen. Neben der Erholung der Mannschaften und Versorgung mit frischen Lebensmitteln, bot ein Stopp sich an, um den Fellhandel durch den Handel mit Sandelholz zu ergänzen. Je stärker die Seeotter an der amerikanischen Nordwestküste dezimiert wurden, desto interessanter und wichtiger wurde der Sandelholzhandel. Das erste russische Schiff legte erst im Jahr 1804 im Rahmen der ersten russischen Weltumsegelung (s. Kap.  33) in Hawaii an. Aufgrund der positiven Berichte von Krusenstern und Lisjanski über ihren kurzen Aufenthalt war man in Russisch-Amerika auf die Inseln aufmerksam geworden, und so unternahm Pawel Slobodtschikow 1807 auf dem Weg von Kalifornien nach Nowo-Archangelsk einen Abstecher nach Hawaii und tauschte dort Lebensmittel gegen Otterfelle ein. Als Hagemeister im Jahr 1808 mit der Newa in Nowo-Archangelsk eintraf, sandte Baranow ihn nach Hawaii, um eine Ladung Salz für die Konservierung

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der Felle einzutauschen. Außerdem sollte er herausfinden, ob es möglich wäre, dort eine dauerhafte russische Siedlung anzulegen, um die ständigen Versorgungsprobleme der russischen Kolonie in Amerika zu lösen (Pierce 1965, S. 3–4). Während des Kriegs zwischen England und den USA (1812–1814) v­ erkauften mehrere amerikanische Kapitäne ihre Schiffe an Baranow aus Furcht, von britischen Kriegsschiffen festgesetzt zu werden und dann völlig ohne Erlös dazu­stehen (Pierce 1965, S. 4). Diese Situation ermöglichte Baranow größeren Handlungsspielraum als zuvor. Teilweise blieben Kapitäne und Mannschaften auf ihren Schiffen und übernahmen Transportfahrten für die RAK. Bezahlt wurden die Schiffe und Dienstleistungen meist mit Fellen. Eines dieser Schiffe  – inzwischen auf den Namen Bering umgetauft  – war im Januar 1815 während eines Aufenthalts in der Nähe von Waimea vor der Insel Kauai’i auf Grund gelaufen. Kaumuali’i, Oberhaupt von Kauai’i, beschlagnahmte die gesamte, sehr wertvolle Ladung mit der Begründung, alles was auf seinem Strand liege, gehöre ihm (Pierce 1965, S. 5). Dies bildete den Auftakt für Russlands missratenes Hawaii-Abenteuer.

GESCHEITERTER GRIFF NACH HAWAII

Georg Anton Schäffers Traum von Russisch-Hawaii Georg Anton Schäffer (Scheffer 1779– 1836) gelangte als Schiffsarzt auf dem Schiff Suworow unter Kapitän Michail Petrowitsch Lasarew nach Nowo-Archangelsk als nach dem Ende der napoleonischen Kriege ab 1813 wieder russische Weltumsegelungen durchgeführt wurden. Der aus dem unterfränkischen Münnerstadt stammende Schäffer hatte in Göttingen von 1801–1803 Medizin studiert und war 1808 nach Russland gegangen, um dort als Marinearzt zu arbeiten. Da Schäffer sich mit Kapitän Lasarew überworfen hatte, blieb er in Nowo-Archangelsk zurück, als die Suworow sich auf den Rückweg begab. Baranow engagierte Schäffer und schickte ihn als Repräsentanten russischer Interessen nach Hawaii. Er sollte die von Kaumuali’i beschlagnahmten Felle nach Nowo-Archangelsk zurückbringen oder ihren Gegenwert in Sandelholz. Außerdem sollte er herausfinden, ob eine dauerhafte russische Ansiedlung auf einer der Inseln möglich wäre. In einem Brief an König Kamehameha  I. hatte Baranow

bereits angedeutet, dass er ihn, falls nötig, im Kampf gegen seinen Rivalen, König Kaumuali‘i unterstützen würde. Als Schäffer Anfang November 1815 im Königreich Hawaii ankam, mischte sich John Young, einer von Kamehamehas I. ausländischen Beratern ein, und versuchte Kamehameha I. davon abzuhalten, auf die russischen Vorschläge einzugehen. Daraufhin wandte Schäffer sich an Kamehamehas Rivalen und Kontrahenten Kaumuali‘i und segelte mit zwei inzwischen eingetroffenen Schiffen der RAK nach Kauai‘i. Kaumuali‘i hoffte, die ausländischen Kräfte für sich gewinnen und sie gegen Kamehameha  I. aufbringen zu können, indem er Schäffer Zugeständnisse machte. Er ließ ihn mit dem Bau eines Forts auf Kauai‘i beginnen und Pflanzungen anlegen. Schäffer behauptete Kaumuali‘i gegenüber, die Protektion des russischen Kaisers zu besitzen. Außerdem streute er Gerüchte, dass die russische Armee bald zu seiner Unterstützung dort eintreffe.

Otto von Kotzebue auf Hawaii Otto von Kotzebue stammte aus Reval (heute Tallinn, Estland) und hatte bereits als Offiziersanwärter an der ersten russischen Weltumsegelung unter Krusenstern teilgenommen (s. Kap.  33). Im Gegensatz zu den staatlich finanzierten Weltumsegelungen wurden die Kosten für Kotzebues Expedition mit privaten

Mitteln des Grafen Nikolai Petrowitsch Rumjanzew bestritten. Rumjanzew war russischer Reichskanzler, ehemaliger Außenminister und ein Hauptaktionär der RAK, hatte sich aber 1812 aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Die von ihm finanzierte Weltumsegelung erhielt den Auftrag, von der Beringstraße

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

aus nach der Nordwestpassage zu suchen, d. h. also letztlich zu vollbringen, was Cook nicht geschafft hatte. Darüber hinaus sollten weitere Kartierungsarbeiten durchgeführt werden. Rumjanzew ließ eigens ein Schiff für die Expedition bauen,

die Brigg Rurik. Als Künstler wurde der als Kind deutscher Eltern in der Ukraine geborene und in St. Petersburg ausgebildete Ludwig Choris ausgewählt, von dem die hier gezeigte Darstellung einer Frau von den „Sandwich Inseln“ stammt.

Abb. 49 „Femme des ˜ı les Sandwich“, Ludwig Choris.

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GESCHEITERTER GRIFF NACH HAWAII

Das berühmteste E ­ xpeditionsmitglied von Kotzebues Weltumsegelung war Adelbert von Chamisso, der als Naturkundler engagiert wurde. Nachdem Georg Forster mit der Beschreibung der zweiten Weltumsegelung von James Cook das Genre der literarischen Reisebeschreibung begründet hatte, gilt der Bericht Chamissos, den dieser erst viele  Jahre nach Beendigung seiner Reise herausgab, als einer der letzten dieser Art. Die Entdeckungsreisen wurden nun von Forschungsfahrten abgelöst, was auch die Form der daraus hervorgehenden Ver­ öffentlichungen veränderte (Glaubrecht 2012, S.  457). Zu den während der Expedition zusammengetragenen Sammlungen Chamissos, die sich heute in Berlin befinden, gehören einige Holzmodelle von verschiedenen Walarten, die er sich von den Aleuten auf Unalaska hatte schnitzen lassen. Chamisso notierte ebenfalls die Namen, die die Aleuten den einzelnen Walarten gaben und was sie über das Verhalten der Tiere wussten. Dieses indigene Wissen übertrug er in die damals gängige wissenschaftliche Form und verfasste eine lateinische Schrift über die Wale (Federhofer 2012). Die Reise von Kronstadt bis Kamtschatka (30. Juli 1815 bis 19. Juni 1816) verlief ohne Zwischenfälle und dauerte insgesamt elf Monate. Eine Reise auf

dem Landweg war schneller, zumindest, wenn man ohne großes Gepäck unterwegs war. Die Suche nach der Nordwestpassage führte Kotzebue im Sommer 1816 in den Sund an der Nordküste des amerikanischen Kontinents, der heute seinen Namen trägt. Anschließend begab er sich für den Winter in südlichere Gefilde. Als Kotzebue Ende November 1816 im Hafen von Honolulu im Süden der Insel O’ahu einlief, kostete es ihn einige Mühe, König Kamehameha  I. davon zu überzeugen, dass er nicht mit kriegerischen Absichten gekommen war und dass weder die russische Regierung noch die RAK hinter Schäffers Aktivitäten stehe. Schäffer wollte sich gerne mit Kotzebue treffen, aber dieser segelte ab bevor Schäffer in Honolulu eintraf. 1817 wurde Schäffer schließlich gezwungen, Hawaii zu verlassen. Nach einem zweiten Sommer im Beringmeer begann Kotzebue mit der Rückreise nach Russland, wo er am 18. August 1818 die Rurik in St.  Petersburg auf der Newa vor dem Haus von Graf Rumjanzew festmachte. Da Zar Alexander  I. der Meinung war, die Inbesitznahme von Hawaii bringe Russland keine entscheidenden Vorteile, sondern schaffe, im Gegenteil, nur Probleme mussten im Jahr 1818 alle Pläne, Hawaii an Russisch-Amerika anzuschließen aufgegeben werden.

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Abb. 50 Vogelfigur, Alutiiq (Sugpiaq), Insel Kodiak. Material: Holz, sehr fein mit Fasern aus Sehnen überzogen und mit Haaren und Federchen verziert. Maße: Länge 12 cm, Breite 4,7 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 109 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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DAS ENDE DER ÄRA BARANOW

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us Holz geschnitzter Vogel mit einem Stoff aus sehr feinen Sehnen überzogen und mit Haaren und Federchen verziert. Es ist keine Naht zu sehen, sodass davon auszugehen ist, dass der Überzug direkt auf dem Vogel angefertigt wurde. Zwar gibt es Vergleichsstücke in anderen Sammlungen aus dem frühen

19.  Jahrhundert (z. B. in der Etholén Sammlung, s. Kap. 41), es ist aber nicht bekannt, wozu diese Vogelfiguren Verwendung fanden. In gleicher Machart wurden auch Seeotter hergestellt. Es gibt Vermutungen, dass sie rituellen Zwecken dienten, es fehlen aber Beschreibungen dazu (vgl. Varjola 1990).

Letze Erledigungen und Rückzug Die von Georg Anton Schäffer in Bezug auf Hawaii ausgelösten Unstimmigkeiten, und Streitigkeiten wegen des Stützpunkts Fort Ross im von Spanien beanspruchten Teil des amerikanischen Kontinents trugen zu erheblichen Konflikten zwischen der RAK und der russischen Marine bei. Darüber hinaus kehrten die Marineoffiziere häufig mit unerfreulichen Berichten über die ferne Kolonie in Alaska von ihren Weltumsegelungen zurück, was zu einer negativen Grundhaltung der Marine gegenüber der RAK beitrug. Aufgrund der prekären Versorgungslage in der russischen Kolonie hatte Baranow im Jahr 1809 begonnen, mit dem Amerikaner John Jacob Astor zu verhandeln, der kurzzeitig am Columbia River aktiv war. Am 20. Mai 1812 wurde ein Vertrag aufgesetzt: Astor sollte die Versorgung der Kolonie übernehmen und russische Felle nach Kanton bringen. Von russischer Seite war an den Ver-

trag die Hoffnung geknüpft, dass Astor ein US-Monopol für den Handel in den russischen Gebieten zugebilligt würde. Dann hätte Russland es nur noch mit Astor zu tun, und die Konkurrenz der anderen freien Händler wäre ausgeschaltet (Black 2004, S.  181). Baranow zögerte mit seiner Unterschrift, weil er hoffte, dass der Krieg mit England bald zu Ende ginge und dann wieder russische Weltumsegelungen stattfinden könnten. Mit der Auflösung von Astors Faktorei am Columbia River im Zuge des Krieges von 1812 war der Vertragsentwurf ohnehin hinfällig und die US-Regierung weigerte sich, in die Aktivitäten der Kaufleute aus Neuengland einzugreifen (Black 2004, S.  181). Die Situation wurde langsam brenzlig für Russland  – die USA beanspruchten nun das Gebiet um die Mündung des Columbia River. Nach zwei missglückten Versuchen, eine Ablösung für den alternden Baranow

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

nach Russisch-Amerika zu ­schicken, gelang es schließlich im Jahr 1818. Ebenfalls im Rahmen einer Weltumsegelung kam Hagemeister wieder nach Nowo-Archangelsk und übernahm vorübergehend die Führung der russischen Kolonie, genau ein Jahr bevor die 20-jährige Charta auslaufen würde. Im Zuge der Verhandlungen um eine Verlängerung, forderte das Direktorium der RAK in St. Petersburg die Zusammenstellung ­einer genauen Über-

sicht über die finanziellen Verhältnisse und den Zustand der Kolonie. Diese war in fünf Distrikte plus Fort Ross untergliedert: Sitka, Kodiak, Unalaska, Atka und Northern District. Baranow beteiligte sich an der Abfassung der benötigten Dokumente und hielt sich aus diesem Grund noch in Alaska auf, während Hagemeister zunächst nach San Francisco segelte, um dort Getreide und andere Güter einzukaufen.

Die zweite Weltumsegelung von Wassili Michailowitsch Golownin Nachdem Golownin im Jahr 1816 zum Ehrenmitglied des Staatlichen Admiralitätsdepartments ernannt worden war, erhielt er 1817 erneut einen Auftrag zu einer Weltumsegelung. Seine Aufgaben waren, Kamtschatka mit Militärzubehör zu versorgen und einen Bericht über den Zustand der Kolonie Russisch-Amerika zu verfassen, in dem er besonders auf das Verhältnis zwischen den Angestellten der RAK und der indigenen Bevölkerung eingehen sollte. Außerdem wurde er aufgefordert, die geographische Position von jenen Inseln und anderen Orten der Russischen Besitzungen zu bestimmen, die noch nicht kartiert waren und die Nordwestküste von 60 bis 63 Grad nördlicher Breite zu beschreiben, insbesondere an den Stellen, wo Cook aufgrund geringer Wassertiefe sich der Küste nicht genügend hatte nähern können. Golownin hatte sich kurz vor der Abreise verlobt, musste aber seine Ehe-

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schließung aufschieben, bis er wieder zurück war. Am 26. August 1817 verließ er Kronstadt mit der 900 Tonnen Schaluppe Kamtschatka. Über Portsmouth und Rio de Janeiro erreichte er im Januar 1818 Kap Hoorn. Dieses Mal glückte die Umrundung trotz schwieriger Wetterbedingungen. Vom 3. Mai bis 19. Juni 1818 hielt Golownin sich in Kamtschatka auf und begann dann mit der Inspektion der russischen Siedlungen in Alaska, die den gesamten Sommer des  Jahres 1818 beanspruchten. Als er sich in Nowo-Archangelsk befand, überredete Golownin Baranow Alaska nach Abschluss der Verwaltungsarbeiten zu verlassen. Auf der Rückreise nach Kronstadt legte Golownin einen zehntägigen Stopp auf Hawaii ein. Seinen Heimathafen erreichte er schließlich am 5. September 1819 und übergab der Kunstkammer reichhaltige ethnographische Sammlungen. Im Vergleich zu seiner ersten Weltumsegelung, während

DAS ENDE DER ÄRA BARANOW

der er zwei Mal als Gefangener sein Dasein fristen musste, war er dieses Mal mit zwei Jahren und zehn Tagen recht schnell (s. Golovnin 1979). Einer seiner Offiziersanwärter (Lütke s. Kap.  41) beschrieb Golownin als intelligent, gebildet, ernst und streng. Diese Eigenschaften trugen zu seiner weiteren erfolgreichen Karriere bei: So wurde er im Jahr 1821 zum Kapitän-

Kommandeur ernannt. Weitere Stufen auf der Karriereleiter waren Assistenzdirektor des Marine Kadettenkorps, Generalmajor (1826), Vorsitzender des Marineministeriums (1827) und Vizeadmiral (1830) mit Verantwortung für den Schiffsbau. Golownin starb am 30. Juni 1831 in St. Petersburg als eines der vielen Opfer einer großen Cholera-Epidemie.

Nachfolge in guten Händen und ein Seemannsgrab Baranow hatte in Russisch-Amerika mit einer Aleutin eine neue Familie gegründet, aus der zwei Kinder hervorgegangen waren. Den Sohn schickte er zur Ausbildung nach St.  Petersburg. Die Tochter heiratete im Januar 1818 einen jungen Offizier, der mit der Suworow unter Kapi­ tän Ponafidin angekommen war. Die Suworow war im Verbund mit der Kutusow von Hagemeister gesegelt. Semjon Janowski, nun Baranows Schwiegersohn, übernahm die Leitung der Kolonie, da Hagemeister es vorzog, dem Dienst auf dem Meer treu zu bleiben. Im Herbst 1818 verließ Baranow im Alter von 72  Jahren gemeinsam mit Hagemeister Russisch-Amerika, nachdem er 28  Jahre lang die Geschicke der Kolonie gelenkt

hatte. Während eines Stopps in Batavia erkrankte er schwer und starb einige Tage später an Bord der Kutusow Er erhielt ein Seebegräbnis in der Sundastraße. Ab dem Zeitpunkt, als Baranow die Verantwortung für die Kolonie an Hagemeister übergeben hatte, bis zum Verkauf von Russisch-Amerika im Jahr 1867 wurden ausschließlich Marineangehörige zu Gouverneuren der Kolonie ernannt. Baranow war der einzige zivile Verwalter gewesen. Die einzelnen Gouverneure nutzten die russischen Weltumsegelungen, um ihren Einsatzort zu erreichen und nach fünf Jahren wieder zu verlassen, meist mit reichhaltigen ethnographischen und naturgeschichtlichen Sammlungen im Gepäck (s. Kap. 41).

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb. 51 Lamellenpanzer, Tschuktschen. Material: Walrossknochen, Walrosselfenbein, Walrosshaut. Maße: Höhe 50 cm, Breite 101 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 439 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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FELLHANDEL IN DER BERINGSTRASSE

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ie einzelnen Knochenstücke dieses Lamellenpanzers wurden mit Schnüren aus Walrosshaut zu einer effizienten Rüstung zum Schutz vor Pfeilen verbunden. Im frühen 19.  Jahrhundert wurden solche Lammellenpanzer beiderseits der Beringstraße von Tschuktschen, Inupiaq und Yupik getragen. Das Vorkommen dieser Rüstungen widerspricht dem üblichen Klischee von der Friedfertigkeit der nördlichen Völker, zeugen sie doch von heftigen bewaffneten Auseinandersetzungen der Tschuktschen untereinander und zwischen Tschuktschen und Eskimo. Aufgrund der Wehrhaftigkeit der Tschuktschen gelang es den Kosaken nicht, Tschukotka in Besitz zu nehmen. Statt die Tschuktschen zu unterwerfen, kapitulierte Russland im Jahr 1822 und befreite die Tschuktschen von jedweder Steuerpflicht (Bockstoce 2009, S.  92). Ähnlich schwierig war es für die russischen Fell-

händler, ihre Aktivitäten in Alaska nach Norden auszudehnen. Zwar hatte die Lebedew-Lastotschkin Kompanie Ende des 18. Jahrhunderts begonnen, Niederlassungen auf der Kenai-Halbinsel einzurichten, wurde aber durch zerstörerische Angriffe der Dena’ina (s. Kap. 40) im Jahr 1797 vertrieben. Lebedew-Lastotschkin zog sich nach der heftigen Attacke der Dena’ina aus Alaska zurück und überließ das Feld seinem Konkurrenten Schelichow. Auch die zwei Jahre nach diesem Vorfall gegründete RAK unterhielt nur einen winzigen Posten auf der Kenai-Halbinsel, so dass die Dena’ina zumindest bis zur Pockenepidemie 1836/40 weitgehend un­behelligt leben konnten (Boraas und Leggett 2013). In der Beringstraße gab es vorerst keine russischen Stützpunkte. Da dort keine Seeotter vorkamen, blieb die Region von den hektischen Aktivitäten der internationalen Fellhändler zunächst verschont.

Inseln hoch im Norden Zur Erkundung der Inseln in der Beringstraße hatten Nikolai Daurkin und Iwan Kobelew bereits beigetragen, bevor sie für die Billings-Sarytschew-Expedition engagiert wurden (s. Kap.  29). Daurkin besuchte erstmals im Jahr 1764 die Insel Big Diomede. Ihm fiel auf, dass Tabak dort eine begehrte und seltene Ware war,

da er für vergleichsweise geringe Mengen Tabak viele Felle erhielt. Die Inselbewohner teilten ihm außerdem mit, dass die Anzahl und Variabilität an Pelztieren auf der amerikanischen Seite größer seien als auf Tschukotka. Iwan Kobelew wurde 1739 in Anadyr geboren und stammte väterlicherseits aus

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

einer Kosakenfamilie, die bereits seit dem 17. Jahrhundert im Nordosten des russischen Reichs tätig war. Da er fließend Tschuktschisch sprach, vermuten einige Historiker, dass er eine tschuktschische Mutter hatte (Boyarkova 2003, S. 1103). Der Kosakenführer Kobelew wurde 1779 mit dem Auftrag zur Beringstraße geschickt, herauszufinden, was es mit Gerüchten auf sich habe, dort seien zwei Schiffe gesehen worden. Als er in der St.  Lorenzbucht auf Tschukotka eintraf, berichteten die Tschuktschen von zwei fremden Schiffen, die im vorigen Sommer vor der Bucht geankert

hatten. Dabei handelte es sich um Cooks Resolution und Discovery. Auf der Insel Big Diomede informierte Kobelew sich über Verlauf und Bewohner der amerikanischen Küste. Er erhielt sehr detaillierte Auskünfte und fasste diese in einer verblüffend genauen Karte der Beringstraße zusammen. Karte und Auszüge aus dem Tagebuch Kobelews erschienen sogar in den von Peter Simon Pallas herausgegebenen „Neuen Nordischen Beyträgen“ im Jahr 1783 in deutscher Übersetzung. Über die Begegnung zwischen Cook und den Tschuktschen heißt es darin:

„Die Engländer kamen in drey Schaluppen ans Land, und tauschten mit den Anwohnern Glaskorallen und Schmelz gegen Fuchsbälge. Auch ein baumwollenes, rothes, weisgestreiftes Tuch war von ihnen vertauscht worden.“

(Kobelew 1783, S. 106 f.)

Austausch zwischen den Kontinenten Gegen Ende des 18.  Jahrhunderts entwickelte sich ein von Tschuktschen dominiertes Handelsgeflecht, das beide Seiten der Beringstraße einschloss. Ausgangspunkt war eine russische Handelsmesse, die ab 1789 jährlich in Ostrownoe an einem Nebenfluss der Kolyma durchgeführt wurde (Bockstoce 2009, S. 70). Zwar lag der Ort Ostrownoe ca. 1.300 km von der Beringstraße entfernt, war aber mit Schlitten gut zu erreichen, sodass der Fernhandel in Gang kam. Da Tschukotka relativ arm an Pelztieren war, waren die Tschukt-

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schen darauf angewiesen, sich die begehrten Rauchwaren in Alaska zu beschaffen. Die Eskimo jagten Eisfüchse (weiße und grau-blaue Variante), Rotfüchse, Vielfraß, Erdhörnchen, Wölfe und Schneehasen und boten die Felle den Tschuktschen an. Der Warenaustausch zwischen Eskimo und Tschuktschen fand auf der Insel Big Diomede statt. Die Tschuktschen brachten die Felle nach Tschukotka und gaben sie an Inlandtschuktschen weiter, die sie auf Schlitten zur Messe transportierten. Dort tauschten sie Pelzwerk gegen Mes-

FELLHANDEL IN DER BERINGSTRASSE

ser, Tabak und Glasperlen  – Waren, die wiederum im Norden Alaskas begehrt waren (Bockstoce 2009, S.  3). Der Handel war aufgrund der Verfügbarkeit von Absatzmärkten in China und der Präsenz von promyschlenniki als Zwischenhändler und Warenlieferanten möglich geworden.

Die Tschuktschen erweiterten damit bereits bestehende Handelsnetzwerke zwischen den Völkern des russischen Fernen Ostens, in denen unter anderem Schmiedeprodukte der Jakuten sowie Waren aus japanischer Herstellung als Handelswaren zirkulierten.

Kein Landgang auf Big Diomede Im Jahr 1819 erschien das erste amerikanische Handelsschiff in der Beringstraße, die Brigg General San Martin unter dem Kommando von Eliab Grimes. Die Tschuktschen sahen in der Ankunft des Schiffs eine Bedrohung ihres Handelsmonopols und verhinderten sowohl auf der Insel Big Diomede als auch auf dem Festland bei Kap Deschnjow einen Landgang der Amerikaner. Sie stellten sich den Fremdlingen zu Hunderten mit Pfeil und Bogen bewaffnet entgegen. Nach zweimaligem Scheitern änderte Grimes den Kurs Richtung Kotzebue Sound auf der amerikanischen Seite, aber auch da waren die Einwohner nicht viel zugänglicher. Schon Kotzebue hatte bei seinem Aufenthalt dort festgestellt, dass die Eskimo sich kampfbereit zeigten, und über eine Unmenge von Fellen verfügten, die für den Handel mit den Tschuktschen bestimmt waren. Grimes erkannte, dass die Tschuktschen und Eskimo sich zum Warenaustausch auf Big Diomede trafen. Die Tatsache, dass sie diesen Handelsort so vehement verteidigten, sprach dafür, dass der Umsatz an Fellen beträchtlich war. Zwar war

die General San Martin mit ihrem ersten Vorstoß nach Norden gescheitert, Kapitän Grimes hatte aber wertvolle Informationen bezüglich des durch Tschuktschen dominierten interkontinentalen Handels über die Beringstraße hinweg mitgebracht. Bockstoce beschrieb das Erscheinen des amerikanischen Schiffs in der Beringstraße als Anfangspunkt einer wirtschaftlichen Invasion, die die ganze Region verändern sollte (Bockstoce 2009, S. 3–4). Im Vorfeld seiner Reise in den hohen Norden hatte Grimes 1818 einen Stopp in Petropawlowsk auf Kamtschatka eingelegt. In den  Jahren 1817–1822 war Rikord, der Golownin während dessen erster Weltumsegelung aus der Gefangenschaft der Japaner befreit hatte, Gouverneur von Kamtschatka. Rikord hatte von Graf Rumjanzew die Aufforderung erhalten, an Kotzebues Erkundungen anzuknüpfen und diese weiterzuführen bzw. überprüfen zu lassen. Offenbar sah Rikord in der amerikanischen Expedition eine Möglichkeit, diesen Auftrag durchführen zu lassen, ohne dass der russischen Krone Kosten entstanden. Er

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

gab Grimes bereitwillig Kotzebues Karten und stellte ihm sogar einen Dolmetscher zur Verfügung (Bockstoce 2009, S. 12). Hier zeigt sich ein typisches Muster. Solange Entdeckungsfahrten in unbekannte Gebiete und erstmalige Kartierungen im Vordergrund standen, kam es

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häufig zu internationaler Zusammenarbeit. Die einzelnen Expeditionen unterschiedlicher Staaten bauten aufeinander auf und tauschten großzügig ihre Materialien aus. Sobald aber die Gebiete bekannt und gut kartiert waren, setzten die Konflikte und Streitigkeiten um Gebietsansprüche und nutzbare Ressourcen ein.

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RELIGIÖSE VORSTELLUNGEN

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ine Abbildung einer solchen Rassel findet sich auch in der Reisebeschreibung Georg Heinrich von Langsdorffs (s. Kap.  33, Abb. 44). An zwei über Kreuz gelegten Holzstäben sind zwei Holzringe befestigt, von denen Vogelschnäbel sowie abgefallene Hornplatten von Vogelschnä­­ beln herunterhängen (Abb. 52). Diese stammen von Gelbschopflunden (Fratercula cirrhata), Seevögel aus der Familie der Alken. Aus dem schwarz schimmernden Federkleid dieser Vögel fertigten die Alutiiq und Aleuten warme Anoraks, die Eier wurden gegessen. Außerdem wurden die Bälge dieser Vögel im 18. Jahrhundert zu begehrten Objekten für zoologische Sammlungen in Europa. Die Holzstäbe für die Ringe der Rassel wurden mehrfach eingekerbt, mit Dampf biegsam gemacht und dann in Form gebogen.

Alle Reisenden aus dem frühen 19. Jahrhundert, die sich für längere Zeit, das heißt auch im Winter, auf der Insel Kodiak aufhielten, berichteten von Festlichkeiten, bei denen solche Rasseln Verwendung fanden. Während der Feste wurden Tänze und Pantomimen aufgeführt, um Dankbarkeit für erfolgreiches Jagdglück auszudrücken. Gleichzeitig war damit aber auch die Bitte an die Tiere verbunden, sich weiterhin als Beute zur Verfügung zu stellen (Hrdlicka 1944, S.  74). Ein weiteres Instrument, mit dem die Alutiiq ihre Tänze begleiteten, war eine Rahmentrommel mit Griff. Masken, Trommeln und Rasseln wie die hier abgebildete, waren eng an die Ausübung religiöser Rituale gekoppelt und verschwanden daher mit der Übernahme des orthodoxen Christentums.

Russisch-Orthodoxe Missionierung Da die Missionierung der Alutiiq bereits in den 1760er Jahren begann, ist über ihre traditionellen religiösen Vorstellungen kaum etwas bekannt. Schon die ersten promyschlenniki hatten als Laien Taufen durchgeführt. Üblicherweise erhielten die Täuflinge den Namen ihres Paten, was erklärt, warum bis heute viele Alutiiq und Aleuten russische Familiennamen tragen. Amanaty, meist junge Männer aus hochrangigen Familien, die als Un-

terpfand für regelmäßige Steuerzahlungen bei den Russen lebten, also gewissermaßen Geiseln waren, wurden als erste getauft. Nicht selten nahmen die Taufpaten ihre amanaty für eine Zeitlang mit nach Kamtschatka oder Sibirien, wo sie die russische Sprache sowie Lesen und Schreiben lernten. Viele von ihnen wurden nach ihrer Rückkehr als Dolmetscher eingesetzt und wurden gleichzeitig so etwas wie Kulturvermittler (Vinkovetsky 2011, S. 164).

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb. 52 Rassel, Alutiiq/Sugpiaq, Kodiak. Material: Holz, Vogelschnäbel. Maße: Durchmesser 16–17 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 669 (Foto: Harry Haase).

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RELIGIÖSE VORSTELLUNGEN

Von den Russen, die nach Alaska kamen, gehörten viele zu den Altgläubigen. Diese waren 1666 aus der Amtskirche ausgeschlossen worden, weil sie die von Patriarch Nikon eingeführten Kirchenreformen nicht anerkennen wollten. Das Altgläubigentum zeichnete sich durch intensive Alltagsreligiosität gepaart mit der Einhaltung vieler Riten, hohe Wertschätzung von Symbolen und eine mündliche Weitergabe der religiösen Inhalte aus. Die Altgläubigen standen den Schamanen keineswegs negativ gegenüber und glaubten an deren positive Kraft und Wirkung als Helfer in Not und Krankheit, fürchteten aber auch deren negative Magie (Black 2004, S.  224–225). Die gelebte religiöse Praxis der russischen Altgläubigen und der Alutiiq und Aleuten wies also durch-

aus Gemeinsamkeiten auf. Darin könnte eine Erklärung liegen für die positive Resonanz der russischen Missionierungsversuche bei diesen Gruppen. Wenngleich die Übernahme des Christentums auf Kodiak schleppender voran ging und schamanische Rituale länger durchgeführt wurden als auf den Aleuten (Luehrmann 2008, S.  134). Trotz der Gemeinsamkeiten war die Geisteshaltung gegenüber der Natur und ihren Wesen sehr verschieden. Der rituelle Umgang mit Jagdbeute und die Verehrung von Tierseelen durch die indigene Bevölkerung standen der rigorosen Ausbeutung von Seeottern und Seebären als Ressourcen für den Handel durch die promyschlenniki sowie ihrer englischen und amerikanischen Konkurrenten diametral gegenüber.

Mehr Priester für die ferne Kolonie Die ersten Mönche mit missionarischem Auftrag kamen im September 1794 auf die Insel Kodiak und tauften bis Mai 1795 mehrere 1000 Personen (s. Kap. 18). Da es immer wieder zu Konflikten zwischen den Mönchen und dem ersten Manager der Kolonie, Alexander Baranow, kam, schickten sie im Jahr 1802 eine Beschwerde nach St. Petersburg. Als Resultat wurde der Priestermönch Gideon im Rahmen der ersten russischen Weltumsegelung nach Alaska geschickt, um über den Stand der dortigen Mission zu berichten. Er blieb drei Jahre auf Kodiak und fertigte einen ausführlichen Report an (Gideon 1989).

Mit der zweiten Charta für die RAK aus dem Jahr 1821 war auch die Auflage verbunden, mehr Geld und Engagement in den Aufbau des religiösen Lebens in Alaska zu investieren (Vinkovetsky 2011, S.  168). Dies geschah, indem die RAK auf ihre Kosten drei Priester nach Alaska entsandte. Unter ihnen war Ioann Weniaminow, der über sein Priesteramt hinaus große Bedeutung für Geschichte, Kultur und Sprache Russisch-Amerikas erlangte. Weniaminow wurde am 26. August 1797 in der Nähe von Irkutsk als Ioann Ewsejewitsch Popow geboren. Seine Ausbildung erhielt er im Priesterseminar von Irkutsk, wo man ihm 1814 nach dem

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Tod des beliebten Bischofs Weniamin von Irkutsk dessen Namen gab. Als zu Beginn der 1820er Jahre Priester für Russisch-Amerika gesucht wurden, meldete Weniaminow sich für die Aufgabe und reiste mit seiner Frau und zwei Söhnen nach Alaska. Neben seinen ausgeprägten intellektuellen Interessen beherrschte Weniaminow diverse Handwerke, war physisch stark und legte gerne mit Hand an, wenn es um Bau oder Erweiterung von Kirchen und Schulen ging. Zehn Jahre lang (1824–1834) wirkte er auf der Insel Unalaska, erlernte verschiedene aleutische Dialekte und übersetzte liturgische Texte sowie Passagen aus der Bibel ins Un-

angan, für das er auch ein Alphabet auf Grundlage des kyrillischen entwickelte. Im Jahr 1834 wurde er nach NowoArchangelsk versetzt. Dort erlernte er ebenfalls die Sprache der Tlingit, obwohl diese zunächst kein Interesse am orthodoxen Christentum zeigten. Das änderte sich erst nach einer großen Pockenepidemie in den  Jahren 1836 bis 1838 (Boyd 1994). Die Tlingit kamen nach NowoArchangelsk, um sich impfen zu lassen und waren fortan auch offener für die Missionierung, da sich gezeigt hatte, dass die Kräfte ihrer Schamanen diesen neuen Bedrohungen nicht gewachsen waren (Grinev 2005, S. 161; Vinkovetsky 2011, S. 170).

St. Innocent of Alaska Im November 1838 war der Zeitpunkt für einen Heimaturlaub gekommen. Weniaminows Frau reiste mit vier ihrer inzwischen fünf Kinder zu Verwandtenbesuchen nach Irkutsk. Weniaminow segelte in Begleitung seiner Tochter Fekla um die halbe Welt nach St. Petersburg. Dort gab es viel für ihn zu regeln. Er kümmerte sich um gute Schulen für seine Kinder, organisierte die Publikation seines Hauptwerks über die Aleuten, das 1840 auf Kosten der RAK von der Akademie der Wissenschaften gedruckt wurde (Veniaminov 1984). Er informierte in Artikeln und Gesprächen über den Stand der Missionierung in Alaska und versuchte auf diese Art höhere Finanzmittel einzuwerben. In diesem Trubel erreichte ihn die Nachricht

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vom Tod seiner Frau. Nach langem Zureden von Metropolit Filaret entschloss sich Weniaminow ein Mönchsgelübde abzulegen. Dieser Schritt war ihm jetzt möglich, da in der orthodoxen Kirche Priester verheiratet sein dürfen, Mönche hingegen nicht. Mit seinem Übertritt zum sogenannten schwarzen Klerus nahm er den Namen Innokenti an und kehrte als Bischof einer neu gegründeten Diözese, die den fernöstlichen Teil Russlands und Russisch-Amerika umfasste, nach Alaska zurück. Es folgten viele Reisen innerhalb seiner riesigen Diözese. Sein ungebremster Tatendrang führte zu großen Erfolgen im Aufbau kirchlicher Strukturen im russischen Fernen Osten. Aufgrund seiner vielen

RELIGIÖSE VORSTELLUNGEN

Verdienste und der Wertschätzung, die er genoss, wurde Innokenti nach dem Tod des Metropoliten Filaret im Januar 1868 zu dessen Nachfolger als Metropolit von Moskau und ganz Russland beru-

fen. Damit hatte er das höchste Amt der russisch-orthodoxen Kirche inne und übte es bis zu seinem Tod am 31. März 1879 aus. 1977 wurde er als „Innocent of Alaska“ heiliggesprochen.

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Abb. 53 Kampfbeil bzw. Keule. Dena’ina (Tanaina), Alaska. Material: Karibugeweih, Leder, Muscheln. Maße: Länge 54,5 cm, Breite des Griffs ca. 4 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 104 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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eule oder Kampfbeil der Dena’ina aus dem Geweih eines Karibus (wildes Rentier in Nordamerika) angefertigt und am Griff mit Leder umwickelt. Der Stil weist Ritzspuren mit geometrischen Mustern auf. Am Ende des Beilkopfes befindet sich eine Vertiefung, die vermutlich zur Aufnahme einer Steinklinge diente. An einigen Stellen sind kleine Muschelperlen eingesetzt (vgl. Osgood 1937, S. 111 und Plate 13). Die Dena’ina gehören zu den Na-Dené Sprechern (Athapasken) und lebten im Südwesten Alaskas am Cook Inlet. Ihre Sprache, ebenfalls Dena’ina genannt, umfasst mehrere, recht unterschiedliche Dialekte. Die Bewohner der Kenai-Halbinsel wurden in russischen Quellen gemeinhin

als Kenaicy bezeichnet. Zur Lebensweise der Dena’ina gehörte ein regelmäßiger saisonaler Wechsel zwischen Winterdörfern mit rechteckigen, halbunterirdischen Giebelhäusern und Sommercamps (Osgood 1937, S.  55–65). Von den Winterdörfern aus wurden Karibu, Elch, Bär, Bergziege und Dallschaf gejagt. Im Sommer widmeten die Dena’ina sich ausgiebig dem Lachsfang. Ergänzend wurden Robben gejagt, was bedeutet, dass es einen konstanten Wechsel der Ressourcen zwischen Küste und Inland gab. Die wichtigste frühe Beschreibung der Kultur der Dena’ina stammt von Baron von Wrangel (s. Kap.  41) und erschien im Jahr 1839 in St.  Petersburg auf Russisch und gleichfalls in deutscher Übersetzung (Wrangel 1839, 1980).

Zusammenarbeit statt Konkurrenz Hatte der Zobel die russische Ausbreitung über ganz Sibirien vorangetrieben und der Seeotter zur Gründung der russischen Kolonie geführt, so wurde der Biber zur Triebfeder für Vorstöße ins Innere des nordamerikanischen Kontinents. Biberfelle eigneten sich hervorragend zur Herstellung von Filz und hatten, der Hutmode in Europa entsprechend, dort ihren Hauptabsatzmarkt. Die ungleich

dichteren Felle der Seeotter hatten pro Stück einen etwa zehn Mal höheren Wert als Biberfelle (Gibson 1992, S. 6). Im Jahr 1670 hatte die Hudson’s Bay Company (HBC) ihre Charta erhalten. Sie hatte ihren Hauptsitz in London und bekam nach einiger Zeit Konkurrenz durch die North West Company (NWC) mit Hauptsitz in Montreal. Im selben Jahr (1821), in dem der RAK die Verlängerung ihres Han-

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

delsmonopols zugebilligt wurde, kam es zum Zusammenschluss der HBC mit der NWC ( Jackson 2005, S. 2). Faktisch war es eher so, dass die HBC die NWC übernahm. Unter Leitung von George Simpson dehnte die HBC ihre Aktivitäten weit Richtung Westen bis an die Küsten des Pazifiks aus (Newman 1989, S. 135– 143). Amerikanische Händler aus Boston machten sowohl der RAK als auch der HBC in den küstennahen Gebieten Konkurrenz, was den Indianern ermöglichte, mehr und bessere Waren als Gegengabe für Biber zu verlangen. Die HBC drängte forsch in das russisch beanspruchte Gebiet und gründete 1825 Fort Vancouver am Columbia River, Fort Langley 1827 am Fraser River und Fort Simpson 1831 an der Mündung des Nass River. 1834 verhinderten die Russen die Gründung eines Forts der HBC am Stikine River, da sie an der Mündung des Flusses ihr Fort St. Dionysius errichtet hatten. Dieses Vorgehen verschärfte die ohnehin vorhandenen Konflikte mit der HBC.

Auch die HBC hatte beim Küstenhandel bis 1835 Schwierigkeiten mit dem Nachschub von Waren aus London und die Versorgungsprobleme der RAK bestanden weiterhin. Bis 1821 hatte sie illegal Weizen und Rindfleisch aus Kalifornien eingeführt. Ab 1822 öffnete sich Neumexiko für den Außenhandel und die russischen Importe waren fortan legal (Gibson 1990, S.  41). Mitte der 1830er  Jahre zogen sich die amerikanischen Kaufleute zurück, weil der Handel weniger rentabel wurde. Bis dahin hatten sie an der Küste das Warenangebot erhöht und zur Versorgung beigetragen. Die Auflösung der Missionen in Kalifornien ab 1834 führte dazu, dass dort die Felder nicht mehr bewirtschaftet wurden, so dass auch diese Importe wegfielen. In dieser beklemmenden Situation erklärte sich die RAK zur Zusammenarbeit mit der HBC bereit. Da der RAK fortan Handelsgüter der HBC zur Verfügung standen, belebte sich ihr Austausch mit den Dena’ina.

„Russian Contract“ George Simpson reiste 1838 nach St. Petersburg, um mit den Direktoren der RAK zu verhandeln. 1839 trafen Simpson und Baron von Wrangel (s. Kap. 41) sich in Hamburg und unterschrieben einen Vertrag, der innerhalb der HBC als „Russian Contract“ bezeichnet wurde (Gibson 1990b). Er trat am 1. Juni 1840 für zehn  Jahre in Kraft und beinhaltete folgende Vereinbarungen: Die HBC ver-

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sorgt Nowo-Archangelsk mit Lebensmitteln, dafür zieht sich die RAK aus dem Fort St.  Dionysius zurück und verpachtet das Gebiet an die HBC (Gibson 1990, S.  45). Aufgrund der englischen Getreidelieferungen aus Oregon, konnte die RAK es sich nun leisten, den teuren Posten in Fort Ross aufzugeben und verkaufte ihn 1841 an John Sutter, der den Gegenwert von 30.000 Silberdollar in

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Weizen lieferte. John Sutter, eigentlich Johann August Suter, war 1834 aus der Schweiz eingewandert und hatte im seit 1821 mexikanischen Kalifornien die blühende Kolonie Neuhelvetien gegründet (Owens 1994, Hurtado 2006). Die RAK war nun bestrebt, ihre Aktivitäten mehr nach Norden und mehr ins Landesinnere auszuweiten. Lawrenti Alexejewitsch Sagoskin erhielt deshalb von Gouverneur Etholén (s. Kap. 41) den Auftrag in den Jahren 1842 bis 1844 zum Yukon und Kuskokwim zu reisen (s. Zagoskin 1967). Er sollte die indigenen Handelswege vom Landesinneren zur Küste erkunden, die Lebensweise der Dena’ina beschreiben und Kontakte zu ihnen knüpfen, um eine russische Beteiligung am Handel mit Biberfellen zu ermöglichen (Arndt 1990, S. 102). Es zeigte sich, dass die RAK bei den Dena’ina nicht genauso vorgehen konnte wie bei den Aleuten und Alutiiq, da die Indianer im Landesinneren viel weitläufigere Rückzugsmöglichkeiten hatten als die Inselbewohner. Da die Dena’ina in losen Verbänden zusammen-

lebten, war es kaum möglich, sich durch Allianzen mit der Oberschicht die Arbeitskraft der untergeordneten Bevölkerung zu sichern. Das zweite Jahrzehnt des „Russian Contract“ stand unter völlig veränderten Vorzeichen. Erstens wurde 1846 die Grenze zwischen USA und British North America im Vertrag von Washington auf dem 49. Breitengrad festgelegt, was bedeutete, dass England keinen Zugriff mehr auf die Weizenanbaugebiete in Oregon hatte. Zweitens wurde 1848 bei der Mühle von John Sutter Gold gefunden, was einen gigantischen Goldrausch auslöste. Viele verließen ihre Farmen, um sich an der Suche nach Gold zu beteiligen. Der Chief Factor der HBC, James Douglas, schrieb 1849 an den Gouverneur von Russisch-Amerika, Michail Tebenkow, dass eine Versorgung von Nowo-Archangelsk durch die HBC nicht mehr möglich sei. Die RAK musste nun wieder Schiffe mit Lebensmittel und Gebrauchsgütern von Europa nach Nowo-Archangelsk schicken (Gibson 1990, S. 50).

Auf verlorenem Posten? In den 1850er  Jahren war die RAK gezwungen, ihren Handel breiter aufzustellen: Tee aus Shanghai, Eis nach Kalifornien, Lebensmittel nach Kamtschatka, Salz aus Hawaii, das sicherte der russischen Kolonie das Überleben. Während des Krimkriegs (1854–1856) wurde für die von der RAK und der HBC genutzten Gebiete ein Neutralitätsabkommen

geschlossen. Aber der Angriff auf Kamtschatka am 18. August 1854 zeigte Russland, dass schon der östliche Rand des russischen Reiches kaum zu verteidigen war, obwohl es gelang, den britischfranzösischen Schiffsverband abzuwehren. Es wurde deutlich, dass die Kolonie auf dem amerikanischen Kontinent auf Dauer nicht zu schützen war. Ausländi-

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

sche Walfänger operierten zunehmend in russischen Küstengewässern. Die Versorgungsprobleme, der Rückgang der Pelztiere und die schwierige Vertei-

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digungslage führten dazu, dass Russland darüber nachdachte, Alaska an die USA zu verkaufen (Alekseev 1990, S.  269– 292).

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GOUVERNEURE RUSSISCHAMERIKAS ALS SAMMLER VON ETHNOGRAPHIKA

urch das enge Zusammenleben von Aleuten, Alutiiq und anderen Ethnien mit den russischen Mitarbeitern der RAK kam es bald zu kulturellen Beeinflussungen, Anpassungen und Veränderungen. Ein Beispiel dafür ist diese kamleika (Abb. 54). Sie besteht aus zusammengenähten Darmstreifen, wie die üblichen wasserdichten Anoraks der Jäger. Da das Gewand als Geschenk für einen Russen in hoher Stellung gedacht war, wurde es im Stil eines russischen Armeemantels gefertigt. Dennoch wurden die üblichen, aus winzigen Lederstückchen zusammengesetzten Mosaiken appliziert (Abb.  55). Seemannsmützen europäischen Zuschnitts wurden ebenfalls aus Darmstreifen nachgeahmt (s. Varjola 182–184). Die den russischen Armeemänteln nachempfundene Form dieses Gewands verweist darauf, dass nach Baranows Ablösung im Jahr 1818 nur noch Angehörige der russischen Marine zu Gouverneuren von Russisch-Amerika ernannt wurden. Der fünfjährige Aufenthalt in der Kolonie erleichterte den Aufstieg innerhalb der Marine, was den Posten trotz der Abgeschiedenheit und großen Entfernung von Europa begehrenswert machte. Die meisten Gouverneure brachten ihre Frauen mit und versuchten in Nowo-Archangelsk so etwas wie kulturelles Leben

aufzubauen. Sie widmeten sich der Gründung und Unterhaltung von Schulen und veranlassten die Ausbildung geistlichen Nachwuchses. Häufig fand die Eheschließung relativ kurz vor dem Aufbruch in die russische Kolonie statt. Die Reise zum Einsatzort des Mannes dauerte oft über ein Jahr, so dass einige der Frauen ihr erstes Kind noch unterwegs zur Welt brachten. Drei dieser Gouverneure trugen umfangreiche ethnographische Sammlungen zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland bzw. Finnland gelangten. Offenbar galten Gegenstände, die Gouverneure unterwegs erwarben, als Privateigentum, wenn die Sammlungen nicht im Auftrag der Akademie der Wissenschaften angelegt wurden. Zumindest macht es den Anschein, dass sie nach Belieben darüber verfügen und die Gegenstände sogar ins Ausland transferieren konnten. Bei den erwähnten Gouverneuren handelt es sich um Baron Ferdinand Petrowitsch von Wrangel, Iwan Antonowitsch Kuprejanow und Adolf Arvid Etholén. Viele Angehörige der Russischen Marine waren keine ethnischen Russen, sondern Deutschbalten oder Finnen; so war Wrangel Deutschbalte, Kuprejanow Russe und Etholén Finne. Da das intellektuelle

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Abb. 54 „Kamleika“ im Stil russischer Uniform­ mäntel. Material: Robbendarm, Leder­ mosaiken; stark be­ schädigt. Maße: Länge ca. 108 cm, Breite ca. 80 cm. Landes­ museum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 2544 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

Abb. 55 Detail der „kamleika“ (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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GOUVERNEURE RUSSISCH-AMERIKAS ALS SAMMLER VON ETHNOGRAPHIKA

Interesse an der fernen Kolonie groß war, veröffentlichten nicht nur reisende Gelehrte, sondern auch mehrere Kapitäne Berichte über ihre Expeditionen. Häufig enthalten diese Schriften wertvolle Informationen über die Lebensweise der indigenen Bevölkerung, manche wurden sogar zu vielzitierten Klassikern über Rus-

sisch-Amerika. Vor allem in der Anfangszeit hatten die Seeleute Gelegenheiten, Feste und Riten zu beobachten, die später nicht mehr abgehalten wurden. Insbesondere die Kunstkammer in St.  Petersburg aber auch mehrere Museen im westlichen Europa verdanken ihnen außerdem wertvolle ethnographische Sammlungen.

Baron Ferdinand Petrowitsch von Wrangel (1797–1870) Ferdinand Petrowitsch von Wrangel wurde am 29. Dezember 1796 bzw. 9. Januar 1797 (jul./greg. Kalender) in Estland geboren. Nach dem Besuch der Kadettenschule sammelte er während der Weltumsegelung unter Kapitän Golownin in den Jahren 1817–1819 erste Erfahrungen (s. Kap.  37). Von 1820 bis 1824 leitete Wrangel eine Expedition durch NordostSibirien und vermutete die Existenz jener Insel, die heute seinen Namen trägt. Ihm selbst war weder vergönnt, die Wrangelinsel zu betreten noch sie auch nur aus der Ferne zu sehen. Während seiner zweiten Weltumsegelung (1825–1827), die er bereits selbst auf der Brigg Krotkii kommandierte, hielt Wrangel sich im Herbst 1826 drei Wochen in Nowo-Archangelsk auf. Bald nach seiner Rückkehr nach Kronstadt (14. September 1827) wurde er zum Gouverneur von Russisch-Amerika berufen und begab sich im Sommer 1829 gemeinsam mit seiner Frau erneut in den

„Fernen Osten“, wo er von 1831 bis 1836 sein Amt ausübte (Pierce 1990). Er war es, der 1834 das Fort St. Dionysius gründete, das ab 1840 an die HBC verpachtet wurde (s. Kap.  40). Heute befindet sich an dieser Stelle die Stadt Wrangell. Wrangels Sammlung von E ­ thnographika befindet sich im Weltkulturen Museum der Stadt Frankfurt/M. Noch während er seinen Dienst als Gouverneur von Russisch-Amerika versah, kam die Sammlung im Jahr 1834 in Frankfurt an. Wrangels Schwiegervater, Baron Wilhelm von Rossillon, schenkte die Objekte der Senckenbergischen Naturforschenden Ge­ sellschaft. Wann genau die Sammlung nach Europa geschickt wurde, und ob es Wrangels Wunsch entsprach, dass sie nach Frankfurt gegeben wurde, ist nicht bekannt (Reiß 2000). Ursprünglich bestand die Sammlung aus 51 Objekten, von denen neun während des Zweiten Weltkriegs verloren gingen.

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Iwan Antonowitsch Kuprejanow (1799–1857) Auch Iwan Antonowitsch Kuprejanow nahm an mehreren Weltumsegelungen teil, bevor er Wrangels direkter Nachfolger auf dem Gouverneursposten wurde. So war er als Offiziersanwärter auf jener Expedition dabei, die 1820 erstmals den Antarktischen Kontinent sichtete und hielt sich in den Sommern 1823 und 1824 im Rahmen einer weiteren Weltumsegelung in Russisch-Amerika auf. Um seinen Dienst als Gouverneur (1835–1840) anzutreten, reiste er gemeinsam mit seiner Frau über Land durch ganz Sibirien bis Ochotsk und von dort per Schiff weiter nach Nowo-Archangelsk. Auch Kuprejanow legte eine umfangreiche Sammlung an. Teile davon wurden im Oktober 1841 von St.  Petersburg per Schiff nach Lübeck und dann weiter nach Oldenburg geschickt.

Die Objekte werden heute im Landesmuseum Natur und Mensch aufbewahrt. Ein Begleitschreiben in französischer Sprache von Pawel Dmitriewitsch Tolstoi, der als Hofmeister des Prinzen Peter von Oldenburg in St.  Petersburg tätig war, erläutert die wesentlichen Hintergründe zur Sammlungsgeschichte und erwähnt, dass ebenfalls Objekte aus Kuprejanwos Sammlung an die Kunstkammer in St.  Petersburg gegeben wurden. Neben dem Brief lag der Sammlung eine ebenfalls in Französisch abgefasste Liste der Objekte bei. Daraus geht hervor, dass neben ca. 98 Ethnographika auch ausgestopfte Tiere, hauptsächlich Seevögel, Bestandteil der Sammlung waren. Nur ein Teil der Objekte von Tolstois Liste lässt sich sicher dem heutigen Bestand des Museums zuordnen.

Arvid Adolf Etholén (russ. Adolf Karlowitsch Etolin) (1799–1876) Der Finne Arvid Adolf Etholén betätigte sich ebenfalls als Sammler. Insgesamt hielt er sich mit Unterbrechungen 25 Jahre in Russisch-Amerika auf und war dort in verschiedenen Positionen tätig. Er wurde am 9. Januar 1799 in Helsinki geboren, d. h. im gleichen Jahr wie Kuprejanow und auch in dem Jahr, in dem die RAK gegründet wurde. Er verließ vorzeitig die Schule, um auf der Handelsflotte zur See zu fahren. Im Jahr 1817 trat Etholén seinen Dienst für die RAK auf der Kamtschatka unter Kapitän Golow-

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nin an. Während der Reise von Kronstadt nach Nowo-Archangelsk hatte Etholén Gelegenheit, Fjodor Petrowitsch Lütke (russ. Litke) und Baron Ferdinand von Wrangel kennen zu lernen, die beide als Offiziersanwärter an Bord waren. Lütke wurde später selbst durch Erkundungen im Norden und eine eigene Weltumsegelung berühmt. Die Wege der Personen, die mit Russisch-Amerika zu tun hatten, kreuzten sich immer wieder. Im Mai 1818 verließ Etholén in NowoArchangelsk die Kamtschatka, um vor Ort

GOUVERNEURE RUSSISCH-AMERIKAS ALS SAMMLER VON ETHNOGRAPHIKA

für die RAK zu arbeiten. Dies bedeutete ein höheres Einkommen als die Tätigkeit im Golf von Finnland und beinhaltete bessere Aufstiegschancen. Die ersten Objekte übergab Etholén während eines Heimaturlaubs in den Jahren 1825 und 1826 an das zur Königlichen Akademie zu Turku gehörende Museum, das bereits seit dem 18.  Jahrhundert existierte. Es handelte sich dabei um Gegenstände, die er auf den Aleuten, in Kalifornien und Hawaii gesammelt hatte. Unglücklicherweise wurden Etholéns frühe Sammlungen während eines Brandes im Jahr 1827 zerstört. Besonders bedauerlich ist der Verlust einer aleutischen Maske, weil derartige Gegenstände in der späteren Zeit nicht mehr hergestellt wurden. Nachdem Etholén einen zweiten Fünfjahresvertrag in Russisch-Amerika abgeleistet hatte, kehrte er nach Finnland zurück und heiratete am 18. Juni 1839. Zu dieser Zeit war seine Ernennung zum Gouverneur von Russisch-Amerika bereits erfolgt, und im September 1839 schiffte sich das Ehepaar auf der Nikolai ein. Als Etholén seine Ernennung zum Gouverneur erhielt, waren ungefähr 150 Mitarbeiter der RAK protestantischen Glaubens, das entsprach fast einem Drittel der nicht-indigenen Beschäftigten der RAK. Seinem Antrag, einen lutherischen Pastor in die Kolonie zu entsenden, wurde seitens der RAK stattgegeben und so reiste Uno Cygneus als lutherischer Pastor gemeinsam mit den Etholéns nach Nowo-Archangelsk (Rabow-Edling 2015, S. 108). Am Ende seiner Zeit als Gouverneur (1840–1845) brachte Etholén erneut um­

fangreiche Sammlungen mit nach Finnland. Diese befinden sich in Helsinki und wurden im Rahmen einer russisch-finnischen Zusammenarbeit hervorragend publiziert (Varjola 1990). Die Entstehung all dieser Sammlungen fällt in eine Zeit, in der die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in St.  Petersburg großes Interesse an der Naturgeschichte Russisch-Amerikas hatte. Die Akademie organisierte sogar eine regelrechte Sammelreise, indem sie Ilja Gawrilowitsch Wosnessenski mit dem expliziten Auftrag, sowohl zoologische als auch ethnographische Sammlungen anzulegen zunächst für drei  Jahre nach RussischAmerika entsandte. Wosnessenskis Vertrag wurde mehrfach auf insgesamt zehn Jahre verlängert (1839–1849) (Alekseev 1987). Er kehrte mit reicher Ausbeute zurück und wurde anschließend Kurator im Zoologischen Museum in St.  Petersburg. Es ist durchaus möglich, dass ein Teil von Etholéns Sammlung auf Wosnessenski zurückgeht und dieser ebenfalls der Verfasser einer zugehörigen Liste ist, die in russischer Sprache alle Objekte aufzählte und mit der Sammlung nach Helsinki geliefert wurde (Varjola 1990:18, Korsun 2006). Waren es in Göttingen im Wesentlichen wissenschaftliche Beziehungen, die dafür sorgten, dass die Objekte dorthin gelangten (ergänzt durch die Verbindung der Königshäuser von England und Hannover), so war es in Oldenburg ein Geschenk unter Verwandten, nämlich von Peter von Oldenburg in St. Petersburg an seinen Onkel, den Großherzog von Oldenburg.

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Abb. 56 „Chilkat“-Decke. Tlingit, Alaska. Material: Bast, Bergziegenwolle. Maße: Länge mit Fransen 130 cm, Breite 160 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg. Slg. Kupreja­ now – Inv. Nr. 2853 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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KULTURELLE VERÄNDERUNGEN

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ie Tlingit fertigten im 18. Jahrhundert einfache mit geometrischen Mustern verzierte Decken aus der Wolle von Bergschafen an. Weiß, braun und ein durch Färben der Wolle mit Wolfsflechten erzieltes Gelb waren die Grundfarben dieser Decken (Vaughan und Holm 1982, S.  111). Daraus entwickelten sie im frühen 19. Jahrhundert die sogenannten Chilkat-Decken (Feest 2008, S. 114), bei denen es sich eigentlich um über den Schultern getragene Umhänge mit langen Fransen handelt. Für die Herstellung der Muster auf solchen Decken wurden von den Männern stilisierte Zeichnungen von Familienwappen oder Adelsprivilegien auf Holzbrettern angefertigt. Die schwarzen Linien auf hellem Grund stellten meist Tiere oder Geistwesen dar. Um die gesamte Fläche auszufüllen, wurden die Figuren in die Länge gezogen und verdreht. Die Vorlage enthielt aber immer nur die Hälfte des Musters, da sich die Ornamente spiegelverkehrt zur mittleren Längsachse wiederholten (Haber-

land 1979, S.  68). Aufgabe der Frauen war es dann, nach diesem Vorbild die Decke in einer komplizierten (zwirnbindigen) Flechttechnik zu fertigen. Eine besondere Herausforderung beim Flechten der Decken war die Ausführung der gezeichneten Muster im charakteristischen Formlinienstil. Die vorherrschenden Farben waren schwarz, blaugrün und gelb. Als Material verwendeten die Frauen den Bast der Nootka-Scheinzypresse und Bergziegenwolle. Sie brauchten ungefähr ein Jahr bis eine solche Decke fertiggestellt war. Der Name Chilkat geht auf die Frauen vom Chilkat River zurück, denn sie galten als die versiertesten Flechterinnen (über die Herstellung der Decken und Gewinnung der charakteristischen Farben siehe Emmons 1991, S. 224–233 und Samuel 1982). Da die Sammlung von Iwan Kuprejanow bereits Ende 1841 in Oldenburg eintraf, handelt es sich um ein sehr frühes Exemplar aus den Anfangsjahren der Entwicklung der ChilkatDecken.

Chilkat Dancing Blankets Chilkat-Decken wurden von hochrangigen Personen während zeremonieller Tänze als Umhänge getragen; desgleichen bei Friedensschlüssen. Außerdem fanden diese Decken Verwendung bei Trauerfeiern. Eine Decke wurde dem Verstorbe-

nen um die Schulter gelegt, so wie er sie zu Lebzeiten getragen hatte, eine weitere wurde über den unteren Gliedmaßen ausgebreitet (Kan 1989, S.  130). In der Sammlung von Etholén (s. Kap. 41) befindet sich eine ähnliche Decke, die Etho-

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

lén möglicherweise während eines 1841 von ihm für die Tlingit ausgerichteten üppigen, Potlatch-ähnlichen Fests (s. u.) als Gegengabe erhielt (Varjola 1990, S. 76; Grinev 2005, S. 221). Die Gesellschaft der Tlingit war hierarchisch gegliedert. Es gab einen erblichen Adel, Gemeine und Sklaven. In die Klasse der Sklaven wurde man entweder hineingeboren oder man wurde als Kriegsgefangener zum Sklaven degradiert. Die Klane der Tlingit waren zwar matrilinear aber patrilokal organisiert. Dies bedeutete,

dass Kinder Mitglieder des Klans ihrer Mutter waren, aber im Haus ihres Vaters aufwuchsen. Die Söhne angesehener Familien lebten eine Zeitlang bei dem Bruder der Mutter, von dem sie später Titel und Privilegien erbten. Das alles führte zu komplizierten Verwandtschafts- und Wohnbeziehungen zwischen den einzelnen Klanen, die nicht frei von Auseinandersetzungen waren. Eine Möglichkeit, Rivalitäten zwischen angesehen Familien innerhalb eines Klans auszutragen, war der Potlatch.

Potlatch Beim Potlatch handelte es sich um eine vielschichtige Institution, die hier nur grob vereinfacht dargestellt werden kann. Im Grunde war es ein großes Fest, bei dem ein traditioneller Name, Rang oder vererbbare Privilegien weitergegeben wurden. Am Ende wurden die eingeladenen Gäste beschenkt. Durch die Reihenfolge, in der die Gastgeber die Gaben verteilten, bestätigten sie Rang und Bedeutung der Gäste, die wiederum durch ihre Anwesenheit und die Entgegennahme der Präsente den veränderten Status der einladenden Person legitimierten. Diese Gegenseitigkeit war wichtig. Zu den wertvollsten Geschenken gehörten Sklaven und charakteristisch geformte Kupferplatten, im 19. Jahrhundert kamen Chilkat-Decken, wie die hier abgebildete, hinzu. Die einladende Gruppe führte Teile ihres ererbten Besitzes, wie Lieder, Tänze

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und Masken vor. Die Ursprünge ihrer Rechte daran, wurden auf den Festen rezitiert und damit allen Beteiligten ins Gedächtnis gerufen. Ein Potlatch konnte zu unterschiedlichen Anlässen ausgerichtet werden. Die Tlingit luden zu einem Potlatch ein, wenn ein hochrangiger Chief verstorben war. Im Rahmen des Festes errichteten sie einen Gedenkpfahl und gaben Name und Position des Chiefs an den rechtmäßigen Erben weiter. Andere Anlässe waren die bedeutenden Übergänge im Leben, Geburt, Erhalt des Namens, Übergang vom Jugend- ins Erwachsenendasein und Hochzeiten. Auch der Bau eines neuen Hauses wurde von den Tlingit mit einem Potlatch gefeiert (Grinev 2005, S. 47). Das durch den Fellhandel gestiegene Warenangebot wirkte sich auf die Zeremonien rund um den Potlatch aus. Die Feste wurden größer und üppiger, Zahl

KULTURELLE VERÄNDERUNGEN

und Wert der verteilten Geschenke nahmen immens zu, ebenso die Anzahl der eingeladenen Gäste. Außerdem breitete sich die Institution des Potlatchs durch die verstärkte Kommunikation zwischen den Stämmen weiter nach Süden aus. Der durch den Fellhandel entstandene neue Reichtum erlaubte es, häufiger Potlatchs auszurichten. In der Vorkontaktzeit luden nur die höchsten Chiefs zum Potlatch ein und die gesamte Verwandtschaft musste helfen, die benötigten Geschenke zusammenzutragen. Der Zugang zu nichttraditionellen Quellen von Reichtum ermöglichte es auch untergeordneten Personen, einen Potlatch auszurichten (Cole und Chaikin 1990, S. 8). Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die mehrtägigen Feste so ausufernd, dass die Gastgeber sich ökonomisch völlig ruinierten. Teilweise wurden die Geschenke sogar vernichtet, um zu zei-

gen, dass man sich diese Verschwendung leisten konnte. Häufig geschah dies während einer neuen Variante des Potlatchs, bei der es ausschließlich um materielle Rivalitäten ging, da politische Macht an zur Schau gestellten Reichtum gebunden war (Grinev 2005, S.  219f). Letztlich führte die übersteigerte Ausrichtung der Feste zum Verbot des Potlatchs im Jahr 1885 durch die kanadische Regierung. Die Geschenkfeste hatten ursprünglich bei jeder Gruppe einen eigenen Namen. Der Begriff Potlatch stammt aus der Sprache der Nootka, patschatl, und bedeutet ‚Gabe‘ bzw. ‚etwas weggeben‘. Erst über die Handelssprache Chinook wanderte der Begriff in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Sprachen der einzelnen Gruppen ein und diente seitdem als Bezeichnung für die aufwendigen Geschenkfeste.

Handelssprache Chinook Chinook wurde an der Küste von Oregon bis Alaska gesprochen und entwickelte sich als Handelsidiom aus der Sprache der Nootka auf Vancouver Island vermischt mit Lehnwörtern aus dem Englischen, Französischen, Spanischen, Russischen und verschiedenen indianischen Sprachen. In der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts sprachen viele Tlingit Chinook, vor allem jene, die Reisen unternahmen und in den Handel eingebunden waren. Der Name Chinook geht auf eine

indianische Gruppe am Unterlauf des Columbia River zurück. Durch die Verfügbarkeit der europäischen und amerikanischen Waren vergrößerten sich die indigenen Handelsnetze; das der Tlingit reichte beispielsweise weit ins Landesinnere in den Lebensraum der Dena’ina hinein. Die verstärkten Kontakte zu unterschiedlichen indigenen Gruppen führten zu den bereits mehrfach erwähnten stilistischen Beeinflussungen in der materiellen Kultur.

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb 57 Korb, Aleuten, Alaska. Material: Pflanzenfasern (Strandroggen), geflochten. Maße: 26 x 30 cm. Ethnologische Sammlung des Instituts für Ethnologie der Universität Göttin­ gen, Slg. Asch – Am 690 (Foto: Harry Haase).

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100 JAHRE KULTURKONTAKT – UND DIE ENTSTEHUNG DER ETHNOLOGIE

A

us Strandroggen (Leymus mollis) ge­flochtener Korb mit sogenannter falscher Stickerei verziert. Bei der falschen Stickerei wurde an der Außenseite ein zusätzlicher Strang in anderer Farbe mit eingearbeitet, so dass der Schmuck auf der Innenseite nicht zu sehen ist. Die Kante des Flechtwerks wird von Schlaufen gebildet, an denen zwei mit Sehnen umwickelte Schnüre befestigt sind, die den oberen Rand des Korbs stabilisieren. Geflochtene Körbe waren bei den Aleuten in unterschiedlichen Größen und Formen in Gebrauch, um Lebensmittel darin zu sammeln, zu transportieren oder aufzubewahren. Sie wurden so fein gearbeitet, dass sie sogar wasserdicht waren (Petrivelli 2010, S. 140). Das Flechten sowie Schneiden und Vorbereiten des Strandroggens für die Flechtarbeiten gehörte zu den Tätigkeiten der Frauen. Sie ließen einen Daumennagel sehr lang wachsen und setzten

diesen als Werkzeug zum Aufspalten der Fasern ein (Liapunova 1996, S.  190). Schon bald nach den ersten Kontakten mit Europäern wurde das Flechten von Matten aufgegeben und diese durch andere Materialien wie Wolldecken ersetzt. Die fein geflochtenen Körbe blieben weiterhin in Gebrauch und entwickelten sich zu begehrten Souvenirs. Nach und nach kamen neue Formen von Behältnissen hinzu. So begannen die Aleutinnen Überzüge für Flaschen, Körbchen mit Deckel nach dem Vorbild chinesischer Lackdosen, Zigarrenetuis und sogar geflochtene Weingläser herzustellen. Sie orientieren sich dabei am Geschmack der Seeleute, die diese Produkte gerne kauften (Black 2003, S.  161–173). Selbst heute verschaffen kleine Körbchen, die bevorzugt in Museumshops angeboten werden, den wenigen verbliebenen Flechterinnen noch ein Einkommen.

Verständigungsschwierigkeiten Die erste auf anschauliche Art schriftlich überlieferte Begegnung mit Aleuten fand im Sommer des  Jahres 1741 während Vitus Berings Zweiter Kamtschatka-Expedition statt. Schon bei die-

sem ersten Zusammentreffen zeigten sich jene Elemente, die den weiteren Verlauf der Geschichte prägten: Missverständnisse, Gewalt, Ausbeutung, aber auch freundliche Annäherung und wis-

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

senschaftliche Neugier. Georg Wilhelm Steller schrieb in seinem „Tagebuch ei-

ner Seereise“ über das Zusammentreffen mit Aleuten:

„Ein Theil der Insulaner blieb bey uns am Lande stehn, sahen uns mit unverwandten

Augen an, und luden uns durch öfters Winken zu sich: Als wir ihnen aber mit allerley Zeichen zu verstehen gaben, wie uns dieses unmöglich wäre, so setzte sich einer

in seinen Kahn, den er mit einer Hand aufgehoben und unterm Arm nach dem Wasser getragen hatte, und kam zu uns gerudert. Man bewillkommte ihn mit einer Schale Brantwein, die er unserm Beyspiel zufolge behende austrank, aber auch sogleich

wiederum ausspie, und sich wunderlich darüber geberdete, als wenn er über diesen

vermeynten Betrug nicht allzu vergnügt schiene. Ongeachtet ich nun solches, wie den Tabak und die Pfeifen missriet, so meynten unsre Herren doch, die Amerikaner hätten

Matrosen-Magen, wollten also den ersten Verdruß mit einem neuen heben und übergaben dem Fremdling eine angerauchte Pfeife Tabak die er zwar annahm, aber ganz

mißvergnügt davon ruderte. Und eben das würde der klügste Europäer tun, wenn man ihn mit Fliegenschwamm oder fauler Fischsuppe und Weidenrinde tractiren wollte, die doch den Kamtschadalen so lecker dünken.“

Die Wissenschaft vom „kulturell Fremden“ Alle in diesem Buch vorgestellten Ethnographika wurden zu einer Zeit erworben und in universitäre, fürstliche oder museale Sammlungen integriert, als es zwar noch kein Universitätsfach Ethnologie gab, aber erste Konturen einer künftigen akademischen Disziplin sichtbar wurden. Ausgehend von den Arbeiten Hans Fischers (1970, 1983) und Justin Stagls (1974) teilte Han Vermeulen (1994) die Entstehung der Ethnologie – antike Vorläufer ausklammernd  – in zwei Phasen: eine Phase der Konzeptionalisierung in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts mit Anfängen in Russland und Schwerpunkt in Göttingen und eine Phase der

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Institutionalisierung beginnend mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und geprägt durch die Gründung völkerkundlicher Museen sowie der ersten Lehrstühle. Entscheidend zur Entstehung einer Wissenschaft vom kulturell Fremden haben einige Teilnehmer der Zweiten Kamtschatka-Expedition beigetragen: Gerhard Friedrich Müller trennte in seiner im Jahr 1740 für seinen Nachfolger Johann Eberhard Fischer verfassten Forschungsanleitung deutlich die „Völkerbeschreibung“ (= Ethnographie) von Archäologie, Geographie, Geschichte, Statistik und der Anleitung zur Abfassung eines sinnvol-

100 JAHRE KULTURKONTAKT – UND DIE ENTSTEHUNG DER ETHNOLOGIE

len Reisejournals. Insgesamt 923 nach Themen gruppierte Fragen bzw. Aufforderungen umfasste sein „Unterricht, was bey Beschreibung der Völker, absonderlich der Sibirischen in acht zu nehmen“, den er aufbauend auf seine eigenen Erfahrungen während der Expedition zusammengestellt hatte. Ergänzend konzipierte er die bereits in Kapitel 5 erwähnte Anleitung zum Sammeln (vgl. Bucher 2002). Georg Wilhelm Steller begleitete Vitus Bering als Arzt auf der St.  Peter und wurde dadurch Zeuge der ersten Begegnung mit Aleuten. Vor und nach der See-Expedition mit Überwinterung auf der Beringinsel reiste Steller längere Zeit durch Kamtschatka und befasste sich eingehend mit der Lebensweise der Itelmenen. Indem er das Leben mit ihnen teilte und sich ihren Gepflogenheiten anpasste, nahm er gewissermaßen die „teilnehmende Beobachtung“ vorweg, lange bevor sie im 20. Jahrhundert als Methode formuliert und etabliert wurde. Ganz ähnlich verhielt sich auch Carl Heinrich Merck. Er lebte als Teilnehmer der Billings-Sarytschew-Expedition (s. Kap. 24) eine Zeitlang mit den Tschuktschen und

teilte ihren Alltag. Auf diese Weise bekam er tiefen Einblick in ihre Kultur. Anders als Steller war Merck allerdings nicht durchgehend begeistert von dem, was er sah und erlebte. Das neue, während der verschiedenen Expeditionen gesammelte Wissen wurde zeitnah in mehreren europäischen Sprachen in diversen wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht. Darüber hinaus gab es einen stetigen Wissensaustausch zwischen den Gelehrten Europas in Form von Briefen. Wegweisend für die Entstehung von Geschichtswissenschaft und den Vorläufern der Ethnologie in Göttingen wurde August Ludwig Schlözer, der selbst einige Jahre in Russland gelebt und gearbeitet hatte und bei seiner Rückkehr wertvolle Dokumente mit nach Göttingen brachte. Baron von Asch trug mit seinen Sendungen von Büchern und Objekten dazu bei, dass man in Göttingen über die neuesten wissenschaftlichen Fortschritte in Russland sowie über die Ergebnisse der staatlichen Expeditionen bestens informiert war. Bis die Ethnologie sich als wissenschaftliche Disziplin an den Universitäten etablieren konnte, vergingen allerdings noch einmal knapp 100 Jahre.

Vom Reisen und Sammeln In den vorigen Kapiteln wurde deutlich, dass insbesondere während der staatlich finanzierten und zumindest zum Teil mit wissenschaftlichen Aufgaben betrauten Ex­peditionen Gelehrte mit an Bord der Schiffe waren und umfangreiche Samm-

lungen angelegt wurden. Wenngleich das Hauptaugenmerk meist auf Objekten aus den drei Naturreichen  – Pflanzen, Tiere, Mineralien  – lag, wurden dennoch auch von Menschen hergestellte Gegenstände, vor allem wenn sie den Sammlern fremd

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

und ungewöhnlich erschienen, nicht außer acht gelassen und mit nach Europa gebracht. Dort wurden sie zu Anziehungspunkten in den sich formierenden Universitätsmuseen. Die Blütezeit der Museumsgründungen Ende des 19. Jahrhunderts führte zu gezielten Sammelreisen, u.a. auch an die amerikanische Nordwestküste nach Kanada und Alaska. Dort machten sich von den Museen beauftragte Sammler gegenseitig Konkurrenz (Bolz und Sanner 1999, S.  174). Aber diese Ereignisse fanden erst nach der in diesem Buch behandelten Zeit statt. Der große Zustrom an Sammlungen Ende des 19. Jahrhunderts in die frisch gegründeten völkerkundlichen Museen entstammte häufig kolonialen Kontexten, die den Zugriff auf Objekte erleichterten. Das Interesse am kulturell Fremden bestand aller-

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dings bereits vor der Kolonialzeit, was die Durchführung vieler Expeditionen unter Beteiligung von Gelehrten verdeutlicht. Wie die Russisch-Amerika Sammlungen in deutschen Museen zeigen, war das Interesse am Fremden ein allgemeines und richtete sich nicht gezielt auf Gebiete, die als mögliche Kolonialgebiete in Frage kamen. Zwar fand der Erwerb der Objekte in einem russischen kolonialen Kontext statt, aber die Einbindung der Objekte in Lehre und Forschung in Deutschland war davon losgelöst und entsprang einem sich entwickelnden generellen wissenschaftlichen Interesse an unbekannten menschlichen Lebensformen. Die Antwort auf die Frage, inwieweit die Sammlungen zur Entstehung der Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin beitrugen, steht noch aus.

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WEM GEHÖRT DIE GESCHICHTE?

D

ie Abbildung zeigt eine grün und rot bemalte Holzmaske der Tlingit. Damit der Träger der Maske etwas sehen konnte, befinden sich Öffnungen in den aufgemalten Augen (Abb. 58). Auch der Mund ist mit fünf Löchern versehen; es ist aber nicht bekannt, ob darin ursprünglich etwas befestigt war. Sowohl der grüne Untergrund als auch das betonte Kinn sind Haberland zufolge charakteristisch für Masken der Tlingit aus der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts ­(Haberland 1979, S. 166). Die rote Bemalung auf der einen Gesichtshälfte könnte die Darstellung eines Vogelschnabels von Adler oder Habicht sein. Die drei Federn über dem Auge passen zu dieser Interpretation. Laut Penney (1998, S.  178 f.) könnte es sich um die Maske eines Schamanen handeln. Schamanismus bzw. Schamanentum (Hoppál

2002, S.  13) in verschiedenen Ausprägungen war ein wesentlicher Bestandteil der religiösen Vorstellungen und des sozialen Lebens aller Ethnien rund um das Beringmeer und an den Küsten des Nordpazifiks. Dem Schamanen oblagen zentrale Aufgaben innerhalb der Gesellschaft. Dazu gehörte vor allem die Kommunikation mit der jenseitigen Welt, d. h. mit unterschiedlichen Geistern, die auf das Leben der Menschen in der hiesigen Welt einwirkten, und damit verbunden die Durchführung von Opferzeremonien. Außerdem waren die Schamanen für das Heilen von Kranken, Vorhersage von Wetter und Jagdglück, Lösung von Konflikten sowie die Bewahrung und Weitergabe der mündlichen Überlieferung und damit auch der Geschichte der jeweiligen Gruppe zuständig (Hultkrantz et al. 2002, S. 36 f.).

Russisch-Orthodoxes Christentum wird in Alaska zur indigenen Religion Wie in Kapitel 39 erwähnt, waren Missionierungsversuche bei den Aleuten und Alutiiq schon früh erfolgreich. Die Tlingit begannen erst nach der großen Pockenepidemie um 1840, die viele Todesopfer gefordert hatte, sich für das Angebot der russisch-orthodoxen Missionare zu interessieren, weil die Kräfte ihrer Schamanen den neuen Herausfor-

derungen nicht mehr gewachsen schienen. Ein Beispiel für den aktiven Umgang mit den verschiedenen christlichen Missionsangeboten stellen die weiter im Landesinneren lebenden Dena’ina dar. Sie übernahmen die russisch-orthodoxe Religion erst Ende des 19. Jahrhunderts/ Anfang des 20.  Jahrhunderts und sahen

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

Abb. 58 Maske, Tlingit, Alaska. Material: Holz, grün und rot bemalt. Maße: Höhe 22,5 cm, Breite 17,5 cm. Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, Slg. Kuprejanow – Inv. Nr. 108 (Foto: Wolfgang Kehmeier).

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WEM GEHÖRT DIE GESCHICHTE?

darin ein Mittel mit jenen Veränderungen besser umgehen zu können, die nach dem Verkauf Alaskas an die USA auf sie einwirkten. Sie empfanden das russischorthodoxe Christentum traditioneller als den sich ausbreitenden Protestantismus und es wurde zu einem identitätsstiftenden Bestandteil ihrer Kultur. Im 20. Jahrhundert begannen die Dena’ina das russisch-orthodoxe Christentum als ihre indigene Religion zu bezeichnen (Znamenski 1999, S.  260). Auch bei anderen Gruppen wurde der orthodoxe Glaube indigenisiert, nicht zuletzt, weil unter der US Verwaltung viele Kreolen, die zum orthodoxen Klerus gehörten, als „Alaska Natives“ klassifiziert wurden und dies zu einem Zusammenrücken der Kreolen und der indigenen Bevölkerung in Abgrenzung zu den vielen neuen Einwanderern führte.

Kreolen nannte man Mischlinge mit russischen Vätern und indigenen Müttern. Meist sprachen sie sowohl Russisch als auch die Sprache ihrer Mütter fließend. Da früh begonnen worden war, Schulen zu gründen und Schriftsysteme für die indigenen Sprachen zu entwickeln, lernten die Kreolen in beiden Sprachen lesen und schreiben. Sie wurden bevorzugt zu Lehrern und Priestern ausgebildet und übernahmen große Teile der Missionierungsarbeit, die in Alaska noch bis zur Oktoberrevolution 1917 durchgeführt wurde. Nach dem Verkauf Alaskas 1867 an die USA wurden die russisch-orthodoxen Priester nicht mehr als Repräsentanten der Kolonialmacht wahrgenommen, sondern traten als Verteidiger der indigenen Bevölkerung gegen amerikanische Einflüsse auf (Vinkovetsky 2011, S. 180).

Vom Rand der Welt ins Zentrum der Interessen In Russisch-Amerika stießen staatlichmilitärische, privat-ökonomische, wissen­ schaftliche und indigene Interessen unterschiedlicher Akteure aufeinander. Zwar waren die „wilden  Jahre“ des Fellhandels nur von kurzer Dauer. Was aber ab 1785 an den Küsten des Nordpazifiks geschah, hatte Einfluss auf die Politik in Europa und trieb sogar Spanien und England an den Rand eines Krieges. Die Seeotter waren aufgrund ihrer geringen Reproduktionsrate und der gestiegenen Nachfrage bald überjagt, sodass der Handel schwieriger wurde und sich viele der Beteiligten zurückzogen. Russland fuhr aber mit der

Kolonisierung von Russisch-Amerika fort, bis es sich 1867 der kostspieligen und schlecht zu verteidigenden Gebiete entledigte. Die russischen Untertanen erhielten nach dem Verkauf Alaskas (für 7,2  Millionen Dollar) eine Frist von drei Jahren, während der sie sich entscheiden konnten, nach Russland zurückzukehren oder amerikanische Staatsbürger zu werden und in Alaska zu bleiben. Der weitaus größte Teil der ca. 750 Russen entschied sich für die Rückkehr nach Russland; die Mehrheit der Kreolen blieb in Alaska (Lührmann 2008b, S. 122). Die Niederlassungen der Russisch-Amerika-

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RÜCKZUG UND VERMÄCHTNIS

nischen Kompanie wurden von einem Konsortium von Händlern aus San Francisco, der Alaska Commercial Company, aufgekauft (Lührmann 2008 b, S.  122).

Damit begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte Alaskas, der anhand von anderen, später erworbenen Objekten erzählt werden müsste.

Eine Geschichte – zwei Versionen; ein Objekt – viele Geschichten Wie Dauenhauer und Black (2008) eindrucksvoll zeigten, gibt es von vielen der frühen Begegnungen zwischen Tlingit und Europäern mündliche Überlieferungen. Diese unterscheiden sich häufig in der Einschätzung der jeweiligen Situation von den russischen, englischen, spanischen oder französischen Berichten und deren oft pauschalisierende und stereotype Beurteilungen. Oft gibt es aber auch erstaunliche Übereinstimmungen. Insbesondere was den Überfall der Tlingit auf das Fort Michailowski im Jahr 1802 und dessen russische Rückeroberung 1804 anbelangt, konnten die Ereignisse erst unter Einbeziehung der mündlichen Überlieferung der Tlingit einigermaßen rekonstruiert werden. Die 1958 und 1960 aufgenommenen Erzählungen von Angehörigen des damals beteiligten Klans Kiks.ádi verdeutlichen deren Perspektive auf die Ereignisse. Die Tlingit werden darin als dynamische Akteure geschildert, die ihr Schicksal in die Hand nahmen und ihr Land und ihre Lebensweise verteidigten (Dauenhauer und Dauenhauer 1990, S. 21–22). In Museen werden heute zunehmend Vertreter einzelner ethnischer Gruppen zur Interpretation von Objekten aus deren

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Gesellschaft mit einbezogen. Als Ende der 1980er Jahre damit begonnen wurde, wunderten sich die Kuratoren, dass sie nicht die erwarteten Sachinformationen über Form und Gebrauch, Hersteller und Kräfte, die in den Objekten liegen, erhielten, sondern Erzählungen und Lieder vorgetragen wurden. Die Vertreter der Tlingit nahmen die Objekte als Erinnerungshilfen zum Erzählen von langen Geschichten, deren Inhalte durch Gesang und Pantomime unterstützt wurden (Cruikshank 1998, S. 99). Jedes Objekt bietet Anstoß zu vielen Geschichten, die vom Erzähler, seinen Interessen, seinem Wissen und seinem kulturellen Hintergrund abhängig sind. Hätte jemand anders dieses Buch geschrieben, so hätten die Objekte vermutlich zu anderen Erzählsträngen geführt. Mir haben die Dinge, die zwischen 1771 und 1841 ihren Herkunftsgesellschaften entnommen wurden und schließlich in die jeweiligen Sammlungen in Deutschland gelangten, den Weg durch die Ereignisse um die Entdeckung und Eroberung des Nordpazifiks und seiner Küsten sowie durch die stürmischen Ereignisse rund um den Fellhandel gewiesen.

ANHANG Gouverneure von Russisch-Amerika 1790–1818 1818–1818 1818–1820 1820–1825 1825–1830 1830–1835 1835–1840 1840–1845 1845–1850 1850–1853 1853–1854 1854–1859 1860–1863 1863–1867

Baranow, Aleksandr Andrejewitsch) von Hagemeister, Leonti Andrianowitsch Janowski, Semjon Iwanowitsch Murawjow, Matwei Iwanowitsch Tschistjakow, Pjotr Egorowitsch Wrangel, Ferdinand Petrowitsch von Kuprejanow, Iwan Antonowitsch Etholén, Adolf Karlowitsch Tebenkow, Michail Dmitriewitsch Rosenberg, Nikolai Jakowlewitsch von Rudakow, Aleksandr Iljitsch Wojewodski, Stepan Wassiljewitsch Furuhjelm, Johann Hampus (Iwan Wassiljewitsch) Maksutow, Dmitri Petrowitsch Prinz

Pelzhandelsschiffe im Nordpazifik 1785–1791 Jahr 1785 1786

1787

1788

1789

1790 1791

Britisch Sea Otter Captain Cook Experiment King George Queen Charlotte Lark Nootka Sea Otter Imperial Eagle King George Queen Charlotte Nootka Prince of Wales Princess Royal Felice Adventurer Iphigenia Nubiana North West America Prince of Wales Princess Royal Argonaut Princess Royal Iphigenia Nubiana Mercury North West America Argonaut Gustavus III (Mercury) Argonaut Fairy Felice Adventurer Gustavus III (Mercury) Venus

Amerikanisch

Sonstige

Columbia Rediviva Eleanora Lady Washington Columbia Rediviva Fair American Lady Washington

Gertrudis (span.) (North West America)

Eleanora Grace Polly Columbia Rediviva Eleanora Grace Hancock Hope Lady Washington

Princessa Real (span.) (Princess Royal) La Solide (franz.)

Die britischen Schiffe North West America und Princess Royal wurden von Spanien während des sogenannten Nootka-Konflikts konfisziert und umbenannt.

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ANHANG

Spanische Expeditionen im Nordpazifik 1774–1792 Jahr 1774

Schiffe Santiago

1775

Santiago Sonora Princesca Favorita Princesa San Carlos San Carlos

1779 1788 1790

1791 1792

Descubierta Atrevida Aramzazu Nootka Sound (Vancouver Isl.)

Kapitäne J. Perez

Anlaufstellen Nootka Sound (Vancouver Isl.), Dixon Entrance (Queen Charlotte Isls.) B. de Hezeta Bucareli Bay (Prince of Wales Isls), J. F. Bodega y Quadra Sea Lions Cove (Kruzof Isl.) I. Arteaga Port Etches (Hinchinbrook Isl.), J. F. Bodega y Quadra Elisabeth Isl. (Kenai Peninsula) E. Martinez Montegue Isl., Old Harbor (Kodiak Isl.), G. Lopez de Haro Trinity Isls., Dutch Harbor (Unalaska) S. Fidalgo Nootka Sound (Vancouver Isl.) Hinchinbrook Isl. English Bay (Kenai Peninsula), Old Harbor (Kodiak) A. Malaspina Yakutat, Middleton Isl. (Prince William Sound) J. Bustamente y Guerra Nootka Sound (Vancouver Isl.) J. Caamaño Bucareli Bay (Prince of Wales Isls.),

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der Jahre 1776 bis 1780 ausgeführt. Fünf und vierzig Kupfer und Charten zur deutschen Quart-Ausgabe von Cooks dritter Entdeckungsreise, welche von der Geschichte der neuesten Seereisen und Entdeckungen im Südmeer den sechsten und siebenten Band ausmacht, für die Käufer der Oktav-Ausgabe eben dieses Werkes. Berlin. Forsyth, James (1992): A History of the Peoples of Siberia: Russia’s North Asian Colony, 1581–1990. New York. Gibson, James R. (1990 b). The Russian Contract: The Agreement of 1838 between the Hudson’s Bay and Russian American companies. In: Pierce, Russia in North America. S. 157–180. Gibson, James R. (1990): Furs and Food: Russian America and the Hudson’s Bay Company. In: Barbara Sweetland Smith and Redmond J. Barnett; Hrsg. Russian America: The Forgotten Frontier. Tacoma, Washington. S. 41–53. Gibson, James R. (1992): Otter Skins, Boston Ships, and China Goods: The Maritime Fur Trade of the Northwest Coast, 1785–1841. Seattle. Gifford, Bill (2007): Ledyard. In Search of the First American Explorer. Orlando. Glaubrecht, Matthias (2012): Ein essayistisches Nachwort. Mit den Augen des Poeten – Der Naturforscher Adelbert von Chamisso auf Weltreise. In: Adelbert von Chamisso. Reise um die Welt. Berlin. Golovnin, V. M. (1979): Around the World on the Kamchatka, 1817–1819. Translated, with an Introduction and Notes, by Ella Lury Wiswell. Honolulu. Gough, Barry M. (1992): The Northwest Coast. British Navigation, Trade, and Discoveries to 1812. Vancouver. Gough, Barry M. (2012): Juan de Fuca’s Strait. Voyages in the Waterway of Forgotten Dreams. Madeira Park, British Columbia. Grinev, Andrei Val’terovich (2005): The Tlingit Indians in Russian America 1741–1867. Lincoln. Gunther, Erna (1972): Indian Life on the Northwest Coast of North America, as Seen by the Early Explorers and Fur Traders During the Last Decades of the Eighteenth Century. Chicago. University of Chicago Press. Haberland, Wolfgang (1979): Donnervogel und Raubwal. Die indianische Kunst der Nordwestküste Nordamerikas. Hamburg. Hauptmann, William (1996): John Webber, 1751–1793. Landschaftsmaler und Südseefahrer mit Captain Cook. Bern. Hauser-Schäublin, Brigitta und Gundolf Krüger; Hrsg. (1998): James Cook. Gifts and Treasures from the South Seas. The Cook/Forster Collection/Gaben und Schätze aus der Südsee. Die Cook/Forster-Sammlung Göttingen. München/New York. Hauser-Schäublin, Brigitta und Gundolf Krüger; Hrsg. (2007): Siberia and Russian America: Culture and Art from the 1700s; the Asch Collection, Göttingen/ Sibirien und Russisch-Amerika: Kultur und Kunst des 18. Jhs.; die Sammlung von Asch, Göttingen. München/New York.

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ORTSREGISTER Acapulco 55 Afognak 111 Afrika 149 Ägypten 149 Aigun 37 Alaska 6, 8, 10, 11,15, 16, 18, 39, 42, 47, 55, 57, 69, 71, 77, 82, 87, 92, 111, 129, 139, 141, 143, 146, 147, 163, 164. 170, 175, 177, 183, 190, 193, 199, 207, 208, 211, 212, 213, 217, 218, 219, 220, 221, 224, 230, 233, 234, 238, 239,240, 241, 242 Alaska-Halbinsel 47, 68, 87, 109, 113, 164 Aleuten 8, 10, 15, 33, 43, 47, 49, 50, 52, 53, 55, 57, 68, 73, 77, 80, 81, 85, 86, 88, 90, 108, 109, 133, 134, 147, 162, 164, 167, 175, 186, 190, 192, 217, 229, 234 Alexander-Archipel 57, 169 Alsfeld 144 Amerika 5, 10, 11, 18, 20, 23, 42, 43, 44, 46, 48, 55, 60, 69, 76, 113, 149, 151, 176, 183, 186, 221 Amsterdam 117 Amur Anadyr, Fluss 23, 163 Anadyr, Stadt 43, 211 Anchorage 128, Aniva Bay 195 Archangelsk 163, 193 Argun 27, 36 Armenien 33 Astrachan 21, 22 Atka 87, 208 Atkis 106 Atlantik 15, 59, 60 Attu 87 Australien 139 Awatscha-Bucht 104 Baranof Island 179 Barnaul 148 Barrow 71 Batavia (Djakarta) 209 Bayern 91, 192 Behm Canal 173 Bengalen 128 Beringinsel 43, 46, 47, 134, 237 Beringmeer 41, 47, 69, 82, 183, 205, 239 Beringstraße 7, 15, 23, 39, 41, 43, 69, 71, 147, 167, 168, 203, 211, 212, 213 Berlin 145, 205 Bern 82, 83

Big Diomede 69, 211, 212, 213 Bligh Island 65, 157 Bodega Bay 198 Bolscheretsk 104, 108 Bombay (Mumbai) 122 Boston 148, 157, 159, 182, 222 Bottnischer Meerbusen 148 Brasilien 186 Bristol Bay 109 British North America 223 Bucareli Bay 57, 92, 139 Bucharey 37 Burrard Inlet 173 Byzanz 20 Cádiz 172 Cape Foulweather 64 Cape Prince of Wales 69 Chile 172, 198 Chilkat River 231 China 5, 33, 36, 37, 38, 46, 59, 88, 91, 109, 118, 129, 133, 148, 158, 185, 213, Chiniak Bay 164 Christmas Island 61 Clayoquot Sound 121, 130, 157 Clear Lake 196 Columbia River 93, 207, 222, 233 Connecticut River 75 Cook Inlet 68, 93, 113, 125, 128, 164, 221 Darmstadt 144 Deutschland 16, 24, 32, 37, 81, 144, 225, 238, 242 Dutch Harbor 153 England 16, 17, 38, 51, 57, 59, 60, 74, 77, 82, 92, 97, 104, 117, 119, 122, 129, 143, 149, 153, 158, 173, 177, 185, 194, 195, 199, 202, 207, 223, 229, 241 English Bay 71, 74 Estland 203, 227 Europa 11, 12, 13, 16, 24, 38, 39, 56, 117, 130, 172, 202, 215, 221, 223, 225, 227, 237, 238, 241 Finnland 225, 229 Fort Langley 222 Fort Ross 197, 198, 199, 207, 208, 222 Fort San Miguel 158 Fort Simpson 222 Fort St. Dionysius (Wrangell) 222, 227 Fort Vancouver 222 Frankfurt 196, 227 Frankreich 36, 55, 138, 139, 140, 148, 158

249

ANHANG

Fraser River 222 Friendly Cove 66, 122, 153 Fuchs-Inseln 77 Genf 91 Gießen 144 Göttingen 8, 9, 10, 11, 12, 14, 15, 16, 17, 21, 26, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 37, 38, 40, 41, 43, 44, 49, 51, 52, 54, 58, 63, 67, 68, 73, 86, 87, 90, 94, 100, 105, 106, 112, 116, 120, 126, 127, 142, 144, 145, 146, 147, 150, 156, 166, 183, 200, 203, 216, 229, 234, 236, 237 Griechenland 33 Grönland 39 Großbritannien 17, 60, 158, 159, 164, 173 Guadalajara 55 Guangzhou 38 Hakodate 195 Hamburg 148, 222 Hannover 8, 9, 17, 229 Hawaii 6, 7, 10, 11, 15, 58, 59, 61, 64, 93, 94, 95, 96, 97, 99, 100, 101, 117, 125, 129, 139, 157, 158, 160, 173, 186, 194, 198, 200, 201, 202, 203, 205, 207, 208, 223, 229 Helsinki 161, 228, 229 Hinchinbrook 194 Hokkaido 105, 108, 188, 195 Holland 108, 177 Honolulu 8, 160, 205 Hudson Bay 57, 60, 66 Icy Cape 71 Irkutsk 77, 106, 108, 144, 148, 149, 188, 217, 218 Jakutsk 15, 23, 77, 106, 147, 149, 168, 195 Japan 108, 186, 188 Jekaterinburg 148 Jena 144 Jenissei 27, 29 Juan de Fuca Straße 64, 93, 130, 173 Kairo 149 Kalifornien 55, 57, 139, 188, 196, 197, 198, 202, 222, 223, 229 Kalkutta (Kolkata) 128 Kamtschatka Fluss 51, 137 Kamtschatka Halbinsel 8, 10, 18, 20, 22, 23, 27, 42, 43, 44, 47, 49, 50, 51, 75, 76, 77, 88, 104, 108, 136, 137, 138, 139, 148, 151, 163, 173, 186, 188, 194, 195, 198, 205, 208, 213, 215, 223, 237 Kanada 55, 63, 69, 138, 238 Kanton 38, 117, 118, 129, 130, 157, 159, 185, 194, 207 Kap der Guten Hoffnung 60, 151, 159, 194 Kap Deschnjow 213 Kap Hoorn 60, 125, 139, 186, 194, 208 Kapstadt 195 Kargopol 163 Kasan 22, 148 Kashega Bay 164 Kaspisches Meer 22 Kassel 97, 98 Kaua’i 61, 99, 201 Kayak Island 42 Kealakekua Bay 96 Kenai-Halbinsel 92, 113, 151, 199, 211, 221

250

King George’s Sound 56, 64, 65 Kiritimati 61 Kiska 87 Kjachta 34, 35, 36, 37, 38, 109, 185 Kodiak 6, 33, 85, 87, 109, 111, 112, 113, 114, 127, 139, 143, 147, 148, 151, 152, 163, 164, 169, 176, 179, 186, 187, 192, 198, 206, 208, 215, 216, 217 Kola-Halbinsel 50 Kolyma 23, 167, 212 Kommandeurinseln 47, 113, 134 Kopenhagen 148, 185, 186 Kotzebue Sound 213 Krasnojarsk 37, 188, Kronstadt 143, 185, 194, 197, 205, 208, 227, 228 Kruzof Island 57 Kunaschir 195 Kupferinsel 47 Kurilen 43, 108, 109, 195 Kursk 109 Ladogasee 114 Lawrentija 69 Line Islands 61 Little Diomede 69 Lituya Bay 139 London 16, 81, 82, 83, 91, 103, 125, 143, 148, 149, 158, 159, 185, 195, 221, 222 Lübeck 32, 33, 228 Lyon 91 Macao 109, 117, 118, 119, 122, 125, 129, 153, 160, 194 Madras 122 Madrid 56, 92, 127, 151 Magellanstraße 60 Maimai Cheng 36 Malabarküste 122 Marokko 33 Marquesas 61, 186 Maui 96, 139 Mekka 149 Mexiko 55, 57, 66, 151, 152, 172 Michailowski Ostrog 179, 181 Mittelmeer 144 Moldawien 33 Montague Island 152 Montaguestraße 92 Monterey 56, 57, 93 Montreal 221 Moskau 15, 23, 29, 148, 163, 219 Mount Edgecumbe 199 Mount Fairweather 139 Mount St. Elias 42, 67 München 11, 12, 136, 184, 190, 192 Münnerstadt 203 Nass River 222 Nertschinsk 36, 37 Neuengland 148, 160, 207 Neumexiko 222 Neuseeland 61, 99 New Albion 60 New Hampshire 75

ORTSREGISTER

Newa 205 Ni’ihau 61, 201 Nikolskoje 134 Nootka Sound 5, 6, 56, 62, 63, 65, 66, 67, 93, 118, 119, 121, 122, 125, 129, 130, 138, 147, 152, 153, 155, 157, 158, 159, 172, 173, 182 Nördlicher Polarkreis 70 Nordostasien 47 Nordpazifik 8, 10, 11, 13, 15, 16, 22, 39, 43, 48, 55, 57, 71, 74, 77, 105, 109, 114, 117, 138, 151, 174, 177, 183, 191, 195, 239, 241, 242 Nordwestamerika 47 Nordwestküste 10, 55, 59, 64, 66, 82, 92, 93, 113, 117, 121, 124, 127, 128, 129, 130, 138, 139, 148, 152, 153, 155, 157, 159, 160, 169, 172, 173, 181, 202, 208, 238 Nowo-Archangelsk (Sitka) 169, 188, 192, 193, 194, 195, 198, 199, 202, 203, 208, 218, 222, 223, 225, 227, 228, 229 O’ahu 61, 205 Ob 27 Ochotsk 37, 43, 49, 108, 114, 149, 188, 194, 195, 228 Ochotskisches Meer 27, 36, 105 Oldenburg 8, 11, 12, 16, 18, 80, 132, 161, 162, 170, 175, 180, 197, 206, 210, 220, 226, 228, 229, 230, 231, 240 Oostende 130, 148 Oregon 222, 223, 233 Osterinsel 61 Ostindien 91 Ostrownoe 212 Ostsee 144 Ostsibirien 6, 143 O-waihi (Hawaii) 97, 101, 102 Paris 8, 83, 91, 139 Pawlowsk 164 Pazifik (Pazifikküste, Pazifischer Ozean) 13, 22, 37, 43, 46, 47, 55, 57, 59, 61, 196, 222 Peine 37 Peking 36, 37 Persien 33 Peru 57, 92 Petropawlowsk-Kamtschatski 77, 104, 139, 188, 194, 195, 213 Pfalz 91 Polarmeer 49 Port des Français 139 Portsmouth 208 Portugal 36, 59, 60, 183 Pribilof Islands 109, 134, 187 Prince of Wales Island 57, 92 Prince William Sound 6, 33, 67, 87, 92, 109, 111, 113, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 138, 150, 151, 152, 158, 164, 194 Puget Sound 173 Queen Charlotte Islands 55, 56, 139, 160 Ragusa (Dubrovnik) 152 Reval (Tallinn) 203 Rheinhessen 183 Rio de Janeiro 208 Russian River 198

Russland 5. 14, 16, 22, 23, 24, 25, 28, 29, 31, 32, 35, 36, 37, 38, 43, 46, 48, 51, 69, 87, 105, 106, 108, 109, 130, 139, 143, 144, 148, 153, 163, 176, 185, 186, 192, 195, 199, 202, 203, 205, 207, 211, 218, 219, 223, 224, 236, 237, 241 Rylsk 109 Sachalin 195 Salomonen 140 Samgoonoodha (English Bay) 71, 73, 74 San Blas 55, 56, 57, 92, 93, 152, 153, 158 San Francisco 55, 92, 93, 198, 208, 242 Sandwich Islands (Hawaii) 61 Santiago de Chile 172 Schlesien 31 Schweiz 24, 31, 82, 185, 223 Shanghai 223 Ship Cove 157 Shumagin Islands 85 Sibirien 8, 10, 11, 13, 14, 15, 20, 21, 25, 27, 31, 33, 42, 43, 47, 77, 78, 105, 109, 139, 144, 148, 168, 185, 215, 221, 227, 228 Sitka, Sitka Sound, Sitka Island 57, 169, 179, 181, 192, 193, 208 Slawjanka 198 Snug Corner Cove 128 Spanien 51, 55, 59, 60, 92, 151, 152, 153, 158, 159, 172, 199, 207, 241 Spitzbergen 48, 71 St. Catherine Cove 50 St. George 134 St. Helena 122 St. Lorenzbucht 69, 167, 212 St. Lorenzinsel 23, 43 St. Paul 134 St. Paulshafen 164 St. Petersburg 15, 17, 18, 24, 31, 32, 37, 41, 51, 67, 85, 104, 114, 131, 139, 143, 144, 147, 148, 161, 163, 176, 178, 185, 187, 188, 194, 195, 199, 204, 205, 208, 209, 217, 218, 221, 222, 227, 228, 229 Starnberger See 91 Stikine River 222 Stockholm 37, 148 Straße von Anian 23 Südamerika 60, 172 Südlicher Polarkreis 70 Sundastraße 209 Surgidero de San Lorenzo 56 Tahiti 61, 99, 139 Tahsis Inlet 125 Taimyr 29 Tamar 29 Teneriffa 186 Three Saints Bay 114, 164 Tibet 33 Tobolsk 20 Tonga 61 Totma 163 Tschukotka 20, 23, 27, 33, 42, 69, 167, 211, 212 Tschuktschenhalbinsel 43 Tübingen 31

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ANHANG

Türkei 33 Turku 229 Ulibra 103 Unalaska 50, 53, 68, 69, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 81, 87, 89, 90, 96, 104, 109, 113, 134, 153, 164, 187, 192, 198, 205, 208, 218 Unimak 50, 68, 133 Uppsala 38 Ural 22 Urup 108 USA 18, 69, 117, 159, 192, 193, 202, 207, 223, 224, 241 Ussuri 37 Vancouver Island 56, 62, 63, 64, 116, 120, 121, 122, 124, 139, 156, 157, 171, 233

Vancouver (Stadt) 173 Vanikoro 140 Versailles 139 Waimea 61, 129, 202 Washington 56, 159 Wiesloch 15, 91 Wilna 152 Wolga 22 Wöllstein 183 Wrangelinsel 227 Wrangell 227 Yakutat Bay 169, 172, 192, 193 Yuquot 65, 66, 124, 153, 158

SACHREGISTER Academisches Museum 16, 31, 127, 183 Akademie der Wissenschaften 23, 24, 27, 42, 67, 82, 108, 183, 218, 225, 229 Aleuten 5, 50, 52, 53, 69, 72, 73, 74, 75, 78, 80, 81, 82, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 109, 111, 131, 132, 134, 161, 162, 163, 164, 171, 174, 175, 176, 178, 181, 182, 198, 199, 205, 215, 217, 218, 223, 225, 234, 235, 236, 237, 239 Alkohol 181 Altgläubige 217 Alutiiq 92, 111, 112, 113, 126, 127, 128, 151, 152, 164, 169, 170, 178, 181, 182, 194, 198, 199, 206, 215, 216, 217, 223, 225, 239 amanaty (Geiseln) 27, 215 baidarka 72, 73, 75, 81, 89, 133, 161, 174, 175, 176, 178, 179, 192 Bella Coola 64 Bengal Fur Society 128, 130 Billings-Sarytschew-Expedition 87, 144, 145, 147, 167, 211, 237 Blauhäher 42 Boston Men 157, 160 Burjaten 27 chinook 233 Christentum 186, 215, 217, 218, 239, 241 Chugach 92, 111, 126, 127, 128, 152, 194 Dena’ina 128, 164, 199, 211, 220, 221, 222, 223, 233, 239, 241 Diebstahl 102, 172 Dolch 104 East India Company 117, 118, 122, 129, 130, 176 Eis 10, 50, 70, 71, 104, 129, 148, 167, 223 Eisen 12, 56, 65, 115, 117, 164, 172 Eskimo 69, 72, 73, 111, 113, 131, 211, 212, 213 Ethnologie 7, 8, 9, 10, 17, 28, 167, 236, 237, 238 Ewenen 25 Ewenken 25 Fischfang 25, 27, 43, 59, 64, 88, 155, 171, 179, 197 Flagge 55, 105, 119, 130, 138, 152, 153, 157, 195 Fort Ross 197, 198, 199, 207, 208, 222 Frieden von Tilsit 199

252

Getreide 7, 197, 198, 208, 222 Gold 88, 223 Haida 55, 56, 64, 160, 179 HBC (Hudson’s Bay Company) 7, 176, 221, 222, 223, 227 Inupiaq 69, 211 Jakuten 27, 213 jassak 25, 87 Kamtschatka-Expedition, Erste 20, 23, 67, 70 Kamtschatka-Expedition, Zweite 16, 27, 41, 42, 48, 67, 85, 113, 128, 137, 169, 236, 236 Kanonen 88, 113, 153, 160, 179, 181, 192, 194, 201 Karibu 147, 220, 221 Kartierung 23, 43, 92, 93, 105, 152, 172, 173, 204, 208, 214 Khanat Kasan 22 Khanat Sibir 22 King George’s Sound Company 118, 125, 129, 130 Kirche 35, 114, 164, 217, 218, 219 Kolonisierung 7, 13, 14, 39, 55, 87, 114, 118, 149, 163, 169, 172, 176, 177, 183, 185, 186, 192, 193, 194, 195, 198, 199, 202, 207, 208, 209, 217, 221, 223, 225, 227, 229, 238, 241 Koniag 111 Korjaken 163, 165 Kosaken 22, 23, 25, 31, 53, 67, 78, 167, 168, 211, 212 Krimkrieg 223 Kunstkammer, St. Petersburg 18, 28, 41, 161, 208, 227, 228 Künstler 5, 10, 12, 60, 81, 82, 83, 138, 172, 204 Kwakiutl 64, 124 Landkarten 17, 20, 21, 32, 42, 64, 77, 105, 127, 139, 143, 144 Lippenpflöcke 52, 53, 171 Missionierung 114, 215, 217, 218, 239, 241 Modell 62, 63, 72, 73, 136, 161, 162, 164, 175, 179, 180, 205 Moskauer Reich 21, 22 Mowachaht 64, 65, 66, 121, 124, 125, 130 Negidalen 25 Nootka 62, 64, 115, 116, 118, 120, 121, 122, 124, 155, 156, 157, 164, 169, 171, 182, 233

SACHREGISTER

Nootka Krise 154, 158, 173 Nordostpassage 49 Nordwestpassage, 15, 49, 57, 59, 60, 61, 67, 68, 70, 71, 82, 83, 92, 104, 147, 172, 204, 205 North West Company 221 Nuu-chah-nulth 56, 63, 64 Oroken 25 Pelzsteuer (jassak) 25, 87 Pomo 196, 197, 198, 199 potlatch 232, 233 Priester 99, 114, 217, 218, 241, promyschlenniki 43, 48, 50, 51, 53, 55, 69, 77, 87, 88, 111, 125, 128, 153, 164, 177, 179, 181, 213, 215, 217 Protestantismus 241 RAK (Russisch-Amerikanische-Kompanie) 7, 174, 177, 178, 181, 182, 185, 186, 187, 192, 194, 195, 198, 199, 202, 203, 205, 207, 208, 211, 217, 218, 221, 222, 223, 225, 228, 229 Reisebericht 29, 66, 82, 83, 117, 179, 190 Rentier 21, 22, 25, 27, 29, 147, 165, 167, 195, 221 Russisch-Amerika 7, 8, 11, 14, 18, 163, 164, 177, 178, 185, 192, 193, 194, 199, 202, 205, 208, 209, 217, 218, 223, 225, 227, 228, 229, 238, 241 Russisch-Amerikanische Kompanie (RAK) s. RAK russisch-orthodox 105, 219, 239, 241 Sacha 27 Salz 37, 198, 202, 223 Samojeden 22, 29, 30, 32, 33 Schamane 41, 131, 132, 133, 217, 218, 239 Schiffe Argonaut 129, 158 Astrolabe 138 Atrevida 172 Bering 202 Boussole 138 Captain Cook 121, 122, 125 Chatham 172 Columbia 157, 158, 159, 207 Descubierta 172 Diana 194, 195 Discovery ( James Cook) 15, 60, 65, 69, 91, 96, 102, 104, 117, 212 Discovery (George Vancouver) 172, 173 Ermak 192 Experiment 121, 122, 124, 125 Favorita 92 Felice Adventurer 153, 157 General San Martin 213 Imperial Eagle 130 Iphigenia Nubiana 153, 157, 158 Kamtschatka 208, 228 King George 119 Krotki 227 Kutusow 209 Lady Washington 157, 158, 160 Mexicana 173 Nadeschda 185, 186, 194 Newa 185, 186, 192, 194, 202 Nikolai 229

Nootka 128, 129 North West America 154, 155, 157, 158 Prince of Wales 129 Princess Royal 129, 158 Princessa 152 Queen Charlotte 119, 125, 129 Resolution 60, 65, 69, 71, 74, 75, 91, 101, 102, 117, 118, 129, 212 San Carlos 152 Santa Gertrudis la Magna 158 Santiago 55, 56, 57 Sea Otter (60 t, James Hanna) 118 Sea Otter (120 t, James Hanna) 128 Sea Otter (William Tipping) 128 Slawa Rossii 167 Sonora 56, 57 St. George 134 St. Paul 42, 43, 77, 169 St. Peter 42, 237 Sutil 173 Suworow 203, 209 Sv. Natalia 108 Sv. Nikolai 108 Sv. Rostislaw 192 Tri Swiatitelja 113 Schiffbruch 32, 88, 105, 108, 164, 186 Seebär 6, 131, 133, 134, 217 Seekuh 43 Seelöwe 73, 80, 81, 89, 131, 161, 178 Seeotter 43, 46, 55, 57, 65, 88, 108, 109, 117, 122, 124, 125, 129, 130, 133, 134, 147, 148, 157, 174, 178, 179, 181, 182, 198, 202, 207, 211, 217, 221, 241 Silberlöffel 56, 66 Sklaven 64, 182, 232 Skorbut 50, 55, 57, 65, 71, 129 Solonen 25, 27 Tabak 41, 75, 109, 211, 213, 236 Tlingit 7, 57, 64, 92, 93, 127, 128, 164, 169, 170, 171, 172, 173, 179, 180, 181, 182, 192, 193, 194, 218, 230, 231, 232, 233, 239, 240, 242 Tschuktschen 15, 67, 68, 69, 70, 131, 163, 165, 166, 167, 168, 169, 210, 211, 212, 213, 237 Tsimshian 64 Tungusen 21, 22, 25, 26, 27, 28 umiak 72, 175 Vertrag von Kjachta 36 Vertrag von Nertschinsk 36 Vertrag von Tordesillas 59 Vertrag von Washington 223 Völkerbeschreibung 5, 25, 27, 28, 236 Waffen 39, 50, 63, 66, 70, 72, 92, 97, 115, 147, 177, 178, 181, 182 Waljagd 25, 64, 81, 88, 165, 174, 175 Walross 25, 39, 40, 41, 46, 52, 53, 67, 68, 71, 131, 132, 146, 147, 165, 167, 210, 211 Weltumsegelung 11, 13, 16, 55, 60, 83, 131, 159, 172, 183, 185, 186, 192, 194, 195, 202, 203, 205, 207, 208, 209, 213, 217, 227, 228 Yupik 69, 11, 113, 211 Zobel 22, 43, 46, 221

253

ANHANG

PERSONENREGISTER Aberli, Johann Ludwig (1723–1786) 83 Alexander I. (1777–1825) 185, 198, 205 Antipin, Iwan M. 108, 109 Arteaga, Ignacio (1731–1783) 92 Asch, Georg Thomas von (1729–1807) 11, 14, 15, 17, 18, 21, 31, 32, 33, 34, 37, 38, 41, 43, 47, 51, 67, 87, 105, 144, 145, 147, 183, 237 Astor, John ( Johann) Jacob (1763–1848) 207 Atlassow, Wladimir (um 1661–1711) 22 Banks, Joseph Sir (1743–1820) 149, 172 Baranow, Alexander Andrejewitsch (1746–1819) 7, 163, 164, 178, 179, 181, 192, 193, 197, 198, 199, 202, 203, 207, 208, 209, 217, 225 Barkley, Charles William (1759–1832) 130 Behm, Magnus Karl von (1727–1806) 77, 104, 173 Bering, Vitus (1681–1641) 20, 23, 27, 42, 43, 44, 46, 48, 67, 70, 85, 113, 128, 137, 169, 235, 237 Billings, Joseph (um 1758–1806) 15, 16, 46, 87, 141, 143, 144, 145, 147, 149, 167, 168, 211, 237 Blumenbach, Johann Friedrich (1752–1840) 16, 17, 32, 183 Bodega y Quadra, Juan Francisco de la (1744–1794) 56, 57, 92, 173 Bolts, William (1739–1808) 117, 118 Bougainville, Louis Antoine de (1729–1811) 55 Broughton, William (1762–1821) 172, 173 Brown, William 160 Bucareli y Ursúa, Antonio María de (span. Vizekönig) (1717–1779) 56, 57 Büsching, Anton Friedrich (1724–1793) 145 Bustamente y Guerra, José de (1759-1825) 172 Callicum 124, 158 Carlos III. (1716–1788) 152 Chamisso, Adelbert von (1781–1838) 205 Choris, Ludwig (1795–1828) 204 Clark, William (1770–1838) 149 Cleaskinah 121 Clerke, Charles (1741–1779) 74, 104, Colnett, James (um 1753–1806) 129, 158, 172, 179 Cook, James (1728–1779) 5, 6, 8, 11, 14, 15, 16, 17, 56, 59, 60, 61, 62, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 81, 82, 83, 85, 87, 89, 91, 92, 93, 96, 97, 98, 99, 101, 102, 103, 104, 113, 115, 117, 118, 119, 121, 122, 124, 127, 129, 130, 138, 143, 147, 148, 149, 151, 152, 155, 157, 165, 167, 172, 185, 186, 201, 204, 205, 208, 212 Cox, John Henry (um 1750–1791) 118 Cygneus, Uno (1810–1888) 229 Daurkin, Nikolai Iwanowitsch (1734– nach 1795) 167, 168, 211 Deschnjow, Semjon (um 1605–1673) 23 Dixon, George (um 1755–1800) 117, 119, 125, 129, 130, 179 Douglas, James (1803–1877) Drake, Francis (um 1540–1596) Duncan, Charles 223 Elisabeth I. (1533–1603) 60 Ellis, William Wade (1751–1785) 117

254

Etches, Richard Cadman 118, 129 Etholén, Arvid Adolf (russ. Adolf Karlowitsch Etolin) (1799–1876) 207, 223, 225, 228, 229, 231 Wrangel, Ferdinand Petrowitsch von (1797–1870) 221, 222, 225, 227, 228 Filaret (1783–1867) 218, 219 Forster, Georg (1754–1794) 14, 15, 16, 62, 97, 152, 205 Forster, Johann Reinhold (1729–1798) 14, 17, 60, Gaetano, Juan 61 Gálvez, José de (1720–1787) 92 Gerbillon, Jean-François (1654–1707) 36 Glotow, Stepan G. (gest. 1769) 113 Gmelin, Johann Georg (1709–1755) 27 Golikow, Iwan Larionowitsch (1729–1805) 108, 109, 113, 114 Golownin, Wassili Michailowitsch (1776–1831) 194, 195, 208, 209, 213, 227, 228 Gray, Robert (1755–1806) 157, 159, 160 Grimes, Eliab (1780–1848) 213, 214 Haenke, Thaddäus (1761–1816) 172 Hagemeister, Leonti Andrianowitsch (1780–1834) (Ludwig Karl August von Hagemeister) 194, 202, 208, 209 Haller, Albrecht von (1708-1777) 17, 31 Hanna, James 118, 121, 122, 128 Haro, Gonzalo López de 152 Heyne, Christian Gottlob (1729–1812) 17, 31, 38, 144 Hezeta, Bruno de (um 1743–1807) 56, 57 Hl. Georg 20 Horner, Johann Kaspar (1774–1834) 185 Hudson, Thomas 129, 158 Igadik 133, 134 Ismailow, Gerassim Grigorewitsch (1745–1795) 77, 104, 113 Iwan IV. (Iwan der Schreckliche) (1530–1584) 22 Iwanow, Sergei Wassilijewitsch 81, 82 Jakobi, Iwan Warfolomejewitsch (Gouverneur von Sibirien), (1726–1803) 148 Janowski, Semjon 209 Jermak Timofejewitsch (gest. 1585) 22 Jewitt, John (1783–1821) 182 Jochelson, Waldemar (1855–1937) 53, 161 K’alyáan 182 Kamehameha I. (gest. 1819) 173, 201, 202, 203, 205 Karl Theodor von der Pfalz (1724–1799) 91 Katharina II. (Katharina die Große) (1729–1796) 15, 16, 48, 49, 55, 74, 114, 143, 149, 151, 176, 177 Kaumuali’i (gest. 1824) 201, 202, 203 Kendrick, John (um 1740–1794) 157, 159, 160 King, James (1750–1784) 117, 119, 121, 122 Kiseljow 109 Kobelew, Iwan (1739– nach 1833) 167, 211, 212 Kotzebue, Otto von (1787–1846) 203, 205, 213, 214 Krenizyn, Pjotr Kuzmitsch (1728–1770) 49, 50, 51, 53, 77 Krusenstern, Adam Johann von (1770–1846) 11, 185, 186, 202, 203

PERSONENREGISTER

Kuprejanow, Iwan Antonowitsch (1799–1857) 11, 18, 169, 225, 228, 231 Kuskow, Iwan (1765–1823) 163, 198 Langsdorff, Georg Heinrich von (1774–1852) 183, 185, 187, 188, 190, 191, 192, 215 Lapérouse, Jean François Galaup de (1741–1788) 138, 139, 179 Lebedew-Lastotschkin, Pawel Sergejewitsch (gest. 1800) 106, 108, 109, 134, 211 Ledyard, John (1751–1789) 5, 6, 15, 74, 75, 117, 147, 148, 149, 176 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 24 Lesseps, Jean Baptiste Barthélemy de (1766–1834) 138, 139 Lewaschow, Michail Dmitrijewitsch (ca. 1738– ca. 1776) 49, 50, 51, 53, 77 Lewis, Meriwether (1774–1809) 149 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 98 Linné, Carl von (1707–1778) 38 Lisjanski, Juri Fjodorowitsch (1773–1837) 11, 185, 192, 194, 202 Lohmann, Barthold 15, 97, 98 Louis XVI (1754–1793) 138 Lütke, Friedrich Benjamin von (Fjodor Petrowitsch Graf Litke) (1797–1882) 228 Mackay, John 124, 125, 130 Macpherson, John Sir (um 1745–1821) 128 Malaspina, Alessandro (1754–1810) 55, 172 Marklowskii 149 Martínez, Estéban José (1742–1798) 152, 153, 157, 158 Maximilian I. Joseph von Bayern (1756–1825) 192 Meares, John (1756–1809) 128, 129, 130, 153, 154, 155, 157, 158 Medwednikow, Wassili 181 Menzies, Archibald (1754–1842) 172, 173 Merck, Carl Heinrich (1761–1799) 14, 16, 67, 141, 142, 144, 145, 167, 168, 237 Merck, Johann Heinrich (1741–1791) 144 Metcalfe Simon (um 1741–1794) 158, 202 Miatlew, Wassili 43 Mondofia, Estéban 152 Mourelle de la Rúa, Francisco Antonio (1750–1820) 57 Mudge, Zachary (1770–1852) 173 Müller, Gerhard Friedrich (1705-1783) 16, 23, 24, 27, 28, 41, 46, 236 Mulowski, Grigori Iwanowitsch (1760?–1789) 151, 185 Murray, Johann Andreas (1740–1791) 37, 38 Oberndorf, Albert von 91 Olearius, Adam (um 1599–1761) 29 Pallas, Albertine (1777 oder 1778–1851) 148 Pallas, Peter Simon (1741–1811) 14, 108, 144, 145, 147, 148, 149, 168, 212 Panow 109 Patrin, Eugène Melchior Louis (1742–1815) 141, 144, 145 Paul I. Zar (1754–1801) 177, 185 Pawlutski 168

Pereira, Tomás (1645–1708) 36 Pérez, Juan (um 1725–1775) 55, 56, 65, 152 Peter I. (Peter der Große) (1672–1725) 22, 23, 24, 28, 31, 46, 108 Peter von Oldenburg 11, 18, 228, 229 Ponafidin, Sachar Iwanowitsch 209 Popow, Ioann Ewsejewitsch (s. Wenjaminow) 217 Portlock, Nathaniel (1749–1817) 119, 125, 129, 130 Pribylow, Gawriil Longinowitsch (gest. 1796) 134 Putinzof, F. (gest. 1780) 109 Quant, Mary 82 Reid, John 118 Resanow, Nikolai (1764–1807) 114, 176, 177, 186, 187, 188, 195 Rickman, John (1737–1818) 117 Rikord, Pjotr Iwanowitsch (1776–1855) 195, 213 Rumjanzew, Nikolai Petrowitsch Graf (1754–1826) 203, 204, 205, 213 Sagoskin, Lawrenti Alexejewitsch (1808–1890) 223 Sarytschew, Gawriil Andrejewitsch (1763–1831) 87, 143, 144, 145, 147, 167, 211, 237 Saweljew, Iwan 108 Schabalin, Dmitri Jakowlewitsch 106, 108, 109 Schäffer, Georg Anton (1779–1836) 203, 205, 207 Schebalin (s. Schabalin) Schelichow, Grigori Iwanowitsch (1748–1795) 6, 108, 109, 110, 113, 114, 143, 148, 149, 163, 164, 176, 177, 211 Schelichowa, Natalja Alekseewna (gest. 1810) 176, 177 Schlözer, August Ludwig von (1735–1809) 32, 237 Schlözer, Karl (1780–1859) 32 Scott, David 122 Shenawah 128 Sievers, Karl (1762–1795) 34, 37, 38 Simpson, George (1786 oder 1787–1860) 222 Sindt, Iwan 43, 46, 77 Slobodtschikow, Pawel 202 Soimonow, Fedor (1692-1780) 43, 46, 168 Solander, Daniel Carl (1736-1782) 83 St. Innocent of Alaska (Innokenti) (s. Weniaminow) 218 Stählin, Jacob von (1709–1785) 67, 68, 76, 77 Steller, Georg Wilhelm (1709–1746) 42, 128, 137, 236, 237 Strange, James Charles Stewart (1753–1840) 122, 124, 125, 130 Suria, Tomás de (1761–1844) 123, 171, 172 Sutter, John (Suter, Johann August) (1803–1880) 222, 223 Tatarinow, Michail 108 Tebenkow, Michail 223 Tilesius, Wilhelm Gottfried (1769–1857) 185 Tipping, William 128 Tolstoi, Pawel Dmitriewitsch (1797–1875) 18, 228 Trapesnikow, Nikifor 109 Schreibweise im Text noch ändern, dort Trapeznikow Tschaplin, Petr (gest. 1765) 20 Tschirikow, Alexei (1703–1748) 43, 44, 67, 88, 169 Tschitschagow, Wassili Jakowlewitsch (1726–1809) 48, 49, 50

255

ANHANG

Vancouver, George (1757–1798) 172, 173, 201 Wäber, Abraham (gest. 1793) 82 Wäber, Rosina Esther 82 Walker, Alexander 122, 124 Wattman, William 102 Webber, John (1751–1793) 46, 54, 61, 70, 82, 83, 85, 87 Weniaminow, Ioann (1797–1879) 217, 218 Wille, Jean-Georges 83

256

Williamson (Cooks 3. Reise) 102 Woronin, Luka 145, 167 Woronzow, Graf S. R. 143 Wosnessenski, Ilja Gawrilowitsch (1816–1871) 229 Young, John 203 Zimmermann, Johann Heinrich (1741–1805) 15, 16, 91, 96, 97, 101, 102, 103, 104, 115, 117 Zoffany, Johann Joseph (1733–1810) 99, 103

Informationen zum Buch Lippenpflöcke aus Walrosselfenbein, mit Vogelschnäbeln besetzte Rasseln oder Holzhüte in Form von Robbenköpfen: 44 Objekte dokumentieren die traditionellen, von europäischer Kultur noch kaum beeinflussten Lebenswelten der Bewohner des Nordpazifikraums. Dieser Band begibt sich auf neue Wege, indem diese Dokumente »gelesen« und ihre Geschichten mit der europäischen Entdeckungsgeschichte und dem Wettlauf um Territorien im Nordpazifik verknüpft werden. Gudrun Bucher legt damit eine ethnologische Geschichtsschreibung über frühe Globalisierungsprozesse vor. Anhand der Objekte zeigt sie auf, wie sich das Leben der Indigenen nach der »Entdeckung« veränderte und welche Folgen das wirtschaftliche Handelsstreben der Europäer für die Region und ihre Bevölkerung hatte. Alle 44 Artefakte befinden sich heute in Europa und sind Teil bedeutender ethnologischer Sammlungen.

Informationen zum Autorin Dr. Gudrun Bucher studierte Ethnologie, Vor- und Frühgeschichte und Geologie. Sie promovierte über den Geographen und Forschungsreisenden Gerhard Friedrich Müller, einen Teilnehmer an Berings zweiter Kamtschatka-Expedition (1733–1743), und forschte über Altgläubige in der Republik Burjatien (Russische Föderation). Sie begleitet Expeditionskreuzfahrten in die Arktis, Antarktis und Südsee. Der vorliegende Band resultiert aus Forschungen an der Universität Göttingen.